Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zum zweiten Tag unserer Haushaltsberatungen.
Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Parla-
ments der Republik Estland, Herr Eiki Nestor, mit
seiner Delegation Platz genommen.
Ich begrüße Sie, Herr Präsident, im Namen aller Kollegin-
nen und Kollegen, von denen Sie einige bereits gestern in
Gesprächen persönlich kennengelernt haben, herzlich.
Wir erinnern uns im Gedenkjahr 2014 nicht nur an
den 25. Jahrestag des Berliner Mauerfalls. Wir haben
hier im Deutschen Bundestag auch an das großartige und
erfolgreiche Freiheitsstreben der baltischen Staaten erin-
nert, die vor einem Vierteljahrhundert mit dem „Balti-
schen Weg“ und einer spektakulären Menschenkette
durch Estland, Lettland und Litauen europäische Ge-
schichte geschrieben haben.
Wir freuen uns, Herr Präsident, über die immer en-
gere Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern, auch
und gerade zwischen unseren Parlamenten, seit dem Bei-
tritt Estlands zur Europäischen Union. Wir wollen diese
enge Zusammenarbeit im Lichte der neuen Herausforde-
rungen, die in diesem Jahr deutlich geworden sind, gerne
fortsetzen.
Wir setzen jetzt unsere Haushaltsberatungen – Tages-
ordnungspunkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
Drucksachen 18/2000, 18/2002
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018
Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Drucksachen 18/2823, 18/2824
Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger
Kruse, Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs,
Gesine Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk.
Zum Einzelplan 04 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor. Über diesen Einzelplan werden
wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 224 Minuten vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sahra Wagenknecht, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Frau Bundeskanzlerin, Sie werden hier gleich ansMikrofon treten und wieder ausgiebig Ihre Politik loben.
Aber wenn man sich die derzeitige Politik und die der-zeitige Situation in Deutschland, in Europa und in derWelt ansieht und wenn man vor allen Dingen Ihre ganzpersönliche Mitverantwortung für diese Situation inRechnung stellt, dann fragt man sich schon, wie Sie da-rauf auch noch stolz sein können.
Ja, wir leben in einem reichen Land, das gute Autosund international gefragte Maschinen produziert. Aberes ist ein zutiefst gespaltenes Land. Es ist ein Land, indem selbst fleißige Arbeit nicht mehr vor Armut schütztund in dem inzwischen die Auswahl des Elternhauseswichtiger geworden ist als die Auswahl des Berufs. Esist ein Land, in dem kaum noch investiert wird, in dem
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Dr. Sahra Wagenknecht
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Straßen und Brücken verrotten, in dem viele Kinder inverwahrlosten Wohngebieten aufwachsen,
in dem ihnen elementare Bildung vorenthalten wird.
Was tun Sie, Frau Bundeskanzlerin? Statt Problemlö-sungen liefern Sie Taschenspielertricks, statt soliderFinanzierungen liefern Sie kreative Buchführung, undstatt wirtschaftspolitischer Rationalität liefern Sie ok-kulte Opferrituale vor Ihrer neuen Göttin, der schwarzenNull, die Ihnen trotz aller Beschwörungsformeln imnächsten Jahr wieder nicht erscheinen wird.
Solide öffentliche Finanzen gibt es eben nicht ohneeine dynamische Wirtschaft. Es gibt sie nicht ohne Kon-sumenten, die genug Geld in der Tasche haben, um sichein gutes Leben leisten zu können, und es gibt sie auchnicht ohne Unternehmen, die genau wegen dieser Nach-frage Anreize haben, zu investieren, statt ihr Geld zubunkern oder ihre Aktionäre mit immer neuen Rekord-dividenden glücklich zu machen. Es gibt solide öffentli-che Finanzen auch nicht, wenn gerade die reichsten Fa-milien und die größten Konzerne kaum noch einenmüden Euro zur Finanzierung des Gemeinwesens beitra-gen und der Staat dabei wegschaut.Und deswegen ist für mich die schwarze Null ei-gentlich ein Ausdruck einer Null-Kompetenz in derWirtschaftspolitik.Das ist das Urteil des Wirtschaftsweisen Peter Bofingerüber Ihre Politik, Frau Kanzlerin. Vielleicht erinnern Siesich auch noch, was Sie im August im schönen Lindauam Bodensee von den Wirtschaftsnobelpreisträgern zuhören bekommen haben. Ich gebe eine kleine Kostprobe:Merkel verfolgt … eine völlig falsche Politik.Merkel scheint den Ernst der Lage nicht kapiert zuhaben.Merkels Rede sei eine einzige Katastrophe gewesen.Wohlgemerkt: Das ist kein Mitschnitt aus einer Mitglie-derversammlung der Linken. Das waren die Urteile in-ternational renommierter Wirtschaftsnobelpreisträgerüber Ihre Politik, Frau Merkel. Wenn Sie einmal zuhörenkönnten, vielleicht würde Ihnen das zu denken geben;
aber offensichtlich interessiert Sie das überhaupt nicht.Weggucken, wegducken, wegreden – das ist Ihr Drei-klang im Umgang mit den Gefahren und Problemen derGegenwart.
Aber die Gefahren sind einfach zu groß und die Pro-bleme zu ernst, als dass wir so weiter mit ihnen umgehenkönnten. Die deutsche Wirtschaft stagniert. Alle Progno-sen für das nächste Jahr mussten nach unten korrigiertwerden.Aus konjunkturellen wie aus prinzipiellen Gründenbraucht dieses Land endlich mehr Investitionen. Sie ha-ben nun lauthals ein Investitionsprogramm angekündigt.Aber was sieht man, wenn man in das Kleingedruckteschaut? Dann sieht man, dass nach Ihren eigenen Pla-nungen der Anteil der Investitionsausgaben des Bundesweiter sinken soll, nämlich von aktuell 10,1 Prozent aufnur noch 8,3 Prozent im Jahr 2018. So viel wirtschafts-politische Ignoranz kann einem wirklich die Spracheverschlagen.
– Sie können sich ruhig aufregen. Es wäre aber besser,wenn Sie sich nicht nur aufregen würden, sondern auchKonsequenzen ziehen würden.
Es geht nicht nur um Straßen, es geht auch nicht nurum Brücken, es geht auch um Zukunftstechnologien undInnovationen. Wer meint, dafür wird schon der Marktsorgen, der sollte sich einmal fragen, warum sich eigent-lich alle wichtigen digitalen Technologien heutzutage inder Hand von US-Unternehmen befinden, die Möglich-keit zur globalen Überwachung inklusive. Nicht, weilder Markt jenseits des Atlantiks so viel besser funktio-niert, sondern weil sich der Staat das zumindest früherziemlich viel hat kosten lassen. Fast die gesamte Tech-nologie, die heute in einem iPhone steckt, ist doch nichtin Steve Jobs Garage entwickelt worden. Die ist in staat-lichen Forschungszentren entwickelt worden. Werglaubt, dass ein fundamentaler technologischer Um-bruch wie die Energiewende möglich wäre ohne massiveöffentliche Investitionen in die Erforschung und Umset-zung alternativer Technologien, der hat wirklich nichtsverstanden.
Aber statt über solche Fragen auch nur nachzudenken,verhandelt diese Regierung lieber über Investorenschutz.Genau genommen verhandelt sie nicht, sondern derWirtschaftsminister führt einen unglaublichen Eiertanzauf, um der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen.Ich rede von den geplanten FreihandelsabkommenCETA und TTIP,
und ich rede von den Sondergerichten für große Kon-zerne, mittels derer diese Konzerne den deutschen Staatin Zukunft für jede Mindestlohnerhöhung und für jedesUmweltschutzgesetz vor den Kadi ziehen können.
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Aber offensichtlich hat Herr Gabriel in seiner politi-schen Laufbahn nicht mehr vor, den Mindestlohn zu er-höhen oder die Umwelt zu schützen. Zumindest habe ichvernommen, dass er der Öffentlichkeit mitgeteilt hat,diese Sondergerichte ließen sich – leider, leider – nichtmehr aus dem Abkommen CETA herausverhandeln. Ja,Herr Gabriel, wenn sich diese Sondergerichte nicht mehrherausverhandeln lassen, dann muss Deutschland dieseAbkommen eben ablehnen. Dann muss man CETA ab-lehnen, und das Gleiche gilt auch für TTIP.
Beide Abkommen haben doch im Kern nur das Ziel,Löhne, Sozialstandards und Verbraucherschutz nochweiter auf Sinkflug zu schicken und den Kapitalismusendgültig vor den Zumutungen der Demokratie zu schüt-zen; das ist doch das, worum es bei diesen Abkommengeht. Das ist das Letzte, was wir brauchen. Denn dannkann man auf Wahlen und Parlamentarismus konsequen-terweise auch ganz verzichten. Wenn wir hier im Bun-destag keine Gesetze mehr machen können, die den Ban-ken und Konzernen nicht gefallen, dann verkommt das,was wir hier tun, wirklich zu einer schlichten Theater-vorstellung. Da muss ich Ihnen sagen: Für ein Theater istdieses Haus wirklich zu teuer und am Ende vielleichtauch zu wenig unterhaltsam.
Der bekannte Ordoliberale Alexander Rüstow – viel-leicht gibt es bei Ihnen noch den einen oder anderen, derihn kennt – hat bereits vor einem halben Jahrhundert ge-warnt, dass – ich zitiere –der Staat, der damit anfängt, die Raubtiere der orga-nisierten Unternehmerinteressen zu füttern, letztenEndes von ihnen verschlungen wird.Gerade deshalb haben die Ordoliberalen ja immer wie-der davor gewarnt, Unternehmen oder auch Banken sogroß oder so mächtig werden zu lassen, dass sie die All-gemeinheit erpressen oder ihr schlicht auf der Nase he-rumtanzen können. Es war ihre zentrale Botschaft, dassdas verhindert werden muss.„Versagt der Staat auf diesem Felde, dann ist es baldum die soziale Marktwirtschaft geschehen“, war LudwigErhards knappe Prognose zu diesem Thema. Gerade Sievon der CDU/CSU, die Sie sich so gern auf LudwigErhard berufen, sollten zugeben, dass er recht behaltenhat. Der Staat hat auf diesem Feld versagt. Deswegen istes um die soziale Marktwirtschaft geschehen. Wir habennämlich keine mehr.
Auch in Brisbane haben Sie, Frau Merkel, und auchdie anderen Regierungschefs wieder auf vielen wichti-gen Feldern vor den Raubtieren kapituliert: bei derFinanzmarktregulierung, beim Klimaschutz und natür-lich auch bei der Bekämpfung der Steuerflucht von Kon-zernen. Es ist einem schon aufgefallen, wie eilig sichdiese Regierung, als die Enthüllungen über die Steuer-sparmodelle in Luxemburg in der Presse waren, bemühthat, zur Tagesordnung überzugehen. Nun nehme ichIhnen ja ab, dass Sie über die Enthüllungen nicht beson-ders verblüfft waren. Auch ich war nicht besonders ver-blüfft. Es ist lange bekannt, dass es solche Steuerspar-modelle gibt, und zwar nicht nur in Luxemburg, sondernauch in vielen anderen EU-Staaten. Es ist auch bekannt,dass dem deutschen Staat – dem Bund, den Ländern undauch den Kommunen – schätzungsweise 100 Milliar-den Euro im Jahr entgehen, weil es solche Modelle gibt.100 Milliarden Euro!Die Unternehmen gehen sogar ganz offen damit um,dass sie das praktizieren. Die Deutsche Bank zum Bei-spiel lobt sich in ihrem Geschäftsbericht ausdrücklichdafür, dass sie durch eine, wie es vornehm heißt, vorteil-hafte geografische Verteilung ihres Konzernergebnissesihre Steuerzahlungen minimiert, sprich die Öffentlich-keit kräftig geschädigt hat. Ich finde, das muss man sicheinmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Bank, die esohne die Milliardenzahlungen der Steuerzahlerinnen undSteuerzahler überhaupt nicht mehr gäbe, die bankrott ge-wesen wäre, ist auch noch stolz darauf, dass sie solcheModelle nutzt und dadurch die Öffentlichkeit in Milliar-denhöhe schädigt. Natürlich ist das kriminell.
Aber genauso kriminell ist eine Politik, die die pas-senden Gesetze dafür liefert oder eben die passendenGesetze akzeptiert. Da muss man sich gar nicht hinterder EU verstecken. Natürlich könnten wir solche Prakti-ken hier in Deutschland verhindern. Man muss einfachgesetzlich festlegen, dass Zinsen, Lizenz- oder Patentge-bühren, die im Empfängerland nicht mit wenigstens25 Prozent besteuert werden, in Deutschland nicht mehrsteuerlich abzugsfähig sind. Das könnte man doch ge-setzlich regeln.
Wenn Sie zu einem so einfachen Gesetz nicht in derLage sind, dann hören Sie, verdammt noch mal, auf, derBevölkerung zu erzählen, was in diesem Land alles an-geblich nicht finanzierbar ist, zum Beispiel eine guteRente. Es ist noch keine Woche her, dass das StatistischeBundesamt alarmierende Zahlen veröffentlicht hat. Da-nach ist das Armutsrisiko älterer Menschen seit 2006kontinuierlich gestiegen. Immer mehr ältere Menschenmüssen Grundsicherung beantragen. Das heißt ganz bru-tal: Sie müssen ihren Lebensabend auf Hartz-IV-Niveaufristen.Was fällt der Bundesregierung dazu ein? Sie kürzenden Bundeszuschuss zur Rentenkasse, um ihre schwarzeNull zu retten, und senken auch noch den Beitragssatzzur Rentenversicherung. Je weniger aber in einen Topfeingezahlt wird, desto weniger kann man natürlich auchaus diesem Topf wieder herausnehmen – in diesem Fallfür die Rentnerinnen und Rentner –, und genau dasscheint auch das Ziel zu sein.Seit den von SPD und Grünen eingeleiteten Renten-kürzungen ist das Rentenniveau in Deutschland von frü-her 53 Prozent auf 48 Prozent gesunken. In Zukunft solles noch weiter bergab gehen. Das heißt, bald blüht selbsteinem Durchschnittsverdiener nach einem langen Ar-beitsleben ein Lebensabend auf Hartz-IV-Niveau. Ich
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finde, das ist einfach schändlich. Das ist Altersarmut perGesetz.
Sagen Sie jetzt nicht, das liege am Geld. Gleichzeitigverpulvert der Bund nämlich Milliarden, um die Riester-Rente zu subventionieren. Inzwischen wurden 27 Mil-liarden Euro dafür verpulvert, Betrugsprodukte zu sub-ventionieren, an denen sich bekanntermaßen nur die Pro-visionsjäger der Versicherungsindustrie, der Fonds undder Finanzindustrie goldene Nasen verdienen, währenddie Sparer in der Regel noch nicht einmal das herausbe-kommen, was sie eingezahlt haben. Und trotzdem solldas alles so weitergehen!Wie man heute weiß, hat sich der Drückerkönig undFinanzhai Herr Maschmeyer beim damaligen KanzlerSchröder mit immerhin 2 Millionen Euro für dieses zu-vorkommende Gesetz bedankt. Frau Nahles, ich weißnicht, ob Sie hoffen, dass Ihnen irgendwann auch einmaljemand Ihre Biografie für 2 Millionen Euro abkauft.Man muss aber zumindest sagen: Ihr Festhalten an dieserRentenpolitik ist verantwortungslos und übrigens auchein klarer Bruch der SPD-Wahlversprechen.
Hören Sie deshalb auf,
die Rentenkasse mit Beitragssenkungen und versiche-rungsfremden Leistungen weiter zu plündern!
Hören Sie auf, öffentliches Geld für Betrugsprodukte zuverschleudern, und stellen Sie wieder eine lebensstan-dardsichernde Rente ab 65 Jahren für alle Menschen her!
Es brennt aber nicht nur bei der Rente. Vor gut zweiWochen wurde mit Unterstützung des größten deutschenSozialverbandes, VdK, eine Verfassungsklage für men-schenwürdige Pflege eingereicht. Es geht um die kata-strophale Situation und den extremen Personalmangel invielen Pflegeheimen.Auch in vielen deutschen Krankenhäusern herrschenheute Zustände, die eines reichen Landes unwürdig sind,
und auch die Gründe dafür lassen sich mit Zahlen mes-sen: Seit Mitte der 90er-Jahre wurde an deutschen Kran-kenhäusern jede zehnte Stelle im Pflegebereich abge-baut. Was fällt Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dazu ein?Deutschland geht es gut, und deshalb kürzen Sie denBundeszuschuss zum Gesundheitsfonds in den nächstenzwei Jahren mal eben um 6 Milliarden Euro. MögenRentner durch Armut gedemütigt werden und Pflegebe-dürftige früher sterben, Hauptsache die schwarze Nulllebt: Das scheint Ihre Logik zu sein. Was ist das für eineunglaubliche Politik!
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Das istder oberste Verfassungsgrundsatz der Bundesrepublik.Er gilt auch für Ältere, Kranke und Pflegebedürftige,
und er steht ausdrücklich nicht unter Finanzierungsvor-behalt. Deswegen fordere ich Sie auf: Beenden Sie dieunwürdige Zweiklassenmedizin! Schaffen Sie eine Bür-gerversicherung, bei der jeder nach seinem Einkommeneinzahlt und gleich gute Leistungen sowohl im Krank-heits- als auch im Pflegefall bekommt! Krankheit istkeine Ware, die sich als Objekt von Renditejägern eig-net.
Ihre Kürzung des Zuschusses zum Gesundheitsfondszeigt natürlich auch noch in anderer Hinsicht, wie unehr-lich Ihre Politik ist. Das Mantra „Keine Steuererhöhung“gehört ja zu den Gebetsformeln, die diese Regierung un-ablässig vor sich hinmurmelt. Sie wissen aber ganz ge-nau, dass die Kürzung des Bundeszuschusses bei vielenKrankenkassen zu Beitragserhöhungen führen wird
und dass eine Beitragserhöhung das Nettoeinkommenganz genauso reduziert wie eine Steuererhöhung. Aberrichtig: Es gibt einen wichtigen Unterschied. Eine Bei-tragserhöhung bezahlen ausschließlich die gesetzlichVersicherten, also vor allem die Arbeitnehmer. Sie belas-tet Normalverdiener weit mehr als Spitzenverdiener. So-gar Menschen mit sehr wenig Einkommen müssen dieseBeitragserhöhung mit bezahlen.Das heißt, Ihr ganzes Gerede gegen Steuererhöhun-gen ist im Kern vollkommen verlogen. Sie haben über-haupt keine Skrupel, die normalen Beschäftigten, dieheute schon die Hälfte ihres Nettoeinkommens für Steu-ern und Abgaben bezahlen, noch stärker zu belasten. Siepredigen zwar keine Steuererhöhungen. Aber im Kerngeht es Ihnen doch darum: keine Steuererhöhung fürReiche. Das ist es doch, was tatsächlich Ihre Politik be-wegt. Geben Sie es doch wenigstens zu!
Offenbar, Frau Bundeskanzlerin, hat Ihnen noch nie-mand den Zusammenhang zwischen Schulden und Ver-mögen erklärt. Geld verschwindet nämlich nicht; Geldwechselt immer nur den Besitzer. In den letzten 15 Jah-ren hat unter Ihnen, Frau Merkel, und unter Ihrem Vor-gänger Gerhard Schröder ganz besonders viel Geld inDeutschland den Besitzer gewechselt. Viele MilliardenEuro, die einst der Allgemeinheit gehörten, sind auf pri-vate Konten gewandert: durch Steuergeschenke an Ver-mögende und an große Unternehmen und natürlichdurch die milliardenschwere Bankenrettung.Im Ergebnis haben sich in den letzten 15 Jahren ebennicht nur die öffentlichen Schulden, sondern auch die
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privaten Vermögen der Millionäre und Multimillionäremehr als verdoppelt. Deshalb wäre die Wiedereinfüh-rung einer Vermögensteuer nicht etwa eine Enteignung,wie Sie das immer gerne darstellen, sondern sie wäre imGrunde eine Rückgabe.
Sie würde dafür sorgen, dass das Geld endlich einmalden Besitzer in die andere Richtung wechselt, nämlichweg von den privaten Konten der Millionäre und Multi-millionäre und hin zu besserer Bildung, besserer Pflegeund guten Renten. Da wäre das Geld auch besser ange-legt.
Es fällt übrigens auch auf, dass Sie wieder nur mit denVermögen der Reichen so rücksichtsvoll umgehen. Beiden Vermögen der kleinen Leute sind Sie viel wenigerzimperlich. Die auch durch Ihre Europapolitik und IhreKürzungsdiktate verursachte Dauerkrise im Euro-Raumist die letztliche Ursache für die extremen Niedrigzinsen,die wir zurzeit haben. In der Konsequenz gibt es für nor-male Sparer mittlerweile kaum noch Anlagen, die auchnur den Werterhalt sichern. Das heißt, anders als derMillionär, der im Schnitt auf sein Vermögen Renditenzwischen 5 und 10 Prozent einfährt, zahlt der Kleinspa-rer längst mit seinen Spargroschen für Ihre falsche Kri-senpolitik.Aber diese Enteignung der kleinen Leute stört Sie of-fenbar nicht im Geringsten. Das lassen Sie laufen. Nuran das Vermögen des Geldadels wollen Sie nicht heran.Das nennt sich dann Volkspartei;
eine Partei, die zulässt, dass das Volk enteignet wird,weil sie zu feige ist, an das Geld der oberen Zehntausendheranzugehen, um damit eine vernünftige Antikrisenpo-litik zu finanzieren. Das ist wirklich skandalös.
Das gilt leider nicht nur für die CDU. Auch HerrGabriel hat sich mittlerweile auf die Fahne geschrieben,die Vermögensteuer auch bei der SPD programmatischzu entsorgen. Da kann man nur sagen: Mit so einem Vor-sitzenden arbeiten Sie wirklich hart daran, dass die SPDnie wieder in die Nähe davon kommt, in diesem Landnoch einmal den Kanzler zu stellen.Nun muss man sagen: Auch andere Parteien hattenVorsitzende, die sie klein gemacht haben, sogar bis zurletzten Konsequenz.
Eine dieser Parteien ist die FDP gewesen. Ich möchtehier einen Satz zur Ehrenrettung der FDP sagen. Es gibttatsächlich ein unsoziales Gesetz, das an der FDP ge-scheitert ist, und zwar das Gesetz zur sogenannten Ta-rifeinheit. Es ist wirklich unglaublich, dass dieses Gesetzjetzt ausgerechnet von der SPD wieder auf die Tagesord-nung gehievt wird.Schon der Name des geplanten Gesetzes ist doch derblanke Hohn: Gesetz zur Tarifeinheit. Ein Betrieb, einTarif: Das soll wieder gelten. Ich darf Sie, werte Damenund Herren von der SPD, daran erinnern, dass Sie selbstes waren, die dieses Prinzip zerstört haben, dass Sie eswaren, die es mit den Agendagesetzen den Unternehmenermöglicht haben, ihre Belegschaft aufzusplitten:
in Leiharbeiter, in Werkvertragler, in Minijobber, in be-fristet Beschäftigte. Alle haben natürlich unterschiedli-che Tarifverträge.
Sie haben damit alles dafür getan, dass die Gewerk-schaften nicht mehr wirklich streikfähig sind; denn be-streiken Sie einmal einen Betrieb, in dem ein Drittel derBeschäftigten in Leiharbeit ist, ein Drittel einen Werk-vertrag hat und viele andere einen befristeten Vertrag ha-ben. Einen solchen Betrieb kann man faktisch nichtmehr bestreiken. Entsprechend schlecht ist auch dieLohnentwicklung in Deutschland.
Wenn Sie der Tarifeinheit wirklich wieder zumDurchbruch verhelfen wollen, dann nehmen Sie dieAgendagesetze zurück! Verbieten Sie Leiharbeit und denMissbrauch von Werkverträgen!
Verbieten Sie die sachgrundlose Befristung, die die Be-schäftigten in ständiger Abhängigkeit hält! Das wärenReformen, die dieses Land wirklich voranbringen wür-den. Aber dafür müsste man den Mut haben, sich dem„Raubtier der organisierten Unternehmerinteressen“ ent-gegenzustellen.
– Ja, nach Alexander Rüstow. Das war ein Zitat, falls Siedas nicht bemerkt haben.Man hat allerdings den Eindruck, es gibt etwas, dasIhnen, Frau Merkel, noch wichtiger ist als die Interessender deutschen Unternehmen: Das sind die Interessen deramerikanischen Regierung und der amerikanischenWirtschaft. Bei Ihrer Rede in Sydney, Frau Merkel, ha-ben Sie sich furchtbar darüber empört, dass es 25 Jahrenach dem Fall der Mauer immer noch altes Denken inEinflusssphären gibt, das das internationale Recht mitFüßen tritt. „Wer hätte das für möglich gehalten?“, wur-den Sie zitiert. Man fragt sich ernsthaft, Frau Merkel:Wo leben Sie eigentlich? Und wo haben Sie in den letz-ten Jahren gelebt?
Wo haben Sie gelebt, als die USA das internationaleRecht im Irak mit Füßen getreten haben, um ihre Ein-flusssphäre auf das irakische Öl auszudehnen? Wo wa-ren Sie, als unter Beteiligung Deutschlands das interna-tionale Recht in Afghanistan mit Füßen getreten wurde,was es im Übrigen immer noch wird? Wo waren Sie, alsLibyen bombardiert wurde und als die syrische Opposi-
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Dr. Sahra Wagenknecht
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tion aufgerüstet wurde, Waffenlieferungen an den IS ein-geschlossen?War das alles Ihrer Meinung nach in Übereinstim-mung mit dem internationalen Recht? Selbstverständlichging es dabei auch nie um Einflusssphären.Ich darf Ihnen die Lektüre eines Buches vonZbigniew Brzezinski, langjähriger Vordenker der US-Außenpolitik, empfehlen.
Das Buch aus dem Jahr 1997 trägt den schönen Titel Dieeinzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherr-schaft. In Bezug auf Europa plädiert Brzezinski darin füreine konsequente NATO-Osterweiterung zunächst nachMitteleuropa, dann nach Süden und über die baltischenRepubliken bis zur Ukraine, und zwar weil, wie der Au-tor schlüssig begründet – ich zitiere – „mit jeder Ausdeh-nung … automatisch auch die direkte Einflusssphäre derVereinigten Staaten erweitert“ wird.Dieses alte Denken in Einflusssphären, das sehr er-folgreich umgesetzt wurde, ist Ihnen wirklich nie aufge-fallen, Frau Merkel?
Dabei gehörten Sie doch zu denen, die genau das in Eu-ropa weiter umgesetzt und unterstützt haben. Sie gehör-ten doch zu den Vasallen, um in der Sprache Brzezinskiszu bleiben, die genau diese Strategie mitgetragen haben.
Frau Wagenknecht, darf Ihnen der Kollege Weiler
eine Zwischenfrage stellen?
Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Wagenknecht, vielen Dank, dass
ich eine Zwischenfrage stellen darf. Sie haben gerade die
SPD beschimpft und kein gutes Haar an ihr gelassen.
Ich kann dem in Teilen nicht zustimmen.
Aber in Thüringen wiederum ist die SPD gut genug
dafür, Ihren Herrn Ramelow auf das Pferd zu setzen.
Dort nutzt man diese Partei aus, die man jetzt so be-
schimpft, um einen Vorteil daraus zu ziehen und den
Herrn zum Ministerpräsidenten zu machen. Man gibt der
SPD mehr Ministerien, als eigentlich notwendig ist, und
alle solche Dinge. Das passt vorne und hinten nicht zu-
sammen.
Hier wird über diese alte Volkspartei geschimpft,
und in Thüringen wird sie ausgenutzt, um den eigenen
Mann nach oben zu hieven. Wie ist das möglich, Frau
Wagenknecht?
Danke schön.
Ich nehme zur Kenntnis, dass die CDU das Traumavon Thüringen immer noch so bewegt, dass Sie dasselbst in diese Haushaltsdebatte tragen.
Wenn ich der SPD vorwerfe, dass sie mit ihrer Politikalles dafür tut, dass sie ihre Glaubwürdigkeit nicht wie-dergewinnt und damit auch bei Wahlergebnissen von26 Prozent bleibt und dass sie damit nie wieder denKanzler stellen wird, dann geschieht das aus Sorge umdieses Land,
weil ich mir wünsche, dass Frau Merkel nicht ewig Bun-deskanzlerin bleibt und dass Sie nicht ewig den Bundes-kanzler stellen können,
und weil ich mir wünsche, dass es eine andere und linkePolitik in diesem Land geben kann.Aber ich darf Sie beruhigen: Ich werde gleich dieSPD noch in einem Punkt loben. Auch das werden Sienoch zu hören bekommen.
Ich würde mir auch wünschen, dass es in Zukunft mehrGründe geben würde, die SPD zu loben. Das fände ichzumindest sehr gut.
Ich war bei Brzezinski, der NATO-Osterweiterungund der deutschen Politik in dieser Hinsicht stehen ge-blieben. Frau Merkel, jetzt haben Sie Deutschland in dieNeuauflage eines Kalten Krieges mit Russland hineinge-trieben, der das politische Klima vergiftet und den Frie-den in ganz Europa gefährdet.
Sie haben einen sinnlosen Wirtschaftskrieg angezettelt,der vor allem der deutschen und der europäischen Wirt-schaft massiv schadet.
– Da Sie so stöhnen: Sie müssen ja nicht in den Unter-nehmen sitzen, denen die Aufträge wegbrechen. Sie sindda nicht Arbeitnehmer oder Unternehmer. Sie müssendas nicht ausbaden, was Sie angerichtet haben.
Sie warnen vor einem Flächenbrand, Frau Merkel.Aber Sie gehören doch zu denen, die mit brennendemZündholz herumlaufen. „Verbale Aufrüstung war noch
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Dr. Sahra Wagenknecht
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immer der Anfang von Schlimmerem.“ Das hat IhnenHans-Dietrich Genscher nach Ihrer Rede in Sydney zu-gerufen.Nein, man muss Putin wirklich nicht mögen. Manmuss auch den russischen Kapitalismus mit seinen Oli-garchen nicht mögen.
Aber Diplomatie heißt, die Interessen des Gegenübersernst zu nehmen und sich nicht ignorant über sie hinweg-zusetzen. Es fällt schon auf, dass Helmut Kohl undMichail Gorbatschow nahezu wortgleich warnen, dassohne eine deutsch-russische Partnerschaft keine Stabili-tät und keine Sicherheit in Europa möglich sind. Der frü-here SPD-Vorsitzende Platzeck hat darauf hingewiesen,dass der Handel zwischen Russland und den USA in die-sem Jahr zugenommen hat, während der Handel zwi-schen Russland und Europa und vor allen DingenDeutschland massive Einbrüche erlebt hat. Als Reaktionarbeitet die CDU/CSU daran, sogenannte vermeintlicheRussland-Versteher wie Herrn Platzeck aus dem Peters-burger Dialog herauszudrängen.Statt auf Verstehen setzen Sie offenbar lieber auf Un-verstand. In der Ukraine kooperieren Sie mit einem Re-gime, in dem wichtige Funktionen des Polizei- und Si-cherheitsapparates mit ausgewiesenen Nazis besetztwerden. Der Präsident Poroschenko redet vom totalenKrieg und hat den Krankenhäusern und den Rentnern inder Ostukraine alle Zahlungen abgeklemmt. Für PremierJazenjuk sind die Aufständischen – ich zitiere – „Un-menschen, die es auszulöschen gilt“. Statt sich mit sol-chen Hasardeuren zu verbünden,
brauchen wir endlich wieder eine deutsche Außenpoli-tik, der Sicherheit und Frieden in Europa wichtiger sindals Anweisungen aus Washington.
In einem Jahr, in dem sich der Beginn des ErstenWeltkriegs zum 100. und der Beginn des Zweiten Welt-kriegs zum 75. Mal jährt, wäre es dringend angebracht,sich an die Aussage Willy Brandts zu erinnern: „Kriegist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irra-tio.“ Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein, FrauMerkel.
Deshalb: Kehren Sie auf den Weg der Diplomatie zu-rück! Stellen Sie die Sanktionen ein! Sollten sich in derSPD tatsächlich die Stimmen der außenpolitischen Ver-nunft durchsetzen – von Helmut Schmidt bis MatthiasPlatzeck –, dann, bitte, Frau Merkel, hören Sie auf IhrenKoalitionspartner. Beenden Sie dieses Spiel mit demFeuer!
Ich fasse zusammen.
Ihre Politik, Frau Merkel, spaltet Deutschland und ver-sündigt sich an der Zukunft, weil Sie nicht den Mut ha-ben, sich den organisierten Interessen von Banken undKonzernen entgegenzustellen. Sie haben das Erbe derEntspannungspolitik verspielt und Europa in einenneuen kalten Krieg und an den Rand eines Flächen-brands geführt, weil Sie nicht den Mut haben, der US-Regierung Paroli zu bieten. Das ist keine Bilanz, auf dieSie stolz sein sollten. Die Bürgerinnen und Bürger diesesLandes jedenfalls haben eine bessere Politik verdient,eine Politik, die den Anspruch auf Wohlstand für alleendlich wieder ernst nimmt und die zurückkehrt zu einerPolitik der guten Nachbarschaft mit allen europäischenNachbarn.
Das Wort hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela
Merkel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor zehn Ta-gen habe ich am Treffen der 20 größten Volkswirt-schaften in Brisbane in Australien teilgenommen. Diejährlichen G-20-Treffen auf der Ebene der Staats- undRegierungschefs sind eine Antwort auf Herausforderun-gen der internationalen Finanzkrise im Jahre 2008. Da-mals stand vor allem die Notwendigkeit einer globalenRegulierung der Finanzmärkte auf der Tagesordnung.Richtigerweise wurde der Anspruch formuliert, jedenFinanzplatz, jedes Finanzmarktprodukt und jeden Finanz-marktakteur einer Regelung zu unterwerfen. Seitdem istmanches erreicht, insbesondere bei der Regulierung inter-national agierender Banken. Wenn diese in Zukunft inSchwierigkeiten geraten, gibt es inzwischen weltweit Me-chanismen, die Banken abzuwickeln, ohne dass zuerst derSteuerzahler dafür haften muss. Das ist ein Erfolg.
Mit dieser Regelung werden außerdem Ansteckungs-gefahren minimiert. Aber wir müssen sehen: Eine solcheeinheitliche Regulierung gibt es noch nicht für die sys-temrelevanten, global agierenden Schattenbanken. Siesoll bis 2016 vorliegen. Das Ziel wurde in Brisbane nocheinmal bekräftigt, das weitere Vorgehen konkretisiert.Deutschland wird allerdings darauf drängen, dass wirdieses Ziel auch wirklich erreichen und nicht auf halberStrecke stehen bleiben.Qualitative Fortschritte wurden im G-20-Prozessauch bezüglich der Themen Steuerehrlichkeit und Steu-ergerechtigkeit erzielt. Sie erinnern sich an die interna-tionale Konferenz am 29. Oktober hier in Berlin, vonWolfgang Schäuble organisiert. Damit wurde eine neuePhase der Zusammenarbeit eingeleitet. Über 50 Länderhaben sich ab 2017 zum automatischen Informationsaus-
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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tausch bei Steuerfragen verpflichtet. Ohne die G 20 wäreein solcher Erfolg nicht möglich gewesen.Ebenfalls vorangekommen sind wir bei der Aufgabe,multinationalen Konzernen die Möglichkeit zu nehmen,durch Tricks keinerlei Steuern zu zahlen. Hier gibt esinsbesondere in Europa deutliche Fortschritte, und auchin Brisbane wurde das Ziel der Steuergerechtigkeit nocheinmal betont. Neben Fragen der Finanzmarktregulie-rung standen auf dem Gipfel vor allem die Fragen derWeltwirtschaftslage im Vordergrund. Gemeinsam wardort das Bekenntnis zu nachhaltigem Wachstum. EinenSchwerpunkt legte die australische Präsidentschaft aufdas Thema Infrastrukturinvestitionen.Aber etwas war jenseits der Tagesordnung an diesemG-20-Gipfel besonders. Im Vorfeld dieses Gipfels hattensich die Länder der Asien-Pazifik-Region beim Asien-Pazifik-Gipfel in Peking und beim ASEAN-Gipfel inMyanmar getroffen. Die dann anschließend auch beimG-20-Gipfel teilnehmenden Staaten der Asien-Pazifik-Region machten in Brisbane deutlich, dass für sie einewesentliche Triebkraft für wirtschaftliches Wachstum– und die Dynamik in der Region ist groß – der Freihan-del ist. Dazu werden die Verhandlungen zur transpazifi-schen Partnerschaft, dem pazifischen Äquivalent zumTransatlantischen Freihandelsabkommen, zügig voran-getrieben und eventuell schon in der ersten Jahreshälfte2015 abgeschlossen. Während des bilateralen Besuchsdes chinesischen Präsidenten Xi in Australien nach demG-20-Gipfel wurde ein Freihandelsabkommen zwischenAustralien und China unterzeichnet.Das sind nur zwei Beispiele von vielen in der Region,die deutlich machen: Die Welt wartet nicht auf Europa.
Wenn es uns nicht gelingt, das Transatlantische Freihan-delsabkommen zügig zu verhandeln, werden wir nichtnur im internationalen Handel große Nachteile gegen-über anderen Regionen haben – eine schwere Bürde fürein Exportland wie Deutschland –, sondern wir werdenauch Chancen verpassen, internationale Standards imglobalen Handel im Blick auf Ökologie, Verbraucher-schutz und rechtsstaatliche Mittel überhaupt noch mitbe-stimmen zu können, und das wollen wir ja.
In Brisbane war mit Händen zu greifen, mit welcherDynamik sich gerade der asiatisch-pazifische Raumwirtschaftlich entwickelt und wie er sich mit großemSelbstbewusstsein präsentiert. Das war erkennbar eineHerausforderung für die teilnehmenden europäischenLänder. Neben Deutschland waren das Großbritannien,Frankreich, Italien und Spanien sowie die EuropäischeKommission und der Präsident des Europäischen Rates.Deshalb war es richtig und wichtig, dass wir Europäergemeinsam mit Präsident Obama am Rande des G-20-Gipfels noch einmal unterstrichen haben, dass die Ver-handlungen der Europäischen Union mit Amerika überein Transatlantisches Freihandelsabkommen absolutePriorität haben. Die Entwicklung Europas wird weltweitsehr genau verfolgt, zumal der Weg aus der europäischenStaatsschuldenkrise alles andere als einfach ist.Dennoch: So schwierig und langwierig der Weg auchist, in Europa sind wir insgesamt auf richtigem Kurs.Das durchschnittliche Haushaltsdefizit hat im Euro-Raum 2013 mit 2,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktserstmals seit 2008 wieder die Maastricht-Grenze unter-schritten. Die Bundesregierung unterstützt die Europäi-sche Kommission darin, die Haushaltsplanungen derMitgliedstaaten strikt zu prüfen. Die Verlässlichkeit dergemeinsamen Regeln des Stabilitäts- und Wachstums-pakts ist von großer Bedeutung für das Vertrauen in denEuro-Raum insgesamt.Dabei geht es immer um einen Dreiklang:Erstens: Solide Haushalte. Dafür gilt der Stabilitäts-und Wachstumspakt. Der Name ist Programm; dennnachhaltiges Wachstum und solide Haushaltsführung be-dingen einander; das zeigt sich immer wieder.Zweitens: Wachstumsfördernde Strukturreformen. Inden von der Krise besonders betroffenen Ländern, abernicht nur dort, sind diese Reformen unabdingbar fürnachhaltiges Wachstums. Der in der Wirtschafts- undWährungsunion beschrittene Weg ist der richtige. Daszeigen die Länder, die ihre Anpassungsprogramme er-folgreich beendet haben. Irland zum Beispiel wächst indiesem Jahr mit 4,6 Prozent stärker als jedes andereLand im Euro-Raum. Portugal wächst erstmals seit zweiJahren wieder und liegt sogar leicht über dem Durch-schnitt des Euro-Raums. Die Arbeitslosigkeit geht inbeiden Ländern Schritt für Schritt zurück, voraussicht-lich noch stärker als im Frühjahr prognostiziert. Aller-dings: Der Weg zu mehr Arbeitsplätzen, insbesonderefür junge Menschen, ist noch lang und steinig.Deshalb muss Europa – drittens – Investitionen in dieZukunft fördern. Wir leisten mit mehr Investitionen ineine gute Zukunft unseres Landes auch einen Beitrag zueiner guten Zukunft Europas. Die Bundesregierung un-terstützt daher im Grundsatz das heute von Kommis-sionspräsident Juncker vorgelegte Paket, mit dem dieKommission zusammen mit der Europäischen Investi-tionsbank zusätzliche Investitionen in Höhe von über300 Milliarden Euro mobilisieren will. Wir betonen,dass Investitionen wichtig sind, dass aber vor allem klarsein muss, wo die Projekte der Zukunft liegen. Ein we-sentlicher Schwerpunkt ist für mich, die Chancen der Di-gitalisierung für Europa zu ergreifen. Europa muss vorallem wieder attraktiver werden für private Investitio-nen. Es kommt zentral auf einen investitionsfreundli-chen Rahmen an, etwa durch Bürokratieabbau, umkleine und mittlere Unternehmen als wichtige Trägervon Wachstum und Beschäftigung zu entlasten, sowiedurch die notwendigen Strukturreformen in den Mit-gliedstaaten, um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit undBeschäftigung zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den Themender Finanzmarktregulierung und des wirtschaftlichenWachstums hat am Rande des G-20-Gipfels natürlich
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immer auch die geopolitische internationale Lage einezentrale Rolle gespielt. Im Übrigen liegt auch gerade indiesem Austausch über die weltweite außen- und sicher-heitspolitische Lage die große Chance solcher internatio-nalen Konferenzen. Dialog kann Konflikte entschärfen,Gemeinsamkeiten aufzeigen und Vertrauen schaffen.Drei Themen standen in Brisbane dabei besonders imMittelpunkt unserer Gespräche:Erstens: Ebola. Diese schreckliche Krankheit breitetsich in Westafrika aus. Tausende Opfer sind in Liberia,Guinea und Sierra Leone zu beklagen. Die betroffenenLänder gehören zu den ärmsten Ländern der Welt. Unterder Krise drohen die fragilen staatlichen Strukturen zu-sammenzubrechen. Es besteht die Gefahr, dass sich dieEpidemie immer weiter ausbreitet. Deshalb ist Ebolaauch zusehends eine Gefahr für die internationale Si-cherheit. Die G 20 haben sich in einer gemeinsamen Er-klärung verpflichtet, alles Notwendige zu tun, um sicher-zustellen, dass die internationalen Bemühungen, dieEbolaepidemie einzudämmen und zu stoppen, auch er-folgreich sind. Auf lange Sicht müssen wir Strukturenschaffen, und zwar internationale Strukturen, die einbesseres Krisenmanagement in solchen Situationen ge-währleisten. Entscheidend ist eine bessere Umsetzungder Gesundheitsregeln der Weltgesundheitsorganisation,und es ist wichtig, die Gesundheitssysteme weltweit zustärken. Die Bundesregierung unterstützt die internatio-nalen Hilfsanstrengungen mit über 100 Millionen Euro.Ich danke dem Bundestag für die Bewilligung dieserMittel – sie werden dringend benötigt –, und ich dankevor allen Dingen auch den Hilfsorganisationen, die unterschwierigsten Umständen in den betreffenden LändernAußerordentliches leisten.
Zweitens. Breiten Raum bei den Gesprächen in Bris-bane hat die Krise in der Ukraine eingenommen. Erin-nern wir uns: Vor fast genau einem Jahr habe ich in mei-ner Regierungserklärung zum Gipfel der ÖstlichenPartnerschaft in Vilnius mit Blick auf das Assoziierungs-abkommen zwischen der Europäischen Union und derUkraine, Georgien und Moldawien und das Verhältnis zuRussland unter anderem hier im Deutschen Bundestaggesagt – ich darf zitieren –:Die EU hat immer wieder Gesprächsangebote anRussland gerichtet, um die beiderseitigen Vorteileeiner Kooperation herauszuarbeiten. Wir müssen– das ist meine tiefe Überzeugung – weiter daranarbeiten, dass es kein Entweder-oder zwischen ei-ner Annäherung der Länder der Östlichen Partner-schaft an die EU und dem russischen Bemühen umeine engere Partnerschaft mit diesen Ländern gebensollte. Die EU hat Russland dafür Vorschläge unter-breitet, über die wir schnellstmöglich sprechenmüssen.So weit meine Regierungserklärung hier in diesem Hausam 18. November 2013.Was dann geschah, wissen wir: Präsident Janukowitschhat das Abkommen in Vilnius nicht unterzeichnet. Daswar selbstverständlich seine freie Entscheidung als Prä-sident der Ukraine. Es folgten die Demonstrationen aufdem Maidan, die Flucht von Präsident Janukowitschnach Russland, später dann die Annexion der Krimdurch Russland. Um es ganz klar zu sagen: Bei allenSchwierigkeiten, die aus der Unterzeichnung eines Frei-handelsabkommens mit der EU für den ukrainisch-russi-schen Handel ohne jeden Zweifel entstehen können undüber die ich auch wieder und wieder mit dem russischen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nichts davonrechtfertigt oder entschuldigt die Annexion der Krimdurch Russland.
Nichts davon rechtfertigt oder entschuldigt die direkteoder indirekte Beteiligung Russlands an den Kämpfen inDonezk und Luhansk.
Russland missachtet die territoriale Integrität derUkraine, und das, obwohl Russland sich gemeinsam mitGroßbritannien und den Vereinigten Staaten von Ame-rika im Budapester Memorandum 1994 genau zumSchutz dieser territorialen Integrität verpflichtet hat. DasVorgehen Russlands stellt die europäische Friedensord-nung infrage und bricht internationales Recht.
Meine Damen und Herren, militärisch ist dieser Kon-flikt nicht zu lösen. Die Politik der Bundesregierungfolgt vielmehr einem Ansatz aus drei Elementen:Erstens. Wir unterstützen die Ukraine politisch undauch ökonomisch.Zweitens. Wir lassen nichts unversucht, in Gesprä-chen mit Russland zu einer diplomatischen Lösung zukommen, ich zuletzt in Brisbane bei meinen Gesprächenmit dem russischen Präsidenten, genauso wie der Au-ßenminister Steinmeier bei seinen Gesprächen mit demrussischen Außenminister und dem russischen Präsiden-ten vor wenigen Tagen in Moskau und jetzt auch wiederin Wien. In allen Verhandlungen haben wir uns für dieSicherheit der Gaslieferungen eingesetzt. Für das Han-delsabkommen mit der Ukraine haben wir eine Verhand-lungszeit von zwölf Monaten eingeräumt, um dieProbleme zu lösen, die Russland in seinen Änderungs-vorschlägen für das Handelsabkommen vorgelegt hat.Wir setzen uns für die Einhaltung des Minsker Abkom-mens ein. Wir sind bereit zu Gesprächen zwischen derEurasischen Union und der Europäischen Union überHandelsfragen.Und dennoch: Noch immer ist die Situation inLuhansk und Donezk weit entfernt von einem Waffen-stillstand. Deshalb sind und bleiben drittens wirtschaftli-che Sanktionen weiterhin unvermeidlich.
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Es zeigt sich: Für unsere Bemühungen, die Krise zuüberwinden, brauchen wir Geduld und einen langenAtem. Das Ziel unseres Handelns ist eine souveräne undterritorial unversehrte Ukraine, die über ihre Zukunft– nicht mehr und nicht weniger – selbst entscheidenkann.
Das Ziel ist die Durchsetzung der Stärke des Rechts ge-gen das vermeintliche Recht eines Stärkeren. So anstren-gend und lang der Weg auch ist, so überzeugt bin ichdennoch, dass er uns gelingen wird.
Meine Damen und Herren, alle Teilnehmer des G-20-Gipfels bewegten in Brisbane außerdem die Tragödie inSyrien und die Lage im Irak. In beiden Ländern wütetdie Terrormiliz IS. Sie ist eine der brutalsten Bedrohun-gen für das Leben der Menschen in der Region – mehrnoch: für ganze Staaten –, die es je gegeben hat. Der ISlockt zudem Tausende ausländische Kämpfer an, auchaus den G-20-Ländern, im Übrigen aus allen G-20-Län-dern, egal ob sie auf der anderen Erdhalbkugel liegenoder hier in Europa. Seine radikale Enthemmung undBereitschaft zu morden bedrohen auch unsere Sicher-heit.Die Bundesregierung trägt deshalb aktiv zum Kampfgegen den IS im Irak bei: durch Lieferung von Ausrüs-tung und Munition an die kurdische Regionalregierung.Es bedarf auch hier der gemeinsamen Anstrengung derWeltgemeinschaft gegen diese Bedrohung.Eine der dramatischsten Folgen der weltweiten Kri-sen, Kriege und humanitären Katastrophen ist ohneZweifel ein starker Anstieg der weltweiten Flüchtlings-zahlen, der uns alle vor große Herausforderungen stellt.Allein nach Deutschland werden 2014 voraussichtlichmehr als 200 000 Asylbewerber kommen. Wir versu-chen, den vielen Menschen, die derzeit keinen anderenWeg sehen, als ihre Heimat zu verlassen, auch dadurchzu helfen, dass wir die Ursachen der Flucht in ihren Hei-matländern bekämpfen. Auch deshalb engagieren wiruns gegen den IS in Syrien und im Irak, und deshalb en-gagieren wir uns auch in Zukunft weiter in Afghanistan.Dort löst am 1. Januar 2015 die Mission ResoluteSupport den ISAF-Einsatz ab. In Zukunft beteiligen wiruns daran, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden, zuberaten und zu unterstützen.Das, meine Damen und Herren, ist das weltwirt-schaftliche und geopolitische Umfeld, in dem heute un-sere Beratungen zum Bundeshaushalt 2015 stattfinden.Natürlich bleibt diese geopolitische Lage nicht ohneAuswirkungen auch auf die wirtschaftliche Lage in un-serem Land. Denken wir nur daran, dass Wirtschafts-sanktionen gegen Russland natürlich auch die deutscheWirtschaft treffen. Daran kann es keinen Zweifel geben.Es kann deshalb gar nicht hoch genug geschätzt werden,dass es Deutschland trotzdem gelingt, mit diesem Haus-halt für Deutschland einen Wendepunkt zu markieren;denn mit diesem Haushalt muss der Bund im kommen-den Jahr zum ersten Mal seit 46 Jahren keine neuenSchulden machen, um seine Vorhaben und Verpflichtun-gen bezahlen zu können.
Das gilt auch für kommende Jahre. Jahrzehntelang hatder Staat über seine Verhältnisse gelebt. Damit machenwir Schluss.
Deutschland ist Garant für Verlässlichkeit und Stabili-tät – für die Bürger wie für die Wirtschaft. Das ist wich-tig für unser Land, aber auch wichtig für die EuropäischeUnion und die Euro-Zone; denn Deutschland wird alsStabilitätsanker und Wachstumsmotor gebraucht.Das Ziel, keine neuen Schulden zu machen, ist realis-tisch; denn obwohl sich die Wirtschaftsdaten aufgrundder vielen internationalen Krisenherde zuletzt eingetrübthaben, ist die Ausgangslage robust. Die Zahl der Ar-beitslosen ist weiter gesunken. Sie lag im Oktober bei2,7 Millionen, die Arbeitslosenquote bei 6,3 Prozent.Die Zahl der Erwerbstätigen hat ein historisches Hocherreicht. Knapp 43 Millionen Menschen haben einen Ar-beitsplatz, und der Anstieg geht vor allem auf den An-stieg der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäfti-gungsverhältnisse zurück; die Zahl liegt jetzt bei über30 Millionen.
Die gute Lage am Arbeitsmarkt ermöglicht auch spür-bare Lohnzuwächse; das war ja viele Jahre nicht so.Gute Beschäftigung sowie kräftige Lohnabschlüsse undstabile Preise sorgen insgesamt für eine stabile Binnen-konjunktur. Das Wirtschaftswachstum wird in diesemJahr voraussichtlich 1,2 Prozent betragen. Die Lohnzu-satzkosten bleiben in etwa konstant. Die Senkung derRentenbeiträge auf 18,7 Prozent fängt die Steigerung derPflegebeiträge in etwa auf. Ziel der Bundesregierung istes, durch vernünftige Haushaltspolitik in den kommen-den drei Jahren die gesamtstaatliche Schuldenquote aufweniger als 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu re-duzieren. Dadurch bleibt der Staat auch in Zukunft hand-lungsfähig, wenn der demografische Wandel noch stär-ker als heute spürbar sein wird.Meine Damen und Herren, künstliche Gegensätzeoder Entweder-oder-Debatten, die in vergangenen Mo-naten immer wieder ausführlich geführt wurden, verne-beln nicht nur die Sicht auf die Realität; sie vernebelnauch die Sicht auf die Interessen Deutschlands und Euro-pas. Ein solider Haushalt und eine Politik, die Wirt-schaftswachstum fördert und investiert, sind keine Ge-gensätze, sondern zwei Seiten ein und derselbenMedaille. Es gibt nicht gute Sozialpolitik oder gute Wirt-schaftspolitik; nur zusammen wird ein Schuh daraus, nurzusammengedacht ist es das, was wir soziale Marktwirt-schaft in unserem Lande nennen.
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Zukunftsweisende Umwelt- und Energiepolitik sindkeine Gegensätze zu wirtschaftsfreundlicher Politik,sondern sie sind moderne Wirtschaftspolitik. Wir schaf-fen für Bürger und Unternehmen stabile und verlässlicheRahmenbedingungen, damit sie in die eigene Zukunft in-vestieren können – sei es der Einzelne, der für seine Fa-milie spart, sei es der Unternehmer, der in die Zukunftder Firma investiert. Dafür muss der Staat Vertrauenschaffen und erhalten – Vertrauen in stabile politischeRahmenbedingungen, Vertrauen in gute Infrastruktur,Vertrauen in verlässliche Sozialsysteme, Vertrauen in ei-nen Staat, der gut haushaltet, der mit den Steuern der Ar-beitnehmerinnen und Arbeitgeber verantwortungsvollumgeht. Dann investieren Menschen in Deutschland,dann entstehen weitere Arbeitsplätze, und die vorhande-nen können gesichert werden; dann kann unser Land mitden vielfältigen Herausforderungen der Zukunft umge-hen.Meine Damen und Herren, es ist richtig: Deutschlandist heute eines der wettbewerbsfähigsten Länder derWelt. Dies bestätigte jüngst wieder der Report zur globa-len Wettbewerbsfähigkeit des Weltwirtschaftsforums.Dort nehmen wir den fünften Platz ein. Er stellt zudemfest, dass der Bestand an öffentlichen Investitionen inDeutschland hoch und qualitativ gut ist. Beim Infra-strukturindex belegt Deutschland Rang 7 von 144 Län-dern. Aber darauf ruhen wir uns nicht aus. Wettbewerbs-fähigkeit muss immer wieder neu erarbeitet werden.Dazu muss unser Land innovativ bleiben und in Pro-dukte und Dienstleistungen von morgen investieren.Wir haben im Koalitionsvertrag als Bundesregierungvereinbart, in Deutschland eine Investitionsquote anzu-streben, die dauerhaft über dem Durchschnitt der OECDliegt. Die Bundesregierung arbeitet an einer Investitions-strategie, die unsere Möglichkeiten systematisch erfasstund Verbesserungen aufzeigt. Vor allem bürokratischeLasten für die Wirtschaft sollen möglichst gering gehal-ten werden. Dazu haben wir gerade gestern wieder Be-schlüsse gefasst.Darüber hinaus wollen wir die Investitionen des Bun-des ab 2016 nochmals um 10 Milliarden Euro erhöhen.Gerade durch Haushaltsdisziplin werden nachhaltige In-vestitionen möglich: im Verkehrsbereich, in der Energie-versorgung, bei der Gestaltung des digitalen Wandelsund in Bildung und Forschung.Deutschland hat eines der besten Verkehrsnetze welt-weit, und die Bundesregierung wird über die ganze Le-gislaturperiode hinweg 5 Milliarden Euro an zusätz-lichen Mitteln bereitstellen, um die Erhaltung undModernisierung unseres Verkehrsnetzes voranzutreiben.Die Aufwendungen des Bundes für Verkehrsinfrastruk-tur summieren sich auf 34 Milliarden Euro bis 2017.Meine Damen und Herren, wenn wir über die Infra-struktur sprechen, dann ist natürlich auch die Energie einwichtiges Thema. Die EEG-Novelle ist seit dem 1. Au-gust dieses Jahres in Kraft. Diese Reform schafft klareRahmenbedingungen für den weiteren Um- und Ausbauunserer Energieversorgung. Zugleich gibt sie Planungs-sicherheit für notwendige Investitionen. Es ist weiter un-ser Ziel, die Kostendynamik bei der Entwicklung derEEG-Umlage zu durchbrechen. Aktuelle Zahlen zeigen,dass wir dieses Ziel im kommenden Jahr erreicht habenwerden. Es bleibt aber eine langfristige Aufgabe, dieEnergiewende so zu gestalten, dass auch Versorgungs-sicherheit gewährleistet bleibt und Bezahlbarkeit für allegegeben ist.Die Energiewende ist eine der größten Herausforde-rungen – für Politik wie für die Volkswirtschaft insge-samt. Sie ist und bleibt eine Herkulesaufgabe, eine natio-nale Kraftanstrengung, und sie geht nicht ohneStrukturveränderungen und Härten ab. Aber sie ist eineder großen Investitionen in die Zukunft Deutschlands, inWachstums- und Arbeitschancen und damit in zukünfti-gen Wohlstand.Die nächsten Schritte sind: Klarheit über den Lei-tungsausbau – beschleunigter Leitungsausbau im Übri-gen –, Entscheidung über das Ob und Wie von Kapazi-tätsmärkten und die Aufgabe, den Einklang vonEnergiewende und Klimaschutzverpflichtungen herzu-stellen.Meine Damen und Herren, wir gestalten den digitalenWandel – eine, wenn vielleicht nicht die zentrale Gestal-tungsaufgabe für Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilge-sellschaft. Aus diesem Grund hat die Bundesregierungdie Digitale Agenda als eines der großen Projekte dieserLegislaturperiode definiert. Dazu gehören die flächende-ckende Breitbandversorgung und die geplante Versteige-rung der 700-Megahertz-Mobilfunkfrequenzen. Ich binzuversichtlich, dass die ausstehende Einigung mit denLändern zur Bereitstellung der zusätzlichen Frequenzenbis zur Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember ge-lingt.Das Kursbuch Netzausbau, das die Netzallianz Digi-tales Deutschland Anfang Oktober beschlossen hat, kon-kretisiert Maßnahmen und Weichenstellungen für denzügigen Breitbandausbau. Wir kommen damit dem Zielnäher, bis 2018 eine flächendeckende Breitbandversor-gung mit Geschwindigkeiten von mindestens 50 Mega-bit pro Sekunde zu erreichen. Das ist wichtig für Unter-nehmen, wichtig für die deutsche Forschungslandschaft,wichtig für den Alltag und die Lebensqualität jedes Ein-zelnen.Wir müssen allerdings die Digitale Agenda auch imeuropäischen Rahmen umsetzen. Das Telekommunikati-onspaket mit so wichtigen Fragen wie Netzneutralitätwird diese Woche wieder in der Europäischen Union be-raten, genauso laufen die entscheidenden Beratungen zurDatenschutzgrundverordnung. Bei beidem wird übernicht mehr und nicht weniger entschieden, ob Europa einspannender Investitionsstandort im globalen Wettbewerbsein wird in den nächsten Jahren und ob es uns gelingt,den Wandel der Industrie zur Industrie 4.0 zu gestalten,beides absolut entscheidende Zukunftsaufgaben.
Meine Damen und Herren, die InnovationskraftDeutschlands und die Spitzenstellung als Wirtschafts-und Wissenschaftsstandort sind das Ergebnis unsereskonsequenten Engagements für Bildung und Forschung.
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6506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
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Von 2005 bis 2013 hat der Bund seine Ausgaben für For-schung und Entwicklung um knapp 60 Prozent gestei-gert. Mittlerweile liegen die Ausgaben bei rund14,4 Milliarden Euro. Heute gehören wir zur Spitzen-gruppe in Europa, und wir werden auch in den kommen-den Jahren alles tun, um das Ziel zu erreichen, 3 Prozentdes Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwick-lung zu investieren.2015 steigt der Haushalt des Bundesbildungsministe-riums um 1,3 Milliarden Euro auf knapp 15,3 MilliardenEuro. In dieser Legislaturperiode investieren wir insge-samt 9 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und For-schung, und dazu gehört die 100-prozentige Übernahmeder Finanzierung des BAföG für Schüler und Studie-rende. Wir entlasten die Länder erheblich, und wir ent-lasten sie dauerhaft. Der Bund erwartet, dass diese Mittelfür die Bildung natürlich auch in den Ländern diesemZweck zugutekommen, insbesondere den Hochschulen.
Wichtig ist: Beim Thema Bildung geht es eben nichtnur um Wissenschaftler, um Forschung und Spitzenleis-tungen, sondern es geht genauso um Ausbildung und be-rufliche Bildung.
Deutschland wird weltweit um das duale System der Be-rufsbildung beneidet, und das zu Recht. Sie bietet jungenMenschen solide und praxisnahe Qualifizierung und ei-nen erfolgreichen Einstieg in den Beruf an.Wir wollen Qualität und Attraktivität der beruflichenBildung weiter stärken und junge Menschen im Ausbil-dungssystem besser begleiten, sofern das nötig ist. DieBundesregierung will deshalb gemeinsam mit Ländernund Sozialpartnern eine Ausbildungsallianz beschließen,und ich hoffe, dass die Verhandlungen bald abgeschlos-sen werden können.Außerdem wollen wir die Potenziale von Jugendli-chen aus Zuwandererfamilien besser wecken. Aus die-sem Grund wird der 7. Integrationsgipfel in der nächstenWoche, am 1. Dezember, den Schwerpunkt „beruflicheAusbildung“ haben.Junge Familien wollen darüber hinaus natürlich Fa-milie und Beruf vereinbaren. Das Elterngeld Plus machtes für Mütter und Väter künftig einfacher, Elterngeldbe-zug und Teilzeitarbeit miteinander zu kombinieren.Auch die Elternzeit wird deutlich flexibler. Ziel ist es,den jungen Eltern den Rücken zu stärken, die gemein-sam für ihre Kinder da sein wollen. Ich weiß, dass dieseRegelung allen, auch den Arbeitgebern, mehr Flexibilitätabverlangt. Dies gilt im Übrigen auch für die Frauen-quote. Dennoch: Sie ist beschlossen, und sie wird kom-men. Wir werden uns noch im Dezember, am 11. De-zember, im Kabinett damit befassen.
Wir können es uns nicht leisten, auf die Kompetenzender Frauen zu verzichten.Meine Damen und Herren, die Menschlichkeit unse-rer Gesellschaft entscheidet sich auch an ihrem Umgangmit denen, die Pflege brauchen. Der Deutsche Bundestaghat am 17. Oktober das Erste Pflegestärkungsgesetz be-schlossen. Es tritt zum 1. Januar 2015 in Kraft, und wirhaben damit ein Leistungspaket für alle Pflegebedürfti-gen und ihre Angehörigen verabschiedet, das die Leis-tungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie derTages- und Nachtpflege verbessert. Es wird vor allenDingen auch die Lebensqualität der Pflegebedürftigen inPflegeheimen verbessert. Die Pflege in Deutschland sollsich damit stärker am Menschen, am Bedürftigen orien-tieren.Zu den Schwächsten einer Gesellschaft gehören imÜbrigen auch die, die wegen Verfolgung oder aus Notund Verzweiflung ihre Heimat verlassen und zu unskommen. Wir stehen zu unserer Verantwortung, Flücht-linge zu unterstützen und politisch Verfolgten Asylrechtzu gewähren.
Die Bundesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen er-griffen, um Länder und Kommunen bei der Bewältigungdieser Herausforderung besser zu unterstützen. Deshalbstellen wir den Kommunen Liegenschaften zur Flücht-lingsunterbringung zur Verfügung und haben im Haus-halt 2014 300 neue Stellen beim Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge geschaffen.Es war richtig und politisch geboten, Bosnien-Herze-gowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunfts-staaten zu erklären. Seit Anfang November können vonvornherein erkennbar aussichtslose Asylanträge von An-gehörigen dieser Staaten schneller bearbeitet und somitdie Anträge tatsächlich politisch Verfolgter zügig ent-schieden werden. Das muss unser Ziel sein.
Der Bund ist mit den Ländern über weitere Unterstüt-zungsmöglichkeiten gerade in diesen Tagen im Ge-spräch.Natürlich muss dies alles untrennbar damit verbundensein, alles dafür zu tun, dass die Menschen vor allem inihren Heimatländern eine Zukunft sehen und dass siedort eine Zukunft haben. Dafür setzt sich die Bundesre-gierung ein; die Initiativen von Bundesminister Müllerzielen genau in diese Richtung.Im Übrigen wird auch das kommende Jahr ohneZweifel im Zeichen der globalen Herausforderungen ste-hen. Deutschland hat im Augenblick die G-7-Präsident-schaft inne. Sie wird unsere Arbeit im Jahr 2015 maß-geblich prägen. Im Rahmen der deutschen G-7-Präsidentschaft wollen wir gezielt die Themen aufgrei-fen, die für die Zukunft der einen Welt von großer Be-deutung sind. Dazu gehören die Erarbeitung neuer Ent-wicklungsziele, die sogenannte Post-2015-Agenda, diedie bisherigen Millenniumsziele ablösen werden; dazugehört die Überwindung der absoluten Armut bis 2030;dazu gehört der Schutz des Klimas und der Meere; dazugehört der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und ver-nachlässigte tropische Krankheiten; dazu gehören auch
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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die Stärkung von Frauen bei der Selbstständigkeit undbei der beruflichen Bildung sowie die stärkere Beach-tung sozialer und ökologischer Standards im internatio-nalen Handel. Das sind unsere Schwerpunktthemen, diewir gemeinsam als Bundesregierung erarbeitet haben.
Wir wollen in unserer Präsidentschaft konkrete Ver-besserungen für die Menschen erreichen, in den Ländernder G 7, aber auch weit darüber hinaus, nicht zuletztauch in den Entwicklungsländern.Ein Beispiel ist der Kampf gegen die sich weltweitausbreitenden Antibiotikaresistenzen. In der Folge wirddie Behandlung vieler Infektionskrankheiten immerschwieriger, Infektionen dauern länger, die Sterblichkeitsteigt. Ich begrüße ausdrücklich eine Reduzierung desEinsatzes von Antibiotika vor allem bei der Nutztierhal-tung. Wir müssen überlegen, was wir tun können, damitAusbrüche von Infektionskrankheiten in Zukunft schnel-ler und besser bekämpft werden können. Zur Verhinde-rung solcher Epidemien in der Zukunft können Impfun-gen einen entscheidenden Beitrag leisten. Ich freue michdeshalb, dass die GAVI-Geberkonferenz – das ist dieGlobal Alliance for Vaccines and Immunization, also fürImpfungen – im Rahmen der deutschen G-7-Präsident-schaft im nächsten Januar hier in Berlin stattfindet.
Wir hoffen natürlich auf ein gutes Ergebnis.Am 7. und 8. Juni nächsten Jahres wird dann in El-mau der G-7-Gipfel stattfinden.
Dort werden wir neben den genannten humanitären Fra-gen natürlich auch die Lage der Weltwirtschaft sowieFragen der Außen- und Sicherheitspolitik erörtern. Wirwerden das Gespräch mit der Zivilgesellschaft suchen,mit der wir die Kräfte bündeln wollen. Selbstverständ-lich wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestagregelmäßig zum G-7-Gipfel unterrichten.Meine Damen und Herren, nach einigen Jahren gra-vierender wirtschaftlicher Krisen mit großen Auswir-kungen auf die Menschen sind wir in diesem Jahr inbesonderer Weise mit sicherheitspolitischen und huma-nitären Krisen konfrontiert, die weltweit viele Menschenbedrohen oder töten und Staaten an den Rand des Zer-falls bringen. Einmal mehr spüren wir, wie sehr die Poli-tik gefordert ist. Sie ist gefordert, Verantwortung zuübernehmen
für unsere Werte und Interessen, für die Gestaltung einermenschlichen Weltordnung. Sie ist gefordert, Position zubeziehen für Frieden und Freiheit. Die Bundesregierungist sich ihrer Verantwortung gegenüber den Menschenunseres Landes und gegenüber unseren Partnern in Eu-ropa bewusst.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bei denFeierlichkeiten zum 25. Jahrestag der friedlichen Revo-lution haben Sie einen bemerkenswerten Satz gesagt:„Nichts muss so bleiben, wie es ist.“ Das ist ein Satz, derMut macht. Er strahlt aus, dass wir unser Schicksal inder Hand haben. Diese Gewissheit hat den Menschen dieKraft gegeben, für eine bessere Zukunft aufzustehen. Fürmich ist das Teil der großartigen Geschichte der friedli-chen Revolution vor 25 Jahren.
Dieser Satz kann uns auch heute Mut machen. Auch ineiner Zeit voller Krisen können wir unsere Zukunftselbst gestalten und zum Besseren wenden. Aber dieserSatz macht nur dann Mut, wenn man eine Ahnung hat,was in Zukunft sein soll. Da frage ich mich: Was folgtfür Sie, Frau Kanzlerin, aus Ihrem Satz für DeutschlandsZukunft?
Was ist Ihre Vision für unser Land? Wie soll es in 10, 20oder 30 Jahren aussehen? Wenn ich Ihnen zuhöre, dannsehe ich nur diffusen grauen Nebel vor mir.
Ohne gute Ideen, ohne eine Vorstellung von unsererZukunft hat Deutschland schlechte Aussichten. Wennwir nicht endlich beim Klimaschutz wirklich vorange-hen, dann zerstören wir unsere Lebensgrundlagen. Wennwir nicht endlich die Elektromobilität vernünftig umset-zen, bauen am Ende Tesla und Google die Fahrzeuge derZukunft und nicht Mercedes und VW. Wenn wir Frauennicht endlich anständig bezahlen, dann ist das nicht nurungerecht, sondern dann werden auch Wissen und Fä-higkeiten verschwendet.
Wenn weiter nur darüber geredet wird und die Bankenund das Finanzsystem insgesamt nicht wirklich reguliertwerden, droht die Gefahr, dass wir wieder mit Milliardenan Steuerzahlergeld unser Finanzsystem retten müssen.Glauben Sie denn im Ernst, liebe Kolleginnen und Kol-
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6508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
Dr. Anton Hofreiter
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legen von der Großen Koalition, dass Sie mit Rentenge-schenken an Ihre Stammwähler,
mit Kohlekraftwerken aus der Zeit Konrad Adenauersund der Ausländermaut die Zukunft Deutschlands si-chern? Das ist doch wirklich aberwitzig, was Sie hiermachen.
Frau Bundeskanzlerin, schauen Sie sich hier, in IhremRaum, um.
Hier sitzen wirklich Unmengen von Leuten.
Hier sitzt Ihre Große Koalition. Aber Ihre Maximalko-alition macht nichts anderes als Miniaturpolitik. „Nichtsmuss bleiben, wie es ist.“ Dieser Satz würde Mut ma-chen, wenn er für Ihren Koalitionsvertrag gelten würde.Aber wenn ich in Ihren Koalitionsvertrag schaue, findeich keine Ideen für die Zukunft. Finden Sie Ideen für dieZukunft? Ich würde Ihnen eines vorschlagen: SchmeißenSie einfach Ihren Koalitionsvertrag weg, und fangen Sienoch mal neu an! Sie haben immerhin noch drei Jahrezur Verfügung.
Ich will, wir Grünen wollen ein Deutschland, dasEnergie aus Wind, Sonne und Wasserkraft gewinnt, dasdie Kohle unter Tage lässt, kein Öl mehr verbrennt undkeine Atome mehr spaltet, in dem die Stoffkreisläufe ge-schlossen sind und kein Müll mehr die Welt verpestet,ein Land, das die besten Kitas, Schulen und Unis unddas schnellste Internet hat, in dem jedes Kind sich vollentfalten kann, egal wie viel Geld seine Eltern haben, indem sich Männer und Frauen Familien- und Erwerbsar-beit fair teilen, in dem pflegebedürftige und kranke Men-schen würdig und anständig versorgt sind.
– Thomas Oppermann, du darfst auch klatschen. Wirsind dir nicht böse deswegen. Du hast schon gut ange-setzt.
– Ja, ein verständlicher Reflex. Wie gesagt, wenn ihreuch ein bisschen anstrengen und endlich mal in die Pu-schen kommen würdet,
könnte es ja vielleicht irgendwann auch mal wieder waswerden, oder? Mit der Politik, fürchte ich, wird es abernoch eine Zeitlang dauern, bis wir gemeinsam klatschenkönnen.
Ich wünsche mir ein Land, das Weltmeister in derFlüchtlings- und Entwicklungshilfe ist, ein Deutschland,das ohne räuberischen Verbrauch von Ressourcen aus-kommt, mit einer vielfältigen und kleinräumigen Land-wirtschaft, dank der wir keine Angst vor multiresistentenKeimen aus tierquälerischen Massentierhaltungsställenhaben müssen, ein Land, in dem wir uns schnell, nach-haltig und pünktlich auf der Schiene bewegen, ein Landmit E-Autos und E-Bikes. So eine Vision könnte einenAufbruch schaffen, könnte Ideen freisetzen und, ja, so-gar ein neues Wirtschaftswunder schaffen.
Ihre Politik, Frau Merkel, lebt leider von einer unter-schwelligen Angst, von einer Angst vor Veränderungen,von einer Angst vor der Konkurrenz aus China undIndien, von einer Angst vor der Welt da draußen, wegender wir uns angeblich keinen Umbau in der Wirtschaftleisten können, angeblich keine Reformen, angeblichnicht mehr Sozialpolitik, nicht mehr Gerechtigkeit, nichtmehr Umweltschutz, nicht mehr Nachhaltigkeit, nichtmehr Zukunft. Aber wissen Sie, diese Angst produziertnur Stillstand. Was wir brauchen, ist ein Aufbruch. Wirbrauchen einen echten Fortschritt und Visionen von ei-nem besseren Deutschland.
Und wenn sich doch mal eine kleine, nette Fortschritts-idee in Ihren Koalitionsvertrag verirrt hat, wie die Frau-enquote, dann veranstalten Sie, liebe Herren – da mussman wirklich sagen: liebe Herren von der Union –,
ein veritables Heulsusenkonzert. Ihre Quote ist doch ge-rade mal ein Quötchen. Es kommen so seltsame Aussa-gen wie: Frauen seien eine Belastung, für die man einMoratorium brauchte. Das ist doch wirklich absurd. Wirwissen doch alle, dass Frauen in Aufsichtsräten oder inUnternehmen überhaupt diese Unternehmen stärken undmehr Wirtschaftskraft schaffen.
– Vielen Dank, liebe SPD. Es wird immer besser.
Da wird einfach eine Rezessionsangst zur Verteidi-gung vor einem „old boys’ club“ in den Chefetagen in-strumentalisiert, und Sie, liebe Kollegen von der Union,lassen sich dafür einspannen. Ich sage mal so: Wegen soein bisschen Quote, Herr Kauder, müssen Sie doch wirk-lich nicht so rumweinen. In der Jugendsprache würdeman sagen: Heul doch!
Wenn wir uns unsere Energieversorgung anschauen,stellen wir fest, dass die erneuerbaren Energien in den
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Dr. Anton Hofreiter
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letzten Jahren wunderbar gewachsen sind – dank einesrot-grünen Gesetzes. Aber immer noch produzieren wirdrei Viertel unseres Stroms aus Atom, Kohle und Gas.Die Menge des Klimakillers CO2 hat unter Ihrer Regie-rung sogar zugenommen. Von den zehn dreckigstenKohlekraftwerken ganz Europas stehen alleine sechs inDeutschland. Frau Merkel und Herr Gabriel – man mussihn ja jetzt leider den „schwarzen Gabriel“ nennen – be-wahren die Kohledinosaurier mit dieser Politik leider vordem Aussterben.
Deutschlands Versprechen, den CO2-Ausstoß bis zumJahr 2020 um 40 Prozent zu senken – das ist ein Verspre-chen der ersten Großen Koalition –, werden Sie so nieeinhalten können. Wenn Sie jetzt davon reden, dass Siebei der Kohle vielleicht 22 Megatonnen CO2 einsparenwollen, dann klingt das ja erst mal nach viel. Aber manmuss sich klarmachen, wie viel die KohlekraftwerkeDeutschlands im Jahr ausstoßen. Sie stoßen 340 Mega-tonnen CO2 aus. Das heißt, wir reden von noch nicht ein-mal 7 Prozent. Für diese 7 Prozent lassen Sie sich fei-ern? Glauben Sie wirklich, so das Klima retten zukönnen? Das ist doch kein wirklicher Fortschritt! Das istdoch keine wirkliche Klimapolitik!
Dann kommt hinzu: Glaubt denn hier im Raum je-mand noch ernsthaft, dass diese Ankündigung wirklichwahrgemacht wird? Wir haben schon so viele Ankündi-gungen und einen solchen Zickzackkurs von HerrnGabriel in diesem Bereich erlebt. Mal war er der Schutz-patron der Kohle, mal war er der Klimaretter. Es gibt jaauch in anderen Bereichen schöne Ankündigungen vonHerrn Gabriel. Glaubt das denn noch irgendwer?
– Ja, ich glaube Ihnen, dass Sie von der SPD ihm dasglauben. Aber Sie haben ja schon öfters seltsame Leicht-gläubigkeit bewiesen, als es um Ankündigungen ging,die sich dann nicht in Wirklichkeit umgesetzt haben.
Denken Sie nur an den Investorenschutz – da haben Sieja sogar einen entsprechenden Beschluss gefasst – oderan andere Beispiele.Deshalb: Wir glauben es ihm nicht. Wir sehen einenHerrn Gabriel, der wild durch die Energiepolitik schlin-gert. Wir sehen einen Herrn Gabriel, der wie ein politi-scher Wackelpudding agiert. Auch wenn er jetzt nichtmehr hier ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von derSPD, muss ich sagen – das ist vielleicht nicht besondersnett, und eigentlich mag ich Sigmar Gabriel echt gern;aber wenn es um die Energiepolitik geht, fällt mir immerdieses Bild ein –: Er agiert leider wie ein rot angestriche-ner Seehofer.
Ja, Herr Seehofer gehört halt auch zu Ihren Koalitions-partnern.
Es ist einfach bitter, wenn die SPD in manchen Politik-bereichen anfängt, genauso zu agieren wie HerrSeehofer.
Ich meine, dafür muss man sich schon etwas schämen.Da können Sie sich natürlich aufregen und dazwischen-plärren; das kann ich verstehen.
Aber anstatt hier dazwischenzuplärren, wäre es klüger,Sie würden Herrn Gabriel dazu bringen, keine seehofer-hafte, sondern eine vernünftige Politik zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aberauch liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wer eine wirklich erfolgreiche Energiepolitik ma-chen will, der muss raus aus der Kohle – natürlich nichtauf einen Schlag, sondern Schritt für Schritt. DieseSchritte müssen eingeleitet werden. Wir müssen raus ausder Kohle.
Das ist auch nicht unmöglich. Das ist auch gar nicht soschwer, wie man es sich vorstellt. Nehmen Sie sich einBeispiel an Dänemark: Dänemark will ab dem Jahr 2030sowohl die Wärme als auch den Strom vollständig auserneuerbaren Energien erzeugen und bis zum Jahr 2050sogar komplett auf erneuerbare Energien umstellen.Nennen wir das doch einfach eine pragmatische Vision –ehrgeizig, aber machbar. Das wäre ein echtes Vorbild.Nehmen Sie sich doch ein Beispiel daran!Dazu kommt noch etwas weiteres Schönes: Däne-mark wird von da an keine einzige Krone mehr an Russ-land oder Saudi-Arabien überweisen müssen – weder fürÖl noch für Gas noch für Kohle. Das gesparte Geld kanndann in Dänemark eingesetzt werden und dort neueWerte und Arbeitsplätze schaffen, anstatt letztendlichautoritäre Regime zu stabilisieren. Deutschland hinge-gen überweist immer noch über 30 Milliarden Euro proJahr für Öl, Gas und Kohle an Russland und stabilisiertdamit das System Putins. Das muss doch überhaupt nichtso bleiben. Das könnten wir durch Politik doch ändern!Das könnten Sie, das könnte diese Große Koalition dochändern!
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Dass nichts so bleiben muss, wie es ist, gilt auch fürdie völlig verfehlte Agrarpolitik hier im Land. Mit dieserAgrarpolitik der Großen Koalition zerstören wir weiter-hin unsere Böden und wird dafür gesorgt, dass immermehr Gensoja nach Europa importiert wird, wird dafürgesorgt, dass noch mehr Treibhausgase in der Landwirt-schaft entstehen und dass mehr Gülle produziert wird,die unser Grundwasser verseucht. Sie erhöhen durch denungezähmten Antibiotikamissbrauch das Risiko multire-sistenter Keime, ja, Sie sind noch nicht einmal in derLage, Reserveantibiotika zu verbieten. Das ist doch ein-fach wirklich ekelhaft – das ist nicht nur ekelhaft, das istauch schlecht: schlecht für die Menschen, schlecht fürdie Tiere und schlecht für unser Land, und damit musseinfach endlich mal Schluss sein.
Ihre Politik führt am Ende auch dazu, dass sich die In-vestitionen der vielen anständigen Landwirte und Bau-ern in den Tier- und Umweltschutz nicht mehr lohnen.Die warmen Worte und vielen Lippenbekenntnisse, diewir hier immer wieder hören, helfen ihnen nichts, undzwar so lange nicht, wie das Geld vor allem auf dieGroßagrarindustriekonzerne konzentriert wird und diekleinen und anständigen Bauern, die Milchbauern nichtsdavon haben. Sie lassen sie einfach konstant hopsgehen.Seit Jahren wird ein Landwirt nach dem anderen ge-zwungen, aufzugeben, und nimmt die Anzahl der Bau-ernhöfe ab. Das ist doch keine Politik, die irgendetwasmit „konservativ“ oder „christlich“ zu tun hat und ir-gendwie gut für den ländlichen Raum ist.
Sie reden auch immer gerne von Marktwirtschaft undvon den Märkten. Merken Sie nicht, dass Sie hier einensich entwickelnden Markt verschlafen? Die Menschensind sehr viel weiter als die Große Koalition. Sie kaufenschon längst Bio, und die Menschen kaufen doch längstregional. Das Problem ist nur: Sie sorgen dafür, dassdiese Produkte nicht in Deutschland produziert werdenkönnen. Mit Ihrer Art von Landwirtschaftspolitik haltenSie das Angebot klein. Sie bremsen den Ökolandbau ausund fördern stattdessen Agrarexporte. Damit führen Sienicht nur die Bauern, sondern auch die Verbraucher indie Sackgasse. Der Effekt ist, dass wir die Biolebensmit-tel aus Österreich, aus der Schweiz und aus vielen ande-ren Ländern importieren müssen, weil Ihre Politik inDeutschland dafür sorgt, dass sie hier nicht produziertwerden können.
Stattdessen gibt es hier eine sogenannte Tierwohlini-tiative von Landwirtschaftsminister Schmidt. Das isteine schöne Tierwohlinitiative. Sie setzt darauf, dasssich die Agroindustrie freiwillig bessert. Ja, glauben Siedenn wirklich im Ernst, dass sich Wiesenhof freiwilligbessert? Die Leute von Wiesenhof brauchen keine nettenAnsprachen, nach dem Motto: „Jetzt reden wir mal mit-einander, Firma Wiesenhof. Halten Sie doch Ihre Hühnerund Puten mal ein bisschen besser“, sondern sie brau-chen vernünftige Gesetze. Man muss sich gegenüberdiesen Lobbyisten einfach trauen, vernünftige Gesetzedurchzusetzen. Die Mehrheit dafür müssten Sie hierdoch zustande bringen mit Ihren 80 Prozent.
Das Gleiche gilt für den Haushalt. Auch im Haushaltmüsste eigentlich nichts so bleiben, wie es ist. Es mussnicht dabei bleiben, dass Deutschland zu wenig in Schie-nen, Brücken und Schulgebäude investiert, und es mussauch nicht dabei bleiben, dass wir Anfang des 21. Jahr-hunderts noch immer in vielen Ecken kein funktionie-rendes Internet für alle haben. Es muss doch nicht sobleiben, dass im Bildungssektor, von der Kita über dieSchulen bis zu den Universitäten, schlicht zu wenig Geldvorhanden ist. All das könnte man doch ändern. Dasmüsste doch mit einer 80-Prozent-Mehrheit änderbarsein, oder etwa nicht?
Aber dafür müssten Sie eine andere Politik machen.Dafür müssten Sie einfach Geld in die Hand nehmen,Geld, das im Grunde im Haushalt vorhanden ist. Dafürmüssten Sie ein paar ökologisch schädliche Subventio-nen streichen und dann das Geld sinnvoll ausgeben.Stattdessen lassen Sie sich für ein 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm feiern. Von diesem 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm soll im nächsten Jahr defacto nichts kommen und in den folgenden Jahren viel-leicht jeweils 3 Milliarden Euro. Also bitte! Welcher An-teil vom Bundeshaushalt ist denn das? Ein 10-Milliar-den-Euro-Investitionsprogramm klingt zwar gut, aberdas ist ungefähr 1 Prozent des darauffolgenden Haus-halts. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein.
De facto sind das nur Krumen, die vom Tisch desFinanzministers fallen. Die Folge davon ist, dass sichIhre Minister um diese Krumen streiten wie die Spatzenim Biergarten. Es ist doch nicht so, dass wir Breit-bandausbau oder Gebäudesanierung brauchen, dass wirStraßen- und Schienenerhalt oder Geld für die Kommu-nen brauchen. Nein, wir brauchen beides. Deshalb gebenSie Ihren Ministern nicht nur Krumen, sondern gebenSie ihnen endlich Geld, damit sie sich nicht so kindischum diese Kleinigkeiten streiten müssen! DeutschlandsZukunft braucht beides.
Deutschland bräuchte wirklich einen Investitions-schub. Sie aber legen einfach die Hände in den Schoßund betreiben Schönfärberei. Erst heute haben Sie wie-der Schönfärberei betrieben. Wissen Sie, Frau Merkel,Sie müssen uns von der Opposition nichts glauben. Siemüssen auch mir nichts glauben.
– Da sind wir ganz großzügig. Wir haben ja sehr kompe-tente Verbündete.
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Schauen Sie sich doch einfach einmal den Bericht derOECD an. In dem Bericht der OECD steht, dass sich dieWachstumsaussichten für Deutschland halbieren wer-den. Die Euro-Zone wird als der kranke Wirtschaftsraumdes Globus identifiziert, und massive Investitionen inBildung und Infrastruktur werden angemahnt.
Das ist das bittere Urteil der OECD über Ihre fataleHaushaltspolitik, über Ihre schwächliche Investitions-politik, Ihre fehlgeleitete Politik.
Aber anstatt das ernst zu nehmen, produzieren Sie ein-fach weiter Verlierer und sorgen nicht dafür, dass ausrei-chend Geld investiert wird.Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mit Ihren Kollegenin Brisbane ein wunderschönes Wachstumspaket mit sa-genhaften 800 Maßnahmen geschnürt. Aus Deutschlandkommt allerdings überhaupt nichts Neues. Sie habeneinfach den Koalitionsvertrag genommen und die darinenthaltenen Maßnahmen ins Abschlussdokument ko-piert. Das war es dann: „copy and paste“. Und dafür sindSie um die halbe Welt geflogen?Aber es gab wunderschöne Fotos, die wir bewundernkonnten. Dieses Mal waren es keine schönen Fotos mitroter Windjacke vor Eisbergen, sondern stattdessenschöne Fotos von nächtlichen Abstechern in die Pubsvon Brisbane. Dazu kann man sagen: Immerhin, dafürhat sich die Reise gelohnt.
Allerdings: Zukunft gestalten geht heute eben nur nochglobal. Gerade im nächsten Jahr werden wichtige Wei-chen gestellt. Da kommt es entscheidend auf Deutsch-land an.
– Regen Sie sich nur darüber auf. Wenn Sie sich aufre-gen, dann merkt man, dass es wehtut.
In der Tat haben wir heute den wunderschönen Be-ginn Ihres Gipfeltheaters erlebt. Ich sehe das nächsteJahr schon vor mir: Da holen Sie, Frau Merkel, wiederdas schöne rote Jäckchen aus dem Schrank,
weil das mit den Grönlandfotos damals so gut geklappthat. Der liebe Sigmar bürstet sich ein bisschen den Koh-lestaub vom Jackett.
Dann machen Sie sich beide fein für den Klimagipfelund für die G-7-Präsidentschaft.
Aber wissen Sie: Beim Klimaschutz zählt nicht dieOptik, sondern da zählen die realen Taten. Was die an-geht, sind Sie kein schönes Paar.
Während in den USA und in China neue Bewegungenentstehen, herrscht in Deutschland und Europa Still-stand. Diesen können Sie auch mit Ihren schönen Wortennicht mehr kaschieren. Auch bei den anderen globalenHerausforderungen übernehmen Sie keine Führung.Wo bleiben denn Ihre konkreten Vorschläge gegenSteuertricksereien, wie sie der Konservative Juncker inLuxemburg oder der Sozialdemokrat Dijsselbloem zuverantworten haben? Dazu sagen Sie nichts. Wir hörenzwar zum wiederholten Male, dass die Banken und dasFinanzsystem jetzt reguliert sind und etwas gegen dieSteuertricksereien unternommen wird, aber vom Redenalleine wird das alles nicht unterbunden. Wir wünschenuns schlichtweg Taten von Ihnen. Denn auch von nochso schönen Reden – ehrlich gesagt, sie waren eher ermü-dend – und von noch so schönen inhaltlichen Aussagen
wird, wie gesagt, das Steuersystem nicht gerechter ge-staltet.
Deutlich wurde allerdings, was Ihnen wichtig ist: dasglobale sogenannte Freihandelsabkommen TTIP.
Damit kann es Ihnen gar nicht schnell genug gehen. Dawerden einfach der Rechtsstaat und die rechtsstaatlichenMaßnahmen zu sogenannten nichttarifären Handels-hemmnissen erklärt. Wir brauchen allerdings in Deutsch-land kein Abkommen für Konzerne mit besonderen Kla-geprivilegien.
Wir haben in Deutschland einen funktionierendenRechtsstaat mit demokratisch legitimierten Gerichten.
Sie reichen aus, und sie haben sich bewährt.Wir brauchen auch kein Standarddumping. Ich finde,wir müssen das europäische Vorsorgeprinzip behalten.Wir brauchen kein Handelsabkommen, das Gewinne fürwenige organisiert, sondern wir brauchen endlich einHandelsabkommen, das fairen Handel für alle organi-siert. Das erwarten wir von Ihnen.
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Dr. Anton Hofreiter
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Wir haben in der Ukraine erlebt, dass tatsächlichnichts so bleiben muss, wie es ist. Vor einem Jahr habensich die Menschen in der Ukraine auf dem Maidan ver-sammelt. Die Menschen, die aus allen Teilen des Landeskamen, bekannten sich zu Demokratie und Rechtsstaat-lichkeit in einer offenen Gesellschaft. Diese Menschenkönnen sich unserer Solidarität sicher sein.
Ein Jahr danach ist nichts mehr, wie es einmal war.Die Krim ist von Russland militärisch annektiert wor-den: ein ganz klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Inder Ostukraine setzt die russische Führung ihre Destabi-lisierungspolitik fort.In dieser verfahrenen Situation können Deutschlandund die EU nur mit Geschlossenheit Fortschritte errei-chen. Diese Geschlossenheit herzustellen ist Ihre Verant-wortung. Das ist die Verantwortung unserer Bundesre-gierung.
In dieser Krise helfen uns auch keine markigen Worteder NATO und Gedankenspiele in Richtung NATO-Mit-gliedschaft der Ukraine. Das kann uns nicht helfen undwird auch den Frieden in Europa nicht erhalten.
Grundfalsch wäre es aber, gegenüber dem russischenPräsidenten den geringsten Zweifel daran zu lassen, dassEuropa entschlossen ist, in dieser Frage zusammenzuste-hen. Denn Sicherheit und Frieden kann es in Europazwar nur mit Russland geben, aber Putin zeigt derzeitkaum Bereitschaft zur Lösung des Konfliktes. Er nutztstattdessen den Konflikt, um gegen Kritikerinnen undKritiker innerhalb Russlands vorzugehen. Deshalb wa-ren die verhängten Sanktionen unumgänglich, und ichsehe derzeit keine Grundlage, um sie wieder aufzuheben.Ja, wir sind auf der Seite der Menschen in der Ukraine,aber wir sind auch auf der Seite der Opposition in Russ-land.
Sehr geehrte Frau Kanzlerin, kürzlich war im Spiegelein Interview mit einer 20-jährigen Frau zu lesen. Seitdiese Frau Politik wahrnimmt, kennt sie nur Sie alsKanzlerin, Frau Merkel.
– Seit dieser Zeit kennt sie nur Sie bewusst als Kanzle-rin; eine Fünfjährige nimmt Politik nicht wahr.Diese Frau ist über Ihre Arbeit als Kanzlerin befragtworden. Ich zitiere wörtlich:Dieses Abwarten von ihr, dieses Passive machtmich wütend. Dass sie uns keine klaren Stand-punkte zutraut, dass sie sich das nicht zutraut. Soeine schlaue Frau, aber was will sie denn? Ich weißnicht, was sie will. Ich kann sie nicht verstehen.
Tja, Frau Merkel, damit spricht sie vielen Menschenin Deutschland aus der Seele. Ihre heutige Regierungser-klärung hat uns wieder kein Stück vorangebracht. IhreRegierungserklärung ist wieder vollkommen durch dasUngefähre gewabert, ohne anzuecken, ohne vorauszubli-cken, ohne irgendetwas anzustoßen. Der Klimawandelwartet doch nicht. Unsere Kinder haben doch keine Zeitmehr zu verschwenden in nicht sanierten Schulen. DieUnternehmen brauchen doch endlich ein schnelles Inter-net. Die Flüchtlinge brauchen unsere bedingungsloseHilfe, und Europa braucht vernünftige Investitionen.Drei weitere Jahre, in denen Sie weiter so amtsmüde undideenlos vor sich hinwerkeln, kann sich unser Land,kann sich unsere Zukunft nicht leisten. „Nichts muss sobleiben, wie es ist.“ – Ja, das gilt auch für Sie, Frau Bun-deskanzlerin. Sie könnten sich doch noch einmal einenRuck geben. Schmeißen Sie Ihren Koalitionsvertragweg!
Entwickeln Sie eigene Ideen! Unserem Land und unsererZukunft wäre es zu wünschen. Uns allen wäre es zuwünschen.Vielen Dank.
Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freuemich, dass es der Koalition gestern Abend gelungen ist– die Bundeskanzlerin hat das schon erwähnt –, sich aufdie wesentlichen Inhalte der Frauenquote zu einigen.Das zeigt, dass wir in der Koalition auch bei kontroversdiskutierten Themen entscheidungsfähig sind.
Die Quote kommt, und sie kommt genau so, wie wir sieim Koalitionsvertrag vereinbart haben. Sie kommt mitGesetzeskraft, ohne Ausnahmen, ohne Härtefallklauseln.Das ist ein großer gesellschaftlicher Fortschritt.
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Thomas Oppermann
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Diese Quote hat durchaus eine historische Dimension;denn mit ihr wird die Gleichberechtigung in den Vor-standsetagen und Aufsichtsräten der Unternehmen inDeutschland einen gewaltigen Sprung nach vorne ma-chen. Das ist vor allem ein starkes Signal an die qualifi-zierten Frauen in diesem Land. Sie sind keine Belastungfür die Wirtschaft. Sie sind eine Bereicherung und eineVerstärkung für die Wirtschaft.
Ich möchte allen in beiden Koalitionsfraktionen undin der Bundesregierung danken, die auf diese Einigunghingearbeitet haben. Vor allem aber möchte ich der Frau-enministerin Manuela Schwesig danken, dass sie so hart-näckig, so selbstbewusst und so erfolgreich für dieseQuote gekämpft hat. Es ist gut, dass wir eine starkeFrauenministerin haben.
Vor einigen Wochen hat uns die Konjunkturprognose1,3 Prozent Wachstum für das nächste Jahr vorhergesagt,übrigens so viel wie seit Jahren nicht mehr. Aber wer dieDebatte in Deutschland verfolgt, hat das Gefühl, dasswir in einer anderen Welt leben. Bei den Grünen ist einebessere Rente für Mütter und Langzeitarbeitnehmer eineBelastung für die Konjunktur.
Bei den Wirtschaftsprofessoren ist ein ausgeglichenerHaushalt eine Bedrohung für künftige Generationen. DerMindestlohn ist schuld daran, dass die Wirtschaft weni-ger wächst. Wer solche Gegensätze aufbaut, verun-glimpft nicht nur Arbeitnehmer und Rentner in diesemLand, sondern spielt auch Dinge gegeneinander aus, dienur zusammen funktionieren.
Unsere Konjunktur funktioniert nur mit einer gutenBinnennachfrage. Künftige Investitionen funktionierennur mit einer soliden Haushaltsführung. Eine erfolgreicheWirtschaft funktioniert nur mit sozialer Gerechtigkeit.Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag diese Dinge zu-sammengebracht, statt falsche Alternativen aufzubauen.Eine falsche Alternative, lieber Toni Hofreiter, ist esauch, wenn Sie den Klimaschutz gegen die Wirtschaft inStellung bringen.
Um es ganz klar zu sagen: Wir stehen zu dem Ziel, bis2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber1990 zu reduzieren, und wir stehen auch zum Umbauunseres Energiesystems. Bis 2050 werden 80 Prozentdes Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Aberwozu wir auch stehen, ist, dass dieser Umbau sozialver-träglich gestaltet wird, dass die Strompreise auch für dieWirtschaft bezahlbar bleiben und dass der Strom verläss-lich aus der Leitung kommt.
Sozialverträglich, bezahlbar und verlässlich, an diesenKriterien hängt die Akzeptanz der Energiewende. Diebekommen Sie eben nicht mit der Brechstange, wenn Siegleichzeitig aus Atomstrom und Kohlestrom aussteigenwollen.Natürlich muss auch der Kraftwerkspark einen fairenBeitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten. Des-halb hat Sigmar Gabriel der Energiewirtschaft eine klareMarschroute vorgegeben. Die Kraftwerksbetreiber müs-sen bis 2020 mindestens 22 Millionen Tonnen CO2-Emissionen einsparen. Wie dieses Ziel erreicht wird,entscheiden die Unternehmen. Das halte ich für einekluge Lösung, die Ökonomie und Ökologie zusammen-bringt.Deshalb gibt es keinen Grund zu Alarmismus, wederbei den Gegnern der Kohle noch bei ihren Befürwortern.Den einen geht der Beitrag der Kohle zu weit, den ande-ren geht er nicht weit genug; das ist ein gutes Indiz dafür,dass Sigmar Gabriel mit seinem Vorschlag genau richtigliegt.
Was wir jetzt brauchen, ist ein schneller Einstieg indie Energieeffizienz. Nur wenn wir es endlich schaffen,weniger Energie zu verbrauchen und Energie besser zunutzen, werden wir langfristig das Klima schützen kön-nen.Meine Damen und Herren, wir beschließen in dieserWoche einen historischen Haushalt: seit 46 Jahren zumersten Mal ohne Neuverschuldung. Das haben wir trotzeiner schlechteren Konjunkturentwicklung geschafft,ohne soziale Kürzungen und mit mehr Geld für Bildung,Forschung, Kommunen und Infrastruktur. Das ist insge-samt eine gute Botschaft für junge Menschen in diesemLand. Wir wollen keine Politik mehr zulasten künftigerGenerationen machen.
Denn selbst wenn wir uns heute zu Niedrigzinsen ver-schulden könnten, wozu uns einige raten, muss mandoch sehen: Die Schulden bleiben uns über Jahrzehnteerhalten, und bei steigenden Zinsen müssen wir dafürteuer bezahlen.
Ich finde es ausgesprochen erfreulich und ich bin demFinanzminister Schäuble sehr dankbar dafür, dass er fürdie Zeit ab 2016 Haushaltsreserven von 10 MilliardenEuro für zusätzliche Investitionen mobilisiert hat. Das istein starkes Signal für die Konjunktur in diesem Land.Wir sehen die Schwerpunkte für ein Investitionspro-gramm bei der Infrastruktur, beim Netzausbau, bei ener-getischer Sanierung, beim Breitbandausbau, bei kommu-nalen Investitionen und im Städtebau.
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6514 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
Thomas Oppermann
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Ich glaube, wir dürfen uns im Ergebnis aber nicht da-rauf beschränken, nur die öffentlichen Investitionen zusteigern; wir müssen auch die privaten Investitionen an-kurbeln. Deshalb ist es gut, dass eine Expertengruppedes Bundeswirtschaftsministers an Vorschlägen für mehrInvestitionen arbeitet.
Herr Kollege Oppermann, darf die Kollegin
Haßelmann Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja, bitte.
Vielen Dank für die Möglichkeit einer Zwischen-
frage. – Lieber Thomas Oppermann, Sie haben gerade
aufgezählt, wo Sie überall investieren und wie stark
diese Regierung bei Investitionen vorangeht. Allein, mit
den Fakten passt das nicht zusammen. Vielleicht können
Sie einen Teil Ihrer Redezeit darauf verwenden, uns das
zu erklären. Sie feiern sich hier für Investitionen in Stra-
ßen- und Brückensanierung, in Breitbandausbau und
viele andere Bereiche, senken aber im Bundeshaushalt
gleichzeitig die Investitionsquote. Wie passen diese Fak-
ten zusammen? Darauf können Sie uns sicher eine Ant-
wort geben.
Das Zweite, was ich noch kurz anmerken möchte, ist:
Ich finde, hier im Haus ist den Frauen aus allen Fraktio-
nen zu danken, die sich seit Jahren für die Quote einge-
setzt haben, und nicht nur einer Ministerin, die Ihrer
Fraktion angehört.
Ich hätte mich gerne, liebe Britta Hasselfeldt, auchbei den Grünen bedankt. Aber ich wollte Sie jetzt – –
– Liebe Kollegin Hasselfeldt – –
– Haßelmann; die Nacht war kurz. – Ich hätte michgerne auch bei den Grünen bedankt. Aber nachdem IhrFraktionsvorsitzender gesagt hat, das sei eigentlich garkeine Quote, wollte ich Sie nicht mit zu viel Lob über-strapazieren.
Was die Investitionen angeht, dürfen Sie natürlichnicht nur auf den Haushalt schauen. Sie müssen auch aufdie mittelfristige Planung schauen. Sie müssen sehen,dass diese Koalition die Lkw-Maut auf Bundesstraßenausweiten wird, und Sie müssen sehen, dass der Investi-tionshaushalt für öffentliche Infrastruktur bis zum Endeder Wahlperiode insgesamt um 40 Prozent gesteigertwird, und zwar, unabhängig von dem geplanten Sonder-programm für Investitionen, nachhaltig und dauerhaft.Damit zeigen wir, dass wir nicht nur kurzfristig, sondernauch langfristig das Problem des Investitionsstaus inDeutschland angehen. – Vielen Dank.
Was Investitionen in der Wirtschaft auch erleichternkönnte, wäre ein Bürokratieabbau. Wir haben in denletzten Jahren Kosten für Informationspflichten in Höhevon 12 Milliarden Euro eingespart. Trotzdem ist diedeutsche Wirtschaft immer noch mit Bürokratiekosten inHöhe von 40 Milliarden Euro belastet. Ich weiß, jedeeinzelne bürokratische Regelung hat immer auch einenrationalen Kern. Jede einzelne Regelung lässt sich fürsich immer irgendwie begründen. Aber in der Summesind diese Regelungen für die Wirtschaft oft eine fast un-erträgliche Belastung. Deshalb müssen wir dieses Pro-blem angehen.Sigmar Gabriel hat ein Paket zum Bürokratieabbauvorgelegt. Ich habe große Sympathie für die neue Regel„one in, one out“. Immer dann, wenn neue Bürokratiegeschaffen wird, muss sie an anderer Stelle in gleichemUmfang abgebaut werden. Die letzte Große Koalitionhat es geschafft, mit der Schuldenbremse die Neuver-schuldung zu stoppen. Ich finde, diese Große Koalitionmuss jetzt mit einer Bürokratiebremse endlich dafür sor-gen, dass die Bürokratie für Unternehmen gestoppt wird,dass Unternehmer und Arbeitnehmer sich wieder aufihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können unddass sie wertschöpfende Tätigkeiten ausüben, ohne da-bei von einem Übermaß an Bürokratie behindert zu wer-den, meine Damen und Herren.
Nur 8 Prozent des Bürokratieaufwandes betreffen dieStatistik. Über 30 Prozent betreffen die Steuererklärung.Ein Beispiel dafür ist die Abschreibung geringwertigerWirtschaftsgüter. Da kauft ein Schreiner einen PC für500 Euro. Anstatt die Kosten direkt vom Umsatz abzie-hen zu können, muss er sie umständlich auf drei Jahreverteilen. Ich sehe keinen fiskalischen Sinn in einer sol-chen Aufteilung, und ich sehe darin auch keine Möglich-keit, Steuerbetrug zu verhindern. Deshalb sollten wir indieser Wahlperiode über diese Themen zu gegebenerZeit noch einmal sprechen.Es ist eindeutig sinnvoller, Steuerbetrug dort zu be-kämpfen, wo er uns wirklich Geld kostet, nämlich beiden transnationalen Unternehmen, die in Luxemburgund in den Niederlanden Steuerschlupflöcher nutzen,während unsere Mittelständler hier 30 Prozent Steuern
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6515
Thomas Oppermann
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zahlen müssen. Steuerdumping in der EU ist unerträg-lich. Es schadet unseren Unternehmen und geht zulastenaller Steuerzahler in diesem Land.
Deshalb finde ich es gut, dass sich FinanzministerSchäuble und Jean-Claude Juncker offen zeigen für dieEinführung von Mindeststeuern in der EuropäischenUnion. Mindeststeuern für Unternehmen sind ein proba-tes Mittel der Steuervermeidung. Wir wollen, dass Ge-winne dort besteuert werden, wo sie auch erwirtschaftetwerden.
Ausgeglichener Haushalt, Bürokratieabbau, Investi-tionen, das sind Weichenstellungen für die Zukunft.Aber für künftige Generationen ist auch wichtig, wie wirin der Welt miteinander Handel treiben. Ich bin davonüberzeugt: Ein Land wie Deutschland, das 40 Prozentseiner gesamten Wirtschaftsleistung im Export verdient,darf sich nicht vom Handel abschotten, sondern mussdem internationalen Handel offen gegenüberstehen. DieEU und die USA bilden mit 800 Millionen Einwohnernden größten Markt der Welt. Für große Konzerne ist eskein Problem, auf diesen Märkten zu agieren. Aber un-sere Mittelständler können es sich kaum leisten, teureExpertengruppen zu bezahlen, um die unterschiedlichentechnischen Systeme zu überwinden oder gleich eine ei-gene Fabrik in den USA zu bauen. Deshalb ist eine guteHandelspartnerschaft mit den USA eine gute, großeChance für unsere mittelständischen Unternehmen.
Unser Ziel ist es, bei TTIP die bestmöglichen Stan-dards zu erreichen – für die Verbraucher, für die Arbeit-nehmer, für die Umwelt. Natürlich muss der Zugriff aufunsere kommunale Daseinsvorsorge und auf unsere kul-turellen Institutionen von vornherein ausgeschlossenbleiben. Dass in entwickelten Rechtssystemen Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht mehr zeitgemäß sind, dasist inzwischen gründlich dargelegt worden. Wir tretendafür ein, dass alle Investoren, unabhängig davon, ob sieInländer oder Ausländer sind, effektiven Rechtsschutzbekommen und dass er am besten vor staatlichen Gerich-ten aufgehoben ist.
Jetzt geht es darum, gemeinsam mit unseren europäi-schen Partnern für erfolgreiche Verhandlungen zu sor-gen. Die Forderungen nach Verhandlungsabbruch sindabstrus; denn wenn wir nicht verhandeln, dann werdenandere verhandeln. Die Standards, auf die andere sichverständigen, das werden nicht unsere Standards sein.Entweder die Globalisierung gestaltet uns, oder wir ge-stalten die Globalisierung. Ich bin eindeutig für Letzte-res.
Herr Oppermann, darf der Kollege Ernst eine Zwi-
schenfrage stellen?
Ja.
Danke, Herr Oppermann. – Ich habe die Debatte in
Ihrer Partei zu diesem Thema in den letzten Monaten
verfolgt. Sie haben einen Beschluss auf einem kleinen
Parteitag gefasst. Wir haben das hier im Bundestag de-
battiert, insbesondere auch die Frage des Investoren-
schutzes. Die Position Ihres Parteitages war eigentlich
so, dass, wenn ich dies richtig interpretiert habe, man
dies nicht will. Jetzt nehme ich – auch in den Medien,
auch von Herrn Gabriel – eine gewisse Abkehr von die-
ser Position wahr. Heißt das nun, dass Sie bereit sind,
CETA, das Abkommen der EU mit den Kanadiern, auch
dann zu akzeptieren, wenn darin ein Investorenschutz
enthalten ist? Bedeutet das ebenfalls, dass Sie auch TTIP
akzeptieren würden, wenn darin ein Investorenschutz
enthalten wäre, obwohl Ihr Parteitag entschieden hat,
dass man dies nicht will?
Wir sind jetzt dabei, TTIP zu verhandeln. Mitten inVerhandlungen genau zu definieren, unter welchen Vo-raussetzungen man zustimmt oder ablehnt, halte ichnicht für klug.Wir haben deutlich gemacht, dass wir für Investorengleiches Recht wollen. Welches Recht ein Investor be-kommt, kann nicht davon abhängen, woher er kommt.Wenn beispielsweise ausländische Investoren in schieds-gerichtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche ein-klagen können, aber zum Beispiel deutsche Investorenvor ordentlichen Gerichten nicht die gleichen Möglich-keiten haben, wäre das eine Ungleichbehandlung, dievon vornherein nicht akzeptabel ist. Wir wollen keineParalleljustiz. Wir wollen, dass in entwickelten Rechts-staaten die Möglichkeiten der ordentlichen Gerichtsbar-keit genutzt werden; da gehört die Lösung von Konflik-ten hin. In keinem Fall wollen wir, dass überschiedsgerichtliche Verfahren die Entscheidungen vondemokratisch legitimierten Gesetzgebern delegitimiertwerden. Das ist unsere Position, und für die treten wirjetzt auch in den Verhandlungen ein.
– Das ist unser Beschluss. Lesen Sie nach!Meine Damen und Herren, auch 25 Jahre nach demMauerfall bleibt der Aufbau Ost eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe. Auch viele Regionen im WestenDeutschlands brauchen Unterstützung. Dass dafür dieEinnahmen aus dem Solidaritätszuschlag auch nach2019 noch gebraucht werden, hat die Bundeskanzlerin
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schon vor einem Jahr klargestellt, und darin sind sichauch alle Fraktionen in diesem Hause einig.
Die rot-grünen Ministerpräsidenten und FinanzministerSchäuble haben vorgeschlagen, wie das gehen könnte.Der Soli würde in die Einkommensteuer integriert, unddabei könnte man auch das Problem der kalten Progres-sion lösen. Das wäre ein Weg, wie man einen Teil desSoli an die Steuerzahler zurückgeben könnte.
Wer diesen Weg nicht gehen will – man mag das gutoder schlecht finden –, wer ihn schlecht findet und dieIntegration nicht will, der muss konkrete Vorschläge ma-chen, wie ein anderer Weg aussehen könnte.
Eines ist klar: Wir brauchen in Zukunft eine Solidari-tät zwischen den Regionen, die sich nicht nach Him-melsrichtungen, sondern nach dem Bedarf richtet, meineDamen und Herren.
Dieser Bedarf ist so verschieden wie unser Land. Dres-den und Leipzig sind heute attraktive Wachstumskerne,die qualifizierte Zuwanderer anlocken. Aber nicht über-all im Osten ist das so. Das Saarland und Bremen habenmit einer erdrückenden Schuldenlast zu kämpfen.NRW hat einen Strukturwandel hinter sich, der es inseiner Dimension durchaus mit dem Aufbau Ost aufneh-men kann. Seit der Kohle- und Stahlkrise im Ruhrgebietsind 1,2 Millionen Arbeitsplätze allein im Bergbau undim Bereich Stahl weggefallen. Trotzdem gibt es imRuhrgebiet heute mehr sozialversicherungspflichtig Be-schäftigte als vorher. Ob in Marl, Essen, Dortmund,Duisburg oder Bottrop – in vielen Städten wurden inno-vative neue Zentren für Dienstleistungen, Wissenschaftund Industrie aufgebaut. Damit ist NRW heute sogarNettozahler im Länderfinanzausgleich,
wenn man auch den Umsatzsteuerausgleich zwischenden Ländern betrachtet. Ich finde, es ist eine enormeLeistung, die da vollbracht worden ist.
Aber dieser Strukturwandel hatte auch seinen Preis, unddiesen Preis hat NRW bisher weitestgehend allein be-zahlt. Auch darüber müssen wir reden, wenn wir dieBund-Länder-Finanzbeziehungen neu ordnen. Wir kön-nen einzelne Länder, die einen tiefgreifenden Struktur-wandel durchmachen, nicht alleinlassen,
genauso wenig wie wir Bayern
beim Strukturwandel vom Agrarland zu einem moder-nen Industrieland alleingelassen haben.
Wir wollen nicht, dass sich die Gräben der Ungleich-heit zwischen den Bundesländern weiter vertiefen. Dasist es doch, was unser Land eigentlich so stark macht:dass wir nicht auseinanderdriften wie etwa England undSchottland, wie Flandern und Wallonien, wie Spanienund Katalonien, wie Nord- und Süditalien. Nur einDeutschland mit gleichwertigen Lebensverhältnissen istauf Dauer ein erfolgreiches und lebenswertes Land. Dasist jedenfalls die Richtschnur, mit der wir in diese Ver-handlungen hineingehen.
Wir diskutieren im Rahmen der Verhandlungen überdie Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch darüber, wiewir den Kommunen mit hohen Soziallasten am bestenhelfen können. Das ist auch richtig so; denn wir wollen,dass auch die finanzschwachen Kommunen wieder in-vestieren können. Wichtig ist: Egal wo wir am Ende dieKommunen entlasten – die Reform der Eingliederungs-hilfe muss in jedem Fall kommen.
Die haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart; schließ-lich haben wir 2008 die UN-Behindertenrechtskonven-tion einstimmig ratifiziert. Bei der Eingliederungshilfesteht bisher im Vordergrund, dass die Menschen mit Be-hinderungen versorgt und verwaltet werden. Beim neuenTeilhaberecht wird es darum gehen, was ein Mensch mitBehinderungen braucht, um gleichberechtigt am gesell-schaftlichen Leben teilnehmen zu können.
Das muss nicht immer teurer sein. Es geht nämlich nichtnur darum, wie viel Geld wir ausgeben, sondern auch da-rum, wie wir es ausgeben. Wir wollen ein Teilhaberecht,bei dem das Geld bei den Menschen mit Behinderungenankommt, das echte Teilhabe und Inklusion ermöglicht.
Ich möchte zum Schluss noch auf die Außenpolitik zusprechen kommen; denn die neuerlichen Gewaltausbrü-che in der Ukraine und in Israel machen uns allen großeSorgen. Seit Monaten ist die Außenpolitik der Bundes-regierung extrem gefordert. Ich finde, dass Außenminis-ter Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel unser Landmit großem Engagement und mit hohem persönlichenEinsatz außerordentlich gut vertreten.
Die Bundesregierung ist zusammengeblieben; auch dieEuropäische Union und die NATO-Partner sind zusam-mengeblieben. Jetzt kommt es für die nächsten Monatedarauf an, dass wir weiterhin zusammenbleiben. Wenn
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nun der Vorwurf in den Raum gestellt wird, es werdeeine Nebenaußenpolitik betrieben, dann ist das völlig de-platziert. Die Außenpolitik ist in diesen Zeiten viel zuwichtig für unser Land, als dass wir sie für innenpoliti-sche Ziele instrumentalisieren dürften, meine Damenund Herren.
Es ist kein Widerspruch, den Dialog zu suchen undtrotzdem klar zu sagen, was man von der russischenPolitik hält und erwartet. Russland hat eine Verantwor-tung für das, was dort passiert. Russland hat die völker-rechtswidrige Annexion der Krim und die Unterstützungder Separatisten in der Ostukraine zu verantworten. Da-mit stellt Russland die europäische Friedensordnung in-frage.
Das kann die EU nicht einfach akzeptieren. Deshalb warund ist die Entscheidung für gezielte Sanktionen richtig.Russland muss seine Guerillataktik beenden und aufhö-ren, an der Spaltung der Ukraine zu arbeiten.
Wladimir Putin muss klar bekennen, dass auch er wederKrieg noch Bürgerkrieg in Europa toleriert oder gar för-dert.
Dennoch müssen wir im Gespräch bleiben; denn es kannnur eine politische Lösung für diesen Konflikt geben. Eskann auch nur eine Lösung mit Russland geben; dasmuss uns immer bewusst sein. Das ist die Komplexitätder Außenpolitik, mit der wir uns auseinandersetzenmüssen und der wir uns mutig stellen müssen. Es reichtnicht, nach einem einfachen Schema – wie es die Linkegerne macht – Putin zu bejubeln und Israel zu kritisieren.Damit stellen Sie sich nur ins Abseits, aber zeigen keineVerantwortung.
50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht,so viele wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Welt-krieges. In dieser dramatischen Lage müssen wir unse-ren Beitrag leisten, damit die Flüchtlinge den nächstenWinter überhaupt überstehen können. Ich bin froh, dasswir in den parlamentarischen Beratungen die Haushalts-mittel für die zivile Krisenprävention und die humanitäreHilfe um 313 Millionen Euro aufgestockt haben. Damitzeigen wir, dass wir internationale Verantwortung fürdiese Krise übernehmen wollen.
Jetzt müssen wir schauen, dass wir die Flüchtlinge inDeutschland gut unterbringen. Wir haben in diesemHerbst schon wichtige Verbesserungen beschlossen:Asylbewerber können schneller Arbeit finden undSprachkurse besuchen. Wir haben die Residenzpflichtgelockert, und Asylanträge werden schneller bearbeitet.Aber das Wichtigste ist, dass wir jetzt auch die Kommu-nen in die Lage versetzen, die Flüchtlinge gut unterzu-bringen; denn es darf nicht sein, dass Kommunen mit derUnterbringung von Flüchtlingen aufgrund eines Geld-mangels überfordert werden, und es darf nicht sein, dassdurch überfüllte Provisorien Ressentiments gegenüberFlüchtlingen geschürt werden. Das müssen wir schon imAnsatz unterbinden.
Deshalb ist es gut, dass die Regierung jetzt mit den Län-dern darüber verhandelt, wie man die Kommunen unter-stützen kann. Hier ist ein Kraftakt notwendig.Mit dieser finanziellen Unterstützung helfen wir abernicht nur den Kommunen, sondern ermutigen auch dieBürgerinnen und Bürger, die sich in unserem Land fürdie Flüchtlinge engagieren, die ihnen bei Arztbesuchenhelfen, sie bei Behördengängen unterstützen und dazubeitragen, dass die Kinder in die Schule gehen können.Das alles zeigt, dass die große Mehrheit der Deutschenganz klar sieht, dass wir Verantwortung für die Flücht-linge haben. Das ist gelebte Verantwortung. Das ist prak-tische Solidarität. Ich möchte allen, die sich daran betei-ligen, die dabei mitwirken, ganz herzlich danken.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Volker Kauder.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Die Beratungen des Bundeshaushaltes für das Jahr2015 finden in einer bewegten Zeit statt. Vor uns liegengroße Aufgaben in unserem Land und auch in der Welt.
– Sie von den Grünen und Sie persönlich, Frau Göring-Eckardt, haben allen Grund, ihre Taschentücher zu be-halten. Es ist nämlich zum Weinen, was Sie 25 Jahrenach der friedlichen Revolution in Thüringen veranstal-ten. Das ist zum Heulen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Sie werden es eines Tages zuspüren bekommen,
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dass Sie mit den Linken – die Sie auch noch so zur Brustnehmen wie heute – eine Koalition eingehen, dass Sie25 Jahre nach der friedlichen Revolution jene an dieMacht bringen, die man damals weggewischt hat, unddass Sie einen Linken zum Ministerpräsidenten wählen.Das ist wirklich zum Heulen.
Jetzt zum Ernst der Situation.
Mit diesem Bundeshaushalt reagieren wir auf die großenHerausforderungen unserer Zeit. Trotzdem kommt erohne neue Schulden aus. Die großen Herausforderungen,die es in unserem Land gibt, betreffen auch die Investi-tionen zur Stärkung der wirtschaftlichen Aktivitäten.
Auf die Frage von Frau Haßelmann hat KollegeOppermann geantwortet, dass wir in unserer Regie-rungszeit die Investitionen stärken werden. Es steht auchim Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir in dennächsten Jahren weitere 10 Milliarden Euro für Investi-tionen zur Verfügung stellen. Aber diese 10 MilliardenEuro müssen dann auch in Investitionen fließen, undzwar dorthin, wo es Probleme gibt, nämlich in die Infra-struktur, sowohl im digitalen Bereich als auch im Ver-kehrsbereich. Im Bereich der digitalen Infrastruktur istes zwingend notwendig, dafür zu sorgen, dass das Inter-net schneller wird, und zwar nicht nur für die Familienzu Hause. Wenn Industrie 4.0 gelingen soll – und dasmuss gelingen –, brauchen wir ein Internet, das die Ma-schinen in Istzeit verbindet. Damit können wir nichtmehr lange warten. Die Zeit drängt. Mit diesem Haushaltwerden die notwendigen Voraussetzungen dafür ge-schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssennatürlich alles tun, um die deutsche Wirtschaft, nachdemwir erkennen, dass der Wachstumskurs nicht mehr ganzso dynamisch ist, weiter zu unterstützen. Wir habenüberhaupt keinen Grund, die Dinge schlechtzureden.Wir werden auch im nächsten Jahr Wachstum haben.Jetzt aber geht es darum, die ganze Kraft darauf zu ver-wenden, dieses Wachstum zu unterstützen. Eine der gro-ßen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft, eineder großen Wachstumsfragen ist: Können wir der Wirt-schaft genügend qualifiziert ausgebildete junge Men-schen anbieten? Es geht nicht mehr um den Arbeitsplatz,sondern darum, den besonders qualifizierten Arbeits-platz zu besetzen. Wir haben bereits in der letzten Koali-tion erfolgreich begonnen, eine der größten Investitionenin Angriff zu nehmen, nämlich die Investition in Bil-dung, Forschung und Innovation.
Ich bin manchmal fassungslos, wenn ich höre, dassman sich bezogen auf die Investitionsquote dieses Bun-deshaushalts nur anschaut, was in die Infrastruktur, inGebäude und vieles andere investiert wird. Dazu kannich nur sagen: Eine Investition in ein Gebäude ist daseine. Aber wenn in der Schule oder in der Uni nicht inden Inhalt investiert wird, dann nützt das nichts. Deshalbsind die 15 Milliarden Euro, die wir im Etat von FrauWanka veranschlagen, Investitionen in die Zukunft,liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine der größtenInvestitionsquoten überhaupt.
Wenn wir uns die Herausforderungen ansehen, auf dieder Bundeshaushalt Antworten gibt: Auch Maßnahmenzum Klimaschutz sind eine große Investition; der Kol-lege Oppermann sprach es an. Beim Klimaschutz gibt esnatürlich eine Reihe von Bereichen, die zu betrachtensind. Es ist klar, dass auch die Energiewirtschaft ihrenBeitrag leisten muss. Für unsere Wirtschaft ist es zentral,dass wir den Klimaschutz einhalten; wir müssen aberauch Sicherheit bei der Energieversorgung herstellenund den Preis halten. Deshalb muss ich schon sagen: Wirsollten vor allem dort tätig werden, wo die Chancen großsind, dass wir den Klimaschutz in besonderer Weise vo-ranbringen, und das ist immer noch der Gebäudebestandin unserem Land. Wenn wir uns vornehmen, jedes Jahrnur 1 Prozent unseres Gebäudebestands energetisch zusanieren, so ist dies eine große Aufgabe. Aber das istschon das absolute Minimum. Daher erwarte ich, dassdie Länder hier ihre Möglichkeiten nutzen. Wir versu-chen seit einiger Zeit krampfhaft, ein energetisches Ge-bäudesanierungsprogramm auf den Weg zu bringen.Man kann nicht, wie in NRW, der Kohle das Wort reden,aber dann bei der Gebäudesanierung nicht mitmachenwollen. Jeder muss seinen Beitrag leisten: der Bund dieeine Hälfte und die Länder die andere Hälfte. Dann kom-men wir einen gewaltigen Schritt voran.
Noch immer sind 85 Prozent der Heizungsanlagen in denPrivatgebäuden nicht auf dem neuesten Stand. Wenn wirdort etwas tun, können wir Millionen einsparen. Daswird ein Schwerpunkt im Investitionsbereich werdenmüssen – Kollege Oppermann wies darauf hin –, auchwenn wir uns im nächsten Frühjahr mit dem Haushalt2016 beschäftigen.Neben diesen Themen gibt es ein Thema, das jedenTag Hunderte von Menschen unmittelbar betrifft; es isterstaunlich, wie wenig darüber gesprochen wird. JedenTag – jeden Tag! – sind in den letzten zwölf Monaten400 Häuser oder Wohnungen aufgebrochen worden, unddie Leute wurden ausgeraubt. Es geht nicht nur um denmateriellen Verlust. Die Menschen, die davon betroffensind, sind ein Leben lang traumatisiert, weil sie Angst
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Volker Kauder
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haben und sich nicht mehr in ihre Häuser zurücktrauen.Da kann man nicht so tun, als ob das kein Problem wäre.Vielmehr ist es richtig, zu sagen: Die Sicherheit des Ein-zelnen ist eine Kernaufgabe unseres Staates, meine sehrverehrten Damen und Herren.
Da tragen der Bund und die Länder gemeinsam Verant-wortung. Wir wollen, auch im Rahmen von Investitio-nen, überlegen, was man noch machen kann, um unsereWohnungen, unsere Häuser sicherer zu machen.Darüber hinaus war es natürlich notwendig – ich bindankbar, dass es gelungen ist, dies im Haushaltsaus-schuss durchzusetzen –, dass wir für den Bereich innereSicherheit, also den Geschäftsbereich von Thomas deMaizière, nach den Maßnahmen in den letzten Jahren beider Bundespolizei noch etwas Bedeutendes haben ma-chen können. Wir sind da noch nicht am Ende; aber dieBotschaft lautet: Wir werden nicht achselzuckend hin-nehmen, dass Banden durch unser Land ziehen, Häuseraufbrechen können und wir keine Antwort auf diese dieMenschen bewegende Frage geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Haus-haltsberatungen finden natürlich auch in bewegter Zeitstatt, weil wir weltweit einige große Probleme haben.Die Bundeskanzlerin hat zu Recht die Ebolakrise ange-sprochen und auch den Beitrag, den wir dazu leistenkönnen. Aber auch das Verhältnis von Russland, derUkraine und Europa ist ein Thema. Ich möchte sagen:Die Überzeugung und Wahrnehmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die, dass unsere Bundeskanzlerinund unser Bundesaußenminister an einem Strang ziehenund dass sie eine ausgezeichnete Politik machen, dienicht nur die Menschen in der Ukraine, sondern auch dieStabilität Europas im Auge hat. Dafür sage ich einenherzlichen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichtsder derzeitigen Situation kommt es natürlich ganz ent-scheidend darauf an, dass wir in Europa beieinanderblei-ben, so wie diese Koalition in dieser wichtigen Fragebeieinanderbleibt. In diesem Zusammenhang muss ichimmer wieder darauf hinweisen, dass wir mehr darüberreden müssen, was Europa gerade in diesen wichtigenaußenpolitischen Handlungsfeldern bedeutet. Mir wirdzu viel über das Europa von Euro und Cent gesprochenund viel zu wenig über das Europa der Werte und der ge-meinsamen Schicksalsgemeinschaft.
Es ist schon bemerkenswert, dass es gerade PapstFranziskus gewesen ist, der gestern genau auf diesenPunkt hingewiesen hat, nämlich dass dieses Europa et-was selbstbewusster, etwas dynamischer, etwas jüngeran die Themen herangehen sollte. Er hat uns ins Stamm-buch geschrieben, wir sollten uns nicht damit abfinden,dass Europa immer älter wird, auch wenn dieser Ein-druck immer mehr vorherrscht. Ich kann nur sagen: Dieeuropäischen Ideen vom Zusammenarbeiten, von Frie-den und Freiheit, von Religionsfreiheit und von Chancenfür alle, diese Ideen müssen in Russland lange gesuchtwerden. Das sind aber die Ideen, die Europa stark ma-chen und die auch eine so starke Anziehungskraft diesesEuropas ausmachen.
Darüber müssen wir immer wieder auch klar und deut-lich sprechen.Wenn wir von den genannten Werten sprechen,möchte ich hinzufügen: Es müssen auch all diejenigen,die sich Europa nähern wollen und in Europa mitmachenwollen, wissen, dass wir nicht nur nach der Wirtschafts-kraft von Ländern urteilen können, sondern auch nachdem urteilen müssen, was sie in dem Bereich machen,der unseren Wertebereich ausmacht. Wir erleben im Au-genblick die Diskussionen in der Türkei. Es mag jetzteinmal egal sein, ob die Türkei Amerika entdeckt hatoder nicht; darüber will ich gar nicht reden. Aber dassdie Türkei noch einen erheblichen Nachholbedarf bei derUmsetzung der Religionsfreiheit hat, das ist Fakt. Dasmuss sich ändern, sonst ist der Weg nach Europa sehr,sehr schwer.
Natürlich ist eine zentrale Aufgabe – das muss ich sa-gen; auch die Bundeskanzlerin hat davon gesprochen –die Bekämpfung des internationalen Terrors. Wir allespüren – Thomas de Maizière hat in den letzten Tagendarauf hingewiesen –, dass diese Sorge nicht nur imMittleren und Nahen Osten zu verorten ist. Sie ist inzwi-schen mitten in unserem Land, in unserer Gesellschaftangekommen. Wenn man sich vor Augen führt, dassmehr als 500 junge Menschen in den Krieg nach Syrienund in den Irak ziehen und zum Teil auch wieder zurück-kommen, und wenn man weiß, dass für die Überwa-chung von sogenannten Gefährdern 25 Personen am Tagbenötigt werden, weiß man, wie groß die Aufgabe ist.Deswegen müssen wir alles daransetzen, die Sympathie-werbung für solche Einsätze zu verbieten. Es ist dochgeradezu grotesk, wenn junge Menschen im Internet an-geworben werden können, wenn ihnen angeboten wer-den kann, in einen Krieg zu ziehen, in dem die Men-schen enthauptet werden, in dem Frauen entführt undvergewaltigt werden. Ich habe die herzliche Bitte, dasswir das Verbot, für solche Gruppen zu werben, endlichdurchsetzen, dass wir damit endlich ernst machen.
Auf IS bzw. ISIS eine Antwort zu geben, ist nicht ein-fach. Wir dürfen nicht glauben, dass wir dieses Problemin wenigen Wochen bewältigen können. Das ist eineAufgabe, die noch mehrere Jahre dauern wird. Sie istauch nicht allein mit Lufteinsätzen und Unterstützungder Bodenkräfte mit Waffen zu bewältigen. Alles, was
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wir diesbezüglich tun, ist völlig richtig. Aber diesenGruppen muss auch der ideologische Nährboden entzo-gen werden, damit sie sich nicht auf eine besondereIdeologie berufen können. Wir haben lange darauf ge-wartet; jetzt können wir aber dankbar feststellen, dassder Zentralrat der Muslime in Deutschland sich klar dis-tanziert hat. Besonders beeindruckt hat mich – das warein wichtiger erster Schritt, auch wenn weitere folgenmüssen –, dass sich führende islamische Theologen auseinigen arabischen Ländern, dass sich der Großscheichder Universität Kairo, die syrisch-orthodoxen und diekoptischen Christen zusammengefunden haben und einegemeinsame Erklärung herausgegeben haben, nach derMenschenrechtsverletzungen so schwerer Art, wie dieISIS sie begeht, in keiner Religion akzeptiert werdenkönnen, dass sie nicht Teil einer Religion sein können.Menschenrechtsverletzungen sind durch die Religions-freiheit nicht gedeckt! Das war die Botschaft, und das istdie richtige Botschaft.
Ich unterstütze das und freue mich, wenn weitereSchritte folgen, weil es wirklich darauf ankommt, denMenschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen unddenjenigen, die glauben, mit solchen Methoden, mit sol-chen Schikanen im Namen einer Religion Verunsiche-rung verbreiten zu können, den Boden zu entziehen.Wir müssen natürlich auch unseren Beitrag leisten;das ist bereits angesprochen worden, sowohl von derKanzlerin als auch vom Kollegen Oppermann. Wir for-mulieren es klar und deutlich: Wir wollen, dass die Men-schen in aller Welt ihre Religion frei leben können.Diese Menschen im Nahen und Mittleren Osten könnendas aber nicht, weil man sie verfolgt, auch wegen ihrerReligion – nicht nur, aber auch wegen ihrer Religion.Wenn diese Menschen keinen anderen Ausweg mehr se-hen, als zu uns zu kommen, dann erwarte ich – das mussich sagen –, dass wir diese Menschen bei uns aufnehmenund sie anständig unterbringen.
Was sollen die Christen und andere Betroffene wiedie Jesiden eigentlich davon halten, wenn wir sagen, wirtreten für Religionsfreiheit ein und stehen an der Seitederjenigen, die verfolgt werden, wenn sie dann zu unskommen und dies nicht spüren? Nein, wenn sie bei unssind, müssen sie spüren, dass wir unseren Worten auchTaten folgen lassen.Natürlich sind 200 000 Flüchtlinge eine große Auf-gabe. Vor kurzem waren zwei Mitarbeiter unserer Frak-tion in Arbil und Dohuk in Kurdistan. Dort werden jetztlangsam winterfeste Quartiere gebaut. Da kann man nursagen: Ich danke dem Auswärtigen Amt, dem Außen-minister und dem Entwicklungshilfeminister dafür, dasssie trotz der zähen Arbeit vorankommen. Manches istbesser geworden, als man in der Öffentlichkeit so hört.Auch die Mitarbeiter des Konsulats, Herr Bundesaußen-minister, machen einen wirklich guten Job.Wir haben uns angeschaut, was in dieser Region pas-siert. Dort leben 4,5, vielleicht 5 Millionen Kurden. In-zwischen gibt es dort über 1 Million Flüchtlinge, die be-treut und untergebracht werden müssen. Da kann ich nursagen: Wenn eine so kleine Region wie Kurdistan mitseinen 5 Millionen Einwohnern mit über 1 MillionFlüchtlinge fertig werden muss, dann werden wir das beiuns bei 250 000 Flüchtlingen auch schaffen.
Da bin ich zuversichtlich.
– Auf diesen Zuruf kann ich nur erwidern: Ich habe allenRespekt davor, was die Gemeinden in Bayern wie auchviele andere Kommunen im Augenblick leisten.
Nicht mit dem Finger zeigen! Das ist nicht die Zeit. Wiralle müssen uns anstrengen, und das werden wir auchmachen.Ich bin dem Bundesfinanzminister, der den Haushaltzusammenhält und die große Leistung der schwarzenNull vollbracht hat, dankbar dafür, dass er gesagt hat:Das, was notwendig ist, um den Flüchtlingen vor Ortund hier zu helfen, werden wir auch leisten können. –Lieber Wolfgang Schäuble, herzlichen Dank für dieseklare Aussage.
Der Bundeshaushalt 2015, der in dieser Woche verab-schiedet wird, gibt Antworten auf die drängenden gro-ßen Fragen in unserer Gesellschaft und in unserem Land.Er gibt aber auch Antworten auf die großen, wirklichexistenziellen Herausforderungen, die wir in der Welthaben. Herr Hofreiter, Sie haben heute über unserenKoalitionsvertrag gesprochen. Ich kann nur sagen: Ichbin schon zufrieden damit.
Wir haben einen Koalitionsvertrag, den wir Punkt fürPunkt umsetzen. Es braucht sich daher niemand aufzure-gen. Alle Punkte, die darin enthalten sind, werden einszu eins umgesetzt. Wir von der Koalition sind aber auchhandlungsfähig, was die Aufgaben angeht, die nicht imKoalitionsvertrag enthalten sind. Wir kannten sie näm-lich noch nicht, als wir die Koalition gebildet haben.Man muss es erst einmal schaffen, den Koalitionsvertrag
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Volker Kauder
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eins zu eins umzusetzen, keine neuen Schulden zu ma-chen und bei den Herausforderungen in der Welt voll da-bei zu sein und zu wissen, was man macht. Diese Koali-tion – das wird von der Opposition natürlich nichtgesagt, obwohl sie es sieht – leistet eine gute Arbeit.Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Kollegin Anja Hajduk hat das Wort zu einer
Kurzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr
Kauder, Sie haben meine Kollegin Haßelmann mit dem
Hinweis auf die Entwicklung der Investitionsquote ange-
sprochen. Ich möchte jetzt Sie ansprechen, und zwar auf
Ihren Schlusssatz, Sie wollten das anders machen und
korrigieren, was Sie noch nicht gewusst haben. Wenn ich
da anschließen darf: Kann es sein, dass Sie wirklich
nicht wissen, dass die Investitionsquote im Finanzplan
trotz der 10 Milliarden Euro, die Finanzminister Schäuble
im Streit um die Investitionssteigerung für die Jahre
2016 bis 2018 ganz clever zusätzlich im Finanzplan ver-
sprochen hat – sie sind jetzt auch darin enthalten –, wei-
ter sinkt?
Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD in der Gro-
ßen Koalition und der Fraktionsvorsitzende der CDU/
CSU in der Großen Koalition nicht wissen, dass es so ist,
dass die Investitionsquote im Finanzplan damit von über
10 Prozent auf 9,3 Prozent sinkt, dann nehme ich Sie
jetzt beim Wort: Dann ist das wieder einmal etwas, was
Sie nicht gewusst haben – Klammer auf: wovon ich aber
sage, das hätten Sie wissen können –, und dann ist das
definitiv etwas, was Sie ändern müssen. Auf, auf! Wir
werden das am Freitag so beantragen.
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Liebe Kollegin, ich bin eigentlich ein bisschen trau-
rig,
:
Oh, der Arme! – Wie schade!)
dass Sie nicht zugehört haben, was ich am Schluss ge-
sagt habe. Ich habe gesagt: Wir haben einen Koalitions-
vertrag, mit dem wir auf die Herausforderungen in unse-
rem Land reagieren. Auch Sie alle haben nicht gewusst –
das kann ich ja mit der Kollegin Beck immer wieder be-
sprechen;
darum ist es mir gegangen –, was in Russland passiert.
Oder haben Sie gewusst, dass die Russen die Krim an-
nektieren werden? Oder haben Sie gewusst, was ISIS
macht? Das waren die Aufgaben, von denen wir nichts
gewusst haben.
Jetzt zur Investitionsquote – dann sage ich das noch
einmal –: Die Investitionsquote steigt. Wenn Sie die
15 Milliarden Euro aus dem Bereich Forschung, Ent-
wicklung und Innovation berücksichtigen, zeigt sich ein
anderes Bild. Wenn Sie das nicht machen, dann haben
Sie einen altbackenen Investitionsbegriff, Frau Kollegin.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Rolf
Mützenich das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! In der Tat: Außenpolitisch betrachtet war undist 2014 – das hat die Bundeskanzlerin am Anfang ihrerRegierungserklärung hier gesagt – ein schlimmes Jahr.In Syrien werden Menschen vertrieben, tagtäglich über100, und sie werden letztlich ihrem Schicksal überlas-sen. Gerade die Nachbarländer stehen großen Herausfor-derungen in Bezug auf die Flüchtlingspolitik gegenüber.Hinzu kommt Ebola, und es gibt zahlreiche Räume derGewalt; mittlerweile kennen Generationen in ihrem un-mittelbaren Umfeld nichts anderes als Gewalt. Leiderkommen auch der Nationalismus und der Chauvinismuszurück nach Europa. Das sind bittere Tage und bittereMomente, wenn man auf die Außenpolitik schaut undversucht, darauf Antworten zu finden.Ich persönlich muss zugeben: Ich bin angesichts derBilder manchmal ratlos, und manchmal bin ich auch ver-zweifelt, nicht nur angesichts der Taten, die in der Weltzu beobachten sind, sondern auch dann, wenn ich denMenschen in den betroffenen Ländern begegne. Aber ichfinde, es gehört dazu, auch auf andere Entwicklungenhinzuweisen und das Bild etwas zurechtzurücken.Wir sehen in Tunesien eine Gesellschaft, die zumin-dest den Mut aufbringt, friedlich für einen Wandel einzu-treten.
Möglicherweise sind darunter auch Menschen, die sa-gen: Gerade jetzt muss ich anpacken. Jetzt besteht dieVerpflichtung, Vorbild zu sein, selbst als kleines Land inder arabischen Welt. – Es gibt Foren und Regionalorga-nisationen, die eben nicht auf andere warten, sondern,weil sie gemeinsame Interessen haben, versuchen, ge-meinsam etwas umzusetzen. Sie, Frau Bundeskanzlerin,haben von den Dialogforen in Asien gesprochen. Ichnenne die Entwicklung in Lateinamerika. Ich finde, auch
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Dr. Rolf Mützenich
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das, was in Afrika passiert, macht, wenn man daraufblickt, durchaus Mut. In Mexiko ertragen es die Men-schen nicht mehr, dass sie teilweise von einer Politiker-kaste geführt werden, die mit der Mafia Hand in Handgeht.Ich finde, das sind mutige Beispiele, die zeigen, dassdie Außenpolitik von Prinzipien geleitet werden muss,die sie dann auch umzusetzen hat, um die Herausforde-rungen zu bewältigen.Ich will hier einige Prinzipien nennen, die die Bun-desregierung und auch dieses Parlament, wie ich glaube,sehr klug vermitteln, womit sie der deutschen Außen-politik ein Gesicht geben:Nie allein: Das ist die Lehre aus dem verheerendenletzten Jahrhundert. Daneben werden wir mit neuenPartnern aktiv – zum Beispiel in Regionalorganisationenwie der Europäischen Union –, und außerdem gibt esneue Formate. Das erkennt man zum Beispiel daran,dass der Bundesaußenminister mit seinem französischenKollegen in die Länder reist, die von Ebola betroffensind. Es gibt deutliche Zeichen dafür, dass wir es nichtalleine schaffen. Gemeinsam können wir aber zumindesteine Perspektive aufzeigen.
Wir müssen auch immer wieder Gespräche anbieten.Wenn es beim hundertsten Mal nicht geklappt hat – dashaben Sie zu Recht angesprochen –, dann muss ich eseben noch einmal versuchen. Man muss das Gesprächsuchen und versuchen, Lösungen zu finden, weil wir an-dere Instrumente nicht zur Hand nehmen wollen oderauch nicht dürfen.Wir müssen das Völkerrecht verteidigen und uns da-bei an Regeln orientieren. Das ist kein Selbstzweck, son-dern die Regeln sind entwickelt worden, weil wir wol-len, dass alle gleichbehandelt werden und nachdenselben Instrumenten greifen. Insbesondere müssenwir die Institutionen stärken – das hat der Bundesaußen-minister in den letzten Wochen immer wieder bewiesen –und diejenigen mitnehmen, die gemeinsame Interessenmit uns teilen. Hier ragt die OSZE heute in Europa he-raus, weil sie ein Forum bietet, durch das auch anderemitgenommen werden.Wir haben bei der Aufstellung des Haushalts ver-sucht, die Mittel für all diese Dinge und die entspre-chend notwendige Arbeit zu erhöhen. Gleichzeitig dür-fen wir aber auch die Gesellschaften nicht aus dem Blickverlieren, weil die Gesellschaften heute genauso ein be-deutsamer legitimer Akteur in der Außenpolitik sind.Deswegen hat der Bundestag gesagt: Das Goethe-Insti-tut, die politischen Stiftungen und viele andere brauchenmehr Mittel; die müssen mitgenommen werden.Der Herr Kollege Kauder hat hier eben für mich sehrüberzeugend und sehr nachdrücklich gesagt: Wir brau-chen die humanitäre Hilfe, wir brauchen ein offenesLand, und wir brauchen insbesondere Mitgefühl für dieMenschen, die glauben, bei uns einen gewissen Schutzoder vielleicht sogar eine neue Heimat zu finden.Angesichts dessen bin ich schon überrascht, dass inden letzten Tagen der Begriff „Nebenaußenpolitik“ ge-fallen ist. Ich finde, die Bundeskanzlerin und der Bun-desaußenminister haben von Anfang an einen vertrau-ensvollen Ansatz gewählt.Ich kann verstehen, dass man manchmal enttäuscht istund eine entsprechende Rede hält, weil die Zusagen of-fensichtlich nicht eingehalten wurden, aber ich weise da-rauf hin: Wenn man einen solchen Begriff in den Mundnimmt, dann schafft man auch Irritationen bei unserenPartnern, weil sie vermuten könnten, dass wir einen Dis-sens in der Außenpolitik haben, und das ist sehr gefähr-lich.Ich muss bekennen, dass ich mich mittlerweile daranerinnern kann, wann der Begriff „Nebenaußenpolitik“geboren wurde, nämlich in den 70er- und 80er-Jahren,als die sozialdemokratische Partei eine Entspannungs-politik versucht hat, die mehr als Regierungspolitik be-deutete. Dieser Kampfbegriff wurde jetzt wieder einge-führt. Ich finde, wir Sozialdemokraten sind gehalten,stolz auf unseren Beitrag zur Überwindung von Konflik-ten und Gewaltursachen zu sein. Das lassen wir uns vonniemandem absprechen – egal in welcher Konstellation.
Ich füge hinzu: Wir sind stolz darauf, dass Frank-Walter Steinmeier das Gesicht und die Stimme einer so-zialdemokratischen Friedenspolitik in Europa und welt-weit ist. Vielen Dank dafür.
Gleichzeitig möchte ich daran erinnern, dass es nichtzu unseren Aufgaben gehört, in öffentlichen Interviewsüber die Ablösung von Führungskräften in Dialogforenzu diskutieren, sondern diese Aufgabe haben die Mit-gliederversammlungen dieser Institutionen. Für uns So-zialdemokraten sage ich sehr deutlich: Wir schätzen dieIntegrität und Souveränität von Matthias Platzeck. Füruns bleibt er ein herausragender und unverzichtbarer Ak-teur im deutsch-russischen Dialog.
Wenn ich sage: „Wir müssen auf der einen Seite überPrinzipien sprechen und auf der anderen Seite über un-verrückbare Wahrheiten“, dann müssen wir in der Tatklar zum Ausdruck bringen: Ohne Russland wird eineeuropäische Friedensordnung keine Gestalt und keineVerlässlichkeit annehmen, aber auch nicht ohne eineUkraine, die, demokratisch und souverän, in dieser euro-päischen Friedensordnung ihren Platz haben muss. Dasist im Grunde genommen der Kern der Politik in unse-rem Dialog.Es ist wichtig, dass wir auf der Minsker Vereinbarungbestehen. Es ist wichtig, immer wieder, auch wenn sienicht eingehalten wird, an sie zu erinnern und in dieserFrage die OSZE mitzunehmen. Ich bin dem Bundes-außenminister dankbar, dass Deutschland mit anderenPartnern, die diese Idee voranbringen wollen, eine nochstärkere Rolle in der OSZE einnehmen will. Wenn ichsage: „Wir Sozialdemokraten in dieser Großen Koalition
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Dr. Rolf Mützenich
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wollen eine europäische Friedensordnung bauen“, dannbleibt uns nichts anderes übrig, als nach gemeinsamenInteressen auch mit Russland zu suchen.Wir dürfen auch nicht verkennen: Die Vernichtungder syrischen Chemiewaffen wäre ohne den wesentli-chen Beitrag Deutschlands nicht gelungen, aber es warauch im Interesse Russlands gewesen, dass diese verhee-renden Waffen aus Syrien herausgebracht werden. Die-ses gemeinsame Interesse teilen wir genauso wie denWunsch nach erfolgreichen Verhandlungen mit dem Iranüber die Bewältigung der Atomkrise. Deswegen bin ichIhnen sehr dankbar, dass Deutschland, aber auch vieleandere Länder alles versucht haben, um bis Mitte nächs-ten Jahres einen belastbaren und für alle akzeptablenVertrag auszuarbeiten, auch für die diejenigen, die nichtmit am Verhandlungstisch sitzen.Wenn ich hier über Außenpolitik spreche, dann tunwir gut daran, zu erkennen: Nicht nur unser Blick auf diederzeitige Konfliktsituation in der Ukraine und in Russ-land definiert das Außenbild der russischen Politik in an-deren Weltregionen, sondern zum Beispiel auch in Asien– daran will ich erinnern – wird die Annexion der Krimgenauso gesehen wie bei uns: völkerrechtswidrig. Dasist für die Einhaltung internationaler Regeln verheerend.Deswegen war Russland nicht erfolgreich, im Rahmendes Treffens mit den BRICS-Staaten in Schanghai eineAnerkennung der Annexion zu erreichen. Deswegenmüssen wir nach diesen Partnern fragen, auch für unse-ren Ansatz im Zusammenhang mit der möglichen Bil-dung einer europäischen Friedensordnung.Ich sage hier an dieser Stelle: Es war auch mit Blickauf die Rolle der Atomwaffen eine wirklich schrecklicheNiederlage, dass das Budapester Abkommen verletztworden ist, weil damit den Atomwaffen wieder eineneue Rolle in der internationalen Politik zugewiesenwird.
Nicht nur das Völkerrecht ist verletzt worden, sondernRegeln, die Russland damals für die Rückgabe von1 500 russischen Atomwaffen eingegangen ist. Ich finde,es gehört mit zur Wahrheit, hier auch darüber zu spre-chen.
Herr Kollege Mützenich, Sie haben es nicht gesehen,
aber Sie haben die Chance, Ihre ablaufende Redezeit da-
durch zu verlängern, indem Sie eine Frage oder Bemer-
kung der Kollegin Marieluise Beck zulassen.
Bitte schön.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Lieber Kollege Mützenich, ich teile all Ihre Einschät-
zungen. Sie sind klar und deutlich, und wir brauchen sie
als politische Botschaften.
Sind Sie aber auch bereit, mit Ihrem Kollegen
Platzeck, der immerhin Vorsitzender der großen sozial-
demokratischen Partei gewesen ist, in eine ernsthafte
Auseinandersetzung über seine Äußerung in Bezug auf
die Annexion der Krim einzusteigen und noch einmal
deutlich zu machen, welche Tragweite eine solche Äuße-
rung für das völkerrechtliche Gefüge dieser Welt hat?
Ich berichte immer wieder von einem kleinen Erleb-
nis im Europarat: Mein ungarischer Kollege von der Job-
bik-Partei trug ein T-Shirt, auf dem vorne stand: „Die
Annexion der Krim ist legal“ und hinten: „Die Karpaten
gehören zu Ungarn“. Genau diese Entwicklung bahnt
sich in Europa an, wenn begonnen wird, über die Ver-
schiebung der Grenzen nachzudenken: Es wird dann vie-
len, gerade rechtspopulistischen und rechtsextremen
Kräften in Europa, einfallen, welche Gebiete nach ihrer
Meinung noch zu ihrem Land gehören sollten.
Darum geht es: dass wir – auch ein sozialdemokrati-
scher Kollege – uns in Deutschland klarmachen, was das
für eine Büchse der Pandora ist, und das auch – wenn ich
das noch anführen darf – gegenüber den Ländern zwi-
schen Deutschland und Russland, also Ungarn, Polen
und dem Baltikum, im Blick behalten, die in ihrer histo-
rischen DNA die Erinnerung haben, dass es Verträge
zwischen Deutschland und Russland zu ihren Lasten ge-
geben hat.
Liebe Kollegin Beck, ich hätte mich sehr gefreut,wenn Sie bei dem einen Teil Ihrer Frage geblieben wä-ren, statt dann noch Matthias Platzeck mit gewissen an-deren Parteien in Verbindung zu bringen.
Ich glaube, das wäre sehr respektvoll gewesen. Ich habedarauf hingewiesen: Gerade Matthias Platzeck ist eineintegre Persönlichkeit, über die SozialdemokratischePartei hinaus geachtet – gerade auch in seinem Bundes-land –, der sehr souverän und, finde ich, auch in der Öf-fentlichkeit korrigiert hat, was möglicherweise als Ein-druck einer einseitigen Äußerung geblieben ist. Ichfinde, er hat das am Wochenende sehr souverän ge-macht. Das sollten wir alle im Deutschen Bundestag an-erkennen. Nicht Matthias Platzeck hat die Büchse derPandora geöffnet, sondern diejenigen, die für Gewalt,Annexion und anderes an Chauvinismus und Nationalis-mus in Europa verantwortlich sind.
Ich finde, das sollten wir Sozialdemokraten auch immerwieder betonen.
Insofern glaube auch ich in der Tat: Wir sollten prin-zipienfest sein. Deswegen ist das, was ich eben im Zu-sammenhang mit dem Budapester Abkommen angespro-chen habe, eine wichtige Verpflichtung für das, was die
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Bundesregierung auch durch den Koalitionsvertrag mitauf den Weg bekommen hat, nämlich sich für Abrüstungund Rüstungskontrolle einzusetzen. Aber für uns Sozial-demokraten ist neben der Abrüstung und Rüstungskon-trolle – das wissen Sie – auch die Frage der Rüstungs-exporte von herausragender Bedeutung. Wir müssennämlich in Deutschland in einer anderen Art und Weisemit Rüstungsexporten verfahren.
In diesem Zusammenhang bin ich insbesondere demBundeswirtschaftsminister dankbar.
Ich komme zum Schluss. Für uns bedeutet eine ver-antwortliche Politik nicht mehr, aber auch nicht wenigerals das, was Willy Brandt uns mit auf den Weg gegebenhat. Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein undwerden – im Innern und nach außen. Daran werden wirmit Bedacht und Konzentration weiter arbeiten.Vielen Dank.
Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn wir in diesen Tagen und Wochen objektiv auf un-ser Land schauen, dann stellen wir fest: Deutschlandgeht es gut. Wir stehen außenpolitisch in großer Verant-wortung. Wir sind Stabilitätsanker in Europa. Wir sindwirtschaftspolitisch erfolgreich, und wir haben innen-politisch viel für den Zusammenhalt und für die Zukunftunserer Gesellschaft getan.Meine Damen und Herren, das ist die Bilanz dieserRegierung, und das ist eine Erfolgsbilanz.
Die Situation im Land gibt uns recht. Der Arbeitsmarktist stabil. Noch nie waren so viele Menschen in Beschäf-tigung, und zwar in sozialversicherungspflichtiger Be-schäftigung, wie heute. Genau deshalb können wir heutefeststellen: Der bisherige Kurs war richtig. Deshalb wer-den wir genau auf diesem Kurs weiter die Politik inDeutschland gestalten.
Zwei Merkmale prägen diesen Haushalt ganz beson-ders. Das eine ist: Wir machen keine neuen Schulden,und das ohne Steuererhöhungen. Das Zweite ist: Wir in-vestieren zielgerichtet in die Zukunft unseres Landes.Beides gehört zusammen, und beides – das zeigen unsauch Beispiele wie Bayern, wo das seit Jahren praktiziertwird – ist erfolgreich für die Menschen im Land. Siespüren es. Sie spüren es in der Arbeitsmarktentwicklungund im Bildungswesen. Sie spüren es in der gesamtenwirtschaftlichen Entwicklung und im Wohlbefinden.
Keine neuen Schulden erstmals seit mehr als 45 Jah-ren, das ist ein Meilenstein in Deutschland und einzigar-tig unter den führenden Industrienationen. Das Entschei-dende ist, dass wir dabei nicht nur den Bundeshaushaltim Blick hatten und haben, sondern in all den Jahren– genauso wie künftig – immer auch die Situation derLänder und vor allem die Situation unserer Kommunen.Es hat noch keine Bundesregierung gegeben, die so vielfür die Kommunen geleistet und sie so stark unterstützthat – angefangen mit der Übernahme der Grundsiche-rung über die Finanzierung, Förderung und Fortführungdes Kitaausbaus bis hin zum geplanten Teilhabegesetz –wie diese Bundesregierung. Das wollen wir fortsetzen.
Nun ist ein ausgeglichener Haushalt kein Selbst-zweck. Wir tun das, weil wir unsere Kinder und Enkel-kinder im Blick haben, weil wir diejenigen im Blick ha-ben, die nach uns kommen. Das Allerbeste, was wir fürdie nachkommenden Generationen und an Investitionenin die Zukunft des Landes tun können, ist, einen schul-denfreien Haushalt zu übergeben. Natürlich ist das alleseine Herausforderung für die künftigen Jahre. Das darfkein Einmaleffekt sein. So etwas darf es nicht nur imvergangenen und in diesem Jahr geben. Vielmehr musses fortgeführt werden. Das ist zweifellos keine einfacheAufgabe. Das ist eine Herausforderung für uns alle. Aberdass wir auf dem richtigen Weg damit sind, zeigen nichtnur die vorhin von mir erwähnten Beispiele in Bayern,sondern auch Äußerungen des Wissenschaftlichen Bei-rats beim Bundesfinanzministerium – das ist heute inden Zeitungen zu lesen –, der gerade diesen striktenKonsolidierungskurs, auf dem auch Investitionen getä-tigt werden, für richtig hält. Auch das sollte uns auf un-serem weiteren Kurs bestärken.
Das Ganze ist auch ein richtiges und wichtiges Signalnach Europa. Dort haben wir viel erreicht; das wurdeheute schon angesprochen. Aber nach wie vor habennoch einige Länder Hausaufgaben zu machen. Es führtkein Weg daran vorbei, dass die erste Grundlage für einegute wirtschaftliche Entwicklung gerade in den Pro-blemländern in Europa ein solider Haushalt ist. Das giltauch und gerade für unseren Nachbarn Frankreich. Ja,wir brauchen Wachstum und Arbeitsplätze, aber nichtschuldenfinanziert. Wachstum hilft nichts, wenn es aufPump finanziert wird. Es muss vielmehr immer verbun-den sein mit einem soliden Haushaltsgebaren, mit Struk-turreformen, Deregulierung und Bürokratieabbau. Dassind die Aufgaben für Europa insgesamt, und das sinddie Aufgaben auch für die europäischen Nationalstaaten.
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Gerda Hasselfeldt
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Europa ist aber nicht nur eine Wirtschafts- und Wäh-rungsunion; Volker Kauder hat das vorhin sehr eindring-lich beschrieben. Europa ist eine Wertegemeinschaft undeine Friedensordnung, wie wir uns keine bessere vorstel-len können. So richtig deutlich wird das vielleicht, wennwir versuchen, zwei Folien aufeinanderzulegen, die Fo-lie des früheren Europas mit den sich bekämpfenden undbekriegenden Nationalstaaten und die Folie des friedli-chen und kooperativen Europas unserer Tage. Ich denke,dann wird uns allen bewusst: Dieses Europa, das wirheute haben, ist das beste Europa, das wir jemals in un-serer Geschichte hatten, die beständigste Friedens- undFreiheitsordnung auf unserem Kontinent.
Diese Ordnung ist jetzt als Ganzes im Kampf gegenEbola und im Kampf gegen die Terrororganisation ISISgefordert. Sie ist gefordert bei der Bewältigung derFlüchtlingsströme, und sie ist nicht zuletzt natürlichauch gefordert beim Konflikt in der Ukraine.Da geht es um das Leben der Menschen, da geht esum die Einheit des Landes, da geht es um das Selbstbe-stimmungsrecht der Völker. In der Ukraine geht es aberauch um das Primat des Rechts als Gegenentwurf zumRecht des Stärkeren. Es geht um die europäische Frie-densordnung. Ich finde, die Bundeskanzlerin hat recht,wenn sie sinngemäß sagt, das freiheitsfeindliche Denkenin geostrategischen Einflusssphären widerspreche dia-metral unseren Werten. Das darf in der Tat keinen Platzim Europa des 21. Jahrhunderts haben.
Wir haben vielfache Kontakte mit Parlamentariern,mit Freunden aus anderen europäischen Ländern, undwir besuchen sie auch. Überall spüren wir, welch großesVertrauen dort in die Europäische Union, in die NATO,vor allem aber auch in Deutschland und im Besonderenin die Bundeskanzlerin gesetzt wird. Deshalb ist es beiall diesen Fragen ganz besonders wichtig, dass wir ge-schlossen auftreten, geschlossen in Europa, geschlossenin der NATO, dass wir auch geschlossen den Gesprächs-faden nicht abreißen lassen, sehr wohl aber auch klareKante bei den Sanktionen zeigen, und dass wir auch in-nerhalb der Großen Koalition geschlossen auftreten. Ichmöchte Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und dem Bundes-außenminister für diese Geschlossenheit auch von mei-ner Seite aus meine Anerkennung und meinen Dank aus-sprechen.
Wir verschließen natürlich auch nicht die Augen voranderen Krisenherden in der Welt. Wir haben dafür dieMittel für Hilfsmaßnahmen, für die humanitäre Hilfeaufgestockt. Auch dafür gebührt dem Finanzminister,aber auch dem Entwicklungshilfeminister und dem Au-ßenminister ein herzlicher Dank. Das ist ein ganz wichti-ges Signal für die Menschen in den Krisenregionen, da-mit sie dort mit ihren Sorgen und Schwierigkeiten besserzurechtkommen, ja, zum Teil überhaupt erst zurecht-kommen.Dann haben wir auch bei uns die große Herausforde-rung der Flüchtlingsströme zu bewältigen. Die ersteAufgabe ist, die Flüchtlinge gut unterzubringen. LieberHerr Hofreiter, da muss ich schon sagen: Sie kennen dieSituation in Bayern offensichtlich nicht, auch nicht dieUnterstützung des Freistaats Bayern für die Kommunenin dieser Frage. Bayern bezahlt den Kommunen wiekaum ein anderes Land 100 Prozent der Kosten. InNordrhein-Westfalen sind es gerade einmal 20 bis30 Prozent. Das ist die reale Lage.
Wir lassen die Kommunen und die Länder auch künf-tig nicht im Stich. Wir haben zwei Gesetze im Bundesratin dieser Woche zur Beratung, das Asylbewerberleis-tungsgesetz und das Freizügigkeitsgesetz, in denen wie-derum Hilfen für die Kommunen enthalten sind. Der Fi-nanzminister hat verfügt, dass die Bundesliegenschaften,die von der BImA verwaltet werden, kostenlos fürFlüchtlingsunterkünfte zur Verfügung gestellt werden,und er hat auch zugesichert, dass zusätzliche Hilfe ge-leistet wird, wenn sie notwendig ist. Das ist eine großar-tige Bereitschaft der Länder, der Kommunen und desBundes und vieler ehrenamtlicher Helfer, die uns dabeiunterstützen und deren Hilfe einmal gewürdigt werdenmuss.
Die Konflikte und Krisen haben natürlich Auswirkun-gen auf die wirtschaftliche Lage bei uns. Nach einem gu-ten Start Anfang des Jahres 2014 hat die Konjunktur nuneinen kleinen Dämpfer erhalten. Krisenherde, Problemeim Euro-Raum und die weltwirtschaftliche Entwicklungsind die Hauptgründe dafür. In so einer Zeit ist es ganzbesonders wichtig, verlässliche Politik zu machen. Vordiesem Hintergrund der verlässlichen Politik ist auchwieder die solide Haushaltspolitik ein ganz wichtiges Si-gnal.Ein Zweites ist aber, dass wir alle miteinander Sorgedafür tragen müssen, die Wettbewerbsfähigkeit unsererWirtschaft nicht zu beeinträchtigen, dass wir Sorge dafürtragen müssen, unnötigen Ballast für unsere Unterneh-men zu vermeiden. Angesichts dessen begrüße ich auchdas, was der Wirtschaftsminister mit Blick auf den Büro-kratieaufwand an Vereinfachungsmöglichkeiten vorge-legt hat. Ich hoffe sehr, dass es diesbezüglich in dennächsten Monaten zu Kabinettsentscheidungen und zurRealisierung kommt. Das ist auf jeden Fall der richtigeAnsatz. Damit wir uns auch darüber im Klaren sind: Einfalscher Ansatz wäre in jedem Fall gewesen, so etwaswie eine Anti-Stress-Verordnung zu machen.
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Gerda Hasselfeldt
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Wir haben gestern Abend nicht zuletzt auch vor die-sem Hintergrund über die Frauenquote gesprochen. Ichsage Ihnen hier ganz deutlich: Ich stehe zur Frauenquote.Wir haben das nach langen und intensiven Diskussionenvereinbart. Ich bin bekannt dafür, im eigenen Verantwor-tungsbereich Frauen zu fördern, und bin ohnehin derMeinung, dass jedes Gremium besser arbeitet, wennFrauen und Männer dabei sind.
Ich war lange genug alleine in Männergremien und warauch einige Jahre in manchen reinen Frauengremien. Ichweiß also schon, wovon ich rede.Nur, wenn wir das machen, dann muss es natürlichauch vernünftig sein. Es ist ja nicht nur eine Seite davonbetroffen. Es sind übrigens nicht alle Frauen betroffen,sondern es ist nur ein ganz kleiner Teil. Aber das hat eineSignalwirkung; da dürfen wir gar nichts wegreden. Des-halb haben wir dafür gesorgt, dass das Ganze praxisnahgestaltet wird, dass Berichtspflichten etwas entschärftwerden und das Ganze auch auf einer rechtlich sauberenBasis steht. Der Kompromiss, der heute Nacht gefundenwurde, ist meines Erachtens ein guter Kompromiss, überden wir uns alle gemeinsam freuen können und an des-sen Realisierung wir im Gesetzgebungsverfahren kon-struktiv mitwirken sollten.
Eine gute weitere wirtschaftliche Entwicklung hängtnatürlich mit Investitionen zusammen. Das wurde vorhinmehrfach angesprochen. Deshalb kann ich diesen Partganz kurz machen. Ich will nur von meiner Seite nocheinmal betonen: Wenn wir über die Investitionsquote re-den, dann gehören immer auch die Investitionen in un-sere Kinder und Jugendlichen,
Investitionen in Bildung, Forschung, Innovation mitdazu. Da, meine Damen und Herren, haben wir in denvergangenen Jahren so viel Gutes geleistet. Wir habenseit 2005 die Ausgaben des Bundes für Forschung undEntwicklung verdoppelt. Wir haben im vergangenenJahr beschlossen, schon ab dem nächsten Jahr die Aus-gaben im Rahmen des BAföG ganz zu übernehmen.Aber da muss man schon auch die Hoffnung ausspre-chen dürfen, dass die Länder die dadurch freiwerdendenMittel ausschließlich für Bildung, Hochschule und For-schung ausgeben.
Zur Bildung gehört aber nicht nur die Universitätsbil-dung, sondern auch die betriebliche Bildung, das dualeBildungswesen.
Deshalb will ich gerade bei dieser Gelegenheit sagen:Immer wieder, wenn wir in Europa unterwegs sind, spürtman, dass das ein Exportschlager von uns ist. Das solltenwir auch hochhalten. Das Leben beginnt nicht erst mitdem Abitur oder gar erst mit dem Studium. Es kommtauf die Ausbildung jedes einzelnen Menschen nach sei-nen eigenen Talenten an.
Bei den Themen Infrastruktur und Investitionen darfder Verkehr nicht fehlen. Da darf die Infrastruktur für dieBreitbandversorgung nicht fehlen. Ich möchte neben den5 Milliarden Euro, die in dieser Legislaturperiode zu-sätzlich dafür ausgegeben werden, und neben den10 Milliarden Euro, die von 2016 bis 2018 – das ist vor-hin ja schon angesprochen worden – insbesondere für In-vestitionen zusätzlich ausgegeben werden, nicht uner-wähnt lassen, dass die Maut dazu auch einen Beitragleisten wird.
Dass der Vorschlag des Bundesverkehrsministers eu-roparechtskonform ist, dass er keinen deutschen Auto-fahrer zusätzlich belastet, dass er auch noch zusätzlichGeld bringt, welches ausschließlich für Investitionen indie Verkehrsinfrastruktur verwendet werden darf, zeigt,meine Damen und Herren: Das ist ein kluges Vorgehen,ein Zeichen dafür, dass wir noch in der Lage sind, fürGerechtigkeit im Land und für eine saubere Finanzie-rung unserer Infrastruktur zu sorgen.
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt setzt dierichtigen Prioritäten ohne neue Schulden, ohne neueoder höhere Steuern, mit kraftvollen Zukunftsinvestitio-nen. Das ist der richtige Weg, und deshalb werden wirdiesem Haushalt auch zustimmen.
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gestern konnte ich hier darüber reden, dassdieser Haushalt keine neuen Schulden braucht, dass daseine gute Sache ist, aber nur dann, wenn „keine neuenSchulden“ auch für die Jahre 2016, 2017, 2018, 2019,2020 ff. gilt. Wir müssen unsere Haushalte also dauer-haft so aufstellen. Ich glaube, dass man das nicht verges-sen darf.Viele Redner haben hier heute gesagt: Keine Schul-den machen ist das eine, Investieren ist das andere. In-vestieren, das tun wir auch. Ich spreche hier jetzt als Be-richterstatter über einen Teilbereich des Einzelplans 04,über die Kultur. Gemeinschaftlich, wie wir hier sitzen,haben wir es geschafft, dafür zu sorgen, dass in den Be-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6527
Johannes Kahrs
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reich Kultur investiert wird. Das ist zum Beispiel VolkerKauder zu verdanken; er hat seinen Beitrag dazu geleis-tet. Es ist außerdem Steffen Kampeter und WolfgangSchäuble zu verdanken. Insbesondere möchte ich auchder Staatsministerin Grütters und natürlich den Arbeits-gruppen Haushalt danken. Sie haben das Ganze mitge-tragen. Thomas Oppermann, ohne deinen Rückhalt inder SPD wäre das ebenfalls nicht möglich gewesen.Man sieht, Kultur ist etwas, was eigentlich immer einbisschen mitschwimmt und eine große Unterstützungbraucht, um so nach vorne zu kommen, wie es hier ge-schehen ist. Deswegen kann man sagen: Wir als Parla-ment haben auf den Etat mehr als 100 Millionen Eurodraufgelegt. Ich glaube, wir haben hier gemeinsam guteEntscheidungen getroffen. Wir haben uns verpflichtet,weitere 280 Millionen Euro in den Folgejahren auszuge-ben. Ich glaube, hiermit haben das Parlament, der Bun-destag und insbesondere der Haushaltsausschuss ge-zeigt, dass wir als Parlamentarier die Dinge umsetzen,die im Koalitionsvertrag stehen, wenn es die Regierungselber nicht tut. Insofern noch einmal ganz herzlichenDank allen, die daran mitgewirkt haben!Eine Bitte habe ich allerdings an das Finanzministe-rium und an Frau Staatsministerin Grütters im Hinblickauf die Aufstellung des Haushalts des nächsten Jahres.Das alles ist jetzt vielleicht ein bisschen langweilig, aberin der Sache wichtig: Bei der Anpassung der Tarife vonZuwendungsempfängern der Staatsministerin für Kulturgibt es unterschiedliche Empfängerbereiche, die unter-schiedlich unterstützt werden. Das führt dazu, dass wirzwar jetzt für 2015 16 Millionen Euro für Tarifsteige-rungen bereitstellen werden; davon betroffen ist aber nurein kleiner Teil, nämlich die Menschen, die in dem Teildes Kulturbereichs unterwegs sind, der institutionellvom Bund unterstützt wird. Das ist zu wenig. Es gibtganz viele andere, die davon nicht profitieren.Für die Zuwendungsempfänger ist das seit 2012 dieerste Tarifsteigerung. Das gilt aber nur für die, die insti-tutionell gefördert werden, die sich an dem Tarifvertragdes öffentlichen Dienstes ausrichten. Viele andere, etwadie, die Hausverträge haben, wie zum Beispiel die Deut-sche Welle, quasiinstitutionelle Zuwendungsempfängeroder Einrichtungen, die projektgefördert werden, be-kommen seit über zehn Jahren keine Kompensation fürGehaltserhöhung. Das sind Tausende in diesem Land.Es kann nicht sein, dass es im Kulturbereich Men-schen erster und zweiter Klasse gibt: die einen im öffent-lichen Dienst, die jedes Jahr eine Tariferhöhung bekom-men, und die anderen, die nicht mehr Geld bekommen.Deswegen meine Bitte an das Finanzministerium, an Sie,Frau Staatsministerin Grütters, das als Punkt Nummereins bei den Haushaltsaufstellungen 2016 zu berücksich-tigen, damit die Menschen, die Kultur machen und Kul-tur umsetzen, auch anständig bezahlt werden.
Neben diesem, wie ich zugeben muss, sehr sozialde-mokratischen Punkt ist es uns gemeinschaftlich aberauch gelungen, ein weiteres Projekt umzusetzen. Wir alsParlamentarier haben uns seit Jahren angeguckt, dass daetwas nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen.Zum Museum für zeitgenössische Kunst in Berlin, demsogenannten Museum der Moderne, hat es viele Ver-handlungen gegeben, bis wir als Parlament gesagt ha-ben: Jawohl, das muss kommen; so kann es nicht weiter-gehen. – Dann haben wir als Parlament das beschlossen.Das ist ein Parlamentsprojekt ersten Ranges.Ich glaube, dass es gut ist, dass man die jahrelangenDiskussionen beendet hat, dass man für die SammlungenPietzsch, Marx und Marzona hier einfach einmal einenSchritt nach vorn gemacht hat. Werke im Wert von deut-lich über 1 Milliarde Euro sind da der Öffentlichkeit zurVerfügung gestellt worden. Dafür braucht man eine Aus-stellungsmöglichkeit. Dafür, dass das geklappt hat, nocheinmal vielen Dank an die Fraktionsvorsitzenden, an dieSprecher und die Arbeitsgruppen! Das ist wirklich wich-tig.Weil es ein Parlamentsprojekt ist, haben wir die Mit-tel erst einmal gesperrt. Wir werden das Projekt als Par-lament in den nächsten Jahren begleiten. Ich glaube, dasses ein wichtiges Projekt ist, mit dem man zeigen kann,dass man sich als Parlament für ein Projekt, für das manmit Herzblut steht, engagieren kann. Die gute Zusam-menarbeit zwischen dem Haushaltsausschuss, dem Kul-turausschuss und der Staatsministerin ist wichtig, damitwir das gemeinschaftlich über alle Hürden bringen.Weiterhin ist es uns gelungen, ein Denkmalschutz-Sonderprogramm hinzubekommen, mit dem man fürHunderte von Projekten in der Fläche Deutschlands et-was tun kann. Weil das in den Kommunen, in den Städ-ten und Gemeinden, nicht immer so funktioniert, weilkein Geld da ist, beteiligt sich der Bund anteilig.
Auch das ist etwas, für das sich viele Kollegen in diesemHaus engagiert haben. Mein ganz herzlicher Dank dafür,dass die Kollegen sich in der Fläche für den BereichDenkmalschutz engagieren! Das ist etwas, das uns gutansteht. Das prägt die Geschichte, das prägt auch dieOrte. Da tun wir etwas Gutes.Das Bauhaus feiert im Jahr 2019 sein 100-jähriges Ju-biläum. Wir tun jetzt sehr viel für die Standorte Berlinund Dessau – für Weimar haben wir schon etwas getan –:In Berlin wird das Bauhaus-Archiv grundsaniert, und esbekommt einen Anbau; in Dessau wird gebaut. Ichglaube, dass auch das ein Zeichen ist, dass man sich alsParlament richtig engagieren kann und etwas tun muss.
Dieser Koalitionsvertrag zeigt viele Punkte auf, diewichtig sind, zu denen wir als Parlament jetzt gesagt ha-ben: Man kann da nicht ewig auf die Regierung warten. –Man muss sich das Residenzschloss in Dresden, dasDeutsche Romantik Museum in Frankfurt und das Tanz-zentrum Pina Bausch in Wuppertal ansehen. Wenn mansich anguckt, was zum Beispiel die Kulturstiftung desBundes oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz leis-
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Johannes Kahrs
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ten, dann weiß man, dass hier viel getan wird. Noch ein-mal mein ganz herzlicher Dank an alle Beteiligten, aberganz besonders an den Hauptberichterstatter RüdigerKruse! Rüdiger, die Zusammenarbeit mit dir ist vorzüg-lich. So kriegt man das hin!
Anja Hajduk von den Grünen, es war eine wunderbareZusammenarbeit. Ich glaube, das ist ein Dream-Team,und das funktioniert.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istjetzt gar nicht so leicht, nach diesem Abschluss vomKollegen Kahrs in die richtige Oppositionsgeste zu ver-fallen.
Aber reden wir darüber, was bei der Beratung des Kul-turetats stattgefunden hat!Dazu möchte ich sagen – da brauche ich mein Rede-manuskript auch gar nicht zu ändern –, dass der Haus-haltsausschuss hier wirklich sehr gestaltend eingreift –zur Unterstützung der Zielsetzungen des Kulturaus-schusses und auch der Staatsministerin für Kultur. DieseGestaltungskompetenz muss man einmal sehen. Bei ei-nem Haushalt, den wir weiter ausgeglichen halten wol-len – das ist auch die Zielsetzung von uns Grünen –, für2015 100 Millionen Euro zusätzlich und mit Blick aufdie Finanzplanperiode noch einmal 280 Millionen Eurobereitzustellen, das ist schon eine sehr beachtliche Leis-tung.Ja, wir Grünen finden, dass das richtige Entscheidun-gen sind; an einigen Beispielen will ich das deutlich ma-chen. Dem Projekt „Museum der Moderne“ in Berlinwird jetzt eine wirkliche Zukunft gegeben. Damit wirdnicht nur wertvolle Kunst der Neuen Nationalgalerie ausdem Depot befreit und damit zugänglich gemacht, son-dern auch für die ausgesprochen wertvolle Schenkungdes Ehepaars Pietzsch ein Ausstellungsort geschaffen.Damit wird eine Zusage gemacht und erreicht, dass dieSchenkung nicht widerrufen wird. Allerdings – das willich hier deutlich sagen – hat meine Fraktion den An-spruch, dass wir das Wie der Umsetzung – da wird auchvon einem PPP-Projekt gesprochen – bis hin zur Stand-ortfrage noch einmal sehr intensiv beraten. Wir habenjetzt erst einmal die Mittel grundsätzlich bereitgestellt.Über das Wie wird noch ordentlich zu diskutieren sein.
Wir Grüne sind froh – wir haben in den Beratungensehr darauf gedrungen –, dass es eine definitive Antwortauf die Frage der Finanzierung des Bauhaus-Jubiläumsgibt. Das Land Sachsen-Anhalt hatte für den StandortDessau Mittel in den Haushalt eingestellt. Dort hat mandarauf gewartet, zu erfahren, wie es um Mittel vomBund steht. Entsprechende Mittel waren vorher nicht imHaushaltsplan des Bundes enthalten. Es ist richtig, dasswir das jetzt umsetzen. Insofern gibt es an dieser Stelleeine gute interfraktionelle Zusammenarbeit; das gilt füralle Fraktionen, die hier Berichterstattung für den Be-reich Kultur machen.
Ich kann auch sagen: Die interfraktionelle Zusam-menarbeit ging so weit, dass die Große Koalition Ak-zente aufgenommen hat, die wir gesetzt haben;
das geht von der Förderung von kreativen Szenen bis hinzur Soziokultur. Das halte ich durchaus für eine an dieserStelle von meiner Seite zu erwähnende Praxis; denn wirhaben nicht immer die Kraft dazu, gemeinsam die Re-gierung zu korrigieren. Ich würde mir das auch bei ande-ren Etats wünschen; aber beim Kulturetat klappt das bes-tens. Auch die Digitalisierung des Filmerbes ist einThema, bei dem wir gemeinsam eine Steigerung derMittel verabredet haben; das entspricht einer Antragstel-lung von uns, aber auch von Ihnen. So weit, so gut.
Wir haben aber auch Differenzen. Frau Staatsministe-rin, ich möchte Sie ausdrücklich auffordern, beimThema „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ klarund verantwortungsvoll zu agieren, wenn sich jetzt dortdoch zeigt, dass sich mit der Personalie des DirektorsProbleme verbinden. Sie wissen, wir sind Kritiker derjetzigen Konzeption dieser Stiftung. Wir fühlen uns inunserer Kritik sehr bestätigt, wenn der Direktor den Be-raterkreis nicht in geeigneter Form miteinbezieht, son-dern da auf eine ganz eigene Weise agiert. Ich erwartevon Ihnen, dass Sie da Konsequenzen ziehen und überle-gen, ob da nicht früher in Ihrem Haus falsche Personal-entscheidungen getroffen wurden.
Wir werden deswegen weiterhin die Streichung der ent-sprechenden Mittel fordern, solange da nicht ganz an-dere Perspektiven eröffnet werden.Ich möchte auf ein aktuelles Beispiel zu sprechenkommen: die Entwicklung des Humboldt-Forums. BeimHumboldt-Forum treten wir ein schwieriges Erbe an.Frau Staatsministerin, ich weiß, dass Ihre Präferenzen,wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten, da vielleichtanders wären. Aber ich mache mir ein bisschen Sorgen,wie jetzt die Zukunft aussehen wird. Die Situation stellt
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Anja Hajduk
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sich schwierig dar, was den Eingang der Spenden an-geht. Ich finde, wir dürfen nicht nachlassen und einfachakzeptieren, dass da jetzt viel weniger Spenden als ver-sprochen eingehen,
und das mit Steuermitteln kompensieren. Das kann’snicht sein.
Und es kann auch nicht sein, dass sich das Land Berlinjetzt einfach nur vom Acker macht. Bestimmt ist es nichtimmer leicht, mit den Berlinern, mit der Berliner Admi-nistration, zu kooperieren. Aber wir können nicht ein-fach in Aussicht stellen, dies mit sage und schreibe80 Millionen Euro Steuermitteln aus dem Etat des Bun-des zu kompensieren. Bleiben Sie hart in diesen Ver-handlungen! Wir werden Sie daran messen und dannauch unsere Oppositionsrolle sehr entschieden wahrneh-men.Schönen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Ulrike
Gottschalck das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsi-dentin! Wir haben es gehört: Die wirtschaftliche Situa-tion in Deutschland ist gut. Das Wirtschaftswachstum istzwar etwas schwächer als angenommen, aber wir habenweiter Wachstum. Das ist gut. Diese Große Koalition ar-beitet dafür, dass diese wirtschaftliche Stärke dauerhafterhalten bleibt.In dieser Woche werden wir einen Haushalt ohneNeuverschuldung beschließen. Darauf können wir alle– ich denke, auch die Opposition ein Stück weit – stolzsein.
Wir wollen keine Politik zulasten der künftigen Gene-rationen, und wir wollen die staatliche Handlungsfähig-keit erhalten. Handlungsfähig müssen aber auch dieKommunen bleiben. Sie stehen vor enormen Herausfor-derungen wie der demografischen Entwicklung und demErhalt der Infrastruktur, und damit meine ich ausdrück-lich auch die soziale Infrastruktur in den Kommunen.Im Vorgriff auf das Bundesteilhabegesetz werden dieKommunen um 1 Milliarde Euro pro Jahr entlastet. DieKosten der Grundsicherung haben wir bereits komplettübernommen. Das macht sich ganz konkret in den Haus-halten der Sozialhilfeträger positiv bemerkbar.Aktuell stehen die Kommunen durch die drastischsteigenden Flüchtlingszahlen erneut unter enormemDruck. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die men-schenwürdige Unterbringung der oft traumatisiertenFlüchtlinge für uns alle oberste Priorität haben muss.
An dieser Stelle will ich ausdrücklich den Landrätin-nen und den Landräten, den Bürgermeisterinnen und denBürgermeistern, aber insbesondere auch den vielen eh-renamtlichen Helfern in den Kommunen danken, die da-für sorgen, die sich dafür abrackern,
dass die Flüchtlinge gut untergebracht werden. Sie sor-gen dafür, dass sich die Flüchtlinge in unserem Landherzlich willkommen fühlen. Das sollte einen Applauswert sein.
Langsam geht den Kommunen jedoch die Puste aus.Deshalb ist es gut, dass sich die Spitzen von SPD undCDU/CSU gestern Abend auf weitere Entlastungen fürdie Kommunen verständigt haben. Bund und Ländermüssen selbstverständlich ihrer Verantwortung im Rah-men ihrer Zuständigkeit gerecht werden.Der Bund hat schon vieles auf den Weg gebracht. Beiden Ländern sehe ich an einigen Stellen noch Luft nachoben. Ich muss der Kollegin Hasselfeldt recht geben:Bayern ist wirklich vorbildlich bei der Unterbringungvon Flüchtlingen. In Hessen dagegen, wo Grüne mitre-gieren, gibt es keine verlässliche Finanzierung für dieFlüchtlingsunterbringung. Die Kommunen müssen dasirgendwie schultern. Man muss also immer vorsichtigsein mit seinen Äußerungen.Die ordentliche Finanzausstattung in den Kommunenmuss sichergestellt werden. Hier sind auch die Ländergefordert. Ich weise noch einmal auf den sozialenSprengstoff hin. Wenn wir Extremismus nicht bekämp-fen, wenn wir ihm nicht die Stirn bieten, dann erhaltenextreme Rattenfänger wieder die Stammtischhoheit. Wirmüssen aufpassen, dass es zu keinen komischen Ent-wicklungen kommt. Ich bin daher sehr froh, dass wirdurch die Bereitstellung weiterer 10 Millionen Euronoch mehr Programme gegen Extremismus auf den Wegbringen können. Das hilft auch den Kommunen weiter.Danke!
Viel Gutes leisten auch die Jugendmigrationsdienstein den Kommunen und die Migrationsberatung für er-wachsene Zuwanderer. Für die Jugendmigrationsdienstehaben wir 1 Million Euro draufgesattelt, 8 MillionenEuro mehr für die Migration von Erwachsenen. Das istgut investiertes Geld. Die Migrationsdienste leistenwichtige Hilfestellung, um keinen Menschen zurückzu-
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Ulrike Gottschalck
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lassen und um die vielen jungen Menschen, die zu unskommen, aufzufangen. Vielen Dank dafür!
Wir investieren in viele Bereiche: in Bildung, in For-schung, in Entwicklung und in Infrastruktur. Wir dürfenauch nicht nachlassen. Unsere Volkswirtschaft darf nichtins Stottern geraten. Im Übrigen: Von der Frauenquotewird sie auch nicht ins Stottern geraten. Im Gegenteil: Eswird die Wirtschaft beflügeln, wenn wir angestaubteRollenbilder über Bord schmeißen. Gerade die Quer-schüsse der letzten Tage haben noch einmal verdeutlicht,dass wir klare Regeln brauchen, um alte, männlich domi-nierte Strukturen aufzubrechen.
Vor Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren,steht eine stolze Großmutter von sechs Enkelinnen –; al-les Mädels, jede Menge Frauenpower.
Deshalb habe ich große Erfahrungswerte. Ich weiß, wieschwierig es ist, den ganz normalen Alltagswahnsinn un-ter einen Hut zu bekommen. Aber jede Familie ist an-ders. Jede Familie braucht andere Rahmenbedingungen,die zu ihren Vorstellungen passen. Deshalb haben wirschon viele Initiativen auf den Weg gebracht wie das Fa-milienpflegezeitgesetz oder das Elterngeld Plus, das unsim Übrigen lieb und teuer ist; denn es ist ein richtiges In-strument, um Familien zu unterstützen.Aber wir müssen weiter prüfen: Wie können wir Fa-milien noch viel besser unterstützen? Ein Beispiel ist dieFamilienarbeitszeit, die von Manuela Schwesig vorge-schlagen wurde. Oder aber auch: Wie bekommen wirden weiteren Kitaausbau geschultert? Dort sind weitereInvestitionen nötig. Wo soll zum Beispiel die Kassiere-rin, eine alleinerziehende Mutter, die abends an derKasse im Lidl sitzt, ihr Kind unterbringen? Wo wird esin guter Qualität versorgt? Oder wo bringen die Polizei-beamtin und der VW-Arbeiter, beide mit unterschiedli-chen Schichtzeiten, ihr Kind unter?Ich kündige jetzt schon einmal an: Wir müssen sehrgenau aufpassen, dass von den guten Investitionen, diewir im Haushaltsausschuss beschlossen haben, auch or-dentlich etwas in Bildung, frühkindliche Bildung und indie Jugend fließt. Das ist gut angelegtes Geld. Ansonstenblicke ich sehr zufrieden auf die Haushaltsberatungensowie auf ein Jahr Große Koalition zurück.
Wir haben schon viel erreicht, aber wir müssen noch einwenig Gas geben, um noch mehr zu erreichen. Also pa-cken wir es an, es gibt noch viel zu tun!Vielen Dank.
Die Kollegin Sigrid Hupach hat für die Fraktion Die
Linke das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Ich gratuliere Ihnen, Frau Staatsministerin,dass Sie uns heute einen Kulturhaushalt für 2015 vorle-gen, der ungekürzt blieb und sogar um 118 MillionenEuro erhöht wurde. Herzlichen Glückwunsch dazu!
Das ist angesichts des Dogmas der schwarzen Null indiesem Hause nicht hoch genug einzuschätzen. Aber ge-rade deshalb frage ich: Wozu, wofür werden die unterschwierigen finanziellen Bedingungen gewonnenen Mit-tel ausgegeben? Ich stelle fest: nicht für die Digitalisie-rung des kulturellen Erbes. Hier haben wir zwar seit demSommer eine Digitale Agenda, konkrete Handlungsab-sichten aber fehlen.Besonders deutlich wird das beim Thema Filmerbe.Die Stiftung Deutsche Kinemathek veranschlagt hier denBedarf für die nächsten zehn Jahre mit 100 MillionenEuro. Im Haushalt findet sich hierfür nur 1 Million Euro.Nur zum Vergleich: Frankreich, unser Nachbarland, hatfür einen Zeitraum von sechs Jahren insgesamt 400 Mil-lionen Euro eingestellt. Die Zeit aber drängt; denn dasFilmmaterial zerfällt in rasantem Tempo. Ein runderTisch mit den Ländern allein hilft hier nicht weiter. DieDigitalisierung des Filmerbes ist eine originäre Aufgabedes Bundes.
Wir brauchen fachgerecht ausgestattete Depots, einenKriterienkatalog für die vorrangige Digitalisierung undIdeen zur Langzeitarchivierung.Deutschland liegt hier inzwischen im europäischenVergleich weit zurück. Da hilft auch das VorzeigeprojektDeutsche Digitale Bibliothek wenig, für dessen dringendnotwendigen Ausbau sich im Haushalt keine adäquatenMittel finden. Wir brauchen keine weiteren Ankündi-gungen. Was wir brauchen, ist eine nationale Digitalisie-rungsstrategie,
untersetzt mit einem Sonderprogramm von 30 MillionenEuro. Die Linke fordert dies seit Jahren. Stattdessen ge-ben Sie Jahr um Jahr Millionen für die Stiftung Flucht,Vertreibung und Versöhnung aus, der es bis heute nichtgelang, die lang geplante Dauerausstellung umzusetzen.Mit einem Stiftungsrat ohne Vertreter des Zentralratesder Juden in Deutschland, mit einem wissenschaftlichenBeirat ohne Vertreter der Sinti und Roma widersprichtdiese Institution eindeutig ihrem Stiftungszweck.
Dazu kommt der aktuelle Ausstellungsskandal umStiftungsdirektor Manfred Kittel, einen Mann, der die
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Sigrid Hupach
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NS-Vergangenheit von Vertriebenen-Funktionären be-schönigt und immer wieder von der Versöhnung derDeutschen als Aufgabe der Vertriebenenstiftung spricht.Mit diesem Direktor kann die Stiftung der wissenschaft-lich fundierten Darstellung weltweiter Geschichte des20. Jahrhunderts nicht dienen.
Wie lange wollen Sie diese Bundesstiftung gegenüberder Öffentlichkeit noch vertreten und finanzieren?2,5 Millionen Euro kostet uns dies jährlich. Spätestensjetzt endet das Lob für den Kulturhaushalt; denn mit die-sen Millionen ließe sich wahrlich Besseres für die Kulturin unserem Lande bewirken.Ein Beispiel dafür ist die Filmförderung, die Sie im-mer weiter heruntersparen. Die massiven Kürzungen indiesem Bereich sind eine schwerwiegende Fehlentschei-dung.
Daran ändert auch nichts, dass der Deutsche Filmförder-fonds durch den Deal mit Herrn Schäuble zumindest fürdiese Legislaturperiode gesichert zu sein scheint.Der Deutsche Filmförderfonds hat sich in den vergan-genen Jahren als eine höchst effektive Branchenförde-rung erwiesen. Gäbe es ihn nicht, würden viele Produk-tionen nicht in Deutschland, sondern im Auslandstattfinden. Das kann nicht der Wille der Koalition sein.Wille der Linken ist es definitiv nicht.
Denn Abwanderung bedeutet auch Abbau von regiona-len Arbeitsplätzen und weniger Arbeitsmöglichkeitenfür deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler, Sze-nenbildnerinnen und Szenenbildner, Künstlerinnen undKünstler oder Cutterinnen und Cutter. In der Filmbran-che gibt es die Faustregel, dass 1 Million Euro Filmför-derung Investitionen in Höhe von 4 bis 6 Millionen Euronach sich zieht. Und: 1 Million Euro Filmförderungbringt laut einem aktuellen Gutachten 1,8 MillionenEuro an Steuereinnahmen. Deshalb fordert die Linkenicht nur eine Verstetigung, sondern auch eine Aufsto-ckung um 20 Millionen wieder auf 70 Millionen Euro,wie es 2013 der Fall war.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf das heuteschon vielfach angesprochene FreihandelsabkommenTTIP eingehen. Die Linke beobachtet die Verhandlun-gen nach wie vor mit großer Sorge, da sie auch den kul-turellen Bereich betreffen. Wie sicher, Frau Grütters,können Sie sich denn sein, dass eine Generalklausel inder Präambel des Mandatstextes eine Schutzfunktion fürdie Kultur hat? Wie bindend kann eine Generalklauselfür alle Kapitel des Abkommens sein? – Wir fordernnach wie vor einen Stopp dieser Verhandlungen und einekonsequente Herausnahme von Kultur und Medien ausdem Verhandlungsmandat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren!Gloria sei dir gesungen. Mit Menschen- und mit Engelszungen.Das war zumindest ein Liedtext heute Morgen in der An-dacht. Gemeint waren allerdings nicht die Haushaltsbe-ratungen. Haushalt ist Menschenwerk
– das sagt ein Haushaltspolitiker ganz sachlich und„down to earth“ –, aber zu loben ist es, und das wird jaauch mit Menschenzungen getan.Was gelobt wird und was gelobt werden sollte, istnicht die Tatsache, dass wir die Normalität erreicht ha-ben; also nicht die Normalität ist zu loben – das tut manja auch nicht –, sondern die Rückkehr zu dieser, welcheübrigens sehr lange gedauert hat. Es war ein langer Wegvon der Normalität, wie man Haushalte machen sollte,bis wir dann über die Einsicht und in den letzten Jahrenüber sehr intensives Bemühen an das Ziel gelangt sindund nun einen entsprechenden Haushalt vorlegen.Der besondere Charme dieses Haushaltes ist einfach,dass er auch die Zukunft zwingt. In der Vergangenheitwäre es so gewesen: Wenn man bei einem Ziel, nur20 Milliarden neue Schulden zu machen, bei 20,1 Mil-liarden gelandet wäre, hätte keiner etwas gesagt. Ichkann mir aber nicht vorstellen, dass jetzt einer von unsauch nur 100 Millionen Euro auf die schwarze Null inRot drauflegen möchte. Das ist die große Leistung, unddafür gilt dem Bundesfinanzminister und allen Parla-mentariern Dank. – Jetzt darfst du klatschen, Johannes.
– Ich bin noch nicht so ganz bei den Müntefering-Sät-zen; da ist das einfacher.Das Parlament hat ja immer die Chance, den Regie-rungsentwurf zu verändern. Man kann ihn verbessern,man kann ihn auch verschlimmbessern. Die Leiden-schaft könnte ja auch sein, einfach überall etwas drauf-zulegen. Die Gefahr, die bei dem Diktat der schwarzenNull gesehen worden ist, war, dass wir gar nichts mehrtun können. Die jetzigen Haushaltsberatungen habenaber gezeigt, dass man beides machen kann, dass manDinge, die man vorher vielleicht nicht gesehen hat, nichtsehen konnte, aufgreifen kann und dass man handelnkann.Ich denke nur an das Thema Flüchtlinge. Es ist richtigumgesetzt worden.
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Rüdiger Kruse
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Ich denke daran, dass wir als Parlament schon bei denletzten Haushaltsberatungen, die ja auch in dieses Jahrfielen, das Thema Ukraine im Zusammenhang mit derDeutschen Welle thematisiert haben und dass wir dabei,wie man im Nachhinein schnell gesehen hat, die richti-gen Akzente gesetzt haben.Auch dieses Mal gab es zwei Stufen. Natürlich giltimmer: ohne Parlament kein Haushalt. Aber zunächsteinmal darf sich die Regierung für all das, was so ausdem Regierungsentwurf übernommen worden ist, wie esdrinstand, nicht nur bedanken, sondern sie darf sich da-für auch selbst loben, dass sie es gut gemacht hat; dennansonsten hätten wir es ja nicht übernommen.Dann gibt es eine zweite Stufe: die Dinge, die nichtdrinstanden, die wir hinzugefügt oder geändert haben. Dasbetrifft zum Beispiel – das ist schon erwähnt worden –das Museum der Moderne. Ich sehe das auch so: So ganzetatreif war das noch nicht. Aber außer Verwaltung ist janichts ewig. Das heißt, wenn wir Spender haben, die vorvier, fünf Jahren gesagt haben: „Wir geben unsereSammlung, wenn ihr einen Ort schafft“, dann darf dieDiskussion nicht zu lange dauern. Wir haben jetzt ge-sagt: Wir erkennen diese Schenkung an, und wir wollendas befördern. Das ist auch ein Signal an alle zukünfti-gen Spender; es gibt ja noch ein paar andere Leute, dieeine Sammlung haben. Wir sagen: Wir schaffen imHaushalt jetzt die Möglichkeit und können dann dasWie, das Wo und das Wer klären. Ich glaube, es ist dasVorrecht des Parlaments, das so zu tun und so dieses Ka-pitel abzuschließen.Erlauben Sie mir für die Überleitung ein Bild der Mo-derne zu nutzen: Das ist kein iPhone. Wenn Sie jetzt anMagritte denken, dann haben Sie den Test schon einmalbestanden. Das Thema ist natürlich Bauhaus. Das, wasich Ihnen eben gezeigt habe, ist Bauhaus. Diese Feststel-lung bietet uns die Möglichkeit, wenn wir schon in tech-nologischer Hinsicht die Gelegenheit verpennt haben,dieses Produkt mit uns Deutschen in Verbindung zu brin-gen. Wir haben das iPhone nicht erfunden – wir habenvielleicht die Grundlagentechnik gebastelt und das Er-gebnis dann in den Keller gelegt –, aber das Design, das,was die Welt heute schick findet, das hat seine Wurzelnhier. Dieses Design hat seine Wurzeln in einer Entwick-lung, die auf den Ersten Weltkrieg reflektiert hat. Auchdas ist ein interessanter Aspekt der europäischen Ge-schichte. Bauhaus ist eine Möglichkeit, Deutschland in-ternational ins Licht zu setzen, und zwar als einen Ortfür Design und Technik. Wir haben „form follows func-tion“ erfunden. Auf den Städtebau in Deutschlandschaute und schaut diesbezüglich die Welt.Da gab es auch einen Termin, da gab es zwei Mög-lichkeiten: Freuen wir uns auf das Jubiläum im Jahr2069. Da einige Abgeordnete jedoch Bedenken hatten,dass sie dann nicht mehr in Funktion dabei sein könnten,haben wir mit Zustimmung der beiden Fraktionsvorsit-zenden dieses Thema vorgezogen. Nun feiern wir imJahr 2019 100 Jahre Bauhaus. Das ist nun vernünftigdurchfinanziert. Dieses Thema ist damit abgeräumt.Das zeigt, dass wir Akzente setzen können und mitwenig Aufwand zeigen können, für welche Werte wir inder Welt kämpfen. Man muss seine Werte auch polieren.Es nützt nichts, gegen andere anzukämpfen, wenn dienoch nicht einmal erkennen können, wofür wir kämpfen.Es lohnt sich, für die europäischen Werte zu streiten. Wirmüssen uns bewusst sein, dass Deutschland als reichesLand, als immer noch reiches Land und als Land der Dy-namik diese Kultur hochhalten muss.Das Gute an diesem Haushalt und an den Beratungen,die jetzt folgen, ist: Wir haben eine schwarze Null vorge-legt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass in den nächstenJahren 10 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden.Das heißt, dass die in Europa oft gestellte Frage, ob maneine solide Haushaltsführung betreiben und gleichzeitignötige Investitionen tätigen kann, damit beantwortet ist.Das wird in Europa gesehen. Dafür bekommen wir ausganz Europa Applaus.
Vorhin ist das Pina-Bausch-Tanzzentrum in Wupper-tal erwähnt worden. Auch in dieser Region ist dasiPhone nicht erfunden worden. Dort gibt es eine Schwe-bebahn; die kennt man. Kurzfristig tauchte Wuppertalwegen der sogenannten Scharia-Polizei in den Medienauf. Und dann gibt es dieses Asset, mit dem man dort et-was tun könnte. Deswegen haben wir gesagt: Gut, wirgeben für die Projektidee 1 Million Euro, wenn das Landauch 1 Million Euro gibt. Damit sind wir am entschei-denden Punkt: Es kann nicht sein, dass der Bund für zu-sätzliche Aktivitäten Geld draufsattelt und die Länder imGegenzug ihre Aktivitäten teilweise herunterfahren. Wirmüssen dieses Anliegen schon gemeinschaftlich verfol-gen. Deshalb lautet mein dringender Appell an alle Län-der, mitzuwirken, weil wir dieses Engagement sonstnicht aufrechterhalten können.
Am Anfang meiner Rede habe ich aus einem Lied zi-tiert und festgestellt, dass wir nicht mit Engelszungengelobt werden. Es gibt ein Lied, das vielleicht besser zurHaushaltspolitik passt. Es ist von den Fantastischen Vierund Herbert Grönemeyer. Letzterer singt den Refrain:Es könnte alles so einfach sein – ist es aber nicht.Das rechtfertigt dann auch das Lob: Wenn man all dieseMühen auf sich nimmt und am Ende einen solchenHaushalt vorlegt, der Platz für Visionen bietet, dann wares nicht einfach, aber es wurde gut.Herzlichen Dank.
Der Kollege Martin Dörmann hat das Wort für dieSPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Eine vielfältige Kultur- und Medienlandschaft ist einewesentliche Voraussetzung für eine lebendige Demokra-tie und eine freie Gesellschaft. Deshalb ist es gut, dassdie Koalition auch im Haushalt 2015 ein besonders star-kes Zeichen für Kultur und Medien setzt.Ich möchte an etwas erinnern, das noch gar nichtlange her ist: Im Juni dieses Jahres haben wir in den Par-lamentsberatungen für den Haushalt 2014 ein Plus von90 Millionen Euro gegenüber dem Regierungsentwurferreicht. Wenn man allein den BKM-Haushalt 2015 be-trachtet, sind es sogar 102 Millionen Euro. Hinzu kom-men noch die Personalkostensteigerungen, die, jeden-falls teilweise, ausgeglichen wurden. Es kommtaußerdem noch der Bereich der Auswärtigen Kultur- undBildungspolitik hinzu, für den zusätzlich ein höhererMillionenbetrag eingestellt wurde. Ich möchte auch denBereich wichtiger Projekte erwähnen, der im BKM-Haushalt als Verpflichtungsermächtigung bereits für dienächsten Jahre vorgezeichnet wurde.Wenn man es in der Summe betrachtet, dann siehtman, dass allein in der Bereinigungssitzung des Bundes-tages für den Haushalt 2015 rund 430 Millionen Euro inRichtung Kultur und Medien geflossen sind. Das istwirklich ein starkes Zeichen und verdeutlicht den An-spruch, den wir als Koalition haben: die vielfältigen Pro-jekte aus dem Koalitionsvertrag auch tatsächlich umzu-setzen. Dafür ein herzliches Dankeschön.
Ich möchte den gesamten Haushaltsausschuss einbe-ziehen, weil die Erhöhungen einstimmig beschlossenwurden. Ich möchte in besonderer Weise die Bericht-erstatter der Koalition, Johannes Kahrs und RüdigerKruse, erwähnen, die dafür gesorgt haben, dass diese amEnde auch so im Haushalt stehen. Ich möchte auch dieFachpolitiker aus dem Ausschuss für Kultur und Medienerwähnen. Dazu gehört mein Sprecherkollege aufseitender Union, Marco Wanderwitz. Ich möchte auch denDank an Frau Staatsministerin Grütters sowie an dieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haushaltsreferatder BKM weitergeben, die dazu beitragen, dass wir dienotwendigen Informationen haben, um die politischenEntscheidungen treffen zu können.Ich möchte zwei Beispiele erwähnen. Das eine Bei-spiel, das Museum der Moderne, ist schon genannt wor-den. Es ist gut, dass der gordische Knoten dort jetztdurchschlagen ist und der Weg geebnet ist. Natürlichmüssen wir über die genaue Konzeption noch diskutie-ren, Frau Kollegin Hajduk, damit die Schenkungen an-genommen werden können und die Kunst des 20. Jahr-hunderts in Berlin eine Heimstatt findet und eineangemessene Präsentation bekommt. Damit setzen wirein starkes Zeichen. Da stehen wir alle in der Verantwor-tung.Ich möchte ein zweites Beispiel erwähnen, welchesschon angeklungen ist, nämlich die Deutsche Welle.Positiv ist nämlich, dass dort erneut höhere Mittel einge-stellt worden sind. Im Haushalt 2015 stehen 7,5 Millio-nen Euro konkret für den Studioumbau und für die wich-tige ukrainisch-russische Berichterstattung zusätzlichzur Verfügung. Es wurden übrigens auch 3 MillionenEuro für die Deutsche-Welle-Akademie über den BMZ-Haushalt eingestellt. Das ist ein starkes Zeichen und einBekenntnis für die Deutsche Welle.Wir haben heute am Anfang der Debatte erlebt, vorwelchen außenpolitischen Krisen wir stehen. Wir lebenin einer auch medial zusammenwachsenden Welt. Des-halb, glaube ich, ist uns allen klar, dass die DeutscheWelle in Zukunft weiterhin an Bedeutung gewinnenwird. Wir sollten daher dafür Sorge tragen, dass sie auchdie nötigen finanziellen Mittel bekommt. Denn der Ge-setzgeber steht aufgrund des Deutsche-Welle-Gesetzesin dieser Hinsicht ganz besonders in der Verantwortung.Wir alle wissen, wo der Schuh drückt. Es sind diestrukturellen Entscheidungen, die wir im Haushalt 2016abzubilden haben. Ich bin sehr dankbar, dass der KollegeKahrs bereits darauf hingewiesen hat. Wir haben in denvergangenen Jahren die Personalkostensteigerung derDeutschen Welle nicht abgebildet. Wenn wir das weiter-hin so machen würden, würde das in der Folge natürlichdazu führen, dass notwendige Kürzungsschritte vorge-nommen werden müssten. Diese wollen wir gerade ver-meiden, da die Bedeutung der Deutschen Welle wächst.Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Kahrs das heuteauf den Punkt gebracht hat.Der beste Weg wäre, wenn bereits im Haushaltsent-wurf 2016 abgebildet würde, dass bei den Zuwendungs-empfängern bei der BKM nicht mehr danach unterschie-den wird, welcher Tarifvertrag dort Anwendung findet,also ob TVöD, Haustarifvertrag oder Landestarifver-träge. Es wäre am besten, wenn die Personalkostenstei-gerungen regelmäßig ausgeglichen würden. Das würdedann eine stabile Grundlage für die weiteren Arbeitendarstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie es michabschließend so bewerten: Ich glaube, mit diesem Haus-halt können wir im Bereich Kultur und Medien eine au-ßerordentlich positive Bilanz ziehen. Wir werden abernicht müde. Wir haben gerade ein Jahr Große Koalitionhinter uns, und es gibt im Koalitionsvertrag noch vieleProjekte, die wir umsetzen wollen. Insofern ist nach demHaushalt vor dem Haushalt.Ich freue mich – ich will das ausdrücklich sagen –,dass die Debatte über Kultur und Medien auch im Aus-schuss in weiten Bereichen so geführt wird, dass wirnach Gemeinsamkeiten suchen. Ich glaube, in der heuti-gen Debatte ist an einigen Stellen deutlich geworden, inwelche Richtung es gehen kann. Ich würde mich freuen,wenn wir auch im Haushaltsausschuss gemeinsam, Seit’an Seit’ streiten: für vielfältige Medien und eine leben-dige Kulturlandschaft in Deutschland.Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Marco Wanderwitz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wann immer wir hier in den letzten Jahren den Kultur-haushalt debattierten, gingen eigentlich alle davon aus,dass es wieder einmal zu Steigerungen gekommen ist.Auch wenn der Etat schon im Regierungsentwurf eineSteigerung erfahren hatte, kam es üblicherweise auch imparlamentarischen Verfahren zu einer Steigerung. Das istauch in diesem Jahr der Fall; die Kolleginnen und Kolle-gen Haushälter haben das ausgeführt. Wir alle freuen unsdarüber. Ich glaube, viele betroffene Akteure im Kultur-bereich in unserem Land freuen sich ebenfalls darüber.Aber das alles ist natürlich nicht selbstverständlich.Auch wenn das Ganze im Grunde jedes Jahr erwartetwird, will ich an dieser Stelle sagen: Es sind immer wie-der bewusste politische Schwerpunktsetzungen, be-wusste politische Entscheidungen, die wir hier in diesemHohen Haus treffen und um die wir jedes Jahr ringenmüssen. Deshalb will ich mich ausdrücklich dem Dankanschließen, der hier schon vielfach gesagt worden ist.Wir haben es mit einer Bundesregierung und mit einerStaatsministerin zu tun, die sich in diesem Bereich sehrengagieren. Wir haben es mit Kollegen Haushältern zutun, die sehr engagiert für die Kultur streiten. Wir habenes mit Vorsitzenden der beiden regierungstragendenFraktionen zu tun, denen dieses Thema wichtig ist. Des-halb sieht der Haushalt so aus, wie er ausschaut.
Seit 2005 steigt das Budget des Kultur- und Medien-haushalts nun jedes Jahr, so auch dieses Jahr. Wir wollendamit auch ein Stück weit Vorbild für die Länder undKommunen sein. Denn dort erleben wir sehr häufig De-batten, die in eine andere Richtung gehen, und Entschei-dungen, die in eine andere Richtung gehen. Deshalbfreue ich mich natürlich nicht nur, dass die neue Staats-regierung in meinem Heimatbundesland in Kapitel einsihres Koalitionsvertrages die Kultur erwähnt, sonderndass sie beispielsweise auch die Entscheidung getroffenhat, für das Sächsische Kulturraumgesetz, das ein bun-desweites Erfolgsmodell sein könnte, wenn die anderenLänder denn bereit wären, es zu kopieren – es machtKultur nämlich zur Pflichtaufgabe –, 5 Millionen Europro Jahr an frischem Landesgeld zur Verfügung zu stel-len.Wenn man sich die Situation in anderen Bundeslän-dern anschaut, sieht man, dass die dortigen Entscheidun-gen teilweise andere sind. Kollege Kahrs hat das Denk-malschutz-Sonderprogramm angesprochen, das nun inseine sechste Auflage geht, wieder mit einem Volumenvon 29 Millionen Euro. Der Bund sagt dazu: Es gibtnoch viele Hunderttausend Denkmäler in unserem Land,die der weiteren Sanierung bedürfen. Aber es gibt ebenLänder wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, die sichaus der Kofinanzierung dieses Denkmalschutz-Sonder-programms ausgeklinkt haben.
Das ist schlecht. Das können wir so nicht hinnehmen.Das ist vor allen Dingen auch nicht im Interesse derKommunen dieses Landes.Wir haben im Jahr 2019 – auch das ist von meinenVorrednern schon angesprochen worden – das 100-jäh-rige Bauhaus-Jubiläum vor der Brust. In den nächstenJahren wird es viele solcher Jubiläen geben. Einige sindwir schon vor einigen Jahren angegangen, beispiels-weise das Luther-Jubiläum. Mit diesem Haushalt hatsich diese Koalition intensiv dem Thema Bauhaus-Jubi-läum gewidmet. Wir sind hinsichtlich der Bauten in Ber-lin und in Dessau auf einem guten Weg. Die Kultur- undMedienpolitiker der Koalition werden das Ganze inBälde inhaltlich mit einem Antrag flankieren.Erwähnen will ich auch, dass wir der Bundeskultur-stiftung 5 Millionen Euro für die inhaltliche Begleitungdes Jubiläums zur Verfügung stellen. Wir wollen alsonicht nur bauen, sondern uns auch mit dem Design desBauhauses inhaltlich weiter auseinandersetzen.
Ein weiteres wichtiges Thema – der Umfang der Mit-tel dafür ist derzeit zwar etwas geringer, aber die Wir-kung ist aus meiner Sicht mindestens genauso groß – istder anstehende 250. Geburtstag von Ludwig van Beetho-ven im Jahr 2020. Es stünde uns als KulturnationDeutschland gut zu Gesicht, wenn wir hier entschei-dende Schritte unternehmen würden. Dafür stellen wirnun 1,3 Millionen Euro zur Verfügung, und der VereinBeethoven-Haus Bonn erhält für den notwendigen Er-weiterungsbau zudem einen Bundeszuschuss von knapp200 000 Euro.
In diesem Jahr feiern wir in Deutschland 25 JahreMauerfall und 25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs. Wirhaben dieses Jubiläum hier in Berlin und überall imLand gerade gefeiert – unter anderem mit einer großarti-gen Ausstellung in der Gedenkstätte Berliner Mauer, diemit 950 000 Euro Bundesgeld bezuschusst wurde.Wir wollen mit diesem Haushalt auch eine halbe Mil-lion Euro in die Hand nehmen, um das einzigartige Ar-chiv der Robert-Havemann-Gesellschaft zur Oppositionund zum Widerstand in der DDR zu sichern. Nachdemdies über viele Jahre nur durch Projektarbeit geschehenist, setzen wir hier jetzt ein ganz bewusstes Zeichen, undwir hoffen, dass auch das Land Berlin seinen Anteil dazubeitragen wird.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6535
Marco Wanderwitz
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Dieser Haushalt enthält die nötigen 2 Millionen Eurofür die technische Weiterentwicklung des Projekts zurvirtuellen Wiederzusammensetzung der Stasiunterlagen –genannt: Schnipselmaschine. Das ist ein wichtigesThema, gerade da wir jetzt die Kommission zur Zukunftder Stasi-Unterlagen-Behörde eingesetzt haben, die sichübrigens morgen konstituieren wird. Deshalb, glaubtenwir, ist es gut, in diesem Haushalt dieses Zeichen zu set-zen.
Die Deutsche Welle hat Martin Dörmann schon ange-sprochen. Über die neue Aufgabenplanung werden wirin der nächsten Sitzungswoche aller Voraussicht nachumfänglicher diskutieren können.Lieber Martin, du hast die neuen Herausforderungen,die die vielen Krisen dieser Welt mit sich bringen, richti-gerweise angesprochen. Eines der Grundprobleme derFinanzierung der Deutschen Welle ist – das kann ich Ih-nen an dieser Stelle nicht ersparen –, dass es unter Rot-Grün eine Kürzung um schlappe 50 Millionen Euro ge-geben hat. Dieser laufen wir seitdem hinterher. Ichglaube aber, gemeinsam haben wir gute Chancen, daswieder auf die Reihe zu bekommen.
Ich komme zu einem letzten Punkt, der mir persönlichauch ganz wichtig ist.
Kollege Wanderwitz, achten Sie bitte auf die Zeit.
Daher die Formulierung: „einem letzten Punkt“.
Ja, ja.
Liebe Frau Staatsministerin, liebe Monika Grütters,
ich freue mich sehr, dass es dir gelungen ist, das Thema
Freiheits- und Einheitsdenkmal anzustoßen, sodass es
jetzt entstehen kann. Das ist endlich auch einmal ein
Denkmal der Freude. Ich freue mich darauf, dass wir
hier vorankommen.
Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kultur-haushalt 2015 setzt in der Tat besondere Akzente. Das istdem besonnenen und konzentrierten Agieren der Haus-hälter und der Kulturpolitiker zu verdanken – vor allemder Regierungskoalition, aber auch aller Fraktionen querdurchs Parlament. Damit wird deutlich, dass diese Koali-tion die Verantwortung für das öffentliche Gut Kultursehr ernst nimmt.Anders als Anja Hajduk möchte ich das ThemaHumboldtforum mit einer anderen Grundmelodie anspre-chen. Der Baukörper entwickelt sich im Zeit- und Kosten-plan, die musealen Konzepte reifen, und auch die Aktivi-täten der Berliner Landes- und Zentralbibliothek zumKonzept „Sprachen der Welten“ nehmen Konturen an.Trotzdem bleiben Fragen, zum Beispiel: Ist die Finan-zierung durch Sponsoren in wesentlichen Teilen gesi-chert? Dieser Frage müssen wir uns gemeinsam stellen.Es bleibt auch die Frage an das Land Berlin nach seinerweiteren Beteiligung. Ich werbe eindrücklich dafür, dassBerlin bei der Stange bleibt und sich diesem Projekt unddiesem Konzept nicht entzieht.
Der offene Punkt, der allerdings einer dringendenKlärung bedarf – auch da setzt der Haushalt einen Ak-zent –, ist die Frage, was in der Agora, dem öffentlichenVeranstaltungsraum, inhaltlich passieren soll. Im Haus-halt wird festgestellt: Wir brauchen eine Intendanz. Eswird eine besondere Herausforderung sein, dieses Vorha-ben wirklich mit Leben zu erfüllen. Im Humboldtforumsind starke Akteure unterwegs, und es bedarf auch einerstarken Persönlichkeit, das ganze Projekt moderierendund koordinierend erfahrbar zu machen.Wir werden das intensiv begleiten; aber dieser Auf-gabe müssen wir uns gemeinsam stellen, damit der teu-erste Kulturbau der Gegenwart an zentraler Stelle in Ber-lin wirklich ein rundum gelungenes Bauwerk mitvernünftigen Inhalten wird.
Der zweite Punkt, den ich ganz kurz ansprechenmöchte, ist der geplante Bau des Museums der Moderne.Mir ist wichtig, dass der Bau nicht nur als eine wert-schätzende Geste gegenüber den Sammlerinnen undSammlern, die ihre Werke für eine Ausstellung an die-sem Ort bereitstellen, verstanden wird, sondern dass da-mit auch andere, die im Privatbesitz präsentabler Werkesind, ermuntert werden, diese der Allgemeinheit zur Ver-fügung zu stellen. Insofern ist das Museum der Moderneauch in dieser Hinsicht ein wichtiges Signal.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier inBerlin am 9. November dieses Jahres etwas ganz Beson-deres erlebt – jedenfalls habe ich es für mich so wahrge-nommen –: ein Wochenende der Vergewisserung derjüngsten Zeitgeschichte. Wer entlang der simulierten
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Siegmund Ehrmann
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Mauer aus Lichtern wanderte, traf Familien, die sich un-tereinander austauschten und Erlebtes berichteten und sodie Geschichte ihren Angehörigen der nächsten Genera-tion, die diese zum Teil gar nicht mehr mitbekommenhaben, erfahrbar machten. Insofern ist das ein konkretesBeispiel aus der jüngsten Zeitgeschichte, das deutlichmacht, wie wichtig und notwendig die permanente Re-flexion im Kontext von Gedenken und Erinnern ist.Dabei dürfen wir nicht stehen bleiben. Morgen wer-den die Mitglieder der Expertenkommission, die sich mitder Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde beschäftigen,ihre Arbeit aufnehmen und sich mit wesentlichen Fragenauseinandersetzen. Uns werden sicherlich bald Ergeb-nisse vorliegen, die uns veranlassen, über die Zukunftder BStU und in der Folge auch über das Gedenkstätten-konzept nachzudenken.Wir müssen uns allerdings auch mit dem Zustand derNS-Gedenkstätten auseinandersetzen. Da trifft das zu,was Johannes Kahrs vorhin in seiner Rede beschriebenhat, dass im Grunde genommen die Personalkosten, dieStrukturkosten und die Programmkosten es im Prinzipnicht mehr hergäben, diese Einrichtungen auf den Standder Zeit zu bringen und sie weiterzuentwickeln.In diesen Feldern liegen viele wichtige Zukunftsauf-gaben, mit denen wir uns als Kultur- und Haushaltspoli-tiker im Parlament auseinandersetzen müssen und aus-einandersetzen werden. Insofern werden wir im Jahr2015 weitere zusätzliche Akzente setzen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Siegmund Ehrmann. – Schönen Tag,
liebe Kollegen und Kolleginnen, von meiner Seite! Gu-
ten Tag, liebe Gäste auf der Tribüne!
Es spricht in dieser Debatte noch eine Rednerin. Ich
möchte die Kollegen und Kolleginnen bitten, dieser letz-
ten Rednerin in dieser Debatte ihre Aufmerksamkeit zu
schenken und Gespräche nach draußen zu verlagern. Das
gilt – das haben wir letztes Mal geübt – für alle Seiten
des Hauses.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Petra Hinz für die SPD.
– Das gilt auch für Herrn Kauder und für Herrn Gabriel.
Hören Sie ruhig zu! Das ist sicherlich spannend. Ich
meine das wirklich ernst. Ich finde, es ist sehr schwierig,
in so einer wichtigen Debatte als Letzte zu reden, wäh-
rend die Mitglieder des Hauses zeigen, dass sie sich gar
nicht dafür interessieren. Also, noch einmal: Gespräche
bitte draußen führen.
Jetzt ist Frau Hinz dran.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Generaldebatte: Wir beraten über den Haushaltder Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.Nachdem wir in dieser Debatte sehr viele Aspekte ange-sprochen haben, habe ich die große Freude und Ehre,jetzt die einzelnen Themen zu bündeln und die Aspekte,die noch nicht herausgearbeitet worden sind oder nachmeiner Rede in der gestrigen Debatte – Thema Gesund-heit – vielleicht offengeblieben sind, noch einmal darzu-legen. Den Kolleginnen und Kollegen, die mir jetzt zu-hören möchten, wird das einen Mehrwert bringen: Siewerden sehr viel über unseren Haushalt 2015 erfahren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte direktauf den gestrigen Beratungspunkt Gesundheit eingehen.Es liegt in der Natur der Sache, dass die Opposition imRahmen der Haushaltsberatungen – und nicht nur hier –völlig andere Sichtweisen darlegt. Aber ich glaube, in ei-nem sollten wir uns einig sein: Gewisse Faktenlagenmüssen zur Kenntnis genommen werden.Ich möchte noch einmal den Gesundheitsfonds an-sprechen. Es ist – ich glaube, sowohl von der FraktionDie Linke als auch von der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen – noch einmal gesagt worden, dass selbst lautBundesrechnungshof die Herausnahme aus dem Ge-sundheitsfonds dazu führen wird, dass die Beitragssätzesteigen werden. Das ist nicht korrekt zitiert. Denn derSachverständige Dr. Lukas Elles vom Bundesrechnungs-hof hat wörtlich gesagt – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnisaus dem Protokoll der Anhörung –:Dass der Bund zulasten der Versicherten konsoli-diere, ist nicht unsere Auffassung. Auch unser Be-richt lässt nicht einmal ansatzweise eine solcheAussage durchscheinen; denn das entspricht nichtunserer Analyse des Gesetzesvorhabens.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob Sie es zurKenntnis nehmen oder nicht: Fakten kann man nichtwegreden.Wir haben über das Thema Ebolabekämpfung disku-tiert. In den Medien rückt das Thema Ebola derzeit wiederin den Hintergrund, aber nicht in unserer parlamentari-schen Arbeit. Ganz im Gegenteil: Über alle Fraktions-grenzen hinweg ist unser Engagement im internationalenBereich und über den Tag hinaus sehr deutlich gewor-den. Denn die Ernten im nächsten Jahr werden katastro-phal ausfallen. Wir werden uns mit der gesamten Situa-tion noch weiter befassen müssen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6537
Petra Hinz
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Ein sehr wichtiges gesellschaftliches Thema ist dieFlüchtlingspolitik. Auch hier haben wir als Bundesge-setzgeber die richtigen Antworten auf den Weg gebracht.Bis hin zu dem kleinen Etat des Gesundheitsministe-riums im Bereich der Gesundheitsaufklärung für Flücht-linge sind wir noch einmal auf das Thema eingegangen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterschiedli-chen Redner haben darauf aufmerksam gemacht, dasswir auch Verantwortung im föderalen System haben.Das betrifft auch die Bund-Länder-Beziehungen und dieBeziehungen zwischen Ländern und Kommunen. Wirhaben darauf eine klare Antwort. Während zeitgleich invielen Kommunen die Haushalte verabschiedet werden,teilweise sogar in einem Doppelhaushalt für 2015 und2016 wie in meiner Heimatstadt Essen, sichern wir mitdem Koalitionsvertrag und dem Haushalt 2015 fortfol-gende unseren Kommunen eine ganze Menge an Er-leichterungen zu.
Das betrifft zum Beispiel die Mittel für die Städtebauför-derung, die um 700 Millionen Euro jährlich aufgestocktwurden. Addiert man die öffentlichen Investitionen imBereich Bund, Länder und Kommunen, kommt man auf2 Milliarden Euro jährlich. Auch dies sollte man an die-ser Stelle noch einmal deutlich sagen.Über die Sozialausgaben haben bereits meine Kolle-gin Ulrike Gottschalck und andere Redner gesprochen.Richtig ist: Die Schere geht in einigen Bereichen sehrstark auseinander. Aus diesem Grunde wird sich wohlkein Bundesland, hoffe ich, aus der Solidargemeinschaftverabschieden.
Denn wenn wir uns aus der Solidargemeinschaft, dieüber viele Jahrzehnte gut Bestand hatte, aus persönli-chen bzw. landespolitischen Egoismen verabschiedenwollen, sprengen wir damit die Investitionskraft und dieStärke unseres Landes insgesamt.
Aus diesem Grunde setze ich sehr große Hoffnung aufdie Diskussion und die Ergebnisse der Bund-Länder-Kommission, die parallel zu unseren Beratungen tagt.An den Aufwendungen im Bereich der Sozialausga-ben beteiligen wir uns auch über die Grundsicherung imAlter und die Eingliederungshilfe. Wir reden dabei nichtüber kleinere Beträge: Es geht um Milliardenbeträge, diewir in dieser Koalition mit dem Haushalt 2015 fortfol-gende bis 2017 auf den Weg bringen werden.Nichtsdestotrotz müssen wir sehr genau hinsehen– ich mahne das noch einmal an –, wohin das Geldfließt, ob in den neuen Ländern oder in den alten, ob Ost,ob West. Deswegen ist die laufende Diskussion richtig.Nicht nach Himmelsrichtungen sollten unsere Mittel undRessourcen vergeben werden, sondern nach Program-men, Inhalten und Notwendigkeiten. So verstehe ich un-seren Solidaritätsbeitrag.
Wir, die Haushälter, haben in den zurückliegendenWochen, wie ich finde, intensiv beraten, haben unsereFachkolleginnen und Fachkollegen an unserer Seite ge-wusst und haben die Vorgaben aus der guten Arbeit imKoalitionsvertrag umgesetzt. Ich möchte mich ganzherzlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen der Fach-bereiche bedanken, bei den Ministerien, die zugearbeitethaben, und bei den Kolleginnen und Kollegen Haushäl-tern; denn die Arbeit, die wir geleistet haben, um einenausgeglichenen Haushalt vorzulegen, ist kein Selbst-zweck, sondern dient den nachfolgenden Generationen.Diese Arbeit lohnt sich.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Hinz. – Ich schließe dieAussprache.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 04 – Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt – inder Ausschussfassung. Zuallererst stimmen wir über denÄnderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 18/3281 ab. Wer stimmt für diesen Änderungs-antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Ablehnung vonCDU/CSU- und SPD-Fraktion sowie Zustimmung vonder Linken und Bündnis 90/Die Grünen.Wir stimmen nun über den Einzelplan 04 namentlichab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen.Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist derFall. Ich eröffne damit die Abstimmung über den Einzel-plan 04.Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen im Haus, dienicht abgestimmt haben? – Das sieht nicht so aus. KeinProtest. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Ergebnisspäter, im Laufe der nächsten Debatte, bekannt gege-ben.1)Ich bitte diejenigen, die abgestimmt haben und nichtan der jetzigen Debatte teilnehmen möchten, den Saal zuverlassen, und diejenigen, die an der Debatte teilnehmenwollen, Platz zu nehmen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf:Einzelplan 05Auswärtiges AmtDrucksachen 18/2805, 18/2823Berichterstatter sind die Abgeordneten Doris Barnett,Alois Karl, Michael Leutert und Dr. Tobias Lindner.Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen vor.1) Ergebnis Seite 6539 C
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6538 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeMichael Leutert für die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, Sie haben in letzter Zeit die Situation oftmit den Worten beschrieben: Die Welt scheint aus denFugen geraten zu sein. – Das ist ein Zitat Ihrer Worte.Das stimmt, aber dagegen muss man etwas tun. IhrHaushalt wird dieser Situation allerdings nicht gerecht,ganz im Gegenteil.
Noch immer bewegt sich der Etat des AuswärtigenAmtes wie jedes Jahr bei knapp über 1 Prozent des Ge-samthaushaltes, als wenn die Welt immer noch in Ord-nung wäre. Wie kann das sein, wenn Deutschland mehrVerantwortung in der Welt übernehmen möchte?Schauen wir uns die Fakten an. Das sind die Fakten,die die Menschen in unserem Land verunsichern. Wirhaben Krieg in der Ukraine, im Irak, in Syrien, eigent-lich im ganzen Nahen Osten, in Afrika herrscht Krieg imSüdsudan, in Nigeria und Mali. Die Bundeswehr ist der-zeit an 13 Einsätzen beteiligt, weltweit gibt es 15 Frie-densmissionen. Die meisten bei uns denken immer: Dasalles ist sehr weit weg, das geht uns nichts an. – Dem istaber nicht so.Der Konflikt, der mit zehn Flugstunden am weitestenentfernt ist, ist der Afghanistan-Konflikt. Bis auf eineeinzige UN-Mission, die in Haiti, gruppieren sich alleKonfliktherde um uns herum. Man findet sie, wie gesagt,in Afrika und im Nahen Osten, und immerhin fünf inter-nationale UN-Einsätze gibt es mitten in Europa. Andreien davon ist Deutschland beteiligt.Es ist also kein Wunder, dass die Menschen in unse-rem Land verunsichert sind. Es sind eben keine Krisenirgendwo weit draußen, es sind Konflikte vor unsererHaustür, manchmal auch schon auf unseren Straßen, undtrotzdem gibt es nicht mehr Geld, um diesen internatio-nalen Krisen entgegenzutreten. Das halten wir für falsch.
Die Kanzlerin, Sie, Herr Außenminister, die Verteidi-gungsministerin und natürlich, nicht zu vergessen, derBundespräsident werden nicht müde, immer wieder zubetonen, dass Deutschland auf internationaler Ebenemehr Verantwortung übernehmen will bzw. muss odersoll. Das bestreiten nicht einmal wir Linken. Umstrittensind aber die Methoden.In zwei Monaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, am27. Januar 2015, jährt sich die Befreiung des Vernich-tungslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum70. Mal. Nächstes Jahr begehen wir zudem den 50. Jah-restag der diplomatischen Beziehungen zwischen Israelund Deutschland. Diese Ereignisse sind für uns Verpflich-tung, Verpflichtung, dass ziviler Außenpolitik stets diehöchste Priorität eingeräumt wird. Ich hätte mir ge-wünscht, dass sich dieser Gedanke im Haushalt deutlicherniederschlägt, nicht nur indem wir Feierlichkeiten bege-hen und mahnende Worte verlieren, sondern auch indemwir mehr Geld, insbesondere nächstes Jahr, in die Handnehmen, um den vielen Flüchtlingen vor Ort zu helfen.
Knapp 400 Millionen Euro gibt das Auswärtige Amtdieses Jahr für humanitäre Hilfe aus. Der Vorschlag – sowar zumindest der erste Entwurf –, diese Gelder nächs-tes Jahr auf 187 Millionen Euro zu kürzen, war selbst derKoalition zu absurd.
Dies hat Ihr Haus, auch Sie selbst, Herr Minister, nichtgewollt; das weiß ich. Das war ein Ergebnis des Knebe-lungsversuchs durch Minister Schäuble,
um seinen Plan von der schwarzen Null durchzusetzen.Das Auswärtige Amt hat dann auch einen alarmieren-den Brief an uns Haushälter geschrieben, dessen Drama-tik keine Zweifel zulässt. Ich möchte hieraus zitieren:Wir sind Zeugen der schlimmsten humanitären Ka-tastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. … momen-tan kann auch Menschen in existenzieller Not nichtausreichend geholfen werden! … Deutschland fällthinter andere Geberländer zurück … Bereits 2014befinden wir uns in einem Feld mit Geberländern,die durch erheblich kleinere Bevölkerungen und
Die Linke, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat einenVorschlag unterbreitet, wie wir diesen Problemen entge-gentreten können. Wir brauchen einen Krisenreaktions-fonds.
Heutzutage ist die Situation so: Krisen haben die un-angenehme Eigenschaft, dass sie unangekündigt kom-men. Dann müssen die betroffenen Ministerien – zumBeispiel im Falle von Ebola das Auswärtige Amt, dasBMZ, das Gesundheitsministerium, das Verteidigungs-ministerium und das Innenministerium – alle Gelder mo-bilisieren, was natürlich zulasten von schon geplantenProjekten geht. Ausreichend sind sie zum Schluss meis-tens nicht. Um diesem Zustand vorzubeugen, ist unserVorschlag, im Einzelplan 60 unter der Bewirtschaftungdes Auswärtigen Amtes einen Krisenreaktionsfonds mitanfänglich zusätzlichen 250 Millionen Euro einzurichten.
Brauchen wir das Geld im Krisenfall, ist Vorsorge ge-troffen. Wenn es nicht benötigt wird, kann sich Finanz-minister Schäuble freuen und es am Jahresende wiedereinsammeln. Besser wäre es natürlich, wenn wir dasGeld dann für die Entwicklungszusammenarbeit ver-wenden würden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6539
Michael Leutert
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Auf alle Fälle, liebe Kolleginnen und Kollegen,könnte man so auch Verantwortung auf internationalerEbene übernehmen. Die Bundesrepublik wäre damitVorbild für andere Nationen. Sie wissen: Am Freitag ha-ben Sie alle noch einmal die Chance, unter anderem die-sem sinnvollen Antrag der Linken zuzustimmen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Leutert. – Bevor ich dienächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das von denSchriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-nis der namentlichen Abstimmung über den Einzel-plan 04 bekannt: abgegebene Stimmen 603. Mit Ja ha-ben gestimmt 485, mit Nein haben gestimmt118 Kolleginnen und Kollegen. Der Einzelplan 04 ist an-genommen.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 603;davonja: 485nein: 118JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Sybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar Riebsamen
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6540 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Josef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten Träger
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6541
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Ute VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerDr. Valerie WilmsNächste Rednerin in der Debatte: Doris Barnett fürdie SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Seit Jahren wächst unserem Land eine Verantwortungzu, die wir annehmen und ausfüllen müssen. In Europasind wir ein Stabilitätsfaktor, nicht zuletzt wegen unsererWirtschaftskraft und des gesellschaftlichen Zusammen-halts. Das strahlt auch auf unsere internationale Wert-schätzung aus, die uns sicherlich wegen des umsichtigenund verantwortungsvollen Handelns unseres Außen-ministers Frank-Walter Steinmeier und auch der Kanzle-rin entgegengebracht wird.Angesichts der bestehenden Krisen und der ständigneuen Herausforderungen, die durch nichtstaatliche Par-teien der Weltgemeinschaft aufgedrückt werden, kannunser Land nicht abseitsstehen. Auch sind die Zeitenvorbei, in denen wir uns selbst eingeredet haben, wirseien ja ganz klein, hätten nichts zu sagen und könntenuns heraushalten. Das nimmt uns keiner mehr ab undwürde auch nur Misstrauen auslösen. Also hat unsereAußenpolitik entsprechend aufgestellt zu sein. Dass diesmöglich ist, dafür danke ich Minister Steinmeier und sei-nen Mitarbeitern, von den Staatssekretären bis zu denDamen und Herren im Haushaltsreferat.Der gleiche Dank geht an dieser Stelle an das Finanz-ministerium, das hier nicht nach der Manier der schwä-bischen Hausfrau gesagt hat: „Mir gäbet nix“, sondernim Bewusstsein der Aufgabenfülle von MinisterSteinmeier bei der Finanzierung des Einzelplanes wirk-lich gut mitgeholfen hat. Auch dem Bundesrechnungs-hof darf ich für seine doch hilfreichen Hinweise danken.Außerdem darf ich unseren eigenen Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern ein ganz dickes Dankeschön für diehervorragende Unterstützung sagen.
Nicht zuletzt möchte ich mich auch bei meinen Kolle-gen Mitberichterstattern bedanken für die gute kollegialeZusammenarbeit. Der persönliche Umgang mit AloisKarl, Michael Leutert und Tobias Lindner ist angenehmund produktiv. Ich sage das, auch wenn ich mit Blick aufdie vorhergehende Rede eher den Vorschlägen von AloisKarl folge. Wir haben es geschafft, dass der Haushalt desAußenministeriums in 2015 um 9 Prozent oder 305,7 Mil-lionen Euro auf jetzt über 3,7 Milliarden Euro angeho-
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6542 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
Doris Barnett
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ben werden konnte, um die größten Herausforderungenzu meistern, und das sind nicht wenige.Die Flüchtlingskatastrophen in Syrien und Nordirak,aber auch die humanitären Katastrophen in Westafrika,die durch sogenannte Gotteskrieger bzw. Mörderbandenund auch durch das Ebolavirus ausgelöst wurden, müs-sen aufgehalten werden. Was das Ebolavirus angeht, ste-hen wir mit unseren Hilfsorganisationen in engstemKontakt und sorgen mit der Ausstattung eines Spezial-flugzeugs dafür, dass infizierte Helfer sicher nachDeutschland ausgeflogen werden können. Die dafür be-nötigten 6 Millionen Euro können wir jetzt zur Verfü-gung stellen. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie ar-chaische Mörderbanden angeblich im Namen einerReligion ganze Landstriche entvölkern und für sich ein-nehmen.Natürlich ist da die Weltgemeinschaft gefordert; aberauch wir engagieren uns. Wir stocken die humanitäreHilfe kräftig auf: von den zunächst vorgesehenen187 Millionen Euro auf jetzt 400 Millionen Euro. Dashaben mein Kollege Alois Karl und ich schon AnfangAugust gefordert, und wir freuen uns, dass dieser Vor-stoß jetzt auch umgesetzt wird.
Ob die Mittel allerdings im kommenden Jahr reichenwerden, das kann heute noch niemand sagen.Mit dem Geld werden wir zunächst den hunderttau-sendfach gestrandeten Menschen helfen, ein Dach überden Kopf, Kleidung und Essen zu bekommen, den Win-ter zu überleben und ärztliche Versorgung zu erhalten.Eine Dauerlösung können diese Flüchtlingscamps abernicht sein. Eine wahre Völkerwanderung kann niemandwollen. Im Gegenteil: Wir müssen Anstrengungen unter-nehmen, die Menschen möglichst bald in ihre befriedete,allerdings zerstörte Heimat zurückzuführen und ihnendort zu helfen, eine friedliche Zukunft für sich und ihreKinder wieder aufzubauen.An dieser Stelle kann ich den aufnehmenden LändernJordanien, dem Libanon und der Türkei nur ausdrücklichdanken für ihren Einsatz. Natürlich nehmen auch wirFlüchtlinge auf. Aber hätten wir bei uns im Verhältnis zuunserer Bevölkerungszahl so viele Flüchtlinge aufzuneh-men, wie es der Libanon getan hat, dann würden wir hiernicht über ein paar Tausend, sondern über 20 MillionenFlüchtlinge reden, die wir hier hätten. Das kann sich kei-ner vorstellen, geschweige denn das handeln. Deswegenbrauchen wir die Mittel für die humanitäre Hilfe, unddeswegen müssen wir auch Ländern wie dem Libanondringend helfen.
Deshalb haben wir auch unsere Beiträge für die Verein-ten Nationen um über 16,6 Millionen Euro freiwilligaufgestockt, und deshalb unterstützen wir auch die Hilfs-organisationen, die sich um die Krisenprävention küm-mern, wieder mit 95 Millionen Euro, also mit 2 Millio-nen Euro mehr als ursprünglich vorgesehen.Aber nicht nur in der Ferne, auch vor der Haustür ha-ben wir Krisen zu bewältigen. Leider wirkt das Abkom-men von Minsk nicht so, wie es sich die Beteiligten indie Hand versprochen haben. Deshalb gibt es in derUkraine immer noch Inlandsflüchtlinge und wird im Os-ten immer noch geschossen.Das neugewählte Parlament steht vor enormen He-rausforderungen und Reformen. Hier wollen wir dieUkraine ebenso wenig alleinlassen wie die anderen klei-neren Länder der Östlichen Partnerschaft; daher stellenwir für die Zusammenarbeit mit der ZivilgesellschaftMittel in Höhe von 14 Millionen Euro zur Verfügung.Dabei liegt uns insbesondere die Ausbildung jungerMenschen am Herzen.In diesem Zusammenhang will ich ausdrücklich da-rauf hinweisen, dass gerade mit Russland der Gesprächs-faden nicht abreißen darf und dass wir trotzdem für denPetersburger Dialog im nächsten Jahr – auch wenn dieTreffen in diesem Jahr abgesagt wurden – 100 000 Eurobereitstellen. Russland ist und bleibt nun einmal unsergroßer Nachbar im Osten, und deshalb brauchen wir sol-che Dialogformate gerade jetzt.
Wir müssen uns auch im Bereich Bildung anstrengen.Diese Anstrengungen bedeuten für mich, zu investierenin den wichtigsten Rohstoff, den wir überhaupt haben:Das sind die Köpfe unserer Menschen. Die Mittel, diehier klug eingesetzt werden, sind Grundlage für späterenWohlstand von Nationen.Deshalb bin ich auch sehr zufrieden, dass es gelungenist, unsere beiden Flaggschiffe in Sachen Bildung wiederauskömmlich auszustatten: das Goethe-Institut und denDAAD. Mit dem Goethe-Institut gelingt es, internatio-nale Fachkräfte für unser Land zu gewinnen, sie durchDeutschkurse sowie Informationen über unser Land, Le-ben und Leute gut vorzubereiten. Was innerhalb von we-nigen Monaten da zu schaffen ist, davon konnten sichAlois Karl und ich vor kurzem in Rom überzeugen. Wirbeide gehen davon aus, dass wir im kommenden Jahr inNamibia aus dem mehr als gut angenommenen und ausallen Nähten platzenden Goethe-Zentrum ein Goethe-In-stitut in Windhuk machen können, das dann der Bundes-präsident bei seinem Besuch im nächsten Jahr vielleichteinweihen kann; das wäre toll.
Für das Goethe-Institut stehen im kommenden Jahr über16,6 Millionen Euro zur Verfügung – neben den notwen-digen Mitteln für die Tarifanpassung für die Beschäftig-ten.Goethe-Institut und DAAD arbeiten oft Hand inHand. Nach der guten Vorbereitung auf Deutschland ver-hilft der DAAD mit seinen Hochschulstipendien Neuan-kömmlingen zum letzten Schliff, fördert aber genausounsere eigenen Studierenden mit internationalen Ange-boten. Auslandserfahrungen dürfen nicht vom Geldbeu-tel des Einzelnen abhängen, weshalb der DAAD imkommenden Jahr auch zusätzlich 7 Millionen Euro er-
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Doris Barnett
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hält. Der Kampf um die besten Köpfe hat weltweit längstbegonnen, und die gute Ausstattung von DAAD undGoethe-Institut ist kein Luxus, sondern eine simple Not-wendigkeit, wollen wir nicht ins Hintertreffen geraten.Im kommenden Jahr wird es 50 Jahre her sein, meinelieben Kolleginnen und Kollegen, dass Israel mitDeutschland diplomatische Beziehungen aufgenommenhat. Am 12. Mai 1965 vereinbarten BundeskanzlerLudwig Erhard und Israels Ministerpräsident LeviEschkol den Austausch von Botschaftern. Dieses Jubi-läum im nächsten Jahr wollen wir gebührend begehenund werden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft fürdiesen Anlass, um die entsprechenden Feierlichkeitenvorbereiten und durchführen zu können, einmalig 2 Mil-lionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist für unsere bei-den Länder ein wichtiges Ereignis, und wir vertrauen aufdie gute Zusammenarbeit mit der Deutsch-IsraelischenGesellschaft.
Damit habe ich die für mich wichtigsten Highlightsdes Haushalts des Auswärtigen Amtes für das kom-mende Jahr vorgestellt, auch wenn noch nicht alles erle-digt ist und wir noch etliche Wünsche hätten, die wir imnächsten Haushalt aber nicht erfüllen können. Aber auf-geschoben ist ja nicht aufgehoben.Es warten viele Baumaßnahmen auf uns; sie stehen inden kommenden Jahren an. Das Deutsche Archäologi-sche Institut in Rom ist seit Jahren aus seinem Gebäudeausgelagert. Das kostet Miete, und Bauarbeiten werdendurch Liegenlassen nicht billiger. Hier hoffe ich auf um-gehende Einigung der verschiedenen beteiligten Ämter,und ich glaube nicht, dass für sämtliche denkbaren Kata-strophen wie Tsunami, Meteoriteneinschlag usw., für al-les Mögliche, Vorsorge getroffen werden muss, wasnämlich dann auch die Abstimmung innerhalb der Be-hörden massiv behindert – mit der Folge: Man kommtseit zehn Jahren zu keinem Ende.Auch etliche Liegenschaften des Auswärtigen Amtesbedürfen der Verbesserung, ob das die Botschaft inKairo oder Wien oder anderswo ist. Für die ordentlicheBezahlung der Ortskräfte muss auch eine Lösung gefun-den werden. Also: Es wird noch weiter sehr viel zu tungeben. Aber für das, was wir bisher erreichen konnten,hoffe ich auf die Unterstützung des ganzen Hauses.Vielen Dank.
Vielen Dank, Doris Barnett. – Nächster Redner in derDebatte: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen.
Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Durch die Debatten um deutsche Außenpolitik habensich im letzten Jahr ganz zentral zwei Begriffe gezogen:der Begriff „Krisen“ und der Begriff „Verantwortungdeutscher Außenpolitik“. Man muss sich die Frage stel-len: Passt dieser Etatentwurf zu diesen beiden Über-schriften, zu dem, was in den letzten zwölf Monaten ge-schah und nun hinter uns liegt, und vor allem zu dem,was vor uns liegt?Es ist schon erwähnt worden: Ja, in der Bereinigungs-sitzung hat sich dieser Haushaltsplan zu seinem Besse-ren verändert. Ich will bewusst sagen: Aus Sicht der Op-position kann man es noch deutlich besser machen. Aberman muss sich fragen: Von wo kommen wir denn? DerEtatentwurf sah eine Kürzung des Ansatzes um 218 Mil-lionen Euro vor. Mit dem, was jetzt obendrauf kommt– Doris Barnett sprach von 305 Millionen Euro, ich kamauf 250 Millionen Euro; den Streit darüber können wirwoanders austragen –, bleibt es im gesamten Einzelplandes Auswärtigen Amtes bei einem Plus von 1 bis 2 Pro-zent. Wenn man dann noch die überplanmäßigen Ausga-ben hinzuaddiert, die im letzten Jahr notwendig waren,um bei der humanitären Hilfe aufzustocken, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, dann ergibt sich, dass wir im kom-menden Jahr sogar weniger Geld ausgeben als in diesemJahr. Ich finde, es passt nicht zusammen, über mehr Ver-antwortung deutscher Außenpolitik zu reden und amEnde einen kleineren Etat für das Auswärtige Amt zu be-schließen.
Ich komme zum zentralen Punkt: der humanitärenHilfe. Da stehen jetzt 400 Millionen Euro bereit. Bereitsin diesem Jahr geben wir dafür 403 Millionen Euro aus.Wir vollziehen also nur nach, was bereits Realität ist.Der Kollege Leutert hat bereits Dokumente des Auswär-tigen Amtes selbst angesprochen, in denen beschriebenwird, dass Deutschland in der Rangliste der Gebernatio-nen im Bereich der humanitären Hilfe vom Rang Num-mer sieben im Jahr 2012 auf den neunten Rang im Jahr2014 zurückgefallen ist. Würde man die Finanzierungaus dem Jahr 2012 in Höhe von 4,3 Prozent nur fort-schreiben, dann würden wir nicht nur 400 MillionenEuro in humanitäre Hilfe investieren müssen – nein,dann müssten wir 650 Millionen Euro bereitstellen, umunserer Verantwortung gerecht zu werden. Deshalb,liebe Kolleginnen und Kollegen, wird meine Fraktionbeantragen, die Mittel für humanitäre Hilfe in diesemEinzelplan weiter zu erhöhen, auf die genannten650 Millionen Euro, und zusätzlich für den Kampf ge-gen Ebola – eine der Krisen, über die wir viel zu wenigreden – weitere 30 Millionen Euro allein im Etat desAuswärtigen Amtes bereitzustellen. Ich denke, das istbitter notwendig.
Herr Minister Steinmeier, Sie können nicht, wie Siees in einem, wie ich finde, bemerkenswerten Namensar-tikel in der Huffington Post getan haben, über eine Welt,die aus den Fugen geraten ist, sprechen, ohne sich mehrum Krisenprävention und Krisenfrüherkennung zu küm-mern. Ja, es ist richtig: Die Kürzung um 2 MillionenEuro wurde zurückgenommen. Es stehen jetzt 95 Millio-nen Euro bereit. Meine Fraktion findet aber, dass das,was unter Schwarz-Gelb im Jahr 2013 angemessen war
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– 133 Millionen Euro –, das Mindeste sein muss, wasDeutschland bereitstellt, um Krisen zu vermeiden undfrühzeitig auf Krisen zu reagieren. Deshalb haben wirauch an diesem Punkt in den Haushaltsberatungen eineErhöhung der Mittel beantragt. Leider sind Sie uns andieser Stelle nicht gefolgt, meine Damen und Herren.
Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen. Es istrichtig: Wir Grüne haben Anträge gestellt, deren Umset-zung diesen Etat um insgesamt 500 Millionen Euro auf-wachsen lassen würden. Ich höre schon, dass uns die Ko-alition vorwerfen wird: Na ja, ist das seriös? – Da willich Ihnen zum einen entgegenhalten: Ich lade Sie gernein, bei der folgenden Debatte über den Verteidigungs-etat anwesend zu sein und zu schauen, an welchen Stel-len wir Einsparungen vornehmen würden, um Schwer-punkte setzen zu können. Zum anderen müssen Sie sichfragen, ob es, wenn wir über Verlässlichkeit deutscherAußenpolitik reden, seriös ist, heute einen Haushalt zubeschließen, bei dem wir wissen, dass bereits morgenüberplanmäßige Ausgaben nötig sein werden.
Seriosität und Verlässlichkeit in der Haushaltspolitik be-deuten auch, die Zahlen reinzuschreiben, die notwendigsind.Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, sehr geschätzter Kollege Lindner; ich
gebe das jetzt zurück. – Nächster Redner: Alois Karl für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren Kollegen! Sehr geehrter Herr Bun-desaußenminister, lieber Herr Steinmeier! Die sehrgeehrten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und insbeson-dere Frau Staatsministerin Professor Böhmer und Staats-minister Michael Roth seien nun schon angesprochen;ihnen sei, damit ich das nicht vergesse, von vornhereinfür die gute Zusammenarbeit gedankt, die wir in denletzten Wochen und Monaten gepflegt haben.Lieber Herr Dr. Lindner, das Rechnen ist nicht Ihreganz große Stärke.
Sie haben bestimmt viele Stärken, aber man hat an dereinen oder anderen Stelle auch Schwächen.
Sie basteln sich hier zusammen, dass der Haushalt abge-nommen hat. Das ist schon ein Kunststück. Man kannüber alles diskutieren, bloß nicht über Adam Riese. DieZahlen stehen fest.Wir haben vor wenigen Wochen einen Haushaltsent-wurf vorgelegt bekommen, den wir beraten haben. ImHaushaltsausschuss haben wir 200 Änderungsanträgedurchgehechelt. Wir haben zwar den Haushalt um400 Millionen Euro gekürzt, aber den Etat des Bundes-außenministers dennoch deutlich erhöhen können. Daswar eine gute Sache, auch wenn das nicht bei allen großeFreude hervorgerufen hat. Ich werde darauf noch einge-hen.Tempus fugit, könnte man sagen. Die Zeit verfliegt,geht rasant dahin. Ein Blick in den Kalender zeigt: Heutein vier Wochen ist Heiliger Abend. Für Sie, Herr Außen-minister, gibt es heute schon einen Teil der Bescherung;
denn die Wünsche, die Sie an den Haushaltsausschussgerichtet haben, konnten zum großen Teil, nicht alle, er-füllt werden. Wir haben die letzten zehn Wochen ge-nutzt, um den Etat des Bundesaußenministers zu beraten.Tempus fugit – das gilt auch für die zahlreichenRückschauen, die in diesem Jahr Gegenstand unsererBetrachtungen und auch unserer Politik waren. Wir ha-ben festgestellt: Wie schnell geht die Zeit vorbei! Man-ches wendet sich zum Besseren.Wir haben auf die Zeit vor 100 Jahren zurückgeblickt.Im Jahr 1914 begann in Europa der Erste Weltkrieg. Die-ser Krieg hat viele Opfer gefordert; es gab 20 MillionenTote. Die Diplomatie – so hat man gesagt – habe damalsversagt, sowohl zu Beginn als auch zum Ende des ErstenWeltkrieges. Der Vertrag von Versailles hat wahrlich kei-nen Frieden gestiftet, sondern er hat die Auseinander-setzung erst weiter aufleben lassen. Nach dem Motto„Vae victis“ haben dereinst die Vandalen die Römer er-niedrigt. Ähnliches hat man damals in der Diplomatie er-lebt. Heute wollen wir das alles besser machen.Wir haben auf die Zeit vor 75 Jahren zurückgeschaut,auf den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, der in einerverheerenden Art und Weise, von Deutschland ausge-hend, die Welt in Brand gesetzt hat.Es gibt auch gute Zeiten, auf die wir zurückschauenkonnten: Ich denke an die Zeit vor 25 Jahren, den Fallder Berliner Mauer 1989, der uns unglaubliche Freudebereitet hat.Ich denke daran, dass vor 25 Jahren in den Weingär-ten in der Nähe von Sopron in Ungarn der Eiserne Vor-hang durch den Außenminister von Österreich, AloisMock, und den Außenminister von Ungarn, Gyula Horn,zum ersten Mal durchschnitten worden ist. Tausende vonDDR-Flüchtlingen konnten den Weg in die Freiheit an-treten.Ich habe mich auch sehr gefreut, dass wir in diesenTagen an den sogenannten Baltischen Weg, an die Sin-gende Revolution gedacht haben, als sich etwa 1,5 Mil-
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lionen Menschen von Tallinn in Estland über Riga inLettland nach Vilnius in Litauen die Hände gereicht undbekundet haben, dass sie nicht mehr zum sowjetischenReich gehören wollen, und das exakt 50 Jahre nachdem1939 der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen worden ist undman Osteuropa aufgeteilt und die Balten unter die Herr-schaft der Russen bzw. Sowjets gestellt hat.Wir haben 25 Jahre Fall der Berliner Mauer gefeiert,und das war auch richtig so. Mehr als 1 Million Men-schen haben am Brandenburger Tor gefeiert. Es habenviele Feierlichkeiten stattgefunden. Ich weiß nicht, ob esIhnen ähnlich ergangen ist wie mir. In den vielen An-sprachen war Helmut Kohl nur eine Fußnote und mehrnicht. Es war für mich und auch andere ein wenig be-schämend, dass man sein Wirken nicht besser in den Re-den würdigen konnte.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habeauch daran gedacht, dass es einige Zeit her ist – 1973 –,seit das Bundesverfassungsgericht eine wegweisendeEntscheidung getroffen hat. Die Bayerische Staatsregie-rung, angetrieben auch von dem damaligen CSU-Vorsit-zenden Franz Josef Strauß, hat damals das Bundesver-fassungsgericht angerufen, um klären zu lassen, dassDeutschland ungeteilt ist, dass wir ein Volk sind und alleRepräsentanten und Institutionen des Landes auf dieEinheit hinarbeiten müssen. Auch das war ein wichtigerPunkt, der zu diesem Ereignis des 9. November geführthat.Ich danke allen ganz herzlich, die in diesem Jahr gutedeutsche Außenpolitik mitbetrieben haben.Herr Bundesaußenminister, Sie sagten, die Welt seiaus den Fugen geraten. So hat es jedenfalls den An-schein angesichts der Flüchtlingsströme aus dem Mittel-meerraum, die nach Europa drängen, sowie der Krisen-herde in der Ukraine, im Irak, in Syrien und anderenGegenden, die ich nicht alle aufzählen möchte, oderauch auf der Krim. Auch wenn die Ereignisse auf derKrim jetzt ein gutes halbes Jahr her sind, müssen wirweiterhin sagen, dass es Unrecht war und bleibt und wirdie russische Politik des Sich-Einverleibens niemals gut-heißen können. Was ist denn da schon ein halbes Jahr?Welche Geschichtsvergessenheit haben manche in unse-rem Lande heute und publizieren das auch noch!
Ich danke Ihnen, Herr Steinmeier, dass Sie in den Kri-sengebieten, gerade in der Ukraine, fast dauerhaft unter-wegs sind.
Mit diesen Reisen übertreffen Sie ja fast schon Hans-Dietrich Genscher mit seiner „Pendeldiplomatie“. Wirmüssen einen langen Atem haben, darin gebe ich Ihnenrecht. Ich denke auch, dass die deutsche Politik gut bera-ten ist, gemeinschaftlich aufzutreten. Ich danke derBundeskanzlerin, dass sie eindeutig gesagt hat, dass zwi-schen dem Bundesaußenminister und ihr keine Differen-zen bestehen, sondern dass wir eine Außenpolitik „auseinem Guss“ betreiben.
Die humanitären Hilfsmaßnahmen sind angesprochenworden. Dort haben wir gut miteinander gearbeitet – da-rin beziehe ich auch die Kollegen Leutert undDr. Lindner ein, liebe Kollegin Barnett –, sodass wir die-sen Ansatz auf 400 Millionen Euro erhöhen konnten.Das ist nicht unbedingt ein Ausdruck großer Freude. Hu-manitäre Hilfsmaßnahmen müssen nämlich nur deshalbergriffen und der Haushaltsansatz muss so hoch gesetztwerden, weil auf der Welt viel Leid geschieht und wirunsere Arbeit leisten müssen – beispielsweise bei der hu-manitären Ernährungshilfe und der Trinkwassernotver-sorgung. Wir helfen den Ärmsten der Armen, wenn esdarum geht, ihr blankes Überleben zu sichern – und diesmöglichst noch in Würde und Sicherheit.Dafür haben wir die Ansätze hochgefahren. Der Bun-desfinanzminister sagte sehr deutlich: Da wird es amGeld nicht fehlen. – Ich danke dem Bundesfinanzminis-ter Schäuble, aber auch Ihnen, lieber Herr Kampeter, so-wie Ihrem Kollegen Herrn Gatzer, mit dem wir manchesgut durchsetzen konnten, zum Beispiel, die Hilfe für dieDeutschen im Ausland drastisch zu erhöhen.Unsere Auswärtige Kulturpolitik ist bestens ausge-stattet worden – auch ein Ausweis unserer Aktivitätenim Ausland. Der Kollege Gauweiler wird darauf in sei-ner Rede, denke ich, noch profund eingehen. Goethe-In-stitut und Deutscher Akademischer Austauschdienst –alle sind bessergestellt als eigentlich erwartet, und wirfreuen uns, dass wir uns auch auf diese Art und Weise inder Welt gut darstellen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Punkt,der mich sehr gefreut hat, ist, dass wir auch für den Er-halt der deutschen Sprache und der deutschen Kultur inRumänien einen kleinen Ansatz mit 750 000 Euro in denHaushalt einbringen konnten. Seit mehr als 1 000 Jahrenwird dort deutsche kulturelle Arbeit betrieben. ÜberJahrhunderte wurden hervorragende deutsche Schulenaufgebaut, die von Rumänen genauso besucht werdenwie von Deutschen und die eine hohe Anerkennung ge-funden haben. Was die Siebenbürger Sachsen und dieBanater Schwaben vor Jahrhunderten grundgelegt ha-ben, soll heute nicht geschliffen werden. Bis auf denheutigen Tag – nicht einmal Ceausescu und andere kom-munistische Führer haben gewagt, das einzuebnen – istderen Situation hervorragend. Auch der neue Staatsprä-sident Iohannis war Schüler einer dieser Schulen und er-griff später den Beruf des Physikers. Das ist ja heute einAusweis für höchste Ämter in der Politik.
Er hat uns bei unserem Besuch gezeigt, wie toll sich dieDinge auch in einem früher sozialistischen Land wie Ru-mänien entwickeln können. Ich danke dir, lieber KollegeChristoph Bergner, dass du mir da auch ein bisschen denWeg gewiesen hast. Ich wäre von mir aus nicht daraufgekommen, dass wir diesen Ansatz wählen müssen, da-
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mit wir in diesem Land, das ja mittlerweile zur EU ge-hört, Fuß fassen und präsent sind.Ich danke auch dir, liebe Kollegin Barnett, herzlich,dass du nicht lange Widerstand geleistet hast, als es da-rum gegangen ist, die Internationale Akademie Nürnber-ger Prinzipien mit zu unterstützen. Diese Stiftung wirdin diesem Jahr mit 1,9 Millionen Euro gefördert. Ich waram letzten Samstag in Nürnberg. Ein MinisterialdirektorIhres Hauses hat den Bund vertreten. Der Freistaat Bay-ern war mit zwei Ministern, die Stadt Nürnberg mit demOberbürgermeister vertreten. Mir kam gerade der Ge-danke: Die Präsenz der jeweiligen Träger der Stiftungverhält sich geradezu reziprok zu ihrem finanziellenEngagement.
Auf gut Deutsch heißt das: Je mehr einer zahlt, desto we-niger dominant ist er vertreten.Wir haben dort in der Tat eine ganz hervorragendeEinrichtung, die die Fortentwicklung des Völkerrechtesund des Völkerstrafrechtes dokumentiert. Was 1945/46in den Nürnberger Prozessen begonnen worden ist, istheute Grundsatz jeglicher völkerrechtlichen Rechtspre-chung auf der gesamten Welt: Keine Einzelperson kannsich mehr darauf berufen, dass sie eigentlich nach einemformalen Gesetz gehandelt habe. Über dem formalenGesetz steht das Recht; nicht das Recht des Stärkeren,sondern das Recht ist ausschlaggebend. Keiner, der inder Politik, in einer Staatsführung oder als Leiter einermilitärischen Einheit tätig ist, kann sich damit herausre-den, dass er aufgrund eines Befehls oder eines formellenGesetzes gehandelt habe.
Herr Kollege!
Ich danke für den Hinweis und komme zum Ende. –
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ih-
nen ganz herzlich, dass wir in dieser kollegialen Art den
Haushalt aufstellen konnten, dass wir auch für das
nächste Jahr dem Außenminister das finanzielle Rüst-
zeug geben, eine gestaltende Außenpolitik aus Deutsch-
land für Europa und in der Welt zu machen.
Ich danke sehr herzlich und bitte Sie um Zustimmung
zu unserem Haushalt.
Vielen Dank, Kollege Alois Karl. – Unser nächsterRedner in der Debatte ist BundesaußenministerDr. Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Alois Karl hat es eben gesagt: Viel Gutes, viel Erfreuli-ches ist aus den internationalen Beziehungen, aus der in-ternationalen Politik im Augenblick nicht zu berichten.Deshalb kommt es umso mehr darauf an, dass man sichder wenigen Sternstunden, die es in diesem Jahr gegebenhat, noch einmal vergewissert. Ich finde, es war schoneine Sternstunde, als hier in Berlin vor zweieinhalb Wo-chen Tausende von weißen Ballons in den Abendhimmelstiegen und uns noch einmal daran erinnert haben, dassdieser Tag vor 25 Jahren ein wirklicher Glücksmomentin der deutschen Geschichte war und dass wir uns dessenwirklich sicher und gewiss sein sollen.
Ich sage das nicht ohne Grund ganz am Anfang. Fürmich und meine Generation ist es ja so, dass einem an ei-nem solchen Tag noch einmal klar wird: Wir, die wirnach dem Krieg geboren sind und heute an unterschiedli-chen Stellen Verantwortung tragen, sind diejenigen, dievon der Geschichte begünstigt sind. Wir durften siebenJahrzehnte in einem Europa ohne Krieg leben. Uns solltebewusst sein, dass das auf ganz vieles zurückzuführenist, vor allen Dingen auf mutige Bürgerinnen und Bürgerin vielen Staaten Osteuropas, besonders in der früherenDDR, dass das aber auch auf viele Generationen Außen-politik zurückgeht, die uns diesem Ziel, nämlich demFall der Mauer, über die Jahre hinweg nähergebracht hat.Was sagt uns das heute, meine Damen und Herren?Aus meiner Sicht, dass wir, die wir heute miteinanderVerantwortung tragen, uns nicht nur der Erinnerung andas Glück, das wir alle miteinander gehabt haben, versi-chern dürfen, sondern dass wir dieses Glück als histori-sche Verantwortung, als historische Pflicht begreifenmüssen, nie wieder zuzulassen, dass dieses Europa ananderer Stelle neu gespalten wird. Das ist unsere Verant-wortung.
Dazu brauchen wir aktive Außenpolitik. Gleich zuBeginn meiner Rede will ich diesem Hohen Haus mei-nen Dank dafür aussprechen, dass es die Bemühungenunserer Außenpolitik ausdrücklich unterstützt, und zwarnicht nur rhetorisch, dass diese Unterstützung ihren Nie-derschlag auch im Haushalt findet. Mein Dank gilt na-türlich ganz besonders den Berichterstattern, die ebengeredet haben, Doris Barnett, Alois Karl, MichaelLeutert, Tobias Lindner, für konstruktive Diskussionen,die wir lang und ausführlich miteinander geführt haben,und für hilfreiche Ergebnisse. Ihnen danke ich stellver-tretend für das ganze Parlament. Ich sage aufrichtig:Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung, meine Damenund Herren.
Diesen Dank beziehe ich ganz besonders auf zwei Be-reiche, die meistens im Schatten der öffentlichen Debat-ten stehen:Das gilt erstens für die humanitäre Hilfe, die Sie alleauf unterschiedliche Weise angesprochen haben. Wir
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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dürfen unseren Blick nicht abwenden vom Elend in die-ser Welt. Wir sind uns gewiss: Wir werden es alleinenicht abwenden, aber wir müssen unseren Teil beitragen,unerträgliches Leid wenigstens zu mindern. Seien es dieFlüchtlinge aus Syrien, seien es die Opfer des IS-Terrorsim Nordirak, seien es die Menschen in der Ostukraineoder seien es die Gesellschaften in Westafrika, die vomEbolavirus immer noch heimgesucht werden – ihnen al-len kommt die humanitäre Hilfe zugute, für die Sie dieMittel im Haushalt immerhin verdoppelt haben. Dafürdanke ich ganz herzlich.
Der zweite Bereich, den ich hervorheben möchte, derebenfalls regelmäßig unter den Tisch fällt, wenn wir imDeutschen Bundestag über Außenpolitik reden, ist dieAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Ich will dasausdrücklich sagen: Das ist nicht ein „nice to have“, dasist nicht einfach eine nette Draufgabe, sondern das ist einTeil der Außenpolitik, für den es einen dringenden Be-darf gibt, der sogar von Jahr zu Jahr weiter wächst.Schaut man nur auf die gefährlichsten Konflikte um unsherum – ob Syrien, ob Irak, ob Naher Osten oder Nord-afrika –, stellt man fest, dass es in jedem dieser Konflikteeigentlich weniger um die klassischen politisch-territoria-len Auseinandersetzungen geht. Alle diese Konfliktesind mindestens überlagert von religiösen, ethnischenoder kulturellen Konflikten, die wir – das ist mein Plä-doyer – wenigstens verstehen sollten, bevor wir uns ent-scheiden, ob und auf welcher Seite des Konfliktes wiruns engagieren.
– Danke. – Die Langzeitfolge der militärischen Interven-tion im Irak sollte uns – das wird deutlich, wenn wir unsdas noch einmal genau anschauen – eigentlich eineLehre sein. Wiederholungen dieser Art müssen für dieZukunft jedenfalls vermieden werden.
Gerade weil sich die Welt nicht mehr allein um dieeuropäische Sonne dreht, sondern weil China, Indien,Südamerika und Afrika mit großem Selbstbewusstseinmit Blick auf die eigene Geschichte, Kultur und Philoso-phie in der Welt auftreten, müssen auch wir – auch dasist Teil von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik –unsere Werte und unsere Überzeugungen besser ver-ständlich machen, als wir das in der Vergangenheit, viel-leicht in großer Selbstsicherheit, getan haben.Mit diesem Haushalt stärken wir nicht nur das Flagg-schiff der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, dasGoethe-Institut, das jetzt endlich einigermaßen ordent-lich ausgestattet ist. Dadurch, dass wir dem DeutschenAkademischen Austauschdienst neue Stipendienmög-lichkeiten zur Verfügung stellen, können wir auch mehrjunge Leute aus aller Welt zu uns holen. An andererStelle habe ich gesagt: Man darf den Erfolg nicht unterden Tisch fallen lassen, dass wir innerhalb der letztensechs Jahre ungefähr 1 500 Partnerschulen überall aufder Welt geschaffen haben, in denen junge Leute zumersten Mal mit deutscher Sprache, auch mit deutschenWertvorstellungen in Berührung kommen. Das alles istnur möglich aufgrund der Haushaltsausstattung, die Sieuns gewähren. Deshalb auch dafür meinen ganz herzli-chen Dank.
Ich fange mit den Punkten an, die positiv sind. Aberich kann natürlich nicht über Folgendes hinwegsehen:Die Welt ist eine andere geworden. Sie ist schwierigerdenn je. „Eine Welt aus den Fugen“, habe ich an andererStelle gesagt. Die Bilder aus den Konfliktgebieten, dieuns jeden Abend in unseren Wohnzimmern erreichen,sind unerträglich. Auch wenn ich täglich damit zu tunhabe, verstehe ich natürlich den Ruf der Menschen, dieuns auf unterschiedliche Art und Weise kundtun: Jetzttut endlich etwas, damit diese Konflikte gelöst werden.Viele haben den Eindruck, bei der Außenpolitik dau-ert alles viel zu lange. Das stimmt auch. Es dauert häufigviel zu lange, bis sich Engagement und Aktivität wirk-lich positiv bemerkbar machen. Aber diejenigen, die hiersind, wissen: Man muss manchmal mit dem Ansatz her-angehen, dass bei sehr festgefahrenen Konflikten dieAufgabe der Außenpolitik eben auch darin besteht,Schlimmeres zu verhüten und einen noch schlimmerenZustand nicht eintreten zu lassen. Mit dem Vorwurf, dasses zu lange dauert, kann ich also leben.Mit dem anderen Vorwurf, dass Außenpolitik eigent-lich ein vergebliches Unterfangen ist, kann ich schonweniger leben. Man betrachte nur einmal ein Wochen-ende wie das, das wir gerade in Wien erlebt haben. Na-türlich sage auch ich mir: Mein Ehrgeiz und meine Er-wartungen an die Verhandlungen mit dem Iran, die zumZiel haben, den Atomkonflikt endlich zu Ende zu brin-gen, waren größer. Es hat aber nicht sollen sein. Es hatnicht gereicht. Wir sind nach drei Tagen und zwei Näch-ten Verhandlungen nicht an den Punkt gekommen, wowir hätten sicher sein können, dass alle Nebenwege undUmleitungen, vielleicht doch zur Atombombe zu kom-men, ausgeschlossen sind. Dennoch würde ich nicht un-terschreiben, dass Außenpolitik deshalb vergeblich ist.Man muss vielmehr versuchen – das ist immerhin ge-schehen –, auch über drei Tage und zwei Nächte die un-terschiedlichen Positionen ein ganz kleines Stück zuein-anderzubringen.Rückblickend auf die letzten zehn Jahre sage ich: Wirhaben im letzten Jahr mehr geschafft als in den neun Jah-ren zuvor. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Lö-sung nicht unmöglich, sondern immer noch möglich ist.Deshalb habe ich der Verlängerung der Frist für die Ver-handlungen um ein weiteres Vierteljahr und dann umzwei weitere Monate für die technischen Details aus-drücklich zugestimmt. Ich bleibe zuversichtlich, dass dasam Ende kein ganz unlösbarer Konflikt ist.
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6548 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Mit Blick auf einige Krisenbilder und langandauerndeAuseinandersetzungen – Syrien ist vielleicht eine davon,ebenso die Ukraine – ziehen viele Leute gelegentlich dengefährlichen Schluss: Wenn man sich die Bilder ansieht,dann denkt man, dass das doch alles überflüssig ist. DieLeute hören doch in Wahrheit nicht auf Sie. – Es stimmt:Der Gipfel von Vilnius liegt nun schon ein Jahr zurück.Seither ist der Ukraine-Konflikt durch viele Aggregat-zustände gegangen: von den bürgerkriegsähnlichenVerhältnissen in Kiew über die völkerrechtswidrige An-nexion der Krim bis hin zur gewaltsamen Auseinander-setzung und Gewaltexzessen in der Ostukraine.Trotzdem, sage ich Ihnen, darf Außenpolitik sich niein den Zustand der Aussichtslosigkeit begeben. Das warauch der Grund, weshalb ich jetzt noch einmal nachKiew und Moskau gefahren bin und eines der 100 Ge-spräche, von denen die Kanzlerin heute Morgen gespro-chen hat, geführt habe. Ich glaube, wir haben gar keineandere Möglichkeit, als mit den Konfliktparteien Einver-nehmen darüber zu erzielen, dass das einzige Dokument,das im direkten Gespräch miteinander wirklich erreichtworden ist, nämlich die Minsker Vereinbarung, nicht derGeschichte überantwortet wird, sondern dass wir nochAnstrengungen unternehmen müssen, sie wirklich zurGrundlage der Entschärfung des Konfliktes und hoffent-lich anschließend zur Grundlage für politische Lösungenzu machen.
Die schwierige Aufgabe, die Ukraine zu stabilisieren,liegt vor uns – ökonomisch und politisch eine großeAufgabe, die wir in Europa zu schultern haben. Das Ver-hältnis zu Russland wird sicherlich neu vermessen wer-den müssen. Wo wir in 10 oder 15 Jahren stehen, wie dieeuropäische Sicherheitsarchitektur dann aussieht, weißauch ich nicht. Ich bin mir nur gewiss: Es wird über-haupt nur dann eine Sicherheitsarchitektur geben, wennwir nicht sämtliche Gesprächsformate, die jetzt noch zurVerfügung stehen – es sind wenige –, entwerten und inden Mülleimer der Geschichte werfen.Das gilt für vieles. Das gilt, wenn ich das sagen darf,Marieluise Beck, auch für den Petersburger Dialog. Mirist völlig klar: In dem Maße, in dem der gesellschaftlicheFreiraum in Russland in den letzten Jahren kleiner ge-worden ist, ist der Dialog schwieriger geworden.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung
der angesprochenen Kollegin?
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Bitte.
Frau Beck.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Lieber Herr Außenminister, lieber Frank-Walter
Steinmeier, ich möchte hier sehr deutlich machen, dass ich
mich für eine Reform des Petersburger Dialogs ausge-
sprochen habe, immer für eine Reform und nie für seine
Abschaffung; nur damit das hier in diesem Haus klar ist.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Herzlichen Dank für die Frage.
Sie kann auch eine Bemerkung machen; das sieht un-
sere Geschäftsordnung vor.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Herzlichen Dank. – Das gibt mir die Gelegenheit, da-
rauf hinzuweisen, dass die Antwort in meiner Rede noch
gekommen wäre. Ich hätte nämlich als nächsten Satz ge-
sagt: Ich bin Gast beim Petersburger Dialog. Deshalb
steht es mir überhaupt nicht zu, irgendwelche Empfeh-
lungen zu geben. Aber ich bin daran interessiert, dass
dieses Dialogformat aufrechterhalten wird. Natürlich ist
es überhaupt nicht verboten, über Veränderungen und
Modernisierungen nachzudenken. Was ich nur nicht
möchte, ist, dass aus dem Petersburger Dialog ein Berli-
ner Monolog wird. Dann haben wir nämlich nichts ge-
wonnen, meine Damen und Herren.
In diesem Sinne bitte ich, bei all dem, was da auf dem
Weg ist, auch die Interessen deutscher Außenpolitik mit
im Auge zu behalten.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Nächster
Redner in der Debatte: Jan van Aken für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichfinde ja, dass die deutsche Außenpolitik gerade einziemlich trauriges Bild abgibt. Es lässt auch tief blicken,Herr Steinmeier, dass Ihr Koalitionskollege Herr KarlSie gerade loben wollte und das Einzige, was ihm ein-fiel, war: Sie reisen viel. – Reisen ist schön. Aber ichfinde, das reicht nicht. Was mir wirklich fehlt, ist eineVeränderung der deutschen Außenpolitik. Wir brauchenendlich eine echte Friedenspolitik,
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Jan van Aken
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vor allen Dingen eine Sicherheitspolitik, die Sicherheitnicht immer nur militärisch denkt,
und eine Außenpolitik, die nicht immer nur mit derWaffe in der Hand und dem Panzer im Kopf gedachtwird. Ich möchte drei Beispiele für Fälle, in denen Siegenau das tun, ansprechen.Das erste Beispiel: Afghanistan. 13 Jahre NATO-Krieg haben dem Land keinen Frieden, keinen sozialenFortschritt, keine stabile Demokratie, keine Rechtsstaat-lichkeit gebracht. Sie alle hier im Raum wissen genausogut wie ich, dass Ihr Krieg in Afghanistan komplett ge-scheitert ist.
Deshalb haben Sie uns jahrelang den Abzug Ende2014 versprochen. Aus meiner Sicht war schon das vielzu spät, aber nicht einmal das halten Sie ein. Es sollennoch 850 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan blei-ben. Dann fügen Sie hinzu: Das ist ja nur für Ausbil-dungszwecke. – Wen wollen Sie damit eigentlich hintersLicht führen, Herr Steinmeier? Die Öffentlichkeit, unshier im Parlament oder sich selbst? Denn Sie verschwei-gen dabei immer, dass die Bundeswehr ja nicht allein inAfghanistan ist, sondern Seite an Seite mit 10 000 ameri-kanischen Soldaten kämpfen wird. Die haben einenKampfauftrag, und mit dem gehen sie dort in denKampf. Da immer nur von Ausbildung zu reden, ist dochverlogen.
Vor allen Dingen: Reden Sie bitte nicht mehr vom zi-vilen Aufbau in Afghanistan; denn der findet mit derBundeswehr nicht statt. Wenn Sie weiterhin zivile Hilfeund Militär miteinander verkoppeln, dann wird es keineneutrale, humanitäre Wiederaufbauhilfe in Afghanistangeben. Das sagen Ihnen alle Entwicklungshelfer, das sa-gen auch alle Aufbauorganisationen, und Sie wissen das.Auch Sie kennen Herrn Erös – er ist ein ehemaliger Bun-deswehrsoldat –, der dort seit zehn Jahren Schulen auf-baut und immer und immer wieder sagt: Bringt unsereSchulen im Taliban-Gebiet nicht mit westlichen Solda-ten in Verbindung. Nur so, nur ohne Militär, können wirMädchen- und Jungenschulen mitten im Taliban-Gebietaufbauen.
Das heißt, wenn Sie wirklich Wiederaufbau und humani-täre Hilfe wollen, dann geht das nicht mit der Waffe inder Hand und mit dem Panzer im Kopf.
Herr Steinmeier, Sie haben hier gesagt, man müssedoch auch einmal die Lehren aus dem Irakkrieg 2003ziehen. Dann tun Sie das doch endlich! Wo ist denn derUnterschied zwischen den desaströsen Ergebnissen desIrakkriegs 2003 und Ihrem Einsatz in Afghanistan? Hiergibt es doch keinen Unterschied. Die Situation der Men-schen ist in beiden Ländern katastrophal.Zweites Beispiel: Syrien und Irak. Auch in Syrien undim Irak zeigt sich, dass Sie überhaupt keine Vorstellungdavon haben, wie man einem gewalttätigen Konflikt zi-vil – nicht gewalttätig – begegnen könnte. Der Bürger-krieg in Syrien dauert jetzt vier Jahre. Die Bundesregie-rung hat in dieser ganzen Zeit wenig für eine friedlicheLösung getan, aber sie hat die Bundeswehr und Patriot-Raketen in die Türkei geschickt. Sie alle hier wissen –gerade Ihre Verteidigungspolitiker –: Eine militärischeNotwendigkeit dafür gab es nie. Das war immer nur einpolitisches Signal und eine politische Unterstützung derErdogan-Regierung in der Türkei, also für eine Regie-rung, die im Moment ganz sicher nicht Teil der Lösung,sondern Teil des Problems in der Region ist.
Mit der Bundeswehr und den Patriot-Raketen unter-stützen Sie noch immer eine türkische Regierung, die ra-dikale Dschihadisten in Syrien unterstützt – das wissenSie –, die bis heute lieber gegen Kurdinnen und Kurdenals gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ kämpftund die die nordsyrischen Gebiete mit einem komplettenEmbargo belegt. Hier kommen keine einzige Tabletteund keine einzige Hilfelieferung durch. Diese türkischeRegierung unterstützen Sie! Das machen Sie mit! Sieselbst, Herr Steinmeier, verweigern sogar medizinischeHilfe für die Kurdinnen und Kurden in Nordsyrien. Ichbin fassungslos und frage mich, was das eigentlich füreine Außenpolitik ist, die an die einen Kurden im Nord-irak Waffen liefert, den anderen Kurden in Nordsyrienaber nicht einmal Medikamente liefern will. Das ist dasGegenteil von menschlicher Außenpolitik.
Wie brutal Sie gelegentlich sein können, zeigt meindrittes Beispiel, nämlich Ihr Umgang mit den Flüchtlin-gen im Mittelmeer, die vor Krieg, Gewalt, auch vor deut-schen Waffen und vor Armut flüchten. Sie alle wissen:Es gab ein italienisches Programm zur Seenotrettungvon Flüchtlingen im Mittelmeer. Das Programm hieß„Mare Nostrum“. Das hat in einem einzigen Jahr130 000 Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken ge-rettet. Das Programm musste aus Geldmangel eingestelltwerden, weil kein einziger EU-Staat bereit war, das mit-zufinanzieren. Auch die Bundesregierung war nicht be-reit, nur einen einzigen Cent für dieses Programm „MareNostrum“ zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeerauszugeben.
Auch Sie, Herr Steinmeier, sind mit schuld, wenn dasMittelmeer zum Friedhof für viele Menschen wird.
Am meisten regt mich auf – gerade jetzt, da sich dieVerteidigungspolitiker, die Kriegspolitiker der CDU/CSU aufregen –: Für die Flüchtlinge im Mittelmeer ha-
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Jan van Aken
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ben Sie kein Geld, aber hier um die Ecke, am BahnhofFriedrichstraße, in der besten Lage im Berliner Zentrum,haben Sie gerade zu horrenden Kosten ein Rekrutie-rungsbüro für die Bundeswehr eröffnet.
Der Werbeetat der Bundeswehr – ich weiß, das ist nichtIhrer – beträgt 35,5 Millionen Euro. Das Geld würdelocker ausreichen, um davon Ihren Beitrag für „MareNostrum“ zu zahlen und damit 130 000 Menschen zuretten. Sie machen hier aber lieber eine Showveranstal-tung, um junge Menschen zur Armee zu ziehen.
Das kommt dabei heraus, wenn man manchmal nur denPanzer im Kopf und das Gewehr in der Hand hat undkeine menschliche Außenpolitik betreibt.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschlandkeine Waffen mehr exportieren sollte.Herr Steinmeier, Ihr Kollege, Ihr Wirtschaftsminister,Ihr Vizekanzler, Ihr SPD-Vorsitzender, hat vor einemJahr noch ganz laut getönt: Wir brauchen Beschränkun-gen bei den Waffenexporten. – Jetzt, nach einem Jahr, ister vor der Rüstungslobby und der Kanzlerin kompletteingeknickt. Es gibt in der Waffenexportpolitik nichteinmal mehr ein Reförmchen. Der Vorsitzende des Ver-teidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels – auch vonder SPD –, hat das gestern vor der gesamten versammel-ten deutschen Rüstungsindustrie noch einmal versichert.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Wörtlich hat er gesagt: Die Regeln für Rüstungs-
exporte werden nicht verändert. – Hier haben Sie aber
wirklich ein Problem mit Ihrem Panzer im Kopf.
Man kann sich in diesem Haus trefflich streiten, und
diese parlamentarische Debatte lebt auch von einer Kon-
troverse. Den Außenminister aber mitverantwortlich für
das Sterben im Mittelmeer zu machen, halte ich für un-
zulässig.
– Das können Sie nachher machen.
Nächster Redner ist Philipp Mißfelder für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Zunächst einmal bin ich über die einordnendenWorte der Parlamentspräsidentin sehr froh. Ich hoffe,dass sich auch diejenigen, die am 5. Dezember im Land-tag von Thüringen zusammenkommen, gut überlegen,ob man mit Vertretern einer solchen Partei wirklich eineKoalition bilden will.
Herr van Aken, alles, was Sie gesagt haben, warfalsch.
Das, was Sie über Afghanistan gesagt haben, war inhalt-lich falsch. Auch das, was Sie zu den Auslandseinsätzender Bundeswehr und zu den zivilen Maßnahmen gesagthaben, die wir flankierend durchführen, war falsch. ImRahmen der Vorbereitung des Afghanistan-Mandats dis-kutieren wir ausführlich über das, was wir im zivilen Be-reich mit einem langfristigen Commitment zusätzlichmachen können, und da sagen Sie: Sie haben nur Panzerim Kopf. – Das finde ich nicht richtig. Ehrlich gesagt,glaube ich, dass so etwas in Haushaltsdebatten nochnicht geäußert worden ist. Wir haben bisher hier immervernünftig miteinander diskutiert. Wir kennen Ihre Posi-tion, und Sie kennen unsere Position. Wir schließen mili-tärische Maßnahmen als äußerstes Mittel von Politiknicht aus, aber sie sind nicht zentraler Bestandteil unse-rer außenpolitischen Agenda.
Ich möchte in dieser Haushaltsdebatte an das anknüp-fen, was auf der Münchener Sicherheitskonferenz vondrei Rednern angesprochen worden ist. Darüber gab eseine ausführliche und kontroverse Diskussion. Die Mit-glieder des Auswärtigen Ausschusses haben vor ein paarWochen die Gelegenheit gehabt, mit dem Bundespräsi-denten zusammenzutreffen. Ich bin froh, dass es bei die-ser Diskussion zu einer klaren Absage an alle unterstell-ten Tendenzen kam – zum Teil gab es diese Misstöne imUmfeld der Konferenz –, nämlich dass es nicht um den– ich zitiere den Bundespräsidenten – „Ansatz eines wil-helminischen Deutschlands“ geht.Wenn ich über mehr Verantwortung nachdenke, dannheißt für mich „mehr Verantwortung“ definitiv nicht„mehr Soldaten“, sondern vor allem mehr Koordinie-rung. Damit komme ich zu einem Thema, das die Unionseit langer Zeit beschäftigt. Als Franz Josef Jung als Ver-teidigungsminister in der NATO das Konzept des Com-prehensive Approach durchgesetzt hat, haben wir uns im
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Philipp Mißfelder
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Rahmen des Weißbuchprozesses sehr viele Gedankengemacht und uns gefragt: Wie kann vernetzte Sicherheiterreicht werden? Was müssen wir dafür tun? Der Begriffvon der vernetzten Sicherheit passt sehr gut in die De-batte um mehr Verantwortung. Dadurch wird deutlich,dass die verschiedenen Maßnahmen, die wir wählen, zu-sammenpassen. Aber sie müssen noch stärker – und dakönnen wir sicherlich noch mehr tun – aufeinander abge-stimmt werden.Es geht nicht nur um militärische Komponenten, son-dern es geht auch darum: Wie kann man die Nutzung desäußersten Mittels von Politik, nämlich militärische Ein-sätze, mit diplomatischen Maßnahmen flankieren? Wiekann man sich langfristig zu seiner Verantwortung be-kennen: für ganze Regionen, für einzelne Länder oderfür Gruppierungen in Ländern? Das geht durch die Ent-wicklungszusammenarbeit sehr gut. Wie kann man ins-gesamt dafür sorgen, dass staatliche Strukturen über-haupt entstehen?Als wir hier vor kurzem über Afrika diskutiert haben,haben wir alle festgestellt, dass die BundesrepublikDeutschland im Bereich der Polizeiausbildung mehrleisten kann. Daher müssen wir uns fragen: Wo könnenwir Optimierungen durchführen? Ich bin froh, dass dieseDebatte um mehr Verantwortung begonnen hat, selbstwenn ich erst einmal sehr kritisch war; denn viele hattenden Eindruck, mehr Verantwortung würde automatischzu mehr Mandaten führen – das ist aber nicht passiert –,worüber wir hier in den Monaten danach sehr nüchternund abwägend diskutiert haben. Darüber bin ich froh.Ich glaube, dass es dazu sehr viele Beiträge aus diesemHause gab.Wenn wir auf dieses Jahr zurückblicken, dann solltenwir nicht nur im Blick haben, was uns – mit einigen Ab-stufungen – fast jeden Tag beschäftigt, beispielsweise dieUkraine oder auch der Nahost-Konflikt – gestern standendie Verhandlungen mit dem Iran im Mittelpunkt –, son-dern wir sollten uns auch daran erinnern, dass wir diesesJahr eine sehr große und wichtige Entscheidung gefällthaben. Diese Entscheidung wurde von einer Vertreterinder Bundesregierung als „Tabubruch“ bezeichnet; sie istkeinem leicht gefallen. Wir haben damals im Sommermehrere Sondersitzungen des Auswärtigen Ausschussesdurchgeführt und auch eine Sondersitzung im Plenumabgehalten, die rechtlich zwar nicht notwendig war, aberpolitisch doch den entsprechenden Rahmen gesetzt hat,um diese wichtige Entscheidung abzusichern. Ich meinedie Lieferung von Waffen in den Nordirak, nach Kurdis-tan; auch Sie haben das angesprochen, Herr van Aken.Wir haben uns gut überlegt, an wen wir Waffen liefern.Wenn wir jetzt eine Zwischenbilanz ziehen, was dieseWaffenlieferungen und unsere Maßnahmen, um Kurdis-tan und Nordirak zu unterstützen, angeht, dann muss ichsagen: Ich bin froh, dass wir dieses Mittel so begrenzteingesetzt haben. Ich bin froh, dass wir im Nordirak undin Kurdistan verlässliche Partner gefunden haben. Ichbin auch froh, dass wir die rote Linie gezogen haben, derPKK keine Waffen zur Verfügung zu stellen.
Selbst wenn sie in den letzten Monaten in der einenoder anderen Schlacht auf der richtigen Seite gestandenhat, entsprechen die Ziele der PKK nach wie vor deneneiner Terrororganisation. Wenn wir unser partnerschaft-liches Verhältnis mit der Türkei, die wir aufgrund ihrerSchlüsselstellung in der Region brauchen, fortsetzenwollen, dann muss man die Warnungen, die aus der Tür-kei in Richtung PKK kommen, nach wie vor sehr ernstnehmen. Dann darf man nicht einfach sagen: Wir diffe-renzieren gar nicht mehr zwischen den kurdischen Grup-pierungen und sponsern alle. – Der Meinung bin ichnicht. Ich glaube, das, was wir getan haben, war richtig,und schließe nach wie vor aus, der PKK in irgendeinerForm Waffen zur Verfügung zu stellen.
Herr Mißfelder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Bemerkung des Kollegen Liebich?
Herr Liebich? – Ja.
– Herr van Aken hat ja schon so viel geredet.
Es ist sein Recht. Er kann entscheiden, bei wem er es
zulässt und bei wem nicht. – Herr Liebich, bitte.
Es ist sehr nett, dass Sie das zulassen. Ich bin mir si-
cher, Sie hätten es auch bei jedem anderen Kollegen oder
jeder anderen Kollegin meiner Fraktion zugelassen.
Die Frage bezieht sich auf den Abschnitt Ihrer Rede,
den wir gerade gehört haben. Sie haben begründet, wa-
rum es richtig ist, nur an einen Teil der kurdischen
Kämpferinnen und Kämpfer Waffen zu liefern. Wie ge-
hen Sie aber damit um, dass die Kämpferinnen und
Kämpfer der Peschmerga nunmehr zu den Kämpfern der
PKK gekommen sind und gesagt haben: „Wir stehen an
eurer Seite und unterstützen euch; wir kämpfen mit euch
zusammen und haben auch Waffen dabei“? Wie wollen
Sie sicherstellen, dass die Waffen, die die Bundesregie-
rung an die Peschmerga-Kämpfer geliefert hat, nicht im
Kampf an der Seite ihrer Brüder und Schwestern in Rod-
schawa eingesetzt werden?
Grundsätzlich bin ich der Meinung – wir haben unsdamit ausführlich beschäftigt –, dass es in den Kurden-gebieten insgesamt dringend einer Militärreform bedarf.Wir wollen nicht, dass perspektivisch weiterhin jederStamm quasi über seine eigenen Einheiten verfügt. Viel-mehr wären an dieser Stelle Zentralisierung und Demo-kratisierung dringend geboten.
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Philipp Mißfelder
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– Ja, weil Gefahr in Verzug war, Herr Nouripour. Wirstanden im August bzw. Anfang September vor einerschwierigen Entscheidung: Entweder existiert Kurdistanweiter, oder Kurdistan wird von ISIS überrollt. In dieserSituation haben wir uns für diesen schwierigen Weg ent-schieden, der – das beantwortet zum Teil Ihre Frage –von Anfang an das Risiko beinhaltet, dass man, wennman Waffen aus der Hand gibt, nie wissen kann, wodiese Waffen letztendlich landen.Ich weise aber darauf hin, dass bisher das Verspre-chen Talabanis und Barsanis, diese Waffen nicht an wei-tere Kampfeinheiten zu geben, nicht gebrochen wordenist. Es gibt zwar jetzt Formationen, die kooperieren – dasstimmt –, aber bisher haben keine Waffenübergabenstattgefunden. Ich weiß nicht, ob dies in der Zukunft sobleibt. Ich hoffe, dass wir auf das Versprechen, das unsgegeben wurde, setzen können. Wir sind bislang auchnicht enttäuscht worden.Zur Lage im Nahen Osten möchte ich noch anmerken– insbesondere nachdem wir von der Bundesregierungunmittelbar über die Iran-Gespräche informiert wordensind; ich bin froh über das, was der Bundesaußenminis-ter dazu gesagt hat –, dass wir sicherlich in manchenPunkten weitergekommen sind, aber wir sind noch weitdavon entfernt, mit dem Iran zu einem Ergebnis zu kom-men.Der Iran ist eine der größten Gefahren für die Exis-tenz des jüdischen Staates Israel. Israel wird nicht nurvom Iran bedroht, sondern auch von innen heraus. Wennman bedenkt, mit welcher Brutalität Terrorakte dortstattfinden, dann muss man trotz vieler kritischer Punkte,die man hinsichtlich der israelischen Politik vorbringendarf und vorbringen muss, sehen, dass die einzige De-mokratie in der gesamten Region unter enorm großemDruck steht und dass selbst Gotteshäuser keine Sicher-heit bieten. Das ist aus meiner Sicht definitiv eine neueabstoßende und brutale Form von Gewalt, die wir alleverurteilen sollten.
Im Übrigen ist die Ursache nicht im israelischen Ver-halten zu suchen; sie liegt vielmehr in einer besondersbrutalen Ausprägung von Gewalt, die auch nicht durchReligion entschuldbar ist oder durch religiöse Motiveverdeckt werden sollte. Ich glaube, das hat mit dem Is-lam viel weniger zu tun, als diejenigen, die den Dschihadfür sich in Anspruch nehmen, behaupten. Das sind ein-fach Exzesse, die mit Toleranz und Respekt gegenüberReligionen insgesamt nichts zu tun haben.Ein anderes wichtiges Thema, das meiner Fraktionsehr am Herzen liegt und das unser Fraktionsvorsitzen-der seit Jahren auf die Tagesordnung setzt – diesesThema haben wir in diesem Jahr gerade vor dem Hinter-grund der großen Flüchtlingswellen im Nahen und Mitt-leren Osten besonders berücksichtigt; Syrien und derNordirak sind bereits als Stichworte gefallen –, ist dieLage der Christinnen und Christen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben uns insbesondere im Haus-haltsausschuss dafür eingesetzt – lieber Alois Karl, dafürdanke ich dir ganz besonders –, dass die Vertreter derReligion, die vor allem unser Land geprägt hat, in ihrenHeimatländern einen sicheren Hafen und viel Unterstüt-zung von außen bekommen. Uns kann es nicht egal sein,wie Christen im Nahen Osten präsent sind und dassStädte, die über Jahrtausende durch die Gemeinsamkeitder Religionen geprägt worden sind, über Nacht fürchristenfrei erklärt werden und dass dort entsprechendeUltimaten ausgesprochen werden. Wir haben daher nichtzugeschaut, sondern haben unsere Partner gestärkt, da-gegen vorzugehen. Wir haben im Rahmen unserer Mög-lichkeiten gerade im humanitären Bereich alles getan,um die Situation der Christen in dieser Region zu ver-bessern.Dabei sollten wir es nicht belassen. Wir sollten unsnoch viel mehr Gedanken darüber machen, was nun imWinter passiert und wie wir auf eventuelle Epidemienreagieren können. Ich finde es sehr professionell, wieunsere Regierung – ich weise hier insbesondere auf dasZusammenspiel von Entwicklungshilfeministerium undAuswärtigem Amt hin – agiert hat. Das TechnischeHilfswerk leistet hervorragende Arbeit. Wenn das untermehr Verantwortung für Christinnen und Christen imNahen Osten, wo sie in existenzieller Gefahr sind, zuverstehen ist, dann muss ich feststellen, dass wir in die-sem Jahr sehr gute Arbeit geleistet haben.
Zur Ukraine möchte ich nur Folgendes kurz anmer-ken, weil wir bereits eine intensive Diskussion in der Ar-beitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Zu-kunft des Petersburger Dialogs geführt haben. Sicherlichsind sich die Kritiker des Petersburger Dialogs nicht inallen Fragen einig. Wenn dieses Forum aber eine Zu-kunft haben soll, dann muss es dringend reformiert wer-den.
Sie haben völlig recht, Herr Minister: Es sollte keinMonolog sein. Wir sollten nicht nur unter uns darüber re-den. Wir können uns sicherlich stundenlang über Russ-land und darüber streiten, wer wen wann besucht hat;das gehört dazu und hat häufig auch mit innenpolitischenAspekten zu tun. Wenn wir aber den Petersburger Dialogals gesellschaftliches Vehikel zwischen unserer Gesell-schaft und der russischen Gesellschaft aufrechterhaltenwollen, dann bedarf es einer dringenden Reform. MehrOffenheit wird dieser Organisation nicht schaden. Esdarf keine Scheuklappen geben, weder in die eine nochin die andere Richtung.Natürlich müssen am Petersburger Dialog auch regie-rungsnahe Vertreter aus Russland teilnehmen, am bestenhochrangige. Ich wünsche mir, dass dieser Dialog aufhöchstem Niveau stattfindet und dass dort die Spitzen-vertreter beider Länder zusammenkommen, also diejeni-gen, die auch etwas zu sagen haben. Es nutzt nichts, da-raus einen Debattierklub von NGOs zu machen, dienicht wissen, wie sie in ihrem Land vorankommen sol-
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Philipp Mißfelder
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len. Auch diejenigen, die etwas entscheiden können,müssen mit am Tisch sitzen.Ich bin dafür, dieses Forum zu verjüngen und es fürTeilnehmer zu öffnen, die nicht schon zehnmal daranteilgenommen haben. Die entsprechenden Auswahlver-fahren müssen aus meiner Sicht optimiert werden. Wirhaben intensiv darüber diskutiert, dass der Lenkungsaus-schuss deckungsgleich mit den Mitgliedern ist. Ich selbstbin genauso wie der Außenminister nur Gast bei denVeranstaltungen. Aber eine Öffnung wird dieser Organi-sation überhaupt nicht schaden, sondern sozusagen zueinem Upgrade dieser Veranstaltung beitragen. Ich spre-che mich für den Erhalt dieser Veranstaltung aus, aberunter der Bedingung, dass Reformen umgesetzt werdenund dass diejenigen, die Verantwortung tragen, die Re-formen aktiv vorantreiben und nicht darauf warten, dassReformen vorangetrieben werden.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Mißfelder. – Nächster Redner
in der Debatte ist Omid Nouripour für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Mißfelder, ich bin nicht der Meinung, dass alles,was der Kollege van Aken gesagt hat, falsch ist.
Es gab einzelne Sätze, die ich richtig fand. Ich distan-ziere mich selbstverständlich nicht nur von der Tonlageseiner Rede, sondern auch davon, dass er den Herrn Au-ßenminister persönlich als Schuldigen für die Toten imMittelmeer benannt hat. Das ist nicht die Art und Weise,wie wir hier in diesem Hohen Hause diskutieren sollten.
– Er hat das Wort „schuld“ verwendet. Schauen Sienach!Es geht aber auch nicht, dass Sie, Herr Mißfelder, diepersönliche Verfehlung des Kollegen van Aken zum An-lass nehmen, um den Wählerwillen in Thüringen zu dis-kreditieren. Das gehört sich nicht. Das gehört nicht zu-sammen.
Herr Außenminister, Sie haben in den Anfangsmona-ten, als Sie neu im Amt waren, der Außenpolitik wiederKontur und Gewicht gegeben. Sie haben auch die Über-schrift „Mehr Verantwortung“ kreiert, die wir nicht inerster Linie als Militarisierung der deutschen Außenpoli-tik verstanden haben. Sie haben den Review-Prozess ini-tiiert, den wir richtig finden, und die Frage gestellt: Washaben wir falsch gemacht? Da dieser Haushalt nun derzweite Haushalt mit der Überschrift „Mehr Verantwor-tung“ ist, bietet es sich an, zu fragen, ob sich das imHaushalt tatsächlich niederschlägt.Da wird es eindeutig. Ja, wir haben sehr viele Krisenin unserer Zeit; sie sind omnipräsent, aber sie sind nichtvom Himmel gefallen. Die meisten Krisen entstehennicht einfach so, sondern haben einen Vorlauf. Deswe-gen ist es notwendig, dass man genau hinschaut. Dassdie Eskalation in Mali vor zwei Jahren erfolgt ist, warabsehbar, wenn man sich angeschaut hat, was in Libyenpassiert ist. Die Situation in den Ländern, die von Ebolabetroffen sind, ist seit März bekannt. Die Bundesregie-rung hat ein halbes Jahr gebraucht, bis sie überhaupt da-rauf reagiert hat. ISIS ist nicht erst seit der Einnahmevon Mossul im Juni dieses Jahres, sondern seit einein-halb Jahren auf dem Vormarsch. Zentral ist, dass manrechtzeitig hinschauen muss. Das passiert nicht. DieBundesregierung ist beim Hinschauen, beim Antizipie-ren von Konflikten, bei der zivilen Krisenprävention ein-fach zu langsam; sie macht zu wenig und ist zu zöger-lich.
Sie bedienen, wie viele andere auch, leider die Auf-merksamkeitsökonomie. Die Welt schaut auf Sindschar,dann schaut die Welt auf Kobane – dort geschehen ganzschreckliche Dinge –, und dann wendet sich die Auf-merksamkeit anderen Krisenherden zu. Dass sehr vieleLeute auf Kobane schauen, ist berechtigt, aber dass imWindschatten der Ereignisse von Kobane in AleppoFassbomben des Assad-Regimes nur so vom Himmelregnen, wird nicht beachtet. Es ist nicht so, dass wir dasGefühl haben, dass die Bundesregierung tatsächlich anti-zipiert, was jenseits der großen Konflikte, die Schlagzei-len machen, passiert. Dafür braucht man Expertise. Aberdiese Expertise findet sich nicht, in diesem Haushalt erstrecht nicht. Das ist der zweite Haushalt hintereinander,in dem der Etat für zivile Krisenprävention gekürzt ist.Das wird der realen Situation draußen und vor allem denNotwendigkeiten überhaupt nicht gerecht.
Auch die Institutionen fehlen. Die Institutionenbraucht man aber, wenn man ressortübergreifend arbei-ten will. Wir haben eine Verteidigungsministerin, diejetzt ein Weißbuch schreiben will. Sie haben den Re-view-Prozess begonnen. Was hat das miteinander zutun? Ich habe das Gefühl: gar nichts. Wenn man sich dieWelt ernsthaft anschauen und Konflikte antizipierenwill, dann muss man ressortübergreifend arbeiten. Ichgebe zu: Es ist nicht in erster Linie Ihre Verantwortung,dass das nicht immer geschieht; aber wir haben nicht dasGefühl, dass die Häuser Hand in Hand arbeiten. Bei derhumanitären Hilfe wird das deutlich. Erst kürzen Sie denEtat, dann machen wir, die NGOs und die Kolleginnenund Kollegen aus der Koalition Druck, und dann wirdder Ansatz wieder erhöht. Das ist im Endergebnis nichtdas, was wir uns gewünscht haben, wenn es auch besserals Ihr Entwurf ist. Aber mit Verlässlichkeit und mitHaushaltsklarheit hat das überhaupt nichts mehr zu tun.
Ich habe meine Rede mit Lob angefangen. Ich möchtenoch einmal loben. Sie selbst haben in München gesagt:
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Omid Nouripour
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Verantwortungsübernahme ist immer konkret. – Ichfinde zwar, dass es sich nicht gehört, den PetersburgerDialog unter der Überschrift „Dialog mit der Zivilgesell-schaft“ zu führen, ohne dass die Zivilgesellschaft da ist;aber unter dem Strich kommen wir zu dem Ergebnis,dass wir sehr an Ihrer Seite stehen, was Ihre Aktivitätenin der Ukraine und Ihr Engagement bei der Befriedungder Situation vor Ort angeht. Wir sind auch sehr dankbarfür die Worte, die die Frau Bundeskanzlerin heute Mor-gen in dieser Sache gefunden hat.Aber wenn es konkret wird und Sie eine Konferenz zuder Situation der Flüchtlinge machen, –
Redezeit!
– die in die Nachbarstaaten Syriens geflüchtet sind,
und am Ende große Ankündigungen, die sich gut anhö-
ren – 500 Millionen Euro in drei Jahren –, es dann aber
keinen einzigen Cent an frischem Geld gibt, dann ist das
nicht konkret und erfüllt nicht Ihre eigenen Ansprüche.
Ein Viertel der Legislaturperiode ist bereits vorbei. Wir
warten darauf, dass es wirklich konkret wird mit der Ver-
antwortungsübernahme. Dafür hätten Sie unsere volle
Unterstützung.
Danke, Herr Kollege Nouripour. – Nächster Redner in
der Debatte ist Norbert Spinrath für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Herr van Aken, ich
denke, das war eine nicht hinnehmbare Ehrabschnei-
dung,
wie Sie mit dem Herrn Außenminister umgegangen sind.
Es ist schon zum Ausdruck gekommen, dass es weder
dem Stil der Debatte noch der Würde des Hauses ent-
spricht, so miteinander umzugehen, aber eben auch nicht
dem vorbildlichen Einsatz unseres Außenministers ge-
recht wird.
Ich fordere Sie auch aus eigener Betroffenheit heraus
auf, sich beim Herrn Bundesaußenminister zu entschul-
digen. Falls Sie nicht das Kreuz dazu haben, sollte Ihr
Fraktionsvorstand in die Verantwortung treten.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, während wir in dieser Woche den Bundes-
haushalt debattieren, wird auf europäischer Ebene um
eine Lösung im Streit um den Haushalt der EU für 2015
gerungen. Es ist enttäuschend für mich, dass das Ver-
mittlungsverfahren zwischen Kommission, Parlament
und Rat in der vorigen Woche gescheitert ist. Es mag für
einzelne Bereiche noch keine tragfähigen Lösungen ge-
ben. Es mag berechtigte Kritik an einzelnen Posten ge-
ben. Aber es ist schon ein trauriges Bild, das da in der
Öffentlichkeit entsteht. Nur 1 Prozent des Bruttonatio-
naleinkommens dürfen die europäischen Institutionen
ausgeben; aber am Ende eines jeden Jahres entbrennt ein
Streit zwischen den Finanzministern der Mitgliedstaaten
einerseits und dem Europäischen Parlament und der
Kommission andererseits. Es ist Zeit, dass dieses unwür-
dige Schauspiel beendet wird. Es darf nicht sein, dass am
Ende des Jahres kein Geld mehr da ist für den Austausch
von Studierenden, für humanitäre Hilfe zum Beispiel in
Ebolagebieten oder für den Kampf gegen die Jugendar-
beitslosigkeit. Wir müssen in der EU entschlossener han-
deln.
Ich begrüße das heute von Jean-Claude Juncker vor-
gestellte Investitionspaket zumindest im Ansatz. Es wird
weiter zu prüfen sein, wie die Einzelheiten zu bewerten
sind. Meine Redezeit ist schon reduziert worden. Des-
halb will ich mich auf wenige Sätze hierzu beschränken.
Daran bin aber nicht ich schuld.
Nein, nein. – Entscheidend ist, dass wir zur Bekämp-fung der Wachstumsschwäche in der EU auf der einenSeite Strukturreformen und auf der anderen Seite Inves-titionen haben. Beides muss gleichzeitig geschehen.Deutschland sollte sich daran mit eigenen Mitteln betei-ligen.
Wir müssen uns wieder verstärkt auf unsere Vision ei-nes geeinten Europa im Sinne der Präambel unseresGrundgesetzes besinnen – ich zitiere –, „als gleichbe-rechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Friedender Welt zu dienen“. Vielleicht haben wir uns in Europain den letzten Jahren zu sehr auf einen Pragmatismusverständigt, haben viel zu oft viel zu viele Kompromissegemacht, um schnelle – vielleicht auch wichtige – Lö-sungen herbeizuführen, und dabei ein wenig die Visionaus den Augen verloren. Vielleicht brauchen wir neuenMut für Europa, neuen Mut, auch konsequenter ein ge-eintes Europa anzustreben, neuen Mut, Solidarität zuüben und auf nationale Egoismen zu verzichten. Auchwir in Deutschland tragen als Partner mit konstruktivenBeiträgen zur Lösung von Problemen bei. Wir müssenaber auch immer wieder liefern.Ein kleines positives Beispiel aus den Haushaltsbera-tungen: Das Auswärtige Amt hat – es ist ja auch Europa-ministerium – im nächsten Jahr einen kleinen finanziel-len Beitrag von nur 100 000 Euro zur Verfügung, kanndamit aber einen wichtigen Akzent in Zypern setzen mit
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6555
Norbert Spinrath
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der Unterstützung des Committee on Missing Persons.Diese Nichtregierungsorganisation leistet einen wichti-gen Beitrag zur Aussöhnung der Menschen beider Insel-teile. Ich sage ganz herzlichen Dank an die für den Ein-zelplan 05 zuständigen Berichterstatter Doris Barnett,Alois Karl und Dr. Tobias Lindner.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon bei der letz-ten Haushaltsdebatte habe ich zur dramatischen Situa-tion der Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere in Süd-und Südosteuropa, gesprochen. Die EU hatte ein 6 Mil-liarden Euro umfassendes Programm gegen Jugendar-beitslosigkeit aufgelegt. Noch im Juni sah es sehr düsterdamit aus. Nur ein Mitgliedstaat hatte ein nationales Pro-gramm angemeldet. Umso mehr Mut macht es aber, dassich in diesen Tagen von unserer ArbeitsministerinAndrea Nahles gehört habe, dass bis Anfang Dezembervoraussichtlich etwa 85 Prozent des Gesamtvolumensder EU-Fördermittel für konkrete Projekte zur Bekämp-fung der Jugendarbeitslosigkeit festgelegt sein werden.Ich glaube, die EU hat verstanden, dass solche zwingendnotwendigen Programme nicht an den Restriktionen desStabilitäts- und Wachstumspaktes scheitern dürfen. Wirbrauchen nicht weniger europäische Integration – daszeigt gerade dieses Beispiel –, sondern mehr Flexibilitätin der Nutzung der bestehenden Möglichkeiten.Für mich kann es nur eine Richtung geben, nämlichhin zu einer weiteren Stärkung der Europäischen Union.Wir dürfen und können ein Weniger an europäischer In-tegration nicht akzeptieren. Nur ein stabiles Europa lässtdie Menschen in sozialer Sicherheit leben und sichert ge-sellschaftlichen Frieden. Nur dort, wo sozialer Friedenherrscht, kann auch wirtschaftlicher Wohlstand wachsen.
Herr Kollege.
Ich komme zum Schlusssatz. Danke. – Lassen Sie uns
einfach neuen Mut zeigen, Mut, die Vision unseres
Grundgesetzes neu zu beleben, als gleichberechtigtes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt
zu dienen.
Danke, Herr Kollege Spinrath. – Das Wort zu einer
Kurzintervention hat Wolfgang Gehrcke.
Schönen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Herr Spinrath, weil Sie meinen Kol-
legen van Aken angesprochen haben, will ich Ihnen ent-
gegnen.
Ich habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt: Wer hier
glaubt, dass er ohne Schuld ist, der werfe den ersten
Stein. –
Das stammt ja nicht aus meiner Geisteswelt. Ich halte es
aber trotzdem für sehr wichtig. Der Kollege van Aken
hat den Außenminister persönlich angesprochen und hat
im Zusammenhang mit der Politik der Bundesregierung
den Begriff „Mitschuld“ verwendet.
Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie erkennen, dass
die Regierungen, die akzeptiert haben, die dulden, dass
Europa zur Festung gemacht wurde, ein höheres Maß an
Schuld haben, als wir hier sie haben.
Das waren der Sinn und der Inhalt der Worte meines
Kollegen van Aken. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das
so gemünzt war.
Auch ich finde, dass man in Debatten manchmal
scharf zulangen muss. Angesichts eines Zustandes, der
einen würgt – man halte sich vor Augen, was dort pas-
siert –,
muss man Regierungen sagen: Wenn ihr euren Kurs
nicht ändert, habt ihr Schuld daran, dass Menschen im
Mittelmeer ertrinken. – Dazu stehe ich, und es war rich-
tig, das hier auszusprechen.
Herr Spinrath, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Lieber Herr Gehrcke, Sie haben recht, dass man inDebatten durchaus auch einmal scharf akzentuierenmuss, um nach einem guten, sehr vertieften Streit, indemman die Dinge miteinander besprochen hat, letztendlichzu einer politischen Entscheidung finden zu können.Aber das hat nichts mit dem zu tun, was Herr van Akenhier eben gemacht hat, als er den Bundesaußenministersehr persönlich angegriffen hat. Deshalb habe ich ge-sagt: Das hat mit der Würde dieses Hauses nichts zu tun.
Ich bin für jeden sachlichen und inhaltlichen Streit sehrzu haben. Aber wenn es wie bei diesem Angriff auf
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Norbert Spinrath
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Herrn Steinmeier ins Persönliche geht, dann fühle ichmich auch selbst betroffen.
Vielen Dank. – Der nächste Kollege in der Debatte ist
Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren!
Eigentlich wollte ich dazu nichts sagen;
denn allzu oft heißt es, man gebe der Linkspartei zu viel
Raum. Aber wenn Sie von der Linkspartei mit „Jeder ist
so ein bisschen schuld an allem“ kommen – diese Auf-
fassung kann man durchaus teilen –, muss ich schon sa-
gen: Wir haben im Jahr 2009 mit dem Vertrag von Lissa-
bon die Grundrechtecharta der Europäischen Union
endlich rechtsverbindlich gemacht. Wir haben dafür ge-
sorgt, dass das Europäische Parlament über Justiz und
Innenpolitik mitentscheiden kann, dass diese Politikbe-
reiche endlich vor Gericht einklagbar sind, damit mehr
für Menschenrechte getan werden kann. Sie haben das
abgelehnt.
Wenn Sie wollen, dass mehr für die Menschenrechte von
Flüchtlingen getan wird, müssen Sie für mehr Europa
streiten und nicht dafür, dass nationale Grenzen hochge-
zogen werden.
So kann man nämlich auch über Schuld reden. Sie reden,
seitdem Sie hier im Bundestag sind, das Projekt des ge-
meinsamen Europa immer schlecht.
Dabei wird man das Problem, dass Flüchtlinge im Mit-
telmeer sterben, nur lösen können, wenn man endlich
dazu kommt, mehr gemeinsam in Europa zu machen und
nicht immer wieder die nationale Karte zu ziehen.
Hören Sie auf, die Moralapostel zu spielen! Ich werde
Ihnen niemals persönliche Schuld vorwerfen für irgend-
etwas, was auf der Welt passiert. Diesen Maßstab sollten
wir gemeinsam behalten.
Wir leben in einer Zeit, in der man Stabilität braucht.
Stabilität ist die neue Währung für alles. Wir sehen doch,
was an unseren Grenzen passiert. Es geht um Stabilität:
im Osten, im Süden, am Mittelmeer, aber auch im Mitt-
leren Osten. Für was wird Europa gebraucht, wenn nicht
dafür, ein Zentrum zu sein, in dem noch Stabilität
herrscht? Wenn wir wollen, dass es in Zukunft Stabilität
an den Grenzen Europas gibt, was gut für die Menschen
ist, die dort leben, dann müssen wir in Europa stärker zu-
sammenhalten und unsere Probleme gemeinsam lösen.
Das heißt, dass man am Euro festhält, und das heißt, dass
man gemeinsam die wirtschaftlichen Probleme im Süden
löst, ohne immer gegen den Euro oder gegen die euro-
päische Integration zu stänkern oder immer einfach nur
dagegen zu sein.
Kollege Sarrazin, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung von Dr. Diether Dehm?
Gern.
Lieber Herr Sarrazin, es kann ja sein, dass wir unter-
schiedlicher Meinung sind, was den Euro und einige
Maßnahmen im Rahmen des Lissabon-Vertrages anbe-
trifft. Aber kann ich Sie insofern richtig verstehen, dass
diejenigen mehr Schuld an dem haben, was im Mittel-
meer geschieht, die zu Frontex stehen, als diejenigen, die
gegen Frontex sind?
Lieber Kollege Dehm, Frontex hat im Moment, wieich glaube, 350 Mitarbeiter. Die Vorstellung, dass Fron-tex allein alle Menschen, die mit einem Boot nach Eu-ropa kommen, ablehnt, versinken lässt, ist meiner An-sicht nach keine, die das Problem adressiert. Wir erlebenin der Europäischen Union seit Jahren eine Politik derInnenminister aus verschiedenen Ländern – dazu gehörtezumindest in der letzten Legislatur ausdrücklich auch dieBundesrepublik Deutschland –, die Elemente von Soli-darität angesichts der Probleme mit Flüchtlingen in denStaaten im südlichen Europa vehement abgelehnt hatund die auch nicht positiv darauf hingewirkt hat, die Re-geln zum Thema Humanität, zum Beispiel das Non-refoulement-Prinzip – wirklich jeder, der flieht, hat dieChance, einen Asylantrag zu stellen und ein rechtsförm-liches Verfahren zu bekommen –, in den Verhandlungen,die es darum gab, europäisch zu stärken. Der entschei-dende Punkt, den ich meine, ist: Wenn man die wirklichunmenschlichen und unhaltbaren Zustände verändernwill, dann wird man das nur erreichen, indem man mehreuropäisches Recht schafft, das über der Auslegung in-ternationalen Rechts durch einzelne Nationalstaatensteht und die Nationalstaaten verpflichtet, mehr zu tun.
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Manuel Sarrazin
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Deswegen stimme ich Ihrer politischen Forderung,„Mare Nostrum“ fortzusetzen, total zu.
Wenn Sie sich hier die Freiheit herausnehmen, zu be-haupten, jemand sei persönlich schuld, was ich zutiefstablehne, möchte ich Ihnen nur sagen: Ich werde Ihnennie vorwerfen, Sie seien persönlich schuld am Sterbenim Mittelmeer, nur weil Ihre Europapolitik unverant-wortlich ist und niemals für bessere Regeln in diesemPolitikbereich sorgen wird.
Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage oder -be-
merkung, nämlich von der Kollegin Hänsel?
Ja.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Als Entwicklungs-
politikerin, Herr Sarrazin, möchte ich Sie doch noch ein-
mal auf etwas aufmerksam machen. Sie sprachen davon,
dass wir eine gemeinsame europäische Politik gegenüber
den Ländern des Südens brauchen. Die haben wir be-
reits, und das ist eine der großen Fluchtursachen. Wir ha-
ben die EU-Freihandelsabkommen mit Afrika. Wir ha-
ben in der EU die Gemeinsame Fischereipolitik, die
dazu beiträgt, dass viele Fischer arbeitslos werden, zum
Beispiel vor Westafrika. Das sind die Flüchtlinge von
heute und morgen. Auch die Kleinbauern, denen durch
die neoliberale europäische Politik die Existenz zerstört
wird, sind die Flüchtlinge von heute und morgen. Sie
können hier doch nicht ein Loblied auf das gemeinsame
europäische Agieren singen, wenn wir parallel ganz an-
dere Entwicklungen sehen. Woher kommen denn die
Flüchtlinge? Deswegen gibt es diese Mitschuld. Darum
geht es. Wir sind hier verantwortlich dafür, dass es
Flüchtlinge gibt und dass viele Flüchtlinge im Mittel-
meer krepieren.
Herr Sarrazin, bitte.
Frau Kollegin Hänsel, auch wenn es keine Freihan-
delsabkommen zwischen der Europäischen Union und
afrikanischen Staaten gibt – mir sind zumindest in die-
sem Moment keine bekannt –:
Ich finde ebenfalls, dass beispielsweise die Praxis der
Fischereiabkommen, so wie sie ausgeführt wird, nicht
geht und dringend überarbeitungsbedürftig ist. Deswe-
gen haben wir uns im Europäischen Parlament immer
gegen diese Fischereiabkommen gewandt. Der Kollege
Frithjof Schmidt hat das in seiner Zeit im Europäischen
Parlament an vorderster Front getan, gegen viele Lobby-
isten aus vielen Mitgliedstaaten. Da kann man dann die
grundsätzliche Frage aufwerfen: Glaubt man eigentlich,
Sachen eher verändern zu können, indem man für andere
politische Mehrheiten auf europäischer Ebene sorgt,
oder glaubt man, Sachen würden besser, wenn die Natio-
nalstaaten für sich diese Politik so fortsetzen?
Die Frage, die hier besprochen wurde, dreht sich um
die konkrete Situation, dass Menschen über das Mittel-
meer fliehen, aber nicht jedem Menschen das individu-
elle Recht gewährt wird, die Fluchtursachen in einem
rechtsstaatlichen Verfahren bewerten zu lassen und dann
nach Recht und Gesetz behandelt zu werden. Ich sage
Ihnen aus meiner Erfahrung: Ein großes Problem bei
dieser Praxis ist, dass die nationale Innenpolitik und der
nationale Grenzschutz jeweils so handeln, wie es in
ihrem nationalen Interesse angeblich am besten ist, näm-
lich so, dass möglichst wenige in das eigene Land kom-
men. Was wir dagegensetzen müssen, ist eine euro-
päische Vision von humanen europäischen Regeln, die
im Zweifelsfall auch gegen nationale Interessen durch-
gesetzt werden. Dafür braucht man mehr Europa, nicht
weniger Europa, wie Sie es immer fordern.
Vielen Dank. Jetzt geht es weiter in der Rede.
Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin,wenn wir über Stabilität reden, dann müssen wir natür-lich auch über die ökonomische Krise in Europa reden.Wenn wir die Lage im Süden Europas betrachten – ichglaube, Herr Juncker hat Vorschläge gemacht, die in dierichtige Richtung gehen können, wenn sie richtig umge-setzt werden –, dann müssen wir auch darüber reden,dass die Europäische Union mehr Demokratie und mehrLegitimität braucht, um die Transformation zu schaffenund Gesamteuropa wieder zu einem attraktiven, starken,stabilen Wirtschaftsstandort zu entwickeln. Denn unsereAuseinandersetzung um die Werte der EuropäischenUnion – im globalen Maßstab, aber auch mit Blick aufunsere direkte Nachbarschaft – muss mit einer Diskus-sion darüber unterlegt sein, wie die EU wieder zu einemerfolgreichen wirtschaftlichen Modell werden kann. In-sofern können wir nicht zusehen, wenn wir bemerken,dass die Gefahr besteht, dass Länder wie Portugal, Spa-nien, Italien oder Griechenland in eine dauerhafte Rezes-sion verfallen, dass die kleinen Hoffnungsschimmer, diees in diesen Ländern vielleicht gab, durch eine neue Re-zession zerstört werden.In unserer Auseinandersetzung um Werte müssen wiraber auch eines festhalten: Im Zusammenhang mit derUkraine ist in besonders starkem Maße zu erkennen, wo
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Manuel Sarrazin
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der Unterschied zwischen den Werten liegt, die derKreml formuliert, und den Werten, die wir haben; das er-kennt man sehr gut daran, wie die Menschen in den vonSeparatisten kontrollierten Gebieten behandelt werden.Also müssen wir, auch um das Argument der doppeltenStandards zu entwerten, mehr dafür tun, dass die Grund-werte der Europäischen Union auch im Innern der Euro-päischen Union umgesetzt werden. Deswegen ist es zubegrüßen, wenn es auch in der Bundesregierung Ideengibt, einen europäischen Grundwertemechanismus zuentwickeln. Die Grünen werden in absehbarer Zeit Vor-schläge dazu machen.Meine Damen und Herren, Europa wächst immermehr in die Rolle hinein, nicht mehr nur ein Ort für öko-nomischen Wohlstand und Wohlfahrt zu sein, wie esviele nach 2004 dachten, sondern auch die Grundlagenfür Stabilität und Sicherheit zu legen. Wir werden denaußenpolitischen Herausforderungen der Zukunft nurdann gerecht werden können, wenn wir in der Lage sind,Europa weiterzuentwickeln und bei Fragen der weiterenIntegration Europas mutig und entschlossen voranzuge-hen, anstatt im nationalen Kämmerchen darauf zu war-ten, dass die Krisen auf uns zukommen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Sarrazin. – Nächster Redner in
der Debatte Dr. Peter Gauweiler für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Ich habe einen wunderschönen Beitragzur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vorbereitetund will mich jetzt nicht in die Niederungen der europäi-schen Asyldebatte begeben. Ich will hier nur einen klei-nen Beitrag zur politischen Bildung leisten. Ja, FrauHänsel, es stimmt – es ist auch bitter –, dass die deutscheAsylpolitik in einer gewissen Weise immer wieder aufRestriktionen ausgerichtet ist. Dies geht auf die Ände-rung von Artikel 16 in Artikel 16 a des Grundgesetzeszurück. Diese Änderung wurde von unserem Partei-freund Edmund Stoiber gemeinsam mit Ihrem heutigenParteifreund Oskar Lafontaine ausgearbeitet. Ich nehmebeide davor in Schutz, deswegen als Massenmörder be-zeichnet zu werden.
– Magerer Beifall, aber immerhin.
Wenn Sie mir eine persönliche Anmerkung erlauben– wir kennen uns ja aus vielen heftigen Debatten imAuswärtigen Ausschuss –: Es ist klar, dass es kaum einThema gibt, bei dem man heftiger unterschiedlicherMeinung ist; aber ich denke, man muss solche Debattenführen können, ohne dem anderen gleich ein volles Maßan Charakterlosigkeit vorzuwerfen.Ich bin, ehrlich gesagt, sehr von der Art und Weiseüberzeugt – auch bei kontroversen Themen, bei denenich nicht seiner Meinung bin –, wie Herr Steinmeier dieAußenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gestaltet.Ich bin oft – das ist kein Geheimnis – anderer Meinung.Aber als Parlamentarier, als CSUler, als Konservativer,aber auch als einer, der will, dass Deutschland in derWelt gut dasteht, fühle ich mich von diesem Mann ei-gentlich immer sehr gut vertreten. Das möchte ich beidieser Gelegenheit einmal sagen.
Zurück zu meiner schönen Rede.
Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik steht immerin dem Verdacht – der Minister hat darauf hingewiesen –,nur eine Art Sahnehäubchen oder Ähnliches zu sein. Wirunterstützen neben vielen anderen Projekten in der gan-zen Welt angesichts des 500. Jahrestags der Reformationdie Lutherdekade. So haben wir unserer AuswärtigenKultur- und Bildungspolitik als Motto einen Spruch desReformators gegeben: „Und wenn ich wüsste, dass mor-gen die Welt untergeht, ich würde heute noch ein Apfel-bäumchen pflanzen.“Lassen Sie mich das an einem schönen Beispiel ver-deutlichen. Während wir hier über den Haushalt disku-tieren, ist für einen Förderbetrag von wenigen TausendEuro das Orchester des bayerischen Staatstheaters amGärtnerplatz in dem großartigen, aber viel geplagtenLand Mexiko unterwegs. Der mexikanischen Presse derletzten Tage ist zu entnehmen, dass in der Zeit vom20. bis 26. November 2014 die „Tage des Zorns“ statt-fanden wegen ganz katastrophaler Verhältnisse in der öf-fentlichen Ordnung, fürchterlicher Morde und Schandta-ten, in die auch die regierenden Kreise verwickelt sind.In allen großen Städten Mexikos haben Protestveranstal-tungen stattgefunden. Fast in jedem Bericht der mexika-nischen Presse wird erwähnt, dass das bayerische Staats-orchester jene Tage des Zorns, wie es wörtlich in dermexikanischen Presse heißt, veredelt hat, indem es beiMassenveranstaltungen in Mexiko-Stadt, in Guadalajaraund Morelia aufgetreten ist und Franz Schubert gespielthat. Dieser Gegensatz zwischen „Tage des Zorns“ undseiner 5. Symphonie, die – Schubert-Fans wissen das –die „liebliche Symphonie“ genannt wird, hat, so dieStimmen in der mexikanischen Presse weiter, Erschütte-rung als auch Veredelung in der Debatte kombiniert. Da-für ist man sehr dankbar. Das ist ein solches Apfelbäum-chen. Wir alle sind gefragt, diese zu gießen und zupflegen, wo immer wir können.
Es ist auch ein Erfolg des Außenministeriums – ichdarf bei dieser Gelegenheit die Staatsministerin MariaBöhmer dankend erwähnen –, dass jetzt ein Haushalts-
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Dr. Peter Gauweiler
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plan für den Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bil-dungspolitik vorliegt – wir haben in 17 Sitzungen daraufhingearbeitet –, der sich im Vergleich zu früher sehenlassen kann und der an alte Erfolge anknüpft.Das Goethe-Institut erhält rund 16 Millionen Euromehr. Ich weiß, dass das für Euro-Retter ein Betrag ist,für den sie nicht einmal einen Aktendeckel in die Handnehmen würden.
Aber für uns ist das ein gewaltiger Fortschritt. AloisKarl, ich möchte dir als CSU-Berichterstatter herzlichdafür danken. Wir könnten am Goethe-Institut eineCSU-Gedenktafel anbringen; womit früher sicherlichniemand gerechnet hätte.
Wir setzen ein Programm fort, mit dem wir 12 MillionenSchüler, die an 110 000 Schulen weltweit Deutsch lernen– das ist doch nicht irgendetwas! – erreichen. DasGoethe-Institut wird in die Lage versetzt, mit fast95 Prozent der Bildungsstätten, also fast allen, Kontaktaufzunehmen.
Herr Kollege Gauweiler, erlauben Sie eine Zwischen-
frage oder -bemerkung von Manuel Sarrazin?
Bitte.
Danke, Frau Präsidentin! – Verehrter Herr Kollege
Gauweiler, ich habe immer versucht, meine Bemerkun-
gen in Fragen zu verstecken. Ich bin über das neue Ver-
fahren etwas verwundert; aber ich werde das auch jetzt
versuchen.
Herr Gauweiler, niemand bestreitet die Risiken, die
Deutschland im Zuge der Euro-Rettung eingegangen ist.
Wir haben das offen beschlossen; das ist Recht und Ge-
setz. Wir haben darüber unterschiedliche Auffassungen.
Das habe ich nie geleugnet. Dennoch möchte ich Sie vor
dem Hintergrund des netten Verweises darauf hinweisen,
dass im Gegensatz zu Ihrem sehr lobenswerten Projekt
der Europäische Stabilisierungsmechanismus im letzten
Jahr immerhin einen beträchtlichen Millionengewinn
ausgewiesen hat. Das unterscheidet ihn insofern von Ih-
rem Projekt. Der ESM macht Gewinne; das kann anhand
von Drucksachen belegt werden. Darum meine Frage, ob
Sie diese Gewinne zur Kenntnis nehmen.
Danke.
Ich nehme in diesem Bereich sehr viel zur Kenntnisund bin gern bereit, Ihnen ein Collegium privatissime etgratis zu der ganzen Problematik zu geben.
Aber das würde jetzt die ganze Redezeit sprengen. Seienwir uns einig, dass wir uns – mit allem Respekt – uneinigsind. Der Europäische Gerichtshof wird am 14. Januar2015 eine Erklärung des Generalanwalts, eine besondereEinrichtung des EuGH, erwarten, und danach unterhal-ten wir uns wieder, Herr Sarrazin.
– Vielen Dank.Wir können mit dieser Etaterweiterung nun auch ineinen besonderen Bereich gehen, der natürlich auch be-lächelt werden kann – ich habe mich am Anfang geniert,darüber zu sprechen –: eine kulturelle, volkspädagogi-sche Betreuung von Flüchtlingslagern. Man wagt es jakaum auszusprechen, aber das Goethe-Institut und vieleandere Bildungsträger deutscher Sprache veranstaltenjetzt in den zehn größten Flüchtlingslagern, die es hiergibt, Kurse für Kinder – Unterrichtsveranstaltungen undMalkurse –, eine Form der Freizeitgestaltung.Wir haben uns mit Leuten unterhalten. Der General-sekretär des Goethe-Instituts hat von den Erfahrungenseiner eigenen Frau erzählt, die selber in einem Flücht-lingslager lebte, wie die Eltern dort mit tage-, wochen-und monatelangem Warten zermürbt werden, bis irgend-etwas Kulturelles für ihre Kinder angeboten wird. Undich finde es sehr, sehr gut, dass sich das Goethe-Institutaufgrund der Initiativen des Bundestages – auch von Ih-nen, Frau Präsidentin Roth – ein Herz gefasst hat, in die-ser Sache etwas zu tun.Heute Abend wird der Beirat Tarabya eingesetzt. Er-fahrene Kulturpolitiker im Bundestag werden sich erin-nern.
– A Never-ending Story, aber die Sache steht, und sie istmittlerweile vorweisbar. Sie steht. Neben der VillaAurora in Los Angeles und der Villa Massimo in Rom isteine Kulturstätte für den ganzen orientalischen Raum ge-schaffen worden, die großartig ist und von der IstanbulerBeobachter sagen, das seien die schönsten Parkanlagender ganzen Türkei; und ich bin stolz darauf, dass hier derBundesadler steht und wir dort einen Träger deutscherKulturpolitik haben.
Bei den Auslandsschulen sind wir im Moment dabei,den Bereich duale Bildung auf unsere Auslandsschulen,auf die deutschen Gymnasien im Ausland draufzusattelnbzw. Berufsschulzweige auch dort durchzusetzen. Ichbin verzweifelt, wenn ich die Hindernisse sehe, gegendie wir uns im Moment in Thessaloniki durchsetzenmüssen, teils bei der griechischen Regierung und übri-gens manchmal auch bei der Bundesregierung – nicht im
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Dr. Peter Gauweiler
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Auswärtigen Amt, ist jemand vom Bildungsministeriumda? –, um die einfachsten Abstimmungsvorgänge durch-zuziehen, damit sie nicht monatelang dauern.Ich habe mir erlaubt, der Regierung einen Brief zuschreiben und die Vorgänge darzustellen. Wir wollen injedem der Länder am Mittelmeer mit hoher Jugendar-beitslosigkeit, in denen es deutsche Schulen gibt, die du-ale Ausbildung mit Berufsschulen einrichten. Ich haltees für einen großen Erfolg, dass wir das jetzt können. Ander deutschen Schule in Ecuador in Lateinamerika – mit1 600 Schülern eine der größten deutschen Schulen derWelt – funktioniert diese Systematik übrigens bereitshervorragend. Der Deutsche Akademische Austausch-dienst kann jetzt die Zahl seiner Stipendiaten eindrucks-voll erhöhen. 2013 hat er über 110 000 Personen – dieMehrheit übrigens Deutsche, über 69 000, die ins Aus-land gegangen sind – gefördert.Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlichsind wir in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitikim Bereich der Konfliktbeseitigung völlig waffenlos unddamit in den Augen mancher eigentlich ungeeignet. Aufder anderen Seite sind wir der Auffassung, dass wirmöglicherweise mehr bewirken können. Und ich binstolz darauf, dass es im Gegensatz zum französischenParlament im Deutschen Bundestag keine Stimmen gab,die im Zusammenhang mit der Ukraine/Russland-Krisedie Forderung erhoben haben, dass wir die kulturellenAuslandsbeziehungen – zum Beispiel zu Russland – ab-brechen sollten.
Wir brauchen die Beziehungen zu Russland und zurUkraine nicht weniger, sondern mehr, und wir intensi-vieren sie.Ich bin froh, Herr Außenminister, dass Sie mit durch-gesetzt haben, dass das sogenannte Kreuzjahr, das Jahrder deutschen Sprache in Russland und das Jahr der rus-sischen Sprache hier bei uns, das die Bundeskanzlerinmit dem russischen Präsidenten Putin vereinbart hatte,nicht abgebrochen, sondern fortgesetzt wurde. Bei derEröffnungsveranstaltung mit dem Goethe-Institut vorwenigen Wochen, an der ich selbst teilgenommen habe,im Eremitage-Garten in Moskau waren nach Zahlen desGoethe-Instituts 17 000 Menschen versammelt. HabenSie schon einmal Versammlungen mit 17 000 Leuten ge-macht? Ich nicht. Es ist in der vergangenen Woche inMoskau die Vereinigung der Deutschlehrer in Russlandgegründet worden. Der Unterausschuss ist übernächsteWoche in der Ukraine, um dort ein trilaterales Projektder Universitäten Lemberg und Moskau mit der Univer-sität Würzburg zu gründen. Dabei sollen die Studenten,deren Austauschprojekte anderswo nicht durchgeführtwerden können, von Würzburg mit übernommen wer-den. Ich halte das für eine ermutigende und großartigeEntwicklung.Ich wollte zum Schluss noch etwas sagen – das tueich jetzt nicht, Frau Präsidentin – zu dem bevorstehen-den und notwendigen Kulturabkommen mit Kuba. Dazubeim nächsten Mal mehr.
Einen Satz dürfen Sie noch, Herr Kollege Gauweiler.
Vielleicht haben wir es bis zum nächsten Mal abge-
schlossen.
Vielen herzlichen Dank! Und zu Ihnen, Herr Sarrazin,
komme ich und sage Ihnen das Nötige.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Thomas
Dörflinger, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Traditionellist ja die Haushaltsdebatte über die einzelnen Politikbe-reiche auch ein Moment, wo man die Dinge so ein biss-chen im Grundsatz beleuchtet. Wenn ich nun versuche,grundsätzlich den Blick auf Europa und die Außenpoli-tik zu lenken, ist es dabei vielleicht ganz hilfreich, denBlickwinkel zu wechseln und zur Kenntnis zu nehmen,was sich außerhalb von Europa tut bzw. wie andere au-ßerhalb von Europa uns sehen.Ich blende zunächst einmal drei Jahre zurück: Im No-vember 2011 sagte Barack Obama in Canberra – mit die-ser Bemerkung wurde er jedenfalls zitiert –, dass für dieVereinigten Staaten von Amerika in den kommendenJahren der pazifische Raum die oberste Priorität genie-ßen würde. Er tat es im Zusammenhang mit einem Frei-handelsabkommen, das die USA mit acht pazifischenStaaten vereinbarten. Drei Jahre später – das liegt jetztgerade ein paar Tage zurück – kamen auf der APEC-Konferenz Vertreterinnen und Vertreter der Staaten zu-sammen, die 40 Prozent der Weltbevölkerung und57 Prozent der Wirtschaftsleistung auf diesem Globuserbringen. Zum Vergleich: Die Europäische Union stellt,wenn man es günstig rechnet, 7 Prozent der Weltbevöl-kerung und rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung. Soviel zum Verhältnis.Ich sage das deswegen, weil ich mich gelegentlich et-was wundere über die Debatte, die nicht nur hier in die-sem Hohen Hause, sondern auch anderswo zum Transat-lantischen Freihandelsabkommen geführt wird. Ichgestehe gerne, dass auch ich persönlich da noch einigeFragen habe, dass es da noch Herausforderungen gibt,die in den Verhandlungen zu meistern sind. Aber einesmuss allen klar sein, meine Damen und Herren: WennEuropa – bildlich gesprochen – auf dem Sofa sitzenbleibt und darauf wartet, dass der Welthandel vorbei-kommt und sagt: „Bitte schön, möchtest du, Europa, anunseren Welthandelsbeziehungen teilnehmen, und wennja, zu welchen Konditionen hättest du es denn gerne?“,
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Thomas Dörflinger
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dann werden wir auf diesem Sofa einen verdammt altenHintern bekommen.
Das hat etwas mit der Attraktivität von Europa zu tun.Und da war es für mich schon interessant – auch hierversuche ich wieder, den Blickwinkel zu wechseln –,was Papst Franziskus gestern vor den Kolleginnen undKollegen des Europäischen Parlaments vorgetragen hat.Ich erwähne es nicht so sehr deswegen, weil der Papstdas Oberhaupt der katholischen Kirche ist, sondern des-wegen, weil da ein Argentinier gesprochen hat. Zusam-mengefasst in einem Satz lautet für mich das Fazit: Erhat eigentlich angemahnt, dass wir die Prinzipien, diewir uns selbst gegeben haben und deren Einhaltung wirauch bei anderen anmahnen, für uns selbst auch zur Gel-tung bringen müssen. Damit hat er nicht ganz unrecht.Wir müssen Regeln einhalten, insbesondere auch dann,wenn es um Dinge geht, die vor unserer eigenen Haustürstattfinden. Ich verstehe jetzt unter Europa nicht die Eu-ropäische Union, sondern ich meine den ganzen Konti-nent.Damit bin ich bei der Ukraine, meine Damen undHerren. Ich bin, offen eingestanden, erschrocken überden Vorschlag, man möge darüber nachdenken, wie mandie völkerrechtswidrige Annexion der Krim sozusagenim Nachhinein, ex post, völkerrechtlich legitimierenkönne. Diesen Vorschlag fand ich, gelinde gesagt, ziem-lich abenteuerlich, und ich bin dankbar, dass dieser Vor-schlag in dieser Debatte nicht noch einmal kam, wennich richtig aufgepasst habe.
Ich fand diesen Vorschlag nicht nur abenteuerlich, weiler dem Vorgang nicht gerecht wird, sondern auch, weiles nicht sein kann, dass wir es zum Grundsatz unserespolitischen Handelns machen, den Verstoß gegen Regelndadurch zu beantworten, dass wir anschließend die Re-geln ändern; denn dann könnten wir uns eigentlich injeglichem Bereich aus der Rechtssetzung verabschieden.Das wäre keine zukunftsweisende Politik, weder für dieBundesrepublik Deutschland noch für Europa.Ich rate, bei der Beurteilung der Lage in der Ukraineund auf der Krim auch zur Kenntnis zu nehmen, dassPräsident Putin zum Beispiel just vor wenigen Tagen inAbchasien mit dem dortigen – ich sage das in Anfüh-rungszeichen – „Präsidenten“ eine strategische Partner-schaft vereinbart hat und wie das beispielsweise in derRepublik Moldau wirkt. Wie muss das auf die Vorsitzen-den der Auswärtigen Ausschüsse von Lettland, Estlandund Litauen gewirkt haben, die uns am 29. August die-ses Jahres einen Brief geschrieben haben, aus dem manzwischen den Zeilen die blanke Angst herauslesen kann,und zwar die blanke Angst um die Fortexistenz des eige-nen Staates? Und wie muss es bei denen ankommen,wenn in einem freien Land wie der BundesrepublikDeutschland mit Blick auf einen Völkerrechtsverstoßsolche Debatten geführt werden?
– Gerade gab es einen Zwischenruf zum Thema Freiheit.
Meine Damen und Herren, gelegentlich findet man imArchiv des Deutschen Bundestages bemerkenswertePlenarbeiträge von unseren Vorgängerinnen und Vorgän-gern. Ich habe einen solchen gefunden. Im Mai 1998 hatder frühere Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff inseiner Abschiedsrede Folgendes vorgetragen – ich sagedas, weil wir hier über den Haushalt sprechen –:Freiheit– Herr Kollege Gehrcke –geht meist scheibchenweise und auf Grund vonSorglosigkeit im Kleinen verloren … Der Zünfte-und Ständestaat bestand aus einer Unmenge vonkleinen Privilegien, die ihrem Empfänger eine Ge-fälligkeit bereiteten, aber in ihrem Anwachsen denBürgern insgesamt ein immer größeres Netz vonBevormundungen erbrachten. Gefälligkeiten ge-genüber Lobbies jeder Art – das gilt damals wieheute – sind schleichendes Gift der Demokratie.
Das sagte Graf Lambsdorff damals. Ich glaube, das giltheute auch.
Gemeinwohl ist sehr viel mehr als die Summe aller Par-tikularinteressen,
sowohl qualitativ als auch rechnerisch. – Herr KollegeGehrcke, ich würde mich freuen, wenn der Beifall unddie Zustimmung, die Sie mir an dieser Stelle signalisie-ren, sich auch inhaltlich in Ihren Anträgen im DeutschenBundestag widerspiegeln würden.
Die Kolleginnen und Kollegen aus den einzelnen Fach-bereichen werden bestätigen können, und zwar nicht nurmit Blick auf die Haushaltsberatungen, dass es oftmalsso ist, dass sich ein Partikularinteresse jedweder Art ineinem Antrag der Fraktion Die Linke wiederfindet, derin den Deutschen Bundestag eingebracht wird.Zukunftsfähigkeit heißt nicht unbedingt per se, für je-den Bereich mehr Geld auszugeben, sondern Zukunfts-fähigkeit heißt, dass man zunächst einmal mit dem Geldauskommt, das man hat, dass man nicht mehr Schuldenmacht, sondern mit dem Geld auskommt, das die Bürge-rinnen und Bürger bereitstellen. Weil diese Vorausset-zungen auch im Einzelplan 05 erfüllt sind, wird dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion diesem Einzelplan unddem Haushaltsgesetz zustimmen.
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Thomas Dörflinger
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Weil man nicht nur mit dem Geld auskommen muss,das man zur Verfügung hat, sondern auch mit der Rede-zeit, die einem von der eigenen Fraktion zur Verfügunggestellt wird, schenke ich Ihnen die letzten zwei Minu-ten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan
05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
18/3282? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grü-
nen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 05, Auswärtiges
Amt, in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 05 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke
und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
Drucksachen 18/2813, 18/2823
Berichterstattung haben die Abgeordneten
Bartholomäus Kalb, Karin Evers-Meyer, Michael
Leutert und Dr. Tobias Lindner.
Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen einen Entschließungsantrag eingebracht, über
den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstim-
men werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort erhält der Kollege Michael Leutert, Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Ministerin! Das Bundesministeriumder Verteidigung ist eine riesengroße Baustelle. Auf die-ser Baustelle herrscht auch noch Chaos. Diese Baustelleverschlingt jedes Jahr über 30 Milliarden Euro an Steu-ermitteln. Damit allen klar ist, über wie viel Geld wirhier sprechen: Für Forschung und Bildung gibt der Bundnur die Hälfte aus.Ich weiß auch, dass Sie für das Chaos nicht allein dieVerantwortung tragen. Dieses Ministerium hat schonviele Minister vor Ihnen verschlungen. Der Apparat, denSie übernommen haben, ist, gelinde gesagt, heimtü-ckisch. Aber jetzt tragen Sie die Verantwortung dafür.Ich möchte die Zustände an zwei Beispielen verdeut-lichen:Die Bundeswehr schafft gerade den Transporthub-schrauber NH90 an. Wie bei allen anderen Großprojek-ten auch, gilt hier: Er wurde zu spät geliefert. Die Kostenlaufen aus dem Ruder. Es wird technisch nicht das er-füllt, was eigentlich versprochen wurde.
Nun kommt aber noch eine andere Sache dazu, näm-lich dass das, was geliefert wurde, nicht funktioniert. Esist so schlimm, dass mittlerweile das Leben der Soldatin-nen und Soldaten und auch das von Zivilisten gefährdetwerden kann. Im Juni ist ein solcher Hubschrauber imAfghanistan-Einsatz fast abgestürzt. Ein Triebwerkexplodierte. Dadurch wurde der Rotor beschädigt, undherabstürzende Teile setzten Felder in Brand. Erst diesenMonat wurde aus diesem Grund ein Flugverbot für alleNH90 verhängt – für ganze zwei Tage. Dann kam manzu dem Schluss, es wäre ein Einzelfall, und gab wiederdie Starterlaubnis.Sie wissen aber, dass es kein Einzelfall ist. Sie wissenspätestens seit dem Bericht der UnternehmensberatungKPMG, der von Ihnen beauftragt wurde und der im Sep-tember vorgelegt wurde, dass das Problem immer nochnicht gelöst ist. Noch schlimmer: Seit Januar ist bekannt,dass bei den Turbinen keine ordnungsgemäße Abnahmestattfand. Es fehlt einfach ein Prüfstempel.Auch nächstes Jahr sollen über 270 Millionen Eurofür den Kauf dieses Waffensystems ausgegeben werden.Unter diesen Bedingungen muss aber eigentlich jedervernünftige Haushälter sagen: Halt! Stopp! Für diesesGerät kann man kein Geld ausgeben. Die Gelder müssengesperrt werden.
Hand aufs Herz: Ich würde gern einmal denjenigenkennenlernen, der ein Auto kauft, das ein Jahr zu spätgeliefert wird, 5 000 Euro mehr kostet, nur auf 80 km/hbeschleunigen kann, und wenn man zwei Koffer hintenreinlegt, springt es wegen Überladung nicht mehr an.
Ein Blick auf das nächste Großprojekt zeigt, dass dieskein Einzelfall ist. Der Eurofighter braucht sich da nicht zuverstecken. Ein Eurofighter kostet ungefähr 130 MillionenEuro. Ursprünglich sollte dieses Flugzeug 6 000 Flugstun-den absolvieren können. Ausgeliefert wurden die Maschi-nen dann mit einer Gewährleistung für 3 000 Flugstunden,also die Hälfte, aber nicht für den halben Preis. Ende Sep-tember dieses Jahres teilte der Hersteller mit, dass auf-grund von Herstellungsfehlern bei einer großen Anzahlvon Bohrungen die Lebensdauer nur noch 1 500 Stundenbeträgt.
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Michael Leutert
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Nun weiß auch ich, dass deshalb bis auf Weiteres keineEurofighter mehr wie geplant abgenommen werden. Al-lerdings: Auch nächstes Jahr stehen im Haushalt über500 Millionen Euro für den Kauf zur Verfügung. Nochabsurder – in der letzten Sitzung des Haushaltsausschus-ses beschlossen –: Es wird für die schon gekauften Ma-schinen für mehrere 100 Millionen Euro ein neues Radarentwickelt, das 2021 verfügbar sein soll. Wer die Grund-rechenarten beherrscht, kann zusammenzählen, dassdann die Lebensdauer von 1 500 Flugstunden aufge-braucht sein wird. Wir haben dann also ein hochmoder-nes Radar, aber leider keine Flugzeuge mehr dafür.
Auch hier kann jeder vernünftig denkende Haushälternur sagen: Stopp! Kein Geld für Schrott! Wir müssendiese Gelder sperren.
Nun brauchen Sie ja auch Nachwuchs. Der kommtnicht freiwillig. Deshalb gibt es die sogenannte Attrakti-vitätsoffensive. Auch unabhängig davon wird kräftig ge-worben, unter anderem bei Minderjährigen.
Sie begründen das, Frau Ministerin, damit, dass die Bun-deswehr ein ganz normaler Arbeitgeber wie jeder anderesei. Das ist sie aber eben nicht.
Denn es ist ein Unterschied, ob ich bei VW Autos zu-sammenschraube oder ob ich bei der Bundeswehr binund an einem Einsatz teilnehme, bei dem ich imschlimmsten Fall ums Leben komme oder andere töte;das ist der Unterschied zwischen dem Soldatenberuf undjedem anderen, normalen Beruf. Dass die Bundeswehrtrotzdem bei Schülerinnen und Schülern wirbt, finde ichunverantwortlich.
Da bieten Kasernen ein sogenanntes Schülerprakti-kum im Grünen an. Unter der Überschrift „Ab insGrüne“ – da denkt man eher an einen Familienausflugam Wochenende – ist auf der Website ein Schützenpan-zer zu sehen. Darunter steht:Begeisterung pur: Die Fahrt im SchützenpanzerMarder war für die Jugendlichen ein besonderes Er-lebnis.Weiter steht dort:Hier konnten die Praktikanten hautnah erfahren,dass sich eine Fahrt im Panzer sehr deutlich von derin einem Auto unterscheidet.Na, herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis!
Leider haben die Schülerinnen und Schüler nicht erfah-ren, dass sich der Dienst bei der Bundeswehr auch deut-lich von dem Dienst in einem anderen Betrieb unter-scheidet.
Damit die Schülerinnen und Schüler aber überhaupterst einmal Lust haben, so ein Praktikum zu machen,denkt man sich allerlei Sachen aus.
In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel werden Schul-busfahrkarten mit dem Logo der Bundeswehr bedruckt.Oder man wirbt in der Bravo mit „Bundeswehr AdventureCamp Beach – Spaß und Infos aus erster Hand“.
Ja, ich frage Sie: Welcher 16-jährige Jugendliche möchtenicht am Strand Spaß und Abenteuer erleben? Das istdoch wohl logisch. Frau Ministerin, so geht es meinesErachtens nicht. Den Jugendlichen werden Dinge vorge-gaukelt, die nichts mit der Realität zu tun haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt desBMVg ist ein Fass ohne Boden. Es wird Technik ge-kauft, die zu spät kommt, die zu teuer ist, die nicht daskann, was vereinbart wurde, und die dann noch nichteinmal funktioniert. Es wird Geld ausgegeben, um jungeLeute zu werben, indem man ihnen einen falschen Ein-druck vom Arbeitgeber vermittelt.
Das ist kein verantwortungsvoller Umgang mit Steuer-geldern. Von Transparenz bei Großprojekten kann eben-falls keine Rede sein. Aus diesem Grunde ist es geboten,diesen Haushalt abzulehnen. Wir Linken werden dage-gen stimmen.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es würde mich zwar reizen, jetzt auf den KollegenLeutert einzugehen,
aber das würde meine ganze Redezeit verbrauchen.
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Bartholomäus Kalb
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Neueren Umfragen zufolge ist eine deutliche Mehr-heit zwischenzeitlich der Auffassung, dass mehr An-strengungen, ja sogar mehr Ausgaben für den Verteidi-gungsbereich notwendig seien. Nun, wir haben denHaushalt sehr intensiv beraten und keine reale Erhöhungder Verteidigungsausgaben vorgenommen. Wir sind derÜberzeugung, dass die für 2015 genehmigten Mittel aus-reichend sind. Trotzdem: Die Umfragen zeigen, dieMenschen im Lande legen großen Wert darauf, dass wirverteidigungsfähig sind, unsere Aufgaben erfüllen undunserer Verantwortung gerecht werden können.
Die Menschen nehmen ganz offensichtlich wahr, dasssich die regionale und globale Sicherheitslage veränderthat. Sie erkennen die Konfliktsituationen, sehen die Kri-senherde – von der Ukraine bis zum sogenannten arabi-schen Krisenbogen – und entwickeln daraus ein entspre-chendes Sicherheitsbedürfnis. Es tritt wieder mehr insBewusstsein, dass zur Sicherung von Frieden, Freiheitund Wohlstand große und stetige Anstrengungen erfor-derlich sind und dass es einer erhöhten Wachsamkeit be-darf. Der alte NATO-Slogan „Wachsamkeit ist der Preisder Freiheit“ hat neue Aktualität erlangt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mich hatdas Interview des neugewählten EKD-RatsvorsitzendenBedford-Strohm in der Zeit vom 13. November 2014sehr beeindruckt. Er setzt sich darin auch mit dem Ein-satz militärischer Mittel auseinander – vor allem auchvor dem Hintergrund seiner persönlichen Lebenserfah-rung. Er fordert, wie ich meine, zu Recht, den Vorrangund die Ausschöpfung aller zivilen Mittel und Möglich-keiten zur Konfliktbewältigung und Konfliktlösung ein.Aber er sagt auch – ich zitiere –:Aber es gibt Situationen, wo diese keinen Völker-mord verhindern. Deshalb kann zum friedensethi-schen Handeln auch das Militär gehören. Wir habendie Pflicht, Verfolgte zu schützen.In diesem Zusammenhang berichtet er auch von seinerReise in den Irak:Ich habe die Flüchtlingslager gesehen, die Verzwei-felten gehört. Danach habe ich mich in der EKD fürmilitärische Hilfe gegen die IS eingesetzt.Das ist eine Gedankenführung und Erarbeitung einer Ge-wissensentscheidung, die mich persönlich sehr beein-druckt.Ich denke, auch für uns – für die deutsche Politik undfür uns hier im Bundestag – gilt: Wir sehen militärischeMittel nicht als vorrangige und schon gar nicht als ein-zige Mittel der Konfliktbewältigung an. Deshalb habenwir im Auswärtigen Etat – darüber haben wir vorhin jadiskutiert – und im Etat des Bundesministers für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch dieMittel für humanitäre Hilfe deutlich erhöht.Es darf auch an dieser Stelle gesagt werden: Die Bun-desregierung – insbesondere die Frau Bundeskanzlerinund unser Bundesaußenminister – nutzt alle Möglichkei-ten der Diplomatie, des Gespräches und der Verhandlun-gen mit außerordentlichem Geschick und großartigemEinsatz, und das möchten wir auch gerne anerkennen.
Wenn es um Einsätze der Bundeswehr geht, machenwir uns die Entscheidungen hier im Deutschen Bundes-tag nicht leicht. Die Angehörigen der Bundeswehr müs-sen wissen, dass sie für ihren Einsatz, wo er erforderlichist, und für ihren Dienst die Rückendeckung des Parla-mentes haben. Wir danken den Angehörigen der Bun-deswehr für ihren Dienst an vielen Brennpunkten in die-ser Welt. Nicht zu vergessen sind die Freiwilligen, diejetzt aktuell bei der Bewältigung der Ebolaseuche hel-fen. Hierfür großen Respekt und großen Dank!
Wir haben bei der Haushaltsgestaltung noch immermit den Problemen zu kämpfen, die sich aus den Verzö-gerungen beim Zulauf großer Beschaffungsvorhaben er-geben. Das bleibt nicht ohne Folgen im Hinblick auf un-sere Fähigkeiten und auch im Hinblick auf die künftigenAnforderungen an die Haushalte. Wir haben in der Be-reinigungssitzung eine Vielzahl von Verpflichtungser-mächtigungen ausgebracht, um in den kommenden Jah-ren situations- und bedarfsgerechte Beschaffungenvornehmen zu können.Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen,welche Technologien und welche Fähigkeiten wir imLande behalten müssen und wollen. Dabei geht es zwei-fellos um die von der Bundesverteidigungsministerin de-finierten sogenannten Schlüsseltechnologien, über diewir verfügen müssen, um nicht in unzumutbare Abhän-gigkeiten zu geraten. Darüber hinaus verfügt Deutsch-land aber auch über Kernfähigkeiten – so will ich sieeinmal bezeichnen – in den Bereichen Starrflügler,Drehflügler – so bezeichnet man sie heute –, Kampffahr-zeuge und U-Boote, die wir uns so weit wie irgend mög-lich erhalten sollten. Es geht dabei um wichtige Fähig-keiten, aber auch um die Beschäftigten in derwehrtechnischen Industrie und um die Zukunftsfähigkeitder deutschen wehrtechnischen Industrie.Ich weiß, es geht hier nicht nur um die Fragen, wel-chen Bedarf wir haben und wie groß unsere finanziellenMöglichkeiten sind, sondern auch um die Fragen, wel-che Märkte und Absatzchancen bei uns in der EU undbei unseren Bündnispartnern gegeben sind und welcheMärkte wir darüber hinaus noch bedienen dürfen. Esgeht hier also natürlich auch um ein sorgsames Verhaltenin der Exportpolitik.Ich komme zu einem anderen Thema: Die Bundesre-gierung hat das Attraktivitätsgesetz im Kabinett bereitsbeschlossen. Wir haben im Haushalt Vorsorge dafür ge-troffen, dass dieses Gesetz im Jahre 2015, wenn die Be-ratungen darüber hier im Bundestag abgeschlossen sind,dann auch zügig umgesetzt werden kann.Es muss dem Umstand Rechnung getragen werden,dass nach Aussetzen der Wehrpflicht die Bundeswehr alsArbeitgeber immer mehr im Wettbewerb mit anderensteht. Dabei wird es immer so sein, dass der Dienst in
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Bartholomäus Kalb
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der Bundeswehr, lieber Kollege Leutert, mit besonderenAnforderungen und Herausforderungen verbunden ist.Das wollen wir auch nicht anders darstellen.Aber wir müssen als Arbeitgeber interessant sein, undwir müssen uns um guten, qualifizierten Nachwuchs be-mühen. Auch die Bundeswehr braucht gute Leute, undsie hat gute Leute. Wir wollen dafür sorgen, dass auch inder Zukunft in der Bundeswehr gute, verlässliche undtüchtige Menschen zum Wohle unseres Landes ihrenDienst tun. Wie heißt der Slogan der Bundeswehr? Wir.Dienen. Deutschland. – Wir wollen dafür sorgen, dassdies auch in Zukunft in vollem Umfang möglich ist.
Zum Abschluss, meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen, ist es mir ein besonderes Anliegen, den Mitbericht-erstattern sehr herzlich zu danken: der lieben KolleginKarin Evers-Meyer, aber auch dem Kollegen MichaelLeutert und dem Kollegen Dr. Thomas – nein –, TobiasLindner. Ich weiß gar nicht, warum ich immer „Thomas“sagen will.
– Mein Sohn heißt eben Thomas.
Ich danke Ihnen, Frau Ministerin, ganz herzlich fürdie außerordentlich gute Zusammenarbeit und IhrenStaatssekretären, die uns immer zur Verfügung stehen,lieber Kollege Brauksiepe. Ich danke auch allen Mit-streitern bei Ihnen im Haus, bei uns in den Arbeitsgrup-pen, im Ausschuss und in den Büros. Aus gegebenemAnlass will ich heute einen besonderen Dank ausbringenan den langjährigen Abteilungsleiter Haushalt, Dr. PaulJansen, für seine Arbeit und für seine außerordentlichgute Zuarbeit und Betreuung unserer Aufgaben.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. TobiasLindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat viel-leicht, wenn man Haushaltsdebatten über Wochen ver-folgt, gelegentlich den Eindruck, es habe sich zwischender ersten und der zweiten und dritten Lesung einesHaushalts wenig getan. Ich glaube, dieser Eindruck istbei keinem Haushalt so unzutreffend wie beim diesjähri-gen Verteidigungshaushalt.Diese Debatte ist aus zwei Gründen berechtigt: zumeinen, weil Sie, Frau Ministerin, über die Vorlage zurBereinigungssitzung innerhalb Ihres Haushaltes massiveUmschichtungen – der Kollege Kalb ist gerade auf dieVerpflichtungsermächtigungen eingegangen – vorge-nommen haben, die nicht nur dieses Jahr betreffen, zumanderen, weil es gerade in den Wochen nach der erstenLesung hier im Plenum eine ganze Menge an Bericht-erstattungen gab.Nachdem Sie jetzt ein knappes Jahr im Amt sind, willich kurz auflisten, was Sie bisher alles angekündigt ha-ben: Sie wollen mehr Verantwortung in der Welt über-nehmen, Rüstungsprojekte, die oftmals viel zu teuer sindund bei denen die Rüstungsgüter zu spät geliefert wer-den, endlich unter Kontrolle bringen, die Bundeswehr zueinem attraktiven Arbeitgeber machen, ein neues Weiß-buch schreiben und schließlich auch neue Großprojekteanstoßen.Schauen wir einmal, was Sie nach einem Jahr der An-kündigungen erreicht haben. Dazu fällt mir ein: Im De-zember letzten Jahres haben Sie zuerst StaatssekretärWolf in den Ruhestand versetzt. Die Entlassung vonHerrn Beemelmans folgte im Februar, genauso wie diedes Abteilungsleiters Selhausen, und HaushaltsdirektorPaul Jansen soll – das wurde vor wenigen Tagen be-schlossen – in den Ruhestand versetzt werden.Bei den Rüstungsprojekten sieht es folgendermaßenaus: Sie haben viel angekündigt. Im Februar haben Siedie Entlassung angeordnet und ein Gutachten in Auftraggegeben, das im Oktober vorgelegt wurde; darauf werdeich noch zurückkommen. Vor wenigen Tagen fand, wieich lesen konnte, eine Kick-off-Veranstaltung einesneuen Teams statt, das sich mit Rüstungsmanagementbefassen soll. Viel ist also nicht geschehen.Viel geschehen ist beim Puma, bei dem es im Rahmendes Beschaffungsprogramms zu Verzögerungen kam,beim A400M, der zwar geliefert wird, aber mit wenigerLeistungen und bisher ohne Wartungsvertrag, beim Eu-rofighter, bei dem es Produktionsmängel gab, undschließlich beim G36, bei dem ein Beschaffungsstoppverhängt wurde.Alles in allem muss man sagen: Ihre Bilanz nach ei-nem Jahr, Frau von der Leyen, sieht ziemlich mau aus.Es reicht eben nicht, einfach nur Berichte zu schreiben.Sie müssen auch einmal Entscheidungen treffen, auchwenn diese unbequem sein mögen.
Es wird viel darüber geredet, ob die Bundeswehr zuviel oder zu wenig Geld hat. Sie haben heute bereits5 Milliarden Euro mehr an Haushaltsmitteln zur Verfü-gung, als Sie es eigentlich nach der Planung Ihres Unions-kollegen Karl-Theodor zu Guttenberg haben dürften.Zusätzlich haben Sie den Etat für die kommendenJahre noch mit Verpflichtungsermächtigungen im Mil-liardenbereich vollgestopft. Sie haben uns dann einenHaushaltsplan vorgelegt, der beispielsweise null Rück-sicht auf die Probleme im Materialerhalt nimmt. Ernimmt auch null Rücksicht darauf, dass Sie im letztenJahr gut mit Ihrem Geld ausgekommen sind und 1,6 Mil-liarden Euro zurückgegeben haben. Nein, Frau von derLeyen, dieser Haushaltsplan 2015 ist eigentlich das Ge-
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Dr. Tobias Lindner
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genteil eines Plans: Er ist in Zahlen gegossene Planlosig-keit.
– Ich kann den Kollegen der Union nur raten, vorsichtigzu sein, wenn wir über Rüstungsprojekte reden. Dabeiwird nämlich manches besonderes deutlich. Beschaf-fungsprojekte haben immer eine große mediale Auf-merksamkeit. 4,3 Milliarden Euro allein im Jahr 2015:Das ist eine ganze Menge Geld. Es ist mehr, als andereMinister insgesamt zur Verfügung haben. Ich glaube,Herr Steinmeier wäre froh, wenn er 4,3 Milliarden Eurohätte.
Wenn es immer mehr Wünsche als Geld gibt, erfordertdas erst recht, dass man vernünftig mit dem Geld umgehtund Prioritäten setzt.Obwohl es in den letzten Monaten immer wiederhieß, es gebe keine Spielräume im Verteidigungsetat, ha-ben Sie sich plötzlich in der Nacht der Bereinigungssit-zung noch über 1 Milliarde Euro mehr – ich weiß nicht,wo Sie das Geld gefunden haben – für zwei Projekte, aufdie ich noch zu sprechen komme, gegönnt. Abgesehendavon, dass diese Projekte höchst umstritten sind, frageich Sie: Wie kommt es, dass Sie plötzlich 1 MilliardeEuro mehr bekommen, wenn sonst kein Geld da ist?Zum einen geht es um den GTK Boxer. Bei IhremAmtsantritt haben Sie noch gesagt, Sie wollen damitSchluss machen, dass immer wieder aus dem politischenRaum – das war auch ein bisschen Bashing gegenüberdem Parlament – motivierte Rüstungsprojekte kommen,industriepolitisch getarnt, die dann später kommen undteurer werden als geplant und vielleicht sogar auch garnicht benötigt werden.Ihr eigener Staatssekretär, Herr Grübel, schreibt unsnoch am 14. August – ich zitiere wörtlich –:Eine zusätzliche Beschaffung [des] GTK Boxerwürde grundsätzlich eine Korrektur der Leitlinienzur Neuausrichtung der Bundeswehr und den darinverankerten Obergrenzen für strukturrelevanteHauptwaffensysteme bedingen.Weiter heißt es:Weder die Beschaffung von zusätzlichen GTK Bo-xern noch eine Erhöhung der Aufwendungen fürden Betrieb sind in der derzeitigen Finanzplanungabbildbar.
Seit August haben sich die Dokumente, die die Ober-grenzen der strukturrelevanten Hauptwaffensysteme be-dingen, nicht geändert. Denn dann hätte es einen Kabi-nettsbeschluss geben müssen. Es gab keine Änderungen.Die Koalition hat dennoch im Verteidigungsausschussam 14. Oktober nicht nur gefordert, neue Kampfpanzerund einen Leopard 3 zu entwickeln – sie hatte aus mei-ner Sicht ziemlich absurde Vorstellungen –, nein, Siewollten dann auch weitere GTK Boxer und haben dasmit einer veränderten sicherheitspolitischen Lage aufdiesem Planeten begründet.
Jetzt könnten Sie sich damit herausreden, Frau vonder Leyen, dass die Koalition Ihnen das in der Bereini-gungssitzung aufgedrückt hat, wie letztes Jahr die glo-bale Minderausgabe. Was aber macht das Verteidigungs-ministerium? Sie machen sich auf einmal mit dieserHaltung gemein. Sie übernehmen diese Haltung. Sie ha-ben zwar von einer geänderten Sicherheitslage bezogenauf den europäischen Rahmen gesprochen, wollten unsaber dann am 6. November bitten, weil jetzt vor allemLandstreitkräfte erforderlich seien, 131 GTK Boxermehr zu beschaffen, als es die Struktur der Neuausrich-tung der Bundeswehr vorsieht.Das ist das exakte Gegenteil dessen, Frau von derLeyen, mit dem Sie im Dezember 2013 Ihr Amt angetre-ten haben, was den Rüstungsbereich betrifft. Das ist ver-antwortungslos gegenüber all denen, die auf die knappenMittel angewiesen sind.
– Ich würde jetzt nicht solche Witze reißen, wenn dieSoldatinnen und Soldaten – dazu wollte ich gerade kom-men – sich um Materialerhalt Sorgen machen, wie wirleider in den letzten Wochen und Monaten haben ver-nehmen müssen. Sie haben für den Bereich Materialer-halt in diesem Haushalt praktisch nichts gemacht.Sie geben Geld für neue Projekte aus. Aber beim Materi-alerhalt haben Sie sich über Jahre hinweg auf die Strate-gie „Breite vor Tiefe“ eingeschossen, ohne diese richtigund vollständig zu reflektieren. Das, was Sie unter„Breite vor Tiefe“ verstehen, bedeutet, dass wir von al-lem etwas haben, aber nicht viel. Kein Wunder, dassdann Wartungs- und Instandhaltungskosten nach obengehen, dass darunter die Soldatinnen und Soldaten lei-den und dass Auslandseinsätze wie der in der Türkei teil-weise auf dem Rücken der Betroffenen durchgeführtwerden.Ich gebe dem Kollegen Bartholomäus Kalb an einerStelle voll und ganz recht: Wir verlangen Menschen, diesich entscheiden, bei der Bundeswehr Dienst zu tun, vielab. Wir verlangen ihnen unter anderem ab, dass sie in ei-nen Auslandseinsatz gehen müssen, wenn wir dies indiesem Hohen Hause beschließen. Wir geben diesenMenschen dafür die Zusage: Wenn ihr vier Monate imAusland gedient habt, dann habt ihr 20 Monate Karenz-
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Dr. Tobias Lindner
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zeit in Deutschland und könnt euren Dienst im Heimat-land tun. Bei den Patriot-Staffeln, die in der Türkei imEinsatz sind, ist mir gesagt worden, dass bei über einemDrittel der Soldatinnen und Soldaten diese Zusage nichteingehalten werden kann, weil die Durchhaltefähigkeitnicht gegeben ist. Das ist verantwortungslos gegenüberden Betroffenen. Das zeigt, dass das Konzept „Breite vorTiefe“ überhaupt nicht zu Ende gedacht ist und dass Siehier, Frau von der Leyen, im Sinne der Betroffenen end-lich umsteuern müssen.
Das führt mich direkt zum Thema Attraktivität. Ichhabe gedacht, dass es 25 Jahre nach dem Mauerfall imVerteidigungsministerium eine Neuerfindung des Mottos„Schwerter zu Pflugscharen“ gibt. Ich würde das „Fre-gatten zu Flachbildschirmen“ nennen. Es war lange Ihrpersönliches Geheimnis, wie Sie die Attraktivitäts-agenda mit einem Volumen von 126 Millionen Euro imkommenden Jahr finanzieren wollen. Bis eine Wochevor der Bereinigungssitzung haben Sie gesagt, dass Siedas durch Umschichtung erreichen wollen. Dann wirdklar – dem Kollegen Gädechens wird das in der Seelewehtun –, dass Geld frei wird, weil eine Fregatte späterkommt. Jetzt könnten wir als Grünenfraktion großeSympathie empfinden, Frau von der Leyen, wenn daseine politische Strategie wäre und das Verteidigungsmi-nisterium weniger Geld für Rüstung ausgeben würde,um mehr Geld in Köpfe und vernünftige Arbeitsbedin-gungen investieren zu können. Das würden wir sicher-lich unterstützen. Aber Sie spielen haushaltspolitischesRoulette auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten,die darauf vertrauen, dass die Maßnahmen zur besserenVereinbarkeit von Familie und Dienst kommen. An die-ser Stelle werden Sie Ihrer Verantwortung als obersteDienstherrin nicht gerecht.
Attraktivität ist deutlich umfassender – ich denke,dass mir da niemand widersprechen wird – als das, wasin der Attraktivitätsagenda steht. Attraktivität erfordertfunktionierendes Material, auf das sich die Soldatinnenund Soldaten verlassen können, aber auch Unterkunfts-gebäude, die angemessen ausgestattet sind. Ich will michnicht darüber lustig machen, aber es ist klar, dass es hiernicht um Minikühlschränke und Flachbildschirme geht,sondern um ganz einfache Dinge wie funktionierendeSanitärräume und ordentlich ausgestattete Stuben, beidenen es nicht durch das Dach regnet. Ihr StaatssekretärGerd Hoofe sprach im Verteidigungsausschuss davon,dass 40 Prozent der Unterkunftsgebäude in einem dra-matischen Zustand seien. Die Bundesanstalt für Immobi-lienaufgaben sieht einen Sanierungsaufwand in Höhevon mindestens 4,3 Milliarden Euro. Was machen Sie?Sie kürzen die Verpflichtungsermächtigung, also dieMittel für Infrastruktur- und Baumaßnahmen für 2016und die Folgejahre. Das steht im Widerspruch zur Ana-lyse Ihres eigenen Ministeriums. Auch das ist unverant-wortlich gegenüber den Menschen, die in den Unter-kunftsgebäuden leben sollen.
Ich muss feststellen: Nach einem Jahr, Frau Ministe-rin, will ich Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie an Ihren ei-genen Ansprüchen gescheitert wären. Scheitern kannman nur, wenn man sich auf den Weg macht und ver-sucht, gegen Widerstände anzukämpfen. An vielen Stel-len – seien es politisch motivierte Rüstungsprojekte, seies das Thema Unterkunft oder sei es die Lösung vonManagementproblemen – haben Sie sich nun in die Pha-lanx von Herrn Jung, Herrn zu Guttenberg und Herrn deMaizière eingereiht. Ich kann nicht erkennen, dass hierirgendetwas anders werden soll.
Das zeigt sich auch in Ihrem Haushalt. Ihrer Verantwor-tung gegenüber denjenigen, die Ihnen anvertraut sind,gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundes-wehr, sowie gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steu-erzahlern in diesem Land werden Sie nicht gerecht. Mitdem Haushalt 2015 begeben Sie sich leider auf ein haus-haltspolitisches Himmelfahrtskommando. Da lassen wirSie alleine reisen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Karin
Evers-Meyer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist schon gesagt worden, aber da Haushälter nichtallzu oft Gelegenheit haben, von hier aus gute Nachrich-ten zu verbreiten, wiederhole ich bewusst: Es ist wirk-lich gut, dass wir gemeinsam die rot-schwarze Null hin-bekommen haben. Ich glaube daran, dass das keineEintagsfliege bleiben muss. Ich danke meinen Mitbe-richterstattern und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern, der Ministerin und ihren Staatssekretären und ganzbesonders Herrn Dr. Jansen für die gute und kollegialeZusammenarbeit. Ich freue mich auf die Fortsetzung imnächsten Jahr.Wir werden auch 2015 hart in der Sache, aber diszi-pliniert zusammenarbeiten. Sollte uns die Konjunkturkeinen allzu fetten Strich durch die Rechnung machen,dann können wir auch im nächsten Jahr einen ausgegli-chenen Haushalt hinbekommen. Künftige Generationenwerden uns das sicher danken. So viel zur Metaebene.Jetzt gehe ich in die Niederungen des Einzelplans.Natürlich ist jeder Einzelplan etwas Besonderes. Erlau-ben Sie mir die Bemerkung: Der Einzelplan 14 ist sogaretwas ganz Besonderes. Kein Etat wurde in den zurück-liegenden Wochen so öffentlich diskutiert wie der Ver-teidigungsetat. Zu Recht. In der Vergangenheit haben
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Karin Evers-Meyer
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wir viel zu wenig darüber diskutiert. Ich fange hier abernicht noch einmal damit an, die Horrorgeschichten ausdem Beschaffungsbereich des BMVg zu wiederholen.Darüber wurde zur Genüge berichtet.Heute ist der Zeitpunkt, nach vorne zu schauen. Indieser Krise liegt eine Chance, nämlich die Chance, es inder Zukunft besser zu machen. Natürlich darf es künftignicht mehr so sein, dass altersschwache Hubschrauberam Boden bleiben müssen, während Hunderte MillionenEuro an den Finanzminister zurücküberwiesen werden.Da ist es völlig egal, ob es in diesem Jahr schon wieder300 Millionen oder 700 Millionen Euro sind, die unge-nutzt liegen bleiben. Schon wenn 1 Euro nicht investiertwird, ist das den Soldaten in ihren zum Teil maroden Ka-sernenunterkünften nicht zu vermitteln.
Was muss also in Zukunft besser werden? Zunächsteinmal, Frau Ministerin: Sie haben für einen wesentli-chen Bereich Ihres Etats den richtigen Weg eingeschla-gen. Das Thema Beschaffung lag in den letzten dreiJahren völlig am Boden. Nichts wurde entschieden, je-denfalls nichts, was in die Zukunft gerichtet war. Bis vorgut einem Jahr saß ich selbst noch im Verteidigungsaus-schuss, und uns war völlig klar, dass das so nicht weiter-gehen kann. Jeder Autofahrer weiß: Wenn ich drei Jahrelang nicht in Öl investiere, dann ende ich spätestens imvierten Jahr auf dem Standstreifen und muss abge-schleppt werden.Mit dem Gutachten von KPMG und anderen zu denBeschaffungsprojekten des BMVg liegt jetzt wenigstenseinmal eine präzise Handlungsgrundlage mit deutlicherAussprache und ebenso deutlichen Arbeitsaufträgen vor.Mit Ihrer neuen Staatssekretärin, Frau Ministerin, habenSie jemanden gefunden – das ist jedenfalls mein Ein-druck –, die, um im Jargon zu bleiben, weiß, wie manmit so einer Präzisionswaffe umgeht. Es ist also Bewe-gung hereingekommen.Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieArbeit gerade erst begonnen hat. Abgerechnet wird auchhier erst zum Schluss. Trotzdem gibt es von mir bewusstVorschusslorbeeren als Zeichen des Vertrauens und alsSignal, dass die Haushälter der Koalition sich hier nichtauf eine Zuschauerrolle zurückziehen. Frau Ministerin,bitte verstehen Sie in diesem Sinne auch die mehr als4 Milliarden Euro, die wir Ihrem Etat als Verpflichtungs-ermächtigungen zugestanden haben. Das ist eine bemer-kenswerte Summe und haushalterisch ziemlich einmalig,auch wenn natürlich klar ist, dass das alles im Einzelnennoch unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Haus-haltsausschusses steht. Wir wollen Sie darin unterstüt-zen, an dem gesteckten Ziel der Konsolidierung des Be-schaffungsbereichs festzuhalten.Mich beschleicht allerdings schon wieder das Gefühl,dass manche die kritischen Passagen aus dem Gutachtenherauspicken, die ihnen gerade in den Kram passen; aberda, wo es gerade nicht passt, wird versucht, die Empfeh-lungen aus dem Gutachten politisch wegzudiskutieren.Jedem sollte jetzt klar sein: Das geht nicht. Deswegenbitte ich das BMVg eindringlich darum, hier Kurs zuhalten, und zwar auch dann, wenn der politische Druckin die eine oder andere Richtung noch weiter wächst.Die Frage der politischen Einflussnahme bei Beschaf-fungsvorhaben ist neben dem partiellen Versagen von In-dustrie und Verwaltung auch ein wesentlicher Kritik-punkt, der an vielen Stellen im Gutachten zutage tritt.
Ich zitiere einmal sinngemäß: Durch die Einflussnahmeder Politik auf die Analyse von Rüstungsprojektenkommt es oftmals zu unrealistischen Zeit- und Kosten-planungen. Dabei kann die oftmals impulsartige Ein-flussnahme wegen mangelnder planerischer oder prozes-sualer Grundlagen oftmals nicht strukturiert abgefangenwerden. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das soll-ten wir uns so auch ins Tagebuch schreiben.
Auch die Politik muss ihren Beitrag leisten. Wir müssensachgerechten Entscheidungen zum Durchbruch verhel-fen, frei von Partikularinteressen.Das Stichwort „Partikularinteressen“ bringt michschließlich zu meinem nächsten Punkt, der Frage derEuropäisierung bzw. Internationalisierung. Die Bundes-regierung hat einen Weißbuchprozess angekündigt, denich sehr begrüße und von dem ich mir ganz besonders er-hoffe, dass er belastbare Pflöcke einschlägt, sowohl beiden Themen „Joint Forces“ und „Pooling and Sharing“,vor allem aber auch beim Thema „Standardisierung undgemeinsame Beschaffung“. Es muss mehr auf den Tischals ein bloßes Bekenntnis zur internationalen bzw. euro-päischen Perspektive.Selbst wenn es in den kommenden Jahren zu einemAnstieg des Verteidigungsetats kommen sollte, wird dasdie Notwendigkeit einer effizienten Internationalisierungnicht abschwächen. Wenn überhaupt, dann würde eineEtaterhöhung das Leiden verlängern. Die Stückzahlenwerden nämlich weiter sinken. Die technischen Anfor-derungen werden weiter steigen. Damit steigt auch derPreis. Die Kosten müssen wir uns im Bündnis teilen, an-ders wird es aus haushaltspolitischer Sicht nicht gehen.Alles andere macht auch sicherheitspolitisch keinenSinn.Allerdings – auch das gehört zur Wahrheit dazu – wa-ren die bisherigen europäischen Rüstungsprojekte allesandere als ein Schnäppchen. Es kann daher zukünftignicht mehr so sein, dass man sich mit seinen Partnerstaa-ten auf die Beschaffung eines Flugzeugtyps einigt undim Nachhinein dann jedes Land über seine eigene Pro-jektagentur noch so lange individuelle Goldrandwünschehinzufügt, bis am Ende quasi doch ganz verschiedeneFlugzeuge dabei herauskommen. Wenn man das somacht, kann man sich das Ganze auch sparen. Künftigmuss gelten: Wenn man sich auf VW Golf verständigt,dann wird auch ein VW Golf beschafft und nichts ande-res. Nur so kann man wirklich sparen, ganz abgesehen
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Karin Evers-Meyer
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davon, dass Lieferzeiten sich verkürzen und die Truppenoch schneller an neues Gerät kommt.Sehr geehrte Damen und Herren, da steckt noch vielArbeit im Detail, wie man sieht, auf die ich nun nichtmehr eingehen kann. Bei aller Manöverkritik will ichaber noch zwei gute Nachrichten verbreiten. Die eineNachricht lautet: Es ist vieles gut. Ich weiß zwar nicht,ob der A400M noch vor Silvester dieses Jahres abge-nommen werden kann. Aber ich weiß, dass wir ein Spit-zenflugzeug bekommen werden. Will sagen: Wenn Rüs-tungsprojekte zulaufen, dann steht auch Topqualität aufdem Hof.Die zweite gute Nachricht für die Soldatinnen undSoldaten ist: Der Haushalt 2015 wird zumindest ein we-nig Bewegung in den Personalkörper bringen. Im zivilenBereich sind 200 Planstellenanhebungen von Besol-dungsgruppe A 7 auf A 8 vorgesehen. Das hilft, den Be-förderungsstau bei der Beförderung zum Hauptsekretäraufzulösen. Bei den Streitkräften werden zusätzliche50 Planstellen der Besoldungsgruppe A 12 ausgebracht,was auch hier helfen wird, etwas Bewegung in den Stauzu bringen. Das waren die positiven Nachrichten zumSchluss.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Das Wort für die Bundesregierung hatjetzt die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursulavon der Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin derVerteidigung:Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Herr Lindner, wenn man Ihnen zugehört hat,konnte man das Gefühl haben, dass wir – bis auf ActiveFence – hier auf einer Insel sind. Dem ist nicht so. Vieleder Dinge, die sich heute im Haushalt widerspiegeln,sind der aktuellen Entwicklung geschuldet.Ich bin in der vergangenen Woche beim EuropäischenRat der Verteidigungsminister in Brüssel bei einer Aus-sprache zur Sicherheitslage Europas gewesen. Da konnteman mit Händen greifen, wie sehr Europa inzwischenbeeinflusst ist von den Instabilitäten, die uns umgeben,etwa der Politik des Kremls mit all den Konsequenzen,die das für die Ukraine und für unsere Friedensarchitek-tur in Europa hat, dem Kampf gegen IS im Irak und inSyrien und der Ebolaepidemie, die uns in einem nie ge-kannten Maße fordert, um nur drei Themen zu nennen.Das sind Herausforderungen, von denen wir alle wissen,dass sie zu bewältigen kurzfristig nicht möglich ist, son-dern dass uns das eine geraume Zeit beschäftigen wirdund dass uns das enorm fordern wird.Hinzu kommt, dass wir neue Aufgaben bekommenhaben. Die europäischen Staats- und Regierungschefshaben im Dezember 2013 beschlossen, die europäischenVerteidigungsfähigkeiten zu kräftigen. Wir sind dabei,das bis zum nächsten Sommer umzusetzen. Auch dieNATO hat, der aktuellen Entwicklung geschuldet, aufdem Gipfel in Wales Beschlüsse gefasst, wie die Allianzihr Fähigkeitenprofil anpassen kann, wie sie schnellerwerden kann, wie sie flexibler werden kann. Auch hiersind wir dabei, besonnen, aber entschlossen diese Dingeanzugehen.Ich will damit sagen: Diese Herausforderungen wer-den uns etwas kosten; das alles ist nicht zum Nulltarif zuhaben. Ich glaube, diese Botschaft ist inzwischen impolitischen Raum angekommen, und das spiegelt dieserHaushalt auch wider.
Die Bundeswehr ist über Jahre durch den Einsatz inAfghanistan geprägt gewesen; das war gut, und das warrichtig. Wir werden auch in der nächsten Woche über dieFolgemission des ISAF-Einsatzes hier diskutieren. DerEinsatz in Afghanistan hat das Land Afghanistan sicher-lich verändert: von einer Terrorherrschaft der Taliban hinzu einem Land, das heute neue und andere Perspektivenhat, auch wenn nicht alles gut ist.Afghanistan hat aber auch die Bundeswehr sehr starkgeprägt. Die Bundeswehr ist inzwischen eine Armee imEinsatz, eine Parlamentsarmee, die gemeinsam mit unse-ren Partnern und Verbündeten einen hervorragenden undvor allem einen international anerkannten Dienst leistet.Das spiegelt sich auch in dem Spektrum der Einsätze wi-der, die wir inzwischen haben, Stichwort „Verantwor-tung, die wir übernehmen“. Allein in den vergangenenelf Monaten gehörten dazu: Mali, Somalia, Zentralafri-kanische Republik, die Unterstützung der Flüchtlinge imNordirak und die Unterstützung der kurdischen Armeeim Nordirak, der Peschmerga, der Einsatz gegen dieEbolaepidemie. Zu diesem Einsatz kann ich nur sagen:Es ist bewegend gewesen, mit wie viel Herz und Mutsich nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auchunendlich viele Reservistinnen und Reservisten gemel-det haben, um diesen Einsatz zu leisten. Es spricht fürden Geist unseres Landes, dass sich die Menschen, wennNot am Mann und an der Frau ist, beherzt zur Hilfeleis-tung melden.Was viel zu wenig beachtet worden ist: Die Bundes-wehr hat in kürzester Zeit eine Luftbrücke aufgebaut,dank derer täglich Hilfsgüter aus dem Senegal direkt indas Ebolagebiet geflogen werden. Dafür haben wir inbreitem Maße zu danken.
Eine Fülle von notwendigen Aufgaben musste in diesemJahr erfüllt werden. Es sind Aufgaben, die auf absehbareZeit nicht weniger, sondern wahrscheinlich eher mehrwerden.Meine Damen und Herren, als ich vor einem halbenJahr an diesem Pult stand und wir den Haushalt 2014 be-schlossen haben, ist über die globale Minderausgabe derVerteidigungsetat um 400 Millionen Euro gekürzt wor-den, weil diese absehbar nicht verausgabt werden wür-
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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den – völlig in Ordnung. Heute, sechs Monate später, sa-gen wir deutlich, dass wir eine weitere Kürzung nichtverkraften können und dass wir um die Annahme desRegierungsentwurfes ohne Kürzungen bitten. DiesesZiel haben wir erreicht. Mehr noch: Der Verteidigungs-haushalt ist für 2015 höher, als im Regierungsentwurfzunächst ausgewiesen. Das ist der Lage angemessen.Dafür danke ich von Herzen. Das ist ein Erfolg.
Denn es geht in diesem Etat um nichts weniger als umeine nachhaltige Modernisierung der Bundeswehr, undzwar sowohl beim Personal als auch beim Material. Dasist etwas, wofür wir einen langen Atem brauchen. Dawerden wir noch so manche Hürde überwinden müssen.Da wird es noch so manches Problem geben, was Sievon der Opposition dann zu Recht anprangern werden.Aber wir müssen dort stetig vorangehen. Zur Bewälti-gung der Herausforderungen, vor denen wir stehen, be-reiten wir mit dem Haushalt 2015 den Boden. Ab 2016können wir neue und sichtbare Akzente setzen.Beim Personal geht es um nicht weniger als um dieAufstellung einer demografiefesten Armee. Wie wir mitSoldatinnen und Soldaten aufgestellt sind, das entschei-det über die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr.
Es ist auch das Material, aber es sind die Soldatinnenund Soldaten, die den Unterschied machen, wenn es da-rum geht, ob die Bundeswehr ihr Gesicht behält, so mo-dern und international wie jetzt, oder ob sie es verliert.Dafür lohnt es, sich einzusetzen.
Wir haben deswegen das Artikelgesetz eingebracht.Herr Lindner, als Sie angefangen haben, über Kühl-schränke und Flachbildschirme zu spotten, haben Sieselbst gemerkt, dass der Spott vielleicht nicht angemes-sen ist. Deshalb lasse ich das hier beiseite.
– Es geht darum, dass wir die Maßnahmen nach diesemArtikelgesetz in der Breite finanzieren, und da ist es legi-tim, dann, wenn Dinge ausfallen wie die Fregatte, in die-sem Haushaltsjahr die Mittel zu allozieren für die Solda-tinnen und Soldaten. Ich finde, das ist ein sehr wichtigesSignal an die Truppe, das auch richtig verstanden wird.Es ist übrigens auch ein wichtiges Signal an unsere Part-ner und Verbündeten, die die nachhaltige demografie-feste Aufstellung unserer Armee wahrnehmen.Herr Leutert, niemals habe ich gesagt, dass wir einArbeitgeber sind wie jeder andere.
Es ist so, dass wir gerade kein Arbeitgeber sind wie jederandere, weil unsere Soldatinnen und Soldaten mehr leis-ten müssen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmersonst. Im Extremfall müssen sie bereit sein, ihr Leben zulassen. Aber ich sage immer: Ist das, nämlich dass sie imEinsatz mehr leisten müssen als jeder andere, ein Grund,sie hier zu Hause schlechter zu behandeln als viele an-dere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Nein, imGegenteil! Wir müssen sie hier zu Hause besser behan-deln als viele andere. Deshalb der Ansatz.
Thema Material. Auch da haben wir erhebliche He-rausforderungen. Das Rüstungsgutachten hat die Dimen-sion der Probleme bei den Rüstungsprojekten klarge-macht. Ja, es ist keine schöne Bilanz: zu teuer, zu spätund mit Mängeln. Auch hier geht es um die Modernisie-rung der Streitkräfte. Wir alle kennen den Teufelskreis,unter dem wir gelitten haben, bis in dieses Jahr hinein,und das ist auch noch lange nicht abgearbeitet.„Zu teure Rüstungsprojekte“, das heißt: Sie verdrän-gen andere Fähigkeiten, die man sonst hätte realisierenkönnen. „Zu spät“ heißt: Sie fehlen der Truppe. Das ha-ben wir in diesem Sommer sehr schmerzhaft spürenmüssen. „Zu spät“ heißt auch, altes, wenn auch bewähr-tes, aber eben betagtes Material länger nutzen zu müs-sen. „Länger nutzen“ heißt: mehr Wartung, mehr In-standsetzung. Dafür ist die Ersatzteilbeschaffung nichtausgelegt. – So kann man den Teufelskreis beschreiben,den wir durchbrechen müssen.Wir haben die Agenda Rüstung aufgestellt. Klarerrüstungspolitischer Kurs! Vielen Dank, Barthl Kalb, fürdie Analyse der Schlüsseltechnologien! Das auszufüh-ren, kann ich mir dann hier sparen; aber das ist einer derwichtigen Punkte.Ein anderer Punkt: multinationale Rüstungskoopera-tionen. Es geht voran mit Frankreich. Es geht voran mitSpanien, mit England. Es gibt aber auch gemeinsameArbeit der Armeen: mit den Niederlanden, mit Polen.Es geht um ein verbessertes Rüstungsmanagement.Das ist eine Kärrneraufgabe, und die ist nicht in einemRutsch zu schaffen. Dabei geht es darum, die Prozessezu verbessern. Dabei geht es darum, das Risikomanage-ment zu verbessern sowie das Vertragsmanagement, dasLieferantenmanagement, die Organisationsentwicklungbeim BAAINBw. Was man da auch gesehen hat, ist, dasswir mitten in der Neuausrichtung sind. Das heißt, dass inganz vielen Behörden die Fachkräfte noch nicht an denStellen sind, an denen sie gebraucht werden. Das heißt,dass Dinge, die dringend gemacht werden müssen, lie-gen bleiben. Es ist also eine Bundeswehr, die im Augen-blick wirklich im Umbruch ist, eine Bundeswehr in derNeuausrichtung, die notwendig war und richtig ist. Daszeigt, dass wir in diesem Modernisierungsprozess nocherhebliche Arbeit vor uns haben.Wir müssen Fähigkeitslücken schließen. Wir müssendie Einsatzbereitschaft stärken; deshalb die Task Force„Drehflügler“ und die Task Force „Starrflügler“. Wirmüssen Kennzahlen darlegen. Wir haben einen gemein-samen Ausschuss gehabt, der das gezeigt hat, sodass wirwissen, wie die materielle Einsatzlage ist. Erhebliche
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Aufgaben liegen vor uns, aber dieser Haushalt gibt unseine gute Basis dafür.Ich danke für die Verpflichtungsermächtigung von1,8 Milliarden Euro. Das gibt uns einen Handlungsauf-trag, nämlich Entscheidungen reifen zu lassen. Aberdann, wenn sie getroffen werden können, können wirauch die Verträge schließen, die notwendig sind. DasWichtigste aber ist, meine Damen und Herren: Wir ha-ben die Möglichkeit, 1,8 Milliarden Euro mehr in dieAusrüstung der Soldatinnen und Soldaten zu investieren.Das ist ein Riesenschritt voran, und wir werden jetztauch mutig die richtigen Entscheidungen treffen.Zur Agenda gehört auch, dass wir mindestens 20 Pro-zent des Verteidigungsetats für die Modernisierung unddie Ausrüstung der Bundeswehr einsetzen. Es gibt genü-gend Projekte im Zulauf: Fregatten, A400M, die neueHubschraubergeneration, geschützte Fahrzeuge wie derGTK Boxer, der Puma – die Liste ist lang. Das bedeutetfür uns gemeinsam auch ein ordentliches Stück Arbeit:Wir müssen den Stau der vergangenen Jahre auflösen.Wir müssen neue Vorhaben auf den Weg bringen. Wirmüssen den Zulauf und den Mittelabfluss koordinieren;das ist eigentlich die Kunst. Jeder Erfahrene hier weiß,dass der Zulauf nicht immer zeitgerecht geschieht unddeshalb auch der Mittelabfluss nicht immer passendmöglich ist. Das heißt, das Bugwellenphänomen, das wirim Augenblick beobachten, müssen wir in den nächstenJahren gemeinsam in den Griff bekommen. Das bedeutet– ich habe es eben schon gesagt –, dass die Modernisie-rung der Streitkräfte keine Einmalaktion ist, sonderneine Daueraufgabe.Ich möchte ein paar Worte zur materiellen Einsatzbe-reitschaft verlieren. Im September haben die Inspekteureunter großer medialer Beachtung im Verteidigungsaus-schuss zur materiellen Einsatzbereitschaft vorgetragen.Das Bild war nicht zufriedenstellend, insbesondere beiden fliegenden Waffensystemen. Aber die Verengungauf die Problembereiche, die wir zweifelsohne haben– das will ich gar nicht abstreiten –, hat dazu geführt,dass die generelle Einsatzbereitschaft infrage gestelltwurde. Das weise ich zurück. Im Gegenteil: Die Bundes-wehr erfüllt all ihre Einsatzverpflichtungen. Die Solda-tinnen und Soldaten sind im Einsatz mit Gerät ausgestat-tet, das auch im Vergleich mit unseren internationalenPartnern erstklassig ist, gerade im Hinblick auf ge-schützte Fahrzeuge: Wir haben die größte Flotte an ge-schützten Fahrzeugen in Europa. Noch einmal: Es gibtProbleme mit den neuen Waffensystemen, die zulaufen– gar keine Frage –, aber das heißt nicht, dass wir blankdastehen.Zu Ihrer Frage nach dem GTK Boxer, Herr Lindner.Der GTK Boxer ist für den Infanteristen der Zukunftwichtig – gar keine Frage. Deshalb sind wir der Mei-nung, dass wir mehr davon brauchen. Aber dahinter ste-hen über 500 Transportpanzer Fuchs zur Verfügung, diedann – um Ihre Frage zu beantworten – nicht mehr auf-gerüstet werden, sondern ausgephast werden können.Das Gleiche gilt für den Puma, der auch noch nicht daist. Aber dahinter stehen über 400 Marder. Mit anderenWorten: Probleme gibt es – daran müssen wir hart arbei-ten –, aber wir sollten unser Licht auch nicht unter denScheffel stellen, meine Damen und Herren. Das ist mirwichtig.
Die Soldatinnen und Soldaten haben einen besonde-ren Auftrag. Wir rufen ihn uns immer wieder in Erinne-rung. Wir haben am vergangenen Wochenende in Pots-dam gemeinsam mit dem Bundespräsidenten den Waldder Erinnerung eingeweiht. Das ist neben der zentralenGedenkstätte hier in Berlin-Mitte ein ganz besondererOrt der Erinnerung – ein Ort der Trauer, ein Ort des Ge-denkens an unsere Soldaten, die im Einsatz gefallensind. Es ist auch ein Ort geworden, an dem die Familien,die Freundinnen und Freunde, die Kameradinnen undKameraden Geborgenheit und Stille finden. Es ist eineergreifende und würdige Gedenkstätte geworden. Ichmöchte an dieser Stelle ausdrücklich all jenen danken,die weit vor meiner Zeit an der zugrunde liegenden Kon-zeption und Entscheidung beteiligt gewesen sind. Das,was dort gewachsen ist, war für mich beeindruckend.
Es ist eine Gedenkstätte, die uns mahnt, dass unsere Sol-datinnen und Soldaten einen einzigartigen Dienst tun– im Einsatz, aber auch in der Heimat – und wir best-möglich für sie sorgen müssen. Ich glaube, das ist einGedanke, der die Gruppe, die hier im Hohen Haus ver-sammelt ist, immer wieder eint.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Katrin Kunert,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Frau von der Leyen, mein Kollege MichaelLeutert hat deshalb auf die Rekrutierung Minderjährigerhingewiesen, weil Deutschland eben nun einmal gegendie UN-Kinderrechtskonvention verstößt. Das darf manan dieser Stelle auch erwähnen.
Außenminister Steinmeier hat vor kurzem gesagt,dass wir im Ukraine-Konflikt sorgfältig auf unsere öf-fentliche Sprache achten sollten, wenn wir zu einer Lö-sung beitragen wollen. Wir stimmen dem ausdrücklichzu; denn auch der Westen trägt Verantwortung für diesenKonflikt. Die Kanzlerin hingegen hat auf dem G-20-Gipfel ausschließlich Russland scharf kritisiert.Der aktuelle Scherbenhaufen in der internationalenPolitik ist riesig. Wir müssen verdammt aufpassen, dasswir nicht in einen neuen Kalten Krieg schlittern. Es gingund geht um militärische Eindämmung und um die Iso-lierung Russlands.
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Katrin Kunert
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Deutschland hat bereits den viertgrößten Militärhaus-halt der NATO und den siebtgrößten Militärhaushalt derWelt. Alle NATO-Mitglieder zusammen geben zwölfmalmehr für Militär aus als Russland. Darüber sollten wir indiesem Hohen Haus einmal reden.
Der Bundespräsident und die Verteidigungsministerinpredigen, Deutschland müsse mehr Verantwortung in derWelt übernehmen. Das will die Linke auch. Wir verste-hen unter Verantwortung, dass von deutschem Boden niewieder Krieg ausgehen darf und dass die Auslandsein-sätze der Bundeswehr beendet werden sollen.
Diese schaffen keine nachhaltige Sicherheit und sollenallein im nächsten Jahr 460 Millionen Euro kosten. Daslehnt die Linke ab.
Stattdessen müssen Strukturen kollektiver Sicherheit ge-schaffen und gestärkt werden. Für uns ist das vor allemdie Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit inEuropa. Sie ist die einzige regionale Sicherheitsorganisa-tion, in der Russland und die USA gleichberechtigteMitglieder sind. Frieden und Sicherheit in Europa sindnur mit und nicht gegen Russland möglich.
Die Linke fordert die Beschaffung eines Flugzeugs imRahmen des Vertrages über den Offenen Himmel; denndurch gemeinsame Beobachtungsflüge kann mehrTransparenz geschaffen werden.Verantwortung bedeutet für uns auch Mut zur Eigen-initiative. Beenden Sie das Duckmäusertum gegenüberden USA, und setzen Sie sich für die Aufhebung derSanktionen im Interesse der Menschen in Russland undin Deutschland ein. Wir brauchen den Dialog mit Russ-land, und wir brauchen eine neue Ostpolitik im Geistevon Willy Brandt.
Wir wollen eine nachhaltige Friedenspolitik, und da-für muss die deutsche Wirtschaft entmilitarisiert werden.Wir fordern einen Konversionsfonds in Höhe von2,5 Milliarden Euro, der aus dem Reingewinn der Bun-desbank gespeist wird. Mit diesem Geld kann der not-wendige Strukturwandel sozial und ökologisch gestaltetwerden. Konkrete Investitionen in den Umbau der Pro-duktion und in die berufliche Qualifizierung der Be-schäftigten werden so möglich. Weiterhin wollen wirnicht mehr genutzte Bundeswehrliegenschaften denKommunen kostengünstig überlassen. Konversion geht –wenn man sie denn will.
Noch einige Bemerkungen zur Attraktivitätsoffensiveder Bundeswehr. Frau Ministerin, haben Sie sich eigent-lich gefragt, warum so viele Soldatinnen und Soldatenbereits ihre Grundausbildung abbrechen? Haben Sie sichgefragt, warum es ausgerechnet unter den Offizieren soviele Kriegsdienstverweigerungen gibt? Die Ursachensind doch nicht der fehlende Flachbildschirm oderschlecht renovierte Stuben; vielmehr ist es die Ausrich-tung der Bundeswehr auf mehr Auslandseinsätze undfalsche Versprechungen bei der Rekrutierung.
Die üppigen Zuzahlungen für Spezialkräfte in Aus-landseinsätzen sind in diesem Zusammenhang der fal-sche Anreiz.
Richtig dagegen sind die geplanten Solderhöhungen fürdie freiwillig Wehrdienstleistenden, deren Bezahlungbislang unter dem Mindestlohnniveau liegt.
Es muss auch bei der Bundeswehr einen Mindestlohngeben.In Ihrem Haushaltsentwurf gibt es nur eine Linie: dieOrientierung auf mehr Auslandseinsätze. In meinemWahlkreis befindet sich das größte Gefechtsübungszen-trum. Dort soll eine Kriegsübungsstadt entstehen, in derdie Bundeswehr und andere NATO-Truppen künftigeEinsatzszenarien trainieren sollen.
Es soll Hochhäuser, Supermärkte, ein Armenviertel undsogar eine U-Bahn geben; wohl gemerkt, die einzige U-Bahn in ganz Sachsen-Anhalt. Das hat nichts, aber auchgar nichts mit dem Verteidigungsauftrag, wie er imGrundgesetz geschrieben steht, zu tun. Die Linke for-dert: Stoppen Sie den Bau des Gefechtsübungszentrums!
Für die Bundesregierung steht das Militärische immeran oberster Stelle. Für die Folgen ihrer Politik interes-siert sie sich leider nur wenig. Das wird im Umgang mitden Radargeschädigten der Bundeswehr und der NVAdeutlich. Es ist schäbig, wie die Regierung mit den Ra-daropfern umgeht. Von den oft unheilbar Krebskrankenwird verlangt, dass sie in jahrzehntelangen Gerichtsver-fahren selbst beweisen, dass sie radioaktiver Strahlungausgesetzt waren. Viele von ihnen sterben, bevor sie eineEntschädigung erhalten. Das ist wirklich ein Skandal!
– Das ist anscheinend nicht ausreichend. Waren Sie beiden Gesprächen mit dem Staatssekretär dabei?
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Katrin Kunert
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Es war beschämend, wie er sich verhalten hat. Ich würdean Ihrer Stelle ganz ruhig sein.
Die Linke fordert eine erleichterte Anerkennungs-praxis durch die Umkehr der Beweislast. Frau Ministe-rin, auch der Wehrbeauftragte schlägt diese Verbesse-rung vor. Laden Sie die Folgen Ihrer Militärpolitik nichtauf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten ab.Bei der Regierung stehen alle Zeichen auf Militär,Auslandseinsätze und Rüstung. Wir als Linke setzen aufAbrüstung, Landesverteidigung und eine friedliche Kon-fliktlösung. Aber dazu fällt Ihnen leider nichts ein. Wirwerden diesen Haushalt ablehnen.Danke schön.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält nun
Rainer Arnold das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nur ein Satz an die Linke, damit jeder sieht, welcher Un-fug dort geredet wird: Bei dieser Regierung stehen alleZeichen auf Militär.
Frau Kollegin, es sind 3 300 Soldaten in internationa-len Friedensmissionen,
meist im Auftrag der Vereinten Nationen. In der Spitzewaren es knapp 11 000. Es sind also deutlich wenigergeworden – und nicht mehr, so wie Sie tun.
Richtlinie und Richtschnur für das Handeln dieserRegierung ist auch im Verteidigungsbereich der Koali-tionsvertrag. Herr Kollege Lindner, Sie mögen ja kriti-sieren, dass die Regierung und die Ministerin das Fal-sche tun; das ist Ihre Aufgabe. Aber so zu tun, als obnichts getan werde, das geht wirklich an der Sache vor-bei. Schauen Sie in den Koalitionsvertrag, und Sie wer-den feststellen: Alles, und zwar wirklich alles, was wirdamals aufgeschrieben haben, ist entweder abgearbeitetoder bereits aufs Gleis gesetzt. Das gilt für die Evaluie-rung, die wir in den nächsten Wochen diskutieren wer-den und bei der wir feststellen werden, dass sich dieWelt verändert hat und man heute andere Antworten ge-ben muss.Das gilt natürlich auch für die Attraktivität des Solda-tenberufes. Alle konkreten Forderungen, die wir aufge-schrieben haben, hat die Ministerin in einem sehr großenPaket aufs Gleis gesetzt. Dabei ist uns ein Punkt beson-ders wichtig: Wir wollen, dass die Zeitsoldaten bei ihrersozialen Altersabsicherung den Angestellten im öffentli-chen Bereich gleichgestellt werden. Ich denke, darüberwerden wir in den nächsten Wochen noch ein wenig dis-kutieren und noch einiges verbessern können.
Dies gilt auch für die Neustrukturierung der Beschaf-fungsprozesse. Natürlich war die Kumulierung der Pro-bleme in den letzten Wochen ein Weckruf. Die einzelnenFakten sind uns nicht wirklich neu, aber ihre Kumulie-rung hat zu Recht eine hohe Aufmerksamkeit geweckt.Dabei zeigt sich natürlich schon – Sie sprachen dasThema Boxer an –, dass alte Anordnungen, wie zumBeispiel die Befüllung eines Gerätes statt zu 100 Prozentnur zu 70 Prozent, letztlich ein Irrweg sind. Dort habenBetriebswirte und Sparkommissare formuliert und nichtSicherheitspolitiker. Wir Sicherheitspolitiker wissen,dass die Geräte und die personelle Vorhaltung bei Streit-kräften eben nicht betriebswirtschaftlich, sondern Vor-sorge sind. Das heißt, Redundanzen und Reserven sindin diesem System immer erforderlich, und wir werden indieser Koalition versuchen, in den nächsten Jahren auchdort Veränderungen herbeizuführen.Dazu gehört auch der Auftrag im Koalitionsvertrag,Verantwortung für die Rüstungswirtschaft zu überneh-men. Auch dies werden wir tun. Die Ministerin hat die-sen schwierigen Prozess der Neu- und besseren Struktu-rierung der Beschaffungsprozesse benannt. Ich nenne einweiteres Thema: Wir wollen auch die Debatte überKernfähigkeiten zügig abschließen. In den verteidi-gungspolitischen Richtlinien für das Jahr 2011 – diesehaben wir nicht verfasst, trotzdem steht dort an einerStelle etwas wirklich Richtiges drin – heißt es: Kernfä-higkeiten sind auch dort, wo die Bundeswehr signifi-kante und international anerkannte Fähigkeiten ein-bringt.Damit ist klar: Die Verteidigungsministerin muss andieser Stelle sagen, wo wir diese anerkannten Fähigkei-ten haben. Die anderen Ressorts müssen ihren sicher-heitspolitischen Beitrag leisten, und das Wirtschaftsres-sort muss die Frage klären: Wie hilft man denUnternehmen bei den schwierigen Anpassungsprozessenin den nächsten Jahren? Deshalb begrüßen wir es, dasses eine Staatssekretärsrunde gibt, die diese Themen zu-künftig kooperativ bearbeiten will. Die Kernfähigkeitensind kein Pingpongspiel, das zwischen den Ressorts hin-und hergeht. Es ist eine gemeinsame Verantwortung die-ser Koalition.
Nach dieser Anforderung aus den alten Verteidi-gungspolitischen Richtlinien ist natürlich auch klar, dassGefechtsfahrzeuge, Raketenabwehr und U-Boote inDeutschland eine besondere Ausprägung haben und des-halb auch zu diesen Schlüsselfähigkeiten gehören müs-sen. Wenn wir dies ernst nehmen, werden wir in dennächsten Jahren auch über Forschung sprechen müssen.Ich bin nicht der Auffassung – wir diskutieren das alsParlamentarier schon lange –, dass die etwa 300 Millio-
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nen Euro tatsächlich dem Technologieland Deutschlandentsprechend dem Haushalt zur Verfügung stehen. Wirwerden die Forschungsmittel genau dort, wo wir Kernfä-higkeiten definiert haben, in den nächsten Jahren ver-stärken müssen, damit wir auch im Jahr 2030 moderneStreitkräfte haben.
Wenn der Koalitionsvertrag abgearbeitet wird, isttrotzdem nicht alles gut; das wissen wir, denn die Welthat sich verändert.Niemand hätte sich vorgestellt, dass in Europa mitWaffengewalt Grenzen verändert werden. Das hat Aus-wirkungen auf die Debatten in der NATO. Die NATOmuss sich deshalb mit Sicherheit nicht neu erfinden.Aber die Reaktionsfähigkeiten und die -geschwindigkei-ten in der NATO werden sich verändern, und das wirdauch Auswirkungen auf die Organisation der Bundes-wehr haben. Entscheidend bleibt aber: Es darf nicht dergeringste Zweifel entstehen, dass Artikel 5 für alle gilt.Die NATO ist politisch entschlossen, das durchzusetzenund damit zu zeigen: Wir sind verlässlich.
Entscheidend ist und bleibt auch in Zukunft, dass dieNATO ihre Fähigkeiten so sichtbar zur Schau stellt, dassjeder weiß, er hat dagegen keine Chance, dass jederweiß, die NATO ist ein überlegenes Bündnis. Das wollenwir deshalb, weil wir wissen, dass dann, wenn unsereFähigkeiten sichtbar sind, wir sie aller Wahrscheinlich-keit nach nicht brauchen werden. Das ist das eigentlicheZiel.Die zweite Veränderung in der Welt – darüber wurdeschon viel gesprochen – ist das Auftreten der brutalenTerroristen des sogenannten IS. Es handelt sich nichtmehr – das ist schon neu – um diese alte asymmetrischeBedrohung, über die wir jahrelang gesprochen haben.Das ist jetzt nicht mehr asymmetrisch. Es haben sichmöglicherweise sogar die Vorzeichen bei der Symmetrieverschoben. Es wird nämlich Staatlichkeit durch Terro-risten organisiert. Ich fand es schon beeindruckend, wasdie Königin Rania von Jordanien zu diesem Thema ge-sagt hat. Sie vertrat zum einen deutlich ihre Meinung,auch gegenüber der arabischen Welt, dass jeder Verant-wortung trägt und dass hinter den Angriffen dieser Ideo-logen eine übelste Ideologie und ein globaler Machtan-spruch steckt. Zugleich sagte sie: Ideologien sind nichtmit Kugeln zu beseitigen.Das Thema wird uns also noch lange beschäftigen,und auch die Menschen in Deutschland – wir sehen dasderzeit bei vielen Diskussionen – merken, wie ernsthaftdas ist. Sie verstehen auch, dass in bestimmten Situatio-nen Diplomatie aktiv bleiben muss – die Bundesregie-rung leistet hier Vorbildliches; das wurde schon häufiggesagt –, man sich gleichzeitig aber solch brutalem fun-damentalen Terrorismus notfalls auch mit Waffengewaltentgegenstellen muss. Wenn man das nicht selber kann,wenn man das nicht selber will, weil das vielleicht auchnicht besonders effektiv ist – das hat man im Irak bei denAmerikanern gesehen –, bleibt eben nur der Weg, denje-nigen zu helfen, die das auch in unserem Interesse tun.Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass ein neuesWeißbuch aufgelegt wird. Im Ergebnis wird darin dieVeränderung in dieser Welt sichtbar, und am Ende wer-den wir aus meiner Sicht eine neue Debatte bekommen,und zwar nicht über eine neue Bundeswehr oder eineganz neue Reform, sondern darüber, was die Streitkräftein Zukunft können müssen. Dies darf in Zukunft nicht,wie in der Vergangenheit allzu häufig geschehen, vomDiktat der leeren Kassen abgeleitet werden,
sondern es muss davon abgeleitet werden, was wir alsDeutsche in die internationale Politik einbringen könnenund einbringen wollen.Manche Soldaten haben in den letzten Jahren ja im-mer wieder gesagt: Was wollt ihr mit eurer Debatte errei-chen? Wir bieten euch doch ein möglichst breites Spekt-rum an Fähigkeiten an, damit ihr Politikerinnen undPolitiker auswählen könnt. – Das ist der falsche Ansatz,um es ganz klar zu sagen. Wir Politiker definieren, wel-che Fähigkeiten unsere Streitkräfte brauchen. Die Solda-ten setzen das dann operativ um. Das ist die richtige Rei-henfolge. Damit kommt allerdings auch Verantwortungauf uns zu: Wenn wir diese Aufgaben definiert haben,müssen wir schon dafür sorgen, dass die Streitkräfte diedafür notwendigen Mittel bekommen.Deshalb bin ich dankbar, dass unsere Haushälterin– ihr möchte ich an dieser Stelle wirklich danken – nichtnur die schwarze Null im Auge hatte, sondern immerauch im Blick hatte, dass es bei der Bundeswehr nichtnur um Waffen geht, sondern in erster Linie auch umMenschen. Sie hat vor diesem Hintergrund wichtige Bei-träge geleistet, dass der Haushalt im nächsten Jahr aus-kömmlich ist. Herzlichen Dank! In Zukunft werden wirDebatten führen, bei denen das ebenfalls sichtbar wird.So wird das Attraktivitätsprogramm seriös und nachhal-tig in zukünftigen Haushalten abgebildet werden. Das istganz wichtig für die Glaubwürdigkeit.In diesem Sinne: Recht herzlichen Dank. Ich denke,wir sind auf einem guten Weg. In drei Jahren wird mansagen können: Diese Große Koalition hat die Herausfor-derung angenommen, die Chancen, die sich für die Bun-deswehr boten, ergriffen und ihre Aufgaben erledigt.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Henning Otte,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alswir vor einem Jahr den Koalitionsvertrag beraten haben,konnten wir nicht vorhersehen, vor welchen sicherheits-
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politischen Herausforderungen wir stehen würden. Lie-ber Kollege Rainer Arnold, wir kämpfen dafür, wir ar-beiten dafür, wir werben dafür, dass wir die notwendigenMittel bekommen; aber wenn die Politik festlegen soll,welche Herausforderungen in Zukunft auf uns zukom-men, dann verkennen wir die Gefahr, dass sich politischeLagen schnell verändern können. In der Ukraine hat sichbeispielsweise eine Lage entwickelt, in der ein militäri-sches Vorgehen durch uns quasi ausgeschlossen war,weil wir nicht annehmen wollten und auch nicht anneh-men konnten, dass man militärisch agiert, um eine De-stabilisierung zu erzeugen, um eine Landnahme voran-zutreiben. Das gab es in keiner Planungsmappe mehr beiuns. Deswegen müssen wir darauf vorbereitet sein, dassauch unvorhergesehene sicherheitspolitische Herausfor-derungen auf uns zukommen.Frau Kunert, dabei geht es nicht darum, dass Russ-land eingedämmt wird, wie Sie es bezeichnet haben– wenn ich das richtig verstanden habe –, sondern es gehtdarum, dass die Ukraine davon ausgehen durfte, dass ihreSouveränität nicht angezweifelt und schon gar nicht ange-griffen wird. Ich glaube, Sie sollten sich diesbezüglich dievölkerrechtliche Lage noch einmal anschauen.
Das völlig entfesselte Vorgehen der IS-Terroristen istdargestellt worden. Das sind unfassbare Gräueltaten, dieaus einer regionalen Destabilisierung resultieren undmittlerweile eine Weltbedrohung darstellen. Weg-schauen ist dabei für uns keine Option. Verantwortungist für uns der Maßstab. Das Einstehen für Menschen-rechte, für Religionsfreiheit, für Rechtsstaatlichkeit, dasist auch Ausdruck von Menschlichkeit. Umso wichtigerwar es, dass wir die Rolle Deutschlands im Koalitions-vertrag und noch einmal explizit auf der Münchener Si-cherheitskonferenz so definiert haben, dass wir bereitsind, mehr Verantwortung für Frieden und Freiheit in un-serer Welt zu übernehmen. Ich bin unserer Ministerinwie dem Außenminister und dem Bundespräsidentensehr dankbar, dass sie das so klar angesprochen haben.
Die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an diePeschmerga war keine leichte Entscheidung, aber siewar richtig und notwendig und daher konsequent. Men-schen, die auf der Flucht sind, die Nahrung und Medizindringend brauchen, ist es doch nicht zuzumuten, dassman ihnen das elementare Grundrecht auf Sicherheitverwehrt, dass man dieses Grundrecht ignoriert. Auchhier muss Deutschland Verantwortung übernehmen.Deutschland hat diese Verantwortung übernommen,auch weil wir gesagt haben: Ein zweites Ruanda darf esnicht geben. Wer das nicht so schlussfolgern will, der istentweder zynisch oder ignoriert die Lage vor Ort.
Es gibt Konflikte mit altbekannten Gesichtern: Land-nahme durch Militär, Destabilisierung, Einschüchterungganz Osteuropas durch Russland. Hier werden Elementedes Kalten Krieges übernommen, und es wird mit mo-dernen Mitteln gearbeitet. Hybride Kriegsführung nenntman dies. Die gesamte Breite der Möglichkeiten wirdheute genutzt: Propaganda, Medienarbeit, irreguläreKräfte. Konventionelle Streitkräfte mit Panzern undJagdflugzeugen unterstützen diese Drohkulisse in Osteu-ropa, greifen direkt ein, nehmen Einfluss. Langstrecken-flugzeuge und Marineschiffe provozieren an der Grenzeder NATO. Auf diese Weise soll in osteuropäischen Län-dern Einfluss genommen werden. Ich glaube, dass wiruns diese sicherheitspolitische Lage ganz konkret vorAugen führen müssen. Wir wollen nicht, dass militäri-sche Mittel eingesetzt werden müssen. Wir wollen dafürsorgen, dass wir eine diplomatische Lösung finden; aberwir müssen deutlich machen: Wenn du friedlich mit mirumgehst, gehe auch ich friedlich mit dir um; aber wenndu angreifst, dann musst du auch wissen, dass wir unswehren können. Diese Devise hat den Frieden auf demeuropäischen Kontinent bisher realisiert und ist Aus-druck der NATO-Politik. Deswegen ist es gut, dass wirin der Konsequenz gemeinsam Rückschlüsse aus demNATO-Gipfel in Wales ziehen.
Die Ausrichtung der Bundeswehr muss flexibel blei-ben, damit wir lageabhängig reagieren können. Wir müs-sen Fähigkeitsschwerpunkte bilden. Geben wir eineMöglichkeit einer Fähigkeit erst einmal auf oder gebenwir sie ab, ist es umso schwieriger, sie wieder zurückzu-holen und neu aufzustellen. Zumindest wird es wesent-lich teurer, diese Fähigkeiten wiederzugewinnen. Daherbrauchen wir atmende Strukturen.Genau dafür gehen wir bilaterale Kooperationen ein.Mit den Niederlanden funktioniert das wunderbar. MitPolen wird es in guten Gesprächen angestrebt. DieseVernetzung innerhalb Europas, die Stärkung bilateralerAchsen mit dem Ziel, europäisch gemeinsam aufzutre-ten, halte ich für richtig.Daher müssen wir die Ausrichtung der Bundeswehrmit einem universellen Fähigkeitsanspruch so aufbauen,dass wir zu jeder Zeit auch Kooperationen eingehen kön-nen. Das ist ebenfalls Ausdruck von Verantwortung fürunsere Sicherheitspolitik. Wir müssen die richtigenRückschlüsse ziehen. Die Zeit der Friedensdividende istvorbei. Die logischen Schlussfolgerungen sind darausgezogen worden. Wie richtig festgestellt wurde, wirddies mittlerweile auch akzeptiert.Wir sollten unsere gesamten Sicherheitssysteme nichtweiter durch den Entzug von Mitteln schwächen, son-dern die Verantwortung annehmen und den Einzelplan14 entsprechend anpassen. Daher bin ich sowohl demHaushaltsausschuss als auch dem Bundesfinanzministersehr dankbar dafür, dass die notwendigen Konsequenzenschon im Haushalt 2015 gezogen worden sind. Anträgein Höhe von über 700 Millionen Euro sind angenommenworden, zum Beispiel für den Kauf von 131 neuenTransportpanzern des Typs Boxer. Das ist in Anpassungan die Sicherheitslage geschehen. Wir steigern dadurchdie Sicherheit unseres Landes, die Stabilität und die Mo-
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Henning Otte
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dernisierung. Deswegen bedanke ich mich bei den Haus-hältern herzlich dafür, dass sie dies umgesetzt haben.
Modernität erfordert nicht nur, dass wir schneller mo-dernes Gerät in der Truppe haben, sondern auch, dassdieses Gerät einsatzbereit und verfügbar ist. Die Streit-kräfte benötigen nicht nur wegen der aktuellen Heraus-forderungen ein Mehr an Ersatzteilen und Betriebsstof-fen, sondern das Niveau muss auch grundsätzlichangehoben werden.
Herr Otte, der Kollege Lindner würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?
Gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, geschätzter Kollege Otte. – Wenn ich
Sie eben akustisch richtig verstanden habe, haben Sie
ausgeführt, es seien Anträge in Höhe von über 700 Mil-
lionen Euro für die 131 Boxer, über die wir uns in dieser
Debatte schon trefflich gestritten haben, angenommen
worden. Da verstehe ich etwas nicht ganz. Ihre Schilde-
rung klingt so, als sei das alles unter Dach und Fach und
beschlossene Sache. Sowohl die Ministerin als auch
mein geschätzter Kollege Bartholomäus Kalb haben zu
diesem Punkt aber noch in der Bereinigungssitzung er-
klärt, zum einen handele es sich dabei um Geld, das im
kommenden Jahr noch gar nicht zur Verfügung stehe,
und zum anderen sei dies durch den Haushaltsausschuss
qualifiziert gesperrt; das Ministerium müsse erst einmal
eine Begründung vorlegen, und man könne sich das alles
noch überlegen. Als ich der Frau Ministerin die vielen
Verpflichtungsermächtigungen vorgehalten habe, meinte
sie auch, das sei erst einmal Handlungsspielraum für sie
und bedeute nicht, dass man alles gleichzeitig ausnutzen
werde.
Weil Sie vermutlich tieferen Einblick in das Innenle-
ben der Koalitionsfraktionen haben, als ich es habe
und auch haben möchte, würde ich gerne von Ihnen wis-
sen: Was von beidem stimmt denn nun?
Herr Kollege Dr. Lindner, erst einmal herzlichenDank für die Frage und vor allem auch für Ihr persönli-ches Bewusstsein für die Sicherheitspolitik. Sie sitzenfür die Fraktion der Grünen sowohl im Haushaltsaus-schuss als auch im Verteidigungsausschuss. Deswegenkennen Sie auch die Notwendigkeiten. Daher befassenSie sich auch sehr realistisch mit diesen Themen.Wir haben mit Anträgen im Verteidigungsausschussund im Haushaltsausschuss deutlich gemacht, dass dieLage es erfordert, immer wieder in die Modernisierungunserer Armee zu investieren. Der geschützte Transport-panzer Boxer ist nur ein Beispiel für eine Reihe vonAnträgen, mit denen wir deutlich machen: Wenn wir Si-cherheitspolitik ernst nehmen und aus der Fürsorge-pflicht für unsere Soldatinnen und Soldaten die richtigenRückschlüsse ziehen, dann müssen wir auch bereit sein,Geld in moderne Geräte zu investieren, die dem Schutzunserer Soldatinnen und Soldaten dienen.
Wir brauchen Flexibilität und einen hohen Bereit-schaftsgrad. Wir müssen schneller und auch europäischabgestimmt agieren. Die Streitkräfte müssen aus demStand heraus in der Grundgliederung und mit dem eige-nen Gerät die Sicherheit unseres Landes gewährleistenkönnen; auch das hat die NATO in Wales deutlich ge-macht. Deswegen müssen wir auf dem Weg des flexiblenVerfügbarkeitsmanagements wohl eher in die Richtunggehen, eine durchgängige Einsatzbereitschaft sicherzu-stellen. Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben, und dassehr gut. Aber die Mittel sind nun einmal knapp bemes-sen. Es liegt in der Natur der Sache, dass mit Haushalts-mitteln, mit dem Geld der Steuerzahler, sehr sensibelumgegangen wird.Trotzdem: Einen Auftrag zu erfüllen, erfordert orga-nisatorischen Aufwand und führt zu hoher Belastung.Die Basis für eine gut ausgerüstete Bundeswehr ist eineleistungsfähige und gut aufgestellte wehrtechnische In-dustrie. Es ist auch Ausdruck von Souveränität, dass wirdie Fähigkeiten, um unsere eigenen Streitkräfte auszustat-ten, in Deutschland haben. Wir wollen nicht abhängigwerden. Wir wollen nicht diktiert bekommen, in welcherQualität und zu welchem Zeitpunkt wir die Materialienbekommen. Wir müssen nicht immer alles selber bauen;aber wir müssen das Know-how und die entsprechendeBeurteilungsfähigkeit haben. Deswegen brauchen wirauch eine Industrie, die als Ausdruck nationaler Sicher-heitsvorsorge das erforderliche Material produzierenkann.Wir müssen Sicherheitspolitik ganzheitlich betrach-ten. Wir müssen feststellen, dass die wehrtechnische In-dustrie ein Pfeiler dieser Souveränität ist. Deswegenmüssen wir weg von dem Gedanken einzelner Ressort-und Fachzuständigkeiten, wohl wissend allerdings, dasses nach dem Geschäftsverteilungsplan der Bundesregie-rung klare Zuständigkeiten gibt.Wir haben als Parlamentarier die Verantwortung fürDeutschland als Ganzes. Wir Sicherheitspolitiker habenauch die Verantwortung, die Sicherheitspolitik als Gan-zes zu betrachten. Deswegen haben wir im Koalitions-vertrag formuliert:Wir setzen uns für den Erhalt ausgewählter Schlüs-seltechnologien und industrieller Fähigkeiten, ins-besondere auch bei mittelständischen Unterneh-men, ein.Darauf haben wir uns geeinigt.
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Bei der Benennung dieser Schlüsseltechnologienmüssen wir uns wohl breiter aufstellen, um das Fähig-keitsspektrum der Bundeswehr abbilden zu können. Einebreite Aufstellung mag auf den ersten Blick vielleichtnicht effizient oder betriebswirtschaftlich logisch sein.Aber Sicherheitspolitik ist mehr als reine Betriebswirt-schaftslehre. Sie ist eben auch Ausdruck dessen, was wirbrauchen, um die Souveränität unseres Landes gewähr-leisten zu können. Folgender Satz ist vollkommen rich-tig: Die Bundeswehr kann nur das abnehmen, was siezur Erfüllung ihres Auftrages benötigt. – Aber wenn wirFähigkeiten erhalten wollen – so habe ich auch den Auf-trag der Koalition verstanden –, dann müssen wir bereitsein, sicherheitspolitisch verantwortbare Exporte zuzu-lassen, insbesondere dann, wenn man durch eine solcheExportpolitik auch noch gestaltend gute Außenpolitikbetreiben kann.
Wir müssen uns die Frage stellen, was wir für unsereSicherheit vernünftigerweise brauchen. Das muss dannauch finanziert werden: durch Beschaffungsprogramme,durch Forschungs- und Entwicklungstitel, auch durchRüstungsmittel. Liebe Frau Kunert – sie ist nicht mehrda –,
zu sagen: „Von Deutschland soll kein Krieg mehr ausge-hen; deswegen müssen die Auslandsmandate beendetwerden“, ist so, als würde jemand, der kein Feuer will,die Feuerwehr abschaffen. Ich glaube, das wäre genauder falsche Beschluss.
Wir brauchen eine vorausschauende Sicherheitspoli-tik. Wir wollen unabhängig bzw. souverän sein und un-sere Bündnisfähigkeit erhalten. Deswegen investierenwir in unsere Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatzoder im Heimatbetrieb Enormes für die Sicherheit unse-res Landes leisten und bereit sind, dafür auch ihre Ge-sundheit einzusetzen.Ich bin unserer Ministerin, Frau Dr. Ursula von derLeyen, sehr dankbar dafür, dass sie das Attraktivitätspa-ket, so wie es im Koalitionsvertrag angekündigt wurde,mit Vehemenz eingebracht hat. Wir wollen es gemein-sam umsetzen. Sehr geehrte Frau Ministerin, es ist wich-tig, dass wir aus Gründen der Fürsorge deutlich machen,dass wir für unsere Soldatinnen und Soldaten als Teil ei-ner leistungsfähigen Armee einstehen und notwendiger-weise auch bereit sind, Geld zu investieren. Wir wollenein sicherheitspolitisches Gesamtpaket im Interesse derSicherheit unseres Landes anbieten.Ich sage auch ein herzliches Dankeschön dafür, dasswir im Verteidigungsausschuss und auch im Haushalts-ausschuss die notwendige Unterstützung bekommen,und ich danke allen Soldatinnen und Soldaten, die bereitsind, für die Sicherheit unseres Landes einzustehen.Danke schön.
Vielen Dank. – Ein Hinweis an die Kolleginnen und
Kollegen, die noch folgen: Es wäre schön, wenn die
Dankesbekundungen noch in der normalen Redezeit er-
folgen würden. Ansonsten zieht sich die Sitzung zu sehr
in die Länge.
Der nächste Redner ist Wolfgang Hellmich, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Haushaltsbera-tung findet immer in einer sehr konkreten Situation statt.Man muss dabei das berücksichtigen, was wir sicher-heits- und verteidigungspolitisch breit diskutieren.Es wurde gesagt, dass vieles aus den Fugen geratenist. Hier hat die Ministerin die Kelle in die Hand genom-men, um vieles, was nicht verfugt war, wieder zu verfu-gen. Sie haben vorhin an einigen Stellen deutlich ge-macht, wie groß die Baustellen sind und was manaufräumen und verändern muss.Hätten wir das getan, was der Kollege Lindner – er istnun leider auch nicht mehr da – noch vor einem halbenJahr hier gesagt hat
– er kommt auch gleich wieder –, dass man nämlichdoch bitte schön alle Rüstungsprojekte, über die wir dis-kutieren, mit einem Moratorium zum Stoppen bringensollte, dann hätte das folgende Konsequenz gehabt: DieBugwelle wäre noch größer geworden. Ich bin froh, dasswir das nicht gemacht haben, sondern an dieser Stellegefordert haben, konsequent an den vielen Aufgaben zuarbeiten und Gas zu geben, damit die Baustellen aufge-räumt werden.Am letzten Wochenende, von Freitag bis Montag, ha-ben wir in der Parlamentarischen Versammlung derNATO in Den Haag – der Kollege Lamers als Delega-tionsleiter und Frau Schmidt als stellvertretende Delega-tionsleiterin – in der Diskussion über die Haushaltsent-wicklungen noch einmal deutlich machen müssen undkönnen, dass weiterhin das Ziel gilt, dass innerhalb vonzehn Jahren mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandspro-duktes für das Militär ausgegeben werden, wovon20 Prozent für Investitionen und die technische Ausstat-tung zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir habenaber auch deutlich machen müssen und können, dass wirnicht nur über diese Dinge, nicht nur über Hausnummernund Zahlen, sondern auch über Fähigkeiten und eine ge-meinsame Mitwirkung zu diskutieren haben. Das ist derganz entscheidende Punkt.Ich muss dazu aber auch sagen, dass unsere Positiondort durchaus nicht unumstritten war, weil einige Ländergerade an dieser Stelle doch eine andere Position haben.Ich glaube aber, es wird wichtig sein, dass zu der Frie-densdividende, die dringend nötig und richtig ist, eine
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Wolfgang Hellmich
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Dividende der Zusammenarbeit hinzukommt, damit wirauch in Zukunft die richtigen Projekte finanzieren undgemeinsame Fähigkeiten entwickeln können.Wir haben auch deutlich machen können, was wir andieser Stelle tun. Es gibt die Kooperation des deutschenund des niederländischen Heeres, die Kooperation mitden Polen und vieles andere. Ich glaube, dadurch sindwir bei der europäischen Integration und Zusammenar-beit ein ganzes Stück weiter, als dies an vielen Stellenberichtet wird.Die anderen Länder der NATO und auch die asso-ziierten und befreundeten Staaten haben hier sehr inte-ressiert zugehört und die Bereitschaft erklärt, an dieserStelle intensiv mitzumachen. Dies wird auch bis hin zurtaktischen Ebene nötig sein.Ich habe bei der Diskussion dort immer den multi-nationalen Zug in Afghanistan im Blick gehabt, der ganzkonkrete Probleme hatte. Ein Zugführer berichtete vonsprachlichen Problemen, verschiedenen Kommunika-tionssystemen, verschiedensten Waffengattungen, dienicht aufeinander abgestimmt sind, und vielen anderenkonkreten Punkten mehr. Wir müssen die Kooperationsuchen – bis hin zur taktischen Ebene –, damit wir imkonkreten praktischen, multinationalen Einsatz auch diebeste Ausrüstung zur Verfügung haben und die besteOperationalität erreichen. Frau Kunert – Sie sind jetztwieder da –, ich würde all unseren Partnern auch anbie-ten, das in einem Geschäftsübungszentrum einzuüben,was wir in solchen multinationalen Einsätzen brauchen.
Wir sind weit davon entfernt, die angesprochenen20 Prozent und 2 Prozent zu erreichen, aber das Ziel, dieOrientierung, ist klar. Deshalb bietet dieser Haushaltauch in Zukunft eine Orientierung im Rüstungsbereichund bezüglich der Ausrüstung der Soldatinnen und Sol-daten. Mir wäre es sehr lieb, wenn die Ausrüstung desInfanteristen der Zukunft in diesem Haushalt noch deut-licher zum Ausdruck käme. Der IdZ macht nämlich nurzusammen mit dem Boxer einen Sinn. Diese werdendann in den konkreten Operationen gemeinsam zum Ein-satz kommen. In diese Richtung werden wir weiterarbei-ten und werden wir uns weiterentwickeln.Ich denke, diese konkreten Punkte werden wir geradeauch in die internationale Diskussion einbringen können.Wir werden eine entscheidende Rolle dort spielen, wo esum das NATO-Kommando für das Korps Nordost undum das Deutsch-Niederländische Korps geht. All diessind zentrale Elemente dessen, was die NATO auf demGipfel in Wales beschlossen hat. Dabei wurde auch deut-lich, welche wichtigen Aufgaben mit hoher Qualität, diewir einbringen, übernommen werden können.Letztendlich geht es nicht darum, dass von deutschemBoden Krieg ausgeht, sondern es geht darum, dass manmit mehr nationaler und internationaler Verantwortungfür mehr Frieden auf der Welt sorgt. Das ist unser An-satzpunkt. Das ist unser Ziel. Dem werden wir auch poli-tisch gerecht werden.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Ingo Gädechens,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue michbesonders, dass jetzt auf den Zuschauerrängen Soldatin-nen und Soldaten der Bundeswehr dieser aus meinerSicht wichtigen Debatte beiwohnen können. Es tut mirleid, dass Sie einige Rednerinnen und Redner, insbeson-dere die Ministerin, verpasst haben. Aber es kommennoch zwei Redner.
Es ist auch sehr selten, Frau Präsidentin, dass zur eige-nen Rede eine Besuchergruppe aus dem Wahlkreis aufder Tribüne sitzt. Ich freue mich, die Bürgerinnen undBürger aus Ostholstein und Stormarn begrüßen zu dür-fen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Einzelplan 14– Verteidigung – ist ein wichtiger Einzelplan. Insbeson-dere die Rednerinnen und Redner der Koalition habendeutlich gemacht, dass wir einen seriösen und fundiertenHaushalt für den Bereich der deutschen Verteidigungaufgestellt haben. Auch ich möchte mich – denn daskann nur gelingen in einem guten Zusammenspiel – na-türlich bei der Ministerin, den Mitarbeitern im Ministe-rium, aber ganz besonders auch bei unseren Haushältern– da schließe ich auch Dr. Lindner mit ein; ein Haushäl-ter, der für den Einzelplan 14 kämpft, auch wenn er aufOppositionsseite steht – sehr herzlich bedanken.Der diesjährige Verteidigungshaushalt – Karin Evers-Meyer deutete es schon an – steht einmal mehr unter be-sonderer Beobachtung der Öffentlichkeit. Die Bundes-wehr ist leider erneut in den Fokus der medialen Bericht-erstattung geraten. Die kritischen Pressemeldungen übermangelhafte Einsatzbereitschaft, Fähigkeitslücken undProbleme bei der Materialbeschaffung haben einer brei-ten Öffentlichkeit die bei der Bundeswehr vorhandenenDefizite aufgezeigt.Im Kreise der Verteidigungspolitiker waren diese De-fizite weitestgehend bekannt. Die schonungslose Be-standsaufnahme der vorhandenen Defizite verdankenwir aber in erster Linie und in ganz besonderer Weise derFrau Ministerin. Dafür zolle ich Ihnen Respekt. Pro-bleme und strukturelle Mängel müssen offen angespro-chen werden. Dabei begleitet nicht jeder – auch das durf-ten wir registrieren – den Weg der Transparenz und
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Ingo Gädechens
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Offenheit wohlwollend. Aber ich sage Ihnen, Frau vonder Leyen: Ihr Vorgehen war richtig und wichtig, um be-kannte Mängel zügig beseitigen zu können.Wir müssen die Probleme, die innerhalb der Bundes-wehr bestehen, sachlich, ehrlich und offen ansprechen.Aber ich sage auch: Überzogene Kritik oder die gezielteVerunglimpfung unserer Soldatinnen und Soldaten als– so konnte man das in einer großen Schlagzeile lesen –„Trümmertruppe“ halte ich für skandalorientierte Mei-nungsmache. Das schadet dem Ansehen unserer Bundes-wehr und unserer Soldatinnen und Soldaten insgesamt.
Diese Berichterstattung verkennt außerdem wesentli-che Fakten. Die Bundeswehr lebt vom besonderen Enga-gement und Einsatz ihrer Soldatinnen und Soldaten, aberauch ihrer zivilen Mitarbeiter. Die Truppe handelt pro-fessionell, sowohl in den Einsatzgebieten als auch imRahmen des Katastrophenschutzes. Lobend erwähntwurde auch die Bereitschaft nicht nur der Aktiven, son-dern auch der Reservisten, wenn es um die Bekämpfungder Ebolaepidemie in Westafrika geht.Ohne den unbedingten Willen, ohne Leistungsbereit-schaft und auch Improvisationstalent vom einfachen Ge-freiten bis hinauf in die Führungsebene hätte unsereBundeswehr nicht die hohe Wertschätzung in weitenTeilen unserer Bevölkerung und schon gar nicht diegroße Anerkennung all unserer Bündnispartner. Bei al-len Problemen und Anpassungsprozessen ist die Bundes-wehr bereits heute ein überaus attraktiver Arbeitgeber,bei dem Kameradschaft und Gemeinschaftssinn gelebtwerden und Pflichtgefühl den täglichen Dienst begleitet.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Engage-ment verdient ganz besonders unsere Anerkennung undhöchsten Respekt immer wieder auch aus diesem Haus.Auch wenn das schon gesagt wurde, wiederhole ich es,gerade weil jetzt Kameradinnen und Kameraden auf derBesuchertribüne Platz genommen haben.In der Schnelllebigkeit unserer Zeit wird immer wie-der ausgeblendet, dass die Bundeswehr immer noch diegrößte und umfassendste Reform seit ihrem Bestehendurchlebt. Es ist die oft beschriebene Operation am offe-nen Herzen, in der es – das weiß man aus der Erfahrungmit Operationen – auch immer wieder kritische Phasengibt und geben wird. Dieser Tatsache, dass wir in einemReformprozess sind, sollten gerade die Medien, die sichallzu sehr bemühen, nur die negativen Seiten zu beleuch-ten, einmal mehr Beachtung schenken.Meine Damen und Herren, zur Wertschätzung dieserArbeit gehört auch, dass wir den Soldatinnen und Solda-ten wie auch den zivilen Mitarbeitern ein Arbeitsumfeldschaffen, welches den Leistungswillen und die Kreativi-tät fördert und den besonderen Umständen des Soldaten-berufs Rechnung trägt. Lange Zeiten der Abwesenheitvon der Familie, eine hohe Versetzungshäufigkeit wieauch der schlimmste Fall, nämlich die Gefährdung vonLeib und Leben, sind Bestandteil des Soldatenberufs. Erist ein besonderer Beruf und für viele Aktive eine echteBerufung.Mit dem auf den Weg gebrachten Artikelgesetz zurSteigerung der Attraktivität tragen wir diesen soldati-schen Tätigkeiten Rechnung. Frau Ministerin, es istenorm wichtig, die 22 aktuell geplanten Maßnahmen an-zustoßen und zu verwirklichen. Sie hatten im Planungs-prozess und haben auch jetzt die uneingeschränkteUnterstützung der CDU/CSU-Fraktion, um diese Ver-besserungen zu erreichen.Auch wir müssen ständig evaluieren, weil der Solda-tenberuf in knallharter Konkurrenz zur Wirtschaft undzu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes steht.Deshalb werden wir auch zukünftig die Situation insge-samt im Blick behalten, um gegebenenfalls weitere Ver-besserungen zu diskutieren und zu realisieren. Das Arti-kelgesetz ist bereits heute ein wichtiger Schritt hin zumehr Attraktivität innerhalb der Bundeswehr und zumehr Anerkennung.Wir hörten es andeutungsweise: Es wurde auch vonder Opposition aufgegriffen, aber auch innerhalb derBundeswehr wurden einige angekündigte Verbesserun-gen skeptisch bis kritisch bewertet. Dabei, werte Kolle-ginnen und Kollegen, geht es nicht um Flatscreens oderKühlschränke auf den Stuben, wie die Debatte von denMedien leider völlig unzutreffend verkürzt wurde. Viel-mehr geht es um Nachwuchsgewinnung. Es geht um Le-benswirklichkeit und ein Umfeld, welches in vielen Be-reichen heute Standard ist.Wenn wir junge Menschen dafür gewinnen wollen,ihre Heimat Deutschland zu verteidigen, dann ist eineSechsmannstube ohne WLAN-Anschluss, aber vielleichtmit dem Charme der 70er-Jahre nicht das, was der allge-meine Lebensstandard heute erwarten lässt. Ohne Wehr-pflicht stehen wir vor der besonderen Herausforderung,junge Menschen anzusprechen, die sich bis dato nochgar nicht mit dem Gedanken beschäftigt haben, in derBundeswehr eine berufliche Perspektive zu suchen.All diese Dinge packen wir an. Wir haben mit demEinzelplan 14 wie mit dem gesamten Haushaltsplan2015 eine gesunde Grundlage geschaffen, um diese Auf-gaben erfüllen zu können. Wir befürworten nicht nur denEinzelplan 14, sondern den gesamten Haushalt 2015 undwerden den gesamten Prozess innerhalb der Bundeswehrweiterhin positiv begleiten.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Einzelplan
ist der Kollege Dirk Vöpel, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! In jeder Krise steckt auch eine Chance. Dasgilt nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Au-
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Dirk Vöpel
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ßen- und Sicherheitspolitik. Es ist noch gar nicht langeher, da hätte wohl niemand diese Häufung von Kriegen,Krisen und Konflikten für möglich gehalten, mit denenwir es heute zu tun haben, und das alles in unmittelbarerNachbarschaft der Europäischen Union. Der weiterschwelende Ukraine-Konflikt und die neue russischeMachtpolitik, die apokalyptischen Bürgerkriege inSyrien und im Irak, der Staatszerfall in Libyen und ande-ren Teilen Nordafrikas, die wachsenden Spannungenzwischen Israelis und Palästinensern – die Welt an derOst- und Südflanke Europas ist kein friedlicherer Ort ge-worden. Auch deshalb steht die europäische Sicherheits-politik in den kommenden Jahren vor gewaltigen He-rausforderungen, auf die wir neue Antworten findenmüssen.Quer durch Europa stehen die öffentlichen Haushalteseit langem unter starkem Konsolidierungsdruck. Waslag also näher, als sich die nach dem Ende des KaltenKrieges allseits erwartete Friedensdividende vor allemaus den nationalen Verteidigungsetats auszahlen zu las-sen? Zahlreiche Krisen und Konflikte in der Nachbar-schaft, der strategische Rückzug Amerikas, geringefinanzielle Spielräume, das sind die schwierigen Rah-menbedingungen, unter denen wir eine neue europäischeSicherheitsstrategie formulieren müssen. Eines ist klar:Allein mit dem nationalen Instrumentenkasten wird kei-nes dieser Probleme zu lösen sein.
Ich bin der Auffassung, dass in den aktuellen Krisenund Problemen auch eine Chance steckt. Europa muss inZeiten wie diesen auch militärisch enger zusammen-rücken. Ich darf daran erinnern: Bereits an der Wiege deseuropäischen Einigungswerks unmittelbar nach demZweiten Weltkrieg stand mit der Europäischen Verteidi-gungsgemeinschaft, EVG, der nur knapp gescheiterteVersuch, eine europäische Armee zu schaffen. Warumsollten wir uns angesichts der Herausforderungen unse-rer eigenen Gegenwart langfristig weniger ehrgeizigeZiele setzen?
Das wird natürlich ein langer, steiler und steiniger Weg.Wir sollten ihn trotzdem gehen. Die immer stärkere Ko-operation, Vernetzung und Integration auch der militäri-schen Ressourcen in Europa wären aus meiner Sichtnicht nur ein entscheidender Beitrag zur Stärkung vonGSVP und GASP, sondern könnten dem europäischenProjekt insgesamt neuen Schwung verleihen. Warum ei-gentlich sollte bei den Streitkräften nicht möglich sein,was uns beim Geld und bei den Grenzen gelungen ist?
Die europäischen Mitgliedstaaten leisten sich zurzeit28 nationale Armeen mit insgesamt 1,5 Millionen Solda-tinnen und Soldaten. Die Gesamtausgaben für Verteidi-gung liegen bei knapp 200 Milliarden Euro, deutlichmehr als Russland und China zusammen ausgeben, je-denfalls offiziell. Auf dem Papier sieht das ziemlich be-eindruckend aus. Schaut man näher hin, erweist sichEuropa jedoch als militärischer Scheinriese. Nur in we-nigen Bereichen entsprechen die real verfügbaren Fähig-keiten der Papierform. Die strategischen Fähigkeitslü-cken sind unübersehbar. Nirgendwo leisten wir uns soviele Redundanzen, teure Mehrfacharbeiten und ver-schwenderische Parallelentwicklungen wie in diesem Sys-tem fast ausschließlich national gesteuerter Rüstungsbe-schaffung. Wozu brauchen wir in Europa 20 Programmefür gepanzerte Fahrzeuge, fünf oder sechs paralleleU-Boot-Projekte, jeweils fünf Programme für Kampf-flugzeuge oder die Entwicklung von Boden-Luft-Rake-ten?Unter dem anhaltenden Druck zur Kostenreduzierungund bei dem fortlaufenden Rückgang nationaler Be-schaffungsmengen kann eine vorwiegend am Bedarf deseigenen Landes orientierte Rüstungsindustrie nicht über-leben.
Wenn wir eine wettbewerbsfähige rüstungsindustrielleBasis auf unserem Kontinent erhalten wollen, dann kanndie richtige Antwort auch im wehrwirtschaftlichen Be-reich nur lauten: Wir müssen mehr Europa wagen.100 Jahre nach dem Beginn der europäischen Selbst-zerfleischung im Ersten Weltkrieg müssen wir leiderfeststellen: Die Überhöhung vermeintlich nationalerInteressen, das Denken in Machtkategorien und Ein-flusssphären und das Verständnis von Außen- und Si-cherheitspolitik als einem Nullsummenspiel, bei dem einLand nur auf Kosten eines anderen etwas gewinnenkann, sind auch 2014 nicht völlig überwunden. Vor die-sem Hintergrund brauchen wir umso mehr ein geeintesund vor allem ein einiges Europa.
Lassen wir diese Krise nicht ungenutzt!Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. – VielenDank, Herr Präsident, für Ihre Geduld.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in derAusschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist der Ein-zelplan 14 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktionund der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FraktionDie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-genommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf:Einzelplan 23Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und EntwicklungDrucksachen 18/2823, 18/2824Berichterstatter sind die Abgeordneten VolkmarKlein, Sonja Steffen, Michael Leutert und Anja Hajduk.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6581
Vizepräsident Peter Hintze
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Zu dem Einzelplan 23 liegen ein Änderungsantrag derFraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen vor. Des Weiteren liegenein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowieein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor,über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung ab-stimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich hörehierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Abgeordneten Michael Leutert, Fraktion DieLinke, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister! Ist er noch nicht da?
– Dann müssen wir kurz warten. Er ist im Zulauf? Eh-
renwort, Herr Staatssekretär? Dann begrüßen wir erst
einmal den Herrn Staatssekretär.
– Nein, das hat schon etwas mit der Form zu tun, dass
wir auf den Minister warten.
– Ja, wir warten ganz kurz.
Vielleicht können wir ein paar Abstimmungen vorher
durchführen.
– Hervorragend.
Bitte.
Herr Minister, schön, dass auch Sie anwesend sind.Dann kann ich jetzt mit meiner Rede beginnen.Dies ist nach dem Einzelplan des Auswärtigen Amtsund dem Einzelplan des Verteidigungsministeriums derdritte Einzelplan mit internationalem Bezug, den wirheute hier besprechen. Ich weiß jetzt nicht genau, wersich die Reihenfolge ausgedacht hat; ich weiß auch nichtgenau, ob das etwas mit der Wertigkeit, mit der Wichtig-keit der Ministerien zu tun hat. Ich weiß allerdings, dasswir bei der Verteilung der Gelder genau umgekehrt ver-fahren sollten: Wir sollten zuerst so viel Geld zur Verfü-gung stellen, bis wir 0,7 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts für die Entwicklungszusammenarbeit erreichthaben, und dann das, was übrig bleibt, an die anderenMinisterien verteilen.
Nur dieses Verfahren garantiert, dass endlich unserVersprechen auf internationaler Ebene, mehr für dieÄrmsten auf der Welt zu tun, eingelöst werden kann.Immerhin schaffen es fünf europäische Länder, ihre Ver-pflichtung einzuhalten: Schweden, Norwegen undLuxemburg – diese drei liegen im Übrigen mit 1 Prozentweit über der festgelegten Zahl von 0,71 Prozent – sowieDänemark und Großbritannien. Da ist die Frage imRaum, warum wir das nicht schaffen.Unabhängig von diesen zentralen Problemen mussich Ihnen zugestehen, Herr Minister: Sie machen es ei-nem als Oppositionspolitiker nicht ganz einfach. Siesprechen die richtigen Probleme an: Fluchtursachen be-kämpfen, Flüchtlinge reintegrieren, eine Welt ohne Hun-ger. Sie haben dazu Sonderinitiativen initiiert. Sie setzenauch die richtigen Akzente, nämlich dass wir uns ändernmüssen, hier in Europa, in Deutschland, um so auch hel-fen zu können. Ich erinnere da an den Vorschlag zumTextilsiegel. Das ist ganz im Sinne von „global denken,lokal handeln“.Sie verbinden das auch mit Methoden, die bei derLinken Zuspruch finden, indem zum Beispiel bei der Er-arbeitung der Zukunftscharta, die diese Woche vorge-stellt wurde, die Zivilgesellschaft mit eingebundenwurde. In der Zukunftscharta wird der zentrale Kritik-punkt ebenfalls angesprochen. Ich zitiere:Diese nur langfristig zu verwirklichenden Ziele er-fordern Geduld und den Einsatz von deutlich mehrRessourcen.Wir haben hier also einen Minister, der die richtigenDinge anspricht, die richtigen Akzente setzt, die richti-gen Methoden wählt und auch noch Dokumente produ-ziert, in denen mehr Geld verlangt wird. Entsprechendunseren internationalen Verpflichtungen müssten wircirca 10 Milliarden Euro mehr für die Entwicklungszu-sammenarbeit ausgeben. Aber all dies nutzt nichts. Hiersoll ein Haushalt verabschiedet werden, der mit der Rea-lität nichts zu tun hat, ein Haushalt eben, der nicht mehrRessourcen zur Verfügung stellt, obwohl allen klar ist,dass dies falsch ist.Lassen Sie mich das bitte an einem ganz konkretenBeispiel verdeutlichen. Das Auswärtige Amt hat in ei-nem Brief an uns Haushälter mit alarmierenden Wortenauf die Flüchtlingsproblematik hingewiesen. Ich habeihn heute schon bei der Beratung des Einzelplans desAuswärtigen Amtes zitiert. Aber er ist so gut, dass manihn noch einmal zitieren kann. Es haben das ja nochnicht alle gehört.
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6582 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
Michael Leutert
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– Er ist so gut, dass man ihn zweimal zitieren kann. Ichzitiere:Wir sind Zeugen der schlimmsten humanitären Ka-tastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. … momen-tan kann auch Menschen in existenzieller Not nichtausreichend geholfen werden! … Deutschland fällthinter andere Geberländer zurück. … Bereits 2014befinden wir uns in einem Feld mit Geberländern,die erheblich kleinere Bevölkerungen und Volks-
Mit diesem Brief konnte der AußenministerSteinmeier in letzter Sekunde die Kürzung der Mittel fürhumanitäre Hilfe verhindern. Er hat nun – wie im Jahr2014 auch – wiederum 400 Millionen Euro zur Verfü-gung.Nun ist das Auswärtige Amt aber nur für die soge-nannte erste Hilfe zuständig, also – um es etwas saloppauszudrücken – für Decken, Zelte und die warme Mahl-zeit. Danach sind Sie als Minister des BMZ dran. Esgeht also um die mittelfristige Unterstützung und Hilfe.Es geht um medizinische Versorgung. Es geht um Bil-dung. Ja, es geht auch um die Müllentsorgung. DieFlüchtlingslager sind ja mittlerweile zu Städten ange-wachsen. Dafür stehen beim BMZ allerdings nur139 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist unlogisch.Wenn man mit 400 Millionen Euro für ZehntausendeFlüchtlinge humanitäre Hilfe leistet, dann muss sich dasdoch auch in Ihrem Haushalt an entsprechender Stellewiderspiegeln;
denn die Flüchtlinge sind ja nach der Erstversorgung im-mer noch da.Diese Diskrepanz, liebe Kolleginnen und Kollegen,müssen wir ausgleichen. Wir haben keine andere Wahl.Die Realität wird uns dazu zwingen. Wenn wir es heutenicht machen, werden wir in den nächsten Monaten zu-sammensitzen und überplanmäßige Ausgaben beschlie-ßen.Wir bzw. Sie alle haben allerdings am Freitag dieserWoche noch einmal die Chance, den Änderungsanträgender Linken zuzustimmen. Gemessen an den Aufgabenund Forderungen, die im Raum stehen, sind es moderateÄnderungsvorschläge. Wir wollen die Mittel für Ent-wicklungszusammenarbeit von 6,5 auf 8 MilliardenEuro anheben. Wir wollen explizit mehr Mittel für dieFlüchtlinge zur Verfügung stellen. Wir wollen mit diesenAnträgen aber auch dem Ziel, 0,7 Prozent unseresBruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeitzur Verfügung zu stellen, endlich einen Schritt näher-kommen. Wir laden Sie gern ein, dabei mitzumachen.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Volkmar Klein, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Man kann es tatsächlich so machen: Man kann denerheblichen Aufwuchs im Einzelplan 23 lapidar mit„hätte auch mehr sein können“ kommentieren. Wahr-scheinlich muss man das als Opposition auch. Man mussmit dem berechtigten Lob der Regierung immer beson-ders sparsam sein, weil ja sonst die eigenen Leute ziem-lich irritiert sind. Also, das ist schon ganz in Ordnung so.Aber richtig ist es natürlich, auf den erheblichen Auf-wuchs im Einzelplan 23, im Haushaltsplan des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung, hinzuweisen. Angesichts der sich entwi-ckelnden Krisen hatte auch der Minister darauf hinge-wiesen, dass es gut wäre, diese Mittel zu erhöhen. ImRahmen des Haushaltsverfahrens haben wir insgesamt64 Millionen Euro mehr für das Ministerium zur Verfü-gung gestellt, und das angesichts einer Absenkung desGesamthaushalts um 400 Millionen Euro auf 299,1 Mil-liarden Euro. Insofern wäre eigentlich ein bisschen Lobvon allen Seiten des Hauses angebracht.
Doch der Reihe nach. Insgesamt ist der Haushalt diein Zahlen gegossene gute und richtige Antwort auf dieaktuellen Fragen, eine Reaktion auf die wirtschaftlichenNotwendigkeiten, aber auch auf die ethischen Heraus-forderungen, vor denen wir stehen. Einher geht dasGanze mit der entscheidenden Botschaft – ich denke, daskann man auch an dieser Stelle wiederholen –: Bei ei-nem Gesamthaushalt von 299,1 Milliarden Euro kom-men wir komplett ohne neue Schulden aus, das erste Malseit 1969.
Das ist in dreifacher Hinsicht sinnvoll und wichtig:Erstens. Es ist im Sinne von Generationengerechtig-keit ethisch richtig, den künftigen Generationen keineSchulden zuzuschieben.Zweitens. Wie wir aus den letzten Jahren wissen, istes aber auch für die aktuelle Finanzpolitik wichtig, Sta-bilität in Europa auszustrahlen.Drittens. Für unseren Bereich hier ist es ganz ent-scheidend, sicherzustellen, dass wir unsere finanziellenFähigkeiten auch in Zukunft haben werden. Auch in Zu-kunft werden wir unseren internationalen Verpflichtun-gen nachkommen können; das wollen wir. Insofern ist
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6583
Volkmar Klein
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der ausgeglichene Haushalt auch eine gute Botschaft fürdie Entwicklungszusammenarbeit.Der Einzelplan des Ministeriums für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung als solcher ist schonals Entwurf gut gewesen. Im Rahmen der Beratungenhaben wir ihn noch ein Stück verbessern können. DieserEinzelplan umfasst mehr Geld – darauf habe ich ebenschon hingewiesen –; für viele ist schon das ein ausrei-chendes Qualitätsmerkmal. Im Übrigen steht dieser Ein-zelplan damit in einer langen Tradition: 2005 umfassteder Haushalt dieses Ministeriums 2,8 Milliarden Euro.Jetzt, zehn Jahre später, stehen im Haushaltsplan6,5 Milliarden Euro; das sind mehr als 70 Prozent mehr,und das bei einem Gesamthaushalt, der, von 260 Milliar-den Euro auf 299 Milliarden Euro, nur relativ moderatgewachsen ist.
– Der Beifall dafür, dass das Gewicht der Entwicklungs-zusammenarbeit gestiegen ist, ist sehr berechtigt.
Auf jeden Fall ist auch richtig, dass im Haushaltsver-fahren beschlossen wurde, zusätzlich 90 Millionen Eurofür Nothilfe einzustellen. Wie wir eben gehört haben,werden im Auswärtigen Amt zusätzlich 280 MillionenEuro zur Verfügung gestellt. Darüber haben wir bereitsim Zusammenhang mit dem Einzelplan des AuswärtigenAmtes diskutiert. Das sind natürlich die Folgen des Be-schlusses der vergangenen Regierung, einen großen Teilder entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfevom BMZ ins Auswärtige Amt zu verlagern. Ob das nungut war oder nicht, diese Frage stellt sich bei der heuti-gen Haushaltsberatung eher weniger.Es geht hier aber nicht nur darum, viel Geld zur Ver-fügung zu stellen, sondern auch darum, die richtige Ant-wort auf Zukunftsfragen zu geben, nicht nur die aktuel-len Notlagen zu bewältigen, sondern auch über den Taghinaus zu denken. Ein entscheidendes Hemmnis fürwirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze in denLändern des Südens sind Gesundheitsprobleme. Da, woMenschen krank sind, können sie nichts erarbeiten undihre Zukunft nicht gestalten. Deshalb ist es so wichtig,dass es uns gelungen ist, den deutschen Beitrag für dieGlobale Impfallianz jeweils für die nächsten Jahre auf40 Millionen Euro deutlich zu erhöhen. Das wird dieGrundlage sein: Wenn bilaterale Mittel hinzukommen,werden wir auf dieser Grundlage bei der Replenishment-Konferenz, die im nächsten Januar bei uns in Deutsch-land stattfindet, Zusagen in Höhe von rund 500 Millio-nen Euro geben können. Der entscheidende Punkt ist:Damit werden Bremsklötze für die Entwicklung vor Ortbeiseitegeräumt.
Wir müssen auch an anderer Stelle Bremsklötze bei-seiteräumen. Wir haben den Ansatz beim Titel „Zusam-menarbeit mit der Wirtschaft“ um 7 Millionen Euro er-höht. Das gibt die Grundlage dafür, noch mehr tun zukönnen, damit sich in den jeweiligen Ländern Jobs,Chancen entwickeln und am Ende auch Steuerzahler dasind.Ein bisschen ist dies auch die Antwort auf den Reportder Vereinten Nationen „A New Global Partnership“ desHigh-Level Panel von 2013. Ich will einmal eine Pas-sage daraus zitieren, jedenfalls die Übersetzung – aufSeite 11 kann man das auf Englisch nachlesen –: Wirt-schaft ist ein essenzieller Akteur, der wirtschaftlichesWachstum generieren kann. Kleine und mittlere Unter-nehmen schaffen die meisten Arbeitsplätze, die ge-braucht werden, dass sich die Ärmsten aus der Armutbefreien können. Große Firmen haben Geld und dasKnow-how, um Infrastruktur aufzubauen, sodass es allenMenschen ermöglicht wird, sich in der modernen Wirt-schaft zu vernetzen. Große Unternehmen können da-rüber hinaus kleine und kleinste Unternehmen auf einemgrößeren Markt vernetzen. – Das sagt das High-LevelPanel. Ich glaube, dass wir hier die richtige Antwort da-rauf geben.Genau darum muss es gehen: Unser Anspruch musssein, wirklich zu helfen, damit die entsprechenden Län-der auf eigenen Füßen stehen können, damit Arbeits-plätze geschaffen werden, damit auch dort Steuerzahlervorhanden sind, die Infrastruktur, Gesundheitssystemeusw. finanzieren können. Das ist das, was wir unternachhaltiger Hilfe verstehen.Ich glaube, dass wir auch überlegen müssen, ob un-sere Konzepte bereits voll ausgereift sind; denn wir ha-ben an vielen Stellen, zumindest in Afrika, aus meinerSicht mit relativ viel Geld weniger erreicht, als wir mitdem Geld der deutschen Steuerzahler eigentlich errei-chen sollten. Das ist aber wichtig, nicht nur für die ein-zelnen Länder, sondern auch für die einzelnen Men-schen. Wir müssen den Menschen in diesen Ländernmehr Chancen vor Ort geben.Wir sind – wir haben das mehrfach heute diskutiert –sicherer Zufluchtsort für ganz viele Flüchtlinge, derenMenschenrechte zu Hause mit Füßen getreten werden.Diese Menschen wollen wir gern aufnehmen; das istrichtig so. Aber wir sind verständlicherweise auch Zielvon vielen, die zu uns kommen, weil sie bei sich zuHause zu wenig Chancen sehen. Da ist es doch ein Ge-bot der Menschlichkeit, dass wir helfen, in diesen Län-dern Chancen zu eröffnen, Chancen auf Jobs und darauf,in der Heimat das eigene Leben zu gestalten.
Genau das ist auch der Inhalt der Sonderinitiativen,die sich das Ministerium auf die Fahne geschrieben hat:„Eine Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen,Flüchtlinge reintegrieren“ und „Nordafrika und NaherOsten“; diese Region ist leider weiterhin im Mittelpunkt.Das sind die Punkte, die im Mittelpunkt der Arbeitstehen werden, die im nächsten Jahr von einer größerenÖffentlichkeit sicherlich intensiv beachtet wird. Dasnächste Jahr ist ein wichtiges Jahr für die internationaleZusammenarbeit. Ich habe die Replenishment-Konfe-renz von GAVI im Januar in Deutschland bereitserwähnt. Das G-7-Treffen in Elmau wird sich ganz
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Volkmar Klein
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intensiv mit all diesen Fragen beschäftigen. Die Be-schlussfassung über die Post-2015-Agenda steht eben-falls an. Es geht darum, Chancen zu bieten. Es gehtdarum, über Konzepte zu streiten, die dann auch wirk-lich geeignet sind, Chancen zu schaffen.Solche Konzepte – lassen Sie mich damit auch zumEnde kommen – sind total gut, das dafür zur Verfügungstehende Geld ist total wichtig – also der Haushalt, denwir jetzt beschließen –, aber am Ende kommt es auf dieMenschen an, auf diejenigen, die dann vor Ort bereitsind, das auch umzusetzen. Deswegen möchte ich andieser Stelle ganz herzlich denen danken, die fürDeutschland in den entsprechenden Ländern in allerWelt Hilfe leisten, im Moment vor allen Dingen denen,die ganz persönlich an den direkten Brennpunkten vonEbola sind. Das sind, ich glaube, inzwischen bereits über50 Deutsche. Da braucht man nicht nur Kompetenz; dabraucht man auch Mut. Ganz herzlichen Dank an all dieMenschen, die bereit sind, das zu tun!
Ich möchte mich aber auch ganz herzlich bei den Mit-berichterstattern und Mitberichterstatterinnen im Haus-haltsausschuss für die gute Zusammenarbeit bedanken.Da muss man auch schon mal unterschiedliche Meinun-gen aushalten und das ausfechten. Aber ich kann sagen:Es macht einfach Spaß, gemeinsam an diesen Dingen zuarbeiten, auch gemeinsam mit den zuständigen Leutenaus dem Finanzministerium, aus dem BMZ, das von ei-nem guten Minister geführt wird, der das Ganze gut imGriff hat. Auch dafür ganz herzlichen Dank!
– Der Minister ist unter anderem deswegen so gut, weiler von drei kompetenten Staatssekretären unterstütztwird; das ist in der Tat richtig.
Meine Damen und Herren, mein Fazit. Erstens: GuterEtat! Zweitens: Bitte zustimmen! Drittens: Am bestenalle!
Herzlichen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Zustimmen geht beim besten Willen nicht, werter
Kollege Klein. Ich möchte das auch begründen.
Dieser Etat ist einer der wichtigsten, wenn es darum
geht, die aktuellen großen Krisen der Welt zu bewältigen
und auf lange Frist das Zusammenleben auf dieser Welt
mit unserer Unterstützung auf einen positiven Weg zu
bringen.
Gerade Minister Müller hat sich seit Amtsantritt nicht
gescheut, diesbezüglich sehr herausfordernde Worte zu
finden. Er hat die Probleme sehr klar beschrieben. In der
ersten Lesung hat er mit Blick auf die aktuellen Krisen,
die Arbeit mit den Flüchtlingen und die sogenannte ent-
wicklungsfördernde und strukturbildende Übergangs-
hilfe die Lage folgendermaßen beschrieben – ich zitiere –:
Dieses Problem kann unser Haushalt mit dieser
Ausstattung nicht zufriedenstellend lösen.
Diesen Satz hat er gesagt, verbunden mit der Aufforde-
rung an uns, dass wir uns darum kümmern.
Ich habe heute, als ich auf die Rednerliste geschaut
habe, schon gestaunt, dass Minister Müller in dieser De-
batte nicht das Wort ergreifen wird. Ich habe mich ge-
fragt, ob vielleicht die Sorge besteht, dass er mit dem
Etat nicht so zufrieden sein könnte und dies vielleicht
zum Ausdruck bringen könnte. Das ist Spekulation; aber
ich bedauere sehr, dass er nicht spricht.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin
Hajduk, nur zu Ihrer Kenntnis: Es ist, wie ich glaube,
große Anerkennung wert, dass ein Minister so handelt,
wie unser Minister handelt. Er hat bei der Einbringung
des Haushaltes gesprochen, hat uns seine Vorstellungen
dargelegt und hat es dann in unsere Hand gelegt, zu han-
deln. Dass er jetzt die zweite und dritte Lesung nicht als
Regierungshandeln, sondern als Parlamentshandeln ver-
steht, finde ich ausgezeichnet. Ich würde mir wünschen,
manch anderer Minister würde das auch so machen.
Ich möchte Ihnen gerne antworten, Frau Kollegin.
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Anja Hajduk
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– Ich möchte aber in der gebotenen Kürze darauf einge-hen. – Ich bin sehr dafür, dass parlamentarische Gepflo-genheiten eingehalten werden und dass wir unsere Rollemit dem entsprechenden Selbstbewusstsein wahrneh-men. Ich habe es aber immer auch als wichtig und richtigempfunden, dass zum Beispiel im Haushaltsausschussdie Minister anwesend sind, wenn ihr Etat beraten wird.Ich finde es entsprechend unseren parlamentarischenGepflogenheiten der Rede und Gegenrede wertvoll, auchden Minister selber sprechen zu hören, in Reaktion aufdie Änderungen, die sein Etat erfahren hat.
Ich kann das, was Sie sagen, nicht teilen. Aber letztlichist es natürlich die Entscheidung der CDU/CSU-Frak-tion, wie sie die Redeminuten verteilt; ich möchte Ihnennicht absprechen, dass es in Ihrer Verantwortung liegt.Aber es fällt schon auf; es ist eher eine seltene Aus-nahme, dass es so gehandhabt wird, wie Sie es hierhandhaben.
Ich möchte im Thema fortfahren. Ich möchte nichtleugnen, dass die Koalitionsfraktionen bei der entwick-lungsfördernden und strukturbildenden Übergangshilfe90 Millionen Euro draufgelegt haben. Das ist angesichtsder vorhandenen 49 Millionen Euro nicht nichts. Daswill ich, wie gesagt, gar nicht leugnen; schon gar nicht,weil ich den Minister zitiert habe. Aber ich kann einfachnicht verstehen, dass Sie dann den Großteil, 75 Millio-nen Euro, bei der bilateralen Finanziellen Zusammenar-beit abziehen.
Bei den Verpflichtungsermächtigungen für die bilateraleTechnische Zusammenarbeit ziehen sie 46 MillionenEuro ab.Der Gesamtaufwuchs in diesem Etat ist, gemessen da-ran, was eigentlich nötig ist, viel zu gering. Deswegenkönnen wir nicht erkennen, Volkmar Klein, dass das dieausreichende Antwort auf die globalen Krisen, auf dielangfristigen Probleme, die wir haben, sein soll.Vor dem Hintergrund der Entscheidungen, die wirhier heute schon getroffen haben, möchte ich auf Fol-gendes hinweisen – ich bin auch zuständig für den EtatKultur –: Zugunsten des Kulturetats, der um einiges klei-ner ist als dieser Etat – was ich gut finde –, finden Um-schichtungen in der Größenordnung von 100 MillionenEuro in diesem Jahr und 280 Millionen Euro in den Fol-gejahren statt. Ich bedauere es, dass Sie angesichts des-sen in diesem Etat nur eine 1-prozentige Steigerung ge-schafft haben – und das vor dem Hintergrund unsererinternationalen Zusagen und der Vereinbarungen, die wirunterzeichnet haben.
Wenn ich mich nicht irre, Frau Pfeiffer, waren Sie da-bei, als wir uns darauf geeinigt haben, einen Aufwuchs-pfad zum 0,7-Prozent-Ziel erreichen zu wollen. Gemes-sen an diesen Zusagen kann ich nur sagen: Das ist vielzu wenig, was Sie machen. Ich bitte Sie: Lehnen Sie sichnicht zurück – ich hatte es so verstanden, dass der Minis-ter sich auch nicht zurücklehnen will –; denn diese Rech-nung geht nicht auf.
Es gibt den Wunsch von Kollegin Pfeiffer nach einer
weiteren Frage oder einer Bemerkung. Möchten Sie die
zulassen?
Wenn ich jemanden anspreche, dann lasse ich das
gerne zu.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin
Hajduk, es gibt eine Erklärung für das Ganze. Es ist Ih-
nen sicherlich bekannt, dass das Thema „humanitäre
Hilfe und Not- und Übergangshilfe“ primär beim Au-
ßenministerium angesiedelt ist. Insofern haben wir viel-
leicht nur eine Brotkrume abbekommen; das ist das eine.
Aber das andere ist: Wir haben die Kompetenzen und
Zuständigkeiten für diese Frage geordnet. Insofern ist
diese Verteilung so, wie sie ist. Wir können es vielleicht
grundsätzlich bedauern, dass wir nicht mehr Geld zur
Verfügung haben; aber wenn Sie allein auf die humani-
täre Hilfe und die Not- und Übergangshilfe abstellen,
liegen Sie leider falsch.
Frau Kollegin, auch da muss ich Ihnen widerspre-chen; Herr Schmidt, darauf gehe ich jetzt ein.In Bezug auf das, was im Zuge der humanitären Hilfenotwendig ist, haben Sie tatsächlich reagiert; das ist vor-hin schon gesagt worden. Sie haben zum Glück einenFehler korrigiert, auf den wir Sie schon im Juni/Juli hin-gewiesen haben. Wir haben nämlich gesagt: Sie müssenbei der humanitären Hilfe draufsatteln, damit das Niveauvon 400 Millionen Euro gehalten werden kann. Dasstimmt; das ist sozusagen eine Fehlerkorrektur, die Sievorgenommen haben.Wir reden hier aber nicht über Mittel für humanitäreHilfe – für die erste Versorgung mit Decken usw., wieHerr Leutert eben ausgeführt hat –, sondern wir redenüber mittel- und längerfristige Strukturen wie Wasser-versorgung und Schulen, die ab einem Zeitraum von dreiMonaten nötig sind. Sie wissen doch, wie groß die Zahlder Flüchtlinge ist! Es sind mehrere Millionen, und derMinister hat gesagt – bestimmt auch Ihrer Fraktion; daskann ich mir gar nicht anders vorstellen –: Da kommeich mit den Mitteln für die Hilfe, für die ich zuständig
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Anja Hajduk
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bin, trotz der Aufteilung mit dem Auswärtigen Amt,nicht aus. – Sie müssen also in der Summe mehr tun undnicht nur an der einen Stelle. Das wäre doch die richtigeAntwort auf diese Frage.
Ich möchte mit einem zweiten Themenschwerpunktfortfahren, den wir Grüne und auch ich wichtig finden.Wir zeigen Ihnen einen Pfad auf, wie wir unsere inter-nationalen Zusagen mit einem Plus von insgesamt800 Millionen Euro einhalten können, um der ODA-Quote näherzukommen. Das ist ein mehrjähriger Pro-zess.Das Jahr 2015 wird in Bezug auf Entwicklungs- undKlimapolitik ein wichtiges Jahr. Es werden viele wich-tige Konferenzen stattfinden. Es ist richtig, was derMinister gesagt hat: Unter dem Klimawandel leiden ammeisten die Bewohner von Inselstaaten sowie die Be-wohner Afrikas aufgrund der Wüstenausbreitung unddes Wassermangels. Wir, der entwickelte Norden – ichnenne das einmal so –, sind der Hauptverursacher. Inso-fern haben wir die Verpflichtung, hier mehr zu helfen.Es ist gut, dass die deutsche Regierung zugesagt hat,mit 750 Millionen Euro beim Green Climate Fund ein-zusteigen. Wir Grüne sagen aber: Hier müssen wir nochmehr tun. Wir brauchen eine Aufstockung auf 1 Mil-liarde Euro.Ich sage Ihnen mit Blick auf den Haushalt 2015: Eskann nicht angehen, dass Sie von diesen 750 MillionenEuro Verpflichtungsermächtigung gerade einmal 18 Mil-lionen Euro im Jahr 2015 einsetzen wollen. Wir glauben,dass es für den Klimaschutz insgesamt nötig ist, ein Pa-ket von 500 Millionen Euro zusätzlich zu schnüren, dassowohl dem Klima-, Umwelt- und BiodiversitätsschutzRechnung trägt als auch multilaterale Hilfen und denGreen Climate Fund mit mehr Mitteln ausstattet.Ich möchte Ihnen zum Abschluss meiner Rede eineBrücke bauen. Wenn die 500 Millionen Euro für den in-ternationalen Klimaschutz eingesetzt werden, dann han-delt es sich ja um investive Maßnahmen. Wenn Sie sichin dieser Woche nicht dazu durchringen können, eineentsprechende Entscheidung zu treffen, dann tun Sie esinnerhalb des nächsten halben Jahres. Dann werden Sienämlich vor der Aufgabe stehen, das 10-Milliarden-Euro-Paket von Herrn Schäuble zu füllen. Das sind zu-gesagte Investitionen für die Jahre 2016 bis 2018. Pa-cken Sie davon einen Riesenbatzen in den internationa-len Klimaschutz! Folgen Sie unseren Vorschlägen! Siewären zwar spät bekehrt, aber es wäre was. Heute sindwir nicht zufrieden.Schönen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Sonja Steffen, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Ein nachdenkli-cher Satz unseres Außenministers ist heute schon mehr-mals zitiert worden: Die Welt ist aus den Fugen geraten. –Es gibt Probleme, die scheinbar endlos wachsen, in im-mer neuen Dimensionen: Kriege, brutale Verfolgung,Millionen Flüchtlinge – ein einziges Elend.Es ist richtig und wichtig, dass uns diese Bilder errei-chen. Ich möchte jedoch an dieser Stelle erst einmal kurzeinen Blick auf die Erfolgsseite werfen. Das sind die Er-folge, die wir in der Welt gemeinsam, gemessen an denMillenniumszielen, in den letzten 15 Jahren erreicht ha-ben, und es sind große Erfolge.Der Anteil der Weltbevölkerung in absoluter Armut– das sind die Menschen, die mit 1,25 Dollar für ihrentäglichen Bedarf auskommen müssen – hat sich seit2000 halbiert. Die Kindersterblichkeit hat sich seit 2000ebenfalls halbiert, und die Müttersterblichkeit hat sichfast halbiert. Der Anteil der Kinder mit Grundschulbil-dung ist auf 90 Prozent gestiegen. Das sind beeindru-ckende Erfolge, Erfolge einer Politik der Weltgemein-schaft, die sich zur Jahrtausendwende ein ambitioniertesProgramm zum Ziel gesetzt hat: die Entwicklungszieledes Millenniums.Man kann aus diesen Erfolgen zwei Resümees ziehen.Das erste ist: Ambitionierte tief und breit angelegte Pro-gramme wie die MDGs und die SDGs sind der richtigeWeg. Das zweite ist: Entwicklungszusammenarbeit lohntsich, zahlt sich aus.
In diesem Geist der Weltgemeinschaft haben Sie, HerrMinister Müller, jetzt ein ebenfalls sehr ambitioniertesProgramm aufgelegt: die Zukunftscharta „EINEWELT –Unsere Verantwortung“. Leider sprechen Sie heute nicht– ich bedaure das –, sonst könnten Sie vielleicht auch ei-nige Sätze zu dem wirklich sehr erfolgreichen Auftaktdieser Veranstaltung sagen. Viele von uns waren amMontag dabei. Es waren Tausende von Menschen in derStation Berlin, und es war ein sehr buntes Bild. Das hatuns allen, denke ich, sehr viel Hoffnung für die nächstenJahre gegeben.Die Botschaft dieses Programmes ist: Es gibt nichtmehr die Welt des Gebens und Nehmens. Alle Länderund Akteure sind verantwortlich. Das ist ein Programm,das alle Politikbereiche umfasst. Was für die SPD-Frak-tion besonders wichtig ist: Das Menschenrecht auf so-ziale Sicherheit weltweit wird zum Ziel erklärt, ebensowie eine Flüchtlingspolitik, die die unerträgliche Lageder Flüchtlinge beenden will. Herr Klein, da bin ich ganzbei Ihnen: Das muss so nachhaltig sein, dass die Men-schen erst gar nicht mehr aus ihrer Heimat flüchten müs-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6587
Sonja Steffen
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sen. Ganz wichtig ist übrigens: kein einziges Wort in derZukunftscharta über militärische Hilfe. Hier gehört sienämlich nicht hin, schon deshalb nicht, weil sie oft Teildes Problems ist und nicht Teil der Lösung.
Dafür hat die Charta aber ein weiteres Ziel formuliert– das haben auch Sie am Montag betont –, man höre:vom Freihandel zum Fairhandel. Das hat mir sehr gutgefallen. Seien Sie versichert, Herr Minister, die Zu-kunftscharta findet die volle Unterstützung meiner Frak-tion, der SPD-Fraktion, und hoffentlich auch der gesam-ten Koalition.
Nun hat die Zukunftscharta also sehr erfolgreich be-gonnen, es bedarf aber einer konsequenten Neuausrich-tung Ihres Ministeriums, damit es tatsächlich ein Minis-terium für globale Zukunftsfragen werden kann. Hier,liebe Kolleginnen und Kollegen – da gebe ich der Oppo-sition wirklich recht –, bedarf es auch mit Blick auf dieZukunft aus unserer Sicht eines wesentlich höherenEtats.
Vor diesem Hintergrund ist es mir als Haushälterinnatürlich leicht gefallen, mich für mehr Mittel in unse-rem Etat einzusetzen. Ich weiß auch, dass vor allem dieOppositionsfraktionen – das haben wir vorhin schon ge-hört – bemängeln, dass der Entwicklungsetat nach wievor nur 0,38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgtstatt der einmal vereinbarten 0,7 Prozent, was der be-rühmten, fast schon berüchtigten ODA-Quote entspre-chen würde, die wir eigentlich 2015 erreichen wollten.Diese zu erreichen, ist uns bislang nicht gelungen. DieFachpolitiker und Fachpolitikerinnen der SPD-Fraktionsind wie auch ich an einigen Stellen nicht glücklich überden diesjährigen Etat.Ich will aber auch loben; das habe ich eingangs schongesagt. Immerhin haben wir insgesamt 100 MillionenEuro mehr, als im ursprünglichen Haushaltsentwurf vor-gesehen, für die Flüchtlingshilfe. 60 Millionen sind nocheinmal obendrauf über den Titel „Entwicklungsför-dernde und strukturbildende Übergangshilfe“ in denHaushalt hereingelangt. Ich finde schon, dass das eingroßer Erfolg und vor dem Hintergrund der aktuellenFlüchtlingsdramen auch völlig angemessen ist.Der Etat des Außenministeriums – auch das war jaheute hier in der Debatte zu hören – ist gleich um300 Millionen Euro aufgestockt worden. Das ist auchbesonders wichtig, weil gerade die Winterhilfe jetzt un-bedingt funktionieren muss.2015 ist für die Entwicklungszusammenarbeit ein ent-scheidendes Jahr – das haben wir schon gehört –: Wirhaben die Zukunftscharta; 2015 übernimmt Deutschlanddie Präsidentschaft der G 7, und eine der ersten Konfe-renzen, die Deutschland leitet, ist die GAVI-Geberkonfe-renz. Schon Ende Januar soll sie in Berlin unter derSchirmherrschaft unserer Bundeskanzlerin stattfinden.Ich will vielleicht kurz erklären, auch wenn wir zudieser späten Stunde bedauerlicherweise fast unter unssind: Dank GAVI konnte in den letzten Jahren erreichtwerden, dass mindestens 440 Millionen Menschen ge-gen lebensbedrohliche Krankheiten geimpft werdenkonnten. Auf diese Weise wurden schätzungsweise bis-her schon 6 Millionen Todesfälle verhindert. Polio bei-spielsweise konnte weltweit fast komplett ausgerottetwerden.Das ist also ein sehr ambitionierter, aber auch sehr er-folgreicher Fonds, den wir da haben. Ich finde es absolutangemessen, dass wir in diesen Haushalt 15 Millionenpro Jahr zusätzlich einstellen; denn es handelt sich wirk-lich um einen unglaublich erfolgreichen Fonds. Es istübrigens auch gut, dass die Kanzlerin, die am Montagebenfalls bei der Übergabe der Zukunftscharta anwesendwar, ausdrücklich 500 Millionen Euro für GAVI in denkommenden Jahren in Aussicht gestellt hat. Herr Kleinhat darauf auch schon hingewiesen.Es gibt noch einen anderen globalen Fonds: Das istder GFATM, der Globale Fonds zur Bekämpfung vonAids, Tuberkulose und Malaria, den wir in diesem Jahrmit 10 Millionen Euro mehr unterstützen. Ich weiß, dassdie Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker sich mehr ver-sprochen haben. Ich hoffe aber, dass wir in den nächstenJahren bei diesem Fonds einen weiteren Aufwuchs errei-chen können.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Frage des Abgeord-
neten Kekeritz?
Ja.
Frau Kollegin, Sie sagten gerade, dass GFATM mit10 Millionen Euro mehr unterstützt wird. Meiner Kennt-nis nach wird der Etat um 35 Millionen gekürzt. Wie istdas zu erklären?Sie gehen von der theoretischen Annahme aus, dassder Ansatz eigentlich viel niedriger war. Die Leute hierwollen aber wissen, wie hoch er 2014 war und wie hocher 2015 sein wird. Vor diesem Hintergrund ist ganz klar:Es handelt sich nicht um eine Erhöhung um 10 Millio-nen Euro, sondern um eine Reduzierung um 35 Millio-nen Euro. Ich bitte Sie im Namen der Öffentlichkeit undder Kolleginnen und Kollegen hier im Hause, die Zahlennicht derart durcheinanderzubringen.Danke.
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Herr Kekeritz, dazu will ich gerne etwas sagen. Wir
hatten in dem Etat „Global Fonds“ ursprünglich
200 Millionen Euro pro Jahr eingestellt; das werden Sie
wissen. Im letzten Jahr haben wir es erreicht, den Etat
2014 auf 240 Millionen Euro zu erhöhen. In diesem Jahr
– deshalb finde ich, dass ich nichts Falsches gesagt
habe – ist es uns gelungen, den Etat um 10 Millionen
Euro zu erhöhen, also von den 200 Millionen Euro, die
eingestellt waren, auf 210 Millionen Euro.
– Wir sprechen über 2015. Ursprünglich angesetzt waren
es 200 Millionen Euro, und jetzt sind es 210 Millionen
Euro.
Ich habe ja auch gesagt, dass ich mir in Zukunft eine
deutlichere Erhöhung wünsche.
Übrigens hat auch die Kanzlerin am Montag gesagt,
dass GAVI und der Global Fonds sehr gelungene Bei-
spiele für multilaterale Entwicklungszusammenarbeit
sind. Ich finde es sehr wichtig, dass auch die Kollegen
von der Union dies noch einmal deutlich gehört haben.
Es ist wichtig, dass das Interesse in unserem Land an
internationalem Engagement durch unsere Politik ge-
stärkt wird. In diesem Zusammenhang leistet der Zivile
Friedensdienst, den viele junge und engagierte Men-
schen dort, wo es wirklich brennt, absolvieren, eine sehr
wichtige Arbeit. Deshalb war es uns von der SPD-Frak-
tion besonders wichtig, dass wir diesen Zivilen Friedens-
dienst mit 5 Millionen Euro mehr, also mit insgesamt
39 Millionen Euro, unterstützen.
Des Weiteren freue ich mich sehr, dass der Etat für die
Forschung in der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt
wird. Wir stellen hierfür 5 Millionen Euro mehr zur Ver-
fügung. Es ist gut, dass davon auch das Deutsche Institut
für Entwicklungspolitik profitieren wird.
Der Haushaltsentwurf 2015 war ein hartes Stück Ar-
beit. Das Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzule-
gen – dass uns dies gelungen ist, begrüße ich sehr –, hat
uns vieles abverlangt. Es ist uns gelungen, im Einzel-
plan 23 die richtigen Schwerpunkte zu setzen, insbeson-
dere im Bereich Flüchtlingshilfe und Gesundheit.
Über den Erfolg eines schuldenfreien Haushalts wol-
len wir aber nicht vergessen, dass unsere Verantwortung
in der Welt und für die Welt wirklich ernst genommen
werden muss. Deshalb habe auch ich, Frau Hajduk, da-
rüber nachgedacht, warum wir nicht einen Teil der
7 Milliarden Euro, die noch nicht verplant sind, für In-
vestitionen in die Entwicklungszusammenarbeit nutzen
sollten.
Sie haben das vorhin vorgeschlagen. Das finde ich nicht
schlecht.
Abschließend will ich mich bei allen bedanken, beim
Hauptberichterstatter, Herrn Klein, der das mit uns zu-
sammen, auch zusammen mit Herrn Leutert und Frau
Hajduk, sehr gut gemacht hat. Des Weiteren will ich
mich beim Ministerium bedanken, beim Minister selbst,
bei den Staatssekretären, beim gesamten Stab und natür-
lich auch bei unseren eigenen Mitarbeitern.
Danke schön.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Sabine Weiss, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf den Rän-gen! Ja, wir müssen noch viel tun. Aber schauen wirdoch erst einmal, was wir haben.Dank Bundesminister Dr. Gerd Müller weht ein fri-scher Wind durch die deutsche Entwicklungspolitik.
Es zeichnet den Minister aus – die Staatssekretäre willich hierbei natürlich nicht vergessen –, dass er bei seinenBemühungen um neue Ansätze bei Beibehaltung der er-folgreichen Strategien die Bevölkerung und die Zivilge-sellschaft mit ins Boot holt. Ich wage auch die Behaup-tung: Damit hebt er sich positiv von dem einen oderanderen seiner Vorgänger ab.
Erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit lebt von derguten Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und vonder Akzeptanz in der Bevölkerung. Daher ist die Heran-gehensweise von Gerd Müller, die enge Einbindung, ge-nau die richtige.Liebe Sonja Steffen, beim Blick in die Zeitungen derletzten Woche beschleicht viele Menschen angesichtsder zahlreichen Krisen in der Welt verständlicherweiseein beängstigendes Gefühl. Bei der Bekämpfung dieserKrisen ist die Entwicklungszusammenarbeit aus meinerSicht das einzig wirklich richtige Mittel – beim Kampfgegen Ebola, bei den Hilfen für die Flüchtlinge im Irakund in Syrien, aber auch bei den leider schon wieder ausdem Rampenlicht entschwundenen Krisen im Sudan undMali. Es geht eben nicht ohne Entwicklungszusammen-
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Sabine Weiss
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arbeit. Das müssen wir immer wieder betonen. Damitmüssen wir noch viele Herzen erreichen.Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass der ak-tuelle Haushalt des BMZ in hohem Maße auf die akuteKrisenbewältigung ausgerichtet ist. 90 Millionen Eurowurden im parlamentarischen Verfahren beim Titel„Entwicklungsfördernde und strukturbildende Über-gangshilfe“ draufgelegt. 200 Millionen Euro stehen fürdie von Minister Müller vorgeschlagenen drei Sonderini-tiativen zur Hungerbekämpfung, zur Flüchtlingsfrageund zu Nordafrika/Nahost zur Verfügung.Zusätzliche Mittel wurden kurzfristig für die Bewälti-gung der Ebolakrise sowie der Flüchtlingskatastrophe inNahost bereitgestellt. Zwar verschwindet Ebola zurzeitwieder aus den Schlagzeilen. Wie wir alle wissen, be-deutet das aber leider nicht, dass diese Krise mit ihrendramatischen Auswirkungen auf die Länder ausgestan-den ist. Einzig in Liberia gibt es derzeit Zeichen für ei-nen Rückgang der Ansteckungen. Allerdings wird dieSeuche zusehends zu einer Gefahr für die internationaleSicherheit. Daher haben die G-20-Staaten, wie die FrauBundeskanzlerin heute Morgen berichtet hat, Ebola ge-meinsam den Kampf angesagt. Wir wissen, dass dieBundesregierung sich mit 100 Millionen Euro an derSeuchenbekämpfung beteiligt.Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelleallen Helfern zu danken, die in den Ebolagebieten unterschwersten und nicht ungefährlichen Bedingungen ar-beiten, um den Kranken zu helfen. Ich kann das gar nichtangemessen ausdrücken. Ihnen gebühren wirklich un-sere Hochachtung und unser höchster Respekt für ihrenhumanitären Einsatz.
Die aktuellen Krisen erfordern kurzfristige Hilfen undinternationale Unterstützung. Sie dürfen aber nicht denBlick darauf verstellen, dass erfolgreiche und nachhal-tige Entwicklungszusammenarbeit auf die Lösung struk-tureller und tiefsitzender Entwicklungshemmnisse aus-gelegt ist. Daher sind neben der akuten Krisenhilfeweitere Schwerpunkte des Haushaltes für das nächsteJahr: Bildung, Gesundheit und Ernährungssicherheit.Krisen in den Ländern des Nahen Ostens und Nordaf-rikas mit dem massiven Vormarsch eines radikalen undgewalttätigen Islam halten die Welt derzeit in Atem. Mil-lionen Menschen befinden sich auf der Flucht vor denbarbarischen Mördertruppen. Dass es so weit kommenkonnte, dass die Truppen des IS ganze Landstriche mitihren Gräueltaten überrollen, ist allerdings auch eineFolge jahrzehntelanger Nichtbeachtung der Interessenund Bedürfnisse der breiten armen Bevölkerung, eineFolge fehlender Bildung und Gesundheitsversorgungund eine Folge der Missachtung von Rechten vonFrauen; denn ohne Zugang zu Bildung, Gesundheit undErnährung für alle Bevölkerungsgruppen und -schichtenin Entwicklungsländern wird nirgends ein sich selbst tra-gender Entwicklungsprozess in Gang kommen.Ich möchte mich heute noch kurz auf zwei Aspekte,nämlich Bildung und Gesundheit, konzentrieren. Bil-dung ist das schärfste Schwert, das wir gegen rückwärts-gewandte und menschenverachtende Ideologien haben;denn nichts entzaubert mittelalterliche Weltanschauun-gen schneller und besser. Bildung macht Gesellschaftenoffen, vielfältig und tolerant. Bildung ist der sichersteWeg aus der Armut. Daher bin ich sehr froh darüber,dass der Bildung eine so hohe Bedeutung zugemessenwird. 400 Millionen Euro sollen in dieser Legislaturpe-riode jährlich aus dem Haushalt des BMZ für Bildungeingesetzt werden.Neben dem BMZ kann und muss hier aber auch dieAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Auswärti-gen Amtes wichtige Beiträge leisten; denn nichts fürch-ten Diktatoren und Fundamentalisten so sehr wie freieMedien und Meinungsfreiheit. Folgerichtig muss dieFörderung freier Medien und der Meinungsfreiheit einerunserer Schwerpunkte sein.
Der Stachel im Fleisch der Diktatoren, Fundamenta-listen und aller, die es mit der Demokratie nicht ernstmeinen, können unter anderem die Deutsche Welle undandere Träger sein. 3 Millionen Euro wurden für diesenZweck im parlamentarischen Verfahren zusätzlich fürnächstes Jahr veranschlagt.Alle diese Maßnahmen – das hören wir aber auch je-des Jahr wieder – erfordern eine stärkere Vernetzung dereinzelnen Ressorts, als es bisher geschieht. Ich glaube,lieber Gerd Müller, das ist eine Baustelle, an der wir alle– die Bundesregierung, aber auch wir Parlamentarier –noch arbeiten müssen.Zum Thema Gesundheit. Es gibt keinen Bereich, beidem eingesetzte Mittel so direkt zu einem messbaren Er-folg führen wie im Gesundheitsbereich. Die Erfolge derletzten zwei Jahrzehnte sind beachtlich – Frau Steffen istschon darauf eingegangen –: Die Sterblichkeit von Kin-dern unter fünf Jahren hat sich fast halbiert, die Mütter-sterblichkeit sank um 45 Prozent. Trotz aller Erfolgemüssen wir unsere Anstrengungen natürlich verstärken.Denn jedes Kind und jede Mutter, die einen vermeidba-ren Tod sterben, sind ein Kind und eine Mutter zu viel.Nach wie vor sterben jeden Tag mehr als 18 000 Kinderunter fünf Jahren, und 900 Frauen lassen jeden Tag ihrLeben aufgrund von Schwangerschaft oder Geburt in-folge von durchaus behandelbaren oder vermeidbarenKomplikationen. Da ist es richtig, dass sich der G-7-Gip-fel in Deutschland nächstes Jahr dem Thema der globa-len Gesundheit widmen wird.Die im Gesundheitsbereich erzielten Erfolge sind inhohem Maße der Arbeit des Globalen Fonds zur Be-kämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria undder Impfallianz GAVI zu verdanken. Ich begrüße es da-her außerordentlich, dass Bundesregierung und Parla-ment hier an einem Strang ziehen und die Mittel fürdiese beiden Organisationen erhöhen. Beim GFATMwurden 10 Millionen Euro – der Haushaltsansatz betrug200 Millionen Euro – draufgelegt, lieber Uwe Kekeritz.
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Mit diesen insgesamt 210 Millionen Euro haben wir für2015 eine Summe, mit der Deutschland weiterhin derweltweit drittgrößte Geber des Globalen Fonds ist. Aberauch ich bin ein Freund der Position: Daran müssen wirweiter arbeiten.Bei GAVI wurden die Voraussetzungen dafür ge-schaffen, dass Deutschland bei der nächsten Geberkon-ferenz bis zu 500 Millionen Euro für die kommendenJahre zusagen kann. Ich denke, auch das ist eine signifi-kante Erhöhung. Ich kann mich noch daran erinnern, mitwelchen Summen GAVI unterstützt wurde, als ich vorfünf Jahren mit der Entwicklungspolitik anfing.Das BMZ plant auch eine Erhöhung der Mittel für diewichtige Entwicklung von Gesundheitssystemen in denentsprechenden Ländern. Denn gerade das Fehlen vonfunktionierenden und belastbaren Gesundheitssystemenist maßgeblich schuld am rasanten Ausbruch der Ebola-seuche.60 Millionen Euro mehr hat der Haushaltsausschusstrotz der Vorgaben der Schuldenbremse und der schwar-zen Null bewilligt. Ich denke, das ist ein Erfolg. Den las-sen wir uns heute auch nicht kleinreden. Wir arbeitenweiter daran, dass wir nächstes Jahr größere Erfolge er-zielen.Mit Blick auf die Zukunft möchte ich als Entwick-lungspolitiker noch Folgendes anmerken: Wenn wir vordem Hintergrund der aktuellen Krisen und Bedrohungenrichtigerweise über eine Erhöhung des Volumens desVerteidigungshaushaltes sprechen, dann müssen wir daserst recht im Hinblick auf den Entwicklungsetat tun;denn Entwicklungspolitik ist die beste Krisenpräven-tionspolitik.
Ich bin zuversichtlich, dass wir in den kommendenJahren einen signifikanten Anstieg des Barhaushaltes er-reichen. Die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigun-gen im Rahmen der Finanziellen und Technischen Zu-sammenarbeit und bei den Sonderinitiativen um circa450 Millionen Euro in 2015 ist ein gutes Signal und einWeg in die richtige Richtung.In Zeiten der Schuldenbremse und knapper Haushaltewerden alternative Finanzierungsmittel für die Entwick-lungspolitik immer wichtiger. Lassen wir einmal die7 Milliarden Euro, die vorhin Thema waren, beiseite;dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich denke – dafürmöchte ich werben –, dass ein bedeutender Teil der hof-fentlich bald erzielten Einnahmen aus der hoffentlichbald beschlossenen Finanztransaktionsteuer in die Ent-wicklungszusammenarbeit und den internationalen Kli-maschutz fließt. Wir müssen diesen Anspruch immerwieder anmelden; sonst ist das Fell des Bären verteilt,bevor er erlegt worden ist.
Wir Entwicklungspolitiker werden uns gemeinsamdafür einsetzen, dass in den nächsten Jahren noch eineordentliche Schippe auf den Haushalt obendrauf kommt.Auch werden wir dafür kämpfen, dass ein bedeutenderTeil der Finanztransaktionsteuer für die Entwicklungszu-sammenarbeit abfällt. Denn erfolgreiche Entwicklungs-zusammenarbeit ist das wichtigste und erfolgreichstePräventionsmittel, das wir haben. Das können wir nichtoft genug betonen.Herzlichen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Niema Movassat, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberMinister Müller, bald können wir eine Kerze anzünden –nicht nur wegen des ersten Adventssonntags, sondernauch, weil Sie bald Ihr einjähriges Ministerjubiläum fei-ern.Ihr Hauptanliegen, alle mit ins Boot zu nehmen, über-strahlt dieses erste Jahr. Das ist ohne Frage ein sehrfrommer Wunsch.
Sie müssen aber dafür sorgen, dass dieser frommeWunsch auch Wirklichkeit wird; denn Ihr Wunsch unddie Realität klaffen bei Ihrer konkreten Politik leider oftauseinander.
Ich nenne ein Beispiel: Vor kurzem übergaben Vertre-ter der Nichtregierungsorganisationen FIAN, INKOTAund Oxfam Ihrem Ministerium 65 000 Unterschriften, diesie im Rahmen der Kampagne „Keine Entwicklungshilfefür Agrarkonzerne“ gesammelt hatten. Diese Kampagnerichtet sich ausdrücklich gegen die enge ZusammenarbeitIhres Hauses mit der Agrar- und Lebensmittelindustrie.Was macht Ihr Entwicklungsministerium daraus? An-lässlich der Unterschriftenübergabe veröffentlichten Sieeine Pressemitteilung mit dem Titel „INKOTA, FIANund Oxfam gemeinsam mit dem BMZ für ‚EineWeltohne Hunger‘“. Das ist echt dreist.
Eine ausdrückliche Kritik an Ihrer Politik biegen Siemal eben in einen Beleg für gute Zusammenarbeit um.Damit täuschen Sie die Öffentlichkeit. Hauptsache, essieht so aus, als wären alle im Boot! Oxfam, FIAN undINKOTA fordern seit zwei Wochen eine Richtigstellung.Diese sollte unverzüglich erfolgen.
Noch viel wichtiger ist aber: Ändern Sie endlich IhrePolitik. Sie sagen zwar ständig, Sie wollen die kleinbäu-erliche Landwirtschaft in den Entwicklungsländern stär-ken, aber das bleibt leider nur ein leeres Versprechen.
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Niema Movassat
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Der Haushaltsentwurf für 2015 weist nämlich leider ineine ganz andere Richtung.Schauen wir uns das Flaggschiff Ihrer Sonderinitia-tive „EineWelt ohne Hunger“ an, nämlich die zehn soge-nannten Grünen Zentren, die Sie in afrikanischen Län-dern und in Indien aufbauen wollen. Als Partner dieserZentren nennen Sie explizit die deutsche Agrarwirt-schaft. Unternehmen wie Bayer und BASF haben Siemassiv in die Planungen eingebunden. Kleinbauern wur-den jedoch weitgehend ausgeschlossen. Schlimmernoch: Die Grünen Zentren bieten den meisten Kleinbau-ern keine Perspektive, sondern forcieren eine Zukunftohne sie. Das ist der falsche Weg.
Herr Müller, Sie müssen sich entscheiden: Wollen Siedie Expansionsbestrebungen des deutschen Agrobusi-ness in Afrika fördern oder eine kleinbäuerliche Land-wirtschaft vor Ort, die im Kampf gegen den Hungernachweislich die größten Erfolge bringt? Das eineschließt das andere aus. Öffentlich-private Partnerschaf-ten dürfen deshalb eben nicht zum zentralen Mittel derHungerbekämpfung werden. Das machen wir auch mitdem vorgelegten Antrag deutlich. Die Linke ist gegenEntwicklungsgelder für Agrarkonzerne.
Der Entwicklungshaushalt hat aber auch noch andereDefizite. Drei davon möchte ich nennen:Erstens. Die wichtigste Lehre aus der aktuellen Ebo-lakrise ist: Wir brauchen endlich mehr Geld in den Ent-wicklungsländern für den Aufbau von Gesundheitssyste-men,
also für Krankenstationen und für die Ausbildung vonÄrzten und Krankenschwestern. Deutschland muss au-ßerdem seine Zahlungen an die Weltgesundheitsorgani-sation sofort deutlich anheben, damit diese wieder hand-lungsfähig wird und nicht weiter vom Gutdünken vonPrivatpersonen wie Bill Gates abhängig ist.
Zweitens. Sie müssen das Budget für Flüchtlingedeutlich anheben. Wie sollen wir sonst die Millionen sy-rischer Flüchtlinge menschenwürdig versorgen? Das istunsere humanitäre Pflicht. Sonntagsreden reichen hiernicht aus.
Zudem ist es eine Schande, dass sich Deutschland ge-weigert hat, das italienische Programm „Mare Nostrum“zu unterstützen. Durch „Mare Nostrum“ konnten binneneines Jahres über 130 000 in Seenot geratene Flüchtlinge– Frauen, Kinder, Männer –, die in höchster Not waren,aus dem Mittelmeer gerettet werden. Da Europas Staatendieses Programm aber nicht mitfinanzieren wollen, läuftes jetzt aus. „Das Mittelmeer darf kein Friedhof wer-den“, sagte der Papst gestern vor dem EU-Parlament.Recht hat er!
Herr Müller, hier muss ich fragen: Warum haben Sieim Kabinett und bei den Haushaltsverhandlungen nichtvehement für eine Unterstützung von „Mare Nostrum“gekämpft? Das hätte ich von Ihnen erwartet.
Drittens. Gemeinsam mit den Grünen haben wir einenAntrag vorgelegt, die Budgethilfe an die Entwicklungs-länder zu erhöhen. Auch Sie von der SPD haben das inder Opposition immer laut gefordert. Kaum waren Sie inder Regierung, war die Forderung, wie so oft, nicht mehrso lautstark zu hören – und das, obwohl es viele guteGründe dafür gibt, die Budgethilfe auszuweiten; dennsie ermöglicht es den betreffenden Ländern, abge-stimmte Programme zur Armutsbekämpfung oder imBereich der ländlichen Entwicklung zu entwerfen, an-statt von unzähligen unkoordinierten Einzelprojekten derGeberländer abhängig zu sein.Die herkömmliche Entwicklungszusammenarbeitwird zwischen den Regierungen der Geberländer und derEntwicklungsländer vereinbart. Die Budgethilfe hinge-gen ist im Haushalt der Entwicklungsländer nach-vollziehbar. Damit schafft die Budgethilfe mehr Trans-parenz; denn Parlament und Zivilgesellschaft in denPartnerländern wissen, wohin das Geld fließt, und kön-nen nachhaken. Lediglich drei Länder erhalten heuteBudgethilfe aus Deutschland im Umfang von 52 Millio-nen Euro. Wir sagen: Stocken Sie die Budgethilfe auf200 Millionen Euro auf, und machen Sie sie zu einemzentralen Element der Entwicklungszusammenarbeit.
Da ich gerade beim Thema Mittelaufstockung bin– ein Punkt darf auch in meiner heutigen Haushaltsredenicht fehlen –: Die Höhe des Entwicklungsbudgets ins-gesamt ist zu niedrig. Das ist eine Schande. 0,7 Prozentdes Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungs-politik hat Deutschland 1970 versprochen, vor 44 Jahren.Selbst heute kratzen wir gerade einmal an der 0,4-Pro-zent-Grenze. Das ist peinlich und zudem ein Verrat anden Ärmsten der Armen.Herr Müller, anlässlich Ihres einjährigen Jubiläumsals Minister sage ich Ihnen: Genug der frommen Wün-sche, und ran an die 0,7-Prozent-Marke! Die Unterstüt-zung der großen Mehrheit des Hauses und der Bevölke-rung ist Ihnen dabei sicher.Danke für die Aufmerksamkeit.
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Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Dr. Bärbel Kofler, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Ich habe bei der ersten Lesung, eingehendauf die Worte des Herrn Ministers, über die Entwicklungdieses Haushaltes gesagt: Die Niebel-Delle, die wir da-mals hatten, ist noch nicht zu einer Müller-Welle gewor-den. – Jetzt habe ich eine etwas andere Einschätzung alsder Kollege Klein. Momentan fühle ich maximal einleichtes Kräuseln des Wassers.Natürlich begrüße ich den Aufwuchs von 60 Millio-nen Euro. Das ist, wie immer man es sieht, keine Klei-nigkeit. Ich finde auch richtig, dass dieses Geld insbe-sondere für die entwicklungsorientierte strukturbildendeÜbergangshilfe und für die Flüchtlingshilfe genutztwird. Ebenfalls richtig finde ich, dass es gelungen ist, ei-nige Verschiebungen in diesem Haushalt vorzunehmen,insbesondere im Bereich des Zivilen Friedensdiensts undin kleinen Teilen des Gesundheitssektors. Auch der Be-reich der Klimafinanzierung ist gut und richtig ausge-stattet. Ebenso freue ich mich, dass die Forschungsmittelerhöht worden sind und insbesondere das deutsche Insti-tut für Entwicklungsforschung entsprechend ausgestattetwerden konnte. All das ist gut.Aber – viele Vorredner haben es gesagt – die einge-stellten Mittel reichen nicht aus. Sie reichen nicht aus,um die aktuellen Krisen und Aufgaben zu bewältigen.Sie reichen auch nicht aus, wenn wir dem Anspruch ge-nügen wollen – den wir hier gemeinsam formuliert ha-ben –, Zukunftsinvestitionen tätigen zu wollen, um zu-künftige Krisen zu verhindern.
Ich möchte das an einigen Beispielen versuchen zuverdeutlichen. Aktuelle Krisen, die in aller Munde sind,sind die Situation der Flüchtlinge und die Ebolaepide-mie. Die VN sagen uns ganz deutlich, dass bis März2015 1,5 Milliarden US-Dollar gebraucht werden. Ob esdabei bleiben wird, wissen wir nicht; aber das ist die ak-tuelle Annahme. Von dieser Summe müssen noch600 Millionen US-Dollar aufgebracht werden. Deutsch-land leistet mit über 100 Millionen Euro seinen Beitrag.Sie haben es gesagt, Frau Kollegin Weiss; ich finde dasbeachtlich. Ich finde es im Übrigen auch beachtlich, dasssich die Europäische Union mit 370 Millionen Euro be-teiligt. Auch das muss man an dieser Stelle deutlich er-wähnen. Aber wir wissen: Trotzdem klafft hier eine Lü-cke, und wir werden diese Lücke schließen müssen, auchmit deutscher Beteiligung.Ähnlich ist die Situation der Flüchtlinge in Syrien. Esgab Ende Oktober eine Syrien-Konferenz. Ich finde sierichtig, gut und wichtig. Ich finde es auch wichtig, dasssowohl das Auswärtige Amt als auch das BMZ insge-samt 500 Millionen Euro zugesagt haben. Das ist gut in-vestiertes Geld.
Diese Maßnahme dient insbesondere der Stabilisierungder Nachbarländer, die wirklich Unglaubliches leisten,wenn es um die Aufnahme der Flüchtlinge aufgrund desSyrien-Konfliktes geht. Das gilt aber nicht nur fürFlüchtlinge aus Syrien, sondern auch für Flüchtlinge ausdem Nahen und Mittleren Osten.Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: DieseMittel werden nicht reichen. Allein im Libanon befindensich über 1 Million Flüchtlinge, Menschen aus Nachbar-ländern, etwa aus Syrien.
Diese Zahl macht ein Viertel der Bevölkerung Libanonsaus. Jordanien hat knapp 700 000 Flüchtlinge aufgenom-men, die Türkei über 1 Million usw. usf. Wir wissen: ZurStabilisierung der Situation in den Flüchtlingslagernwerden die Mittel, die wir alle miteinander bisher aufge-bracht und eingesetzt haben, nicht reichen.Wir haben als Entwicklungspolitiker noch einen an-deren Anspruch, der auch von Ihnen, Herr Minister, im-mer betont worden ist, wenn es um die Bekämpfung derFluchtursachen und die Reintegration der Flüchtlingeging. Wir haben den Anspruch und eigentlich auch dieAufgabe, den Menschen, die zum Teil über Jahre hinweg– man könnte fast sagen: Jahrzehnte – in Flüchtlings-camps leben, mit all ihren Schwierigkeiten, was Sicher-heit, Gesundheitsvorsorge und die Bildung der Kinderanbelangt, eine Perspektive aufzuzeigen, damit dasFlüchtlingslager nicht die Endstation für ihre persönlicheEntwicklung und ihre Lebensperspektiven ist. Auch indiesem Bereich müssen wir in Richtung Zukunftsinvesti-tionen und im Übrigen auch im Interesse von Friedenund Stabilität bei uns und in anderen Regionen dieserErde mehr tun. Das sehe ich leider in diesem Haushaltnicht abgebildet.
Wenn es um Entwicklungspolitik geht, diskutierenwir immer die Frage der Prävention. Das haben auch ei-nige Vorrednerinnen und Vorredner angesprochen. Ichgreife noch einmal das Beispiel Ziviler Friedensdienstauf. Ich halte ihn für ein wunderbares Instrument, dasdazu beiträgt, Versöhnungsprozesse zu initiieren. Darumgeht es uns schließlich. Wir debattieren im Zusammen-hang mit Mali, dem Südsudan und vielen anderen Regio-nen darüber, wie die Menschen wieder zueinanderkom-men und Konflikte und Gewalt überwinden können.Gott sei Dank ist jetzt – wir haben das als Fachpolitikerin unserem Antrag gefordert – der Barmittelansatz fürden Zivilen Friedensdienst um 5 Millionen Euro erhöhtworden. Ich begrüße das sehr.
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Dr. Bärbel Kofler
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Eines macht mir aber Sorge. Wir haben als Fachpoliti-ker darauf hingewiesen, dass wir mit Blick auf die Zu-kunft Verpflichtungsermächtigungen einsetzen müssen,damit sich der Aufwuchs verstetigen kann. Das ist dochlogisch. Wenn man mithilfe der zusätzlichen 5 MillionenEuro Menschen ausbildet und sie zum Beispiel im Jahr2015 in den Südsudan ausreisen lässt, damit sie dortwertvolle Arbeit leisten können, wie geht es dann 2016weiter? Es ist doch logisch, dass man das fortführenmuss, weil Versöhnungsprozesse länger dauern und Zeitund Engagement brauchen. Ich bedauere sehr, dass beiden Verpflichtungsermächtigungen dem Votum derFachpolitiker nicht Folge geleistet wurde. Ich würde mirsehr wünschen, dass das im Haushalt 2016 korrigiertwird.
Ähnliches gilt für den Bildungsbereich. Viele Vorred-ner haben es angesprochen: Bildung ist der Schlüssel füralles. Sie haben es angesprochen, Frau Kollegin Weiss:Das ist die Schiene, auf der wir zukünftig eine nachhal-tige Entwicklung voranbringen können. Ich begrüßeauch, dass wir einen großen Teil der bilateralen Mittelfür Bildung einsetzen. Die Zahlen sind genannt worden.Der Zugang zu Grundbildung hat sich in den letzten Jah-ren stetig verbessert. Das ist wichtig, und es ist richtig.Wir alle wissen aber auch, dass wir jetzt massiv in dieQualität der Bildung, in die Lehrerausbildung, in dieAusstattung der Schulen und natürlich irgendwann inden sekundären Bildungsmarkt und in den Bereich derBerufsbildung investieren müssen.Es gibt gute internationale Fonds. Das wurde im Zu-sammenhang mit GAVI und dem Globalen Fonds ange-sprochen. Aber es gibt – das sage ich zum vierten Mal inder vierten Haushaltsrede in dieser Legislaturperiode –auch die Global Partnership for Education. Ich finde,dass wir Deutschen uns mit mehr als 7 Millionen Eurodaran beteiligten sollten.
Wir haben als Fachpolitiker sehr bewusst einen sehr be-scheidenen Antrag gestellt, weil wir einen Aufwuchs-pfad hinbekommen wollten. Ich finde es, ehrlich gesagt,traurig, dass die beantragten 5 Millionen Euro herausge-strichen worden sind. An der Stelle hätte ich mir mehrgewünscht.
Zu den Gesundheitsfragen ist vieles gesagt worden.Ich begrüße sehr, dass GAVI mehr Mittel erhält. Ichhoffe und erwarte, dass die Mittelausstattung über die40 Millionen Euro hinaus, die jetzt im Haushalt vorgese-hen sind, so ausfallen wird, dass man dann auch Impf-kampagnen im internationalen Bereich weiter voranbrin-gen kann.Bei der Wiederauffüllungskonferenz des GlobalenFonds haben wir die Chance, zu beweisen, dass wir esernst meinen mit einer höheren Mittelausstattung als bis-her. Das muss sich im Haushalt 2016 deutlich abbilden.
– Ich möchte kurz anmerken, dass ihr mir gerade die Re-dezeit klaut.Ich möchte betonen, dass der Global Fund und dieImpfkampagne sehr wichtig sind. Wenn es aber um Zu-kunftsinvestitionen im Gesundheitsbereich geht, dannmüssen uns die soziale Sicherung und der Aufbau vonGesundheitssystemen ganz besonders am Herzen liegen.Wir werden sicherlich nicht jedes Gesundheitswesenaufbauen können. Aber wir werden mit Know-how undPersonal in den betreffenden Ländern unterstützend tätigsein müssen. Auch dafür brauchen wir Mittel.Es wurde bereits angesprochen: 2015 ist ein spannen-des Jahr, wenn es um Entwicklungsfragen geht. Ichnenne als Beispiele den Prozess um die SDGs, die Nach-haltigkeitsziele, und die Klimakonferenz in Paris. DieWeltgemeinschaft setzt sich ehrgeizige Ziele, wenn esum die SDGs geht. Dabei geht es um den Abbau der Un-gleichheiten in der Welt, und zwar sowohl innerhalb derStaaten als auch zwischen den Staaten, aber auch um dieFrage, wie wir das nachhaltig finanzieren. Hier spielt derAufbau von Möglichkeiten eine wichtige Rolle. Ich binsehr bei dem, was die Expertengruppe zur Finanzierungder Maßnahmen, die dazu dienen, die Nachhaltigkeits-ziele zu erreichen, gesagt hat. Wir müssen in die Struktu-ren der Staaten investieren, sodass Steuern eingenom-men werden können und die Möglichkeit besteht, dassdie Mittel zur Armutsbekämpfung verwendet werden.Wir sind hier mit einem Know-how-Transfer und ande-ren unterstützenden Maßnahmen gefordert, wenn es umden Aufbau von Rechnungshöfen und Steuerbehördensowie der Ausstattung von Parlamenten und Ausschüs-sen geht. Wir sind ebenfalls gefordert, ob als G 20 oderals Weltgemeinschaft, wenn es um Steuervermeidung,Steuerhinterziehung und Steuerflucht geht. Viele Gelderstehen den Entwicklungsländern zur Armutsbekämpfungnicht zur Verfügung, weil sie irgendwo versickern. Siekommen so nicht den Ärmsten der Armen zugute.Wir sind aber auch gefordert – das ist der dritte Punkt,den die Expertengruppe angesprochen hat –, wenn es umdie LDCs, die ärmsten Länder, geht. Diese Länder sindsehr darauf angewiesen, dass Mittel aus den reichenLändern des Nordens bzw. der Weltgemeinschaft kom-men. Wir müssen unsere finanziellen Zusagen verläss-lich einhalten. Es tut mir leid, dass das 0,7-Prozent-Zielauch 2015 nicht erreicht wurde. Das ist wirklich blama-bel für uns und trägt nicht zu unserer Glaubwürdigkeit inder Welt bei.
Frau Kollegin!
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6594 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014
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Letzter Satz, Herr Präsident. Ich komme zum Schluss.
Die Kollegin Weiss hat ein spannendes Finanzie-
rungsinstrument angesprochen, da jedes Mal nach der
Gegenfinanzierung gefragt wird. Ich möchte mich ihren
Ausführungen zur Finanztransaktionsteuer anschließen
und den Appell an alle, das Finanzministerium, den
Haushaltsausschuss, das ganze Parlament, richten: Wir
brauchen eine vernünftig ausgestaltete Finanztrans-
aktionsteuer, die der Bekämpfung der Armut weltweit
dient.
Danke.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-ordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Gerd Müller! Lieber Thilo Hoppe auf der Tri-büne! Welchen Anspruch hat die Entwicklungspolitik,und welchen Anspruch haben wir als Deutscher Bundes-tag an die Entwicklungspolitik? Die Welt hat sich ge-dreht, viel schneller, viel weiter und viel radikaler, alswir gedacht, gehofft oder erwartet haben. Wo die He-rausforderungen wachsen, braucht es eine nachhaltigeEntwicklungspolitik, die aber auch bei uns selber an-setzt, bei unserer Landwirtschaft, bei unserer Infrastruk-tur und bei unserem Konsum; denn gerade unsere Le-bens- und Wirtschaftsweise hat enorme Auswirkungenauf die globale Entwicklung. Deshalb müssen auch wiruns ändern, wenn wir über Entwicklungspolitik spre-chen. Genau das ist das Herausfordernde und Spannendebei den SDGs, den Nachhaltigkeitszielen. Wir erkennenan, dass in diesem Sinne auch Deutschland ein Entwick-lungsland ist.
Wir stehen vor dem Ende bislang wie in Stein gemei-ßelter weltpolitischer Gewissheiten; denn die Welt, wiewir sie heute erleben, hat sich dramatisch verändert. Esist eine Welt – darauf haben alle hingewiesen –, in derneue Krisen und Konfliktformen ausbrechen. Es ist eineWelt, in der wir ein gigantisches Marktversagen haben,das zur Klimakrise, zur Finanzkrise und zum Verlust vonBiodiversität geführt hat. Es ist eine Welt, in der sozialeUngleichheit quer durch alle Staaten geht und eine neueglobale Mittelschicht nach denselben Konsummusternstrebt, die wir auch hier bei uns in Europa haben. Abermit einer solchen Art des weltweiten Konsums würdenwir die Erde zugrunde richten. Es ist also höchste Zeit,dass wir eingestehen, dass die gängigen Beschreibungenvon reich und arm, von West und Ost, von entwickeltund unterentwickelt so nicht mehr tragen. Das wird dochaugenscheinlich bei über 55 Millionen Menschen, dieweltweit auf der Flucht sind, augenscheinlich angesichtsentgrenzter Gewalt, wie wir sie in Syrien, im Irak, in Af-ghanistan, im Kongo bis nach Mexiko erleben, ange-sichts der verdrängten, der vergessenen Konflikte imSüdsudan oder in der Zentralafrikanischen Republik.Aber diese notwendige Neubewertung der globalenLage, mit Verlaub, lieber Gerd Müller, die fehlt mir inder Politik der Bundesregierung. Sie ist wirklich einegroße Leerstelle im Koalitionsvertrag.
Zwei Prioritäten stehen für uns im Mittelpunkt: ers-tens, dass Strukturen für einen Durchbruch für globaleGerechtigkeit und Klimaschutz geschaffen werden, undzweitens, Antworten zu finden, ja, nachhaltige Antwor-ten zu finden auf die humanitären Katastrophen und Tra-gödien unserer Zeit.Menschen überall auf der Welt legen große Hoffnun-gen in das Jahr 2015, in den Erfolg der Klima- undNachhaltigkeitsverhandlungen. Sie hoffen darauf, dassendlich eine wirkliche globale Vernetzung entsteht, dasseine Zusammenarbeit entsteht, bei der es nicht um Geldfür die Banken und die Großkonzerne geht, sondern umeine Zusammenarbeit, in der wir als Weltgemeinschaftunsere Zukunft gemeinsam gestalten. Genau dies spie-gelt sich eben nicht in der Strategie der Bundesregie-rung, spiegelt sich nicht in diesem Haushalt wider.Natürlich ist es richtig, dass Entwicklungszusammen-arbeit Hunger bekämpfen muss. Ich bin übrigens sehrgespannt, was aus diesen „Grünen Zentren“ wird. AberEntwicklungszusammenarbeit heißt nicht länger – dashätte es eigentlich nie heißen sollen –, dass den armenLändern im Süden paternalistisch hier und dort etwas ge-geben wird, Geschenke, die uns nicht wehtun, den Emp-fängern wenig helfen, aber bei unseren Wählern gut an-kommen.Ich erwarte wirklich viel, ich erwarte mehr von Ihnen,Gerd Müller. Ich erwarte, dass Sie einen effektiven Bei-trag zur globalen Gerechtigkeit leisten, zum dringendnotwendigen Umbau der Weltwirtschaft, zur sozialöko-logischen Transformation. Bauen Sie Ihr Haus um zu ei-nem Ministerium für globale Strukturpolitik!
Nur so kommen Sie wirklich aus Ihrer Rolle als Feigen-blatt dieser Bundesregierung heraus.
Ja, es ist wirklich gut, dass die Zukunftscharta mit derEinbeziehung der Zivilgesellschaft auf den Weg ge-bracht wird. Aber wenn die Großkonzerne nicht mitma-chen und wenn die Ministerien kommen – einige warenda –, aber dann doch weitermachen wie bisher – ich zu-mindest habe Sigmar Gabriel nicht von Fairhandel redenhören; auch bei der Kanzlerin, die heute Morgen sehr in-tensiv das Thema Handelspolitik und Freihandelspolitikin ihrer Rede behandelt hat, ist Fairhandel noch nicht an-gekommen –, dann droht diese Initiative wie andere zureiner Symbolpolitik zu werden, und das können wir unsalle nicht leisten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6595
Claudia Roth
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Es ist eine zentrale Aufgabe der Bundesregierung undauch Ihre Aufgabe, Gerd Müller, dass das nächste Jahr,das Jahr der großen Gipfeltreffen – beinahe ein Schick-salsjahr in vielen Bereichen –, ein Signaljahr für eine an-dere, für eine hoffnungsvolle Zukunft wird. Deutschlandals Wirtschaftsmacht, als einflussreiches Land in der EUist dafür entscheidend. Es müssen klare Zeichen vomG-7-Gipfel in Elmau ausgehen, dass Deutschland eineVorreiterrolle einnimmt und nicht blockiert. Nur so kannAddis Abeba, kann Paris, kann New York wirklich zumErfolg werden. Ein Scheitern können wir uns wirklichnicht leisten.Es braucht also den politischen Willen für eine völ-kerrechtlich verbindliche Klima- und Gerechtigkeits-politik. Es braucht das Bekenntnis zu einer nachhaltigenGesellschaft, die sich vom Verbrauch fossiler Rohstoffeentkoppelt, die schädliche Subventionen abbaut und dieihre Politikfelder aufeinander abstimmt, und es brauchtzusätzliche Mittel zur Entwicklungs- und Klimafinanzie-rung, die dem Prinzip der gemeinsamen, aber unter-schiedlichen Verantwortlichkeiten entsprechen; dennsonst scheitert schon Addis Abeba, und dann wird dasganze Jahr zum Riesenproblem.Davon haben Sie sich, liebe Bundesregierung, lieberGerd Müller, mit diesem Haushalt aber eigentlich fastverabschiedet; denn 1 Prozent Aufwuchs reicht vorneund hinten nicht.
Weil das nicht reicht, mache ich mir um die zweite Prio-rität wirklich große Sorgen. Ich nehme Ihnen absolut ab– ich kenne Sie gut –, dass Ihnen das Schicksal derFlüchtlinge echt ans Eingemachte geht. Sie fahren jaauch dahin, wo es wehtut. Aber wie verhindern Sie beidieser Haushaltslage, dass bei der nächsten Katastrophedie notwendige Aufmerksamkeit für die Flüchtlingenicht mehr da ist, weil sie in Vergessenheit geraten sind?Da hat mein Kollege von der Linkspartei recht. Wie siehtes im nächsten Jahr, wie in zehn Jahren aus? Sie wissen,Zaatari ist eine Flüchtlingsstadt, die auf mindestens zehnJahre angelegt ist.Wie sieht nicht zuletzt eine humanitäre Flüchtlingspo-litik aus, die auf Politikkohärenz basiert, wo also BMZ,Auswärtiges Amt und das Innenministerium an einemStrang ziehen? Wie sieht die Vernetzung der Ministerienaus? Es braucht eine signifikante Erhöhung der Mittelfür humanitäre Hilfe. Es braucht aber vor allem eine Ver-zahnung von Entwicklungszusammenarbeit mit unmit-telbarer Nothilfe. Das sind hohe Ansprüche, lieber GerdMüller, aber daran werden wir Sie messen.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zwei Dinge muss ich erst einmal richtigstellen. Das einebetrifft den Betrag für GFATM. Zugesagt waren200 Millionen Euro pro Jahr. Dass es letztes Jahr250 Millionen waren, war einer Sonderinitiative zu ver-danken, die hieß: 50 Millionen Euro mehr heißt auch,zusätzlich 50 Millionen Euro von dem ach so gescholte-nen Bill Gates dazu. Somit haben wir diesen Deal ge-macht.Zweitens. Bärbel Kofler hat es angesprochen; ichmöchte es trotzdem noch einmal deutlich sagen: DerAufwuchs ist so, wie wir ihn haben, vielleicht nicht be-friedigend. Aber Freunde, wenn wir einmal in die mittel-fristige Finanzplanung schauen, dann wissen wir, vonwelchem Geld wir reden. Wir wissen, dass wir es derBundeskanzlerin zu verdanken haben, dass wir 2 Mil-liarden Euro in vier Jahren für die Entwicklungspolitikhinzubekommen. Auf diese Art und Weise ist es wenigs-tens gelungen, die Delle, die wir in der mittelfristigen Fi-nanzplanung hatten, aufzufüllen. Das war schwer genug.Ich hätte mir auch gewünscht, wir hätten diese Dellenicht gehabt. Vielleicht haben wir diese 2 Milliarden ir-gendwann einmal netto. Aber die Dinge sind, wie siesind. Das kann man durchaus auch einmal sagen.
Machen wir uns nichts vor, liebe Kolleginnen undKollegen: Wir sollten uns davor hüten, den Menschen zusuggerieren – wem auch immer; letztendlich vielleichtsogar den Kollegen und Freunden, die noch auf der Tri-büne sitzen; Thilo, schön, dass du da bist –, kaum hättenwir die 0,7-Prozent-Grenze erreicht, wären alle Pro-bleme dieser Welt erledigt.
Das genau machen wir. Es kommt immer auf die Diktionan. Ich bin sehr dafür, dass wir viel Geld in die Entwick-lungspolitik stecken. Aber hüten wir uns doch davor, denMenschen zu suggerieren, kaum hätten wir genug Geld,schon wären die Probleme der Welt erledigt.
So ist es leider definitiv nicht.Ich möchte eigentlich genau bei diesem Thema blei-ben, nämlich bei der Frage: Was passiert eigentlich,wenn es darum geht, wie wir uns finanzieren und waswir finanzieren? Ich glaube, dass wir sehr wohl ganz ge-zielt einmal darüber nachdenken müssen, was der Post-2015-Prozess eigentlich für uns bedeutet. In dieser ganzeng miteinander verflochtenen Welt müssen alle Akteurean einem Strang ziehen. Das heißt, wir brauchen eineRoadmap, einen Leitfaden. So wird die Entwicklungs-agenda auch genannt, und so wird sie auch kommen.Allerdings muss ich sagen, dass ich auch ein kleinesbisschen skeptisch bin angesichts dessen, was da im Mo-ment an Diskussionen läuft. Wir haben nämlich in der
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Open Working Group 17 Ziele – wohlgemerkt: 17! – mit160 Unterzielen. Liebe Freunde, ich befürchte, das wirdnichts anderes als ein Verzetteln. Damit wird dieser Pro-zess letztendlich auch die Ergebnisse völlig konterkarie-ren oder aber entwerten. Mögen unsere wunderbarenacht Ziele in ihren Aussagen auch noch so schwach oderso wenig durchdacht gewesen sein, sie waren aber ziel-führend. Insofern bin ich ein bisschen vorsichtig mitPrognosen über die Verhandlungen in den nächsten Mo-naten. Wir werden das Ganze beobachten. Mal sehen,was dabei herauskommt.Sehr zufrieden bin ich allerdings damit, dass wir indiesem Zusammenhang über Demokratie, Menschen-rechte und Rechtsstaatlichkeit sehr deutlich reden. Nochviel fröhlicher bin ich, wenn ich mir anschaue, was dieArbeit der Kommission für die Finanzierung der Post-2015-Entwicklungsagenda bedeutet. In der Zukunft gehtes um das Verständnis von EZ und ODA und darum,welche Auswirkungen das auf deren Finanzierung hat.Was dazu festgeschrieben ist, gefällt mir sehr gut. Vor al-len Dingen gefällt mir gut, dass ausnahmslos alle Länderzugestimmt haben, und zwar in der Kernaussage so ein-deutig und mit einer solchen Klarheit und Selbstver-ständlichkeit, dass es schon beeindruckend war.Lassen Sie mich dazu zwei Punkte herausgreifen. Ers-tens: Transparenz von politischen Entscheidungen undHaushalten. Damit sind wir sofort beim Thema Korrup-tion. Korruption empfinde ich als eines der größten Ent-wicklungshindernisse auf der Welt überhaupt. Mit mehrTransparenz können wir sie eindämmen.Zweitens: Verantwortung für die eigene Entwicklung.Die Länder müssen sich primär selber entwickeln. Diemaßgeblichen Entwicklungsimpulse gehen nicht von derODA aus, sondern kommen aus den Ländern selbst. Da-raus lassen sich für meine Begriffe wegweisende Grund-sätze ableiten. Ich glaube, wir können nur ahnen, wasdas eigentlich in der Umsetzung heißt, wenn wir dieseGrundsätze beherzigen. Wir könnten uns durchaus ein-mal damit beschäftigen und uns überlegen, was wir aufdiesem Gebiet tun können.Zunächst müssen wir einmal feststellen, dass esMiddle-Income-Länder gibt, die eine eigenständige wirt-schaftliche Entwicklung vollzogen haben. Sie habenwirtschaftliche Entwicklungsimpulse bekommen, aller-dings nicht durch die klassischen ODA-basierten Pro-gramme. Das wurde festgestellt; das ist so. Diese Länderhaben es geschafft: durch eigene Steuereinnahmen,durch Zölle auf Rohstoffe, durch Rücküberweisungenund sowohl durch eigene als auch durch ausländische In-vestitionen. Ich finde, wir müssen diese Realität zurKenntnis nehmen. Es nutzt nämlich überhaupt nichts,wenn wir Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen, Ent-wicklungen nicht zur Kenntnis nehmen, Debatten nichtzur Kenntnis nehmen und Ergebnisse nicht zur Kenntnisnehmen. Wir erreichen ein Vielfaches dadurch, dass wirdie klassische ODA nicht als allein seligmachend anse-hen und die Länder in dem unterstützen, was sie drin-gend brauchen: in ihrer eigenen Entwicklung. Dadurchsteigt nämlich ihre Fähigkeit, eine eigene Sozialpolitikzu machen, eine eigene Bildungspolitik zu machen, eineeigene Gesundheitspolitik zu konzipieren und sie vor al-len Dingen auch zu finanzieren.
Ich finde, das ist eine wunderbare Sache. Wir wollen denLändern nämlich keine Konzepte vorschreiben und sievor allen Dingen nicht auch noch alimentieren müssen.Das kann nicht das Ergebnis dessen sein, was wir wol-len.Ich möchte noch auf eines hinweisen: Wir müssen un-sere ODA sehr wohl dafür verwenden, die Least Deve-loped Countries zu unterstützen; das ist die künftigeAufgabe von ODA. Ich glaube, da ist dieses Geld richtigangelegt und nicht in der ODA-basierten EZ.Manchmal tun wir so, als ob wir diejenigen wären,die die Krisen ganz alleine bewältigen könnten, alle Kri-sen dieser Welt von A bis Z. Liebe Freunde, wir über-nehmen uns völlig. Ich finde es auch anmaßend, dass wirso tun, als ob wir das könnten.
Wir können es nicht. Die Post-2015-Agenda ist auchdeshalb so wichtig, weil wir die Probleme nur gemein-sam lösen können.Es gibt noch etwas, was wir in diesem Zusammen-hang sehen müssen, lieber Gerd Müller. Es gibt Entwick-lungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, die zu-nächst einmal keine öffentlichen Gelder kosten. Ichmeine das wunderbare Textilbündnis. Ich finde das her-vorragend, weil es vor allen Dingen bewirkt, auch ein-mal unsere eigene Verantwortung einzufordern. Es kannuns nicht egal sein, wie, unter welchen Bedingungen dieKleidung, die wir tragen, produziert wird. Es kann unsnicht egal sein, dass beim Einfärben von Jeans zum Bei-spiel nachhaltige gesundheitliche Schäden, auch beiKindern, entstehen. Das alles kann uns nicht egal sein.Aber, Freunde, es ist unsere Verantwortung, dafür zusorgen, dass so etwas nicht notwendig ist. Ich nenne dieJeans für 7,90 Euro, das T-Shirt für 2,99 Euro. Das kannnicht funktionieren. Das ist auch nicht nachhaltig. Dasist etwas, an dem wir, glaube ich, noch arbeiten müssen.Ich hätte mir schon gewünscht, dass das eine oder an-dere Unternehmen ein bisschen stärker einsteigt. Zumin-dest ist es eine Diskussion wert. Es geht darum, dieVerantwortung sozusagen zu übertragen und zu sagen:Freunde, jeder hat da Verantwortung; jeder kann Verant-wortung übernehmen. – Ich finde, das ist eine wunder-bare Sache. Das ist prima. Das ist gut so. Wir werdendaran arbeiten müssen, lieber Gerd Müller. Unsere Un-terstützung hast du.Als Allerletztes möchte ich noch sagen: In den vielenJahren, die ich jetzt Entwicklungspolitik mache, ist dasder erste Haushalt, lieber Gerd Müller, der eindeutig dieHandschrift des Ministers trägt. Das ist ein eindeutigerGerd-Müller-Haushalt, nicht nur aufgrund der Sonder-initiativen, sondern auch wegen der Sonderinitiativen.Gerd Müller, du hast es geschafft, trotz allem, was wirgerade bemängelt haben, liebe Kollegin Hajduk, trotz
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des etwas knappen Haushalts, in den Flüchtlingslagerneine nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen – mitden Mitteln, die zur Verfügung stehen, auch in den Son-derinitiativen. Das ist zu unterscheiden von dem, wasdas Auswärtige Amt in diesem Zusammenhang macht.Ich finde, es ist eine tolle Leistung, dass du das geschaffthast.
– Dass wir da natürlich immer noch mehr Geld hinein-stecken könnten, ist klar; da bin ich bei Ihnen.
Wir brauchen natürlich einen nachhaltigen Ansatz.Wenn ich daran denke, wie es in den Flüchtlingslagernbei der Wettersituation gerade aussieht, muss ich sagen:Da ist natürlich viel zu tun. Aber auch das können wirnicht alles in eigener Verantwortung, nicht ganz alleinschaffen; da brauchen wir die internationale Gemein-schaft. Wir brauchen auch die Unterstützung unseresAuswärtigen Amtes. Mit ihm könnte man zusammen-arbeiten, vor allen Dingen auf diesem Gebiet.Ich denke, du machst das gut, Gerd. Ich finde, du hastuns hier einen ganz tollen Haushalt vorgelegt. Du hastunsere Unterstützung. Selbst wenn du dich jetzt nichtpersönlich bei uns bedankst,
selbst wenn du jetzt hier nicht am Pult stehst und sagst,wie toll wir für dich gearbeitet haben – ich weiß, dass dudas eigentlich machen könntest. Ich mache das jetzt vonhier aus: Wir sind stolz auf dich. Du machst deine Auf-gabe wunderbar. Wir unterstützen dich.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Axel Schäfer, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerCharme der entwicklungspolitischen Diskussion bestehtdarin, dass wir hier sehr oft nicht das klassische Opposi-tion/Regierung-Muster anwenden: Die Regierungspar-teien loben aus Überzeugung oder pflichtschuldig dasHandeln der Regierung, und die Oppositionsparteien kri-tisieren das genauso pflichtschuldig. – Das ist in dieserDebatte nicht so. Es gibt ganz vieles, was differenziertdargestellt worden ist. Es ist auch gegenseitig Wertschät-zung zum Ausdruck gebracht worden. Das ist bedeutendfür dieses Thema, das uns allen, die wir hier sitzen, amHerzen liegt und für das wir in unseren eigenen Parteiennoch nicht die Zustimmung haben, die wir eigentlichgern hätten und die wir auch bräuchten. Insofern ist das,glaube ich, für jede Fraktion hilfreich.
Diese Debatte muss immer selbstbewusst und selbst-kritisch geführt werden. Es gilt, selbstbewusst zu sagen:Jawohl, wir haben es in Richtung Millenniumsziele, ge-rade bei der Armutsbekämpfung, bei dem allerschlimms-ten Problem, einige Schritte voran geschafft. Auf der an-deren Seite muss man aber auch ehrlich sagen:0,7 Prozent ist die angestrebte ODA-Quote. Wir sind bei0,38 Prozent. Das heißt, eigentlich ist eine Verdopplungder Anstrengungen notwendig. Wenn es um eine Ver-dopplung von Anstrengungen geht, gilt es – auf Neu-deutsch –, Synergien zu heben. Praktisch gesagt: Es gilt,den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit zu stärken. –Das ist Europa.Wir haben 2015 das Europäische Jahr der Entwick-lung. Das ist für das, was wir wollen, genau passend.Natürlich passt es, dass der Entwicklungsminister auchMitglied des Europäischen Parlaments war. Er hat daschon den entsprechenden Rückenwind.
Das trifft natürlich auch auf Claudia Roth, FrithjofSchmidt, Anja Weisgerber und manch andere zu.
Wir, die Abgeordneten aller Fraktionen in diesemHaus, stehen zu unserer Verantwortung; denn die Vertre-ter der vier entsprechenden Fraktionen – Christdemokra-ten, Grüne, auch Linke, Sozialdemokraten sowieso – so-wie der Liberalen im Europäischen Parlament habendafür gesorgt, dass der Regierungschef, also der Kom-missionspräsident, erstmals vom Europäischen Parla-ment gewählt worden ist. Ohne die Haltung dieser fünfFraktionen, die gesagt haben: „Wir nehmen nur einen,der auch bei der Wahl angetreten ist“, hätten wir dieseKommission nicht bekommen – egal wie man hinterhermanche Entwicklung in der Kommission sieht.Die Wahl des Kommissionspräsidenten durch dasEuropäische Parlament ist ein ganz wichtiger Fortschrittim Hinblick auf das, was wir 2015 machen wollen. Wirbrauchen nämlich auch 2015 einen Entwicklungskom-missar – wir kennen Neven Mimica aus Kroatien gut; erwar auch schon öfter bei uns –, der etwas von der Sacheversteht, der überzeugter Europäer ist und den wir ge-winnen können, auch für das wichtigste Anliegen, dieeuropäische Entwicklungszusammenarbeit effektiver zugestalten. Wir müssen sagen: Jawohl, wenn wir, dieEU-Staaten, schon insgesamt 60 Prozent der Gebermittelweltweit aufbringen, dann müssen wir auch schauen, wiewir die Entwicklungszusammenarbeit gemeinsam besservoranbringen, wie wir sie politisch wichtiger machen.Dazu gehört natürlich auch, dass die Entwicklungszu-sammenarbeit in der Außenpolitik berücksichtigt wird– auch die neue Hohe Vertreterin der Außen- und Sicher-heitspolitik, Frau Mogherini, ist sehr engagiert und voneuropäischen Erfahrungen geprägt –, damit es da wirk-
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Axel Schäfer
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lich in dieselbe Richtung geht. Ich glaube, das solltenwir als Bundestag mit Diskussionen hier vor Ort, aberauch in Zusammenarbeit mit unseren Vertretern in derKommission voranbringen; die Kommission ist ja keineVertretung der nationalen Interessen von Deutschen, Ita-lienern oder auch Kroaten, sondern die gemeinsame eu-ropäische Regierung. Dies wird, glaube ich, ganz wich-tig sein.Die Inhalte, um die es für uns Deutsche als Teil dieserEuropäischen Union gehen wird, bedeuten ganz prak-tisch: Wir müssen beim Thema Klimawandel mehr ma-chen; die Frage der Armutsbekämpfung muss bei unstatsächlich im Zentrum stehen; die Mittel der Europäi-schen Union für Maßnahmen zur Senkung der Treib-hausgasemissionen müssen aufwachsen. All das sindwichtige Dinge. Das alles Zusammenspannende ist aberletztendlich, dass wir dies als Gemeinschaft des Friedenstun.Man muss immer wieder darauf hinweisen: Wir in derEuropäischen Union sind eine Friedensgemeinschaft.Man muss auch immer wiederholen: Es ist gut, dass alle631 Abgeordneten des Deutschen Bundestages – mitganz unterschiedlichen Überzeugungen und auch Partei-zugehörigkeiten – keine militärische Lösung von Kon-flikten wollen; wir haben es gerade im Zusammenhangmit der Ukraine-Problematik erlebt. Das ist eine ganzwichtige Voraussetzung dafür, dass wir Entwicklungszu-sammenarbeit mit einer bestimmten Haltung betreiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht auch umganz praktische Fragen. Zwei herausragende Punkte:Der erste Punkt: die Finanztransaktionsteuer. Warumist sie so herausragend für uns? Die Steuer wurde einmalals Tobin Tax erfunden und auf den Weg gebracht,wurde von vielen verlacht und war in der Politik – Stich-wort Mehrheitsfähigkeit – nur ganz schwer zu vermit-teln. Wir haben aus dem Deutschen Bundestag herausmit der deutsch-französischen Initiative von Sozialde-mokraten und Sozialisten einen wichtigen Schritt getan.Es gehört auch zur schwierigen Wahrheit, dass es, als dieSozialisten an der Regierung waren, nicht mehr so ein-fach war, das Vorhaben so voranzubringen, wie wir eserwartet haben – mit der gleichen Begeisterung, mit derwir es einmal beschlossen haben. Auch das gehört zu ei-ner selbstkritischen Einschätzung. Vielleicht ist das auchfür manche Vertreter anderer Fraktionen hier im Hauseine Anregung, auch mal etwas Selbstkritisches zu sa-gen; zum Beispiel machen die Christdemokraten in Un-garn etwas, was wir hier in diesem Hause bekanntlichmehrheitlich nicht teilen.Der zweite Punkt – da sind wir wieder beim KollegenMüller –: Textilsiegel. Das ist eine ganz wichtige, zen-trale Initiative. Wir werden es – das wissen Sie, KollegeMinister, lieber Gerd – letztendlich nur mit europäischenGesetzen durchsetzen können. Darauf wird es ankom-men; es wird darauf ankommen, dass es in einem Dialogunseres Parlaments mit dem EP gelingt. Das heißt imDialog der einzelnen Fraktionen, die hier sind, und derFraktionen, die im Europäischen Parlament sind; ermuss wirklich vorangebracht und intensiviert werden.Eine Intensivierung im Jahr 2015 heißt auch, die ent-wicklungspolitischen Diskussionen zu verstärken. Mankönnte es auch ganz salopp so formulieren – leider istder Kollege Klimke, den ich gerade ansprechen wollte,schon gegangen –: Leute wie der Kollege Klimke oderich haben diese Themen schon als Mitglieder der JungenUnion bzw. der Jusos in den 70er-Jahren debattiert.
Heute können wir die Diskussion, zum Beispiel mit denKollegen Sarrazin oder Leutert, die Anfang der 70er-Jahre noch gar nicht auf der Welt waren, hier im Parla-ment zusammenführen.Damals gab es die sehr große Eine-Welt-Bewegung.Die Entwicklungspolitik hatte damals einen enormenStellenwert. Obwohl die Probleme zum Teil größer ge-worden sind, stehen für die Entwicklungshilfe 0,38 Pro-zent statt 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zurVerfügung, weshalb wir nicht immer das umsetzenkonnten, was wir umsetzen wollten. Das betrifft aller-dings alle Parteien. Es ist nicht so, dass die Regierung zuwenig macht und die Opposition alles besser weiß; demist nicht so.Deshalb möchte ich Sie, euch alle bitten: Lasst uns inunseren Fraktionen und auch in unseren Parteien und ausunseren Parteien heraus darauf hinwirken, das ThemaEntwicklungshilfe im Jahr 2015 zu einem zentralenThema zu machen. Bei manchen gibt es heute eine grö-ßere Bereitschaft, zu diskutieren, als früher.Es ist nicht so, dass sich die Menschen dagegen weh-ren, dass Flüchtlinge aufgenommen werden, wie es dieBilder in den Medien manchmal suggerieren. Es gibtviel mehr gute Beispiele für Solidarität, Unterstützungund Mitmenschlichkeit, aber – ich kenne das von der Si-tuation bei mir vor Ort – darüber redet man nicht. Essollte in der Berichterstattung aber eine zentrale Rollespielen; denn die Fernsehbilder zeigen etwas ganz ande-res.Wir müssen die vorhandene Fremdenfeindlichkeit ge-meinsam bekämpfen und die guten Beispiele ins Zen-trum der Aufmerksamkeit rücken. Lasst uns das bei allerUnterschiedlichkeit und trotz aller kritischen Anmerkun-gen, die durchaus ihre Berechtigung haben mögen, für2015 vornehmen.Wir haben nur diese eine Welt. Es darf unterschiedli-che Konzepte geben, aber sie sollten in eine gemeinsamesolidarische Richtung gehen.Vielen Dank.
Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ichdas Wort der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich bedauere es immer sehr, wenn eineDebatte über dieses Thema erst am Ende eines Sitzungs-tages stattfindet und deswegen mehrere Kolleginnen undKollegen nicht teilnehmen. Die Debattenbeiträge habenparteiübergreifend gezeigt: Die Beiträge für die Ent-wicklungszusammenarbeit sind maßgeblich für den Frie-den verantwortlich. Man könnte auch sagen, dass Ent-wicklung der neue Begriff für Frieden ist. Vielleichtkann der Ältestenrat das nächste Mal bei der Festlegungder Tagesordnungspunkte anders entscheiden, damitdiese für mich und für uns alle wichtige Debatte zukünf-tig zu anderer Zeit stattfindet.
Wir hatten in diesem Jahr zwei Haushaltsberatungen.Ich erinnere mich noch: Im Zuge der Beratung des Haus-halts 2014 habe ich von der inakzeptablen Situation dersyrischen Flüchtlinge gesprochen und auch davon, wieschnell und wie emotional wir von Bildern bewegt wer-den und wie das die öffentliche Bereitschaft fördert, zuhelfen.Mediale Aufmerksamkeit ist dann etwas Gutes, wennsie Gutes bewirkt. Leider ist es oft so, dass manche sa-gen: Es muss auch mal wieder gut sein. Aber warumsprechen wir im Zuge der Beratungen über den Haushalt2015 wieder über das Thema Flüchtlinge? Wir sprechendarüber, weil es eben nicht gut ist.Wenn wir über das Thema Flüchtlinge diskutieren,dann müssen wir auch darüber nachdenken: Wenn dieKameras, mit denen die Krise in einem Flüchtlingsortdokumentiert wird, abgezogen werden, was bleibt dannzurück? Zurück bleiben die Flüchtlinge, zurück bleibtaber auch unsere politische Verantwortung, die wir fürsie haben.Daniel Barenboim hat einen bemerkenswerten Leitar-tikel – ich weiß nicht, wer ihn gelesen hat – für die Süd-deutsche Zeitung anlässlich des 9. November geschrie-ben. Er hat uns ins Stammbuch geschrieben: Diedeutsche Geschichte ist eine demokratische Erfolgsge-schichte. Aus ihr erwächst die Pflicht, anderen Ländernund anderen Menschen zu helfen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, alle, diejetzt noch hier im Plenum sind, sind in Flüchtlingscampsgewesen, ob im Nordirak, in Dadaab, in Jordanien odervielen anderen Ländern mehr. Wir alle haben mit eige-nen Augen gesehen, wie menschenunwürdig die Situa-tion ist, wie schlimm mit diesen armen Menschen, dieSchweres hinter sich haben, umgegangen wird.Ich erinnere mich sehr gut: Wenn man zum Abschiedin die Augen dieser Menschen geschaut hat, dann hatman immer auch noch etwas anderes gesehen – und dasist noch viel schlimmer –: Ich persönlich habe sehr oftdas Gefühl, dass es die Angst ist, vergessen zu werden.Darüber zu reden, ist der erste Akt gegen das Vergessen.Aber reden allein nützt natürlich nichts. Wir müssenauch handeln, und ich glaube, wir haben als Regierunggehandelt, schon in diesem Jahr. Der Minister hat schnellgehandelt, als er sehr schnell und effizient noch im Au-gust 40 Millionen Euro für die Flüchtlinge aus demNordirak und Gaza und damals 163 Millionen Euro fürJordanien bereitgestellt hat, als man gesehen hat, dasssich die Flüchtlingszahl auf 700 000 zubewegt. Ich binauch sehr dankbar für die Internationale Flüchtlingskon-ferenz, die er mitorganisiert hat, woraus noch weitere500 Millionen Euro möglich waren.Klar sein muss aber auch: Es ist wichtig, akute Not-hilfe zu leisten. Darüber hinaus haben wir aber politischeund humanitäre Herausforderungen zu erfüllen. DieMenschen brauchen sofort Nahrungsmittel – das ist klar –,vor allem die Säuglinge, sonst bekommen sie irreparableSchäden, gerade hinsichtlich der Entwicklung. Es wer-den Decken gebraucht, es wird psychosomatische Be-treuung gebraucht und vieles andere mehr. All dies solleine Brücke zu einem menschenwürdigen Leben sein,und für uns stellt sich die Frage: Wo, wie und wann solldas bewerkstelligt werden, dass sie auch zu einem men-schenwürdigen Leben kommen?Wir wissen: Konfliktlösungen wie momentan brau-chen in der Regel sehr, sehr viel Zeit, und wir wissenauch, dass wir keine schnellen Lösungen finden werden,ob es bei ISIS oder in Somalia oder im Südsudan ist. Wirhaben immer mehr Konflikte. Diese dauern immer län-ger und fallen immer heftiger aus. Die Menschen brau-chen aber jetzt Lösungen. Sie brauchen Perspektivenund pragmatische Lösungen.Über 50 Millionen Menschen sind auf der Flucht, ineinem Jahr gab es einen Zuwachs von über 10 Millionen.Die Vereinten Nationen haben in ihrem neuen Berichtdargestellt, dass bis 2050 zusätzlich 18,4 MillionenMenschen gezwungen sein werden, ihr Herkunftsland zuverlassen. Nicht eingerechnet sind dabei die armutsbe-dingten Migrationen, die nach Paul Collier zu einemExitus führen könnten – ich empfehle jedem, das zu le-sen –, nicht nur bei uns oder in den Ländern, in die sieflüchten, sondern in ihren eigenen Heimatländern, wodas auch zukünftig sehr starke Auswirkungen habenwird.Politik richtig machen bedeutet vor allem, die richti-gen Fragen zu stellen. Wir müssen uns also auch fragen:Wie sollen die Flüchtlingslager der Zukunft ausschauen?Heute geht man von durchschnittlich 17 Jahren aus, indenen Flüchtlinge teilweise in Camps leben. Sollen wirfür sie urbane Städte bauen, das heißt, ihnen kann even-tuell sogar die Zukunft verbaut werden, weil sie dann indiesen Städten bleiben – ich erinnere an Dadaab –, odersoll man Provisorien schaffen, die aber auf der anderenSeite nur ein bedingt menschenwürdiges Leben ermögli-chen? Ich denke, das ist keine akademische Frage, son-dern – ich habe vorhin Dadaab angesprochen – es gehtum eine halbe Million Menschen, die seit 20 Jahren dortleben. Kinder sind dort aufgewachsen, die nie etwas an-deres gekannt haben. Sie kennen nichts anderes als die-ses Lagerleben. Welche Antwort geben wir ihnen, wennsie heute fragen: Wo sind unsere Lebensperspektiven inder Zukunft?
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Dagmar G. Wöhrl
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Wir müssen uns auch fragen: Was wollen wir unsselbst und den Nachbarländern künftig zumuten? Wirwissen, wie oft es Konflikte für die Bevölkerung gibt,die nah an den Flüchtlingslagern lebt.Das sind viele grundsätzliche Fragen. Ich meine, esist richtig, dass wir die Entscheidung getroffen haben,nicht erst zu fragen, wenn das Kind schon in den Brun-nen gefallen ist, wie es oft in der Vergangenheit gesche-hen ist. Vielmehr müssen wir wie ein guter Arzt nichtnur die Krankheitssymptome behandeln, sondern auchdie Ursachen bekämpfen. Das hat auch der Papst in sei-ner Rede gesagt, in der er meinte, es sei notwendig, aufdie Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen.Wenn wir mehr Verantwortung in der Welt wollen– und ich denke, das wollen wir alle –, dann müssen wirdie zivile Krisenprävention noch viel, viel mehr als inder Vergangenheit zum Primat unserer Politik machen.
Ich glaube, der vierte Bericht zur Krisenprävention wirduns die Möglichkeit geben – wenn er in der Beratung ist;und er kommt sehr bald –, dass wir dies hier noch einmalausführlich debattieren.Die Finanzfragen werden uns nicht loslassen; das istganz klar. Das ist immer ein wichtiges Thema, vor allem,wenn man sieht, dass die Finanzkosten – das AdvisoryBoard zu den SDGs wird sie natürlich offenlegen – nichtgeringer als in der Vergangenheit sein werden. Wir wer-den weiterhin ab 2017 nicht mehr so einfach die Mög-lichkeit haben, Nachschläge zu leisten, wie es jetzt Gottsei Dank möglich gewesen ist.Wir müssen uns also schon fragen, wo wir zukünftigunsere Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenar-beit sehen: Wollen wir thematische Schwerpunkte set-zen? Das würde sich natürlich aus dem Weltbevölke-rungsbericht ergeben, der davon spricht, dass 1,8 Milliar-den Menschen unter 24 Jahre alt sind, von denen allein90 Prozent in Entwicklungsländern leben. Das heißt,hier geht es um Bildung, Bildung, Bildung. Das ist einganz wichtiges Thema. Auf diesem Gebiet können mitdie nachhaltigsten Wirkungen erreicht werden. Oderwollen wir uns auf regionale Schwerpunkte konzentrie-ren?Ich glaube, es kommen noch viele Fragen auf uns zu.Wir haben ein Jahr vor uns, das man, wie ich glaube,schon als Jahr der Lösungen beschreiben kann. Wir rich-ten die GAVI-Geberkonferenz aus, bei der wir natürlichmöglichst viele Einnahmen generieren wollen. Wir ha-ben dann den G-7-Gipfel. Es wird um die Vereinbarungneuer SDGs gehen; hier muss es klare Zielsetzungen hinzu neuen und nachhaltigeren Lebensweisen auf der gan-zen Welt geben. Schließlich hoffen wir, dass auch derKlimagipfel in Paris positiv endet.Um zukünftig zu Lösungen zu kommen, brauchen wirdie Mitarbeit von jungen Menschen, die offen sind fürneue Dialoge und für neue Lösungswege. Ich glaube,solche jungen Menschen müssen wir in unsere Entwick-lungszusammenarbeit einbinden. Deshalb bin ich demMinister sehr dankbar für die Zukunftscharta. Es bestandhier für viele junge Menschen die Möglichkeit, ihre Vor-stellungen darzulegen, auf was für einem Globus sie zu-künftig leben möchten, wie es in ihrem Land aussehensoll und welchen Beitrag sie für eine gute, heile Welt inder Zukunft bringen möchten.Vielleicht darf ich mir, auch im Namen der Kollegin-nen und Kollegen hier, wünschen, dass wir Parlamenta-rier auch 2015 in die Vorbereitung und Umsetzung allerzur Debatte stehenden Punkte konstruktiv eingebundenwerden.Vielen herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung in der Ausschussfassung. Hierzu
liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Erstens. Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/3283. Wer stimmt für den Änderungsan-
trag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit
den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung eines
Kollegen aus der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen – zweitens – zum Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3284.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3284? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung eines
Kollegen aus der SPD-Fraktion abgelehnt.
Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den
Einzelplan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für
den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan
23 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei
drei Gegenstimmen aus der SPD-Fraktion angenommen
worden.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 27. November
2014, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.