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    Plenarprotokoll 18/69 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 69. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 I n h a l t : Begrüßung des Präsidenten des Parlaments der Republik Estland, Herrn Eiki Nestor . . . 6495 A Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015) Drucksachen 18/2000, 18/2002 . . . . . . . . 6495 B b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Finanz- plan des Bundes 2014 bis 2018 Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826 . 6495 B I.8 Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- amt Drucksachen 18/2823, 18/2824 . . . . . . . 6495 C Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 6495 D Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6500 B Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6501 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6507 C Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6512 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6514 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6515 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6517 D Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6521 A Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6521 B Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6521 C Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6523 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6524 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6526 D Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6528 A Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6529 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6530 C Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6531 C Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6533 A Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6534 A Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6535 C Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6536 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 6537 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6539 C I.9 Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Drucksachen 18/2805, 18/2823 . . . . . . . 6537 D Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6538 A Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6541 B Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6543 B Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6544 B Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6546 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6548 C Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6548 D Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6550 C Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6551 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6553 A Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6554 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6555 B Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6555 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6556 A Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 6556 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6557 A Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6558 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6559 B Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6560 C I.10 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Drucksachen 18/2813, 18/2823 . . . . . . . 6562 A Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6562 B Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6563 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6565 B Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6567 D Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6569 B Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6571 D Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6573 A Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6574 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6576 A Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6577 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6578 C Dirk Vöpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6579 D I.11 Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaft- liche Zusammenarbeit und Entwick- lung Drucksachen 18/2823, 18/2824 . . . . . . . 6580 D Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6581 B Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6582 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6584 B Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6584 D Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6586 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6587 D Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . 6588 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6590 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6592 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6594 A Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6595 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 6597 B Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6599 A Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6600 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6601 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6495 (A) (C) (D)(B) 69. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6601 (A) (C) (B) Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 26.11.2014 Bellmann, Veronika CDU/CSU 26.11.2014 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 26.11.2014 Dr. Braun, Helge CDU/CSU 26.11.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 26.11.2014 Feiler, Uwe CDU/CSU 26.11.2014 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 26.11.2014 Dr. Harbarth, Stephan CDU/CSU 26.11.2014 Heller, Uda CDU/CSU 26.11.2014 Kermer, Marina SPD 26.11.2014 Nietan, Dietmar SPD 26.11.2014 Poß, Joachim SPD 26.11.2014 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 26.11.2014 Tempel, Frank DIE LINKE 26.11.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.11.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 26.11.2014 Zech, Tobias CDU/CSU 26.11.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen (D) Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 69. Sitzung Inhaltsverzeichnis EPL 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt EPL 05 Auswärtiges Amt EPL 14 Verteidigung EPL 23 Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anlagen
Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie

herzlich zum zweiten Tag unserer Haushaltsberatungen.
Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Parla-

ments der Republik Estland, Herr Eiki Nestor, mit
seiner Delegation Platz genommen.


(Beifall)

Ich begrüße Sie, Herr Präsident, im Namen aller Kollegin-
nen und Kollegen, von denen Sie einige bereits gestern in
Gesprächen persönlich kennengelernt haben, herzlich.

Wir erinnern uns im Gedenkjahr 2014 nicht nur an
den 25. Jahrestag des Berliner Mauerfalls. Wir haben
hier im Deutschen Bundestag auch an das großartige und
erfolgreiche Freiheitsstreben der baltischen Staaten erin-
nert, die vor einem Vierteljahrhundert mit dem „Balti-
schen Weg“ und einer spektakulären Menschenkette
durch Estland, Lettland und Litauen europäische Ge-
schichte geschrieben haben.

Wir freuen uns, Herr Präsident, über die immer en-
gere Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern, auch
und gerade zwischen unseren Parlamenten, seit dem Bei-
tritt Estlands zur Europäischen Union. Wir wollen diese
enge Zusammenarbeit im Lichte der neuen Herausforde-
rungen, die in diesem Jahr deutlich geworden sind, gerne
fortsetzen.

Wir setzen jetzt unsere Haushaltsberatungen – Tages-
ordnungspunkt I – fort:

a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für

(Haushaltsgesetz 2015)

Drucksachen 18/2000, 18/2002

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018
Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf:

Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

Drucksachen 18/2823, 18/2824

Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger
Kruse, Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs,
Gesine Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk.

Zum Einzelplan 04 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor. Über diesen Einzelplan werden
wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 224 Minuten vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sahra Wagenknecht, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Sahra Wagenknecht


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

    Frau Bundeskanzlerin, Sie werden hier gleich ans
    Mikrofon treten und wieder ausgiebig Ihre Politik loben.


    (Unruhe bei der CDU/CSU)


    Aber wenn man sich die derzeitige Politik und die der-
    zeitige Situation in Deutschland, in Europa und in der
    Welt ansieht und wenn man vor allen Dingen Ihre ganz
    persönliche Mitverantwortung für diese Situation in
    Rechnung stellt, dann fragt man sich schon, wie Sie da-
    rauf auch noch stolz sein können.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ja, wir leben in einem reichen Land, das gute Autos
    und international gefragte Maschinen produziert. Aber
    es ist ein zutiefst gespaltenes Land. Es ist ein Land, in
    dem selbst fleißige Arbeit nicht mehr vor Armut schützt
    und in dem inzwischen die Auswahl des Elternhauses
    wichtiger geworden ist als die Auswahl des Berufs. Es
    ist ein Land, in dem kaum noch investiert wird, in dem





    Dr. Sahra Wagenknecht


    (A) (C)



    (D)(B)

    Straßen und Brücken verrotten, in dem viele Kinder in
    verwahrlosten Wohngebieten aufwachsen,


    (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sprechen Sie jetzt von Afrika?)


    in dem ihnen elementare Bildung vorenthalten wird.


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Um Gottes willen! Wo leben Sie eigentlich?)


    Was tun Sie, Frau Bundeskanzlerin? Statt Problemlö-
    sungen liefern Sie Taschenspielertricks, statt solider
    Finanzierungen liefern Sie kreative Buchführung, und
    statt wirtschaftspolitischer Rationalität liefern Sie ok-
    kulte Opferrituale vor Ihrer neuen Göttin, der schwarzen
    Null, die Ihnen trotz aller Beschwörungsformeln im
    nächsten Jahr wieder nicht erscheinen wird.


    (Beifall bei der LINKEN – Unruhe bei der CDU/CSU)


    Solide öffentliche Finanzen gibt es eben nicht ohne
    eine dynamische Wirtschaft. Es gibt sie nicht ohne Kon-
    sumenten, die genug Geld in der Tasche haben, um sich
    ein gutes Leben leisten zu können, und es gibt sie auch
    nicht ohne Unternehmen, die genau wegen dieser Nach-
    frage Anreize haben, zu investieren, statt ihr Geld zu
    bunkern oder ihre Aktionäre mit immer neuen Rekord-
    dividenden glücklich zu machen. Es gibt solide öffentli-
    che Finanzen auch nicht, wenn gerade die reichsten Fa-
    milien und die größten Konzerne kaum noch einen
    müden Euro zur Finanzierung des Gemeinwesens beitra-
    gen und der Staat dabei wegschaut.

    Und deswegen ist für mich die schwarze Null ei-
    gentlich ein Ausdruck einer Null-Kompetenz in der
    Wirtschaftspolitik.

    Das ist das Urteil des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger
    über Ihre Politik, Frau Kanzlerin. Vielleicht erinnern Sie
    sich auch noch, was Sie im August im schönen Lindau
    am Bodensee von den Wirtschaftsnobelpreisträgern zu
    hören bekommen haben. Ich gebe eine kleine Kostprobe:

    Merkel verfolgt … eine völlig falsche Politik.

    Merkel scheint den Ernst der Lage nicht kapiert zu
    haben.

    Merkels Rede sei eine einzige Katastrophe gewesen.
    Wohlgemerkt: Das ist kein Mitschnitt aus einer Mitglie-
    derversammlung der Linken. Das waren die Urteile in-
    ternational renommierter Wirtschaftsnobelpreisträger
    über Ihre Politik, Frau Merkel. Wenn Sie einmal zuhören
    könnten, vielleicht würde Ihnen das zu denken geben;


    (Beifall bei der LINKEN)


    aber offensichtlich interessiert Sie das überhaupt nicht.

    Weggucken, wegducken, wegreden – das ist Ihr Drei-
    klang im Umgang mit den Gefahren und Problemen der
    Gegenwart.


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sieht die ganze Welt anders!)


    Aber die Gefahren sind einfach zu groß und die Pro-
    bleme zu ernst, als dass wir so weiter mit ihnen umgehen
    könnten. Die deutsche Wirtschaft stagniert. Alle Progno-
    sen für das nächste Jahr mussten nach unten korrigiert
    werden.

    Aus konjunkturellen wie aus prinzipiellen Gründen
    braucht dieses Land endlich mehr Investitionen. Sie ha-
    ben nun lauthals ein Investitionsprogramm angekündigt.
    Aber was sieht man, wenn man in das Kleingedruckte
    schaut? Dann sieht man, dass nach Ihren eigenen Pla-
    nungen der Anteil der Investitionsausgaben des Bundes
    weiter sinken soll, nämlich von aktuell 10,1 Prozent auf
    nur noch 8,3 Prozent im Jahr 2018. So viel wirtschafts-
    politische Ignoranz kann einem wirklich die Sprache
    verschlagen.


    (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: War das ein Versprechen? – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das wäre schön! Wir wollen Gysi!)


    – Sie können sich ruhig aufregen. Es wäre aber besser,
    wenn Sie sich nicht nur aufregen würden, sondern auch
    Konsequenzen ziehen würden.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Es geht nicht nur um Straßen, es geht auch nicht nur
    um Brücken, es geht auch um Zukunftstechnologien und
    Innovationen. Wer meint, dafür wird schon der Markt
    sorgen, der sollte sich einmal fragen, warum sich eigent-
    lich alle wichtigen digitalen Technologien heutzutage in
    der Hand von US-Unternehmen befinden, die Möglich-
    keit zur globalen Überwachung inklusive. Nicht, weil
    der Markt jenseits des Atlantiks so viel besser funktio-
    niert, sondern weil sich der Staat das zumindest früher
    ziemlich viel hat kosten lassen. Fast die gesamte Tech-
    nologie, die heute in einem iPhone steckt, ist doch nicht
    in Steve Jobs Garage entwickelt worden. Die ist in staat-
    lichen Forschungszentren entwickelt worden. Wer
    glaubt, dass ein fundamentaler technologischer Um-
    bruch wie die Energiewende möglich wäre ohne massive
    öffentliche Investitionen in die Erforschung und Umset-
    zung alternativer Technologien, der hat wirklich nichts
    verstanden.


    (Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Sie hatten doch nur Robotron! Die größten Chips der Welt!)


    Aber statt über solche Fragen auch nur nachzudenken,
    verhandelt diese Regierung lieber über Investorenschutz.
    Genau genommen verhandelt sie nicht, sondern der
    Wirtschaftsminister führt einen unglaublichen Eiertanz
    auf, um der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen.
    Ich rede von den geplanten Freihandelsabkommen
    CETA und TTIP,


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine große Chance! Die müssen wir schnell umsetzen!)


    und ich rede von den Sondergerichten für große Kon-
    zerne, mittels derer diese Konzerne den deutschen Staat
    in Zukunft für jede Mindestlohnerhöhung und für jedes
    Umweltschutzgesetz vor den Kadi ziehen können.


    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)






    Dr. Sahra Wagenknecht


    (A) (C)



    (D)(B)

    Aber offensichtlich hat Herr Gabriel in seiner politi-
    schen Laufbahn nicht mehr vor, den Mindestlohn zu er-
    höhen oder die Umwelt zu schützen. Zumindest habe ich
    vernommen, dass er der Öffentlichkeit mitgeteilt hat,
    diese Sondergerichte ließen sich – leider, leider – nicht
    mehr aus dem Abkommen CETA herausverhandeln. Ja,
    Herr Gabriel, wenn sich diese Sondergerichte nicht mehr
    herausverhandeln lassen, dann muss Deutschland diese
    Abkommen eben ablehnen. Dann muss man CETA ab-
    lehnen, und das Gleiche gilt auch für TTIP.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Beide Abkommen haben doch im Kern nur das Ziel,
    Löhne, Sozialstandards und Verbraucherschutz noch
    weiter auf Sinkflug zu schicken und den Kapitalismus
    endgültig vor den Zumutungen der Demokratie zu schüt-
    zen; das ist doch das, worum es bei diesen Abkommen
    geht. Das ist das Letzte, was wir brauchen. Denn dann
    kann man auf Wahlen und Parlamentarismus konsequen-
    terweise auch ganz verzichten. Wenn wir hier im Bun-
    destag keine Gesetze mehr machen können, die den Ban-
    ken und Konzernen nicht gefallen, dann verkommt das,
    was wir hier tun, wirklich zu einer schlichten Theater-
    vorstellung. Da muss ich Ihnen sagen: Für ein Theater ist
    dieses Haus wirklich zu teuer und am Ende vielleicht
    auch zu wenig unterhaltsam.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Der bekannte Ordoliberale Alexander Rüstow – viel-
    leicht gibt es bei Ihnen noch den einen oder anderen, der
    ihn kennt – hat bereits vor einem halben Jahrhundert ge-
    warnt, dass – ich zitiere –

    der Staat, der damit anfängt, die Raubtiere der orga-
    nisierten Unternehmerinteressen zu füttern, letzten
    Endes von ihnen verschlungen wird.

    Gerade deshalb haben die Ordoliberalen ja immer wie-
    der davor gewarnt, Unternehmen oder auch Banken so
    groß oder so mächtig werden zu lassen, dass sie die All-
    gemeinheit erpressen oder ihr schlicht auf der Nase he-
    rumtanzen können. Es war ihre zentrale Botschaft, dass
    das verhindert werden muss.

    „Versagt der Staat auf diesem Felde, dann ist es bald
    um die soziale Marktwirtschaft geschehen“, war Ludwig
    Erhards knappe Prognose zu diesem Thema. Gerade Sie
    von der CDU/CSU, die Sie sich so gern auf Ludwig
    Erhard berufen, sollten zugeben, dass er recht behalten
    hat. Der Staat hat auf diesem Feld versagt. Deswegen ist
    es um die soziale Marktwirtschaft geschehen. Wir haben
    nämlich keine mehr.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Auch in Brisbane haben Sie, Frau Merkel, und auch
    die anderen Regierungschefs wieder auf vielen wichti-
    gen Feldern vor den Raubtieren kapituliert: bei der
    Finanzmarktregulierung, beim Klimaschutz und natür-
    lich auch bei der Bekämpfung der Steuerflucht von Kon-
    zernen. Es ist einem schon aufgefallen, wie eilig sich
    diese Regierung, als die Enthüllungen über die Steuer-
    sparmodelle in Luxemburg in der Presse waren, bemüht
    hat, zur Tagesordnung überzugehen. Nun nehme ich
    Ihnen ja ab, dass Sie über die Enthüllungen nicht beson-
    ders verblüfft waren. Auch ich war nicht besonders ver-
    blüfft. Es ist lange bekannt, dass es solche Steuerspar-
    modelle gibt, und zwar nicht nur in Luxemburg, sondern
    auch in vielen anderen EU-Staaten. Es ist auch bekannt,
    dass dem deutschen Staat – dem Bund, den Ländern und
    auch den Kommunen – schätzungsweise 100 Milliar-
    den Euro im Jahr entgehen, weil es solche Modelle gibt.
    100 Milliarden Euro!

    Die Unternehmen gehen sogar ganz offen damit um,
    dass sie das praktizieren. Die Deutsche Bank zum Bei-
    spiel lobt sich in ihrem Geschäftsbericht ausdrücklich
    dafür, dass sie durch eine, wie es vornehm heißt, vorteil-
    hafte geografische Verteilung ihres Konzernergebnisses
    ihre Steuerzahlungen minimiert, sprich die Öffentlich-
    keit kräftig geschädigt hat. Ich finde, das muss man sich
    einmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Bank, die es
    ohne die Milliardenzahlungen der Steuerzahlerinnen und
    Steuerzahler überhaupt nicht mehr gäbe, die bankrott ge-
    wesen wäre, ist auch noch stolz darauf, dass sie solche
    Modelle nutzt und dadurch die Öffentlichkeit in Milliar-
    denhöhe schädigt. Natürlich ist das kriminell.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Aber genauso kriminell ist eine Politik, die die pas-
    senden Gesetze dafür liefert oder eben die passenden
    Gesetze akzeptiert. Da muss man sich gar nicht hinter
    der EU verstecken. Natürlich könnten wir solche Prakti-
    ken hier in Deutschland verhindern. Man muss einfach
    gesetzlich festlegen, dass Zinsen, Lizenz- oder Patentge-
    bühren, die im Empfängerland nicht mit wenigstens
    25 Prozent besteuert werden, in Deutschland nicht mehr
    steuerlich abzugsfähig sind. Das könnte man doch ge-
    setzlich regeln.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wenn Sie zu einem so einfachen Gesetz nicht in der
    Lage sind, dann hören Sie, verdammt noch mal, auf, der
    Bevölkerung zu erzählen, was in diesem Land alles an-
    geblich nicht finanzierbar ist, zum Beispiel eine gute
    Rente. Es ist noch keine Woche her, dass das Statistische
    Bundesamt alarmierende Zahlen veröffentlicht hat. Da-
    nach ist das Armutsrisiko älterer Menschen seit 2006
    kontinuierlich gestiegen. Immer mehr ältere Menschen
    müssen Grundsicherung beantragen. Das heißt ganz bru-
    tal: Sie müssen ihren Lebensabend auf Hartz-IV-Niveau
    fristen.

    Was fällt der Bundesregierung dazu ein? Sie kürzen
    den Bundeszuschuss zur Rentenkasse, um ihre schwarze
    Null zu retten, und senken auch noch den Beitragssatz
    zur Rentenversicherung. Je weniger aber in einen Topf
    eingezahlt wird, desto weniger kann man natürlich auch
    aus diesem Topf wieder herausnehmen – in diesem Fall
    für die Rentnerinnen und Rentner –, und genau das
    scheint auch das Ziel zu sein.

    Seit den von SPD und Grünen eingeleiteten Renten-
    kürzungen ist das Rentenniveau in Deutschland von frü-
    her 53 Prozent auf 48 Prozent gesunken. In Zukunft soll
    es noch weiter bergab gehen. Das heißt, bald blüht selbst
    einem Durchschnittsverdiener nach einem langen Ar-
    beitsleben ein Lebensabend auf Hartz-IV-Niveau. Ich





    Dr. Sahra Wagenknecht


    (A) (C)



    (D)(B)

    finde, das ist einfach schändlich. Das ist Altersarmut per
    Gesetz.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sagen Sie jetzt nicht, das liege am Geld. Gleichzeitig
    verpulvert der Bund nämlich Milliarden, um die Riester-
    Rente zu subventionieren. Inzwischen wurden 27 Mil-
    liarden Euro dafür verpulvert, Betrugsprodukte zu sub-
    ventionieren, an denen sich bekanntermaßen nur die Pro-
    visionsjäger der Versicherungsindustrie, der Fonds und
    der Finanzindustrie goldene Nasen verdienen, während
    die Sparer in der Regel noch nicht einmal das herausbe-
    kommen, was sie eingezahlt haben. Und trotzdem soll
    das alles so weitergehen!

    Wie man heute weiß, hat sich der Drückerkönig und
    Finanzhai Herr Maschmeyer beim damaligen Kanzler
    Schröder mit immerhin 2 Millionen Euro für dieses zu-
    vorkommende Gesetz bedankt. Frau Nahles, ich weiß
    nicht, ob Sie hoffen, dass Ihnen irgendwann auch einmal
    jemand Ihre Biografie für 2 Millionen Euro abkauft.
    Man muss aber zumindest sagen: Ihr Festhalten an dieser
    Rentenpolitik ist verantwortungslos und übrigens auch
    ein klarer Bruch der SPD-Wahlversprechen.


    (Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Was haben Sie eigentlich gekriegt?)


    Hören Sie deshalb auf,


    (Gustav Herzog [SPD]: Hören Sie auf!)


    die Rentenkasse mit Beitragssenkungen und versiche-
    rungsfremden Leistungen weiter zu plündern!


    (Beifall bei der LINKEN)


    Hören Sie auf, öffentliches Geld für Betrugsprodukte zu
    verschleudern, und stellen Sie wieder eine lebensstan-
    dardsichernde Rente ab 65 Jahren für alle Menschen her!


    (Beifall bei der LINKEN)


    Es brennt aber nicht nur bei der Rente. Vor gut zwei
    Wochen wurde mit Unterstützung des größten deutschen
    Sozialverbandes, VdK, eine Verfassungsklage für men-
    schenwürdige Pflege eingereicht. Es geht um die kata-
    strophale Situation und den extremen Personalmangel in
    vielen Pflegeheimen.

    Auch in vielen deutschen Krankenhäusern herrschen
    heute Zustände, die eines reichen Landes unwürdig sind,


    (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das stimmt nicht!)


    und auch die Gründe dafür lassen sich mit Zahlen mes-
    sen: Seit Mitte der 90er-Jahre wurde an deutschen Kran-
    kenhäusern jede zehnte Stelle im Pflegebereich abge-
    baut. Was fällt Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dazu ein?
    Deutschland geht es gut, und deshalb kürzen Sie den
    Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds in den nächsten
    zwei Jahren mal eben um 6 Milliarden Euro. Mögen
    Rentner durch Armut gedemütigt werden und Pflegebe-
    dürftige früher sterben, Hauptsache die schwarze Null
    lebt: Das scheint Ihre Logik zu sein. Was ist das für eine
    unglaubliche Politik!

    (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Was ist das für eine unglaubliche Rede! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


    „Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Das ist
    der oberste Verfassungsgrundsatz der Bundesrepublik.
    Er gilt auch für Ältere, Kranke und Pflegebedürftige,


    (Beifall bei der LINKEN)


    und er steht ausdrücklich nicht unter Finanzierungsvor-
    behalt. Deswegen fordere ich Sie auf: Beenden Sie die
    unwürdige Zweiklassenmedizin! Schaffen Sie eine Bür-
    gerversicherung, bei der jeder nach seinem Einkommen
    einzahlt und gleich gute Leistungen sowohl im Krank-
    heits- als auch im Pflegefall bekommt! Krankheit ist
    keine Ware, die sich als Objekt von Renditejägern eig-
    net.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ihre Kürzung des Zuschusses zum Gesundheitsfonds
    zeigt natürlich auch noch in anderer Hinsicht, wie unehr-
    lich Ihre Politik ist. Das Mantra „Keine Steuererhöhung“
    gehört ja zu den Gebetsformeln, die diese Regierung un-
    ablässig vor sich hinmurmelt. Sie wissen aber ganz ge-
    nau, dass die Kürzung des Bundeszuschusses bei vielen
    Krankenkassen zu Beitragserhöhungen führen wird


    (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das stimmt nicht!)


    und dass eine Beitragserhöhung das Nettoeinkommen
    ganz genauso reduziert wie eine Steuererhöhung. Aber
    richtig: Es gibt einen wichtigen Unterschied. Eine Bei-
    tragserhöhung bezahlen ausschließlich die gesetzlich
    Versicherten, also vor allem die Arbeitnehmer. Sie belas-
    tet Normalverdiener weit mehr als Spitzenverdiener. So-
    gar Menschen mit sehr wenig Einkommen müssen diese
    Beitragserhöhung mit bezahlen.

    Das heißt, Ihr ganzes Gerede gegen Steuererhöhun-
    gen ist im Kern vollkommen verlogen. Sie haben über-
    haupt keine Skrupel, die normalen Beschäftigten, die
    heute schon die Hälfte ihres Nettoeinkommens für Steu-
    ern und Abgaben bezahlen, noch stärker zu belasten. Sie
    predigen zwar keine Steuererhöhungen. Aber im Kern
    geht es Ihnen doch darum: keine Steuererhöhung für
    Reiche. Das ist es doch, was tatsächlich Ihre Politik be-
    wegt. Geben Sie es doch wenigstens zu!


    (Beifall bei der LINKEN)


    Offenbar, Frau Bundeskanzlerin, hat Ihnen noch nie-
    mand den Zusammenhang zwischen Schulden und Ver-
    mögen erklärt. Geld verschwindet nämlich nicht; Geld
    wechselt immer nur den Besitzer. In den letzten 15 Jah-
    ren hat unter Ihnen, Frau Merkel, und unter Ihrem Vor-
    gänger Gerhard Schröder ganz besonders viel Geld in
    Deutschland den Besitzer gewechselt. Viele Milliarden
    Euro, die einst der Allgemeinheit gehörten, sind auf pri-
    vate Konten gewandert: durch Steuergeschenke an Ver-
    mögende und an große Unternehmen und natürlich
    durch die milliardenschwere Bankenrettung.

    Im Ergebnis haben sich in den letzten 15 Jahren eben
    nicht nur die öffentlichen Schulden, sondern auch die





    Dr. Sahra Wagenknecht


    (A) (C)



    (D)(B)

    privaten Vermögen der Millionäre und Multimillionäre
    mehr als verdoppelt. Deshalb wäre die Wiedereinfüh-
    rung einer Vermögensteuer nicht etwa eine Enteignung,
    wie Sie das immer gerne darstellen, sondern sie wäre im
    Grunde eine Rückgabe.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sie würde dafür sorgen, dass das Geld endlich einmal
    den Besitzer in die andere Richtung wechselt, nämlich
    weg von den privaten Konten der Millionäre und Multi-
    millionäre und hin zu besserer Bildung, besserer Pflege
    und guten Renten. Da wäre das Geld auch besser ange-
    legt.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Es fällt übrigens auch auf, dass Sie wieder nur mit den
    Vermögen der Reichen so rücksichtsvoll umgehen. Bei
    den Vermögen der kleinen Leute sind Sie viel weniger
    zimperlich. Die auch durch Ihre Europapolitik und Ihre
    Kürzungsdiktate verursachte Dauerkrise im Euro-Raum
    ist die letztliche Ursache für die extremen Niedrigzinsen,
    die wir zurzeit haben. In der Konsequenz gibt es für nor-
    male Sparer mittlerweile kaum noch Anlagen, die auch
    nur den Werterhalt sichern. Das heißt, anders als der
    Millionär, der im Schnitt auf sein Vermögen Renditen
    zwischen 5 und 10 Prozent einfährt, zahlt der Kleinspa-
    rer längst mit seinen Spargroschen für Ihre falsche Kri-
    senpolitik.

    Aber diese Enteignung der kleinen Leute stört Sie of-
    fenbar nicht im Geringsten. Das lassen Sie laufen. Nur
    an das Vermögen des Geldadels wollen Sie nicht heran.
    Das nennt sich dann Volkspartei;


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    eine Partei, die zulässt, dass das Volk enteignet wird,
    weil sie zu feige ist, an das Geld der oberen Zehntausend
    heranzugehen, um damit eine vernünftige Antikrisenpo-
    litik zu finanzieren. Das ist wirklich skandalös.


    (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Welt ist so einfach!)


    Das gilt leider nicht nur für die CDU. Auch Herr
    Gabriel hat sich mittlerweile auf die Fahne geschrieben,
    die Vermögensteuer auch bei der SPD programmatisch
    zu entsorgen. Da kann man nur sagen: Mit so einem Vor-
    sitzenden arbeiten Sie wirklich hart daran, dass die SPD
    nie wieder in die Nähe davon kommt, in diesem Land
    noch einmal den Kanzler zu stellen.

    Nun muss man sagen: Auch andere Parteien hatten
    Vorsitzende, die sie klein gemacht haben, sogar bis zur
    letzten Konsequenz.


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein Vorsitzender war Lafontaine!)


    Eine dieser Parteien ist die FDP gewesen. Ich möchte
    hier einen Satz zur Ehrenrettung der FDP sagen. Es gibt
    tatsächlich ein unsoziales Gesetz, das an der FDP ge-
    scheitert ist, und zwar das Gesetz zur sogenannten Ta-
    rifeinheit. Es ist wirklich unglaublich, dass dieses Gesetz
    jetzt ausgerechnet von der SPD wieder auf die Tagesord-
    nung gehievt wird.
    Schon der Name des geplanten Gesetzes ist doch der
    blanke Hohn: Gesetz zur Tarifeinheit. Ein Betrieb, ein
    Tarif: Das soll wieder gelten. Ich darf Sie, werte Damen
    und Herren von der SPD, daran erinnern, dass Sie selbst
    es waren, die dieses Prinzip zerstört haben, dass Sie es
    waren, die es mit den Agendagesetzen den Unternehmen
    ermöglicht haben, ihre Belegschaft aufzusplitten:


    (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


    in Leiharbeiter, in Werkvertragler, in Minijobber, in be-
    fristet Beschäftigte. Alle haben natürlich unterschiedli-
    che Tarifverträge.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sie haben damit alles dafür getan, dass die Gewerk-
    schaften nicht mehr wirklich streikfähig sind; denn be-
    streiken Sie einmal einen Betrieb, in dem ein Drittel der
    Beschäftigten in Leiharbeit ist, ein Drittel einen Werk-
    vertrag hat und viele andere einen befristeten Vertrag ha-
    ben. Einen solchen Betrieb kann man faktisch nicht
    mehr bestreiken. Entsprechend schlecht ist auch die
    Lohnentwicklung in Deutschland.


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Wenn Sie der Tarifeinheit wirklich wieder zum
    Durchbruch verhelfen wollen, dann nehmen Sie die
    Agendagesetze zurück! Verbieten Sie Leiharbeit und den
    Missbrauch von Werkverträgen!


    (Beifall bei der LINKEN)


    Verbieten Sie die sachgrundlose Befristung, die die Be-
    schäftigten in ständiger Abhängigkeit hält! Das wären
    Reformen, die dieses Land wirklich voranbringen wür-
    den. Aber dafür müsste man den Mut haben, sich dem
    „Raubtier der organisierten Unternehmerinteressen“ ent-
    gegenzustellen.


    (Widerspruch bei der SPD)


    – Ja, nach Alexander Rüstow. Das war ein Zitat, falls Sie
    das nicht bemerkt haben.

    Man hat allerdings den Eindruck, es gibt etwas, das
    Ihnen, Frau Merkel, noch wichtiger ist als die Interessen
    der deutschen Unternehmen: Das sind die Interessen der
    amerikanischen Regierung und der amerikanischen
    Wirtschaft. Bei Ihrer Rede in Sydney, Frau Merkel, ha-
    ben Sie sich furchtbar darüber empört, dass es 25 Jahre
    nach dem Fall der Mauer immer noch altes Denken in
    Einflusssphären gibt, das das internationale Recht mit
    Füßen tritt. „Wer hätte das für möglich gehalten?“, wur-
    den Sie zitiert. Man fragt sich ernsthaft, Frau Merkel:
    Wo leben Sie eigentlich? Und wo haben Sie in den letz-
    ten Jahren gelebt?


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei Ihrer Rede frage ich mich auch, wo Sie leben!)


    Wo haben Sie gelebt, als die USA das internationale
    Recht im Irak mit Füßen getreten haben, um ihre Ein-
    flusssphäre auf das irakische Öl auszudehnen? Wo wa-
    ren Sie, als unter Beteiligung Deutschlands das interna-
    tionale Recht in Afghanistan mit Füßen getreten wurde,
    was es im Übrigen immer noch wird? Wo waren Sie, als
    Libyen bombardiert wurde und als die syrische Opposi-





    Dr. Sahra Wagenknecht


    (A) (C)



    (D)(B)

    tion aufgerüstet wurde, Waffenlieferungen an den IS ein-
    geschlossen?

    War das alles Ihrer Meinung nach in Übereinstim-
    mung mit dem internationalen Recht? Selbstverständlich
    ging es dabei auch nie um Einflusssphären.

    Ich darf Ihnen die Lektüre eines Buches von
    Zbigniew Brzezinski, langjähriger Vordenker der US-
    Außenpolitik, empfehlen.


    (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie lesen die falschen Bücher!)


    Das Buch aus dem Jahr 1997 trägt den schönen Titel Die
    einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherr-
    schaft. In Bezug auf Europa plädiert Brzezinski darin für
    eine konsequente NATO-Osterweiterung zunächst nach
    Mitteleuropa, dann nach Süden und über die baltischen
    Republiken bis zur Ukraine, und zwar weil, wie der Au-
    tor schlüssig begründet – ich zitiere – „mit jeder Ausdeh-
    nung … automatisch auch die direkte Einflusssphäre der
    Vereinigten Staaten erweitert“ wird.

    Dieses alte Denken in Einflusssphären, das sehr er-
    folgreich umgesetzt wurde, ist Ihnen wirklich nie aufge-
    fallen, Frau Merkel?


    (Beifall bei der LINKEN)


    Dabei gehörten Sie doch zu denen, die genau das in Eu-
    ropa weiter umgesetzt und unterstützt haben. Sie gehör-
    ten doch zu den Vasallen, um in der Sprache Brzezinskis
    zu bleiben, die genau diese Strategie mitgetragen haben.