Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!Nehmen Sie bitte Platz.Wir beginnen unsere heutige Sitzung mit herzlichenGeburtstagsglückwünschen an die Kollegin Dr. ClaudiaWinterstein, die heute einen runden Geburtstag feiertund der ich dazu im Namen des ganzen Hauses herzlichgratulieren möchte.
Auf Vorschlag der Fraktion Die Linke soll die Kolle-gin Petra Pau anstelle des aus dem Deutschen Bundes-tag ausgeschiedenen Abgeordneten Oskar Lafontainezum Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses nachArt. 53 a des Grundgesetzes gewählt werden. Alsneues stellvertretendes Mitglied ist die Kollegin KerstenSteinke vorgesehen. Sind Sie mit diesen Vorschlägeneinverstanden? – Heftiges Nicken insbesondere in denReihen der vorschlagenden Fraktion, keine Einwändevon anderer Seite. Damit sind die Kolleginnen Pau undSteinke in dieses Gremium gewählt.RedeEs gibt außerdem noch eine nachträgliche Ausschuss-überweisung. Der Antrag der SPD-Fraktion mit demTitel „Europa 2020 – Strategie für ein nachhaltiges Eu-ropa – Gleichklang von sozialer, ökologischer und wirt-schaftlicher Entwicklung“ auf der Drucksache 17/882soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung zur Mitberatung über-wiesen werden. – Auch dazu gibt es offensichtlich Ein-vernehmen. Dann ist das so beschlossen.Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-nungspunkt I a und b – fort:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines GesetFeststellung des Bundeshaushaltsp
haltsausschusses zu der Unterrich-tung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2009 bis 2013– Drucksachen 16/13601, 17/626 –Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider
Otto FrickeRoland ClausAlexander BondeIch rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.13 auf:Einzelplan 10Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz– Drucksachen 17/610, 17/623 –Berichterstattung:Abgeordnete Georg SchirmbeckRolf SchwanitzHeinz-Peter HausteintextRoland ClausAlexander BondeHierzu liegen Ihnen die Beschlussempfehlungen desHaushaltsausschusses auf den Drucksachen 17/610 und17/623 vor.Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträgeder Fraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. die Aussprache und erteile das Wort zu-ollegen Rolf Schwanitz für die SPD-Frak-zes über dielans für dastz 2010)Ich eröffnenächst dem Ktion.
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2834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Guten Morgen! Sehr geehrte Frau MinisterinAigner, ich will mich, einer guten Tradition folgend,zunächst einmal bei Ihnen recht herzlich für die Infor-mationen und bei den Kolleginnen und KollegenBerichterstatter für die kollegiale Zusammenarbeit imHaushaltsausschuss bedanken. Ich möchte mich speziellbei Ihrem Haus bedanken. Die Informationen waren prä-zise und vollständig. Ich will das mit Blick auf andereRessorts, zu deren Einzelplänen ich heute noch die Ehrehabe zu sprechen, ausdrücklich loben und hervorheben.Ein Kompliment also an die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter Ihres Hauses.Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen,was die politische Bewertung des Einzelplanes 10 an-geht, kein Kompliment machen kann. Nach meiner Ein-schätzung stehen drei Überschriften über diesem Einzel-plan des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaftund Verbraucherschutz. Die erste Überschrift lautet: Kli-entel- statt Strukturpolitik.
Die zweite Überschrift lautet: Einsparungen an falscherStelle.
Die dritte Überschrift lautet: Kein Zukunftskonzept fürVerbraucherpolitik. – Das sind die drei Markenzeichendes Einzelplanes 10.
Ich will das kurz begründen.Zunächst zu der Überschrift „Klientel- statt Struktur-politik“. Es wird Sie nicht wundern, dass ich in diesemZusammenhang als Allererstes das Grünlandmilchpro-gramm erwähne. Denn was machen Sie damit? Unterdem Deckmantel der Krisenhilfe – die Situation ist in derTat nicht einfach – wird ein gigantisches Klientelpro-gramm organisiert. Ich will daran erinnern, dass wir imHaushalt 2010 400 Millionen Euro dafür finden; im Jahr2011 werden noch einmal 300 Millionen Euro dazukom-men. Der Deutsche Bauernverband hält überall Ver-anstaltungen ab und spricht – unter Einbeziehung derAbsenkung der Agrardieselsteuer – von einer Subventio-nierung im Umfang von 1,3 Milliarden Euro in den Jah-ren 2010 und 2011 zusammen.
Gegen echte Krisenhilfe wäre nichts einzuwenden.Das ist auch der Grund, aus dem die Sozialdemokratensich bei den Haushaltsberatungen dem Liquiditätshilfe-programm in Höhe von 25 Millionen Euro nicht verwei-gert haben; wir haben es vielmehr unterstützt und mitge-tragen. Dieses Geld kommt an der richtigen Stelle an;das ist in Ordnung. Aber Sie machen etwas völlig ande-res. Sie legen ein Subventionsprogramm mit einerdurchsichtigen regionalen Schlagseite im südwestdeut-schen Raum und in Bayern auf. Das ist Gießkannenför-derung statt problembezogene Hilfe, beispielsweise beider landwirtschaftlichen Unfallversicherung.Sie sorgen auch nicht für schnelle Hilfe; denn zen-trale, wichtige Dinge werden erst im vierten Quar-tal 2010 fällig.Aus meiner Sicht am problematischsten ist aber, dassSie rein konsumtiv hinter der Marktentwicklung herför-dern. Es wird also gegen den Markt ansubventioniert,statt Vorschläge für eine nachhaltige Landwirtschafts-politik aufzugreifen; meine Kollegin Wolff wird daraufnoch näher eingehen.
Früher hat man so etwas als Danaergeschenk bezeich-net. Denn die Bauern, die landwirtschaftlichen Betriebewerden für die verpasste Chance einer in die Zukunft ge-richteten Subventionspolitik in Form eines viel höherenAnpassungsdrucks teuer bezahlen müssen, wenn sich dieLage nach 2013 grundsätzlich verändert. Deswegen han-delt es sich um Klientelpolitik statt um gezielte Subven-tionspolitik.Die zweite Überschrift, die über Ihrem Haushaltsplansteht, lautet „Einsparungen an der falschen Stelle“. Wasmeine ich damit? Sie schütten nicht nur Geld aus, son-dern sammeln auch Geld ein, kürzen und sparen ein. Vorallem geschieht das bei der GemeinschaftsaufgabeAgrar- und Küstenschutz. Ich erinnere mich noch sehrgut daran – das betrifft allerdings nicht den KollegenSchirmbeck –, dass in der ersten Lesung auch die Minis-terin noch gepriesen hat, dass der Plafond von 700 Mil-lionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe erhaltenbleibt.
Sie haben gesagt, das sei eine große Leistung und guteingesetztes Geld, Frau Aigner. In Ihrem Koalitionsver-trag steht sogar etwas von der Absicht einer Erhöhungder Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe. All dies ge-schieht aber nicht. Sie senken den Plafond um 25 Millio-nen Euro ab und – das finde ich ganz besonders bitter –kürzen die Verpflichtungsermächtigungen um 5,2 Mil-lionen Euro, gegenüber dem Entwurf von PeerSteinbrück sogar um 7,2 Millionen Euro.Diese Kürzung wirkt sich übrigens schwerpunktmä-ßig im investiven Bereich aus; denn darin sind Kürzun-gen von Investitionsmitteln in Höhe von 15,5 MillionenEuro enthalten. Sie haben also eine interessante Doppel-strategie: Auf der einen Seite werden mit der Kuh-schwanzprämie konsumtive Subventionen ausgereicht,auf der anderen Seite werden Investitionsmittel zusam-mengestrichen. Das sind Kürzungen an der falschenStelle.
Besonders bitter ist aus meiner Sicht das, was bei denVerpflichtungsermächtigungen geschehen ist. Sie haben,genau wie wir, Briefe der Landwirtschaftsminister aller16 Länder bekommen, in denen sie ausdrücklich auf diegroße Bedeutung der Verpflichtungsermächtigungen fürdie Bindung europäischer Mittel hingewiesen haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2835
Rolf Schwanitz
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Das alles haben Sie ignoriert. Mit Ihren Einschnitten istein Sinkflug bei der Gemeinschaftsaufgabe in den nächs-ten Jahren vorprogrammiert. Das halten wir für falsch.
Die dritte Überschrift lautet „Kein Zukunftskonzeptbei der Verbraucherpolitik“. Das von Ihnen selbst inAuftrag gegebene Gutachten, wonach die Verbraucher-politik umfinanziert und verursachergemäß aufgebautwerden muss, wonach Betriebe, die die Verbraucher-rechte missachten, Strafgebühren zahlen müssen, istlängst auf dem Tisch. Sie haben dieses Gutachten igno-riert. Frau Aigner ist wie immer auf den Zug aufgesprun-gen und hat gesagt, dass sie das auch gut findet. Als wireinen konkreten Vorschlag gemacht haben, haben Sieihn schlicht und einfach abgelehnt. Ich kann Ihnen nursagen: Wenn Verbraucherpolitik bei Ihnen, Frau Aigner,eine folgenlose Ankündigung bleibt, dann werden Siescheitern.
Der Einzelplan 10 hat drei Überschriften: Klientel-politik statt Strukturpolitik, Einsparungen an der fal-schen Stelle und null Zukunftskonzeption bei der Ver-braucherpolitik. Der haushaltspolitische Sprecher derCDU/CSU hat am Montag wunderbarerweise von einem„Gesamtkunstwerk“ gesprochen.
– Kollege Barthle, das wird ein richtiger Klassiker. – Mirfällt dazu nur die wunderbare Sendung „Kunst & Krem-pel“ des Bayerischen Rundfunks ein. Ihr Haushalt hat al-lerdings weniger mit Kunst, dafür mehr mit Krempel zutun.Schönen Dank.
Zur weiteren Erläuterung des Gesamtkunstwerks er-
hält jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Eigentlich ist heute ein schöner Tag. Draußen habenwir ein klasse Wetter, eine nette Kollegin hat heute einenrunden Geburtstag – wir werden heute noch feiern –, undwir dürfen einen Einzelplan vorstellen, der den Wün-schen der Fachleute aus dem Fachausschuss und des Be-richterstatters aus dem Haushaltsausschuss entspricht.Wir können all das debattieren, was wir schon in derersten Beratung debattiert haben. All die alten Sprüchewerden aber durch mehrmaliges Wiederholen nicht bes-ser. In der zweiten Beratung muss es doch eigentlich da-rum gehen, was sich durch die Beratungen im Ausschussgeändert hat. Wir halten schließlich eine Haushaltsbera-tung ab und kein allgemeines Palaver.
– Frau Künast, wenn Sie ausgeschlafen sind und etwasfragen wollen, dann stehen Sie auf und stellen eine or-dentliche Frage, ansonsten schweigen Sie.
Wir dürfen feststellen, dass sich nur wenige Punktegeändert haben. Was hat sich geändert? Wir mussten imEinzelplan – das gilt für alle anderen Einzelpläne auch –Einsparungen vornehmen. Wir haben diese Einsparun-gen im Bereich der GAK vorgesehen. Herr KollegeSchwanitz hat eben richtigerweise ausgeführt – wer mirbei der ersten Beratung richtig zugehört hat, der hat daskommen sehen, ich habe deutlich darauf hingewiesen –,dass wir Einsparungen machen müssen. Das machen wirbei der GAK.
Ich habe schon damals erläutert, dass das auch deshalbgerechtfertigt ist, weil einige Länder in der Vergangen-heit nicht gegenfinanzieren konnten und die Mittel alsonicht überall in den Ländern gerecht verteilt wordensind. Von daher ist unser Vorgehen richtig.
Wenn Sie nun sagen, das sei ein falsches Zeichen,dann sage ich Ihnen: Die GAK ist in den letzten Jahren– auch in der Großen Koalition – durch unser Zutun auf-gewachsen. Wir haben, wenn wir den Haushalt in dervorliegenden Form beschließen, mehr Geld, als wir nachKünast jemals gehabt haben. Das ist also eine positiveSache.
Sie behaupten, wir hätten im Bereich Verbraucher-schutz nichts getan. Wir werden dafür kritisiert, wennwir einen Aufwuchs bei den Planstellen haben.
Es wurde die Zahl von 1 000 zusätzlichen Planstellengenannt. Ich weiß nicht, woher diese Zahl kommt. Esgibt Journalisten, die offensichtlich alles schreiben.
Die Realität ist, dass wir 1 600 Stellen einsparen, aberwir bekommen für den wirtschaftlichen Verbraucher-
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Georg Schirmbeck
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schutz zusätzlich drei Stellen für den höheren und dreiStellen für den gehobenen Dienst. Wir setzen also einenSchwerpunkt. Das haben wir versprochen, und wir hal-ten Wort.
Ich möchte mich bei meinem Kollegen Peter Hausteinherzlich für die Zusammenarbeit bedanken. Wir bespre-chen und analysieren die Situation mit den Fachleuten inaller Ruhe. Dann bringen wir unsere Vorhaben auf denWeg, und der Ausschuss ist uns mit großer Einmütigkeitgefolgt. Wir werden das auch weiterhin so machen.Ich möchte mich, nicht nur weil es guter Brauch ist,sondern weil es in der Tat Unterschiede zwischen deneinzelnen Häusern gibt – das kann man im Haushaltsaus-schuss durchaus vergleichen –, bei der Ministerin für dievorzügliche Zusammenarbeit bedanken. Auf CDU/CSU-Seite war sie meine Vorgängerin, was die Haushaltsbe-richterstattung angeht. Sie hat das Ganze nicht verlernt.Sie weiß, wie man mit Haushältern umgeht. VerehrteFrau Ministerin, herzlichen Dank für diese Zusammen-arbeit!
– Ein bisschen mehr Stimmung, Kameradinnen und Ka-meraden!
Das gilt ganz besonders für die Haushaltsabteilungdes Ministeriums. Ich darf das einmal sagen: Auf UlliKuhlmann und seine Mannschaft ist immer Verlass. Dieangeforderten Ausführungen sind immer hundertprozen-tig korrekt und sind schnell da. Damit kann man im Aus-schuss überzeugen. Damit kann man dieses Ergebnis er-zielen.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dassheute ein schöner Tag ist, weil wir das Ganze so auf denWeg bringen können.
Ich sage aber auch: Ich habe vernommen, wer uns in derZeit zwischen der ersten Beratung und jetzt an der einenoder anderen Stelle mit Hinweisen kritisch begleitet hat.In den Haushaltsdebatten werden wir auf der einen Seitedafür kritisiert, dass wir zu viele Schulden machen, aberauf der anderen Seite werden wir für jeden Sparvor-schlag, den wir machen und durchsetzen, kritisiert.
Auf der einen Seite wird uns vorgeworfen, dass wir zuviel Personal haben, auf der anderen Seite wird uns vor-geworfen, dass wir Personal abbauen. Alles wird durch-einandergerührt, sodass in der Öffentlichkeit nachher– das muss man realistischerweise sagen – kaum nocheiner den Überblick hat.Dazu sage ich Ihnen eines: Wer mich ein bisschenlänger kennt, der weiß, dass ich alle Kritik, die uns be-rechtigterweise vorgehalten wird,
sehr aufmerksam speichern kann. Der eine oder andere,der uns auf einer Biomesse vorwirft, wir würden im Bio-bereich jetzt den totalen Kahlschlag machen, der muss essich auch gefallen lassen, dass wir uns bei den nächstenHaushaltsberatungen jeden einzelnen Antrag einmalganz genau ansehen – gleich, ob es um 1 000, 10 000oder 100 000 Euro geht – und schauen, was mit diesemGeld gemacht wird. Wie effizient wird da gearbeitet?Das Etikett „Bio“ oder „Öko“ bedeutet nicht, dass manmit Geld generös umgehen und es einfach unter dieLeute streuen kann.
Jeder, der uns kritisiert,
muss dann auch akzeptieren, dass wir ganz gezielt hinse-hen, was an der einen oder anderen Stelle gemacht wird,und muss sich von uns gegebenenfalls Vorhaltungen ma-chen lassen.Ein Aspekt, der vollkommen untergeht: Wir setzennicht nur beim wirtschaftlichen Verbraucherschutz einenneuen Schwerpunkt. Es geht auch um die nationale Si-cherheit unserer Küstenländer, wenn wir in den Küsten-schutz investieren. Wir haben ein nationales Programmaufgelegt: jährlich 25 Millionen Euro über das hinaus,was wir über die GAK finanzieren. Das ist doch eineLeistung. Wir müssen den norddeutschen Ländern sa-gen, dass wir hier etwas für die Länder tun. Wenn ich nurdas Geschwafel von einer Schlagseite Richtung Südenhöre: All die Zahlen, die Sie bringen könnten – Sie brin-gen aber gar keine Zahlen –, geben das überhaupt nichther. Von daher darf ich sagen: Danke an das ganze Haus,dass es möglich ist, dies auf den Weg zu bringen.Minister Seehofer hat vor einigen Jahren ein ganzneues Thema aufgegriffen und hier in die Diskussioneingebracht: die Breitbandverkabelung. Mittlerweileweiß jeder, dass das gerade für den ländlichen Raumeine ganz wichtige Sache ist. Deshalb haben Sie, FrauMinisterin, unsere volle Unterstützung, wenn Sie auchbei diesem Thema künftig mit großem Engagement da-bei sind. Es darf nicht sein, dass der ländliche Raum, woes in vielfacher Hinsicht sehr innovative Köpfe gibt, vonneuen Technologien abgeschnitten wird. Das würdedazu führen, dass wir die volkswirtschaftliche Wert-schöpfung, die wir in diesem Bereich generieren könn-ten, nicht generieren. Von daher müssen wir hier eineganze Menge auf den Weg bringen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2837
Georg Schirmbeck
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Sie wissen, dass ich mich in meiner Freizeit – wennSie so wollen, ist das mein besonderes Hobby – für diedeutsche Forstwirtschaft engagiere.
Ich darf Ihnen sagen: Auch die Ansätze im Einzel-plan 10, die im Vorgriff auf das Jahr des Waldes 2011eingebracht worden sind, stimmen mich heute Morgenfroh. Wir haben heute mehr Unterstützung, als wir je-mals für die deutsche Forstwirtschaft gehabt haben. Dassder Wald-Klima-Fonds jetzt wächst bzw. auf den Weggebracht wird, ist eine positive Meldung, die die Bevöl-kerung einmal hören darf. Auch hier wird also einSchwerpunkt gesetzt. Es wird etwas gemacht. Ich bin da-für sehr dankbar.Ich darf Ihnen aber auch sagen: Nachdem die Holzab-satzförderung per Gesetz nicht mehr möglich ist,
nachdem das Bundesverfassungsgericht das in seiner un-endlichen Güte gekippt hat, ist es uns gestern Abend ge-lungen, im Bereich der deutschen Forstwirtschaft auffreiwilliger, privater Basis einen neuen Fonds oder eineneue GmbH in die Welt zu setzen. Ich darf mich bei al-len, auch denen aus dem Ministerium, bedanken, diemitgeholfen haben, dass das möglich wird. In der nächs-ten Woche werden Ullrich Huth und ich einen entspre-chenden GmbH-Vertrag unterzeichnen. Dann geht esauch mit der Holzabsatzförderung in Deutschland wei-ter. Auch das ist ein gutes Beispiel für die Politik, die wirhier machen.
Meine Damen und Herren, ich habe eben schon ange-sprochen, dass wir bei den Haushaltsplanberatungenfür 2011 sicherlich an der einen oder anderen Stelle in-tensiver über die Haushaltsansätze sprechen müssen,weil wir – das hat ja eigentlich jeder gesagt – nicht jedesJahr 80 Milliarden Euro Neuverschuldung haben kön-nen. Das heißt, auch im Einzelplan 10 werden wir zu-künftig überlegen müssen: Was ist wichtig, was ist ganzwichtig, und was kann man vielleicht für eine gewisseZeit oder ganz einsparen? Wir werden in allen Bereicheneine höhere Effektivität erreichen müssen. Es kann nichtsein, dass jemand wilde Briefe oder Presseartikelschreibt und aufgrund dessen dann mehr Geld erhält.
Ich glaube, dass hier eine ganze Menge einzusparen ist.Ich zeige Ihnen das an einem Beispiel; darüber kön-nen Sie gleich wieder lachen. Es gibt Initiativen imLand, die fordern, dass wir im Bereich Ernährung undBewegung aufklären und mehr tun. Auch ich bin derMeinung, dass wir da mehr tun müssen. Aber ich fragemich, ob wir dafür mehr öffentliche Mittel brauchen.Dass wir uns mehr bewegen müssen,
dass wir uns vielleicht anders ernähren müssen und dasswir vielleicht weniger essen müssen, weiß jeder. Aberich habe große Zweifel, ob wir dafür Ansätze in Millio-nenhöhe im Bundeshaushalt brauchen; dies ist nur einBeispiel.
In jedem Dorf und in jeder Stadt bei uns gibt es Sport-vereine. Man muss nur rein in die Sportvereine,
sich dort engagieren und bewegen und ein bisschen mehrdarüber nachdenken, was man isst. Dafür braucht mankeine Haushaltsansätze.
Es ist vielleicht ein populäres, aber konkretes Beispieldafür, wie wir im Bundeshaushalt einsparen können.
Meine Damen und Herren, ich darf es noch einmal sa-gen: Wir sind mit diesem Einzelplan zufrieden. Ich darfmich bei allen, die mitgeholfen haben, bedanken. Wir se-hen der Entwicklung im ländlichen Raum positiv entge-gen; denn wir wissen, dass wir gerade im ländlichenRaum die innovativen Köpfe haben, die unsere Gesell-schaft braucht. Es hilft nicht, zu jammern, sondern manmuss morgens früh aufstehen, früh mit dem Tagwerk an-fangen, hart arbeiten und kreativ sein, dann haben wirauch eine gute Zukunft im ländlichen Raum und in ganzDeutschland.Herzlichen Dank.
Die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann ist die nächste
Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Ich werde die Propaganda erst einmal be-enden und zum Thema kommen.
Wir wollen in Deutschland und Europa eine multi-funktionale Landwirtschaft; da sind sich alle Fraktio-nen einig. Für die Linke heißt das: Die Landwirtschaft
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Dr. Kirsten Tackmann
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soll viele, sehr unterschiedliche Aufgaben im Interesseder gesamten Gesellschaft erfüllen.Dazu gehört erstens die Sicherung der Versorgung mitgesunden, möglichst regional erzeugten Nahrungsmit-teln zu bezahlbaren Preisen statt Agrarexport zulastenarmer Länder und Öko- und Sozialdumping auf einemspekulativen Weltagrarmarkt.Dazu gehören zweitens existenzsichernde Einkom-men und Arbeitsplätze in der Landwirtschaft statt Nied-riglöhne, Selbstausbeutung, Höfesterben und Verdrän-gung in den Nebenerwerb.Dazu gehört drittens eine nachhaltige Biomassepro-duktion zur regionalen Sicherung der Energieversorgungstatt fondsfinanzierte Großanlagen.Dazu gehört viertens die Schonung der natürlichenLebensgrundlagen, des Wasserhaushalts und des Klimasstatt kurzfristiger Kapitalrenditen.Dazu gehört fünftens die Sicherung sozial und kultu-rell lebendiger ländlicher Räume statt Abwanderung undDörfersterben.Dazu gehören sechstens der Erhalt und die Pflege derKulturlandschaft statt Verödung und Verwaldung.Dazu gehört siebtens die Verbesserung der Artenviel-falt auf und neben den Äckern statt Monokulturen undAgrogentechnik.
Die existenzielle Voraussetzung zum Erreichen dieserZiele sind starke und vielfältige Agrarbetriebe, die flä-chendeckend und nachhaltig wirtschaften, und das klareBekenntnis der Politik zu den Menschen, die in den Dör-fern und kleinen Städten leben und arbeiten wollen. Fürdie Linke ist der Anspruch auf gleichwertige Lebensver-hältnisse in allen Landesteilen nicht verhandelbar.Von landwirtschaftlicher Arbeit muss man leben kön-nen. Daran muss sich auch der Agrarhaushalt orientie-ren, erst recht angesichts der aktuellen tiefen Agrar-krise. Aber die Koalition versagt als Krisenmanager. DieKuhschwanzprämie wird de facto zum Stallfenster hi-nausgeworfen.
Nur ein kleiner Teil der Verluste der Betriebe wird kom-pensiert, und die Ursachen der Krise werden nicht besei-tigt. Im Gegenteil: Die Auslieferung der Agrarbetriebean den hochspekulativen Handel mit Nahrungsmittelnund Ackerböden wird vorangetrieben, bei uns, in der EUund weltweit. Statt diesen Systemfehler zu korrigieren,wird versucht, die Bäuerinnen und Bauern mit Trost-pflastern und Durchhalteparolen zu beruhigen. Dabeistehen viele Agrarbetriebe seit Monaten mit dem Rückenan der Wand. Für sehr viel und sehr harte Arbeit wird oftnicht einmal ein existenzsicherndes Einkommen erzielt.Der Grund sind die nicht kostendeckenden Erzeuger-preise. Für Mecklenburg-Vorpommern wurde für 2009vorläufig errechnet, dass im Durchschnitt mit jedem Li-ter Milch 10 Cent Verlust gemacht wurden, Liter für Li-ter. So verloren die Milchbetriebe innerhalb von einemJahr 45 Prozent ihres ohnehin nicht üppigen Einkom-mens. Selbst ein Vorzeigebetrieb mit 2 000 Kühen inmeinem Heimatwahlkreis hätte ohne Biogasanlage fi-nanziell nicht überlebt. Wenn Gülle mehr wert ist alsMilch, läuft etwas schief.
Die Milch ist nur die Spitze des Problemberges. Ins-gesamt sanken die Erzeugerpreise um 10 Prozent. Dafürstiegen die Kosten für Diesel, Futter, Dünger und Stromum 10 Prozent. Wer kann das auf Dauer kompensieren?Der kleine Familienbetrieb in Süddeutschland nicht,weil er auch mit Selbstausbeutung aller Familienangehö-rigen das Existenzminimum nicht mehr erreicht, die grö-ßeren Agrarbetriebe in Ostdeutschland nicht, weil sieselbst die niedrigen Löhne nicht mehr zahlen können.Hohe Kreditbelastungen, gestiegene Kosten für Pachtenund Flächenzukäufe ziehen die Betriebsabschlüsse wei-ter in den Keller.Ganz nebenbei: 500 Millionen Euro Gewinn hat dieBVVG 2009 in Ostdeutschland durch den Verkauf ehe-mals volkseigener Äcker im Auftrag des Bundes ver-dient. Das sind 500 Millionen Euro, die von den klam-men Landwirtschaftsbetrieben erwirtschaftet und in dieKassen des Bundesfinanzministers umverteilt wurden.Was passiert mit den Agrarbetrieben, die diesen Ver-drängungswettbewerb verlieren? LandwirtschaftsfremdeKapitalgeber werfen mit fragwürdiger Motivation Ret-tungsringe aus und übernehmen die Betriebe. So wirdüber den spekulativen Handel mit Nahrungsmitteln undAckerflächen nach WTO- und EU-Regeln bäuerlichesEigentum in rasanter Geschwindigkeit enteignet. DieLinke wird alle unterstützen, die sich dem konsequententgegenstellen.
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in derAgrarpolitik. Zum Beispiel müssen in die Handelsregelnder EU und der WTO soziale und ökologische Standardseinbezogen werden. Wir brauchen die Stärkung derRechtsposition der Agrarbetriebe gegenüber Dünge- undPflanzenschutzmittelherstellern, der Verarbeitungsindus-trie und dem Lebensmitteleinzelhandel, die ja sehr gutverdienen. Dabei müssen Lebensmittel nicht teurer wer-den, sondern sie müssen bezahlbar bleiben.Damit auch der Agrarhaushalt zur Problemlösung bei-tragen kann, haben wir Änderungsanträge eingebracht.Aus dem Grünlandmilchprogramm sollten 60 MillionenEuro in die Förderung von Erzeugerzusammenschlüssenumgelenkt werden; denn zur Überwindung der Krisebrauchen wir eine verstärkte Zusammenarbeit der Be-triebe.
Abgelehnt!Die Mittel für das Bundesprogramm Ökolandbauwollten wir von 16 auf 25 Millionen Euro aufstocken.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2839
Dr. Kirsten Tackmann
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Dafür sollten 3 Millionen Euro EU-Agrarexportförde-rung gestrichen werden,
ebenso die geplante Aufstockung der Förderung nach-wachsender Rohstoffe.
Auch dieser Antrag wurde abgelehnt. Leider haben auchdie Grünen nicht zugestimmt.
Fazit: Der Agrarhaushalt des Bundes für das Jahr 2010wird für viele Betriebe allenfalls eine Sterbehilfe sein.Die Folge: Immer mehr bäuerlich bewirtschaftete Agrar-flächen werden über den Markt enteignet. Weil der Haus-haltsplan daran nichts ändert, wird die Linke ihm nichtzustimmen.Vielen Dank.
Heinz-Peter Haustein ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident Lammert! Meine liebenKolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf den Besu-chertribünen! Der Einzelplan 10, der des Ministeriumsfür Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,spricht für sich: Es geht um Ernährung, Landwirtschaftund Verbraucherschutz. Die Ernährung eines Landes istdie Grundlage jeder Gesellschaft. Die Ernährung istnicht alles, aber ohne Ernährung ist alles nichts.
Manchmal sagen wir den Satz „Unser täglich Brot gibuns heute“ wahrscheinlich nur so daher, ohne uns da-rüber im Klaren zu sein, dass es nicht selbstverständlichist, dass wir genug zu essen und zu trinken haben.
Zuerst bedanke ich mich bei meinen Kollegen ausdem Haushaltsausschuss, besonders bei SchorschSchirmbeck, für die gute Zusammenarbeit und das guteMiteinander. Natürlich bedanke ich mich auch beimMinisterium, den kompetenten Mitarbeitern und der dy-namischen Ministerin Ilse Aigner. Es war ein gutes Mit-einander.
Der Einzelplan 10 ist von Sozialausgaben geprägt.64,4 Prozent der Mittel werden für Soziales aufgewandt.Das sind im Einzelnen 2,28 Milliarden Euro für die Al-terssicherung, 44,5 Millionen Euro für die Renten derKleinlandwirte und 24,5 Millionen Euro für die Zusatz-altersversorgung der Arbeitnehmer. Das ist recht und bil-lig. Um die Sozialsysteme zu stabilisieren, erhält näm-lich auch die gesetzliche Rentenkasse einen Zuschuss,und zwar von über 80 Milliarden Euro. – Ein weiterer Zu-schuss von 1,25 Milliarden Euro geht an die Kranken-versicherungsträger. Auch die landwirtschaftliche Un-fallversicherung, durch die nicht nur Wegeunfälle undArbeitsunfälle, sondern auch Renten abgesichert wer-den, wird mit 200 Millionen Euro bezuschusst.Das machen wir als christlich-liberale Koalition des-halb, weil wir die Lohnnebenkosten konstant und stabilhalten wollen.
Ein Landwirt ist ein Unternehmer. Ein Unternehmermuss rechnen, er muss sehen, wie er zurechtkommt indiesem weltweiten Wettbewerb der Dienstleistungen undWaren. Wenn die Lohnnebenkosten steigen, steigen dieKosten des Unternehmers. Damit sinkt sein Gewinn.Wenn sein Gewinn sinkt, zahlt er weniger Steuern. Ge-nau diese Steuern brauchen wir aber, um die Sozialsys-teme zu stabilisieren. Wir haben des Weiteren, um dielandwirtschaftlichen Betriebe besser auszustatten, eineLiquiditätshilfe von 25 Millionen Euro bereitgestellt,die, wie ich höre, sehr gut angenommen wird. Wir helfenauch den gebeutelten Milchbauern
mit 300 Millionen Euro für das Grünlandmilchpro-gramm. Das alles ist wichtig, um dem UnternehmerLandwirt zur Seite zu stehen und zu helfen.
Dann ist da noch der Bereich Verbraucherschutz.Der Verbraucherschutz ist wichtiger denn je. Bei Ver-braucherschutz denkt man zuerst an Lebensmittelkon-trolle. Es geht bei Verbraucherschutz aber auch um eineKontrolle des Finanzmarktes. Deswegen ist es schön,dass Leute eingestellt wurden, die verhindern, dass fauleAngebote unterbreitet werden und Menschen ihr Geldverlieren.Alles in allem kann man sagen: Dieser Haushalt istausgewogen und ausgeglichen.Noch ein Wort zu den Linken. Die Linken haben vonEnteignung gesprochen. Da kann ich nur zurückgeben:Mit Enteignung kennt ihr euch aus.
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2840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Heinz-Peter Haustein
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Zu DDR-Zeiten, in den 60er-Jahren, habt ihr sämtlichenBauern Grund und Boden weggenommen und die Be-triebe verstaatlicht. Das nur zur Klarstellung.
Zusammenfassend ist zu sagen: Heute ist ein guterTag für unsere Landwirtschaft. Wir können uns freuen,einen so schönen Haushalt zu haben. Es wird Zeit, dassfrischer Wind über unsere Scholle, über unsere Wein-berge und Seen weht, dass es aufwärts geht in diesemLand.
Zum Schluss, liebe Freunde, noch ein Spruch: Dasbeste Wappen in der Welt ist der Pflug im Ackerfeld. Indiesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzge-birge!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch schön
und ermutigend, zu beobachten, wie man auch drögen
Einzelplanberatungen eine gewisse philosophische Tiefe
abgewinnen kann.
Um die Fortsetzung dieser Bemühungen darf ich jetzt
den Kollegen Alexander Bonde für die Fraktion Die
Grünen bitten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwill jetzt keine Bauernweisheiten zum Besten geben, ichwill mich als Hauptberichterstatter bei den Kollegen,beim Haus und bei der Ministerin für die gute Zusam-menarbeit ganz herzlich bedanken. Ich will dazu sagen:Dieser Dank gilt nur dem Verfahren und der Informa-tion, nicht dem Inhalt dieses Einzelplanes und nicht fürdas, was die schwarz-gelbe Koalition im Einzelplan fürLandwirtschaft, Verbraucherschutz und Ernährung imLaufe dieser Beratungen angestellt hat.Wir haben ja erlebt, dass das Stiefkind dieses Ministe-riums weiterhin der Verbraucherschutz ist; durch Fern-sehinterviews zum Thema Google wird die Welt nichtverändert.
Die Fragen sind: Welche Konsequenz ziehen Sie eigent-lich aus der Finanzkrise? Wo sind die qualitativenVerbesserungen gerade in den Bereichen Verbraucherbe-ratung und Verbraucherschutz bei den Finanzdienstleis-tungen? – Überall dort passiert in Ihrem Haus nichts.Auch in Bezug auf die Vorschläge, die wir in dieseHaushaltsberatungen eingebracht haben – von den soge-nannten Watchdogs, also den Marktwächtern, bis hin zurStärkung des finanziellen Verbraucherschutzes –, istnichts passiert, und dazu findet sich in dem, was Sieheute als Haushalt verabschieden wollen, nichts wieder.
Sie haben das Stiftungskapital bei der Stiftung Waren-test erhöht. Das ist gut und richtig, aber das reicht ebennicht. Das ist keine Verbraucherschutzpolitik.
Kommen wir zum Bereich der Landwirtschaftspoli-tik. Sie haben in diesem Haushalt viele Umschichtungenvorgenommen: hier genommen, da gegeben.
Wenn man sich genau anguckt, wie die Linie verläuft,dann wird deutlich, welche ideologische Wegmarkediese Koalition setzt. Es geht immer darum, die Industria-lisierung der Landwirtschaft voranzutreiben, es geht umMasse, Masse, Masse, und es geht um Export statt Qua-lität.Das sieht man besonders, wenn man sich anschaut,was Sie unter dem Stichwort Grünlandmilchpro-gramm gemacht haben: Kuhprämie, Stärkung der land-wirtschaftlichen Unfallversicherung usw. usf. All dieseMaßnahmen sind nichts anderes als eine Brücke hinüberzur nächsten Stufe des Höfesterbens, weil Sie am Kern-problem, an der Überproduktion, überhaupt nichts än-dern und weil Sie auch nicht bereit sind, etwas zu än-dern.Wenn man sich anguckt, was durch Ihr Grünland-milchprogramm eigentlich passiert, dann sieht man – ichwill das einmal klar sagen, Frau Ministerin –: Durch dieübermäßigen Kürzungen bei der Förderung erneuerbarerEnergien im Solarbereich, die Sie als Landwirtschafts-ministerin im Kabinett mit zugelassen haben, wird denmeisten Höfen in dieser Republik auf Dauer mehr ge-schadet, als ihnen durch die Almosen geholfen wird, dieSie ihnen hier für das Grünland geben.
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Sie wagen sich nicht an die Ursachen des Problems inder Landwirtschaft heran, und Sie gehen nicht gegen denPreisverfall durch Überproduktion vor. Zum Schluss be-treiben Sie eine Dumpingpolitik, mit der Sie nicht nurden Bäuerinnen und Bauern im Inland schaden, undzwar insbesondere den kleinen Betrieben der bäuerlichenLandwirtschaft in schwierigen Regionen – nicht nur beimir im Schwarzwald, aber auch da –, sondern mit derSie auch international Schaden anrichten. Denken Sienur einmal daran, welche massiven Verwerfungen imLandwirtschaftsbereich durch Ihre Exportstrategie inden Ländern der Dritten Welt hervorgerufen werden.
Die Exportförderung ist ja die große neue heiligeKuh dieser schwarz-gelben Koalition. Überall, wo Sie indiesem Haushalt etwas getan haben, ging es darum, dieExportförderung wieder zu stärken, hier noch einen zufinden, der ein bisschen Überschuss in die dritte Weltliefern kann, und dort noch einen zu finden, der die In-dustrialisierung der Betriebe vorantreibt, damit man ausjedem Acker und jedem Tier noch ein bisschen mehr he-rausholt.
Das genau sind die Veränderungen, die Sie in diesemEinzelplan geschaffen haben. Damit gehen Sie am Kerndes Problems vorbei.Interessant ist ja, wie Sie versucht haben, das gegen-zufinanzieren. Sie haben die Verpflichtungsermächti-gungen beim Bundesprogramm Ökologischer Landbauund die Mittel zur Absicherung der Forschungsprojektezu nachwachsenden Rohstoffen gekürzt.
Es gab dann massive Proteste von uns. Das war derPunkt, an dem deutlich wurde: Eine wachsame Opposi-tion zahlt sich aus. – Sie mussten dann zurückrudern.
– Jawohl, Genosse Schirmbeck, Sie sind in der Bereini-gungssitzung zum Glück umgekippt.
Diese falschen Kürzungen haben Sie revidiert. Hier sindSie zurückgerudert, und das war richtig so; das attestiereich Ihnen ausdrücklich.
Der Punkt ist: Sie sind dann in den nächsten Fettnapfreingetreten, weil Sie, um Ihre Exportförderung finan-zieren zu können, dann die Verpflichtungsermächtigun-gen bei der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutz“, derzweiten Säule der Agrarförderung, kürzen mussten. Dortgeht es um die Agrarstrukturen, um ökologische Produk-tion, um den Erhalt von Kulturlandschaften und um denländlichen Raum.
Das sind genau die Bereiche, die jetzt eigentlich im Fo-kus einer verantwortungsvollen Landwirtschaftspolitikstehen müssten, und genau hier haben Sie gekürzt, umIhren blinden Exportwahn gegenzufinanzieren.Diese Koalition hat nicht kapiert, wie die Lage in derLandwirtschaft ist. Da machen sich manche lieber vomAcker, anstatt die bäuerliche Landwirtschaft zu unter-stützen. Ihre Exportstrategie führt in eine Sackgasse. ImKern wissen Sie das auch.
Frau Aigner, als Verbraucherschutzministerin sind Sieauch für die Frage des Etikettenschwindels zuständig.Bitte klären Sie endlich auf: Was hier die ganze Wocheals christlich-liberal gefeiert wird, ist am Ende doch nurschnödes Schwarz-Gelb.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Bundesministerin IlseAigner.
Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land-wirtschaft und Verbraucherschutz:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich schließe mich der Meinung des KollegenSchwanitz an: Heute ist „ein schöner Tag“. Hier geht es– Herr Schwanitz, Sie haben es erwähnt – um ein „Ge-samtkunstwerk“.
Ich nehme gern stellvertretend für mein ganzes Haus,für die Haushaltsabteilung, aber auch für die Parlamen-tarischen Staatssekretäre, den Dank für die gute Zusam-menarbeit entgegen. Diese ist für meine Begriffe eineSelbstverständlichkeit; denn der Haushalt ist eines derKernstücke der parlamentarischen Tätigkeit. Ich kannden Dank nur an alle Berichterstatter und den Fachaus-schuss zurückgeben. Es war wirklich eine sehr gute Zu-sammenarbeit.
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Bundesministerin Ilse Aigner
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Sehr geehrter Herr Schwanitz, auch ich habe dreiÜberschriften, die erwartungsgemäß anders als Ihre lau-ten; das ist im parlamentarischen Raum die normale Ver-teilung. Bei uns heißt es: erstens Vertrauen schaffen undVersprechen halten, zweitens in der Krise helfen, drittensin die Zukunft investieren.Beim Thema Vertrauen schaffen gehe ich gerne aufdie mehrfachen Anspielungen betreffend den Verbrau-cherschutz ein. Sie können sich noch so ärgern; aber wirhaben in diesem Bereich wahnsinnig viel auf den Weggebracht.
Wir haben manchmal vielleicht einen anderen Ansatz alsSie, wenn es um die Verbraucher geht: Wir wollen dieVerbraucher nicht bevormunden, sondern ihnen helfen,mündig zu entscheiden. Dazu braucht man Hilfestellun-gen wie klare, transparente Regeln und Entscheidungs-hilfen. Da sind wir auf einem sehr guten Weg.
– Wir haben, übrigens noch in unserer gemeinsamen Re-gierungszeit, ein Beratungsprotokoll auf den Weg ge-bracht.
– Moment! Ich wollte es nur sagen; denn Sie könnenschlecht auf sich selbst schimpfen.
Das war nur ein Punkt, einer von mehreren Bausteinen.Wir haben jetzt, ohne einen Gesetzentwurf auf den Weggebracht zu haben, alle Banken dazu gebracht – das är-gert Sie vielleicht –, einen sogenannten Beipackzettelvorzulegen.
– Ich weiß, dass Sie das ärgert; aber ich finde, das istschon eine reife Leistung.
– Schauen Sie es sich einfach einmal an! Ich kann Ihnengarantieren: Auch wir werden uns diese Beipackzettelgenau anschauen. Das ist jetzt sozusagen erst einmal einEntwurf.
Wir werden uns das gemeinsam anschauen; ich werdenicht lockerlassen, bis alle Angaben, die wir uns vorge-stellt haben, im Beipackzettel auftauchen. Das ist unsereAufgabe; da werden wir sehr wachsam sein.
Wir wissen sehr wohl, dass das nur eine Etappe seinwird. Die nächste Aufgabe wird sein, die Finanzauf-sichtsbehörden zu stärken. Da sind wir gemeinsam mitden Finanzfachleuten auf einem guten Weg. Übrigens– vielleicht haben Sie das noch gar nicht gemerkt – hatder Bundesfinanzminister schon ein Eckpunktepapier zudiesem Bereich vorgelegt, das wesentliche weitereSchritte enthält.
Sie sehen also: Wir gehen im Bereich der Verbraucher-finanzen Schritt für Schritt vor, um hier wieder das Ver-trauen in diese Branche und auch die Verbraucher selbstzu stärken.Wir werden die Lücken auf dem grauen Kapital-markt schließen. Wir werden die Fragen in Angriff neh-men: Wie muss sich ein Berater qualifizieren? Wie siehtes mit der Haftung aus? Das ist wirtschaftlicher Verbrau-cherschutz; so werden wir Schritt für Schritt vorange-hen.
Aber es geht über die reine Gesetzgebung hinaus. DasBewusstsein der Finanzdienstleister dafür, dass derKunde König ist und dass sich die Vertriebsstrukturenund die Anreizsysteme am Blickwinkel des Kunden stattan internen Abläufen orientieren müssen, kann ichschließlich nicht gesetzlich verordnen. Aber wir werdenihnen auf die Finger schauen. Ich glaube, das ist ein we-sentlicher Punkt: Der Kunde muss im Mittelpunkt ste-hen.
– Nein.Was die Frage angeht, wie wir den Kunden stärkenkönnen, haben wir bei der Stiftung Warentest etwasumgesetzt, was andere lange versprochen haben.
Wir haben das Stiftungskapital im ersten Schritt – eskommen noch zwei weitere Tranchen dazu – auf 20 Mil-lionen Euro aufgestockt. Das haben viele, auch eine Vor-gängerregierung, versprochen. Sie haben es nicht ge-schafft. Wir haben es jetzt umgesetzt.
Wir haben auch schon die ersten Schritte in die Wegegeleitet, um gemeinsam mit dem VerbraucherzentraleBundesverband eine Stiftung zu gründen und das Stif-tungskapital zu erhöhen.
Wir werden auch nicht lockerlassen, in diesem Bereichweiter voranzugehen.
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Bundesministerin Ilse Aigner
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Ein weiterer Punkt ist die Hilfe in der Krise. Um esnoch einmal klarzumachen: Das Sonderprogramm fürdie Landwirtschaft wurde nicht durch irgendwelche Um-schichtungen finanziert, lieber Kollege Bonde, sondernes sind 750 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt wor-den. Ein Programm in dieser Größenordnung hat es nochnie gegeben. Wir haben das im Koalitionsvertrag ver-sprochen, und wir haben es jetzt auch sehr schnell umge-setzt.
Das Programm heißt Grünlandmilchprogramm.Die Schwerpunkte liegen auf Grünland
und Milch. Das sind die beiden Komponenten.
– Übrigens, Herr Schwanitz, wenn Sie schon auf Bayernabzielen: Bayern liegt nicht im Südwesten; dort liegt Ba-den-Württemberg.
Aber hier geht es um das Grünlandmilchprogramm. Wirhaben es so schnell und effektiv umgesetzt, wie es untereuroparechtlichen Gegebenheiten möglich ist. Das wareine reife Leistung. Dafür kann ich meinem Haus einengroßen Dank aussprechen. In drei Wochen ein solchesProgramm auf die Beine zu stellen, ist eine riesige Leis-tung.
Die Verlässlichkeit kommt bei den Bauern sehr wohlan. Die Erhöhung des Zuschusses zur landwirtschaftli-chen Unfallversicherung war für alle Landwirtinnenund Landwirte ein ganz zentraler und entscheidenderPunkt, der schnell und effektiv umgesetzt wurde. DieBescheide sind verschickt worden. Bei mir ist großeDankbarkeit dafür angekommen, dass wir nicht nur et-was versprochen, sondern es auch gehalten haben.
Ein weiterer wichtiger Baustein war das Liquiditäts-hilfeprogramm. Ich bin froh, dass wir uns wenigstens indiesem Punkt einig sind. Wie nötig es war und ist, zeigtder Abruf. Start des Antragsverfahrens war am 1. März.Schon am 9. März mussten wir es wegen der enormenNachfrage schließen. Wir bräuchten noch viel mehr Gelddafür. Es zeigt sich aber, wie wichtig es war, die Mittelin diesem Bereich einzusetzen. Deshalb werden wir unsgemeinsam mit den Haushältern damit befassen müssen,wie wir das Programm möglichst schnell und effektivumsetzen können.Insgesamt ist festzustellen, dass die Maßnahmen grei-fen. Sie werden zügig und unbürokratisch umgesetzt.Wir unterstützen die Betriebe in einer Situation, in dersie diese Unterstützung dringend brauchen.Der nächste Punkt sind die Investitionen in die Zu-kunft. Georg Schirmbeck hat die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes“ angesprochen. Ich war unter Rot-Grün Haushalts-sprecherin in diesem Bereich. Wissen Sie, wie hoch derAnsatz damals war? Es waren 615 Millionen Euro. Des-halb muss ich mir von Ihnen nicht sagen lassen, dass un-ser Ansatz jetzt zu niedrig ist.
Um das Ganze noch einmal zusammenzufassen: Siehaben einen Finanzierungsvorschlag gemacht, die Ver-stärkungsmittel für andere Zwecke zu verwenden. Wirhaben sie für die Gemeinschaftsaufgabe vorgesehen. IhrVorschlag hätte zu dem geführt, was wir jetzt aufgrundder haushaltspolitischen Rahmenbedingungen machenmüssen.
Schauen Sie ganz genau hin. Wir haben die Verstär-kungsmittel für die Stärkung der Gemeinschaftsaufgabevorgesehen. Das ist jetzt Fachchinesisch der Haushälter,aber das muss an dieser Stelle deutlich gesagt werden.Ich bedanke mich, dass wir die Mittel für diese Gemein-schaftsaufgabe verstetigen konnten. Gemeinsam mit denHaushältern der christlich-liberalen Koalition war daseine hervorragende Zusammenarbeit. Herzlichen Dankdafür.
Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe; dabei bleibe ich.Natürlich bin ich über alle Erhöhungen der Mittel für dieGemeinschaftsaufgabe froh. Darüber freue ich mich im-mer. Auf alle Fälle ist das ein wichtiger Punkt – auch dasind wir uns Gott sei Dank einig – zur Stärkung der länd-lichen Räume, aber auch für die Finanzierung eines akti-ven Beitrags im Bereich von Klimaschutz, Artenvielfalt,Ressourcenschutz und auch von Stärkung der Wettbe-werbsfähigkeit. Ich halte das nach wie vor für eines derzentralen Programme. Deshalb werden wir darauf wei-terhin unser Augenmerk legen.Wichtig für die ländlichen Räume ist, nebenbei be-merkt, auch die Breitbandverkabelung. Für dieses Jahrstehen dafür 25 Millionen Euro zur Verfügung. Ich hoffeund gehe davon aus, dass die Länder und Kommunendiese Mittel auch abrufen. Gerade im Bereich der ländli-chen Entwicklung müssen wir die Schwerpunkte setzen.
Aber zur Zukunftsfähigkeit möchte ich noch einessagen: Natürlich hat Zukunftsfähigkeit auch damit zu
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Bundesministerin Ilse Aigner
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tun, dass man Produkte verkauft. Das kann man nur,wenn sie eine gute Qualität haben. Mit Verlaub: Das giltim Inland wie im Ausland. Deshalb halte ich es nicht fürehrenrührig, dass man landwirtschaftliche Produkte ausDeutschland weltweit exportiert und für ihre hervorra-gende Qualität wirbt. Das halte ich für einen richtigenAnsatz.
Es ist doch auch eine Frage der Verlässlichkeit, wennwir in schwierigen Zeiten, in denen der Absatzförder-fonds aus Gründen, die wir heute nicht mehr erörternmüssen, zusammengebrochen ist, für eine Übergangs-phase unterstützend tätig sind. Deshalb ist es wichtig ge-wesen, auch in diesem Bereich einen kleinen Schwer-punkt zu setzen und zu sagen: Es ist uns wichtig, dassdie guten Produkte auch international vertrieben werdenkönnen. Das ist meines Erachtens eine Selbstverständ-lichkeit.Nicht zuletzt – auch das möchte ich am Schluss nochsagen – geht es um Zukunftsinvestitionen im Bereich derForschung. Ich sage mit großem Stolz: Unser Ministe-rium hat eine sehr große Ressortforschungseinrichtung.Aber dieser Bereich ist nicht nur groß, nämlich der viert-größte, sondern auch gut. Das ist das Entscheidende. Ichhabe mich gestern mit den Spitzen der Forschungscom-munity getroffen. Dabei wurde uns bestätigt, dass unsereRessortforschungseinrichtung qualitativ auf einem sehrhohen Niveau ist. Dass wir in den Neubau des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Insel Riems investieren, näm-lich 300 Millionen Euro, ist ein hervorragendes Zeichen,nicht nur für die Forschung, sondern, mit Verlaub, auchfür die Region. Es ist richtig, hier einen Schwerpunkt zusetzen. Das war eine ausgezeichnete Entscheidung. Ichfreue mich, dass wir den Neubau dieses Jahr einweihenkönnen.
Die christlich-liberale Regierung, die Koalition, hathier die richtigen Weichenstellungen vorgenommen. Wirsind auf einem guten Weg. Er führt in die Zukunft. Ichkann immer nur sagen: Verbraucherschutz, Ernährungund Landwirtschaft sind Zukunftsthemen. Wir werdensie gemeinsam gestalten.Herzlichen Dank.
Ulrich Kelber ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Attackiert, befürchtet, bemängelt, drängt, fordert, gibtzu bedenken, hinterfragt, ist verärgert, kritisiert, kündigtan, lehnt ab, macht Druck, regt an, schimpft über, schlägtvor, verlangt, verspricht, will, sollte, müsste, könnte –dieser Überblick, Frau Ministerin Aigner, über die wun-derbare Vielfalt unserer schönen deutschen Sprachestammt aus Ihren Medienauftritten der letzten drei Wo-chen.Kein Notizblick, kein Mikrofon, keine Kamera ist vorIhnen sicher.
Allerdings vermisse ich die entscheidenden Sätze, fürdie Sie gewählt wurden und für die Sie bezahlt werden– wir können gemeinsam üben –: Ich habe einen Ge-setzentwurf vorgelegt. Ich habe durchgesetzt. Ich habeerreicht.
Dafür sind Sie gewählt worden. Dafür werden Sie be-zahlt. Innerhalb dieser Nichtregierungsorganisation, dieauf den Plätzen der Bundesregierung Platz genommenhat, sollten Sie eigentlich die Ministerin für Verbrau-cherschutz sein. Sie sind eine tatenlose Ankündigungs-ministerin.
Herr Kollege Bleser von der CDU, wenn man einensolchen Vorwurf macht, muss man ihn belegen; das istmir klar, das tue ich gerne. Lassen Sie uns über die Untä-tigkeit von Frau Aigner und ihre Nebelkerzen bei der Fi-nanzierung des Verbraucherschutzes reden. Schauenwir auf die Zögerlichkeit beim Kampf gegen Gebührenan Geldautomaten, über die sich sogar der Koalitions-partner zu Recht aufregt.Aufmerksamkeit verdient auch die Totalverweigerungder Ministerin beim Verbraucherschutz im Finanzsektor.Der Kampf gegen falsche Lebensmittelkennzeichnungfindet im Wesentlichen in den Medien statt. Bei den Ver-braucherrechten im Gesundheitssektor ist die Ministerinein Totalausfall, ausnahmsweise auch medial. Beim Da-tenschutz stürzt sie sich auf die öffentlich leicht erklär-baren Vorgänge, obwohl Verbraucherschutzverbändeund Datenschutzbeauftragter bei anderen Themen weitmehr Handlungsbedarf sehen als bei Google Street View.Krönender Abschluss ist: In Bayern ist die CSU-Politi-kern Aigner gegen Gentechnik. In Berlin fährt sie alsMinisterin einen Zickzackkurs, und in Brüssel unter-stützt sie unbeirrt die Gentechniklobby.
Erstes Beispiel, die Finanzierung des Verbraucher-schutzes. Am Tag vor Heiligabend erklärt die Ministerinlauthals: Wir geben der Stiftung Warentest einmalig ei-nen Zuschuss in Höhe von 50 Millionen Euro. – Nichterwähnt wird, dass man den jährlichen Zuschuss um2,5 Millionen Euro kürzt. In den Haushaltsberatungen
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Ulrich Kelber
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gibt das Ministerium dann zu: Ja, es kommt plus/minusnull heraus, wenn die Stiftung jährlich 5 Prozent Gewinnplus Inflationsausgleich erwirtschaftet. – Alle Expertensagen, dass das völlig unrealistisch ist. In Wirklichkeitwird es bereits 2011 eine reale Kürzung geben. 2012fehlt der Stiftung Warentest ein Betrag in Millionenhöhe.Ich habe noch gut im Ohr, wie die Ministerin Ende2009 gesagt hat: Die Bußgelder aus den Kartellrechts-verfahren verwenden wir für die Finanzierung des Ver-braucherschutzes. – Die SPD hat die Probe aufs Exem-pel gemacht und genau das in den Haushaltsberatungenbeantragt. Das wurde von Schwarz-Gelb wie erwartetabgelehnt. Nun muss ich Sie fragen: Frau Ministerin, ha-ben Sie sich nicht durchsetzen können, oder waren IhreAnkündigungen wertlos?Zweites Beispiel, der Verbraucherschutz im Fi-nanzsektor. Sie haben zu Recht erwähnt, was die GroßeKoalition gemacht hat. Ich frage mich aber, was danachpassiert ist. Wir haben damals die Dokumentations-pflicht bei der Kundenberatung und die Verlängerungder Verjährungsfrist bei Falschberatung gegen anfängli-chen Widerstand von CDU/CSU durchsetzen können.Alles andere durfte aufgrund des Widerstands der CDU/CSU nur als Prüfungsauftrag beschlossen werden. Wasist daraus geworden? Im Zwei-Wochen-Rhythmus kün-digt die Ministerin Gesetzentwürfe an. Sie legt aberkeine vor. Aus Verzweiflung schmücken Sie sich jetztmit Informationsblättern, die aufgrund von EU-Vorgabensowieso bald notwendig sind. Weil Sie kein Gesetz be-schlossen haben, hat jede Bank ein eigenes Informations-system entwickelt. Einige dieser unterschiedlichen In-formationssysteme sind nach wie vor so unverständlich,dass sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern keinenVorteil bringen werden.
Drittes Beispiel, die irreführenden Lebensmittel-kennzeichnungen. Das ist ein besonders trauriges Kapi-tel. Das Ministerium von Frau Aigner selbst hat eineUmfrage bei den Verbraucherinnen und Verbraucherngemacht, welche Form der Kennzeichnung wichtiger In-haltsstoffe sie sich wünschen. Über 80 Prozent sagen:Ich bevorzuge eine farbliche Kennzeichnung nach demAmpelprinzip; ich verstehe sie und halte sie für erfolg-bringend. – Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die dasMinisterium von Frau Aigner selbst durchgeführt hat.Die Ministerin hält aber der Lebensmittelkonzernlobbydie Treue und verhandelt in Brüssel dagegen. CDU/CSU- und FDP-Abgeordnete des Europaparlaments ver-suchen, die Ampelfarbenkennzeichnung zu Fall zu brin-gen.
Bei Imitatkäse und -schinken brauchten Sie fast einJahr, um es in Brüssel zur Sprache zu bringen. Dabeihatte Frau Aigner hier doch Unterstützung durch das me-diale Dauerfeuer Ihrer neuen Staatssekretärin Klöckner,die versucht, Frau Aigner den Rang als tatenlose Ankün-digungsweltmeisterin streitig zu machen. Sie haben einJahr gebraucht, nicht um es zu regeln, sondern um es zurSprache zu bringen.Auch bei einer anderen Sache warten wir seit einemJahr auf eine nationale Regelung, die Sie schon längsthätten auf den Weg bringen können. In den Regalen derSupermärkte steht Milch als Frischmilch, obwohl es sichgar nicht um Frischmilch handelt. Vor einem Jahr habenSie gesagt: Das wollen wir verhindern. Wir können dasnational regeln. – Bis heute ist nichts passiert.
Viertes Beispiel, die überhöhten Gebühren an Bank-automaten. Frau Ministerin, Sie haben diese Gebührenzu Recht kritisiert. Die Frage ist aber: Was tun Sie? Ges-tern hat sich Herr Goldmann von der FDP, Ihrem Koali-tionspartner, öffentlich über die „Zögerlichkeit“ der Mi-nisterin beschwert. Die Rache erfolgte sofort. HerrSchirmbeck hat ja gesagt: Wer uns kritisiert, muss damitrechnen, dass wir ihn auseinandernehmen. – HerrnGoldmann ist das gestern passiert. CDU/CSU und dasMinisterium haben nach seiner Äußerung das Fachge-spräch des Verbraucherausschusses boykottiert. Peinli-cher geht es nicht mehr.
Einer Opposition fällt das politische Leben sicherlichleichter, wenn eine Regierung ablehnt, zu regieren. Fürdas Land ist das nicht ganz so gut. Die Verbraucherinnenund Verbraucher brauchen Taten im Verbraucherschutzund keine folgenlosen Ankündigungen. Setzen Sie nichtauf die Vergesslichkeit, Frau Ministerin! Die SPD hat indieser Woche die erste Ausgabe des Schwarzbuches IlseAigner vorgelegt. Wir werden es regelmäßig aktualisie-ren und Ihre Versprechen und Ankündigungen prüfen.Ich glaube, die Verbraucherinnen und Verbraucher habenein Recht: dass die Ministerin den Fachabteilungen ihresMinisteriums endlich die gleiche Zeit widmet wie demPressestab und den Imageberatern.Vielen Dank.
Der Kollege Hans-Michael Goldmann spricht jetzt für
die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebes Geburtstags-kind! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann nochso viel drum herumreden: Es ist ein Superhaushalt, denwir hier heute verabschieden. Es sind sehr starke Säulen
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Hans-Michael Goldmann
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darin, die die Landwirtschaft braucht. Ich nenne zumBeispiel die soziale Säule. Andere träumen davon, dassim Haushalt 750 Millionen Euro bereitgestellt werden,um Schwächen des einen oder anderen landwirtschaftli-chen Betriebs, zum Beispiel eines Milchviehbetriebs,aufzufangen. Wenn mir einer damals gesagt hätte, dasswir aus dem Gespräch mit Frau Aigner – es war 10 Uhrabends im Büro von Frau Aigner –
mit 750 Millionen Euro herausgehen – auch Herr Ripkewar dabei –, dann hätte ich gesagt: Du träumst. Wir ha-ben die Summe zum Beispiel für die Unfallversicherungverwendet. Das ist eine Supersache, gerade für die Fami-lienbetriebe. Wir haben ein Kredithilfeprogramm aufge-legt, und wir haben etwas für die Grünlandbetriebe ge-macht. Liebe Freunde, lassen Sie uns doch aufhören mitNord und Süd, Ost und West, Groß und Klein. Das ist al-les Kappes. Es geht darum, dass wir die landwirtschaftli-che Struktur in Deutschland insgesamt erhalten, dass wireine solide Basis haben, um uns den wirklichen Zu-kunftsaufgaben zuzuwenden, die in einem Maß auf unszurauschen, dass wir im nächsten Jahr noch unser blauesWunder erleben werden. Wenn es darum geht, zum Bei-spiel die Mittel für unsere ländlichen Räume auf der eu-ropäischen Arbeitsebene zu erkämpfen, dann müssenwir gemeinsam an einem Strang ziehen. Deswegen soll-ten wir heute den Haushalt nicht zerreden, sondern wirsollten ihn mit Freuden zur Kenntnis nehmen. Er setztgenau die richtigen Akzente: eine starke Säule für dieLandwirtschaft, eine starke Säule für den ländlichenRaum, eine starke Säule für Familienbetriebe, die nach-haltig wirtschaften.
Lassen Sie mich noch etwas zur Ampelkennzeich-nung sagen. Ich glaube, Sie, Herr Kelber, kommen ausBonn. Mit Haribo haben Sie es vielleicht nicht so, da SieHaribo als Lebensmittelkonzernlobby bezeichnen. Dasmag Ihre Einschätzung sein, aber Sie wissen genau, dassdie Lebensmittelwirtschaft klassisch mittelständischstrukturiert ist.
Da muss man sich fragen, ob man den Mut zur Fachlich-keit hat oder ob man Botschaften hinterherläuft. Ich sageIhnen, Herr Kelber: An dieser Stelle muss man den Mutzur Fachlichkeit haben.
– Herr Kelber, Sie brüllen immer so. Überlassen Sie dasmir. Ich habe das Mikro.
Sie sind doch nicht ernsthaft davon überzeugt, dass eineAmpelkennzeichnung – rot, gelb, grün –, bei der Coca-Cola mit drei grünen Punkten und einem roten Punkt er-scheinen würde, die Qualitätsantwort auf die Interessender Verbraucher ist, denen es darum geht, zu wissen, waswirklich in den Produkten ist. Sie können doch nichternsthaft behaupten, dass das etwas Gutes ist.
Sie wissen, dass die Kennzeichnung, die jetzt auf euro-päischer Ebene auf den Weg gebracht wird, Inhalts-stoffe, auch allergene Inhaltsstoffe umfasst und die Qua-lität eines Produktes zum Ausdruck bringt. Damit sindwir genau auf dem richtigen Weg. Wir müssen dem Bür-ger keine Lösungen vorgaukeln
– ganz ruhig, Herr Kelber –, wir müssen für den BürgerLösungen entwickeln. Sie müssen schlicht und ergrei-fend Ihre Meinung korrigieren.
Nun will ich etwas zu den Bankgebühren sagen.Schauen Sie in die Pressemitteilung, dann werden Siefeststellen, dass der Journalist meinte, feststellen zumüssen, dass die Vorgehensweise von Frau Ministerin indiesem Punkt zögerlich ist. Ich habe einen ganz anderenAnsatz. Ich führe solche Fachgespräche als Ausschuss-vorsitzender mit Unterstützung der Kolleginnen undKollegen aus dem Ausschuss – wenigstens ist das dieRegel –, um uns für ein schwieriges Thema zu konditio-nieren.Ich freue mich, dass meiner Einladung zehn Cracksaus der Bankwirtschaft sowie aus dem Verbraucher-schutzbereich und den Gewerkschaften gefolgt sind unduns informiert haben. Wir sollten den richtigen Weg desMiteinanders praktizieren. Frau Aigner, ich werde Ihnendas Protokoll des gestrigen Gesprächs zuleiten; denn essind sehr viele gute Anregungen gekommen.Ich habe kein Verständnis dafür, dass die CDU/CSUaus Termingründen abgesagt hat.
So sollte mit dem Ausschuss und dem Ausschussvor-sitzenden nicht umgegangen werden. Das schadet unse-rer Arbeit im Ausschuss. Ich mache manchmal Fehler;aber andere machen auch Fehler. Wir sollten an einemStrang ziehen und die Dinge gemeinsam voranbringen.
Herr Kelber, ich will noch etwas zu Ihrem Schwarz-buch sagen: Das ist doch wohl der größte Witz des Jahr-hunderts. Nach zig Jahren Regierungsverantwortungkommen Sie vier Wochen nach Beginn der gemeinsa-men parlamentarischen Arbeit mit einem Schwarzbuch.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2847
Hans-Michael Goldmann
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In diesem Buch bringen Sie zum Ausdruck, dass Ver-braucherpolitik in Ihrer Zeit dunkel und schwarz war.Unsere ist christlich-liberal. Wir machen eine zukunfts-orientierte Politik, die wir weiterhin konsequent betrei-ben werden.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist wohl dem Weltverbrauchertag zu ver-danken, dass wir heute zur Kernzeit zum Thema Ver-braucherpolitik sprechen können. Den Rest der Zeitbleibt die Verbraucherpolitik für die Bundesregierungeher eine Nebensache; dieses Thema wird gern in dieAbend- und Nachtstunden verbannt. Wir haben zwar eineVerbraucherministerin, die immer häufiger in Funk undFernsehen überaus markige Forderungen verkauft – dashat heute mehrfach eine Rolle gespielt –,
so häufig, dass man leider immer wieder vergisst, dassIhr Ministerium in den wesentlichen Punkten gar nichtszu entscheiden hat, sondern bestenfalls mitsprechendarf; aber egal ob es um den finanziellen, um den wirt-schaftlichen oder um den digitalen Verbraucherschutzgeht, um Fahrgast- oder Patientenrechte: Zuständig fürdie harten Fakten sind immer die anderen Ministerien.Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben so die Rand-figuren der Regierungspolitik.
Das schlägt sich auch im Haushalt nieder. FrauAigner, Ihre PR in eigener Sache steht in keinem Verhält-nis zu den Zahlen und Fakten Ihres Haushaltsentwurfs.Schauen wir uns die Zahlen einmal an: Von Ihrem Ge-samtetat von fast 6 Milliarden Euro planen Sie für ver-braucherpolitische Maßnahmen gerade einmal 2,5 Pro-zent ein; das sind 148 Millionen Euro. Das steht inkeinem Verhältnis zu den anderen Aufgaben IhresMinisteriums.Noch deutlicher wird die untergeordnete Stellung ver-braucherpolitischer Maßnahmen durch einen Vergleichmit dem Etat des Wirtschaftsministers Brüderle, derhauptsächlich für die unternehmerische Seite der Märkteverantwortlich zeichnet. Wirtschaftsminister Brüderlekann dieses Jahr allein 230 Millionen Euro, also deutlichmehr Mittel, als für den Verbraucherschutz zur Verfü-gung stehen, für das Nationale Weltraumprogramm aus-geben. Es ist schön und sicherlich überaus zeitgemäß,dass die Bundesregierung in die bemannte Raumfahrt in-vestiert; aber mit dem unterirdischen Stellenwert, dendie Verbraucherpolitik für sie hat, können wir uns alsLinke nicht zufriedengeben.
Wir sagen: Verbraucherpolitik darf nicht länger eine Ne-benrolle spielen.Die Finanzkrise hat es gezeigt: Verbraucherinnen undVerbraucher sind den windigen Geschäftspraktiken derBanken ausgeliefert. Da ist es unsere Verantwortung alsPolitikerinnen und Politiker, die Märkte verbraucherge-recht zu regulieren. Wir können diese Verantwortungnicht einfach auf die Menschen abwälzen.
Es gibt sehr viele Vorschläge, wie das geschehen soll,beispielsweise die Einrichtung eines Marktwächters wiein Großbritannien oder einer Behörde für finanziellenVerbraucherschutz, wie in den USA geplant. Nichts vonalledem finden wir in Ihrem Haushalt. Sie können sichnicht länger davor drücken, Verbraucherinnen und Ver-braucher vor betrügerischen Praktiken von Unternehmenzu schützen. Mit freiwilligen Infoblättern ist es hier nichtgetan.
Ich freue mich sehr, dass VerbraucherministerinAigner immer häufiger die Zusammenarbeit mit denVerbraucherzentralen sucht – das ist gut und schön –;aber es kann nicht sein, dass eine Bundesregierung im-mer stärker auf den Sachverstand und den Service vonVerbraucherschutzorganisationen zurückgreift, ohneihnen gleichzeitig auch nur einen einzigen Cent mehr zurVerfügung zu stellen.
Allein mit der Anschubfinanzierung für die Verbraucher-stiftung ist es hier sicherlich nicht getan. Das ist nichtsanderes als eine Auslagerung des Problems, zumal manjetzt noch nicht einmal alle Gelder, die tatsächlich zurVerfügung gestanden hätten, zur Verfügung stellt.Wir Linke fordern mehr Geld für die Arbeit der Ver-braucherorganisationen, insbesondere für den Bereichfinanzielle Verbraucherberatung. Wir erinnern uns:Innerhalb von nur wenigen Tagen war es der Bundesre-gierung in der Krise möglich, einen Schutzschirm fürBanken im Umfang von 470 Milliarden Euro zu span-nen. Dagegen sind die 10 Millionen Euro, die wir heutefür die Verbesserung der finanziellen Verbraucherbera-tung beantragen, doch wirklich ein Klacks.
Wer Banken aus der selbstverschuldeten Krise rettenkann, der kann und darf beim Schutz der Verbraucherin-nen und Verbraucher nicht sparen.Auch an anderer Stelle wäre mehr Geld für die Ver-besserung des Verbraucherschutzes notwendig gewesen:zur Verbesserung der Forschung, für notwendige Auf-klärungsarbeit, für ein Siegel „Ohne Gentechnik“, füreine Ampelkennzeichnung oder für Modellprojekte, diesich vielleicht auch einmal an einkommensschwacheHaushalte richten. An all diesen Stellen wird gespart.Hierfür ist kein Geld vorhanden.
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2848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Caren Lay
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Wir Linke wären offen gewesen für die Erschließungalternativer Einnahmequellen. Es könnten sich ja aucheinmal die Unternehmerinnen und Unternehmer an derFinanzierung des Verbraucherschutzes beteiligen.
Wenn man bedenkt, wie viele Beratungen die Verbrau-cherzentralen machen müssen, um die Verbraucher al-lein über Fallen im Bereich Internet und Telekommuni-kation aufzuklären, wäre das nicht zu viel verlangtgewesen.Verbraucherschutz ist eine öffentliche Aufgabe, isteine notwendige Aufgabe. Wer hier spart, der spart ander falschen Stelle.Vielen Dank.
Ulrike Höfken ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehrgeehrte Kollegen! Die Dankbarkeit, die empfunden wer-den soll, Herr Schirmbeck, weil mehr Geld im Haushaltist als zu Zeiten von Frau Künast, beschränkt sich wohlauf diejenigen, die profitieren, ist also die Dankbarkeitder Funktionäre, aber ganz gewiss nicht die des Volkes.
Ganz ernsthaft: Wenn Sie Drohungen gegen die Öko-landwirtschaft ausstoßen und fordern, dass sie für dieAlmosen, die sie bekommt, auch noch auf die Knie fal-len soll, mag das Ihren Vorstellungen von der gekauftenRepublik entsprechen.
In diesem Haushalt findet sich kein roter Faden underst recht kein grüner Faden, sondern Schwarz-Gelb be-treibt eine aggressive Industrialisierung, eine massiveExportorientierung und eine Förderung der Agrogen-technik, und zwar zulasten von Verbrauchern, Arbeit-nehmern, Mittelstand und Steuerzahlern, von Umweltund Klima. Mit Markt hat das nichts zu tun. Da ist soviel Markt drin wie früher in der DDR.
Fünf Beispiele:Erstens. Das 750-Millionen-Euro-Milchpaket, worü-ber ja schon viel gesagt wurde, ist ein verantwortungs-loser Umgang mit Steuermitteln, weil Sie nämlich nichtan die Ursachen der Misere herangehen. Im Bereich desMilchmarktes wären vernünftige Marktanpassungsins-trumente nötig. Sie aber wollen bewusst Überschüsseherbeiführen und tun das politisch auch. Das hat nichtsmit Markt zu tun. Wie groß die Not ist, das sieht man andem entsprechenden Programm der Rentenbank: Dievorgesehenen Liquiditätsmittel waren innerhalb von16 Stunden weg. Das war ein unwirksames Programmzulasten der Milchbetriebe genauso wie der Steuerzah-ler.
Zweitens, das Thema Exportförderung. Wunderbar,sie wäre – das hat der Kollege Bonde ja geschildert –fast noch zulasten der paar Forschungsmittel für denÖkolandbau gegangen. Auf Vieh- und Fleischtagen wirdder Entwicklung der Exportraten gehuldigt. Zugleichbringen es die Referenten des Bauernverbandes fertig,kein einziges Wort zur Einkommenssituation zu sagen,die sich gleichzeitig verschlechtert. Sie betreiben eineaggressive Exportpolitik. Zu Recht sagen andere euro-päische Länder wie auch Drittstaaten, dass das zu ihrenLasten geht.
Das verharmlost Herr Schäuble mit dem Fußballbeispiel.Ich finde, eine solche Politik ist international nicht trag-bar.
Drittens, die Agrogentechnik. 9,5 Millionen Euromindestens sind dafür im Haushalt veranschlagt. Das istdeutlich mehr, als für den Ökolandbau vorgesehen ist,und das, obwohl dieser Bereich durch die Verunreini-gungen einen ungeheuren wirtschaftlichen Schaden an-richtet, der in die Milliarden geht, obwohl er von denVerbrauchern und vom Markt nicht gewollt ist, obwohler keine Erfolge auf der technischen Ebene zeigt. Mit derAmflora-Kartoffel wurde ein Kniefall vor der BASF ge-macht, und es ist ein veraltetes Produkt; das sagt sogarSonnleitner. Dafür geben Sie Geld aus.Viertens, zum Bereich Ernährung. Die Ministerinsagt, die Verpflegung an Kitas und Schulen solle deut-lich verbessert werden. Aber: Es gibt unwürdige Ver-schiebebahnhöfe zwischen Bund und Ländern zulastender Länder, zum Beispiel bei Schulobst. Wir Grüne for-dern ein Bund-Länder-Programm. Sie haben die Verant-wortung angesichts der 100 Milliarden Euro Kosten fürernährungsbedingte Krankheiten, aber auch angesichtsder Situation von Kindern und Jugendlichen, die schonim Vorschulalter an Diabetes und Herzkrankheiten er-kranken. Ich finde es fahrlässig, das lächerlich zu ma-chen, indem Sie einfach sagen, die Kinder sollten sichein bisschen mehr bewegen, Herr Schirmbeck. Es ist dieVerantwortung der Politik, eine vernünftige, flächende-ckende Kindergarten- und Schulernährung zu entwi-ckeln und zu garantieren.
Fünftens, zur Verbraucherpolitik. Es gab Ankündi-gungen zu verschiedenen Punkten: ESL-Milch-Kenn-zeichnung, „Ohne Gentechnik“-Programme, Google StreetView, Süßigkeiten an der Kasse. Dann haben Sie, Frau
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2849
Ulrike Höfken
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Ministerin, von den schönen Beipackzetteln der Bankengesprochen. Wir konnten ja am Weltverbrauchertag erle-ben, wie diese vom Verbraucherzentrale Bundesverbandin den Schredder gepackt wurden, und zwar völlig zuRecht. Wir brauchen keine „Wächterin“, als die Sie sichin den Zeitungen bezeichnet haben – Sie sind auch leiderkeine Marktwächterin, sondern Ihre Politik ist eine Politikder Nachtwächter –,
sondern wir brauchen eine Politik, die sich an den neuenHerausforderungen orientiert: Klimaschutz, umwelt-und tiergerechte Erzeugung, eine gute Ernährung für dieBevölkerung, Ernährungssicherheit, besonders für dieKinder und Jugendlichen, ein vernünftiges Einkommenauch auf dem Land, eine gute Energie- und Klimapolitikund eine moderne Verbraucherpolitik. Dafür stehen wirGrüne, und dafür werden wir auch weiter kämpfen.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Bleser für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Es wurde hier ja in sehr vielen Details herumge-wühlt,
allerdings eher unkoordiniert in Richtung Verwirrung alskoordiniert in Richtung höhere Transparenz.Ich will noch einmal unsere Linie aufzeigen,
damit Sie wissen, wohin wir wollen und mit welchen In-strumenten wir unsere Ziele verfolgen.
Wir haben schon in den Koalitionsverhandlungen zweiwichtige Grundsätze festgelegt: Erstens soll unsere Poli-tik auf eine wettbewerbsorientierte Landwirtschaftausgerichtet sein, und zweitens sollen neue, innovativeTechnologien auf wissenschaftlicher Basis bewertet wer-den.
Nur mit diesen Grundsätzen wird man das Verständnisder Bevölkerung erreichen und die Grundlage für Hilfenfür zusätzliche Leistungen im Umweltschutz, im Tier-schutz und beim Erhalt der Kulturlandschaft schaffenkönnen.Diese Linie fahren wir im Grunde genommen schonseit dem Regierungswechsel 2005 konsequent. Wir ha-ben damals mit dem Ende der rot-grünen Politik die He-bel umgelegt, eine neue Richtung eingeschlagen undentlang der genannten Linie Politik gemacht.Wenn heute hier die minimalen Verpflichtungser-mächtigungen und die damit verbundenen Einschrän-kungen im Agrarhaushalt kritisiert werden, dann mussman noch einmal daran erinnern, woher wir kommen.Unter Frau Künast gab es ständig Steinbrüche im Agrar-haushalt, von der Agrardieselvergütung bis hin zur Re-duzierung der Mittel für die GAK.Wir gehen den umgekehrten Weg. Wir haben in denletzten Jahren die investiven Mittel erhöht.
Wir haben die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. DasMilchprogramm, das vorhin genannt worden ist, dientebenfalls dazu, uns im Wettbewerb zu halten. Es gibtdazu eine einfache Zahl: Trotz der schweren Krise in derdeutschen Milchwirtschaft und trotz miserabler Preisehaben die deutschen Milcherzeuger ihre Produktion um2,8 Prozent gesteigert.
Die Franzosen, die sich im Wettbewerb nicht so gut auf-gestellt haben, haben eine Reduktion der Produktion um4,1 Prozent zu verzeichnen.
Wenn jetzt jemand behauptet, man hätte damit derMilchmengensteuerung das Wort geredet, dann muss ichsagen: Das ist nicht der Fall. Unter den Bedingungen, dieich genannt habe – auch andere Länder haben zugelegt –,haben wir in der Europäischen Union im letzten Jahr eineReduzierung der Milcherzeugung zu registrieren gehabt.Das heißt, wir sind im Wettbewerb besser geworden. Un-ser Ziel ist, Marktanteile zu halten, damit wir die Beschäf-tigung in Deutschland auch in Zukunft sicherstellen kön-nen.
Deswegen ist es richtig, dieses Hilfsprogramm aufzule-gen.Frau Tackmann hat hier einen einzigen richtigen Satzgesagt.
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Peter Bleser
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Sie hat nämlich festgestellt, dass die Einkommen derMilcherzeuger drastisch zurückgegangen sind. DasHilfsprogramm hilft den Bäuerinnen und Bauern, die indiesem Bereich im letzten Jahr mit 19 000 Euro Gewinnpro Arbeitskraft zurechtkommen mussten. Das ist nichtnur eine soziale Hilfe, sondern auch vor allen Dingeneine Hilfe, um das wirtschaftliche Tal zu überwinden.Damit stellen wir Beschäftigung weit über den Bereichder Milcherzeugung hinaus sicher. Das ist unser Ziel.
Obwohl ich Sie, Frau Tackmann, persönlich schätze,muss ich Ihnen vorwerfen, dass Sie eine Politik machen,in die ich mich nicht hineindenken kann.
Sie haben sich hier als Anwalt der bäuerlichen Landwirt-schaft und der kleinen Betriebe dargestellt. Wenn ich alsMitglied einer Nachfolgepartei der SED hier sitzenwürde, würde ich mich wegen der Enteignung und derZwangskollektivierung in den 50er- und 60er-Jahrenim Nachhinein schämen.
Ich freue mich deshalb, dass der Bauernbund jetzt einDenkmal für die Geschändeten in diesem Bereich errich-tet hat, damit die Öffentlichkeit und die Nachwelt daraufaufmerksam gemacht werden, welches Leid dort zuge-fügt worden ist.
Frau Ministerin Aigner hat zu Recht darauf hingewie-sen, dass die Mittel des Hilfsprogramms in wenigen Ta-gen ausgeschöpft waren. Auch das ist ein Zeichen, dassdie Menschen in diesem Bereich an die Zukunft glauben.Sie investieren, aber sie verkonsumieren das Geld nicht.Das ist für mich ein gutes Zeichen der Hoffnung.Es wurde kritisiert, dass wir über Verpflichtungser-mächtigungen aus dem Ökolandbaubereich versuchthaben, die Aufgaben der Exportförderung zu finanzie-ren. Diese Kritik war zwar unberechtigt. Trotzdem ha-ben wir diese Regelung fallen gelassen. Es sollte vonAnfang an kein einziger Euro aus diesem Bereich weg-fallen. Die nicht ausgeschöpften Mittel hatten uns zu-nächst dazu veranlasst, diese Form der Gegenfinanzie-rung zu wählen.
Wir lassen es nun, damit hier nicht ein falscher Eindruckentsteht. Mir ist wichtig, dass wir zwischen ökologischerund moderner Landwirtschaft unterscheiden.
Wir behandeln beide Strategien gleich.Die nächsten Monate werden entscheidend dafür sein,wie die Agrarpolitik der Europäischen Union nach2013 aussehen wird. Deswegen sind wir als Union sehrdarauf bedacht, die ernährungspolitischen Ziele, die wirfür die deutsche Landwirtschaft für das Jahr 2020 anstre-ben, sehr früh zu definieren. Wir haben in der Unionschon präzise Festlegungen getroffen. Wir wollen eineSicherstellung der Ernährung der europäischen Bevölke-rung. Wir wollen, dass die Einkommen der Bauern ad-äquat bleiben. Wir wollen, dass die multifunktionaleLandwirtschaft und die flächendeckende Landwirtschaftmit ihren Tierschutz- und Umweltzielen erhalten blei-ben.Wenn wir diese Ziele gesellschaftlich verankern kön-nen, dann bin ich sehr sicher, dass wir es verhindernkönnen, dass der Agrarhaushalt der Europäischen Unionals Steinbruch für andere Politikfelder genutzt wird, waseinige vorhaben. Lassen Sie uns gemeinsam diese öf-fentliche Diskussion führen. Jetzt haben wir noch Ein-fluss, bevor die ersten Festlegungen in dieser Richtungvorgenommen werden.Ich muss – ich tue das auch sehr gerne – noch etwaszum Verbraucherschutz sagen.
Wir, die Union, machen Verbraucherpolitik aus der Sichtdes Betroffenen heraus.
Das greift in viele Politikfelder ein und führt dazu– das kennen wir noch aus der vorherigen Koalition,Frau Drobinski-Weiß –, dass die Kompetenzen in ver-schiedenen Häusern angesiedelt sind. Ich bin deshalbfroh, dass der Finanzminister jetzt nicht ohne Unterstüt-zung unserer Ministerin Aigner im Finanzmarktbereichaktiv wird und einen Gesetzentwurf für mehr Anleger-schutz und zu anderen Fragen im Finanzbereich vorle-gen wird.Dass wir den Grauen Kapitalmarkt transparent ma-chen müssen, ist unstrittig. Dass wir Anlegerprotokollebrauchen, ist unstrittig.
Ich rufe, weil wir eine Vertrauenskrise in der Finanzwelthaben, die Branche auf,
wie bei den Beratungsprotokollen mit uns vor gesetzli-chen Maßnahmen aktiv zu werden; dann braucht dasnicht geregelt zu werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2851
Peter Bleser
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Aber wenn es nicht geschieht, dann werden wir handeln.Ich stelle deshalb die klare Forderung auf:
Herr Kollege.
Wir wollen bei Geldautomaten die gleiche Transpa-
renz wie bei Tankstellen. Man muss vorher wissen, was
es kostet, nicht nachher.
Ich will ein Letztes dazu sagen. Wir sind uns alle ei-
nig, und ich habe nicht das Bedürfnis, hier über verschie-
dene Verfahrensweisen zu streiten.
Das geht auch gar nicht, Herr Bleser, weil Sie weit
über die vorgesehene Redezeit hinausgegangen sind.
Herr Präsident, das schützt meinen Kollegen Goldmann
vor einer Bewertung seiner Aussage.
Sehen Sie, die Fürsorge des Präsidenten reicht prä-
ventiv auch in diese Richtung.
Das nehme ich gerne als Hilfe in Anspruch. Ich will
zum Schluss nur zur Kenntnis bringen, dass die Men-
schen sich in der Verbraucherschutz- und Agrarpolitik
auf die Union verlassen können.
Dann wird auch da der Frühling sehr bald wiederkom-
men.
Vielen Dank.
Die Kollegin Waltraud Wolff hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das staatstragende Mäntelchen, das HerrBleser sich gerade umgehängt hat,
bedeutet nicht, dass die Politik, die mit diesem Haushaltgemacht wird, eine solide ist. Das werden wir ganzschnell aufzeigen. Das, was mein Kollege Rolf Schwanitzam Anfang zu „Klientel- statt Strukturpolitik“, zu „Ein-sparungen an der falschen Stelle“ und zu „Kein Konzeptbei der Verbraucherpolitik“ gesagt hat, zieht sich, ohnedass wir uns abgesprochen haben, auch durch meine Redeund durch die gesamte heutige Debatte.Frau Aigner, Sie kommen bei der Verbraucherpolitikeinfach nicht weiter. Bei der Agrarpolitik haben Sie so-gar den Rückwärtsgang eingelegt. Sie haben nur an einerStelle richtig Geschwindigkeit aufgenommen: Eine sol-che Geschwindigkeit wie die, mit der Ihre Finanzpolitikhinfällig geworden ist, habe ich in elf Jahren Bundestagnoch nicht erlebt. Sie haben uns bei der ersten Lesungdes Haushaltes so viele Wohltaten versprochen.
– Dazu komme ich noch, Herr Schirmbeck. – Aber wasist bei der zweiten und dritten Lesung? – Sie legen unsdie Streichliste vor.
Wir haben bereits bei der ersten Lesung deutlich ge-macht, dass Sie ein 750 Millionen Euro teures Stroh-feuer abbrennen. Davon geht weder für die Landwirt-schaft noch für die ländlichen Räume ein wirklichnachhaltiger Effekt aus. Wir haben Ihnen damals schongesagt, dass, erstens, man so etwas nicht auf Pump ma-chen kann – Sie machen das auf Pump – und, zweitens,das vorrangig in Bayern – ich korrigiere: nicht im Süd-westen der Republik – ankommt.
– Herr Schirmbeck, Sie haben selbst angekündigt, dasswir ab 2011 ganz genau hinschauen müssen, was wichtigist.
Ab dann werden nach Ihrer Aussage die Einsparungenkommen. Das, was Sie jetzt auf Pump ausgeben, werdenSie ab 2011 einsparen müssen. Ich hätte nicht gedacht,dass uns schon in den Haushaltsberatungen deutlich ge-macht werden würde, wie recht wir als SPD in der erstenLesung hatten.
Das Ökolandprogramm sollte um 3,3 Millionen Eurogekürzt werden. Es bringt überhaupt nichts, wenn Sie,Herr Bleser, jetzt sagen, das sei alles nicht so gemeintgewesen. Schön, dass Ihnen das nicht geglückt ist.
Allerdings konnten wir nicht verhindern – das istschon mehrfach angesprochen worden –, dass es bei derGAK Kürzungen in Höhe von 25 Millionen Euro gab.
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Waltraud Wolff
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Sie als Regierungskoalition setzen den Rotstift genaudort an, wo Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit derLandwirtschaft und der ländlichen Räume gefördertwerden. Das ist wirklich grandios.
Herr Goldmann hat vorhin gesagt, dass 750 MillionenEuro besonders für die landwirtschaftliche Unfallver-sicherung und für die Milchviehbetriebe vorgesehensind. Ich komme aus dem Osten der Republik. Waskommt davon bei der landwirtschaftlichen Unfallversi-cherung und bei den Milchbetrieben an? Gar nichts! Ichkündige hier und heute an, dass ich im Namen der SPDeine Aufstellung darüber verlange, wie die 750 Millio-nen Euro auf die Bundesländer aufgeteilt werden. Eswird sicherlich sehr interessant, sich das einmal anzu-schauen.Liebe Frau Aigner, das Chaos, das Sie und Ihre Kabi-nettskollegen seit Beginn dieser Regierungskoalitionveranstaltet haben, zeigt sich auch in Ihrem Haushalt.Sie wollen Verbraucherinnen und Verbraucher durch denBeipackzettel – sprich: das Produktinformationsblatt –stärken. Das ist völlig daneben. Wenn ich dem Banken-wesen bei der Formulierung freie Hand lasse, dannwerde ich am Ende feststellen, dass kein Mensch die In-formationen verstehen wird. Ich glaube, ohne Kriterienund gesetzliche Vorschriften werden sie völlig unver-ständlich geschrieben sein. Was ist mit der Selbstbe-stimmung der Verbraucherinnen und Verbraucher?Ich glaube, dass gesetzliche Regelungen nötig sind, aberes passiert nichts.
Es gelingt Ihnen nicht, die Verbraucherverbände zustärken. Sie treten deren Wünsche nach gentechnikfreienLebensmitteln und der Nährwertampel mit Füßen, undSie reißen – das ist schon angesprochen worden – mitdem Stiftungskapital für die Stiftung Warentest eine rie-sige Finanzlücke in der Zukunft auf. Man kann wirklichnicht behaupten, dass Sie die höchste Verbraucherschüt-zerin sind. Frau Aigner, gut gemeint ist nicht gut ge-macht, angekündigt ist noch lange nicht durchgesetzt.Ich möchte auf die 750 Millionen Euro zu sprechenkommen, die die Regierung zur kurzfristigen Beruhi-gung der Milchbauern in Bayern und auch zum Teil inBaden-Württemberg verteilt hat. Das macht deutlich– das kreide ich der schwarz-gelben Regierung ernsthaftan –: Sie verkaufen für Ihre Klientelpolitik die Zukunfts-chancen der ländlichen Räume. Ihr Wachstumsbeschleu-nigungsgesetz ist ein Schuldenbeschleunigungsgesetzgewesen, das besonders die Länder und Kommunentrifft.
Darüber hinaus sind Sie dabei, mit der Kürzung derEinspeisevergütung für die Solarenergie eine Zukunfts-technologie und ein wichtiges wirtschaftliches Standbeinaus den neuen Bundesländern zu vertreiben. Das hat ver-heerende Folgen für die Entwicklung der ländlichenRäume, besonders im Osten der Republik.Sie setzen noch eins drauf. Herr Schwanitz hat es ge-sagt: Die Landwirtschaftsminister der Länder habendeutlich belegt, dass eine Aufstockung bei der Ver-pflichtungsermächtigung in der Gemeinschaftsaufgabenötig ist, weil andernfalls die Bindung der zusätzlichenEU-Mittel für die Umsetzung der Gesundheitsprüfungnicht möglich ist.
Frau Kollegin Wolff.
Ich weiß, ich bin knapp über der Zeit, aber Herr
Bleser eben war weit drüber. Ich möchte noch einen Satz
sagen.
– Eine Frage? Ja, gerne. Eine Zwischenfrage bedeutet,
dass ich noch länger sprechen kann. Wo kommt die her?
Kollege Schirmbeck möchte gerne Ihre Redezeit ver-
längern.
Danke.
Frau Kollegin Wolff, das von der CDU erfundene
EEG soll von uns fortgeschrieben werden.
– Die Urfassung des EEG, das Stromeinspeisungsgesetz,
ist von Minister Töpfer. Das ist so. Das müssen Sie ein-
mal nachlesen. Das wissen Sie vielleicht nicht, aber es
ist die Wahrheit.
Sie müssen das richtig in Ihr Schwarzbuch hineinschrei-
ben.
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen, ob Sie es für
richtig erachten, dass, wenn der vergleichsweise wohlha-
bende Georg Schirmbeck eine Fotovoltaikanlage baut
und für sein Kapital eine Verzinsung von fast 10 Prozent
bekommt, das dazu führt, dass sein Nachbar, ein kleiner
Stromkunde, diesen ordentlichen Gewinn des Investors
Schirmbeck bezahlen muss. Oder halten Sie es nicht für
richtig, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man
diese Verzinsung an die üblichen Marktzinsen anpasst?
Sehr geehrter Herr Schirmbeck, wir haben – ich kannmich sehr gut daran erinnern – das EEG unter Rot-Grün
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Waltraud Wolff
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beschlossen. Ich war dabei und bin sehr stolz, dass wirdas beschlossen haben.
Wenn ich in Ihre Reihen schaue, stelle ich fest, dass daKollegen dabei sind, die mitgestimmt haben.
Ich glaube, Sie haben dagegen gestimmt. Ich erinneremich nicht mehr ganz genau daran, aber das ist ja auchegal.
Wir sind dabei, gerade im Bereich Fotovoltaik eineBranche aufzubauen. Ich will einmal den Vergleich zurAtomenergie bringen: Herr Schirmbeck, 40 Jahre langhat diese Energiebranche Unterstützung und Förderungbekommen.
Ich habe die genaue Summe nicht im Kopf. Das waren40 Jahre, in denen die Branche nicht gesagt hat: Wisstihr, wir sehen ein, dass da ein Aufwuchs ist; wir könntenuns mit einer Schmälerung einverstanden erklären. –Niemals ist das gekommen. Aber die Erneuerbare-Energien-Branche, darunter die Fotovoltaik- und dieSolarenergiebranche, hat das, was ab Januar 2010 an De-gression schon geplant war, sogar mitgetragen.
Das, was Sie hier machen, ist ein Einschenken in ei-ner Art und Weise, dass die Branche kaputtgeht.
Q-Cells hat seinen Sitz in Sachsen-Anhalt. 400 Arbeits-plätze sind dort schon abgebaut worden. Ein Vorstands-vorsitzender hat in der letzten Woche seinen Hut genom-men.
Ich glaube, wir sollten bei dieser Branche einenSchwerpunkt setzen, da sie uns weg von Atomenergieund fossilen Energieträgern hin zu dezentralen Lösungenführt, und nicht schon jetzt Kürzungen vornehmen, ob-wohl die Branche noch nicht einmal richtig etabliert ist. –Schönen Dank, Herr Schirmbeck.
Ich sehe, dass Frau Aigner mit diesem Haushalt mitVollgas gegen die Wand läuft, dass sich aber die Men-schen in den ländlichen Räumen – leider – die blutigeNase holen. Das ist etwas, was wir nicht mittragen kön-nen. Die Regierungskoalition weigert sich, die nachhal-tige Landwirtschaft zu fördern. Sie weigert sich, Ver-braucher- und Kundenwünsche ernst zu nehmen. Sieweigert sich, echte Anwältin der Verbraucherinnen undVerbraucher zu sein. Sie setzt auf Ankündigungsrheto-rik. Die Menschen erwarten aber Taten. Ihre Politik istrückwärtsgewandt. Das zeigt dieser Haushalt. Deshalbkönnen wir als SPD dem nicht zustimmen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Erik Schweickert
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss am Anfangauf zwei Dinge eingehen. Liebe Kollegin Wolff, eineStreichliste gibt es nur dann, wenn man etwas von derListe streicht, das man vorher draufgesetzt hat. UnserePolitik ist geprägt von „Versprochen – gehalten!“.
Wir haben nichts heruntergenommen.Frau Wolff, nehmen Sie einfach einmal ein paar Fak-ten zur Kenntnis: Die Mittel der GAK wurden nichtausgeschöpft, nicht einmal von Schleswig-Holstein.Brandenburg hat im letzten Jahr 20 Millionen Euro garnicht abgerufen. Machen Sie einen besseren Vorschlag.Dann können wir darüber reden. Statt mit Schwarz-büchern zu arbeiten – nach 130 Tagen –, würde es Ihnenbesser zu Gesicht stehen, wirkliche Vorschläge zu unter-breiten, wie wir als FDP es in der Opposition mit unse-rem Liberalen Sparbuch gemacht haben.
– Wir kommen noch dazu, Herr Bonde. Wir haben einpaar Sachen umgesetzt.Werfen wir einen Blick auf die Ausschussanhörung.Wir schauen uns die Themen an. Dann führen wir zu-sätzlich Fachgespräche, daraus gewinnen wir Erkennt-nisse. Herr Kelber, Sie haben das vorhin angesprochen.Was kam dabei heraus? Es kam heraus: Fremdgehen warschon immer teuer. Deswegen müssen wir schauen, dasswir die Interbankenentgelte gestalten.
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2854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Dr. Erik Schweickert
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– Nein, das ist kein Angriff auf Sie. Ich weiß nicht, obSie da aus Erfahrung sprechen. Ich weiß nur, dass man,wenn man an fremden Bankautomaten Geld abhebt, et-was dafür bezahlen muss. Es ist wichtig, dass der Wett-bewerb gestärkt wird. Wettbewerb ist ein wichtigerPunkt der liberalen Verbraucherpolitik. Das ist effizienteVerbraucherpolitik.
Sie sehen das beispielsweise bei Mobilfunktarifen undFlugpreisen. Wo wir Wettbewerb haben, geht es demVerbraucher gut. Deswegen werden wir uns als christ-lich-soziale und liberale Koalition in diesem Bereich da-für einsetzen, dass Wettbewerb wieder stattfindet.
– Das vergessen wir nicht.Herr Kelber, Sie haben vorhin ein paar Unterlagenvom Bankenverband hochgehalten.
Es gibt aber auch gute Beispiele. Deswegen ist der Weg,den die Ministerin geht, richtig. Ich habe hier ein paarInformationsblätter von der Sparkasse. Sogar Sie werdenbeim Durchlesen alles verstehen. Es gibt noch ein paarVerbesserungswünsche; die haben auch wir. Aber wirsind weiter, als wir jemals gekommen wären, wenn wirdas alles durch ein Gesetz geregelt hätten.Nehmen Sie also bitte zur Kenntnis – das geht an FrauLay –: Bei Verbraucherpolitik geht es nicht darum, Al-mosen zu verteilen. In Ihrem Antrag vom 15. Märzschreiben Sie:Dabei ist insbesondere das Angebot für einkom-mensschwache Haushalte zu stärken.Wenn Sie Verbraucherpolitik als Sozialpolitik anse-hen, haben Sie uns nicht auf Ihrer Seite; denn das gehörtnicht hierher.
Bei Verbraucherpolitik geht es darum, die Verbraucher-rechte zu stärken und Wettbewerb endlich wieder statt-finden zu lassen.
An diesem Punkt brauchen wir keine Schaufensterpolitikder Opposition, sondern müssen in der Verbraucherpoli-tik tatsächlich vorangehen.
Da ist die christlich-liberale Koalition Vorreiter. Wirschaffen mehr als Sie in elf Jahren Regierungsbeteili-gung.Herzlichen Dank.
Letzter Redner zu diesem Einzelplan ist der Kollege
Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wie viel ist uns unsere moderne und leistungsstarkeLandwirtschaft eigentlich wert? Diese Frage wird imdiesjährigen Haushalt, über den wir hier debattieren, be-antwortet. Dieser Haushalt zeigt insbesondere die großeWertschätzung dieser Koalition gegenüber der Landwirt-schaft, gegenüber dem ländlichen Raum und gegenüberder Ernährungswirtschaft. Ich habe bei dieser Debatteden Eindruck, dass das leider nicht bei allen so ist. Des-halb will ich feststellen: Die Land- und Ernährungswirt-schaft im ländlichen Raum ist der stabilisierende Faktordes ländlichen Raumes in der Krise. Wir sehen das bei-spielsweise an den Exportzahlen. Die Land- und Ernäh-rungswirtschaft ist in ihrer Vielfalt, mit ihrer Tradition,vor allem aber auch mit ihren Innovationen die tragendeSäule im ländlichen Raum.
Die Land- und Ernährungswirtschaft steht in derKrise vergleichsweise etwas besser da als andere Wirt-schaftsbereiche; das wissen wir. Aber wir kennen auchBereiche – sie sind schon angesprochen worden –, in de-nen es erhebliche Probleme gibt, beispielsweise bei derMilch. Wir wissen, dass wir über 100 000 betroffeneMilchviehbetriebe in Deutschland haben, die im letztenWirtschaftsjahr katastrophale Ergebnisse erzielten, ins-besondere aufgrund von krisenbedingten Absatzproble-men, zum Beispiel in Osteuropa.Wesentliche tragende Strukturen im ländlichen Raumstehen und standen auf dem Spiel. Deshalb ist das Son-derprogramm richtig. Herr Schwanitz, wenn Sie vonKlientelpolitik sprechen, muss ich fragen: Sind Land-wirte schlechter als Banken oder sonstige Arbeitnehmer?
In dieser schweren Krise haben wir in der Großen Koali-tion die Finanzmärkte stabilisiert. Wir haben vor weni-gen Wochen den Schutzschirm für die Arbeitnehmergespannt. Wir haben auch das Sonderprogramm Land-wirtschaft aufgelegt. Das alles, insbesondere das Letzte,ist wichtig für den ländlichen Raum.
Frau Wolff, nur ein Satz zur Fotovoltaik: Wir fördernsinnvoll, statt die Allgemeinheit abzuzocken, um daseinmal klarzustellen.
Mir ist bei diesem Sonderprogramm wichtig, dass wirnicht nur Milchbauern sehen – auch da unterliegen Sieeinem Irrtum, Herr Schwanitz; das wissen Sie als Haus-hälter eigentlich –, sondern wir stabilisieren auch dieagrarsoziale Sicherung durch die Erhöhung der entspre-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2855
Franz-Josef Holzenkamp
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chenden Mittel. Unsere Ministerin ist schon auf dasLiquiditätsprogramm eingegangen. Hier hat man einProgramm schnell umgesetzt. Hier ist man effizient, un-bürokratisch und wirkungsvoll vorgegangen. HerzlichenDank an die Bundesregierung, insbesondere an unsereMinisterin, Ilse Aigner. Danke schön!
Ein Satz zum Verbraucherschutz. Die Verbesserungdes Anlegerschutzes ist immer wieder angesprochenworden. Hier haben wir schnell reagiert; das ist geradeschon deutlich gemacht worden. Eines wissen wir alle:Es handelt sich beim Verbraucherschutz um einen Pro-zess, der ständig Anpassungen notwendig macht; dasweiß jeder normal denkende Mensch. Entscheidend ist,dass diese Bundesregierung nicht redet, sondern an-packt. Das machen wir sehr erfolgreich.
Jetzt noch ein Satz zur Ampelkennzeichnung – da-von, dass Sie Ihre Auffassung gebetsmühlenartig wie-derholen, wird es wirklich nicht besser –: Sie wollen ei-nen unmündigen Verbraucher produzieren.
Sie verbreiten in der Öffentlichkeit Falschinformationen,meine Damen und Herren von der Opposition.
Was haben Sie eigentlich für ein Gesellschaftsbild?
Ich will Ihnen deutlich sagen: Man muss das tun, woraufes ankommt, und nicht das, was in der Öffentlichkeitkurzfristig vermeintlich gut ankommt. Deshalb sind wirRegierung und Sie Opposition.
Ich möchte noch etwas zur Zukunft sagen, und zwarzur GAP-Reform 2013. Herr Kelber, Sie haben vorhinvon Untätigkeit gesprochen
und gesagt, wir würden uns zu wenig kümmern. Ich willIhnen ein Beispiel nennen.
Der neue EU-Agrarkommissar Cioloş
hat uns hier in Berlin besucht. Wir haben für unser Tref-fen etwa anderthalb Stunden Zeit gehabt.
Ich frage mich: Wo war eigentlich das Interesse derSPD?
Ich bin sehr froh, dass der Sprecher der SPD, WilhelmPriesmeier, dabei war. Er war der einzige Agrarpolitikerder SPD, der anwesend war. Wenn Sie hier schon Sonn-tagsreden halten, sollten Sie auch einmal Interesse an dertatsächlichen Arbeit zeigen. So, meine Damen und Her-ren, geht es jedenfalls nicht.
Als letzten Punkt will ich den Export ansprechen.Wir wissen, dass es auf der nördlichen Welthalbkugelmehr Nutzfläche als auf der südlichen Welthalbkugelgibt. Wir wissen gleichzeitig, dass im südlichen Teil derWelt mehr Menschen leben als im nördlichen Teil derWelt. Es ist ganz einfach: Das bedingt Export.
Wir wissen auch, dass wir mittlerweile in fast allen Pro-duktionsbereichen zu Nettoexporteuren geworden sind.Wir sind erfolgreich. Diesen Erfolg haben wir, insbeson-dere in den letzten Jahren, unserem Staatssekretär GerdMüller zu verdanken,
der sich hier in ganz besonderer Weise engagiert hat. Andieser Stelle sage ich der Bundesregierung aus tiefsterÜberzeugung ein ganz herzliches Dankeschön.Meine Damen und Herren, wir sind für die Zukunftgut aufgestellt. Wir packen die Zukunftsthemen an. Wirentwickeln die erneuerbaren Energien weiter. Wir ver-stehen beispielsweise auch das Problem der Nutzungs-konflikte. Wir wissen, dass wir bei der Biomassenutzungeine Kaskadennutzung – erst der Magen, dann die ener-getische Nutzung – auf den Weg bringen müssen. Hiersind wir gut aufgestellt. Wir wissen, dass sich die glo-bale Nachfrage nach Nahrungsmitteln in den nächstenJahrzehnten verdoppeln wird.
Wir haben allerdings mit der Marktvolatilität zu kämp-fen. In diesem Zusammenhang will ich noch das Stich-wort Risikoausgleichszulage nennen, für die wir Agrar-politiker uns einsetzen.Meine Damen und Herren, es gibt Zukunftsthemenohne Ende. Bei diesen Themen sind wir sehr aktiv undproduktiv. Es handelt sich um eine Wachstumsbrancheund eine Zukunftsbranche. Dafür lohnt es sich zu arbei-ten.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
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2856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 10, Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz, in der Ausschussfassung.Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der FraktionDie Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag aufDrucksache 17/1031. Wer stimmt gegen diesen Ände-rungsantrag? – Wer stimmt dafür? – Wer enthält sich? –Damit ist der Änderungsantrag mit der Mehrheit desHauses abgelehnt.
– Einigen wir uns auf hinreichend eindeutig.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-sache 17/1032? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich der Stimme? – Auch das war übersichtlich. Der Än-derungsantrag ist abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Einzelplan in der Aus-schussfassung ab. Wer stimmt gegen diese festgestellteFassung? – Wer enthält sich? – Wer stimmt dafür? – Da-mit ist der Einzelplan 10 angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen der um12 Uhr hier im Plenarsaal stattfindenden Feierstundezum 20. Jahrestag der freien Wahl zur Volkskammer derDDR unterbreche ich die Sitzung bis 13.30 Uhr. FallsSie vertrauliche Unterlagen oder private Dokumente aufIhren Plätzen liegen haben, sollten Sie die besser mit-nehmen, weil wir den Saal jetzt für die Feierstunde her-richten wollen.Die Sitzung ist unterbrochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.14 auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
– Drucksachen 17/606, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Herrmann
Norbert Barthle
Dr. Peter Danckert
Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Stephan Kühn
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor. Außerdem hat die Fraktion Die Linke einen
Entschließungsantrag eingebracht, über den wir morgen
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Danckert von der SPD-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-gen! Sehr geehrter Herr Minister! Dieser Einzelplan 06,der Haushalt des Innenministeriums, ist sicherlich nichtder größte Haushalt, aber nach meiner Einschätzung ei-ner der wichtigsten Haushalte, weil ein großer Teil desHaushaltes für Sicherheitsaufgaben, für die wir zustän-dig sind bzw. für die der Minister und sein Ministeriumzuständig sind, etatisiert ist.Wir haben die Entwicklung aufmerksam verfolgt. Dererste Regierungsentwurf war noch ein gemeinsam mituns erstellter, der Regierungsentwurf vom 16. Dezemberdann ein Entwurf der neuen Koalition. Ich sage es ganzfreimütig: Ich war sehr erfreut darüber, dass es einenAufwuchs um 75 Millionen Euro gab, darunter 44 Mil-lionen Euro für das Gebiet Migration – dazu wird dieKollegin Fograscher noch detaillierter ausführen; das istsicherlich eine richtige Maßnahme, die wir billigen –,20 Millionen Euro für die Luftsicherheit – das ist gewis-sermaßen ein durchlaufender Posten; hierdurch entstehtzwar der Eindruck, dass mehr ausgegeben wird, aber dadiese Einnahmen von den Fluggästen kommen, stelltdieser Betrag keinen wirklichen Aufwuchs für den Haus-halt dar – und 7 Millionen Euro für den von der Regie-rung verstärkten Einsatz in Afghanistan. Wenn man nunnach den Haushaltsberatungen einschließlich der Berei-nigungssitzung einen Schlussstrich zieht, dann sieht manaber, dass nicht 75 Millionen Euro mehr, sondern100 Millionen Euro weniger für den Haushalt veran-schlagt sind.Das ist natürlich ein bedauerliches Zeichen, vor allenDingen, weil es um Fragen der Sicherheit geht, aberauch – das ist mir aufgefallen und auch aufgestoßen –,weil offensichtlich der Minister selber von der Situationüberrascht wurde, als dies in der Nacht von der Koalitionbeschlossen worden ist. Es muss ihn schwer treffen,wenn seine eigene Koalition, die ihn trägt, ohne Abstim-mung mit ihm und ohne Abstimmung – das scheint mirin dieser Situation noch wichtiger zu sein – mit den be-troffenen Bundesbehörden, zum Beispiel der Bundes-polizei und dem Bundeskriminalamt, so etwas be-schließt. Hier geht es um keine kleinen Beträge. Es sindEinsparungen in Höhe von 25 Millionen Euro im Perso-nalbereich vorgesehen. Ich denke, das ist ein ganz be-denkliches Zeichen.Das fällt offensichtlich – das sage ich genauso offen –mit der Situation zusammen, dass es Bemühungen gibt,eine Neuorganisation vorzunehmen, welche aber bisherkeineswegs erfolgreich waren. Das kann man am bestennachvollziehen, wenn man sich darüber einmal mit denPersonalvertretungen unterhält oder die entsprechendenBerichte dazu liest. Die Folgen, die darin beschrieben
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werden, sind, ehrlich gesagt, desaströs. Verehrter HerrMinister, ich glaube, Sie haben in Zukunft eine Herkules-aufgabe zu leisten, wenn Sie zum Beispiel die 40 000Beamten bei der Bundespolizei davon überzeugen wol-len, dass die Neuorganisation richtig ist, und ihnengleichzeitig vermitteln wollen, dass ihre Arbeit Aner-kennung findet.Wir haben in diesem Personalbereich – das ist nichtnur von der GdP oder anderen gewerkschaftlichen Ver-tretungen festgestellt worden – einen Anteil von Burn-out-Syndrom-Betroffenen von 25 Prozent. Das ist einekatastrophale Situation. Hier muss man sich im Interesseder Sicherheit unserer Bevölkerung um eine Verbesse-rung kümmern. Das Thema Sicherheit steht ja auch beiIhnen hoch im Kurs. Aber es darf nicht nur eine Rollespielen, wenn es darum geht, eine neue Spitze einzuset-zen oder ein neues Polizeipräsidium in Potsdam zubauen, was wir unterstützen werden, wenn es sich imKostenrahmen hält. An dieser Stelle geht es auch darum,das Personal zufriedenzustellen – und das muss ange-gangen werden.Zu anderen wichtigen Aufgaben wird der KollegeHartmann sich noch äußern.Von der Situation bei der Bahnpolizei ist die Bevöl-kerung unmittelbar betroffen. In diesem Bereich gibt esPolizeireviere, die überhaupt nicht besetzt sind. Das istkein gutes Zeichen für den Umgang mit dem Personal.Aber obwohl vor Ort Personal fehlt, werden im Haushaltan dieser Stelle 25 Millionen Euro eingespart. Das isteine Fehlentscheidung der Koalition, für die ich aller-dings gar nicht den Minister selber verantwortlich ma-chen will, da mit ihm darüber gar nicht bzw. erst in letz-ter Minute gesprochen worden ist, wie wir gehört haben.Ein anderes großes Thema, das in der Kürze der Zeitbehandelt werden muss, ist der Digitalfunk. Ich darfmich in dem Zusammenhang bei den Berichterstatternbedanken, übrigens auch bei den zahlreichen Mitarbei-tern Ihres Hauses, Herr Minister – bitte richten Sie denDank aus –; ich habe das auch schon im Haushaltsaus-schuss angesprochen. Beim Digitalfunk sind wir jetzt ei-nen ersten Schritt gegangen, indem wir die Mittel fürden Regelbetrieb freigegeben haben. Das ist richtig, unddas haben wir mitgetragen, weil wir nicht dafür verant-wortlich gemacht werden wollen, wenn Dinge, die seitzehn Jahren im Gespräch sind, nicht auf den Weg ge-bracht werden. Insofern muss ich einige Pressemitteilun-gen korrigieren, in denen behauptet wurde, die Verzöge-rung liege am Haushaltsausschuss; das war nicht derFall. Der Umgang mit diesem Thema war unsäglich undkein gutes Beispiel für den Föderalismus in Deutsch-land, für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern.Hier ist viel Zeit vertan worden. Wir sind da Schlusslichtin Europa.
Alle Länder, auch Albanien, haben inzwischen den Digi-talfunk, nur Deutschland nicht. Das ist kein sehr gutesZeichen.Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auch darauf richten,dass wir bei sehr vielen kritischen Punkten noch mitKostensteigerungen rechnen müssen. Diese Punkte sindin den Berichten aus Ihrem Hause angemerkt, aber nichtquantifiziert worden. Da kann auf den Steuerzahler nocheiniges zukommen. Das ist etwas, was wir als Haushalts-ausschuss und Sie als Leiter des Ministeriums im Augehaben müssen.Zum Schluss eine Sache, die mich besonders beschäf-tigt hat. In dem Haushaltsentwurf, den Sie vorgelegt ha-ben, ist eine kleine Position, der Goldene Plan Ost, ge-strichen worden. Sie haben in den Beratungen imHaushaltsausschuss darauf hingewiesen, wie viel Sie imZusammenhang mit dem Konjunkturprogramm II getanhaben. Das bestreitet niemand. Aber im ursprünglichenHaushaltsentwurf war der Haushaltstitel für den Golde-nen Plan enthalten. Sie haben zum Ausdruck gebracht,dass – was ich Ihnen auch abnehme – die Streichung Siebesonders getroffen hat. Ich halte es für kein gutes Zei-chen, wenn die Koalition eine so minimale Position indem Haushalt des Ministers streicht, der für die neuenLänder als deren Beauftragter zuständig ist. Das hätteman verhindern müssen. Aber da mit Ihnen nicht gespro-chen worden ist, Herr Minister, haben Sie das auch nichtim eigentlichen Sinne zu verantworten. Wir dürfen hierkeine solchen negativen Zeichen setzen und das dannmit Konjunkturprogrammen verbrämen, die es zu dieserZeit schon gab. Das wird, auch wenn es sich nur um eineminimale Position handelt, in den neuen Ländern sehrernst genommen und von der Mehrheit dieses Parla-ments als ein kritisches Zeichen gewertet. In diesemSinne hätte ich mir gewünscht, dass Sie das hätten ab-wenden können. Aber wenn man als Minister nicht nachseiner Meinung gefragt wird, kann man das natürlichnicht abwenden.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Herrmann für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir habenüber den Einzelplan 06, den Haushalt des Innenministe-riums, schon zur Genüge diskutiert. Ich will an dieserStelle trotzdem noch einmal klarstellen, dass es sichnicht nur um den Haushalt des BMI handelt, sondernauch um den von 17 nachgeordneten Behörden. Sie se-hen also, wie umfassend dieser Haushalt ist.Mich wundert ganz besonders, wie Sie, Herr KollegeDanckert – wir haben in den Berichterstattergesprächenviel miteinander gesprochen –, auf die Idee kommen,dass wir, wenn es um Kürzungen im Haushalt geht, nichtmit unserem Minister sprechen würden. Wir stehen sehrwohl in ständigem Kontakt mit ihm. Wir haben alles ab-gesprochen. Dass es nicht immer ein Wunschhaushalt
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sein kann und dass man an der einen oder anderen Stelle,an der es der Minister nicht ganz so gerne sieht, streicht,ist klar. Dieses Recht des Parlamentes haben wir uns he-rausgenommen. Trotz allem gilt, dass wir sehr wohldiese Dinge mit ihm besprochen haben. Ihre Behauptungwird auch nicht dadurch wahrer, dass Sie sie fünf- odersechsmal wiederholen. Ich denke, der Minister wird dasnachher selber klarstellen.Der Entwurf für den Haushalt des BMI der christlich-liberalen Regierung enthält einen Gesamtetat von circa5,5 Milliarden Euro. Das ist ein im Vergleich zum Ge-samthaushalt eher kleiner Haushalt. Er ist aber sehrwichtig, weil es auch um die innere Sicherheit geht.50 Prozent des Haushalts entfallen auf Personalausga-ben. Deswegen gibt es nur begrenzte Sparmöglichkeiten,was es schwieriger macht, zu sparen. Nichtsdestotrotzsind 12 Prozent dieses Haushalts für Investitionen vor-gesehen. Das ist nicht von der Hand zu weisen. DieseAusgaben sind sicherlich sehr wichtig.Wir haben uns mit dem Ministerium intensiv – damitknüpfe ich an den Anfang meiner Rede an – über eineAusgabenkürzung in Höhe von 2 Prozent unterhalten.Wir Haushälter haben gemeinsam mit dem Koalitions-partner durchgesetzt, dass 2 Prozent eingespart werden.Das heißt, 110 Millionen Euro sind noch vom Ausgangs-volumen des Regierungsentwurfes abgezogen worden.Herzlichen Dank an Sie, Herr Minister, und an IhrHaus für die Informationen und für die gute Zusammen-arbeit, die insbesondere in den Berichterstattergesprä-chen zum Ausdruck kam. Wir haben viele Dinge ange-sprochen, und es sind viele Berichte – mehr als sonst –angefordert worden. Es hat außerdem sehr viele Nach-fragen insbesondere im allgemeinen Haushaltsgesprächgegeben. Diese Nachfragen betrafen den Digitalfunk,auf den ich gleich noch kommen werde, das Polizeiprä-sidium in Potsdam und den Einsatz unserer Polizisten inAfghanistan. Ich kann die Worte des Ministers im Be-richterstattergespräch nur unterstreichen, dass nicht un-gezügelte Ausgaben Sinn machen, sondern ein erfolgs-orientierter und nachhaltiger Einsatz der Mittel. Ichglaube, das erreichen wir mit unserem Haushalt.Die Koalition hat 30 Änderungsanträge gestellt. DieOpposition hat deutlich mehr Anträge gestellt, von de-nen wir einigen zugestimmt haben. Es gab aber auch ei-nige abstruse Anträge, die wir nicht annehmen konnten.Es freut mich deshalb umso mehr, dass von den 30 An-trägen, die wir gestellt haben, ein Großteil mit Stimmenaus der Opposition angenommen worden ist, teilweisesogar mit Zustimmung des gesamten Ausschusses.Ich möchte noch die Ausgaben für die Presse- undÖffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit der Ein-führung des elektronischen Personalausweises an-sprechen. Ja, wir sparen an dieser Stelle. Das geht zulas-ten – auch das ist eine Anmerkung, die der Ministergemacht hat – der Schulung derer, die in den Kommunendafür verantwortlich sind. Ich sage Ihnen aber ganz deut-lich: Zum 1. November dieses Jahres wird der elektroni-sche Personalausweis eingeführt. Daran gibt es keinenZweifel.Wir hatten Anträge für das Netz des Bundes und denDigitalfunk gestellt. Auch dort haben wir noch einmaleingespart, wohl wissend, dass wir in den nächsten Jah-ren in diesen Bereich investieren müssen.Auch bei der Ausstattung der Bereitschaftspolizeider Länder – das war ein Anliegen des Bundesrech-nungshofes – haben wir gespart. Es gibt allerdings genugQuerschnittsaufgaben, bei denen wir die Kosten nichtvollständig deckeln können, sondern gut beraten sind,die Länder zu unterstützen.Ein Anliegen bezüglich Haushaltswahrheit und -klar-heit war für uns die Flexibilisierung. Am einfachstenwäre es natürlich – auch das Ministerium würde es gerneso sehen –, wenn das Ministerium den Haushalt inGänze selbst aufstellen könnte, ohne dass wir bei einzel-nen Positionen hineinreden können. Nichtsdestotrotzsind Flexibilisierungen in Teilbereichen natürlich sinn-voll; sie erleichtern die Verwaltungsarbeit. Hier habenwir uns auf die Fahne geschrieben, die Dinge dort, wo esnotwendig und sinnvoll ist, einzuschränken.Trotz der Kürzungen, die wir vorgenommen haben– da widerspreche ich Ihnen, Herr Kollege Danckert,ganz deutlich –, geben wir 67 Prozent des Haushalts fürdas BMI für den Bereich der inneren Sicherheit aus.Das sind 3,7 Milliarden Euro. Sie können also nicht be-haupten, dass die eingesparten 110 Millionen Euro zu-lasten der Sicherheit gehen. Das ist bei weitem nicht so.
Kollege Danckert hat es eben angesprochen: DerDigitalfunk war Thema in mehreren Berichterstatterge-sprächen, und wir hatten eine Menge Fragen in Bezugauf Auftragsvergabe, Kosten und Struktur. Es gab hiereine lange Vorgeschichte. Otto Schily hat den Digital-funk als damals verantwortlicher Innenminister imwahrsten Sinne des Wortes auf die falsche Schiene ge-setzt. Die angestrebte Zusammenarbeit mit der Deut-schen Bahn hat nicht funktioniert, und dadurch ist es zuerheblichen Verzögerungen gekommen, insbesonderebei der Aufarbeitung mit den Ländern. Die Beteiligungder Länder ist nun einmal ein wesentlicher Faktor in die-sem Bereich.Ich bin froh, dass wir über den sogenannten König-steiner Schlüssel zu einer Kostenverteilung gekommensind. Wir haben uns auch über die einzuführenden Stan-dards unterhalten und sind dabei, die Ausgestaltung desKernnetzes voranzutreiben. Wir haben uns auf die An-zahl der Vermittlungsstellen, Basisstationen und Endge-räte festgelegt. Allerdings sage ich auch an dieser Stelle,dass ich nicht glaube, dass es möglich ist, heute eine zu-verlässige Aussage über die Kosten für ein Projekt zumachen, das über mehr als zehn Jahre festgeschriebenwird. Von daher wird es sicherlich noch Nachbesserun-gen geben. Ich bin froh, dass wir auch Hinweise auf dasAusschreibungsverfahren bekommen haben. Wir habendaraufhin die Mittel entsperrt. Der Interimsbetrieb kanndemnächst eingestellt und in den Regelbetrieb überführtwerden. Das bedeutet eine Kostenersparnis von 7 Millio-nen Euro im Monat.
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Herr Minister, ich finde Ihren Entschluss richtig, denDigitalfunk vom Netz des Bundes abzukoppeln, weil wirdoch erhebliche Sicherheitsprobleme haben. Wir werdenin den nächsten Monaten noch einmal darüber diskutie-ren und haben das auch mit Sperrvermerken belegt. Ichbin mir aber sicher, dass dieses Projekt im Sinne einerbesseren Ausstattung der Behörden und Organisationenmit Sicherheitsauftrag vor Ort äußerst wichtig ist.Lassen Sie mich auch noch etwas zu Afghanistan sa-gen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass auf der LondonerKonferenz Beschlüsse gefasst worden sind, die die Ar-beit in Afghanistan auf militärischer, ziviler, aber ebenauch auf polizeilicher Ebene voranbringen. Deutschlandhat als Lead-Nation beim Aufbau der Polizei in Afgha-nistan in den zurückliegenden Jahren sicherlich das eineoder andere Problem gehabt. Aber wir sind bemüht, die-ses Defizit aufzuarbeiten und stellen noch einmal zusätz-liche 7,5 Millionen Euro für die deutsche Mission, aberauch für EUPOL, wo 45 Beamte eingesetzt sind, zurVerfügung.Wir werden die Zahl der Ausbilder auf 200 steigern.Das ist wichtig, damit die ANP, also die afghanischePolizei, demnächst auch selber ausbilden und ihre Auf-gaben übernehmen kann. Das geschieht an den dreiStandorten der Bundeswehr und in Kabul. Es ist ja nichtso, dass wir nicht erfolgreich gewesen wären. Seit 2002haben circa 30 000 afghanische Polizeioffiziere und -be-amte die Ausbildung durchlaufen; das ist sicherlich einehohe Zahl. Wir haben uns das Ziel gesetzt, in den nächs-ten drei Jahren noch einmal 15 000 zu schulen.Wichtig ist, dass wir auch in diesem Bereich Hilfe zurSelbsthilfe leisten. 500 afghanische Ausbilder sollendemnächst die Arbeit der deutschen Ausbilder überneh-men. Das Ziel, 80 000 Mann im Dienste der afghani-schen Polizei zu haben, ist sicherlich wichtig. Die Um-setzung des Focused District Development Programerscheint mir auch erforderlich, damit wir in die Flächehinausgehen und diese Aufgabe vor Ort leisten können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja, bitte.
Herr Kollege, Sie nennen Zahlen zum Polizeiaufbau
in Afghanistan. Ich war vor zehn Tagen dort und habe
auch mit den Polizeiausbildern in Kunduz und Masar-i-
Scharif gesprochen. Die Zahl von über 30 000 Beamten
oder Angestellten der Polizei in Afghanistan, die Sie ge-
nannt haben, versehe ich mit einem großen Fragezei-
chen. Ich frage Sie: Können Sie etwas dazu sagen, wo
die eigentlich geblieben sind? Wie viele sind nach Ihrer
Kenntnis oder der des Bundesinnenministeriums nach
wie vor als Polizisten in Afghanistan tätig und wo, und
wie viele von ihnen waren „Schwund“? Man spricht von
zwischen 30 und 50 Prozent. Entweder sind sie anschlie-
ßend zu Hause geblieben, oder sie haben sich bei ande-
ren afghanischen Sicherheitsbehörden verdingt oder sind
sogar zu den Taliban gegangen. Können Sie darüber
konkrete Auskunft geben? Nach dem, was mir dort ge-
sagt worden ist, gibt es derzeit eine afghanische Polizei
in Begleitung von deutscher Polizei in lediglich acht von
120 Distrikten und auch nur im Norden.
Herr Ströbele, 30 000 ist die Zahl, die mir vom Innen-ministerium genannt worden ist. Dabei handelt es sichum Sicherheitskräfte, die geschult worden sind. Wo dieanderen geblieben sind, müssen Sie die afghanische Re-gierung fragen; denn wir führen keine Personalakten.Als Sie in Afghanistan waren, hätten Sie sicherlich dieGelegenheit gehabt, mit den afghanischen Entschei-dungsträgern zu sprechen.Das Personalsystem in Afghanistan ist leider nicht soausgefeilt wie hier. Denken Sie an die Probleme, die da-mals bei der Auszahlung des Lohnes aufgetreten sind.Das kann nicht bargeldlos erfolgen, sondern da wird dasGeld direkt in die Hand gegeben. – Der eine oder anderewird sicherlich abhandengekommen sein. Entscheidendist aber doch – das beantwortet auch Ihre Frage –: Esgeht nicht nur darum, wer von der Fahne gegangen ist.Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Qualitätder Ausbildung, die wir zur Verfügung stellen, dazuführt, dass weniger Polizeioffiziere oder -beamte in Af-ghanistan getötet werden; denn wir haben im Bereich derPolizei höhere Verluste als beim Militär. Wenn Sie nä-here Informationen möchten, dann wird Ihnen die afgha-nische Botschaft diese sicherlich zur Verfügung stehen.
Wir haben viel über die Polizeibeamten gesprochen.Ich möchte an dieser Stelle denjenigen meinen herzli-chen Dank aussprechen, die ihren Dienst in Afghanistanfreiwillig versehen. Das ist nicht immer ganz leicht; dassollte man an dieser Stelle unterstreichen.
Zum Schluss möchte ich noch auf ein Erfolgsrezeptzu sprechen kommen, das möglicherweise demnächstsogar in China umgesetzt wird. Das hat mir zumindestder Präsident der Organisation gesagt, die auch im In-land ein sehr hohes Ansehen genießt. Ich spreche vomTHW. Wir können es tagtäglich verfolgen: Egal welcheEinsätze es wahrnimmt, ob der Einsturz des Stadtarchivsin Köln, beim Wirbelsturm Nargis in Myanmar, beimErdbeben in China oder aktuell in Haiti und Chile, aberauch die kleinen Hilfseinsätze vor Ort – all das wird inDeutschland zur Kenntnis genommen. Es gibt ein hohesAufgabenspektrum.Ich möchte an dieser Stelle lobend erwähnen, dass wirin diesem Bereich 80 000 ehrenamtliche Helfer haben;dem stehen lediglich 800 hauptamtliche Helfer gegen-über. Ich glaube, wenn man weiß, welche Arbeit vonihnen geleistet wird, dann kann man das gar nicht hochgenug schätzen. In den 668 Ortsverbänden wird her-
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vorragende Arbeit geleistet. Der Haushalt, der mit178 Millionen Euro veranschlagt ist und noch einen klei-nen Aufwuchs erfahren hat, ist damit sehr gut aufge-stellt, insbesondere unter dem Aspekt, dass nur25 Prozent des Etats für Personalausgaben eingestelltworden sind.Auf den Bereich Sport gehe ich nur noch am Randeein; der eine oder andere Kollege wird dazu bestimmtgleich Stellung nehmen. Es ist ein wichtiges Thema, ins-besondere nach den Winterspielen in Vancouver, aberauch im Hinblick auf die Paralympics, die derzeit statt-finden. Ich wünsche unseren Athletinnen und Athletenalles Gute und auch, dass sie noch viele Medaillen errin-gen. Das wird für die Zukunft wichtig sein; denn der Er-folg hängt eng mit der Bewerbung Münchens zusam-men. Wenn wir uns in der Welt gut präsentieren, wird dieChance, dass wir die Olympischen Winterspiele 2018nach München holen, sicherlich steigen.Ich weiß, dass wir in Zukunft sparen müssen – wirwerden in diesem Jahr noch über die Haushaltsaufstel-lung für das Jahr 2011 diskutieren –, wenn wir die imGrundgesetz verankerte Schuldenbremse einhaltenwollen. Das wird nicht einfach; aber ich bin der festenÜberzeugung, dass wir dies in gemeinsamer Arbeit auchmit dem Bundesinnenministerium bewerkstelligen kön-nen.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol-
lege Jan Korte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir reden über den Einzelplan 06 mit einem Volumenvon ungefähr 5,6 Milliarden Euro. Es geht um den Haus-halt des Bundesministeriums des Innern. Deswegen ver-wundert es nicht, das zwei Drittel der Mittel für die in-nere Sicherheit vorgesehen sind. Ich kann hier und heutenicht über die gesamte verfehlte Innenpolitik der letztenJahre referieren und will mich deshalb auf die besondersverfehlten Punkte Ihrer Innenpolitik konzentrieren.Man sieht dem Haushaltsentwurf an, dass mitnichteneine Änderung der Innenpolitik verfolgt wird, obwohldie FDP das angekündigt hat. Vielmehr wird fortgesetzt,was Schäuble und vorher Schily an Akzenten in der In-nenpolitik gesetzt haben. Es gibt keine Kurskorrektur inder Innenpolitik, auch nicht mit der FDP in der Regie-rung. Das finden wir natürlich sehr schade. Namens desKampfes gegen den internationalen Terrorismus wirdauch mit diesem Haushalt eine Politik fortgesetzt, dieerstens auf Aufrüstung im Bereich der inneren Sicher-heit, zweitens auf Zentralisierung und drittens auf Mili-tarisierung der Innenpolitik setzt. Das kritisieren wir alsLinke grundsätzlich. Eine Umkehr in der Innenpolitikwäre dringend nötig gewesen.
Statt Unsummen in neue technische Überwachungs-maßnahmen – Stichwort: Nacktscanner – zu stecken,wäre es vielleicht ratsam gewesen, mehr in Personal zuinvestieren. Sie haben das auf unsere Kleine Anfrage hinja auch eingestanden. Wenn wir über öffentliche Sicher-heit, zum Beispiel an Flughäfen, reden, dann müssen wirnatürlich auch darüber reden, dass in diesem Bereich inden letzten Jahren massiv privatisiert wurde. Eine Tätig-keit wie die Fluggepäckkontrolle, die früher insbeson-dere von Beamtinnen und Beamten – gut ausgebildet, im-mer wieder geschult und vor allem vernünftig bezahlt –erledigt wurde, wird jetzt von privaten Dienstleistern zuDumpinglöhnen ausgeübt. Das kann nicht sein. Hierwäre eine Umkehr nötig gewesen. Wir brauchen mehrStaat bei der Sicherheit und keine Dumpinglöhne; denndas führt zu weniger Sicherheit. Von einer solchen Um-kehr ist in diesem Haushaltsentwurf aber nichts zu se-hen.
Da wir immer differenzierte Sachpolitik machen, be-grüßen wir ausdrücklich, dass es im Etat des Bundesbe-auftragten für den Datenschutz einen gewissen Auf-wuchs bei den Mitteln gibt. Das ist erst einmalerfreulich. Trotzdem – das gehört zu einer differenzier-ten Betrachtung natürlich dazu – steht das in überhauptkeinem Verhältnis zu den Skandalen und Sauereien, diewir im privaten Bereich in den letzten Monaten in derWirtschaft vernommen haben. Wir hätten es für sinnvollbefunden, hier deutlich mehr Mittel einzusetzen, damitder Bundesdatenschutzbeauftragte in Zusammenarbeitmit seinen Länderkollegen auch einmal die staatlicheSammelwut stärker in den Fokus nehmen könnte. Das istin der Tat zu wenig. Aber immerhin: Ein wenig mehrgibt es.Was ich an dem Haushaltsentwurf noch ganz span-nend finde: Ich habe mir das FDP-Wahlprogramm ange-schaut,
und ich habe mir den Koalitionsvertrag noch einmal an-geschaut; man bereitet sich vernünftig vor. Groß ange-kündigt wurde – das ist interessant – die BundesstiftungDatenschutz. Die wollten Sie; die haben Sie immer wie-der propagiert. Im Haushaltsentwurf findet man 0 Centdafür. 0 Cent sind für dieses Projekt angesetzt.
– Kollegin Piltz, vielleicht sagen Sie uns nachher einmal,was aus diesem spannenden Projekt werden soll.Ich möchte einen dritten Punkt zum Datenschutz kurzansprechen. Nach dem Karlsruher Urteil zur Vorrats-datenspeicherung, die Sie nicht zu verantworten haben– das muss man der Fairness halber dazusagen –, wäre esan der Zeit gewesen, einmal innezuhalten, in sich zu ge-hen und zum Beispiel bei ELENA, der Vorratsdatenspei-cherung für Sozialdaten, das Stoppzeichen zu setzen unddieses Vorhaben auf Eis zu legen. Wir fordern ein Mora-torium für diese Massenspeicherung von Sozialdaten.Zum Glück haben schon 8 000 Leute Klage eingereicht.
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Stoppen Sie dieses Großprojekt! Es wird im Zweifelwieder kassiert werden.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungs-schutz, Herr Fromm, hat noch einmal begründet, warumman die Linke unbedingt weiter beobachten sollte.
Das wäre in der Tat ein ganz praktisches Einsparpoten-zial von mehreren Millionen Euro. Das würden wir so-fort mittragen.
Die Linke macht nicht ständig verfassungswidrige Ge-setze, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, umdas einmal klar zu sagen. Stoppen Sie die Überwachungder Linken. Das ist eine antidemokratische Methode derpolitischen Auseinandersetzung.
Noch ein Punkt, den ich ansprechen möchte: Wir re-den hier über innere Sicherheit. Wenn man wirklich et-was für die öffentliche Sicherheit in diesem Land tunmöchte, wäre ein verstärkter Kampf gegen den Rechts-extremismus vonseiten der Bundesregierung ange-bracht.
In diesem Bereich herrscht aber völlige Fehlanzeige.Das kann man daran erkennen, dass die Bundesregie-rung weder die Statistiken ihrer eigenen staatlichen Stel-len zur Kenntnis nimmt noch auf Opferverbände hörtund auch nicht zur Kenntnis nimmt – das hat die Amadeu-Antonio-Stiftung gerade veröffentlicht –, dass seit 1990in diesem Land 149 Menschen von Rechtsextremistenermordet worden sind. Das wäre doch ein Grund gewe-sen, endlich aufzuwachen. Stattdessen schwafeln Sievon einem völlig unbelegten Extremismusbegriff. Siehaben keine Ahnung, was in einigen Gegenden in die-sem Land abgeht. Hier wäre eine Umkehr nötig.
Deswegen fordern wir für das nächste Jahr mit Blickauf die Mittel für die Bundesprogramme, dass Sie umkeh-ren. Sie sollten die vielen Organisationen, die in diesemLand eine hervorragende Arbeit machen, nicht immerwieder verunsichern, ob sie ihre Projekte weiterfinanzie-ren können, sondern endlich eine Garantie geben, dassdiese Projekte dauerhaft auf einem hohen Level finanziertwerden. Unsere Anerkennung haben diese Organisatio-nen, die alltäglich gegen Rassismus und Antisemitismuskämpfen.
Ich komme zu einem weiteren grundsätzlichen Punkt.Das BMI ist ja jetzt auch für Ostdeutschland zuständig.Ich sage das, weil das noch keiner mitbekommen hat.Hierzu mehrere Hinweise: Immer noch werden in Ost-deutschland geringere Löhne gezahlt. Das bedeutet vorallem eine Abwanderung von jungen Menschen aus Ost-deutschland. Ich erlebe das täglich in meinem Wahlkreis.Dies führt wiederum zu einem Ausbluten der ehrenamt-lichen Strukturen, zum Beispiel beim THW und in ande-ren wichtigen Bereichen des Katastrophenschutzes.1,7 Millionen Menschen in Ostdeutschland leben vonHartz IV. Jedes vierte Kind in Ostdeutschland wächstunter Armutsbedingungen auf.Der für Ostdeutschland zuständige Minister sagt dazunichts. Der Vorschlag im Innenausschuss war, eine Ar-beitsgruppe zu bilden und darüber zu diskutieren; daskann man im Protokoll nachlesen. Das ist, finde ich, et-was wenig. Vom zuständigen Minister, von dieser Bun-desregierung kommt zum Thema Ostdeutschland über-haupt nichts: null Ansage, null Plan, keine Idee, ambesten gar nicht darüber sprechen.In dem Zusammenhang würde mich interessieren – Siereden ja gleich noch, Herr Minister –, was Sie zu den ge-planten Kürzungen der Förderungen im Solarbereichsagen. Denn das ist insbesondere für Ostdeutschlandschlecht. In Bitterfeld-Wolfen in meinem Wahlkreis sinddie Industriearbeitsplätze, die in den letzten Jahren ent-standen sind, allesamt in der Solarbranche entstanden.Mich würde interessieren, was der für Ostdeutschland zu-ständige Minister von diesen Plänen der Koalition hält.
Vielleicht sollten Sie Ihren Kollegen Seehofer unterstüt-zen, der fordert, dass man diese Kürzungen so nichtdurchführt.Wenn man über Ostdeutschland redet, ist ein weitererPunkt, den ich mir angesehen habe, interessant. Es gehtbei diesem Gesamthaushalt um Milliardenbeträge; dafallen 2 Millionen Euro nicht besonders auf. Wenn manin den Kommunen bis dato 2 Millionen Euro zur Förde-rung von ostdeutschen Sportstätten hatte, dann ist dasin der Gesamtsumme nicht viel, aber für die einzelneKommune, die einen Bolzplatz für Jugendliche und fürKinder und einen Sportplatz für den Breitensport unter-hält, ist das sehr viel. Dass Sie ausgerechnet diese2 Millionen Euro wegkürzen, können wir nicht verste-hen. Das werden wir auch nicht akzeptieren.
Das kann nicht sein, wenn man sich ansieht – ich habemir die Zahlen heute herausgesucht –, dass 60 Prozentder Sportstätten in Ostdeutschland sanierungsbedürftigsind. Man sollte diesen „Goldenen Plan Ost“ aufstocken,damit es auch für Kommunen im Westen Mittel gibt unddie Kommunen im Osten weiterhin Mittel bekommen.Das wäre eine richtige Politik. Dass Sie ausgerechnetdiese 2 Millionen Euro wegkürzen, ist absurd.
Das zeigt deutlich, was Sie für Ostdeutschland übrig ha-ben, nämlich überhaupt nichts.
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Letzter Punkt, den ich ansprechen möchte. Der Ein-zelplan 06, der darstellt, wie Sie sich die Innenpolitik dernächsten Monate weiter vorstellen, setzt die Politik desAbbaus der Grundrechte fort, hat null Interesse an Ost-deutschland, hat null Ideen für Ostdeutschland. Zur Be-kämpfung des Rechtsextremismus, die eigentlich ein ge-samtgesellschaftliches Projekt sein sollte von derZivilgesellschaft bis in den Bundestag und die Bundesre-gierung, ist von Ihnen überhaupt nichts zu hören. Sieverharmlosen und nehmen nicht zur Kenntnis. Deswe-gen lehnt die Linke auch diesen Einzelplan aus tiefstemHerzen und aus tiefster Überzeugung ab. Wir forderneine Umkehr in der Innenpolitik.Auf die FDP kann man in der Tat leider gar nicht set-zen. Sie haben bis jetzt nichts durchbekommen. Daserste Projekt, bei dem Sie eine Umkehr hätten erreichenkönnen, war SWIFT. Sie hatten keine Chance, dasdurchzusetzen.
Ich bin gespannt, was Sie im Bereich der Vorratsdaten-speicherung machen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger,wir werden Sie in Ihrem Kampf gegen Ihren eigenen Ko-alitionspartner auf jeden Fall unterstützen.
Wenn Sie eine Vorratsdatenspeicherung insgesamt ver-hindern wollen, haben Sie unsere volle Unterstützung.Ich hoffe, dass Sie sich durchsetzen werden.In diesem Sinne wünsche ich noch eine spannendeDebatte.
Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichglaube, der Einzelplan 06 in der jetzigen Fassung ist eingutes Gesamtkunstwerk. Er zeigt, dass man intelligentsparen kann, dass es möglich ist, innere Sicherheit zu ge-währleisten, gleichzeitig den Datenschutz zu stärken undauch einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaus-halts zu leisten.
Kollege Danckert, ich werde nicht müde zu sagen: Eskann nicht angehen, auch nicht für eine Oppositionsfrak-tion, dass die SPD in Gestalt des Kollegen Schneider amDienstag sagt, wir würden zu wenig sparen, dass Sie,wenn wir es tun, aber am Donnerstag derjenige sind, dergenau das kritisiert.
Das ist inkonsequent. Sprechen Sie in Ihrer Fraktion mit-einander, und verhalten Sie sich in dieser Hinsicht einwenig konstruktiver.
– Kollege Danckert, aus Sicht der Fachpolitiker gibt esfast nur Sonderthemen.
Ich glaube, dass wir hier eine andere Denkweise brau-chen. Es geht nicht um die Frage „Wie viel?“, sondern esgeht um die Frage: Was wird mit dem Geld gemacht,und was wird mit dem Geld erreicht?
Sicherheit ist für diese Koalition kein Selbstzweck.Sie ist kein Spielfeld, auf dem man mit Symbolik operie-ren kann. Sicherheit eignet sich auch nicht für Spiele mitden Ängsten der Bürger, sondern sie dient der Verwirkli-chung der Freiheit der Bürger, sie dient unserer freiheit-lichen Ordnung.
Diesen modernen Sicherheitsbegriff vertreten wir.In diesem Sinne kümmern wir uns auch nicht darum, unsneue Gesetze, Eingriffsbefugnisse oder Überwachungs-maßnahmen auszudenken, sondern wir tun ganz prakti-sche Dinge.
– Kollege Danckert, wir haben keine Stellen eingespart,wie Sie es gesagt haben.
Wir haben lediglich Personalkosten, die nicht benötigtwerden, eingespart,
aber Stellen ausdrücklich nicht. Es gibt im Haushalt einepauschale Stelleneinsparung, von der der gesamte Be-reich der Sicherheit ausgenommen ist. Ich glaube, daswissen Sie auch. Deswegen sollten Sie hier nichts vonStelleneinsparungen erzählen.Wir tun andere Dinge. Wir bringen nun endlich einProjekt auf den Weg, das im Grunde eine Altlast ist – derKollege Herrmann hat es schon angesprochen –: denBOS-Digitalfunk. Unsere Sicherheitsbehörden brau-chen diese modernen Funksysteme; das ist völlig unbe-stritten.
Es ist allerdings ziemlich ernüchternd, festzustellen, wieweit wir bei diesem Projekt bisher sind und was allesnoch aussteht. Dieses Projekt hat diese Koalition geerbt.Jetzt kümmern wir uns darum, dass die Sicherheitsbe-hörden mit einem entsprechend guten Digitalfunk aus-gestattet werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2863
Florian Toncar
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– Womöglich, Kollege Danckert, hat dieses ganze Miss-management auch unter Beteiligung Ihrer Fraktion statt-gefunden; aber sei es drum.
Wir sollten den Blick nach vorne richten. Natürlichgibt es einige Bereiche, in denen wir Haushälter erwar-ten, dass das Management besser wird. Herr Minister, esmuss zum Beispiel ermöglicht werden, dass Erfahrun-gen, die dort, wo Digitalfunksender bereits installiertsind, gemacht werden – beispielsweise ob die Dichte derinstallierten Anlagen ausreicht, um die Netzabdeckungzu gewährleisten, oder nicht –, sofort in die Planungsver-fahren in ganz Deutschland eingearbeitet werden, damites hier nicht zu weiteren Verzögerungen oder unange-nehmen Überraschungen kommt. Das Management indiesem Bereich kann und muss noch besser werden.Außerdem müssen wir alle Bundesländer ermuntern– ich glaube, hier sind wir uns einig –, das Ihre dazu bei-zutragen, dass diese Anlagen installiert werden können.Die Situation ist von Bundesland zu Bundesland sehr un-terschiedlich. Ich glaube, auch hier gibt es Defizite. Mitden Bundesländern, die in diesem Bereich Nachholbedarfhaben, werden wir deutlicher reden müssen, als es bisherder Fall gewesen ist.
Das sind im Übrigen Punkte, an denen man etwas Kon-kretes für die Sicherheit tun kann, ohne ständig neue Ge-setze auf den Weg zu bringen, die eher eine symbolischeBedeutung haben.Die Polizeiausbildung in Afghanistan ist bereits an-gesprochen worden. Ich glaube, das ist eine besonderswichtige Aufgabe. Ich kann mich dem Dank des Kolle-gen Herrmann an die Beamten, die dort tätig sind, nuranschließen und das Ministerium bitten, weiterhin da-rauf zu achten – ich weiß, Sie tun das –, dass diejenigen,die sich für diese schwierige Aufgabe zur Verfügung ge-stellt haben, auch Vorteile davon haben, wenn sie wiederin Deutschland sind, und zwar nicht nur in materiellerbzw. finanzieller Hinsicht, sondern auch im Hinblick aufihre Laufbahn.Wir werden 100 neue Ausbilder für die Polizeiausbil-dung in Afghanistan bereitstellen und damit endlich dieinternationalen Verpflichtungen erfüllen, die Deutsch-land schon vor Jahren eingegangen ist. Das ist ja keineneue Aufgabe für Deutschland, sondern etwas, was ei-gentlich schon vor Jahren hätte geschehen müssen, abernicht geschehen ist. Es wird also etwas nachgeholt. Auchhier hat diese Koalition ganz konkrete Verbesserungenerzielen können.Darüber hinaus stärken wir den Datenschutz. Kol-lege Korte, die Stiftung Datenschutz wird gegründet; dasist fest vereinbart. Da Sie diese Stiftung so vehement ge-fordert haben, rechne ich damit, dass Sie an dem Tag, andem wir sie einrichten – das ist in Arbeit –,
nicht nur eine Einladung bekommen, sondern dass Sieuns, da Sie ja – wie wir Sie kennen – eine ganz konstruk-tive Opposition sind,
auch loben werden, sobald wir dieses Vorhaben in dieTat umgesetzt haben. Damit rechne ich, wie gesagt, festund freue mich bereits auf diesen Tag.
Wir haben auch die Stellung des Bundesdaten-schutzbeauftragten gestärkt; das hatte die FDP übri-gens schon in den vergangenen Haushaltsberatungen ge-fordert.
Der EuGH hat geurteilt, dass die Stellung des Daten-schutzbeauftragten so angelegt sein muss, dass dessenUnabhängigkeit sichergestellt ist. Wir werden uns überle-gen müssen, Herr Minister, wie wir die Unabhängigkeitdes Bundesbeauftragten für den Datenschutz so gewähr-leisten können, dass erfüllt wird, was das europäischeRecht von Deutschland fordert.Etliche Projekte im Haushalt haben eine hohe Daten-schutzrelevanz. Ich erwähne den elektronischen Perso-nalausweis.
Wir haben an dieser Stelle, wie die FDP das immerwollte, dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeitsarbeit aufdas beschränkt wird, was nötig ist, nämlich eine sachli-che Information.
– Kollege Wieland, ich darf Sie darauf hinweisen – nurdass Sie auf dem Informationsstand eines Haushälterssind –: Die Grünen – fragen Sie Ihren Kollegen! – woll-ten, dass wir 3,5 Millionen Euro streichen. Wir haben4 Millionen Euro gestrichen.
Wir sind also über das, was die Grünen in ihrem Antraggefordert haben, hinausgegangen.
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2864 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Florian Toncar
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Insofern dürfte sich Ihr Zwischenruf an dieser Stelle inder Sache erledigt haben. Informieren Sie sich, sprechenSie miteinander! Wir haben mehr gemacht, als die Grü-nen beantragt haben.
Sie sollten uns loben, statt uns Vorwürfe zu machen!
– Kollege Danckert, es ist ja schön, dass ich Sie so he-rausfordere. Aber ich darf Sie darauf hinweisen: Dassder elektronische Personalausweis kommt, steht im Ge-setz. Das hat nicht die FDP beschlossen, das haben an-dere Mehrheiten beschlossen.
Es ist bemerkenswert, dass Sie das uns vorwerfen. Wirhaben natürlich bestimmte Anforderungen an den elek-tronischen Personalausweis. Deswegen sagen wir: Damuss nachgesteuert werden. Mit einer absoluten Mehr-heit würden wir über den elektronischen Personalaus-weis vielleicht anders entscheiden. Aber wir sind eineRechtsstaatspartei; deswegen müssen wir, ob es uns ge-fällt oder nicht, durchführen, was Sie ins Gesetz ge-schrieben haben.
Dabei will ich nicht verhehlen, dass wir als FDP an die-ser Stelle etwas anderes gemacht hätten.
Es gibt im Bereich Datenschutz weitere Aufgaben.Weil meine Redezeit fast abgelaufen ist, will ich nurnoch das Projekt Arbeitnehmerdatenschutz anspre-chen. Wir wollen den Arbeitnehmerdatenschutz stärken.Das ist ein Projekt, das die FDP-Fraktion mit hoher Prio-rität verfolgt.Nachbesserungsbedarf sehen wir auch beim ThemaELENA. Auch dort gibt es Entwicklungen, die wir miteinarbeiten müssen, wie das aktuelle Urteil des Bundes-verfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung.Es gibt im Bereich Datenschutz also noch vieleDinge, die diese Koalition aus Sicht der FDP-Fraktionanpacken muss.Insgesamt bietet der Haushalt die Grundlage dafür,dass wir innere Sicherheit und Datenschutz sowie dieRechte und Freiheiten der Bürger gut miteinander inEinklang bringen können. Wir werden dem Haushaltselbstverständlich zustimmen.
Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen ist der nächste Redner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Herrmann, Herr Kollege Toncar, ich bin Ihnenrichtig dankbar. Ich habe gestern zugehört, als die Kanz-lerin geredet hat. Sie sprach von der „Herkulesaufgabe“,den Haushalt zu sanieren. Der Bundesfinanzministerkündigte an, er wolle das Steuer radikal in Richtung Spa-ren herumreißen.Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Wo denn eigent-lich? Wo sind die Sparschritte? Nun haben Sie mich auf-geklärt, Herr Kollege Herrmann, dass wir sie hier finden,dass die 110 Millionen Euro, die Sie als Haushälter ge-genüber dem Ansatz des Ministeriums eingespart haben,der entscheidende Schritt seien. Wie soll das sein ange-sichts der 80 Milliarden Euro – wir rechnen sogar mit100 Milliarden Euro –, die der Haushalt diesmal in dieMiesen geht?
– Frau Piltz, zu Ihnen komme ich noch in aller Ausführ-lichkeit.Diese Regierung, diese Koalition verhält sich wie einAutomobilkonzern, der ankündigt, dass er neue Sparmo-delle vorstellt. Dann zieht der Vorstandsvorsitzende amVorhang, und da stehen die alten Spritschleudern mitneuen Chromleisten. Auf Fragen sagt er: Die Sparmo-delle kommen nächstes Jahr. Auf die Frage, ob er nichteinen Prototyp oder wenigstens eine Skizze hat, sagt er:Die Skizze kommt im Mai; denn dann haben wir dieneueste Ölpreisschätzung. So glauben Sie sich drückenzu können vor der Aussage, wo Sie denn sparen wollen
und was das denn bedeutet für die innere Sicherheit. TunSie hier doch nicht so, als ob Sie wirklich konsolidierenund dabei den Bereich innere Sicherheit ausnehmenkönnten. Sämtliche Bundesländer haben immer, sozusa-gen litaneiartig, erklärt: An der inneren Sicherheit wirdnicht gespart. – Genau das haben Sie getan, und Sie wis-sen es auch. Sie versuchen, die Stunde der Wahrheit vorsich herzuschieben. Diese Stunde wird aber kommen.Dann werden wir sehen, was diese Koalition zu leistenin der Lage ist.
Mit diesem „Ab morgen wird gespart, und darauf gebeich heute noch einen aus“ können Sie uns nicht überzeu-gen, selbst wenn wir uns – und das tun wir – über mehrMittel für den Datenschutzbeauftragten freuen und wennwir auch sagen, für die Polizei im Ausland müsse mehrgetan werden. Das alles ist ja richtig, aber das ist nichtdie Herkulesaufgabe, von der die Kanzlerin geredet hat.
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Wolfgang Wieland
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Geld auszugeben, ist einfach,
Geld einzusparen, ist es nicht. Hier hören wir bisher nurRhetorik. Wir hören auch nur rhetorische Girlanden hin-sichtlich der angekündigten bürgerrechtlichen Wende.Das hat Ihre Fraktionsvorsitzende Homburger gestern jagesagt: Wir balancieren Freiheit und Sicherheit neu aus. –Wo geschieht das denn?
Erstes Beispiel. Die Kollegin Piltz hat nicht etwa er-klärt: „Wir informieren jetzt korrekt und objektiv überden E-Personalausweis“, sondern sie hat in der NeuenOsnabrücker Zeitung gesagt: Wir wollen ihn für ganzezehn Jahre bis 2020 aussetzen. – Die Internetgemeindehat gleich Hurra gebloggt und geschrieben: Deswegenhaben wir die FDP gewählt. – Ja, und was machen Sieheute? Sie heben heute die Hand für mehr Planstellenbeim Bundesverwaltungsamt, für Forschung auf demGebiet der Biometrie und für eine abgespeckte staatlichePropagandaoffensive hinsichtlich dieses E-Personal-ausweises. Das ist angewandte Schizophrenie. Sie redenvon einem Unsicherheitspapier und bewilligen das Gelddafür.
Das zweite Beispiel, das BKA-Gesetz, wurde hierauch schon angesprochen. Herr Toncar sagt stolz: DiePlanstellen, die wir dafür vorgesehen haben, wird es ge-ben. – Für die neue Aufgabenwahrnehmung werden esdann insgesamt 130 Planstellen mehr beim Bundeskri-minalamt sein – allesamt für Befugnisse, die die FDP be-kämpft hat und gegen die die FDP durch ihre famosenVertreter Baum und Hirsch – leider nicht mehr ganz ak-tuell, aber immer noch famos – in Karlsruhe vor Gerichtzieht.
Diese Methode von Ihnen, sowohl auf Klägerseite alsauch auf Beklagtenseite zu sein, soll jetzt offenbar dieständige Praxis werden. Forensisch können Sie damitnur gewinnen, weil Sie auf beiden Seiten sind. Hinsicht-lich der Glaubwürdigkeit verlieren Sie aber, und zwar ra-sant.
Frau Kollegin Piltz, das muss ich Ihnen hier so sagen,weil Sie uns hier jahrelang erklärt haben, welche Versa-ger die Grünen auf bürgerrechtlichem Gebiet sind.
Sie haben mit Frau Leutheusser-Schnarrenberger ge-radezu darum gerangelt – das ist noch kein Jahr her –,wer vor den Booten der Piratenpartei vor dem Schöne-berger Rathaus die Seeräuber-Jenny spielen darf, ob Sieoder Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Ja, das ist nochkein Jahr her. Jetzt müssen die Gondeln der FDP Trauertragen.
Wir tun das allerdings nicht. Wir halten es mit Lotharde Maizière, der heute Freiligrath zitiert hat:Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht. – Unserdie Welt trotz alledem.Das wird heute um 15 Uhr vor dem Brandenburger Torgesungen werden, und wir werden hier im Herbst wiedereine Demonstration „Freiheit statt Angst“ von den vielenerleben, die diese Wende erzwingen wollen und die mitdem, was Sie bisher geboten haben, wirklich nicht zu-frieden sind.
Nun hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomasde Maizière, das Wort.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Das Hohe Haus, die Mitglieder des Haushalts-ausschusses, hat sich bei meinen Mitarbeitern und mirfür die professionelle Zuarbeit bedankt. Ich will dasgerne zurückgeben und mich für die konstruktive undprofessionelle Beratung dieses Einzelplans sehr herzlichbedanken.Herr Abgeordneter Danckert, damit hier kein Miss-verständnis aufkommt: Dazu gehört auch, dass sämtlicheAnträge, die die Koalition beschlossen hat, dass sämtli-che Beschlüsse vorab mit mir besprochen worden sind.
– Nein, nein, ehrlich gesagt: Wann wir das besprechen
– vielen Dank –, das ist Datenschutz.
Richtig ist, dass alle Ressorts eine Kürzungsauflagevon 2 Prozent erhalten haben. Wir sind hier ja unter uns:Ich kann Ihnen verraten, dass wir als Exekutive uns auchüberlegt haben, wo diese 2 Prozent so einzusparen sind,dass die Aufgabenerfüllung gerade nicht beeinträchtigtwird. Im Bereich des Personalhaushalts der Bundes-polizei ist es zum Beispiel so,
dass der Abstand zwischen den Soll-Ausgaben und denIst-Ausgaben der vergangenen Jahre es ermöglicht, dievon Ihnen genannte Summe einzusparen, ohne dass eine
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizièreeinzige Stelle gestrichen, ohne dass die öffentliche Si-cherheit ein einziges Mal gefährdet und ohne dass dieBundespolizei auch nur im Ansatz in ihrer Aufgaben-erfüllung beeinträchtigt wird. Es handelt sich um eineEinsparung von Soll-Ausgaben, die die öffentliche Si-cherheit nicht gefährdet. Deswegen habe ich dem zuge-stimmt.
Am Schluss meiner Rede werde ich auf einen Punktzu sprechen kommen, bei dem ich anderer Meinung war.Es geht dabei um den Goldenen Plan Ost, über den wirim Ausschuss auch gesprochen haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Danckert?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Gern.
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, trifft es zu, dass der von Ihnenvorgelegte Einzelhaushalt keine Einsparungen, sonderneinen Aufwuchs von 75 Millionen Euro aufwies? Wielässt sich das mit Ihrer Aussage vereinbaren, auch Siehätten Einsparauflagen gehabt? Ihr Haushalt ist doch um75 Millionen Euro höher als der alte. Das sind keine Ein-sparungen, sondern zusätzliche Ausgaben. Ich versteheIhre Aussage deshalb nicht.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Danckert, der Haushalt, den wir eingebracht ha-ben, beinhaltete einen Aufwuchs.
Manches davon waren auch Einmaleffekte oder Ähnli-ches. Er beinhaltete auch Verringerungen, da im letztenJahr Bundestagswahlen waren; das habe ich in der erstenLesung vorgetragen. Dann hat der Haushaltsausschuss– wie bei allen anderen Ressorts – entschieden, dass2 Prozent eingespart werden müssen.
Dazu kommen noch die Stelleneinsparungen. Wir habendas so verträglich umgesetzt, dass die Aufgabenerfül-lung für den gesamten Bereich, für den ich verantwort-lich bin, nicht beeinträchtigt wird. Deswegen ist dieserHaushalt für mich eine gute Arbeitsgrundlage.
Erlauben Sie mir, zu einigen Schwerpunktaufgabender kommenden Jahre, die zwischen der ersten, zweitenund dritten Lesung diskutiert wurden, Anmerkungen zumachen. Ich kann und will dabei aber nicht auf alle Ar-gumente, die hier vorgetragen wurden, eingehen. Zu-nächst möchte ich die Evaluierung der Sicherheits-behörden erwähnen; das hat auch ein bisschen mit dem,worüber Sie gesprochen haben, zu tun. Der Bundes-finanzminister und ich werden zunächst die Sicherheits-behörden des Bundes evaluieren. Dazu gehören die Bun-despolizei, das Bundeskriminalamt, der Zoll sowie dieLage auf Flughäfen, Bahnhöfen und Häfen. Wir wollenDoppelarbeiten vermeiden. Wir wollen die Zusammen-arbeit verbessern. Wir wollen Redundanzen vermeiden,damit die Arbeit besser wird und gegebenenfalls das eineoder andere effektiver geleistet werden kann.Die Bundesregierung wird sich in diesem Prozess vonExperten beraten lassen. Es handelt sich dabei um fol-gende Herren:
Vorsitzender wird der ehemalige Staatssekretär im Bun-desinnenministerium, Herr Werthebach. Zu den weiterenMitgliedern zählen der ehemalige Staatssekretär im In-nenministerium von Nordrhein-Westfalen WolfgangRiotte, der ehemalige Präsident des BundeskriminalamtsDr. Ulrich Kersten, der ehemalige GeneralbundesanwaltKay Nehm, außerdem Professor Dr. Rolf Ritsert von derDeutschen Hochschule der Polizei sowie der in einigenWochen in den Ruhestand tretende Präsident des Zollkri-minalamts, Karl-Heinz Matthias.
Ich bedanke mich bei allen, die bei dieser Arbeit mitma-chen.
– Ich weiß gar nicht, warum Sie da so aufgeregt sind.
– Es ist ein Mangel, dass keine Frau dabei ist; das magsein. Wenn aber Menschen, die diesem Land treu gedienthaben, nach Abschluss ihrer Dienstzeit der Bundesregie-rung ihren unabhängigen Rat zur Verfügung stellen,dann ist das Lob wert und nicht Tadel.
Ich werde sie bitten, bis zum Herbst Vorschläge vor-zulegen. Daraus werden wir dann unsere Schlussfolge-rungen ziehen und sie gemeinsam beraten.Zum Digitalfunk ist viel gesagt worden. Ich teile alleAuffassungen, die hier vorgetragen wurden. Er ist späteingeführt worden. Die Einführung wurde durch Bundund Länder sowie durch den Parforceritt meines Vorvor-gängers auf komische Weise vorangebracht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2867
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
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Bundesminister Dr. Thomas de MaizièreWir sind jetzt gemeinsam dabei, es auf die richtigeSchiene zu setzen. Wir brauchen eine konstruktive undkritische Begleitung dieses Projekts, einschließlich einesexternen Controllings. Ich finde es sehr gut, dass wir dasmachen, und hoffe, dass wir auf diese Weise vorankom-men.Ich möchte einen weiteren Punkt vortragen, nämlichden Abschluss der Tarifverhandlungen, den Sie allemitverfolgt haben. Es wurde eine Tariferhöhung um1,2 Prozent in diesem Jahr und um 1,1 Prozent im nächs-ten Jahr beschlossen. Zusammen mit einer Einmalzahlungführt das für die Beschäftigten zu einer Einkommensstei-gerung in der Größenordnung von 2,7 Prozent über eineLaufzeit von 26 Monaten. Linear sind es 2,3 Prozent.Ich halte diesen Tarifabschluss für verantwortbar, fürauskömmlich und im Lichte dessen, was in der Privat-wirtschaft verabredet worden ist, auch für gut. Des-wegen wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurfvorlegen, der diesen Tarifabschluss inhaltsgleich undzeitgleich auf die Beamten, Richter, Soldaten und Ver-sorgungsempfänger überträgt, allerdings unter Beach-tung der bisher beschlossenen beamtenrechtlichen Rege-lungen. Das bezieht sich etwa auf die Abschläge imVersorgungsausgleich und Ähnliches. Wir werden denGesetzentwurf schnellstmöglich einbringen. Ich glaube,die Angestellten und die Beamten sollten in dieser Fragegleichbehandelt werden.Die Einführung des neuen Personalausweises – dashat Herr Toncar zu Recht festgestellt – steht im Gesetz.Darin wird auch ein Datum genannt. Ich werde mich alsBundesinnenminister an das Gesetz halten und denneuen Personalausweis zum 1. November dieses Jahreseinführen.
Von der Deutschen Islam-Konferenz war bishernoch nicht die Rede. Ich glaube, Sie haben Anspruch da-rauf, dass ich etwas dazu sage. Ich möchte die Islam-Konferenz, die mein Vorgänger begonnen hat, fortset-zen. Sie hatte mit der ersten Phase insoweit einen gewis-sen Abschluss gefunden, als man sich auf gemeinsameErklärungen, Bekenntnisse und eine Grundlage des wei-teren Dialogs verständigt hat. Deswegen ist mein Ziel inder zweiten Phase der Deutschen Islam-Konferenz, unterWahrung und Beachtung der dort gemeinsam erarbeite-ten Grundlagen die Arbeiten konkreter und praktischerzu machen. Deswegen wird auch die Teilnahme kommu-naler Vertreter und von Ländervertretern ausgeweitet.Ich bin insbesondere den Einzelpersönlichkeitendankbar, die bisher an der Deutschen Islam-Konferenzbeteiligt waren, dass sie auch weiter zur Verfügung ste-hen. Genauso dankbar bin ich, dass wir neue Persönlich-keiten gefunden haben, die in diesem Dialog das ganzevorhandene Spektrum von den sogenannten islamkriti-schen Vertretern bis hin zu anderen abdecken, sodass wireinen repräsentativen Querschnitt der Debatte haben,auch was die Einzelpersönlichkeiten angeht.Ich habe auch den bisher vertretenen Verbänden bisauf eine Ausnahme die Mitarbeit angeboten. Den besag-ten Verband habe ich nicht etwa, wie es zum Teil gesagtworden ist, von einer weiteren Mitarbeit ausgeschlossen;vielmehr bin ich, solange erhebliche, schwerwiegendestrafrechtliche Ermittlungen gegen einen dieser Ver-bände durchgeführt werden, die keine einzelnen Mitglie-der, sondern die Arbeit des Verbandes im Kern betreffen,nicht bereit, mich mit Vertretern solcher Verbände an ei-nen Dialogtisch zu setzen.
Das heißt aber nicht, dass die Tür geschlossen wird: Siebleibt offen. Ich hoffe sehr, dass wir zu einer konstrukti-ven und guten Fortsetzung der Deutschen Islam-Konfe-renz kommen.Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Sport.Ich habe gesagt, dass ich die Maßnahmen, die zur Kür-zung des Regierungsentwurfs geführt haben, die die Ko-alition beschlossen hat, in allen Punkten teile, mit einerkleinen Ausnahme, dem Goldenen Plan Ost. Dabei gehtes nicht um die Summe – im Kern sind es 2 MillionenEuro, um die gestritten wird –, sondern ich bedauere inder Tat die damit verbundene Symbolik.
Allerdings möchte ich eines hinzufügen, Herr Danckert,und diejenigen, die aus westdeutschen Wahlkreisenkommen, mögen mir das verzeihen: Nach wie vor ist– das haben auch die Ergebnisse von Vancouver gezeigt –,repräsentativ gesehen, der Anteil der erfolgreichen ost-deutschen Sportler deutlich höher als der der westdeut-schen.
Das ist auch ein Reflex der Spitzensportförderung, diewir betreiben, die sich auch infrastrukturell weit über-proportional stärker in den ostdeutschen Ländern als inden westdeutschen auswirkt. Auch das gehört zur Wahr-heit der Spitzensportförderung dieser Bundesregie-rung.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Kunert?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Gerne.
Bitte.
Herr Minister, vielleicht teilen Sie die Auffassung, dieich Ihnen jetzt vortragen werde. Es ist so, dass wir imSportausschuss immer darüber reden, dass wir eineSportfamilie sind und dass wir bei anstehenden Ent-scheidungen immer im Interesse der Sache beschließen.Ein Kollege im Haushaltsausschuss hat im Sportaus-
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Katrin Kunert
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schuss vehement dafür geworben, 2 Millionen Euro fürdie Ski-WM 2011 einzustellen. Als darüber gesprochenwurde, es solle eine Sondermünze geben, haben wir alsFraktion Die Linke gesagt: Jawohl, wenn wir eine WMin Deutschland austragen, dann möge sich der Bund ander Finanzierung der Sondermünze beteiligen, zumal eszu zusätzlichen Einnahmen kommt. – Dazu, dass aberausgerechnet dieser Abgeordnete, der für die Sonder-münze geworben hat, den Antrag stellt, den GoldenenPlan zu beerdigen, muss ich sagen: Da kommt es imAusschuss schon zu Missstimmungen.Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Unsere Haushälter habenden Zusammenhang hergestellt, dass die Ski-WM aufKosten des Goldenen Plans Ost finanziert wird. Daskann nicht sein. Zum guten Ton gehört: Wenn man imHaushaltsausschuss Anträge stellt, dann muss man siezumindest im Fachausschuss ankündigen. Deshalb be-daure ich sehr, dass das hier anders gelaufen ist. Aberwir geben Ihnen natürlich die Möglichkeit, Herr Barthle,unserem Antrag zuzustimmen, wonach 20 MillionenEuro für den Goldenen Plan und damit für die ostdeut-schen Kommunen eingestellt werden. Ich sage Ihnen:Der Spitzensport kann nur dann gedeihen, wenn wir inden Breitensport investieren. Ich frage Sie, Herr deMaizière: Stimmen Sie mir in diesem Punkt zu?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Kollegin, ich habe schon auf die Frage gewartet,die dann zum Schluss kam. Ich will darauf gerne antwor-ten und wäre darauf auch ohne Ihre Frage eingegangen.Wir haben in Vancouver großartige Sportlerinnen undSportler erlebt.
Wir erleben im Moment – wie soll ich sagen? – fast nochgroßartigere Sportlerinnen und Sportler mit körperlicherBehinderung, die das Beste leisten, was man sich über-haupt nur vorstellen kann.
Das ist – Herr Herrmann hat es schon gesagt – die besteWerbung für die Bewerbung um die OlympischenSpiele in München.
Was hat das mit dem zu tun, was Sie sagen? Ich sageIhnen Folgendes – das habe ich auch schon im Aus-schuss gesagt –: Wenn das irgendeine Ski-WM – dieGarmischer mögen mir verzeihen – in irgendeinem Jahrgewesen wäre, hätte ich gesagt: Sie brauchen kein Geldfür ein Kulturprogramm. Es gibt viele Weltmeisterschaf-ten in Deutschland. Auch bei der Frauenfußball-Welt-meisterschaft in unserem Land haben wir, die Bundesre-gierung und der DFB, auf ein Kulturprogrammverzichtet.
Aber die Ski-WM in Garmisch-Partenkirchen findet imWinter 2011 statt. Im Sommer 2011 entscheidet dasOlympische Komitee, ob die Olympischen Winterspiele2018 in München, Garmisch-Partenkirchen und Umge-bung stattfinden. Deswegen, ich sage: und nur deswe-gen, weil die Veranstaltung exakt dort stattfindet, wo wiruns um die Olympischen Spiele bewerben, sind in die-sem Fall diese Mittel gerechtfertigt und gut, begründenaber keinen Anspruch darauf, dass in Zukunft auch alleanderen Weltmeisterschaften teure Kulturprogrammebekommen. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Ich wünsche mir, dass es uns bei allem innenpoliti-schen Streit, den wir haben – da wende ich mich insbe-sondere auch an die Grünen –,
auf Regionalebene, nicht auf Bundesebene, gelingt, ineiner erstklassigen Weise professionell, finanziell und inder Art, wie wir uns um diese Olympischen Spiele be-werben, alles daranzusetzen, was vertretbar ist, um imJuli 2011 die Nachricht entgegennehmen können: DieOlympischen Spiele 2018 finden in Deutschland, inMünchen, Garmisch-Partenkirchen und Umgebung,statt. Das wünsche ich mir. Im Übrigen wünsche ich mirbei allem Streit, dass wir in diesem Haus in dieser Frageeinen Konsens erzielen.Ich bitte herzlich um Zustimmung zum Einzelplan 06.
Herr Bundesminister, Sie sind zwar am Ende Ihrer
Rede, aber der Kollege Barthle möchte noch gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Darf ich ihm dazu die Möglichkeit geben?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Gerne.
Die Redezeit ist noch nicht zu Ende. Auch Herr Jerzy
Montag möchte Ihnen anschließend eine Zwischenfrage
stellen. – Herr Kollege Barthle.
Danke. – Herr Minister, können Sie mir erstens bestä-tigen, dass der Goldene Plan Ost ursprünglich eine an-dere Intention hatte, als er über die Jahre bekommen hat?Die Mittel dafür wurden sukzessive abgebaut, bis sieschließlich auf dem Level von 2 Millionen Euro gelan-det waren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2869
Norbert Barthle
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Können Sie mir dazu bestätigen, dass über die Kon-junkturprogramme für die neuen Bundesländer ein Be-trag von rund 600 Millionen Euro zur Verfügung stehtund dieser Betrag nicht in vollem Umfang abgerufenwerden kann, weil den Kommunen die Möglichkeitenzur Kofinanzierung fehlen?
Angesichts dieser Tatsache ist der Betrag aus dem Gol-denen Plan Ost eine wirklich zu vernachlässigendeGröße und ist insofern wirklich nur Symbolik. DieseSymbolik hat 20 Jahre nach der Wiedervereinigung viel-leicht nicht mehr die Strahlkraft, die sie einmal hatte.
Können Sie mir zweitens bestätigen, dass ich nichtMitglied des Sportausschusses bin und dementsprechendnicht an dem Beschluss beteiligt war, der im Sportaus-schuss mit den Stimmen der Linken getroffen wurde, fürdie Ski-WM 2 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen?Können Sie mir drittens bestätigen, dass wir Haushäl-ter, weil wir sparsam sind, diesen Betrag um eine halbeMillion unterschritten haben und nur 1,5 Millionen Eurozur Verfügung gestellt haben?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Ich kann Ihnen alles bestätigen. Ich finde es nur etwasseltsam, dass Sie eine Bestätigung brauchen, dass Sienicht Mitglied des Sportausschusses sind.
Das ist sicherlich wahr.Ich finde es falsch, einen Zusammenhang zwischender Kürzung der Mittel für den Goldenen Plan Ost undden Mitteln für die Ski-WM herzustellen. Einen solchenZusammenhang gibt es nicht. Ich habe ausdrücklich be-gründet, dass ich das eine nicht schön und das anderetrotzdem richtig finde.Ich füge aber eines hinzu: Der Bund ist nach der ver-fassungsmäßigen Ordnung – ich sage ganz leise: wennüberhaupt – für die Förderung des Spitzensportes undnicht für die Förderung des Breitensportes zuständig.Die Förderung des Goldenen Plans Ost war aufgrund desNachholbedarfs und des Erfordernisses des Zusammen-wachsens im Sport – ähnlich wie im Kulturbereich –nach 1990 geboten, erforderlich und sinnvoll. Aber manmuss fairerweise sagen, dass das nicht ganz der verfas-sungsmäßigen Ordnung entspricht.
Herr Minister, eine weitere Zwischenfrage stellt der
Kollege Montag.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Bundesinnenminis-
ter, Sie haben explizit die bayerischen Grünen angespro-
chen.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ich habe es angedeutet.
Da ich im Moment der einzige Grüne aus Bayern imSaal bin, fühle ich mich angesprochen. Ich frage Sie, obSie die Debatte, die die bayerischen Grünen über die Be-werbung um die Olympischen Spiele 2018 führen,überhaupt kennen. Uns geht es darum, dass diese Spieleso ökologisch wie möglich sind, dass die Eingriffe in dieAlpen durch diese Olympischen Spiele so gering wiemöglich sind und dass die öffentliche Infrastruktur da-durch keinen Nachteil, sondern einen Fortschritt erfährt.Wissen Sie eigentlich, dass diese Debatte dazu geführthat, dass sich die Grünen, die in München für die Bewer-bung zuständig sind und seit 20 Jahren mit der SPD inder Stadt regieren, im Münchener Stadtrat einstimmigfür die Bewerbung ausgesprochen haben und sich dieMünchener Grünen auf einer Vollversammlung mitMehrheit dafür entschieden haben? Wir werden aber dieDiskussion, ob diese Bewerbung letztendlich zu ökolo-gisch nachhaltigen Spielen führen wird oder nicht, wei-terführen.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Montag, ich begrüße Ihre Klarstellung ausdrück-lich. Ich wollte die Grünen nicht tadeln und aus demKonsens über die Bewerbung quasi herausnehmen. Viel-mehr wollte ich versuchen, sie komplett mitzunehmen,auch die Landtagsfraktion der Grünen in Bayern.Unsere Bewerbung wird überhaupt nur eine Chancehaben, wenn wir auf Nachhaltigkeit setzen. Ein Allein-stellungsmerkmal unserer Bewerbung ist es gerade, dassvorhandene Sportstätten so genutzt werden sollen, wiees noch nie zuvor bei Olympischen Spielen der Fall war;das ist ein Markenzeichen. Wir wollen in München zumBeispiel alles fußläufig machen. Wir können uns bei derNachhaltigkeit höchstens gegenseitig überbieten. Aberdarüber, dass diese Olympischen Spiele nachhaltig seinsollen, kann es keinen innenpolitischen Streit inDeutschland geben.Da wir uns darin offenbar einig sind, bitte ich Sie alle– bei allem Streit über die öffentliche Sicherheit, den Da-tenschutz und den Goldenen Plan Ost – herzlich, in die-ser Frage an einem Strang zu ziehen.Ich bedanke mich herzlich.
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2870 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
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Nächste Rednerin ist Kollegin Gabriele Fograscher
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wir haben gerade in einer Gedenkstunde die Arbeitder 10. Volkskammer gewürdigt. Die Volkskammer warfleißig und hat in nur sechs Monaten 164 Gesetze verab-schiedet. Sie, die schwarz-gelbe Koalition, haben in vierMonaten nichts vorgelegt, auch nicht in der Innenpolitik.Wenn wir von der Tagesordnung für den Innenausschussund das Plenum in der nächsten Sitzungswoche die EU-Vorlagen und die Initiativen der Opposition wegnähmen,bliebe nichts mehr zur Beratung übrig.
Nun könnte man sagen: Die Vorgängerregierungenhaben alles zum Thema Innenpolitik geregelt, es gibtnichts mehr zu tun. – Aber so ist es nicht.Vielmehr sind Sie konzeptionslos, ideenlos, oder Sieblockieren sich gegenseitig, zum Beispiel beim ThemaVorratsdatenspeicherung. Nach dem Urteil des Bun-desverfassungsgerichts machen Sie, Herr Innenminister,massive Sicherheitslücken aus, die schnell geschlossenwerden müssen, die Justizministerin aber will sich Zeitlassen und nationale Alleingänge und Schnellschüsseverhindern.Sie, Herr Innenminister, wollen Integrationspolitikzu einem Schwerpunktthema machen. Sie erhöhen dieMittel für die Sprachkurse, aber damit sichern Sie nurden Status quo. Mehr Qualität, mehr Kursangebote fürspezielle Gruppen und bessere Stundenlöhne für dieLehrer lassen sich damit nicht finanzieren.
Unser Antrag greift diesen Mangel auf, und wir bittendeshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.Außerdem war die Neubesetzung der Leitung der Ab-teilung „Migration, Integration, Flüchtlinge, Europäi-sche Harmonisierung“ im Bundesinnenministerium miteiner entlassenen Staatssekretärin aus Sachsen schonsehr zweifelhaft. Wir bezweifeln, dass Sie es mit IhrerSchwerpunktsetzung wirklich ernst meinen.Sie haben zur Islamkonferenz gesprochen. Wir wer-den uns dazu äußern, wenn Sie Ergebnisse vorlegen;aber Voraussetzung dafür wäre, dass Sie die Ziele benen-nen, die Sie erreichen wollen.
In der ersten Lesung zum Bundeshaushalt haben Sie,Herr Innenminister, erklärt – ich zitiere –:Die erste Aufgabe eines demokratischen Staates ist,Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten. Das spie-gelt auch unser Haushalt wider.Wie können Sie sich dann erklären – Sie haben vorhinversucht, es zu erklären –, dass die Mitglieder der CDU/CSU und der FDP im Haushaltsausschuss die Kürzungdes Personaletats bei der Bundespolizei und beim Bun-deskriminalamt durchgesetzt haben?
Ein Beitrag zu mehr Sicherheit ist das sicherlich nicht.Was Sie erklärt haben, ist einigermaßen absurd: Sparendurch Nichtbesetzung von Stellen.
Sie, Herr Innenminister, sprechen nicht mehr von innererSicherheit, sondern von öffentlicher Sicherheit. NeueBegriffe sind leider keine neue Politik,
und Sie haben heute nicht erklärt, was das heißt und wiesich das in Ihrem Haushalt widerspiegelt.Politischer Extremismus ist eine Gefahr für die öf-fentliche Sicherheit und die Demokratie. Rechtsextre-mismus, Linksextremismus und islamistischer Extremis-mus sind aber von der Qualität und von der Quantität hervöllig unterschiedliche Bedrohungen.
Ihnen muss mit unterschiedlichen Konzepten und Instru-menten begegnet werden. Glauben Sie denn wirklichernsthaft, dass sich mit den Modellprojekten, die zur Be-kämpfung des Rechtsextremismus entwickelt wordensind und die im Bundesfamilienministerium angesiedeltsind, auch der islamistische Extremismus oder derLinksextremismus effektiv bekämpfen lässt? Wäre esnicht sinnvoller, anstatt im Einzelplan 17 die vorhande-nen Mittel auf alle Formen des Extremismus auszuwei-ten und damit die Bekämpfung des Rechtsextremismuszu schwächen, in Ihrem Hause Konzepte zu entwickeln,wie den unterschiedlichen Formen des Extremismus be-gegnet werden kann?
Neu im Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenmi-nisteriums ist der Aufbau Ost. Doch was machen Sieda? Wo sind Ihre Konzepte? Was tun Sie gegen die Ab-wanderung? Wie wollen Sie gegensteuern, damit nichtso viele junge Menschen die neuen Bundesländer verlas-sen? Wie wollen Sie dort neue und zukunftsfähige Ar-beitsplätze schaffen? Bisher sind von Ihnen noch keineAntworten auf diese Fragen gekommen.Die große gesellschaftliche Bedeutung des Sportswar in den vergangenen Jahren die Begründung für denGoldenen Plan Ost. Jetzt – wir haben es schon gehörtund darüber hier diskutiert – ist er ersatzlos gestrichen.Herr de Maizière, Sie sind jetzt auch Beauftragter für dieneuen Länder. Es gibt inzwischen aber auch in den altenBundesländern erhebliche Probleme mit dem Erhalt unddem Neubau von Sportstätten. Hier wäre Ihre Initiative
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Gabriele Fograscher
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gefragt gewesen. Sie sind nicht nur für die Spitzensport-förderung zuständig, sondern Sie sind auch Kommunal-minister und damit zuständig für die Kommunen. Dieschlechte finanzielle Situation der Kommunen in Ostund West sollte auch Ihr Thema sein.
Erfolge haben Sie, Herr Minister, bisher nicht vorzu-weisen. Ich nenne nur das Stichwort „SWIFT“: Die Art,wie das Ganze gelaufen ist, war ein ziemliches Desaster.
Das werden wir Ihnen auch in Zukunft vorhalten. Es gabnämlich kein gemeinsames und kein abgestimmtes Ver-halten innerhalb der Bundesregierung.
Sie hatte einen schlechten Start, und es geht auch nichtviel besser weiter.
Die Bürgerinnen und Bürger wissen überhaupt nichtmehr, was diese Bundesregierung plant oder will. Jederin dieser Regierung sagt etwas anderes, will etwas ande-res. Thema „elektronischer Personalausweis“: Keinerweiß Bescheid. Eine Forsa-Umfrage bescheinigt Ihnen:Nur noch 8 Prozent der Deutschen haben den Eindruck,dass in dieser Koalition an einem Strang gezogen wird.
Das ist kein gutes Ergebnis.
Es wird Zeit, dass Sie der Verantwortung, die Ihnenvon den Wählerinnen und Wählern übertragen wordenist, gerecht werden: dass Sie nicht nur ankündigen, zumBeispiel ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, sonderndass Sie uns hier etwas vorlegen. Der Bundeshaushaltund der Haushalt des Bundesinnenministers werden denHerausforderungen, vor denen wir stehen, nicht gerecht,und deshalb werden wir das Haushaltsgesetz ablehnen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gisela Piltz für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Innenpolitik ist – das weiß hier jeder – Verfassungspoli-
tik. Der Innenminister ist auch Verfassungsminister, und
der Innenhaushalt ist der Verfassungshaushalt. Daher
muss es darum gehen, die richtigen Rahmenbedingun-
gen auch über den Haushalt zu schaffen. Dazu gehört
aus unserer Sicht die richtige Balance zwischen Freiheit
und Sicherheit. Ich glaube, wir haben angefangen, dieses
Ziel zu erreichen, und wir sind mit dieser christlich-libe-
ralen Koalition auf einem guten Weg.
Wir setzen nämlich neue Akzente.
– Wenn Sie das so machen wie immer, müssen Sie sich
von mir auch gefallen lassen, dass es so wie immer
kommt.
Ich möchte einmal ein Wort an die SPD richten. Sie
haben in den letzten elf Jahren Verantwortung in der In-
nenpolitik getragen – vier Jahre lang waren Sie in der so-
genannten Großen Koalition mit der CDU/CSU –, und
Sie haben die Justizminister gestellt. Sie haben etliche
Gesetze beschlossen, die vor dem Bundesverfassungsge-
richt keinen Bestand gehabt haben. Ich verweise darauf,
dass vor gut zwei Wochen das Bundesverfassungsgericht
die Vorratsdatenspeicherung gekippt hat, für die Sie
Verantwortung tragen.
Wenn nun Herr Gabriel sagt, die FDP sei eine Partei
mit Führungspersonen, die – ich zitiere wörtlich – „jung“,
„gnadenlos“, „rücksichtslos“ und „verfassungsfeindlich“
sind,
dann muss ich sagen: Ich freue mich über die Bezeich-
nung „jung“ – vielen Dank! –; aber der Rest ist einfach
politische Amnesie. Eines ist klar: Sie haben das ent-
sprechende Gesetz verabschiedet und nicht wir.
Wer, wenn nicht Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, hat denn das verfassungswidrige Luftsi-
cherheitsgesetz eingeführt? Wer hat denn die Vorratsda-
tenspeicherung hier mitzuverantworten? Wer hat die
Pendlerpauschale zu verantworten? Wer hat die Be-
schneidung der Minderheitenrechte im Visa-Untersu-
chungsausschuss und der Parlamentsrechte bei den
AWACS-Einsätzen zu verantworten?
Frau Kollegin.
Das waren stets Sie, und das müssen Sie sich auchvorhalten lassen. Wenn Frau Fograscher uns hier auffor-
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2872 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Gisela Piltz
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dert, uns einmal unsere Regierung vorzunehmen, dannkann ich Ihnen nur eines sagen: Ich warte auf den Tag,an dem sich die SPD endlich wieder zu dem bekennt,was sie hier gemacht hat. Es schadet nämlich der Demo-kratie, wie sie hier mit ihren eigenen Entscheidungenumgeht. Es geht nicht um das, was man in der Opposi-tion sagt, sondern um das, was man in Regierungsverant-wortung gemacht hat.
Dazu müssen Sie stehen. Das tun Sie nicht, und das wer-den Sie nicht tun. Das ist unser Problem. Sie spielen inder Demokratie nämlich eine schlechte Rolle.
Frau Kollegin Piltz, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hartmann?
Ja.
Liebe Kollegin Piltz, da wir ja beim Thema Bekennt-
nisse und Amnesie sind, möchte ich Sie fragen: Fällt Ih-
nen denn das Bekenntnis leicht, dass es das Land Nord-
rhein-Westfalen mit einem FDP-Innenminister war, der
die Onlinedurchsuchung ins Gesetzblatt schreiben
wollte und dafür zu Recht vom Verfassungsgericht, das
dieses ablehnte, abgewatscht wurde?
Herr Hartmann, was mir zum Thema „Stellungnahme
des Bundesverfassungsgerichts zu den von NRW vorge-
schlagenen Onlinedurchsuchungen“ vor allen Dingen
einfällt, ist, dass der damalige Innenminister Herr Schily
– vielen Dank –, SPD,
sich auf Bundesebene nicht einmal bemüht hat, das
Ganze, obwohl es verfassungswidrig war, per Gesetz zu
regeln, sondern geglaubt hat, das Ganze mit einer inter-
nen Verwaltungsanweisung regeln zu können. Erst als
die FDP Druck gemacht hat, nachdem wir es im Haus-
halt gesehen hatten, wurde das überprüft. Der Anstoß
dazu kam nicht von Ihnen. Sie haben das mitverantwor-
tet;
wir haben es kritisiert. Das fällt mir dazu ein. Das müs-
sen Sie sich vorhalten lassen, meine Damen und Herren
von der SPD.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
frage des Kollegen Korte?
Ja, macht Spaß, vielen Dank.
Herr Korte, bitte.
Liebe Kollegin Piltz, vielleicht können wir uns darauf
einigen, dass Sie beide in der Innenpolitik Mist gebaut
haben.
Mich würde jetzt interessieren, dass Sie als FDP-Ab-
geordnete, deren Partei ja an der Bundesregierung betei-
ligt ist, dem Bundestag mitteilen, was Sie nun zu tun ge-
denken mit den ganzen Sachen, die mistigerweise
beschlossen worden sind.
Danach möchte ich fragen. Es wäre doch Aufgabe des
Mitglieds einer der Koalitionsfraktionen, das dem Bun-
destag einmal mitzuteilen.
Ich danke Ihnen für die Frage. Ich könnte jetzt un-fairerweise den Rest meiner Rede auf Ihre Kosten hal-ten. Aber da ich Ihnen ersparen möchte, noch 3 Minutenund 53 Sekunden zu stehen, verspreche ich Ihnen schonjetzt, dass Sie gleich erfahren, was wir wollen. Damit ist,wie ich glaube, die Frage beantwortet.Herr Kollege Wieland,
Sie sind doch jetzt mein persönlicher Mackie Messer.
Das, was Sie hier gemacht haben, ist nachvollziehbar,aber auch sehr durchsichtig.
Ich muss die Grünen jetzt doch wieder fragen – ichhatte es mir heute eigentlich ersparen wollen –:
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Gisela Piltz
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Was ist denn mit dem Luftsicherheitsgesetz, das Sie ver-abschiedet haben?
Was ist mit der Aufhebung des Bankgeheimnisses, dieSie vorgenommen haben? Was ist mit den sogenanntenOtto-Katalogen, die Sie mitverabschiedet haben
und durch die das Trennungsgebot aufgeweicht wurde,mit denen Sie eine Vorverlagerung strafrechtlicher Er-mittlungen, biometrische Datenerfassung eingeführt ha-ben, mit denen Sie den Verfassungsschutz ausgeweitetund, zur Krönung, noch die Weitergabe von PNR-Datenan die USA ermöglicht haben? Dem hat Ihr damaligerAußenminister Fischer zugestimmt. Nur so viel zu Ihrertollen Bilanz als Bürgerrechtspartei. Das müssen Siesich sagen lassen. Was Sie da gemacht haben, war nichtsKonstruktives. Sie wollen dazu nicht wirklich etwas sa-gen. Sie können dazu nichts sagen. Auch zu diesemHaushalt haben Sie nichts Konstruktives gesagt. Das istleider Ihre Bilanz.
Wir, die Koalition von CDU, CSU und FDP, habenuns vorgenommen, den Datenschutz zu verbessern. Dasist ja etwas, was die SPD in elf Jahren nicht geschaffthat. Wir haben endlich eine personelle Aufstockungbeim Bundesdatenschutzbeauftragten durchgesetzt. HerrWiefelspütz hat das witzigerweise immer nach denHaushaltsberatungen gefordert, konnte sich damit abernie durchsetzen. So kann man das auch machen.Zur Stiftung Datenschutz. Wir arbeiten gerade daran,aber, Herr Korte – das müssen Sie sich sagen lassen –,zur Haushaltswahrheit und -klarheit gehört auch, dassman erst dann Beträge in den Haushalt einsetzt, wenndie Mittel dafür auch benötigt werden.
Wir gehen davon aus, dass wir die entsprechenden Rege-lungen bis Ende dieses Jahres verabschiedet haben. Da-für werden wir dann im nächsten Haushalt entspre-chende Mittel ansetzen.
Wir setzen darüber hinaus auch auf die Arbeit von en-gagierten Polizistinnen und Polizisten, die in ihrer tägli-chen Arbeit Recht und Gesetz selbstbewusst anwenden.Deshalb haben wir – das fällt ja in den Bereich des Bun-des – die operative Einsatzbereitschaft des BKA durchBereitstellung zusätzlicher Mittel verstärkt. Dass dasbisher nicht geschehen ist, haben wir in der Vergangen-heit ja immer kritisiert. Das erfolgt nun.
Frau Kollegin Piltz, darf ich Sie noch einmal unter-
brechen? Sie sehen das zwar nicht, weil die Kollegen
nicht aufstehen, wenn sie sich zu Wort melden. Das wäre
vielleicht eine gute Anregung.
Also ehrlich, ich finde, ein bisschen Respekt könnte
Mackie Messer seiner Seeräuber-Jenny schon entgegen-
bringen.
Der Kollege Wieland möchte eine Zwischenfrage
stellen; sie wird offensichtlich gestattet. – Bitte, Herr
Kollege.
Nein, das Fernsehen ist dabei. Ich bin ja für Daten-
schutz.
Frau Kollegin Piltz, ich habe so großen Respekt vor
Ihnen, dass ich mich nicht hinstellen wollte, bevor Sie
meine Zwischenfrage zulassen. Nun, wo Sie es getan ha-
ben, tue ich das gerne.
Sie haben eben zu Recht darauf hingewiesen, dass Rot-
Grün ein Luftsicherheitsgesetz beschlossen hat, das vor
dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hatte. Ist
Ihnen aber entfallen, dass bei den sogenannten Otto-Ka-
talogen insbesondere das von Ihnen gerügte, angeblich
verfassungswidrige Eindringen in das Bankgeheimnis
vom Bundesverfassungsgericht gerade nicht so gesehen
wurde, wie Sie es sehen? Vielmehr wurde hier Rot-Grün
in der Ansicht bestätigt, dass man in bestimmten Fällen
den Strömen des Geldes folgen kann und muss, auch
wenn es einer bestimmten Klientel und einer Partei, die
sich immer zur Schutzpatronin dieser Klientel macht,
wehtun mag.
Herr Wieland, wenn ich das mit einer uncharmantenGegenfrage beantworten darf,
dann frage ich Sie, ob Ihnen entfallen ist, dass die FDPimmer der Ansicht war, dass nicht alles, was das Bun-desverfassungsgericht für machbar erklärt hat, auch um-zusetzen ist.
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2874 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Gisela Piltz
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Das ist unsere Maxime, und das gilt in diesem Fall wieauch bei allen anderen Entscheidungen des Bundesver-fassungsgerichts.
Ob Ihnen die Frage damit beantwortet scheint oder nicht,Herr Wieland, weiß ich nicht; aber mehr werden Sie, soleid es mir tut, dazu von mir nicht hören.
Die Bundespolizei ist hier schon angesprochen wor-den. Leider ist sie nach der letzten Reform, die wir nurkritisieren konnten, noch nicht ganz zur Ruhe gekom-men. Aber – das ist hier heute schon gesagt worden – mitdem Einsatz in Afghanistan tragen die Kolleginnen undKollegen Mitverantwortung für den Polizeiaufbau in derdortigen Region. Deshalb ist es richtig und wichtig, dasswir hier mehr Mittel zur Verfügung stellen.Im Zusammenhang mit mehr Mitteln frage ich mich,was die Opposition eigentlich will. Wenn wir mehr Mit-tel für irgendetwas zur Verfügung stellen, werden wirvon Ihnen kritisiert. Aber wenn wir sparen, werden wirebenfalls kritisiert. Ich finde, das passt alles nicht zusam-men, was Sie hier machen.
Das ist nicht klug, sondern eher langweilig für uns.
Die christlich-liberale Koalition hat sich auch auf dieFahne geschrieben – dazu hat der Minister bereits vorge-tragen –, die Sicherheitsarchitektur auf Doppelzustän-digkeiten und Reibungsverluste zu überprüfen. Denn esmacht keinen Sinn, dass man sich an der einen Stelle aufdie Füße tritt, während anderswo Personal gebrauchtwerden könnte. Wenn wir nur wenige Mittel zur Verfü-gung haben, müssen wir sie effektiv einsetzen. Auch dasist ein gemeinsames Ziel, das wir jetzt in Angriff neh-men.Zur Achtung der Grundrechte und des Rechtsstaatesgehört aus unserer Sicht auch die politische Bildung.Hier werden die Grundlagen für unsere Verfassung undunsere Gesellschaft geschaffen. Deshalb ist es richtig,dass wir die Bundeszentrale für politische Bildung mit3 Millionen Euro mehr ausstatten. Das ist übrigens mehr,als von der SPD in den letzten Jahren zu diesem Themazu hören war.
Denn auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion in derletzten Legislaturperiode antwortete das Justizministe-rium zwar, dass politische Bildung notwendig sei –
möglicherweise ist da bei Ihnen schon ein Fortschritt zuerkennen –, aber beim Haushalt hörte Ihre Liebe wohlauf. Das bedauern wir.Zum Schluss noch kurz zum Sport; das Beste kommtimmer zum Schluss. Hier ist viel über den GoldenenPlan Ost gesprochen worden. Ich glaube, es macht Sinn,auch einmal zu schauen, für was der Bund wirklich zu-ständig ist und ob er auf ewig für Breitensportförderungin den Kommunen zuständig ist.
Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Wir freuen uns darüber,dass wir die Großereignisse unterstützen können. Überdie Auflage einer Münze könnten sie sich fast selbst fi-nanzieren. Wir werden alles dafür tun, dass die Olympi-schen Spiele 2018 nach Deutschland kommen.Wir freuen uns auf die nächsten dreieinhalb Jahre undwürden uns auch über eine konstruktive Oppositionfreuen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich möchte gleich an die Themen GoldenerPlan Ost und Ski-WM anknüpfen. Ich sage das einmalaus haushalterischer Sicht: Sie haben einen investivenHaushaltstitel gestrichen und dafür einen konsumtivenHaushaltstitel aufgesetzt.
Wenn die Veranstaltung in Garmisch so lukrativ ist– übrigens so lukrativ, dass dort in umfangreicher FormBergwald gerodet wurde –, verstehe ich nicht, warumsich nicht ausreichend Sponsoren finden lassen, um dasKulturprogramm für diese Veranstaltung zu finanzieren.
Es ist natürlich richtig, dass der Breitensport eine An-gelegenheit der Kommunen ist. Wenn aber die schwarz-gelbe Bundesregierung den Kommunen jeden finanziel-len Spielraum, um überhaupt in ihre Sportstätten inves-tieren zu können, raubt, dann ist das keine gute Voraus-setzung und schafft auch keine guten Bedingungen fürspätere Entwicklungen im Bereich des Spitzensports. Soviel dazu.
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Stephan Kühn
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Ich möchte zu dem Aspekt kommen, dass der Minis-ter die Zuständigkeit für die Angelegenheiten der neuenLänder sozusagen geerbt hat. Ich finde, es ist grundsätz-lich eine richtige Entscheidung, dass nicht mehr das Ver-kehrsministerium, sondern das Innenministerium dafürzuständig ist. Wir betrachten also das Thema AufbauOst nicht mehr durch eine reine Infrastrukturbrille.Richtig ist auch, die Förderinstrumente für den Auf-bau Ost zu evaluieren. Das haben Sie sich ja vorgenom-men, Herr Minister. Ich denke, das ist richtig undnotwendig. Es darf natürlich nicht nur bei wissenschaft-lichen Analysen und Forschungsprogrammen bleiben.Auch teilen wir die Ansicht, dass die Gießkanne kein ge-eignetes Förderinstrument ist. Wir meinen, dass es einestärkere und flexiblere Akteurs- und Innovationsförde-rung gerade für kleine und mittelständische Unterneh-men in den neuen Bundesländern geben muss.
Sie haben sich als Schwerpunkt Maßnahmen zur Stär-kung der Strukturen und Innovationsfähigkeit der ost-deutschen Wirtschaft gesetzt. Nun ist die Fotovoltaik eineder wichtigsten Industrien in Ostdeutschland mit einemausgeprägten Spitzencluster Solarvalley Mitteldeutsch-land und mit großer wirtschafts- und arbeitsmarktpoliti-scher Bedeutung. Es gibt mehr als 55 000 Arbeitsplätzeund eine breite Forschungslandschaft. Es heißt ja immer,im Osten würden nur verlängerte Werkbänke stehen. Dasist in diesem Fall nicht so. Ostdeutschland hat sich zu ei-nem der weltweit bedeutendsten Standorte für die Pro-duktion von Solaranlagen entwickelt. 90 Prozent derProduktion in Deutschland kommen aus den neuen Bun-desländern. 20 Prozent der weltweiten Produktion fallenauf die fünf neuen Bundesländer. In vielen Bereichensind wir da Weltmarktführer.Die von der Bundesregierung geplanten Kürzungender Solarförderung gefährden diese aufgebauten Struktu-ren. Sie werden Arbeitsplätze kosten und vor allen Din-gen den Einstieg von chinesischen Billigprodukten be-deuten.
Es geht hier um Industriepolitik und Technologieför-derung in den neuen Bundesländern. Insofern wundert esmich, Herr Minister, dass Sie dazu kein Wort verlorenhaben.
Ich hätte erwartet, dass Sie sich als Minister, der für dieneuen Bundesländer zuständig ist, gegen eine überhöhteKürzung bei der Einspeisevergütung ausgesprochenhätten. Es ist ganz klar: Aufgrund der Kürzung zum1. Januar 2010 und der jetzt geplanten Kürzung müsstendie Unternehmen eine Produktivitätssteigerung von30 Prozent innerhalb eines Jahres schaffen. Das ist si-cherlich nicht machbar. Die Kürzung in dieser Formwürde bedeuten, dass das, was als Pflänzchen in denneuen Bundesländern aufgeblüht ist, wieder verwelkt.Ich erwarte von Ihnen als Minister, dass Sie sich hör-und sichtbar – ähnlich wie Ihre Landeskollegen – gegendiese überzogene Kürzung aussprechen.
Zum Schluss möchte ich noch auf ein Thema zu spre-chen kommen, das Kollegen vor mir schon angesprochenhaben und das sehr wesentlich ist. Sie haben eine Haus-haltstiteländerung vorgenommen. Sie klingt zunächst ein-mal recht unspektakulär: „Förderung von Projekten gegenRechtsextremismus in den neuen Bundesländern“ heißtjetzt „Förderung von Projekten für demokratische Teil-habe und gegen Extremismus in Ostdeutschland“. Siehaben lautstark verkündet: Damit ist keine Kürzung desProgramms verbunden. In der Erläuterung zum Bericht-erstattergespräch heißt es aber: Die in Planung befindli-chen Programmansätze sind nicht auf eine Bekämpfungdes Rechtsextremismus beschränkt. – Das bedeutet beigleichem Haushaltsansatz eine Kürzung der Mittel fürProjekte gegen rechts, und nichts anderes.
Obwohl alle 26 Minuten in Deutschland eine rechts-extremistische Straftat begangen wird – 20 000 im Jahr2008 –, obwohl über 100 Todesopfer von Gewalttatenmit rechtsmotiviertem Hintergrund zu beklagen sind,werfen Sie rechten und linken Extremismus in einenTopf.
Das ist meines Erachtens nicht verantwortbar. Herr Mi-nister, Sie kommen wie ich aus Sachsen und kennen dieSituation vor Ort. Gemessen an der Einwohnerzahl wer-den die meisten rechtsextremistischen Straftaten in Ost-deutschland verübt. Das muss man einfach zur Kenntnisnehmen. In der Sächsischen Schweiz oder im Muldental-kreis haben wir kein Problem mit Islamismus oderLinksextremismus. Aber in den NPD-Hochburgen habenwir ein großes Problem mit Rechtsextremismus.
Die Arbeit gegen Rechtsextremismus braucht einfachlangfristige Sicherheiten vom Bund, damit lokale Initia-tiven gegen rechts, mobile Beratungsteams, Opferbera-tungsstellen und Bildungsprojekte arbeiten können.Diese lassen Sie jetzt im Unklaren; dafür habe ich keinVerständnis. Das ist keine verantwortungsvolle Politik,meine Damen und Herren.
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2876 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
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Das Wort hat nun Kollege Hans-Peter Uhl für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Der Rückgang der Haushaltsmittel des BMIum 128 Millionen Euro wird sicher schwierig umzuset-zen sein; aber es wird nur der Einstieg in eine ganzeKette von Reduzierungen unserer Haushalte, auch desHaushalts des BMI, sein. Deswegen halte ich es für rich-tig, Herr Minister, dass Sie eine Kommission einrichtenwerden, die sich die Sicherheitsarchitektur zumindestdes Bundes, aber wohl auch in ganz Deutschland, vor-nimmt.Wir haben – daran wollen wir natürlich nichts ändern –die Hoheit der Länder über die Polizeien.
– Auch Sie, Herr Wieland, werden mit einem solchenAusweis sicher identifiziert werden können, auch im In-ternet.
– Obwohl man Sie kennt, wird es auch Ihnen nichtsschaden. In München kennt Sie Gott sei Dank niemand,und da brauchen Sie einen solchen Ausweis.Dieser Ausweis wird kommen. 13 000 Kommunensind dabei, sich darauf vorzubereiten. Über 100 Firmensind jetzt schon dabei, zu investieren. Das lässt sich nichtrückgängig machen, denn das löst Schadenersatzpro-zesse in horrendem Ausmaß aus. Das will auch niemandrückgängig machen, das kommt zum Vollzug.
Lassen Sie mich noch einen Satz zur Vorratsdaten-speicherung sagen.
Das Urteil dazu haben wir zur Kenntnis genommen; wirhaben es in gewisser Weise sogar vorausgesehen.
Ich habe immer gesagt – bei irgendeiner Fernsehsendunghabe ich sogar eine Wette abgeschlossen –: Das Bundes-verfassungsgericht wird diese Vorratsdatenspeicherung,das Speichern von Verkehrsdaten dem Grunde nach fürverfassungsgemäß erklären – das hat es getan –, wirdaber wohl sagen, dass es mit Blick auf die Anwender-seite vielleicht da und dort doch zu weit gehe; auch dieshat es getan. Dies setzen wir jetzt um.Jetzt erzähle ich Ihnen etwas. Gestern war der Präsi-dent des Bundeskriminalamtes bei uns und hat von ei-nem erschütternden Fall berichtet. Ein Mann miss-braucht permanent seine beiden minderjährigen Töchter,rühmt sich im Pädophilen-Chat fortlaufend mit dieserTat und kündigt an: Ich mache das auch am kommendenWochenende. Das Bundeskriminalamt will diesem Ver-brecher auf die Spur kommen und versucht, seine IP-Adresse zu bekommen. Wäre sie gespeichert, könnte dasBundeskriminalamt diesen Mann festnehmen und dieseunerträglichen Verbrechen sofort stoppen. Aber er hatuns nachweisen können, dass die IP-Adresse vom Provi-der nicht gespeichert wird. Durch das Urteil des Bundes-verfassungsgerichts darf die Information auch nicht ab-gerufen werden, selbst wenn sie gespeichert wordenwäre.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2877
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– Herr Wieland, ich werde es Ihnen schriftlich geben,damit Sie den Ernst der Lage erkennen. Die Äußerungder Linken, wir sollten bei solchen Verbrechen erst ein-mal innehalten, wird zu einer Zumutung für jeden Bür-ger, der sich an die Regeln unseres Rechtsstaates hält.
Wir werden uns von den Sicherheitsbehörden Fälledieser Art berichten lassen. Wir werden keine Ruhe ge-ben, bis Fälle dieser Art in unserem Land gestoppt wer-den und bis die Sicherheitsbehörden in die Lage versetztwerden, durch Heraussuchen dieser Vorratsdaten solchenVerbrechern das Handwerk zu legen. Dazu sind wir ver-pflichtet, egal in welcher Partei man ist.
Ich freue mich, dass wir ein sehr viel weicheresThema hier bereits mehrfach besprochen haben. Deswe-gen kann ich mich kurzfassen. Die Winterolympiade2018 sollte nach München und Garmisch kommen. Wieich mitbekomme, sind alle dabei, dieses Vorhaben zu un-terstützen. Das ist gut so. Das Mini Bid Book ist beimInternationalen Olympischen Komitee eingegangen. Dieweiteren Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Allemachen mit: auf Bundesebene federführend der Bundes-innenminister, der Bundesfinanzminister mit Unterstüt-zung des Bundesverteidigungsministers durch die Be-reitstellung der Flächen für das Olympische Dorf. Weilalle mitmachen, bin ich zuversichtlich, dass wir im Wett-bewerb mit Südkorea und Frankreich am 6. Juli nächstenJahres die Nase vorn haben und sagen können: Der Zu-schlag geht an Deutschland. Ich danke allen Mitgliederndieses Parlaments für jedwede Unterstützung dieses Vor-habens.
Das Wort hat nun Kollege Michael Hartmann für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Es lag in der Natur der Sache, dass bei der heutigenDebatte über den Haushalt des Innenministers viel voninnerer Sicherheit und der Polizei die Rede war.Ich möchte in diesem Zusammenhang an ein schreck-liches Ereignis erinnern, dass sich gestern in meinemHeimatbundesland Rheinland-Pfalz zugetragen hat. Dortwurde ein Beamter des SEK von einem Hells Angelohne Vorwarnung, ohne Androhung und ohne erkenn-bare Gefährdung durch die geschlossene Tür erschossen.Er war trotz Schutzweste und allem anderen, was an Si-cherheitsmaßnahmen vorgenommen wurde, sofort tot.Es steht uns gut zu Gesicht, einen Moment an ihn undseine Angehörigen zu denken und uns gemeinsam vorAugen zu führen, dass Polizist bzw. Polizistin zu sein einlebensgefährlicher Beruf sein kann. Deshalb hat diePolizei, egal wo sie eingesetzt ist, unsere volle und un-eingeschränkte Unterstützung verdient.
Den größten Polizeikörper in Deutschland unterhältder Bund mit seiner Bundespolizei. Rund 40 000 Beam-tinnen und Beamten sind dort beschäftigt und versehenpflichtbewusst ihren Dienst. Es wird ihnen aber seit2008 mit dem, was sich Reform nennt, nicht leichter ge-macht, ihren Dienst pflichtbewusst und korrekt zu verse-hen. Wir haben am 1. März 2008 ein Gesetz verabschie-det – auch mit Stimmen der Sozialdemokratie –, das eineReform der Bundespolizei auf den Weg bringen sollte.Reform bedeutet Verbesserung. Es soll besser werden,auch wenn es beim Umorganisieren da und dort rumpelt.Wir sind nun bei der Evaluation. Dem Innenausschusswurde ein Bericht zugeleitet. Gott sei Dank haben wirals Sozialdemokraten im Jahr 2008 gefordert, dass dieseEvaluation durchgeführt wird. Die Widerstände – ich er-innere mich sehr gut an einzelne Diskussionen und Ver-handlungsrunden – bei unserem damaligen Koalitions-partner waren alles andere als gering.
Es war aber richtig, diese Evaluation durchführen zu las-sen.Nun liegt uns der Bericht vor. Herr Minister, über die-sen Bericht müssen wir intensiv und detailgenau reden.Das sind wir den Beamtinnen und Beamten schuldig.Lassen Sie mich eines sehr deutlich feststellen – vielevon uns haben Standorte der Bundespolizei in ihrenWahlkreisen; Sie wissen deshalb, dass ich das nichtleichtfertig oder aus einer einseitig gefärbten, parteipoli-tisch geprägten Sicht der Dinge heraus formuliere –: Indiesem Bericht ist nur eine Feststellung richtig. Sie lau-tet:Die personalwirtschaftliche Umsetzung der Neuor-ganisation dauert noch an.Selbst diese Formulierung ist beschönigend und be-mäntelnd. Das weiß man, wenn man sich anschaut, wiesehr diese Reform eine misslungene ist. Sehr geehrterHerr Minister, wir dürfen es nicht länger hinnehmen,dass diese engagierte Polizeieinheit, die größte in derBundesrepublik Deutschland, noch weiter beschädigtwird durch große organisatorische und strukturelle Feh-ler, die dieser Reform immanent sind.
Ich will das im Einzelnen begründen – ich nenne einigewenige Punkte, die wichtig genug sind –:Erstens. Die Aussage Ihres Vorgängers war: mehrPolizei in der Fläche. Rund 1 000 Polizeibeamtinnenund -beamte mehr sollten in der Fläche tätig sein und dieBundespolizei bei bahnpolizeilichen und sonstigen Auf-gaben offensiv unterstützen. Tatsächlich ist es so, dass
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2878 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Michael Hartmann
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rund 1 200 Beamtenplanstellen – davon war schon dieRede – nicht besetzt sind. Wo ist mehr Polizei in der Flä-che? Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben weniger Poli-zei in der Fläche als zuvor. Allein das ist ein Punkt, derbeweist, dass diese Reform eine misslungene ist, HerrMinister.
Wir haben tatsächlich einzelne Dienststellen, einzelneInspektionen, die mehr als 40 Prozent Personal zu wenighaben. Das ist keine Zahl, die ich erfunden habe. Demsteht entgegen, dass wir die Anzahl der Plätze in den Di-rektionen, in den Leitungsstäben und anderswo zum Teilum bis zu 200 Prozent aufgestockt haben. Das ist einkrasses Missverhältnis und steht im Gegensatz zu dem,was damals ausgesagt wurde und angeblich Ansatz derPolizeireform war.
Zweitens. Es werden derzeit, um die Zahlen zu schö-nen, sogenannte Fahndungsschwerpunkte – ich sage:künstlich – gesetzt. Da wird angeblich intensiv ermitteltund gefahndet zu Verstößen gegen das Ausländerrecht.Das ist eine Holkriminalität: Wenn man die Beamtinnenund Beamten losschickt, dann ermitteln die – notgedrun-gen – und finden auch etwas. Die Art und Weise des Vor-gehens ist zum Teil fragwürdig. Dafür können die Beam-tinnen und Beamten nichts. Zum anderen werdendadurch, dass man künstlich diesen Fahndungsschwer-punkt setzt, wichtige Aufgaben im bahnpolizeilichenund sonstigen Bereich vernachlässigt. Das ist ein weite-rer Beweis dafür, dass diese Reform eine misslungeneund zu korrigierende ist, Herr Minister.
Es gibt also entgegen der Ankündigung weniger Prä-senz in der Fläche. Es gibt eine Organisationsstruktur,die bezogen auf die breite Fläche misslungen ist. Dort,wo jetzt Inspektionen sind, wären Reviere vielleicht an-gebrachter und vice versa. Das sagen Ihnen alle Leute,die sich fachlich und im Detail mit der Bundespolizei be-schäftigen.Last not least, Herr Minister: Die Sozialverträglich-keit der Umsetzung war eine große Überschrift bei die-ser ganzen Reform. Ich selbst und sicher auch viele Kol-leginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen habeneine Vielzahl berechtigter Beschwerden und Klagen vonBeamten erhalten, die aus sozialen Gründen nicht ver-setzt werden wollen, die aber versetzt werden sollen, umdie Fehlorganisation auszugleichen. Das kann es nichtsein. Helfen Sie bitte mit – gemeinsam in diesem Haus –,damit den Beamtinnen und Beamten Recht widerfährtund das Versprechen von der sozialverträglichen Umset-zung eingehalten wird.
Diese Reform war die dritte in 15 Jahren, die über dieBundespolizei hinweggezogen ist, und wahrhaftig nichtdie gelungenste. Ich denke, ich konnte das begründenund ausführen. Herr Minister, ich habe die herzlicheBitte an Sie, weil ich weiß, dass Sie ein sachlich abwä-gender Mensch sind und Fakten zu werten und zu ge-wichten wissen: Gehen Sie raus zu den Polizeidienststel-len. Hören Sie sich auch an, was die einzelnenBeamtinnen und Beamten Ihnen zu sagen haben. LesenSie nicht nur das, was Ihnen das Präsidium aufschreibt.Lassen Sie uns im Innenausschuss offen über diesenwirklich an den Tatsachen vorbeigehenden Bericht dis-kutieren, und machen Sie das Ganze zur Chefsache. Re-vidieren Sie diese Reform, Herr Minister. Das ist meineherzliche Bitte an Sie am heutigen Tage.Sie haben vor kurzem in einem Interview in derFrankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung – ich be-fürchte, zu Recht – gesagt:In der Koalition wird zu viel herumgequatscht undzu wenig … gearbeitet.Herr Minister, solange dieser Satz – leider – wahr ist,werden wir Ihrem Haushalt nicht zustimmen können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Reinhard Grindel für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Korte, ich finde, an einem historischen Tagwie dem heutigen kann man Ihnen Ihre Bemerkungenüber die Beobachtung der Linkspartei durch den Ver-fassungsschutz so nicht durchgehen lassen.
Es sind gerade der Berliner Innensenator Körting und dieBerliner Verfassungsschutzchefin Schmid – ich nehmeBerlin als Beispiel, weil dort die Linkspartei sogar mit inder Verantwortung ist –,
die uns seit Monaten darauf aufmerksam machen, dassdie linksextremistischen Gewalttaten nicht nur hier inBerlin massiv zunehmen. Sie weisen auch darauf hin,dass es Verbindungen zwischen der Linkspartei und mi-litanten Gruppen gibt.
Ich darf darauf verweisen, dass es Ihre AbgeordneteFrau Höger war, die laut der Tageszeitung am17. Oktober 2009 die Verurteilung von Brandstiftern ausdem Kreis der militanten Gruppen mit den Worten kriti-siert hat:
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Reinhard Grindel
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„Gegen die aggressive deutsche Kriegspolitik sindviele Initiativen nötig.“
Das ist eine Verharmlosung von Gewaltanwendung, dievöllig unerträglich ist.
Ich will daran erinnern, Herr Korte,
dass am Ende der Rede des israelischen Präsidenten hierin diesem Parlament eine Reihe von Abgeordneten derLinkspartei demonstrativ sitzen geblieben ist.
– Ich kann Ihnen genau sagen, was das damit zu tunhat. – Danach haben mehrere Pfarrer aus dem Wahlkreisder Kollegin Dağdelen, die sitzen geblieben ist, einen of-fenen Brief geschrieben und darauf hingewiesen, dassFrau Dağdelen an Demonstrationen gegen Israel betei-ligt war, wo unter anderem Rufe wie „Tod Israel“ ausge-bracht worden sind.
Die Pfarrer schreiben:Früher liefen sie mit, heute bleiben Sie sitzen, eswidert uns an. Die Kirchen, die wir bespielen, sindKirchen der Kulturen, es sind offene Häuser, undmanche Gespräche werden darin so offen geführt,dass es weh tun kann. Auch Sie sind hier zu Gastgewesen. Sie werden es nicht mehr sein, Sie sinduns nicht erwünscht. Sie haben denen, die überlebthaben, den Respekt verweigert, unseren haben Sierestlos verloren.Es gibt einen Haufen Gründe, die Linkspartei vomVerfassungsschutz überwachen zu lassen.
Frau Kollegin Fograscher, Sie haben die DeutscheIslam-Konferenz angesprochen.
Ich möchte die Unterstützung der CDU/CSU für die Ent-scheidung des Bundesinnenministers über die Neuaus-richtung der Deutschen Islam-Konferenz ausdrücklichbetonen. Das gilt für deren Zusammensetzung, aber vorallem für deren Inhalte. Ich finde es bemerkenswert, dassdie Mitgliedsverbände des Koordinierungsrats der Mus-lime in Deutschland überlegen, sich dem Dialog in die-ser Islam-Konferenz zu entziehen, gerade wenn es kon-kret wird, wenn über die Gleichberechtigung von Mannund Frau, die Imamausbildung und den Religionsunter-richt oder auch eine klare Abgrenzung zum islamisti-schen Extremismus gesprochen werden soll.Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime nenntdas, was wir da vorhaben, heute in der SüddeutschenZeitung „Diskussionsspektakel“. Der Mann hat nichtsbegriffen. Ein Sprecher des Koordinierungsrats der Mus-lime hat gesagt, die Verbände wollten das Recht auf ihrreligiöses Leben durchsetzen. Ich habe nichts dagegen,dass wir intensiv darüber diskutieren, dass religiöses Le-ben von Muslimen in Deutschland möglich sein muss.Nur die Grundlage unserer Debatte muss klar sein. Eskann kein Recht darauf geben, Frauen zu unterdrückenund jungen Mädchen ihre schulischen und beruflichenPerspektiven zu nehmen.
Es kann kein Recht darauf geben, dass Religionsunter-richt nur noch in Koranschulen stattfindet.
Es muss Grundlage unseres Dialogs sein, dass man sichklar vom islamistischen Extremismus distanziert. Überdiese konkreten Fragen müssen wir bei der DeutschenIslam-Konferenz sprechen.
Ich will hier erwähnen, dass Necla Kelek in der FAZin dieser Woche völlig zu Recht darauf hingewiesen hat,dass zum Koordinierungsrat der Muslime auch DITIBgehört, die deutsche Vertretung der türkischen Reli-gionsbehörden. Es ist insofern eine Mitentscheidung dertürkischen Regierung, ob die muslimischen Verbändebei der Deutschen Islam-Konferenz mitmachen.
Unsere Bundeskanzlerin wird Ende des Monats in dieTürkei fliegen. Ich erwarte, dass die türkische Regierungnoch vor diesem Besuch ihren Einfluss geltend machtund erwirkt, dass sich die muslimischen Verbände demDialog über konkrete Fragen, die für das Zusammenle-ben von Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschlandvon entscheidender Bedeutung sind, nicht verweigern.
Ich will ein weiteres Thema ansprechen, das sehrwichtig ist und das der Kollege Wieland mit der Fragenach der Freiheit im Netz bereits indirekt aufgegriffenhat. Wir alle sind von den vielen Fällen, in denen Kinderin Internaten verschiedenster Träger missbraucht wordensind, schockiert. Es ist gut, dass diese Fälle jetzt aufgear-beitet werden, damit sich so etwas nie wiederholt.Aber ich will bei dieser Gelegenheit daran erinnern,dass sich Kindesmissbrauch in schrecklichster Art undWeise jeden Tag aufs Neue im Internet wiederholt. JederKlick ist eine Anstiftung zu neuerlichem Missbrauch.Wir müssen uns in diesem Haus darin einig sein – Frei-heitsdemo hin oder her, Herr Kollege Wieland –, dasswir das, was wir in der realen Welt bekämpfen, in dervirtuellen Welt nicht einfach so hinnehmen dürfen. Wir
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dürfen es nicht zulassen, dass Versuche, den Zugriff aufsolche Seiten zu erschweren, durch Vergleiche mit Inter-netzensur diskreditiert werden. Wir lernen jetzt immermehr, dass das Löschen solcher Seiten ausgesprochenschwierig ist und sich diese Seiten ohnehin janusköpfigim Internet verbreiten. Ich räume ein: Auch das Sperrenist sicher kein Königsweg. Aber mit ideologischen Gra-benkämpfen helfen wir den Kindern nicht.
Auch die Freiheit im Netz muss Grenzen haben. Wirmüssen umfassende Strategien zur wirksamen Bekämp-fung der Kinderpornografie im Netz erarbeiten, von derPrävention über die Strafverfolgung bis zum Opfer-schutz. Wir brauchen nicht nur eine nationale, sondernwir brauchen auch eine internationale Strategie. Insofernist auch dies eine Aufgabe der Europäischen Union. Wirmüssen national prüfen, ob wir die Strafandrohung demSchutzgut, um das es hier geht, der körperlichen und see-lischen Unverletzlichkeit von Kindern, anpassen müs-sen. Wir müssen etwas tun. Wir brauchen Runde Tischenicht nur zum Schutz der Kinder in der realen Welt, son-dern wir brauchen sie auch zum Schutz der Kinder in dervirtuellen Welt, die aber immer einen sehr realen undschrecklichen Hintergrund hat. Ich rufe dazu auf, dasswir uns der Herausforderung stellen, die Kinder zuschützen, auch mit Maßnahmen, die in der virtuellenWelt zum Tragen kommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich der letzteRedner in dieser Debatte bin, will ich besonders gernebetonen: Erstens. Wir stimmen dem Haushalt des Bun-desministeriums des Innern zu. Zweitens. Lieber Herr deMaizière, herzlichen Glückwunsch zu einem, wie ichfinde, guten Start im neuen Amt.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der
Ausschussfassung.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/1033? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei
Stimmenthaltung der Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/1034? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhält-
nissen wie zuvor abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 06 ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den
Tagesordnungspunkt I.15 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
– Drucksachen 17/607, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Funk
Ewald Schurer
Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Manuel Sarrazin
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
– Drucksachen 17/623, 17/624 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider
Otto Fricke
Roland Claus
Alexander Bonde
Zu dem Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Ewald Schurer für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Als Hauptbericht-erstatter zum Einzelplan des Bundesjustizministeriumsmöchte ich zunächst einmal meiner Überzeugung nach-kommen und der Frau Bundesministerin sowie ihremHaus – der Leitungsebene, aber auch den Mitarbeitern –ganz herzlich danken für die guten Arbeitsvorlagen undfür die gute Vorbereitung der Berichterstattung. DenKolleginnen und Kollegen aus der Berichterstatterrundemöchte ich für die kollegiale Zusammenarbeit danken.Der Justizhaushalt ist eine übersichtliche Veranstal-tung, aber deswegen nicht minder bedeutend für dasRechtsleben und die Funktionsfähigkeit der Justiz in derRepublik. Ausgaben von 489 Millionen Euro stehen Ein-nahmen von 409 Millionen Euro gegenüber. Das ist eineDeckungsquote von sage und schreibe 83 Prozent. Eineso hohe Finanzdeckung mit eigenen Mitteln zu errei-chen, das ist im Bundeshaushalt ein Novum.Geprägt ist dieser Haushalt durch die Personalausga-ben; sie machen 78 Prozent aus. Dem Wesen der Mate-rie entsprechend muss das Personal hochqualifiziertsein.
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Ewald Schurer
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Ich habe es schon gesagt: Für die Funktionsfähigkeitdes Justizwesens ist dieser Haushalt von großer Bedeu-tung. Bedeutend ist er aber auch dafür – ich möchte dasunterstreichen –, wie die Bürgerinnen und Bürger dieRolle der Justiz in der Gewaltenteilung, die wir in unse-rer Demokratie haben, wahrnehmen. Das BMJ nimmthoheitliche Verfassungsaufgaben wahr. Unter anderemstellen die ihm zugeordneten Gerichte den Justizgewäh-rungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger sicher, undder Generalbundesanwalt gewährleistet die Strafverfol-gungspflicht. Dies sind eminent wichtige Güter für dasRechtsleben einer demokratischen Kultur und eines de-mokratischen Staatswesens.Der größte und vielleicht markanteste Bereich in die-sem Hause ist das Deutsche Patent- und Markenamtin München mit Außenstellen in Berlin und in Jena.2 500 hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterwirken hier und erteilen und verwalten gewerblicheSchutzrechte und geben Informationen über gewerblicheSchutzrechte in Deutschland heraus. Ich habe jüngstenRecherchen entnehmen können, dass es im letzten Jahr60 000 Patentanmeldungen gab. Heute hat das Früh-stücksfernsehen aktuell beigesteuert, in der europäischenRangliste des Patentanmeldens belege Deutschland da-mit den dritten Platz. Das DPMA ist die Zentralbehördeauf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, alsoeine eminent wichtige Institution. Es erwirtschaftet72 Prozent aller Einnahmen im Bereich des BMJ undträgt so dazu bei, dass diese hohe Gegenfinanzierungs-quote erreicht wird.Im Jahr 2007 neu geschaffen wurde das Bundesamtfür Justiz, Kapitel 0708. Mit dem Bundesamt für Justiz,dessen Aufbau über Jahre geplant worden war, wurde eineneue, zentrale Dienstleistungsbehörde der Bundesjustizgeschaffen, die, wie ich nachvollziehen konnte, zur Ent-lastung anderer Bundesbehörden in dem Bereich „Justizund Recht“ geführt hat. Im Haushalt 2010 stehen Ausga-ben von 41,6 Millionen Euro Einnahmen von voraussicht-lich 70 Millionen Euro gegenüber. Das Bundesamt fürJustiz schafft größere Transparenz und Bürgernähe. Es hatzentrale Aufgaben im Bereich Registerwesen, Verfol-gung von Ordnungswidrigkeiten, allgemeine Bundesjus-tizverwaltung und dergleichen.Erlauben Sie mir einen kurzen Exkurs: Was mich alsHaushälter überrascht hat, ist, dass in diesem Einzelplan 07– Bundesjustizministerium – über die Jahre eine relativhohe Rate an Ausgaberesten aufgebaut wurde. Dazu ge-hören Stellen, die ausgewiesen, aber nicht besetzt wur-den, aber auch verschobene IT-Projekte und Bauvorha-ben. Angesichts der dramatischen Haushaltssituationmüssen diese Ausgabereste in den nächsten Jahrenselbstredend sinnvoll verwirtschaftet, sinnvoll eingesetztwerden, beim Personal oder bei notwendigen Investitio-nen.Lassen Sie mich einen Titel aufgreifen, der für michpolitisch eine besondere Sensibilität darstellt, in Anleh-nung an die Diskussion zum Einzelplan 06: In dem Ka-pitel für das Bundesamt für Justiz sind im Titel 681 01Härteleistungen für Opfer aller extremistischen Über-griffe vorgesehen. Dieser Titel wird um 700 000 Euroauf 1 Million Euro aufgestockt. Werte Kolleginnen undKollegen – vielleicht auch über alle Parteigrenzenhinweg –, ich möchte an dieser Stelle sagen: Man sollteniemals den Fehler machen, die Übergriffsarten gegen-einander auszuspielen. Es ist vorhin gesagt worden: Flä-chendeckend ist der Rechtsradikalismus in Deutschlanddie Bedrohung mit den meisten, signifikant nachvoll-ziehbaren Opferzahlen. Das kann man nicht kleinreden.Dennoch würde ich niemals auch einen vorhandenenLinksradikalismus kleinreden wollen.Zur Gewichtung dieser Formen sage ich zum Schlussaber ganz klar: Vergessen Sie bitte nicht, dass die rechts-extreme Gewalt in Teilen des Landes mittlerweile flä-chendeckend vorhanden ist, wie in Teilen Sachsens oderin Teilen Brandenburgs. Das sollte und kann man in kei-ner Weise kleinreden, auch wenn so etwas auch in Mün-chen oder sonst wo vorkommt.
Der Bezug ist, dass es darum geht, Programme weiterzu evaluieren und zu entwickeln, die in den letzten Jah-ren über das Familienministerium und über das BMI ent-sprechend aufgebaut worden sind.Für die Entwicklung des Justizwesens auf europäi-scher Ebene ist es noch wichtig, das EuropäischeGeldsanktionsgesetz zu erwähnen. Wir sind eines derletzten Länder in Europa, die die entsprechende Richtli-nie umsetzen. Hier geht es um die gegenseitige Anerken-nung von rechtskräftigen Entscheidungen über die Zah-lung von Geldstrafen und Geldbußen. Wenn ich richtiginformiert bin, soll das hier am 1. Oktober 2010 Gültig-keit erlangen. Die entsprechenden Aufgaben können nurerfüllt werden, wenn es an dieser Stelle einen Personal-aufwuchs um 99 Stellen gibt, die in diesem Haushalt be-reits induziert und geplant sind.Die Hochrechnungen besagen, dass es dann per an-num in etwa 100 000 Verfahren oder auch mehr gebenwird. Das würde für die Gegenfinanzierung Mehrein-nahmen von circa 7 Millionen Euro bedeuten. Für dieAnfinanzierung dieses Projektes stellen die Ausgabe-reste, die ich vorhin erwähnt habe, sicherlich eine guteMöglichkeit dar. Damit werden die Voraussetzungen ge-schaffen.Frau Ministerin, ich darf Sie selbst noch auf etwas an-sprechen, was für mich im politischen Bereich von gro-ßer Bedeutung ist. Sie persönlich waren innerhalb derFDP ja immer – das sage ich mit Anerkennung – eineFachfrau, die man mit Bürger- und Verbraucherrechtenverbunden hat, und Sie sind es auch jetzt. Das meine ichso, wie ich es sage. Trotzdem habe ich einige Ängste undauch ein schlechtes Gefühl, wenn ich mir das Ungefähredes Koalitionsvertrages hinsichtlich des Mietrechts an-schaue.Sie beabsichtigen, eine Grundkoordinate der Gesell-schaft, die auch die Funktion des sozialen Ausgleichshaben muss, zu verändern, um das Mietrecht unter Um-ständen einseitig zulasten bzw. zuungunsten der Miete-rinnen und Mieter zu verschieben,
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was für die soziale Sicherheit gerade von Familien undanderen Lebensrealitäten und deren Haushalte im Landesicherlich keine gute Sache wäre.
Deswegen will ich Sie fragen – das ist dann eine Sachedes Dialoges –, warum die FDP das Mietrecht eigentlichimmer nur von der Seite der Vermieter aus denkt.
Ist es denn so, dass durch die zugegeben natürlich auchvorhandene kriminelle Energie von wenigen Mietnoma-den – das bewegt sich im Promillebereich – der Schutzvon Millionen von Menschen ausgehöhlt werden muss,die auf ein anständiges Mietrecht mit guten Kündigungs-fristen angewiesen sind?
Diese Frage darf man doch höflich und bestimmt stellen,weil sich die Antwort darauf in dieser doch nicht einfa-chen Konstruktion von Schwarz-Gelb – wir alle wissen,dass Sie sich hier nicht sehr leicht tun – vielleicht aufIhre weitere Meinungsbildung auswirkt.
Zum Schluss ist es für die Öffentlichkeit auch nochwichtig, zu wissen – auch das macht mir, wiewohl nichtJurist, als Bundestagsabgeordneter, als Politiker undauch als Bürger schon ein bisschen Sorge –, dass Siekünftig auch Privatisierungen im Bereich des Rechtswe-sens vorsehen. Sie wollen zum Beispiel das Gerichts-vollzieherwesen privatisieren.Ich frage mich: Zu was soll das führen? Glauben Sie,dass durch Privatisierungen in der Rechtspolitik mehrSicherheit geschaffen wird? Glauben Sie, dass damit dieDurchsetzung von Recht und Gesetz verbessert wird?Glauben Sie, dass dadurch das Vertrauen der Bürgerin-nen und Bürger in den Rechtsstaat gestärkt wird? – Ichglaube das nicht.Sie stellen Analogien zu anderen Ländern her, in de-nen es – das ist bei uns nicht der Fall – fragile zivilge-sellschaftliche Strukturen gibt. Ich darf Ihnen das so sa-gen: In diesen Ländern ist dies eher vorzufinden,während das in unserem Rechtswesen nicht passend ist.
Deswegen glaube ich, dass es nicht notwendig und poli-tisch auch ein Fehler ist, die Aufgaben des Nachlassge-richtes auf Notare zu übertragen. Sie wollen vermeintlicheEinsparungen bei den Zwangsvollstreckungsverfahrenerwirken, aber damit geben Sie eine hoheitliche staatli-che Aufgabe in private Hände. Das ist mit uns Sozialde-mokraten nicht zu machen. Wir werden uns dagegen ent-sprechend wehren.Ich komme zu meiner Schlussaussage: Verschlechte-rung des Mietrechts oder Privatisierungen, wie sie hieraufgezeigt wurden, leisten meiner Meinung nach keinenBeitrag dazu, das Vertrauen der Menschen in die Politikoder in das Rechtswesen, also in die juristischen Voll-züge und die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber,zu erhöhen. Ich möchte Sie bitten, in diesem noch lau-fenden Prozess nachzudenken und einen politischenKonsens mit uns Sozialdemokraten zu suchen. Wir sindfür Beratungen immer zu haben, vor allen Dingen wennes um die Verbesserung der Sache geht.Ganz herzlichen Dank.
Das Wort hat nun die Bundesministerin der Justiz,Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Lassen Sie mich auch mit Dank beginnen. Ichdanke den Haushaltsberichterstattern der Koalition,Herrn Funk und Herrn Toncar, sowie den Berichterstat-tern der Opposition, also dem HauptberichterstatterHerrn Schurer, Herrn Sarrazin und Herrn Bockhahn. Ichbedanke mich außerdem für Ihren Dank an die Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums. Sie sol-len wissen, dass wir Ihnen offen gegenüberstehen, wennSie Informationen oder Begründungen für Ansätze inunserem Haushalt, der wirklich sehr überschaubar unddennoch sehr wichtig ist, benötigen.Lassen Sie mich mit drei kurzen Bemerkungen zumHaushalt beginnen. Ich möchte als Erstes mit dem Punktbeginnen, den Sie, Herr Schurer, angesprochen haben,nämlich den Titel für Härteleistungen für Opfer extre-mistischer Übergriffe. Dieser Titel ist deutlich aufge-stockt worden, und zwar um 700 000 Euro auf 1 MillionEuro. Wir haben im Haushaltsausschuss mit den Haus-haltsberichtserstattern intensiv darüber gesprochen. Esmuss sich daher niemand Sorgen machen, dass aus die-sem Titel keine ausreichenden Gelder gewährt werdenkönnen, um die Opfer, die rechts- oder linksextremisti-sche Gewalt erfahren mussten, zu entschädigen. Wir ha-ben die entsprechenden Richtlinien für die Verwendungdieser Gelder angepasst.Ich möchte mich außerdem – das ist meine zweite Be-merkung – ganz herzlich dafür bedanken, dass für unserezukünftige Aufgabe nach dem Geldsanktionsgesetz,das wir nach der Bildung der Koalitionsregierung zügigauf den Weg gebracht haben, die Stellenausstattung imHaushalt mit dem Tag des beabsichtigten Inkrafttretens,dem 1. Oktober 2010, gesichert ist. Herr Schurer, Sie ha-ben die Grundlage für diese Berechnung bereits vorge-tragen. Es ist eine wichtige Aufgabe. Wir sind verpflich-
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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tet, diese EU-Vorgabe umzusetzen. Das ist in der letztenLegislaturperiode nicht mehr passiert.Als dritte Bemerkung möchte ich das Präventions-projekt Dunkelfeld der Charité Berlin erwähnen, dasseit dem Jahr 2008 durch den Haushalt des Bundesjustiz-ministeriums mit jährlich 250 000 Euro gefördert wird.Meine Vorgängerin hat es zusammen mit den Haushalts-berichterstattern in den Haushalt eingestellt bekommen.Ich bin froh, dass die Förderung dieses Jahr fortgesetztwird. Für das nächste Jahr ist die Finanzierung aberüberhaupt nicht gesichert.Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatteüber Missbrauch in Institutionen von katholischen, evan-gelischen und anderen Trägern ist es in meinen Augenganz entscheidend, dieses Projekt weiterzuführen. Ambesten wäre es, es nicht nur weiterzuführen, sondern so-gar auszubauen. Denn es handelt sich um ein Projekt,das Männern, die die Gefahr ihrer pädophilen Neigungerkennen, die Möglichkeit gibt, sich an fachkundige Be-rater zu wenden und entsprechende Therapien zu ma-chen, bevor etwas passiert. Ich werbe daher schon jetztdafür. Es wäre in unserem gemeinsamen Interesse, wenneine Fortsetzung des Projekts gesichert werden könnte.
Wenn das nicht möglichst bald in Aussicht gestellt wird,dann werden viele Therapien nicht mehr angewandt wer-den können, weil sie über einen längeren Zeitraum undsomit über den Jahreswechsel hinaus andauern würden.Lassen Sie mich zur aktuellen Debatte über Miss-brauch und insbesondere über die vielen Missbrauchs-fälle aus den vergangenen Jahrzehnten kommen. Ichhabe mich als Bundesjustizministerin von Anfang an mitdem Gesichtspunkt eingebracht, der mich als Ministerinbesonders zu beschäftigen hat, nämlich die Durchset-zung des staatlichen Strafanspruchs. Genau das habe icheingefordert.Ich denke, es ist ganz wichtig, dass von allen Verant-wortlichen in Institutionen bei Anhaltspunkten, die sichetwas verdichten, die Informationen an die Staatsanwalt-schaft gehen, ohne dass wir wieder eine strafbewehrteAnzeigepflicht für alle Delikte in unser Strafgesetzbucheinführen. Ich habe heute zur Kenntnis genommen undfreue mich darüber, dass gerade in Bayern von Erz-bischof Marx öffentlich gesagt wurde, dass er sich dafüreinsetzt, dass die Leitlinien der Deutschen Bischofs-konferenz genau in diesem Punkt entsprechend geändertwerden sollen.Wir haben uns in der Bundesregierung – um auch hiergleich Spekulationen und weiteren Überlegungen denBoden zu entziehen –, nachdem ich diejenige war, dieals Erste einen runden Tisch ins Gespräch gebracht hat,auf einen gemeinsamen runden Tisch verständigt, der indie Zukunft blickt, aber auch zurückblickt und sowohldas Thema Prävention als auch rechtliche Fragen wie dieDurchsetzung des staatlichen Strafanspruchs behandelnwird. Von daher mündet das, glaube ich, in eine positiveEntwicklung ein, die auch – das muss unser Anliegensein – den Opfern von Missbrauch aus der Vergangen-heit da, wo Verjährung eingetreten ist, aber auch im Hin-blick auf Verhinderung Rechnung trägt.
Wir haben ein umfangreiches rechtspolitisches Pro-gramm, das sehr klar macht, dass wir sehr wohl in eini-gen Punkten Korrekturen vornehmen. Wir werden nachder Sommerpause im Kabinett den ersten Gesetzent-wurf, der sich mit dem Schutz der Berufsgeheimnis-träger befasst, nach Abstimmung mit den Ländern undauch mit den Ressortkollegen beschließen und ihn die-sem Haus zur Beratung und Beschlussfassung vorlegen.Wir müssen uns auch ausführlich und intensiv mit derEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur anlass-losen Vorratsdatenspeicherung befassen, nicht nur imHinblick darauf, was das für uns in Deutschland heißtund was dort kritisiert wird, und nicht nur im Hinblickauf Gesetzesformulierungen, die man nicht einmal ausdem Urteil abschreiben kann, sondern auch im Hinblickauf Datensicherheit und die Bereiche, die ausgenommenwerden sollen.Parallel dazu findet auf EU-Ebene derzeit eine Eva-luation statt, an der wir uns zu beteiligen haben, was wirauch tun. Die Prüfung erfolgt auch auf der Grundlageder EU-Grundrechtecharta, die in Kraft getreten ist. Vondaher werden wir und werde ich als zuständige Ministe-rin sehr verantwortungsvoll mit diesem so sensiblenThema umgehen, wobei wir uns aber auch diese Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichtes in ihrer ge-samten Tragweite auch im Hinblick auf zukünftige Pro-jekte immer bewusst machen müssen.
Herr Schurer, Sie haben einige Punkte angesprochen,auf die ich nur sehr kursorisch eingehen kann. Das allge-meine Gespenst der Privatisierung muss hier nicht andie Wand gemalt werden. Ich sage ganz deutlich: Alles,was nur mit einer Grundgesetzänderung möglich ist– dazu haben wir eine pauschale Aussage in unseremKoalitionsvertrag –, werden wir nicht vorrangig alsThema der Koalitionsregierung und der Fraktionen an-gehen. Das haben wir ausdrücklich so vereinbart, sodasswir uns damit befassen werden, was außerhalb derEbene einer Grundgesetzänderung möglich ist. Ichglaube, das kann schon als eine gewisse Bewertung auf-genommen werden.Aber wir müssen uns auch mit einer Fülle von Vor-schlägen aus den Ländern – über Ländergrenzen hinweg,nicht nur aus Ländern, in denen wir eine CDU/FDP-Re-gierung oder CSU/FDP-Regierung haben – befassen undgerade auch das Testamentsregister als erstes Projektforcieren. Das werden wir intensiv tun.Zum Mietrecht haben wir viele Punkte vereinbart.Dort werden wir und werde ich genau hinsehen: Was ge-hen wir zuerst an? Natürlich gehen wir das Thema Miet-nomaden an. Dabei geht es um das Berliner Modell oder
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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darum, eine deutliche Beschleunigung des Vollstre-ckungsverfahrens zu erreichen. Das dient allen.
Natürlich werden wir uns auch mit Luxussanierungenbeschäftigen.Ich sage ganz klar: Was die Kündigungsvorschriftenim Mietrecht angeht, werde ich überhaupt nur dann ak-tiv, wenn alle Koalitionsfraktionen voller Herzblut sa-gen: Genau das muss jetzt geschehen.
Von daher wenden wir uns zunächst einmal den anderenPunkten zu.Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld. –Danke schön.
Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Nešković für die
Fraktion Die Linke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Ministerin! Das waren zumSchluss optimistische Worte. Ich bin gespannt, was da-bei herauskommt.
Der Philosoph Ernst Bloch prägte einst das Bild vomaufrechten Gang: Ihn zu lernen, sei schwer, aber mög-lich. Zwei Lasten verwehren es den Menschen, aufrechtzu gehen. Auf ihren seelischen Schultern lasten Un-gleichheit und Unfreiheit. Auf der einen Schulter lastensoziale Not und Verelendung, auf der anderen Schulterstaatliche Bevormundung und Entrechtung. Aufrechtwollte Bloch uns sehen. Doch wirklich aufrecht geht derMensch nur als Freier unter Gleichen.Freiheit und Gleichheit sind die tragenden Prinzipienunseres Grundgesetzes. Politik, insbesondere die Rechts-politik, bewegt sich innerhalb dieser Grenzen. DerRechtsstaat und die Freiheitsrechte des Grundgesetzessollen es jedermann ermöglichen, sich gegen staatlicheEntrechtung zur Wehr zu setzen. Die Grundrechte alsFreiheitsrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Siestellen institutionalisiertes Misstrauen gegen einen un-vernünftigen Staat dar.Das Sozialstaatsprinzip hingegen verpflichtet denStaat zum sozialen Ausgleich und zur Schaffung einergerechten Sozialordnung, oder – um es mit den Wortenvon Heribert Prantl auszudrücken –: Der Sozialstaat istmehr als der liberale Rechtsstaat, er ist der Handausstre-cker für die, die eine helfende Hand benötigen.
Im über 60 Jahre alten Verfassungstext schlummerteine unverwirklichte Utopie: der soziale Rechtsstaat. Erist ein gutes Wegstück auf der Reise in eine humane Ge-sellschaft. Diesen Weg müssen wir beschreiten, wennwir uns beim Gang in die Zukunft aufrichten wollen.Doch die neoliberale Politik der letzten zwei Jahr-zehnte hat die Utopie unserer Verfassung missachtet.
Sie hat die Lasten auf den Schultern der Menschen ver-mehrt. Sie lässt zu, dass sich die Schere zwischen Reichund Arm täglich vergrößert. Freiheit hält sie für Wirt-schaftsliberalismus. Gleichheit ist für sie ein Fremdwort.Die neoliberale Politik hat mit den technischen Mittelnder Informationsgesellschaft – das war die vorherigeDiskussion – begonnen, einen Überwachungsstaat zu er-richten, der den Bürger mit immer neuen Unfreiheitenbeschwert. Am ferneren Ende dieses Weges dieser neoli-beralen Politik werden wir eine andere Gesellschaft ha-ben. In ihr werden Armut und Wut der Gebückten für so-ziale Kämpfe sorgen. Wir werden sehen, ob dann dieInstrumente des Überwachungsstaates genutzt werden,um den sozialen Protest der Menschen zu unterbinden.All das ist nicht die Vision des Grundgesetzes. DieVision des Grundgesetzes besteht darin, die Ideale vonFreiheit und Gleichheit miteinander zu vereinen; denn esgibt keine wirkliche Freihheit ohne Gleichheit. DieLinke – Sie werden das verstehen – hält es da mit RosaLuxemburg: Freiheit ohne Gleichheit ist Ausbeutung.Gleichheit ohne Freiheit ist Unterdrückung.
Wenn Sie das aufregt, dann lesen Sie doch Urheber des-selben Gedankens. Sie müssen nicht Rosa Luxemburgglauben,
Sie müssen auch nicht Ernst Bloch verstehen; Sie brau-chen nur die Texte des Verfassungsgerichtes zu lesen.
Am 17. August 1956 formulierten die Richter desBundesverfassungsgerichts:Die freiheitliche Demokratie ist von der Auffassungdurchdrungen, daß es gelingen könne, Freiheit undGleichheit der Bürger trotz der nicht zu übersehen-den Spannungen zwischen diesen beiden Wertenallmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu ent-falten– jetzt kommt es –und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zusteigern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2885
Wolfgang Neškoviæ
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Wolfgang NeškovićSo wörtlich das Bundesverfassungsgericht. Das ist derAuftrag unseres Grundgesetzes. Das haben uns die Ver-fassungshüter in unser politisches Stammbuch geschrie-ben.54 Jahre später hält Herr Westerwelle die Umsetzungdieses Auftrages für spätrömische Dekadenz. HerrWesterwelle vergleicht – das ist ein unglaublicher Zynis-mus – die Lebenswirklichkeit von Hartz-IV-Empfängernmit der Dekadenz der römischen Oberschicht in der Spät-antike.
Spätrömische Dekadenz existiert in diesem Land, für-wahr. Nie zuvor gab es in der Bundesrepublik so vielReichtum in den Händen weniger, Reichtum, der nutzlosan den Börsen dieser Welt verzockt wird, zulasten derAllgemeinheit. Wenn Herr Westerwelle also wissen will,wie die Dekadenz der römischen Oberschicht in etwaausgesehen haben mag, dann sollte er das Lebensumfeldeiniger Menschen untersuchen, die seiner Partei ständigGroßspenden zukommen lassen.
Seine von historischer Ahnungslosigkeit geleiteteAufregung hatte allerdings Gründe. Sein aggressiver Ei-fer wurde durch die Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts zu Hartz IV entfacht. Wieder hatte das Ge-richt über den Wert der Gleichheit in unsererGesellschaft zu entscheiden. Am 9. Februar 2010 stelltees fest, dass die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätzegegen den vornehmsten Artikel unseres Grundgesetzesund gegen eines seiner tragenden und unveränderlichenPrinzipien verstößt: gegen die Menschenwürde und ge-gen das Sozialstaatsprinzip. Das Bundesverfassungsge-richt legte fest, dass ein einklagbarer Anspruch aufGewährleistung eines menschenwürdigen Existenzmini-mums besteht. Dieser Anspruch ist laut Bundesverfas-sungsgericht unverfügbar, also nicht kürzbar, und mussstets gewährleistet sein. Das war eine kleine juristischeRevolution im Namen der Gleichheit.Wir benötigen jedoch größere juristische Revolutio-nen, um endlich den aufrechten Gang im Bloch’schenSinne zu erlernen; denn die Vision des Grundgesetzesscheitert daran, dass die Mehrheit in diesem Hause sichdieser Vision in trotziger Uneinsichtigkeit verschließt.Sie übersieht den sozialen Gehalt unserer Verfassung.Dieser Ignoranz muss auch ohne Hilfe des Bundesver-fassungsgerichts begegnet werden. Deswegen benötigenwir Texte im Grundgesetz, die das Sozialstaatsprinzippräzisieren. Wir benötigen auch konkrete soziale Grund-sätze.
Wir benötigen zum Beispiel Formulierungen wie diese:Arbeit ist die Quelle des Volkswohlstandes undsteht unter dem besonderen Schutz des Staates.
– Sie werden sich gleich noch wundern, Herr Grosse-Brömer.Ich fahre fort:Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient demGemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung ei-nes menschenwürdigen Daseins für alle
– ich wundere mich, dass Sie so empört sind, wenn esdarum geht, dass es allen gut gehen soll –und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltungaller Volksschichten.Ich betone: aller Volksschichten. Weiter heißt es – dasgeht an die Adresse der Damen und Herren von der FDP –:Kapitalbildung ist nicht Selbstzweck, sondern Mit-tel zur Entfaltung der Volkswirtschaft.Das Geld- und Kreditwesen dient der Werteschaf-fung und der Befriedigung der Bedürfnisse allerBewohner.Jetzt müssten Sie alle eigentlich klatschen, besondersdie Kolleginnen und Kollegen aus Bayern; denn es han-delt sich um Zitate aus der aktuellen bayerischen Ver-fassung. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
In dieser Verfassung steht nichts davon, dass das Geldund der Geldkreislauf den Bedürfnissen einiger wenigerdienen sollen. Es ist also nicht richtig, dass HerrAckermann schon wieder 10 Millionen Euro einsackendarf, während andere Menschen in diesem Staat um ihrGeld betteln müssen. Die bayerische Verfassung enthältin der Tat Vorstellungen für eine humanere Gesellschaft.Sie enthält die Utopie, von der man auch in Bayern weitentfernt ist. Das heißt jedoch nicht, dass man sich vondieser Utopie verabschieden sollte. Die Linke jedenfallswird sich von dieser Utopie, in der es darum geht, Frei-heit und Gleichheit miteinander zu verbinden, nicht ver-abschieden. Das ist im Bloch’schen Sinne der Weg zumaufrechten Gang der Menschen. Das ist genau der Wegund der Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht be-schrieben hat.Diesen Weg beschreitet die gegenwärtige Koalitionnicht. Sie hat Angst, die Banken an den Kosten der Ret-tungspakete zu beteiligen. Sie zaudert und geizt bei densozialen Ausgaben. Sie lehnt einen flächendeckendenMindestlohn ab. Sie befürwortet damit die Ausbeutungder Menschen. Sie hat im Koalitionsvertrag Vorstellun-gen zum Mietrecht offenbart, die den sozialen Zorn vonMillionen Menschen in unserem Land schüren werden.Die Kündigungsfristen im Mietrecht zulasten der Mieterzu verkürzen und die Mieter auch noch an energetischenSanierungsmaßnahmen zu beteiligen, sind Ausdruck ei-ner Klientelpolitik. Das ist die Politik des kalten Her-zens.Die Koalition hat auch vor, das moderne Jugendstraf-recht von seinem Erziehungsgedanken zu entfernen.Hier sollen wieder die deutschen Stammtische die Ober-
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Wolfgang Neškoviæ
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Wolfgang Neškovićhand erhalten. Herr Koch lässt grüßen. Wir halten daranfest: Bei Jugendlichen geht Erziehung vor Strafe.
Diese Koalition steht trotz der von mir sehr geschätztenJustizministerin weiterhin für eine freiheitsbedrohendeSicherheitspolitik.
Diese Politik ist für die Menschen in unserem Lande einDebakel. Das liegt schon an den politischen Grundvor-stellungen, die beide Parteien in die Regierung einbrin-gen. Die CDU/CSU ist mit ihrer Sicherheitspolitik keinFreund der Freiheit. Bei ihr gilt immer noch der Grund-satz: Im Zweifel für die Sicherheit und nicht für die Frei-heit. Die FDP dagegen ist kein Freund der Gleichheit.Sie ist eher ihr Feind. Diese beiden Partner treffen nun ineiner Wunschehe aufeinander. Die FDP trifft dort einenPartner, der kein Freund der Freiheit ist. Die CDU/CSUtrifft einen Partner, der ein Feind der Gleichheit ist. DieFolgen für die Menschen sind bitter. Diese Koalition isteine Koalition aus Unfreiheit und Ungleichheit.
Sie bringt den Menschen den gebückten Gang, nicht denaufrechten Gang.
Sie führt uns weg vom Auftrag des Grundgesetzes, undsie entfernt uns von der humanen Utopie unserer Verfas-sung – hoffentlich nur für knappe vier Jahre. Ich halte esda mit der Hoffnung. Das war das Lieblingswort vonErnst Bloch.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Alexander Funk für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Nach diesen philosophischen, absurden undutopischen Ausführungen komme ich wieder zu derHaushaltsberatung zurück.
Ich möchte mit einem Dank für die konstruktive Zu-sammenarbeit bei der Erstellung des Justizetats beginnen,der nicht spektakulär, aber deshalb nicht minder wichtigist. Wir haben in drei Sparrunden das vorgegebene Spar-ziel erreicht. Das Ministerium selbst hat Vorschläge erar-beitet, der Regierungsentwurf enthielt weitere Sparvor-schläge, und in der Bereinigungssitzung haben wirweitere Ressourcen erschlossen. Mit anderen Worten:Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Ausgabensind im Vergleich zum Jahr 2009 um 2,23 Prozent gesun-ken, was bei einem klassischen Verwaltungshaushalt mithohen Personalkosten, die allein 78 Prozent der Ausga-ben ausmachen, nicht ganz einfach ist; denn die Zahlungvon Gehältern und Löhnen können wir schlecht auf dasnächste Jahr verschieben.Herr Schurer, Sie haben einen Punkt aus dem Etat he-rausgegriffen, nämlich den Fonds für Opfer extremisti-scher Gewalt, der um 700 000 Euro ansteigt und einenBetrag von 1 Million Euro beinhaltet. Ich gebe Ihnenrecht, dass es nicht darum geht, die Opfer rechter Gewaltgegen die Opfer linker Gewalt auszuspielen. Genau des-halb haben wir diesen Fonds nun für die Opfer jeglicherextremistischer Gewalt umgewidmet; denn für das Opfermacht es sicherlich keinen Unterschied, ob es von einemBaseballschläger eines Rechten oder von einem Molotow-cocktail eines Linken verletzt wurde. Dem haben wirRechnung getragen.
Die vergangenen Wochen haben jedem, auch wenn ersonst mit dem Justizwesen wenig zu tun hat, klarge-macht, wie wichtig Rechtsetzung und Rechtsprechung ineiner Demokratie sind. Seit der ersten Lesung des Haus-haltsplans gibt es einige Beispiele dafür, wie Rechtspre-chung Medien und Menschen bewegt. Heftig gestrittenwurde und wird über die zukünftige Aufgabenwahrneh-mung nach dem SGB II. Die Diskussion ist das Ergebniseiner Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtsund wird nach unseren Vorstellungen in eine Änderungdes Grundgesetzes münden. Das höchste deutsche Ge-richt hat mit seiner Entscheidung zur Höhe des Regelsat-zes für Hartz IV neue Maßstäbe gesetzt, die wir nun um-setzen müssen. Ich warne aber vor einem populistischenSchnellschuss, der nur auf die Landtagswahlen in Nord-rhein-Westfalen ausgerichtet ist. Wenn die SPD nun ih-ren Ausstieg aus den Arbeitsmarktreformen verkündet,dann tut sie das mit haltlosen und nicht finanzierbarenVersprechen. Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel. Dassdie SPD von den Linken getrieben wird, ist unüberseh-bar. Nur frage ich mich in diesem Zusammenhang, wiees um das Seelenleben von Frank-Walter Steinmeier be-stellt ist, einem der Väter von Hartz IV. Der frühereSPD-Popbeauftragte Gabriel demontiert mit einer atem-beraubenden Radikalität sein Lebenswerk. Die einzigeReaktion des Oppositionsführers ist eine neue Brille.Sein Sichtfeld mag sich damit verändern, vielleicht so-gar verengen; aber für seriöse Politik ist das zu wenig.
Wir brauchen erst einmal die erforderlichen Daten desStatistischen Bundesamts, dann können wir vernünftiger-weise die Regelsätze für Hartz IV berechnen und einenGesetzentwurf vorlegen, der den betroffenen Menschengerecht wird und den Vorgaben des Verfassungsgerichtsentspricht. Schließlich müssen wir uns mit der sogenann-ten Vorratsdatenspeicherung befassen, nachdem Karls-ruhe das entsprechende Gesetz für null und nichtig erklärthat.
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Alexander Funk
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In diesem Zusammenhang stellt sich aber nicht nurdie Frage, welche Daten der Staat sammelt, sondern esgeht auch darum, wie ernst es die Bürgerinnen und Bür-ger und vor allem bestimmte Unternehmen mit der infor-mationellen Selbstbestimmung nehmen. Der scheidendePräsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-JürgenPapier, hat gesagt:Wir stellen nicht erst seit gestern fest, dass demGrundrecht auf Datenschutz nicht nur von staatli-cher, sondern auch von privater Seite Gefahren dro-hen.Er meinte damit die Daten privater Unternehmen, dieihre Beschäftigten ausspähen. Ebenso leichtfertig gehenaber diejenigen mit ihren persönlichen Daten um, dieihre Brieftaschen voller Bonuskarten haben; denn bei je-dem Einkauf hinterlassen sie Spuren. Anschließend be-schweren sie sich über die vermeintliche Datensammel-wut des Staates. Diese Koalition muss sehr besonnen dieSchutz- und die Freiheitsrechte der Bevölkerung abwä-gen, bevor ein neuer Anlauf zur Vorratsdatenspeicherungunternommen wird.Ausdrücklich begrüße ich den Vorschlag von Innen-minister de Maizière, einen Datenbrief einzuführen. Da-nach sollen Unternehmen ihren Kunden einmal jährlichAuskunft über die gesammelten Daten geben. Wer seineDaten schützen will, muss wissen, welche Daten überihn kursieren; hier gebe ich dem Innenminister aus-drücklich recht. Den Hinweis auf Kosten für die Unter-nehmen kann ich in diesem Zusammenhang nicht geltenlassen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmungist allemal das höhere Gut.
Kollege Funk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen von Notz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ja.
Herr Kollege, Sie haben den Datenbrief angespro-
chen. Ich selbst finde das Wort „Datenbrief“ ebenfalls at-
traktiv und interessant; das klingt nach einer guten Lö-
sung. Wie soll das Ganze in der Praxis aussehen?
Nehmen wir nur einmal die Daten, die ein soziales Netz-
werk wie Facebook über uns gespeichert hat: Soll man
jedes Jahr Dutzende von ausgedruckten Seiten – sie wür-
den unter anderem Fotos und Textkommentare enthalten –
von Facebook zugeschickt bekommen? Wie soll sich das
konkret darstellen? Glauben Sie tatsächlich, dass es dem
Datenschutz dient, wenn man Unternehmen dazu ver-
pflichtet, persönliche Daten für einen solchen Datenbrief
zusammenzuführen? Ist nicht vielmehr das Zusammen-
führen personalisierter Daten selbst ein Datenproblem?
Da Sie selbst wissen, welche Daten Sie im Internetveröffentlichen, haben Sie Kenntnis darüber, welche Da-ten in einem solchen Datenbrief enthalten wären; des-halb brauchen Sie darüber nicht informiert zu werden.Beim Datenbrief geht es um etwas ganz anderes: DieUnternehmen sollen Auskunft darüber erteilen, welchesKundenprofil sie erfasst haben; die jeweiligen Datensollen sie übermitteln. Dementsprechend kann derKunde selbst entscheiden, ob diese Daten gelöscht wer-den. Genau darum geht es. Es handelt sich hier um einenVorschlag, der diskutiert wird und den ich für ausgespro-chen sinnvoll erachte.Ein deutsches Sprichwort besagt: Es genügt nicht,recht zu haben; man muss es auch bekommen. Das giltfür jeden Einzelnen, der sein vielzitiertes gutes Recht ge-genüber dem Staat geltend machen kann und manchmalmachen muss. Auch hier führe ich ein Beispiel an – esberührt die Sozialgerichtsbarkeit –: Bei den Sozialge-richten gingen 2009 insgesamt 193 981 Klagen gegenVerwaltungsentscheidungen im Zusammenhang mitHartz IV ein; das waren 20 000 mehr als im Vorjahr. DerPräsident des Bundessozialgerichts, Peter Masuch, for-dert von uns, also der Politik, die Erfahrungen der Ver-waltungspraxis und die Gerichtsentscheidungen in dieGesetzgebung einzubeziehen. 193 981 neue Klagen, hin-ter dieser nüchternen Zahl verbirgt sich einerseits diehoffnungslose Überbelastung der Sozialgerichte; zu-gleich ist sie Ausdruck des Vertrauens, dass die Bürge-rinnen und Bürger zu Recht in den Rechtsstaat und seineGerichte setzen.
Ich will hier nicht in den Chor derer einstimmen, dieder deutschen Gesetzgebung pauschal vorwerfen, siehabe sich von der Lebenswirklichkeit entfernt. Dafürgibt es überhaupt keinen Anlass. Aber ich bin der Über-zeugung, dass Recht dem Rechtsempfinden der Men-schen nicht diametral gegenüberstehen darf;
dann nämlich wird es weder akzeptiert noch befolgt.Selbstverständlich muss Recht eine verlässliche Größebleiben, an der sich die Menschen orientieren. Es darfnicht in opportunistischer Weise einem ständig wech-selnden Zeitgeist angepasst werden.
Ein Thema, das uns alle in diesen Wochen bewegt, ist– ich formuliere es einmal juristisch – der Missbrauchvon Minderjährigen und Schutzbefohlenen. Kaum einTag vergeht, an dem nicht neue Übergriffe bekannt wer-den. Auch wenn die Fälle in der Regel Jahrzehnte zu-rückliegen, müssen sie schonungslos aufgeklärt werden.Darüber besteht Konsens. Ebenso wichtig ist es aber,
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Alexander Funk
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künftige Übergriffe zu verhindern. Gesetze allein dürftenhier nicht ausreichen.
Bei dem von der Bundesregierung angeregten rundenTisch müssen die Ursachen für die Misshandlungen undden Missbrauch von Kindern aufgeklärt werden. Nur sokönnen wir Wege einer wirksamen Prävention finden.In der derzeitigen Diskussion wird versucht, die ka-tholische Kirche als eine Einrichtung darzustellen, in deres, beispielsweise aufgrund des Zölibats, geradezu zumsexuellen Missbrauch von Kindern kommen müsse.Diese Versuche sind schlichtweg infam.
Ebenso infam könnte ich behaupten, dass die GrünenMitverantwortung für Kindesmissbrauch tragen. Siewerden es nicht gerne hören, aber Tatsache ist: Im NRW-Wahlkampf 1985 forderte die Grünen-Arbeitsgruppe„Schwule und Päderasten“, kurz: „Schwup“, den sexuel-len Missbrauch von Gefangenen und Kranken sowie Ab-hängigen, homosexuelle Handlungen an Jugendlichensowie den sexuellen Missbrauch von Kindern straffrei zustellen.
Sex mit Kindern sei, so formulierten die Grünen damals,„für beide Teile angenehm, produktiv, entwicklungsför-dernd“.
Dass Sie, meine Damen und Herren von den Grünen,nur ungern an solche Forderungen erinnert werden wol-len, liegt auf der Hand.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Montag?
Ja.
Danke, Herr Präsident. – Herr Kollege Funk, ich
möchte Sie fragen, nachdem Sie uns Grüne angespro-
chen haben, ob Sie in dieser Runde auch erzählen kön-
nen, welche unterschiedlichen Anträge im Laufe der
Jahrzehnte in Gremien der CDU bzw. der CSU entwor-
fen worden sind.
Haben Sie je davon gehört, dass irgendein Organ der
Grünen, dass irgendein Parteitag der Grünen, dass ir-
gendein Wahlkampfaufruf der Grünen solche absurden
Forderungen beinhaltet hätte, wie Sie sie hier zitieren?
Ich kann Ihnen versichern: In der Partei der Grünen
gibt es niemanden, der sexuellen Missbrauch fördert
oder bagatellisiert. Wir sind natürlich der festen Über-
zeugung, dass alle diese Dinge bekämpft und verurteilt
werden müssen. Deswegen möchte ich Sie bitten, solche
Anschuldigungen mit einem solchen Unterton gegen un-
sere Fraktion und meine Partei zu unterlassen.
Sie haben mich an dieser Stelle missverstanden. Ichhabe klipp und klar gesagt: Es wäre ebenso eine infameUnterstellung.Ich sage Ihnen auch, vor welchem Hintergrund ichdieses Beispiel angesprochen habe. Ich finde es als Ka-tholik, ich finde es als ehemaliger Messdiener, ich findees als Teil der katholischen Kirche unerträglich, wie ge-rade von Ihrer Fraktionsvorsitzenden Renate Künast diekatholische Kirche angegangen wird.
Es geht nicht an, dass finanzielle Sanktionen gegen eineInstitution für Straftaten Einzelner angedroht werden. Indiesem Zusammenhang möchte ich auch klarstellen,dass die grüne Partei nicht in Haftung genommen wer-den kann und mit sexuellem Missbrauch in Verbindunggebracht werden darf, wenn einzelne Gruppen eine solcheForderung vor 25 Jahren gestellt haben. Darum geht es.
In Fällen von sexuellem Missbrauch darf es nicht umgegenseitige Schuldzuweisungen gehen. Jeder einzelneFall von Kindesmissbrauch ist verwerflich und schlimm.Das Tabu des Schweigens muss gebrochen, die Tatenmüssen aufgedeckt, die Opfer – soweit das überhauptgeht – entschädigt und die Täter bestraft werden. Wennes notwendig ist, müssen wir auch die entsprechendenVerjährungsfristen verlängern.
Wichtig ist in dieser Debatte aber auch, dass wir nichtfür die Straftaten Einzelner eine ganze Institution in Haf-tung nehmen. So schlimm und schmerzhaft diese Miss-brauchsfälle sind, sie finden leider in allen gesellschaftli-chen Gruppen statt, überwiegend in Familien. Es handeltsich also nicht um ein kirchliches oder ein katholischesProblem, sondern um ein gesellschaftliches Problem, daswir gemeinsam bekämpfen müssen. Hierzu fordere ichalle auf.
Vielen Dank.
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Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit verlängern?
Nein.
Dann erteile ich Kollegen Jerzy Montag von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwerde in meiner heutigen Rede die bayrische Verfassungnicht zitieren, obwohl ich sie ausgesprochen gut findeund sie im Studium immer als eine der besten Verfassun-gen angesehen habe. Aber auch ich werde, bevor ichmich dem Justizsektor zuwende, etwas über unserenBundesaußenminister sagen müssen.Herr Westerwelle ist in der Kritik, und er antwortetauf diese Kritik. Er sagt uns, der Opposition, die Kritikan ihm sei unanständig, sie schade der Demokratie undsie beschädige die Demokratie. Dabei ist es so, dass wir– ich hoffe, Sie erinnern sich noch daran – den Bundes-außenminister Westerwelle gelobt haben. Wir haben ihndafür gelobt, dass er zuerst nach Polen gefahren ist. Wirhaben ihn dafür gelobt, dass er in der Vertriebenenstif-tungsfrage hart geblieben ist. Aber wir kritisieren ihnauch, wenn er in der Bundesrepublik Deutschland Men-schen beleidigt, die auf soziale Ausgleichsmaßnahmenangewiesen sind. Wir kritisieren ihn, wenn er Spendenentgegennimmt und dann die Spender mit Steuererleich-terungen bedacht werden. Wir kritisieren ihn wegen sei-ner Vetterleswirtschaft bei seinen Auslandsreisen. MeineDamen und Herren, es ist unsere Aufgabe und unserePflicht als Opposition, eine solche Kritik zu üben.
Aber eines ist auch klar: Unsere Kritik ist und wirdnicht so verletzend, so bodenlos und so unanständig wer-den, wie sie in der Koalition gegenseitig ausgesprochenwird. Davon konnte man gestern – ich kann es Ihnennicht ersparen – eine Kostprobe lesen. Zwei Abgeord-nete, einer aus dem Bundestag und einer aus einemLandtag, einer aus der CSU und einer aus der FDP, ha-ben gestern eine Unterhaltung geführt, und zwar über dieMedien, in aller Öffentlichkeit. Diese Unterhaltung gingso: Der FDPler sagte: Bis auf die Schwarte werde ich aufdie CSU eindreschen. Feuer frei auf sie! Ich freue michüber jede Sottise. – Antwort der CSU: Dem Kubicki istwohl die Schweinegrippe aufs Gehirn geschlagen.
Für solche politischen Quartalsspinner wie Kubicki kannsich die FDP nur schämen. – Antwort von Kubicki: BSEschlägt aufs Gehirn, nicht die Schweinegrippe. DiesenCSU-Generalsekretär – gemeint ist Dobrindt – werdenwir uns als Ersten vornehmen. Feuer frei auf ihn!
– Das ist das Thema.
Sie, nicht wir, lassen die Menschen daran zweifeln, dassin den Parlamenten überhaupt noch ernsthafte Politik ge-macht wird.
Sie zerstören das Vertrauen in die Volksvertreter, in uns,und in die Demokratie. Ihre Vorwürfe treffen nicht uns,sondern Sie selber. Sie liefern ein beschämendes Bildvon Zerstrittenheit und Unfähigkeit.
Jetzt im engeren Sinne zum Thema. Wir reden überden Haushalt des Bundesverfassungsgerichts und dendes Bundesjustizministeriums. Ich will mit dem Bun-desverfassungsgericht anfangen.Ich will Herrn Professor Dr. Papier meinen Dank aus-sprechen. Vorgestern hat die Stabübergabe in Karlsruhestattgefunden. Ich will ihm für seine Tätigkeit als Präsi-dent des Bundesverfassungsgerichts danken. Danebenwill ich den Glückwunsch an den neuen Präsidenten Pro-fessor Voßkuhle, den der Bundestagspräsident schonheute Vormittag ausgesprochen hat, erneuern und auchden neuen Richter Professor Paulus beglückwünschen.Der Dank gilt nicht allen Urteilen. Aber der Dank giltder Gradlinigkeit und der Klarheit, mit der das Gerichtüber viele Jahre in Demokratiefragen, in Menschen-rechtsfragen und in Bürgerrechtsfragen Kurs gehaltenhat. Mal über Mal hat das Bundesverfassungsgericht– sogar noch vor einigen Tagen – die Menschenwürdeund das Recht des Individuums hochgehalten und dieFreiheit in der Abwägung von Freiheit und Sicherheitnicht unter die Räder kommen lassen. Deswegen will ichan dieser Stelle sagen: Jeder Cent und jeder Euro, denwir im Haushalt für das Bundesverfassungsgericht ein-setzen, ist gut angelegtes Geld mit einer bürgerrechtli-chen Dividende für alle Bürgerinnen und Bürger.
Da wir schon über Geld reden, will ich auch einenPosten im Haushalt des Bundesjustizministeriums er-wähnen, der sich mit den Opfern rechtsextremistischerGewalt beschäftigt hat und der sich nunmehr mit denOpfern extremistischer Gewalt beschäftigt.
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Jerzy Montag
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Ich bin der Letzte, der Gewalt von linksextremer Seitebeschönigen will. Ich bin der Meinung, dass die Strafta-ten von rechts wie von links verfolgt werden müssen.Aber, Herr Kollege Funk, weil Sie diesen Punkt ange-sprochen haben, will ich Ihnen sagen: Darum geht es beidiesem Topf überhaupt nicht. Es geht nicht um das Geldfür die Verfolgung von Straftätern. Das Geld für die Ver-folgung von Straftätern steht im Etat für das Innenressortund wird dafür ausgegeben, sowohl linksradikale wieauch rechtsradikale Straftäter zu verfolgen. Es geht beidiesem Topf um die Opferentschädigung.
Dafür haben wir ein Opferentschädigungsgesetz, das alsAuffangposition allen Opfern rechtsextremistischer undlinksextremistischer Straftaten zur Verfügung steht.
Es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass wirseit 1989 die Situation haben, dass bei uns 150 Men-schen von Rechtsradikalen ermordet worden sind unddass wir Hunderte, ja Tausende von Verletzten undSchwerverletzten durch die Übergriffe von Neofaschis-ten und Rechtsradikalen haben. Deswegen hat diesesHohe Haus mit diesem Posten für die Opfer von rechts-radikaler Gewalt ein politisches Zeichen setzen wollen.Dieses politische Zeichen radieren Sie aus.
Sie behandeln gleich, was ungleich ist. Das ist der Feh-ler. Denn aufgrund des Ausmaßes und der Art undWeise, wie die Neonazis und die Rechtsradikalen unserLand bedrohen, Menschen Schaden zufügen und Men-schen umbringen, haben wir es mit einer einzigartigenGefahr zu tun. Es wäre schön, wenn diese Koalition dasendlich begreifen würde.
Frau Bundesjustizministerin, Sie haben zu Beginn Ih-rer Amtszeit ein Interview im Stern gegeben und davongesprochen, dass nun ein neuer Geist in der Rechts-politik einkehrt, dass es einen Richtungswechsel in derInnen- und Sicherheitspolitik geben wird und dass dasRitual immer schärferer Gesetze durchbrochen wird. Siewollten und wollen für mehr Bürgerrechtsschutz statt fürmehr Überwachung sorgen. Ich habe das gerne gelesen.Aber mir war von Anfang an klar: Das wird die härtesteNuss mit diesem Koalitionspartner.So erweist es sich auch. Ich weiß, die Union ändertsich, die Union modernisiert sich mit Hängen und Wür-gen und unter Schmerzen.
Aber in Bürgerrechtsfragen und in Freiheitsfragen gehtes bei Ihnen immer noch am langsamsten.
Deswegen sage ich: Jawohl, das ist für die Bundesjustiz-ministerin eine harte Nuss. Die Koalition ist auch in derRechtspolitik heillos zerstritten und völlig handlungsun-fähig.In der kurzen Zeit kann ich es Ihnen nur mit einemArgument verdeutlichen: Die Rechtsausschusssitzungder letzten Sitzungswoche dauerte elf Minuten, weil esvonseiten der Koalition und der Regierung nicht eineeinzige Vorlage gab. Auf der Tagesordnung des Rechts-ausschusses für die nächste Sitzungswoche gibt es über-haupt nur eine einzige Vorlage mit der Federführung desRechtsausschusses, und das ist ein Antrag der Grünen.Von Ihrer Seite, von der Regierungsseite, von der Koali-tionsseite gibt es keine einzige. Sie arbeiten nicht mehr,Sie bringen keine einzige Vorlage, und deswegen sagenwir Ihnen: Sie sind zerstritten, Sie leisten nichts, Siebringen überhaupt nichts zustande.
Ich hätte hier gern noch ausgeführt, dass ich in einemgewissen Sinne darüber auch froh bin,
denn wenn ich mir vorstelle, dass Sie das Erscheinenund die Aussagepflicht bei der Polizei einführen wollen,dass Sie die Wiederaufnahme zulasten von Angeklagteneinführen wollen, dass Sie das Jugendstrafrecht ver-schärfen und die Prozess- und die Beratungshilfe be-schneiden wollen usw., dann bin ich in einem bestimm-ten Sinne auch froh, dass es bei Ihnen ganz langsamgeht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte FrauMinisterin Leutheusser-Schnarrenberger, bleiben Siebitte bei den Zitaten, die ich aus Ihrem ersten Interviewvorgetragen habe. Kämpfen Sie weiter für mehr Bürger-rechtsschutz und gegen mehr Überwachung, gegen dasRitual immer schärferer Gesetze und für einen Rich-tungswechsel in der Rechtspolitik. Wenn Sie das durch-halten, haben Sie uns auf Ihrer Seite, aber leider nicht beidem Haushaltstitel Justiz; ihn werden wir ablehnen müs-sen.
Das Wort hat nun Michael Grosse-Brömer für dieCDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es wurde auch Zeit, dass man hier einmal zu
Wort kommt.
Ich habe Ihre Vorlesung, Herr Nešković, wieder mit
Wonne genossen. Sie haben ausnahmsweise Ihren An-
kündigungen dann auch Taten folgen lassen. Ich habe
mich in der Tat gewundert, als Sie gesagt haben, die
CDU sei kein Freund der Freiheit. Ich erlaube mir, nur
kurz daran zu erinnern, dass wir als CDU/CSU auch in
diesem Bundestag bereits die Wiedervereinigung propa-
giert und uns dafür eingesetzt haben, dass alle Deutschen
in Freiheit leben können,
bevor Sie überhaupt eine Stellungnahme dazu abgeben
konnten. Unserer Fraktion vorzuwerfen, sie habe ein fal-
sches Ideal von Freiheit und setze sich dafür nicht ein,
das ist so unerträglich an der Sache vorbei, dass Sie
künftig bei Ihren Vorlesungen darauf verzichten sollten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nešković?
Ja, selbstverständlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Grosse-Brömer, wollen Sie bitte zur
Kenntnis nehmen, dass ich mich natürlich freue, wenn
Sie meinen Worten mit Andacht lauschen, und ich mich
noch mehr freue, wenn das bei Ihnen auch einen gewis-
sen Erfolg hat?
Aber nehmen Sie bitte auch Folgendes zur Kenntnis:
Im Jahre 1990 war ich Mitglied im Landesvorstand der
SPD und zu diesem Zeitpunkt ungefähr zehn Jahre lang
Landesvorsitzender der SPD-Juristen in Schleswig-Hol-
stein. Da habe ich die gleichen Ideen und Vorstellungen
wie Sie hinsichtlich der Wiedervereinigung gehabt.
Also, das war wieder ein Fehlschlag.
Nein, ich habe Sie auch gar nicht persönlich gemeint;ich finde es toll. Das Einzige, was mich wundert, ist derUmstand, dass Sie, wenn Sie früher einmal so klug poli-tisch aktiv waren, sogar mit einer juristischen Ausbil-dung in der SPD, dann diesen Fehler gemacht haben,jetzt bei der Linken mitzuarbeiten. Das verstehe ich dannnicht, aber das werden Sie sicherlich vor sich selbst ver-antworten müssen.
Ungeachtet dessen muss ich natürlich noch kurz zudem Kollegen Montag kommen; ich hatte gar nicht soviel Platz, alle Stichworte aufzuschreiben. Ich freuemich ja auch, wenn Sie vermeintliche Diskurse zwischenFDP und CSU mit Interesse verfolgen.
– Ja, die gab es, bestimmt. Ich habe sie nicht richtig ver-folgen können, aber ich glaube Ihnen natürlich.In diesem Zusammenhang sollte man noch erwähnen,dass zum Beispiel Rot-Grün von einer stetigen Harmo-nie geprägt war. Insbesondere der Außenminister undder damalige Kanzler haben sich gemocht und nie etwasSchlechtes übereinander gesagt. Vielmehr herrschte Ein-tracht; es war Friede, Freude, Eierkuchen, im Gegensatzzu anderen Geschichten. Was die Zerstrittenheit betrifft,würde ich ein bisschen tiefer stapeln, als das in Ihren Re-den der Fall ist.
Mich wundert es, dass Sie immer die Opferentschädi-gung ansprechen. Sie beginnen Ihre Ausführungen im-mer folgendermaßen: Eigentlich gibt es keinen Unter-schied. Wir bekämpfen linke Gewalt genauso wie rechteGewalt. – Aber Sie finden es jedes Mal komisch, dassman die Opfer der jeweiligen Straftaten unterschiedlichbehandelt.
Ich will Ihnen sagen, was wir gemacht haben. Wennes das politisch eindeutige Zeichen gegeben haben soll
– doch, ich glaube, ich habe das verstanden –, nur Opferrechtsextremistischer Straftaten zu entschädigen, dannfinde ich es gut, dass wir jetzt das Zeichen gesetzt haben,dass es völlig gleichgültig ist, aus welchen politischenMotiven ein Mensch schwer verletzt wird. Es ist sinn-voll, hier keinen Unterschied zu machen und auch beilinksextremistischen Straftaten das politische Zeichen zusetzen,
dass man sie unterlassen soll und man die Opfer in iden-tischer Art und Weise wie die von rechtsextremistischenStraftaten entschädigen sollte.
Wenn Sie so wollen, ist das ein politisches Zeichen, ins-besondere vor dem Hintergrund, dass linksextremisti-sche Straftaten eine wesentlich höhere Steigerungsratehaben als rechtsextremistische, was die Situation abernicht besser macht.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir nach dem In-terview, das die Ministerin zu Beginn ihrer Amtszeit imStern gegeben hat, festgestellt haben: Diese christlich-li-berale Regierung
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Michael Grosse-Brömer
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wird insbesondere im rechtspolitischen Bereich sehr er-folgreich sein, weil wir uns gut verstehen und uns ver-nünftig darüber unterhalten, was gemacht werden soll.Hierin unterscheiden wir uns vielleicht von Rot-Grün.Wir arbeiten nicht schnell, sondern wir arbeiten sorgsam,
dann muss man im Zweifel auch nicht so viel korrigie-ren.
Die Zusammenarbeit ist gut. Machen Sie sich keine Ge-danken, dass wir in rechtspolitischer Hinsicht zu wenigmachen.
Derzeit findet der Insolvenzrechtstag in Berlin statt.Wir sind mitten in der Arbeit. Sie werden noch früh ge-nug Entwürfe bekommen, die dazu dienen, den Wirt-schaftsstandort Deutschland zu stärken. Im letzten Jahrgab es 33 000 Insolvenzen. Wir alle müssen daran arbei-ten, dass Arbeitsplätze erhalten werden und Unterneh-men nicht dadurch stigmatisiert sind, dass sie in Zah-lungsschwierigkeiten kommen oder unter Umständensogar Insolvenz anmelden müssen.Die Neufassung des Insolvenzrechtes ist eine großeAufgabe, die wir anpacken. Die Kollegin Winkelmeier-Becker wird das für unsere Fraktion übernehmen. Ichglaube, es ist sinnvoll, Insolvenzplanverfahren zu straf-fen und zu vereinfachen. Es ist auch sinnvoll, über eineverbesserte Eigenverwaltung nachzudenken. Der Insol-venzrechtstag in Berlin ist ein guter Anlass, diesesThema anzusprechen.Ich komme zum Thema Kindesmissbrauch; es istmehrfach angesprochen worden. Es ist unstreitig, dassdas kein spezifisches Problem der katholischen Kircheist, sondern ein Problem von Einrichtungen, in denenKinder betreut und erzogen werden. Die Mehrzahl derFälle findet ohnehin im privaten Umfeld statt.Wenn wir eine positive Lehre aus den Vorfällen derletzten Zeit ziehen, dann ist es die, möglichst sensibel zureagieren und zu überlegen, inwieweit dieser Miss-brauch verhindert werden kann. Das betrifft vor allemdie Sensibilität derjenigen, die in der Schule tätig sind.Vielleicht ist ein noch genaueres Hinsehen der Ärzte er-forderlich. Ich finde es richtig, dass es – auch auf Initia-tive der Bundesjustizministerin – runde Tische gibt, wo-bei die Beteiligten sowohl zurückblicken, um zuüberprüfen, was man noch an Entschädigung leistenmuss, als auch nach vorne, um darüber nachzudenken,wie künftige Taten zu verhindern sind. Wir sind der Auf-fassung, dass man in diesem Zusammenhang Mängel imgeltenden Recht beseitigen sollte; denn Zusehen und Be-dauern reichen nicht mehr aus.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja, gerne, wenn sie nicht so lang ist, wie das sonst bei
ihm der Fall ist.
Herr Kollege, meine Fragen sind immer ganz kurz.
Ich wollte diese Frage schon vorhin Ihrem Kollegen stel-
len. Sie kritisieren, dass nur eine Auseinandersetzung
mit der katholischen Kirche erfolgt, und weisen darauf
hin, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in vielen An-
stalten vorgekommen sind. Das ist ohne Zweifel richtig.
Wir erfahren jeden Tag, dass Menschen aus allen mögli-
chen Bereichen berichten, dass auch ihnen das passiert
ist.
Das ist wieder eine sehr kurze Frage. Ich merke das
schon.
Die entscheidende Frage ist doch: Wie gehen die da-
mit um? Die Kritik an der katholischen Kirche – gerade
seitens katholischer Laienorganisationen, der Katholi-
schen Jugend und anderer – betrifft den Umgang der ka-
tholischen Kirche damit, dass solche Vorwürfe gemacht
werden und sich Opfer melden.
Darum geht es doch. Sie müssen einmal sagen, wie Sie
sich dazu verhalten. Ich denke, in vielen Fällen wäre hef-
tigere Kritik an der katholischen Kirche angebracht, so-
wohl ganz oben als auch ganz unten. Geben Sie mir da
recht? Schließen Sie sich dem an?
Nach meiner Kenntnis hat die katholische Kirche ei-nen Sonderbeauftragten für diesen Bereich eingesetzt.Sie wird am runden Tisch teilnehmen. Bischof Marx istzitiert worden. Ich glaube, damit ist alles gesagt.
Wir sind der Auffassung, dass Kindesmissbrauchkünftig als Verbrechen behandelt werden muss. Ichglaube nicht, dass eine höhere Bestrafung per se der ein-zig wirksame Weg ist, um Straftaten zu verhindern, logi-scherweise. Deswegen sage ich ganz bewusst: Die Strafemuss mit Präventionsmaßnahmen einhergehen.
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Michael Grosse-Brömer
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Wir müssen uns damit beschäftigen, wie man auch aufanderen Feldern sexuellen Missbrauch beseitigen kann.Ich bin aber zusammen mit meiner Fraktion der Auffas-sung, dass wir die Täter, diejenigen, die diese widerli-chen Taten begehen, als das bestrafen sollten, was siesind, nämlich als Verbrecher.
Gleichzeitig denken wir über die Verjährungsfristennach. Das wissen Sie; das haben Sie den Zeitungen ent-nehmen können. Die Debatte darüber ist mittlerweile invollem Gange. Wir wollen die strafrechtliche Verjäh-rungsfrist verlängern, weil wir anhand konkreter Bei-spiele feststellen konnten, dass manche Opfer langebrauchen, um sich zu offenbaren. Insbesondere gilt diesaber auch für die zivilrechtlichen Verjährungsfristen;denn diese beginnen ab dem 21. Lebensjahr und betra-gen derzeit drei Jahre ab Kenntnis. Eine Verlängerungmacht Sinn. Ich glaube, für das Opfer ist es wichtig, zuwissen, dass der Täter für diese elende Tat bestraft wird;aber mindestens genauso wichtig ist es, sagen zu kön-nen: Ich bekomme Schmerzensgeld, ich habe einen An-spruch auf Schadensersatz für mögliche Therapiekosten. –Das sind sinnvolle Überlegungen in diesem Zusammen-hang, die wir rechtspolitisch aufarbeiten müssen.Kollege Montag, weil wir ab und zu auch außerhalbdes Plenarsaals diskutieren und fröhlich streiten, mussich Ihnen sagen: An einer Stelle bin ich völlig entgegen-gesetzter Auffassung. Sie haben öffentlich gesagt, zahl-reiche Missbrauchsfälle seien einer kinderfeindlichenund verklemmten Gesellschaft zuzuschreiben. Wörtlich:Wer eine verlogene Sexualmoral predigt, ist mit-schuldig daran, dass hunderte, vielleicht tausendevon Kindern und Jugendlichen in Schulen sexuellenÜbergriffen ausgesetzt waren.
Ich halte diese Argumentation für sehr, ich sage ein-mal, nachdenkenswert.
Ich meine das in folgendem Sinne: Entlastet man nichtin Wirklichkeit die Täter, wenn man sagt: „Die Gesell-schaft ist aufgrund ihrer falschen Moral schuld und nichtder Täter, der sich persönlich an den Opfern vergeht“?
Das ist die alte 68er-Debatte – ich dachte, wir hätten sieüberwunden –: Die Gesellschaft ist schlecht und produ-ziert dadurch Täter, die nichts dafür können.
Bei aller Liebe, darüber sollten wir wirklich einmalnachdenken.Wir sind der Auffassung, dass zivilrechtliche undstrafrechtliche Verjährungsfristen angepasst werdenmüssten. Unter rechtspolitischen Gesichtspunkten müs-sen wir darüber nachdenken, wie wir das am besten ma-chen. Das hätte einen Vorteil: Das Opfer müsste nichtzweimal vor Gericht erscheinen. Es gibt das Adhäsions-verfahren. Im Rahmen eines Strafverfahrens kann mangleichzeitig über Schadensersatz und Schmerzensgeldverhandeln.
– Das macht keiner. Das stimmt. Aber vielleicht ist daseine Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass es eigentlichsinnvoll wäre, das zu machen. Das Opfer nicht zweimaleiner öffentlichen Verhandlung auszusetzen, ist nämlichauch eine Frage der Rücksichtnahme, die die Miss-brauchten benötigen.Abschließend will ich auf die Vorratsdatenspeiche-rung eingehen; sie ist mehrfach angesprochen worden.Meist wird behauptet, dass das Bundesverfassungsge-richt die Politik korrigiert. Ich erlaube mir nur den Hin-weis darauf, dass das Urteil mit 4 : 4 Stimmen verab-schiedet wurde – da gibt es noch Abstufungen –,
sodass das Gericht offenbar nicht vollständig überzeugtwar, dass alles falsch ist.Wir christdemokratischen Rechtspolitiker sind jeden-falls der Auffassung, dass wir die Hinweise des Präsi-denten des BKA – der Kollege Uhl hat in der vorherigenDebatte, glaube ich, auf ein Beispiel hingewiesen –, dieer gestern in einer Sitzung unserer Fraktion gegeben hat,ernst nehmen sollten. Er sagte, dass man einen Sexual-straftäter eigentlich schon längst hätte dingfest machenkönnen, wenn es die Vorratsdatenspeicherung gäbe. Nurweil wir sie nicht haben, ist er immer noch im Internetunterwegs und prahlt dort mit seinen sexuellen Übergrif-fen.Wir sind der Auffassung, dass wir schnell handelnmüssen. Das Gericht hat ja bestätigt, dass die Vorratsda-tenspeicherung an sich geeignet und zulässig ist. Nur beider Datensicherheit und -verarbeitung muss nachgebes-sert werden.
Herr Kollege, gestatten Sie, bevor Sie zu Ihren
Schlussworten kommen, eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Wieland? Das verlängert Ihre Redezeit.
Würden Sie die Uhr dann auch anhalten?
Sofort.
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Vielen Dank. – Herr Kollege Grosse-Brömer, Sie ha-
ben jetzt das Beispiel wiederholt, das der Kollege Uhl
vorhin in der innenpolitischen Debatte genannt hat. Den
Kollegen Uhl zu belehren, ist meist sehr schwierig bis
unmöglich. Bei Ihnen versuche ich es einmal.
– Nein. – Wenn man das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichtes liest – das muss man natürlich machen –
und versteht, sieht man, dass die IP-Adressen ausdrück-
lich unter keinerlei Schutz gestellt werden. Es wird ge-
sagt: Die Vorratsdatenspeicherung bezogen auf IP-
Adressen ist – das kann man bedauern oder nicht – un-
verfänglich und darf durchgeführt werden. Die Auffor-
derung des Gerichtes zur Löschung hat sich deswegen
auch nicht auf die auf Vorrat gespeicherten IP-Adressen
bezogen. Wenn ein Betreiber das falsch verstanden hat,
wäre es Ihre Aufgabe als Rechtspolitiker Uhl und als
Rechtspolitiker Grosse-Brömer, sowohl das BKA als
auch die Betreiber darauf hinzuweisen. Sehen Sie das so
wie ich?
Ich sehe ziemlich viele Sachen so wie Sie. In diesem
Fall will ich Ihnen sogar zugestehen, dass Sie als Innen-
politiker im Zweifel noch mehr Spezialwissen haben als
ich. Ich verlasse mich auf den Präsidenten des BKA und
auf dessen Mitarbeiter,
der seit Jahren speziell in diesem Bereich arbeitet und re-
cherchiert.
Wenn dieser Mitarbeiter, der täglich damit zu tun hat,
mir erklärt, dass es mit der Vorratsdatenspeicherung
möglich gewesen wäre, einen Täter zu identifizieren,
dann glaube ich ihm das erst einmal, ohne Ihre hohe
Kompetenz bei diesem Thema zu bestreiten.
– Wir wehren uns ja nicht dagegen, täglich klüger zu
werden. Ich hoffe, das gilt für alle Fraktionen in diesem
Haus.
Zum Abschluss möchte ich sagen: Ich freue mich,
dass die Bundesjustizministerin zugesagt hat, die Hände
in diesem Bereich nicht in den Schoß zu legen, sondern
nachzuarbeiten.
– Ja, ich jedenfalls finde, das ist eine nette Zusage.
Es gibt dazu auch eine EU-Richtlinie. Durch gesetz-
geberisches Unterlassen würden wir die Sicherheit der
Menschen gefährden. Dazu sind wir als CDU/CSU nicht
bereit.
Abschließend möchte ich der Ministerin für die gute
Zusammenarbeit herzlich danken.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Man merkt an
den Reden und Feststellungen der Opposition, dass Sie
das Gefühl haben, dass wir besser sind, als zurzeit be-
merkt wird.
In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere gute Zu-
sammenarbeit.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-
gen Jerzy Montag.
Danke, Herr Präsident. – Lieber Kollege Grosse-Brömer, Sie haben mich persönlich angesprochen undeinen Artikel zitiert, den ich in der Presse veröffentlichthabe. Deswegen will ich die Gelegenheit nutzen, Ihnenzweierlei zu sagen.Als die schwarz-gelbe Koalition 1998 die Regie-rungsgeschäfte an Rot-Grün abgeben musste, haben Sieuns ein Sexualstrafrecht hinterlassen, das für den sexuel-len Missbrauch von Kindern Geldstrafen vorsah und beidem man von minderschweren Fällen ausging. Es be-fand sich auf dem niedrigsten Bestrafungsniveau, das esüberhaupt in der BRD gab. Wir, Rot-Grün, haben dasSexualstrafrecht verschärft. Wir haben die Geldstrafe ge-strichen. Wir haben die mittelschweren und die schwers-ten Fälle zu Verbrechen gemacht, die mit Freiheitsstrafevon 5 bis 15 Jahre belegt sind. Deswegen würde ich Ih-nen empfehlen, in diesem Bereich nicht wieder wie in ei-nem Pawlow’schen Reflex erhöhte Strafen zu fordern.Zu dem Text, den Sie kritisiert haben: Ich bin der fes-ten Überzeugung, dass die Polizei und die Staatsanwalt-schaft alles, was rechtsstaatlich möglich ist, tun müssen,um Sexualstraftaten aufzudecken. Die Täter müssen be-straft werden. Alle Straftaten geschehen aber in einemgesellschaftlichen Zusammenhang. Das Verhalten derOpfer, der Täter und der Organisationen, in denen sie ge-
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Jerzy Montag
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schehen, ist Teil des gesellschaftlichen Kontextes. Wa-rum haben sich Kinder und Jugendliche jahrzehntelang,bis sie Erwachsene im Alter von 30, 40 oder 50 Jahrenwaren, nicht getraut, über diese sexuellen Übergriffe zureden? Meine These ist: Das hängt im Wesentlichen mitder verlogenen Sexualmoral in der Gesellschaft zusam-men; das war zumindest in der Vergangenheit der Fall.Wir hören jeden Tag – ich nenne die katholische Kir-che nur als Beispiel, nicht um sie anzuprangern –, dasssolche Fälle in den 70er- und 80er-Jahren innerhalb derKirche bekannt geworden sind und die Pfarrer in andereBezirke oder andere Staaten versetzt wurden. Darüberhat man geschwiegen. Ich sage: Das hängt mit der verlo-genen Sexualmoral bestimmter Organisationen und derGesellschaft zusammen.Diese Situation hat sich gewandelt. Ich glaube, heut-zutage werden solche Fälle häufiger angezeigt. Wir kön-nen sexuellen Missbrauch erfolgreicher bekämpfen,wenn wir über Sexualität offen reden. Wenn wir uns überdieses Thema in einer offenen Debatte austauschen,dann haben die Menschen nicht eine so große Scham,solche Vorfälle anzuzeigen. Kinder und Jugendlichemüssen ertüchtigt werden, sich zu wehren und solcheVorfälle sofort bei einer Vertrauensperson anzuzeigen.Das habe ich gemeint, als ich geschrieben habe, dass diesexuelle Verklemmtheit und die verlogene Sexualmoralin den vergangenen Jahrzehnten eine Mitschuld daranhatten, dass diese Fälle so lange verschwiegen wordensind.
Herr Kollege, bitte schön.
Lieber Herr Kollege Montag, mir ist diese Begrün-
dung immer noch zu einfach. Diese Opfer schämen sich
nicht, weil sie nicht mit Sexualität umgehen können,
sondern sie schämen sich, weil sie Opfer eines massiven
kriminellen bzw. sexuellen Übergriffs wurden. Auch
nach Ihren Erklärungen, die ein bisschen umfangreicher
waren als das, was Sie geschrieben haben – der Satz al-
leine klingt ja ein bisschen anders –, bin ich der Auffas-
sung, dass es sehr mutig ist, der Gesellschaft mit Verweis
auf eine bestimmte Moralvorstellung die Schuld daran
zu geben, dass sich Opfer nicht eher offenbaren.
Ich glaube, wer Opfer einer Straftat wird – es muss
sich dabei nicht unbedingt um eine Straftat mit sexuel-
lem Hintergrund handeln, sondern es kann sich auch um
einen Überfall handeln –, hat manchmal ein Problem da-
mit, sich zu offenbaren, weil er dann die genauen Um-
stände und den Ablauf schildern muss. Das Problem ist,
dass sich nicht nur Opfer sexueller Straftaten, sondern
auch Opfer anderer Straftaten nicht offenbaren; dafür
gibt es Beispiele.
Ich glaube, dass es wichtig ist, im Strafrecht die Ei-
genverantwortung des Täters zu betonen. Wer Kinder
belästigt oder sexuell missbraucht hat, darf sich nicht
vom Acker machen, indem er sagt: Diese Gesellschaft
hat mir gar keine andere Möglichkeit gelassen. – Das
lasse ich als Entschuldigung nicht gelten.
Das Wort hat nun Christine Lambrecht für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Grosse-Brömer, vorab möchte ich michausdrücklich für Ihre Einschätzung bedanken, dass eineMitgliedschaft in der SPD eine vernünftige politischeAusrichtung ist.
– Natürlich, das hast du nicht gesagt. Es war aber genauso. Wir können das gerne im Protokoll nachlesen,
sofern du das noch nicht hast korrigieren lassen.
– Gesagt ist gesagt.Ich glaube, hinter dieser Einschätzung verbirgt sichviel mehr, nämlich der tief empfundene Wunsch, in eineGroße Koalition zurückzukehren.
Die Große Koalition hat gerade auf dem Gebiet derRechtspolitik unglaublich viel erreicht. Ich will nur ei-nen Bereich nennen, in dem wir alle, das gesamte Haus,an einem Strang gezogen haben: das Familienrecht.
Wir haben das gesamte Familienrecht umgekrempeltund es den neuen Herausforderungen angepasst. Dabeihatten wir alle im Boot.
Wie geräuschlos ging das vonstatten! Das nenne ichsachgerechte Arbeit.
Wenn ich aber höre, dass der rechtspolitische Spre-cher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hier im Plenumsagt: „Im Zweifel arbeiten wir“, und weiter ausführt: „In
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Christine Lambrecht
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dem Fall legt die Frau Ministerin nicht die Hände in denSchoß“, dann stellt sich mir die Frage: Im Zweifel arbei-tet ihr? Wir haben große Zweifel daran, dass ihr arbeitet.Und wenn Sie sagen, dass die Frau Ministerin in demFall nicht die Hände in den Schoß legt, war das ein er-neuter Angriff innerhalb der Koalition.
Ich fand es entlarvend, was in der heutigen Debatte vor-getragen wurde.
Traditionell ist es doch so, dass die Haushaltsdebattezu Beginn der Legislaturperiode eine erste Möglichkeitbietet, ein Resümee zu ziehen: Was ist passiert? Was hatsich die Regierung vorgenommen? Ich hatte gehofft,heute passiert richtig etwas, heute wird etwas auf denTisch gelegt, zu dem man sich positionieren kann. DieFrau Ministerin hat während ihrer Zeit als Oppositions-politikerin, aber auch im Wahlkampf hohe Erwartungengeweckt: Kein Mast war zu hoch, um die Freiheitsfahnezu hissen.Jetzt, nach nur wenigen Monaten, muss man sagen:Diese Fahne wurde relativ schnell eingerollt. Angefan-gen hat das Ganze – ich muss das immer wieder erwäh-nen – mit der Positionierung zum SWIFT-Abkommen.Was haben Sie als Oppositionspolitikerin gegen diesesAbkommen gewettert! Auf keinen Fall wollten Sie die-ses Abkommen durchgehen lassen. Es war mit Ihre ersteAmtshandlung, in dieser Frage einzuknicken. Ichglaube, das ist typisch für das, was uns in den nächstenMonaten und Jahren erwartet.Sie haben in der Rechtspolitik kein abgestimmtesKonzept. Sie haben zwar einen Koalitionsvertrag; aberwahrscheinlich wird das, was in diesem Koalitionsver-trag steht, immer dann, wenn es darauf ankommt, nichtumgesetzt. Sie haben vorhin gesagt, dass ein Vorhabennur zustande kommt, wenn alle drei Koalitionsfraktio-nen dem zustimmen. Wenn Sie etwas in Ihren Koali-tionsvertrag geschrieben haben, dann muss man dochdavon ausgehen können, dass Sie sich damals einig wa-ren. Da können Sie doch jetzt nicht damit ankommen,eine Einigung müsse erst erreicht werden. Die Erklärungder Ministerin war also entlarvend. Wir werden vieleFragen – wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge – vordiesem Hintergrund beleuchten.Ich will anfangen mit einem Punkt, den Sie, Frau Mi-nisterin, in der Öffentlichkeit gerne als eines Ihrer Pro-jekte beschreiben, nämlich die Pressefreiheit zu stärkenund Journalisten vor Beschlagnahme zu schützen. In Ih-rer Regierungserklärung vom November haben Sie ge-sagt – das kann man nachlesen –, dass Sie sich sofort mitdiesem Thema beschäftigen wollen. Heute mussten wirerfahren, dass es bis zur Sommerpause dauern wird, bisSie etwas vorlegen.
– Bis zur Osterpause werden Sie etwas vorlegen? Na,dann ist ja nicht mehr viel Zeit. Wir sind gespannt da-rauf. – Ich befürchte aber, dass CDU, CSU und FDP indieser Frage ähnlich wie in vielen anderen Fragen nichtunbedingt schnell zu einer Lösung des Problems kom-men werden. Ich habe den Eindruck, das ist hier wie imrichtigen Leben, wo Dreierbeziehungen auch immer einProblem darstellen. Politische Dreierbeziehungen wer-fen offensichtlich noch viel mehr Probleme auf.Wir können uns viele weitere Themen anschauen. Eswerden immer wieder runde Tische beschworen. Siesind doch nicht dafür gewählt worden und Sie sind dochnicht dafür Justizministerin, um runde Tische einzurich-ten. Wenn man all die runden Tische, die von der Justiz-ministerin, von der Familienministerin und von der Bil-dungsministerin eingerichtet werden, zusammenzählt,wird man feststellen, dass man damit einen Bankettsaalfüllen könnte. Ich glaube, das ist nicht das, was die Poli-tik machen sollte. Die Politik sollte Farbe bekennen, siesollte Vorschläge unterbreiten, statt, wie ich es von denKoalitionspolitikern zu ganz vielen Fragen gehört habe,anzukündigen, über die Fragen mal nachdenken zu wol-len.Ich will Ihnen einmal ein paar Punkte vorschlagen;dann werden wir sehen, ob Sie über das reine „Wir wol-len mal darüber nachdenken“ vielleicht hinauskommen.Das Thema Kindesmissbrauch ist angesprochen wor-den. Es ist richtig und wichtig, dass wir uns mit diesemThema in der gebotenen Ruhe beschäftigen und jetztnicht populistisch irgendwelche Vorschläge unterbreiten.Wenn man sich die Fälle und insbesondere die Situationder Opfer anschaut, erkennt man, glaube ich, dass eswichtig ist, dass man über eine Verlängerung der Verjäh-rungsfristen nicht nur nachdenkt, sondern Nägel mitKöpfen macht. Die Rechtspolitik kann ihren Teil dazubeitragen, dass solche Taten nicht vergessen werden,dass solche Taten geahndet werden und die Opfer zu ih-rem Recht kommen. Sie sollten sich einmal mit demVorschlag der SPD auseinandersetzen, in Bezug auf dasZivilrecht über eine Verlängerung der Verjährungsfristenauf 30 Jahre und in Bezug auf das Strafrecht auf 20 Jahrenachzudenken. Nehmen Sie diesen Vorschlag an! Ma-chen Sie endlich etwas, statt mit Gemeinplätzen wie„Wir werden darüber nachdenken“ zu kommen.Ich glaube, es ist wirklich allerhöchste Zeit, dass diePolitik hier einmal klare Worte findet und dann auch et-was tut und sich nicht nur in Allgemeinplätzen verirrt.
Ein weiteres Thema, mit dem Sie sich in diesem Zu-sammenhang vielleicht beschäftigen müssen – hierbeimöchte ich mich jetzt gar nicht zu runden Tischen aus-lassen –, ist die Frage, wie wir mit den Fällen umgehen,die bereits verjährt sind. Auch dazu gibt es Vorschläge.Diese würde ich Ihnen gerne unterbreiten, um auch dazueinmal Ihre Position zu erfahren.Was halten Sie beispielsweise davon, eine Untersu-chungskommission hier im Deutschen Bundestag einzu-setzen, die das ganze Ausmaß des Missbrauchs ermittelt,und zwar unabhängig, und die hierüber dann auch öf-
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fentlich Bericht erstattet? Warum ergreifen wir ange-sichts solcher Fälle, die uns alle berühren und betroffenmachen, nicht die Möglichkeiten, die wir haben, umauch in den Fällen, die verjährt sind, nichtsdestotrotz zuermitteln und sie aufzuklären?Ich glaube, das ist ein sehr konkreter Vorschlag. Den-ken Sie einmal darüber nach, und legen Sie vielleichtauch in diesem Fall nicht die Hände in den Schoß, son-dern werden Sie mal ein bisschen aktiver.Es ist viel darüber geredet worden, was Sie alles vor-haben. Ich hätte heute gerne zu viel mehr Punkten ganzkonkret Stellung bezogen. Leider fehlen uns momentandie Vorlagen, die alle angekündigt wurden – jetzt wiedereine. Wie gesagt, ich gehe davon aus, dass Sie auch wei-terhin nicht sonderlich viel dazu beitragen, weil die Zer-rissenheit spürbar ist.Ich will dies an einem Punkt deutlich machen: Wiralle erinnern uns an die Frage, ob der Staat CDs, alsoDatenträger, kaufen darf, auf denen Daten über Steuer-hinterzieher erfasst sind, und wie man in Zukunft damitumgeht. Gerade in der letzten Sitzungswoche gab eswieder einen schönen Chor von Stimmen aus der Koali-tion. Der Kollege Siegfried Kauder, der Vorsitzende desRechtsausschusses, hat gefordert, dass es in Zukunft ver-boten sein soll, solche CDs anzukaufen. Der KollegeAhrendt von der FDP hat ihm sofort beigepflichtet undgesagt, dass dies jetzt ganz dringend geregelt werdenmuss. Das kann man auch verstehen; denn beide kom-men aus Baden-Württemberg, und Baden-Württembergverweigert sich dem Ankauf.
Schließlich sagte der stellvertretende Fraktionsvorsit-zende der CDU/CSU, der für diesen Rechtsbereich zu-ständig ist: Es kommt überhaupt nicht infrage; über soetwas denken wir nicht einmal nach.Das ist Ihre Art, mit Themen umzugehen: Hü, hott!Hü, hott! Man weiß nicht mehr, wo man steht.Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie Ihre Aufgabeendlich entsprechend verantwortungsbewusst wahr, undhören Sie auf, die Probleme in Ihrer Dreierbeziehung öf-fentlich auszutragen.
Machen Sie endlich eine richtige, eine sachgerechtePolitik.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Frak-
tion.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Es ist schon eine interessante Debatte. Siependelt sich ein bisschen so ein: Die Sozialdemokratenwerfen uns vor, dass es die Gesetze, die sie gemacht ha-ben, immer noch gibt.
Das ist ein bisschen schizophren, aber wir haben uns da-ran gewöhnt. Herr Nešković bietet eine Mischung ausRechtspolitik und Klassenkampf, und Herr Montag wie-derum ist sachfremd in die Debatte eingestiegen, aberdas mit Kubicki war in der Tat wenigstens unterhaltsam.Herr Montag, ich kann Ihnen aber sagen: Erstens istKubicki nicht hier,
und zweitens ist das kein Fall für die Justiz und insofernauch noch nicht Gegenstand der Beratung hier, solangeer das nicht wahrmacht, was Sie vorgelesen haben. War-ten wir es doch einfach ab; schauen wir mal.
Ich möchte nun etwas zum Haushalt sagen. Wir habenhier zwar nicht viele Veränderungen vorgenommen, aberdoch die eine oder andere. Die Ministerin hat das Themader Entschädigung von Opfern extremistischer Gewaltangesprochen. Es ist schon wieder kritisiert worden –Herr Montag, Sie haben es gesagt –, dass hier die Axtangelegt wird, weil jetzt Opfer jeglicher extremistischerGewalt begünstigt werden können. Ich finde, dass Siedamit dem Titel und dem Thema nicht gerecht werden,und ich will Ihnen auch sagen, warum.Zunächst einmal muss man sagen, dass die Mittel die-ses Titels um das Vierfache ansteigen, nämlich von250 000 Euro auf 1 Million Euro. Auch die Vorausset-zungen dafür, diese Mittel zu erhalten, werden verändert.Das ist im Sinne der Betroffenen. Es wurde also keineAxt angelegt, sondern die Mittel steigen ganz beträcht-lich, nämlich um den Faktor vier. – Das ist das eine.Das andere ist: Es geht am Ende doch darum, dass einOpfer einer Gewalttat, das keinen Schadensersatz be-kommt, weil man zum Beispiel den Schädiger nichtkennt, weil er entschwunden ist oder weil er keinenSchadensersatz leisten kann, diesen Schadensersatz ausBilligkeitsgründen erhält. Es wird zuerst geschaut: Be-kommt er für die Tat einen Ersatz von dem dafür Verant-wortlichen? Deswegen kann man heute noch gar nichtsagen, wie viele Betroffene im Jahr 2010 aufgrund links-extremistischer und wie viele aufgrund rechtsextremisti-scher Straftaten Leid erfahren und keinen Ersatz bekom-men haben. Sie können das nicht sagen, und ich kanndas nicht sagen. Es ist völlig überflüssig, zu spekulieren,welche Opfergruppe mit einer höheren Zahl vertreten ist.Wir wollen etwas für die Opfer extremistischer Gewalttun. Dafür nehmen wir sehr viel mehr Geld in die Hand.Das ist gut und sollte hier nicht kleingeredet werden.
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2898 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Florian Toncar
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Der zweite Impuls, den wir als Koalition im Haushaltsetzen, betrifft die internationale Partnerschaft, dieRechtsberatung der Bundesrepublik Deutschland zumThema „Förderung von Demokratie und Marktwirtschaftim Ausland“. Das ist ein wichtiges Anliegen. Wir kön-nen, glaube ich, sagen, dass das deutsche Recht – egal obStrafrecht, Strafprozessrecht, Verwaltungsrecht oder Zi-vilrecht – im Ausland auf großes Interesse stößt. Wirkönnen sehr viel zur Verbesserung der Situation in Ent-wicklungs- und Schwellenländern beitragen. Wir solltenstolz darauf sein, anstatt unseren Rechtsstaat – so ist esin dieser Debatte teilweise auch wieder passiert –schlechtzureden. Das ist an vielen Stellen völlig maßlos.Wir sollten stolz sein. Unser Recht ist international ge-fragt, und das bildet diese Koalition im Haushalt ab.
Ich möchte noch auf einige rechtspolitische Themeneingehen. Aus liberaler Sicht ist die Entscheidung desBundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Vorrats-datenspeicherung zu begrüßen. Wir haben diese Ent-scheidung erwartet, da sie der Argumentation unsererFraktion, die wir in der Vergangenheit auch von diesemPult aus vorgetragen haben, entspricht. Ich denke, dassdieses Thema bei der Ministerin in guten Händen ist.Das hat sie in der Vergangenheit gezeigt.Sie hat auch ein weiteres Thema auf die Agenda ge-setzt – das wird von unserer Fraktion maßgeblich unter-stützt –, und zwar die Reform des Insolvenzrechts. Inder jetzigen Krise müssen wir uns überlegen: Ist unserInsolvenzrecht geeignet, den Erhalt von Arbeitsplätzenzu sichern, oder führt es dazu, dass Betriebe kaputtge-hen? Ich glaube, dass wir uns mit den Überlegungen zurStärkung des Insolvenzplanverfahrens und zu mehr Ei-genverwaltung auf einem guten Weg befinden. Denn ge-rade in der Krise müssen für den Erhalt von Unterneh-men und Arbeitsplätzen bessere Rahmenbedingungengesetzt werden.Folgende Frage hat die Ministerin dankenswerter-weise in einer Rede in Hamburg angesprochen: Wie kön-nen wir das Insolvenzrecht in den Bereichen reformie-ren, in denen es heute nicht mehr richtig greift? Das giltinsbesondere für die Bankenkrise und den Umgang mitden sogenannten systemrelevanten Banken. Ich denke,dass es einer der wichtigen Aspekte dieser Insolvenz-rechtsreform ist, sich zu überlegen, wie man mit diesemProblem umgeht und wie man wieder dazu kommt – dasist in einer Marktwirtschaft nur billig und gerecht –, dassjemand, der Fehler gemacht hat, auch die unternehmeri-sche Haftung – das geht bis zum Risiko der Insolvenz –dafür übernehmen muss.
Da Sie die Große Koalition so gelobt haben und Vor-schläge verlangen, möchte ich Sie darauf hinweisen,dass die Große Koalition gerade in diesem Punkt sehrunterschiedlicher Meinung war. Es gab einen Vorstoßvon Frau Zypries und Herrn Steinbrück sowie einen vonHerrn zu Guttenberg. Es hat aber eben nicht geklappt.Wir werden dafür sorgen, dass wir das Thema gemein-sam lösen. Was das Ziel angeht, sind wir uns einig.
Insofern ist das ein gutes Beispiel dafür, dass diese Ko-alition bestens funktioniert, Frau Kollegin Lambrecht.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der im Ko-alitionsvertrag enthalten ist. Es geht dabei um ein sehrwichtiges Thema, das Staatshaftungsrecht. Es ist inte-ressant, dass wir in einem Land leben, in dem fast allesumfassend gesetzlich geregelt ist. Aber die Frage, wannder Staat seinen Bürgern Ersatz schuldet, wenn diese ei-nen Schaden erleiden, ist nur fragmentarisch geregelt,und die entsprechenden Regelungen sind über etlicheGesetze verteilt, bis hin zum Grundgesetz, das zur An-wendung gebracht werden muss, da es keine speziellenGesetze gibt. Diese Frage ist seit Jahrzehnten offen ge-blieben. Ich finde, ein Rechtsstaat schuldet es seinenBürgern, ihnen klare Regeln bzw. Ansprüche für denFall zu geben, dass dieser Staat sie geschädigt hat undErsatz leisten muss.
– Ja. Jedenfalls wird das kommen, Frau Kollegin. Siesind sicher froh, dass es diese Koalition jetzt aufgreift.
Herr Kollege, was auch kommt, ist das Ende Ihrer Re-
dezeit.
Das Problem sind die vielen Zwischenrufe, Frau Prä-sidentin.
– Wir greifen das auf. Insofern ist die Dürre in derRechtspolitik der letzten elf Jahre endlich vorbei. Wirwerden das Thema lösen.
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Jetzt spricht der Kollege Stephan Mayer für die CDU/
CSU.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-
ginnen! Sehr verehrte Kollegen! Ich komme nicht um-
hin, auf den Beitrag des Kollegen Nešković einzugehen.
Sehr geehrter Herr Kollege Nešković, ich mache das
nicht deshalb, weil ich den Beitrag so exzellent fand,
sondern weil ich es für außerordentlich bemerkenswert
halte, dass Sie die Dreistigkeit besitzen, diesen Redebei-
trag ausgerechnet am heutigen Tag zu halten, dem
20. Jahrestag der ersten freien und gleichen Wahl zur
Volkskammer in der DDR. Sie haben dem Bundesaußen-
minister historische Unkenntnis vorgeworfen.
– Ahnungslosigkeit. Ich kann diesen Vorwurf an dieser
Stelle nur an Sie zurückgeben.
Es geht hier nicht um Sie persönlich; aber Sie sitzen auf
der Bank einer Fraktion, die Mitglieder hat, die der ehe-
maligen SED angehört haben, die teilweise sogar infor-
melle Mitarbeiter der Stasi waren, die also mit dazu
beigetragen haben, ein Unrechtsregime über 40 Jahre
aufrechtzuerhalten, das den Forderungen, die Sie hier
von sich gegeben haben, gerade nicht Genüge getan hat,
nämlich Gleichheit und Freiheit zum Durchbruch zu ver-
helfen.
Ich habe mir zufälligerweise heute Vormittag die
Mühe gemacht, das ehemalige Stasi-Gefängnis in Ho-
henschönhausen zu besuchen. Es ist schon bemerkens-
wert, was man erfährt, wenn man dort durch die Zellen
und Trakte geht. Man begreift: In einem Zeitraum von
40 Jahren waren dort insgesamt 17 Millionen Menschen
eingezäunt und hinter Mauern gefangen; Hunderttau-
sende Menschen wurden in der DDR tagein, tagaus be-
spitzelt; mehrere Tausend Menschen wurden geknechtet
und gefoltert.
Sie stellen sich jetzt hier hin und halten ein großes
Plädoyer für Gleichheit und Freiheit und werfen uns vor,
dass die Bundesrepublik Deutschland diesen Ansprü-
chen nicht genügt.
Sehr geehrter Herr Kollege, das halte ich, mit Verlaub,
für außerordentlich dreist und kühn.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Wawzyniak zulassen?
Sehr gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass sich Michael
Schumann bereits 1989 im Namen der Partei beim Volk
der DDR entschuldigt hat
und dass wir einen Beschluss zur Offenlegung unserer
politischen Biografien gefasst haben? Ich frage Sie: Gibt
es einen solchen Beschluss auch bei der CDU, die be-
kanntlich Mitglieder der DDR-CDU in ihren Reihen hat?
Frau Kollegin, mir ist bekannt, dass die Linksparteidie Nachfolgepartei der SED ist, dass die SED insgesamtdieses Unrechtsregime aufrechterhalten, unterstützt undgefördert hat, dass es in Ihren Reihen nach wie vorEwiggestrige gibt, die beispielsweise die wunderbareGedenkstätte in Hohenschönhausen bekämpfen, lächer-lich machen,
dass die rot-rote Regierung in Berlin nach wie vor nichtdie erforderlichen Mittel für den Erhalt der Gedenkstättebeiträgt. Meine sehr verehrte Kollegin, das sind Dinge,die mir bekannt sind. Ich glaube, es ist richtig, gerade am20. Jahrestag der ersten gleichen und freien Wahl derVolkskammer der DDR darauf hinzuweisen. HerrNešković, vor diesem Hintergrund habe ich Ihren Bei-trag wirklich als deplatziert empfunden. Sie hätten hierüber jedes Thema sprechen können, aber nicht über die-ses.
Da kann man nur sagen: Si tacuisses, philosophusmansisses.Frau Bundesjustizministerin, ich bin Ihnen sehr dank-bar, dass Sie das Thema Kindesmissbrauch so expo-niert dargestellt haben und Ihren Dank dafür zum Aus-druck gebracht haben, dass die bayerischen katholischenBischöfe heute auf ihrer Frühjahrskonferenz in Vier-zehnheiligen in Oberfranken deutlich gemacht haben,dass sie anregen werden, die diesbezüglichen Leitlinienzu novellieren. Wir müssen klarmachen, dass es keiner-lei Tabuisierung geben darf, dass es keinerlei Toleranzgegenüber diesen schrecklichen, unmenschlichen, bar-
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barischen Missetaten geben darf. Es ist mit dasSchlimmste, was man einem Menschen antun kann,wenn man ihm das Recht auf sexuelle Selbstbestimmungnimmt, wenn er Opfer eines entsprechenden Deliktswird. Hier ist der Staat gefordert.Natürlich gibt es berechtigte Fragen der Bürgerinnenund Bürger, wie der Staat darauf reagiert. Ich glaube, esist richtig, deutlich zu machen, dass die katholische Kir-che hier ihrer Verantwortung gerecht werden muss. Ichsage aber auch ganz offen: Kindesmissbrauch gibt esnicht nur im Bereich der katholischen Kirche. Es gabauch Kindesmissbrauch – vielleicht gibt es ihn immernoch – in evangelischen und weltlichen Einrichtungen.Wir sollten auch deutlich machen, dass sich der Großteilder Fälle von Kindesmissbrauch – leider Gottes ist dieDunkelziffer hier offenbar erschreckend hoch – im fami-liären Bereich ereignet.Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger, es istrichtig, hier einen runden Tisch zu bilden; ich bin Ihnenfür Ihre Initiative dankbar. Es ist gut, dass sich hier diedrei betroffenen Ministerien zusammentun. Sehr geehrteFrau Kollegin Lambrecht, ich sage Ihnen ganz offen: Ichhalte nichts davon, jetzt eine Untersuchungskommissiondes Bundestags zu etablieren, weil – ich hege diesenVerdacht einfach – Sie mit dieser Forderung unterstellen,die katholische Kirche und alle anderen Bildungsträgerseien nicht in der Lage, diese Untaten aufzuklären.
Dieser Auffassung bin ich dezidiert nicht. Ich habe Ver-trauen in die katholische Kirche. Ich möchte an derStelle auch deutlich machen, dass der Großteil der ka-tholischen Pfarrer, Priester und Kaplane seiner Arbeit,auch seiner Jugendarbeit, vollkommen seriös und ver-antwortungsvoll nachgeht.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass voninteressierten Kreisen durchaus ganz bewusst nicht nurauf diese Untaten und Verfehlungen hingewiesen wird,sondern versucht wird, der Institution katholische Kir-che nachhaltig zu schaden und sie nachhaltig zu erschüt-tern.
Es ist richtig, dass der Staat seinem Strafanspruch ge-recht wird. Es ist auch richtig, dass wir uns als ParlamentGedanken darüber machen, wie wir auf diese erschre-ckenden Enthüllungen – für mich ist das immer nochnicht fassbar – reagieren. Wir sind gut beraten, glaubeich, uns hier kein Stoppschild zu verpassen, sondern unswirklich offen und vorurteilsfrei über alle möglichenVorschläge und Diskussionspunkte Gedanken zu ma-chen.Dazu gehört natürlich, dass man sich Gedanken da-rüber macht, sowohl die zivilrechtlichen als auch diestrafrechtlichen Verjährungsfristen zu verlängern. Dazugehört natürlich auch, sich Gedanken darüber zu ma-chen, ob man Verbesserungen erreichen kann, was denSchadensersatz oder den Täter-Opfer-Ausgleich angeht.Meines Erachtens gibt es noch eine sehr berechtigte For-derung: Es wäre richtig, den Kindesmissbrauch vomVergehen zum Verbrechen hochzustufen.
Herr Kollege, es gibt noch einen weiteren Wunsch,
eine Zwischenfrage stellen zu dürfen, und zwar des Kol-
legen Sharma. Möchten Sie das zulassen?
Selbstverständlich. Sehr gern.
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben eben darauf hingewiesen,
dass die Bundesjustizministerin zu einem runden Tisch
in dieser Angelegenheit eingeladen hat und die runden
Tische auch zusammengeführt werden sollen. Haben Sie
zur Kenntnis genommen, dass die Bundesjustizministe-
rin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nicht nur zu
einem runden Tisch eingeladen hat, sondern darüber hi-
naus die katholische Kirche aufgefordert hat, sehr eng
mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten?
Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe die gesamte De-batte sehr intensiv zur Kenntnis genommen und habemich in dieser Debatte in den letzten Tagen und Wochenauch immer wieder persönlich zu Wort gemeldet. Es istrichtig, glaube ich, dass die katholische Kirche und ins-besondere die katholischen Bischöfe in Bayern heutedeutlich gemacht haben, dass sämtliche Verdachtsfällezur Anzeige gebracht werden. Es ist eine herausragendeLeistung der katholischen Bischöfe, dass sie heute be-schlossen haben: Auch wenn offenkundig schon die Ver-jährung eingetreten ist, sollen sämtliche Verdachtsfälleoffen, vorurteilsfrei und schonungslos zur Strafanzeigegebracht werden. Insoweit steht einer konstruktiven Ko-operation zwischen der katholischen Kirche und demStaat überhaupt nichts im Wege.Auch wir als Parlament sollten die Debatte in diesemSinne und in diesem Geiste führen und nicht so, wie esmeines Erachtens einige Kollegen ganz bewusst undauch interessiert tun, indem sie nämlich die katholischeKirche insgesamt herabwürdigen, indem sie auch nichtdavor zurückschrecken, sogar den Heiligen Vater zu dis-kreditieren und zu beleidigen. Das, sehr geehrter HerrKollege, halte ich für bodenlos, für unanständig und fürvollkommen unangebracht.
Daran, dass ich zum einen den Bundesaußenministerverteidigt habe, zum anderen die hervorragende, kon-
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struktive und sehr einvernehmliche Zusammenarbeit mitdem Bundesjustizministerium insgesamt, aber insbeson-dere auch mit der Spitze des Bundesjustizministeriumslobe, kann man sehen, dass die bürgerlich-christlicheKoalition auf einem guten Weg ist, dass wir insgesamt,aber gerade auch im Bereich der Justizpolitik sehr ge-deihlich und sehr einvernehmlich zusammenarbeiten. Indiesem Sinne steht einer erfolgreichen Justizpolitik inden nächsten dreieinhalb Jahren nichts im Wege.Herzlichen Dank.
Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist
der Kollege Professor Dr. Sensburg.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Wie meine Vorredner, zumindestdiejenigen, die zum Haushalt gesprochen haben, bereitsausgeführt haben, konnte der Titel Justiz nach den Haus-haltsberatungen um rund 5 Millionen Euro auf knapp490 Millionen Euro heruntergesetzt werden. Wir redendamit über einen Haushaltstitel, dessen Anteil am Ge-samthaushalt bei 0,15 Prozent liegt. Wir debattierenheute über einen Haushaltstitel, der große rechtspoliti-sche Auswirkungen hat und bei dem alle Möglichkeitender Einsparung genutzt worden sind. Die Justizministe-rin hat es bereits deutlich gemacht.Lediglich zwei Aufstockungen verzeichnet dieserHaushalt; der Kollege Toncar ist darauf kurz eingegan-gen. Zum einen ist im Haushalt eine Aufstockung derMittel für die Beratungshilfe für den Aufbau von Demo-kratie und Marktwirtschaft vorgenommen worden. Hiergeht es vor allem um die jungen Demokratien Mittel-und Osteuropas sowie die Staaten der ehemaligen Sowjet-union. Die deutsche Rechtsordnung ist ein internationa-ler Standortfaktor der Bundesrepublik Deutschland, denwir zugleich über diese Maßnahme weiter in den Fokusrücken wollen. Dass wir das bereits machen, beweist dieBundesratsinitiative der nordrhein-westfälischen Justiz-ministerin Müller-Piepenkötter. Der Entwurf eines Ge-setzes zur Einführung von Kammern für internationaleHandelssachen beinhaltet den Vorschlag, Rechtsstreitig-keiten auch auf Englisch als Gerichtssprache zu ermögli-chen. Das ist eine konstruktive, wettbewerbsorientierteRechtspolitik. Ich danke der nordrhein-westfälischenJustizministerin, dass sie hier Akzente setzt.
Zum anderen wird es eine Aufstockung beim bisheri-gen Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt ge-ben, und er wird auf Opfer extremistischer Gewalt ins-gesamt ausgeweitet. Herr Montag – ich schätze Sie sehrals sachkundigen Europarechtler –, ich halte es für fatal,eine Unterscheidung zwischen Opfern zu treffen. Wirdürfen nicht den einen Opfern eine Entschädigung ge-währen und den anderen nicht. Wenn Sie sich den Haus-haltstitel genau anschauen, stellen Sie fest, dass dieseAufstockung nicht zulasten der Opfer rechtsextremisti-scher Gewalt geht. Vielmehr werden auch die Opferlinksextremistischer Gewalt berücksichtigt. Herr Toncarhat eben sehr gut ausgeführt, dass es notwendig ist, zwi-schen den Opfern nicht zu unterscheiden. Es darf keineUnterscheidung geben.
Die Zahlen sprechen für sich. So ist beispielsweise inNiedersachsen die Anzahl linksextremistischer Strafta-ten im Jahre 2009 um 15 Prozent gestiegen, genauso wiein der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Das wer-den wir spätestens im Mai bei der Vorstellung der PKS,der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik, sehen. Verfas-sungsschutzpräsident Fromm äußerte sich am vergange-nen Montag in der Welt, bezogen auf die Gewalt vonlinks, wie folgt:Dass die Militanz deutlich zugenommen hat, mussich leider bestätigen. Auch die Zahl der gewaltbe-reiten Personen hat sich in den letzten fünf Jahrendeutlich erhöht. Gewalt auf der Straße und verdecktgeplante Anschläge nehmen zu … Auch der An-griff auf eine Polizeiwache im Dezember in Ham-burg spricht für ein verändertes Niveau.Ein Rechtsstaat darf die Augen vor keiner Gewalt ver-schließen und muss sich gegen Extremismus von linkswie von rechts wenden.
Mir scheint, dass gerade die Vertreter der Fraktion DieLinke immer wieder eine Verharmlosung linker Gewaltbetreiben. Dazu kann ich nur sagen: Der Staat muss sichgegen jede Art von Extremismus richten.
– Ich weiß gar nicht, warum Sie jetzt dazwischenrufen,Frau Kollegin.Ich zitiere aus der Internetseite der Linken: „Es gibtkeine linksextremistische Gefahr in Deutschland.“ In ei-ner Pressemitteilung der Linken vom 19. Januar 2010 istim Zusammenhang mit anwachsender linker Gewalt voneinem Phantom die Rede. Ich frage mich daher, ob Sieauf einem Auge blind sind, ob es sich um reinen Populis-mus handelt oder ob Sie Klassenkampf führen wollen.
Die Aufgabe der Justiz muss es sein, klar für denSchutz unserer Vollstreckungsbeamten und insbesondereder Polizistinnen und Polizisten einzutreten. Sie sindimmer wieder gewaltsamen Angriffen ausgesetzt. DieAngriffe steigern sich. Erschreckend ist hierbei, dass dieHemmschwelle sinkt und die Intensität der Taten zu-nimmt. Ich möchte die Relevanz an den Zahlen ausNordrhein-Westfalen verdeutlichen. Alle 90 Minutengibt es dort einen Übergriff auf Polizeibeamte.
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Dr. Patrick Sensburg
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Die Dunkelziffer ist – so die Deutsche Polizeigewerk-schaft – weitaus höher. Die christlich-liberale Koalitionsteht an der Seite der Polizistinnen und Polizisten in un-serem Land. Wir werden deshalb ihren strafrechtlichenSchutz im Strafgesetzbuch da, wo es nötig ist, verbes-sern.
Ich möchte denen, die dazwischenrufen, sagen: Ge-walttaten gegen Polizeibeamte sind kein Kavaliersdelikt.
Jeder Polizist und jede Polizistin ist auch Familienvaterbzw. Familienmutter. Der Staat muss den Schutz dieserPersonen gewährleisten. Dafür müssen wir uns einset-zen.
Ich möchte noch zu einem weiteren Thema kommen,zum Europarecht. Durch den fortschreitenden europäi-schen Integrationsprozess kommen immer mehr Aufga-ben auch auf das Bundesministerium der Justiz zu. Dieslässt sich – die Justizministerin hat es angesprochen –zum Beispiel am Europäischen Geldsanktionsgesetz er-kennen. Wenn mehr Aufgaben, insbesondere beim Bun-desamt für Justiz, auf den Bereich des Titels 7 zukom-men, dann müssen wir den Personalansatz erhöhen. Eswar richtig, ihn um 99 Stellen zu erhöhen. In anderenBereichen wurden Stellen gespart, und damit wurde derHaushalt ausgeglichen.Dieses Beispiel einer umzusetzenden Richtlinie zeigt,dass der Vertrag von Lissabon den nationalen Parlamen-ten mehr Rechte einräumt und sie stärkt. Gemeinsam mitden Kollegen des Europaausschusses und des Unteraus-schusses Europarecht des Rechtsausschusses arbeitenwir daran, die Subsidiaritätsprüfung ganz konkret vorzu-bereiten. Sie wissen, dass wir nur einen engen Zeitrah-men von acht Wochen haben, in dem wir die europäi-schen Vorhaben genauer unter die Lupe nehmen können.Parteiübergreifend möchte ich deutlich sagen: Der Bun-destag sollte die durch den Vertrag von Lissabon einge-räumten Rechte selbstbewusst und intensiv nutzen. Wirwerden das in der nächsten Zeit tun.Ich danke Ihnen.
Herr Sensburg, das war Ihre erste Rede hier im Haus.
Dazu gratulieren wir Ihnen alle sehr herzlich und wün-
schen Ihnen alles Gute für die Arbeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Aus-
schussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 17/1035? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Zugestimmt
hat die einbringende Fraktion, alle übrigen Fraktionen
haben den Antrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 07, Bundesministe-
rium der Justiz, in der Ausschussfassung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Einzelplan bei
Zustimmung der Koalitionsfraktionen angenommen; da-
gegen haben die Oppositionsfraktionen gestimmt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 19, Bundesverfassungsgericht, in der Ausschussfas-
sung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I.16 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
– Drucksachen 17/616, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Mattfeldt
Rolf Schwanitz
Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Sven-Christian Kindler
Es fällt auf, dass die Berichterstatter für diesen Ein-
zelplan nur Kollegen sind.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über diese werden
wir morgen nach der Schlussabstimmung befinden.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, dass hier ein-
einhalb Stunden lang debattiert wird. – Dazu sehe ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Schwanitz für
die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Traditionell beginnt man eine De-batte zu einem Einzelplan in der zweiten bzw. dritten Le-sung mit dem Dank für faire Berichterstattung und fürgute Information durch das Haus. Ich kann und willheute nur für die faire Berichterstattung danken. Das hatGründe: Nach meinem Dafürhalten hat es, bezogen aufdas Ministerium, Frau Ministerin Schröder, massive De-fizite im Hinblick auf die gewährten Informationen ge-geben. Da die Defizite so erheblich sind, will ich sie hieransprechen:Das erste Beispiel betrifft die Ausgabereste bei denTiteln. Wenn ich es richtig sehe, ist Ihr Ministerium daseinzige gewesen, das uns bei den Haushaltsberatungennicht die nötigen Informationen über Ausgabereste beiden einzelnen Titeln gegeben hat. Das ist deswegen be-
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Rolf Schwanitz
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sonders schmerzlich, weil in der Bereinigungssitzungdurch die Kollegen aus der Koalition vier Änderungsan-träge gestellt worden sind, die mit dem Hinweis auf vor-handene Ausgabereste begründet wurden. Daraus ist dieSchlussfolgerung zu ziehen, dass entweder die Begrün-dungen für diese Anträge falsch sind – das wäre Ihnengegenüber aus Sicht der Koalition nicht fair – oder dassdie Kollegen aus der Koalition über Informationen ver-fügen, über die die anderen Berichterstatter nicht verfü-gen.
Das wäre eine Informationspolitik nach Gutsherrenart,nach Parteibuch, nach Fraktionszugehörigkeit, die nichtzu akzeptieren ist. Das müsste abgestellt werden.
Das zweite Beispiel betrifft eine mir gestern zurKenntnis gelangte Vereinbarung bezogen auf den Zivil-dienst, genauer gesagt: auf die Jugendfreiwilligendiensteim Ausland. Aus dieser Vereinbarung, die zwischen Ver-tretern der Träger der Jugendfreiwilligendienste im Aus-land und Herrn Staatssekretär Hecken getroffen wordenist, geht hervor, dass diese Träger künftig, offensichtlichin 2010, 1 Million Euro zusätzliche Zuschüsse erhaltensollen. Ich spreche das deshalb an, weil die Frage, welchehaushaltsseitigen Auffang-, Übergangs- und Zuwen-dungsregelungen man schon in 2010 wegen der Verkür-zung der Zivildienstdauer braucht, in den Ausschussbera-tungen und in den Berichterstattergesprächen bisherimmer unbeantwortet geblieben ist.Ich will den letzten Punkt dieser Vereinbarung zitie-ren: Beide Seiten – damit auch das BMFSFJ – betonen,dass die Abfederungen, um die es hier geht – 1 MillionEuro –, von vornherein als notwendig erachtet werden. –Es stellt sich hier die Frage: Wie kann eine solche Ein-schätzung in diese Vereinbarung hineinkommen, wennman gegenüber den Berichterstattern die Auffassungvertritt, es bedürfe einer solchen Veränderung nicht?Auch hier sage ich: Es darf keine selektiven Informatio-nen geben; eine Informationspolitik nach Gutsherrenartmuss aufhören.
Frau Ministerin, nach der gestrigen Ankündigung be-zogen auf die Verkürzung der Zivildienstdauer haben wirnach meiner Einschätzung eine völlig neue Lage.
Es gibt eine Ankündigung des Verteidigungsministers,die schon gestern bei der Beratung des Etats des Vertei-digungsministeriums eine Rolle gespielt hat: Mittler-weile scheint klar zu sein, dass es die Verkürzung derWehrdienstzeit nicht erst zum 1. Januar 2011, sondernbereits in 2010 geben wird. Die Verkürzung der Zivil-dienstdauer soll offenkundig sogar noch früher gelten.Ich will festhalten: Die Koalition hat in der Bereini-gungssitzung eine globale Minderausgabe in Höhe von14,2 Millionen Euro im Bereich des Bundesamts fürZivildienst beschlossen. Sie hat darüber hinaus einenKürzungsvorschlag beim Sold gemacht – aber mit einervöllig anderen Begründung. Frau Ministerin, Sie haben inder ersten Haushaltsdebatte – das war vor fünf Sitzungs-wochen – der staunenden Öffentlichkeit zum ersten Malgesagt: Diese Verkürzung wird zum 1. Januar 2011 kom-men. – Das war Ihre Ankündigung. Auf alle von Kollegenund auch von mir gestellten Fragen, welche Auswirkun-gen diese Verkürzung 2010 hätte, hat Ihr Haus geantwortet:keine. Das war die Ansage im Berichterstattergespräch.Das war auch die Ansage in der Bereinigungssitzung.Jetzt kommt quasi einen Tag vor Abschluss dieser Be-ratungen die Information: Es ist alles anders. Die Ver-kürzung findet schon in 2010 statt. – Damit ist das, waswir hier im Kapitel „Bundesamt für den Zivildienst“ an-gesetzt haben, eigentlich Makulatur.
Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist ein gravierender Vor-gang. So kann man miteinander nicht umgehen. Sie kön-nen weder bezogen auf die Fachpolitiker, die natürlichberechtigterweise fragen, wie das nun gehen soll, nochbezogen auf die Haushaltspolitiker erst bestimmte Infor-mationen streuen, dann aber einen Tag vorher mit einerganz anderen Information kommen. Das verändert dieSituation grundlegend.Ich habe die Bitte, dass Sie sich zu diesem Vorganghier erklären,
und zwar nicht nur fachlich-inhaltlich. Ich betrachte daswirklich als eine schwere Belastung. Es war immer Ge-schäftsgrundlage zwischen den Haushältern und der je-weiligen Ministeriumsführung gewesen, dass jederHaushälter, jede Fraktion den gleichen Zugang zu Infor-mationen zur Beratung des Haushalts bekommt. Ichhabe die Bitte, dass Sie das hier klarstellen und sich dazupositionieren.
Wir definieren jetzt natürlich, was hier passieren soll.Im Bereich Zivildienst wurden in der Bereinigungssit-zung insgesamt 18 Millionen Euro eingespart, währendfür die Freiwilligendienste 1 Million Euro draufgesat-telt wird. Das ist eine interessante Relation. Ich bitte Sie,auch das einmal zu kommentieren. Die Sozialdemokra-ten und auch andere Fraktionen haben immer gesagt:Wenn es zu einer solchen Verkürzung kommt, dann mussdies mit einem signifikanten Aufwuchs bei den Freiwil-ligendiensten einhergehen.
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Rolf Schwanitz
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Was jetzt hier passiert, ist, dass 94 Prozent der beim Zi-vildienst eingesparten Gelder verschwinden.
Wenn die gleiche Relation bei der Operation in 2011 an-gelegt wird, kann ich nur sagen: Gute Reise!Nachdem ich dargestellt habe, was uns ärgert, möchteich noch eine Bemerkung zu dem Thema „Evaluation fa-milienpolitischer Leistungen“ machen. Ich habe einmalbei Google die Wortgruppe „Evaluation familienpoliti-scher Leistungen“ eingegeben. Man erhält 217 000 Tref-fer, übrigens ohne Pressemeldungen, sondern rein infor-mative Einträge auf Homepages im Internet. Da findensich zum Beispiel Stellungnahmen des DIW zum Fami-liensplitting und zum Elterngeld, des Ifo-Instituts zumFamilienleistungsausgleich, des IAB zu Familienpolitikund Beschäftigung sowie viele Stellungnahmen zur Fi-nanzierung familienpolitischer Leistungen. Ihre Vorgän-gerin hat ein Kompetenzzentrum für familienpolitischeLeistungen eingerichtet. Wichtige und honorige Profes-soren evaluieren dort unterstützend und begleitend, wasSie in diesem Bereich tun.Ich frage mich: Was soll eigentlich im Rahmen dieserneuen Evaluation geschehen; was soll da gemacht wer-den?
Wir haben diese Frage gestellt. Ihr Staatssekretär hatauch geantwortet. Inhaltlich erschließt sich mir das trotzder Antwort nicht. Was wollen Sie tun? Sie wollen jetzt5,1 Millionen Euro für diese Evaluation aus dem Titelfür Familien, Gleichstellung und Ältere zur Verfügungstellen. Die Kosten für diese neue Evaluation machen28 Prozent des gesamten Titels aus. Da das Ganze ge-meinsam mit dem Bundesfinanzministerium finanziertwird und bis 2013 gehen soll, wird diese Evaluation amEnde 16,6 Millionen Euro gekostet haben. Das wird eineMonsterevaluation von familienpolitischen Leistungen,nachdem hier schon jahrelang evaluiert worden ist. Für16 Millionen Euro können Sie locker eine kleine Unikaufen. Ich sage Ihnen: Was Sie dort tun wollen, werdenwir uns im Haushaltsausschuss gemeinsam gründlichstanschauen;
denn es handelt sich um einen großen Batzen Geld, dernicht in eine bisher jedenfalls inhaltlich nicht untersetzteAktivität münden soll.
Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren – meineNachredner werden sicherlich auch noch darauf einge-hen –: Das, was Sie im Bereich Rechtsextremismus tun,ist völlig unzureichend. Wir haben das kritisiert.
Ich versteife mich jetzt nicht darauf, dass Sie im Koali-tionsvertrag wie eine Monstranz vor sich hertragen, dasskünftig auch gegen Islamismus und LinksextremismusProjekte ins Leben gerufen werden sollen. Herr Staatsse-kretär Kues, habe ich gelesen, hat auf die Frage, was dasinhaltlich heißen soll, geantwortet, bis zum zweitenQuartal wolle man dafür Ideen sammeln. Wir werdenalso sehen. Aber dass Sie im Gegensatz zu dem Etat derBundesjustizministerin, die die Mittel dafür aufgestockthat, den Plafond so gelassen haben, wie er ist, und dafür2 Millionen Euro aus nicht verausgabten Mitteln für denKinder- und Jugendplan nehmen, ist eine klare Drohungfür die Zukunft.
Herr Kollege!
Denn damit ist die Mittelkürzung vorprogrammiert.
Da werden wir dranbleiben.
Herzlichen Dank.
Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi-nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Zuallererst, Frau Präsiden-tin: Auch Männer verstehen etwas von Familienpolitik.Ich denke, deshalb dürfen auch Männer heute zu diesemThema sprechen.
Herr Schwanitz, Ihre Kritik an der Ministerin ist abso-lut nicht gerechtfertigt. Sie haben mehrfach die Möglich-keit gehabt, Fragen an die Ministerin zu stellen.
Ich habe von Ihnen im Ausschuss nicht viele gehört. DieMinisterin und der Staatssekretär haben alle Fragen derBerichterstatter und der Mitglieder des Haushaltsaus-schusses beantwortet.
Frau Ministerin, ich darf Ihnen Dank aussprechen für diegute Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuss undinsbesondere mit den Berichterstattern.Der Haushalt des Familienministeriums weist für dasJahr 2010 6,543 Milliarden Euro aus und zeigt damit
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Andreas Mattfeldt
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eine absolute Kontinuität zu den vergangenen Jahren. Inzahlreichen Ausschussberatungen haben wir in den ver-gangenen Wochen die einzelnen Posten des Entwurfesberaten und zum Teil hart, aber sachlich gestritten. Inmeiner letzten Rede zum Regierungsentwurf habe ichgesagt, dass wir sparen müssen, um unsere Kinder vorallzu großen Schulden zu bewahren. Ich habe aber auchgesagt, dass wir mit Verstand und vor allen Dingen ander richtigen Stelle sparen müssen, damit die Familienvon uns die Unterstützung bekommen, die sie wirklichbrauchen. Gerade deshalb, Herr Schwanitz, ist Evalua-tion so wichtig; denn so bekommen wir die Wirksamkeitunserer familienpolitischen Maßnahmen deutlich vorAugen geführt.
– Dem geht es leider schlecht, Frau Kollegin.Wenn wir über das Familienressort sprechen, solltenwir uns ein Beispiel an unseren Kindern nehmen. Beimeinen beiden Kindern sehe ich täglich,
wie sie ihr begrenztes Taschengeld zur Verwirklichungihrer Wünsche einsetzen. Wenn am Monatsende keinGeld mehr da ist, müssen sie eben auf CDs, Süßigkeitenund die beliebte Jugendzeitschrift verzichten. Das habensie sehr schnell gelernt; sie wissen mit ihrem Geld gut zuhaushalten. Vor allen Dingen haben sie gelernt, ihr knap-pes Budget nicht für unnütze Dinge auszugeben.
Daran sollten und müssen wir uns ein Beispiel nehmen.Wir können den Bundeshaushalt nicht immer weiter aus-ufern lassen und neue Schulden machen, um Dinge zufinanzieren, von denen wir von vornherein wissen, dasswir sie uns nicht leisten können.
Dies gilt für alle Einzelpläne in diesem Haus, auch fürden Einzelplan 17, den Haushalt des Familienministe-riums.Nach den letzten, zugegebenermaßen äußerst anstren-genden Wochen der Haushaltsberatungen kann ich sa-gen: Der Spagat zwischen Begehrlichkeiten und Spar-samkeit ist uns Haushältern gemeinsam mit denFachpolitikern und dem Ministerium gelungen. In einemgemeinsamen Kraftakt haben wir es geschafft, unserenBeitrag zur Konsolidierung des Haushaltes zu leisten.Darüber hinaus haben wir es geschafft, die Projekte, diein der Wirksamkeit für unser Land bedeutend sind, mitzusätzlichen Mitteln auszustatten.Mir ganz persönlich liegt am Herzen, zu erwähnen,dass es uns gelungen ist, die Nettokreditaufnahme um5,6 Milliarden Euro auf immer noch 80,2 MilliardenEuro abzusenken. Ich sage ganz ehrlich: Mir ist es nichtleicht gefallen, meine Zustimmung zu dieser hohen Neu-verschuldung zu geben.
Aber vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschafts-krise führt – das sollten auch Sie begriffen haben – leiderkein Weg daran vorbei.Das bedeutet aber auch, dass jeder Einzelne von unsdie Verantwortung trägt, die Neuverschuldung nicht wei-ter ausufern zu lassen. Wir dürfen die aktuelle Krisenicht als Ausrede benutzen, alle Ausgabenwünsche, diean uns herangetragen werden, zu erfüllen.
Deswegen ist jedes Ministerium gefordert, seinen Bei-trag zu leisten und auch das eine oder andere Mal Neinzu der einen oder anderen Begehrlichkeit zu sagen.
Auch das gehört zur Politik.Herr Bockhahn, ich habe Ihre Ausgabenwünsche ge-sehen. Sie sind ausufernd. Das darf ich Ihnen sagen.Wenn ich mir die Anträge, die die Linke in die Beratun-gen eingebracht hat, anschaue, dann kommen mir Zwei-fel, ob so Oppositionsarbeit aussieht. Während sich alleanderen Oppositionsparteien mehr oder weniger um Vor-schläge für eine Gegenfinanzierung bemüht haben,
fehlt das bei Ihnen völlig, Herr Bockhahn.
Herr Bockhahn, Sie haben Anträge eingebracht, in denendoch tatsächlich gefordert wird, den Familienetat um9,8 Milliarden Euro aufzustocken.
Das ist erheblich mehr als die 6,5 Milliarden Euro, überdie wir jetzt diskutieren. Dazu kann ich Ihnen nur sagen:So funktioniert Oppositionsarbeit nicht; so werden Sienicht ernst genommen, nicht im Parlament und schon garnicht von den Bürgerinnen und Bürgern.
Im Bereich des Familienetats ist es uns trotz eines ho-hen Anteils gesetzlich festgelegter Leistungen gelungen,einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten.Wir haben es immerhin durch Einsparungen bei den un-terschiedlichen Haushaltstiteln geschafft, ein Einsparvo-lumen von 17 Millionen Euro zu erbringen.Eigentlich wollten wir sogar 22 Millionen Euro ein-sparen. Allerdings haben wir in der Union es für sinnvollgehalten, die Mittel für die Bundesstiftung „Mutter
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Andreas Mattfeldt
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und Kind“ um 5 Millionen Euro gegenüber dem Regie-rungsentwurf anzuheben.
Der Regierungsentwurf sah in diesem Bereich für 201092 Millionen Euro vor. Weil wir in der Union von derWirksamkeit der Arbeit, die die Stiftung leistet, über-zeugt sind, sind wir der Auffassung, dass diese Stiftungwie 2009 auch in diesem Jahr 97 Millionen Euro erhal-ten soll. Die Bundesstiftung hilft schwangeren Frauen inNotlagen ganz unbürokratisch. Sie unterstützt sie finan-ziell. Das Ziel der Stiftung ist es, das ungeborene Lebenzu schützen und die Bedingungen für die Schwangere zuverbessern. Sie erleichtert unter ganz schwierigen Vo-raussetzungen nicht nur den Start in die Elternschaft,sondern trägt auch zur Armutsprävention bei. Außerdemleistet sie im System der Frühen Hilfen einen wertvollenBeitrag und kann so helfen, Kinder zu schützen. Deshalbhaben wir diese 5 Millionen Euro zusätzlich eingestellt.
Weiterhin unterstützen müssen wir die alleinerziehen-den Frauen und Männer. Sie stehen mehr als andere vordem Problem, Familie und Erwerbsarbeit in Einklang zubringen. Auch deshalb gelingt es leider einem hohen An-teil Alleinerziehender nicht, sich aus der SGB-II-Be-dürftigkeit zu befreien. Es ist unsere Pflicht, gemeinsammit den Unternehmen die Rahmenbedingungen so zusetzen, dass auch Alleinerziehende mit kleinen Kinderneiner Erwerbsarbeit nachgehen können. Stärkung vonErwerbsarbeit ist die beste Armutsprävention.
Deshalb ist es weiterhin von großer Bedeutung, dass wirunsere Kraftanstrengung fortführen und gemeinsam mitden Ländern und vor allem den Kommunen eine verläss-liche und qualitativ gute Kinderbetreuung für alle Al-tersgruppen weiterentwickeln.
Wir müssen außerdem für flexible Arbeitszeitregelungenwerben, damit es diesen Müttern und Vätern möglich ist,arbeiten zu gehen. Auf diese Weise können wir sie inden ersten Arbeitsmarkt zurückholen.
Wir können es uns allein aus volkswirtschaftlichenGründen nicht leisten, auf einen arbeitsfähigen Bürgerund eine arbeitsfähige Bürgerin zu verzichten.Mein Fazit ist: Wenn es uns gelingt, die Rahmenbe-dingungen für alleinerziehende Mütter und Väter weiterzu verbessern und die Kinderbetreuung noch weiter aus-zubauen, dann wird das für die Sozialsysteme und vorallen Dingen auch für die Konsolidierung des Bundes-haushalts von enormem Nutzen sein. Übrigens gilt dasauch für die kommunalen Haushalte.Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Ausblickauf den nächsten Haushalt wagen. Für 2011 stehen wirvor der großen Herausforderung, die im Grundgesetzverankerte Schuldenbremse einzuhalten. Das wird na-türlich auch am Etat des Familienministeriums nichtspurlos vorbeigehen. Bei allen Ambitionen, die wir beimSparen haben, müssen wir aber genau hinsehen, wo wirsparen.Durch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verkür-zung des Wehrdienstes und damit auch der Dauer des Zi-vildienstes werden in unserem Einzelplan – die Expertenstreiten sich noch – zwischen 150 und 200 MillionenEuro frei. Ich sage aber hier ganz deutlich: Ich halte esfür äußerst gefährlich, Herr Schwanitz, dieses Geld aus-schließlich zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes zuverwenden.
Ich werde mich dafür stark machen, dass diese Mittel zurFinanzierung von Anschlusslösungen sowie für die Stär-kung der Freiwilligendienste eingesetzt werden. Wirmüssen und werden den Zivildienstleistenden, die nichtdirekt im Anschluss an ihren sechsmonatigen Zivildiensteine Lehrstelle oder einen Studienplatz bekommen,Möglichkeiten bieten, die biografische Lücke zu schlie-ßen.
Außerdem müssen wir die Lücke, die durch die Verkür-zung der Zivildienstzeit entsteht, durch verstärkte Nut-zung der Freiwilligendienste füllen. Die jungen Erwach-senen wollen ihren Beitrag für unseren Staat leisten.Damit sie dies können, sind wir alle hier gefordert, siedarin zu unterstützen, sich mit gesellschaftlichem Enga-gement für die Allgemeinheit einzusetzen. Von dem En-gagement dieser jungen Menschen habe ich mich zusam-men mit Herrn Dr. Kreuter, unserem Zivildienst-beauftragten, erst vor kurzem in einer Zivildienstschuleüberzeugen können.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sprechenin diesen Tagen viel vom Sparen. Andererseits wird ge-rade an uns Haushältern von allen Seiten eine Reihe vonBegehrlichkeiten herangetragen. Ich sage es ganz deut-lich: Wir alle in diesem Hause sind gefordert, nicht nurdie Haushälter, sich zukünftig in einer gemeinsamenKraftanstrengung darüber Gedanken zu machen, an derrichtigen Stelle zu sparen.
Wir alle sollten und müssen unseren Beitrag zur Konso-lidierung des Bundeshaushaltes leisten. Lassen Sie unsgemeinsam diese Aufgabe bewältigen, damit auch kom-mende Generationen in unserem Land eine lebenswerteZukunft haben.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2907
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Für die Fraktion Die Linke spricht Steffen Bockhahn.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Kollege Schwanitz hat es angesprochen: Esgab durchaus Defizite bei den Berichten. KollegeMattfeldt hat völlig zu Recht festgestellt, dass alle An-fragen beantwortet sind. Aber ich muss feststellen, dassdie Antworten, die uns schriftlich überreicht wurden, of-fensichtlich nicht unbedingt mit dem Stand von heuteübereinstimmen – und das ist ein Problem.
Wir haben in Deutschland leider auch heute noch dieWehrpflicht, also den Zwang für junge Männer, den Um-gang mit Waffen, das Zerstören und Töten zu lernen.Aber zum Glück gibt es wenigstens einen Wehrersatz-dienst, um stattdessen zu helfen, zu unterstützen und Gu-tes zu tun. Aber auch der Wehrersatzdienst ist einZwangsdienst. Herr Kollege Mattfeldt, ich kann michnoch sehr genau an meine Zeit in der Zivildienstschulein Barth/Pruchten – ohne den Zivildienstbeauftragten –erinnern. Ich darf Ihnen sagen: Die wenigsten meinerKolleginnen und Kollegen hatten das Gefühl, in ersterLinie etwas für Deutschland zu tun. Die meisten habengesagt: Ich muss meinen Zivildienst abreißen.
– „Ich muss meinen Zivildienst abreißen“ haben diemeisten gesagt, weil es ein Zwangsdienst ist. – DieserZwangsdienst sollte abgeschafft werden.
Das ist aber gar nicht so einfach; denn wir haben esuns in unserer Gesellschaft mit den fleißigen und über-aus preiswerten jungen Männern, die im Zivildienst tä-tig werden, bequem gemacht. Sie arbeiten in Kindergär-ten, in Alten- und Pflegeheimen, in Krankenhäusern undvielen anderen Einrichtungen. Dort leisten sie gesell-schaftlich zwingend notwendige Arbeit. Wenn man sichvon einem solchen System verabschieden will – die Ver-kürzung des Zivildienstes auf sechs Monate kann nur alsEinstieg in den Ausstieg vom Zivildienst betrachtet wer-den –, dann muss man dies rechtzeitig vorbereiten. Vorallen Dingen muss man anständige Alternativen schaf-fen. Genau das aber versäumt die Bundesregierung.Wenn man diese Verkürzung durchführt, muss mansich über Folgendes im Klaren sein. Es ist inzwischenoffenkundig, dass die meisten Träger des Zivildienstessagen: Mit sechs Monaten können wir nichts anfangen.Die Zeit, die die Zivildienstleistenden bei uns in denEinrichtungen sind, ist viel zu kurz. – In der Folge wer-den die Zivildienststellen abgebaut, aber die Aufgaben,die die Zivis erledigt haben, bleiben meistens liegen. Dasist zum Nachteil aller in Deutschland.Wenn man wenigstens die Freiwilligendienste erheb-lich ausbauen würde – wofür man Zeit bräuchte –, dannwäre das ein Schritt in die richtige Richtung.
Man könnte die Hoffnung haben, dass das passiert. Je-doch sollen mehr als 150 Millionen Euro beim Zivil-dienst eingespart werden; bei den Freiwilligendienstenkommt nur 1 Million Euro hinzu. Das Verhältnis stimmtnicht. – Ich habe noch eine tolle Idee der FDP kennenge-lernt: Wer Freiwilligendienst leistet, soll einen besserenZugang zum Studium erhalten. Ich kenne das aus Ge-sprächen mit Menschen, die in der DDR bei der NVAwaren. 18 Monate waren Pflicht, wer scheinbar freiwil-lig 36 Monate machte, hatte bessere Studienmöglichkei-ten. Das kann doch nicht das Ziel der FDP sein.
Ich schlage Ihnen stattdessen vor: Machen Sie sichGedanken über eine Alternative zum Zivildienst! Ma-chen Sie sich Gedanken über einen öffentlich geförder-ten Beschäftigungssektor! Bezahlen Sie Arbeit statt Ar-beitslosigkeit und finanzieren Sie so gesellschaftlichnotwendige Arbeit. Nehmen Sie Mecklenburg-Vorpom-mern als Beispiel; dort gab es das. Schauen Sie sich Ber-lin an; dort gibt es das. Das sind sehr gute Beispiele, dieIhnen allen helfen sollten, dieses Prinzip zu verstehenund einzusehen, dass Sie damit etwas für die gesamteGesellschaft tun.
Ich füge hinzu: Wir sind völlig schmerzfrei, wenn Siedas als Ihr Programm ausgeben. Wir werden den Men-schen zwar sagen, dass es nicht Ihr Programm ist, aberwir werden Sie dabei unterstützen, es einzuführen.Ich komme zu einem anderen Thema. Frau Gruß, be-vor Sie sich wieder aufregen: Herr Toncar sitzt neben Ih-nen. Er kann Ihnen das erklären. Im Einzelplan 17 desBundeshaushaltes finden sich Extremismusprogrammewieder. Deshalb ist es richtig, wenn ich darüber spreche.
Die Bundesregierung hat – das ist heute mehrfachdeutlich geworden – in allen Bereichen festgestellt, dasses keine Notwendigkeit gibt, eigenständige Programmegegen Rechtsextremismus zu führen. Es müssen immerProgramme gegen Extremismus sein. Das offenbart ei-nen großen Mangel an Problembewusstsein. Ich möchteIhnen ein gravierendes Beispiel nennen. In Limbach-Oberfrohna in Sachsen gibt es ein erhebliches Problemmit rechtsextremistischen Gewalt- und Straftaten. Alleinim letzten Jahr – die Zahl stammt vom Verfassungs-schutz Sachsen, nicht von mir – gab es 37 eindeutigrechtsextreme Straftaten, keine einzige der Linken.
In Limbach-Oberfrohna gibt es ein Bündnis, das sich fürDemokratie und Toleranz einsetzen möchte. Der CDU-Landtagsabgeordnete Hippold lädt zu diesem Bündnis
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2908 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Steffen Bockhahn
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das NPD-Mitglied des örtlichen Stadtrates ein, das mit-gestalten soll, wie dieses Bündnis arbeiten möge.
Auf jede Kritik, auch der Kirchen, dass das doch wohlnicht sein könne, kommt die Reaktion, die NPD sei einedemokratisch legitimierte Partei, man dürfe sie nichtrausschmeißen, sondern müsse das mit ihnen zusammenregeln. Das ist fehlendes Unrechtsbewusstsein.
Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei.
Verstehen Sie das endlich! Der Rechtsextremismus istein großes Problem. Frau Bär, wenn Sie meinen, Pro-gramme gegen Rechtsextremismus sei „Saufen gegenrechts“, dann glaube ich, dass Sie zu oft in Bayern unter-wegs waren.
Ich will Ihnen deutlich sagen: Wir haben ein Problem,das Sie offensichtlich unterschätzen. Der Rechtsextre-mismus in Deutschland ist eine Gefahr für die Demokra-tie und eine Gefahr für die Verfassung. Das sagen nichtnur Linke, das sagen auch der Präsident des Bundesver-fassungsschutzes und viele andere. Reden Sie einmal mitOpfern rechtsextremer Gewalt, dann werden Sie begrei-fen, dass das, was Sie hier tun, eine Verharmlosung ist.
Wenn Sie sich anschauen, was in Dresden passiert istund was am Wochenende wieder in Lübeck bevorsteht,dann werden Sie begreifen, warum der Kampf gegenRechtsextremismus viel wichtiger ist als alles andere,was Sie in Sonntagsreden immer wieder einfordern.
Für die FDP-Fraktion hat Florian Toncar das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Bockhahn, wenn man Sie hört und vor allem
auch sieht, dann muss man sagen: Das ist nicht nur eine
Verunglimpfung von parlamentarischen Parteien, son-
dern auch eine ziemlich schamlose Instrumentalisierung
des Extremismusproblems, was Sie hier betreiben.
Ich fordere Sie auf, dieses Thema in Zukunft vielleicht
etwas sachlicher zu diskutieren.
Frau Präsidentin, was machen wir denn jetzt?
Ich nehme an, dass Sie jetzt erst einmal Ihre Rede hal-
ten. Wenn jemand eine Zwischenfrage stellen will, dann
wird er die stellen. Wir werden im Protokoll nach-
schauen, was hier gesagt worden ist, weil wir nicht alles
genau verstanden haben.
Gut, Frau Präsidentin.Die Familienpolitik der Bundesregierung ist ein Poli-tikbereich, dem große Priorität beigemessen wird. Ichmöchte darauf hinweisen, dass die Erhöhung des Kin-dergeldes eine der Kernforderungen und eine der Kern-maßnahmen unseres Wachstumsbeschleunigungsgeset-zes gewesen ist, dass es mehr als die Hälfte desEntlastungsvolumens des Wachstumsbeschleunigungs-gesetzes ausmacht und die Bundesregierung damit vonAnfang an klargemacht hat, dass ihr die materielle Ver-sorgung von Familien mit Kindern ein wichtiges Anlie-gen ist.
Die Kindergelderhöhung hat direkten Einfluss auf dieHöhe des Kindesunterhalts. Das kann man in der Düssel-dorfer Tabelle nachsehen. Die Sätze sind umgehend ge-stiegen. Das wirkt sich auch in unserem Bundeshaushaltaus, und zwar im Bereich der gesetzlichen Pflichtleistun-gen, beim Unterhaltsvorschuss. Daran kann man able-sen, welche Verbesserungen diese Koalition für die Fa-milien geschaffen hat.Wir haben darüber hinaus zusätzliche Ausgaben beimElterngeld veranschlagt. Diese Leistung wird mehrGeld in Anspruch nehmen, und zwar aus Gründen, diepolitisch gewollt sind. Die sogenannten Partnermonatewerden heute stärker in Anspruch genommen als in der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2909
Florian Toncar
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Vergangenheit. Aus diesem Grund haben wir höhereAusgaben im Bereich der Pflichtleistungen. Das ist fürdie FDP eine erfreuliche Entwicklung.
Wir haben uns darüber hinaus im Zusammenhang mitdem Arbeitslosengeld II mit der Situation von Kindernzu beschäftigen. Das hat uns das Bundesverfassungsge-richt aufgegeben. Das hat keinen Einfluss auf diesenEinzelplan, aber natürlich große Bedeutung für das, waswir an ergänzenden Maßnahmen im Familien- oder Ju-gendbereich zu vereinbaren haben. Für uns ist wichtig,dass es eine Neuberechnung der Regelsätze gibt, dienachvollziehbar ist und sich am eigenständigen Bedarfvon Kindern orientiert. Um es deutlich zu sagen: Es istvöllig klar, dass ein Kind einen Bedarf an Windeln oderSchulmaterial hat, der eingerechnet werden muss, abereine fiktive Einrechnung von anteiligen Ausgaben fürAlkohol oder Tabakwaren nicht dazugehört. Das musseigenständig und nachvollziehbar berechnet werden.Das wird diese Koalition machen.
Wir haben uns darüber hinaus vorgenommen, dieTeilhabe an Bildung, die soziale und kulturelle Teilhabedieser Kinder zu verbessern. Das müssen wir nach demUrteil des Bundesverfassungsgerichts machen. Das wol-len wir auch tun – das ist jedenfalls die Vorstellung derFDP-Fraktion –, und zwar insbesondere in Form vonSachleistungen wie Schulessen oder Musikunterricht,um eine Mindestteilhabe dieser Kinder an Bildung undkulturellen Leistungen der Gesellschaft sicherzustellen.
– So steht es auch im Urteil des Bundesverfassungsge-richts, das im Übrigen Ihr Gesetz kassiert hat, nicht un-seres.Eigentlich wollte ich nur einmal darstellen – auchwenn Sie das gar nicht mehr gewöhnt sind –, dass manlösungsorientiert denken kann.
Ich finde, Schulessen und Musikunterricht sollten Dingesein, bei denen wir uns einig sind, dass Kinder sie be-kommen sollen. Wir müssen uns frei von Vorbehalteneinmal überlegen, wie wir sicherstellen können, dass dasGeld, das wir dafür in die Hand nehmen, auch da an-kommt und dafür verwendet wird. Das ist etwas, wo Sienicht dazwischenrufen müssen, sondern sagen können,dass Sie das auch so sehen.
Wir haben uns darüber hinaus in diesem Jahr mit derZukunft des Zivildienstes zu beschäftigen. Verschie-dene Redner haben dieses Thema angesprochen. DerKoalitionsvertrag enthält die klare Aussage, dass dieVerkürzung zum 1. Januar des Jahres 2011 in Kraft tre-ten soll. Was das Ziel angeht, sind wir uns einig: Wirwollen die Verkürzung auf sechs Monate.
– Das ist das, was im Koalitionsvertrag steht. Sie habendie weitergehenden Wünsche der FDP verstanden. Diehaben wir weiterhin.
Wir haben einen Kompromiss gefunden, der, wie ichglaube, an dieser Stelle mehr Freiheit für die Betroffenenbedeutet, jedenfalls besser ist als das, was heute Rechts-lage ist. Insofern ist das ein gehöriger Fortschritt für dieBetroffenen.
Wir wollen das machen, indem wir klare Daten nennen.Das ist so von uns im Koalitionsvertrag festgelegt.Es ist völlig klar, dass wir parallel zur Verkürzung desZivildienstes die Freiwilligendienste stärken müssen.Es ist völlig klar, dass man das nicht ersatzlos wegfallenlassen kann. Das ist auch nicht geplant.
– Das spiegelt sich auch im Haushalt wider, Herr Kol-lege Rix.
Denn wir haben den Betrag für die Freiwilligendiensteerhöht. Die Verkürzung tritt erst nächstes Jahr in Kraft;das wissen auch Sie. Insofern ist die Aufregung auchhier übertrieben und fehl am Platze.
Ich habe gesagt, dass der Koalitionsvertrag gilt. Das istfür mich die Grundlage dieses Haushalts.
Wir haben über das Thema Zivildienst auch unter derFrage zu diskutieren, ob es andere Instrumente gebensoll, die ersatzweise greifen. Ich sage für die FDP-Frak-tion: Eine mögliche freiwillige Verlängerung des Zivil-dienstes darf zu einem nicht führen: Es darf nicht zueinem faktischen Zwang des Zivildienstleistenden kom-men, neun oder zwölf Monate arbeiten zu müssen, weilnur solche Stellen existieren und ausgeschrieben werden.Der entscheidende Unterschied zwischen Zivildienst undWehrdienst ist, dass der Wehrpflichtige in eine konkreteEinheit einberufen wird – er kann sich das nicht aussu-chen –, wohingegen der Zivildienstleistende dazu ver-pflichtet ist, sich eine Stelle zu suchen. Wenn diese nurfür neun oder zwölf Monate ausgeschrieben werden, hat
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2910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Florian Toncar
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er im Endeffekt keine andere Wahl. Das wollen wir na-türlich nicht; denn das würde dazu führen, dass Zivil-dienstleistende jedenfalls faktisch im Durchschnitt län-ger dienen müssten als Wehrdienstleistende. Wir werdendarauf achten, dass eine solche Ungerechtigkeit nichteintritt.Ich möchte für das Thema Familie, Beruf und Pflegeauf die Rede der Kollegin Miriam Gruß verweisen. Wirhaben etliche Baustellen im Bereich der Familienpolitik,der Politik für Senioren, für Frauen und für die Jugend.Wir als Koalition sind uns da einig und gut aufgestellt.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich muss schon sagen, Herr Mattfeldt,Herr Toncar, Ihre schönen Sonntagsreden heute Abendkönnen nicht verschleiern, dass auch in familien- undkinderpolitischen Fragen in erster Linie Zwist undChaos in der schwarz-gelben Koalition herrschen.
– Ich werde Ihnen jetzt Beispiele nennen. Dann werdenSie selber sehen, wie ich darauf komme.Das erste Beispiel ist das Elterngeld. Von wegen El-terngeld verlängern, weiterentwickeln und ausbauen.Herr Wissing, immerhin Finanzexperte der FDP, stelltdas Elterngeld sogar komplett infrage und bezeichnet esals eine unsinnige Leistung, die die breite Masse gerneeinmal mitnehme. Das hört sich nicht gut an für das El-terngeld. In der Antwort auf meine schriftliche Frage inder letzten Woche zu den Plänen beim Elterngeld leseich: Die Bundesregierung prüft, aber was es kosten soll,weiß sie noch nicht so genau. Das hört sich nicht gut anfür das Elterngeld. Quo vadis, Elterngeld?
Das zweite Beispiel ist das Kindergeld. Von wegenKindergelderhöhung. Der Ministerpräsident von Schles-wig-Holstein, Peter Harry Carstensen – er ist von derCDU –,
stellt das Recht auf Kindergeld komplett infrage, da wirin Deutschland – ich zitiere – „Kindergeld zahlen an El-tern, die das gar nicht nötig haben“. Ich finde, das hörtsich nicht gut an für das Kindergeld in diesem Land. Aneiner Stelle hat der Ministerpräsident allerdings recht,und zwar wenn er bemängelt, dass die Kindergelderhö-hung auf Hartz-IV-Leistungen komplett angerechnetwird und deshalb bei den Familien im Leistungsbezugnicht ankommt, obwohl besonders sie dies brauchenwürden. Das ist vom Ministerpräsidenten sehr gut be-obachtet, allerdings sagt er gleich dazu, dass er keineLösung für dieses Dilemma hat. Wir Grüne haben eineLösung für dieses Dilemma. Wir schlagen eine Kinder-grundsicherung vor. Diese würde gewährleisten, dassdie Kinderförderung in diesem Land endlich vom Kopfauf die Füße gestellt würde.
Das dritte Beispiel ist das Betreuungsgeld. Frau vonder Leyen hat eigentlich das Richtige dazu gesagt. Siehat gesagt, das wäre eine „bildungspolitische Katastro-phe“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Deshalb sollte manes am besten sang- und klanglos beerdigen. Die ge-schätzten 2 Milliarden Euro jährlich, die uns das zukünf-tig kosten soll, sollte man besser in die Kitas investieren:in mehr Kitaplätze, in bessere Kitaplätze, beispielsweisein kleinere Gruppen, in die Ausbildung der Erzieherin-nen und Erzieher und auch in eine bessere Entlohnungdieser pädagogischen Fachkräfte, die eine höhere Wert-schätzung in unserer Gesellschaft mehr als verdient hät-ten. Ich denke, darüber sind wir uns alle hier einig.
Die FDP hat in ihren Wahlprogrammen an diversenStellen die Elternbeitragsfreiheit gefordert. Allerdingshabe ich jetzt vernommen, dass Herr Wissing auch dieseLeistung für unsinnig hält; darauf gehe ich an dieserStelle aber nicht ein. Beitragsfreiheit – richtig so, sagenwir Grünen. Aber Fakt ist: Durch Ihre kommunalfeindli-che Politik
haben Sie den Kommunen Milliarden Euro entzogen.
20 Euro mehr Kindergeld, aber um 30 Euro höhere Kita-gebühren, das ist die Folge schwarz-gelber Politik. Dasist das Gegenteil von familienfreundlich.
Zurück zum Betreuungsgeld. Statt es einfach zu beer-digen, geht es beim Betreuungsgeld richtig rund: Bar-zahlung, Gutscheine, Sachleistungen, Gutscheine fürHartz-IV-Beziehende, Barzahlungen für die anderen,Einbeziehung in ein Bildungskonto und jetzt – tatarata –Rentenanwartschaften. Liebe Kolleginnen und Kollegen,Elterngeld, Kindergeld, Betreuungsgeld – ich habe denEindruck, in dieser Koalition darf jeder alles vorschla-gen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2911
Katja Dörner
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Jeder darf jederzeit alles sagen, alles infrage stellen, in-klusive Koalitionsvertrag.
Jeder kann irgendwo ein Papier einreichen. Hauptsache,man steht damit dick in der Presse.
– Entschieden wird nicht, regiert wird nicht, und Ihre fa-milienpolitische Agenda, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der Koalition, ist nicht bemerkenswert. DasChaos, das hier produziert wird, ist bemerkenswert. Dasist aus meiner Sicht unübertroffen.
Frau Ministerin, ich habe den Eindruck, nicht nurFrau von der Leyen tanzt Ihnen auf der Nase herum, son-dern die halbe Koalition. Das muss ein Ende haben.Schaffen Sie endlich Klarheit, auf was sich die Familienin den nächsten Jahren tatsächlich einstellen könnenbzw. – das muss man fast so sagen – auf was sie sich beidieser Regierung wohl einstellen müssen.Noch eine Anmerkung zu einem Thema, das uns allesicherlich sehr beschäftigt: zu den vielen Fällen sexuel-len Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, diein letzter Zeit öffentlich wurden. Vor zwei Wochen– noch zu einem Zeitpunkt, als drei Ministerinnen mein-ten, Zeit damit verplempern zu können, indem sie da-rüber streiten, wer den schöneren runden Tisch veran-staltet – habe ich den Satz von Ministerin Schrödergelesen, es sei falsch, jetzt nur die katholische Kirche anden Pranger zu stellen. Es stimmt: Missbrauchsfällekommen auch in Institutionen anderer Träger vor. Abervon 27 katholischen Bistümern sind – so viel wissen wirbis jetzt – 22 betroffen. Ich erwarte von der Familienmi-nisterin, da sie auch für Kinder zuständig ist, dass siesich ganz eindeutig zur Anwältin der Kinder und Ju-gendlichen, zur Anwältin der Opfer dieser abscheulichenVerbrechen macht und sich nicht etwa in die Phalanxvon Kleinrednern, Verharmlosern und Vertuschern ein-reiht.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zu meinem letzten Satz. – Meine Kollegin
Renate Künast hat es in der gestrigen Debatte, wie ich
finde, absolut richtig auf den Punkt gebracht. Sie hat ge-
sagt: Die Kinder bedürfen des besonderen Schutzes der
Gesellschaft und nicht der Papst. – Wir Grüne erwarten,
dass Ministerin Schröder als zuständige Ministerin dem
gerecht wird.
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. KristinaSchröder.
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gut ist ein Kompromiss ja angeblich dann, wenn jederglaubt, er hätte das größte Stück vom Kuchen bekom-men. Dies mit Blick auf den Einzelplan 17, der ein Ge-samtvolumen von 6,54 Milliarden Euro hat, zu behaup-ten, wäre sicherlich etwas gewagt. Für die Familien undden Zusammenhalt unserer Gesellschaft haben wir den-noch gute Ergebnisse erzielt. Der Einzelplan 17 zeigt:Diese Koalition stärkt Familien den Rücken, auch inwirtschaftlich schwierigen Zeiten, und diese Koalitioninvestiert in den Zusammenhalt der Gesellschaft, geradein wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
Ich danke allen, die sich dafür in den Haushaltsver-handlungen der letzten Wochen eingesetzt haben. MeinDank gilt den Mitgliedern des Familienausschusses undden Berichterstattern für die bisher konstruktive Zusam-menarbeit.Herr Schwanitz, Sie haben gerade einige Punkte an-gesprochen. Zu § 14 c des Zivildienstgesetzes werde ichspäter noch etwas sagen. Was das Thema Zivildienst an-geht, scheint mir allerdings wirklich ein Missverständnisvorzuliegen. Die Vorschläge, die der Bundesverteidi-gungsminister gestern präsentiert hat, besagen, dass dieVerkürzung der Dienstzeit schon für die wirken soll, diezum 1. Oktober 2010 eingezogen werden. Ihr Dienst en-det also nicht am 30. Juni 2011, sondern am 31. März2011.
Auf den Haushalt 2010 hat die Verkürzung also keinerleiAuswirkungen.
Alles das, was Herr zu Guttenberg gestern vorgeschla-gen hat, wird erst 2011 wirksam. Deswegen ging IhreKritik an diesem Punkt leider ins Leere.
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2912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
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Meine Damen und Herren, beginnen wir mit demgrößten Posten im Einzelplan 17, nämlich dem Eltern-geld. Mit den knapp 4,5 Milliarden Euro, die wir für dasElterngeld ausgeben, reagieren wir auf ein Bedürfnisjunger Mütter und junger Väter. Wir treffen damit denNerv der heutigen Elterngeneration. Das zeigt vor allenDingen das hohe Interesse an den Partnermonaten, diemit 80 Millionen Euro mehr zu Buche schlagen als imletzten Jahr. Mit dem Elterngeld haben wir ein tiefes Be-dürfnis von jungen Familien getroffen: das Bedürfnis,Zeit für familiäre Verantwortung zu haben, ohne den Be-ruf an den Nagel hängen zu müssen.
Das ist ein Bedürfnis von jungen Männern und von jun-gen Frauen. Deshalb werde ich bald, sehr zügig, einenGesetzentwurf vorlegen, mit dem sowohl das geplanteTeilelterngeld umgesetzt als auch eine Ausweitung derPartnermonate auf den Weg gebracht wird.
Kinder wiederum haben vor allen Dingen das Bedürf-nis, behütet und geborgen aufzuwachsen und teilzuhabenam Wohlstand und an den Chancen unserer Gesellschaft.Das darf kein Privileg der Kinder starker Eltern sein. Mitdem Ausbau der Kinderbetreuung investieren wir ge-rade in die Bildungschancen derjenigen, denen dieseChancen nicht in die Wiege gelegt wurden. Insofern seheich in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zurHöhe des Hartz-IV-Regelsatzes für Kinder auch einenfamilienpolitischen Auftrag, nämlich jedem Kind einefaire Chance zu geben. Es geht nicht nur um das finan-zielle Existenzminimum – Nahrung, Wohnen, Kleidung,medizinische Versorgung –, es geht auch um faire Chan-cen auf Bildung und damit auch auf gesellschaftlichenAufstieg.
Auch wir mussten einen Beitrag zur Haushaltskonso-lidierung erbringen. Es ist mir wichtig, darauf hinzuwei-sen, dass wir versucht haben, ausschließlich dort nachEinsparpotenzialen zu suchen, wo Kinder und Familienmöglichst wenig betroffen sind. Die Einsparungen, dieim Einzelplan 17 realisiert wurden, werden überwiegenddurch Einsparungen beim Zivildienst bestritten. DieAusgaben für den Zivildienst sinken wegen der geplan-ten Verkürzung der Wehrpflicht, die beim Zivildienstnachvollzogen wird, ohnehin.Weil wir aber unabhängig vom Zivildienst den Dienstjunger Menschen am Gemeinwohl für sehr wichtig hal-ten, werden wir auch die Förderung der Jugendfreiwilli-gendienste neu strukturieren. Junge Frauen und Männerwollen sich engagieren, und die Gesellschaft ist auf die-ses Engagement angewiesen. Deshalb ist es das Ziel derBundesregierung, die Freiwilligendienste erheblich aus-zubauen.
Den finanziellen Spielraum dafür eröffnet uns, insbeson-dere ab 2011, die geplante Streichung des § 14 c Abs. 4des Zivildienstgesetzes.
Statt einer gesonderten Förderung für anerkannteKriegsdienstverweigerer, die als Ersatz für den Zivil-dienst ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilli-ges Ökologisches Jahr ableisten wollen, wollen wir FSJund FÖJ insgesamt besser fördern. Die dadurch frei wer-denden Mittel von über 30 Millionen Euro sollen ab2011 in vollem Umfang in die Förderung der Jugendfrei-willigendienste fließen.
Wichtig war mir dabei, dass die Träger der Freiwilli-gendienste in den Bereichen Sport, Ausland und Kulturnicht die Leidtragenden dieser Neustrukturierung sind;denn diese Träger sind zur Refinanzierung der Plätze be-sonders auf § 14 c Zivildienstgesetz angewiesen.Herr Schwanitz, deshalb haben wir immer gesagt,dass wir hier keine Übergangsregelungen, sondern eineSonderregelung schaffen müssen.
In der letzten Woche ist es uns mit den Trägern der Frei-willigendienste gelungen, in den Bereichen Sport undAusland eine solche Sonderregelung zu treffen, mit derihr Platzangebot auf hohem Niveau abgesichert wird.
Diese Mittel für 2010 stammen aus den Mitteln gemäߧ 14 c des Zivildienstgesetzes. Insofern sind das exaktdie Mittel, die uns der Haushaltsausschuss für genau die-sen Bereich gewährt hat.
Mit den Trägern im Kulturbereich sind wir noch inGesprächen, aber ich bin mir sicher, dass wir auch hiereine gute Lösung finden werden.
Frau Ministerin, Herr Schwanitz würde Ihnen gerneeine Zwischenfrage stellen.Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend:Ich will hier jetzt erst einmal im Zusammenhang vor-tragen. Danach können wir das gerne machen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2913
Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
(C)
(B)
Wenn wir über Investitionen in den Zusammenhaltunserer Gesellschaft reden, dann sollten wir aber nichtnur an Geld denken, sondern für den Zusammenhalt un-serer Gesellschaft wird Zeit mehr und mehr zur zweitenLeitwährung. Deshalb wird allein mit Blick auf dieHaushaltslage schon eines klar: Wenn wir unserer Ver-antwortung gegenüber nachfolgenden Generationen ge-recht werden wollen, dann werden wir im nächsten Jahrnicht jedes Problem allein nur mit mehr Geld lösen kön-nen.
Sie möchten eine Zwischenfrage auch jetzt nicht zu-
lassen?
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:
Neue Wege sind gefragt, um auf die Bedürfnisse von
Kindern, von Eltern und vor allen Dingen auch von älte-
ren Menschen reagieren zu können. Die Familien-Pfle-
gezeit, für die ich mich einsetze, ist ein solcher neuer
Weg. Ich möchte den Menschen damit Zeit für Verant-
wortung geben.
Wir wissen, dass kranke und ältere Menschen so
lange wie möglich zu Hause bei der Familie bleiben
möchten.
Wir wissen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen demo-
grafiebedingt rasant ansteigen wird. Wir wissen, dass
viele Menschen ihre betagten Angehörigen aus Verant-
wortung, aber vor allen Dingen auch aus Liebe zu Hause
pflegen. Wir wissen, dass diese Menschen dabei ein gro-
ßes Opfer bringen und dabei oft auch die Grenzen ihrer
Belastbarkeit überschreiten. Wir wissen auch, dass die
meisten dieser Menschen berufstätig sind, dass sie ihr
Einkommen brauchen und dass es mit Mitte/Ende Fünf-
zig ein sicherer Weg in die Arbeitslosigkeit wäre, länger
oder ganz aus dem Beruf auszusteigen.
Weil wir all das wissen, dürfen wir die Menschen, die
diese Doppelbelastung schultern, nicht alleinlassen.
Menschen, die ihr Leben lang viel gearbeitet haben, ver-
dienen einen würdigen Lebensabend, und Menschen, die
ihnen diesen würdigen Lebensabend schenken, verdie-
nen unsere Unterstützung.
Deshalb hoffe ich auch auf Ihre Unterstützung und
Ihre konstruktive Kritik, wenn ich diesen Vorschlag in
die parlamentarischen Gremien einbringen werde, und
ich hoffe, dass nicht nur solche Vorwürfe geäußert wer-
den, wonach dem ein veraltetes Familienbild oder ein
veraltetes Frauenbild zugrunde liegt; denn ich sage Ih-
nen eines: Diese Menschen, die zu Hause ihre Angehöri-
gen pflegen, brauchen unsere Unterstützung, aber bitte
nicht den anmaßenden Vorwurf, sie hätten ein veraltetes
Familienbild oder ein veraltetes Frauenbild.
Es stimmt: Durch die Familien-Pflegezeit wird mehr
Flexibilität von uns allen und insbesondere auch von den
Arbeitgebern verlangt. Ich denke aber, dass die Unter-
nehmen ein Interesse daran haben, nicht auf dem Höhe-
punkt des Fachkräftemangels auf ihre erfahrensten Mit-
arbeiter verzichten zu müssen.
Mit der Familien-Pflegezeit gewinnen wir auf jeden
Fall Zeit für Verantwortung. Damit tragen wir den unter-
schiedlichsten Bedürfnissen, die ich gerade aufgezählt
habe, Rechnung. Diese Bedürfnisse werden wir mit Geld
allein nie erfüllen können.
Ich finde, gerade auch in einer Haushaltsdebatte kön-
nen wir auch von der Opposition erwarten – das gehört
zur Ehrlichkeit dazu –, dass sie ehrlich sagt, dass wir
nicht alle Probleme mit Geld werden lösen können. Das
erwarte ich gerade von einer Opposition, die in dieser
Woche so wortreich einen konsequenten Sparkurs ange-
mahnt hat.
Der Austausch mit denjenigen, die von der Familien-
Pflegezeit unmittelbar betroffen sind, ist mir sehr wich-
tig. Das gilt auch bei anderen Themen. Denn ich glaube,
dass wir in der Gesellschaftspolitik nur dann etwas be-
wegen können, wenn wir den Dialog mit allen relevan-
ten gesellschaftlichen Gruppen suchen. Angesichts der
schockierenden Fälle von Kindesmissbrauch habe ich
mich deswegen dafür eingesetzt, dass wir ein Gespräch
mit Vertretern aller Institutionen führen, denen wir un-
sere Kinder anvertrauen. Meines Erachtens können wir
nur so ein wirksames Konzept für die Zukunft entwi-
ckeln.
Vielleicht sollte man aufgrund des Verlaufs dieser De-
batte Folgendes sagen: Ob es um wirksamen Kinder-
schutz, um Pflege oder um gesellschaftliches Engage-
ment geht: Neue Wege finden wir nur dann, wenn viele
danach suchen. Neue Wege finden wir nicht, wenn einer
sucht und die anderen damit beschäftigt sind, Barrieren
aufzubauen. Deshalb sollten gerade wir Familienpoliti-
ker mit unserem vergleichsweise kleinen Etat, mit dem
wir auf eine Vielfalt von gesellschaftlichen Problemen
reagieren müssen, offen sein für einen konstruktiven und
sachlichen Austausch und eine konstruktive, sachliche
sowie vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem KollegenSven-Christian Kindler das Wort.
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2914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
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Frau Ministerin Schröder, Sie haben gerade von Ehr-lichkeit und von einem konstruktiven Austausch gespro-chen. Ich finde es wichtig, dass man diesen in der Politikpflegt. Sie haben gesagt, dass man neue Wege ausprobie-ren und Barrieren abbauen sollte. Ich frage mich aller-dings, warum Sie nicht auf die Frage des KollegenSchwanitz bezüglich der Ausgabereste eingegangensind. Sie haben auch Zwischenfragen verweigert. An-scheinend können Sie oder wollen Sie sie nicht beant-worten.
– Lassen Sie mich bitte ausreden.Wir haben am 5. Februar 2010 einen Bericht bekom-men, in dem es heißt, dass wir bis zur Rechnungslegungwarten müssen, die im April 2010 beendet wird. Erstdann könne man die Ausgabereste feststellen und sa-gen, wie hoch sie sind. Das BMU zum Beispiel hat unsdie Ausgabereste bereits Anfang Januar zugestellt.Die Koalition hat innerhalb der Bereinigungssitzungmehrere Anträge gestellt, in denen zu lesen war, dass dieMittel gekürzt werden können, weil Ausgaberestevorhanden sind. Ich finde es ungeheuerlich, dass an-scheinend nur der Koalition Informationen über die Aus-gabereste zugeleitet wurden. Die Opposition wurde au-ßen vor gelassen.
Neue Wege bedeutet für Sie anscheinend, die Koalitionzu bevorzugen und die Opposition weiterhin auszu-schließen. Das ist ungeheuerlich.
Frau Ministerin, möchten Sie antworten?
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:
Herr Kollege Kindler, ich kann leider nichts daran än-
dern, dass wir erst am Ende der Rechnungslegung, also
Anfang April, einen vollständigen Überblick über die
Restmittel im Haushalt vorlegen können. Ich weiß nicht,
worauf Sie sich beziehen.
Ich kann daran leider nichts ändern. Ich halte nichts da-
von, Ihnen unvollständige, eventuell falsche oder noch
nicht wirklich geprüfte Berichte zukommen zu lassen.
Sie werden sie nach Ende der Rechnungslegung erhal-
ten.
Der Kollege Sönke Rix hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Frau Ministerin, Sie haben gerade davon ge-sprochen, neue Wege zu gehen, konstruktiv und offen zusein; das ist gar keine Frage. Sie müssen uns aber geneh-migen, dass wir Sie zumindest darauf aufmerksam ma-chen, wenn Sie falsche Wege gehen. Wir wollen keineBarrieren legen, aber zumindest auf falsche Wege hin-weisen.
Wir haben das Gefühl, dass insbesondere bei der Ver-kürzung des Wehrdienstes und damit auch bei der Ver-kürzung des Zivildienstes falsche Wege gegangen wer-den. Dass wir heute darüber diskutieren, liegt unteranderem daran, dass es sich um einen Posten im Haus-halt von immerhin über 631 Millionen Euro handelt. Dasist nicht irgendeine Summe oder irgendein kleines Pro-jekt am Rande, sondern eine erhebliche Maßnahme. DieDebatte kocht nicht nur aufgrund der Tatsache hoch,dass der Verteidigungsminister vorgeschlagen hat, dieVerkürzung vorzuziehen.
Ich habe gelesen, dass Sie darüber nicht so erfreut sindund das unabgesprochen aus der Regierung gedrungenist. So stand es zumindest in der Märkischen Allgemei-nen Zeitung.
Ich wollte nur darauf aufmerksam machen. Ich kann esverstehen, dass Herr zu Guttenberg diese Diskussion los-tritt – die Verteidigungspolitiker können wohl mehr dazusagen –, um vielleicht von den Fehltaten seines Ministe-riums im Rahmen der Kunduz-Affäre abzulenken.
Die Debatte über die Verkürzung des Zivildienstes istaber nicht neu; sie ist nicht nur deshalb in Gang gekom-men, weil Herr zu Guttenberg vorgeschlagen hat, es vor-zuziehen; die Debatte über den Umgang mit diesemThema ist schon älter. So sagte beispielsweise der Chefder CSU-Landesgruppe, Hans-Peter Friedrich, bei einerreduzierten Wehrpflicht lohne sich die Ausbildung vonZivildienstleistenden für viele soziale Organisationennicht mehr; man müsse mehr Geld in die Hand nehmenund überlegen, den Zivildienst auf freiwilliger Basis zuverlängern. Der dafür zuständige Kollege von der FDP,Florian Bernschneider, sagt:Der Vorschlag der Union bedeutet faktisch dieRückkehr zu einem Zivildienst, der länger als derWehrdienst dauert.Ich kann Ihnen da nur zustimmen; Sie haben da voll-kommen recht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2915
Sönke Rix
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Der Streit ist also mitten in der Koalition;
die Debatte, wie man in Zukunft mit dem Zivildienstumgeht, ist in vollem Gange.
– Ich verstehe Ihre heftigen Reaktionen gar nicht.Setzen Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner an einenTisch und machen Sie keine faulen Kompromisse! Es istdoch folgendermaßen: Die FDP möchte den Wehrdienstabschaffen; das kann ich durchaus verstehen. Die Unionmöchte den Wehrdienst, so wie er jetzt ist, erhalten.Aber es ist doch kein guter Kompromiss, den Wehrdienstdann einfach auf sechs Monate zu verkürzen.
Das ist doch ein Kompromiss, der absolut nach Hilfeschreit, ein fauler Kompromiss.
Die Einrichtungen, die Zivildienstleistende einsetzen,können in sechs Monaten gar nichts mit den jungenMännern anfangen. Ihre Idee ist konzeptlos. Hätten Siesich doch auf unser Modell geeinigt!
Hätten Sie doch gesagt: Wir wollen beim Wehrdienstmöglichst viel Freiwilligkeit einräumen und verstärkt dieFreiwilligendienste ausbauen! Dann hätten wir erheblichmehr erreicht.
Sie haben es heute wieder in Ihrer Rede erwähnt– Frau von der Leyen hat das, glaube ich, auch erwähnt –:Die Mittel, die durch die Verkürzung des Zivildienstesfrei werden, sollen quasi ungekürzt für die Freiwilligen-dienste zur Verfügung gestellt werden.
Es liegen immer noch keine Konzepte vor. Stattdessen hat-ten Sie die Idee – Sie haben das gerade angesprochen –,§ 14 c Abs. 4 Zivildienstgesetz zu streichen. Damit ha-ben Sie bei den Trägern der Freiwilligendienste in denBereichen Kultur und Sport und bei den Auslandsdiens-ten für Unruhe gesorgt. Dann haben Sie in einer nächtli-chen Sitzung eine Einigung mit den Trägern erzielt. Da-rüber ist die FDP wohl erst hinterher informiert worden,das Parlament in Gänze gar nicht. Sie gehen da mit Ge-setzen und mit Mitteln in Millionenhöhe um; das betrifftden Haushalt. Heute sagen Sie, das werde nur für einJahr gelten; die Organisationen werden dann zu Rechtwieder bei Ihnen auf der Matte stehen. Es ist wirklich einSkandal, dass Sie hier am Parlament vorbeiagieren.
Gerade sind wir in der Debatte auf die Frage derExtremismusprogramme gekommen. Sie haben dieFrage von Herrn Kindler, wie Sie mit den Haushaltsres-ten umgehen, nicht beantwortet. Es ist ein Skandal, dassSie immer noch nicht erkennen: Die Bekämpfung vonRechtsextremismus und die Bekämpfung von Links-extremismus sind völlig unterschiedliche Dinge.
Sie haben trotz der steigenden Zahl der Gewalttatenim rechtsextremistischen Bereich immer noch nicht er-kannt, dass Sie die Mittel erhöhen müssen. Stattdessenbleibt es beim gleichen Betrag. Sie nehmen 2 MillionenEuro aus dem Kinder- und Jugendplan, um sie für zweiProjekte gegen Linksextremismus und Islamismus – soheißt es, glaube ich, in Ihrem Titel – zu verwenden, dienicht einmal definiert sind, von denen man in Hamburgund Berlin, wo die Projekte angeblich umgesetzt werdensollen, noch nichts gehört hat.Frau Kollegin, Sie müssen hier schon deutlich ma-chen, was Sie mit dem Geld – –
– Entschuldigung. – Frau Ministerin, Sie müssen schonetwas deutlicher machen, wie Sie mit dem Geld imHaushalt umgehen, und nicht nur darauf verweisen, dassIhre Ideen längst noch nicht umgesetzt sind. Einigen Siesich mit dem Koalitionspartner in der Frage der Verkür-zung des Zivildienstes! Einigen Sie sich endlich mitIhrem Kollegen Verteidigungsminister, wann das umge-setzt werden soll, damit die Träger des Zivildienstes end-lich Klarheit haben!Schönen Dank.
Miriam Gruß hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spie-
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2916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Miriam Gruß
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len und erst recht nicht lernen. Das sage ich nicht nurheute anlässlich der Haushaltsdebatte, sondern das habeich schon in den letzten Jahren immer wieder gesagt.Dieser Satz muss gerade für uns als Familienpolitiker,die hier die Zukunft der Familien gestalten, eine ständigeMahnung sein. Wir müssen darauf achten, dass wir dienächsten Generationen nicht mit einem Haushalt belas-ten, der ihnen Möglichkeiten nimmt und den KindernChancen verbaut.
Das gilt nicht nur für den globalen Haushalt des Deut-schen Bundestages und dieser Koalition, sondern auchfür den Etat der Familien. Es ist ganz klar – die Ministe-rin hat es schon gesagt –: Wenn jedem alle Wünsche er-füllt würden, hätten wir einen enormen Aufwuchs. Dasgeht nicht. Deswegen müssen wir auch in diesem Haus-halt mit Maß und Ziel walten, und das haben wir getan.
Demgegenüber bauen andere Kolleginnen und Kollegenhier Luftschlösser auf. Das hilft nicht weiter. Wir habenuns an den Realitäten und an dem orientiert, was im Ko-alitionsvertrag vereinbart ist.Damit komme ich schon zu den einzelnen Themen.Im Bereich Kinder und Jugendliche war es uns im-mer wichtig, eine eigenständige Jugendpolitik zu betrei-ben. Dazu bekennen wir uns weiterhin. Uns war aberauch wichtig, Kindern Schutz und Chancen zu bieten.Auch dieses Ziel verfolgen wir weiterhin. Beim Kinder-schutzgesetz müssen wir überlegen, auf welche Bereichees ausgeweitet werden soll. Nach wie vor stehen wirdazu, dass es ein Kinderschutzgesetz geben soll, undzwar mit den beiden Komponenten „Prävention“ und„Intervention“.Im Bereich der Familie stehen wir zu den Erkenntnis-sen, die das gesamte Haus in den vergangenen Jahrenmehrfach von Experten geliefert bekommen hat: Fami-lien brauchen vor allen Dingen Zeit, Geld und Infra-struktur. Diese drei Prinzipien haben wir realisiert. Wirwerden das mit diesem Haushalt und mit den zukünfti-gen Haushalten weiterhin tun.„Zeit“ heißt, Zeit für Kinder zu haben, heißt aberauch, Zeit für Pflege zu haben. Deswegen ist es richtigund wichtig, hier eine Initiative zu starten und für Fami-lien in allen Lebenslagen Möglichkeiten zu schaffen,Zeit zu haben.
Zur Infrastruktur. Nachdem wir in den letzten Jah-ren großen Wert darauf gelegt haben, die Quantität aus-zubauen, setzen wir nun auf die Qualität, aber natürlichauch weiterhin auf die Quantität. Wir müssen uns mitden Ländern darüber einig werden, wie wir im frühkind-lichen Bereich einheitliche Standards schaffen und diefrühe Phase der Kinder noch besser nutzen; denn in die-ser Phase sind Kinder wie Schwämme, saugen alles auf,wollen alles wissen. Was wir im frühkindlichen Bereichinvestieren, wird sich später tausendfach auszahlen, wer-den wir als Staat später nicht ausgeben müssen.
Bei der Infrastruktur ist aber auch wichtig, dass wirdie Arbeitszeit in den Blick nehmen. Da brauchen dieFamilien mehr Flexibilität, und da müssen wir mehr Un-terstützung bieten. Im Übrigen geht es nicht nur umKleinstkinder, sondern um Kinder in allen Lebenspha-sen. Auch Kinder im Alter von vier, fünf oder siebenJahren brauchen Infrastruktur und Unterstützung. Des-wegen müssen wir auch hier den Blickwinkel erweitern.Bezüglich der finanziellen Situation hat diese Koali-tion bereits gehandelt. Wir haben mit dem Wachstums-beschleunigungsgesetz die Familien erheblich entlastet.
Wir haben das Kindergeld erhöht, die Freibeträge erhöhtund damit ein Signal gesetzt, dass Kinder nicht einfachkleine Erwachsene sind, sondern einen eigenständigenBedarf haben. So werden wir mit dem Thema auch um-gehen, wenn wir in diesem Jahr die Vorgaben des Bun-desverfassungsgerichts umsetzen. Das Gericht hat unsden klaren Auftrag gegeben, die Kinder stärker in denFokus zu nehmen. Das werden wir tun. In unsere Lösungwerden wir insbesondere den Bildungsaspekt einbrin-gen, was uns allen nur am Herzen liegen kann.Noch einmal zur finanziellen Situation. Es ist natür-lich wichtig, zu wissen, ob die vielen familienpolitischenLeistungen, die wir gewähren, wirklich bei den Familienankommen. Deswegen ist es richtig und wichtig, dasswir weiterhin die Evaluation der familienpolitischenLeistungen vorantreiben. Ich finde es gut, dass wir denHaushalt so aufgestellt haben, dass wir Weichen stellenkönnen. Die Erkenntnisse der Evaluation kommen unszugute; denn nichts ist schlechter, als Geld als Mon-stranz vor uns herzutragen, während es bei den Familiennicht ankommt.
Gerade in den letzten Sitzungswochen wurde viel überdas Thema Gleichstellung gesprochen. Wir achten da-rauf, dass die Gleichstellung in Unternehmen weiterhinim Blick bleibt. Wir haben das Modellprojekt Logib-Dzum Laufen gebracht; ich finde das richtig und wichtig.Das Projekt ist bereits in den ersten Unternehmen gestar-tet. Auch diesen Aspekt behält die Koalition im Auge. Ichfreue mich aber auch, dass es im Ministerium ein neuesReferat gibt, das sich speziell mit Fragen der Jungen- undMännerpolitik befasst; denn eine solche Blickwinkel-erweiterung brauchen wir. Das ist ganz wichtig. Wir wer-den weiterhin die Mädchen fördern und im Blick haben,aber auch die Jungen. Ich freue mich über dieses neue Re-ferat in Ihrem Ministerium, sehr geehrte Frau Ministerin.Wir haben hier viel über den Zivildienst und den Ex-tremismus debattiert. Da meine Redezeit leider abgelau-fen ist, möchte ich nur noch Ihnen, sehr geehrter Herr
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2917
Miriam Gruß
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Kollege von der Linken, etwas sagen, weil Sie mich na-mentlich angesprochen haben. Ich weise ausdrücklichzurück, dass ich ein Problem damit hätte, gegen rechtszu kämpfen.
Ich weiß nicht, ob Sie über mein Leben Bescheid wissen.Aber Sie finden mich auch auf Demonstrationen gegenrechts, genauso wie viele andere Kolleginnen und Kolle-gen dieser Koalition. Deswegen weise ich Ihre Unter-stellung auf das Äußerste zurück, dass wir den Kampfgegen rechts nicht mehr betreiben würden, nur weil wirunseren Blickwinkel erweitern.
Ich möchte auf einen Zwischenruf von vorhin zurück-
kommen. Das Protokoll liegt uns jetzt vor. Ausweislich
des Protokolls hat der Kollege Peter Tauber gesagt: „Ihr
seid doch die rot lackierten Faschisten!“. Herr Tauber,
dafür erteile ich Ihnen eine Rüge und mache im Übrigen
deutlich, dass Vergleiche mit dem Nationalsozialismus
hier im Hause nichts zu suchen haben.
Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Heidrun Dittrich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Die Regierung tönt lauthals: Die Familie istdas Kernstück der Gesellschaft. – Aber wie sieht denndie Wirklichkeit aus? Können Kinder geplant werden,wenn befristete Beschäftigungsverhältnisse zur Normali-tät werden? Wird eine werdende Mutter wieder einge-stellt, wenn ihr Arbeitsverhältnis durch Befristung aus-gelaufen ist? Das Institut der deutschen Wirtschaftschreibt: 41 Prozent der unter 20-Jährigen haben einebefristete Stelle; bei den 20- bis 25-Jährigen ist es nochjeder Vierte. – Ungesicherte Arbeitsverhältnisse be-deuten unsichere Einkommen und im Allgemeinenschlecht bezahlte Arbeit. Hierzulande gehen Menschenarbeiten und sind trotzdem arm; sie müssen beim Job-center aufstocken.Die Familienministerin spricht gern von gleichenChancen für alle Kinder. Aber welche Kinder und Fami-lien werden gefördert? Die Einführung des Elterngeldes2007 zeigt: die der Mittel- und Oberschicht. Zulasten derErwerbslosen wurde die Bezugsdauer des Elterngeldes inHöhe von 300 Euro monatlich um zwölf Monate ver-kürzt. Das ist ein Verlust in Höhe von 3 600 Euro für einJahr. Einkommensschwache Familien werden zum Spiel-ball der Politik. Mit dem geplanten Betreuungsgeld inHöhe von 150 Euro monatlich ab 2013 werden einkom-mensschwache Familien dazu verführt, ihre Kinder nichtin einer Kita anzumelden, damit sie Betreuungsgeld an-rechnungsfrei zusätzlich zu Hartz IV oder zum Minijoberhalten. Warum werden eigentlich pünktlich zum Endeder Elternzeit 150 Euro Betreuungsgeld gezahlt? Um dieNachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen ab dem erstenLebensjahr zu senken. Damit geben Sie zu, dass der Aus-bau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahrennicht vorankommen soll. Das Sondervermögen in Höhevon über 4 Milliarden Euro für den Kita-Ausbau beinhal-tet nur den Aufbau von Kindertagesstätten. Die Regie-rung investiert in Beton statt in Pädagogik.Für die Einstellung von Erzieherinnen fehlt dasGeld. Dafür sind die Kommunen zuständig. Es fehlenaber bundesweit 80 000 Erzieherinnen. Die Kommunenkönnen sich neue Personaleinstellungen nicht leisten,weil sich die Bundesregierung Steuergeschenke anGroßbanken und Großkonzerne leistet.
– Und die Hotels. Danke.Das Vorzeigeprogramm der Familienministerin mitdem Betreuungsausbau für 35 Prozent aller Kleinkin-der zwischen ein und drei Jahren ist gescheitert. Was ge-schieht nun mit den Kleinkindern, wenn das erste Le-bensjahr zu Ende geht? Im Anschluss an das Elterngeldist kein Krippenplatz in Sicht. Ist denn das Kind nach Ih-rer Auffassung mit zwölf Monaten schon erwachsen?Muss es dann nicht mehr betreut werden? Auch geeig-nete Tagesmütter gibt es nicht flächendeckend, und siewerden schlecht bezahlt.
In Niedersachsen, woher ich komme, gibt es für unterDreijährige eine Versorgerquote von nur 12 Prozent, inNordrhein-Westfalen von nur 11,6 Prozent. Die Eltern inden alten Bundesländern müssen rumdümpeln, bis derRechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinderab drei Jahren greift. Der Fortschritt, dass im Jahr 200973 Prozent aller Väter immerhin zwei Monate Elternzeitnahmen, wird durch die fehlende Kinderbetreuung nach14 Monaten komplett aufgehoben. Es werden wieder diealten Rollenverhältnisse zementiert;
denn ein Elternteil muss zu Hause bleiben und das Kindbetreuen. Dieser Elternteil ist traditionell die Frau; denndie hat offensichtlich schon 12 Monate Elternzeit ge-nommen.Obwohl das Elterngeld vorrangig Besserverdienendebedient, stehen auch diese Elternteile nach einem Jahrvor dem Nichts. Sie locken die Eltern damit in eineFalle: erst die Anreize und dann keine Anschlussbetreu-ung. Ihre Familienpolitik ist verantwortungslos,
gegenüber den Eltern und gegenüber den Kindern. Des-halb lehne ich diesen Familienhaushalt ab. Indem Sieden Armen den Kitaplatz abkaufen, werden die Integra-tion der Kinder und ein gemeinsames Lernen, was zurChancengleichheit führen könnte, von Anfang an un-möglich gemacht.
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2918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Heidrun Dittrich
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Die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Er-werbstätigkeit ist in den alten Ländern der Bundesrepu-blik seit über 60 Jahren nicht erreicht. Was in Frankreichseit den 50er-Jahren möglich ist, nämlich für jedes Kindab dem dritten Monat einen Betreuungsplatz zu stellen,und was in der DDR für Kinder ab dem ersten Jahr mög-lich war, ist in der Bundesrepublik bis heute nicht mög-lich. Wer nicht arbeitet, kann keine Rente aufbauen. DieAltersarmut von Frauen ist vorprogrammiert. Sie erlegendie soziale Verantwortung für die Familie einseitig denFrauen auf. Das betrifft die Betreuung der Kinder unddie Pflege. Sie kaufen den Frauen die Berufe ab. Hättenwir mehr Kinderbetreuung, könnten mehr Frauen arbei-ten, und wir würden wieder Frauenberufe im öffentli-chen Dienst einrichten, Stellen für Erzieherinnen, Sozial-arbeiterinnen und Sprachlehrerinnen. Geld ist genug da.Es muss umverteilt werden.
Die Millionärsteuer ist nur ein Beispiel dafür, wie dieserStaat zu mehr Einkommen kommen könnte. Außerdemkönnen Sie auch am Verteidigungsetat sparen.
Der beläuft sich nämlich auf 31 Milliarden Euro, wäh-rend der kleine Familienhaushalt 2,56 Milliarden Eurobeträgt. Damit möchten Sie den Zusammenhalt der Ge-sellschaft organisieren. Sie organisieren damit die Spal-tung zwischen Arm und Reich.
Das Wort hat der Kollege Norbert Geis für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Es ist schon wahr, was Sie sagen:Die Familie ist der Angelpunkt der Gesellschaft. Nurwenn es gelingt, die Bindekräfte der Familie zu erhalten,werden wir morgen noch Kultur haben, werden wir ei-nen stabilen Staat und eine stabile Gesellschaft haben.Deswegen kommt es darauf an, dass unsere Generationihrem Erziehungsauftrag gerecht wird.Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen zu frei-heitsfähigen Menschen heranziehen. Nur dann werdenwir morgen genügend Erfinder, genügend Firmengrün-der, genügend Arbeitsplätze und genügend Menschen,die in die Sozialsysteme einzahlen, haben. Wir werdennur dann genügend Nachfrager und genügend Anbieterhaben. Wir werden auch nur dann unseren Staat und un-sere Zukunft sichern, wenn wir unsere Gesellschaft infreiheitsfähige Hände weitergeben können. Deswegenkommt es entscheidend darauf an, dass die Familien ih-ren Auftrag erfüllen und ihre Kinder und Jugendlichenzu freiheitsfähigen Menschen heranziehen, zu Men-schen, die in der Lage sind, die kulturellen Werte zu er-kennen, die fest in unserer Gesellschaft verankert sind,und für die die Freiheit eine große Bedeutung hat.Die Staaten gäben ihre Zukunft in die Hände der Fa-milien, schreibt der frühere Verfassungsrichter PaulKirchhof – und er hat recht. Die zentrale Funktion derFamilien haben die Väter und Mütter unserer Verfassungerkannt. Deswegen haben sie in Art. 6 GG die Funk-tionsbedeutung der Familie in einer so herausragendenund hervorragenden Weise niedergelegt. Dort steht ge-schrieben, dass Eltern und Familien unter dem besonde-ren Schutz des Staates stehen. Der besondere Schutz giltalso auch für Eltern, die Verbindung von Mann undFrau auf Lebenszeit.
– Stöhnen Sie nicht! Das ist kein veraltetes Familienbild.
Ich zitiere das Urteil des Verfassungsgerichts zumNachzug von Familien – wenn Sie das Verfassungsge-richt nicht achten wollen, dann können Sie so stöhnen –:„Voraussetzung für die bestmögliche geistige und seeli-sche Entwicklung von Kindern“ sind die Eltern. – Dassollten wir nicht missachten. Wer das missachtet, machteinen entscheidenden Fehler an dieser Stelle.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Wortzu den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaftensagen: Sie sind mit der Elternschaft nicht gleichzustel-len.
– Stöhnen Sie nicht! Genau so steht es im Urteil des Ver-fassungsgerichts zu gleichgeschlechtlichen Lebensge-meinschaften.
Sie genießen nicht den Schutz der Verfassung. Das mussbei einer solchen Diskussion einmal klargestellt werden,weil es inzwischen vergessen wird.
Schutz von Ehe und Familie heißt nicht, dass in die-sen Schutz Großeltern und Verwandte einbezogen sind;es geht nur um den Schutz der Kleinfamilie. In diesenSchutz einbezogen sind die alleinerziehenden Frauenund diejenigen Eltern, die nicht verheiratet sind; sie ge-nießen den gleichen Schutz.
– Lassen Sie mich doch in Ruhe reden. Vielleicht ist esganz günstig, wenn Sie ab und zu auch eine gegenteiligeMeinung hören. Wenn Sie sie nicht hören wollen, dannkönnen Sie hinausgehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2919
Norbert Geis
(C)
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Es muss in der Demokratie möglich sein, eine gegentei-lige Meinung zu hören. Lassen Sie mich fortfahren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schutz-auftrag, wie er in der Verfassung niedergeschrieben ist,hat zwei Aspekte:Erstens. Der Staat ist nicht berechtigt, allzu schnell indie Freiheitssphäre der Familie einzugreifen. Der Staatist beschränkt auf sein Wächteramt. Wenn sich irgendwoeine Gefährdung der Kinder abzeichnet, ist es deswegennicht richtig, dass das Jugendamt sofort kommt und dieKinder wegnimmt. Das geschieht zurzeit in Deutsch-land. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich.
Zweitens. Der Staat muss die Familien vor allem för-dern. Dabei geht es darum, dass er drei gegenläufigeZiele zu einem Ausgleich zu bringt. Das erste Ziel ist,dass Ehen geschlossen und Familien gegründet werden.
Das zweite Ziel ist, dass den jungen Menschen die Mög-lichkeit geboten wird, Geld zu verdienen und in derWirtschaftsordnung ihre Frau oder ihren Mann zu ste-hen. Das dritte Ziel ist die Erziehung von Kindern.Berufsausübung und Erziehung von Kindern stehenoft im Gegensatz. Es ist Aufgabe der Politik, zu ermögli-chen, dass beide Ziele vereinbar sind: zum einen die Fa-milienpräsenz und zum anderen die Berufsausübung.
Um das zu gewährleisten, sind eine Menge Dinge zu er-ledigen. Für uns gilt insbesondere, uns Gedanken da-rüber zu machen, wie wir dafür sorgen können, dass esmehr Zeitarbeitsplätze gibt. Ich denke an Telearbeits-plätze, die es den Frauen ermöglichen, daheim präsentzu sein.
– Das passt Ihnen nicht.Kita ist eine Hilfe, aber kein Ersatz für die Erziehungdurch Familie. Wer das annimmt, der ist auf dem Holz-weg.
– Ich weiß schon, was Sie sagen wollen; aber das ist mirziemlich gleichgültig. Was die Linken sagen, ist hier so-wieso ohne Bedeutung.
– Sie von der Linken haben ein völlig falsches Familien-bild. Ihr Familienbild kommt aus dem Marxismus, undder gehört in die Mottenkiste des vorletzten Jahrhun-derts.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine wich-tige Aufgabe ist es also, diese drei Ziele zu einem Aus-gleich zu bringen. Nun kommt es darauf an, dass wirEhe und Familie den richtigen Rang in unserer Gesell-schaft einräumen. Ich glaube, dass dies ein wichtigerAuftrag an die Familienpolitik ist. Die Familienpolitikist deshalb ein ganz zentrales Feld der Gesellschaftspoli-tik.Ich danke der Frau Ministerin, dass sie mit so vielElan ihr Amt wahrgenommen hat. Sie haben unsere Un-terstützung. Ich freue mich über den runden Tisch, denSie zusammen mit Frau Schavan und natürlich auch mitFrau Leutheusser-Schnarrenberger geschaffen haben.Ich hoffe, dass er zum Erfolg führt.
Herr Kollege Geis!
Ich freue mich über Ihre Initiative zur Familien-Pfle-
gezeit. Wir werden Sie unterstützen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die
Aufmerksamkeit.
Kai Gehring hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Geis, ich habe mit Wohlwollen zur Kenntnis ge-nommen, dass auch einem Großteil Ihrer Fraktion einTeil Ihrer Ausführungen ziemlich peinlich gewesen ist.Ich kann das nachvollziehen.
Toleranz gegenüber Intoleranz gehört hier wirklich nichtins Haus.Ich möchte sehr deutlich sagen, dass in Regenbogen-Familien, wo zwei Mütter oder zwei Väter womöglichein Leben lang verbindlich Verantwortung für Kinderübernehmen und sich fürsorglich um ihre Kinder küm-mern,
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2920 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Kai Gehring
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übrigens konservative Werte gelebt werden, die Sie ei-gentlich unterstützen müssten.
Diese Familien haben denselben Schutz des Grundgeset-zes verdient und dieselbe Wertschätzung der Gesell-schaft und des ganzen Parlamentes wie alle anderen Fa-milien in diesem Land auch.
Solange Sie das nicht begreifen, sind Sie in der Neuzeitnicht angekommen.Nun zum Einzelplan 17. Er zeigt ja, dass es der Koali-tion und auch der Ministerin ziemlich schwerfällt, klareEntscheidungen zu treffen und richtige Prioritäten zusetzen. Es zeigt sich auch, dass die Leitung eines Minis-teriums nicht mit der eines Ponyhofes gleichzusetzen ist.Ich wünsche Ihnen insofern künftig ein glücklichesHändchen. Ich möchte ein paar kritische Punkte anspre-chen.Ich finde es – das sage ich bewusst als Mann –schlicht peinlich, dass sich Ministerin Schröder in derFrauenpolitik ausgerechnet von der Privatwirtschaftüberholen und vorführen lassen muss.
Mit der Einführung einer Quote für das Management hatdie Deutsche Telekom einen mutigen Schritt in RichtungGleichstellung in der Privatwirtschaft getan.
Ministerin Schröder setzt weiterhin auf Unverbindlich-keit und warme Worte; das ist mehr als mutlos. Ich sageals männlicher Feminist für die grüne Bundestagsfrak-tion:
Ohne Quote bleiben Frauenförderung und Geschlechter-gerechtigkeit reine Lippenbekenntnisse. Deutschlandkann es sich schlichtweg nicht leisten, die Talente vonFrauen weiter zu vergeuden. Frau Schröder, Ihre Frauen-politik ist von vorgestern. Packen Sie endlich die Gleich-stellung in der Privatwirtschaft an!
Herr Kollege Gehring, möchten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Gruß zulassen?
Ja, gerne.
Herr Gehring, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass der
Fall Telekom ja genau zeigt, dass man jenseits der Ein-
führung einer gesetzlichen Quote Lösungen in Unterneh-
men finden kann und dass es auch zu diesen Lösungen
kommt?
Ich erkenne an und finde es auch toll, dass die Deut-sche Telekom als erstes DAX-30-Unternehmen diesenSchritt macht. Dies sollten wir vonseiten der Politik un-terstützen und begleiten und uns ganz klar im Sinne ei-nes Gleichstellungsgesetzes auch für eine Quote in derPrivatwirtschaft einsetzen. Wir müssen das unterstützen.Wir sehen doch, dass Frauen in Führungspositionen lei-der immer noch Seltenheitswert haben.
Es sollte uns allen am Herzen liegen, dass Frauen diegleichen Karrierechancen haben wie Männer. Deutsch-land ist hier aber gleichstellungspolitisches Entwick-lungsland, was man sowohl in den Großkonzernen alsauch in den Universitäten sehr deutlich sehen kann.
Deshalb muss man sich hier kluge Instrumente und An-reize überlegen, wozu wir immer wieder Vorschläge ge-macht haben, die Sie von der Bundesregierung gerneaufgreifen können, um endlich Schritte in die richtigeRichtung zu gehen.Ich möchte noch andere aktuelle Punkte ansprechen.Sie sind eine Krach- und Chaoskoalition, wenn es umdie Wehrpflicht geht. Vor lauter Pirouettendrehen alleinin den letzten Tagen müsste Ihnen völlig schwindeligsein. Mir fällt es fast schwer, das alles mitzuverfolgen.Aber halten wir einmal fest: Die Union sind die letztenMohikaner in diesem Parlament, die sich an der Wehr-pflicht festklammern. Mit der FDP haben wir in der letz-ten Legislaturperiode noch gemeinsam für den Ausstiegaus der Wehrpflicht gekämpft. Jetzt ist sie in den Koali-tionsverhandlungen umgefallen. Schade! Letztlich gabes mit der Verkürzung auf sechs Monate einen faulenKompromiss.Ich erwarte aber, dass Herr zu Guttenberg und FrauSchröder sich da zusammensetzen, abstimmen
und diesem Parlament ein gemeinsames, einigermaßenschlüssiges Konzept vorlegen, statt in den Medien öf-fentlich herumzudilettieren. So geht das nicht weiter.Die Wehrpflicht ist ungerecht, sie ist sicherheitspoli-tisch überflüssig, sie ist unvertretbar teuer, und sie ist ein
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2921
Kai Gehring
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tiefer Eingriff in die individuellen Freiheitsrechte jungerMänner. Deshalb müssen wir da aussteigen.
Geben Sie endlich Ihr Wehrpflichtdogma auf! Gehen Siedie neuen Wege, die Sie eben angekündigt haben! DiePflichtdienste haben keine Zukunft mehr, sondern dieZukunft liegt in den Freiwilligendiensten.
Ich sage Ihnen auch: Die Verlängerungsoption beimZivildienst ist letztlich eine Verlängerung des Zivil-dienstes und eine Abkopplung von der Wehrpflicht.
– Von wegen Freiwilligkeit. Das setzt man dann nochdavor. Aber es ist eine Krücke und keine Brücke, undSie schließen damit auch keine biografische Lücke, wiehier angekündigt wird; das ist Unsinn. Das ist schon jetztder Fall.
Sie schaffen es einfach nicht, die Frage nach dem Sinnzu beantworten, den ein sechsmonatiger Wehr- und Zi-vildienst haben soll. Statt diese Legislaturperiode mitVerkürzungs- bzw. Verlängerungsdebatten zu vergeuden,
sollten Sie endlich einen Ausstiegsbeschluss herbeifüh-ren. Sie sollten dafür sorgen, dass aus den Pflichtdiens-ten ausgestiegen und endlich massiv in den Ausbau derFreiwilligendienste investiert wird.
Als einer der letzten Redner in dieser Debatte sageich: Hören Sie auf, die Jugendlichen zu ignorieren! Ju-gendliche kamen heute noch gar nicht richtig vor.
Wertschätzen Sie zum Beispiel, dass Jugendliche sichbeteiligen wollen, dass es ihnen um Partizipation geht.Neulich hatten wir die Abschlusskonferenz zum Bundes-programm für mehr Jugendbeteiligung. Da erwartet maneigentlich, dass gesagt wird, dass man sich weiter um dieJugendbeteiligung kümmern will. Das ist aber nicht er-folgt. Was geschieht da jetzt? Die Jugendpolitik sollteunter Schwarz-Gelb nicht völlig in der Bedeutungslosig-keit verschwinden. Mit Sachsen wird offensichtlich daserste Bundesland aus der Jugendhilfe aussteigen.
Das sind sehr bedenkliche Entwicklungen. Man darfnicht auf dem Rücken der Jugendlichen den Haushalt zu-sammenstreichen. Das müsste eigentlich großer Konsensin diesem Haus sein.
Herr Kollege, kommen Sie zum Ende, bitte.
Ja. – Ich möchte mit einem Appell enden, auch auf-
grund der Sprechblasen zum Thema Extremismus. Ich
wünsche mir, dass hier endlich Konsens darüber herbei-
geführt wird, dass man vor allem gegen Rechtsextremis-
mus kämpfen muss.
– Gegen links auch.
Herr Kollege.
Aber wenn im Jahre 2009 über 20 000 rechtsextreme
Straftaten –
Herr Kollege!
– ich komme zum Schluss –
Aber definitiv.
– laut Bundeskriminalamt begangen wurden, dann
muss hierauf die Priorität liegen. Also hören Sie endlich
auf, die Extremisten alle in einen Topf zu werfen,
und konzentrieren Sie sich auf das, was wirklich wichtig
ist: den Kampf gegen Rechtsextremismus und für die
Demokratie.
Der Kollege Thomas Jarzombek hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habein dieser Debatte zwei Beobachtungen gemacht. Erstens
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2922 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Thomas Jarzombek
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finde ich es ziemlich unglaublich, in welcher Art undWeise hier Linksextremismus verharmlost wird.
– Meine Damen und Herren von den Linken, dass Siedas nicht juckt, ist mir klar. – Aber dass die SPD das sosieht, wie sie es sieht, finde ich erstaunlich; da hätte ichpersönlich mehr Anstand an dieser Stelle erwartet.
Anstatt sich aufzuregen, sollten Sie vielleicht denVorschlag aufgreifen, den ein Kollege der Linkspartei inder ersten Lesung gemacht hat, nämlich endlich einmalAussteigerprogramme für die Linkspartei zu etablieren.
Ich habe heute noch eine zweite Beobachtung ge-macht. Wie es um die Familienpolitik bei der Oppositionbestellt ist, zeigt die Tatsache, dass alle Vorredner vonder Opposition mit Ausnahme des Kollegen Gehringnicht einen Satz zum Thema Kinder und Familie verlo-ren haben. Wir haben hier offensichtlich ein Problem.Wir sind hier nicht der Verteidigungsausschuss desDeutschen Bundestages. Ich kann in diesem Zusammen-hang nur den amerikanischen Juristen Darrow zitieren,der vor 100 Jahren mit satirischem Unterton sagte:Die erste Hälfte unseres Lebens wird von den El-tern ruiniert, die zweite von den Kindern.Kardinal Frings hat es so ausgedrückt:Die Zukunft des Volkes hängt nicht von der Zahlder Kraftwagen ab, sondern von der Zahl der Kin-derwagen.Darüber müssen wir hier sprechen.
Jeder, der nur ein bisschen finanzpolitisches Gespürin seinen Fingern hat, der muss doch sehen, dass dieSchulden dieses Landes nicht nur als Zahl im Haushaltstehen. Die Schulden dieses Landes spiegeln sich in denGeburtenstatistiken wider.
Wir haben heute eine Geburtenrate von 1,4. Die Frageist, wie wir alle unsere Aufwendungen in der Sozialver-sicherung zukünftig decken können, wenn es so weiterläuft. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, da habenSie, was diese Entwicklung betrifft, sieben Jahre verlo-ren.Erst mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin und mitUrsula von der Leyen als Familienministerin ist hier et-was passiert. In diesen vier Jahren ist der Etat von 4,4um 50 Prozent auf 6,6 Milliarden Euro gestiegen. Tatsa-che ist doch: Unter Rot-Grün gab es für Familie undKinder keine Lobby.
Gedönskanzler Schröder hat Ihre Familienpolitiker amlangen Arm verhungern lassen.
Ich kann aus eigener Erfahrung in Nordrhein-West-falen sagen, was 39 Jahre SPD-Politik für die Familiengebracht haben: eine Betreuungsquote für unter Dreijäh-rige von 2,8 Prozent, die niedrigste in ganz Deutschland.
Mit Schwarz-Gelb haben wir es in Nordrhein-Westfalengeschafft, die Anzahl der Plätze in fünf Jahren nahezu zuverzehnfachen.
Wir mussten das aufräumen, was Sie hinterlassen haben.Wir werden an dieser Stelle weitermachen. Denn wirmüssen etwas tun. Wir haben schon eine Menge getan,zum Beispiel für die Infrastruktur. Fast 10,5 Milliar-den Euro aus dem Konjunkturpaket werden bis 2013 inBetreuungsplätze für unter Dreijährige investiert.
Die rot-grüne Koalition hat im Jahr 2005 eine Quote von13,7 Prozent hervorgebracht, was die Betreuungsplätzefür unter Dreijährige betrifft. Dank Ursula von derLeyen haben wir heute eine Quote von 20 Prozent er-reicht. Wir werden 35 Prozent in 2013 erreichen. Dafürsteht auch dieser Haushalt.
Wir tun mehr für die Eltern. Wir als Union haben dasElterngeld eingeführt. Wir werden auch das Teileltern-geld einführen und damit eine gute Weiterentwicklungermöglichen. Ich nenne weiterhin die steuerliche Ab-zugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten und nicht zu-letzt die Erhöhung des Kindergeldes, die wir mit demWachstumsbeschleunigungsgesetz vorgenommen haben.Ich glaube, das ist richtig. Denn in sieben Jahren gab eskeine Erhöhung des Kindergeldes, obwohl die Ausgabenfür die Kinder von Jahr zu Jahr steigen.Der Focus hat vor einigen Wochen von der Familieeines Hochschuldozenten – er gehört also nicht zum Pre-kariat – berichtet. Er kann es sich noch nicht einmal er-lauben, mit seinen drei Kindern in den Urlaub zu fahren.Es ist daher wichtig, dass wir mehr finanzielle Leistun-gen für Familien, die sich in der Mitte der Gesellschaftbefinden, bereitstellen.
Damit kommen wir zu einem ganz entscheidendenPunkt. Denn wir als Union sind die Einzigen, die denEltern Wahlfreiheit lassen. Die Geburtenzahlen erlau-ben es uns nicht, aus ideologischen Gründen nur auf einganz bestimmtes Familienmodell zu setzen.
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Thomas Jarzombek
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Wir müssen Eltern Wahlfreiheit bieten. Wenn das Be-treuungsgeld – in welcher Form der Umsetzung auch im-mer – dazu beiträgt, dass insbesondere Familien mitmehreren Kindern, bei denen die finanzielle Lage mögli-cherweise auch aufgrund einer Teilzeitarbeit sehrschwierig ist, eine bessere Unterstützung von uns be-kommen und das wiederum dazu beiträgt, dass wir einehöhere Geburtenrate und mehr Kinder bekommen, dannist es genau die richtige Politik, die wir als Koalition ver-abredet haben.
Deshalb kann ich nach der heutigen Debatte nur dasFazit ziehen: Da, wo die Union regiert, hört man immermehr Kinder schreien. Da, wo die Linken regieren, hörtman höchstens noch die Eltern schreien.Vielen Dank.
Herr Kollege Jarzombek, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Marks von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr KollegeJarzombek, Sie haben eben gesagt, da, wo die Union re-giert, sei es um die Familienpolitik besonders gut be-stellt.
In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo dieUnion regiert, ist es aber ganz besonders schlecht umden Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuungbestellt. Das ist und bleibt richtig.
Zu dem Betreuungsgeld will ich gar nicht mehr vielsagen. Da kann ich mich durchaus der vorherigen Fami-lienministerin, Frau von der Leyen, anschließen. Es istUnsinn und eine bildungspolitische Katastrophe, und daswird es auch bleiben.
Frau Ministerin Schröder, Politik ist eigentlich in derVerantwortung, klare Antworten auf die gesellschafts-politischen Herausforderungen zu geben. Dies trifftganz besonders auf unser Ressort, Familie, Senioren,Frauen und Jugend, zu. Die Bekämpfung der Kinder-und Familienarmut, die Begleitung des demografischenWandels, mehr Teilhabe für Jugendliche und die konse-quente Gleichstellung von Männern und Frauen: ImEinzelplan 17 finden wir leider kaum Antworten aufdiese und weitere Herausforderungen.Im Bereich der Gleichstellungspolitik wird das ganzbesonders deutlich. Der Lohnunterschied zwischenMännern und Frauen beträgt skandalöse 23 Prozent. DerFrauenanteil in deutschen Vorständen und Aufsichtsrä-ten ist lächerlich gering. Das schreit geradezu nach eineraktiven Gleichstellungspolitik. Doch was macht dieFrauenministerin? – Die Telekom ist mit ihrer aktuellenEntscheidung für eine Frauenquote entschlossener alsdie zuständige Ministerin.Wer wie Frau Schröder unbeirrt auf Freiwilligkeit inder Wirtschaft setzt, nimmt die Realität in den meistenUnternehmen nicht zur Kenntnis. Die Zeit ist mehr alsreif für verbindliche Regelungen.
Die SPD fordert eine gesetzliche Quotenregelung fürFrauen in Vorständen und Aufsichtsräten. Ich höre schondie konservativen Bedenkenträger: Gibt es denn genü-gend qualifizierte Frauen für diese Posten? – Erstens istdas der Fall; es gibt sie. Zweitens, wer hat eigentlichnach der Qualifikation der Männer gefragt, meine Her-ren?
Bei der Überwindung der Entgeltungleichheit ver-lässt sich die Ministerin mit einem unverbindlichen Lohn-prüfungsverfahren ebenfalls auf das rein freiwillige Han-deln einzelner Unternehmen. Auch diesbezüglich gibt eskein entschlossenes Handeln, sondern nur Mutlosigkeit.Die SPD sagt: Wir brauchen endlich ein wirksames Ent-geltgleichheitsgesetz. Gerade heute haben Sozialwissen-schaftlerinnen noch einmal die Notwendigkeit eines Ge-setzes betont.Die jetzige Bundesregierung hat ganz offensichtlichdringenden Beratungsbedarf in Sachen Genderkompe-tenz. Umso bedauerlicher ist es, dass die schwarz-gelbeKoalition die Förderung des Gender-Kompetenz-Zen-trums Mitte des Jahres einstellt und künftig auf gute,wissenschaftliche Politikberatung verzichtet.Die Antidiskriminierungsstelle ist zwar mit genausoviel Geld wie im Vorjahr ausgestattet, ich habe aller-dings große Zweifel, ob die Bundesregierung eine ziel-führende Antidiskriminierungspolitik wirklich will.Denn der Kurs, den Sie, Frau Ministerin, auf EU-Ebeneverfolgen, ist ein Trauerspiel. Sie blockieren in Brüsseleine neue Antidiskriminierungsrichtlinie.
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Caren Marks
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Das ruft sogar öffentliche Proteste von Amnesty Interna-tional hervor.
Über die 5 Millionen Euro für die Evaluation von fa-milienpolitischen Leistungen kann man sich nur wun-dern. Mein Kollege hat das schon angesprochen. Viel-leicht ist es ratsam, Frau Schröder, dass Sie mit IhrerAmtsvorgängerin sprechen. Sie hatte eine solche Evalua-tion bereits in Auftrag gegeben, die Ergebnisse liegenmassenweise vor und sind keineswegs veraltet. Es man-gelt nicht an Daten, sondern an Ihrem politischen Gestal-tungswillen.
Ja, es ist richtig: Familien wünschen sich bei derPflege mehr Unterstützung. Im wahrsten Sinne des Wor-tes „sparsam“ ist das unausgereifte Konzept der Ministe-rin zur Pflegeteilzeit für pflegende Angehörige. DerO-Ton der Ministerin ist entlarvend. Sie sagt: Der Pfle-geversicherung käme die Familienpflegezeit langfristigzugute; denn Pflege zu Hause koste weniger als imHeim. „Hört, hört!“, sage ich da nur. Erschreckend istdie fehlende Reflexion darüber, dass es in den allermeis-ten Fällen die Frauen sind, die Angehörige pflegen.Frauen sind häufig im Niedriglohnsektor zu finden. Wervon ihnen kann ohne Kompensation vier Jahre lang von75 Prozent des Gehaltes leben? Das Angebot geht an derLebenswirklichkeit vieler vorbei.
Ich frage mich, meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen von der Union, warum Sie die von der SPD gefor-derte bezahlte Pflegezeit von zehn Tagen nach wie vorablehnen. Gerade zu Beginn der Pflege, die in der Regelvon heute auf morgen notwendig wird, brauchen Fami-lien Zeit, um Informationen und Hilfe zu suchen undsich auf die neue Situation einzustellen.Es bleibt festzustellen: Auch in der Haushaltspolitikentzieht sich die Bundesregierung der Verantwortung.Sie handeln nicht dort, wo es nötig ist, sie zaudern undprüfen, bestenfalls hören wir Appelle an Wirtschaft undandere. Ich wünsche mir für die Menschen in unseremLand, dass sich die Ministerin Schröder den Herausfor-derungen unserer Zeit stellt. Wir alle, vor allem wirFrauen, erwarten zu Recht konkretes Handeln statt einHerumstochern im Nebel. Vielleicht wird es ja noch et-was.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/1036? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und Enthal-
tung der SPD-Fraktion.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 17 ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung
– Drucksachen 17/620, 17/623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Klaus Hagemann
Ulrike Flach
Michael Leutert
Priska Hinz
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor, über den wir am Freitag im Anschluss an
die Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Klaus Hagemann von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist jetzt gleich 19.15 Uhr und wir beraten denEinzelplan 30, den Haushalt, der zukunftsgerichtet ist.Die Medien haben kein Interesse mehr. Ich freue mich,dass Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, noch so zahl-reich hier sind und der Debatte folgen.
Man sollte vielleicht einmal überlegen, ob man diesesThema im Rahmen der Beratungen des Haushaltes 2011nicht etwas früher behandeln sollte.Bei diesem Haushaltsentwurf muss ich, wie in derersten Lesung, feststellen: Viele Titel sind gesperrt. Siesind während der Haushaltsberatungen nicht entsperrtworden, Frau Ministerin. Es sind sogar noch zusätzlicheSperren durch die schwarz-gelbe Koalition hinzuge-kommen. Weil nicht genügend ausgereifte Konzepte
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Klaus Hagemann
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vorliegen, hat die Koalition entsprechende Sperren vor-genommen. Was nützen die schönen Ankündigungen,die im Koalitionsvertrag festgeschrieben und in den Me-dien immer wieder dargestellt werden, und was ist dasGerede vom Gesamtkunstwerk wert – davon hat KollegeBarthle am Dienstag gesprochen –, wenn nicht konkretePolitik dahintersteht?
Man kann es als Mangel bezeichnen, wenn keine kla-ren Konzepte vorliegen und man nicht sehen kann, wiees mit den Projekten im Jahr 2011 überhaupt weiterge-hen soll. Wir wissen zwar, wie schwierig die Haushalts-lage ist, aber es ist nicht gut, dass keine mittelfristigeFinanzplanung vorgelegt worden ist. Dadurch entstehtgerade im Forschungsbereich und im Bildungsbereich,die auf unser Geld angewiesen sind, Unsicherheit, weilman nicht weiß, wie es mit der Finanzierung der Pro-jekte weitergeht. Wir wissen, dass vor der Wahl in Nord-rhein-Westfalen am 9. Mai 2010
nicht gestrichen werden soll, jedoch keine Klarheit da-rüber herrscht, was danach geschieht. Ich sehe nur dieGefahr, dass das, was vor der Wahl gesperrt wurde – sohieß es dieser Tage –, nach der Wahl gestrichen wird. Ichfrage: Ist es so?
Der Schuldenberg ist gewachsen. Sie legen noch ein-mal 80 Milliarden Euro obendrauf.
– Ihr habt die Mehrheit, und ihr habt entsprechende Vor-schläge zu machen. Doch die hat auch Herr Schäuble inseiner Rede am Dienstag nicht vorgetragen. Es ist keinklares Konzept vorgelegt worden. Die Financial TimesDeutschland, nicht gerade der Hort der Sozialdemokra-tie,
schreibt, dass nicht einmal die Andeutung eines Konsoli-dierungskonzeptes durch den Finanzminister vorgelegtwurde.
In der 16. Legislaturperiode, also während der Gro-ßen Koalition, haben wir bei den Haushaltsberatungen– jetzt wollte ich den Kollegen Willsch als Zeugen auf-rufen, aber er ist nicht da – immer noch Geld obendrauf-gepackt.
Ich verweise auf das BAföG. Dort haben wir im parla-mentarischen Verfahren erhebliche Mittel obendrauf-gepackt.
Jetzt sind durch die Koalition sogar Mittel gestrichenworden
– ob das Ihre Leistung ist, weiß ich nicht –, beispiels-weise beim Titel „Klimaforschung und LebensraumErde“ haben Sie 4,5 Millionen Euro gestrichen. LiebeFrau Flach, in den Bereichen, in denen es deutliche Kür-zungen geben könnte, beispielsweise bei der Öffentlich-keitsarbeit oder beim Personalaufbau, haben Sie im Ge-gensatz zur Oppositionszeit jetzt keine Kürzungsanträgegestellt. Die hätten wir gerne unterstützt. Ich muss sa-gen: Die FDP ist als Tiger in der Opposition gestartetund als Bettvorleger in der Koalition gelandet.
– So ist es. Wenn man keine Konzepte hat, kann man dassagen, lieber Kollege Meinhardt.In den zurückliegenden Jahren hatte das Parlament500 Millionen Euro mehr bewilligt, als im Laufe derZeit ausgegeben worden sind. Da muss man noch einmalgenauer hinschauen. Sie haben über die globale Minder-ausgabe hinaus nicht alles Geld, das das Parlament zurVerfügung gestellt hatte – in der letzten Legislatur-periode 500 Millionen Euro –, verausgabt. Das fehlt na-türlich Kindern, Jugendlichen, Bildung und Forschung.Darauf müssen wir genauso hinweisen wie auf die Flops,die wir festzustellen haben. Die Forschungsprämie ist zunennen. Ebenso das Technikum: 4 Millionen Euro Aus-gaben, ein Praktikumsplatz, nein, zwischenzeitlich sindzwei entstanden, habe ich gehört.
Unter anderem ist auch – das ist nicht lächerlich; das istalles vom Rechnungshof festgestellt – die fehlende Kon-trolle der Bewilligungsbescheide durch das Ministeriumzu nennen. Das alles müssen wir in Erinnerung rufendürfen, lieber Kollege.
Wir dürfen darauf hinweisen, dass ihr von Schwarz-Gelbhier viel zu tun und im Ministerium darauf hinzuweisenhabt.
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Klaus Hagemann
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Die Ausgaben für die atomaren Altlasten in den For-schungsreaktoren sind erneut gestiegen und steigen wei-ter. Sie steigen ins Unermessliche; mit 4 Milliarden Euroist dafür zu rechnen. Die Atomwirtschaft in Hamm-Uentrop lässt grüßen. Sie wird nicht herangezogen, oderwenn, dann nur ein wenig. Diese Punkte sind als negativherauszustellen.
In der Großen Koalition und auch unter Rot-Grün ha-ben wir einiges bewegt und nach vorne gebracht, dessenErnte Sie jetzt einbringen können. Die Exzellenzinitia-tive ist gestartet worden. Der Pakt für Forschung undInnovation wurde unter Rot-Grün gestartet.
Die Hightech-Strategie wurde in der Großen Koalitiongestartet. Herr Fischer, der Rechnungshofbericht zurUmsetzung des Nationalen Entwicklungsplans Elektro-mobilität liegt jetzt vor. Da ist festzustellen, dass bishernur wenig Geld verausgabt worden ist. Der Hochschul-pakt I ist zu nennen. Mehr Studienplätze wurdengeschaffen. Nordrhein-Westfalen ist dabei stark imRückstand. Rheinland-Pfalz, mein Bundesland, hat50 Prozent mehr Studienplätze geschaffen, als es sichverpflichtet hatte. Das muss positiv erwähnt werden.
Der Clusterwettbewerb und viele andere Punkte sind zunennen.Ich darf noch einmal an das Ganztagsschulpro-gramm erinnern. Es ist notwendig, dies fortzusetzen.Das hat auch Frau von der Leyen am Dienstag gesagt.Das Ganztagsschulprogramm musste damals gegen hef-tigsten Widerstand von Union und FDP durchgesetztwerden.
Frau Schavan, ich finde es ganz toll, dass Sie im Han-delsblatt dafür einstehen, für Grundschulen 1 MilliardeEuro mehr bereitzustellen.
Ich finde es gut, dass Sie das ankündigen. Aber Sie ha-ben zurzeit keine Kompetenz, das durchzusetzen. Denndas Kooperationsverbot im Grundgesetz steht dagegen.Lassen Sie uns gemeinsam dieses Kooperationsverbotaus dem Grundgesetz streichen. Dann kann das Verspre-chen von Frau Schavan auch umgesetzt werden.
Wir haben versucht, unser Wahlprogramm durchHaushaltsanträge umzusetzen. Wir haben Anträge einge-bracht, in denen wir fordern, dass das BAföG deutlicherhöht wird und dass für eine „gute Lehre“ an den Hoch-schulen mehr Geld zur Verfügung gestellt wird.
– Es ist gegenfinanziert, lieber Herr KollegeSchirmbeck.
Herr Kollege Hagemann.
Wir hätten mit unserem Konzept sogar weniger
Schulden aufgenommen als ihr. Wir sind nur – in Anfüh-
rungszeichen – bei 77 Milliarden Euro gelandet,
während ihr bei 80 Milliarden Euro liegt – Schulden-
rekord!
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir wer-
den darauf hinarbeiten, dass unsere genannten Initiativen
und Anträge berücksichtigt und in Politik umgesetzt
werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kollege Hagemann, es ist immer sehrleicht, uns auf der einen Seite mangelnden Sparwillenvorzuwerfen – das haben Sie gerade wieder getan; aberSie arbeiten mit Buchungstricks in den Einzelplänen 32und 60 –
und sich auf der anderen Seite zu beklagen, dass hier undda womöglich gestrichen worden ist. Dieser Haushalt,Einzelplan 30, ist ein Aufwuchshaushalt. Dieser Haus-halt für 2010 wächst im Vergleich zu 2009 um660 Millionen Euro.
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Eckhardt Rehberg
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Die Bundesregierung, die Regierungsfraktionen habenWort gehalten. In der Krise wollen wir Bildung und For-schung stärken. Das ist die Überschrift für diesen Einzel-plan.
Wenn wir als Haushälter uns darüber unterhalten, wiedenn die Steuermittel, die im Einzelplan 30 im Bereichder Forschung eingestellt worden sind, eingesetzt wer-den und welche Wirkungen sie entfalten, dann muss mansich überlegen, Herr Kollege Hagemann, ob das wirklichdie Ernte der Saat ist, die Sie in den Boden gebracht ha-ben, oder ob das die Ernte ist, die seit dem Jahr 2005,seit Annette Schavan das Bildungs- und Forschungs-ministerium führt, in den Boden gebracht wurde.
Wenn man sich die Entwicklung im Bereich der Pro-jektförderung ansieht, stellt man fest: Hier ist ein Auf-wuchs zu verzeichnen. Im Jahr 2005 gab es 11 500 Ein-zelprojekte, heute gibt es 18 000. Das ist die ersteSchavan-Kurve, die ich Ihnen aufzeige.
Noch deutlicher wird diese Entwicklung am Auf-wuchs der Mittel für die Projektförderung.
Im Jahre 2004, also zu Ihrer Regierungszeit, waren es1,8 Milliarden Euro, heute sind es 3,4 Milliarden Euro.Das ist die zweite Schavan-Kurve, die ich Ihnen vor-halte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Betragvon 3,4 Milliarden Euro sagt eigentlich gar nichts aus.Die Frage ist doch: Welche Wirkungen entfalten dieseMittel?
Herr Kollege Hagemann, insgesamt 130 Berichte mussteuns das Ministerium innerhalb weniger Wochen zustel-len; fünf Berichtsanträge davon waren von der Regie-rungsfraktionen. Einer dieser Berichte ist hochinteres-sant. Darin geht es um die Wirkungen des 6-Milliarden-Euro-Programms und der Hightech-Strategie. Wenn Siesich diesen Bericht genau ansehen, stellen Sie fest, dassdarin die Wirkungen für die einzelnen Bereiche aufge-führt sind: Umwelttechnologie 1,5 Millionen Arbeits-plätze, optische Technologien 110 000 Beschäftigte.Aber das ist nicht mein zentraler Punkt.Mein zentraler Punkt ist, dass von externen Gutach-tern nachgewiesen wurde, dass mit jedem im Bundes-haushalt eingesetzten Euro im Durchschnitt 5,20 Euroaufseiten der Wirtschaft aktiviert wurden. Das heißt,600 Millionen Euro, die im Jahre 2009 investiert wur-den, haben aufseiten der Wirtschaft 3 Milliarden Euroaktiviert. Das ist aus meiner Sicht der Sinn von Politik:dass wir Mittel einsetzen und dadurch die Wirtschaft an-geregt wird. In diesem Fall hat sie die von uns eingesetz-ten Mittel sogar verfünffacht.
Besonders abstrus finde ich in diesem Zusammen-hang den Antrag der Linken. Darin wird ernsthaft vor-geschlagen, bei der industrienahen Innovationsför-derung 216 Millionen Euro zu streichen. Das betrifftzwar den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums,das ZIM, aber ich frage Sie: Haben Sie sich wirklich gutüberlegt, was Sie da formuliert haben, Herr KollegeLeutert?Sie schreiben, diese Mittel sollten für strukturschwa-che Regionen, für Klimaschutz und Ökologie zur Verfü-gung gestellt werden. Wissen Sie eigentlich, dass einDrittel der ERP-Mittel in die Bereiche Ökologie und Kli-maschutz fließt? Wissen Sie eigentlich – das sage ich imHinblick auf die strukturschwachen Regionen –, dass imJahr 2009 insgesamt 742 Millionen Euro aus dem ZIMabgeflossen sind und davon ein Drittel, also etwa250 Millionen Euro, in die neuen Bundesländer geflos-sen ist?Das, was Sie in Ihrem Antrag zur Hebelwirkung beiden Arbeitskräften und zur Umsatzgenerierung schrei-ben, können Sie nicht ernst meinen. 80 Prozent der Mit-tel dieses Programms kamen kleinen und mittelständi-schen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigtenzugute. Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepu-dert, wenn wir das tun würden! Meine sehr verehrtenDamen und Herren von den Linken, ich kann Ihnen nurden Rat geben: Ziehen Sie diesen unsinnigen Antrag zu-rück. Diese Maßnahmen hätten verheerende Folgen, ins-besondere für die neuen Bundesländer.
Wir haben etwas anderes getan – dafür bedanke ichmich ganz ausdrücklich beim Ministerium und bei denKolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppen Bildungund Forschung von CDU/CSU und FDP –: Wir habendie Mittel für die Innovationsförderung in den neuenBundesländern um 6 Millionen Euro aufgestockt; denndiese Mittel werden gut abgerufen.
Damit werden 17 Verbundprojekte in den neuen Länderngefördert. Hinzu kommen die Hebelwirkungen, die ichdargestellt habe.Aufgrund der demografischen Entwicklung, desRückgangs der Geburtenzahlen und des Rückgangs derSchulabgängerzahlen haben wir uns darüber hinaus Ge-danken gemacht: Was können wir tun, damit auch dieHochschulen in den neuen Ländern Mittel und Möglich-keiten haben, für sich zu werben? Wir haben eine Hoch-schulmarketingkampagne speziell für die Hochschulenin den neuen Bundesländern initiiert und dafür2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Herr KollegeHagemann, all das ist auch gegenfinanziert.Wir haben uns auch gefragt: Die Investitionen in wel-che Zukunftstechnologien müssen wir erhöhen? DieMittel für die Entwicklung energieeffizienter Antriebs-technologien werden um 1 Million Euro, die Mittel für
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2928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Eckhardt Rehberg
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die Biotechnologie um 5 Millionen Euro und die Mittelfür die biomedizinische Forschung um 3 Millionen Euroerhöht. Wir haben hier umgeschichtet und im Bereichder Forschung Prioritäten gesetzt, weil wir fest davonüberzeugt sind, dass gerade der Bereich der Forschunggestärkt werden muss, damit Deutschland seine Wettbe-werbsfähigkeit und seine Exportfähigkeit behält undausbaut.
Herr Kollege Hagemann, damit hier keine Märchenaufkommen: Die nicht geprüften Verwendungsnach-weise sind eine Erblast von Rot-Grün. Ich will Ihnen dasganz kurz mit einigen Zahlen belegen: 2005 waren knapp4 000 Nachweise offen, 2009 noch 1 924, also knapp2 000. Zugleich – ich habe das deutlich gemacht – hatsich die Anzahl der Projektförderungen in diesem Zeit-raum mehr als verdoppelt. Das heißt, das Schavan-Minis-terium musste erst einmal den Müll aufräumen, den Rot-Grün hinterlassen hat.
Wenn Sie hier versuchen, den Eindruck zu erwecken,dass diese offenen Nachweise ein Versäumnis desBMBF unter Annette Schavan sind, kann man entgegen-halten, dass diese Zahlen und der Bericht des Bundes-rechnungshofes Ihre Behauptung deutlich widerlegen.
Herr Kollege Rehberg, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Hagemann?
Aber gerne.
Herr Hagemann, bitte.
Herr Kollege Rehberg, sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass in dem abgestimmten Bericht des Bun-
desrechnungshofes – nach einer heftigen Diskussion im
Haushaltsausschuss; Sie erinnern sich – auch steht, dass
erneut Fälle dazugekommen sind und es noch einen rie-
sigen Rückstand gibt, dass Bewilligungsbescheide nicht
in der vorgeschriebenen Zeit kontrolliert worden sind?
Wollen Sie das zur Kenntnis nehmen?
Das kann ich nicht zur Kenntnis nehmen; denn der
Sachstand ist: 2005 waren 4 000 Nachweise offen, heute
knapp 2 000. Das heißt, die Zahl der Altfälle wurde hal-
biert. Außerdem sind pro Jahr zwischen 3 000 und 4 000
neue Projektförderungen hinzugekommen. Das heißt, es
müssen neue Nachweisprüfungen durchgeführt werden.
Was Sie zu sagen versäumt haben: 2005 waren – nach
meiner Kenntnis – nur noch ein oder zwei Mitarbeiter
damit befasst, die Verwendungsnachweise zu prüfen.
Die Personalaufstockung von heute dient unter anderem
dazu, sicherzustellen, dass Projektförderungen sachge-
recht geprüft werden können, und selbstverständlich
vorab, damit überhaupt Projektförderungen initiiert wer-
den können. Wir räumen hier in zweierlei Hinsicht die
Altlasten weg, die Sie hinterlassen haben.
Herr Kollege Rehberg, auch die Kollegin Sitte hat das
Bedürfnis, Ihnen eine Frage zu stellen. Erlauben Sie das?
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege, ich möchte Ihnen keine Frage stellen,
sondern, wie es nach der Geschäftsordnung möglich ist,
eine Zwischenbemerkung machen.
Sie haben vorhin kritisiert, dass wir in unserem
Punkt 8 eine Kürzung bei der technologieorientierten In-
novationsförderung vorgeschlagen haben. Erstens han-
delt es sich um eine Kürzung der Steigerung, die Sie vor-
gesehen haben.
– Ja, das muss man einmal sagen. – Zweitens haben wir
uns vor allem auf die Bereiche konzentriert, in denen die
Abflüsse in den vergangenen Jahren vor allem an große
Unternehmen gegangen sind, die bereits technologie-
stark sind. Wir haben dann vorgeschlagen – damit mache
ich Sie auf einen Fehler beim Lesen aufmerksam –, dass
die Projektförderung des Bundes – ich zitiere – an Krite-
rien wie Unterstützung strukturschwacher Regionen,
Klimaschutz, Ökologie und öffentliche Gesundheit ge-
koppelt werden. – Da gibt es, wenn ich Sie richtig ver-
standen habe, keine Differenzen. Sie haben aus diesem
Antrag aber offensichtlich das Gegenteil herausgelesen.
Insofern lege ich Wert auf diese Korrektur.
Und Sie haben den letzten Satz unterschlagen. Wenn
wir alle wissen, dass der Haushalt, der zur Verfügung
steht, nicht unbegrenzt ist, muss man in der Tat politi-
sche Prioritäten setzen. Die politische Priorität, die wir
setzen, besteht darin, diese Mittel umzuverteilen, sie
dem Bildungs- und Hochschulsektor zugutekommen zu
lassen. Wir wissen doch, dass dieser Sektor massiv un-
terfinanziert ist und in der nächsten Zeit, insbesondere
auf dem zweiten Bildungsgipfel, über Verbesserungen
verhandelt wird.
Frau Kollegin Sitte, es tut mir leid: Ein Minus ist beimir immer noch ein Minus.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2929
Eckhardt Rehberg
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Wir haben uns politisch dafür entschieden, die Mittelfür die Innovationsförderung zu steigern. Wenn Sievorschlagen, diese Mittel um 216 Millionen Euro zu kür-zen, dann sind das 216 Millionen Euro weniger.
Frau Kollegin, Sie müssen doch bitte einmal zur Kennt-nis nehmen, dass wir im Bildungsbereich einen Auf-wuchs um 400 Millionen Euro veranschlagt haben.
– Entschuldigung, 350 Millionen Euro. 400 MillionenEuro sind es bei der Forschung. Sorry, ich korrigieremich hier gerne.Frau Kollegin Sitte, kommen Sie mir bitte nicht mitHaushalts- und Fiskalpolitik. Sie haben im Gesamtetat2010 einen Aufwuchs von 45 Milliarden Euro beantragt.
Allein für den Einzelplan 30 haben Sie 1,3 MilliardenEuro mehr beantragt. Das halte ich nicht nur für politischfragwürdig, sondern ich halte es auch für unverantwort-lich, eine solche Politik auf Kosten der Kinder und Kin-deskinder zu machen, Frau Kollegin Sitte.
– Herr Leutert, ich sage Ihnen nur eines losgelöst vonder Bildungs- und Forschungspolitik: Allein der Zu-schuss für den Gesundheitsfonds und die Arbeitslo-senversicherung beträgt insgesamt 18 Milliarden Euro.Dafür verwenden wir Steuermittel, wodurch wir allesbelasten: zum Beispiel Mieten und Pachten und insbe-sondere die hohen Einkommen, weil 60 Prozent derSteuern von den 10 Prozent der Steuerpflichtigen gezahltwerden, die am meisten Steuern bezahlen. Wir erhöheneben nicht die Arbeitslosenbeiträge oder die Versiche-rungsbeiträge, wodurch der kleine Mann belastet würde.
– Nein, wir machen das ganze Gegenteil. In diesen80 Milliarden Euro stecken die 18 Milliarden Euro sehrwohl mit drin.
Die ganze Gesellschaft hat eine Herausforderung zubestehen, und zwar den massiven Rückgang der Zahl derGeburten und damit den massiven Rückgang der Zahlder Schulabgänger. In dem Haushalt werden genau hierPrioritäten gesetzt, obwohl – das sage ich ganz aus-drücklich – Schulpolitik nicht Bundessache ist.
Der Bund und die Koalitionsfraktionen stellen sich aberdiesen Herausforderungen.Eine Herausforderung ist unter anderem – das hängtbeides zusammen –, dass im Schnitt 8 Prozent der Schul-abgänger – in der Spitze sind es 12,7 Prozent – keinenSchulabschluss haben. Die durchschnittliche Rate vonAusbildungsabbrüchen beträgt knapp 22 Prozent; es gehtbis zu 26 Prozent. Gerade im Bildungsbereich müssen Siesich die Aufwüchse anschauen.Herr Kollege Hagemann, es ist jetzt Mitte März. Vorfünf Monaten wurde die Bundesregierung gebildet. Des-wegen bringen wir als Haushälter selbstverständlichSperren aus – das ist unser gutes Recht –,
weil wir fragen wollen, wie effizient die Programmesind, die es geben wird. Ich denke, dass genau dies dierichtigen Ansätze sind.Ich nenne zum Beispiel die Stärkung der Leistungsfä-higkeit des Bildungswesens mit 95 Millionen Euro, dieSprachförderung, die außerschulische Bildung, die früh-kindliche Bildung, die Gestaltung der neuen Ganztags-schulangebote, lokale Bildungsbündnisse und das För-derprogramm „Lernen vor Ort“. Daneben investierenwir 370 Millionen Euro in die berufliche Bildung. Wirwollen die Berufsorientierung nach der 7. Klasse stärkenund fördern, damit es nicht mehr zu so vielen Abbrüchenkommt. Ich denke, genau dies ist die richtige Politik.Ein Letztes, das Thema BAföG.
Entschuldigen Sie einen kleinen Moment, Herr Kol-
lege Rehberg. – Zwischenfragen sind erwünscht, aber
wenn es zu viele werden, dann entsteht ein falscher Ein-
druck der Debatte.
Ich frage Sie jetzt noch einmal: Erlauben Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Rossmann?
Nein, ich möchte jetzt zum Schluss kommen.
Da die Uhr weitergelaufen ist, Herr Präsident, erhöhe ich
meine Redezeit mit Ihrem Einverständnis noch einmal
um 30 Sekunden.
Ja.
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2930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(C)
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Ganz kurz noch zum BAföG. Da Sie sich als SPD hier
hinstellen und über BAföG-Steigerungen reden, lassen
Sie mich eines noch kurz andeuten: In Ihrer Regierungs-
zeit stieg das BAföG für die Studierenden innerhalb von
sieben Jahren um 34 Euro, unter Ministerin Schavan
stieg es für die Studierenden innerhalb von fünf Jahren
um 108 Euro.
Das heißt, bei uns stimmen Anspruch und Wirklich-
keit und bei Ihnen nicht.
Herzlichen Dank.
Der Kollege Rossmann wünscht jetzt das Wort zu ei-
ner Kurzintervention. In Anbetracht der fortgeschritte-
nen Stunde darf ich Sie aber bitten, in Zukunft auf zu
viele Zwischenfragen und Kurzinterventionen zu ver-
zichten.
Herr Rossmann, Sie haben das Wort. Bitte.
Herr Präsident, diese Kurzintervention ist darin be-
gründet, dass wir als Opposition aufmerksam zuhören,
wenn etwas gänzlich Neues verkündet wird. Eben war
nämlich die Rede davon, dass es ein neues Ganztags-
schulprogramm geben soll. Weil die Ganztagsbetreu-
ung in Deutschland so wichtig ist und wir alle in diesem
Hause wissen, dass sie mit Gerhard Schröder und
Edelgard Bulmahn ihren Anfang genommen hat, die da-
für 4 Milliarden Euro bereitgestellt haben, interessiert es
uns natürlich, wenn ein Abgeordneter der hochmächti-
gen Regierungsfraktion jetzt ein neues Ganztagsschul-
programm ankündigt. Deshalb sind wir ausgesprochen
interessiert daran, zu hören, mit wie vielen Milliarden
Euro Ihr neues Ganztagsschulprogramm ausgestattet ist.
Im Übrigen würde ich in dieser Kurzintervention gern
noch darauf hinweisen, dass immer gesagt wird, es gebe
einen Verzug in Bezug auf innovative Maßnahmen. Ich
möchte die Kollegen der jetzigen Mehrheitsfraktionen
daran erinnern, dass wir schon viel weiter gewesen wä-
ren, wenn Sie den Vorstoß, den Gerhard Schröder da-
mals gemacht hat, mitgetragen und ihn nicht dreieinhalb
Jahre blockiert hätten. Dieser sah nämlich vor, 6,6 Mil-
liarden Euro aus der Eigenheimzulage in Innovation für
Bildung und Forschung umzuwidmen. Wenn Sie diese
Mittel freigegeben hätten, wäre das eine gute gemein-
same Bilanz geworden.
Wir dürfen mit Recht feststellen, dass wir gemeinsam
für das BAföG streiten. Die ganze Wahrheit ist aber,
dass es bei diesem Thema in der Großen Koalition ge-
wiss ein bisschen Gerangel gegeben hat. Wenn aber je-
mandem das Verdienst gebührt, die BAföG-Reform der
Großen Koalition gegen verschiedene Widerstände am
Ende durchgesetzt zu haben, dann geht der Blumen-
strauß an Peter Struck, den damaligen Fraktionsvorsit-
zenden. Er hat diesen Weg nämlich mit freigemacht. Es
wäre nur ehrlich, dass wir anerkennen, es hat eine Leis-
tung in der Großen Koalition gegeben, und Sie anerken-
nen: Da hat die SPD und ihr Fraktionsvorsitzender der
Bundesbildungsministerin einen gehörigen Schub gege-
ben, als es darum ging, sich gegen den Finanzminister
und dessen Kalkulationen durchzusetzen. Diese Ehrlich-
keit darf man einfordern, wenn wir einen sachlichen
Aussprachekreis in Bezug auf die Bildung und For-
schung in den letzten Jahren und in der Zukunft pflegen
wollen.
Danke schön.
Ich erteile Herrn Rehberg zur Erwiderung das Wort.
Ich halte mich, wie versprochen, kurz. Zum BAföG:
Herr Kollege, ich bin immer dafür, dass wir unsere Er-
folge gemeinsam verkaufen. Ich wende mich aber dage-
gen, dass man so tut, als ob man in Bezug auf das
BAföG auf einmal den Stein der Weisen erfunden hat,
und anderen vorwirft, nichts oder zu wenig zu tun.
Wir können beide gern in eine Diskussion über die
Steuerpolitik von Rot-Grün einsteigen. Da fällt mir ins-
besondere ein Ereignis ein:
die Steuerreform 2000. Sie haben für die steuerliche Frei-
stellung der Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften gestimmt. Das Minus bei den Ein-
nahmen aus der Körperschaftsteuer betrug 24 Milliarden
Euro. Kumulativ waren das 120 Milliarden Euro. Wenn
Sie das nicht getan hätten, dann hätten Sie in Ihrer rot-
grünen Zeit genug Geld gehabt, um mehr für Bildung und
Forschung zu tun.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von derFraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, der hier vorgelegte Haushalt ist durchdrei Merkmale gekennzeichnet. Erstens: Alte Problemewerden nicht angegangen. Zweitens: Fehlentwicklun-gen werden nicht korrigiert. Drittens: Sie verwechselnÜberschriften mit Konzepten.Zum ersten Punkt: Seit Jahren ist allen das Problemdes Fachkräftemangels bekannt. Lösen kann man es un-ter anderem durch Weiterbildung. Viele Menschen mitgeringem Einkommen – das gilt insbesondere für dieüber 30-Jährigen – können sich die Weiterbildung abernicht leisten. Genau aus diesem Grund brauchen wir einErwachsenenbildungsförderungsgesetz: um den Betrof-fenen finanziell unter die Arme zu greifen.
Das hat im Übrigen schon 2004 eine unabhängige Ex-pertenkommission der Bundesregierung festgestellt. Siehat den exakt gleichen Weg vorgeschlagen. Getan hatsich vonseiten der Regierung aber nichts. Wir Linken ha-ben wiederholt einen Antrag gestellt, den Sie im Aus-schuss aber leider abgelehnt haben.Ein zweites Beispiel für nicht angegangene alte Pro-bleme ist der Hochschulpakt. Auch hier ist seit langembekannt, dass es eine Diskrepanz zwischen ständig stei-genden Studierendenzahlen und einer zu geringen Anzahlan zur Verfügung stehenden Studienplätzen gibt. Daraufwurde schon im Jahr 2006 durch die Hochschulrektoren-konferenz hingewiesen. Zur Lösung des Problems wurdeein Mehrbedarf von 2,3 Milliarden Euro – und zwar jähr-lich – festgestellt. Im vorgelegten Haushalt werden für dieVerbesserung der Studienkapazitäten gerade einmal250 Millionen Euro eingeplant. Aber auch hier haben Siedie Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustimmen.Zum zweiten Punkt: Fehlentwicklungen, die nichtkorrigiert werden. Seit Jahren weisen wir Linken daraufhin, dass es notwendig ist – Herr Kollege Rehberg, wirhatten das Thema gerade –, bei Förderinstrumenten aufSynergieeffekte zu setzen. Wenn man zum Beispiel beimSpitzenclusterwettbewerb Forschung und Entwicklungals Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft för-dern will, dann sollte auch die Förderung strukturschwa-cher Regionen als Kernaufgabe enthalten sein. Wenndem nicht so ist, gewinnen wirtschaftlich eh schon starkentwickelte Regionen. Man sieht das, wenn man einenBlick auf die Liste der Gewinner der zweiten Runde desSpitzenclusterwettbewerbs wirft: Dort ist kein ostdeut-sches Projekt mehr vertreten.Wir sagen Ihnen deshalb ganz klar: Sie sollten die fürden Spitzenclusterwettbewerb vorgesehenen zusätzli-chen Mittel in Höhe von 15 Millionen Euro besser fürdie Förderung der Forschung an Fachhochschulen aus-geben. Gerade in strukturschwachen Regionen trägt dieanwendungsnahe Forschung zur Stärkung regionalerWirtschaftsstrukturen bei.
Zum dritten Punkt: Wo sind die Konzepte, die zu denTiteln gehören? Man muss schon sagen: Respekt! Ichhabe es im Haushaltsausschuss ebenfalls angesprochen:Die Abteilung Überschriften hat zumindest in quantita-tiver Hinsicht sehr gut gearbeitet. Es ist die Rede vonBildungsbündnissen, -allianzen und -pakten, die ge-schmiedet werden sollen, von Zukunftskonten, Bil-dungsschecks usw. Die Konzepte dazu haben wir abernicht bekommen. Wenn es Vorüberlegungen gibt, lassensie nichts Gutes erahnen. Das möchte ich an zwei Bei-spielen aufzeigen.Erstens: die lokalen Bildungsbündnisse. Dafür woll-ten Sie 32 Millionen Euro zur Verfügung stellen. DieKollegen aus Ihren Fraktionen haben die Summe in ih-ren Verhandlungen schon auf 21 Millionen Euro zusam-mengekürzt. Bis heute habe ich auf meine mehrmaligenNachfragen nach den Konzepten keine Antwort bekom-men. Herr Kollege Rehberg, Sie hatten so schöneSchavan-Diagramme dabei; ich habe zwei Schavan-Be-richte mitgebracht. Ich habe zum einen eine halbe DIN-A-4-Seite erhalten. Die Kernaussage steht im letztenSatz: Derzeit wird ein detailliertes Förderkonzept erar-beitet.Zweitens: Zukunftskonten. Hier liegt ebenfalls keinKonzept vor. In diesem Fall habe ich eine Antwort vonnicht einmal einer halben Seite, den zweiten Schavan-Bericht, erhalten; ich habe ihn mitgebracht. Hier steht,dass Gelder für die vorbereitenden Aktivitäten zur Ent-wicklung eingeplant werden sollen.Hier wird allen Ernstes von uns erwartet, dass wirProjekten zustimmen, für die es keine Konzepte gibt undbei denen wir nicht wissen, wohin die Reise gehen soll.
Frau Ministerin, das, was man den knappen Zeilender beiden Blätter entnehmen kann, zeigt allerdings, inwelche Richtung in Ihrem Haus gedacht wird: Letztend-lich planen Sie eine weitere Privatisierung der Bil-dungsvorsorge. Durch den ganzen Haushalt zieht sichder Gedanke: Wer Bildung will, soll in Zukunft dafür be-zahlen. Es ist hier hinlänglich bekannt, dass Sie für Stu-diengebühren sind.
Ich halte es aber schon für ein starkes Stück, dass Elternjetzt auch noch Bildungskonten für ihre Kinder – ähnlichder Riester-Rente oder einem Bausparvertrag – anlegensollen. Dabei ist völlig ungeklärt: Was passiert eigentlichmit den Leuten, die nicht sparen können? Was ist mitden Leuten, die gespart haben, aber in Hartz IV fallen?Werden die Bildungskonten dann als Vermögen ange-rechnet und abgezogen? Wie sind da Ihre Vorstellungen?An anderer Stelle sprechen Sie davon, den KindernSchecks für ihre Bildung auszuhändigen. Vielleicht istdas eine gute Vorbereitung auf Bildungsgutscheine, diesie später vom Amt erhalten könnten; aber ich glaube,das kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Ichmöchte gerne wissen, wer auf die Idee gekommen ist, ei-nem Kind mit einem Scheck zu zeigen, was sein Schick-sal der Gemeinschaft wert ist.
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2932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Michael Leutert
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(B)
Frau Ministerin, das, was Sie hier vorhaben, ist unso-zial. Das kann man nur ablehnen; wir Linken werden esauch ablehnen. Um es zusammenzufassen: Der Haushaltsetzt die falschen Schwerpunkte, ist nicht mit Konzeptenuntermauert und enthält stattdessen unsoziale Ideen. Ausdiesen Gründen müssen wir diesen Haushalt ablehnen.
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach von der FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Man kann in diesen Tagen sehr viel über die Koali-tion und ihre Außendarstellung lesen; man kann auchsehr viel darüber diskutieren. Eines kann man aber über-haupt nicht sagen: dass wir uns an der wichtigsten Stelleder deutschen Politik, bei der Stärkung von Bildung undForschung, nicht einig sein sollten. Dieser Haushalt stehtsozusagen als Leuchtturmprojekt für genau dieses Ziel.
Man kann sich natürlich in einzelnen Millionen undMilliönchen verfangen.
Fakt ist aber, dass wir in den Koalitionsverhandlungenein Plus von 12 Milliarden Euro ausgehandelt haben.
Das unterscheidet uns beträchtlich von Ihnen. LieberHerr Hagemann, Ihnen ist das nie gelungen.
Dieses Plus von 12 Milliarden Euro macht sich im Haus-halt natürlich auch entsprechend bemerkbar; das ist dochgar keine Frage.Herr Rehberg hat bereits auf die 700 Millionen Eurozusätzlich in diesem Jahr hingewiesen – plus Verpflich-tungsermächtigung! Wir Haushälter wissen, wie schwie-rig es ist, beim BMF Verpflichtungsermächtigungendurchzusetzen. Herr Hagemann, ich schätze Sie ja sehr,aber ich muss Sie doch einmal fragen: Wie kommen Sieauf die verwegene Idee, dass wir wegen einer Landtags-wahl ein solch großes Projekt gefährden würden?
Es geht um ein Plus-Projekt, lieber Herr Hagemann, dasselbstverständlich umgesetzt wird. Dafür stehen wir.
Warum sollten wir plötzlich auf die wirklich verwegeneIdee kommen, zusätzliche Investitionen in Bildung undForschung nach einer Landtagswahl zurückzunehmen?Bei aller Liebe und bei der Vorliebe der SPD im Augen-blick zur Rumklopferei: Halten Sie uns für fahrlässig?
Das ist ein sehr ernstes Projekt. Jeder, der mich kennt– ich bin seit zehn Jahren im Bundestag –, weiß, wiesehr ich für Bildung und Forschung stehe und wie stolzwir darauf sind, dass wir das umsetzen. Sie haben meinWort dafür, dass dies so sein wird.
– Ja, auch das Wort des Finanzministers.Wir haben hier eine Variante. In diesem Haushalt istes zum ersten Mal so, dass das BMBF Mittel für FuE fürandere Ministerien verteilen soll. Herr Rehberg und ichhaben uns sehr intensiv dafür eingesetzt:
Wir sind stringent dafür, dass das in Zukunft direkt beiden anderen Ministerien angesiedelt wird, und zwar mitdem strikten Vermerk, den wir dem Finanzministeriumerst abringen mussten, dass das ausschließlich für FuEeingesetzt wird, also nicht für Schreibmaschinen, nichtfür Kaffeemaschinen und sonst etwas, sondern für Sa-chen, die wir in die Zukunft dieses Landes investierenwollen.
– Liebe Kollegen, ich habe einfach eine gewisse Sympa-thie für Sie. So ist das.
Lassen Sie mich aber etwas zu einem Punkt sagen,der mir schon Sorgen bereitet, über den wir seit vielenJahren diskutieren und von dem Sie wissen, dass die Bil-dungspolitiker der FDP zu Teilen – nicht alle – immerder Meinung waren, dass es ein Fehler war: das Koope-rationsverbot. Mein Hauptbemühen in den nächstenMonaten wird darauf liegen, gemeinsam mit HerrnRehberg sicherzustellen, dass wir diese zusätzlichenMittel auch wirklich in den Ländern anlanden können,
und zwar trotz des Fehlers, den Sie gemeinsam mit derCDU/CSU begangen haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2933
Ulrike Flach
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Das ist des Mutes unserer Bildungsministerin wert, diean dieser Stelle bekanntlich über ihren Schatten springenmuss. Das tut sie aber. Für uns ist wirklich entscheidend,dass wir das zusätzliche Geld in den Ländern anlandenkönnen. Das ist gut für unsere Kinder, und dafür stehtdiese Koalition.
Wir als Haushälter haben noch eine weitere Erblastvon Ihnen übernommen, nämlich den wunderbaren euro-päischen Windkanal. Herr Hagemann, Sie haben unsdamals gefragt: Setzt ihr das jetzt wirklich um? Ich habeIhr Scheitern in dieser Hinsicht noch gut in Erinnerung.Uns ist es gelungen. Wir setzen es um. Wir setzen es hinzum Wirtschaftsministerium. Dahin gehört es nämlich,weil es um Raum- und Luftfahrt geht.
Wir werden natürlich sehr stringent auf das Wirt-schaftsministerium schauen; denn dort gibt es eine ganzeReihe von ähnlichen Projekten. Wir werden daraufschauen, dass das effizient eingesetzt wird. Wir werdendarauf schauen, dass die Wirtschaft an dieser Stelle Geldins System gibt, was die FDP seit vielen Jahren fordert.Lieber Herr Hagemann, das ist Ihnen nie gelungen. Siehaben immer nur gesagt: Die Wirtschaft profitiert davon. –Nie haben Sie zusätzliches Geld hereinbekommen. Dasist aber unser Ziel, und wir sind jetzt den ersten Schrittgegangen.
Frau Kollegin Flach, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hagemann?
Natürlich.
Bitte, Herr Hagemann.
Frau Kollegin Flach, Sie haben richtig gesagt, dass
wir uns da bemüht haben. Sind Sie bereit, auch mitzutei-
len, dass Sie eine kräftige Morgengabe, ein Hochzeitsge-
schenk, nämlich 800 000 Euro, mitgegeben haben, damit
die Zuständigkeit für den Windkanal von einem Ministe-
rium zum anderen wechseln kann?
Lieber Herr Hagemann, Sie machen jetzt Wind.
Wenn der Windkanal im Wirtschaftsministerium ord-nungsgemäß angesiedelt wird, dann ist sicherlich ein In-vestitionszuschuss notwendig. Das wissen Sie genausogut wie ich. Natürlich mangelt es beim Windkanal an In-vestitionen. Das BMBF hat es nicht leisten können. ImBMWi werden wir nun dafür sorgen, dass es passiert.
– So ähnlich.Unter dem Strich sind sich die Haushälter der Koali-tion mit diesem Haushalt der Verantwortung für die Zu-kunft dieses Landes voll bewusst. Ich will bei dieser Ge-legenheit auf das BAföG verweisen. Ich habe genausowie Herr Rossmann und die meisten anderen noch er-lebt, dass Frau Bulmahn mit ihrem Korbmodell schei-terte. Ich bin froh und glücklich, dass es jetzt offensicht-lich mit der Mehrheit dieses Hauses gelingt, das BAföGauf solidere Beine zu stellen. Ich kann Ihnen für die FDPsagen, dass das wahrscheinlich noch nicht das Ende vomLied ist; denn es kommt darauf an, dass wir Menschenunterstützen, die sich sonst keine Bildung leisten kön-nen. Dazu gehört zwingend das zweite Bein, nämlichStipendien. Ich will genauso wie beim letzten Mal andieser Stelle darauf verweisen, welch ein erfolgreichesModell wir hier auf den Weg bringen.
Da Sie so gerne nach den Prozenten fragen: Die neu-este Prozentzahl für NRW besagt, dass 37 Prozent derGeförderten aus bildungsfernen Schichten kommen undeinen Migrationshintergrund haben. Lieber HerrRossmann, was wollen Sie eigentlich noch mehr?
– Noch mehr? Das ist ja toll. Wir sind gerne bereit, nochmehr zu tun. Aber Ihre Modelle haben null Prozent ge-bracht.
Wir bringen hier ein Modell auf den Weg, welchesdazu führen wird, dass auch bildungsferne SchichtenBildung bekommen. Das ist nach rund zehn Jahren SPD-Regierung auch dringend notwendig.
Wir werden uns in den nächsten Monaten auf aus-drücklichen Wunsch der Gesundheitspolitiker mit demFakt befassen, dass der Hochschulpakt offensichtlichdazu tendiert, Studienplätze nicht im teuren, sondern impreisgünstigen Bereich in den Ländern zu fördern. Ichbitte Sie hier um Ihre Unterstützung;
denn wir brauchen Ärzte in diesem Land. Ich bin festdavon überzeugt, dass wir hier gemeinsam etwas auf denWeg bringen müssen. Nordrhein-Westfalen hat einenVorschlag gemacht. Ich bitte Sie alle, sich in Ihren Län-dern diesen Vorschlag anzuschauen und darüber nachzu-
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2934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Ulrike Flach
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denken, wie wir gemeinsam die medizinische Versor-gung in diesem Land verbessern können.
Lassen Sie es uns anpacken, Herr Gehring. Das wird hel-fen.
Das Wort hat die Kollegin Krista Sager von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-desregierung hat angekündigt, sich mit 40 Prozent an derDeckung der Finanzierungslücke beim Zehn-Prozent-Ziel im Bereich Forschung und Bildung zu beteiligen.Schauen wir uns die Entwicklung genau an. Als Ersteswird in Kumpanei von Bund und Ländern die Finan-zierungslücke schöngerechnet. Sie wird um ungefähr10 Milliarden auf 13 Milliarden Euro heruntergerechnet.Das bedeutet für den Bund eine Reduzierung seiner Ver-pflichtungen um 4 Milliarden Euro bis 2015. Das istnicht gerade wenig. Sie können die Finanzierungslückezwar schönrechnen, aber die Probleme im Bildungssys-tem werden dadurch nicht geringer.
Die Geldlücke korrespondiert leider mit ganz konkretenDefiziten bei der Kinderbetreuung an den Hochschulen.Durch Rechentricks verschwindet kein einziges Defizit.
Wenn aber 85 Prozent der öffentlichen Bildungsaus-gaben von Ländern und Gemeinden geleistet werden,dann ist es von zentraler Bedeutung, ob das Geld, dasder Bund mehr ausgeben will, überhaupt dort ankommt,wo die Hauptprobleme in unserem Bildungssystem be-stehen.Herr Rehberg, Sie haben hier schlicht die Unwahrheitgesagt. Das Ganztagsschulprogramm von Rot-Grün läuftaus, und es gibt keine Fortsetzung.
Was findet stattdessen statt? Die Bundesministerin denktsich stattdessen ein teures Begabtenförderungspro-gramm aus,
das an den Hauptproblemen vorbeigeht, will aber, dassdie Länder dieses mitfinanzieren.
Das heißt, dass die Länder noch weniger Geld zur Verfü-gung haben, um die eigentlichen Hauptprobleme im Bil-dungssystem zu bearbeiten. Sie schließen hier nicht eineLücke, sondern Sie schaffen zusätzliche Probleme. Sosieht es nämlich aus.
Jetzt haben Sie – das konnte man heute in den Zeitun-gen lesen – angekündigt, Sie wollten die Steuerreformdoch ganz schnell vorziehen und auf den Weg bringen.Diese Ankündigung ist ein direkter Anschlag auf die Bil-dungspolitik in den Ländern und Gemeinden.
Wir alle wissen doch, wie es in den Haushalten der Län-der und Gemeinden aussieht. Es ist die Rede von 10 bis20 Milliarden Euro Mindereinnahmen durch diese Steu-erreform. Frau Flach, ich frage Sie: Wo ist denn da dasLeuchtturmprojekt für die Bildung? Sie reißen eine rie-sige Lücke und sagen dann, dass Sie sich am Lücken-schluss beteiligen. Das kann doch wohl kein Leucht-turmprojekt sein.
Die Konstruktionen, mit denen Sie versuchen, die Barri-eren zu umschiffen, die Sie sich mit der Föderalismus-reform selber aufgebaut haben, sind inzwischen nurnoch peinlich und an Abenteuerlichkeit kaum noch zuüberbieten,
ob das das Konjunkturprogramm oder Ihre Bildungs-bündnisse vor Ort sind. Inzwischen sind ganze Heer-scharen von Beamten in Bund und Ländern nur nochdamit beschäftigt, zu klären, wie man Verfassungspro-bleme löst, statt damit, wie man die Probleme in der Bil-dung löst. Das ist wirklich absurd.
Jetzt wird es interessant: Frau Schavan – das hat manjetzt lesen können –, Sie haben sich in der Frage der ge-samtstaatlichen Verantwortung für die Bildung gewisser-maßen von der Saula zur Paula gewandelt.
Dass Sie irgendwann merken, dass Sie als Bundesminis-terin nicht die ganze Zeit mit Ihrer baden-württembergi-schen Landesbrille herumrennen können, war abzuse-hen;
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2935
Krista Sager
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denn schließlich kann man nicht jahrelang als Bundes-bildungsministerin erklären, dass man für die Hauptpro-bleme im Bildungssystem keinerlei Zuständigkeit hat.Wir alle machen Fehler. Leider ist es aber so, dass HerrMüntefering und Herr Stoiber – das sind nämlich dieHauptverantwortlichen gewesen – sich mit dem Grund-gesetz eine ziemlich schlechte Spielwiese zum Begehenvon Fehlern ausgesucht haben, weil man die Fehler lei-der nur schwer rückgängig machen kann.
Interessant finde ich schon, dass Sie, Frau Schavan, IhreRevision in dem Moment besonders laut verkünden, daSie mit der FDP in einem Boot sitzen, wobei die Libera-len die Allerletzten sein werden, die kapieren, dass derFöderalismus und der Wettbewerb nicht alle Probleme indiesem Land lösen.
Frau Flach, Sie sind offensichtlich die Einzige in diesemSaal, die nicht mitbekommen hat, dass die FDP als Al-lererstes gegen diesen Meinungswandel von FrauSchavan protestiert hat.
Frau Schavan, Sie haben jetzt drei Dinge erreicht: Siehaben sich erstens aus der öffentlichen Schusslinie ge-bracht, Sie haben zweitens sicher die Mehrheit der Be-völkerung in dieser Frage auf Ihrer Seite, und Sie habendrittens erreicht, dass die FDP als die Blöde dasteht.
In dieser Hinsicht haben Sie eines mit der Bundeskanzle-rin gemeinsam. Sie haben bewiesen, dass Sie intelligen-ter und wendiger als Ihr Koalitionspartner sind. Aber woist die Lösung des Problems? Sagen Sie nicht nur, dassSie etwas dazugelernt haben, sondern ergreifen Sie eineernst zu nehmende politische Initiative, um an die Lö-sung dieses Problems heranzugehen! Das ist für die Bil-dung in diesem Staat dringend erforderlich.
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. AnnetteSchavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Derzeit findet in Köln Euro-pas größte Bildungsmesse, die didacta, statt. Wer sichdas Programm mit vielen Veranstaltungen über fünfTage ansieht, der weiß, dass Deutschland für viele, auchaus benachbarten Ländern, ein attraktiver Standort ge-worden ist, um über Perspektiven in Bildung und Wis-senschaft zu diskutieren.Für diejenigen, die da ausstellen, diskutieren und prä-sentieren, ist es ein ermutigendes Signal, dass diese Bun-desregierung der Bildung und der Wissenschaft Prioritäteinräumt. Der Haushalt 2010 ist ein deutliches, starkesSignal an alle in Deutschland, die in Bildung und Bil-dungspolitik engagiert sind.
Das bezieht sich auf die Summen. Herr Hagemann,ich musste eben schon ein bisschen schmunzeln. Ich bingar nicht geneigt, über die letzten vier Jahre zu schimp-fen, auch wenn ich von Ihnen immer wieder kritisiertwerde.
Da bin ich fast gezwungen, irgendwie zu antworten undzu sagen: Es war doch nicht alles Mist! Ich finde eigent-lich, das ist den Menschen gegenüber irgendwie blöd;sie verstehen uns nicht.Zu Ihrem Beispiel mit der mittelfristigen Finanzpla-nung: Eine solche Planung haben wir doch in den letz-ten vier Jahren nie gehabt.
Es gab jedes Jahr das Theater, dass all das, was im Haus-halt des Vorjahres veranschlagt worden war, im darauf-folgenden Haushalt nur fortgeschrieben wurde. Esmusste jedes Mal beim Punkt null angefangen werden.Jedes Mal hat der Finanzminister einen blauen Brief andie Bildungsministerin geschrieben – er ging natürlichzeitgleich an die Presse –, um deutlich zu machen, dassdiese Ministerin wieder viel zu viel fordert. Dieses Thea-ter ist in dieser Legislaturperiode erstmals beendet.
Ja, es ist beendet. – Dieser Haushalt soll in der mittelfris-tigen Finanzplanung um 12 Milliarden Euro aufwach-sen. Der Finanzminister hat vor Beginn der Verhandlun-gen über den Haushalt 2010 ganz deutlich gemacht, dasszeitnah die ersten 750 Millionen Euro und im nächstenJahr die nächsten 750 Millionen Euro zur Verfügung ste-hen. Durch dieses Aufwachsen wird der Haushalt jetzteinen Gesamtumfang von 12 Milliarden Euro erreichen.
– Ich verstehe, dass Sie neidisch sind. Wie Sie wissen,hat er es genau so gesagt. Das ist der große Unterschiedzu vorher. Bleiben Sie doch einfach ein bisschen näheran der Wahrheit. Das dient eher der Glaubwürdigkeit inder Öffentlichkeit.
Die Überzeugungskraft dieses Haushalts hat abernicht nur etwas mit seinem Aufwuchs zu tun – durch ihn
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2936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
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sind wir übrigens international ebenfalls in einer interes-santen Position; die Wirtschaftskrise hat in vielen Berei-chen zugeschlagen; viele sagen, Deutschland gehe denrichtigen Weg, da es an den Vorhaben festhalte, die Prio-rität hätten –, sondern auch mit den Konzepten, die da-hinterstehen. Wir beteiligen uns so konsequent wie niezuvor an der Umgestaltung und Weiterentwicklung derfrühkindlichen Bildung. Ob das die Bildungshäusersind, ob das das Haus der kleinen Forscher ist, ob das Er-zieherinnenfortbildungen sind, ob das flächendeckendeSprachförderungen sind: So konkret war es nie. Da Poli-tik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt, rate ichIhnen, sich die konkreten Fortschritte vor Ort anzu-schauen. Viele Partner machen mit. Die frühkindlicheBildung bei uns wird sich in einer Schnelligkeit wie niezuvor entwickeln.
Wir arbeiten an lokalen Bündnissen für mehr Bil-dungsgerechtigkeit. Ich kann gut verstehen, dass man ei-ner Bildungsministerin, die zehn Jahre Kultusministerinwar, diese zehn Jahre und das damit verbundene Selbst-bewusstsein immer wieder einmal in Erinnerung ruft;das finde ich in Ordnung. Ich stehe nämlich dazu. Ichhabe nicht für das Kooperationsverbot gesorgt.
Sie werden keinen einzigen Satz von mir finden, mitdem ich zum Ausdruck gebracht habe: Föderalismusheißt Kooperationsverbot. Föderalismus heißt: Jedermuss wissen, wofür er Verantwortung trägt; keiner kannseine Verantwortung an einen anderen abgeben; es gibtnach der Verfassung eine klare Aufgabenverteilung. Wirsollten an der für moderne föderale Systeme kennzeich-nenden klaren Verteilung von Verantwortung festhalten;denn es macht überhaupt keinen Sinn, wenn der Bundfür die Finanzierung aufkommt, wenn die Länder diesnicht mehr leisten können. Wenn dies geschieht, kanndas Ziel von 10 Prozent nicht erreicht werden. Stattdes-sen kommt es dann zu einer Verschiebung und zum Aus-schluss einer zentralen politischen Ebene.
Deshalb habe ich mich in diesem Sinne ausgedrückt. Ichwerde für ein realistisches Vorgehen werben.Ich weiß genau, wie es weitergeht: Die parlamentari-sche Opposition wird mich irgendwann mit einem An-trag dazu auffordern, zu sagen, ob ich meine Ankündi-gung einhalte. Dieses wunderbare Spiel können wir gernspielen; das machen wir auch.
– Das ist in Teilen ein Spiel. Sie wissen genau, dass wirjetzt die Zeit nutzen.
– Wie hieß der Kovorsitzende? Fragen Sie einmal denrheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten! Er hat mirnoch vor einigen Wochen gesagt, er werde sich nach derVerabschiedung des Ganztagsschulprogramms keinzweites Mal in sein Land hineinregieren lassen. DasGanztagsschulprogramm sei der Sündenfall gewesen, solautete die Argumentation aus der SPD. Also tun Sienicht so scheinheilig!
Ich glaube, dass wir in unserem Koalitionsvertragdeutlich gemacht haben, dass es eine Menge Dinge gibt,die wir gemeinsam tun können und auch gemeinsam tunwerden.
Das bezieht sich aber nicht allein auf die Projekte imKoalitionsvertrag, sondern dazu gehören auch die gro-ßen Pakte. Hierzu muss ich einmal sagen: Über Jahre,wenn nicht Jahrzehnte, wurde darüber geredet, dass dieLehre ein Stiefkinddasein an den deutschen Universitä-ten friste.
– Und, was haben Sie gemacht?
– Auf den Satz habe ich gewartet. Dazu kann ich nur sa-gen: Eine Ministerin setzt entweder ein Projekt so um,dass es nicht beim Bundesverfassungsgericht landet,oder sie setzt sich nicht durch.Jetzt liegt der erste Vorschlag auf dem Tisch, dieSäule „Hochschulpakt“ als dritte Säule zu verankern.
Es gibt den Vorschlag zu einer Säule, die ausschließlichauf die Lehre konzentriert ist. Die Verhandlungen mitden Ländern laufen wunderbar. Wir werden erstmals inder Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nichtnur viel Bundesgeld in die Forschung investieren, son-dern viel Geld, nämlich genauso hohe Milliardenbeträgewie für die schon bestehende Exzellenzinitiative, für dieLehre in die Hand nehmen. Das sind unsere starken Si-gnale auch an die Studierenden.
Zum BAföG ist schon viel gesagt worden. Wir erhö-hen es und modernisieren es. Ich erinnere mich noch gutan die Debatte, als hier an meinem Platz Peer Steinbrückgestanden hat und vor allen Dingen an die Adresse sei-ner eigenen Fraktion gerichtet erklärt hat, dass er dochzugeben müsse, dass es Frau Schavan war, die dieBAföG-Erhöhung gewollt habe.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2937
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
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– Weil Sie Druck gemacht haben auf Ihren Finanzminis-ter? Na gut, das ist eine neue Variante. Die Variante istklasse: SPD macht Druck auf Steinbrück, und dannkommt das, was die Bildungsministerin immer schonwollte. So war das bei der Lehre, genauso war das beimBAföG!
Die BAföG-Erhöhung ist, wie Frau Flach eben gesagthat, ein wichtiges Instrument der Grundsicherung. Des-halb wird es kontinuierlich weiterentwickelt. Wir wer-den nicht sieben oder acht Jahre lang nichts tun und kei-nerlei Anpassungen an die Lebenshaltungskostenvornehmen, und erst recht werden wir, wenn wir dasBAföG erhöhen, nicht das machen, was Sie während Ih-rer Regierungszeit gemacht haben: Sie haben nämlichdas Geld, das Sie für die BAföG-Erhöhung benötigt ha-ben, den Studenten an anderer Stelle wieder weggenom-men.
Wir werden die Hightech-Strategie auf die BereicheGesundheit, Klima und Energie, Mobilitätssicherheitund Kommunikation konzentrieren. Wir werden sie auchnach Europa tragen. Ich glaube, es ist ein ganz zentralerPunkt, dass wir unsere forschungspolitischen Erfahrun-gen in die Europäische Union einbringen. Das Gleiche,was für Deutschland gilt, gilt nämlich auch dort: Wirbrauchen insgesamt mehr Investitionen in die For-schung. Wir müssen Unternehmen in diesem Sinne mo-bilisieren. Das Gleiche gilt auch für die Zusammenarbeitzwischen Wissenschaft und Wirtschaft.Wir sind verlässliche Partner der Hochschulen undder Forschungsorganisationen in den neuen Ländern.Ich weiß, warum Sie das nicht wahrnehmen; denn nurwer in die neuen Länder fährt, mit Rektoren und Verant-wortlichen in unseren Forschungsinstituten spricht, derbekommt das mit und erfährt, dass Kontinuität in derFörderung und bei den Konzepten viel bewirkt. Deshalbwerden wir mit großer Konsequenz bei all dem, was dieneuen Länder und den Pakt für Forschung und Innova-tion angeht, weitermachen. Damit entstehen genau dieLeuchttürme, die in den strukturschwachen Regionennotwendig sind.
Wir stärken nicht nur die Allianzen zwischen Wissen-schaft und Wirtschaft, den Spitzencluster-Wettbewerbund die Innovationsallianzen, sondern wir arbeitenauch – das steht ebenfalls im Koalitionsvertrag – daran,wie wir steuerliche Anreize für Investitionen unsererUnternehmen in Forschung und Entwicklung schaffenkönnen. Das ist auch ein völlig neues Instrument, das esbislang in Deutschland nicht gegeben hat. Auch damitwerden wir den Forschungsstandort Deutschland stär-ken.
Nachdem wir über zehn Jahre lang über die Abwan-derung von Spitzenforschern diskutiert haben, kommtjetzt schon die zweite Runde an Spitzenforschern überHumboldt-Professuren nach Deutschland. Sehen Siesich einmal die Listen an: Das sind absolute Spitzenty-pen aus allen Regionen der Welt. Dafür ist viel investiertworden. Ich glaube, das ist eine Investition, durch dieMenschen nach Deutschland geholt werden, die im Üb-rigen auch für unsere Studierenden und für unsere Hoch-schulen interessant sind. Wir holen nämlich die Bestennach Deutschland, weil wir immer wieder neue Akzentebrauchen.Wir wollen, dass dieses Land eine Talent-schmiede ist. Wir haben schon manches erreicht undwerden genau auf diesem Weg weitergehen.Wenn Sie sich ewig über Eliten- und Begabtenför-derung aufregen – ich habe überhaupt nicht verstanden,welchen Zusammenhang Sie eben zwischen Schluss mitGanztagsschulen und Begabtenförderung herstellenwollten –, dann kann ich nur sagen: Ich stehe zur Talent-förderung. Ich stehe zu Spitzenforschern. Ich bin derMeinung: Wer sich um die Spitze nicht kümmert, derwird auch dauerhaft die Breite nicht mehr mit Bildungund Wissenschaft erreichen.
Wir bauen die Internationalisierung unserer Bildungs-und Forschungspolitik konsequent aus.
Wenn wir eine solche Debatte führen, dann sollten wirüber den eigenen Tellerrand hinausschauen und auch dieVerantwortung wahrnehmen, Herr Hagemann, die überBaden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein hinausgeht. Die Internationalisierung, die sichauf die Schwellen- und Entwicklungsländer bezieht, istfür uns ein Schwerpunkt. Auch hierzu finden Sie in die-sem Haushalt erste Ansätze.
– Ich kürze nicht, sondern wir verstärken.Was die Ganztagsschulen angeht – Herr Rehberg hates angesprochen –, ist der Wunsch
der über 7 000 erfüllt worden, Herr Hagemann. Wir wer-den, wenn die Phase des Bauens zu Ende geht, denSchulen in jedem Land die Servicestelle zur Verfügungstellen, die Schulentwicklung ermöglicht und begleitet.Das sind nicht Milliarden, sondern Millionen; aber auchdas ist eine richtige Antwort auf Schulentwicklung inDeutschland und ein Beispiel für Zusammenarbeit.Ich danke den Mitgliedern des Haushaltsausschussesund den Regierungsfraktionen dafür, dass ein solcherHaushalt entstehen konnte, dessen Wachstumsrate höherist als die Wachstumsrate des Bundeshaushaltes. Das istein gutes Zeichen und ein starkes Signal.Herzlichen Dank.
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2938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler von
der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vielleicht können wir uns in dieser Debatte wenigstensauf eines einigen: Alle Bildungspolitikerinnen und -poli-tiker in diesem Haus eint die Überzeugung, mit ihrer Ar-beit etwas für die Zukunft unseres Landes zu leisten.Bildung hat eine Schlüsselfunktion für die Lebenschan-cen der Menschen und auch für den Wohlstand von mor-gen.
Dass wir uns trotzdem in der Bildungspolitik immerwieder streiten müssen, liegt daran, dass man in zentra-len Grundsatzfragen ganz unterschiedlicher Überzeu-gung sein kann: Sehe ich Bildung als öffentliches Gutan, oder sehe ich es mehr als Privatangelegenheit an?Möchte ich die Chancengleichheit verbessern oder aberbestimmte Gruppen bevorzugen? Das sind Grundsatzfra-gen, auf die Union und FDP andere Antworten geben alsdie Sozialdemokratie.Das Ergebnis ist – wie in fast allen anderen Politikfel-dern auch – eine schwarz-gelbe Klientelpolitik, die dieBildungschancen privatisiert, die Zukunft der Menschenderen Herkunft überlässt und die enormen sozialenUngleichheiten in der Bildung verfestigt,
statt Bildungspolitik am Ziel gleicher Chancen auf besteBildung für alle auszurichten.
Herr Leutert hat die Stichworte heute schon genannt:Studiengebühren, Stipendien, Bildungssparkonten, Be-treuungsgeld. Weil aber auch Schwarz-Gelb weiß, dasseine solche Politik schnell als sozial kalt erkannt werdenkönnte, wird das „Hauptgericht“ der Bildungsprivatisie-rung mit ein bisschen Sozialsymbolik und Fürsorge-rhetorik garniert, in der Hoffnung, dass die Menschennicht merken, was ihnen da tatsächlich serviert werdensoll. Außerdem ist die Bildungspolitik der schwarz-gel-ben Bundesregierung bislang über Ankündigungennicht hinausgekommen. Ihre Gestaltungskraft erschöpftsich in ganzen Ketten von Ankündigungen – manchmalsogar falscher –, etwas tun zu wollen, ohne dass siekonkret sagen würde, was. Bildungssparen, lokale Bünd-nisse, Ausbildungsschirm, Weiterbildungsallianzen, Bo-logna-Mobilitätspaket – statt diese Vorhaben und Pro-jekte hier zur Debatte zu stellen, finden sich nurmarketingoptimierte Überschriften und Etiketten.
Wir hätten unsere Rede fast gemeinsam schreiben kön-nen.
– Genau.
Meine Damen und Herren, mit dem gescheitertenBildungsgipfel vom Dezember letzten Jahres ist der Bil-dung mindestens ein halbes Jahr verloren gegangen.
Jetzt richten sich die Erwartungen auf das nächste Tref-fen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten im Juni.Liebe Ministerin, es wird höchste Zeit, dass Sie liefernund wir hier im Bundestag endlich einmal wieder überkonkrete Vorschläge der Bundesregierung diskutierenkönnen.
Ich habe die Befürchtung, dass beim dritten Bildungs-gipfel einmal mehr über Finanztransferwege gestritten,aber wieder nicht über Bildung geredet wird. Dabeiglaube ich, dass der Bildungsgipfel 2010 nach den bei-den glücklosen Anläufen 2008 und 2009 tatsächlich eineechte Chance bieten könnte: für substanzielle Schritte,für mehr Chancengleichheit und für substanzielle Ver-einbarungen zur Bekämpfung von Bildungsarmut.Das Bundesverfassungsgericht hat uns die Bekämp-fung von Bildungsarmut als Auftrag gegeben. Heutegab es von der Ministerin kein Wort dazu. EigenständigeKinderregelsätze, die die gleiche Teilhabe an Bildungfür alle Kinder und Jugendlichen auf der materiellenSeite absichern, sind die eine Seite der Medaille. Die an-dere Seite lautet: Stärkung der Bildungsinfrastruktur.
Nun hat auch die Bundesbildungsministerin das WortBildungsarmut neuerdings in ihren Wortschatz aufge-nommen. Mir ist aber noch nicht klar geworden, wassich eigentlich hinter ihren „Bildungsbündnissen“ ver-bergen soll. Auch dazu hat sie keine Ausführungen ge-macht. Sehr wohl ist mir aber klar, was die Bundesregie-rung machen müsste, wenn sie es mit der Bekämpfungvon Bildungsarmut ernst meinen würde: Sie müsste allesdaransetzen, gemeinsam mit den Ländern eine verbindli-che nationale Initiative zur Stärkung und Verbesserungder Bildungsinfrastruktur zu vereinbaren.
Konkret müsste das bedeuten: Erstens. VerbindlicheVereinbarungen für den weiteren Ausbau und einheitli-che Qualitätsstandards in der frühkindlichen Bildung.
Zweitens. Verbindliche Vereinbarungen für den flächen-deckenden Ausbau der Ganztagsschulangebote. Drittens.Verbindliche Vereinbarungen für eine bessere Personal-ausstattung von Kitas, Kindergärten und Schulen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2939
Dagmar Ziegler
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Viertens. Verbindliche Vereinbarungen für eine Fach-kräfteoffensive bei Erzieherinnen und Erziehern. Fünf-tens. Verbindliche Vereinbarungen für Gebührenfreiheitvon Anfang an.
Und schließlich: Verbindliche Vereinbarungen für einkostenloses warmes Mittagessen in allen Kitas undSchulen, für Lehrmittelfreiheit und kostenlosen Förder-unterricht überall und für flächendeckende Schulsozial-arbeit.
Wenn Sie diese Schwerpunkte setzen würden – mitdem Fokus auf starke Institutionen und funktionierendeInfrastrukturen, abgesichert durch Rechtsansprüche –,dann hätten Sie unseren ehrlichen Respekt und unserevolle Unterstützung. Sie brauchen nur den politischenGestaltungswillen und den richtigen Ansatz.
Eine letzte Bemerkung zum Stichwort Symbolpoli-tik. Politik sollte nicht nur lernfähig, sondern immerauch glaubwürdig sein. Wenn Frau Schavan neuerdingsbeim Thema Bildungsföderalismus mit der Forderung,das schon so oft zitierte Kooperationsverbot aufzuheben,Lernfähigkeit unter Beweis stellen möchte, dann kanndas nur glaubwürdig sein, wenn sie diesem Haus einenentsprechenden Gesetzentwurf für eine Grundgesetz-änderung vorlegt.
Wenn Sie, Frau Ministerin, das nicht tun, werden wir estun.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Meinhardt von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Ge-rade weil dies so ist, gerade weil wir Bildungsarmut indiesem Land wirksam bekämpfen müssen und geradeweil die Schaffung von mehr Bildungsgerechtigkeit diePerspektive dieser Regierung der Mitte ist, werden wirin den kommenden vier Jahren 12 Milliarden Euro mehrin die Hand nehmen. Dies ist ein historisches Wachstumfür den Bildungsbereich. Dies ist die Botschaft dieserBundesregierung: Wir werden in Deutschland für mehrBildungsgerechtigkeit sorgen.
Der von der Regierung der Mitte eingebrachte Bun-deshaushalt ist ein deutliches Zeichen des Aufbruchs,ein deutliches Zeichen der Modernisierung unseres Lan-des. Mit einem Plus von 750 Millionen Euro, einer Stei-gerung von 56 Prozent bei der Begabtenförderung, von69 Prozent bei der Modernisierung und Stärkung der be-ruflichen Bildung, von 54 Prozent beim lebenslangenLernen setzen wir ein glasklares Zeichen: Bildung undForschung haben für uns oberste Priorität.
Mit diesen Maßnahmen schlägt die Bundesregierungder Mitte ein neues Kapitel für eine moderne Bildungs-und Forschungspolitik auf. Um eines sehr deutlich zu sa-gen: Der Unterschied zwischen Ihrer Bildungspolitik,meine Damen und Herren auf der linken Seite diesesHauses, und unserer Bildungspolitik ist in erster Linieeine Frage der Geisteshaltung.
Wir wollen kreative Kräfte in unseren Kindergärten,Schulen und Hochschulen freisetzen und fördern. Siewollen Dirigismus und bürokratische Hürden.
Wir wollen faire Möglichkeiten für öffentliche und freieSchulen und Hochschulen, während Sie immer noch anIhren staatsgläubigen Konzepten aus dem 19. Jahrhun-dert festhalten.
Wir wollen Selbstverantwortung und Chancengleichheitam Start an den Bildungseinrichtungen in Deutschland.Sie wollen Leistung bestrafen und neue Hürden auf-bauen.
Kurz: Sie glauben immer noch an zentrale Steuerung.Wir setzen auf individuelle Förderung und die Vielfaltder Bildungswege; das ist auch der richtige Weg.
Bei der Forschung legen wir dynamisch zu. Der ge-rade veröffentlichte Europäische Innovationsanzeigerspricht eine ganz klare Sprache. Deutschland zählt nebenden skandinavischen Ländern und Großbritannien zuden innovativsten Ländern in der EU. Im internationalenStandortwettbewerb ist es für uns Deutsche außerordent-lich wichtig, alle verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.Deswegen wollen wir den Forschern bereits in diesemJahr ermöglichen, ihre Forschungsergebnisse auf einemögliche spätere Anwendung hin zu untersuchen. Siesollen in die Lage versetzt werden, den nächsten Schrittzu gehen, nachdem sie ihre eigentlichen Entdeckungenin der Grundlagenforschung abgeschlossen haben. Da-her werden wir noch in diesem Jahr – das ist, wie Sie ge-sehen haben, im Haushalt verankert – das Instrument der
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2940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Patrick Meinhardt
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Validierungsförderung als eigenständige Förderlinie ein-führen. Das ist ein enorm wichtiger Ansatz in der For-schungspolitik.
An dieser Stelle möchte ich auch auf die neue High-tech-Strategie der Regierung der Mitte zu sprechenkommen. Ein Beispiel für das Neue ist das Instrumentder Innovationsallianzen, in denen bei Forschung undEntwicklung Wirtschaft und Wissenschaft bei bestimm-ten anwendungsnahen Themen zusammenarbeiten. Ge-nau so muss es gehen.
Konkret schlägt sich das bereits im Nationalen Ent-wicklungsplan Elektromobilität nieder. Wir wollen dieForschung und Entwicklung, die Marktvorbereitung unddie Markteinführung von rein elektrisch angetriebenenFahrzeugen voranbringen. Jetzt werden wir die Entwick-lung verstetigen und dem Technologiefortschritt anpas-sen. An vielen Stellen dieser Wertschöpfungskette gibtes noch erheblichen FuE-Bedarf, Optimierungsbedarfund Vernetzungsbedarf. Auch dabei haben wir uns indieser Koalition gemeinsam auf einen erfolgreichen Weggemacht.
Ich bin mit dem Tempo dieser Regierung bei Bil-dung und Forschung sehr zufrieden. Erst haben wir dieBildungsprämie auf 500 Euro verdreifacht. Fragen Sievor Ort in Ihren Wahlkreisen nach. Jetzt haben wir einedeutlich attraktivere Höhe. Diese Entscheidung wargoldrichtig.
Dann kommt die BAföG-Modernisierung mit der Erhö-hung der Freibeträge und Bedarfssätze, dem Ende für dieAltersgrenze von 30 Jahren bei der Masterförderung undfür die Benachteiligung bei einem Fachrichtungswech-sel, mit einer besseren Anerkennung von Kinderbetreu-ungszeiten, einem Abbau von Bürokratie, einer Verein-fachung des Verfahrens und der klaren Ansage, alle zweiJahre eine Anpassung vorzunehmen. Das bedeutet invier Jahren circa 1,6 Milliarden Euro mehr. Das ist einwirkliches Aufwuchsprogramm für die Studierenden inder Bundesrepublik Deutschland.
Im gleichen Atemzug werden wir eine unglaublicheUngerechtigkeit in diesem Land beenden. 98,1 Prozentder Studierenden wird die Chance auf ein Stipendiumvorenthalten. Das ist durch und durch unsozial. Wir wol-len die Rate der Stipendien verfünffachen und damitendlich die rote Laterne bei der Begabungsförderung ab-geben, damit in diesem Land wieder mehr Bildungsge-rechtigkeit bei der Talentförderung herrscht.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir glauben andie Menschen in unserem Land, an ihre Talente, an ihreKreativität und an ihre Leistungsbereitschaft. Wir wollenden Menschen mit diesem Haushalt ein Zeichen geben:Macht was aus euch. Wir investieren in eure Köpfe.Denn wir trauen euch was zu.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Rosemarie Hein von
der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen in derBundesrepublik Deutschland künftig für Bildung undForschung ausgegeben werden. Das scheint ein ehrgeizi-ges Ziel zu sein; denn Deutschland liegt hier immer nochunter dem OECD-Durchschnitt. Gleichzeitig wird land-auf, landab die große Abhängigkeit des Bildungszugan-ges von der sozialen Herkunft beklagt, was offensicht-lich auch die Bundesbildungsministerin umtreibt. Darumbegründet sie einen Großteil der Finanzposten im Bil-dungshaushalt – wie mein Kollege Vorredner auch – mitder Absicht, einen Nachteilsausgleich für die Schwäche-ren leisten zu wollen, um soziale Gerechtigkeit herzu-stellen.Doch bleiben wir zunächst bei den Zahlen: 10 Prozentim Bundesdurchschnitt. Man wolle den Ländern helfen– so war zu lesen und zu hören –, dieses Ziel ebenfallszu erreichen. Schon diese Formulierung macht deutlich,worum es geht: Nicht der Bund will zahlen, sondern dieLänder sollen zahlen.Zur Illustration möchte ich Ihnen drei Zahlen nennen:11, 23 und 3. Nein, meine Damen und Herren von derFDP, das ist nicht das neue Steuerkonzept der Linken
– das würde Sie wundern, mich auch –, sondern das sinddie Bildungsanteile in den aktuellen Haushalten vonBund, Ländern und Kommunen. Mehr als 11 Prozentwendet meine Heimatstadt Magdeburg in diesem Jahrfür die Bildungsfinanzierung auf, und zwar ohne Kinder-betreuung, über 23 Prozent das Land Sachsen-Anhalt,aus dem ich komme, und gerade einmal 3 Prozent stehenim Bundeshaushalt zur Verfügung.Der Haushalt des BMBF umfasst knapp 11 Mil-liarden Euro. Allein für das geplante Steuersenkungspa-ket will die Bundesregierung ab 2011 mehr als das Dop-pelte ausgeben. Oder: Für die Bildung will der Bundjährlich im Durchschnitt 3 Milliarden Euro mehr ausge-ben, achtmal so hoch sollen die Steuergeschenke ab2011 ausfallen. Man darf gespannt sein, in welcher Grö-ßenordnung dieses Steuerpaket, das Sie bereits angekün-digt haben, ausfallen wird. Wie wäre es damit: Lassen
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Dr. Rosemarie Hein
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Sie es einfach. Geben Sie dieses Geld in die auskömmli-che Finanzierung von Bildung.
Das wären zusammen 27 Milliarden Euro mehr pro Jahr,und damit würden wir den nötigen Zielzahlen ein gutesStück näherkommen.
Wer 3 Milliarden Euro zusätzlich in die Bildung in-vestieren will, aber Steuergeschenke in Höhe von24 Milliarden Euro macht und dann noch behauptet –wie Sie eben, Herr Meinhardt –, dass mit dem Haushaltden sozialen Ungerechtigkeiten im Bildungssystem ent-gegengewirkt werden soll,
der hat offensichtlich ein komisches Verständnis von so-zialer Gerechtigkeit.
Sie haben die 1,3 Milliarden Euro, die wir beantragt ha-ben, kritisiert. Dabei waren wir noch bescheiden gewe-sen. Aber auch 11 Milliarden Euro sind ja nicht nichts.Man kann auch damit Vernünftiges tun.Schauen wir uns die Details an: Für den Nachteilsaus-gleich ist der Bundesregierung etwas Seltsames eingefal-len: ein nationales Stipendienprogramm.
Herr Meinhardt hat eben darüber gesprochen. Das hörtsich zunächst gut an. Ein Leistungsstipendium soll essein, ganz nach dem Motto: Leistung muss sich wiederlohnen.
– Sie klatschen an der falschen Stelle. – Die Chance, einLeistungsstipendium zu erhalten, haben nur diejenigen,die die Hürde genommen haben, ein Studium finanzie-ren zu können; aber daran scheitern viele in diesemLand. Dort liegt die soziale Ungerechtigkeit.
Was glauben Sie, wie es Jugendlichen aus Hartz-IV-Familien oder aus Familien mit geringem Einkommengelingen soll, ein Studium zu finanzieren? Von einemLeistungsstipendium haben nur diejenigen etwas, derenEltern so viel verdienen, dass sie das Studium finanzie-ren können, oder diejenigen, die nur wenig jobben müs-sen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Denenkann ein Leistungsstipendium vielleicht helfen, abernicht denen, die es wirklich nötig haben.
Das Programm des Bundes wirkt fast wie eine Geld-druckmaschine; denn der Bund finanziert das Stipen-dium mit einem Anteil von nur 75 Euro – das entsprichteinem Viertel –, weitere 75 Euro sollen von den Ländernkommen und die Hälfte aus privater Hand. Für den Bundnenne ich das eine ordentliche Rendite, praktisch gese-hen ist es aber ein weiterer Einstieg in die Privatisierungder Bildungskosten. Die Mittel für dieses Programm wä-ren besser im BAföG-System für Schülerinnen undSchüler sowie Studierende aufgehoben; denn darauf gibtes wenigstens einen Rechtsanspruch.
Doch an das BAföG gehen Sie sehr vorsichtig heran. Bisheute gibt es kein auskömmliches Angebot. Man darfgespannt sein, was Sie noch vorlegen werden. Wir brau-chen die Aufstockung der Beträge, die Erweiterung desKreises der Anspruchsberechtigten und die Beendigungder Rückzahlungspflicht. Das wäre ein wirklicher Nach-teilsausgleich. Das Stipendienprogramm ist es nicht.
Nehmen wir den Bereich der beruflichen Bildung,den die Bundesministerin gern als das Flaggschiff desdeutschen Bildungswesens bezeichnet. Dafür gibt es so-gar noch Bundeszuständigkeiten. Wir werden AnfangApril den Berufsbildungsbericht erhalten. Der wird unsden Spiegel vorhalten: Immer noch sind es 1,5 Millionenjunger Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die keineabgeschlossene Berufsausbildung haben. Wir werdenwohl erstmals mit Zahlen über die Bugwelle konfrontiertwerden, also mit der Zahl jener Jugendlichen, die sich inSchulen weiter in Warteschleifen befinden und gar nichterst einen Ausbildungsplatz erhalten. Ihre Projekte dortwirken wie eine Notfallambulanz: Übergangsmaßnah-men, am Mangel wird herumgedoktert, eine konjunk-turunabhängige Ausbildungsfinanzierung steht nicht zurDebatte.Ganz peinlich wird es, wenn man auf die Felderschaut, bei denen die Bundesregierung überhaupt keineKompetenzen hat. Gegen die lokalen Bildungsbündnisseist eigentlich nichts zu sagen, wenn es um die Öffnungvon Schule geht; aber Sie wollen leistungsschwacheKinder und Jugendliche stärker fördern. Förderunterrichtwollen Sie anbieten. Aber individuelle Förderung ist einAuftrag an die Schule und nicht an zusätzliche privateAnbieter. Wenn Sie auf diesem Gebiet etwas tun wollen,muss das Geld in die Schulen fließen.Das Ganztagsschulprogramm ist auch ein Problem.Jetzt planen Sie 6,3 Millionen Euro ein. Was wollen Siedamit eigentlich finanzieren? Für Besichtigungsreisenwird es wahrscheinlich reichen, für mehr aber nicht.Ich bleibe dabei: Das Kooperationsverbot war derschwerste bildungspolitische Fehler in der jüngeren Ge-schichte. Darum, Frau Schavan: Nutzen Sie einfach denAntrag der Linken, der in der nächsten Sitzungswocheim Plenum behandelt wird. Legen Sie einen entspre-chenden Gesetzentwurf vor. Wir wollen für alle dreiEbenen – Bund, Länder und Kommunen – die gleicheVerantwortung bei der Finanzierung. Mit „11, 23 und 3“muss Schluss sein. Wir wollen eine Gemeinschaftsauf-
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Dr. Rosemarie Hein
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gabe Bildung, und die kann nur in gleicher Verantwor-tung finanziert werden. Dafür treten wir ein. Das, wasSie leisten, reicht bei weitem nicht aus.
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Schavan, ich möchte direkt auf Ihre Rede reagieren,weil ich finde, dass das, was Sie hier zur Föderalismus-reform vorgetragen haben, so nicht stehen bleiben kann.Das war Geschichtsklitterung. Das waren Halbwahrhei-ten. Das kann man Ihnen nicht durchgehen lassen.
Sie waren damals für das Kooperationsverbot. Dazugibt es Äußerungen von Ihnen. Zum Beispiel im Aus-schuss und auch öffentlich haben Sie sich dazu geäußert.
Dazu sollten Sie stehen und nicht einfach das Gegenteilvorgaukeln. Das wäre dann eine Stärke von Ihnen. Dannkönnte man sagen: Von Saula zur Paula. Lasst uns ge-meinsam etwas machen und dieses unsinnige Koopera-tionsverbot wieder aufheben.
Sie haben es doch dem damaligen Einsatz von Oppo-sition und SPD zu verdanken, dass Sie nicht Ihr halbesMinisterium schließen mussten; dann wären Sie nurnoch Forschungsministerin. Ohne uns und ohne die Auf-weichung des Kooperationsverbotes im Wissenschafts-bereich gäbe es doch heute gar keinen Hochschulpakt.
Das ist auf unserem Mist gewachsen. Ich finde, Sie soll-ten einen Vorschlag vorlegen, das konkret ändern unddieses Kooperationsverbot aufheben. Dann kann man ei-nen gesamtstaatlichen Bildungsaufbruch auch wirklichorganisieren.
Ich finde es schon witzig, dass Sie landauf, landab mitder rosaroten Brille der Ministerin herumlaufen undüberall „12 Milliarden Euro für Bildung“ promoten. Da-bei stehen im Haushalt 2010 lediglich 700 Millio-nen Euro, und das auch noch als ungedeckte Schecks, dasie mit Sperrvermerken und Ländervorbehalten versehensind. Allein deshalb muss man fragen: Wie wollen Siedas eigentlich über die Dauer einer Legislaturperiodehinbekommen? Dazu kann man nur sagen: Die schwarz-gelbe Bildungsrepublik bleibt offensichtlich eine FataMorgana.
Was für den Haushalt 2010 gilt, wird beim Haushalt2011 noch viel schlimmer: Wir haben eine explodie-rende Schuldenlast. Sie haben eine nie da gewesene Re-kordneuverschuldung beschlossen. Es gibt eine Schul-denbremse, die Sie einhalten müssen. Also müssen Sieab dem nächsten Jahr um mindestens 10 Milliarden Europro Jahr kürzen. Dann gibt es noch den Steuersenkungs-fetischismus der FDP. Wie wollen Sie vor diesem Hin-tergrund das 12-Milliarden-Euro-Ziel erreichen? EineAntwort darauf fände ich sehr interessant.
Wir Grüne haben verschiedene Finanzierungsvor-schläge gemacht. Bei einem hoffe ich immer noch, dasser irgendwann aufgegriffen wird: beim Bildungssoli. Mitdem Bildungssoli ließe sich ein gesamtstaatlicher Bil-dungsaufbruch organisieren.Geld ist das eine; das andere ist die Prioritätenset-zung. Wir sagen ganz klar: Wir brauchen einen Aufstiegdurch Bildung statt einer blockierten Gesellschaft. Wirbrauchen ein gerechtes Bildungssystem statt des weitverbreiteten Schubladendenkens. Wir brauchen mehrAkademiker und keinen immer größeren Fachkräfte-mangel. Diese Prioritäten setzen Sie von Schwarz-Gelbleider überhaupt nicht, sondern Sie stellen die Weichenfalsch. Ein Beispiel dafür ist die Studienfinanzierung.Sie veranschlagen 300 Millionen Euro öffentliche Mittelfür ein nationales Stipendienprogramm, das aus unsererSicht weiterhin ungeeignet ist, deutlich mehr junge Men-schen für ein Studium zu gewinnen. Das ist die falschePriorität.
Wenn Sie für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen wollen,sollten Sie stattdessen Ihre Sparstrumpfnovelle beimBAföG aufbessern und es um mindestens 5 Prozent er-höhen. Dann wäre der Bildungsgerechtigkeit viel mehrGenüge getan als mit dem Stipendienprogramm.
Die zentralen Projekte, die Sie ansprechen, sind un-ausgegoren und unterfinanziert.
Ich nenne zwei Beispiele dafür. Was genau steckt im Bo-logna-Qualitätspaket, das Sie nach zwei Bildungsstreiksangekündigt haben?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2943
Kai Gehring
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Wie wollen Sie die Studienbedingungen und die Qualitätder Lehre tatsächlich verbessern? Wie viel Geld legenSie auf den Tisch? Sind auch die Länder bereit, Geld indie Hand zu nehmen? Es reicht an so einer Stelle nicht,Ankündigungsministerin zu bleiben und durch die Pres-selandschaft zu stolzieren. Hierbei ist vielmehr ein ganzkonkretes Konzept gefordert, das Sie dem Bundestagvorlegen müssen.
Das zweite Beispiel ist der Hochschulpakt. Es müs-sen dringend mehr Studienplätze aufgebaut werden; aberder Studienplatzaufbau verläuft schleppend. Die Zwi-schenbilanz ist alarmierend. Man muss nur einmal nachNordrhein-Westfalen schauen.
Gerade die schwarz-gelb regierten Länder müssen hierin die Puschen kommen. Absolutes Schlusslicht istNRW.
Dort müssen noch 15 000 Studienplätze aufgebaut wer-den. Dort hat man bisher nur 40 Prozent der zwischenBund und Ländern verabredeten Zielzahl erreicht. Dasist ein Armutszeugnis.
Dort ist Alarmstufe gelb angesagt. Man kann das nichtals Erfolgsmeldung bezeichnen. An den Universitäten inNRW sind sogar 7 000 Studienplätze abgebaut worden.Das ist eine schlechte Bilanz. Das zeigt, dass derHochschulpakt I weit hinter den Erwartungen zurück-bleibt und dass Worte und Taten massiv auseinanderklaf-fen.
Wenn Sie eine dritte Säule im Hochschulpakt schaf-fen wollen, finden wir das erst einmal vielversprechend;denn wir haben hier vor drei Jahren Anträge gestellt, dieähnliche Vorschläge enthielten, wie man die Lehre deut-lich stärken und verbessern kann. Ich hoffe, dass dasernst gemeint ist und nicht die schwarz-gelb regiertenBundesländer vor der Blamage bewahren soll, dass siekeine Studienplätze aufbauen. Diese Säule muss einMeilenstein und eine echte Qualitätsoffensive für dieLehre werden; das ist uns wichtig. Wir wollen einen ech-ten Pakt für die Studierenden, der deutlich mehr Studien-plätze, gute Studien- und Lehrbedingungen, eine bessereStudienfinanzierung und einen Abbau der Zugangshür-den vorsieht. Auf dem nationalen Bologna-Gipfel imMai und auf dem Bildungsgipfel im Juni dieses Jahres– Sie gipfeln ja jetzt wieder ganz viel –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– müssen Sie verbindliche Beschlüsse fassen, statt
uns weiterhin halbherzige Ansätze zu präsentieren. An
den Ergebnissen Ihrer Gipfel werden wir Sie messen.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Albert Rupprecht von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Wir erleben derzeit unter Ministerin Schavan eine histo-rische Aufholjagd der deutschen Forschung zurück andie Weltspitze. Das Herzstück ist die Hightech-Strategie.Die institutionelle Förderung und die Projektförderungbefinden sich auf sehr hohem Niveau. Bei den Spitzen-clustern setzen wir europaweit Maßstäbe.Deutschland ist Weltspitze bei der medizinischen For-schung. Deutsche Forscher sind auf dem Weg, die Alz-heimer-Krankheit früher zu erkennen und zu behandeln.Deutsche Forscher sind auf dem Weg, neue Verfahren imKampf gegen Krebs zu finden. Das sind nur zwei Bei-spiele von vielen, die zeigen: Wir sind Weltspitze, undForschung kommt auch bei den Menschen an.
Ich glaube, wir alle wären gut beraten, diese Leistungenstärker hervorzuheben und den Menschen Hoffnungenzu machen, statt das Wertvolle durch Kleinkrämerei undirrationale Technikfeindlichkeit schlechtzureden.
Wir sind Weltspitze in der Bildungsforschung, in deroptischen Forschung, der Klimaforschung, der Umwelt-forschung, der Agrarforschung, der biochemischen For-schung und der Materialforschung, um nur einige Berei-che zu nennen.
Die von Ministerin Schavan ins Leben gerufene Exzel-lenzinitiative hat an den Hochschulen – das wurde in meh-reren entsprechenden Untersuchungen dokumentiert –nachweislich einen Motivationsschub ausgelöst.
Das Fördersystem der DFG ist absolute Weltspitze undhat Weltruf.All das ist nicht vom Himmel gefallen, sondernwurde, auch von der Bundespolitik, hart erarbeitet.
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2944 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Albert Rupprecht
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Das ist eine außerordentliche Leistung von MinisterinSchavan.
Man muss schon ein ziemlicher Kleingeist sein, um alldas zu unterschlagen, wie es die Opposition in dieserHaushaltsdebatte tut.Klar ist: Man muss Spitzenleistung, Exzellenz undElite auch wollen. Wir wollen Spitzenleistungen,
weil wir der festen Überzeugung sind, dass wir denSchwachen nur dann helfen können, wenn sich die Star-ken entfalten und einen großen Beitrag zur Solidarge-meinschaft leisten können.
– Das geht auch nicht auf Kosten der Schwachen, son-dern wir müssen alle Gruppen der Gesellschaft, Starkeund Schwache, stärken und stabilisieren.
Das geht aber nicht, indem wir alle gleichmachen unddie Starken schwächen.
Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt – das gehörtzur Klarheit und Wahrheit dazu – noch eine großeSchwachstelle:
die Umsetzung dieser Spitzenforschung in neue Unter-nehmen und neue Produkte. Das ist in den nächsten Mo-naten die große Aufgabe der christlich-liberalen Koali-tion.Wir werden in den nächsten Monaten wichtige Maß-nahmen, die beschlossen und im Koalitionsvertrag fest-geschrieben wurden, in Angriff nehmen:Erstens. Wir schaffen einen attraktiven Wagniskapi-talmarkt.Zweitens. Wir werden in den nächsten Wochen einenVorschlag zur steuerlichen Forschungsförderung vorle-gen.Drittens. Es kann nicht sein, dass die Fraunhofer- undMax-Planck-Institute großartige Ideen für neue Produktein der Schublade verschwinden lassen, weil es ihnen zuoft verboten ist, junge Unternehmen zur Vermarktung zugründen.
Deswegen müssen wir auch im Bereich der Wissen-schaftsfreiheit neue Wege gehen. Die Wissenschaftbraucht mehr Freiheit.
Viertens. Wissenschaftler müssen schneller erken-nen, ob ihre Forschungsergebnisse marktfähig sind. Des-wegen wird die Ministerin in den nächsten Tagen alsneue Maßnahme die Validierungsförderung vorstellen.
All diese Maßnahmen sind ein historisch einzigartigerKraftakt. Im Haushalt für das Jahr 2005, also unter Rot-Grün, waren für Bildung und Forschung 7 MilliardenEuro veranschlagt. Im Haushalt für Bildung und For-schung für das Jahr 2010 sind es beinahe 11 MilliardenEuro. Das ist eine Steigerung um 57 Prozent.Was für den Bereich der Forschung gilt, gilt auch fürdie Bildung. Ihr Vorwurf, die Regierung mache hier zuwenig, ist absurd. Der Hochschulpakt war richtig undwichtig. Jetzt kommen neue Maßnahmen hinzu: derQualitätspakt Lehre, die BAföG-Erhöhung, lokale Bil-dungsbündnisse, die Weiterentwicklung des Ausbil-dungspaktes und vieles andere mehr.Die Bundeskanzlerin hat den Ländern angeboten– das ist absolut außergewöhnlich –, 40 Prozent der Kos-ten der Maßnahmen, die auf dem Bildungsgipfel be-schlossen werden, zu tragen, und das, obwohl der Bundnur 8 Prozent der Bildungskosten zu tragen hätte, da dieseigentlich in der Zuständigkeit der Länder liegt.Das ist ein Angebot an die Kinder dieses Landes, dasist ein Angebot an Eltern und Lehrer, aber das ist auchein Angebot an die Ministerpräsidenten. Von den SPD-Ministerpräsidenten höre ich bis dato aber herzlich we-nig. Sie äußern sich weder zu den Inhalten noch gebensie die Zusage, dass auch sie die notwendigen Landes-mittel zur Verfügung stellen, damit wir das 7-Prozent-Ziel erreichen.
Wenn der SPD die Bildung so wichtig ist, dann ist derBildungsgipfel der Tag der Bewährung. Am 10. Junikommt es zum Schwur. Die christlich-liberale Regierungwill die Bildungsrepublik Deutschland. Unser Angebotsteht. Jetzt ist die SPD gefragt, jetzt sind ihre Minister-präsidenten am Zuge.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Swen Schulz von der SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Koalitions-vertrag zwischen CDU, CSU und FDP steht in der Ein-leitung zum Bildungskapitel Folgendes:Wir wollen mehr Chancengerechtigkeit am Start,Durchlässigkeit und faire Aufstiegschancen für alleermöglichen. Wir wollen Deutschland zur Bil-dungsrepublik machen, mit den besten Kinderta-gesstätten, den besten Schulen und Berufsschulensowie den besten Hochschulen und Forschungsein-richtungen.
Was da im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDPsteht, ist ein großartiges Ziel.Die Frage ist aber: Was passiert konkret? Uns liegtder erste Haushalt dieser Regierungskoalition vor. DerHaushalt ist ein Gradmesser dafür, was tatsächlich pas-siert. Der Haushalt ist das Buch der Wahrheit. Wenn mansich den Haushalt genau anschaut, muss man feststellen:Die großen Worte, die im Koalitionsvertrag stehen, sindreine Lippenbekenntnisse, nichts Konkretes steckt da-hinter.Natürlich stehen im Haushalt auch ein paar guteDinge.
– Sie bauen durchaus auf der richtigen Politik von Rot-Grün und der Großen Koalition auf; das will ich derFairness halber sagen.
Aber die Frage ist doch: Was macht die neue Regie-rungskoalition an eigener Politik?Schauen wir uns den Bereich der Hochschulen an:Frau Schavan hat eine große Initiative für eine bessereLehre angekündigt, und zwar 2 Milliarden Euro über ei-nen Zeitraum von zehn Jahren. Doch was steht in diesemHaushalt? Kümmerliche 2 Millionen Euro. Unseren An-trag, diesen Titel aufzustocken, hat die Regierungskoali-tion abgelehnt. Das war also nicht gerade ein Glanzstückder Regierungskoalition.
Oder nehmen wir das BAföG: Wir haben eine starkeAusweitung des BAföGs beantragt. Die Regierungsko-alition hat das abgelehnt, sie will nur eine kleine, mode-rate Anpassung vornehmen, und für die möchte sie sichauch noch feiern lassen. Da Herr Rehberg, Frau Schavanund Frau Flach in dieser Debatte behauptet haben, imVergleich zu Rot-Grün würden sie auf großartige Weisemit dem BAföG umgehen, will ich daran erinnern, wiedas mit dem BAföG war: Unter der Regierung Kohl– CDU, CSU, FDP, mit dem zuständigen MinisterRüttgers – wurde das BAföG kurz und klein gehauen.
Rot-Grün – wir – mussten das BAföG erst mühsam wie-der aufbauen, und das in einer Situation, in der uns dieBundesratsmehrheit von CDU/CSU und FDP jeden er-denklichen Knüppel zwischen die Beine geworfen hat.In der Großen Koalition musste die SPD das BAföG ge-gen anfänglichen Widerstand von Frau Schavan und derCDU/CSU sichern und konnte erst spät eine Verbesse-rung des BAföGs durchsetzen. Meine sehr verehrten Da-men und Herren von der Regierungskoalition, ich finde,Sie sollten beim Thema BAföG ganz ruhig sein, stattsich hier aufzuspielen.
Wir freuen uns, wenn wir einen Erkenntnisgewinn be-obachten können wie bei dem, was Sie jetzt beimBAföG planen; das ist wenigstens etwas. Leider gibt esThemen, über die Frau Schavan zwar viel redet, für diesie aber nichts tut. Beispiel Schule: Sie wollen jetzt dieGrundschulen unterstützen, insbesondere Grundschulenin sozialen Brennpunkten. Das ist ein sehr diskutablerAnsatz. Sie brauchen dafür aber eine Änderung desGrundgesetzes. Wenn man das, was Frau Schavan in derÖffentlichkeit gesagt hat, ernst nehmen darf, sind Sie in-zwischen dazu bereit. Aber wo bleibt die konkrete Initia-tive, wo wird das, was Sie sagen, handfest? FrauSchavan, Sie sind Bundesministerin, und Sie sind auchAbgeordnete. Ergreifen Sie die Initiative und machenSie einen konkreten Antrag! Ich mache Ihnen einen Vor-schlag: Lassen Sie uns gemeinsam Butter bei die Fischegeben, lassen Sie uns gemeinsam hier im DeutschenBundestag einen Gesetzentwurf zur Abschaffung desKooperationsverbotes einbringen! Ich werde Sie an-schreiben und Ihnen das entsprechend vorschlagen.Dann wollen wir einmal sehen, ob Sie es ernst meinen,liebe Frau Schavan.
Dann gibt es Themen, Frau Schavan, zu denen Siesich, obwohl diese Themen bildungspolitisch wichtigsind, nicht einmal äußern, etwa zur Frage des Betreu-ungsgeldes. Das ist für viele Kinder, die in schwierigenfamiliären Verhältnissen leben, eine Maßnahme zur Ver-hinderung von Bildung. Frau Schavan, ich behaupte, Siesind klug genug, um das zu wissen. Trotzdem schweigenSie zu diesem Thema. Aber den Grundschülern helfenwollen! Dabei müssen Förderung und Unterstützung vorder Schule einsetzen. Das blenden Sie aus. Hier verlet-zen Sie Ihre Pflicht als Bildungsministerin, FrauSchavan.
Nun zur Finanzsituation der Länder und Kommunen.Diese sind ja nun hauptsächlich für die Bildung zustän-dig. Sie brauchen dringend Geld für eine bessere Bil-dung, aber die Regierungskoalition haut den Ländernund Kommunen mit einer verantwortungslosen Steuer-
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Swen Schulz
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politik finanziell die Beine weg. Sie sind nicht mehr inder Lage, eine vernünftige Bildungspolitik zu machen.Wir wollen das ändern; wir stehen dagegen auf. Aberwo sind Sie, Frau Schavan? Wo sind Sie bei dieser bil-dungspolitisch so wichtigen Frage? Immer dann, wennes wirklich ernst und hart wird, tauchen Sie ab, FrauSchavan. Das ist einer Bildungsministerin nicht würdig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Re-gierungskoalition, Sie ruhen sich auf den Erfolgen, dieSie gemeinsam mit der SPD errungen haben, aus. Sieverabreichen noch ein paar Beruhigungspillen, findensalbungsvolle Worte oder ducken sich ganz weg, aber ei-nes machen Sie nicht: die Probleme tatsächlich anpa-cken. Das wird klar, wenn man in den Haushalt sieht.Das sind die Fakten. Darum können Sie nicht herumre-den.Wir von der SPD wollen keine Klientelpolitik ma-chen, so wie Sie es tun, sondern wir wollen gute Bildungfür alle. Dafür haben wir entsprechende Änderungsan-träge zum Haushalt gestellt. Diese haben Sie abgelehnt.Deswegen ist dieser Haushalt nicht zustimmungsfähig.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was bleibtam Ende dieser Debatte? Es bleiben viel Gutes, einepositive Bilanz und traurige, reflexhafte Kritik der Op-position. Das ist schade, weil Sie damit den Blick auf einwirklich großartiges Ergebnis verstellen, das seine Ursa-che und seine Begründung natürlich in dieser Koalitionhat.
Letzten Endes ist das das Ergebnis einer Zusammen-arbeit über viele Jahre. Viele Ideen – auch von Kollegen,die nicht der Regierung angehören – sind hier eingeflos-sen. Es ist schade, dass Sie darüber den Stab brechen.Das spricht nicht für Sie.
CDU/CSU und FDP sind es gewöhnt, dicke Bretter zubohren.
Das ist gerade im Bereich der Bildung und der For-schung notwendig, wenn man erfolgreich sein will. Wirhaben einen Aufwuchs von 3 Milliarden Euro in nur fünfJahren durchsetzen können. Das ist eine gewaltige Zahl.Wir planen weitere Projekte. Dazu gehört das Wissen-schaftsfreiheitsgesetz.
Es ist uns in der vergangenen Legislaturperiode gelun-gen, vieles in diesem Bereich zu bewegen; aber wir wol-len noch mehr. Unser Standort soll noch attraktiver wer-den. Das geht nur, wenn man gemeinsam – Bund undLänder – in den Facharbeitsgruppen zusammenarbeitet.Ich erinnere mich: Als ich zum ersten Mal Mitglieddes Deutschen Bundestages war – damals regierte Rot-Grün –, gab es Befristungsregeln und den Dudenhausen-Erlass. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Hochschulenund die Forschungseinrichtungen atmen auf. Das ist dasErgebnis einer Politik, die auf Leistung setzt und denHochschulen und Forschungseinrichtungen Freiheit gibt.
– Herr Hagemann, ich finde es sehr traurig, dass Sie dasalles immer nur kritisieren. Natürlich haben viele Kolle-gen mitgewirkt. Ich bin bereit, das zuzugestehen, weilich mich über die Fachdiskussion freue. Ich kann Sie nureinladen, auch in Zukunft mitzuarbeiten, zum Beispielam Stipendienprogramm.Wir haben gesagt: In diesem Land gibt es keine Stipen-dienkultur. – Wir haben das über viele Jahre, vielleicht so-gar Jahrzehnte, gemeinsam kritisiert. Jetzt macht dieseRegierung einen wirklich großartigen Vorschlag, näm-lich ein Stipendienprogramm für einen großen Teil derStudierenden.
Insgesamt 10 Prozent wollen wir erreichen. Ich glaube,man sollte das gut finden und mit daran arbeiten, dassam Ende tatsächlich 10 Prozent der jungen Leute ein Sti-pendium erhalten können.Sie sollten nicht den Stab darüber brechen und nichtsagen – denn es stimmt nicht –, dass Menschen aus so-zial schwachen Familien keine Chance haben. Im Ge-genteil: Es gibt in diesen Familien einen unglaublichenLeistungswillen. Wir wollen hoffen, dass viele von ihnenein solches Stipendium bekommen.
Wir haben die zweite Phase der Exzellenzinitiativegestartet. Wir sagen ganz klar: Es kann nicht sein, dasseine Spitzenuniversität nicht auch in der Lehre spitze ist.Deswegen wird es diese dritte Säule, die die Bundesmi-nisterin angekündigt hat, geben. 200 Millionen Euro proJahr für mehr Qualität in der Lehre sind eine klare An-sage und ein deutliches Zeichen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2947
Michael Kretschmer
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Das BAföG wurde angesprochen. Dazu muss man sa-gen: Es ist ungerecht, die Ankündigungen in Bausch undBogen kleinzureden. Es wird eine Erhöhung um2 Prozent und eine umfassende Reform geben. Eine sol-che Modernisierung ist in den letzten Jahren nicht durch-geführt worden. Wir sehen konkrete Änderungen beimBAföG vor, so zum Beispiel bei der Altersgrenze, undwir erweitern die Möglichkeit, mit Kind zu studieren.All das ist notwendig. Die jungen Leute, die BAföG be-ziehen, werden es uns danken. Diese Kritik werden sienicht verstehen.
Ich glaube, wir werden deutlich über das hinausgehen,was das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat.Ich finde es richtig, dass dies auch in Form von Sachleis-tungen geschieht, zum Beispiel bei Nachhilfe oder beider Förderung von Mitgliedschaften in Vereinen; dafürbitte ich um Unterstützung. Die jungen Leute brauchendas. Wir können nicht zulassen, dass auch in Zukunft20 Prozent der unter 15-Jährigen zu einer Risikogruppegehören und irgendwann die Schule abbrechen. Die Bil-dungsrepublik Deutschland braucht jedes Talent. Jederbraucht eine Chance. Gerade dort, wo es notwendig ist,müssen wir helfen.Herr Kollege Rupprecht hat den Wissenstransfer an-gesprochen. Das wird in der nächsten Zeit ein wichtigesThema für uns sein. Gestern war ich beim Senat derLeibniz-Gemeinschaft; der Kollege Hagemann war da-bei. Dort wird ganz selbstverständlich über Netzwerkezur Verwertung gesprochen. Es gibt zum Beispiel einTranslationszentrum. Es ist dort angekommen, dass wirwollen, dass das Wissen, das wir mit staatlichen Mittelnmöglich machen, auch zu neuen Produkten führt. Auchin dieser Hinsicht sind wir erfolgreich gewesen. DiePolitik der vergangenen Jahre hat sich ausgezahlt undzahlt sich weiterhin aus. Darauf kann man stolz sein.
Wir können mittlerweile sagen – auch die Forschungsieht das so –: Wir haben Amerika überholt. Im Jahr2000 lagen wir bei der Produktion von forschungs- undwissensintensiven Gütern noch hinter Amerika. Mittler-weile liegen wir vorn.
Das ist ein großer Erfolg.Wir werden die Gespräche über die steuerliche For-schungsförderung in diesem Jahr abschließen. Die steu-erliche Forschungsförderung ist ein sehr wichtiges In-strument, mit dem wir den ForschungsstandortDeutschland international wettbewerbsfähig halten kön-nen.
Für uns ist wichtig, dass wir denjenigen, die esschwer haben, helfen. Bei den Reformen von Hartz IV,im Rahmen der Neuberechnung und der Neuausrich-tung, werden wir mehr für die Bildung von Kindern tun.Michael Leutert [DIE LINKE]: Da können Sieja mal in Sachsen mit der Bildungsrepublik an-fangen!)Wir sind auf einem guten Weg und werden auch inden nächsten Jahren Schwerpunkte setzen. Alle sind ein-geladen, daran mitzuwirken. Es lohnt sich, sich für For-schung und Entwicklung einzusetzen. Denn für eineWissensgesellschaft sind dies die zentralen Investitio-nen, wenn sie auch in Zukunft wettbewerbsfähig seinwill.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 30 – Bundesministerium für Bildung und
Forschung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt für
den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 30 ist in der
Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen an-
genommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 19. März 2010, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.