Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rechnung des Bundesrechnungshofes
für das Haushaltsjahr 2014: – Einzel-
plan 20 –
Drucksachen 18/5020, 18/5388 . . . . . . . . 11751 D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes über die Feststellung des Bundes-haushaltsplans für das Haushaltsjahr2016
Drucksache 18/5500 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11701 Db) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-desregierung: Finanzplan des Bundes2015 bis 2019Drucksache 18/5501 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11702 AEinzelplan 11Bundesministerium für Arbeit und SozialesAndrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . 11752 A
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 2014
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 2014 III
Katja Kipping . . . . . . . . . . . . . 11754 BKarl Schiewerling . . . . . . . . . . . 11755 B
Ewald Schurer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11758 DDr . Gesine Lötzsch . . . . . . . . . 11760 CDr . Astrid Freudenstein . . . . . . . 11761 BDr . Wolfgang Strengmann-Kuhn
. . . . . . . . . 11763 A
Ralf Kapschack . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11764 CSabine Zimmermann
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11765 C
Mark Helfrich . . . . . . . . . . . . . . 11766 CKerstin Griese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11768 BAxel E . Fischer (CDU/CSU) 11769 BEinzelplan 10Bundesministerium für Ernährung undLandwirtschaftChristian Schmidt, Bundesminister BMEL . . 11771 BHeidrun Bluhm . . . . . . . . . . . . 11774 AElvira Drobinski-Weiß . . . . . . . . . . . . 11775 C
Johannes Röring . . . . . . . . . . 11777 DCajus Caesar . . . . . . . . . . . . . . . 11778 CKarin Binder . . . . . . . . . . . . . . 11780 BWilli Brase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11781 B
Waldemar Westermayer . . . . . . 11784 CRainer Spiering . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11786 BAlois Gerig . . . . . . . . . . . . . . . . 11788 A
Alois Gerig . . . . . . . . . . . . . . . . 11790 DJohann Saathoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11791 AEinzelplan 17Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendManuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 11793 AMichael Leutert . . . . . . . . . . . . 11795 CNadine Schön (CDU/CSU) . . . . 11796 C
Petra Crone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11735 CNorbert Müller (DIE LINKE) . . . 11800 AMarcus Weinberg (CDU/CSU) . . 11806 B
Ulrike Gottschalck . . . . . . . . . . . . . . . 11806 BSylvia Pantel . . . . . . . . . . . . . . . 11807 BSönke Rix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11809 CAlois Rainer . . . . . . . . . . . . . . . 11810 DNächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11812 DAnlageListe der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 11813 A
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 2015 11701
121. SitzungBerlin, Donnerstag, den 10. September 2015Beginn 9 .00 Uhr
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich .Bevor wir unsere Haushaltsdebatte fortsetzen, möchteich den Kollegen Volker Mosblech als neues Mitgliedim Deutschen Bundestag begrüßen, der für den verstor-benen Kollegen Philipp Mißfelder nachgerückt ist . Ichbegrüße Sie herzlich, und wir freuen uns auf die Zusam-menarbeit .
Wir müssen noch eine Wahl durchführen . Für denaus dem Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld als ordentliches Mitglied ausscheidendenKollegen Jens Spahn soll das bisherige stellvertretendeMitglied Dr. Jan-Marco Luczak als ordentliches Mit-glied gewählt und als dessen Nachfolger der KollegeMatthias Hauer als persönliches stellvertretendes Mit-glied berufen werden . Sind Sie damit einverstanden? –Das ist offensichtlich der Fall . Dann sind die beidengerade genannten Kollegen Luczak und Hauer in ihrerjeweiligen Funktion als Mitglieder des Kuratoriums ge-wählt .Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um den in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkt zu erweitern:ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfah-ren
Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demLuftverkehrsabkommen vom 16. und 21. Juni2011 zwischen den Vereinigten Staaten vonAmerika als erster Partei, der EuropäischenUnion und ihren Mitgliedstaaten als zweiterPartei, Island als dritter Partei und dem Kö-nigreich Norwegen als vierter Partei und zudem Zusatzabkommen vom 16. und 21. Juni2011 zwischen der Europäischen Union undihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Islandals zweiter Partei und dem Königreich Nor-wegen als dritter Partei, betreffend die An-wendung des Luftverkehrsabkommens vom16. und 21. Juni 2011Drucksache 18/5580Überweisungsvorschlag:A . f . Verkehr und digitale InfrastrukturSchließlich mache ich auf eine nachträgliche Aus-schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktlisteaufmerksam:Die am 3 . Juli 2015 gemäß § 80 Absatz 3 der Ge-schäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrichtung
Unterrichtung durch die Bundesbeauftragte fürden Datenschutz und die InformationsfreiheitTätigkeitsbericht 2013 und 2014 der Bundes-beauftragten für den Datenschutz und die In-formationsfreiheit– 25. Tätigkeitsbericht –Drucksache 18/5300Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Sportausschuss A . f . Recht und Verbraucherschutz FinanzausschussA . f . Ernährung und Landwirtschaft VerteidigungsausschussA . f . Familie, Senioren, Frauen und Jugend A . f . Gesundheit A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur A . f . Menschenrechte und humanitäre Hilfe A . f . Tourismus A . f . Kultur und Medien Ausschuss Digitale AgendaIch möchte auch hier fragen, ob es Widerspruch gibt . –Das ist nicht der Fall . Dann verfahren wir so .Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs-punkt 1 – fort:a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2016
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 201511702
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Drucksache 18/5500Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2015 bis 2019Drucksache 18/5501Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussWir haben am Dienstag für die heutige Ausspracheeine Redezeit von insgesamt achteinhalb Stunden be-schlossen .Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzel-plan 09.Das Wort hat der Bundeswirtschaftsminister SigmarGabriel .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Wenn wir in dieser Woche den Bundeshaushalt 2016beraten, dann sind die Gedanken aller hier im Parlamentund die Gedanken derjenigen, die uns beobachten, nichtnur bei diesem Zahlenwerk, sondern bei der vermutlichgrößten nationalen und europäischen Herausforderungseit der Wiedervereinigung: 800 000 Menschen su-chen Sicherheit und Lebensperspektive hier bei uns inDeutschland; Millionen Menschen sind auf der Flucht, soviele wie nie zuvor; Hunderttausende davon setzen ihreHoffnung auf uns und rufen nach Aufnahme in Deutsch-land .Alle Routine ist verschwunden . Zahl und Wucht die-ser Menschenflucht haben wahrhaft historische Dimen-sionen . Angesichts dieser großen Herausforderung kannman schon sagen: Selten hat Deutschland so zusam-mengestanden wie jetzt . Das tut uns gut, und das tut denFlüchtlingen gut .
Denen, die Menschen in Not helfen, möchte ich, wie Siesicherlich alle auch, nicht nur Respekt ausdrücken, son-dern vor allen Dingen danken . Das gilt aber auch – auchdas darf man einmal sagen – für die Angehörigen unseresöffentlichen Dienstes. Ich finde, die Arbeit von Ange-stellten und Beamten des öffentlichen Dienstes widerlegtin diesen Tagen und Wochen alle Vorurteile, die es ihnengegenüber gelegentlich gibt .
Deutschland ist gefordert, aber Deutschland ist auchstark . Ohne die wirtschaftliche Stärke unseres Landes,ohne Wachstum und sichere Arbeit würden wir dieseHerausforderung wohl nicht so optimistisch anpacken .Erst die wirtschaftliche Leistungskraft unseres Landes,gepaart mit soliden Finanzen, erspart uns jetzt schwe-re Entscheidungen und Konflikte darüber, wie wir dieAufnahme und die Integration so vieler Menschen inDeutschland schaffen und finanzieren wollen. Hätten wirin den Jahren zuvor auf die gehört, die uns aufgeforderthaben, diesen soliden Pfad zu verlassen – mehr Schuldenzu machen, nicht so sehr auf wirtschaftliche Leistungs-fähigkeit zu achten –, hätten wir heute nicht die Kraft,ein so großes Paket für die Flüchtlingshilfe auf den Wegzu bringen, wie wir es am Sonntag getan haben, ohnedass es zu Leistungskürzungen für unsere Bürgerinnenund Bürger und zu Steuererhöhungen kommt . Dass wirgemeinsam Kurs gehalten haben, meine Damen und Herren, zahlt sich jetzt aus – für die Flüchtlinge und dieBürgerinnen und Bürger unseres Landes .
Die deutsche Wirtschaft ist auf einem soliden Wachs-tumspfad . Die Entwicklung in diesem Jahr zeigt, dass diePrognose der Bundesregierung von 1,8 Prozent Wirt-schaftswachstum in diesem und im nächsten Jahr realis-tisch ist . Das zahlt sich für die Menschen aus . Auch 2015rechnen wir mit einer steigenden Zahl von Erwerbstä-tigen – ausgehend von einer Rekordbeschäftigung vonüber 42 Millionen Menschen in Deutschland .Das Wachstum wird auch von einer robusten Binnen-konjunktur getragen . Diese wiederum wird durch guteTarifabschlüsse, den Mindestlohn, höhere Investitionenund übrigens auch den Verzicht auf Rentenkürzungen ge-tragen . Dazu kommen positiv wirkende Außenfaktorenwie die Erholung der Vereinigten Staaten, der niedrigeÖlpreis und der Wechselkurs des Euro .Wachstum und Beschäftigung bringen uns auch in diesem Jahr höhere Steuereinnahmen als erwartet . DerBund bzw . die Koalition hat am letzten Sonntag verabre-det, dass wir diese gestiegene Finanzkraft jetzt einsetzenwollen, um Länder und Kommunen noch einmal dauer-haft, strukturell und übrigens auch dynamisch – undnicht, wie gestern in einem Redebeitrag gesagt wurde,einmalig – zu entlasten . Es wird eine Hilfe zur Verfügunggestellt werden, die am Ende natürlich von der Entwick-lung der Flüchtlingszahlen abhängig sein muss .Länder und Kommunen brauchen diesen Beistand fürdie menschenwürdige Unterbringung und Versorgung,aber vor allen Dingen auch für die Integration von Flücht-lingen . Vergessen wir nicht: Von den Hunderttausenden,die zu uns kommen, werden viele auf Dauer bleiben . Wirmüssen sie integrieren, und auch dem müssen wir unsgesamtstaatlich widmen .Der Bund muss die Voraussetzungen bei der Grund-sicherung des SGB II, aber auch bei der aktiven Arbeits-marktpolitik, bei Sprachkursen und bei der Qualifizie-rung schaffen, um eine größere Zahl von Menschen inden Arbeitsmarkt zu integrieren . Hier liegen Chancenund Risiken der Zuwanderung ganz dicht beieinander .Schaffen wir es, die Menschen, die zu uns kommen,schnell auszubilden bzw . weiterzubilden und in Arbeitzu bringen, dann lösen wir eines unserer größten Proble-me im Hinblick auf die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes, den Fachkräftemangel .Präsident Dr. Norbert Lammert
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Deutschland hat ja ein Experiment vor sich, das nochkein anderes Industrieland der Erde hat schaffen müssen .Bis 2030 werden wir 6 Millionen Arbeitskräfte wenigerhaben – 6 Millionen Menschen, die nicht für die Erarbei-tung unseres Wohlstands am Arbeitsmarkt zur Verfügungstehen werden . Das ist nicht nur eine Gefahr für die be-troffenen Unternehmen vor allem im Mittelstand und imHandwerk, sondern auch eine Gefahr für den Wohlstandder ganzen Gesellschaft; denn alternde Gesellschaftenwachsen langsamer, sind weniger innovativ und verlie-ren an wirtschaftlicher Dynamik .Die Zuwanderer, die jetzt kommen, können uns hel-fen, das zu ändern . Wenn es gut läuft, wenn wir es gutmachen, dann nutzen wir einen Willen, den alle dieseMenschen haben, nämlich zu einem besseren und siche-ren Leben zu kommen . Sie haben Kinder bei sich, denensie das versprechen wollen, was uns unsere Eltern ver-sprochen haben, nämlich: Du sollst es einmal besser ha-ben als wir . – Wenn wir es schaffen, das zu nutzen, wennwir sie zu gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgernunseres Landes machen, dann erinnern wir uns vielleichtauch selbst an manche der Tugenden, die wir in unseremLand haben . Manchmal verschwinden dann vielleichtauch ein bisschen Trägheit und Selbstzufriedenheit .Die, die kommen, können uns wirklich im wahrstenSinne des Wortes bereichern, wenn sie Bürgerinnen undBürger dieses Landes werden . Aber auch das Risiko liegtauf der Hand . Kümmern wir uns zu spät um Sprachaus-bildung, suchen wir nicht nach der Qualifikation derMenschen, die zu uns kommen, und lassen wir sie mona-telang oder noch länger untätig bleiben, dann werden dieIntegrationsprobleme wachsen .Dann werden aus Leistungsträgern Leistungsemp-fänger . Ich appelliere deshalb an die Unternehmen, dieWirtschaftsverbände und die Kammern, gemeinsam mitBetriebsräten, Gewerkschaften und mit uns in der Bun-desregierung eine Ausbildungsinitiative für Flüchtlingezu starten . Zu einem entsprechenden Gespräch haben wirschon eingeladen .
Fragen Sie in den Unternehmen ihre Meister und ihreAusbilder! Diese wissen, was man braucht, um Men-schen, die noch nicht über ausreichende Qualifikationenverfügen, anzulernen .Die Bereitschaft vieler Unternehmen, jetzt zu helfen,ist groß . Ich habe ein wunderbares Erlebnis gehabt . Einmittelständischer Industrieller, der in diesem Jahr 66 Jah-re alt wurde, hat mich gefragt: Was kann ich eigentlich machen, um zu helfen? Ich habe ihm gesagt: Du musstAusbildungsplätze schaffen . Einen Tag später hat er66 neue nur für Flüchtlinge geschaffen . Das ist ein groß-artiges Beispiel .
Wir müssen Sprachkurse anbieten und die Anerken-nung von Abschlüssen weiter beschleunigen . Wir müs-sen die richtige Nachqualifizierung finden, und wir müs-sen umdenken . Flucht und Asyl dürfen nicht jahrelangesNichtstun bedeuten . Ausbildung und Arbeit sind die bes-te Integration . Integration und soziale Teilhabe bedeu-ten vor allem auch Kindertagesstätten- und Schulplätzesowie bezahlbarer Wohnraum, übrigens für alle, die ihnbrauchen, nicht nur für Flüchtlinge .
Bund, Länder und Kommunen werden in den kom-menden Jahren das damit verbundene Ausgabenwachs-tum spüren . Das ist keine einmalige Angelegenheit .Wir müssen die Ausgaben nicht nur in diesem und imnächsten Jahr, sondern auch in den nächsten fünf, zehnJahren absichern . Deshalb müssen wir vor allem in derWirtschaftspolitik neue Anstrengungen unternehmen .Denn klar ist uns allen: Nur eine Wirtschaft, die wächst,kann einen Staat und eine Gesellschaft finanzieren, dieso große Aufgaben wahrnimmt . Schaffen wir das nicht,werden Verteilungskonflikte entstehen und wird der so-ziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ganz schnellin Gefahr geraten . Die Bundesregierung hat sich deshalbzum Ziel gesetzt, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirt-schaft weiter nachhaltig zu stärken . Wir erhöhen Investi-tionen . Wir bauen Bürokratie ab . Wir entlasten Bürgerin-nen und Bürger und stärken die Kommunen .Die Bundesregierung hat die öffentlichen Investitio-nen erhöht . Das wollen wir fortsetzen und haben das inHaushalts- und Finanzplanung verankert . Bis einschließ-lich 2019 werden die investiven Ausgaben des Bundesjährlich bei rund 31 Milliarden Euro liegen; vor ein paarJahren waren das noch etwas mehr als 20 MilliardenEuro . Das wird auch private Investitionen auslösen unddie Konjunktur stützen . Zu den herausragend wichtigenZukunftsinvestitionen zählen natürlich in allererster Li-nie die Digitalisierung, ihre Infrastruktur und vieles an-dere, was damit zusammenhängt . Aber ich zähle auchdie im Rahmen unserer Klimaschutzziele vorgeseheneSteigerung der Energieeffizienz dazu. Diese ökologischeModernisierung senkt den CO2-Ausstoß . Sie senkt aberzugleich auch Kosten und erhöht unsere Wettbewerbsfä-higkeit . Die Bundesregierung wird deshalb sicherstellen,dass die Mittel des Bundes für die Energieeffizienz aufRekordhöhe steigen .Wir werden außerdem mit dem Gesetzespaket zumneuen Strommarkt mehr Markt und Wettbewerb bei derEnergiewende ermöglichen . Auch das wird Wirtschaft-lichkeitsreserven heben und Kosten senken . Übrigenssind die Strompreise in diesem Jahr gesunken . DieEEG-Umlage ist zum ersten Mal seit 15 Jahren gefallen,und zwar ohne dass wir, wie manche behauptet haben,einen dramatischen Einbruch bei den erneuerbaren Ener-gien zu verzeichnen haben .
– Herr Krischer, bei der Windenergie hatten wir 2,5 Gi-gawatt vorgesehen . Wir lagen letztes Jahr, glaube ich, bei4,7 Gigawatt .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Das ist nicht gerade ein Einbruch, Herr Krischer . Ichbin sicher, dass die Entwicklung bei der Solarwirtschaftähnlich verlaufen wird, wenn wir die Förderung wiederverstetigen .
– Das tun wir, unter anderem mit den Ausschreibungs-modellen, die übrigens exzellent laufen, ganz im Gegen-satz zu Ihren Prognosen .
Es beteiligen sich Energiegenossenschaften und Bürger .
– Sir, Sie wissen ganz genau, dass wir erst vor der zwei-ten Runde stehen. Ich finde das eigentlich gut: Sie ma-chen die Prognose, und wir zeigen später, dass sie nichtstimmt . Das ist schon okay .
Auch bei der regionalen Strukturpolitik stellen wirin Ost und West mehr Geld für die Gemeinschaftsauf-gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“zur Verfügung . Die Lage in Ostdeutschland hat sich inden letzten 25 Jahren natürlich drastisch verbessert, abernicht gut genug . Deshalb wird es über das Jahr 2019 hi-naus nötig sein, die strukturschwachen Regionen Ost-deutschlands weiter zu fördern .Die Förderprogramme des Wirtschaftsministeriumsdafür wachsen auf . Die Mittel für die Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk-tur“ werden von 580 Millionen Euro im Jahr 2013 aufjetzt 600 Millionen Euro erhöht . Davon gehen übrigens80 Prozent in die ostdeutschen Bundesländer . Beim Zen-tralen Innovationsprogramm Mittelstand sind es immer-hin 42 Prozent .Auch der hier im Haus so umstrittene Kompromiss mitder Braunkohlewirtschaft hat etwas mit der Unterstüt-zung Ostdeutschlands und mit Strukturpolitik insgesamtzu tun . Ja, wir haben im Wirtschaftsministerium, wie wirfinden, ein nach wie vor relativ preiswertes Instrument –die Klimaabgabe – zur Erreichung der CO2-Ziele biszum Jahr 2020 entworfen . Aber wir haben jetzt eine Al-ternative gewählt . Und ja, die Alternative zum Erreichendieser Ziele ist teurer . Wir erreichen die Ziele genausowie mit der Klimaabgabe . Aber es stimmt: Die Alterna-tive ist teurer; sie kostet deutlich mehr Geld . Die stärke-re Förderung von KWK, die Sicherung der Existenz derStadtwerke und auch die Begleitung des Strukturwandelsin der Braunkohle kosten Geld . Aber das Risiko einzu-gehen, dass es zu Strukturbrüchen in der Braunkohlekommt, hätte uns noch viel mehr Geld gekostet .
Ob es wirklich klug ist, zu sagen: „Wir in der Politikmit unseren Gutachten wissen das am Ende besser alsdie, die vor Ort das Risiko tragen“, wenn sich heraus-stellte, dass man sich geirrt hat? Da waren wir eben an-derer Meinung .
10 000 Arbeitsplätze sind keine Kleinigkeit für Re-gionen, die den Schock der Deindustriealisierung nichtvergessen haben . Die vergütete Stilllegung von Braun-kohlekraftwerken senkt die CO2-Emissionen erheblich;aber sie kostet Geld – klar . Außerdem hilft sie den Un-ternehmen und den Beschäftigten, den Strukturwandelsozial sicher zu vollziehen . Wer dagegen ist und dagegenpolemisiert, dem rate ich, mal hinzufahren und mit denMenschen zu reden .
Die Zukunft unserer Unternehmen und unseres Lan-des liegt in den Investitionen, natürlich auch in Investi-tionen in die öffentliche Infrastruktur . Dafür haben wirmit Professor Fratzscher Vorschläge entwickelt, die imNovember dieses Jahres ins Kabinett kommen, damit wirsie umsetzen können .Unsere Wirtschaft wird aber nur stark bleiben, wennauch die privaten Unternehmen mehr investieren . DieNettoinvestitionsquote deutscher Unternehmen muss ei-nem seit mehr als zehn Jahren große Sorge machen; sieist nämlich viel zu niedrig . Dafür wollen wir die Rahmen-bedingungen weiter verbessern . Es geht um mehr Innova-tionen, um Fachkräftemobilisierung, um das Lösen vonInvestitionsbremsen . Das Bürokratieabbaugesetz schaffteine Entlastung von 700 Millionen Euro . Für die Mobili-sierung von Venture Capital für die Wachstumsphase vonUnternehmen verabschieden wir gemeinsam mit dem Fi-nanzministerium in diesen Tagen die Vorschläge .Von der günstigen Wirtschafts- und Finanzentwick-lung profitieren auch die Bürgerinnen und Bürger vor al-len Dingen durch sichere Beschäftigung und ordentlicheLöhne . Große Ungleichheit, sagen IWF, OECD und jetztauch das Weltwirtschaftsforum, behindert und blockierteine Wirtschaft . Mehr Chancen und bessere Zugänge fürmehr Menschen hingegen vergrößern das Wachstumspo-tenzial . Die Entwicklung der Reallöhne in Deutschlandist gut . Im vergangenen Jahr sind die Löhne je Arbeitneh-mer um knapp 4 Prozent gestiegen . Ordentliche Tarifab-schlüsse, Tarifbindung, mehr sozialversicherungspflich-tige Beschäftigung stehen dahinter . Das ist gut und mussweitergehen .Verteilungsfragen sind soziale und wirtschaftliche Zu-kunftsfragen . Wir können ein durchlässiges Bildungssys-tem am Ende nur finanzieren, wenn wir dafür die Kraftund die Mittel haben . Also geht es immer wieder auchum eine gerechte und faire Steuerpolitik . Insbesonderedie in Europa nach wie vor existierende Ungerechtigkeitbeim Steuerzahlen müssen wir beseitigen . Es kann nichtsein, dass sich große Konzerne vor einem angemessenenBeitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens drückenkönnen .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Wer nach dringend notwendigen Reformen in Europafragt, der hat hier eine Antwort: Die großen Konzernemüssen endlich mehr zahlen, damit wir die mittleren undniedrigen Einkommen von der zu hohen Last der Steuernund Sozialabgaben, die Weltwirtschaftsforum, OECDund andere kritisieren, entlasten können . Europa ist nichtdurch Griechenland in Gefahr, sondern durch den wach-senden nationalen Egoismus seiner Mitgliedstaaten .
Wenn wir den nicht überwinden, dann werden wir dieMenschen von der europäischen Idee nicht mehr über-zeugen können .Insofern müssen wir den Blick auch auf die Zukunftund die vor uns liegenden zehn Jahre richten . Wir müs-sen eine Vorstellung davon entwickeln, wovon wir 2025 leben wollen . Wir müssen die Quellen unserer wirtschaft-lichen Stärke beachten . Im Inland geht es um höhere In-vestitionen – aber wahrlich nicht nur in Beton, Glasfaserund Maschinen –, vor allen Dingen aber geht es um dieMenschen, die wir hier haben: soziale Teilhabe, gleicherLohn für gleiche Arbeit, übrigens auch gleicher Lohn fürgleichwertige Arbeit;
denn die Art und Weise, wie wir Menschen in Pflegebe-rufen bezahlen – schlecht nämlich –, ist der eigentlicheGrund, warum wir dort Nachwuchssorgen haben .
– Ich glaube schon, dass das so ist .Das gilt im Inland wie übrigens auch in der internatio-nalen Vernetzung; denn die internationale Vernetzung istdie zweite Quelle unseres wirtschaftlichen Wohlstands .Deutschland bekommt jede internationale Krise zu spü-ren . Wo sich Märkte verschließen, droht unsere Produk-tion zu erlahmen . Ukraine, Russland, Strukturprobleme,Börsenturbulenzen in China, Wachstumsschwäche inSchwellenländern, Unsicherheiten in der Eurozone undin Europa – wenn alles zusammenkommt, ist unsere wirt-schaftliche Entwicklung nicht mehr sicher .Deshalb glaube ich: Zusammenhalt, Stabilität undVertiefung der Europäischen Wirtschafts- und Währungs-union ist in unserem vitalen Interesse . Der KollegeSchäuble hat richtigerweise gefordert, dass sich die Mit-gliedstaaten der Währungsunion an die Regeln haltenmüssen; keine Frage. Aber zur finanziellen Stabilität desEuroraums gehören ganz sicher auch die Harmonisierungvon Steuerbemessungsgrundlagen und eine weitgehendeHarmonisierung der Körperschaftsteuer . Dazu gehört üb-rigens auch, dass wir nicht immer nur sehr klar wissen,wie finanzielle Solidität organisiert wird, sondern endlichgenauso klar wissen, dass wir die zweite Säule brauchen .Wir brauchen Klarheit darüber, wie Wachstum und Be-schäftigung sowie Arbeit und Innovation in Europa fi-nanziert werden .
Daran mangelt es in Europa .Meine Damen und Herren, für Deutschlands Stärkeim kommenden Jahrzehnt gibt es, glaube ich, wichtigeGrundwerte in unserer Republik . Wir dürfen uns nichtabschotten oder abkehren von der internationalen Ent-wicklung, nicht von Europa und nicht vom Nahen Ostenoder von Afrika . Das Signal, dass Deutschland Flüchtlin-ge nicht abweist, sondern aufnimmt, ist übrigens ein Zei-chen der Stärke, das unsere Partner in der Welt gut ver-stehen . Jedenfalls international wird es klar verstanden .
Natürlich müssen wir Fluchtursachen bekämpfen . Wirmüssen für Stabilität sorgen .Gestern ist in der Debatte zu Recht, ich glaube, vonFrau Göring-Eckardt, auf die Rüstungsexportthemenhingewiesen worden . Sie hat gesagt: Das dürft ihr nichtmachen . – Sie hat, glaube ich, zu mir gesagt, dass siemich am Handeln messen möchte . Deswegen habe ichmir vorgenommen, heute dazu zumindest ein paar Be-merkungen zu machen .
– Da gibt es welche, die ihr das sicher erzählen werden .
Wenn ich fertig bin, könnte es sein, dass sie es ihr liebernicht erzählen .Der Gesamtwert der Rüstungsexporte, Herr Krischer,ist 2014 um 1,8 Milliarden Euro gesunken . Das sagt abereigentlich gar nichts über die Qualität von Rüstungs-exporten aus .
Es können kleine Summen sein, weil Kleinwaffenpreiswert sind . Sie sind aber viel gefährlicher als viel-leicht ein teures, großes Schiff .Wir haben die Verkaufszahlen von Kleinwaffen, HerrKrischer, halbiert, und wir haben den Rüstungsexportin Entwicklungsländer ebenfalls halbiert . Die Top Vierbei Kleinwaffen sind heute: NATO, EU, NATO-gleich-gestellte Länder . 2015 haben wir in Deutschland denKleinwaffenexport so stark reduziert, dass für das ersteHalbjahr der geringste Wert seit 15 Jahren ausgewiesenwird . Ehrlich gesagt, ich lasse mich bei dieser Bilanzgern an meinem Handeln messen. Ich finde, das kannnoch besser werden, aber so schlecht wie in der Vergang-enheit ist es in Deutschland Gott sei Dank nicht mehr .
Die Große Koalition ist weit restriktiver als alle Vor-gängerregierungen, deren Genehmigungen übrigens nochimmer zum Teil die Ausfuhrstatistik prägen . Ich gebe zu,dass ich mich darüber ärgere, dass ich immer noch Aus-fuhrgenehmigungen mittragen muss, die von Vorgänger-regierungen erteilt wurden . Die Bilanz wäre noch besser,wenn ich das nicht müsste. Allerdings finde ich es be-sonders ärgerlich, wenn ausgerechnet Kollegen von denBundesminister Sigmar Gabriel
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Grünen mich dafür kritisieren; denn ich habe jedenfallskeine Lizenzen erteilt, Fabriken für deutsche Gewehrein Spannungsgebieten zu errichten . Im Gegenteil: Wirhaben in der Bundesregierung mit unseren Kleinwaffen-grundsätzen gerade beschlossen, dass es solche Lizenz-fertigungen in Zukunft gar nicht mehr geben wird . Wirhaben Schluss gemacht mit dem Liefern und Vergessen .Wir verschärfen die Endverbleibskontrolle vor Ort, undwir haben keine Kampfpanzer für Regionen genehmigt,in denen Krieg herrscht und aus denen die Leute fliehen.Vorgängerregierungen haben das getan .Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,schlimm genug, dass es auch eine rot-grüne Regierunggewesen ist, die das gemacht hat. Ich finde es nur nichtganz fair, wenn ausgerechnet ich für die Politik kritisiertwerde, die wir gemeinsam mit Ihnen – ich nicht; ich warnicht dabei, aber ein paar von Ihnen
damals gemacht haben . Deswegen würde ich doch herz-lich darum bitten, dass wir in der Debatte anständig undfair miteinander umgehen .
Statt Waffen brauchen wir einen neuen Nord-Süd-Di-alog . Das fängt damit an, mehr Mittel für internationaleHilfsorganisationen zur Verfügung zu stellen . Es ist jaeine Schande, wie die derzeitige Lage in Syrien ist . DasUN-Flüchtlingshilfswerk verzeichnet für Syrien eine Fi-nanzierungslücke von 200 Millionen Euro . 65 Prozentder notwendigen Kosten sind nicht gedeckt . Dem regio-nalen Hilfsprogramm für syrische Flüchtlinge im NahenOsten fehlen 800 Millionen Euro – eine Unterfinanzie-rung von 60 Prozent . Das Welternährungsprogramm für Syrien ist ebenfalls zu 60 Prozent unterfinanziert. Das ist,finde ich, eine große Schande für die internationale Staa-tengemeinschaft .
Herr Minister, darf ich Sie nur darauf aufmerksam
machen, dass Sie fröhlich die Redezeit Ihrer Fraktion
verbrauchen?
Ich habe damit überhaupt kein Problem, möchte nur ver-
meiden, dass Sie ein Problem mit Ihrer eigenen Fraktion
bekommen .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Präsident, ich würde sagen: Solange die noch
klatschen, geht es .
Dann wollen wir einmal abwarten, wie lange das an-hält .Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Wenn es das einzige Problem bleibt, dann ist doch al-les gut .
Ich will der Ermahnung gerne nachkommen .Zwei abschließende Bemerkungen .Ich glaube, dass wir neben der Hilfe in den Herkunfts-ländern und den Nachbarstaaten dringend einen legalenZugang nach Europa und nach Deutschland brauchen .Wir brauchen eine Alternative zu Schlepperbanden undzu Menschenhändlern . Solange Menschen keine andereChance sehen, als über Schlepper und Menschenhändlernach Europa zu kommen, werden wir das Elend an unse-ren Grenzen nicht los . Migration lässt sich nicht verbietenoder verhindern . Die Migration, wie wir sie jetzt haben,wird stattfinden, auch auf lange Zeit. Was wir brauchen,sind Wege geordneter Migration . Deswegen rate ich unsdringend, in Deutschland das Thema Einwanderungs-gesetz voranzutreiben und übrigens auch in Europa füreine solche Politik zu werben .
Ich fand die gestrigen Worte des EU-Kommissions-präsidenten Jean-Claude Juncker bewegend und bin froh,dass wenigstens ein erster Schritt getan wurde . Aber ichfinde, angesichts der Zahlen, die jetzt in Rede stehen,muss man auch realistisch bleiben . Wenn Jean-ClaudeJuncker 160 000 Flüchtlinge, die sich derzeit in Itali-en und Griechenland aufhalten, auf die europäischenMitgliedstaaten gerecht verteilen will und Deutschlandnoch einmal 31 000 davon aufnehmen soll, also 20 Pro-zent, dann muss man die Zahlen ein bisschen einord-nen: Deutschland hat bis vorgestern den Zugang von450 000 Flüchtlingen registriert . Allein im August warenes 105 000, und in den ersten acht Tagen des Septemberwaren es bereits 37 000 . Vielleicht werden es im Sep-tember mehr als 100 000 . Das zeigt, ehrlich gesagt, dassdie Umverteilung von 160 000 Flüchtlingen in Europaein erster Schritt ist, wenn man es freundlich bezeichnenwill . Man kann auch sagen: ein Tropfen auf den heißenStein .
Damit darf nicht alles erledigt sein . Wenn wir Euro-pa erhalten wollen, haben wir viel zu tun . Aber vor allenDingen muss Europa zeigen, dass es seine humane Ori-entierung beibehält . Wir sind hier in Europa keine Zu-Bundesminister Sigmar Gabriel
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gewinngemeinschaft, bei der man mitmacht, wenn manGeld kriegt, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft .Juncker hat den ersten Schritt getan; die MitgliedstaatenEuropas müssen deutlich mehr Schritte tun .Vielen Dank .
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Roland
Claus das Wort .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrBundes minister Gabriel, Sie haben, wie ich finde, be-rechtigterweise den Zusammenhang zwischen Ihrem Etatund den aktuellen Flüchtlingsfragen beschrieben . Diegute Absicht dabei will ich Ihnen auch nicht absprechen,aber bei den Konsequenzen mangelt es erheblich .Die gravierendste Ursache von Flucht und Vertreibungsind bekanntlich Kriege . Vertreter der Koalition haben indieser Haushaltswoche zu Recht häufig gesagt, es gehedarum, die Fluchtursachen zu überwinden . Für Krie-ge benötigt man Waffen . Deutschland liefert nach wievor Waffen, auch in Kriegsgebiete . Zum Beispiel führt Saudi-Arabien mit deutschen Waffen Krieg im Jemen .Das Wirtschaftsministerium ist für Waffenexport-genehmigungen zuständig, freilich nicht allein, abermaßgeblich . Herr Bundesminister, Sie sind auf diesenVorgang eingegangen . Ich will Ihnen belegen, dass Siedie Zahlen, die Sie ausgewählt haben, in Ihrem Sinne ge-schönt haben .
In der Welt vom 24 . Juni werden Sie, Herr Bundes-minister, mit den Worten zitiert: Waffenexporte dürfen„kein Mittel der Wirtschaftspolitik“ sein . Wie wahr . Faktist aber – auch das ist nachzulesen –, dass im ersten Halb-jahr 2015 Waffenexporte in Höhe von 6,5 MilliardenEuro genehmigt wurden . Das sind genauso viele wie imganzen Jahr 2014, Herr Bundesminister . Das ist dieWahrheit . Hier hilft es nicht, wenn Sie sich einzelne Zah-len heraussuchen .
Nachzulesen ist das im Spiegel vom 9 . August diesesJahres, und zwar in der Auswertung einer Anfrage mei-nes Fraktionskollegen Jan van Aken . Der Spiegel vermu-tet – ich denke, nicht zu Unrecht –, dass das Jahr 2015 einRekordjahr deutscher Waffenexporte ist . Herr Minister,konsequent im Sinne der Bekämpfung von Fluchtursa-chen wäre es doch, zu sagen: Schluss mit den Waffenex-porten! Verbieten Sie sie! Das wäre eine Konsequenz .
Eine zweite Konsequenz im Umgang mit dem Flücht-lingsproblem wäre, sich mit Industrieverbänden undKammern dafür einzusetzen, dass Flüchtlinge und Asyl-suchende schnell in Arbeit und Ausbildung kommen . Daswill die Industrie bekanntlich . Aber Sie wissen wie wir,dass das Asylrecht, das Zuwanderungsrecht dem engeGrenzen setzt . Sie müssten sich doch zusammen mitBundesministerin Nahles und den Vorschlägen, die derChef der Bundesagentur für Arbeit, Herr Weise, gemachthat, auf den Weg machen und ein großes Programm auf-legen, um die Situation zu vereinfachen und Flüchtlingenund Asylsuchenden den Zugang zu Ausbildung und Ar-beit zu ermöglichen .
Ich höre immer, man solle die Regeln vereinfachen, mansolle entbürokratisieren . Das wäre genau die Stelle, beider Sie beginnen sollten .
Die Linksfraktion hat zu diesem Problem AnfangJuni eine Anhörung zum Thema „Industriepolitik in Ost-deutschland“ durchgeführt . Dort hat die Bundesagenturfür Arbeit ihre Vorschläge vorgetragen . Wir wundern unsschon darüber, dass diese Vorschläge nicht im großen Stilaufgegriffen werden . Wir fordern Sie auf, hier etwas zutun .Der Wirtschaftsetat, meine Damen und Herren, istnach wie vor zur Hälfte für die Subventionierung staats-naher Monopolisten vorgesehen, insbesondere in derLuft- und Raumfahrt . Das so hoch gepriesene ZentraleInnovationsprogramm für den Mittelstand macht geradeein Drittel der Subventionen für die staatsnahen Monopo-listen aus . Das ist keine vernünftige Mittelstandspolitik .
Ich will noch ein Wort zur wirtschaftlichen Situationin Ostdeutschland sagen . Ich freue mich darüber, dass derBundesminister heute auf dieses Thema eingegangen ist,im Unterschied zu vorherigen Reden . Offenbar hat dieKritik der Opposition doch einige Wirkung erzielt . Ichhabe bereits gesagt, dass wir im Juni zum Thema „Indus-triepolitik in Ostdeutschland“ mit Expertinnen und Ex-perten aus der Wirtschaft gesprochen und ihre Erkennt-nisse wahrgenommen haben. Wir finden, dass es nochimmer eine große Reserve in diesem Land gibt . Ost-deutsche Industrieunternehmen haben einen ungeheurenErfahrungsvorsprung beim Bewältigen von Transforma-tionen, mit denen wir es in der Wirtschaft noch zu tunhaben werden . Wir fordern Sie auf: Nutzen Sie diese Er-kenntnisse! Bringen Sie sie ein! Nutzen Sie sie auch füreine gesamtdeutsche Entwicklung! Hier ist noch vieleszu leisten .
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf ver-weisen, dass wir in Ostdeutschland ein großes Problemmit dem hohen Anteil an Niedriglohn-, Zeitarbeits- undFristverträgen haben . Im Osten ist diese Gruppe der Be-schäftigten trotz Mindestlohn nach wie vor etwa doppeltso stark vertreten wie im gesamten Bundesdurchschnitt .Da müssen endlich Änderungen auf den Tisch gebrachtwerden .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Herr Bundesminister, Sie sagen häufig wohlklingen-de Worte zur Energiewende . Sie haben ja auch die Zu-ständigkeit für die erneuerbaren Energien . Wir möchtenSie aber darauf hinweisen – das haben wir auf Anfrageherausgefunden –, dass beim Umweltbundesamt die vor-gesehenen Haushaltsmittel aus Ihrem Ministerium nochimmer nicht angekommen sind .Also: Machen Sie nicht nur flotte Sprüche, sondern er-ledigen Sie die Hausaufgaben! Und vergessen Sie nicht:Die Fluchtursachen können Sie angehen, indem Sie Waf-fenexporte einstellen und verbieten .
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Volker Kauder hatte vollkommen recht, als er gesternsagte: Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass die Wirt-schaft weiterhin so gut läuft . – Ich bin ihm dafür dankbar .Das muss für uns eine Mahnung sein, der wir nachkom-men sollten .Ich möchte an dieser Stelle einen Dreiklang nennen:Erstens . Wir brauchen mehr Flexibilität und keinen zu-sätzlichen bürokratischen Schnickschnack;
den können wir uns gerade in der jetzigen Situation nichtleisten .
Zweitens . Es darf zu keinen weiteren oder neuen Belas-tungen für die Wirtschaft kommen . Drittens . JeglicherRückenwind, den wir ihr geben können, ist wichtig .Ich komme zu den einzelnen Punkten . Zur Flexibili-tät . Wer als Flüchtling anerkannt ist, der sollte schnellst-möglich hier arbeiten können . Das heißt, wir müssen dieArbeitsagentur schon jetzt, und zwar im frühen Stadium,in die Flüchtlingscamps, die es gibt, einbinden . Gleich-zeitig müssen wir Leute finden, die wir einsetzen können,um die Sprachkenntnisse zu verbessern . Da kann manauch unkonventionelle Methoden anwenden . Man kannzum Beispiel darüber nachdenken, ob wir Pensionäre bitten, mitzuhelfen; das ist ja durchaus denkbar . Wennwir das nicht schaffen, dann werden wir das Problemauch nicht gelöst bekommen . Ohne Sprachkenntnissewird es nicht gehen .Aber auch die Unternehmen müssen ein Stück weitFlexibilität zeigen . Wir können nicht erwarten, dass jederhannoverisches Hochdeutsch spricht .
– Herr Krischer, Sie können das nicht . Deswegen regenSie sich nicht auf .
Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung am Wochenende zum Beispiel beschlossen hat, dass es ei-nen erleichterten Zugang von Flüchtlingen zur Zeitarbeitgibt . Ich halte das für richtig; denn die Zeitarbeit ist im-mer eine vernünftige Brücke in den ersten Arbeitsmarktgewesen und ist gerade für Flüchtlinge eine Chance . Dasgilt aber auch für Werkverträge . – Jetzt ist die Ministerinnicht da; aber Sie werden es ihr bestimmt ausrichten: Wirbrauchen hier keine Verschärfungen . Die Überlegungen,die es im BMAS gibt, lassen wir lieber in der Schublade .Zurzeit brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt mit Sicher-heit keine neuen Hürden .
Roland Claus
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Zur notwendigen Flexibilität gehört auch der ziel-genaue Einsatz der Angestellten und Beamten . Ich bineinem SPD-Kollegen dankbar, der einmal nachgefragthat, was denn mit den ganzen Zöllnern passiert, die zum1 . Januar ihre Arbeit aufgenommen haben, um die Ein-haltung des Mindestlohns zu kontrollieren . Wir solltenuns die Zahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen:Es sind 24 970 Betriebe überprüft worden . Nun ratenSie einmal, was man dabei festgestellt hat . – In 146 Fäl-len wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet . Das heißt,0,58 Prozent der überprüften Unternehmen haben sichnicht an den Mindestlohn gehalten .
Prima vista, und die Einleitung eines Verfahrens bedeutetja nicht, dass wirklich etwas falsch gemacht wurde . Dasmuss erst einmal bewiesen werden . – Das zeigt also, dasswir hier vielleicht einen Fehler gemacht haben und die1 600 Zöllner vernünftiger einsetzen können .
Ich halte es deswegen für völlig richtig, dass WolfgangSchäuble gesagt hat: Die nächsten 400 Zöllner stellenwir nicht für die Kontrolle des Mindestlohns ein, weilwir ein Misstrauen gegenüber den Unternehmen nichtin dem Maße begründen können, wenn es maximal um0,58 Prozent geht, sondern schicken wir zum BAMF undsorgen dafür, dass die Integration und die Asylverfahrenbeschleunigt werden . Genau das ist der richtige Weg .Hier sollten wir umdenken .
Wir müssen auch bei den Prinzipien des Asylrechtsklare Kante zeigen . Ich bin dafür, dass wir das Asylrechtso beibehalten, wie es ist . Es muss und darf in keinerWeise infrage gestellt werden . Wirtschafts- und arbeits-marktpolitische Aspekte müssen sich einer stringentenAsylpolitik unterordnen . Dazu gehört auch eine konse-quente Abschiebepraxis .
Derjenige, der langfristig kein Bleiberecht und keinAsylrecht in Deutschland bekommen kann, weil er auseinem sicheren Herkunftsland kommt, der muss zurück-geführt werden, und zwar nicht erst nach sechs Monaten,sondern so schnell es geht .
Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist, über dasThema Arbeitsmarktzuwanderung zu diskutieren, wennwir über 500 000 Leute noch nicht integriert haben . Wirsollten uns da sehr zurückhalten und jetzt keine Diskus-sion darüber führen, weil das momentan nicht zielfüh-rend wäre .Auch bei allen anderen Entscheidungen, die wir tref-fen müssen, sollten wir uns fragen: Nützen oder schadensie der Wirtschaft? Lieber Herr Minister, ich denke daan Gesetzgebungsvorhaben, über die wir in nächster Zeitheftig zu diskutieren haben werden, gerade zum ThemaEnergiepolitik . Sie haben eben selbst davon gesprochen:Mir macht der Kostenanstieg bei der Energiepolitik er-hebliche Sorgen .
Wir werden ganz sicher deutliche Kostenerhöhungenbeim Netzausbau haben . Wir werden für die Kapazitäts-reserve Geld zahlen müssen . Machen wir uns nichts vor:Das geht nicht kostenlos .
All das wird über den Strommarkt und über den Strom-preis zu finanzieren sein.Meine Damen und Herren, machen wir uns bitte nichtsvor: Wir haben schon heute die höchsten Strompreise derWelt .
Schauen wir einmal auf die USA . Die Amerikaner habensich vorgenommen, über niedrige Energiepreise ihren industriellen Standort zu reindustrialisieren . Es kommtzu einer Welle von Einwanderungen großer Firmen in dieUSA, weil die Energiepreise so fantastisch niedrig sind,dass es sich für sie lohnt, wegzugehen . Das darf uns nichtpassieren . Vor allem darf nicht passieren, dass dadurchWertschöpfungsketten kaputtgemacht werden . Hier sindwir gefordert .
Ich denke auch, dass wir bei der Klimapolitik vor-sichtig sein müssen; denn der Emissionshandel musszumindest auf dem europäischen Feld so sein, dass wirdas berühmte Level Playing Field erhalten und dass wirkeine zusätzlichen Kosten für unsere Unternehmen ver-ursachen, die andere Unternehmen in Europa nicht zutragen haben . Auch bei sozialpolitischen Entscheidungenmüssen wir sehr vorsichtig sein . Die Rente mit 63 ist keinRenner . Es sind zwar sehr viele in die Rente gegangen –insofern ist es schon ein Renner –; aber es ist insofernschlecht, dass gerade die, die jetzt so früh in Rente ge-gangen sind, als Leistungsträger und auch als Ausbilderin den kleineren Betrieben wegfallen . Genau die Leutekönnten wir zurzeit gut brauchen .
[CDU/CSU])
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Ich frage mich allerdings auch, woher diese Herrschaftenüberhaupt das Geld bekommen .
Wir sollten da mal über Transparenz diskutieren . Es wäreja ganz nett, wenn wir von denen die Transparenz erhal-ten würden, die sie von uns permanent erwarten .
Da ich gerade bei TTIP bin, möchte ich gerne ein Bei-spiel dafür nennen, wie positiv ein Freihandelsabkom-men wirken kann . Die EU hat vor drei Jahren mit Koreaein Freihandelsabkommen geschlossen . Das ist für unsDeutsche eine dicke Erfolgsstory . Wir haben innerhalbvon drei Jahren fast 32 Prozent mehr Exporte nach Koreaerreicht . Ich weiß, dass die Automobilindustrie am An-fang Angst davor hatte . Wenn man heute über koreani-sche Straßen fährt, dann stellt man fest, dass dort geradeunsere teuren Autos sehr präsent und überall vertretensind . Das heißt: Das Freihandelsabkommen ist ein Er-folgsmodell .Warum soll das nun mit den Amerikanern anderslaufen? Wir haben 176 Abkommen geschlossen . Diese176 Abkommen machen einen Großteil unseres Erfol-ges aus . Das wird bei einem Abkommen mit der größtenWirtschaftsmacht genauso sein . Insofern hoffe ich, dassdas schnell passiert . Am besten wäre es, unser Abkom-men mit den Amerikanern würde vor dem Freihandels-abkommen geschlossen, das die Amerikaner zurzeit mitden Asiaten aushandeln . Denn eines steht fest: Wenn mitden Asiaten Standards gesetzt sind, dann wird man unsvermutlich von amerikanischer Seite sagen: Wir habenmit 1,8 Milliarden Menschen ein Freihandelsabkommengeschlossen; da müsst ihr 500 Millionen Europäer euchschon an diese Standards angliedern .
Da ist also dringender Handlungsbedarf gegeben . Ichwürde mir wünschen, dass das schnell vorangetriebenwird .Bei allen Herausforderungen der aktuellen Flücht-lingswelle gibt es auch Chancen . Ich sehe die Chance da-rin –die Bundeskanzlerin hat das in ihrer Rede gesagt –,dass wir ein Stück weit entbürokratisieren, wieder flexi-bler werden und die Verkrustungen, die wir uns mittler-weile geleistet haben, aufbrechen . Ich will ein Beispielnennen: Wer aus Syrien geflohen ist, der braucht keinLärmschutzgutachten, wenn er neben einer Tischlereiwohnt . Wer in eine neue Unterkunft kommt, der brauchtnicht unbedingt den allerletzten Energieeffizienzstan-dard . Wir haben uns über die Jahre Dinge geleistet, diealle schön sind – „nice to have“, wie es so schön heißt –;aber wir können uns das in dieser Phase nicht leisten .Wenn wir das eine oder andere jetzt auf den Prüfstandstellen, dann kann das durchaus ein Programm sein, dassich für uns alle lohnt . Ich glaube, dass wir das schaffenkönnen . Wir sollten die Verkrustungen, die wir haben,aufbrechen, und wir sollten jetzt gemeinsam Lösungenfinden, die der Wirtschaft helfen, die schwierigen Auf-gaben zu lösen .Danke .
Zu einer klarstellenden Erklärung zur Aussprache
nach § 30 unserer Geschäftsordnung erhält nun der Bun-
deswirtschaftsminister noch einmal kurz das Wort .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Kollege Claus, Sie haben mich persönlich an-
gegriffen und gesagt, ich hätte im ersten Halbjahr 2015
Lieferungen von Waffen in einer Größenordnung von
über 6 Milliarden Euro vor allen Dingen in Spannungs-
gebiete genehmigt . Sie haben Saudi-Arabien genannt .
Ich will nur zur Klarstellung sagen: Dieser Betrag – das
weiß Ihr Kollege, weil wir ihm korrekt geantwortet ha-
ben – ist deshalb so hoch, weil darin allein 1,1 Milliarden
Euro für Tankflugzeuge enthalten sind, aber für Großbri-
tannien, und auch ein U-Boot für Israel . So zu tun, als
sei der übergroße Teil der Lieferungen im Umfang von
6 Milliarden Euro in Spannungs- und Kriegsgebiete ge-
gangen, weise ich ausdrücklich zurück .
Herr Kollege Claus .
Herr Bundesminister, wenn Sie in Ihrer Rede nicht sovollmundig und so selbstgefällig auf die Waffenlieferun-gen eingegangen wären,
wäre die Kritik nicht so klar ausgefallen . Aber Faktist: 6,5 Milliarden Euro im gesamten Jahr 2014 stehen6,5 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2015 gegenüber .Das ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung,nachzulesen im Spiegel.
Das können Sie nicht wegreden, indem Sie hier einenEinzelposten hervorheben .
Deshalb sage ich noch einmal an Ihre Adresse gerichtet:Ein Stopp der Rüstungsexporte wäre der richtige WegDr. Michael Fuchs
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und nicht die Rechtfertigungsversuche, die Sie hier un-ternehmen .
Nun hat der Kollege Hubertus Heil das Wort .
– Nein? – Entschuldigung .
Zunächst hat der Kollege Oliver Krischer das Wort, da-
nach der Kollege Heil .
Herr Präsident, ich hoffe, ich muss das nicht persön-lich nehmen . Aber der Kollege Heil redet, glaube ich,auch gerne nach mir .Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Gabriel, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie hier klareWorte zum Thema Flüchtlinge, zum Thema Integrationund zum Thema Einwanderung gefunden haben . Ichkann mich erinnern, dass sich der Privatmann SigmarGabriel vor nicht allzu langer Zeit in Debatten noch ganzanders geäußert hat . Ich begrüße es, dass Sie offensicht-lich einen Erkenntnisgewinn haben . Ich hoffe, dass sieangesichts der Herausforderungen, vor denen wir hin-sichtlich der Integration der Flüchtlinge stehen, Führungzeigen – gerade Sie als Wirtschaftsminister haben hiereine herausragende Aufgabe –,
indem Sie dafür sorgen, dass die Menschen, die in unserLand kommen, eine Perspektive haben, indem Sie klar-machen, dass Flüchtlinge aufgrund des demografischenWandels eine Chance für unser Land sind . Ich hoffe, dassder Wirtschaftsminister hier, anders als manche Populis-ten – dafür ist Herr Seehofer zuständig –, klare Kantezeigt und eine vernünftige Politik macht .
Wozu Sie überhaupt nichts gesagt haben, Herr Minis-ter Gabriel, ist das Thema Investitionen . Das wundertmich ehrlich gesagt; denn wir alle wissen, dass es in un-serem Land sowohl im staatlichen als auch im privatenSektor ein riesiges Defizit bei den Investitionen gibt. Siehaben mit großem Tamtam die Fratzscher-Kommissionins Leben gerufen, die vor ein paar Monaten ihre Ergeb-nisse vorgestellt hat . Ich würde nun erwarten, dass derWirtschaftsminister unseres Landes im Zuge der Haus-haltsberatungen sagt, was jetzt passiert . Aber darüber ha-ben Sie kein einziges Wort verloren .
Wir haben nachgefragt: Was wird denn nun aus den Er-gebnissen der Fratzscher-Kommission? Die Antwort ist:Die Bundesregierung prüft . – Ja, meine Damen und Her-ren, es wundert schon, dass Sie angesichts der Investiti-onsschwäche, die wir haben, einen Haushalt vorlegen, indem die Investitionen weiter zurückgehen,
Es ist doch ein Treppenwitz der Geschichte, dass eineGraswurzelbewegung namens Freifunk nun ein Problemlöst, wozu Sie als Regierung nicht in der Lage sind . Ichsage an dieser Stelle ganz deutlich: Danke Freifunk!
Zum Thema „Energiewende und Klimaschutz“ . DenKlimaschutz haben Sie einmal erwähnt, nur am Rande,und das trotz über 20 Minuten Redezeit . Vor zwei Jahrenhabe ich gelesen, das Management der Energiewende seifür Sigmar Gabriel der Weg zur Kanzlerschaft . Von einererfolgreichen Energiewende sind wir genauso weit ent-fernt wie von der Kanzlerschaft von Sigmar Gabriel . DerZusammenhang trifft zu, aber im Negativen .
Ich frage mich: Wo im Haushalt spiegelt sich die Energie-wende wider? Wo spiegelt sich all das wider, was wir inSachen Klimaschutz im Vorfeld der Konferenz in ParisRoland Claus
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tun müssen? Das ist alles viel zu wenig . Das ist dieserglobalen Herausforderung nicht angemessen .
Ganz offen gesagt: Was haben wir in der Zeit derGroßen Koalition in Sachen Energiewende eigentlichgemacht?
Sigmar Gabriel hat einen einzigen relevanten Gesetzent-wurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, den Ent-wurf einer EEG-Novelle, der vor einem Jahr verabschie-det worden ist . Das Ergebnis dieser EEG-Novelle ist: DieBiogasbranche ist tot . Beim Solarausbau liegen wir weitunterhalb der Korridore . Im Bereich Windenergie gibt eseinen Schlussverkaufseffekt, und kein Mensch weiß, wiees nach 2017 in dieser Branche weitergeht; das wird Ih-nen jeder bestätigen . Sie machen Ausschreibungen, dieeines beweisen: Es wird teurer und bürokratischer . DieBürgerenergiewende wird ausgebremst . Dazu sage ich:Die Abrissbirne der Energiewende funktioniert ganz of-fensichtlich .
Bei allen anderen Themen kommt überhaupt nichts imBundestag an . Wir diskutieren über Strommarktdesign .Es gibt Grünbücher, Weißbücher, Gelbbücher, was weißich alles . Es gibt ein Vertragsverletzungsverfahren derEU-Kommission bezüglich der Energieeffizienz. Es gibtetliche Projekte, zum Beispiel das Kraft-Wärme-Kopp-lungsgesetz . Herr Post, es wurde vor einem Jahr ange-kündigt, hundertmal versprochen, aber es liegt nichts vor .Sie simulieren, Politik zu machen . Das Ministerium kün-digt an und formuliert Überschriften . Vielleicht erstellenSie das eine oder andere bunte Konzept; aber hier, wo dieMusik spielt, im Bundestag, kommt am Ende nichts an .
Das ist genau das Problem . Sie simulieren an dieser Stel-le Politik, aber die notwendigen Entscheidungen werdennicht getroffen . Sie erwecken den Eindruck, dass Sie et-was tun, aber in der Praxis passiert nichts .
An einer Stelle wäre es mir lieber, wenn nichts pas-sieren würde . Aus dem sinnvollen Instrument der Koh-leabgabe haben Sie das exakte Gegenteil gemacht – manhätte auch etwas anderes vorschlagen können –: Wir stei-gen jetzt, just zu dem Zeitpunkt, zu dem wir es geschaffthaben, endlich die Subventionierung des Steinkohleber-gbaus zu beenden, in die Subventionierung der Braun-kohle ein . Es ist doch ein Treppenwitz, dass Deutschlandvor der Konferenz in Paris anfängt, die Braunkohle zusubventionieren .
Das hat nichts mit Energiewende zu tun . Das hat nichtsmit Klimaschutz zu tun . Das ist die Zementierung derVergangenheit .
Lieber Herr Krischer .
Wir sollten eigentlich aus den Defiziten der Subven-
tionierung des Steinkohlebergbaus gelernt haben . Das
wäre eine richtige Botschaft, die der Wirtschaftsminister
vermitteln müsste . Das tut er aber nicht .
Danke schön .
Und nun erhält der bereits angekündigte Kollege Heil
das Wort für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! In fünf Minuten Redezeit einige Sätzezu meinen Vorrednern:Erstens . Herr Claus, das Notwendige zum Thema Rüs-tungsexporte hat der Minister selbst klargestellt . WinstonChurchill wird folgendes Zitat zugeschrieben: Glaubenur der Statistik, die du selbst gefälscht hast . – Wenn SieDurchschnittszahlen nehmen und sie nicht unterlegen,wenn Sie nicht sagen, worum es geht, um Ihre Argumen-tation zu bekräftigen, dann ist das nicht nur wahrheits-widrig, sondern dann steckt im Kern auch eine ideolo-gische Lüge dahinter . Das müssen Sie sich sagen lassen .
Zweitens . Geschätzter Kollege Fuchs, eine Bitte habeich für diese Debatte: Das Flüchtlingsthema ist mir zuwichtig, um hier alte ideologische Debatten über den Ar-beitsmarkt zu führen . Das muss ganz klar sein .
Es kann nicht sein, dass diese Herausforderung zum Vor-wand genommen wird, um alles, was man schon immerrichtig gefunden hat, hier auf die Tagesordnung zu set-zen .Worum geht es praktisch? Wir haben einen großenKonsens in der Koalition, dass wir das gemeinsam schaf-fen wollen, dass wir die Stärke dieses wirtschaftlichstarken und mitfühlenden Landes aktivieren wollen, umdiese Riesenherausforderung bewältigen zu können, umdie – wie hat der Minister das genannt? – dreifache Inte-grationsaufgabe leisten zu können: Erstens soll die großeZahl derjenigen, die hier eine Perspektive haben, die dasRecht haben, dauerhaft hier zu bleiben – nicht alle habendas Recht, hier dauerhaft zu bleiben –, integriert werden .Dafür haben wir alles zu tun . Zweitens müssen wir un-sere Gesellschaft während dieses Prozesses zusammen-halten . Drittens müssen wir Europa zusammenhalten undauch auf dieser Ebene für Integration sorgen .Oliver Krischer
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Das sind die drei Integrationsaufgaben, die wir haben . Daist die Investition in Sprache, in den Zugang zum Arbeits-markt etwas, Herr Kollege Fuchs, was wir gemeinsamsehen . Was aber nicht passieren darf, ist, dass in der deut-schen Bevölkerung der Eindruck erweckt wird, dass daszum Vorwand für eine Deregulierung am Arbeitsmarktführt, damit mit Billiglohnkräften hier gesellschaftlicherUnfrieden gestiftet wird .
Das muss ganz klar sein . Wenn das Konsens ist, dannist das an dieser Stelle gut . Deshalb habe ich den Zu-sammenhang mit den Kontrollen beim Mindestlohn nichtganz begriffen . Aber das besprechen wir vielleicht nocheinmal .
Lieber Kollege Krischer, ich weiß nicht, womit Siesich vor den Debatten immer betanken . Das muss irgend-ein Zaubertrank sein .
In der kurzen Redezeit so eine Suda von Polemik undUnterstellungen loszulassen,
ist vielleicht dem innerparteilichen Wettbewerb um dieListenplätze der Grünen beim nächsten Mal geschuldet .Aber mit der Sache hat es wenig zu tun .
– Ich sage noch einmal: Wir können uns damit auseinan-dersetzen .Wir haben in dieser Legislaturperiode energiepolitischeine ganze Menge vorgelegt, nicht nur die EEG-Reform .Sie wissen ganz genau, dass jetzt ein sehr großes Paketvor uns steht .
Sie werden genug Gelegenheit haben, Ihre Kompetenzin der Energiepolitik, die Sie zweifelsohne haben, außer-halb der Polemik in diesem Hause unter Beweis zu stel-len . Da können Sie sich ein bisschen mehr austoben alsmit solchen Reden .
Der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichenStärke und der Bewältigung der Aufgaben, die wir jetztvor uns haben, liegt in der Frage, dass wir uns eben nichtzurücklehnen, sondern dass wir investieren .Herr Kollege Krischer, Sie haben die Fratzscher-Kom-mission angesprochen . Zweifelsohne hat dieses starkeLand eine ganze Menge zu tun, zu investieren, damit esauch langfristig ein starkes Land bleibt . Das betrifft öf-fentliche Investitionen, das betrifft privatwirtschaftlicheInvestitionen . Sie haben gesagt, da täte diese Bundes-regierung nichts – eine glatte Unwahrheit . Schauen Sieeinmal in den Haushalt! Schauen Sie sich an, was wirgetan haben, um Kommunen zusätzlich zu entlasten! Wirwerden jetzt dafür sorgen, dass den Kommunen durch dieFlüchtlingshilfe gezielt geholfen wird, damit diese Ent-lastung nicht wieder aufgefressen wird . 60 Prozent deröffentlichen Investitionen sind kommunale Investitionen .
Diese zu stärken und zu stützen, damit wir tatsächlicheine gute Infrastruktur, eine gute Daseinsvorsorge vorOrt haben, ist auch wirtschaftlich vernünftig und im In-teresse von kleinen mittelständischen Unternehmen indiesem Land .
Genau das tun wir mit den zusätzlichen Paketen, die wirbeschlossen haben, mit den 5 Milliarden Euro, die wirin diesem Jahr für die kommunale Entlastung zur Verfü-gung stellen .
Zusätzlich unterstützen wir finanzschwache Kommu-nen, die strukturelle Probleme haben . Wir haben die Mit-tel im Bereich der Infrastruktur deutlich erhöht . Wir ha-ben zusätzlich 4,3 Milliarden Euro für Verkehrswege unddigitale Infrastruktur . Auch das kann sich sehen lassen .Nicht zuletzt bei Bildung und Forschung haben wireinen Rekordhaushalt, über den wir gleich noch redenwerden . Es gibt über 16 Milliarden Euro für Bildung undForschung in diesem Land .
Es geht nicht nur um physische Infrastruktur, sondern esgeht um die Potenziale, die wir im Bereich Bildung undBereich Forschung in diesem Land heben .
– Nein, wir investieren mehr . Das kann man auch nichtverfälschen .
Sie haben gefragt, was wir für Energieeffizienz tun.Wir haben in diesem Haushalt zusätzlich 1,2 MilliardenEuro für Energieeffizienz.Herr Kollege Krischer, ich weiß nicht, ob Sie evange-lischer oder katholischer Christ sind – an was Sie glau-ben, ist Ihre private Sache –, aber auch für Sie gilt derSatz: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinenNächsten,
Hubertus Heil
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was die Frage der Investitionsquoten in diesem Haushaltbetrifft .
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, Deutschland ist ein starkes und mitfühlendes Land .Wir haben eine ganze Menge vor uns, damit dieses Landwirtschaftlich stark bleibt und damit es die Aufgabenin der Welt, die vor uns stehen, auch bewältigen kann:ob es die Frage der Digitalisierung ist, die Frage derFachkräfte sicherung, die Frage der Energiewende undauch die Frage, wie wir uns als exportorientiertes Landinternational aufstellen .Dieses Land hat alle Chancen, das zu schaffen . DieVoraussetzungen sind ausgezeichnet . Wer aber, wie zu-mindest die Linkspartei, in diesem Land so tut, als seiDeutschland auf dem Weg in die Verelendung, der istnicht nur am Lebensgefühl der Menschen vorbei, son-dern auch an der Realität . Es geht darum, berechtigteHoffnungen zu machen und ohne Träumereien die hartenAufgaben anzugehen . Wir können das schaffen . DieseBundesregierung leistet einen Beitrag, dass wir auf die-ses Land wirtschaftlich stolz sein können .Herzlichen Dank .
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kollege Heil, wir würden den Weg in dieVerelendung propagieren oder so tun, als wäre – Woherhaben Sie das? Sie werfen hier dem Kollegen KrischerPolemik vor . Wenn es nicht die höchste Form der dum-men Polemik war, so einen Quatsch zu erzählen, dannweiß ich es wirklich nicht mehr . Ein Linker vertritt nieeine solche Position .
Herr Fuchs, Stichwort TTIP: Jetzt fahren Sie docheinmal nach Korea, dann sehen Sie dort deutsche Autos,fahren Sie nach Japan, dann sehen Sie dort deutsche Au-tos . Warum Handelsabkommen?
Schauen Sie einmal, wir waren doch zusammen in China .Haben wir ein Freihandelsabkommen mit China? Nein .Was haben wir dort gesehen? VW, Audi . Was sehen wir,wenn wir in den USA sind? Deutsche Autos . Sie tun jaso, als wäre der Export der Bundesrepublik tot, wenn eskein TTIP gibt . Sie wissen, dass es bei TTIP um etwasanderes geht . Es geht darum, die Regeln nach unten zudrücken . Deshalb sind wir gegen TTIP, Herr Fuchs .
Herr Minister, Sie haben natürlich die positive Ent-wicklung Deutschlands angesprochen . Da sind wir unseinig . Ja, Wachstum toll, Beschäftigung gut, Steuermeh-reinnahmen . Aber einige Punkte müssen wir schon nochaufgreifen .
Der erste Punkt ist: Wir haben Exportüberschüsse, dieden Zusammenhalt Europas gefährden . Das wissen Sie .Jetzt kann man natürlich Exportweltmeister sein . Das istnicht schlimm, im Gegenteil . Wir sind nicht gegen Ex-porte – das werfen Sie uns ja auch immer vor –, aber wirsind dagegen, dass wir zu wenig Importe haben . Darü-ber müssen wir reden . Warum haben wir zu wenig Im-porte? Weil die Lohnentwicklung in der BundesrepublikDeutschland in den letzten zehn Jahren eben nicht mitder wirtschaftlichen Entwicklung mitgehalten hat, weildie Löhne von der wirtschaftlichen Entwicklung abge-koppelt wurden . Deshalb ist natürlich zu wenig Kauf-kraft in der Bundesrepublik vorhanden, übrigens auch zuwenig Mittel für Investitionen und auch dafür, dass wirgenügend Importe haben . Dazu habe ich – das tut mirleid – in Ihrem Vortrag überhaupt nichts gehört .
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau sagt: . . . der Staat vernachlässigt mit den langjährig ne-gativen Nettoinvestitionen in die Infrastruktur eineseiner ökonomischen Kernaufgaben .Viel zu wenig Initiative . Sie wissen: Was Sie machen, istein Tropfen auf den heißen Stein . Auch mit diesem Haus-halt bleibt das Investitionsvolumen weit hinter den An-forderungen zurück; das wissen Sie . Warum? Weil sichdiese Bundesregierung nicht traut, die wirklich Reichenüber angemessene Steuern für das Gemeinwohl heranzu-ziehen . Das ist das Problem .
Wenn die CSU diskutiert, die Erbschaftsteuer sogarganz abzuschaffen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Dasist ein sehr interessanter Vorschlag . In der BayerischenVerfassung heißt es wörtlich:Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zwecke, dieAnsammlung von Riesenvermögen in den Händeneinzelner zu verhindern .Schlau waren die Bayern damals bei der Formulierungihrer Verfassung .
Ein wenig dieser Klugheit würde ich ihnen heute wün-schen .
Hubertus Heil
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Wenn Sie als bayerische Abgeordnete einer Abschaf-fung der Erbschaftsteuer wirklich zustimmen und diesesVorhaben vorantreiben, kann ich Ihnen sagen: Dann sindSie ein Fall zumindest für den bayerischen Verfassungs-schutz . Der müsste sich dann um Sie kümmern .
Dabei ist es dringend notwendig, die massive Un-gleichheit in Deutschland anzugehen . Das DeutscheInstitut für Wirtschaftsforschung sagt: Das reichste Tau-sendstel der Deutschen besitzt 17,3 Prozent des Netto-vermögens .
Ein Tausendstel! Die untere Hälfte, also 50 Prozent derDeutschen, müssen sich mit 2,5 Prozent des Nettover-mögens begnügen . Da wäre es doch tatsächlich eineMöglichkeit, diese Gruppe von Superreichen zumindestein wenig mehr bei der Finanzierung des Gemeinwohlsheranzuziehen . Aber da scheuen Sie sich, da trauen Siesich nicht heran .Das führt dazu, dass Sie dann bei der Frage der Finan-zierung der öffentlichen Infrastruktur auf ganz absurdeIdeen kommen . Herr Krischer hat darauf hingewiesen .Sie kommen auf die Idee, die Privaten sollen doch bittedie öffentlichen Aufgaben übernehmen und die öffent-liche Infrastruktur finanzieren. Glauben Sie eigentlich,dass die das umsonst machen? Die machen das nur gegenRendite, und zwar gegen ausreichende Rendite . Weil Sieihnen das Geld, das sie zu viel haben, nicht abschöpfen,versuchen sie natürlich, das Geld gewinnbringend anzu-legen . Das gelingt ihnen zurzeit nicht so richtig . Also willder Staat diesen hohen Vermögen auch noch die Renditegarantieren . Deshalb machen Sie diese Förderung vonöffentlich-privaten Partnerschaften bei der öffentlichenInfrastruktur .
Die Zeche zahlt der Bürger über höhere Steuern, weiler die Rendite finanziert, oder über die Gebühren bei derMaut, dem dümmsten Projekt seit dem Turmbau zu Ba-bel . Das ist der Punkt .
Genau darum geht es . Da sagen wir: Mit diesen Vorstel-lungen sind wir überhaupt nicht einverstanden . Das, wasSie hier dargestellt haben, ist keine Lösung .Einen Punkt möchte ich noch ansprechen . Es ist jawirklich kaum zu glauben . Herr Fuchs, ich weiß, dassIhnen der Mindestlohn nicht gefällt und dass Sie sich nurzähneknirschend bereit erklärt haben, dem zuzustimmen .Jetzt haben wir den Mindestlohn . Jetzt haben Sie endlich endlich! eine Begründung gefunden, warum man die Fi-nanzkontrolle Schwarzarbeit nicht so schnell ausbauenmuss: Weil doch Flüchtlinge kommen, die aufgenommenwerden sollen! Wenn sich die Bundesrepublik Deutsch-land, unser Land, nicht mehr Finanzkontrolleure und zu-sätzliche Personen leisten kann, die die Menschen, diezu uns kommen, registrieren, dann kann ich wirklich nursagen: Armes Deutschland!
Aber Ihnen geht es um etwas anderes . Sie wollen dieFlüchtlingsproblematik benutzen, um die Finanzkontrol-le Schwarzarbeit nicht auszubauen . Oder nehmen Sie dasBeispiel, wie viele Fälle tatsächlich zu Verfahren geführthaben . Herr Fuchs, mit dieser Argumentation kann mansämtliche Blitzer auf Autobahnen abschaffen,
wenn man sagt: Moment einmal, es ist ja nur ein kleinerTeil, den es betrifft .
– Ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen, dass ichdavon betroffen wäre . – Ich sage Ihnen nur: Wenn Sie dieBlitzer abbauen, dann fährt jeder schneller . Genauso istes beim Mindestlohn . Wenn Sie ihn nicht kontrollieren –das wollen Sie nicht –, dann führt das dazu, dass es mehrMenschen gibt, die ihn nicht einhalten .
Herr Kollege Ernst .
Deshalb sage ich Ihnen – ich bin gleich fertig, Herr
Präsident –: Ihr eigentliches Ziel ist, den Mindestlohn zu
sabotieren, und deshalb auch dieser Vorschlag . Das ist
unerträglich .
Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der
Kollege Joachim Pfeiffer .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschlandgeht es gut, und zwar trotz permanenter Krisen seit 2008,egal ob Finanzkrise, europäische Unsicherheiten, Struk-turkrisen, Verschuldungskrisen, Ukraine-Krise oder jetztauch Flüchtlingen . Den anderen Ländern geht es nichtso gut .Warum geht es Deutschland gut? Ich glaube, das hateine ganze Reihe von Gründen . Ich will einen nennen,der heute und gestern so nicht erwähnt wurde: Deutsch-land geht es auch gut, weil wir in Deutschland stabilepolitische Verhältnisse haben,
Klaus Ernst
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weil wir in den letzten zehn Jahren stabile, gute Regie-rungen hatten,
die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europaund weltweit anerkannt sind und weltweit mithelfen, dieKrisen zu bewältigen . Deshalb haben wir auch sozialenFrieden in Deutschland . Deshalb kommen viele Investi-tionen aus dem Ausland nach Deutschland . Es wird hierinvestiert: in Infrastruktur – darauf komme ich nachhernoch –, in Immobilien oder in Werte. Davon profitierenwir . Diese Investitionen befeuern auch unser Wachstum .Deutschland geht es gut, weil wir heute die Ergebnis-se der Saat ernten, die mit Strukturreformen am Arbeits-markt ausgebracht wurde . Ich nenne ausdrücklich – auchan den Koalitionspartner gerichtet – die Agenda 2010 .Heute profitieren wir davon, dass die SPD damals denMut hatte, dieses Thema anzugehen . Ich würde mir heutewünschen, Sie wären ein bisschen stolzer auf das, wasSie damals getan haben .
Manchmal hat man den Eindruck, dass die Agenda2010 ein vaterloses oder mutterloses Kind ist . Wir habensie damals aus der Opposition heraus und im Bundesratunterstützt, weil wir sie für richtig hielten. Heute profitie-ren wir in Deutschland gemeinsam davon .Wir haben die Negativspirale von immer wenigerBeschäftigung, damit weniger Einnahmen in der Sozi-alversicherung und weniger Steuereinnahmen durch-brochen . Heute sind wir in einer positiven Spirale . Wirhaben mit über 43 Millionen Menschen den höchstenBeschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesre-publik Deutschland, wir haben die höchsten Einnahmenin der Sozialversicherung und können deshalb trotz ver-schiedener Ausgaben, über deren Sinnhaftigkeit man sichin der Tat streiten kann, beispielsweise den Beitragssatzzur Rentenversicherung senken . Wir haben die höchstenSteuereinnahmen, und wir haben, Herr Finanzminister,eine Nullverschuldung, einen ausgeglichenen Haushalt .Das ist das Beste, was wir den nachfolgenden Generatio-nen hinterlassen können, dass sie nicht unsere Schuldenabzahlen müssen . Wir machen keine neuen Schulden undführen sogar Schulden zurück .Wir haben aber auch positive Effekte, die sicher nichtvon Dauer sein werden . Allein die niedrigen Energie-preise bringen in diesem Jahr einen positiven Effekt fürdie Volkswirtschaft in Höhe von ungefähr 50 MilliardenEuro . Ich glaube, das wird nicht von Dauer sein .Auch bei anderen Rohstoffen ist die Versorgung heutegünstiger und sicherer, als es vor Jahren zum Beispiel beiden Seltenen Erden der Fall war . Aber auch hier müssenwir, glaube ich, rechtzeitig handeln, weil auch dies nichtgottgegeben ist .Auch die Zinsen werden auf Dauer nicht so niedrigbleiben, wenngleich wir durch kluges Umschulden jetzterreichen können, diese niedrigen Zinsen für längere Zeitzu sichern, indem man heute lang laufende oder längerlaufende Staatsanleihen auflegt, die mit ihren niedrigenZinsen dazu beitragen, diesen Effekt, wenn es ihn nichtmehr geben sollte, für die nächsten 10, 15 oder 20 Jahrezu sichern . Das ist solides und nachhaltiges Wirtschaftenunter Führung der Union in Deutschland . Deshalb stehtDeutschland heute in Europa und in der Welt so gut da .
Wir dürfen uns aber nicht ausruhen . Denn dieserWohlstand, den wir erarbeitet haben, braucht weiterhinWachstum, und Wachstum braucht freien Handel . Wachs-tum braucht Innovation, und Wachstum braucht Freiheitund Wettbewerb . Deshalb sind das die Stellschrauben,die wir bedienen müssen .Ich will noch einmal zum Freihandel kommen . Es istseit Ricardos Zeiten unbestritten, dass die Nationen, diesich am freien Handel beteiligen, Vorteile davon haben,und zwar beide Beteiligten und auch die Menschen indiesen Ländern .
Alle Länder dieser Welt, die sich nicht am Freihandel be-teiligen, geht es schlechter als denen, die sich beteiligen .Nordkorea geht es in der Tat nicht besser als Südkorea,um damit das Thema Freihandelsabkommen noch ein-mal anzusprechen . Kollege Ernst, in der Tat haben wirauch vorher Autos nach Südkorea exportiert . Nur: Vordrei Jahren lag in Südkorea der Anteil deutscher Autosim Premiumsegment – der Kollege Fuchs hat es ange-sprochen – unter 20 Prozent . Die Mehrheit kam aus Ja-pan und Südkorea . Heute hat sich dies durch veränderteRahmenbedingungen beim Zoll, beim Import und beiden Standards umgedreht . Heute beträgt der Anteil deut-scher Autos im Premiumsegment in Südkorea mehr als80 Prozent . Das ist das Ergebnis des Freihandelsabkom-mens, und deshalb ist Freihandel gut für Deutschland, fürunsere Wirtschaft, die Arbeitsplätze und die Menschen indiesem Land .
Deshalb wollen wir mit CETA, dem Freihandelsab-kommen der Europäischen Union mit Kanada, und demFreihandelsabkommen mit den USA, das verhandeltwird, neue Standards in der Welt setzen, und zwar in al-len Bereichen die höchsten Standards, die wir haben .Alles, was Sie vorhergesagt haben, ist nicht eingetrof-fen . Was haben Sie nicht alles bemüht . Das Chlorhühn-chen ist in der Versenkung verschwunden,
weil alle gemerkt haben, dass das so nicht stimmt . DieVerbraucherschützer haben gesagt: Nein, das ist über-haupt nicht gesundheitsgefährdend .Dann haben Sie von Geheimverhandlungen gespro-chen . Auch das ist an Dummheit nicht zu überbieten .Auch dazu wurden Sie eines Besseren belehrt .Die Schiedsgerichtsverfahren haben Sie unter ande-rem als Paralleljustiz bezeichnet . Dabei sind wir nichtnur diejenigen, die es erfunden haben, sondern wir wärenauch die größten Profiteure.Dr. Joachim Pfeiffer
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Herr Kollege Pfeiffer, der Kollege Gambke möchte
eine Zwischenfrage stellen .
Gerne . Die Redezeit geht eh so schnell um . Vielen
Dank .
Bitte schön .
Herr Pfeiffer, Ihre Behauptungen in Richtung Freihan-
delsabkommen bedürfen einer Bemerkung von meiner
Seite . Sie sagen, dass nur mit einem Freihandelsabkom-
men – Sie sagen aber nicht, mit welchem – der Autoexport
nach Südkorea hätte gesteigert werden können . Ich frage
Sie: Würden Sie, wenn Sie heute einen Kreditvertrag ab-
schließen wollen, einen Vertrag über 10 Prozent Zinsen
unterzeichnen und sagen: „Jeder Kreditvertrag ist gut“?
Oder würden Sie nicht auch meiner Meinung folgen, dass
1,5 bis 2 Prozent Zinsen angemessen wären? Das Gleiche
gilt für Freihandels- und Handelsabkommen . Sie können
heute Autos in die USA exportieren . Es geht allein um
den Zoll, der übrigens für Pick-ups 14 Prozent beträgt .
Das heißt, es geht um die Inhalte eines Abkommens und
nicht um ein Abkommen als solches .
Das ist doch unstrittig . Da haben Sie völlig recht . Ge-
nau deshalb verhandeln wir doch über dieses Freihandels-
abkommen .
Wir als Bundesrepublik Deutschland und die anderen
27 Länder der Europäischen Union haben der Europäi-
schen Union, die federführend über das Abkommen ver-
handelt, ein Mandat erteilt . Darin wurden klare Rahmen-
bedingungen gesetzt, zum Beispiel, dass die Kommunen
hinsichtlich der Daseinsvorsorge keiner Privatisierungs-
pflicht oder Sonstigem, was Sie erwähnen, unterliegen.
Die Kommunen können weiterhin entscheiden, ob sie
Dienstleistungen der Daseinsvorsorge selber erbringen
oder beispielsweise von Dritten erbringen lassen . Wenn
sie sie von Dritten erbringen lassen, dann sind diese Drit-
ten – egal ob sie aus Deutschland, aus Westeuropa, aus
den USA oder aus Kanada kommen – aber selbstver-
ständlich gleichzubehandeln wie Inländer . Das Gleiche
wollen wir in den USA, wo wir heute vom öffentlichen
Beschaffungsprozess weitestgehend ausgeschlossen
sind . Dort gibt es diese Gleichbehandlung also noch
nicht . Deshalb verhandeln wir das . Da haben Sie recht .
Die allermeisten der Grünen – von den Linken sowie-
so – und andere Empörungsaktivisten, die davon leben,
dass sie solche Dinge hochziehen, wissen aber anschei-
nend schon vorher, was dabei herauskommt .
Wir wissen noch nicht, was dabei herauskommt,
sondern wir verhandeln ernsthaft mit den USA, mit Ka-
nada und auch mit anderen Ländern, zum Beispiel, wie
Sie wissen, mit den ASEAN-Staaten und mit China, über
ein Freihandelsabkommen . Im Ergebnis wird dies hof-
fentlich dazu führen, dass der Freihandel weiter zunimmt
und damit alle Beteiligten einen positiven Effekt erzie-
len . Deshalb lohnt es sich, dafür zu kämpfen .
Der Bundeswirtschaftsminister hat an dieser Stelle ja
auch mehrfach eigene Vorschläge gemacht, zum Beispiel
für Schiedsgerichtsverfahren, und gesagt, dass man hier
neue internationale Handelsgerichtsbarkeiten etablieren
könnte . Daran wird hart gearbeitet .
Ich bin eigentlich immer noch bei der Beantwortung der
Frage des Herrn Gambke .
Ja, ja .
Ich sehe gerade aber, die Uhr läuft weiter . – Nach demThema „freier Handel“ möchte ich nun auch auf die In-novationen und den Bereich „Forschung und Entwick-lung“ eingehen .Der Kollege Heil hat es angesprochen: Allein für denForschungsetat stellen wir 16,4 Milliarden Euro zur Ver-fügung, und 3 Milliarden Euro zusätzlich fließen ausdem Etat des Wirtschaftsministers in die anwendungs-orientierte Forschung . Dieses Jahr werden also über19 Milliarden Euro dafür ausgegeben . Seit 2005, seit-dem die Union in die Regierung gekommen ist und sieseither führt, hat sich dieser Betrag mehr als verdoppelt .Damals waren es 7,5 Milliarden Euro, heute geben wirüber 19 Milliarden Euro und damit mehr als 3 Prozentdes Bruttosozialprodukts dafür aus .Insbesondere Sie von den Linken sagen zum wie-derholten Male, die Ausgaben für Luft- und Raumfahrtwären vergebliche Liebesmühe . Entweder Sie wollenes nicht verstehen, oder Sie können es nicht verstehen .Wahrscheinlich beides . Sie fordern auch den digitalenWandel . Als Stichworte seien nur einmal genannt: Inter-net der Dinge, Industrie 4 .0, Connected Cars . Wie soll
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das denn ohne Satelliten und ohne eine genaue Navigati-on funktionieren?
Dafür brauchen wir Galileo, das europäische Satelliten-navigationssystem . Ohne dieses System würde keine An-wendung funktionieren . Flutbewältigung, Registrierungdes Waldwachstums und der CO2-Emissionen, Klima-schutz: Für all dies ist heute eine Erdbeobachtung mithil-fe von Satelliten zwingend notwendig . Anders funktio-niert es nicht . Hierin sind wir weltweit führend .Wie bringen wir die Satelliten ins All? Mit Raketen,und hoffentlich nicht nur mit russischen, amerikanischenoder chinesischen, sondern mit europäischen Trägersys-temen . Deshalb ist es richtig, dass wir die Ariane 6 ent-wickeln und wir in diesem Bundeshaushalt zusätzlicheMittel für die internationale und die europäische Luft-und Raumfahrt einstellen . Genau das Gleiche gilt auchin Bezug auf Airbus . Wir müssen hier die Forschung undEntwicklung vorantreiben .
Das hilft dem Mittelstand und schafft Arbeitsplätze .Für den digitalen Wandel ist in der Tat eine digitaleInfrastruktur notwendig . Deshalb fördern wir den Breit-bandausbau mit zusätzlich über 1,4 Milliarden Euro ausdem Bundeshaushalt . Dies geschieht aber technologieof-fen . Wir brauchen hier mehrere Technologien .Durch den digitalen Wandel ergeben sich auch ganzneue Herausforderungen für den Mittelstand . Ich nennenur einmal das Stichwort „Cybersicherheit“ . Es ist auchfür mittelständische Unternehmen eine der größten He-rausforderungen, dass ihr Know-how gesichert bleibtund nicht auf irgendwelchen Servern in anderen Länderndieser Welt auftaucht und die getätigten Investitionenund erzielten Innovationen verloren gehen . Auch dafürmüssen wir sorgen . Dabei ist das IT-Sicherheitsgesetz einerster Punkt .Herr Kollege Krischer, Störerhaftung ist in der Tatein Problem . Das haben wir erkannt und diskutiert . Am16 . September ist dies im Kabinett, und das Problemwird abgestellt . Sie aber haben sich in der Sache, etwadurch Vorschläge, nicht beteiligt .
Das ist ein schwieriges Thema, bei dem man zwischenDatenschutz und Sicherheit abwägen muss . Wir aberwerden dieses Problem am 16 . September, also nächsteWoche, im Kabinett lösen .
Der WLAN-Zugang ist dann künftig über ein Passwortmöglich . Ich glaube, dieser Vorschlag ist eine gute Lö-sung .
Public-private-Partnership ist angesprochen worden .Das, was Sie gesagt haben, Herr Ernst, ist an Dumm-heit wirklich nicht zu überbieten . Was kann denn daranschlecht sein, wenn man privates Geld mobilisiert? – Ichsehe, der Kollege Ernst meldet sich zu einer Zwischen-frage .
Nein, mit Blick auf die Gesamtredezeit, die wir ver-
einbart haben,
muss ich darauf achten, dass wir im Rahmen bleiben .
Ich weiß, dass Sie gerne eine beliebige Zahl von Zwi-
schenfragen zulassen würden . – Bitte schön . Sie haben
jetzt noch zehn Sekunden .
Was kann schlecht daran sein, wenn deutsche Versi-cherer ihr Geld, privates Geld, in die deutsche Infrastruk-tur investieren? Warum sollen sie es im Ausland inves-tieren?
Was kann schlecht daran sein, dass ausländische Pen-sionsfonds in deutsche Infrastruktur investieren? Garnichts, im Gegenteil .
Insofern sind Ihre Vorbehalte wirklich nicht nachvoll-ziehbar .Es gäbe noch viel zum Thema Energie, zum ThemaWettbewerb und auch zum Thema Arbeitsintegration zusagen .
Aber das müssen wir offensichtlich in der zweiten Rundenachholen . – Sie sehen: Deutschland ist gut regiert undauf gutem Kurs . Wir wollen, dass das weiterhin so bleibt .Die Union wird zusammen mit der SPD in den nächstenJahren dafür sorgen .
Dr. Joachim Pfeiffer
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Julia Verlinden ist die nächste Rednerin für die Frakti-
on BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Ziele des Energiekonzepts aus
dem Jahre 2010 hätten für die Bundesregierung weiterhin
Bestand – das sagen Sie zumindest immer . Wir Grüne
haben diese, also Ihre Ziele für das Jahr 2020, mit den
aktuellen Zahlen aus diesem Sommer verglichen . Das
Ergebnis ist erschütternd: Deutschland ist bei fast allen
Indikatoren noch weit von seinen Zielen entfernt . Ob
beim Energiesparen im Verkehr, beim Heizen oder beim
Stromverbrauch: Das Erreichen Ihrer eigenen Ziele liegt
in weiter Ferne, obwohl uns nur noch fünf Jahre bleiben .
Auch bei der Nutzung der erneuerbaren Wärme oder der
Elektromobilität geht es absolut gar nicht voran . In der
Schule gäbe es für dieses Ergebnis eine glatte Sechs .
Jetzt könnte man erwarten, Sie machen das wie jede
professionelle Organisation oder wie ein Wirtschaftsun-
ternehmen: Sie analysieren die Zahlen, merken, dass Sie
nicht auf dem richtigen Pfad sind, und steuern um . Dazu
böten jetzt die Haushaltsberatungen eine wunderbare Ge-
legenheit, etwa Programme aufzulegen, damit Sie das,
was Sie sich selbst vorgenommen haben, bis zum Jahr
2020 auch schaffen . Aber das Gegenteil ist der Fall . Es
gibt ein gelangweiltes Schulterzucken, und Sie machen
einfach weiter wie bisher . So kann man Sie als Regierung
echt nicht ernst nehmen!
Die Energiewendeziele sind ja kein Selbstzweck,
sondern sie sind angesichts der Klimakatastrophe über-
lebensnotwendig . In diesem Haushalt sehe ich: Sie haben
den Ernst der Lage noch nicht begriffen .
Im Haushalt sind viel zu wenig Mittel für Effizienz und
Erneuerbare, und Sie fördern weiter fossile Energieträ-
ger, anstatt endlich den Ausstieg einzuleiten .
Beispiel Energieeffizienz. Die steuerliche Förderung
der energetischen Gebäudesanierung ist bekanntlich an
Ihrem Rumpelstilzchen aus Bayern, an Herrn Seehofer,
gescheitert . Die Ersatzmaßnahmen, die Sie nun planen,
werden wohl kaum dieselbe Wirkung wie die steuerliche
Förderung erzielen .
Oder die erneuerbaren Energien im Wärmebereich .
Seit Jahren dümpelt der Anteil bei 10 Prozent vor sich
hin . Sie erzählten uns noch im Frühjahr, Sie hätten die
Förderungsbedingungen für das Marktanreizprogramm
verbessert, stellen jetzt dafür aber nur 1 Prozent mehr
Mittel ein . Warum trauen Sie Ihren eigenen Verbesserun-
gen nicht mehr zu?
Für Kanzlerin Merkel und Minister Gabriel gehen
Lobbyinteressen der fossilen Energiewirtschaft vor Kli-
maschutz und Energiewende . Mit dieser Politik werden
Sie beim Klimagipfel in Paris wahrlich niemanden be-
eindrucken .
Die Frage, die man sich stellen müsste, ist doch: Wen und
was wollen wir mit staatlichen Mitteln und Maßnahmen
eigentlich unterstützen? Diejenigen, die die Energiewen-
de blockieren, die gegen unsere oder Ihre Ziele arbeiten,
weil sie ihre dahinschmelzenden Besitztümer auf Kosten
der Allgemeinheit retten wollen? Oder besser diejenigen,
die mithelfen wollen, unsere Klima- und Energiewende-
ziele umzusetzen?
RWE, Vattenfall und E .ON haben sich bisher nicht
als Verbündete der Energiewende hervorgetan . Im Ge-
genteil: RWE versucht verzweifelt, das Auslaufmodell
Braunkohle weiter am Laufen zu halten . Wie verzweifelt
muss ein Konzern sein, der auf friedliche Protestaktionen
mit Gewalt antwortet, den Konflikt auf dem Rücken der
Polizei austrägt und Journalisten bei ihrer Arbeit hindert?
Und dennoch richten Sie, Herr Gabriel, Ihre Energie-
politik ausgerechnet an den großen Unternehmen aus, an
denen, die die Energiewende bisher weitgehend verpennt
haben .
Arbeiten Sie statt mit den quengelnden Konzernen doch
lieber mit den vielen Verbündeten zusammen, mit denen,
bei denen die Energiewende immer viel weiter im Vor-
dergrund stand als bei der Politik . Arbeiten Sie doch mit
den Bürgerinnen und Bürgern zusammen, die seit Jah-
ren in Erneuerbare und Effizienzprojekte investieren, mit
Handwerksbetrieben, die sich auf die Montage von Pho-
tovoltaik- und Solarthermieanlagen spezialisiert haben,
mit den innovativen Betrieben aus dem Mittelstand, die
Energiespartechniken entwickeln, an Speichertechnolo-
gien arbeiten oder dezentrale Energieversorgungskon-
zepte voranbringen . Das sind die wirtschaftlichen Akteu-
re, die mithelfen wollen, die Klimaziele zu erreichen .
Auf die Unterstützung von E .ON, Exxon, Shell oder
RWE können Sie lange waren .
Nun gut, Herr Gabriel, die Kohleabgabe war ein Ver-
such; aber die Lobby hat nun einmal beste Drähte ins
Kanzleramt . Deswegen hat Merkel dieses Ansinnen kas-
siert, bevor es ernst werden konnte – und das nur we-
nige Tage nach Ihren eigenen Klimabeschlüssen beim
G-7-Gipfel . Worte und Taten klaffen bei dieser Bundes-
regierung leider nach wie vor meilenweit auseinander .
Geben Sie doch einfach zu, dass es Ihnen egal ist, ob Sie
Ihre eigenen Energiewendeziele erreichen oder nicht .
Das wäre wenigstens ehrlich .
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,möchte ich den früheren Generalsekretär der Ver-einten Nationen, Kofi Annan, auf der Gästetribüne desBundestages herzlich begrüßen .
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Lieber Herr Annan, uns ist nicht nur Ihre verdienstvol-le Arbeit als Generalsekretär in respektvoller Erinnerung,viele von uns erinnern sich auch gerne an die Rede, dieSie hier im Deutschen Bundestag im Februar 2002 gehal-ten haben . Wir verfolgen mit nicht geringerem Respektdie Arbeit, die Sie mit Ihrer Stiftung nach dem Ausschei-den aus Ihrem hohen Amt bei den Vereinten Nationenweiter für Frieden und nachhaltige Entwicklung auf sich genommen haben .Wir wünschen Ihnen einen guten und interessantenAufenthalt in Berlin und viele aufschlussreiche und in-formative Gespräche . Seien Sie uns herzlich willkom-men .
Thomas Jurk ist der nächste Redner für die SPD-Frak-tion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Beinahe wäre ich geneigt, auf dieUrsachen für Krieg, Flucht und Vertreibung einzugehen,die ja allzu oft ökonomischen Interessen geschuldet sind .Dabei geht es um mehr als um Waffenlieferungen . Michhat die polemische Debatte insbesondere vonseiten derOpposition unangenehm berührt . Ich begrüße ausdrück-lich die rigide Genehmigungspraxis des Bundeswirt-schaftsministers in diesen Fragen, auch wenn ich mirpersönlich vorstellen könnte, dass es gar keine Waffen-lieferungen gibt .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zuRecht beschrieben worden, dass sich die Wirtschaft inDeutschland momentan in gutem Zustand befindet. Daswollen wir auch fortsetzen, und ich glaube, dass der Bundeswirtschaftsminister der Garant dafür ist .Andererseits operieren wir in einem wirtschaftspolitischschwierigen Umfeld . Ich konnte vor wenigen WochenBundeswirtschaftsminister Gabriel auf seiner Reise nachChina begleiten . Ich war als sächsischer Wirtschaftsmi-nister zweimal in China . Ich gestatte mir den Vergleich,dass sich dort vieles zum Negativen verändert hat . Ge-rade die aktuelle Situation in China sollte uns hellhörigmachen, weil sie nicht nur Auswirkungen auf unsere Ex-porte nach China hat, sondern auch generell enorme kon-junkturpolitische Effekte haben kann . Deshalb müssenwir das alles im Auge behalten .Es ist richtig, dass wir das, was wir in der Vergan-genheit getan haben, fortsetzen müssen . Wir müssen diedeutsche Wirtschaft weiter stärken, Innovationen voran-treiben, Investitionen unterstützen und unsere Fachkräf-tebasis sichern sowie die Energiewende zum Erfolg füh-ren . Dafür tut diese Bundesregierung eine ganze Menge .Das will ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich fest-halten .
– Schön, dass das beniest wird .Wenn man sich den Haushaltsplan anschaut, dannstellt man fest – das erspare ich der geschätzten Vorred-nerin Frau Verlinden und Herrn Krischer nicht –: Sie dür-fen nicht nur den Einzelplan 09 des Bundesministeriumsfür Wirtschaft und Energie sehen . All diejenigen, die aufder Zuschauertribüne sitzen, kennen unser Fachchine-sisch nicht unbedingt . Deshalb sage ich: Es gibt auch ei-nen Einzelplan 60 . Dort ist beispielsweise das Zukunfts-investitionsprogramm verankert. Da fließen im nächstenJahr 340 Millionen Euro in Aufgaben der Wirtschaft undder Energiewende . Wenn man das addiert, stellt man fest:Das ist eine großartige Leistung . Das wird uns weiter vo-ranbringen .
– Lieber Kollege Mitberichterstatter Andreas Mattfeldt,du hast völlig recht: Wir müssen weiter aufklären . Wirmüssen aufklären, dass sich insbesondere die Digitalisie-rung in diesem Haushaltsplan wiederfindet. Wir stockendort um 10 Millionen Euro auf und erreichen ein Mittel-volumen von 85 Millionen Euro . Es könnte immer nochmehr sein. Aber wir haben auch andere Verpflichtungenim Rahmen dieses Haushaltes zu bewältigen .Sehr positiv ist – darauf ist Minister Gabriel be-reits eingegangen – die Erhöhung der Mittel für dieGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“, ein ganz besonders bewährtes Ins-trument, das dazu dient, durch Investitionszuschüsse ins-besondere die mittelständische Wirtschaft voranzubrin-gen . Hier erreichen wir übrigens, wenn man die Mittelaus dem Einzelplan 09 und dem Einzelplan 60 addiert,wieder das Mittelvolumen von 2009, nämlich 624 Mil-lionen Euro . Das ist ein gutes Signal . Gemeinsam mitden Ländern wollen wir im Rahmen der GRW auch dieWirtschaft in den Bundesländern voranbringen .
Nicht nur in Zeiten der großen Migrationsanforder-un-gen wird es wichtig sein, in Ausbildung, Weiterbildungund Qualifizierung zu investieren. Wir tun dies unteranderem bei den Fortbildungseinrichtungen des Hand-werks . Die entsprechenden Mittel erhöhen wir im Ver-gleich zu 2015 um 7 Millionen Euro . Damit unterstützenwir sowohl die digitale Ausbildung als auch die techno-logieorientierte Fort- und Weiterbildung im Mittelstand .Wo viel Licht ist, gibt es auch Schatten im Haushalt .Es wurde bereits angesprochen: Ich bin nicht bereit, zuakzeptieren, dass wir den Mittelansatz bei dem ZentralenInnovationsprogramm Mittelstand, ZIM, und der indus-triellen Gemeinschaftsforschung reduzieren .
Ich denke, dass wir während der Haushaltsberatungennoch eine Lösung finden werden; denn gerade diese bei-den Bereiche sind wichtige Innovationsmotoren für diemittelständische Wirtschaft in Deutschland . Ich denke,dass wir uns über den Kreis der Berichterstatter hinausPräsident Dr. Norbert Lammert
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einig sind und dafür sorgen werden, dass sich das ver-ändert .
Es wurde bereits angesprochen, dass es eine Reihedurchaus sehr sinnvoller Projekte im Rahmen der Luft-und Raumfahrt gibt . Man muss nicht unbedingt ein gro-ßer Freund der Ariane 6 sein, der neuen Trägerrakete,die Satelliten ins All befördern soll . Ich hätte mir aucheine Weiterentwicklung der Ariane 5 vorstellen können .Nun ist das aber am 2 . Dezember vergangenen Jahresauf europäischer Ebene anders vereinbart worden . Darankommen wir nicht vorbei . Wir müssen die Mittel bereit-stellen . In diesem Zusammenhang erlaube ich mir denHinweis, dass wir in Deutschland andere Branchen ha-ben, die es in besonderem Maße verdient hätten, mehrUnterstützung zu erfahren . Ich erinnere beispielsweisean die maritime Wirtschaft, die in Deutschland immerhin380 000 Menschen Arbeit bietet . Dafür sollten wir wäh-rend der Haushaltsberatungen Lösungen finden.
Mein geschätzter Bundesminister Gabriel hat mirzwei Minuten Redezeit geklaut . Deshalb will ich nun zu-sammenfassen: Wir sind in einer schwierigen, einer erns-ten Situation. Wir sprechen seit Tagen darüber. Ich finde,dass das Problembewusstsein in diesem Haus wächst .Mich hat aber an der Debatte gestört, dass die Opposi-tion über manches Klein-klein diskutiert hat . Es ist jetztnicht die Stunde der Zauderer und Bedenkenträger . Wirmüssen diese Aufgaben anpacken . In diesem Sinne freueich mich auf die Beratungen über Einzelplan 09 des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Energie .
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter
für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gestern wurde der Referentenentwurf für ein neues Ener-giewirtschaftsgesetz vorgelegt . Ich habe schon Reaktio-nen gehört wie: Alles toll! Alles super! Wir erreichen dieKlimaziele . Es gibt ein neues Strommarktdesign . – Jetztkann ich nur sagen: Das wesentliche Ergebnis ist: DieEnergiekonzernchefs haben wieder einmal erfolgreichdie Hand aufgehalten . Herr Krischer, da wird nichts si-muliert, sondern die Regierung schiebt Kohle rüber .
Sie macht ein Geschenk in Höhe von Hunderten vonMillionen Euro jährlich für eine Kraftwerksreserve, dieeigentlich niemand braucht .
Herr Gabriel hat immer wieder von Überkapazitätengesprochen . Jetzt frage ich mich: Wozu braucht mandiese teure Reserve? Wer vergoldet die überflüssigenBraunkohleruinen? Die Bürgerinnen und Bürger – werauch sonst? – entweder über ihre Stromrechnung odermit ihren Steuern . Jetzt nennen Sie das auch noch Kapa-zitäts- und Klimareserve . Dabei nutzt diese Reserve demKlima eben nicht, auf jeden Fall nicht genug . Sie nutztnur den Konten der Kohlekonzerne; so ist es .
Die Kohleindustrie profitiert sogar doppelt:Erstens . Ihr werden von 22 Millionen Tonnen CO2, dieeinzusparen sie verpflichtet ist, fast 10 Millionen Tonnen,also knapp die Hälfte, einfach geschenkt .Zweitens . Die CO2-Einsparung, zu der sie verpflichtetwäre und die mittels Abschaltung einiger Kohlekraftwer-ke nun in Reserven überführt wird, bekommt sie groß-zügig vergütet . Es ist also ein weiterer Superdeal . Dasist blanker Hohn gegenüber dem ursprünglichen Vor-schlag des Klimabeitrags, der durchaus sanft und klugden schrittweisen Kohleausstieg marktgerecht eingeleitethätte . Diesen Ausstieg hätten wir auch unterstützt, HerrGabriel . Jetzt können Sie von der Regierung nicht ein-mal abschätzen, ob die sogenannte Klimareserve über-haupt die erwünschten Einsparungen bringen wird . Dasweiß man also noch gar nicht . Das ist einfach schwach,schwach, schwach und enttäuschend . Das muss ich Ihnenleider auch sagen: schwach .
In den Sommermonaten gab es in Garzweiler an denKohlebaggern Aktionen, nämlich friedlichen Protest vonKlimaaktivistinnen und -aktivisten und Braunkohlegeg-nern bei der Aktion „Ende Gelände“ . Ich war zu dieserZeit in Bayern . Ich habe mich darüber sehr gefreut . Ichkann hier nur sagen: Die Linke ist mit diesem Protest so-lidarisch .
– Genauso .Wenn die Politik in Berlin bei der Kohlefrage versagt,müssen die Bürgerinnen und Bürger umso mehr aufwa-chen und hellhörig sein und Druck von der Straße aus-üben . Das gilt nicht nur für die Kohle, sondern auch füranderes . Da wird es endlich einmal Zeit .
Ich wünsche, dass es noch mehr werden, die sich gegendie Besitzstandswahrung der Kohleindustrie, aber auchder anderen Konzerne stemmen .Statt der Kohleindustrie ihr vermeintliches Ende zuvergolden, brauchen wir Mittel – Regionalmittel, Struk-turmittel –; denn wir brauchen den schrittweisen Aus-stieg aus der Kohle . Er ist dringend notwendig . Ob diesmittels Kohleausstiegsgesetz, wie es die Linke vorge-schlagen hat, oder ob dies via Klimabeitrag geschieht,den wir auch unterstützen, das ist für mich egal . WichtigThomas Jurk
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ist, es wird gemacht . Es wird jetzt endlich Zeit, dass dasGanze beginnt, und zwar jetzt sofort .
Ich kann nur sagen: Schade für die betroffenen Regi-onen, dass Sie deren Chance wegen kurzfristiger politi-scher Ziele verspielen . Die Regionen bräuchten nämlichdie Unterstützung .Jetzt noch etwas zu den Ausschreibungen . Ich habedazu gehört: Alles super, alles toll, usw . Die Akteursviel-falt ist wirklich gewährleistet . – Ja, bewerben dürfen sichalle, klar . Aber die Ergebnisse sind eben nicht so, wie wiruns das vorstellen . Es sind eben nicht die Bürgerener-giegenossenschaften, die da den Zuschlag erhalten, son-dern andere . Der Zuwachs der Bürgerenergiegenossen-schaften wird immer geringer . Von 2013 bis 2014 hat ersich um 60 Prozent reduziert . Wir haben immer gesagt:Wir halten diese Ausschreibungen für falsch . Wir warenimmer dagegen . Es ist ein Ausstieg aus dem Erneuer-bare-Energien-Gesetz . Deswegen sagen wir: Es ist einkompletter Systemwechsel .Die Bundesregierung bastelt schon am EEG 2016 .Wieder wird beschlossen, Ausschreibungen vorzuneh-men . Die Ergebnisse der letzten sind noch nicht richtigda, aber alles ist toll . Wir wollen die Bürgerenergie stüt-zen . Wir wollen die Energiegenossenschaften stützen .Wir wollen eine demokratische Energie und nicht zurückzu den Konzernen . Wir brauchen Akzeptanz für die rege-nerativen Energien, vor allem auch für die Windkraft . So,wie Sie das jetzt betreiben, wird die Akzeptanz sinken .Wir brauchen aber einen großen Klimabeitrag, und wirbrauchen auch Taten vor Paris .
Das Wort erhält nun der Kollege Karl Holmeier, dem
ich gleichzeitig zu seinem heutigen Geburtstag herzlich
gratuliere . Alles Gute für das neue Lebensjahr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Seit Jahren schaut Europa bewundernd auf Deutschland .Unser Land ist unter der Regierungsverantwortung derUnion, unter unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel dieunbestrittene schwarze Lokomotive Europas . Dank unse-rer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik haben wir einewertvolle finanzielle Handlungsfähigkeit erarbeiten kön-nen . Dank dieser Handlungsfähigkeit, meine sehr verehr-ten Damen und Herren, können wir die aktuellen finan-ziellen Herausforderungen bewältigen, und wir könnendarauf reagieren .
Darüber hinaus halten wir an unserem Ziel einer dau-erhaften schwarzen Null fest . Wir stärken die Investi-tionen des Bundes und vor allem der Kommunen . Wirsichern die Finanzierung der Energiewende und desBreitbandausbaus . An dieser Stelle möchte ich ausdrück-lich einen Dank an unseren Finanzminister Dr . WolfgangSchäuble richten .Sehr verehrte Damen und Herren, Wirtschaft undMärkte verlangen nach Vertrauen . Dieses notwendigeVerlangen haben wir mit Inhalt und Rückhalt erfüllt . DerErfolg gibt uns recht: Deutschland steht heute im euro-päischen Vergleich sehr gut da . Wir haben unsere Haus-aufgaben gemacht . Ganz Europa blickt immer wieder,wie ich schon eingangs gesagt habe, nach Deutschland .Deutschland ist die Lokomotive für Wachstum und Be-schäftigung . Deutschland ist aber auch der Garant für einstabiles Europa . Den Aufschwung in Deutschland habenwir nicht mit Worten herbeigeredet; es waren vielmehrumfassende Anstrengungen auf allen Ebenen des Staa-tes, der Wirtschaft und auch der Beschäftigten . So konn-ten die Weichen für diese hervorragende Entwicklungin Deutschland gestellt werden . Wichtiger Kompass derUnion war und ist der in die soziale Marktwirtschaft ein-gebettete ordnungspolitische Rahmen .Trotz aller Erfolge dürfen wir in Zukunft aber nichtübermütig werden . Hohe Steuereinnahmen wecken Be-gehrlichkeiten, und so lauert die größte Gefahr für dieZukunft im Erfolg der Gegenwart . Es kommt daher jetztdarauf an, den konjunkturellen Rückenwind zu nutzenund die Weichen für die Zukunft zu stellen . Die Heraus-forderungen, meine sehr verehrten Damen und Herren,sind groß:Die Globalisierung wird uns einen noch härterenWettbewerb aufzwingen . Mit dem Abschluss von TTIPund CETA stellen wir uns hier aber aktuell darauf ein .Die Digitalisierung wird alle Lebensbereiche durch-dringen, miteinander verbinden und so die Wertschöp-fungsketten unserer Wirtschaft, aber auch unsere Arbeits-welt grundlegend verändern .Die Demografie trifft kein Land Europas stärker alsDeutschland . Deutschland hat nach Japan die zweitältes-te Bevölkerung der Welt . Diese Herausforderung mussuns stets im Bewusstsein bleiben und auch unser Han-deln prägen .Wir stehen vor der Aufgabe, Deutschland zukunftsfestzu machen . Unser Ziel ist: Schaffung der bestmöglichenRahmenbedingungen für Investitionen und Innovationenunter dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft . Dabei,meine Damen und Herren, müssen wir der deutschenWirtschaft so viel unternehmerische Freiheit und Eige-ninitiative wie möglich lassen . Bei aller Freiheit und Ei-geninitiative hat die deutsche Wirtschaft – darauf legt dieCSU besonderen Wert – auch eine gemeinsam zu tragen-de soziale Verantwortung .Sehr verehrte Damen und Herren, viele Staaten benei-den uns um unseren weltweit einzigartigen ordnungspo-litischen Rahmen . Ihn gilt es immer wieder aufs Neueauszubalancieren – für eine gute Zukunft, an der alleBürgerinnen und Bürger unseres Landes teilhaben .Wir haben Solidität und finanzielle Stabilität wiederzum Kern der Politik gemacht . „Chancen statt Schulden“lautet die Devise . Für die Union hat das ErwirtschaftenEva Bulling-Schröter
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von finanzieller Stabilität Vorrang vor dem Verteilen.In Bayern haben wir die schwarze Null schon seit zehnJahren, beim Bund nun seit 2015 . Andere wollten mehrSchulden, neue und höhere Steuern, eine Anhebung desSpitzensteuersatzes und die Wiedereinführung der Ver-mögensteuer . Wir blieben besonnen . Schulden und höhe-re Steuern: Beides ist Gift für die Wirtschaft und für dieKonjunktur .
Der Erfolg gibt uns recht: Wir haben 2015 den ers-ten ausgeglichenen Haushalt seit 45 Jahren beschlossen .Diesen Kurs werden wir fortsetzen und auch 2016 sowiein den nächsten Jahren eine schwarze Null schreiben . Un-sere Wirtschaft wächst seit 2010 . Das Jahr 2014 konntemit einem Wachstum von etwa 1,6 Prozent abgeschlos-sen werden . Die Wirtschaftsschätzungen sehen für 2015ein Wachstum zwischen 1,6 und 2,2 Prozent und für 2016zwischen 1,7 und 2,3 Prozent vor . 42,99 Millionen Men-schen, also fast 43 Millionen, sind derzeit in Deutsch-land erwerbstätig – ein neuer Rekordwert . Der Erfolg ausdem Vorjahr konnte nochmals um 160 000 Menschen ge-steigert werden . Auch die Zahl der sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigten ist mit einem Rekordwert von30,72 Millionen so hoch wie noch nie . Das ist ein Plusvon 1,2 Millionen Beschäftigten innerhalb der letztenzwei Jahre .Deutschland setzt auf Jugend . Die Jugend hat Chancenwie nie zuvor . Liegt der Durchschnitt der Jugendarbeits-losigkeit im Bereich der Euro-Zone bei 21,9 Prozent, sobescheinigt das Statistische Amt der Europäischen UnionDeutschland eine Arbeitslosenrate von 7,0 Prozent beiden Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren . Wir sinddamit die Besten in Europa . Der unter Verantwortung derUnion eingeschlagene Weg aus Wachsen, Konsolidierenund Reformieren war und ist richtig . Er wird immer mehrzum Vorbild für ganz Europa . Darauf können wir stolzsein .
Mit dem vorliegenden Bundeshaushalt 2016 tragenwir dazu bei, diese guten Aussichten weiter zu festigen .Der klare Kurs der Haushaltskonsolidierung wird trotzneuer Belastungen, die 2016 auf uns zukommen, auchin den nächsten Jahren fortgesetzt werden . Der Haushaltweist 2016 zum zweiten Mal in Folge eine schwarze Nullaus . Der Erfolgsweg aus Wachsen und Konsolidierenwird unbedingt fortgesetzt .Sehr verehrte Damen und Herren, wir fördern den Mit-telstand . Wir fördern Innovationen und investieren wei-ter in Forschung und Entwicklung; all das wurde bereitsangesprochen . Wir unterstützen die Energiewende undsetzen auf Energieeffizienz. Der Haushaltsentwurf 2016ist ein echter Investitionshaushalt . Wir beginnen mit derUmsetzung des bis 2018 angelegten 10-Milliarden-Eu-ro-Investitionsprogramms des Bundes . Der Schwerpunktliegt dabei auf Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur,in den Breitbandausbau, in Energieeffizienz, in den Kli-maschutz und in die Städtebauförderung . Im Jahr 2016werden die Investitionsausgaben um rund 3,9 MilliardenEuro gegenüber 2015 steigen . Wir werden die Bürgerin-nen und Bürger in unserem Land durch die Verbesserungder familienpolitischen Leistungen und den Abbau derkalten Progression um 5 Milliarden Euro steuerlich ent-lasten . Wir stehen zu unserem Versprechen: keine neuenSchulden, keine Steuererhöhungen . Das ist für uns Kerneiner verlässlichen und wachstumsfreundlichen Haus-haltspolitik .Den mit Abstand größten Anteil an den Ausgaben desBundesministeriums für Wirtschaft und Energie bildenmit über 3 Milliarden Euro die Mittel für Forschung, Ent-wicklung und Innovation . Wesentlicher Förderschwer-punkt für den Mittelstand als Innovationsmotor ist auchin Zukunft das bislang sehr erfolgreiche technologie-offene Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIMgenannt . Es ist mit einem Volumen von knapp 538 Mil-lionen Euro das wichtigste auf Innovation ausgerichteteFörderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums .Wir erhöhen die Fördermittel für die Gemeinschaftsauf-gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,wie im Koalitionsvertrag verankert, um 24 MillionenEuro auf insgesamt 624 Millionen Euro . Es ist ein extremwichtiges Programm, gerade für die ländlichen Räumeund auch für die Grenzregionen .
Deutschland, meine Damen und Herren, ist Gründer-land . Wir unterstützen Unternehmensgründungen imJahr 2016 mit knapp 71 Millionen Euro . Das sind wich-tige Zukunftsinvestitionen in den Standort Deutschland .Mit der Digitalen Agenda haben wir ambitionierteZiele gesetzt . Wir wollen, dass im Jahr 2018 jeder inDeutschland schnelles Internet mit 50 Megabit hat, auchund vor allem im ländlichen Raum . Ein schnelles Inter-net und eine gute Verkehrsinfrastruktur sind von großerBedeutung für die deutsche Wirtschaft . Wir bauen beidesweiter aus, und dies kräftig . Wir stärken damit den Stand-ort Deutschland .Sehr verehrte Damen und Herren, die Energiewendeist beschlossen . Sie ist auf den Weg gebracht . Sie ist einrichtiger und notwendiger Schritt auf dem Weg in eineIndustriegesellschaft der Nachhaltigkeit . Eine der Haupt-aufgaben der Großen Koalition ist, die Bürgerinnen undBürger bei der Energie der Zukunft, bei der Energiewen-de mitzunehmen . Begeistern wir die Menschen für dieEnergiewende, dann wird sie auch gelingen . Die Ener-giewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, unddie Zukunft unserer Energieversorgung beschäftigt dieMenschen .Für die CSU ist eine sichere, bezahlbare und saubereEnergieversorgung entscheidend für unsere Lebensqua-lität, unseren Wohlstand, eine intakte Umwelt und eineliebenswerte Heimat . Bayern war schon in der Vergan-genheit ein Vorreiter der Energiewende . Bayern setzt dieEnergiewende vor Ort hervorragend um . Lassen Sie michein Beispiel nennen: In meinem Heimatlandkreis Chamin der Oberpfalz wurden bereits im Jahr 2014 56,2 Pro-zent des gesamten Stromverbrauchs, ob für Private oderWirtschaft, durch erneuerbare Energieträger erzeugt . Wirwerden 2015/16 die 60-Prozent-Marke schaffen .Karl Holmeier
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Wir brauchen ein neues Marktdesign, mehr Energie-effizienz, Speicherkapazitäten und ein leistungsfähigesStromnetz .
Ein zweiter Schwerpunkt des Haushaltsentwurfs 2016 istdaher die kontinuierliche Umsetzung der Energiewende .Es stehen große Herausforderungen an . Dazu werden wirgewisse Fördermaßnahmen auf den Weg bringen .Insgesamt stehen dem Bundesministerium für Wirt-schaft und Energie knapp 3 Milliarden Euro für die Ge-staltung der Energiewende zur Verfügung .Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Her-ren: Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf stellt dieBundesregierung unter Beweis, dass sie einen Zukunfts-plan hat . Wir planen und gestalten die Zukunft Deutsch-lands . Wir stärken die wirtschaftliche Entwicklung un-seres Landes nachhaltig und langfristig . Deutschland istdas starke Herz im Zentrum Europas . Darauf können wirstolz sein, genauso wie auf unsere Bürgerinnen und Bür-ger, auf unsere Wirtschaft und auf unser Land .Vielen Dank .
Nach der Gratulation zu Ihrem Geburtstag gratuliereich Ihnen jetzt auch zur Punktlandung bei der EinhaltungIhrer Redezeit .Ich erteile nun dem Kollegen Dr . Thomas Gambke fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Holmeier, auch ich gratuliere zum Geburtstag, aber nichtzu dieser Rede .
Sie sprachen das Projekt ZIM an . Es ist natürlich einsehr wichtiges Projekt . Kollege Jurk hat Gott sei Dankdarauf aufmerksam gemacht, dass die Mittel hoffentlichnoch erhöht werden . Sie haben aber nicht gesagt – dashat Ihnen Ihr Büro anscheinend nicht aufgeschrieben –,dass der Umfang reduziert wurde . Weder Herr Jurk nochirgendjemand hat gesagt, dass dieses Programm leiderwegen zu später Ausschreibung des Projektträgers ersteinmal fünf Monate auf Eis gelegt wurde . Das ist keinevernünftige Wirtschaftspolitik . Das ist Verhinderung . Ichhoffe, dass wir das im Rahmen der Haushaltsberatungenbeheben können .
Ich möchte gar nicht darum herumreden: Es heißt immer,wir haben eine gute wirtschaftliche Situation . Aber ichsage: Wir haben eine hervorragende wirtschaftliche Situ-ation . Das ist gar keine Frage . Peinlich ist es manchmal,zu hören, wer sich die Orden an das Revers heftet . AlsUnternehmer sage ich: Auch bei den Unternehmen mussman sehen, dass es eine Menge Windfall Profits – so sagtman – gibt . Das ist der Dollarkurs, das ist der Ölpreis .Das deutet darauf hin, dass wir uns nicht notwendiger-weise auf einem Wachstumspfad befinden, sondern dasswir erhebliche Herausforderungen vor uns haben, undzwar nicht nur in der Frage der Flüchtlinge, was hier dan-kenswerterweise sehr nüchtern, verantwortungsvoll undin großer Breite von uns diskutiert wurde, sondern auchin den Bereichen, die sehr wenig angesprochen wurden:Digitalisierung, demografische Veränderung, Änderungin der Mobilität . Weil wir hier ja gar nicht so viel überZahlen, sondern mehr über Inhalte reden, hätte ich er-wartet, dass die Herausforderungen, die damit verbundensind, hier auch einmal angesprochen werden .
Wenn Sie mit dem Mittelstand sprechen, stellen Siefest, dass man sich da heute große Sorgen macht . Unteranderem fragt man sich: Was passiert mit China? Die Ab-hängigkeit der deutschen Automobilindustrie von Chinaist eben sehr hoch . Vor vier Wochen war ich in Asien,als gerade die Börsenkurse fielen. Da habe ich sehr vielebesorgte Gesichter gesehen . Vor dem Hintergrund, dassein bayerischer Automobilbauer aus dem Premiumseg-ment ein Drittel seines Gewinns in China erzielt, weißman auch, was da auf uns zukommen kann .Insofern – ich sage es noch einmal – sind die Rahmen-bedingungen, die wir setzen, wichtig . Damit können wirder Wirtschaft helfen und sie unterstützen . Herr Fuchs,das tun wir aber nicht – Herr Heil hat es in Bezug aufden Mindestlohn gesagt; ich sage es jetzt in Bezug aufdie Werkverträge –, indem wir notwendige strukturel-le Verbesserungen verhindern . Ganz im Gegenteil: Wirbrauchen diese Verbesserungen . Denn das Instrument desWerkvertrags lässt es zu, dass für 3,50 Euro die Stundegearbeitet wird . Das müssen wir verhindern . Herr Fuchs,da sollten Sie jetzt nicht die alten Dinge ausgraben .
Rahmenbedingungen zu thematisieren, bedeutet auch,zu sagen, dass nicht nur der Wirtschaftsminister, sondernauch andere Ministerien gefordert sind . Bei der Digita-lisierung geht das gründlich in die Hose . Vier Ministeri-en streiten sich . Wir sind so zu spät dran . Wir sind nichtkoordiniert . Ein Mittelständler sagte mir, er hat geradeprivat 3 Millionen Euro in ein Glasfasernetz investierenmüssen, um seinen im Schwäbischen angesiedelten Be-trieb ans Netz anzubinden und ihn so leistungsfähig zuhalten . Ja, das kann doch nicht sein! Erwin Huber hat im-mer wieder versucht, dieses Problem in Niederbayern da-durch zu lösen, das privat investiert wird . Herr Holmeier,das war vor fünf Jahren falsch, und das ist auch heutefalsch, weil es im ländlichen Bereich eben nicht ohneeine substanzielle Unterstützung geht . Herr DobrindtKarl Holmeier
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sagt: Hier sind 3 Milliarden Euro . Macht, was ihr wollt . –Das ist nicht koordiniert . So wird das nicht funktionieren .
Es sind aber auch andere Bereiche gefordert . Kommenwir noch einmal auf die Digitalisierung zurück . Als Uberauf den Markt kam, waren wir alle – ich auch – ja er-schüttert, dass die Firma keine Steuern zahlt, keinen Ver-braucherschutz gewährleistet und anderes . Die Idee, diedahintersteckt, ist allerdings gut, nämlich über das Netzindividuelle Mobilität zu organisieren, gerade im ländli-chen Raum . Deshalb ist es notwendig, dass man „proac-tive“, also in die Zukunft schauend, darüber nachdenkenmuss, wie man die juristischen bzw . die verbraucher-schutzrechtlichen Rahmenbedingungen schafft . Dazuhöre ich aber gar nichts . Dabei wäre hier wie in vielenanderen Bereichen Rahmensetzung so wichtig .
Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein wenig dazusagen, was ich als Finanzpolitiker für notwendig erach-te . Wir müssen nämlich auch mithilfe der Finanzpolitikfür fairen Wettbewerb sorgen; aber den Begriff habe ichweder bei Herrn Gabriel noch bei Herrn Fuchs gehört,und Herr Pfeiffer hatte schon angekündigt, dass er ausZeitgründen nicht dazu kommt . Herr Gabriel, wir habeneinen Umsatzsteuerbetrug im Umfang von 6 bis 10 Mil-liarden Euro . Das wird im BMF verleugnet; die Länderjedoch sehen einen wettbewerbsverzerrenden Umsatz-steuerbetrug im Umfang von 6 bis 10 Milliarden Euro .Die Methoden liegen auf der Hand . Die sind im Ham-burger Taxigewerbe eingeführt worden . Dass hier etwasgeschieht, wird aber von der Bundesregierung blockiert .Bitte denken Sie darüber einmal nach .
Ich will jetzt gar nicht auf die Hotelsteuer und andereBranchensubventionen zu sprechen kommen, bei denenwir eigentlich auch etwas tun müssten .Meine Damen und Herren, diese Bundesregierunghat verflucht viele Hausaufgaben zu machen, nicht nurim Bereich der Flüchtlinge . Ich denke, dass es absolutnotwendig und wichtig ist, entsprechende Rahmenbedin-gungen zu setzen, um das hinzukriegen, was wir brau-chen, nämlich mehr Investitionen, vor allen Dingen imprivaten Bereich . Das bekommen wir nur hin, wenn Sieendlich Ihre Hausaufgaben machen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat Andreas Lämmel,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Gestern Abend hat der Präsident der Bundesver-einigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Herr Kra-mer, anlässlich des Parlamentarischen Abends von BDI,BDA und DIHK noch einmal deutlich gemacht, dass diedeutsche Wirtschaft – das ist ja von niemandem bestrit-ten worden – sich in einer sehr guten Verfassung befin-det, allerdings geschmiert durch einen niedrigen Ölpreis,niedrige Zinsen und einen günstigen Wechselkurs . Er hatauch noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass diesepositive Entwicklung kein Selbstläufer ist, sondern dasssich erstens die Weltwirtschaft immer wieder in durchausfragilen Zuständen befindet und zweitens auch die Poli-tik in Deutschland immer wieder einmal dazu neigt, mitÜberregulierung und Bürokratisierung den Unternehmendas Leben schwer zu machen . Und er warnte davor, diesweiter auszubauen .Meine Damen und Herren, wenn wir heute über denHaushaltsplan des Bundeswirtschaftsministers diskutie-ren, den Einzelplan 09, dann muss man erst einmal ganzgrundsätzlich sagen: Wirtschaftspolitik ist Zukunftspoli-tik . Denn die Maßnahmen, die wir heute zum ersten Maldiskutieren und im November dann beschließen werden,wirken ja nicht kurzfristig, sondern sie sind eigentlichalle mittel- und langfristig angelegt . Deswegen muss mansich, wenn man sich den Haushaltsentwurf anschaut, ersteinmal – das möchte ich klar sagen – die Frage stellen:Werden die Haushaltsansätze des Wirtschaftsministersletztendlich diesem Grundsatz gerecht, und werden hierdie Grundlagen gelegt für eine zukünftige wirtschaftlicheEntwicklung?Positiv an dem Haushaltsentwurf ist, dass er deutlichübersichtlicher geworden ist . Die fünf Kapitel, die manjetzt im Haushaltsentwurf findet, sind doch dazu ange-tan, die Titel etwas besser zu sortieren, obwohl ich sagenmuss, dass durch die vielen Querverweise, durch De-ckungsvermerke und letztendlich durch die hohe Vorbin-dung über Verpflichtungsermächtigungen ein klares Bildnicht sofort ablesbar ist . Man muss sich vielmehr bei je-dem Titel die Arbeit machen und genau schauen, wie diewirkliche Situation ist .Grundsätzlich kann man aber sagen: Der Haushalts-planentwurf zeichnet sich aus durch eine hohe Investi-tionsquote, durch hohe Ausgaben im Bereich Forschungund Technologie . Deswegen kann ich überhaupt nichtverstehen, dass die linke Seite meint, hier werde nicht ander Zukunft gearbeitet . Vielleicht haben Sie ja den Planvon vor zehn Jahren in der Hand gehabt, meine Damenund Herren .
Das Programm ZIM wurde ja schon mehrfach ange-sprochen . Hier wird sich die Sache daran entscheiden –das muss man noch einmal ganz klarstellen –, dass erstensder Ansatz nicht zurückgeht – über diese Notwendigkeitsind wir uns, glaube ich, hier im Hohen Hause einig –und dass zweitens genau geguckt wird, wie viele Mittelüberhaupt noch frei verfügbar sind . Die hohe Vorbindungaus früheren Jahren schränkt im Prinzip die Neuvergabevon Mitteln ein, und das ist – glaube ich – ein Punkt,den wir in den nächsten Wochen noch einmal gründlichdiskutieren müssen .Das Gleiche gilt bei der Investitionsförderung im Rah-men der Gemeinschaftsaufgabe GRW . Hier gibt es ausmeiner Sicht zwei Randbedingungen: Zum Ersten müs-Dr. Thomas Gambke
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sen die Länder ihre Verpflichtungen erfüllen, das heißt,sie müssen ihren 50-prozentigen Finanzierungsanteilauch bereitstellen . Zum Zweiten ist auch hier die Fragezu stellen: Wie viele freie Mittel sind noch da? WelchenUmfang hat die sogenannte freie Spitze, um überhauptNeubewilligungen auszusprechen? Hier gibt es also nocheinigen Diskussionsbedarf .Ich möchte nun noch auf ein paar kleinere Titel zusprechen kommen, Herr Minister, die mir aufgefallensind .Das Explorationsprogramm wird eingestellt .
Das Explorationsprogramm diente ja dazu, deutschenUnternehmen den Weg zur Exploration von Rohstoffenzu erleichtern, und es war eigentlich ein neues Programm .Nun schreibt das Bundeswirtschaftsministerium dazu:Der Bedarf war in den letzten Jahren nicht da, deswegenwird das Programm eingestellt . – Ich bin mir nicht hun-dertprozentig sicher, ob das wirklich der richtige Weg istoder ob man nicht noch einmal klarer analysieren müsste,warum es denn so schlecht gelaufen ist . Gab es wirklichkeinen Bedarf? Oder sind die Bedingungen schlecht ge-wesen? Muss man also daran etwas ändern?
Ich weiß nicht, ob es wirklich gut ist, neu beschritteneWege so schnell wieder zu beenden .Dann zu dem Themenbereich Außenwirtschaft: Das istim Prinzip auch ein sehr wichtiger Punkt; denn Deutsch-land ist wieder Exportweltmeister, und die Begleitungund Unterstützung vor allen Dingen kleiner und mittlererUnternehmen im Ausland durch den Staat und die Kam-mern sowie die Präsenz Deutschlands im Ausland sindeine ganz wichtige Sache . Hier bleiben die Ansätze ersteinmal bestehen . Man schreibt auch in den Begleittexten:Es werden wieder einige Dependancen etwas aufgewer-tet . Aber wenn man in Außenhandelskammern nachfragt,zeigt sich das Problem, dass zwar die Grundausstattungvieler Außenhandelskammern finanziell gesichert ist,aber man eigentlich nicht wirklich etwas machen kann,weil die großen Außenhandelskammerstandorte oft-mals im Verhältnis zu den kleineren finanziell wesent-lich schlechter ausgestattet sind und eigentlich wenigerProjektmittel zur Verfügung haben, um ihren Aufgabengerecht zu werden .Jetzt komme ich auf mein Lieblingsthema: die Prä-senz Deutschlands in Afrika . Natürlich weiß ich um dasProblem, dass man nicht in jedem der afrikanischen Län-der eine Außenhandelskammer oder ein Delegationsbüroeröffnen kann . Aber ich würde trotzdem anregen, HerrMinister, dass man dieses Thema im Außenwirtschafts-beirat mit auf die Tagesordnung setzt, um einfach für dienächsten Jahre eine Strategie zu entwickeln, wie wir inAfrika präsenter werden können . Zumindest besteht dabei uns ein großes Interesse .
Ich komme jetzt auch zum Thema Fluchtursachenbe-kämpfung . Da haben Sie, Herr Minister, einen Haushalts-titel, über den Mittel für Transformationspartnerschaftenbereitgestellt werden . Der Ansatz für Transformations-partnerschaften in Ihrem Haushalt ist mit 1 Million Euroausgestattet, die zunächst vorrangig für Partnerschaftenmit Ägypten und Tunesien bereitgestellt werden . Ich hal-te das grundsätzlich für eine gute Idee . Ob man mit derMillion hinkommt, kann ich im Moment nicht einschät-zen . Herr Minister, da wäre doch jetzt eigentlich die gro-ße Chance, sich mit dem BMZ zusammenzusetzen . DasBMZ hat ja einen enormen Aufwuchs an Mitteln .
Man könnte somit versuchen, über das Mischen von Gel-dern gemeinsame Projekte mit einem größeren Push zuversehen . Oftmals scheitern die Projekte ja daran, dasssie weder richtig ins Wirtschaftsministerium noch rich-tig ins BMZ passen . So wäre zu fragen, ob man bei denTransformationspartnerschaften nicht einmal – ich hal-te es für notwendig, diesen Weg zu beschreiten – inter-ministeriell zusammenarbeiten könnte, um in den beidenMusterländern, mit denen wir diese Partnerschaften ein-gegangen sind, etwas zu bewegen .
Das würde ich jedenfalls anregen . Wir können Ihnenzusagen, dass wir diesen Prozess sehr intensiv begleitenwürden . Denn das könnte ja auch ein Modell für andereLänder werden und dafür sorgen, dass man in verschie-denen Bereichen vorankommt .Dann möchte ich hier natürlich eine Lanze für eineBranche brechen, die während der Haushaltsverhandlun-gen immer sehr wenig stattfindet: den Tourismus.
Meine Damen und Herren, der Tourismus ist für Deutsch-land eine wichtige Wirtschaftsbranche .
Die Unternehmen im Bereich des Tourismus sind meis-tens mittlere und kleine Unternehmen . Sie können ihreArbeitsplätze nicht in den Rucksack stecken und nachTschechien oder nach China gehen, sondern sie müssenmit den Bedingungen hier in Deutschland klarkommen .Die Gästezahlen haben sich in Deutschland in den letztenJahren sehr positiv entwickelt . Das erfreut uns natürlichsehr .
Auch die Mittel für das Marketing von Deutschland ha-ben sich in den letzten Jahren etwas nach oben entwickelt .Nun hat aber im Haushaltsentwurf eine Verschiebungstattgefunden, Herr Minister . Dass die Deutsche Zentra-le für Tourismus eine halbe Million Euro zusätzlich be-kommt, um die Marktbearbeitung im Ausland zu intensi-vieren, ist erst einmal ganz gut . Aber ich weiß nicht, obes überall Zustimmung finden wird, dass man das Geldinnerhalb des Tourismustitels verschiebt und bei denMitteln für Studien und Untersuchungen wegnimmt, diedazu da sind, neue Entwicklungen zu untersuchen undAndreas G. Lämmel
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herauszufinden, welche neuen Wege in Deutschland be-schritten werden könnten . Das ist sicherlich diskussions-würdig, auch wenn wir wissen, dass der Bund eigentlichnicht die Kompetenz im Bereich Tourismus hat,
sondern die Länder hier verantwortlich sind .Meine Damen und Herren, wir wissen auch: Touris-muspolitik ist oftmals ziemliche Kirchturmpolitik . Wennman also deutschlandweite Initiativen wie zum Beispieldie Servicequalitätsinitiative installieren will – die Ser-vicequalitätsinitiative ist ein gutes Beispiel, weil man eshier erstmalig geschafft hat, ein Label für ganz Deutsch-land zu schaffen –, dann braucht man auch ein paar Mit-tel, um von der Bundesebene aus solche Vorhaben mitvoranzubringen .
– Ja, Herr Heil, ich nehme mal an, Sie werden uns dabeihelfen . – Ich denke, dass wir im Ausschuss noch einigeDiskussionen zu führen haben, bis der Haushaltsentwurfletztendlich verabschiedet werden kann .Grundsätzlich muss man sagen: Die Entwicklung gehtin die richtige Richtung, die Prioritäten sind gesetzt, undjetzt kommt es darauf an, die entsprechenden Details zuregeln . Ich bin insofern optimistisch, dass wir im Haus-halt einen guten Einzelplan 09 hinbekommen werden .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Der Kollege Andreas Mattfeldt spricht
jetzt für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Lieber Hubertus Heil, ein bisschenernsthaft wollen wir schon sein, da wir ja gerade auchbei der Beratung des Haushalts des Wirtschaftsministe-riums feststellen konnten, dass die Flüchtlingssituationnatürlich auch diese Debatte bestimmt hat . Ich glaube,wir sind uns einig, wenn ich sage, dass dieses Themavor allem ein Wirtschaftsthema ist; denn bei all den zubewältigenden Problemen kann Zuwanderung für vieleUnternehmen eine große Chance bedeuten, eine Chance,dass wir unseren Wohlstand, der auf einer großartigenWirtschaftsleistung der vergangenen Jahrzehnte aufbaut,auch zukünftig erhalten .Aber zunächst einmal stellen 800 000 Flüchtlinge einegroße Herausforderung dar, vor der wir alle stehen . ZurWahrheit gehört, dass wir eine solche Anzahl nicht dau-erhaft werden bewältigen können . Dass viele Mitbürgerin unserem Land angesichts einer solchen Anzahl vonFlüchtlingen Ängste haben und sich fragen, wie Bund,Länder und Kommunen die Unterbringung und auch dieIntegration bewältigen wollen, ist, wie ich glaube, nurallzu verständlich . Nicht alle Mitbürger, die uns kritischeFragen stellen, sind extrem . Mitnichten, viele Mitbürgersind ernsthaft besorgt, sie haben Angst, und wir solltenuns davor hüten – was ich ab und an latent höre –, dieMitbürger, die kritische Fragen aufwerfen, sofort in eineextreme Ecke zu stellen .Wir als Politik müssen Antworten geben, wir müs-sen Entscheidungen treffen, gerade auch um Ängsten zubegegnen . Deswegen ist es richtig, dass der Koalitions-ausschuss Regelungen zur Bewältigung der Flüchtlings-situation getroffen hat . Diese müssen wir jetzt sehr zü-gig umsetzen . Ob die Maßnahmen ausreichend sind, daswerden wir heute sicherlich noch nicht bewerten können;das müssen wir später analysieren .Auch wenn die Wirtschaftspolitik bei diesem Themanicht federführend ist, so kommt der Wirtschaft in dieserFrage eine besondere Bedeutung zu . Denn nur wenn esgelingt, gemeinsam mit der Wirtschaft das Potenzial unddie Motivation der Menschen, die zu uns kommen, zunutzen, nur dann wird Integration gelingen . Deshalb sageich ganz deutlich: Für die deutsche Wirtschaft können dieFlüchtlinge, von denen nicht alle, aber einige mit guterAusbildung hierherkommen und die willig sind, sich hierausbilden zu lassen und zu arbeiten, eine Chance bedeu-ten .Wir müssen aber – auch das gehört zur Wahrheit,wenn wir keine dauerhaften sozialen Probleme erlebenwollen – erfolgreicher sein als bei den Flüchtlingen, dievor drei Jahren zu uns gekommen sind . Von denen konn-ten lediglich 12 Prozent in den Arbeitsmarkt integriertwerden . Ich glaube, wir sind uns einig: Das ist beileibe zuwenig . Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass ge-rade das neue Ausbildungsjahr begonnen hat und auch indiesem Jahr wieder 40 000 Lehrstellen unbesetzt bleiben .Der Fachkräftemangel führt in einigen Betrieben bereitsso weit, dass Aufträge abgelehnt werden, dass bestehen-de Produktionskapazitäten nicht ausgenutzt werden .Wir sollten aber auch so realistisch sein, zuzugeben,dass wir das Problem des Fachkräftemangels für großeBereiche unserer Wirtschaft nicht ausschließlich durchFlüchtlinge werden lösen können . Deshalb haben wirzur Bekämpfung des Fachkräftemangels zahlreiche Pro-gramme, über viele Bundesministerien verteilt, auf denWeg gebracht, die dazu dienen sollen, Fachkräfte im Aus-land anzuwerben bzw . die Menschen im Ausland für eineTätigkeit in Deutschland zu interessieren . Einiges davonist in dem Einzelplan 09, über den wir heute sprechen,etatisiert . Allein der Titel „Fachkräftesicherung für klei-ne und mittlere Unternehmen“ ist mit 17 Millionen Euroausgestattet . In anderen Ressorts sieht es bei solchen Ti-teln nicht anders aus . Auch dort sind reihenweise Gelderzur Gewinnung von Fachkräften veranschlagt; von denInitiativen der Länder und der Kommunen möchte ichgar nicht sprechen .Andreas G. Lämmel
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Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass wir demFachkräftemangel nur zielführend begegnen können, in-dem wir alle koordiniert vorgehen . Im Moment habe ichden Eindruck, dass zahlreiche Programme nebeneinan-der laufen, und ich befürchte, dass das Geld größtenteilsversickert, weil die eine Hand häufig nicht weiß, wasdie andere tut . Ich halte es für wünschenswert, diesenMissstand zu beheben . Vielleicht wäre es zielführend,eine zentrale Abteilung einzurichten, in der alle Bestre-bungen, die in diese Richtung zielen, national koordi-niert werden . Ich bin mir sicher, dass wir dann, vielleichtsogar mit weniger Geld, bessere Ergebnisse erzielenkönnen als bisher, wenn die Zuständigkeit in einem Mi-nisterium gebündelt wird, wenn ein Minister für diesesThema zuständig ist . Dabei ist mir ganz egal, ob das dasWirtschaftsministerium, das Sozialministerium oder einanderes Ministerium ist . Wichtig ist, dass wir einen Orthaben, an dem alle Fäden zusammenlaufen . Ich halte dasfür zwingend erforderlich, um gerade dem Mittelstanddie notwendige Unterstützung bei der Suche nach Fach-kräften zukommen zu lassen .Es mag auch sinnvoll sein, die Gewinnung von Ar-beitskräften aus dem Kreis der Flüchtlinge so zu koordi-nieren; das nur einmal so als Gedankenspiel, bevor jedesMinisterium im Bereich der Flüchtlinge selbst aktiv wirdund nichts koordiniert stattfindet.Meine Damen und Herren, zu einem anderen Thema,das der deutschen Wirtschaft Bauchschmerzen bereitet .Das ist die wirtschaftliche Situation in China . Die unru-hige Börsensituation dort ist natürlich auch an den deut-schen Börsen nicht spurlos vorbeigegangen . Noch ver-mag hier niemand abzusehen, welche Auswirkungen dieVorgänge in China auf die Weltwirtschaft und somit auchauf die deutsche Wirtschaft haben werden . Einige be-fürchten jetzt schon – das sind die Pessimisten –, dass dienächste Wirtschafts- und Finanzkrise ausbrechen könnte .Ich persönlich sehe das nicht so pessimistisch . Ich binmir vielmehr sicher, dass gerade Deutschland, aber auchgroße Teile Europas wirtschaftlich stark genug sind, umein Abkühlen des Wirtschaftsklimas in China, welchesvielleicht sogar wirtschaftspolitisch nachvollziehbar ist,zu verkraften . Wir sollten nicht vergessen, dass Chinaauch bei einer Abkühlung des Wirtschaftsklimas immernoch ein sehr hohes Nachfragepotenzial für unsere deut-schen und unsere europäischen Unternehmen hat .Meine Damen und Herren, es sieht gut aus für diedeutsche Wirtschaft . Damit dies auch so bleibt, unterstüt-zen wir mit diesem Haushalt den Mittelstand massiv . Sosieht der Entwurf die Bereitstellung von Fördergeldernin Höhe von 781 Millionen Euro vor, die im Zuge vonFörderprogrammen wie dem Zentralen Innovationspro-gramm Mittelstand – übrigens, Herr Gambke, das ma-chen wir schon selber, das setzen wir wieder auf denalten Stand; da können Sie sicher sein –
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Zu diesem Einzelplan jedenfalls liegen keine weiterenWortmeldungen mehr vor .Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan30.
– Ich darf dann die Herren bitten, ihre Plätze einzuneh-men . Wer noch dringenden Gesprächsbedarf hat, derkann vielleicht außerhalb des Plenarsaals weitersprechen .Für die Bundesregierung erhält jetzt das Wort Bundes-ministerin Dr . Johanna Wanka .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wenn man sich diesen Haushalt anschaut, dannsieht man, dass das Thema Bildung und Forschung in derBundesregierung weiterhin, wie schon seit Jahren undinsbesondere seit dem Beginn dieser Legislaturperiode,Priorität hat .
Der Haushalt des BMBF wächst wieder: von diesemJahr zum nächsten um über 7 Prozent . Vom Beginn derLegislaturperiode bis 2016 sind es schon 18 Prozent .Wenn wir weiter zurückgehen, nämlich in das Jahr 2005,dann können wir feststellen, dass sich der Haushalt desBMBF mehr als verdoppelt hat . Im Ergebnis heißt das,dass für das Jahr 2016 16,4 Milliarden Euro eingeplantsind . Nun kann man das hoch- und runterdeklinieren undsich über diese Summe freuen . Wichtig ist aber: Wasmacht man mit dem Geld? Wird es richtig eingesetzt?Wofür wird es ausgegeben?Für mich steht das Thema Bildungsgerechtigkeit imFokus; das ist ganz entscheidend . Wir sind ein reichesLand . Bildungschancen sind Lebenschancen . Diese Le-benschancen brauchen wir für die Einheimischen undfür die Zuwanderer . Bildungsgerechtigkeit heißt zumBeispiel, dass wir in den nächsten Jahren verstärkt dafürsorgen, dass Erwachsene lesen und schreiben können,Stichwort „Alphabetisierung“ .
Wir wollen in den nächsten zehn Jahren 180 MillionenEuro dafür einsetzen . Wir wollen die Erfahrungen, diewir in den vielen Projekten – über 50 – mit der Wirtschaftin den Betrieben gesammelt haben, in die Breite tragenund aufwachsen lassen, um Chancen zu eröffnen .Zur Bildungsgerechtigkeit gehört auch unser Pro-gramm „Kultur macht stark“ . Das ist das größte Pro-gramm für kulturelle Bildung, das es je in der Bun-desrepublik Deutschland gab . Wir haben jetzt eineZwischenevaluation . Sie zeigt, dass wir mit diesem Pro-gramm diejenigen erreichen, die wir erreichen wollen:die Kinder und Jugendlichen, die es schwerer haben, dieaus bildungsfernen Elternhäusern kommen, die zum TeilMigrationshintergrund haben . Genau sie werden mit die-sem Programm erreicht .
Bildungsgerechtigkeit heißt individuelle und präven-tive Berufsberatung . Wir machen das auf einem sehrhohen Niveau . Gemeinsam mit dem Arbeitsministeriumerreichen wir Hunderttausende . Wir wollen jetzt – dasfunktioniert schon an der einen oder anderen Stelle, zumBeispiel in Wismar –, dass es diese individuelle und prä-ventive Beratung auch für Gymnasien gibt, damit einSchüler nicht sofort gesagt bekommt, dass er später stu-dieren muss, sondern damit er im Hinblick auf Studiumund Ausbildung beraten wird . Hierzu habe ich alle Län-derminister angeschrieben . Es gibt ein großes Interesse daran . Wir werden das jetzt Stück für Stück in den unter-schiedlichsten Bundesländern umsetzen .
Bildungsgerechtigkeit heißt natürlich auch: Chancenfür die Begabten, Begabtenförderung . Die Mittel hier-für – für Begabtenförderwerke, für Wettbewerbe, die wirdurchführen, und anderes – sind seit 2005 verdreifachtworden . Begabtenförderung heißt auch Deutschland-stipendium . Ich habe jetzt zum Beispiel eine junge sy-rische Geigerin kennengelernt . Als sie in Damaskus stu-dierte, brach der Krieg aus . Sie ist zu uns gekommen, istin Weimar jetzt Meisterschülerin und kann sich mit demDeutschlandstipendium ihren Traum erfüllen . Auch dasist Bildungsgerechtigkeit .
Im Zusammenhang mit Bildungsgerechtigkeit mussman unbedingt KAUSA nennen, das sind die Koordi-nierungs- und Beratungsstellen für potenzielle Auszubil-dende mit Migrationshintergrund . Wir haben die Anzahldieser Stellen verdoppelt; wir haben jetzt 14 oder 15, je-denfalls eine große Zahl . Wir haben in diesem BereichErfahrung sammeln können . Diese Stellen sind zwingendnotwendig als Ansprechpartner für die jungen Menschen,die zu uns kommen: Flüchtlinge, Asylbewerber . Wir ha-ben nur vorläufige Zahlen; alle wissen, wie dynamischdieses Feld ist. Die vorläufigen Zahlen zeigen, dass mehrals ein Drittel derjenigen, die zu uns kommen, jünger als18 ist, und dass diejenigen zwischen 18 und 25 Jahren imMoment ein Viertel ausmachen .Es ist ganz entscheidend, dass man für diese Men-schen Bildung und Arbeit ermöglicht . Die Voraussetzungist natürlich, Deutsch zu können und gute Schulbildungzu haben . Man kann über vielfältige Möglichkeiten, zumAndreas Mattfeldt
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Beispiel über die angebotenen Kurse, Deutsch lernen . ImRahmen der Alphabetisierung hat der Deutsche Volks-hochschul-Verband mit Fördermitteln von uns auch einSelbstlernprogramm über das Netz entwickelt . Dies hatin den letzten Jahren 500 000 Lernende erreicht . Wir ha-ben jetzt angeschoben, dass dies auch über Smartphonesverfügbar wird, weil die Flüchtlinge in den Erstaufnah-melagern mit dieser Technik ausgerüstet sind . Das hilft,ganz viele schnell zu erreichen, zu motivieren und überDeutschland und Ausbildung zu informieren .
Wir alle wissen – darüber haben wir hier oft geredet –,dass es junge Leute gibt, die nicht ausbildungsfähig sind .Sie ausbildungsfähig zu machen, ihre Ausbildungsfähig-keit zu stärken, ist das Ziel des Übergangssystems . Wirhaben uns dafür auf die Schulter geklopft – ich jedenfallshabe das getan –, dass es uns in den letzten Jahren gelun-gen ist, dieses Übergangssystem um etwa 40 Prozent zureduzieren . Aber es wird jetzt wieder wachsen; die Zahlderjenigen, die ausbildungsfähig gemacht werden müs-sen, wird ansteigen . Denn es wird der Ort sein, wo vieledieser jungen Leute Ausbildungsfähigkeit erreichen müs-sen . Wir können froh sein, dass wir dieses Instrumenta-rium haben . Wir müssen es jetzt entsprechend stärken .Wenn jemand, der zu uns kommt, eine Qualifikationhat, dann wird aufgrund des Rechtsanspruches, den erdurch das Anerkennungsgesetz hat, seine Qualifikationeingeschätzt, sodass die Wirtschaft weiß, was er kann,auch wenn er keine Papiere hat . Auch das ist jetzt mög-lich . Hierfür gibt es seit 2012 das entsprechende Instru-ment .Wir haben im Bereich der Ausbildung seit 1 . Augustgeregelt, dass jemand, der eine Ausbildung beginnt, auchwenn er nur geduldet ist, auch wenn er vielleicht wiedergehen muss, diese Ausbildung in Deutschland abschlie-ßen kann . Damit hat er, wenn er lange hier bleiben kann,natürlich die beste Chance zur Integration . Wenn er einervon denen ist, die wieder gehen müssen, dann hat er indieser Zeit in Deutschland immerhin etwas für sein Le-ben gelernt und wird stärker sein in dem Land, in dem erzu Hause ist und dann lebt .
Ab 1 . Januar 2016 wird die Wartezeit bis zum An-spruch auf BAföG für diejenigen, die zu uns kommen,auf 15 Monate reduziert . Das waren einmal über vierJahre . Die Hochschulen freuen sich in den WelcomeCentern und an anderer Stelle auf die jungen Menschen,die zu uns kommen und in der Lage sind, ein Studiumzu beginnen . Das BAföG wird natürlich nicht nur unterdem Aspekt, dass der Zugang für Flüchtlinge vereinfachtwird, verbessert . Ganz klar ist: Es ist ein Riesenpaket .Das kostet wahnsinnig viel Geld, aber es wird dafürsorgen, dass am Ende dieser Legislaturperiode so vielejunge Menschen wie seit über 30 Jahren nicht mehr inden Genuss des BAföG kommen . Die Summen, die wirdafür ausgeben, sind beträchtlich . Sie wissen, dass derBund das alleine finanziert.Als Nächstes zum Meister-BAföG . Wir haben mit denKoalitionsfraktionen vereinbart, es nicht nur zu moder-nisieren, sondern auch die Leistungen enorm auszuwei-ten . Genau das brauchen wir . Da wir ja immer wiederüber Gleichwertigkeit reden und für duale Ausbildungwerben, ist festzustellen: Das Meister-BAföG ist von derQualität her, so wie es derzeit ausgestaltet ist, ein ganzwichtiger Punkt .
Es gibt eine Frage, über die wir ständig diskutieren,entweder mit Sorge oder mit Begeisterung – sie ist jeden-falls das Thema –: Wie viele Menschen kann Deutsch-land aufnehmen? Es ist doch ganz klar: Damit die Auf-nahmefähigkeit groß ist und zunimmt, müssen wir gut,innovativ und wettbewerbsfähig sein . Deswegen müssenwir dafür sorgen, dass alle, die in diesem Land leben,Chancen haben, auch die Chance, ein Studium aufzuneh-men, wenn sie es denn wollen . Deswegen ist der Hoch-schulpakt – sehen Sie sich einmal an, wie viel Geld er unsallein im nächsten Jahr kostet – ein richtiges Instrument .Er bietet Sicherheit für die nächsten Jahre und ist mit denLändern vereinbart . Ich glaube, das war nicht nur ange-sichts der demografischen Entwicklung, sondern auchvor dem Hintergrund der Flüchtlingssituation ein ganzwichtiger und richtiger Schritt .
Der Bund ist seit vielen Jahren ein ganz wichtigerPartner im Bereich der Forschung . Während in vielen an-deren europäischen Ländern und darüber hinaus, auch inden USA, der Rotstift angesetzt wurde, war das bei unsnicht der Fall . Bei uns sind die Summen für Forschungin den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert worden .Kontinuität gab es zum Beispiel durch den Pakt fürForschung und Innovation . Es bestand die Gefahr, dassdieses gute Instrument nicht mehr fortgeführt wird . Des-wegen war es eine große Leistung, dass wir im Koaliti-onsvertrag vereinbart haben, dass der Bund die jährliche3-Prozent-Steigerung der Mittel für den Pakt für For-schung und Innovation allein finanziert. Das führt schonin der nächsten Zeit zu einer Entlastung der Länder um1,2 Milliarden Euro .Der Pakt für Forschung und Innovation bedeutet nichtnur Tarifsteigerungen oder dass jetzt also alle ein biss-chen mehr Geld bekommen und die Situation dadurch et-was komfortabler ist, sondern er bedeutet Innovationen .Ein Beispiel ist die Großforschung der Helmholtz-Ge-meinschaft; sie möchte mit der Wirtschaft gemeinsamLabore einrichten .Oder: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat Anwendungs-zentren als ein tolles neues Instrument für Mittelstandund Fachhochschulen entwickelt . Diese Anwendungs-zentren kann sie jetzt ausbauen und neue einrichten . Wirmüssen dort ja etwas in der Breite tun .Oder: Die Leibniz-Gemeinschaft hat sich vorgenom-men – ich glaube, das freut auch diejenigen, die vorhinmiteinander diskutiert haben –, sich stärker für Grün-dungsmentalität zu engagieren und im Rahmen ihrerBundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Möglichkeiten aus den Mitteln des Pakts für Forschungund Innovation Start-ups zu unterstützen .
Weil wir leistungsstark sind, sind wir auch für vieleStudenten ein Zielland, was mich sehr freut; denken Sienur an Diplomingenieure . Diejenigen, die zu uns kom-men, sind in überproportionalem Maße – mehr als in allenanderen Fächern – Studenten, die in Deutschland einenMaster im Ingenieurbereich machen wollen . Deutsch-land ist aber nicht nur das drittbeliebteste Zielland fürStudierende aus aller Welt – erster Platz USA, zweiterPlatz Großbritannien – also englischsprachige Länder –,dritter Platz Deutschland –, sondern mittlerweile auchein Standort für hochkarätige Wissenschaftler .Ein Beispiel sind die Alexander-von-Humboldt-Pro-fessuren . Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist –das ist jetzt allerdings eine Hypothese –, eine der nächs-ten Nobelpreisträgerinnen – man kann es zwar noch nichtganz genau sagen, aber ich denke, dass es so kommenwird – zu gewinnen .
– Ja . – Sicher ist schon, dass wir Herrn Böttinger gewon-nen haben . Ab 1 . November dieses Jahres wird er dasBerliner Institut für Gesundheitsforschung leiten .
Dieses Berliner Institut – ich sage nur: 90 Prozent Bun-desfinanzierung – wird unter seiner Leitung, glaube ich,sehr erfolgreich arbeiten . Er ist jemand, der in den USAin der ersten Liga gespielt hat, der genau weiß, was dortläuft, und der dafür sorgen wird, dass wir in der Weltspit-ze sind . Nur das kann der Anspruch sein, wenn sich derBund dort in einem solchen Maße engagiert .Meine Damen und Herren, natürlich haben die Inves-titionen in Bildung und Forschung eine Hebelwirkungfür die Wirtschaft . Gerade wurde eine DIW-Studie veröf-fentlicht, die besagt, dass ein stärkeres Wachstum der ge-samtwirtschaftlichen Forschungsausgaben sehr schnell,also kurzfristig, zu einer Erhöhung des BIP führt und wirin Deutschland auf diesem Gebiet besonders stark sind .Das ist unsere Chance .Ich könnte Ihnen jetzt noch ein paar schöne Zahlennennen und zum Beispiel darauf hinweisen, dass wirin Europa diejenigen sind, die das meiste Geld für For-schung und Entwicklung ausgeben . Aber: Die anderenschlafen nicht . Es geht auch nicht nur um Europa, son-dern um die ganze Welt . Deswegen ist diese Entschei-dung mit Blick auf den Haushalt richtig: Der Schwer-punkt, um den es hier insbesondere geht, ist das ThemaDigitalisierung und digitaler Wandel . Gerade haben wirdie Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissen-schaft“, die ein ganz breites Spektrum abdeckt und mitwichtigen Menschen besetzt ist, gestartet .Wir werden – wir machen bekanntlich viel für Frauenim MINT-Bereich – im Januar eine neue Initiative star-ten, bei der es darum geht, vor allem den Anteil der Frau-en in der Informatik zu erhöhen . Das ist einer der Be-reiche unter den MINT-Fächern, in dem es immer nochnicht so gut aussieht .Ich glaube, dass wir mit unserem großen Programmfür Cybersicherheit für die Wirtschaft – die größte Sorgeder Wirtschaft gilt dem Datenklau – dort die richtigenImpulse setzen, und zwar nicht nur für die großen Unter-nehmen, sondern gerade für den Mittelstand .
Das Programm „Industrie 4 .0 – Forschung auf denbetrieblichen Hallenboden“, das im April gestartet ist,funktioniert nur, wenn der Forscher oder die Forscherineinen Mittelständler an der Seite hat, wo man die Din-ge auch ganz handfest vor Ort ausprobieren kann; dennes geht nicht nur darum, an einer neuen Publikation zuschreiben . Das brauchen wir .Ich denke, insgesamt kann man sagen, dass die Politikin den letzten Jahren sehr viel dazu beigetragen hat, dassForschung und Entwicklung in Deutschland gestärktworden sind . Wir dürfen aber nicht nachlassen, sondernmüssen diesen Weg weitergehen . Ich freue mich, wennSie uns an dieser Stelle ganz massiv unterstützen .Danke schön .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Roland Claus,
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauBundesministerin, wenn man Ihnen zuhört – und dasmache ich oft –, dann stellt man fest: Bei Ihnen gibt eseigentlich nur drei gesellschaftliche Aggregatzustände .Entweder heißt es „Deutschland geht es gut“ bzw . „Wirsind auf einem guten Weg“, oder wenn die ersten beidennicht funktionieren, dann ist die Position der Regierung„alternativlos“ . So schön und heil ist die Welt aber nicht,Frau Ministerin .
Das Hauptargument, das Sie immer anführen, sind dieenorm steigenden Ausgaben für Bildung und Forschung .Das kann jeder nachlesen, und das ist auch unbestritten .
Das sagt aber noch nichts über erreichte Ergebnisse unddie Effektivität aus . Gemessen wurden die Bienen nichtan ihren Flugkilometern, sondern an dem Honig, den sienach Hause brachten .
Niemand im Deutschen Bundestag wird gegen einebessere Finanzierung von Bildung und Wissenschaft an-reden . Sie wissen auch, wie viele Projekte und VorhabenBundesministerin Dr. Johanna Wanka
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wir durchaus einvernehmlich und gemeinsam unterstütz-ten . Insofern haben wir sehr wohl zur Kenntnis genom-men, dass sich der Etat, um den wir heute ringen, seit2005 mehr als verdoppelt hat .
Aber man muss zuweilen an Helmut Kohls gewichtigeAussage erinnern: Wichtig ist dabei, was hinten heraus-kommt, meine Damen und Herren .
Dabei muss ich Sie auf ein paar akute Probleme auf-merksam machen . Ein ganz gravierendes Problem sinddie befristeten Arbeitsverhältnisse, die Zeitverträge imakademischen Bereich, und zwar durchweg .
Das Statistische Bundesamt hat kürzlich Vergleichszah-len veröffentlicht . Ich will Ihnen einige Beispiele nen-nen: Bei den unter 30-Jährigen beträgt der Anteil derBeschäftigten mit einem Zeitvertrag 80 Prozent . Bei denunter 35-Jährigen sind es noch 70 Prozent, und bei unter40-Jährigen immer noch 60 Prozent . Jetzt kommt eineZahl, die mindestens genauso schlimm ist: Fast die Hälf-te dieser befristeten Verträge hat eine Laufzeit von untereinem Jahr .Frau Ministerin, diesen Zustand kann man nicht un-kommentiert hinnehmen .
Denn ein solcher Zustand ist weder sozial noch kreati-vitätsfördernd . Man versetze sich doch einmal in dieLage eines solchen jungen Menschen, der womöglicheiner fantastischen Idee auf die Sprünge helfen und ei-nen wissenschaftlichen Durchbruch erzielen kann, aberfeststellen muss, dass in drei, vier oder sechs Monatensein Vertrag ausläuft und damit auch seine Gehaltszah-lung endet . Das ist doch sozusagen wissenschafts- undkreativitätsfeindlich . Es ist aber auch familien- und kin-derfeindlich . Das ist nicht zuletzt ein Zustand, mit demjungen Akademikerinnen und Akademikern ein Stückihrer Freiheit genommen wird .
Nun haben Sie, glaube ich, das Problem erkannt und le-gen eine Novelle des – ich kann nichts für den Begriff –Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor . Was die Analyseangeht, habe ich, als ich mich damit befasst habe, festge-stellt: Das Problem ist erkannt . Aber bei der Lösung desProblems sehe ich auch in diesem Gesetzentwurf nichtwirklich weiterführende Schritte . Wir müssen Sie auffor-dern, energischer daran zu arbeiten, diesen Zustand zuüberwinden, als das bisher der Fall war, Frau Ministerin .
In Ihrem Text heißt es: Die Bundesregierung hat essich zum Ziel gesetzt, mehr Bildungsgerechtigkeit zuschaffen . – Das hat auch in Ihrer Rede eine Rolle ge-spielt . Leider belegen die OECD-Studie und andere Stu-dien aber das Gegenteil . Ein ungleicher Zugang zu Bil-dung und Studium reproduziert nach wie vor eine sozialeSpaltung der Gesellschaft . Darüber, wie sozial gespaltendie Gesellschaft ist, haben wir uns in der Debatte zuvorja unterhalten . Die Linke wird auch hierzu Vorschlägemachen, unter anderem für eine umfassende – Sie wer-den sagen: radikale, und wir werden nicht darüber strei-ten – BAföG-Reform . Das wäre ein richtiger Schritt hinzu mehr Bildungsgerechtigkeit .Sosehr ich mich für Ihre Geigerin in Weimar freue,Frau Ministerin: Das Deutschlandstipendium ist natür-lich nicht der Weg, auf dem wir eine moderne Förderungerreichen können .
Wir alle wissen doch, dass es zum Beispiel in Ost-deutschland natürlich unendlich schwer ist, 50 ProzentSponsoring einzuwerben .
Sie sehen sich auch – das können Sie auch nichtausblenden – einer anhaltenden Kritik des Bundesrech-nungshofs an der Erfolgskontrolle der Förderprogrammedes Ministeriums ausgesetzt . Der Bundesrechnungshofschreibt Ihnen in seinem Bericht: Inzwischen ist einunsystematisches Nebeneinander von Instrumenten ent-standen . – Das ist keine Kleinigkeit .Wir nehmen das Ministerium hier gerne auch ein biss-chen in Schutz und sagen: Gerade bei kreativen Leistun-gen in der Wissenschaft kann man nicht jede Erfolgskon-trolle vorgeben . Hier muss es auch die Möglichkeit von„Versuch und Irrtum“ geben . Das heißt aber noch langenicht, dass alles erlaubt ist und dass wir uns eine solcheProjektträgerlobby, wie sie bei Ihnen anzutreffen ist, ein-fach unwidersprochen gefallen lassen könnten . Das wer-den wir zur Sprache bringen .Im Jahr 2014 haben wir Sie dafür kritisiert, dass18 Beschäftigte des Deutschen Zentrums für Luft- undRaumfahrt unmittelbar in Ihrem Ministerium beschäftigtsind . In diesem Jahr stellt der Bundesrechnungshof fest,dass es 27 sind – allerdings von verschiedenen Projekt-trägern. Wir weisen darauf hin, dass das einen Konfliktbedeutet . Das sind Beschäftigte, die auf der einen SeiteZuwendungsempfänger sind – sie bekommen also Gelddes Bundes – und auf der anderen Seite in dem Ministe-rium darüber entscheiden, wer das Geld bekommt . DerBundesrechnungshof stellt dazu fest: Dies kann zu In-teressenkollisionen und Wettbewerbsverzerrungen füh-ren . – Das haben wir Ihnen vor einem Jahr auch gesagt,Roland Claus
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aber auf uns haben Sie ja nicht gehört . Nun nehmen Siewenigstens den Rechnungshof ernst .
Ich habe vorhin in der Debatte über den Wirtschafts-etat die Subventionierung des Deutschen Zentrums fürLuft- und Raumfahrt und von Airbus kritisiert . Danachist mir, wie ich finde, ziemlich platt Forschungsfeindlich-keit unterstellt worden . Das ist natürlich Käse . Wenn die-se Forschung so wichtig ist – auch für die Zukunft der In-dustrie –, dann frage ich mich, warum sich die Industrieimmer mehr aus der Finanzierung zurückzieht . Warummusste denn die staatliche Kreditanstalt für Wiederauf-bau jetzt für einen großen Autokonzern einspringen?
Da passt doch was nicht zusammen .
Mein Fazit: Gut, dass es mehr Geld für Bildung undWissenschaft geben soll, schlecht, dass so viel Geld inein ineffizientes und veraltetes Bildungssystem fließt.
Vielen Dank . – Als Nächstes hat Hubertus Heil,
SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Kollege Claus, Sie haben der Ministerin unter-stellt, sie würde nur drei Aggregatszustände kennen . Ichwürde sagen: Das ist besser, als nur einen, nämlich, allesschlecht zu finden.
Ich finde, wir brauchen hier einen realistischen Blick.Ich bin der Ministerin ausdrücklich sehr dankbar, dass siedarauf hingewiesen hat, was sie auf den Weg gebracht hatund was aber auch noch vor uns steht .
Ganz klar ist: Die Summe, die wir alle miteinandererfreulich finden – 16,4 Milliarden Euro, was eine Stei-gerung von immerhin 7,2 Prozent im Vergleich zumletzten Jahr bedeutet –, sagt an sich noch nichts weiteraus, als dass dieses Land, diese Regierung und die sietragenden Koalitionsfraktionen mehr Geld in Bildungund Forschung investieren . Das klingt erst einmal gut,aber die spannende Frage ist: Zu welchem Zweck? Dasist von allen Seiten angesprochen worden – auch von derMinisterin .Es gibt in dieser Koalition einen Konsens, dass wir unsunter anderem auf bessere, gleiche und gerechte Chancenim Bereich der Bildung konzentrieren; denn das hat nichtnur etwas mit der Frage zu tun, ob wir wirtschaftlich er-folgreich sind, sondern auch damit, welches Menschen-bild wir haben . Das Menschenbild, das uns prägt, sieht soaus, dass Menschen unabhängig von sozialer Herkunft,Hautfarbe, Geschlecht oder religiösem Hintergrund eineChance – dafür müssen wir sorgen – auf ein selbstbe-stimmtes Leben haben . Dafür ist Bildung ein ganz ent-scheidender Zugang .Menschen sind nicht durch Geburt und durch Merk-male, für die sie nichts können, in ihren Verhältnissengefangen . Dass sie selbstbestimmt leben können, dasssie Autor ihres eigenen Lebensweges sein können, dafürschafft Bildung die Voraussetzung . Dafür leistet dieseKoalition eine ganze Menge .
Um es ganz praktisch zu machen: Natürlich habenwir, Kollege Claus, in unserem Land – das belegen Stu-dien – nach wie vor eine ganze Menge zu tun, um diesersozialen Selektivität entgegenzuwirken . Da ist der Bundgefragt, da sind die Länder und auch die Kommunen ge-fragt . Ich will aber auch sagen: Es gibt viele Menschen –dafür muss man einmal Danke sagen –, die sich bür-gerschaftlich und zivilgesellschaftlich engagieren, umjungen Menschen eine Chance zu geben . Gerade bei deraktuellen Flüchtlingshilfe erlebe ich ganz viele Ehren-amtliche, die beispielsweise Nachhilfeunterricht geben,die anderen Lesen und Schreiben beibringen und damitdazu beitragen, dass junge, aber auch ältere Menschenstärker teilhaben können und eine Chance haben, irgend-wann in Ausbildung und Arbeit zu kommen . Das, meineDamen und Herren, nötigt Respekt ab . Dafür muss derDeutsche Bundestag einmal Danke sagen .
Aber auch der Bund ist nach wie vor in der Pflicht,etwas zu tun . Wir tun in vielen Bereichen ganz konkretetwas, um in diesem Land die Chancen auf Bildung zuverbessern und gerechter zu machen . Ich will zum Bei-spiel das Thema der Berufsorientierung und der assistier-ten Ausbildung ansprechen . Das ist Teil der Ausbildungs-allianz, die von Sozialpartnern und der Bundesregierunggebildet wurde . Ich glaube, dass assistierte Ausbildungein wesentlicher Beitrag dafür ist, um benachteiligtenJugendlichen eine zweite oder dritte Chance zu geben,voranzukommen . Hier arbeiten die Ministerien Hand inHand, nämlich das Bundesarbeitsministerium zusammenmit dem Bundesbildungsministerium . Das ist ebensowichtig wie die Allianz an sich .Ich komme zu einem weiteren Punkt, den ich anspre-chen will . Es ist durch die Allianz für Aus- und Weiter-bildung gelungen, mit den Sozialpartnern eine Trend-umkehr zu schaffen, was die Entwicklung der Zahl derberuflichen Erstausbildungsplätze betrifft. Diese Zahlsteigt Gott sei Dank nach vielen Jahren wieder, nachdemsie lange zurückgegangen war . Nun diskutieren wir darü-ber, wie wir es schaffen, dass wir keinen Mismatch, alsokeine unbesetzten Stellen, haben, und darüber, dass wirRoland Claus
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etwas dafür tun müssen, damit Lehrlinge in ausreichen-der Zahl zur Verfügung stehen . Aber natürlich – das mussman ganz klar sagen – haben wir jahrelang erlebt, dassdas Angebot an beruflicher Erstausbildung zurückgegan-gen war . Jetzt wächst es wieder . Das ist eine gute Nach-richt . Auch das war Gegenstand der Gespräche zwischenSozialpartnern und Bundesregierung .
Ich komme zu einem materiellen Punkt . Im Haushaltvon Frau Wanka haben wir die BAföG-Reform durchge-setzt . Immerhin wird es in diesem Land ab kommendemJahr, also ab dem Jahr 2016, ungefähr 100 000 junge Men-schen mehr geben, die durch BAföG bessere Bildungs-chancen bekommen . Auch das ist eine ganz maßgeblicheReform . Nicht zuletzt haben wir – die Bundesregierunggemeinsam mit den Ländern – den Hochschulpakt bis2020 verlängert . Das heißt: Bis 2020 gibt es sage undschreibe 670 000 zusätzliche Studienplätze .Das sind konkrete Maßnahmen . Es ist einfach, zu sa-gen: Die Situation ist nicht gut . – Vielmehr geht es dar-um, sie zu verbessern . Es gibt nichts Gutes, außer man tutes . Zumindest das hätten Sie einmal erwähnen können,Herr Claus .
Trotzdem sage ich: Diese Maßnahmen, die wir auf denWeg gebracht haben, sind kein Grund, sich zurückzuleh-nen . Ich erwähne hier das Bildungsbarometer des ifo-In-stituts von letzter Woche . Darin wird beschrieben, wasBürgerinnen und Bürger in diesem Land von Politik, un-abhängig von Zuständigkeiten, erwarten . Die Menschenin diesem Land erwarten im Bereich der Bildungspolitikgroße Lösungen . Sie wollen Ganztagsschulen, gebüh-renfreie Kitas und nicht zuletzt vergleichbare Schulab-schlüsse in der Bundesrepublik Deutschland . Keine Fra-ge: Da sind alle gefragt, Bund, Länder und Kommunen .Ich will aber nicht verhehlen, dass dem Bund geradein der aktuellen Diskussion, in der wir schnell handelnmüssen, nämlich bei der Beantwortung der Fragen: „Wastun wir in der Flüchtlingshilfe? Was tun wir für dieje-nigen, die wir langfristig integrieren wollen?“, durchkünstliche, auch durch verfassungsrechtliche Grenzen ander einen oder anderen Stelle die Hände gebunden sind .Ich glaube, dass wir, wenn die Entwicklung so weiter-geht, über eine neue und gemeinsame Kraftanstrengungreden müssen, was beispielsweise den Ausbau von Ganz-tagsschulen in diesem Land betrifft . Hier kann und darfder Bund durch das Kooperationsverbot, durch den inVerfassungsrecht gegossenen Irrtum, derzeit leider nichttätig werden . Das gilt leider auch für vieles andere, zumBeispiel für die Frage, ob wir mit Bundeshilfen Sozial-arbeit, Sprachklassen und Integrationshilfen auf den Wegbringen können .Ich sage: Darüber wird zu reden sein . Aber es ist auchrichtig, sich von dieser Grenze nicht aufhalten zu lassen,sondern Mittel und Wege zu finden, die wir zusammenmit der Regierung finden werden und zum Teil auchschon gefunden haben, um Geld tatsächlich dahin zubringen, wo es hingehört .
Mit der Übernahme der BAföG-Finanzierung habenwir einen Weg – zugegebenermaßen ist das ein Umweg –gefunden, um die Länder so zu entlasten, dass ihnen jähr-lich zusätzlich 1,2 Milliarden Euro für bessere Bildungzur Verfügung stehen, um zum Beispiel in den Hoch-schulen, aber ebenso – auch das ist möglich – in Schulender frühkindlichen Förderung die Bildungssituation zuverbessern .Ich füge hinzu: Frau Ministerin Wanka, wenn ich Sierichtig verstanden habe, sind auch Sie der Meinung, dassdie Mittel aus dem Betreuungsgeld, die nach der Verfas-sungsgerichtsentscheidung zur Verfügung stehen, gezieltin den Bereichen Familie und Bildung investiert werdenund nicht im allgemeinen Haushalt versickern sollten . Dahaben Sie und Frau Schwesig unsere absolute Unterstüt-zung .
Die eine Seite der Medaille ist, bessere Bildungs-chancen zu schaffen . Die andere Seite der Medaille imAufgabenbereich des Ministeriums, über dessen Etat wirgerade diskutieren, betrifft die Frage, wie wir es schaf-fen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt indiesem Land zu befördern, um mitzuhelfen, dass auswissenschaftlichen und technischen Innovationen auchgesellschaftlicher und sozialer Fortschritt wird . Beidesist notwendig . Auch da kann sich sehen lassen, was dieseRegierung auf den Weg gebracht hat .Sie haben den Pakt für Forschung und Innovationangesprochen, Frau Ministerin . Der ist ganz wichtig indiesem Bereich . Und ich füge hinzu: Er stärkt beides . Erstärkt die erkenntnisorientierte Grundlagenforschung,die wir in diesem Land genauso brauchen wie anwen-dungsorientierte Forschung . Es bringt nichts, beides ge-geneinander auszuspielen . Wir brauchen Erkenntnisseund Anwendungen in diesem Land . Daraus erwachsenInnovationen . Mit dem Pakt für Forschung und Innova-tion schaffen wir Planungssicherheit und Freiheit für dieForschung in diesem Bereich .Ich will die Hightech-Strategie, die die Bundesregie-rung auf den Weg gebracht hat, sowie die Verstärkung imBereich der Arbeits- und Dienstleistungsforschung an-sprechen . Immerhin ist dafür bis 2020 1 Milliarde Eurovorgesehen . Auch die verstärkte Forschung an Fachhoch-schulen, die der Bund zusätzlich mit 100 Millionen Eurofördert, will ich in diesem Zusammenhang erwähnen . Alldas kann sich sehen lassen .
Wir haben allerdings, meine Damen und Herren, indiesem Herbst noch eine ganze Menge vor uns . Das be-trifft den Bereich der beruflichen Bildung. Dabei gehtes nicht nur um die Reform des Meister-BAföG . Ich binfroh, dass CDU und CSU – sie hatten ja in der letztenHubertus Heil
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Woche eine Klausur – mit uns der Meinung sind, dass derEntwurf der Ministerin eine gute Grundlage ist, wir abermiteinander mehr tun müssen . Dabei geht es darum, dasswir im Bereich der beruflichen Erstausbildung – sie stehtim Wettbewerb zu anderen Berufsabschlüssen, die es inDeutschland gibt – auch Aufstieg ermöglichen bzw . dieAttraktivität dieses Berufsweges stärken müssen . Auchda können wir, glaube ich, vorankommen . – Herr Claus,können Sie einen Moment zuhören?
Er ist ein Mann . Ob er multitaskingfähig ist, weiß ichnicht . Ihm traue ich das aber zu .
Herr Claus, Sie haben das Thema der Befristung imBereich des Wissenschaftsbetriebes angesprochen . Dateilen wir den Befund . Die Zahlen sind unstrittig . Des-halb tun wir etwas, und zwar nicht nur das, was Sie be-schrieben haben . Wir reformieren das Wissenschaftszeit-vertragsgesetz. Und ich finde, der Gesetzentwurf kannsich durchaus sehen lassen . Wir wollen den Missbrauchvon Befristungen zurückdrängen .
Wir wollen jungen Menschen die Chance auf eineplanbare Zukunft im Wissenschaftsbetrieb geben . Unddafür schaffen wir Voraussetzungen, ohne dass wir dienotwendigen Flexibilitäten kaputtmachen . Das gehörtdazu . Mit diesem Recht schaffen wir Perspektiven . Wirwissen aber, Herr Claus, dass dies allein das Problemnicht lösen wird, sondern dass es natürlich auch um dieFrage geht, was es an Karrierechancen bzw . Karriere we-gen im Wissenschaftsbetrieb gibt . Deshalb bin ich froh,dass die Koalitionsfraktionen einen Pakt für den wissen-schaftlichen Nachwuchs auf den Weg gebracht haben .Frau Ministerin, allerdings äußere ich an dieserStelle auch einen Wunsch: Ein reines, kleines Tenu-re-Track-Programm wird nicht ausreichen . Wir müssenauch etwas für den Mittelbau und vor allen Dingen fürPersonalentwicklungskonzepte tun . Dann wird die-ser Pakt auch den Namen „Pakt für wissenschaftlichenNachwuchs“ verdienen . Beides gehört zusammen: DasBefristungsrecht muss geändert werden, und es müssenin diesem Bereich – das ist wichtig – Chancen geschaffenwerden .
Zum Schluss, meine Damen und Herren, hätte ich nochgerne etwas zum Thema Exzellenzinitiative gesagt . Denndas ist die große Königsaufgabe, die wir in den nächstenMonaten noch vor uns haben . Wir wollen mehr Exzel-lenz wagen . Die Exzellenzinitiative hat die Forschung indiesem Land vorangebracht und die internationale Spit-zenforschung an unseren Hochschulen gestärkt . Sie hatdas – auch in der Spitze –, was Sie vorhin angesprochenhaben, hervorgebracht . Wir sagen: Das wollen wir fort-setzen . Aber da ist mehr Potenzial in diesem Land .Wir wollen neben der Forschungslinie bzw . der För-derlinie für Spitzenforscher auch etwas dafür tun, dassneben der Spitzenforschung auch andere Leistungspro-file – bei Lehre und Transfer beispielsweise – in der Ex-zellenzinitiative zur Geltung kommen können . Darüberwird zu reden sein . Auch das schaffen wir gemeinsam .Ich glaube, dass sich dieser Etat sehen lassen kann –aber nicht nur im Hinblick darauf, was die Summe an-geht, sondern auch auf die Instrumente . Das wird unserLand voranbringen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
Ekin Deligöz das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,es ist richtig, der Etat für Bildung und Forschung steigt .Aber, um ehrlich zu sein, das ist noch lange kein Grund,um sich auszuruhen, wenn man das Ziel, 7 Prozent fürBildung und 3,5 Prozent für Forschung auszugeben, ernstnimmt . Dieses Ziel ist nämlich noch lange nicht erreicht,obwohl es eigentlich schon 2010 erreicht werden sollte .Jetzt sind wir bald im Jahr 2016, aber überhaupt nochnicht so weit .Sie wiederholen in allen Reden immer wieder, dass derEtat steigt . Aber Sie wiederholen das so oft, dass man fastden Eindruck gewinnt, dass Sie sich dahinter versteckenund davon ablenken wollen, dass Sie die selbst gesteck-ten Ziele gar nicht erreichen . Da sollten Sie etwas mehrEhrlichkeit einkehren lassen .
Frau Ministerin Wanka, Sie haben vollkommen recht,wenn Sie sagen, dass es nicht nur um die Höhe der Mittel,sondern auch darum geht, wofür das Geld ausgegebenwird . Aber warum handeln Sie dann nicht entsprechend?Warum wird uns das in Ihrem Haushalt so nicht bestä-tigt? Warum setzen Sie das Geld an vielen Stellen falschoder schlicht und einfach nicht verantwortungsvoll ein?Ich will Ihnen ein paar konkrete Beispiele nennen, da-mit Ihnen das, was ich Ihnen sage, auch augenscheinlichwird .Beispiel Nummer eins: In der Erhöhung der Mittel desEinzelplans für Bildung und Forschung sind nach wievor die Kosten des Rückbaus kerntechnischer Versuch-seinrichtungen enthalten . Hier geht es um 328 MillionenEuro, die den Zukunftsinvestitionen entzogen werdenund mit denen die Vergangenheit finanziert wird. DieserAnsatz hat sich in den letzten Jahren verdoppelt – Siewissen genauso gut wie wir, dass die Kosten explodie-ren werden; das verschweigen Sie auch nicht . Aber dieKosten steigen unter anderem deshalb, weil die Steue-rungsprozesse innerhalb Ihres Hauses unverantwortlichund unkoordiniert ablaufen . Das sage nicht ich, sondernder Bundesrechnungshof . Übernehmen Sie doch endlichHubertus Heil
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 201511736
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einmal Verantwortung, und sorgen Sie dafür, dass dasGeld richtig eingesetzt wird, anstatt es zu verschwenden!
Beispiel Nummer zwei ist die Projektmittelüberwa-chung. Wegen der Defizite bei der Überwachung verjäh-ren Ansprüche des Bundes; sie gehen uns unwiderruflichverloren . Wir reden hier immerhin über 6 MilliardenEuro, die das BMBF jedes Jahr für Bildungs- und For-schungsprojekte gewährt . Auch hier sagt der Bundes-rechnungshof: Etwas mehr Verantwortung in diesemHause täte der Sache gut . – Wir können keinen einzigenCent aus dem Fenster werfen . Aber genau das machenSie hier . Übernehmen Sie Verantwortung! Es geht auchdarum, wofür das Geld eingesetzt wird .
Beispiel Nummer drei . Sie weisen ständig auf dasDeutschlandstipendium hin . 2016 werden wir die Mitteldafür wieder aufstocken . Das verwundert niemanden .Aber ich nenne Ihnen ein paar Zahlen . Im Jahre 2014wurden gerade einmal 63 Prozent der dafür vorgesehe-nen Mittel abgerufen . Im laufenden Jahr – die Hälfte desJahres liegt ja bereits hinter uns – liegt die Quote bei denabgerufenen Mitteln bei noch nicht einmal 40 Prozent .Das bedeutet, dass Sie an einer Ideologie um der Ideolo-gie willen festhalten . Das widerspricht den Grundsätzender Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit; denn in ei-nem solchen Fall müssten Sie die Mittel anpassen .
Das tun Sie aber nicht . Lieber investieren Sie das Geldin die Deckung hoher Verwaltungskosten, um an dieserIdeologie festhalten zu können . Sie sollten das Geld – die-ses Beispiel haben Sie selber genannt – in die Qualifizie-rung von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlin-gen investieren . Stattdessen führen Sie seltsame Projektedurch und öffnen zum Beispiel Alphabetisierungskursefür Deutsche auch für Menschen, die überhaupt nicht diedeutsche Sprache beherrschen . Diese Menschen brau-chen jedoch Unterricht im Fach „Deutsch als Fremdspra-che“ . Das ist aber etwas komplett anderes . Und deshalbbrauchen wir in diesem Land 11 000 Lehrerinnen undLehrer für Deutsch als Fremdsprache . Aber dafür habenSie keinen einzigen Cent übrig . Das wäre eine gute In-vestition und würde bei den Menschen besser ankommenals die seltsamen Pseudoprojekte, die Sie durchführen .
Wir unterstützen Sie darin – um einmal etwas Po-sitives zu nennen –, dass Sie den Flüchtlingen denBAföG-Zugang erleichtern . Das ist gut und wichtig . Dasist eine Investition in die Zukunft dieser Menschen unddieses Landes . Aber warum sollen die Menschen 15 Mo-nate warten? Warum reduzieren Sie die Wartezeit nichtauf drei Monate? 15 Monate im Leben eines jungenMenschen, der zum Nichtstun verdammt ist, ist eine sehrlange Zeit . Geben Sie sich einen Ruck, und machen Siedaraus drei Monate! Wir sind dann sofort dabei .
Bleiben wir bei den Zukunftsinvestitionen . Die Infra-strukturen des Wissens bekommen von Ihnen keinenCent . Was wir brauchen, ist ein Modernisierungspro-gramm, gemeinsam aufgelegt von Bund und Ländern,meinetwegen auch zeitlich begrenzt . Der Investitionsstauin diesem Bereich ist jedenfalls unverantwortlich . Auchdafür müssen Sie Verantwortung übernehmen .
Ein innovatives Land wie Deutschland braucht Orte, wogedacht, geforscht, gelehrt und auch gelebt werden kann .Hier brauchen wir Investitionen statt Verschwendung .Bei diesen Zukunftsinvestitionen müssen Sie sich nochmehr anstrengen .Ich sage zum Schluss noch etwas Positives die überbe-trieblichen Berufsbildungsstätten betreffend . Das wird inder dualen Ausbildung Möglichkeiten schaffen und dafürsorgen, dass Betriebe ausbilden, die das bislang nicht ge-tan haben . Ich bin froh darüber und sehr dankbar dafür,dass meine Fraktion diese Forderung hier immer und im-mer wieder hartnäckig eingebracht hat .
Dass Sie sehr lange dafür gebraucht haben, das zu über-nehmen, tut der Sache keinen Abbruch; vielmehr ist eswichtig, dass Sie das umsetzen .
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben noch eine ganzeMenge guter Ideen, die Sie sie alle übernehmen können .Das werden wir alle gut finden, und ich werde Sie hierdafür loben . Aber an guten Ideen mangelt es bei Ihnen,und das ist wirklich sehr bedauerlich .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Albert Rupprecht das Wort .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! LiebeKollegen! Die Debatte über unseren Haushalt 2016 fälltzusammen mit zehn Jahren Regierungszeit der Uni-onsfraktion und zehn Jahren Kanzlerschaft von AngelaMerkel . Deswegen erlauben Sie mir, dass ich das, waswir jetzt debattieren, ein Stück weit in diese zehn Jahreeinzuordnen versuche .Wir starteten als Unionsfraktion mit der Überzeugung,dass das, was Franz Josef Strauß – er hätte in diesen Ta-gen seinen 100 . Geburtstag gefeiert – einmal gesagt hat,Ekin Deligöz
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richtig ist: „Konservativ … heißt an der Spitze des Fort-schrittes marschieren .“
Das ist keine Banalität;
denn diese Überzeugung durchzieht alle politischenBereiche . Wir sind der festen Überzeugung, dass Wohl-ergehen, Wohlstand, aber auch Gemeinsinn und gesell-schaftlicher Zusammenhalt nur zu sichern sind, wenn wirinnovativ sind, wenn wir den technischen Fortschritt inunserem Land vorantreiben, ob das die Energieversor-gung ist, ob das die Mobilität ist oder ob das die Krebs-behandlung ist .
– Das ist überhaupt keine Binsenweisheit . Wenn man sichdas Ganze konkret anschaut – ich hatte heute schon zweiBesprechungen zu genau diesem Thema –, dann stelltman nämlich fest, dass neben den Allgemeinplätzen, dieüberall von sich gegeben werden, manche sagen: Ach,Transfer, darum brauchen wir uns gar nicht zu kümmern .Das macht die Wissenschaft von allein usw . – Wenn mandiese Grundsätze ernst nimmt, dann heißt das, die gesam-te Produktionskette ständig anzuschauen, zu optimieren,zu verbessern, dazuzulernen . Grundlage für Innovationist eben nicht die Sonntagsrede, sondern es sind Bildungund Forschung, aber auch der Anspruch, den man an Bil-dung und Forschung und an Forscher stellt .
Wir sind vor zehn Jahren gestartet als der „krankeMann in Europa“; Deutschland hatte 5 Millionen Ar-beitslose . Zehn Jahre später sind wir eines der innova-tivsten und begehrtesten Länder der Welt . Wir erlebenes im Zusammenhang mit den Flüchtlingen – mit allenSchwierigkeiten und Herausforderungen, die damit ver-bunden sind . Wir erleben es aber auch im Zusammen-hang mit den Studierenden: Die Zahl der Studierenden,die nach Deutschland kommen, ist so hoch wie noch nie .Immer mehr Wissenschaftler sagen: Deutschland ist dasLand, in dem ich forschen und in dem ich tätig werdenmöchte . Wir sind bei allen internationalen Rankings zurFrage „Was ist das innovativste Land?“ auf einem derPlätze vier, fünf oder sechs. Ich finde, das ist ein tollesErgebnis, und darauf können wir auch stolz sein .
Das DIW hat vor Kurzem eine Studie herausgegebenund herausgearbeitet, dass Forschung der Wachstums-und Innovationstreiber schlechthin ist . Das DIW hat fest-gestellt, dass die Forschungsausgaben in Deutschlandseit 2007 enorm gestiegen sind, vor allem deswegen,weil sich die öffentliche Hand – ich füge hinzu: vor allemder Bund – an die Decke gestreckt hat, und dass der An-stieg im internationalen Vergleich nur in Südkorea nochgrößer ist als in Deutschland. Ich finde, das ist ein heraus-ragendes Ergebnis . Auch darauf können wir stolz sein .
Die Zahlen zum BMBF-Haushalt sind mehrfach ge-nannt worden: Seit 2005 wurde dieser Haushalt mehr alsverdoppelt, auf 16,3 Milliarden Euro . Das ist ein Anstiegvon 116 Prozent . Frau Ministerin Wanka, das ist ein in-ternationaler Spitzenwert .
In den Jahren, in denen Rot-Grün regiert hat, also inden sieben Jahre zwischen 1998 und 2005 – einen sol-chen Rückblick vorzunehmen, kann ich den Grünen undunserem Koalitionspartner nicht ersparen –, ist der Haus-halt von 8 Milliarden Euro im Jahre 1998 auf schlappe8,5 Milliarden Euro im Jahre 2005 gestiegen . Das heißt,in sieben Jahren gab es einen Anstieg um sechs Prozent .Bei uns ist dieser Haushalt in zehn Jahren um 116 Pro-zent gestiegen . Darin besteht einfach der Unterschied .Ich wende mich noch einmal an die Grünen . LieberHerr Gehring, ich schätze all die intelligenten Reden, dieSie hier halten . Nur zu reden, ist aber einfach zu wenig .Man muss als politische Kraft seine Vorhaben irgend-wie auch aufs Gleis setzen . Während der grünen Regie-rungszeit gab es im Bereich der Forschung und Bildungschlichtweg nur finanzielle Stagnation, nicht mehr undnicht weniger .
Noch einen Tipp an unsere Kollegen der SPD – FrauSchieder, jetzt kommen wir zu Ihnen –: Wenn Sie Ihreforschungs- und bildungspolitischen Träume Wirklich-keit werden lassen wollen, dann haben Sie eine Chance:Regieren Sie mit uns als Juniorpartner . Wir ziehen denKarren! Regieren Sie mit uns! Dann kriegen wir die Sa-chen auch durch .
Der Haushalt 2016 ist wiederum gelebte Priorität fürForschung und Bildung: plus 1,1 Milliarden Euro . DerHaushalt steigt damit auf 16,3 Milliarden Euro . Es ist derviertgrößte Fachhaushalt im Bundeshaushalt . Es ist eineSteigerung um 7,2 Prozent gegenüber einer Steigerungdes Gesamthaushalts um 3,4 Prozent . Das ist gelebte Pri-oritätensetzung . Ich bedanke mich auch im Namen derFachpolitiker bei unseren Kollegen in den Fraktionen derSPD und der Union, die das mittragen . Ich bedanke michan dieser Stelle aber auch ganz besonders bei Ihnen, FrauWanka, weil es keine einfache Übung ist, den Bundes-finanzminister zu überzeugen, dass er im Haushalt über1 Milliarde Euro drauflegt. Danke schön!
Es ist mehrfach gesagt worden: Ohne Moos nix los . –Aber das allein reicht nicht, sondern es geht um die in-haltlichen Schwerpunktsetzungen . Unsere Grundsätze,Albert Rupprecht
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Leitbilder und Ziele haben sich seit 2005 im Wesentli-chen nicht geändert . Da gibt es Kontinuität . Für die ste-hen wir .Erstens . Wir setzen auf Freiheit und Eigenverantwor-tung . Deswegen haben wir seit 2012 das Wissenschafts-freiheitsgesetz – ein historischer Meilenstein .Zweitens . Wir setzen auf Verlässlichkeit . Deswegengibt es den dritten Pakt für die außeruniversitären For-schungseinrichtungen von 2016 bis 2020 mit einem Auf-wuchs von über 4 Milliarden Euro . Den Aufwuchs, liebeKolleginnen und Kollegen, zahlen wir vom Bund allein;das ist nicht selbstverständlich . Auch da strecken wir unswieder nach der Decke .
Drittens . Wir setzen auf Breite, aber auch auf Spitzeund Exzellenz . Wir wissen aus der Diskussion über dieExzellenzinitiative: Ohne eine gesunde, eine ausreichen-de Breite wird es keine stabile Spitze geben . Deswegenist das Austarieren einer der entscheidenden Punkte .
– Dazu komme ich gleich, zu dem, was wir schon ma-chen und was wir machen werden .
Ich sage einmal ein paar Punkte dazu, was wir in derBreitenförderung machen:Wir fördern die Hochschulen und Wissenschaftsein-richtungen in der Breite, insbesondere beispielsweisedie Fachhochschulen . Die Zahlen: Seit 2005 – lieberHerr Kollege Gehring, damals haben wir die Regierungübernommen; vorher ward ihr dran – haben wir die Mit-tel für die Fachhochschulen verfünffacht, nämlich vondamals 10 Millionen Euro auf jetzt 48 Millionen Euro .1 400 Forschungsvorhaben – 286 Millionen Euro – an125 Fachhochschulen, das ist Förderung der Breite, sehrgeehrte Damen und Herren!
Wir haben den Overhead-Anteil für die Projektförde-rung gesteigert . Von 2016 bis 2020 werden wir 2 Mil-liarden Euro, wiederum Bundesmittel, zur Verfügungstellen . Das ist Breitenförderung, liebe Kolleginnen undliebe Kollegen .Qualitätspakt Lehre . Es sind 2 Milliarden Euro, diewir vonseiten des Bundes zur Verfügung stellen . Das istBreitenförderung, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen .Hochschulpakt, das Megathema . In der Gesamtlauf-zeit gibt es insgesamt über 20 Milliarden Euro zum Auf-bau von Studienplätzen . Das sind Mittel, die wir vomBund zur Verfügung stellen, obwohl es nicht unsere Ver-antwortung ist .
Ohne diese 20 Milliarden Euro würde die Hochschul-landschaft unseres Landes in der Breite vollkommen an-ders ausschauen . Das ist Breitenförderung, die wir stem-men – auf Ebene des Bundes .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt einen Rie-senabstand zwischen Breitenförderung und Spitzenför-derung . Dennoch braucht es auch die Spitzenförderung .
Sie ist notwendig . Sie ist zwingend . Wenn wir Deutsch-land im globalen Maßstab vergleichen, stellen wir fest:Wir sind in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt, aberin der absoluten Spitze gibt es in der Tat etwas zu tun .Das Schanghai-Ranking 2015 zeigt uns, dass unter den100 besten Universitäten nur vier deutsche sind, nämlichdie Uni Heidelberg auf Platz 46, die TU München aufPlatz 51, die LMU auf Platz 52 und die Uni Bonn aufPlatz 97. Da ist, finde ich, noch etwas zu tun. Da müs-sen wir noch einmal etwas drauflegen. Das muss besserwerden .Das zeigt sich auch bei der Zahl der Nobelpreisträger .Von 1900 bis 1930 gab es 35 deutsche Nobelpreisträ-ger, die auch in Deutschland tätig waren . In den letzten30 Jahren waren es 22 deutsche Nobelpreisträger, diein Deutschland tätig waren, ein erheblicher Teil bei derMax-Planck-Gesellschaft . Das heißt im Ergebnis, dass esda an den deutschen Hochschulen im Vergleich zu 1900,1910, 1920 ziemlich mau ausschaut .Deswegen war es ein richtiger, ein notwendigerSchritt, die Exzellenzinitiative zu begründen . An dieserStelle sei explizit noch einmal anerkannt, dass es dieSPD-Ministerin Bulmahn war, die sie angestoßen hat .
– Ja, das ist die Wahrheit . – Es wurde aber von der Minis-terin Schavan nach der Regierungsübernahme durch unsfinanziell, technisch und organisatorisch umgesetzt, undzwar in der Großen Koalition .
Es gab damals einen breiten Konsens, dass Exzellenzsowie Spitzenforschung und -förderung notwendig sind .Es war ein Urgestein, der SPD-Minister Zöllner, der da-für gestanden hat .
– Ein guter Mann, absolut . – Neben den Bundespoliti-kern waren es der CDU-Minister Frankenberg und derCSU-Minister Goppel,
die gesagt haben: Natürlich ist es einfacher, 50 statt8 Universitäten zu sagen: „Ihr bekommt Geld“ . Aberes braucht Mut und Weitsicht, zu entscheiden: „Was istAlbert Rupprecht
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exzellent?“ und es auch mit den Akteuren zu bespre-chen . – Exzellenz ist nicht, wenn 50 Universitäten nachdem Gießkannenprinzip Geld bekommen, sondern Ex-zellenz ist, wenn die absoluten Spitzenuniversitäten Geldbekommen . Es heißt nämlich Exzellenzinitiative und be-wusst nicht Gießkanneninitiative .
Insofern wünsche ich mir und hoffe, dass dieSPD-Kollegen, Herr Kollege Heil, sich in den nächstenWochen bei diesem Thema ein Vorbild an großen sozi-aldemokratischen Bildungsministern wie Herrn Zöllnernehmen und den Weg gemeinsam mit uns beschreiten .Wo Exzellenzinitiative draufsteht, muss auch Exzellenzdrin sein . Das heißt: Förderung von einigen wenigenSpitzenzentren mit internationaler Ausstrahlung, aberauch von Forschungsfeldern . Ein Forschungsfeld kanndurchaus auch ein Fachbereich sein, es kann ein Clustersein oder anderes, also ausdifferenzierte Strukturen .Ich muss leider enden, weil die Redezeit abgelaufenist .
Das ist schade; denn ich würde gerne zur beruflichenBildung und zum wissenschaftlichen Nachwuchs nochetwas sagen . Aber meine nachfolgenden Redner werdendas machen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
die Kollegin Dr . Rosemarie Hein .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich muss Ihnen mit ein paar Zahlen kommen . 7 ProzentSteigerung im Einzelplan für Bildung und Forschung:Das klingt nach viel,
doch es ist wenig angesichts der permanenten und in-zwischen chronisch gewordenen Unterfinanzierung desgesamten Bildungsbereiches .Schauen wir einmal in die einzelnen Kapitel hinein .Im Wissenschaftsbereich, dem größten Haushaltsbe-reich in diesem Einzelplan, wird der Etat um 9,5 Prozentaufgestockt . Für die Forschungsförderung sind immerhinnoch 4 Prozent mehr Geld vorgesehen . Für die allgemei-ne und die berufliche Bildung, in der die Weiterbildungund die gesamte Nachwuchsförderung untergebrachtsind, bleibt gerade einmal eine Steigerung um 2 Prozent .Ich finde, eine ausreichende Bildungsfinanzierung undmehr Chancengerechtigkeit sehen anders aus .
In diesen Einzelplan gehört auch die gesamteBAföG-Erhöhung hinein . Das heißt, von den 85 Milli-onen Euro, die hier mehr ausgegeben werden, werdenallein schon 40 Millionen Euro für die BAföG-Erhöhungbenötigt . Diese 40 Millionen Euro – das haben Sie vonuns mehrfach gesagt bekommen – werden nicht ausrei-chen, um auch nur die Steigerung der Lebenshaltungs-kosten für Studierende in irgendeiner Weise zu kompen-sieren . Sie sind also schon jetzt zu wenig . Wenn IhnenBildung so wichtig ist, wie Sie immer vorgeben, hättenhier andere Zahlen stehen müssen .
In dieses Kapitel gehört auch die „Qualitätsoffensi-ve Lehrerbildung“ mit den etwa 50 Millionen Euro, dieSie dafür ausgeben wollen . Wir wissen alle, dass in denletzten Jahren die Lehramtsstudierenden darüber klagen,dass ihre Ausbildung nicht hinreichend ist . Wir wissenum die mangelnde Qualität der Lehramtsausbildungen .Wir wissen, dass das ein ungeliebtes Kind der Hoch-schulen war, weil man dafür keine Drittmittel einwerbenkann . Deshalb gibt es jetzt dieses Programm, um dieQualität der Lehramtsausbildung zu verbessern . Es sollein Wettbewerbsprogramm um die besten Konzepte sein .Die erste Ausschreibungsrunde ist gelaufen . Die ersten70 Prozent des Etats sind vergeben . 19 Projekte vonHochschulen haben Förderzusagen erhalten . Es gibt aber120 Hochschulen, die Lehramtsstudierende ausbilden .Drei Viertel der Bewerbungen wurden abgelehnt . Abereine bessere Lehramtsausbildung brauchen wir doch anallen Hochschulen und nicht nur an 19 oder vielleichtnoch an fünf mehr .
Ich finde, das Instrument des Wettbewerbs ist weniggeeignet, um eine Lehramtsausbildung in dieser Qualitätflächendeckend in relativ kurzer Zeit umzusetzen.
Das eignet sich nicht dafür . Hören Sie damit auf . SuchenSie dafür einen anderen Weg .Aber es geht nicht nur um die Qualität der Lehramts-studienplätze, sondern auch um ihre Anzahl . Ende Au-gust klagte der Philologenverband, dass derzeit etwa30 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen . Das war abseh-bar. In meinem Bundesland hat man aus Effizienzgrün-den vor einigen Jahren einen ganzen Ausbildungsstand-ort geschlossen . Inzwischen gibt es nicht mehr genügendLehrkräfte, um alle frei werdenden Stellen zu besetzen .Die meisten Bundesländer haben in den vergangenenJahren zu wenige Lehramtsstudienplätze bereitgestellt .Das haben sie in Erwartung sinkender Schülerzahlen ge-tan . Nun wissen wir, dass sich die Prognose geändert hat .Es werden 800 000 junge Menschen mehr sein, die zurSchule gehen werden . Dafür brauchen wir Lehrkräfte .
Albert Rupprecht
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– Nun ist es falsch, die Schuld einfach auf die Länder zuschieben, Herr Brase . Das ist eine sehr billige Ausrede .Sie konnten nicht wissen, wie sich die Situation entwi-ckelt .Wir haben Ihnen seit 2010 abverlangt, die Ausweitungdes Hochschulpaktes zu befördern, und zwar bezogenauf die Lehramtsausbildung mit 30 000 zusätzlichen Stu-dienplätzen . Diese Zahl kommt Ihnen bekannt vor, ichhabe sie gerade genannt . Hätten Sie damals auf uns ge-hört und nicht einfach den Antrag vom Tisch gewischt, sohätten wir heute zumindest ein paar Probleme weniger .
In die Schülerzahl ist die Anzahl der Flüchtlingskindernoch nicht eingerechnet . Sie kommt noch obendrauf .
– Die haben auch wir damals noch nicht gewusst, obwohlman bestimmte Dinge schon absehen konnte .Hier brauchen wir zusätzliche Fachkräfte, nämlichPsychologen, Therapeuten sowie Lehrkräfte, die Deutschals Zweitsprache oder Deutsch als Fremdsprache unter-richten können . Das können die allermeisten Lehrkräftenicht . Ich bin Deutschlehrerin, ich könnte es auch nicht .Ich habe es nie gelernt .In meiner Heimatstadt Magdeburg wurde die Aufnah-me von Kindern aus Flüchtlings- und Zuwandererfamili-en bisher auf wenige Schulen konzentriert . Das wird nunnicht mehr gehen . Sie werden an allen Schulen aufge-nommen werden müssen . Dort sind die Lehrkräfte abernicht darauf vorbereitet . Sie können es auch nicht einfachnebenbei leisten . Dazu ist die Aufgabe viel zu groß .
In dieser Haushaltsdebatte wurde in jeder zweitenRede betont, dass die Bildung von Flüchtlingskindernwichtig ist . Das ist richtig, und sie können nicht mehrmonatelang darauf warten . Sicher müssen die Hochschu-len etwas tun, aber wir brauchen die Lehrkräfte schnell .Ich frage mich: Warum bieten Sie nicht wenigstens einWeiterbildungsangebot für Deutsch als Zweitspracheoder Deutsch als Fremdsprache an?
Der Weiterbildungsbereich ist der Bereich im Haushalt,der gekürzt wird .Ganz zum Schluss noch etwas zum Deutschlandsti-pendium; ich kann es Ihnen nicht ersparen . Die Bundes-regierung hat sich sehr gefreut: 22 500 Förderfälle gebees im Jahr 2014, ein Anstieg um 14 Prozent . Die Bun-desregierung verschweigt: Die Zahl der Deutschland-stipendien macht gerade einmal 0,84 Prozent der Zahlder Studierenden aus, also nicht einmal 1 Prozent; einVerhältnis von 1 100 . Ich kenne Lotterien mit höherenGewinnchancen .
Schlimmer ist aber noch: Dem Zuwachs von 2 800 zu-sätzlichen Deutschlandstipendiaten steht im gleichenZeitraum ein Rückgang von über 19 000 BAföG-Emp-fängern gegenüber; und das bei steigenden Studierenden-zahlen. Ich finde, das ist ein ausgesprochen schlechtesSignal . Darum bleiben wir dabei: Das Deutschlandstipen-dium gehört abgeschafft und in das BAföG überführt .Vielleicht können Sie bis zum Ende der Haushaltbera-tungen noch einmal über die eine oder andere Anregungnachdenken . Vielleicht können wir hier oder da etwasverbessern .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Swen Schulz .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf alsHaushälter einmal sagen: Man kann sich immer mehrwünschen oder noch mehr wünschen, gerade vonseitender Opposition . Auch der eine oder andere Koalitionsab-geordnete wünscht sich mehr . Aber insgesamt ist es einbeachtlicher Rekordhaushalt .
Herr Rupprecht, ich will hinzufügen: Ohne SPD wäredas nicht möglich .
Ich erinnere einmal an die Finanzplanung der Ko-alition von CDU/CSU und FDP . Die FinanzplanungIhrer letzten Koalition sah für das Jahr 2016 lediglich13,6 Milliarden Euro vor . Jetzt sind es etwa 3 MilliardenEuro mehr . Ich will jetzt nicht von einem SPD-Bonus fürBildung und Forschung sprechen, aber auffällig ist dasschon .
Wie auch immer . Ministerin Wanka darf sich über dietatkräftige Unterstützung der SPD freuen, und wir allefreuen uns über die gute Vorlage der Ministerin Wankaund der gesamten Bundesregierung .
Natürlich geht es nicht nur um die schiere Größe desHaushaltes, sondern vor allem darum, wie das viele Geldeingesetzt wird . Mit diesem Haushaltsplanentwurf – daswill ich ausdrücklich lobend erwähnen – werden dielangen Linien der Bildungs- und Forschungspolitik inDeutschland fortgesetzt . Ich kann auch sagen: Der roteFaden wird weitergestrickt .Auf einige dieser roten Fäden will ich näher eingehen .Da ist zuerst das BAföG zu nennen . Die beschlosseneVerbesserung greift ab dem nächsten Jahr . Das Schü-ler-BAföG und das Studierenden-BAföG werden erhöht .Dr. Rosemarie Hein
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 2015 11741
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Das macht etwa 150 Millionen Euro zusätzlich im nächs-ten Jahr aus . Die Gesamtausgaben für das BAföG liegenbei deutlich über 2 Milliarden Euro . Mit diesem Geldkönnen sich viele einen Bildungsweg erlauben, der ihnensonst verschlossen wäre . Das ist ein starkes Stück sozia-ler Bildungsfinanzierung.
Zum Thema BAföG gehört auch das Meister-BAföG .Wir tun also mehr für Schüler und Studierende – wunder-bar –, aber wir sollten das genauso für diejenigen tun, diesich beruflich qualifizieren wollen.
Deswegen haben wir in den letzten Haushaltsberatungendie Erhöhung des Meister-BAföGs gefordert, und wirhalten Wort . Der rote Faden wird verlängert . Immerhin16 Millionen Euro zusätzlich sind im Regierungsent-wurf vorgesehen . Wir wollen in den parlamentarischenBeratungen einmal schauen, ob wir ein bisschen dazu-tun können, um den Weg für eine starke Gesetzesnovellezu ebnen. Die berufliche Bildung ist uns nicht wenigerwichtig als die akademische Bildung, und das zeigen wiran dieser Stelle .
Der nächste rote Faden ist der Hochschulpakt . Die Un-terstützung des Bundes für die Hochschulen der Länderbeläuft sich inzwischen allein 2016 auf 2,5 MilliardenEuro . Auch hier haben wir unsere Ankündigung des letz-ten Jahres wahr gemacht . Wir haben zugesagt, dass wirdas Geld für die dritte Phase zur Verfügung stellen wer-den . Wir wollten auch, dass die Lehre besonders bedachtwird . Auch diese Forderung ist praktische Politik gewor-den . Ich möchte mir die Situation in den Ländern und anden Hochschulen ohne diese starke Hilfe des Bundes garnicht ausmalen . Hunderttausende können nur studieren,weil es den Hochschulpakt gibt .
Ich darf hinzufügen, was für eine Erfolgsgeschichtedie Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsbe-reich ist . Schade, dass sich dieses Konzept der Zusam-menarbeit für den Bereich Schule noch nicht durchge-setzt hat . Wir arbeiten aber unverdrossen daran .
Ich komme zu weiteren roten Fäden . Die Exzellenz-initiative wird weiter finanziert; wir arbeiten an einemFolgekonzept . Der Pakt für Forschung und Innovationzur Finanzierung der außeruniversitären Forschung wirdmit Steigerungen fortgesetzt und sogar vom Bund alleingetragen . Das sagt sich so schnell daher . Es wirkt schonfast langweilig, weil das ja keine Neuigkeiten sind . Abereines muss ich sagen: Die Exzellenzinitiative umfasst imnächsten Jahr immerhin 4 Milliarden Euro für die For-schung an Hochschulen . Zusammen mit der Förderungvon außeruniversitären Forschungseinrichtungen – Leib-niz, Helmholtz, Max-Planck, Fraunhofer und DFG –macht das 5,5 Milliarden Euro aus . 5,5 Milliarden Euro!Das gibt nicht jedes Jahr neue Schlagzeilen; aber das istverlässliche Politik, auf die die Wissenschaft vertrauenund auch bauen kann .
Das stärkt Deutschland nicht nur intellektuell, sondernauch wirtschaftlich und hilft bei der Lösung von Proble-men, zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit und Kli-ma, in der Arbeitswelt, in der Technologie oder im sozi-alen Miteinander . Deutschland steht heute in sehr vielenBereichen deutlich besser da als vor etwa 15 Jahren . Vielwird darüber geredet, welchen Anteil die Wirtschaftspo-litik, die Arbeitsmarktpolitik und die Steuerpolitik dar-an haben . Das ist alles richtig . Aber ich sage: Dass dierot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder mitder Ministerin Bulmahn eine beispiellose Offensive inder Bildungs- und Forschungspolitik gestartet hat unddass diese von den Koalitionen hinterher noch weiterge-tragen und intensiviert wurde, hat erheblich dazu beige-tragen, dass Deutschland heute stark und noch attraktiverist .
Wir belassen es aber nicht etwa dabei . Wir machenweiter . Wir beginnen, neue rote Fäden zu stricken, etwamit der Initiative für wissenschaftlichen Nachwuchs;Hubertus Heil hat dazu das Nötige gesagt . Das Wissen-schaftssystem steht auf tönernen Füßen, wenn wir unsnicht intensiver bemühen, junge Leute zu gewinnen unddauerhaft zu halten . Darum packen wir das jetzt an .Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eineReihe weiterer Themen, die wir in den parlamentarischenHaushaltsberatungen noch näher anschauen werden . Umnur Stichworte zu nennen: Alphabetisierung – die Minis-terin ist darauf eingegangen –, Arbeits-, Produktions- undDienstleistungsforschung, die „Häuser der kleinen For-scher“, das Programm „Kultur macht stark . Bündnissefür Bildung“, die Begabtenförderung im akademischenwie im beruflichen Bereich, die Fachhochschulen, digi-tale Medien in der Bildung, die Gesundheitsforschung,die Akademien und vieles mehr . Ich sage dies nur, umanzudeuten, dass es auch aus Sicht von Koalitionsabge-ordneten durchaus noch einigen Stoff für vertiefte Haus-haltsberatungen und vielleicht an der einen oder anderenStelle auch noch Veränderungsbedarf gibt .
Aber in diesen Zeiten kann wohl kaum eine Rede ge-halten werden, ohne gesondert auf die Flüchtlingsthema-tik einzugehen . Mir stellt sich die Frage, welchen Beitragdas Ministerium für Bildung und Forschung leisten kann .Ich habe den Eindruck, in der Debatte kommen sehr vie-le Themen vor, es werden viele Dinge angesprochen,auch mehrere Bundesministerien sind immer wieder imGespräch, aber das Bundesministerium für Bildung undForschung ist dies eigentlich eher wenig .
Swen Schulz
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Ich finde, es hieße, das Ressort unter Wert zu behandeln,wenn man es in der Flüchtlingsfrage außen vor ließe .
Ministerin Wanka hat dazu dankenswerterweise vor-hin in ihrer Rede schon einiges gesagt .
Es ist auch einiges beschlossen, zum Beispiel, den Zu-gang zum BAföG zu erleichtern . Sehr gut . Außerdem gibtes Maßnahmen zur Alphabetisierung von Flüchtlingen,und die vom Bund geförderte Stiftung Lesen ist aktiv . Esgibt Projekte für Flüchtlinge im Rahmen des Programms„Kultur macht stark . Bündnisse für Bildung“ . Das ist al-les fein und vielleicht auch noch auszubauen, aber ichwill trotzdem die Frage stellen: Was ist mit zusätzlichenStipendien? Was ist mit der Anerkennungsberatung?Was ist mit dem ganzen Bereich der beruflichen Bildungund der Nutzung überbetrieblicher Bildungsstätten? Be-steht da vielleicht noch weiterer Handlungsbedarf? Undkönnen wir vielleicht ein Programm für Schulsozialar-beit auflegen? Sollten wir einen neuen Schwerpunkt aufMigrations- und Integrationsforschung legen, die uns ge-sellschaftlich helfen kann bei der Bewältigung der anste-henden Fragen? Was ist mit der Friedensforschung und –das ist ein ganz anderes Feld – der Forschung im Bereichder vernachlässigten und armutsassoziierten Krankhei-ten, die ja in den Heimatländern von Flüchtlingen häufigschlimm wüten? Machen wir da genug?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bildung undForschung kann nicht alles, und wir Bundespolitiker indiesem Feld können nicht allein die Welt retten, das istklar . Aber ich weiß, dass wir mit Bildung und Forschungviele Probleme lösen und Fragen beantworten können .Ich hoffe, dass wir in den Haushaltsberatungen unserenTeil dazu beitragen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Kai Gehring, Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bildung und Forschung sind die Bereiche, in die 2016mehr Geld investiert werden soll; zwar nicht genug, aberimmerhin . Allerdings kann man aus dem Geld mehr ma-chen, als Ministerin Wanka es tut . Deswegen verlangenwir deutliche Korrekturen am Bildungs- und Forschungs-haushalt .
Ministerin Wanka verwaltet ideen- und mutlos alteProjekte ihrer Vorgängerinnen . Mit ihrer Amtszeit ver-bindet sich keine neue wegweisende Idee . Dieser an-triebslosen Politik setzen wir frische Ideen entgegen, da-mit es in Deutschland innovativer und gerechter zugeht .
Wir wollen ein Land der Chancen und Erfinder.
Seit Anfang Januar können Bund und Länder dieHochschulen dauerhaft unterstützen . Mit der Grundge-setzänderung tun sich völlig neue Chancen auf, das habenSie abgefeiert . Aber nicht so bei Frau Wanka: Auf ihrenVorschlag für mehr und dauerhafte Kooperation wartetdie Welt noch heute . „Ministerin ideenlos“ lässt grüßen .
Wie wichtig es ist, die Wissenschaftsfinanzierung wei-terzudenken, zeigt der Hochschulpakt . Seit Jahren inves-tieren Bund und Länder Milliarden in zusätzliche Studi-enplätze . Das ist ein wichtiger Kraftakt, der viel bringt .Und trotzdem sind Hörsäle überfüllt und bröckeln Bau-ten mancherorts vor sich hin, und neue Studierende mitFluchthintergrund sind in der Berechnung noch gar nichtberücksichtigt . Für bessere Studienbedingungen ist esdaher dringend notwendig, die Infrastrukturen des Wis-sens bundesweit auszubauen und zu erneuern, mit einemPush im Hochschulbau loszulegen . Wir fordern weiterein Modernisierungsprogramm . Eine kreative Wissens-gesellschaft braucht das .
Kraftlos und halbherzig geht es beim BAföG zu . FrauWanka und der Koalition gebührt die zweifelhafte Ehre,eine BAföG-Reform verabschiedet zu haben, die erstJahre später bei den Studierenden wirklich ankommt . Dasmuss man sich vorstellen: Sie feiern sich seit Jahren füreine BAföG-Novelle, aber bis heute hat keine Studieren-de und kein Studierender davon profitiert. Ein weiteresJahr wird ins Land ziehen . Das ist völlig unverständlich,das ist unfair . Das BAföG muss rauf, und zwar sofort .
Planlos sind Sie in der Forschungspolitik . Wir mei-nen, Forschungsförderung muss aktiv zur Bewältigungder großen gesellschaftlichen Herausforderungen bei-tragen . Der Bundesregierung fehlt diese Zielsetzung . Esmacht wenig Sinn, die Forschung mit genmanipulierten Organismen zu fördern und das Geld der Steuerzahlerin der Fusionsforschung zu versenken . Nachhaltig istForschung zur Lösung der Klimakrise, der Energiefrageund des Problems der Ressourcenknappheit sowie zu De-mografie und vernachlässigten Krankheiten. Nachhaltigist eine steuerliche Forschungsförderung für kleine undmittlere Unternehmen .
Nachhaltig ist auch, eine neue Gründerkultur in unseremLand zu entfachen . Genau an diesen Stellen wollen wir inIhrem Haushalt umsteuern .Swen Schulz
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Ob Exzellenzinitiative oder Nachwuchsprogramm –es gibt bisher keinen Vorschlag der Ministerin und auchkeine gemeinsame Idee der Koalition . Da kann mannicht länger warten; denn 2016 muss eine Dekade fürden wissenschaftlichen Nachwuchs beginnen . UnsereHochschulen brauchen ein Bund-Länder-Programm für10 000 zusätzliche Nachwuchsstellen, vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur . Eine zukunftsfähigeWissensgesellschaft verträgt eben kein „Hire and Fire“,sondern braucht deutlich mehr unbefristete Stellen .
Sie, Frau Wanka, sind nicht nur Forschungsminis-terin, sondern auch Bildungsministerin . Da stellt sichakut die Frage: Wie helfen Sie, die Bildung von über800 000 Flüchtlingen anzuerkennen und zu verbessern,die allein in diesem Jahr nach Deutschland kommen wer-den? Viele von ihnen werden bleiben, wollen sich ein-bringen, wollen Neubürger werden . Das birgt ganz neueChancen, und da sind Sie gefragt, Frau Ministerin .Vor wenigen Tagen bin ich einer jungen Frau aus Eri-trea begegnet . Ihren positiven Asylbescheid hat sie nachneun Monaten und zwei Wochen erhalten . So lange wardiese junge Frau zum Hoffen, Warten und Nichtstun ver-dammt, und das ist kein Zustand .
Denn in dieser Zeit hätte die junge Frau zum Beispiel ei-nen Ausbildungsplatz suchen können . Doch welcher Ar-beitgeber stellt sie ein, wenn jederzeit die Abschiebungdroht? Wie absurd ist das eigentlich? Es wäre für Sie einLeichtes, daraus eine Win-win-Situation zu machen . Vie-le Betriebe suchen händeringend nach Azubis und Fach-kräften . Die Flüchtlinge wollen arbeiten und sich bilden .Dafür müssen Sie die Bedingungen schaffen . Flüchtlingemüssen zügig eine Ausbildung beginnen und sie auch inunserem Land abschließen können .
Unter den Neuankömmlingen sind bis zu 400 000 un-ter 18 Jahren . Die können was und wollen was: die Schu-le abschließen, Deutsch lernen, eine Ausbildung oderein Studium aufnehmen oder fortsetzen . Dafür brauchtes eine gemeinsame Kraftanstrengung . Integration durchBildung ist die größte Chance und Herausforderung die-ses Jahrzehnts, und da kann der Bund helfen . Wie kann erdenn helfen? Die Bund-Länder-Programme zur Dekadefür Alphabetisierung sind da ein kleiner, richtiger Schritt .Diesem Schritt müssen aber weitere folgen, wenn es umBildung für alle geht – mit mehr Sprachkursen, mehrPlätzen und Personal in Kitas, Schulen und Hochschulen,nicht zuletzt mit deutlich mehr Stipendien für Flüchtlin-ge; auch der Zugang zum BAföG kann und muss schnel-ler erfolgen .
Denn jeder junge Flüchtling von heute kann Gründerin,Arzt oder Ingenieurin von morgen sein .
Dafür braucht es übrigens Zigtausend zusätzlicheLehrkräfte und mehr Klassenzimmer . Nordrhein-Westfa-len geht voran und schafft allein 3 600 zusätzliche Leh-rerstellen zur Flüchtlingsintegration . Hilfen für Schulensind aber eine nationale, bundesweite Aufgabe, und Sie,Frau Wanka, können da mitwirken . Machen Sie mit unsein Bund-Länder-Schulmodernisierungsprogramm, umSchulen auszubauen .
Das wäre dringend notwendig, schon länger und erstrecht jetzt, wenn man sieht, wie viele Schülerinnen undSchüler zusätzlich kommen . Das können wir machen,und das sollten wir machen: ein Schulmodernisierungs-programm .
All das gehört in Ihren Haushaltsentwurf 2016, erstrecht in Zeiten von Steuerüberschüssen .
Da muss man gerade bei Zukunftsinvestitionen beson-ders stark zulegen . Wir werden Hand anlegen und Än-derungsanträge zu Ihrem Haushalt für Forschung undBildung stellen . In diesem Bereich wird Zukunft gedachtund gemacht . Jetzt sind wir Parlamentarier an der Reihe,um Ihren bisweilen ideenlosen Entwurf zu überarbeiten,damit aus unserem Einwanderungsland ein Land derChancen wird und damit es für alle in Deutschland inno-vativer und gerechter zugeht .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Tankred
Schipanski, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gehring, IhreReden waren schon frischer, sie waren ideenreicher, wit-ziger und auch mal besser .
Kai Gehring
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Zudem war es falsch, was Sie erzählt haben . Schauen Sieauf die Geduldeten, die während der Ausbildung ebennicht mehr abgeschoben werden dürfen .
Schauen Sie auf die Programme des BMBF wie „Bildungintegriert“ und auf die vielen anderen Ansätze, die heutein dieser Debatte gerade auch mit Blick auf die Flücht-lingspolitik vorgetragen wurden .
Lassen Sie mich Ihnen ein paar Fakten vortragen –Albert Rupprecht hat darauf hingewiesen –: Seit 2005 hatsich der Forschungs- und Bildungshaushalt von 7,6 aufjetzt 16,4 Milliarden Euro mehr als verdoppelt . Das istein unwahrscheinlicher Aufwuchs allein in diesem Jahr .Im Jahr 2016 steigt er wieder um 7,3 Prozent oder um-gerechnet um 1,11 Milliarden Euro . Das ist – insbeson-dere im Vergleich zum Gesamthaushalt – ein deutlicherZuwachs .Bei den Bruttoinlandsausgaben für FuE gab esvon 2008 bis 2012 eine Steigerung um 56 Prozent auf79,1 Milliarden Euro . Die Wirtschaft trägt zwei Dritteldieser Ausgaben . Dazu passt auch, dass von den zehn derforschungsstärksten europäischen Unternehmen fünf ausDeutschland kommen .92,4 Prozent der internen FuE-Ausgaben der Wirt-schaft werden in Westdeutschland eingesetzt . Das ist einFakt, der für uns nicht befriedigend ist . Daher legen wirbeim Titel „Innovationsförderung in den neuen Ländern“ein ganzes Stück nach . Wir haben den Haushaltstitel auf149 Millionen Euro erhöht, um die Innovationskraft unddie FuE-Leistungen in den neuen Ländern zu stärken .
Ferner bauen wir – es ist angeklungen – unter Wah-rung des eigenständigen Profils von Universitäten undFachhochschulen den Titel „Forschung an Fachhoch-schulen“ aus . Lag der Etat für die Fachhochschulen imJahr 2011 noch bei 37 Millionen Euro, liegt er nun beiüberwältigenden 48 Millionen Euro . Das ist ein gutesZeichen .Auf den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, denPakt für Forschung und Innovation möchte ich an dieserStelle nicht weiter eingehen; das haben meine Vorrednergetan .Die Zahlen, die wir vorgetragen haben, sind das eine .Kardinal Marx sagte am Dienstagabend dieser Wocheauf dem traditionellen St .-Michael-Jahresempfang: Wirbrauchen ein umfassenderes Bild von Wachstum, nichtnur nackte Zahlen wie Bruttoinlandsprodukt und Ar-beitslosenzahlen . – Blicken wir mit diesen Augen auf dieBildungsrepublik Deutschland, lässt sich dieser Haushaltund unsere Politik als eine Politik der Chancengerech-tigkeit beschreiben: weniger Schulabbrecher, viele be-gleitende Maßnahmen, Rekordniveau bei Studierenden,kontinuierliche Stärkung der dualen Ausbildung; unsereInitiative in Bezug auf das Meister-BAföG sei in diesemZusammenhang besonders erwähnt .
Unsere Politik ist eine Politik nachhaltiger Bildung,Stichwort: kein Abschluss ohne Anschluss . Wir ermög-lichen ein durchgängiges System und lebenslanges Ler-nen; die Nationale Strategie für Alphabetisierung gehörtselbstverständlich dazu, liebe Kollegen von den Grünen .Unsere Politik lässt sich beschreiben als eine Politik,die unsere Wissenschaftler motiviert, ermutigt und wert-schätzt, sie als Motor der Innovation begreift . Wir beglei-ten das durch das Wissenschaftsfreiheitsgesetz . Die Be-richte über die GAIN-Tagung zeigen: Viele kluge Köpfeder Welt möchten hier in Deutschland als Wissenschaft-ler arbeiten . Das spiegelt sich auch in der Reform desWissenschaftszeitvertragsgesetzes wider, durch das wirdie Einrichtungen regulieren wollen, die sich als schwar-ze Schafe entpuppt haben und mit ihrem wissenschaftli-chen Nachwuchs nicht so umgehen, wie wir uns das vor-stellen . – Sie sehen: In der Bildungsrepublik Deutschlandstimmen nicht nur die Zahlen, sondern auch der damitverbundene Geist .
Trotz der positiven Tatsache, dass sich der Bund inhöchstem Maß im Bereich Bildung und Forschung en-gagiert, fragte mich gestern eine Schülerin einer Besu-chergruppe, warum so wenig davon bei ihrer Schule vorOrt ankomme . Ein Student meiner thüringischen Heima-tuniversität, der TU Ilmenau, fragte, warum dort gegen-wärtig massiv Stellen gestrichen werden? Meine Damenund Herren, was ist da los? Warum kommt das Geld nichtvor Ort an? Dafür gibt es einen einzigen Grund: MancheBundesländer torpedieren durch ihre Landespolitik dieSchwertpunktsetzung des Bundes .Lieber Herr Heil, da braucht es keine Ausführungenzum Kooperationsverbot . Auch ich freue mich, dass dieBundesratsbank heute für ihre Verhältnisse relativ gutgefüllt ist . Manche Bundesländer nutzen das großartigeEngagement des Bundes, um ihre eigenen Mittel in denBereichen zurückzufahren, in denen sie eigentlich inves-tieren müssten .
Manche Bundesländer nehmen ihren Verfassungsauftragnicht ernst
und finanzieren trotz primärer Zuständigkeit ihre Bil-dungseinrichtungen unzureichend .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können in Ber-lin noch so viel drauflegen, wir können noch so vieleAufwüchse vorsehen, die Bundesländer müssen mitzie-hen; denn nur so können unsere Impulse in den einzelnenBundesländern wirken, nur so können bei Studentinnenund Studenten sowie den Schülerinnen und Schülern po-sitive Effekte ankommen . Ich kann den Bundesländern,die so eine Politik betreiben, nur sagen: Sie verspielenTankred Schipanski
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damit Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit; Sie be-treiben eine falsche Haushaltspolitik .
Schauen wir doch einmal auf die Bildungs- und Hoch-schulpolitik in Thüringen, wo die Linke Verantwortungträgt .Thüringen war berühmt für seine gute MINT-Aus-bildung in den Schulen, für die Erfolge bei „Jugendforscht“, für außerschulisches Bildungsengagement . DerBund unterstützt dies mit vielen Projekten, obwohl erkeine Zuständigkeit für diesen Bereich hat .
Flächendeckend engagieren wir uns über die Stiftung„Haus der kleinen Forscher“ . Allein in diesem Haushalts-jahr sind dafür 10,5 Millionen Euro angesetzt . Thüringenhat in den Haushalten für die Jahre, in denen Sie jetztin Thüringen regieren, keinen einzigen Euro für außer-schulische Bildung eingestellt, obwohl es sehr viele loka-le Initiativen gibt, die auf die Unterstützung des Landeswarten .
Das Land ist dafür ausdrücklich zuständig . Doch die Linken geben keinen müden Euro dafür .Es wird nichts besser, aber vieles schlechter . In mei-nem Wahlkreis wird höchstwahrscheinlich die Compu-terschule in Arnstadt geschlossen . Die Ministerin derLinken hatte vor Schuljahresbeginn noch nicht einmalZeit, sich mit den Verantwortlichen dieser Initiative vorOrt zu treffen. Das finde ich äußerst bitter. Das ist linkeBildungspolitik .
– Das müssen Sie jetzt ertragen . Sie stehen da in Verant-wortung .Heute lese ich in der Zeitung, dass Thüringer Schülerein ganzes Schuljahr lang keine Klassenfahrten machenkönnen, weil die neue Landesregierung auch diesen Titelzusammengestrichen hat. Das finde ich bemerkenswert.Aber hier regen Sie sich über das Deutschlandstipendiumauf, von dem 1 Prozent der Studierenden profitiert. Dasist einfach unredlich .
Die Linke hat 1 000 neue Lehrer versprochen . Nichtsist passiert .
Stattdessen gibt es Unterrichtsausfall: Ganze Fächer fal-len aus . Über die Lehramtsanwärter will ich erst gar nichtsprechen . Sie beklagen hier, dass die Lehrerausbildungnicht klappt . Schauen Sie nach Thüringen: Da läuft über-haupt nichts . Sie haben nicht eines Ihrer Wahlverspre-chen wahrgemacht .
Ich bin gespannt, ob Sie dem Beispiel Bayerns folgenund jetzt Willkommensklassen einrichten .
Das wäre ein wichtiger Beitrag, den die Landesregierungmit Blick auf die Flüchtlinge leisten könnte .
Kollege Schipanski?
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu .
Ist gut .
Wir machen das am Ende .
Am Ende machen wir gar nichts .
Wir haben die Länder in Milliardenhöhe durch eineBAföG-Reform entlastet . Die frei werdenden Mittel soll-ten an den Hochschulen eingesetzt werden . In Thüringenging 2015 aber kein einziger Euro davon an die Hoch-schulen . Skandalös ist das .
Meine Heimatuniversität in Ilmenau muss ein Drittel ih-rer Lehrstühle – noch einmal: ein Drittel ihrer Lehrstüh-le! – aus Finanznot streichen, weil der Freistaat sie nichtausreichend finanziert. Der renommierten UniversitätTankred Schipanski
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Jena geht es nicht besser . Das ist die Wahrheit über dielinke Hochschulpolitik, die Sie im Land vertreten .
Was Sie auf Bundesebene fordern, auch in Ihren Redenheute, ist Schall und Rauch . Sie machen nichts besser; siemachen vieles schlechter .
Warum sage ich das an dieser Stelle so ausdrücklich?
Weil ich froh bin, dass ich mich als Mandatsträger hierim Bundestag frei äußern darf . Anders ist es unter demGenossen Ramelow im linken Thüringen,
der am gestrigen Tage den kommunalen Amtsträgern –das sind Bürgermeister und Landräte – in einem Erlassangedroht hat, sie disziplinarrechtlich zu verfolgen,wenn sie seine chaotische Flüchtlingspolitik im Freistaatöffentlich kritisieren .
Ein Maulkorberlass, und das im 25 . Jahr der deutschenEinheit! Schämen Sie sich!
Das ist skandalös . Wir werden uns von solchen SED-In-strumenten nicht einschüchtern lassen, weder Amtsträgernoch Mandatsträger . Wir werden auch weiterhin die Tat-sachen der Genossen benennen .
Ich fordere die Bundesländer auf, durch ihre Haushaltedie aktive Politik der Bundesregierung und des Ministeri-ums für Bildung und Forschung weiter zu unterstützen .
Wir setzen die richtigen Schwerpunkte, gerade auch mitBlick auf die Digitalisierungspolitik . Das war gestern beider Rede unserer Kanzlerin Thema Nummer eins . Diesist ein Haushalt der Ermutigung . Wir haben klare Zu-ständigkeiten . Ich freue mich auf die Beratungen diesesHaushalts .Vielen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marianne Schieder,
SPD-Fraktion .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! LiebeKollegen! Meine Vorrednerinnen und Vorredner sind be-reits allgemein auf die Vorzüge, aber auch auf die Bau-stellen eingegangen, die es im Bildungsetat gibt . Mancheiner, Herr Schipanski, hat deutlich daran vorbeigeredet;das muss man auch einmal sagen .
Ich möchte Ihr Augenmerk auf eine besondere und,wie ich meine, viel zu wenig beachtete Problematik rich-ten . Ich möchte auf die Lage all der Menschen in diesemLand eingehen, die mit einer Lese- und Rechtschreib-schwäche zu kämpfen haben und die mehr oder wenigerals Analphabeten einzustufen sind .Worüber reden wir da? Hierzulande gelten – man kannes kaum glauben, aber es ist wahr und durch zuverlässi-ge Forschung nachgewiesen – 7,5 Millionen Menschenim erwerbsfähigen Alter als funktionale Analphabeten .Das sind 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung .57 Prozent der Betroffenen gehen einer regelmäßigen Ar-beit nach, häufig natürlich als angelernte oder ungelernteArbeitskräfte . Deutsch – man höre und staune – ist bei58 Prozent der Betroffenen die Muttersprache . 80 Pro-zent der Betroffenen haben sogar einen Schulabschluss .Es handelt sich also nicht um ein Rand- oder gar einRandgruppenproblem, sondern es handelt sich um eineProblematik, die die gesamte Gesellschaft durchdringt .Wir reden über Bürgerinnen und Bürger, die ihreRechte und Pflichten nicht entsprechend wahrnehmenund erfüllen können und dies wie einen schrecklichenMakel vor ihren Nachbarn, vor Freunden, vor den Ar-beitgebern, ja, manchmal sogar vor der eigenen Familiegeschickt zu verbergen wissen .Wir reden über Väter und Mütter, die ihren Kindernnicht bei den Hausaufgaben helfen können . Wir redenüber Menschen, die aus Scham und Furcht in prekärenJobs landen, obwohl sie mit der richtigen Unterstützunggute Chancen auf qualifizierte Arbeitsplätze hätten.
Wir reden über Menschen, die wir aus einer men-schenunwürdigen Situation befreien müssen – einer Si-tuation, die eines Sozialstaats und einer Bildungsgesell-schaft unwürdig ist .
Weil uns Sozialdemokraten dieses Thema so wichtigist, ist es Teil des Koalitionsvertrags geworden . Wir ha-ben bereits im Juni dieses Jahres einen Antrag dazu inerster Lesung beraten . Dieser Antrag und die darin ein-Tankred Schipanski
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geforderten Maßnahmen sind gerade auch in der Fachöf-fentlichkeit sehr positiv aufgenommen worden .Im Zentrum steht die Forderung nach einem famili-en- und lebensweltorientierten Förderprogramm, dasniedrigschwellige Angebote unterstützt, mit denen diebetroffenen Menschen und ihre Familien erreicht werdenkönnen, um so die Schreib- und Lesepraxis in den Fami-lien zu stärken .Wir brauchen aber auch den Ausbau von arbeitsplatz-orientierter Grundbildung, damit vor allen Dingen er-werbstätige Menschen mit Lese- und Schreibschwächegefördert werden können .Wir halten es für dringend erforderlich, dass eine na-tionale Koordinierungs- und Monitoringstelle gegründetwird, die all die Aktivitäten des Bundes, aber auch derLänder bündelt und Service und Beratung bietet .
Das Rad muss nicht neu erfunden werden . Vielmehrgilt es, die vielen erfolgreichen Pilotprojekte in dieFläche zu tragen und ein Angebot zu schaffen, das dieZielgruppen erreicht . Auch die vielen Lehrkräfte und Er-wachsenenbildner, die sich von einer befristeten Stellezur anderen hangeln, brauchen endlich Planungssicher-heit und gesicherte Arbeitsverhältnisse .Frau Ministerin, am Dienstag haben Sie anlässlich desWeltalphabetisierungstags auch Ihre Pläne zu diesemThema vorgestellt . Das wurde auch Zeit, kann ich dazunur sagen; denn ich will heute nicht verhehlen, dass ichlange Zeit, eigentlich bis Dienstag, den Eindruck hatte,dass das Interesse an diesem Thema seitens des Ministe-riums und auch seitens der Ministerin wesentlich ausge-prägter sein könnte . Aber ich bin natürlich sehr erfreut,dass es jetzt losgeht, dass sich das Ministerium und dieMinisterin dieses Themas annehmen und dass Sie mituns gemeinsam die nationale Dekade für Alphabetisie-rung anschieben . Das ist gut so, und die Maßnahmen, dieangekündigt worden sind, sind es auch .Aber es gibt an manchen Stellen noch Luft nach oben .Das betrifft vor allen Dingen die Finanzierung . 180 Mil-lionen Euro für zehn Jahre ist viel Geld, aber angesichtsder Tragweite der Aufgabe nicht zu viel Geld . Da warenwir schon weiter . Wir haben in den Haushalt für 2015immerhin schon knapp 20 Millionen Euro eingestellt .Bei diesem Betrag pro Jahr sollten wir, meine ich, auchbleiben .
Ich hoffe sehr, dass das letzte Wort in dieser Hinsichtnoch nicht gesprochen ist . Denn das Thema ist wichtig .Es handelt sich um eine Thematik, die nicht in kurzerZeit zu bewältigen ist . Nur durch ausreichende und gesi-cherte Mittelausstattung können wir langfristige Projektefinanzieren und verhindern, dass nur Leuchtfeuer entzün-det werden, die im Endeffekt nicht zum Ziel führen .Wir haben einen guten Weg eingeschlagen, was dieAlphabetisierung und Grundbildung betrifft . Ich bin si-cher, dass die ausgerufene Alphabetisierungsdekade hel-fen wird, die Zahl der Analphabeten in unserem Land zusenken . Es gibt aber noch viel zu tun, bis dieses Ziel er-reicht ist . Ich bitte Sie alle in allen Fraktionen, uns zu un-terstützen . Ich bitte Sie: Packen wir es gemeinsam an, umeine für die Menschen unwürdige Situation, die dringendverbessert werden muss, wirklich zu verbessern .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Die Kollegin Anette Hübinger, CDU/CSU-Fraktion,
hat jetzt das Wort .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Enorme Herausforderungen bei derFlüchtlingsaufnahme, weitere Krisenbewältigung inGriechenland – dennoch ein Rekordhaushalt für Bildungund Forschung und der Wille, das Ganze ohne Neuver-schuldung auf den Weg zu bringen . Das sind die zentra-len Herausforderungen an die Haushalts- und Finanzpo-litik, insbesondere im Haushaltsjahr 2016 . Die schwarzeNull ist kein Selbstzweck . Vielmehr geht es bei soliderHaushaltspolitik darum, das Vertrauen in Deutschland zuerhalten und der jungen Generation Perspektiven zu er-öffnen . Daher müssen wir unsere aktuellen Probleme mitheutigen Mitteln lösen und dürfen das Ganze nicht aufdie nächste Generation verschieben . Denn dann würdenwir es uns zu leicht machen .
Mit dieser Prämisse im Hinterkopf setzen wir nunden Auftakt für die Haushaltsverhandlungen 2016 . Wasbedeutet das für den Einzelplan 30, Bildung und For-schung? Weil die regierende Koalition an die junge Ge-neration denkt, bleibt der Bereich Bildung und Forschungweiterhin zentraler Schwerpunkt . Für das kommendeJahr – das haben wir gehört – sind 16,4 Milliarden Euroveranschlagt . Das ist eine Steigerung um 1,1 MilliardenEuro . Aber man muss auch dazusagen, dass in diesemBetrag 100 Millionen Euro aus dem Haushaltsjahr 2017enthalten sind, die in 2016 vorgezogen werden, um neueAnsätze schon jetzt realisieren zu können . Das Betreu-ungsgeld hat etwa 108 Millionen Euro in unserem Haus-halt ausgemacht . Diese Mittel wurden über die GMAerwirtschaftet . Auch das bleibt jetzt in diesem Haushalterhalten .
Diese Mittelsteigerung liegt prozentual betrachtetmit 7,4 Prozent doppelt so hoch wie die Steigerung desGesamthaushaltes . Es ist meines Erachtens ein richtigesund wichtiges Signal, dass die Bundesregierung an dem10-Prozent-Ziel – 7 Prozent für Bildung und 3 Prozentfür Forschung – festhalten wird .Der bildungs- und forschungspolitische Fokus in die-sem Haushalt richtet sich aber nicht nur auf die Aufga-ben des Bundes selbst . Mit der Übernahme des BAföG,Marianne Schieder
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mit dem Hochschulpakt und mit der alleinigen Finanzie-rung der Steigerung der Mittel für die außeruniversitä-ren Forschungsinstitutionen entlasten wir die Länder umeinen namhaften Milliardenbetrag . Das sind, wenn manes überschlägt, ungefähr 5 Milliarden Euro . Ins Verhält-nis gesetzt zum Haushaltsvolumen von 16,4 MilliardenEuro macht das fast ein Drittel aus . Ein Drittel ist also fürAufgaben der Länder vorgesehen . Dies obliegt eigent-lich nicht dem Bund und damit unserem Haushalt . Wirals Haushaltspolitiker müssen bald fragen, was unserenHaushalt ausmacht und ob wir die Bundesaufgaben inZukunft noch ordnungsgemäß erledigen können .Welchen Wert eine stringente Bildungs- und Forschungs-politik hat, zeigt sich auch darin, dass Deutschland mit7,4 Prozent die mit Abstand geringste Jugendarbeitslo-sigkeit in Europa hat. Das ist unserer beruflichen Ausbil-dung, der dualen Ausbildung geschuldet . Dieses Modellder beruflichen Ausbildung wird mittlerweile weltweitnachgefragt .Das zeigt sich aber auch an den transnationalen Pa-tentanmeldungen . Hier ist Deutschland führend in Euro-pa und auf Platz drei weltweit . Dies ist ein Verdienst derIndustrie, aber ebenso der Forschungspolitik, die in derHightech-Strategie die globalen Herausforderungen ad-ressiert, zu verdanken .Somit stellen sich aufs Neue die Fragen: Wie kann mandiese Erfolge weiter ausbauen, und welche Schwerpunk-te sollten aus fachpolitscher Sicht gesetzt werden? Wiekönnen wir auf neue Entwicklungen wie beispielsweisedie Flüchtlingsströme adäquat reagieren? Erst einmalbleibt festzuhalten, dass die Themen „Bildungsgerech-tigkeit“, „ein ganzheitliches, leistungsfähiges Wissen-schaftssystem“, „starke außeruniversitäre Forschungs-einrichtungen“ sowie „Stärkung der Spitzenforschung“Leitlinien in diesem Einzelplan sind .An dieser Stelle mein Dank an das Ministerium, dasdie wesentlichen Schwerpunkte, die die Fachpolitiker ge-setzt haben, in diesem Haushaltsjahr weiter fortschreibt .Ihnen, den Fachpolitikern, waren zum Beispiel besonderswichtig: die Verbesserung der Berufsorientierung, eineStärkung der überbetrieblichen Bildungsstätten, Weiter-bildung und lebenslanges Lernen . Dies sind Themen, diebesonders jungen Menschen auf ihrem beruflichen Weghelfen und ihnen auch bei ihrer künftigen Entwicklung inihrem Berufsleben weiterhelfen . Das BMBF schließt indiesem Haushaltsentwurf daran an und investiert in dieüberbetrieblichen Bildungsstätten im Bereich Digitali-sierung weitere 14 Millionen Euro .
Man kann sagen: Die ÜBS werden fit für die Zukunftgemacht .Besonders zu erwähnen ist die Initiative des BMBFzur Gewinnung von Studienabbrechern für die beruf-liche Ausbildung . Damit soll die Durchlässigkeit zwi-schen akademischer und beruflicher Bildung verbessertund den jungen Menschen neue Perspektiven eröff-net werden. Eine fundierte berufliche Ausbildung undeine durchlässige Weiterbildung untermauern auch dieGleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bil-dung . Diese Gleichwertigkeit wird noch dadurch unter-strichen, dass wir jetzt das Meister-BAföG novellierenund es dem BAföG für Studierende gleichstellen . In derFraktionsklausur wurde von unserem Fraktionsvorsit-zenden Volker Kauder der Wunsch geäußert – das wurdeauch so verabschiedet –, dass diese Gleichwertigkeit her-gestellt wird und wir dafür neue Mittel einstellen .
Jetzt brauchen wir nur noch das Votum der Sozialdemo-kraten, diesen Weg mitzugehen . Aber ich denke, das wer-den wir in den Haushaltsberatungen hinbekommen .Auch die Weiterentwicklung der Alphabetisierungs-strategie zu einer Dekade der Alphabetisierung gewinntaufgrund der Flüchtlingsströme natürlich an Bedeutung .Liebe Frau Kollegin Schieder, wir fangen nicht erst da-mit an, sondern es werden, wie Ministerin Wanka betonthat, bereits Hunderte von Millionen Euro dafür inves-tiert . Und: Eine Strategie zu einer Dekade weiterzuent-wickeln, ist – das zeigt sich schon in der Wortwahl – einebesondere Herausforderung, der wir uns stellen wollen .Auch in der Forschung haben wir Akzente, auch neueAkzente gesetzt . Für Gesundheitsforschung und Gesund-heitswirtschaft werden im Haushaltsjahr rund 7 Millio-nen Euro zusätzlich eingestellt . Als Beispiel möchte ichhier die Wirkstoffinitiative, die sich der Erforschung vonneuen Wirkstoffen im Bereich der Antibiotikaresistenzenwidmet, nennen . Welche Brisanz dieses Thema hat, kannman täglich in der Presse nachlesen . Denn immer wiederwird über ganze Abteilungen in Kliniken berichtet, dievorübergehend geschlossen werden, weil ein multiresis-tenter Keim aufgetreten ist .Besonders am Herzen liegt mir – das wurde heuteschon erwähnt – die Erforschung der armutsassoziierten,vernachlässigten Krankheiten . Diese Krankheiten warenauch ein besonderer Schwerpunkt beim G-7-Treffen indiesem Jahr .Produktentwicklungspartnerschaften sind ein neuesFinanzierungsmodell in unserem Haushalt . Wir werdenmit diesen Produktentwicklungspartnerschaften in einezweite Förderrunde gehen . Ich gehe von einer Verdoppe-lung der Mittel im Förderzeitraum aus .Ein weiteres zukunftsweisendes Anliegen ist die Di-gitale Agenda . Denn die Digitalisierung tangiert jedenEinzelnen von uns in allen Lebensbereichen . So muss dieForschung nicht nur die Digitalisierung an sich begleiten,sondern auch Antworten darauf finden, wie die Arbeits-welt und unser künftiges Leben in diesem Prozess positivgestaltet werden können . Daher wurde der gesamte The-menbereich um 10 Millionen Euro gestärkt und interdis-ziplinär angelegt .Durch die Digitalisierung sollen neue wissenschaftli-che Informationsstrukturen aufgebaut werden . Durch dieVernetzung von Forschungsdatenbanken kann ein uner-messliches Potenzial gehoben werden . Dies ist ein wich-Anette Hübinger
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tiger Schritt für den Forschungsstandort Deutschland, dermit der Open-Access-Strategie neue Maßstäbe setzt .
Des Weiteren wird das Thema „Digitale Bildung anSchulen“ vorangetrieben . Und mit der Plattform „Indus-trie 4 .0“ wird ein deutliches Zeichen für die Digitalisie-rung der Wirtschaft gesetzt .Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die Flücht-lingsproblematik eingehen . Kollege Schulz hat gesagt,dass auch auf den Einzelplan 30 in der Zukunft Heraus-forderungen zukommen werden . Viele Dinge sind schonpositiv angelegt . Notwendig sind aber auch Flexibilisie-rung beim und schnellerer Zugang zum BAföG, ein Ab-schiebestopp während der Ausbildung, die Anerkennungausländischer Qualifikationen sowie Sprachkurse undfrühkindliche Bildung .Aber ich bin mir sicher, dass wir das alles schaffenwerden . Denn Deutschland ist stark . Ich freue mich aufdie Haushaltsverhandlungen, die in den vergangenenJahren immer sehr kollegial vonstattengegangen sind,und wünsche uns eine gute Beratung .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Oliver
Kaczmarek von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es isttatsächlich beeindruckend, wenn man einen Blick auf dieZahlen wirft, vor allem dann, wenn man sich die Lagevor Augen führt, aus der die Bildungspolitik seit 1998befreit worden ist . Erinnern wir uns kurz an das Jahr, dasdas Ende des Reformstaus in Deutschland markiert: DasBAföG – runtergewirtschaftet; stagnierende Forschungs-ausgaben . Deutschland galt als kranker Mann in Europa .Wenn man sich das vor Augen führt und dann den heuti-gen Mittelaufwuchs sieht, muss man sagen: Ja, das wartatsächlich eine Kraftanstrengung in den letzten fast zweiJahrzehnten und stellt eine deutliche Prioritätensetzungfür Bildung und Innovation vieler Bundesregierungendar .
Es ist schon angesprochen worden: Mehr Geld alleinemacht noch keine gute Bildungspolitik . Deswegen las-sen Sie mich am Schluss der Debatte noch einen Blickauf zwei oder drei Herausforderungen werfen, die in dennächsten zwei Jahren dieser Wahlperiode vor uns lie-gen . Unsere erste Herausforderung: Wir müssen weiterin Chancengleichheit investieren . Chancengleichheit istnach wie vor eine zentrale Frage . Denn wir wollen, dassim Bildungswesen nicht die Herkunft, sondern Leistungzählt .
Deshalb war es richtig und wichtig, dass wir dasBAföG substanziell erhöht und strukturell modernisierthaben . Einige der in der 25 . BAföG-Novelle vorgese-henen Maßnahmen sind schon in Kraft getreten, HerrGehring . Wir haben uns gefreut, Frau Ministerin, als wirim Sommer gehört haben, dass Sie eine Anregung ausden parlamentarischen Beratungen aufgenommen haben,nämlich die Voraufenthaltsdauer für Geflüchtete vorzei-tig auf 15 Monate zu reduzieren . Das ist in dieser Situ-ation ein richtiger Schritt und ein Willkommensgruß andiejenigen, die dann auch mit staatlicher Unterstützungunsere Hochschulen besuchen können .
Es ist auch schon angesprochen worden, und es gehörtzur Chancengleichheit: Genauso wichtig wie das BAföGist das Meister-BAföG . Die Anhebung der Bedarfssätzeund Freibeträge haben wir schon beim BAföG geregelt .Wir werden jetzt die Leistungen und den Geförderten-kreis ausweiten und das AFBG modernisieren . LassenSie uns deshalb beim BAföG deutlich machen: Wir re-den nicht nur über die Gleichwertigkeit von beruflicherund akademischer Bildung; wir schaffen sie . Das wird imAFBG deutlich werden .
Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung zur Chancen-gleichheit . Heute Nachmittag wird der Etat der Famili-enministerin beraten . Deswegen – Herr Heil hat es schonangesprochen – ganz kurz: Uns interessieren doch auchdie Spitzenforscher von morgen, die heute in die Kitasgehen . Die Lage beim Betreuungsgeld ist so, wie sie ist .Das Verfassungsgericht hat gesprochen . Unser aller In-teresse als Bildungspolitiker – über die Ressortgrenzenhinweg – sollte sein, dass das Geld im Etat der Familien-ministerin bleibt, damit dort in die Qualitätsverbesserungbei der frühkindlichen Bildung investiert werden kann .
Zweite Herausforderung . Wir müssen dem Fachkräf-temangel entschieden entgegentreten . Dazu brauchen wirmehr Schritte in Richtung Gleichwertigkeit von beruf-licher und allgemeiner Bildung . Ich glaube, manche aka-demische Debatte, die darüber gerade geführt wird, hilftam Ende nicht weiter, weil wir ganz konkrete Schrittebrauchen .Die Ausbildungswilligen brauchen einen Ausbildungs-platz, auch die – das sage ich ganz bewusst – ohne Abitur .Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Debatte ineinem Akademisierungswahn zu sehr auf eine bestimmteGruppe von Ausbildungswilligen konzentriert .
Alle brauchen einen Ausbildungsplatz, und zwar über-all im Land . Ich bin froh, dass mit der Allianz für Aus-und Weiterbildung ein erster Schritt gegangen wurde,dass die Zahl der Ausbildungsplätze steigt und wir in dieassistierte Ausbildung investieren .Auszubildende brauchen aber auch eine gute Aus-bildung . Das ist eine Baustelle, der wir uns annehmenmüssen . Leider hat uns der DGB-Ausbildungsreport, derAnette Hübinger
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Anfang September vorgestellt wurde, wieder vor Augengeführt, dass in einigen Branchen die Qualität der Aus-bildung leider nicht gut ist . Damit müssen wir uns be-schäftigen; denn die Auszubildenden brauchen eine guteAusbildung .
Nicht zuletzt: Auszubildende brauchen auch eineÜbernahmeperspektive . Wie sonst sollen sie die Zuver-sicht haben, eine Familie zu gründen, eine Wohnung zubeziehen, sich ehrenamtlich zu engagieren, also all das zutun, was wir von ihnen gesellschaftlich erwarten, wennsie nach der Ausbildung – das ist hier schon angespro-chen worden – mit befristeten Verträgen leben müssen?Deshalb brauchen wir keine Debatten über einen ver-meintlichen Akademisierungswahn, sondern konkreteSchritte, die den Auszubildenden helfen . Das schafftGleichwertigkeit der Ausbildungswege und ist einewichtige Herausforderung für die nächsten zwei Jahre .
Dritte Herausforderung . Noch nie haben so vieleMenschen wie heute ein Studium aufgenommen . Sie zuunterstützen, dass sie ein erfolgreiches Studium und ei-nen guten Studienabschluss haben, ist für mich eine derSchlüsselherausforderungen .Es ist schon angesprochen worden: Der Hochschul-pakt wurde verlängert . An dieser Stelle möchte ich kurzeinschieben, dass der Hochschulpakt, der Pakt für For-schung und Innovation, die Exzellenzinitiative und derPakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs, den es baldgeben wird, zusammengehören: Das ist eine vierteiligeStrategie für die Entwicklung unseres Wissenschaftssys-tems .Wir wollen bei der Neugestaltung der Exzellenzinitia-tive nicht nur dafür sorgen, dass mehr Geld für Etablier-te zur Verfügung stehen wird, sondern auch, dass eineStrategie entwickelt wird, die das gesamte System inBewegung und mehr Exzellenz bringt . Herr Heil hat ge-sagt: „Wir wollen mehr Exzellenz wagen .“ Das ist genaurichtig . Spitze und Breite gehören zusammen . Deswegenmüssen wir diese vier Elemente immer zusammen sehen .
Wir wollen es jetzt aber vor allem schaffen, dass dieQualität der Lehre verbessert wird . Ich glaube, das ist einganz wichtiger Punkt . Wer ein Studium beginnt, der solles – qualitätsgesichert natürlich – auch abschließen . Da-für haben wir mit dem Qualitätspakt Lehre und mit denFestlegungen, die wir im Hochschulpakt getroffen haben,eine gute Basis gelegt . Aber ich will noch einen Schrittweiter gehen: Unserer Meinung nach ist eine gute Lehreauch ein Kriterium für Exzellenz .
Ich will es noch anders sagen und mich damit auch etwasaus dem Fenster lehnen: Eine Hochschule mit schlechterLehre kann keine gute und schon gar keine exzellenteHochschule sein .
Deswegen gehört das mit in die Verhandlungen über dieExzellenzinitiative .Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben inden letzten zwei Jahren viel Gutes geschafft . Wir sindauf einem guten Weg, haben aber noch viel zu tun . Inden Beratungen werden wir noch ein bisschen am Haus-haltsentwurf schleifen, sodass sich die Bundesregierungdarauf verlassen kann, eine gute etatmäßige Grundlagevom Parlament zu bekommen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Weitere Wortmeldungen zu diesemEinzelplan liegen nicht vor .Bevor wir zu der Beratung des nächsten Einzelplaneskommen, müssen wir noch eine Reihe von Entscheidun-gen treffen .Zunächst rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 fsowie Zusatzpunkt 1 auf:a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung derstaatlichen Notariate in Baden-WürttembergDrucksache 18/5218Überweisungsvorschlag:A . f . Recht und Verbraucherschutzb) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-ordnung des Rechts der SyndikusanwälteDrucksache 18/5563Überweisungsvorschlag:A . f . Recht und Verbraucherschutz
A . f . Wirtschaft und EnergieA . f . Arbeit und Sozialesc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reformder Strukturen der Krankenhausversorgung
Drucksache 18/5867Überweisungsvorschlag:A . f . Gesundheit
InnenausschussA . f . Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussA . f . Wirtschaft und EnergieA . f . Ernährung und LandwirtschaftA . f . Arbeit und SozialesVerteidigungsausschussA . f . Familie, Senioren, Frauen und JugendA . f . Verkehr und digitale InfrastrukturA . f . Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GOd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Unterhaltsrechts und des Unterhalts-verfahrensrechtsOliver Kaczmarek
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Drucksache 18/5918Überweisungsvorschlag:A . f . Recht und Verbraucherschutz
FinanzausschussA . f . Familie, Senioren, Frauen und Jugende) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2014– Vorlage der Vermögensrechnung des Bundesfür das Haushaltsjahr 2014 –Drucksache 18/5128Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussf) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2014– Haushaltsrechnung des Bundes für dasHaushaltsjahr 2014 –Drucksache 18/5291Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luft-verkehrsabkommen vom 16 . und 21 . Juni 2011zwischen den Vereinigten Staaten von Amerikaals erster Partei, der Europäischen Union undihren Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Islandals dritter Partei und dem Königreich Norwegenals vierter Partei und zu dem Zusatzabkommenvom 16 . und 21 . Juni 2011 zwischen der Europä-ischen Union und ihren Mitgliedstaaten als ersterPartei, Island als zweiter Partei und dem König-reich Norwegen als dritter Partei, betreffend dieAnwendung des Luftverkehrsabkommens vom16 . und 21 . Juni 2011Drucksache 18/5580Überweisungsvorschlag:A . f . Verkehr und digitale InfrastrukturHierbei handelt es sich um Überweisungen imvereinfachten Verfahren ohne Debatte .Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf .Hierbei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vor-lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .Tagesordnungspunkt 3 a:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses
– zu dem Antrag des Bundesministeriums derFinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2013– Vorlage der Haushaltsrechnung des Bun-des für das Haushaltsjahr 2013 –– zu dem Antrag des Bundesministeriums derFinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2013– Vorlage der Vermögensrechnung desBundes für das Haushaltsjahr 2013 –– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-nungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes2014 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-nungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes2014 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-rung des Bundes– Weitere Prüfungsergebnisse –Drucksachen 18/1930, 18/1809, 18/3300, 18/3617Nr. 1, 18/4650, 18/4865 Nr. 1, 18/5387Unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung schlägtder Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung derBundesregierung für das Haushaltsjahr 2013 vor . Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschluss-empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Opposition angenommen worden .Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung auf-zufordern,a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundes-haushaltspläne die Feststellungen des Haushalts-ausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrech-nungshofes zu befolgen,b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlich-keit unter Berücksichtigung der Entscheidungen desAusschusses einzuleiten oder fortzuführen undc) die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen, da-mit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei denHaushaltsberatungen gewährleistet ist .Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt esjemanden, der dagegenstimmt? – Das ist nicht der Fall .Gibt es jemanden, der sich enthält? – Dann ist diese Be-schlussempfehlung einstimmig angenommen worden .Ich komme zum Tagesordnungspunkt 3 b:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrech-nungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2014Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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– Einzelplan 20 –Drucksachen 18/5020, 18/5388Wer stimmt für Nummer 1 der Beschlussempfehlung,also die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? –Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Gibt es jeman-den, der sich enthält? – Damit ist auch diese Beschlus-sempfehlung einstimmig angenommen worden .Wer stimmt für Nummer 2 der Beschlussempfehlung,also die Erteilung der Entlastung? – Stimmt jemand da-gegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch dieseBeschlussempfehlung einstimmig angenommen worden .Wir setzen die Haushaltsberatungen fort . Wir kommenjetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriumsfür Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.Wenn die Kolleginnen und Kollegen sich hingesetzthaben, können wir mit der Debatte beginnen . – Als ersteRednerin hat die Bundesministerin für Arbeit und Sozia-les, Andrea Nahles, das Wort .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevorich mich mit den Themen für das kommende Jahr be-schäftige, gestatten Sie mir kurz einen Blick zurück:Wir haben in dieser Legislaturperiode schon einigegroße Reformvorhaben umgesetzt . Wir haben die Müt-terrente und die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitrags-jahren eingeführt . Seit 1 . Januar 2015 gilt der allgemeinegesetzliche Mindestlohn . Wir haben die Tarifautonomiegestärkt und neue Ansätze zum Abbau der Langzeitar-beitslosigkeit umgesetzt . Weil so mancher Sorge hat,möchte ich an dieser Stelle direkt sagen, liebe Kollegin-nen und Kollegen: Die Bekämpfung der Langzeitarbeits-losigkeit wird auch weiterhin Priorität haben und Hand-lungsschwerpunkt bleiben, auch wenn neue Aufgabenhinzukommen .
Die Reformen der vergangenen Jahre waren zum Teilmit heftigen Kontroversen verbunden . An Horrorszena-rien hat es nicht gemangelt . Heute, mit etwas Abstand,können auch die größten Pessimisten feststellen, dassdiese Horrorszenarien so nicht eingetreten sind . Die Kos-ten der Mütterrente und die Inanspruchnahme der Renteab 63 Jahren liegen voll im Rahmen der Erwartungen .Andere Beitragszahler rücken nach . Beitragsausfällebleiben aus .Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung istauf Rekordniveau . Der Mindestlohn wird zunehmendzur Normalität und stabilisiert spürbar die Strukturen aufdem Arbeitsmarkt . Statt der prophezeiten Jobverluste istdie Beschäftigung heute höher als vor einem Jahr, näm-lich über eine halbe Million Menschen mehr .
Das spült viel Geld in die Sozialkassen .Natürlich ist der auch Mindestlohn ein wichtiges In-strument, um die Zuwanderung nicht in einen Wettlaufnach unten, sondern in ordentliche Arbeit münden zu las-sen; darauf lege ich Wert .
Die Arbeit der letzten zwei Jahre zeigt, dass wir mitAugenmaß und Vernunft vorgehen . Lassen Sie uns, lie-be Kolleginnen und Kollegen, geleitet von dieser Erfah-rung, auch die kommenden Reformaufgaben angehen:mit Augenmaß und klarem Blick auf die Dinge, die wirverändern möchten .Wir werden in den kommenden Monaten das umset-zen, was wir schon sehr präzise im Koalitionsvertragverabredet haben, ein Gesetzespaket zur Vermeidung vonMissbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen . Derzeitsind wir in intensiven Vorbereitungen und Gesprächen,um ein zielgenaues Gesetz zu erarbeiten .Zwei Dinge möchte ich hierzu an dieser Stelle anmer-ken:Erstens geht es nicht darum, die Vertragsform Werk-vertrag infrage zu stellen . Aber ein Anliegen unserer Re-form ist es, den Menschen, die hinter solchen Verträgenstehen, ein Gesicht zu geben, zum Beispiel indem Be-triebsräte Kenntnis bekommen, wer als Werkarbeitneh-mer auf dem Firmengelände beschäftigt ist .Einen zweiten Punkt möchte ich aus aktuellem Anlassgerne in Erinnerung rufen, weil er uns erst kürzlich in derRealität der Tarifauseinandersetzung begegnet ist . Wirmöchten klarstellen, dass Leiharbeiter nicht als Streik-brecher eingesetzt werden dürfen . Auch das haben wir imKoalitionsvertrag verabredet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Abschluss ei-nes intensiven Dialoges mit allen Betroffenen werdenwir im kommenden Jahr auch ein Bundesteilhabegesetzvorlegen . Mit dem Bundesteilhabegesetz werden wirMenschen mit Behinderungen mehr Selbstständigkeitund mehr Teilhabe eröffnen . Aber – das sage ich direktdazu –: Alles, was wir tun werden, werden wir so gestal-ten, dass wir damit keine neue Ausgabendynamik auslö-sen . Auch das haben wir klar verabredet .Wir werden also diese Vorhaben weiter umsetzen,auch wenn uns alle zurzeit sicher ein ganz anderesThema bewegt, nämlich das Schicksal vieler MillionenFlüchtlinge auf der ganzen Welt und die Frage, wie wirdenen, die bei uns Zuflucht suchen, ein würdiges neuesLeben in unserem Land ermöglichen können . Wenn ichin diesen Wochen Bilder sehe, wie Hunderte von Men-schen auf den Bahnhöfen warten – mit Jacken, Pullovern,Wasser, Essen und einem freundlichen Lächeln für dieankommenden Flüchtlinge: in München, in Frankfurt, inDortmund, in Saalfeld in Thüringen oder sogar nachtsum drei in Berlin –, dann bin ich persönlich dankbar . AllVizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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denen, die das überall in unserem Land tun – und denvielen mehr, die auch helfen –, möchte ich Danke sagen .
Aber auch Bund, Länder und Kommunen stehen hiervor großen Herausforderungen . Als Erstes sehen wirnatürlich, was nötig ist, um das Dringendste zu gewähr-leisten: ein Dach über dem Kopf, Decken, Kleidung,Registrierung, Essen, ärztliche Versorgung, Schule fürdie Kinder . Bei all dem dürfen wir uns nicht allein aufnoch so großes freiwilliges Engagement verlassen . Dafürbrauchen die Kommunen und Länder finanzielle Unter-stützung . Und auch der Bund steht vor einer großen He-rausforderung . Auch wir benötigen zusätzliche Finanz-mittel, wenn wir diese Aufgabe erfolgreich schulternwollen . Ich bin überzeugt, wir können es schaffen . Ausden Flüchtlingen sollen möglichst schnell Nachbarn undKollegen werden .
Lange Asylverfahren und die Abhängigkeit von staat-licher Hilfe – das ist für die betroffenen Menschen frus-trierend, und es ist die schlechteste Lösung für unserGemeinwesen, übrigens auch für die öffentlichen Kas-sen . Ziel muss es sein, dass die Menschen, die bei unsbleiben, zügig in Arbeit kommen . Unser Haushalt, unserEinzelplan 11, der hier zur Debatte steht, ist ein wichtigerHebel, mit dem wir das stemmen können .Wir fangen nicht erst jetzt an . Ich habe alle Spielräumegenutzt, um auch im laufenden Jahr sofort anzupacken .Worum geht es im Einzelnen? Natürlich ist die Versor-gung der Menschen schon ein großer Brocken . Wir brau-chen zusätzliche Mittel für die Hilfe zum Lebensunter-halt, zwischen 1 Milliarde Euro und 2 Milliarden Euro .Wie viel genau, das hängt von vielen Variablen ab – jenachdem, wie viele Menschen wirklich einen Asylantragstellen, wie viele Anträge dann anerkannt werden undwie viele Familienangehörige nachziehen .Und auch das sage ich ganz offen: In der Arbeitslo-senstatistik wird sich das niederschlagen . Ich wünschemir, dass sich alle, die heute sagen: „Das wollen wirstemmen; wir wollen die Menschen bei uns aufnehmen“,daran noch in einem Jahr erinnern; denn das ist dannkein Zeichen gescheiterter Arbeitsmarktpolitik, sondernein Zeichen dafür, dass wir eine große, eine andauerndeAufgabe bewältigen müssen . Ich will, dass wir aus Ab-hängigkeit keinen Dauerzustand machen . Ich will, dasswir die Flüchtlinge integrieren und dass sie in Arbeitkommen . Am liebsten wollen diese Menschen für sichselbst sorgen . Das ist mein Eindruck, wenn ich mit diesenMenschen rede . Wir werden die Kosten auf Dauer nurim Griff behalten, wenn wir jetzt auch aktive Leistungenneben die passiven Leistungen stellen und damit Integra-tion finanzieren.
Bei der Eingliederung in Arbeit, die die Jobcenter leis-ten, brauchen wir Dolmetscher, wir brauchen Deutschleh-rer, wir brauchen Mitarbeiter, die sich kümmern . Auchdie Verfahren zur beruflichen Anerkennung kosten Geld.Wir veranschlagen in diesem aktiven Bereich 600 Milli-onen bis 1,1 Milliarden Euro . Ich habe schon ausgeführt,warum ich Bandbreiten nenne und wir noch nicht in derLage sind, das präziser zu beziffern . Alleine für die be-rufsbezogenen Sprachförderungskurse brauchen wir pa-rallel zu den bislang eingeplanten ESF-Mitteln schon fürdas Jahr 2016 180 Millionen Euro zusätzlich .Wir stehen also hier vor einer riesigen Aufgabe . Undes wird nicht damit getan sein, dass wir jetzt für ein Jahrauf Krisenmodus schalten, und dann läuft alles wiedernormal; darauf möchte ich in aller Deutlichkeit hinwei-sen . Nein, wir haben eine Daueraufgabe vor uns . Wirwerden daher nicht ausschließlich mit befristeten Stellenauskommen . Das, was wir an dieser Stelle tun, ist nichtallein kurzfristige Nothilfe . Es wird auf längere Sicht nö-tig bleiben . Und es ist zugleich eine gute und notwendigeInvestition in unsere eigene Zukunft; denn die aktivenMittel wirken auch an anderer Stelle . Sie helfen in denBranchen und Regionen, wo händeringend Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer gesucht werden, zu einermöglichst schnellen Vermittlung .Ich will auch klar darauf hinweisen: Nicht alle, die dakommen, sind hoch qualifiziert. Ganz klar: Das ist nichtso . Der syrische Arzt ist nicht der Normalfall . Wir habenbei der Bundesagentur für Arbeit das Pilotprojekt „EarlyIntervention“ gestartet und erhoben, wie die Möglichkei-ten sind . Nicht einmal jeder Zehnte kann direkt in Arbeitoder Ausbildung kommen . Zumeist fehlen Deutschkennt-nisse, aber auch anderes . Wir haben in neun Großstädtenbegonnen . Bald wollen wir bundesweit so weit sein, dassMitarbeiter der Agentur für Arbeit, wenn ein Asylantraggestellt wird, so früh wie möglich in die entsprechendenEinrichtungen gehen, dort mit den Menschen sprechen:Was habt ihr gemacht? Was könnt ihr? – Dann könnenwir sehen, ob Berufserfahrung und welche Qualifikationvorhanden ist, ob ergänzende Qualifikationen notwen-dig sind, auf welche Stellen die Betreffenden vermitteltwerden können und welche Arbeitgeber man ansprechenkann. Vielleicht findet sich auch ein Betrieb, der mit Aus-bildung oder Training on the Job motivierte Mitarbeiterfür die Zukunft gewinnen will . Die Signale, die ich al-leine in den letzten Tagen aus der deutschen Wirtschafterhalten habe, stimmen mich hier sehr optimistisch .Wir brauchen also zumeist ergänzende Qualifizierungund in vielen Fällen überhaupt erst einmal eine grund-ständige Ausbildung . Wir alle hier im Haus sind uns si-cherlich einig: Deutschlernen ist ein Generalschlüssel .Was die Menschen in den Integrationskursen lernen,reicht aber oft nicht, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zufassen . Deswegen geht es nicht nur um die Erhöhung derZahl der berufsbezogenen Sprachkurse, sondern auchdarum, möglichst früh Sprachkurse anzubieten und eineununterbrochene Linie des Lernens zu ermöglichen .Wir spüren schon heute: Die Menschen wollen . Siewollen lernen, und sie wollen arbeiten .
Wir wollen die Aufnahme von Arbeit erleichtern . Ichhabe eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, diezum Ziel haben, die Vermittlung in Arbeit von Hürdenund Bürokratie zu befreien . Wir sind zurzeit darüber inAbstimmung innerhalb der Bundesregierung und mit denBundesministerin Andrea Nahles
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Ländern . Ich hoffe, dass es gelingt, für eine Weile be-stimmte Hürden beiseite zu stellen, allerdings ohne dabeidie Interessen der anderen Arbeitslosen in unserem Landaus dem Blick zu verlieren . Wir brauchen Zuwanderung .Wir brauchen Menschen, die zu uns kommen, und wennsie kommen, sollten sie das ohne Angst tun und sich hierauch aufgenommen fühlen . Deswegen müssen wir all diein ihre Schranken weisen, die Stimmung gegen Flücht-linge machen oder sogar Hass säen .
Ich bin sicher: Wir werden hier bald ein Einwande-rungsgesetz beraten . Doch bis es dazu kommt, wollenwir versuchen, mit ganz konkreten Maßnahmen Druckvon den Asylverfahren zu nehmen . Mein Vorschlag ist,dass wir eine Kontingentregelung für Bürger aus denStaaten des Westbalkans auf den Weg bringen . Sie sollenin den nächsten fünf Jahren die Möglichkeit eines gere-gelten Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen .Derzeit läuft dies alles über die Asylverfahren . Das istnicht sinnvoll, weil die Anerkennungsquote bei unter1 Prozent liegt . Bis zu 20 000 Menschen sollen jedesJahr hierherkommen können, aber nur dann, wenn sieein konkretes Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzange-bot haben, bei dem natürlich die tariflichen Regelungengeachtet und erfüllt sind . Das halte ich für einen vernünf-tigen Weg, um das Asylverfahren zu entlasten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen ste-tigen Zuwachs bei der Beschäftigung . Die Erwerbstätig-keit in Deutschland ist auf Rekordniveau, und es gibt soviele offene Stellen wie noch nie . Wir haben in den letz-ten Jahren für gesunde Finanzen gesorgt und die sozialeSicherung fest aufgestellt . Die Herausforderung, vor derwir jetzt stehen, Menschen nach Flucht und Gefahr hierHeimstatt und Hoffnung zu geben, Arbeit und Aussichtauf ein Leben in Sicherheit – diese Aufgabe wird unsnoch Jahre beschäftigen . Ich bin mir mit Finanz ministerSchäuble einig, dass wir das, was wir dafür benötigen,bereitstellen werden . Die Aufgabe fordert – das ist klar –;aber sie überfordert uns nicht . Wir können sie meistern .Wir werden sie meistern . Wir im Bereich der Arbeits-markt- und Sozialpolitik werden alles tun, was dafür nö-tig ist .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Katja
Kipping von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieserHaushaltsentwurf verrät: Schwarz-Rot hat nicht vor, diegroßen sozialen Baustellen anzugehen . Dieser Entwurfist blind gegenüber den sozialen Nöten in diesem Land .
Nehmen wir nur die Hartz-IV-Regelsätze . DiesemHaushaltsentwurf zufolge ist kein Spielraum für einewirkliche Erhöhung des soziokulturellen Existenzmini-mums . Dabei ist die bisherige Berechnung der Regel-sätze eine Farce . Da werden die Ausgaben der ärmstenMenschen in diesem Land statistisch festgehalten, ohnezu schauen, ob es ihnen nicht bereits am Lebensnotwen-digen mangelt . Von den so ermittelten Ausgaben ziehenSie dann noch einmal locker 30 Prozent ab, und das solldas Existenzminimum sein . Wir meinen: Das kann sonicht weitergehen . Hier muss deutlich mehr Geld einge-plant werden .
Kommen wir zu den Hartz-IV-Sanktionen . Als Linkehaben wir hier eine klare Position: Das Hartz-IV-Sankti-onssystem gehört abgeschafft und muss durch eine sank-tionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden .
Denn beim soziokulturellen Existenzminimum han-delt es sich um ein soziales Grundrecht, und bei Grund-rechten kürzt man nicht . Das ist einfach unanständig .
Seit vielen Wochen befindet sich nun der Erwerbslo-senaktivist Ralph Boes im Sanktionshungern . Das heißt,infolge einer 100-prozentigen Sanktion hat er sich ent-schieden, keinerlei Essen mehr zu sich zu nehmen . Dasist seine Art, gegen die Hartz-IV-Sanktionen zu protes-tieren. Ich finde es erschreckend, dass jemand zu solchdrastischen Maßnahmen greift oder greifen muss . Ichhabe ihn besucht, mich länger mit ihm unterhalten undihn sehr inständig darum gebeten, sein Sanktionshungernzu beenden . Ich habe in diesem Zusammenhang eine Bit-te an Sie, Frau Nahles: Bitte suchen Sie das direkte Ge-spräch mit Ralph Boes . Es geht hier um ein Menschenle-ben, und man darf als zuständige Ministerin nichts, aberauch gar nichts unversucht lassen, dieses zu retten .
Wir befinden uns in der Mitte der Wahlperiode. Inzwei Jahren sind Bundestagswahlen . Es ist also Zeit füreine Zwischenbilanz hinsichtlich der Frage: Wo stehenwir sozialpolitisch?Es gibt Armut in diesem Land . Armut bedeutet für vieleLeute, dass sie unter materieller Unterversorgung leiden .60 Prozent der Armutsgefährdeten können sich mit ihrerFamilie nicht einmal eine Woche Urlaub hier im Landleisten . 25 Prozent der Armutsgefährdeten können sichnur jeden zweiten Tag eine warme vollwertige Mahlzeitleisten . Armut ist nicht einfach eine relative Größe, wieSie, Frau Nahles, uns weismachen wollen; Armut ist fürviele Menschen in diesem Land eine reale Belastung .Deswegen muss man etwas dagegen unternehmen . WirBundesministerin Andrea Nahles
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schlagen dazu als Linke eine solidarische Mindestrente,eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine ordentli-che Kindergrundsicherung vor .
In dieser Bilanz schlägt auch negativ zu Buche, dasssoziale Grundrechte verwehrt werden – durch Sanktio-nen und niedrige Regelsätze .Über die Versäumnisse im Bereich der Arbeitsmarkt-politik wird meine Kollegin Sabine Zimmermann reden .In der Erwerbswelt sind besonders Frauen und jungeMenschen von prekären und unsicheren Arbeitsverhält-nissen betroffen . So ist beispielsweise bei Neueinstellun-gen jeder zweite Vertrag befristet .Zudem haben wir eine soziale Spaltung in diesemLand . Die reichsten 10 Prozent schwimmen im Reich-tum; jeder von ihnen hat im Durchschnitt mehr als 1 Mil-lion Euro . Die ärmsten 10 Prozent haben nichts als ihreSchulden. Ich finde, diese Erkenntnis schreit nach Um-verteilung von oben nach unten . Es macht mich wütend,zu sehen, dass Sie von der SPD und Sie von der CDU/CSU sich der Umverteilung von oben nach unten derma-ßen verweigern .
Um es zusammenzufassen: Unterlassungen beimDurchsetzen von sozialen Grundrechten, Untätigkeitbeim Kampf gegen Armut . Diese Bilanz ist beschämend .Frau Nahles, Sie haben noch zwei Jahre Zeit . NutzenSie sie! Es gibt viel zu tun in diesem Land – für sozialeGrundrechte und gegen Armut .Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Karl
Schiewerling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! An die guten Zahlen habenwir uns längst gewöhnt: 43 Millionen Menschen in Be-schäftigung, 31 Millionen sozialversicherungspflichtigeBeschäftigungsverhältnisse, im europäischen Vergleicheine niedrige Arbeitslosigkeit und vor allen Dingen eineniedrige Jugendarbeitslosigkeit . Konsequenz darausist: Wir haben gut gefüllte Sozialkassen, die zwar nichtüberquellen, aber im Augenblick auch keinen Anlass zurSorge geben .An diese guten Zahlen haben wir uns so sehr gewöhnt,dass wir vergessen haben, was die Ursachen sind . Wir ha-ben vergessen, dass die Zahlen das Ergebnis einer gutenFinanz- und Wirtschaftspolitik sind . Eine Ursache dafürist, dass wir vor zehn Jahren Reformen gemacht haben,die ihre Wirkung entfalten, und dass auch die Korrektu-ren, die in der letzten Legislaturperiode vorgenommenworden sind, ihre Wirkung entfalten . Alles das gehörtdazu .Wir haben uns deswegen daran gewöhnt, eher überFachkräfte zu diskutieren als Arbeitslosigkeit . Ich mei-ne, das ist eine Entwicklung, die eher ermutigt als be-trübt . Das ist ein völlig anderer Blickwinkel auf dieseGesellschaft als der, Frau Kipping, den Sie gezeichnethaben . Viele Menschen, die bis dahin in Armut waren,haben den Sprung in die Beschäftigung geschafft – auchviele Langzeitarbeitslose haben diesen Weg geschafft –und können ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräftenfinanzieren.
Ich meine, Frau Kipping, das ist eine gute Entwicklung,und wir werden an dieser Entwicklung weiterarbeiten .
Wir haben uns so sehr an diese guten Zahlen gewöhnt,dass wir geneigt sind, die Augen davor zu verschließen,dass am strahlend blauen Konjunkturhimmel möglicher-weise Gewitterwolken aufziehen könnten, die uns schonwieder vor neue Herausforderungen stellen . Ich nennenur die Situation in der Ukraine . Ich denke an die Situati-on in China und anderen Bereichen, wo wir vom Exportabhängig sind . Gewiss, wir können nicht allem vorbeu-gen; aber wir dürfen das auch nicht aus dem Auge ver-lieren, weil wir sonst Gefahr laufen, zu glauben, dass einImmer-weiter-so letztendlich die Normalität ist . Wir wer-den dafür kämpfen, dass das die Normalität bleibt, aberdas hängt von Dingen ab, über die wir in der Arbeits-markt- und Sozialpolitik allein nicht entscheiden können .Meine Damen und Herren, auch die Arbeitsmarkt- undSozialpolitik steht vor den Herausforderungen der de-mografischen Entwicklung. Die neue Herausforderung,vor die wir nun gestellt sind, ist die Situation, dass vieleMenschen auf der Flucht sind, existenziell an Leib undLeben bedroht sind; wir alle kennen die Bilder . Sie sindvor Bürgerkriegen geflüchtet. Sie suchen Schutz in unse-rem Land . Wir nehmen sie auf . Wir begrüßen sie freund-lich . Wir wollen tun, was wir können . Ich sage Ihnen: Esist gut, dass wir hier in Deutschland ein Zeichen setzen,und es ist gut, wie wir es setzen .
Diese Entwicklung bestimmt die Agenda in unseremLand; die Bundesarbeitsministerin hat gerade ausführlichdarauf hingewiesen . Somit ergeben sich neue Herausfor-derungen, neue Wege, aber auch neue Chancen . Mit die-sem Dreiklang will die Union im Haushalt 2016 den ver-änderten Anforderungen im Bereich „Arbeitsmarkt undSozialpolitik“ Rechnung tragen .Bei allen neuen Aufgaben, die sich aus der Hilfe fürdie Flüchtlinge ergeben, muss allerdings im Blick be-halten werden – auch da unterstütze ich die Bundesar-beitsministerin voll –, dass sich Anforderungen an unsstellen, die weiterhin unsere Agenda bestimmen und de-nen wir Rechnung tragen müssen: Anforderungen in derArbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Situation der nochnicht vermittelten Langzeitarbeitslosen, die Situation derKatja Kipping
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arbeitsuchenden Menschen, die Frage, wie wir das Ren-tensystem auf Dauer krisenfest machen können . All dieseHerausforderungen bleiben bestehen . Alles, was wir fürdie Menschen tun, die in Not sind und zu uns kommen,ersetzt nichts, sondern muss zusätzlich geschultert wer-den . Ich bin sicher, dass wir im Sinne des Dreiklangs dieneuen Herausforderungen annehmen, die neuen Wegebeschreiten und auch die neuen Chancen erkennen . Des-wegen werden wir das gemeinsam schultern .
Kernthema der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist ausunserer Sicht die Integration in den ersten Arbeitsmarkt .Die Union will gemeinsam mit dem Koalitionspartner,wenn auch zunächst befristet, die arbeitsmarktpoliti-schen Instrumente angehen mit dem Ziel, den Übergangin den Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass er für die ver-schiedenen Zielgruppen zum Erfolg wird . Es geht um dieArbeitslosen, die 55 Jahre und älter sind . Es geht um dielangjährigen Bezieher von Arbeitslosengeld II . Es gehtum die Menschen, die mindestens drei Jahre nicht imErwerbsleben standen . Es geht um junge Eltern, die seitJahren von der Grundsicherung leben, und es geht umein Programm für schwer erreichbare junge Menschen .Zu diesem Programm gehört, dass wir diese Menschenmöglichst nah an den Arbeitsmarkt bringen und in denersten Arbeitsmarkt integrieren . Wir haben den Vor-schlag unterbreitet, das gute und bewährte Instrument derIntegrationsbetriebe zu nutzen, um sozusagen Schritte zuermöglichen, den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen .
Meine Damen und Herren, wir wollen schon in die-sem Haushalt und auch in zukünftigen Haushalten indie Zukunft investieren . Im Koalitionsvertrag haben wirdazu festgehalten:Junge Menschen, deren Eltern seit Jahren vonGrundsicherung leben, sollen Unterstützung be-kommen .Darauf haben wir uns verständigt . Wir müssen es schaf-fen, auch den schwer erreichbaren jungen Menschen einePerspektive zu geben . Insofern freue ich mich sehr, dassdie Bundeskanzlerin und die Bundesarbeitsministerin,sozusagen ohne großes Aufheben zu machen, gemein-sam einen Vorschlag von mir übernommen haben, einProgramm mit der Überschrift „RESPEKT“ aufzulegen:Respekt vor den jungen Menschen, die auf dem Weg inihre Zukunft sind, Respekt vor denen, die Hilfe benö-tigen . Wir wollen dieses Programm im Oktober startenund über diesen Weg Einrichtungen schaffen, in denendiese jungen Menschen Unterstützung erhalten . Ziel istes, dass sie persönlich geprägte, langfristige Beziehun-gen eingehen können, die Vertrauen und Sicherheit schaf-fen und einen kontinuierlichen und nachhaltigen Weg inAusbildung und Arbeit ebnen . Die zentrale Botschaft desProgramms heißt: Wir achten die jungen Menschen . Wirerkennen ihre unterschiedlichen Problemlagen an . Mitihnen gemeinsam wollen wir den Weg zu einer selbst-bestimmten und freien Teilhabe in unserer Gesellschaftöffnen .Dabei haben wir auch die Situation der jungen Elternim Blick, die seit Jahren von Grundsicherung leben . Siesind eine besondere Zielgruppe unserer Maßnahmen . DieEltern haben eine ganz wichtige Vorbildfunktion . Ihnensoll geholfen werden, diese Aufgabe wahrzunehmen . Ichdanke ausdrücklich den beiden Berichterstattern für denHaushalt, Axel Fischer und Ewald Schurer, die schon imletzten Jahr für den Haushalt 2015 und in diesem Jahr fürden Haushalt 2016 die Voraussetzungen dafür geschaffenhaben .Das ist, Frau Kipping, ein gänzlich anderes Programm,als es die Linken haben . Wir setzen dort an, wo wir denMenschen helfen können, um aus ihrer Not herauszu-kommen . Wir nehmen sie sehr konkret an die Hand .
Unser Ziel besteht nicht darin, die Hartz-IV-Sätze will-kürlich anzuheben, sondern darin, auf der Basis ordent-licher Berechnungen die Grundlage für das Leben zuschaffen .
Unser Ziel muss sein, den Menschen eine Perspektive zugeben . Daran arbeiten wir .
Meine Damen und Herren, wir stehen vor der großenAufgabe der Integration von Flüchtlingen, die eine dau-erhafte Duldung haben, die ein Bleiberecht haben . Esgilt, die Willkommenskultur, die die Menschen überall,auf den Bahnhöfen und auf den Straßen, dokumentieren,auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen . Dazu gehörtauch die Wirtschaft, dazu gehören auch die Betriebe . Ichunterstütze ausdrücklich Ihre Einschätzung, dass sich dieeigentlichen Herausforderungen bezüglich des Arbeits-marktes nicht heute stellen, sondern verschärft Anfangdes kommenden Jahres . Das betrifft nicht nur die Sprach-kurse, sondern auch die Vermittlung in Arbeit . Deswegenist es gut, dass wir uns diesen Herausforderungen stellen .Die Bundesarbeitsministerin hat das Programm vorge-stellt. Es findet unsere Unterstützung. Ich denke, dass wirdie Herausforderungen und die Aufgaben, die sich darausergeben, auch gemeinsam schultern .Voraussetzung ist natürlich, dass die Rechtsgrundla-gen für jeden Einzelnen, der zu uns gekommen ist, ge-klärt sind, das heißt, dass er bei uns bleiben kann, dasser geduldet ist, dass er hier eine Lebensperspektive hat .Dann können die Schritte erfolgen, die Menschen dau-erhaft im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen . Das stelltauch eine Riesenchance dar, dem viel zitierten Fachkräf-temangel zu begegnen . Allerdings müssen die Branchensehr konkret sagen, wer wie viele Fachkräfte benötigtund in welcher Region Fachkräfte gebraucht werden .Fachkräftemangel ist kein pauschales Thema, sondernein branchen- und regionalspezifisches Thema. Deswe-gen muss sehr spezifisch und passgenau gehandelt wer-den . Ansonsten kommt es zu einem– neuhochdeutschausgedrückt–, Mismatching und werden Erwartungshal-Karl Schiewerling
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tungen geweckt, die möglicherweise gar nicht zu befrie-digen sind .Meine Damen und Herren, zu den neuen Chancen, vordenen wir stehen, gehört auch, dass wir mithilfe der jun-gen Zuwanderer, die jetzt zu uns kommen, die demogra-fische Entwicklung neu angehen können. Es ist gut, diesin den Blick zu nehmen, wenn wir über die Zukunfts-sicherung, unsere Alterssicherung reden . Wir hatten imJuni 32,6 Milliarden Euro in der Nachhaltigkeitsrückla-ge; das sind 2 Milliarden Euro mehr, als wir geplant hat-ten . Durch die Mütterrente und die Rente mit 63 sind esallerdings 2,5 Milliarden Euro weniger als beim letztenJahreswechsel . Aber wir stehen besser da, als vermutet .Das sind gute Perspektiven für die Zukunft .
Die Nachhaltigkeitsrücklage liegt oberhalb von1,5 Monatsausgaben . Ich höre schon wieder die Augurenim Himmel tönen, man könne dann doch den Rentenver-sicherungsbeitrag senken .
Ich kann nur dringend raten, die Finger davon zu lassenund sich genau anzuschauen, welche Belastungen nochkommen, damit wir ihn nicht zu schnell wieder erhöhenmüssen und der Effekt nur ein kurzfristiges Strohfeuerist .
Meine Damen und Herren, ich will auf einen weiterenPunkt zu sprechen kommen, der die Rente betrifft undmir in den letzten Wochen und Monaten verstärkt sehram Herzen liegt . Wir müssen den Menschen helfen, ei-nen Überblick über ihre zukünftige Alterssicherungzu bekommen . Da besteht aus meiner Sicht dringenderHandlungsbedarf . Die Rentenauskunft der DeutschenRentenversicherung wird nicht ausreichen, so gut sieauch ist . Wir brauchen als Überblick eine Zusammenfüh-rung der privaten, der betrieblichen und der gesetzlichenAltersvorsorge . Die Menschen müssen wissen, wie hochdie steuerliche Belastung ist, wie hoch der Krankenver-sicherungsbeitrag ist, weil es sonst ein böses Erwachengeben kann . Vor allem müssen wir es ihnen rechtzeitigsagen, damit sie sich darauf einstellen können . Das ist einwichtiger Beitrag für die jüngere Generation, damit sichjeder darüber im Klaren ist, welche Entwicklung auf ihnzukommt . Ich halte es für zwingend geboten – und ichglaube, dass die Politik gut beraten ist, die Erwartungenan die entsprechenden Träger deutlich zu formulieren –,das auf den Weg bringen und damit nicht mehr allzulange zu warten .
Neue Herausforderungen, neue Wege, neue Chan-cen – voller Optimismus krempeln wir die Arme hochund nehmen diese Herausforderung an . Ich bin sicher:Wir werden es gemeinsam schaffen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz
das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Schiewerling, die Kollegin Katja Kipping hat hierauf ein ernstes Problem hingewiesen, nämlich auf Armutin einem reichen Land. Ich finde es wirklich sehr bedau-erlich, dass Ihnen nichts anderes einfällt, als mit Polemikdarauf zu reagieren .
Ich finde, an einer solchen Stelle ist für Polemik keinPlatz . Das war vielmehr ein Hinweis, dass wir uns derSache annehmen sollen .Im Übrigen gibt es nicht nur zwei Berichterstatter,sondern mit Frau Lötzsch und mir vier Berichterstatterzu diesem Thema .
Als Hauptberichterstatterin werde ich mir sehr viel Mühegeben, dass wir sachlich fundiert und kollegial zusam-menarbeiten, so wie wir das bisher auch getan haben .
Frau Ministerin, Sie haben im Einzelplan 11 zu Rechtden Schwerpunkt auf die Versorgung und Förderungvon Flüchtlingen gelegt . Er umfasst Leistungen, die mitFlüchtlingshilfe zu tun haben . Dazu zählen Maßnahmenzum Unterhalt und zur Integration – ALG-II-Leistun-gen, Kosten der Unterkunft –, berufliche Maßnahmen –Jobcenter, Förderprogramme, Qualifizierung – und dieESF-Gelder, die meist leider bereits gebunden sind . Andieser Stelle wird sich zeigen, ob wir in der Lage sind,diese Programmtitel durch nationale Mittel aufzusto-cken, um eine Antwort auf Ihre Frage zu finden.Die derzeitige Entwicklung ist für uns alle eine He-rausforderung; das gebe ich zu . Deshalb debattieren wirdarüber . Aber ich verstehe meine Rolle in der Oppositionauch als konstruktive Verantwortung . Deshalb will ichIhnen unbequeme Sachverhalte und Versäumnisse nichtverschweigen .Wir wissen noch nicht, wie die 3 Milliarden Euro,über die wir reden, eingesetzt werden . Wir wissen aber,dass ein Großteil dieser Mittel durch die Passivleistungenvereinnahmt werden wird, weil wir die Mittel für KdU-und ALG-Leistungen steigern müssen, da es darauf einengesetzlichen Anspruch gibt . Dann wird es darauf ankom-men, ob Sie die Fehler, die Sie im letzten Haushaltsver-fahren bei den Fördermitteln gemacht haben, wiederho-len, indem Sie alles schönreden und kleinrechnen . Daswäre wirklich unverantwortlich .
Ich will Ihnen sagen, warum, und möchte Ihnen dazueinige Beispiele nennen . Im Haushaltsplan 2015 sind wirKarl Schiewerling
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davon ausgegangen – die Zahlen nenne ich Ihnen in allerDeutlichkeit –, dass in diesem Jahr 300 000 Asylanträ-ge gestellt werden und sich weitere 370 000 Flüchtlingemit sogenannter SGB-III- und SGB-II-Relevanz im Landbefinden. Das Angebot für diese Flüchtlinge war, ehrlichgesagt, äußerst bescheiden . Das Programm „Integrations-richtlinie Bund“ wurde auf 2 000 Menschen jährlich aus-gelegt . Für 300 000 plus 370 000 Flüchtlinge gibt es also2 000 Plätze; das Bezugsjahr für die Planungen war 2012 .Den Hinweis, dass diese Zahlen überholt sind, haben Sieerfolgreich ignoriert . Für die ESF-BAMF-Sprachkursehat das BMAS ganze 26 000 Plätze einkalkuliert . Für dasProgramm „Integration durch Qualifizierung “ wa-ren ganze 2 300 Plätze veranschlagt . Wie hätte das dennfunktionieren sollen? Was ist das für ein Angebot? Sieselber merken doch, wie beschämend diese Zahlen sind,Frau Ministerin . Das müssen Sie zugeben .
Schlimmer ist aber, dass Sie all die Rufe und Hinwei-se darauf schlicht und einfach ignoriert haben und nichtwahrhaben wollten, weil nicht sein sollte, was nicht seindurfte .Kommen wir zu den Jobcentern . Das Eingliederungs-budget wurde im Jahr 2015 um keinen einzigen Centerhöht . Aus dieser „Erhöhung“ um nicht einen einzigenCent sollte Folgendes finanziert werden:
die allgemeinen Kostensteigerungen inklusive dem Per-sonalhaushalt, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosig-keit und die Angebote für Asyl- und Schutzberechtigte,die zwar Potenziale, aber auch komplexe Hemmnissehaben. All das hätte daraus finanziert werden sollen. DerHinweis darauf, dass wir hier dringend mehr Mittel brau-chen, wurde von Ihnen total ignoriert . Das konnte nichtgut gehen, Frau Ministerin .
Ein weiterer Punkt, den Sie nicht gerne hören – ja, ichgebe zu, es ist nicht angenehm, so etwas zu hören –: DerVerschiebebahnhof von den Eingliederungstiteln zu denVerwaltungskosten wird weitergehen, und zwar in Folgeseit vielen Jahren . Diesmal ist es mindestens eine halbeMilliarde Euro, die immer verschoben wird . Das geht sonicht .All das sind Gründe dafür, warum ich sehr skeptischin dieses Verfahren gehe . Ich bin gespannt, ob Sie wirk-lich hinkriegen, was Sie hier in vielen blumigen Wortenversprochen haben, Frau Ministerin .Es gibt Mehrbedarfe – und es muss sie auch geben –,und zwar schon im Jahr 2015 . Nicht umsonst muss dieBundesagentur an ihre Interventionsreserve gehen . Da-rauf, dass das Geld für Sprachförderung vorne und hintennicht reicht, hat die Bundesagentur bereits im März hin-gewiesen; aber auch das konnten Sie erfolgreich ignorie-ren . Wir könnten einiges machen . Wir könnten fehlendeGelder für 2015 durch einen Nachtragshaushalt bereit-stellen . Wir könnten die ESF-Mittel durch nationale Mit-tel aufstocken . Ob Sie das machen oder nicht, darauf binich gespannt . Viel gehört habe ich dazu nicht .Frau Ministerin, was wir jetzt brauchen, ist eine Kurs-setzung . Der künftige Kurs kann aber nicht ein gede-ckelter Betrag sein, bei dem man dann einmal guckt, wieweit wir damit kommen . Der Kurs muss doch lauten: Wirbrauchen eine systematische, bedarfsorientierte und ziel-orientierte Finanzierung der notwendigen Maßnahmen .Integration ist wichtig . Lassen Sie uns die Fehler, die wirbei der Gastarbeitergeneration gemacht haben, nicht wie-derholen . Wir brauchen die Jobchancen, wir brauchen dieIntegrationsmittel, wir brauchen die Sprachkurse . Wennwir all das nicht machen, dann wird der Preis in Zukunftum einiges höher, und der Preis sind die Chancen derMenschen, die in unser Land kommen . Dafür müssenwir jetzt geradestehen, und zwar nicht nur mit Worten,sondern auch mit Taten .
Sie haben den Willen bekundet, aber Zahlen dazu stehennoch aus; sie sind nicht im Haushaltsplan . Ich bin ge-spannt, was wir dann in der Beratung noch vorgerechnetbekommen .Es gibt noch andere Beratungsgegenstände; auf einenTeil davon wird mein Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn noch eingehen . Lassen Sie mich aber noch einenPunkt ansprechen: 86 Milliarden Euro aus Ihrem Etatgehen an die Rentenversicherung . Dieser Betrag – daswissen wir jetzt schon – wird sukzessive steigen, undzwar nicht zuletzt aufgrund des Rentenpakets, dessen Fi-nanzierung ja erst noch auf den Bundesetat zukommt . ImMoment ist dies noch nicht enthalten, im Moment müs-sen dies die Beitragszahler tragen .Zeitgleich steigt in diesem Land die Altersarmut, ins-besondere bei Frauen . Die zwischen Männern und Frau-en vorhandene Lohnlücke führt zu einer Rentenlücke, so-bald die Frauen ins Rentenalter kommen . Darauf habenSie keine Antworten . Sie nehmen sich der Sache nicht an,Sie ignorieren das . Sie wollen da überhaupt nichts verän-dern . Dass Sie das so ignorieren, macht mich persönlich,ehrlich gesagt, fassungslos, und damit komme ich zurückauf die Polemik . Wenn es um Armut geht, dann könnenwir uns Polemik in diesem Land nicht leisten . Gerech-tigkeit heißt, zu handeln und nicht nur weichzuspülen,heißt, etwas zu tun und nicht nur darüber zu reden . FrauMinisterin, daran werden wir arbeiten müssen .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ewald Schurer
von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Verehrte Kollegin Deligöz, Sie haben ja eine ganze ListeEkin Deligöz
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vorgetragen; das ist auch die Arbeit der Opposition . Eineganz wichtige Zahl darin war allerdings schon völligfalsch . Sie ignorieren, dass wir die Jobcenter mit 4 mal350 Millionen Euro, also 1,4 Milliarden Euro, mehr überdiese Periode hinweg finanzieren. Die Zahl, die Sie ge-nannt haben, war grundfalsch . Sie ignorieren diese klareErhöhung, die im Haushalt ausgewiesen ist .
So geht es weiter . Es ist natürlich die Aufgabe derOpposition, sich kritisch mit der Politik der Regierungzu befassen . Man muss aber auch sagen: Wofür, glaubenSie, haben wir das Rentenpaket geschnürt? Das ist diemanifeste Form eines Beitrags zur Bekämpfung der Al-tersarmut und zur Bekämpfung der Armut per se in dieserGesellschaft .
So etwas hier einfach wegzudiskutieren, ist nur bedingtredlich und ist der verkrampfte Versuch der Opposition,hier etwas zu finden.Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen undKollegen, es ist schlicht und einfach so, dass wir bei denHaushaltsberatungen im Bereich Arbeit und Soziales voreiner riesigen Herausforderung stehen – die Frau Minis-terin hat es skizziert –, die im bisherigen ersten Entwurfnoch nicht ganz abgebildet ist; das muss man zugeben .Es wird, technisch betrachtet, zu einer Art Nachtrag zumHaushalt kommen müssen, schon allein aufgrund der zu-sätzlichen Ausgaben in den Bereichen Flucht, Asyl undAnerkennung und den entsprechenden Leistungsgeset-zen des Bundes . Ich als Haushälter erwarte zumindest,dass es bei den genannten Leistungen zu Steigerungenvon mehr als 2 Milliarden Euro kommt . Das wird nochkommen; wir werden den Haushalt entsprechend ergän-zen müssen .Auf der anderen Seite ist Folgendes von Bedeutung –ich habe es gestern in der Generaldebatte gesagt –: Es istgut und kein Glück und kein Zufall, sondern hart erarbei-tet, dass wir zurzeit am Arbeitsmarkt makroökonomischdie beste Situation haben, die es je gab, mit einem kla-ren Aufwuchs an Stellen; das wird die Opposition zwarwissen, aber natürlich hier nicht anführen . Auch die Voll-zeitbeschäftigung ist in den letzten Monaten und Jahrensignifikant angestiegen. Damit gibt es weniger prekäreArbeitsverhältnisse und mehr Arbeitsverhältnisse, vondenen man leben kann .
Der Mindestlohn hat dazu seinen Beitrag geleistet .Man muss einfach feststellen, dass das Rentenpaket, derMindestlohn und weitere Projekte auch sozialpolitisch indie richtige Richtung gehen . Zum Beispiel hat der Min-destlohn – das ist auch gesagt worden – die Binnennach-frage im Lande gefördert und zugleich mehr Vollzeitjobshervorgebracht; es gab eine Konversion von Teilzeitjobsin feste Beschäftigungen . Also war der Mindestlohn einäußerst erfolgreiches Projekt . Dem kann sich nicht ein-mal die Opposition verschließen . Teilweise haben Siedas früher in den Fachdebatten schon einmal zugegeben;heute, in der Haushaltsdebatte, können Sie das nicht . Dasist das Rollenspiel einer Opposition . Das verstehe ichdoch .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sichmit dem Haushalt beschäftigt, sind nicht nur die Zah-len bedeutungsschwer . Aber 127,3 Milliarden Euro,also 40,8 Prozent, fast 41 Prozent des gesamten Bun-deshaushaltes, entfallen in diesem ersten Entwurf – dieSumme wird sich durch Nachträge erhöhen – auf denBereich Arbeit und Soziales . Dass wir davon für Renteund Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung29,9 Prozent, fast 30 Prozent ausgeben, ist, wenn manden Haushalt in Gänze betrachtet, volkswirtschaftlichbeachtlich .Für die Arbeitsförderung sind 10,25 Prozent vorgese-hen . Das ist, was den Faktor Arbeit angeht, der zweit-größte Bereich des Haushaltes für Arbeit und Soziales .Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg hat natürlicheine gute Arbeit gemacht, hat aufgrund der guten Kon-junktur immer mehr Menschen vermitteln können, hatim eigenen Haushaltsbereich mittlerweile stolze Rück-lagen geschaffen . Die Rücklagen werden sich durch diegute Situation am Arbeitsmarkt erhöhen und geben derBundesagentur für Arbeit die Möglichkeit, gemeinsammit dem Ministerium proaktiv die richtigen arbeits-marktpolitischen Instrumente auszuloten und zu nutzen .Da geschieht eine Menge . Auch das ist von Ihnen, FrauKipping, nur begrenzt dargestellt worden .
Die Bundesagentur für Arbeit betreibt aktive Arbeits-marktpolitik und wird damit die Situation am Arbeits-markt erneut verbessern . Aus der Dualität der beiden Ein-heiten – Arbeit und Soziales – entsteht eine gute Politik .Wir planen weitere Initiativen . Zumindest wir Sozial-demokratinnen und Sozialdemokraten wollen – das istangekündigt – den Missbrauch bei Werkverträgen undLeiharbeit begrenzen . Das wird unser Paket für diese vierJahre noch ergänzen . Da sind wir in intensiver Abstim-mung mit dem Koalitionspartner, den Freunden von derUnion, wie ich mutig behaupten möchte . Zumindest imBereich Arbeit und Soziales sehe ich bei der Union Sen-sibilität und Zustimmung, dass diese Projekte notwendigsind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zur be-reits angesprochenen Herausforderung zurück . Es gehtum eine ernste Situation . Viele in der Haushaltsdebattebelobigen, wie stark unsere Gesellschaft durch das Eh-renamt, durch zivilgesellschaftliche Beiträge ist . WasEwald Schurer
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haben die Kommunen, die Länder und der Bund da zuleisten? Es gibt zum einen das 3-plus-3-Paket . Da wer-den wir – das habe ich schon gesagt – sicherlich gute2 Milliarden Euro mehr benötigen, relativ kurzfristig,aber auch im Jahr 2016, um künftig die Leistungen – siesind genannt worden – für ALG II und die Kosten derUnterkunft bewältigen zu können .Ich muss hier ausdrücklich belobigen – nicht, weiles mir nahegelegt wurde, sondern aus innerer Überzeu-gung –: Angesichts der aufgeregten Diskussion hielt ichden Beitrag von Ministerin Andrea Nahles für den bes-ten . Sie hat – erstens – gesagt: Wir müssen alles tun, umdie Menschen, die nach Abschluss des Asylverfahrensbei uns bleiben können, mit aktiver Arbeitsmarktpolitikin unsere Gesellschaft zu integrieren . Ich möchte bitteschön für die ganze Koalition sagen dürfen: Das ist eineaußerordentlich zielführende politische Initiative, die dieaufgeregte Diskussion ein Stück weit versachlicht .Zum Zweiten wünsche ich mir schon, dass wir Im-pulse für einen geordneten Zugang zum Arbeitsmarktschaffen, und zwar über das Asylverfahren hinaus . Ichbin ein Anhänger einer Einwanderungsgesetzgebung .Das ist keine einfache Diskussion, aber auch sie darfman im Rahmen der parlamentarischen Beratung einmaloffensiv ansprechen . Ich wünsche mir schon, dass wirArbeitsmarktprobleme, auch mit Blick auf die Situati-on auf dem Westbalkan, ein Stück weit über eine neueZuwanderungsgesetzgebung regeln . Das hielte ich, FrauMinisterin, für die zweite sehr bedeutsame Aussage . Diesist ordnungspolitisch für den Arbeitsmarkt von großerBedeutung .Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt gibt esmassive Unterstützung aus dem Bereich der Wirtschaft;das passiert auch nicht jeden Tag . Bei mir zu Hause inOberbayern wirbt die IHK für München und Oberbay-ern massiv für Veränderungen, die wir politisch derzeitmit der Ministerin und den Parteien diskutieren . Es heißt:Der Fachkräftemangel kann – das ist ein Chance – nurdann behoben werden, wenn wir den Menschen, die zuuns kommen, über Sprachförderung – auch in diesem Be-reich gibt es Nachbesserungen seitens des Ministeriumsfür Arbeit und Soziales – und Berufsbildung einen geord-neten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen . So könnenwir positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt erzielen, diedringend notwendig sind . Das wird nicht nur in Berlinso gesehen . Auch in den übrigen Regionen Deutsch-lands – am Rhein, am Main und im Ruhrgebiet – sagendie Wirtschaftsverbände: Lasst uns Migration und Asylfür eine gute Arbeitsmarktpolitik nutzen . – Das halte ichfür wichtig .Ich finde auch wichtig, festzuhalten, dass Gewerk-schaften und Wirtschaft in diesem Zusammenhang diegleiche Meinung vertreten – auch das kommt nicht je-den Tag vor –: Anstatt Angst in unserer Gesellschaft zuschüren, sollten wir Zuwanderung auch als eine Chancefür die Qualifizierung der Menschen am Arbeitsmarktbegreifen .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Gesine
Lötzsch von der Fraktion Die Linke das Wort .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Ich hoffe, Sie, liebe Frau Nahles, undSie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, habensehr gut zugehört, als der Finanzminister am Dienstagden Haushalt eingebracht hat . Er will nämlich die Situa-tion, die durch die Flüchtlinge entstanden ist, nutzen, umdie SPD und uns alle beim Thema Mindestlohn über denTisch zu ziehen . Das darf nicht passieren, meine Damenund Herren .
Weniger Zollbeamte als geplant sollen die Einhal-tung des gesetzlichen Mindestlohns überprüfen . Kolle-ge Michael Fuchs von der Union hat heute Morgen beider Diskussion über den Wirtschaftsetat noch einmalnachgelegt und sich über die Kontrolle des gesetzlichenMindestlohnes lustig gemacht . Das, meine Damen undHerren, dürfen Sie sich nicht gefallen lassen . Wir werdenuns das nicht gefallen lassen .
Ich kann Ihnen einen ganz konkreten Alternativvor-schlag unterbreiten, wie Sie Personal gewinnen kön-nen . Die Bundeswehr hat immer noch einen beacht-lichen Überhang an zivilem Personal, nämlich genau14 800 Personen .
Seit Jahren bekommen diese Menschen Geld, ohne dafüreine richtige Arbeit zu haben . Ich habe dieses Problemschon bei vielen Haushaltsberatungen angesprochen .Vielleicht erinnert sich noch jemand an Herrn Pofalla . Erwar einmal Kanzleramtschef und wollte diese Frage lö-sen . Inzwischen ist er bei der Deutschen Bahn, aber denPersonalüberhang gibt es immer noch . Ich bin mir sicher,dass diese Menschen gerne arbeiten würden und auchbereit wären, Flüchtlinge zu registrieren . Frau Nahles,es gibt also keinen Grund, sich bei der Mindestlohnkon-trolle über den Tisch ziehen zu lassen . Wenn es um dieSicherung des Mindestlohnes geht, haben Sie die volleUnterstützung der Linken .
Es ist immer nützlich, sich die verschiedenen Haus-halte anzuschauen und die Einzelpläne ins Verhältnis zusetzen . Auch Sie, Frau Nahles, haben sicher festgestellt,dass die Bundeswehr laut Plan 34,2 Milliarden Euro er-halten soll, Sie hingegen sollen für die Arbeitsförderungnur 32 Milliarden Euro bekommen. Ich finde, das istwirklich ein Missverhältnis .
Ewald Schurer
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Dahinter steckt die Vorstellung, dass die Bundeswehrunsere Sicherheit garantiert . Ich sage Ihnen aber: Un-sere Sicherheit wird garantiert, wenn die Menschen insicheren Verhältnissen leben, und dazu gehören sichereArbeitsplätze .
Nicht alle Maßnahmen müssen etwas kosten . Sie kön-nen sogar Geld sparen . Frau Nahles, Sie können einenwichtigen Beitrag zur Flüchtlingsdebatte leisten, indemSie dafür sorgen, dass Flüchtlinge wie in Schweden abdem ersten Tag arbeiten dürfen .
Damit würde man auch dem absurden Argument entge-gentreten, dass diese Menschen nur in unsere Sozialversi-cherungssysteme einwandern wollen . Damit könnte manRessentiments entgegentreten . Frau Nahles, in diesemZusammenhang könnten Sie gleich auch die Vorrangprü-fung abschaffen; denn sie ist großer Unsinn .
Ich habe bereits am Dienstag vorgeschlagen, dass wiruns in dieser Haushaltsdebatte endlich dazu durchringensollten, ein Integrationskonjunkturprogramm aufzulegen .Das würde Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose und fürMenschen, die zu uns kommen, schaffen, und das wärefür uns alle gut .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Astrid
Freudenstein das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Arbeits-bereich Arbeit und Soziales ist an sich schon ein ausge-sprochen umfangreicher . Wenn die haushaltspolitischeDimension dazukommt, wird es noch unübersichtlicher .Und jetzt kommt auch noch das Thema „Flucht und Zu-flucht“ dazu, das unser Ressort ganz besonders betrifft.Es gibt in diesen Tagen also viel zu sagen . Vieles wurdein dieser Debatte und den vorherigen bereits gesagt .Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich heute einmalmit der Verantwortung zu beschäftigen, die wir insbeson-dere beim Aufstellen des Haushalts tragen . Es geht aberauch um die Verantwortung eines jeden Einzelnen vonuns für den Sozialstaat, um die Verantwortung, die wirjetzt für diejenigen haben, die zu uns kommen, und umdas, was wir von denen, die zu uns kommen, einfordernmüssen .Warum kommen in diesen Monaten so viele Men-schen zu uns – ausgerechnet zu uns – nach Deutschland?Sie kommen in erster Linie deshalb zu uns, weil sie hiersicher leben können . Sie kommen zu uns, weil wir einRechtsstaat sind, und sie kommen zu uns, weil wir einSozialstaat sind .
Sie kommen zu uns, weil wir wie kaum ein anderes Landauf dieser Welt den Schwachen helfen und Chancengeben, und sie kommen zu uns, weil wir wie kaum einanderes Land auf dieser Welt den Starken Chancen ge-ben . Dafür, meine Damen und Herren von der Linken, istDeutschland ganz offensichtlich weltbekannt und welt-berühmt . Darauf, meine ich, können wir tatsächlich stolzsein .
Frau Kollegin Kipping, wir sind auch noch für anderesbekannt: Wir sind eine stabile Demokratie . Es gibt beiuns Demonstrationsfreiheit, es gibt Pressefreiheit, es gibtMeinungsfreiheit, es gibt unabhängige Gerichte .
Es gibt viele Möglichkeiten, sich politisch einzubringenund sein Recht zu bekommen . Ein Mittel der politischenAuseinandersetzung haben wir nicht vorgesehen: Dasist das Mittel des Hungerstreiks . Ich meine, es gibt vielegute Gründe dafür, und wir sollten uns über Fraktions-grenzen hinweg einig sein, dass wir diesem Mittel keinForum bieten sollten .
Der Sozialstaat ist in unserem Grundgesetz definiert,in Artikel 20 . Als Sozialstaat haben wir zunächst einmalVerantwortung zu tragen für die jetzige Generation, füralle Bürger in unserem Land, für die Steuerzahler, fürdie Arbeitnehmer, für die Arbeitgeber . Sie alle zahlenSteuern und Abgaben im Vertrauen darauf, dass wir siesinnvoll und gerecht einsetzen . Als Sozialpolitiker tragenwir Verantwortung dafür, dass die Sozialversicherungenfunktionieren, dass es ein soziales Netz gibt, das Härtenauffängt, und dafür, dass soziale Gerechtigkeit herrscht,die ein friedliches Miteinander ermöglicht . Dazu gehörtnatürlich auch ein stabiler Arbeitsmarkt mit fairen Bedin-gungen für Beschäftigte und Unternehmen .Der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr siehtvor, dass die Mittel dafür sinnvoll eingesetzt werden,zum Beispiel für den so wichtigen Abbau von Langzeit-arbeitslosigkeit . Wir dürfen gerade in diesen Zeiten derFlüchtlingsströme nicht die aus dem Auge verlieren, dieschon immer in unserem Land leben und auf unsere Hilfeangewiesen sind . Das sind die Menschen mit Behinde-rungen . Das sind die Menschen, die von Armut bedrohtsind, weil sie alt oder krank sind . Auf sie müssen wirganz besonders achten .
Dr. Gesine Lötzsch
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Wir haben bei unseren Haushaltsberatungen eine Ver-antwortung nicht nur gegenüber der jetzigen Generation,sondern natürlich ganz besonders auch für die künftigenGenerationen, für diejenigen, die noch gar nicht geborensind . Diese Verantwortung besteht insbesondere darin,unseren Kindern und Kindeskindern einen nicht nochhöheren Schuldenberg zu hinterlassen . Deswegen glau-be ich, dass der ausgeglichene Bundeshaushalt der wohlwichtigste Beitrag zur Generationengerechtigkeit ist .
Nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen, und Schul-den abbauen, auf diesem Weg müssen wir bleiben . Ichglaube nicht, dass dies mit Ihren Ideen möglich wäre,Frau Kollegin Kipping .
Gerade der Einzelplan 11, der Etat für Arbeit und So-ziales, der größte in unserem Bundeshaushalt, muss indieser Hinsicht Zeichen setzen . Wir müssen hier gut undverantwortungsvoll wirtschaften . Ich meine, dass dervorliegende Plan ein sehr gutes Fundament für die Bera-tungen in den kommenden Wochen ist .Unser Sozialstaat ist aber immer nur so stark wie dieMenschen, die ihn tragen . So hat jeder Einzelne vonuns Verantwortung, dass unser soziales Gebilde so starkbleibt, wie es jetzt ist . Dazu gehört, dass zunächst ein-mal – das ist die Ausgangsbasis – grundsätzlich jeder fürsich selbst verantwortlich ist, jeder sein Einkommen soweit wie möglich selbst erwirtschaftet .
Dazu gehört auch, dass er sich zum Beispiel fortbildetund neue Herausforderungen wie die Digitalisierung an-nimmt .Natürlich würde der Sozialstaat nicht funktionierenohne all diejenigen, die nicht erwerbstätig im klassischenSinne sind, sondern die daheim Kinder erziehen, die sichehrenamtlich engagieren . Sie sind nämlich eine beson-ders wertvolle Stütze unseres Sozialstaats . Die verbes-serte Mütterrente, die wir hier im Parlament beschlossenhaben, ist deshalb auch richtig und wichtig .Wie tief verankert das Ehrenamt in unserem Land ist,das erleben wir in diesen Tagen wieder besonders ein-drucksvoll am Münchener Hauptbahnhof, aber nicht nurdort . Ich meine, auch darauf können wir ganz besondersstolz sein .
Verantwortung für unseren Sozialstaat tragen durch-aus auch diejenigen, die jetzt zu uns kommen . Auch siesollen – die Ministerin hat darauf hingewiesen – mög-lichst rasch auf eigenen Beinen stehen können . Auch siesollen nach einiger Zeit ihr Einkommen grundsätzlichselbst erwirtschaften können .Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, Frauen wie Män-ner, müssen sich für unseren Arbeitsmarkt qualifizieren.Das heißt zunächst einmal, sie müssen unsere Sprachelernen, auch wenn ich weiß, wie unendlich schwierig esist, Deutsch zu lernen .
– Wir diskutieren das einmal im Anschluss . – Sie müssenunsere Regeln und Werte kennenlernen und auch akzep-tieren .
Auch diese Verantwortung gibt es . Auch das werden wireinfordern müssen .Wir in der Politik müssen jetzt alles tun, was in un-serer Kraft steht, damit das auch gelingen kann . Daswird sicher nicht einfach werden . Im Übrigen wird esauch nicht billig werden . Unterschiedliche Herkunft,unterschiedliche Kulturen und Religionen zusammenzu-bringen, so viele auf einmal in so kurzer Zeit, sodass inDeutschland ein gutes Miteinander entsteht, das ist eineAufgabe, der wir alle uns jetzt stellen müssen . Ich mei-ne, dass die Maßnahmen, die der Koalitionsausschuss amSonntag dazu beschlossen hat, ein erster ganz wichtigerSchritt sind .
Der Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Sozialesist von dem Flüchtlingsstrom ganz besonders betroffen .Frau Nahles hat bereits angedeutet, welche zusätzlichenKosten auf unseren Haushalt zukommen werden . DieZahl der SGB-II-Bezieher wird steigen und ebenso dieZahl der Arbeitslosen . Das müssen wir so ehrlich sagen .Der Zustrom von Flüchtlingen wird uns auch kurzfris-tig nicht das Problem des Fachkräftemangels in einigenBranchen und auch nicht das Problem des demografi-schen Wandels nehmen . Migration hat ja sehr verschie-dene Ursachen . Wir sollten uns davor hüten, Arbeits- undFluchtmigration zu vermengen . Natürlich kann es in dennächsten Jahren zu Synergieeffekten kommen . Dies kannauch Vorteile für uns bringen . Aber wir wissen, dass wirerst einmal – das macht sich in unserem Haushalt ganzbesonders bemerkbar – sehr viel Geld investieren müs-sen . Das müssen wir den Menschen in unserem Landauch so sagen .Aber wie Minister Schäuble in seiner Rede schondeutlich gemacht hat: Wir haben uns in den vergangenenJahren durch eine sehr gute, solide Haushaltspolitik unddurch eine gute Wirtschaftspolitik ein Polster erarbeitet,das es jetzt möglich macht, diese Herausforderung anzu-nehmen . Die gute Konjunktur, die Rekordbeschäftigungund sinkende Arbeitslosenzahlen haben uns in dieseLage versetzt . Wenn wir uns jetzt alle dieser Verantwor-tung stellen, jeder für sich, der Staat sich seiner Verant-wortung annimmt, aber auch jeder Einzelne seine Verant-wortung wahrnimmt, dann bin ich guten Mutes, dass wirDr. Astrid Freudenstein
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weiter solide wirtschaften können und eine gute Zukunftbauen . Ich freue mich auf die Beratungen .Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr .Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte zu Beginn auf einen Vorschlag aus dem Ko-alitionspaket vom vergangenen Wochenende hinweisen,über den auch schon vor der Sommerpause diskutiertworden ist, nämlich die Umwandlung von Geldleistun-gen in Sachleistungen und die Kürzungen von Leistun-gen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz . Dazu habeich noch einmal in das Urteil des Bundesverfassungsge-richts aus dem Jahr 2012 geschaut . Dort heißt es:Art . 1 Abs . 1 GG in Verbindung mit dem Sozial-staatsprinzip des Art . 20 Abs . 1 GG garantiert einGrundrecht auf Gewährleistung eines menschen-würdigen Existenzminimums . . . Art . 1 Abs . 1 GGbegründet diesen Anspruch als Menschenrecht . …Das Grundrecht steht deutschen und ausländischenStaatsangehörigen, die sich in der BundesrepublikDeutschland aufhalten, gleichermaßen zu .
Der Gesetzgeber darf… bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichern-der Leistungen nicht … nach dem Aufenthaltsstatusdifferenzieren .Er darf es nicht .… Daher erlaubt es die Verfassung nicht, das inDeutschland zu einem menschenwürdigen LebenNotwendige unter Hinweis auf das Existenzniveaudes Herkunftslandes von Hilfebedürftigen oder aufdas Existenzniveau in anderen Ländern niedrigerals nach den hiesigen Lebensverhältnissen gebotenfestzulegen .Der Gesetzgeber darf das nicht . Das sollten Sie einmalzur Kenntnis nehmen .
Wenn Sie jetzt mit dem Argument, Flüchtlinge abzu-schrecken, die Geld- in Sachleistungen umwandeln, ver-stößt das also nicht nur gegen das Grundgesetz, sondernes ist aus meiner Sicht auch ein ziemlich bekloppter Vor-schlag .
Wenn man sich genau anschaut, wofür diese Leistun-gen sind, dann sieht man, dass es sich um Leistungenhandelt, die auf dem Markt eingekauft werden oder um esFlüchtlingen zu ermöglichen, eine Sport- oder Kulturver-anstaltung zu besuchen . Zum Existenzminimum gehörtauch soziale und kulturelle Teilhabe . Sie verlangen nichtmehr und nicht weniger, als dass jetzt die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter in den Erstaufnahmeeinrichtungen,die wirklich alle Hände voll zu tun haben, jetzt auch nochGutscheine für Sportveranstaltungen, für Kulturveran-staltungen, für Drogerieartikel und Ähnliches verteilenmüssen . Es ist sowohl für die Betroffenen einfacher alsauch für die Beschäftigten, wenn man ihnen tatsächlichGeldleistungen gibt . Das ist ein riesiger bürokratischerAufwand .
Es schränkt die Freiheit und Selbstbestimmung der Asyl-bewerber unzumutbar ein, und es ist völlig diskriminie-rend .
Statt die Leistungen für Flüchtlinge noch weiter zukürzen, fordern wir Sie auf, das Asylbewerberleistungs-gesetz endlich abzuschaffen,
und das aus einem weiteren wichtigen Grund: Die völligunwürdige und unzureichende Gesundheitsversorgungwäre dann beendet . Gleichzeitig würden die Kommunensofort und dauerhaft um mehrere 100 Millionen Euroentlastet .
Wir brauchen keine Abschreckungslogik, sondern wirbrauchen endlich eine echte Willkommenskultur . Die Be-völkerung hat das am vergangenen Wochenende gezeigt .
In dem Haushaltsetat geht es nicht nur um Flüchtlinge,sondern auch um vieles andere mehr . Die gute Situationsollte eigentlich genutzt werden, um Strukturreformenfür die Zukunft anzugehen . Ein Beispiel ist das Grund-sicherungssystem, das grundlegend renoviert gehört . Esmüsste vereinfacht und transparenter gestaltet werden .Sicherungslücken müssten endlich geschlossen werden .Dazu machen Sie bisher nichts . Das Ziel muss sein, dassjeder Mensch in Deutschland eine Grundsicherung hat,die das Existenzminimum sichert . Das Bundesverfas-sungsgericht – ich habe es eben zitiert – sagt, das ist einGrund- und Menschenrecht .
Dr. Astrid Freudenstein
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Nun soll der Regelsatz um satte 5 Euro angehobenwerden . Das reicht nicht .
Wir fordern Sie auf, bei der Neuberechnung endlich dieRechentricks zu unterlassen und den Regelsatz anzuhe-ben . Bis der Regelsatz neu berechnet ist, fordern wir eineAnhebung auf mindestens 420 Euro .
Seit über einem Jahr versprechen Sie ein Gesetz zurRechtsvereinfachung der Hartz-IV-Regelleistungen . DieMenschen in den Jobcentern, sowohl die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter als auch die Betroffenen, wartentatsächlich auf Vereinfachungen . Das ist unendlich kom-pliziert . Legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor, da-mit wir wenigstens über die Vorschläge hier diskutierenkönnen!Man hört, es hängt vor allen Dingen an den Sanktio-nen und – einmal wieder – an der Verbohrtheit der CSU .
Das Mindeste wäre, dass man die scharfen Sanktionenfür unter 25-Jährige abschafft, die nach Meinung allerExpertinnen und Experten völlig kontraproduktiv sind .
Wir müssen auch die Sanktionierung bei den Kosten derUnterkunft abschaffen, damit die Leute ihre Miete be-zahlen können, ihnen nicht gekündigt wird und sie aufder Straße stehen .
Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass die unwürdigen100-Prozent-Sanktionen endlich abgeschafft werden .
Die Kollegin Kipping hat völlig recht: Ralph Boes hatjetzt zwei Monate gehungert, weil er vom Jobcenter kei-ne Geldleistungen mehr bekommt . Das widerspricht derVerfassung . Diese Sanktionen müssen sofort aufgehobenwerden . Es geht da um ein Menschenleben .
Wir fordern, die Sanktionen insgesamt auszusetzen unddas Sanktionsregime gründlich zu überarbeiten . Wir for-dern: Sanktionsmoratorium jetzt!Aber Reformen des Sozialgesetzbuches II alleine rei-chen nicht aus . Wir haben sechs Grundsicherungsleistun-gen in vier Gesetzen . Das müsste dringend vereinfachtund vereinheitlicht werden . Auch dazu wäre ein Schrittin die richtige Richtung die Abschaffung des Asylbewer-berleistungsgesetzes .
Damit würden Sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klap-pe schlagen: eine Vereinfachung und gleichzeitig einebessere Versorgung von Flüchtlingen . Gehen Sie alsowenigstens diesen Schritt, und schaffen Sie das Asylbe-werberleistungsgesetz endlich ab!Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ralf
Kapschack von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuschauer! Es ist in dieser Debatte viel von großenHerausforderungen die Rede gewesen, von Herausforde-rungen, die aufgrund der großen Zahl von Flüchtlingen,die bei uns Schutz suchen, auf unser Land zukommen .Ich bin sicher, wir werden diese Herausforderungenmeistern, wenn wir wollen .Angesichts dieser neuen Herausforderungen dürfenwir aber nicht den Eindruck entstehen lassen, wir würdenuns nur noch um die kümmern, die kommen, und nichtmehr um die, die da sind .
Es darf keine Situation entstehen, in der zum BeispielLangzeitarbeitslose das Gefühl haben, ihre Chancen wür-den jetzt noch weiter sinken, weil Geld und Aufmerk-samkeit sich auf andere konzentrieren .
– Ich komme ja gleich dazu; eins nach dem anderen . –Ich bin froh, dass wir uns da weitgehend einig sind . Esmuss klar sein, welche zusätzlichen Aufgaben finanziertwerden müssen . Dafür braucht es Geld, und zwar zusätz-lich und ausreichend .Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe KolleginPothmer, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeitist und bleibt ein zentrales Thema der SPD .
– Ich kenne ja Ihre Kritik . – Die beiden neuen Program-me sind angelaufen . Natürlich kann man immer sagen, eskönnte gerne noch ein bisschen mehr sein; klar .
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Genauso klar ist auch: Mit diesen beiden Programmenwerden wir die Langzeitarbeitslosigkeit nicht beseitigen .Trotzdem sind sie sinnvoll und wichtig .
Es ist schon angesprochen worden: Wir werden da-rüber hinaus 350 Millionen Euro an Haushaltsresten zurVerfügung haben, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu be-kämpfen . Das hat die Ministerin zu Beginn der Legislaturangekündigt, und das wird jetzt erledigt und abgearbeitet
– Schritt für Schritt, Jahr für Jahr –, sodass wir 2017 1,4 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Langzeitar-beitslosigkeit zur Verfügung haben werden .
Wir haben ja oft ein kurzes Gedächtnis; da nehme ichmich überhaupt nicht aus . Wenn man sich aber in Erinne-rung ruft, wie drastisch bei der Arbeitsmarktpolitik unterSchwarz-Gelb gekürzt worden ist, dann ist das jetzt nachwie vor ein Kraftakt . Es wäre uns natürlich lieber, wirkönnten mit unserem Koalitionspartner auch über einensozialen Arbeitsmarkt reden,
darüber, Geld für die Schaffung von Arbeit statt für dieVerwaltung von Arbeitslosigkeit einzusetzen . Es wirdunsere Forderung bleiben – das wird Sie nicht überra-schen –, über den sogenannten Passiv-Aktiv-Tausch zureden und in der Arbeitsmarktpolitik neue Wege zu ge-hen .
Wir geben seit Jahren viel Geld dafür aus, Regelsätzeund Wohnungen von Langzeitarbeitslosen zu finanzie-ren . Wir sollten das Geld lieber dafür einsetzen, Arbeitzu finanzieren.
Menschen, die lange arbeitslos sind, könnten so wie-der in eine Beschäftigung kommen . Viele von ihnen wür-den eine Chance erhalten, ihr Leben irgendwann wiedereigenständig – unabhängig von Stütze – zu organisieren .Zum Schluss noch ein Gedanke: Für eine gute Arbeits-marktpolitik brauchen wir qualifizierte und engagierteMitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern . Wasdort unter oft schwierigen Bedingungen geleistet wird,verdient höchste Anerkennung .
Deshalb kann es nicht vernünftig sein, dass diejenigen,die dafür sorgen, dass Menschen einen Job bekommen,sich selber um ihren Job sorgen müssen, weil er befristetist .
Nicht zu wissen, wie es nach der Befristung weiter-geht, ist schlecht für die Motivation . Aber genau dieseMotivation brauchen wir auch, um die großen Heraus-forderungen, von denen schon so viel die Rede war, zumeistern . Auch das ist ein Thema für die Ausschussbera-tungen . Ich hoffe, wir sind uns darin einig .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Sabine
Zimmermann von der Fraktion Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sicher, der Haushalt für Arbeit und Soziales istwieder einmal der größte Einzeletat . Aber daraus abzu-leiten, dass diese Bundesregierung eine besonders sozia-le Politik betreibt, ist schon eine ziemliche Fehlannahme .
Zu großen Teilen besteht dieser Haushalt aus Pflicht-leistungen, und diese sind Ausdruck, dass Sie eine Reihevon Problemen einfach nicht in den Griff bekommen .Deshalb muss der Staat ständig als Reparaturbetrieb un-terwegs sein .Daran arbeiten Sie weiter . Mit Ihrer verfehlten Ren-tenpolitik produzieren Sie heute die Ausgaben von mor-gen .Was ich vermisse, ist eine wirkliche Prioritätensetzunganhand der drängenden Probleme . Wo es brennt, müssenSie endlich richtig Geld in die Hand nehmen . Das gehtnicht zum Nulltarif, Frau Nahles .
In vier Minuten kann ich leider nur auf drei Punkteeingehen .Erstens Langzeitarbeitslosigkeit, die Sie überhauptnicht ansprechen . Seit Jahren haben wir eine verfestig-te Sockelarbeitslosigkeit von 1 Million Menschen, vondenen viele inzwischen schon vier Jahre und länger ar-beitslos sind .Ich kenne Frauen aus dem Vogtland, die in der Tex-tilindustrie gearbeitet haben und seit über 15 Jahren er-werbslos sind . Das darf es doch nicht geben .
Und was tun Sie? Sie reden und reden . Jahr für Jahr hö-ren wir diese Reden und Ihre Lobhudelei, aber es passiertnichts in diesem Zusammenhang . Vor diesem Hinter-Ralf Kapschack
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grund, Frau Nahles, hätte ich erwartet, dass Sie endlichmehr Geld in die Hand nehmen, um diesen Menschenwieder eine Perspektive zu eröffnen .
Aber nein, Fehlanzeige! Ältere über 55: Fehlanzei-ge! Menschen mit Behinderung – ihre Zahl steigt undsteigt –: Wieder Fehlanzeige! Alleinerziehende: Eben-falls Fehlanzeige! Im Vergleich zu den hier bestehendenProblemen sind die zwei Progrämmchen für insgesamt43 000 Langzeiterwerbslose, die Sie für dieses Jahr auf-gelegt haben, die aber noch nicht einmal begonnen ha-ben, bei über 1Million Betroffenen wie immer nur einTropfen auf den heißen Stein .
Zweitens Flüchtlinge, die Herausforderung der letztenWochen. Menschen flüchten vor Krieg und Elend underwarten zu Recht, dass wir ihnen Asyl gewähren undein Leben in Sicherheit ermöglichen . Für die Linke ha-ben sie selbstverständlich ein Recht auf gesellschaftlicheTeilhabe .
Das heißt vor allen Dingen: Sie müssen arbeiten können,um ihre Familien zu ernähren . Dabei, Frau Nahles, istArbeitsförderung gefordert . Sehr schnell und unbürokra-tisch müssen die zahlreichen Beschränkungen für Flücht-linge beim Arbeitsmarktzugang beseitigt werden .Sie gehen davon aus, dass etwa 250 000 erwerbsfähi-ge Flüchtlinge zu uns kommen werden . Für eine gute,solide Arbeitsmarktpolitik sollte das überhaupt kein Pro-blem sein . Was wir brauchen, sind eine bessere individu-elle Unterstützung und eine Vermittlung auf Augenhöhe .Wir brauchen den Ausbau der Weiterbildung, und wirbrauchen Angebote zur öffentlich geförderten Beschäf-tigung auch für Flüchtlingsprojekte .
Das alles kostet natürlich Geld; das gibt es nicht zumNulltarif .Drittens möchte ich über die Armut und die Altersar-mut sprechen . In kaum einem anderen Land der EU istdie Armutsgefährdung von Erwerbslosen so groß wie inDeutschland . Wenn wir über Armut in Deutschland re-den, dann muss auch erwähnt werden, dass die weiterrasant ansteigende Altersarmut ein gravierendes Problemist . Das ist der Preis für Ihre Senkung des Rentenniveausund den durch Sie in den letzten Jahren verursachten gro-ßen Niedriglohnsektor .
Die Linke schlägt eine Mindestrente von 1 050 Euro vor .Das wäre ein richtiger Schritt .
Ich komme zum Schluss . – Nutzen wir die Heraus-forderungen heute als Chance, die Arbeitsmarktpolitikgrundsätzlich neu aufzustellen . Dazu gehört auch einebessere finanzielle Ausstattung, die weit über das hin-ausgeht, was die Bundesregierung in ihrem Haushalt hierangekündigt hat .Danke .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Mark Helfrich
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debat-te über den Einzelplan 11 des Haushaltes des Ressorts„Arbeit und Soziales“ zeigt eines ganz deutlich: Die uni-onsgeführten Bundesregierungen der vergangenen Jahreunter Angela Merkel haben nachweislich eine gute Ar-beit geleistet .Wir haben mit einer gezielten Wachstumspolitik dieFinanz- und Wirtschaftskrise bewältigt . Wir haben denBundeshaushalt konsolidiert und legen das zweite Malin Folge einen ausgeglichenen Haushaltsplan vor . Wirhaben bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und derSchaffung von Beschäftigung beeindruckende Erfolgevorzuweisen .Fast 43 Millionen Männer und Frauen sind heute er-werbstätig . Das ist Rekord seit der deutschen Wiederver-einigung. Die sozialversicherungspflichtige Beschäfti-gung hat gegenüber dem Vorjahr noch einmal um einehalbe Million zugenommen . Die Jugendarbeitslosigkeitist EU-weit auf dem niedrigsten Level überhaupt .Unsere Arbeitnehmer haben mehr Geld in der Tasche .Die Reallöhne sind seit Beginn der statistischen Auf-zeichnung im Jahre 2008 im letzten Jahr am stärkstengestiegen . Die Situation auf dem Arbeitsmarkt spiegeltsich auch in den öffentlichen Kassen wider .
Die Sozialversicherungssysteme haben gesunde Polster .Allein im ersten Halbjahr 2015 ergab sich noch einmalein Plus von 3,7 Milliarden Euro .Ich will an dieser Stelle auch nicht verhehlen, dass un-ter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 grundlegen-de Weichenstellungen dafür vorgenommen worden sind .Das will ich hier auch ausdrücklich anerkennen .
Unsere gute Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage darfuns aber nicht den Blick auf die vor uns liegenden po-litischen Herausforderungen verstellen . Diesen trägt derEinzelplan 11 mit Ausgaben in Höhe von voraussichtlich130 Milliarden Euro Rechnung .Lassen Sie uns zurückschauen: Auf den Tag genauheute vor 51 Jahren, am 10 . September 1964, wurde derPortugiese Amando Rodrigues de Sá bei seiner Ankunftin Köln-Deutz als millionster Gastarbeiter begrüßt .
Sabine Zimmermann
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– Ja, in der Tat . – Er kam, weil er sich im „Land desGeldes“, wie er es ausdrückte, als Tischler bessere Ver-dienstmöglichkeiten erhoffte .Die meisten der sogenannten Gastarbeiter aus den süd-europäischen Ländern kamen aus wirtschaftlichen Grün-den zu uns, und sie blieben mit ihren Familien . Sie habengearbeitet, Steuern gezahlt, Sozialversicherungsbeiträgein die Sozialversicherungssysteme eingezahlt und sogarUnternehmen gegründet . Auf diese Weise haben sie zumdeutschen Wirtschaftswunder beigetragen, und sie sindTeil unserer Gesellschaft geworden .Heute leben wir wieder in Zeiten, in denen Menschenihre Heimat verlassen und zu uns kommen . Die Bewälti-gung der aktuellen Flüchtlingskrise wird für die nächstenJahre die wichtigste politische Herausforderung unseresLandes sein . Die Erfahrungen aus unserer Vergangenheitsollten wir uns bei der Integration der jetzt zu uns kom-menden Menschen zunutze machen .Wir beraten heute diesen Bundeshaushalt im Zeicheneiner Völkerwanderung . Ich glaube, dieses Wort ist inAnbetracht dessen, was wir erleben, nicht zu hoch gegrif-fen . Dabei wird der Haushalt des Bundesministeriums fürArbeit und Soziales wie kein anderer von der steigendenZahl von Asylsuchenden betroffen sein .Die bisher veranschlagten Mittel für Leistungen derGrundsicherung für Arbeitsuchende werden nach derzei-tigem Stand – wir haben hier eine große Dynamik; des-wegen kann man nur sagen: nach derzeitigem Stand – imJahr 2016 um mehr als 2 Milliarden Euro ansteigen . Dasumfasst Hartz-IV-Leistungen auf der einen Seite und denBereich der Arbeitsförderung und der beruflichen Inte-gration von Zuwanderern auf der anderen Seite .Nach Feststellung des IAB, des Forschungsinstitutsder Bundesagentur für Arbeit, kommt von den derzeiterwarteten 800 000 Flüchtlingen nur ein kleinerer Teildirekt im Arbeitsmarkt an . Es ist eben nicht so, dass nurgut ausgebildete Ärzte und Ingenieure zu uns kommen,sondern es kommen auch Analphabeten und Menschenohne Schulabschluss . Auch das gehört zum Gesamtbilddazu . Deshalb werden Flüchtlinge den bevorstehendenFachkräftemangel vorerst nur bedingt beheben können –um es so zu sagen .Gleichwohl gilt: Jeder asylberechtigte Flüchtling, dernicht erwerbstätig ist, wird am Ende zu höheren Kostenin unserem Haushalt führen . Das können wir alle mitei-nander, auch im Sinne der Menschen, nicht wollen . Esgeht darum, einer Verfestigung von Langzeitarbeitslo-sigkeit entgegenzuwirken . Je länger Menschen im Leis-tungsbezug sind – das wissen wir aus Erfahrung –, umsoschwieriger wird es, sie anschließend in den Arbeits-markt zu integrieren .In Sachen Integration haben wir mit der Verkürzungder Wartefrist für die Arbeitserlaubnis einen erstenSchritt gemacht . Nach drei Monaten kann mittlerweileeine Arbeitserlaubnis erteilt werden . Es geht jetzt dar-um, die Menschen schnell in Arbeit und Ausbildung zubringen . Es gibt dafür ein bundesweites Modellprojekt:„Early Intervention“ .
Das Projekt, mit dem qualifizierte und motivierte Flücht-linge mittels Coaching in Arbeit und Ausbildung ge-bracht werden sollen, zeigt aber auch eines: Von den gut800 Teilnehmern sind knapp 8 Prozent tatsächlich in Ar-beit und Ausbildung gelangt .Ein Haupthindernis auf dem Weg – auch das ist keinGeheimnis – sind in der Tat mangelnde Deutschkennt-nisse . Insofern müssen wir dort mit Sprach- und Inte-grationskursen ansetzen, mit Einstiegsprogrammen fürFlüchtlinge in Unternehmen, aber auch in Behörden; dassage ich ganz deutlich . Ich sage an dieser Stelle auchganz deutlich, dass ich die Wirtschaft hier ganz klar mitin der Verantwortung und mit in der Pflicht sehe, sichnachhaltig für die Integration von Flüchtlingen zu enga-gieren .
Meine Damen und Herren, Deutschland erwartetin diesem Jahr circa 800 000 Asylbewerberinnen undAsylbewerber . Sie alle vertrauen zu Recht darauf, dasssie nach deutschem Recht und Gesetz eine Chance be-kommen . Jeder, der Krieg, Verfolgung und Vertreibungin seiner Heimat entkommen ist und Schutz sucht, kannauf Deutschland zählen .
Klar muss aber auch sein, dass niemandem Asyl ge-währt wird, der aus rein wirtschaftlichen Gründen hier-herkommt, so sehr das in jedem Einzelfall verständlichund nachvollziehbar ist . Die Akzeptanz unseres Asyl-rechts hängt davon ab, dass wir das Asylrecht ordnungs-gemäß anwenden, auch wenn das Asylverfahren nichtdas erhoffte Ergebnis bringt .Nur wenn Recht und Gesetz konsequent angewen-det werden, werden die Solidarität der großen Mehrheitder Bürgerinnen und Bürger dieses Landes anhalten undauch die eine oder andere Angst, das eine oder andereUnbehagen beim Thema Zuwanderung verschwinden .Auch das ist ganz wichtig für das, was wir gemeinsamvor uns haben .
Das ist auch wichtig, weil Deutschland auf gezielte undqualifizierte Einwanderer angewiesen ist. Deshalb habenwir gemeinsam ein großes Interesse, ein Bild von uns alsattraktives Ziel in die Welt zu senden .Der demografische Wandel ist die zweite große He-rausforderung, der wir uns stellen müssen . Es ist heutebereits gesagt worden, dass der Bundeszuschuss zur Ren-tenversicherung auf Sicht die 100-Milliarden-Euro-Gren-ze erreichen wird . Dieser Bundeszuschuss würde dannungefähr ein Drittel des Bundeshaushaltes ausmachen .Ein Grund hierfür sind die geburtenstarken Jahrgän-ge, die demnächst in den Ruhestand gehen . Ein andererGrund hierfür ist die Rente mit 63, die zur Folge hat, dassdie Fachkräfte, die wir so dringend brauchen, schnellerin den Ruhestand gehen . Wer jetzt die von der Union ge-Mark Helfrich
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forderte Flexirente infrage stellt, der hat, glaube ich, dieZeichen der Zeit nicht erkannt .
Wir brauchen die Flexirente, um Anreize für längeresArbeiten zu setzen . Eine weitere Verkleinerung unsererArbeitskräftebasis kann keine ernsthafte Antwort auf dieSituation einer alternden Gesellschaft und eines zuneh-menden Fachkräftemangels sein .Eine letzte Anmerkung: Lange Zeit war der Konfliktum prekäre und atypische Arbeitsverhältnisse ein beherr-schendes Thema der Arbeitsmarktpolitik . Ich bin sehrfroh darüber, dass das Statistische Bundesamt kürzlichfestgestellt hat, dass wir seit 2005 gerade bei diesen Be-schäftigungsformen den niedrigsten Wert haben . NachAngaben der Forscher hängt das mit dem demografi-schen Wandel und dem Fachkräftemangel zusammen .Das verbessert die Position von Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern . Das Normalarbeitsverhältnis wird ge-stärkt, und das ist ein gutes Zeichen .Vor diesem Hintergrund sage ich auch, dass uns dieHerausforderungen, die wir jetzt haben, zeigen, dass wirim Moment im Arbeitsmarkt mehr und nicht wenigerFlexibilität benötigen . Auch das sollte uns im Sinne vonverantwortungsvollem Handeln die eine oder andere Fra-gestellung noch einmal neu bewerten lassen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zwei gi-gantische Aufgaben vor der Brust . Mit der zügigen Inte-gration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt kann es unsmit Glück gelingen, gleichzeitig die Flüchtlingskrise undden demografischen Wandel zu meistern. Die Folgen ei-nes Scheiterns sind nicht auszumalen . Deshalb haben wirjetzt alle gemeinsam die Pflicht, konsequentes Handelnan den Tag zu legen, deutsche Flexibilität neu zu erfindenund vor allem Realitätssinn zu beweisen . Lasst es uns ge-meinsam anpacken .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Kerstin
Griese von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegin-nen! Wir beraten hier über fast 41 Prozent des Bundes-haushaltes . Im Ausschuss für Arbeit und Soziales werdenwir das sehr intensiv und mit großer Verantwortung tun;denn es geht um die zentralen Felder von Arbeit, sozialerSicherung, Rente und Teilhabe aller Menschen . Und ichwill ganz klar sagen: Wir kümmern uns um alle Men-schen, seien sie zu uns geflüchtet oder seien sie hier auf-gewachsen .
Uns geht es um die Teilhabe an der Gesellschaft und amArbeitsmarkt, um gute Teilhabe für alle, um ihren Platzin der Gesellschaft . Deshalb haben wir hier eine großeVerantwortung .Wir sind besonders mit dem Schicksal der vielenFlüchtlinge, die zu uns kommen, befasst . Gerade in die-sem Ausschuss – das ist schon gesagt worden – betrifftuns das in vielfältiger Weise . Ich bin Ministerin AndreaNahles sehr dankbar, dass sie es mit ihren Vorschlägengeschafft hat, dass der Koalitionsausschuss schon Sonn-tagnacht eine Erhöhung der Mittel für Flüchtlinge um6 Milliarden Euro beschlossen hat . Mindestens 3 Milliar-den davon werden an die Länder gehen . Ganz herzlichenDank dafür .
Das ist viel Geld . Es ist notwendiges und gut angelegtesGeld, wenn wir es richtig machen . Denn die Menschen,die zu uns kommen, sind motiviert . Sie wollen, dass ihreKinder in die Kita und in die Schule gehen . Sie wollenArbeit und schnell selbstständig werden, um für ihre Fa-milie alleine aufkommen zu können . Sprache und Arbeitsind die beiden zentralen Elemente für Integration .Deshalb bin ich froh, dass schon angekündigt ist – daswerden wir dann beim Nachtragshaushalt noch einmal in-tensiv beraten –, dass wir die Sprachkurse ausweiten unddie Integrationskurse deutlich aufstocken . Auch die be-rufsbezogenen Deutschkurse werden wir ausweiten undin ein Bundesprogramm überführen; denn das ist ganzwichtig . Wir öffnen die Integrationskurse für Asylbewer-ber und Geduldete . Die berufsbezogene Sprachförderungwollen wir, wie gesagt, durch zusätzliche Bundesmittelsicherstellen . Die Sprache zu lernen, ist ein wichtigerBaustein. Der zweite wichtige Baustein ist, Qualifikatio-nen von Flüchtlingen zu erkennen, passende Angebote zumachen und auch Weiterqualifizierung anzubieten.Einige haben schon das gute Programm „Early Inter-vention“ erwähnt, das die Jobcenter durchführen . Dabeinehmen sie frühzeitig Kontakt zu Flüchtlingen auf . DieErgebnisse sind durchaus vielversprechend . Ich sage aberauch ganz klar: Wir brauchen dafür in den Jobcentern gutgeschulte, kultursensible und hochmotivierte Jobvermitt-ler . Deshalb unterstütze ich ganz klar die Forderung, dassdort mehr Stellen entfristet werden müssen; denn erfah-rene Arbeitsvermittler müssen sich langfristig, zuverläs-sig und gut um Flüchtlinge kümmern können .
Wir brauchen hier mehr Qualifizierungsmittel für dieJobcenter, damit tatsächlich Vermittlung in Arbeit statt-findet und diese wirklich große Aufgabe gut bewältigtwerden kann .Die Wirtschaft, Unternehmen und Handwerk, unter-stützen uns in dieser Situation in starkem Maße, weilsie Arbeitskräfte brauchen . Das wird von einfachen Be-schäftigungen bis hin zu Stellen für Fachkräfte gehen .Wir wollen die betreffenden Menschen so schnell wiemöglich in Arbeit bringen, und zwar in anständige Ar-beitsverhältnisse und zu tarifvertraglichen Bedingungen,zumindest aber zum Mindestlohn . Wenn wir das gut hin-bekommen – ich nehme heute durchaus wahr, dass sichalle darum mit aller Kraft kümmern wollen –, dann eröff-net diese Entwicklung eine große Chance .Mark Helfrich
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Es wäre völlig falsch, die Leistungen für Flüchtlingegegen die Leistungen für andere Menschen auszuspielen .Die Ministerin hat ausdrücklich gesagt, wie viel wir tun,um gerade Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu brin-gen . Frau Zimmermann, ich rufe Ihnen das ausdrücklichin Erinnerung . Die Ministerin hat darauf hingewiesen,dass die intensive Förderung von Langzeitarbeitslosenfür uns eine wichtige Aufgabe der sozialen Gerechtigkeitist . Wir haben dazu nicht Progrämmchen, sondern Pro-gramme gestartet; diese laufen bereits .
Wir haben zudem die Mittel für die Jobcenter um350 Millionen Euro jährlich erhöht . Das ist gut angeleg-tes Geld, um Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeitherauszuhelfen .
Wir können uns als Sozialdemokraten durchaus nochmehr vorstellen . Wir können uns vorstellen, den sozialenArbeitsmarkt noch stärker zu etablieren und mit einemPassiv-Aktiv-Transfer Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu fi-nanzieren; das ist allemal besser . Das verhilft den Men-schen zu Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt und in der Ge-sellschaft . In diese Richtung werden wir die Beratungenüber diesen Haushalt gerne aufnehmen . Ich freue michauf die gute Zusammenarbeit .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debattehat Axel Fischer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schön, dasswir heute die Haushaltsdebatte so entspannt führen kön-nen . Die Bundesregierung hat einen Haushaltsentwurf imFrühsommer eingebracht . Im Sommer haben sich danndie Ereignisse überschlagen . Ich muss nicht im Einzel-nen auf die hier bereits ausführlich geschilderte Flücht-lingsproblematik eingehen; der Kollege Helfrich hatdazu schon einiges gesagt . Heute wissen wir allerdingsschon, dass beim Haushalt für 2016 an einigen Stellendie vorgesehenen Mittel nicht ausreichen werden . DerKollege Karl Schiewerling hat das in seiner Rede schonangesprochen .Wir werden an der einen oder anderen Stelle vor-aussichtlich noch einiges an Geld draufpacken müssen .Bundeskanzlerin Angela Merkel hat von 10 MilliardenEuro gesprochen, die Bundesarbeitsministerin von vor-aussichtlich 3,3 Milliarden Euro allein im Einzelplan 11,Arbeit und Soziales . Wie viel es am Ende wirklich seinwird, wissen wir noch nicht . Auf jeden Fall ist es sehrviel Geld . Aber kein Grund zur Panik! Denn dank einerauf Wachstum und sparsames Haushalten und wenigerauf ausufernde Umverteilung ausgerichteten Politik ha-ben wir heute eine solide finanzielle Basis für eine zu-kunftsträchtige Arbeits- und Sozialpolitik . Dank der gro-ßen Leistungen von Arbeitnehmern und Unternehmernfloriert die Wirtschaft. Die Steuer- und Abgabenquellensprudeln, und auch Löhne, Gehälter und Renten sind ge-stiegen . Diese Woche kam die Nachricht von einem neu-en Exportrekord . Es läuft gut .Die Regierungskoalition hat in den vergangenen Jah-ren erfolgreiche Arbeit geleistet . Wir haben mit einervorausschauenden und zukunftsorientierten Wachstums-politik sowie mit vielen ordnungspolitisch notwendigenund sinnvollen Maßnahmen die Finanz- und Wirtschafts-krise erfolgreich gemeistert . Wir haben viele Menschenwieder, andere neu in Arbeit gebracht . Wir haben denBundeshaushalt konsolidiert . Die schwarze Null vonKerstin Radomski lässt grüßen . Wir haben gerade imBereich der Arbeitsvermittlung bei der Aktivierung vonLangzeitarbeitslosen und bei den arbeitsmarktpolitischenInstrumenten Erfolg gehabt . Das kann sich sehen lassen .
Auch die weiteren Aussichten sind gut . Die Bundesre-gierung rechnet im kommenden Jahr mit knapp 2 Prozentrealem Wirtschaftswachstum, und die Lage auf dem Ar-beitsmarkt ist bei steigender Erwerbstätigkeit – mit deut-lich unter 3 Millionen Arbeitslosen – stabil . Die steigen-de Beschäftigung, steigende Einkommen und steigendeRenten sowie niedrige Energiepreise lassen die Kaufkraftder privaten Haushalte ansteigen . Der Konsum wird vo-raussichtlich um rund 2 Prozent zunehmen . Das ist dochwas!Deshalb können wir darüber debattieren, wofür dasGeld ausgegeben werden soll, über das wir dank eineskonsolidierten Bundeshaushaltes und einer florierendenWirtschaft verfügen . Mein spezieller Dank geht dabei na-türlich an unseren Bundesfinanzminister, Dr. WolfgangSchäuble, der es mit einer enormen Energieleistung nichtnur geschafft hat, den jahrzehntelang chronisch unterfi-nanzierten Bundeshaushalt wieder ins Gleichgewicht zubringen; vielmehr ist der Bundeshaushalt mittlerweilesogar so solide aufgestellt und geführt, dass wir Reser-ven haben, auf unvorhersehbare Situationen angemessenzu reagieren .
Wir haben also wie die Eichhörnchen vor dem Winterfür schlechte Zeiten vorgesorgt, und so können wir dieHerausforderung durch die Völkerwanderung, die wirderzeit erleben, annehmen und ihr begegnen . Denn einesist klar – da hilft kein Jammern und kein Zündeln –: DieMenschen sind hier . Es liegt nun an uns, an unserer heu-tigen Perspektive, ob wir sie als Chance oder Risiko, alsLast oder als Bereicherung betrachten . Es liegt an uns,was wir aus dieser Situation machen .Leitmotiv für unser Handeln müssen unsere euro-päischen Werte sein, insbesondere auch die universel-len Menschenrechte . Die notwendige Integration derer,die bleiben dürfen, wird zur gesamtgesellschaftlichenHerausforderung, und diese Herkulesaufgabe dürfenKerstin Griese
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wir weder zulasten der Arbeitslosen noch zulasten derSchwächsten in unserer Gesellschaft abarbeiten .
Viele der Flüchtlinge sind jung und männlich und kön-nen nicht Deutsch sprechen . Die Integration in den Ar-beitsmarkt ist insbesondere aufgrund der Sprachbarriereschwierig, zumal der Mindestlohn ja auch erwirtschaftetwerden muss . Flüchtlinge, die voraussichtlich im Landbleiben dürfen, sollten wir aber so schnell wie möglichin den Arbeitsmarkt integrieren . Das verbessert übrigensauch die gesellschaftliche Eingliederung . Daimler-ChefDieter Zetsche hat ja angekündigt, in den Flüchtlingszen-tren nach Arbeitskräften zu suchen und für sein Unter-nehmen zu werben . Aber selbst wenn es zutrifft, was ersagt – dass die meisten Flüchtlinge jung, gut ausgebildetund hoch motiviert sind –, brauchen diese Menschen un-sere Unterstützung . Sie brauchen Sprachkurse, und siebrauchen eine betriebliche Einstiegsqualifizierung.
Denn mit der erfolgreichen Arbeitsvermittlung steht undfällt das Schicksal dieser Menschen . Eine zusätzlicheFlexibilität der Arbeitsagenturen kann da nur nützen, dieIntegration in den Arbeitsmarkt zielgerichtet zu fördern .Es bestehen derzeit viele Ängste in der Bevölkerung;diese müssen wir natürlich ernst nehmen . Eine davon istbeispielsweise: Zuwanderung verdrängt deutsche Arbeit-nehmer . Ich habe die derzeit überaus positive Situationam Arbeitsmarkt bereits beschrieben . Wir haben diegeringste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung .Viele Betriebe suchen händeringend geeignete Bewerberund brauchen immer länger, um freie Stellen zu besetzen .Das Schlagwort „Fachkräftemangel“ macht ja die Runde .Zudem: Aufgrund der demografischen Entwicklung sinktdie Zahl der potenziell Erwerbstätigen zukünftig weiter .Bislang konnten wir das teilweise durch die höhereErwerbstätigkeit von Frauen und Älteren und vor allemdurch Zuwanderung aus anderen EU-Ländern ausglei-chen. Da kamen beispielsweise qualifizierte Ärzte undIngenieure aus Bulgarien oder Rumänien zu uns, derenTätigkeit hier weitere Arbeitsplätze geschaffen hat, weilAufträge in Deutschland statt im Ausland abgearbeitetwerden konnten .Wir besetzen auch weniger attraktive Arbeitsplätzemit Zuwanderern . Auch die Betreiber von Dönerbuden,die von frühmorgens bis spätabends Döner und Sonstigesverkaufen und vielfältige Integrationsdienste für wenigerleistungsfähige Hartz-IV-Bezieher leisten, sind zumeistZuwanderer .Nicht nur Daimler-Chef Dieter Zetsche begreift die Zu-wanderung als Chance . Er sagt:Sie können uns – ähnlich wie vor Jahrzehnten dieGastarbeiter – helfen, unseren Wohlstand zu erhal-ten bzw . zu vermehren . Deutschland kann doch diefreien Arbeitsplätze gar nicht mehr allein mit Deut-schen besetzen .Meine Damen und Herren, die Kosten für die Zuwan-derung sollten wir fair verteilen auf Bund, Länder undGemeinden . Nicht nur der Bund hat derzeit erheblicheSteuermehreinnahmen . Die Länder haben zudem mit derErhöhung der Grunderwerbsteuer vielerorts kräftig spru-delnde weitere Finanzquellen erschlossen . Der Bund hatin den letzten Jahren Länder und Kommunen in Milliar-denhöhe entlastet und wird dies weiter tun – Stichwort„Bundesteilhabegesetz“ .Für einen sachlichen Austausch über die notwendigeUnterstützung in Flüchtlingsfragen wäre es zielführend,wenn das Zerrbild von flächendeckend darbenden Kom-munen in Deutschland in der Mottenkiste bliebe – wo eshingehört . Ich rede hier ja auch nicht ständig von Spaß-bädern, kommunalen Verwaltungswasserköpfen oderverantwortungslosen Fehlinvestitionen und Fehllenkun-gen kommunaler Mittel . In den letzten zehn Jahren – dasfällt zufällig in die Regierungszeit von Angela Merkel –hat sich hier vieles zugunsten der Kommunen entwickelt .
Meine Damen und Herren, die Zuschüsse zur Ren-tenversicherung sowie die Grundsicherung im Alter undbei Erwerbsminderung stellen mit 93,2 Milliarden Euroden größten Block im Bundeshaushalt 2016 dar . Das istknapp ein Drittel der gesamten Ausgaben des Bundes,fast 5 Milliarden Euro oder 5,5 Prozent mehr als noch2014 . Hier zeigt sich: Das Wohl unserer Senioren liegtdieser Bundesregierung am Herzen . Mütterrente undRente mit 63 verursachen zwar zukünftig eine gewisseweitere Ausgabendynamik,
sodass wir in 2018 bei den Ausgaben den Betrag von100 Milliarden Euro wohl überschreiten werden . Einegute Verfassung unseres Arbeitsmarktes und unsererWirtschaft kann jedoch die Finanzierung langfristig si-cherstellen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in denkommenden Wochen den Haushalt gemeinsam beraten .Die Maxime ist das, was Volkmar Klein gestern hier amRednerpult gesagt hat: Der Erfolg misst sich nicht amschieren Ausgeben von Geld; wichtig ist, dass das Geldzielgerichtet und erfolgreich eingesetzt wird .Zum Abschluss, Herr Strengmann-Kuhn, muss ichschon sagen: Sie haben mich mit Ihrer Aussage hierwirklich schockiert . Dass die Grünen die Gesundheits-leistungen für Asylbewerber nicht mehr über Steuern fi-nanzieren wollen, sondern dass das Geld von den Pflicht-Axel E. Fischer
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versicherten aufgebracht werden soll, halte ich für einenFehler und für absolut nicht akzeptabel .
Herzlichen Dank .
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan lie-gen nicht vor . Deshalb verlassen wir den Geschäftsbe-reich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialesund kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums für Ernährung und Landwirtschaft, Einzel-plan 10.Bevor wir damit starten, warten wir noch ein wenig,bis die Kolleginnen und Kollegen, die an der Beratungdes neu aufgerufenen Einzelplans mit besonderer Intensi-tät teilnehmen werden, ihre Plätze eingenommen haben .Nachdem alle, die in besonders intensiver Weise dieBeratung begleiten werden, ihre Plätze eingenommenhaben, starten wir jetzt mit dem Geschäftsbereich desBundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft,und ich erteile als erstem Redner das Wort dem Bundes-minister Christian Schmidt .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Eine sichere und gesunde Ernährung und eineebensolche Erzeugung von Nahrungsmitteln, das sindechte Lebensthemen . Mit denen kommt jeder von unsjeden Tag in Berührung . Deshalb haben sie zu Recht gro-ße Aufmerksamkeit . Ländliche Räume, Landwirtschaft,Fischerei und Forsten gehören für mich in gleicher Wei-se zu diesen Lebensthemen . Mein Ministerium bündeltdiese Themen und stellt sich den Erwartungen, Sorgenund Bedürfnissen der Erzeuger, der Verbraucher, von unsallen .Mit dem Einzelplan 10 mit einem Etatansatz vonknapp 5,5 Milliarden Euro haben wir für das Jahr 2016eine gute Grundlage für die Fortentwicklung dieser wich-tigen Politikbereiche vorgelegt . Dieser Haushalt setztAkzente, folgt einer tragfähigen Perspektive, und beiseiner Beratung kann man sich natürlich nicht nur mitStrategischem, sondern muss man sich auch mit Aktuel-lem beschäftigen .Die Bauern machen derzeit in Deutschland und inganz Europa mit Vehemenz auf ihre wirtschaftlichenSorgen und Nöte aufmerksam . Diese betreffen die Er-zeugerpreise, insbesondere für Milch, die im Kellersind . Für 27 Cent pro Liter Milch können viele auf Dau-er nicht kostendeckend produzieren, geschweige dennden Lebensunterhalt verdienen . Ebenso sind der Marktfür Schweinefleisch und dort, wo es in diesem Sommergroße Trockenheit gegeben hat, der Feldfruchtbau un-ter Druck . Wir beobachten eine verhaltene Nachfrageauf den internationalen Märkten, während gleichzeitigein großes Angebot auf den Markt drängt . Die Folgendes russischen Embargos für Nahrungsmittel treffen dieLandwirtschaft genauso wie die Marktvolatilitäten insbe-sondere in China .Ich denke, wir sind uns in diesem Hause über alleFraktionen hinweg einig: Die Lage bedarf des Handelns .Wir müssen handeln, wir müssen klug handeln, und wirmüssen so handeln, dass auch im nächsten Jahr von denEntscheidungen, die wir jetzt treffen, profitiert werdenkann . Aber wir unterscheiden uns wohl sehr deutlich beider Wahl der Maßnahmen . Jedenfalls habe ich das denDemonstrationen und Diskussionen der letzten Wochenund Monate entnommen .Eine Rolle rückwärts zur Mengensteuerung alterSchule, und sei es auch mit neuem, aufgehübschtem Na-men, wird es mit mir nicht geben .
Hier bin ich mir mit dem Deutschen Bauernverband undübrigens auch mit der Europäischen Union einig . Wirkönnen nicht ein 15 Jahre lang entwickeltes Programmdes Ausstiegs aus einer Mengensteuerung wie der altenQuotenregelung nun ohne Weiteres sozusagen über denTisch ziehen, vor allem auch deshalb nicht, weil wir zwi-schenzeitlich festgestellt haben, dass der Erfolg der Men-gensteuerung nicht eingetreten ist . Sonst hätten wir dochnicht vor fünf Jahren, zu Zeiten der Milchquote, eine Kri-se gehabt, die von den Zahlen her noch dramatischer alsdie heutige gewesen ist .
Wir haben für ein solches System der staatlichen Ein-griffe in Form von Mengenregelungen übrigens auchkeine Rechtsgrundlage . Ich möchte bei der Diskussionin aller Bescheidenheit darauf hinweisen: Welche Töp-fe man auch immer wo fordert, wir können keine Töp-fe aus Lust und Laune heraus, aufgrund eines Bedarfsoder einer Entscheidung heraus schaffen . Es bedarf einerRechtsgrundlage auf europäischer Ebene, auf nationalerEbene . Ich halte fest: Die gibt es nicht . Wenn jemandmeint, diese wäre leicht zu erreichen, darf ich aus demletzten Sonderrat der EU-Agrarminister vom vergange-nen Montag berichten . Ich habe angesprochen, dass wirin die Diskussion durchaus die Frage einbringen müssen,ob es auch andere Möglichkeiten der Mengensteuerunggibt . Denn was wollen wir erreichen? Wir wollen die Vo-latilität, dass der einzelne Bauer einmal viel und einmalwenig verdient, aber zwischendrin kaum mit seiner Fi-nanzierung hinterherkommt, einigermaßen ausgleichen .Ich darf darauf hinweisen, dass von den anderen 27 Mi-nistern auf europäischer Ebene nicht ein einziger undauch vonseiten der Kommission niemand eine Rückkehrzur Quote oder Mengensteuerung gefordert hat . Ich bitte,dieses auch für die nationale Diskussion zur Kenntnis zunehmen . Wir müssen hier neue Ansätze und Gedankenentwickeln, und das werden wir auch tun .Nationale oder europäische Begrenzungen müssensich am Weltmarkt orientieren . Die große Mehrheit derAxel E. Fischer
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Milcherzeuger hat sich ja auch für die Chancen des wett-bewerblichen Marktes entschieden . Was ist unser Pro-blem? Wir haben einen Wettbewerb in unserem Lande,der über den Preis geht und nicht über die Qualität . Hiermüssen wir ansetzen .
Wir müssen bei den Produkten ansetzen . Aber auch inder Wertschöpfungskette, die – ich muss es sagen – vomErzeuger bis zum Verbraucher geht, müssen alle bereitsein, sozusagen ihr Scherflein beizutragen. Ich habe heu-te früh mit dem Handel intensive Gespräche geführt . Ichbin nicht ganz ohne Optimismus aus diesen Gesprächenherausgegangen . Wir müssen erreichen, dass das Risikodes Marktes nicht allein bei den Erzeugern hängen bleibt .Das muss geändert werden .
Noch ein ganz klares Wort, liebe Kolleginnen undKollegen, zu einer bedenklichen Entwicklung . Wir ha-ben einen europäischen Binnenmarkt . Mancher wirftuns vor – auch der deutschen Agrarwirtschaft und unse-ren Bauern –, wir wären zu erfolgreich . Okay, das mussman immer an dem messen, was man selbst erreicht hatoder nicht, ob man den Strukturwandel genutzt hat odernicht . Es geht aber nicht, dass in den Grenzen innerhalbder Europäischen Union, im Schengen-Raum, Fahrzeugeaufgehalten werden,
bei denen nachgeprüft wird, ob in ihnen deutsche Milch-produkte transportiert werden . Man hört sogar auch, dasssich in anderen europäischen Ländern mancher nichtmehr traut, deutsche Qualitätsprodukte ins Regal zu stel-len, weil er Sorge haben muss, dass das eine oder anderepassiert . Ich werde in aller Schärfe – das habe ich bereitsgetan – und mit allen Mitteln, wenn sich Fälle, die mirkonkret vorliegen, bei Nachprüfung bestätigen – leiderwird das wohl der Fall sein –, unsere europäischen Nach-barn darauf hinweisen, dass wir eine Hausordnung haben .Die Hausordnung ist der europäische Binnenmarkt . Wirverkaufen unsere Produkte dort, wo der Verbraucher siewill, und lassen nicht zu, dass irgendjemand zwischen-drin entscheidet, ob er sie bekommen soll oder nicht .
Was müssen wir jetzt machen? Direkthilfen! Sofort-hilfen! Wir müssen, auch wenn wir den Kurs der Markto-rientierung beibehalten, trotzdem ein Maßnahmenpaketauflegen, um den Landwirten in der konkreten Situati-on zu helfen . Deswegen bin ich für Sofortmaßnahmen .Wir haben in der letzten Woche von der EU-Kommis-sion eine halbe Milliarde Euro angeboten bekommen .Der gedachte Ansatz muss lauten, dass das, was überdie Superabgabe – die Insider kennen das – nach Brüs-sel geflossen ist, sich in der gleichen Größenordnung imHaushalt für die Landwirtschaft wiederfindet. Wenn mandann die 350 Millionen Euro für Direktzahlungen undweitere Programme für Obst und Gemüse hinzunimmt,geht das in die richtige Richtung . Luft nach oben ist nochda . Wir werden am Montag in Luxemburg weiter überdiese Dinge reden . Wir werden dann vor allem über dieDetails reden .Mir liegt daran, dass wir, wenn wir wissen, wie dieEU ihre Gelder einsetzen will, überlegen, wie wir einenationale Unterstützung – ob mit Brüsseler Mitteln odermit anderen Mitteln – fixieren können. Wir führen hierkurzfristig Gespräche . Ich werde dann Maßnahmen vor-schlagen, die allen betroffenen Landwirten schnelle Un-terstützung bieten . Wir sollten nicht den Keil zwischenSchweinemäster und Milchbauern treiben oder denen,deren Ernte durch die Trockenheit Schaden genommenhat . Wir müssen auf alle blicken .Dann gibt es noch einen Punkt, über den wir in der Tatmit Brüssel reden müssen . Die Direktzahlungen bleiben .Sie betragen im Schnitt ungefähr ein Drittel des Einkom-mens deutscher Landwirte . Jeder von uns weiß, dass wirin einer krisenhaften Situation, zum Beispiel bei Hoch-wasser, auf kommunaler Ebene, auf Landesebene undauf Bundesebene dafür sorgen, dass schnell und unbü-rokratisch geholfen wird . Das hat auch in vielen Fällenfunktioniert . Nun versuchen Sie einmal, auf europäischerEbene zu sagen: Wir helfen schnell und unbürokratisch .Sie werden feststellen, dass das Dickicht der Regelun-gen, wobei jede für sich durchaus eine Begründung ha-ben mag, in der Gesamtschau zu einer solchen Unbeweg-lichkeit des Tankers führt, dass er auf solche Krisen garnicht mehr richtig reagieren kann . Wir müssen das an-gehen . Deswegen reicht es mir nicht aus, wenn der eineoder andere zu Direktzahlungen sagt: Geht nicht, ist nichtmöglich . Geht nicht, gibt es nicht .
Ich bin Süddeutscher . Ich nehme das Wort „Fischkopf“nie in den Mund . Ich bitte aber, dem sehr geschätztenKollegen Till Backhaus zu bestellen, dass ich es mir sovorstelle, wie er es macht . Er hat nämlich gesagt: Okay,wir gehen das an, wir schauen, dass wir es schaffen, dasGeld schneller an die Leute zu bringen . Ich werde in mei-ner Verwaltung dafür sorgen, dass das so schnell geht . –Das finde ich aller Ehren wert. Danke schön! 15 weitereMinister könnten sich – das darf ich in diesem Fall durch-aus einmal sagen – an ihm ein Beispiel nehmen .
Dafür bekommt er jetzt aber keinen Sonderbonus;denn hinsichtlich der Zahlungen bin ich an europäischeRegelungen gebunden . Allerdings bin ich der Meinung,dass man das pragmatisch sehen sollte . Es muss dochmöglich sein, dass, wenn das Geld für die Schaffung vonLiquidität nötig ist, wir die Zahlung vorziehen, sodassdas Geld nicht erst im Januar, sondern schon im Novem-ber oder Oktober da ist . Das gilt nicht nur jetzt, das mussauch in Zukunft gelten . Wir müssen dieses Problem de-zidiert angehen .Dann müssen wir auch einmal über die eine oder an-dere Belastung, die wir der Landwirtschaft aus sicherlichauch guten Überlegungen zumuten, reden . Wir lassenuns – das will ich durchaus erwähnen – vieles einfallen .Bundesminister Christian Schmidt
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Man hört oft: Die Landwirtschaft muss dieses oder jenestun; es muss dieses oder jenes vorgeschrieben werden . –Dazu sage ich: Auch all das kostet Geld . Ich plädieredamit nicht dafür, Landwirtschaft nur unter dem Aspektder Wettbewerbsfähigkeit zu sehen . Natürlich sind öko-logische Fragestellungen und das Tierwohl, auf das ichnoch zu sprechen komme, sehr wichtige Punkte . Es mussalles in einem vernünftigen Zusammenhang stehen . Ichmöchte nämlich, dass unsere Landwirtschaft in Deutsch-land produziert und wir uns nicht vom Export abhängigmachen .
Stichwort „Export“: Manche fragen nun, was denn derExport solle, das sei doch nur Überschussabbau . LiebeKolleginnen und Kollegen, Sie wissen sehr genau: Wennwir den Export im Milchbereich, um nur dieses Beispielzu nennen, auf null fahren, dann bedeutet das das Aus fürdie Hälfte unserer landwirtschaftlichen Betriebe .
Dass wir nicht auf Teufel komm raus exportieren, stehtselbstverständlich auf dem gleichen Blatt . Das ist aberauch nicht der Fall .Ich bin dafür, dass wir über Qualität und Export in dieMärkte, die aufnahmefähig sind, reden . Was mit mir nichtgeht und was, glaube ich, auch in diesem Haus niemandfordern wird – an anderer Stelle höre ich diese Forderungmanchmal –, sind Exportsubventionen für Produkte, diebei uns nicht absetzbar sind . Mit einer Verbilligung die-ser Produkte würden wir nur schwächere Märkte in an-deren Ländern belasten . Nein, ich möchte, dass wir indie aufnahmefähigen Märkte exportieren . Darauf werdenwir unser Augenmerk richten .
China ist und bleibt ein wichtiger Absatzmarkt . Dafürbrauche ich aber die Unterstützung durch die EU .
Wir brauchen Geld und Ideen von der EU . Die Ideen lie-fern wir, wenn es notwendig ist, sogar selber .Ich möchte intelligente Märkte und lade deswegen zueinem Exportgipfel und zu einem Lebensmittelgipfel ein .
Wozu dient dieser Lebensmittelgipfel? Wir müssen er-reichen, dass der Erzeuger, zum Beispiel von Schwei-nefleisch, nicht alleine seine Standards an einigen ver-schiedenen Produzenten orientieren muss; denn diesesManagement überfordert ihn womöglich . Die Produzen-ten sind und bleiben Landwirte und Tierzüchter; bei de-nen wollen wir keine Managementstrukturen aufbauen .Hinzu kommen auch noch ein paar andere Fragen zumTierwohl, die wir ansprechen müssen . Im Bereich desTierwohls setzen wir in diesem Jahr 30 Millionen Euroein . Ich bedanke mich bei den Haushältern schon jetzt fürdie gute Unterstützung, die ich hoffentlich bekommenwerde und auf die ich aufgrund der guten Erfahrungenin der Vergangenheit und des einen und anderen Vorge-spräches hoffen kann . Dieses Thema müssen wir näm-lich sehr ernst nehmen . Wir streben eine Mischung ausfreiwilliger Verbindlichkeit und rechtlicher Regelung an .Das habe ich vor einem Jahr präsentiert . Da wollen wireine Zwischenbilanz ziehen . Aber es geht auch um The-men wie – die Kollegin Jantz hat das als Erste angespro-chen – das Schlachten trächtiger Rinder . Wir kommennicht darum herum, das rechtlich zu regeln; das läuft auf-grund der Strukturen nicht über die freiwillige Verbind-lichkeit . Dazu werde ich in Kürze einen Gesetzentwurfvorlegen . In dem Zusammenhang werden wir darübersprechen und entscheiden, und zwar mit dem Ziel, dassdas zukünftig nicht mehr passiert .Im Bereich der Ernährung haben wir 90 MillionenEuro eingesetzt . Wir müssen in den Schulen und anders-wo eine Offensive für gesunde Ernährung starten .
Leider sind unsere eigenen Projekte, Frau Kramme, nurInsidern bekannt . Wir müssen sie darüber hinaus bekanntmachen . Wir müssen uns auch zu der Frage der Lebens-mittelvernichtung und zum Thema Kochen verhalten .Bei Letzterem müssen wir ein Bündnis mit denen einge-hen, die das noch können:
mit den Älteren und auch mit Spitzenköchen .Es muss natürlich jetzt nicht jeder wie Tim Mälzer, dersich hier erfreulicherweise sehr intensiv engagiert, oderwie Klaus Töpfer sein, der in die neu aufgesetzte Initia-tive „Zu gut für die Tonne“ neuen Schwung einbringenwill . Ich sehe auch, dass wir uns hier nicht nur gegensei-tig bestätigen dürfen, indem wir sagen: Ja, wunderschönund wichtig . Vielmehr kommt es auf unseren Einsatz an .Wenn wir gegen Pommes, Pasta, Pizza und Pfannku-chen – das sind die vier beliebtesten Gerichte – ein Stückweit gesundes Obst und Gemüse und andere Dinge stel-len wollen, dann müssen wir an den Schulen anfangen .
Wir können das jedoch nicht gesetzlich verordnen . Dasmuss langsam wachsen, und dazu müssen Bund und Län-der Geld in die Hand nehmen .
Wir haben eine Reihe von weiteren Aufgaben, aber ichglaube, allein diese Punkte zeigen: Wer meint, den Land-wirtschaftsetat könne man außen vor lassen, der sei füruns nicht interessant, dem sage ich: Nein, wir vertreteneigentlich den Lebensetat, und bei uns spielt Musik . Wirwerden deswegen die Orchestrierung auch in der öffent-lichen Wahrnehmung noch verstärken .Herzlichen Dank .
Bundesminister Christian Schmidt
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Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Heidrun Bluhm .
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen undKollegen! Uns alle beschäftigt heute wie auch schon inverschiedenen anderen Debatten die aktuelle Flüchtlings-problematik . Jetzt fragen Sie sich sicher: Was hat das mitder Landwirtschaft zu tun? Aber ich denke, wir stehenhier ganz deutlich in der Verantwortung, zu hinterfragen,welchen Anteil unsere exportorientierte Agrarpolitik, so-wohl die des Bundes als auch die der EU, an den Krisenin dieser Welt trägt und welchen Schaden die Entwick-lungsländer durch sie erfahren .
Klar, wir liefern keine subventionierten Hähnchen mehrnach Afrika, aber wir liefern sie immer noch und machendamit die heimische Wirtschaft kaputt, gegebenenfallsgar nicht erst marktfähig .Herr Minister, Sie sagten eben in Ihren Ausführungen,Sie wollen in die Märkte, die aufnahmefähig sind . Das istsehr allgemein . Das kann gut sein, das kann aber genausoschädlich sein, wenn wir es beziehen auf die Entwick-lungsländer oder die Schwellenländer .Sie sehen, Herr Minister: Auch wenn Ihr Haushaltein eher kleiner ist, berührt die Politik, die mit diesemHaushalt gemacht wird, trotzdem viele Bereiche in un-serer Gesellschaft . Die Frage ist: Werden Sie dieser Ver-antwortung gerecht? Und das will ich hier einmal kurzbeleuchten:Ihre Fraktion zeichnet in der Öffentlichkeit ja sehrgern und oft ein Bild, nahezu ein Idealbild, der bäuer-lichen Landwirtschaft . Ihre konkrete Politik aber, wennman sie genau betrachtet, benachteiligt eher kleine undmittlere Betriebe . Export- und renditeorientierte Konzer-ne und Kartelle dominieren die Landwirtschaft längst,üben auch auf dem Markt zunehmend ihren Einfluss ausund machen damit eine sozial und ökologisch nachhalti-ge Landwirtschaft unmöglich . TTIP zum Beispiel wirddiesen Prozess wahrscheinlich noch unterstützen . Ichglaube, dieser Trend – so sagt es zumindest die Linke –muss gestoppt werden . Hier vermisse ich die Ernsthaftig-keit Ihres Engagements .
Ich vermisse die Ernsthaftigkeit Ihrer Politik außer-dem, wenn das Ministerium zwar die Gefahr explodie-render Bodenpreise erkennt und im Agrarbericht sogarklar darauf hinweist, aber nichts tut oder wie im Fall derBVVG sogar selbst an der Preistreiberei beteiligt ist, in-dem hier öffentliches Eigentum weiter privatisiert wird .Das kritisieren wir im Übrigen schon lange, aber ich willdas hier heute noch einmal zum Ausdruck gebracht ha-ben .
Herr Minister, Sie haben es eben selbst angesprochen:Auch die gegenwärtige Milchkrise scheint Sie nichtwirklich ernsthaft zu beschäftigen und vor allem zumHandeln zu bewegen . Sie schauen dem Überlebenskampfvieler Milchviehbetriebe tatenlos zu und belassen es beiwirkungslosen Appellen . Auch das haben Sie eben in Ih-rer Rede noch einmal deutlich gemacht . Auch hier habenSie angekündigt, dass Sie etwas tun wollen, aber was Sietun wollen, das haben Sie nicht gesagt .
Dabei brauchen wir dringend eine wirksame Lö-sung . Wenn es, wie Sie sagen, keine Mengensteuerungsein soll, um dem Preisdumping auf dem deutschenMilchmarkt entgegenzutreten: Was dann, Herr Minister?Was wollen Sie tun? Direkt- oder Soforthilfen? Wir wer-den doch aufgrund der Mechanismen des Marktes Markt-preisschwankungen immer wieder haben, und dann sindSie permanent am Subventionieren .
Sie müssen sich hier also als Regierung auch strukturelleine andere Lösung einfallen lassen .
Stellen Sie sich der sozialen Verantwortung für dieheimischen Betriebe und deren Mitarbeiter . Stellen Siesich auch der globalen sozialen Verantwortung für dieEntwicklungs- und Schwellenländer .
Vor allem erkenne ich aber die fehlende Ernsthaftig-keit bei der Entwicklung der ländlichen Räume . Auchhier reden Sie viel und kündigen an, die Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-tenschutzes“ zu reformieren . Doch bis heute ist faktischnichts passiert . Es ist ja gut, sorgfältig zu prüfen oderauch abzustimmen; aber es braucht dringend eine ressor-tübergreifende Gesamtstrategie; doch diese fehlt bisherin der Regierung insgesamt .
Ihr Plan ist für uns und die Mitbürgerinnen und Mitbür-ger in den kleinen Städten und Gemeinden bisher nichterkennbar .Doch ich sage Ihnen: Viel entscheidender als die Fra-ge, wie die neue Gemeinschaftsaufgabe heißt und wiesie gegebenenfalls strukturiert wird, ist die Höhe derMittel, die Sie tatsächlich für eine nachhaltige Regional-entwicklung bereitstellen wollen . Zwar erhöhen Sie dieGAK-Mittel um 10 Millionen Euro . Das sind allerdingsnur 1,6 Prozent des Gesamtaufkommens . Es bringt alsoeigentlich null Effekt für die Kommunen und die Betrie-be . Doch eine Förderung, die den schon heute drängen-den Problemen vieler Kommunen gerecht werden würde,bleiben Sie bisher schuldig .
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Dabei stehen die Kommunen strukturschwacher Re-gionen vor einer dreifachen Herausforderung: sinkendeEinnahmen, hohe Lasten durch Sozialabgaben und zumDritten hohe Infrastrukturkosten . Jene Kommunen also,die am dringendsten den Wandel gestalten müssen undam dringendsten eine nachhaltige Infrastrukturausstat-tung brauchen, können daran kaum arbeiten, weil siefinanziell gelähmt sind. Und wir lassen sie im Regen ste-hen . Dabei bedeuten die unterlassenen Investitionen vonheute dreimal höhere Kosten für morgen .Wir fordern deshalb im Einklang mit den Länderneine Aufstockung der GAK-Mittel für den Bereich Re-gionalentwicklung um mindestens 200 Millionen Euro .
Wir müssen den Kommunen helfen, Daseinsvorsorge,Mobilität und Teilhabe langfristig zu sichern, vor allemin den schrumpfenden Regionen . Wir müssen die ländli-chen Räume entwickeln und wollen sie nicht abwickeln .
Ich weiß, dass die SPD und auch einige aus Ihrer Frakti-on, Herr Schmidt, eine derartige Mittelaufstockung wün-schen . Umso weniger verstehen wir Ihre Politik und denStillstand in Ihrem Haushalt . Aber nur konkrete Zahlenwürden auch Taten bedeuten .
Die neue Gemeinschaftsaufgabe zur Entwicklung derländlichen Räume muss ihren Namen auch verdienen .Sie braucht eine starke regionalpolitische Komponente,um den wachsenden Problemen der ländlichen Kommu-nen, der ländlichen Räume wirklich gerecht zu werdenund nicht nur ein Nebenprodukt der Agrarförderung zubleiben .Ich weiß, Herr Schmidt: Nicht alle Probleme desländlichen Raums haben Sie zu verantworten . HerrDobrindt verschläft ja auch den Breitbandausbau, undHerr Schäuble sitzt auf dem Geld . Steuergerechtigkeitzu schaffen und die Kommunen mit ausreichenden Mit-teln auszustatten, damit sie Schulen und Straßen sanierenkönnen, bleibt damit aus . Auch ohne zusätzliches Geldvon Herrn Schäuble hätten Sie aber eine Quelle, um die-sen Haushalt zu reformieren . Wir sagen: Schaffen Sie dieAgrardieselsubventionen ab! Dann hätten wir ein wenigmehr Geld, das wir an dieser Stelle ausgeben könnten .
Angelehnt an unsere Reise nach Afrika, die wir, HerrSchmidt, im Frühjahr gemeinsam gemacht haben, möch-te ich meine Ausführungen folgendermaßen beenden:Seien Sie kein zahmer Tiger, weder gegenüber expor-torientierten Konzernen oder Kartellen noch gegenüberBodenspekulanten!
Setzen Sie sich bei Herrn Schäuble für mehr Geld fürdie ländlichen Räume ein! Zeigen Sie Ihre Zähne, HerrSchmidt! Seien Sie ein richtiger bayerischer Löwe!Danke .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß für die SPD .
Herr Präsident! Herr Minister Schmidt! Sehr verehrteDamen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Als mich in den wahrscheinlich leiderletzten Sonnentagen der detaillierte Haushaltsplan desBMEL erreichte, da dachte ich: Gar nicht schlecht! Daging auch bei mir ein bisschen die Sonne auf, aber – ichsage es Ihnen – nur ganz kurz .
Ich sage Ihnen auch, warum bei mir ein bisschen dieSonne aufging: Im Haushaltsplan findet sich die Zusage,dass sich die Kampagne gegen Lebensmittelverschwen-dung „Zu gut für die Tonne“ nicht mehr nur an Ver-braucher richten wird, sondern auch an Landwirtschaft,Handel, Industrie und Gastronomie . Das Thünen-Ins-titut bekommt mehr Geld, um endlich eine Systematikzu entwickeln, mit der es möglich wird, zu erfassen, werwas warum wegwirft . Das ist eine wichtige Grundlagedafür, um wirksame Maßnahmen zu entwickeln und umdie Verschwendung einzudämmen . Dafür hat sich dieSPD-Fraktion schon seit langem eingesetzt, und ich binfroh, dass Sie dies nun endlich im Haushalt festschrei-ben. 60 Prozent der Lebensmittelverschwendung findennämlich nicht in Privathaushalten statt, sondern bereitsvorher .Ich denke, wir als Politik sind in der Pflicht, etwas zu tun.
Alles andere halte ich ethisch und übrigens auch ökono-misch für nicht vertretbar .Wenn allerdings die Aufgaben wachsen, wenn dieAusrichtung eines Vorhabens breiter wird, dann brauchtes selbstverständlich auch mehr Geld, um diese neuenAufgaben zu bewältigen . „Zu gut für die Tonne“ mussnoch besser ausgestattet werden . Herr Minister, es liegtnoch viel Arbeit vor uns, aber wir und auch Sie sind aufeinem guten Weg .So viel zum Sonnenschein . Ein paar Wölkchen, dasheißt ein paar Fragezeichen, sind dann doch noch auf-getaucht .Obwohl ich mir viel Mühe gegeben habe, kann ichnach wie vor nirgendwo im Haushalt einen Posten ent-decken, der die Kosten für die nationale Strategie zurReduktion von Zucker, Fett und Salz in Fertigproduktenabdeckt .
Dabei liegt ein entsprechender Beschluss des Bundes-tages schon seit einigen Monaten auf dem Tisch . DerHeidrun Bluhm
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muss – da bin ich mir ganz sicher – irgendwo im Minis-terium durchgerutscht sein .
Immerhin stehen für den Bereich „GesundheitlicherVerbraucherschutz und Ernährung“ im Jahr 2016 5 Mil-lionen Euro mehr zur Verfügung . Zudem sind von den16 Millionen Euro im Titel „Information der Verbrau-cherinnen und Verbraucher“ im vergangenen Jahr fast11 Millionen Euro nicht abgerufen worden . Mittel sindalso ausreichend vorhanden . Diese Mittel sollten wir fürMaßnahmen einsetzen, die es den Menschen erleichtern,sich gesund und ausgewogen zu ernähren . Sie sollten alleMenschen erreichen, egal wo sie einkaufen, welchen Bil-dungsstand und wie viel Geld sie haben .
Die Reduktionsstrategie, die die Rezepturen von Fer-tigprodukten verbessern soll, ist so ein Mittel . Dass siefunktioniert, das zeigen nicht nur Beispiele aus anderenLändern . Auch eine Aktion des Ernährungsministeriumsselbst hat gezeigt: Seit es die Reduktionsziele für herz-schädliche Transfette mit der Wirtschaft vereinbart hat,ist der Gehalt an Transfetten in Lebensmitteln deutlichzurückgegangen . Jetzt müssen wir uns auch um Salzund Zucker kümmern … insbesondere in Lebensmittelnspeziell für Kinder … von denen wir sowieso meinen,dass sie völlig unnötig sind, und die wir daher ablehnen .Aber das passiert nicht von allein, das gibt es auch nichtumsonst . Ein entsprechender Haushaltsposten ist unab-dingbar .
Verbraucherinformationen, Aufklärungskampagnenund Bildungsarbeit – das alles ist wichtig . Aber Men-schen, insbesondere Kinder, müssen das Erlernte auchumsetzen können . Im Moment arbeiten das gängigeLebensmittelangebot und die Art, wie es beworben undvermarktet wird, eher gegen sie . Wenn wir nicht dafürsorgen, bessere Bedingungen für gesunde Ernährung zuschaffen, nützen alle Bildungsinitiativen wenig, Herr Mi-nister . Schließlich braucht es für einen sicheren VerkehrFahrschulen, die uns das Fahren beibringen, ebenso wiesichere Straßen und sichere Autos; ach ja, und Ampelnwären auch nicht schlecht . Aber das ist ein anderes The-ma .
Noch ein Hinweis zum Schluss . Gestern erreichtemich die Nachricht, sehr verehrter Herr BundesministerSchmidt, dass das Forschungsinstitut für Kinderernäh-rung vor dem Aus steht . Dabei hatten Sie in den letztenHaushaltsverhandlungen zugesagt, sich persönlich fürden Fortbestand des Instituts einzusetzen . Ich appellieredringend an Sie und an Ihr Ministerium: Setzen Sie allesdaran, die Arbeit dieses wichtigen Instituts weiterhin zuermöglichen .
Grundsätzlich – da bin ich zuversichtlich – können wirmit den Mitteln, die uns für das Jahr 2016 zur Verfügungstehen, viel erreichen . Packen wir es an!
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der KollegeSven-Christian Kindler .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir diskutieren heute über den Agrarhaushalt,aber auch grundsätzlich über die Fragen der Landwirt-schaftspolitik . Nach zwei Jahren haben wir jetzt Halbzeitder Großen Koalition . Herr Minister, daher hätte ich er-wartet, dass Sie etwas zu Ihrer Bilanz und zur Situationder Landwirtschaft sagen .Eigentlich geht es um ein schönes, positives Thema:um Essen, um das, was uns satt macht, was uns erhält,um das Verhältnis von Mensch, Natur und Tier . Aberwenn man sich im Land umschaut, stellt man fest, dassviele Menschen verunsichert sind, Angst haben und wü-tend auf die Landwirtschaftspolitik sind . Es gibt einegroße Akzeptanzkrise .50 000 Menschen waren in diesem Jahr bei der Wir-haben-es-satt-Demo in Berlin, darunter viele Landwirte .Sie haben klargemacht, dass sie eine andere Landwirt-schaftspolitik wollen. Herr Minister, ich finde, man darfdiese Bedenken nicht wegwischen, sondern man mussdie Menschen endlich ernst nehmen und ihnen zuhören .
Es gibt zentrale Probleme in der Landwirtschaft, diejetzt angegangen werden müssen – auf diese Problemeweisen auch die Landwirte hin : Wir haben ein großesHöfesterben in Deutschland; gut ein Drittel der klima-schädlichen Treibhausgase entsteht weltweit in der Land-wirtschaft; wir haben einen enormen Wasserverbrauchund eine enorme Wasserverschmutzung durch die indust-rielle Landwirtschaft; wir haben ganz viel Tierquälerei inder Massentierhaltung;
wir haben quasi alle paar Monate einen neuen Lebens-mittelskandal .
Herr Minister, ich finde, diese Probleme dürfen nichtweiter ignoriert werden . Gerade die Union darf dieseProbleme nicht weiter schönreden und sich wegducken .Es muss endlich gehandelt werden .
Diese Probleme sind nicht gottgegeben, sondern Folgeeiner falschen Agrarpolitik, einer Agrarpolitik, für die –Elvira Drobinski-Weiß
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das haben wir gerade schon in der Rede der SPD-Kol-legin gehört – in der Bundesregierung vor allen Dingendie Kollegen von der CDU/CSU stehen . Diese Problemesind Folge einer Agrarpolitik, die auf Masse statt Klassesetzt, auf Wachsen oder Weichen, auf Agrarfabriken stattBauernhöfe. Ich finde, zu Recht fordern viele Menschenin Deutschland, dass sich die Agrarpolitik endlich ändert .Wir brauchen jetzt endlich ein Umsteuern in der Agrar-politik in Deutschland .
Ganz besonders deutlich wird das an der Milchkrise .Viele bäuerliche Betriebe stehen jetzt vor dem Aus . Daswar in den letzten Monaten schon absehbar . Herr Minis-ter, ich frage mich: Wo waren Sie eigentlich? Ich habenichts von Ihnen gehört, keine Forderungen, keine kon-kreten Pläne . Sie haben das Thema – das muss man ganzehrlich und hart so sagen – einfach verschlafen . Auchheute gibt es keine Antwort, sondern wieder nur Ankün-digungen. Ich finde, das ist deutlich zu wenig. Das ist einkrasses Versagen als Landwirtschaftsminister in dieserzentralen Frage .Zu dem Ergebnis vom Montag, das Sie angesprochenhaben . Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalterspricht zu Recht von Aktionismus und von einem Vor-täuschen von Politik . Er sagt, dass es den Agrarministernder EU-Staaten an Problembewusstsein mangelt, dass sienicht über die nötige Weitsicht verfügen . Ihre Antwortdarauf – das haben Sie heute wieder gesagt – ist Export .Die Probleme dabei sind aber – darauf hat die KolleginBluhm schon hingewiesen :Erstens . Wenn in Länder exportiert wird, zum Beispielin Westafrika, in denen die Kleinbauern schon heute ihreExistenzgrundlage durch die Dumpingkonkurrenz ausdem Ausland verlieren, dann wird dieser Export dortzu noch mehr Armut und Hunger führen – Stichwort„Fluchtursachen“ .Zweitens . Für die deutschen Milchviehhalter lautetdie Frage: Was bringt ihnen das? Die Nachfrage auf demWeltmarkt ist sehr schwankend . In China und Indien ha-ben wir Nachfrageeinbrüche . Wir wissen, dass auf demWeltmarkt kein hoher Preis zu erzielen ist, und die Milchauf dem Weltmarkt zu verramschen, kann nicht die Lö-sung sein . Unsere Milchviehhalter brauchen andere Ant-worten .
Ich kann Ihnen dazu Folgendes sagen: Wir wissen,dass es auf dem Markt ein zentrales Überschussproblemgibt . Deswegen muss man als Minister handeln und füreine Marktregulierung eintreten . Wir sind nicht für diealte Milchquote – das ist klar; dahin wollen wir nichtzurück ; aber wir haben immer davor gewarnt, dass dieEuropäische Union zu wenig Kriseninstrumente hat,dass sie gegen das Überschussproblem zu wenig machenkann . Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalterschlägt vor, wieder ein Bonus-Malus-System einzufüh-ren . Ein solches System kann man auch branchenbezo-gen einführen, Herr Schmidt . Da dürfen Sie sich nichtwegducken . Man kann dafür sorgen, dass Betriebe, diemehr produzieren, einen Malus zahlen, und Betriebe, diefreiwillig weniger produzieren, einen Bonus bekommen .Das kann man mit der Branche vereinbaren . Dazu mussman handeln, dazu muss man sich mit den Bauern tref-fen. Ich finde, deswegen brauchen wir einen Milchgipfelstatt eines Exportgipfels . Einen solchen Gipfel muss derMinister jetzt einberufen . So etwas muss er vereinbaren .
Herr Schmidt, ich glaube, Sie sind der unbekanntes-te Minister dieser Regierung . Sie sind extrem blass . IhreTaktik ist es anscheinend, sich wegzuducken und garnichts zu machen, sich zu verstecken und zu hoffen, dassalles gut wird . Aber es wird nicht alles gut . Im Hinter-grund lassen auch Sie sich – leider – die Papiere vomBauernverband und der Agrarindustrie schreiben .Stichwort „Düngeverordnung .“ Es gibt sie bisher im-mer noch nicht, obwohl die Europäische Kommission einVerfahren gegen Deutschland eingeleitet hat, weil wireine viel zu hohe Nitratbelastung im Grundwasser haben .Die Hauptursache dafür ist bekannt: Das ist die Über-düngung, das ist die Gülle. Ich finde es angesichts desZustands unseres Grundwassers, angesichts des Zustandsdes Wassers in Deutschland insgesamt nicht akzeptabel,dass die Düngeverordnung nicht kommt . Sie muss jetztkommen . Wir müssen unser Wasser schützen . Da müssenSie ran, Herr Schmidt .
Herr Kollege Kindler, gestatten Sie eine Zwischenfra-
ge des Kollegen Röring?
Gern .
Lieber Herr Kollege Kindler, ich habe eine Frage anSie . Wenn eine Familie, die aus Asien, aus Syrien oderdem Irak nach Deutschland kommt, kommt sie in einLand, in dem nach ihrer Vorstellung Milch und Honigfließen; denn hier gibt es sichere und bezahlbare Lebens-mittel, die von verantwortungsvollen Landwirten erzeugtwerden . In Ihrer Rede wird aber das Erreichte der letz-ten Jahrzehnte niedergemacht . Was antworten Sie dieserFamilie auf die Frage, wie Ihre Rede zu den Erfahrun-gen passt, die sie mit der Landwirtschaft in Deutschlandmacht?
Es ist doch völlig klar: Sie können die Situation in Sy-rien, wo ein blutiger Bürgerkrieg geführt wird, wo Kriegund Gewalt herrschen, wo Menschen aus ihren Häu-sern herausgebombt werden, nicht mit der Situation inDeutschland vergleichen . Die Frage ist doch: Wie siehtdie Situation in Deutschland aus?Sven-Christian Kindler
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Ich würde mit dieser Familie, die Sie angeführt haben,auf einen der zahlreichen Milchviehhalterbetriebe gehen,zum Beispiel in Niedersachsen, in denen auch ich schonwar, und mich mit dem Milchviehhalter unterhalten . Die-se haben in diesem wie auch im letzten Jahr, bevor diealte Milchquote, die nicht perfekt war, ausgelaufen ist,schon davor gewarnt, dass sie große Probleme haben .Als kleine Milchviehhalterbetriebe stehen sie wirklichvor der Entscheidung: Wachsen oder Weichen? Dennes gibt eine Tendenz zu immer größeren Betrieben, eineTendenz zu immer mehr Masse . Sie werden jetzt wahr-scheinlich ihren Betrieb aufgeben; denn sie wissen nicht,wie sie die Schulden bezahlen sollen, die sie haben, undob sie den Betrieb an ihre Söhne oder Töchter überhauptweitergeben können .Ich glaube, dann werden auch die Menschen, die zumBeispiel aus Syrien kommen, verstehen, dass es gut ist –das kennen sie aus ihrer Heimat –, dass man eine kleine,regionale bäuerliche Landwirtschaft hat, dass man aufStrukturen vor Ort setzt, dass man mit den Menschen imDorf zusammenkommt, dass man nicht so viele, aber da-für gesunde Kühe auf einer Weide hat . So kann man da-für sorgen, dass die Milch bezahlbar bleibt und eine guteQualität hat . Das würde ich diesen Menschen antworten .Das ist aus meiner Sicht die richtige Antwort .
Es geht auch um Tierschutz . Auch da ist es das glei-che Trauerspiel, Herr Schmidt . Der WissenschaftlicheBeirat in Ihrem Ministerium hat Ihnen im März ein sehrlesenswertes Gutachten vorgelegt . Er stellt fest, dass diegegenwärtigen Tierhaltungsbedingungen in der Land-wirtschaft nicht zukunftsfähig sind . Er fordert weiterhinnicht weniger als ein grundsätzliches Umsteuern bei derindustriellen Massenfleischproduktion.Wenn man sich dieses Gutachten einmal durchliest,dann stellt man fest, dass das eigentlich eine schallen-de Ohrfeige für die letzten zehn Jahre CSU-Agrarpolitikund den Tierschutz ist; denn er fordert nämlich genaudas, was wir immer gesagt haben: mehr Platz für Tiere,artgerechte Beschäftigung und mehr Auslauf. Ich finde,man sollte, wenn man schon nicht auf die Grünen hört,wenigstens auf das eigene Ministerium, auf den eigenenBeirat hören, jetzt endlich einen Tierschutzplan vorlegenund dafür sorgen, dass die Tierquälerei in der Massentier-haltung aufhört . Das wäre jetzt notwendig .
Wir sehen: In der Landwirtschaft ist viel los . Es gibtKrisen . Viele Bauern haben große Sorgen und großeÄngste . Darauf müsste man jetzt eingehen . Man mussdarauf hören, was ein Großteil der Bevölkerung fordert,was viele Landwirte fordern, was der Bundesverband derMilchviehhalter fordert und was sieben grüne Agrarmi-nister in den Ländern umsetzen: Wir brauchen jetzt einsanftes, aber auch ein konsequentes Umsteuern, Schrittfür Schritt für eine Agrarwende . Das muss sich im Haus-halt abbilden, aber auch bei dieser Bundesregierung . Da-rum muss es jetzt gehen .Danke .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Cajus
Caesar .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Ernäh-rungswirtschaft nehmen eine Schlüsselrolle in unsererGesellschaft und in unserer Wirtschaft ein . Und weil dasso ist, will die Union die Rahmenbedingungen so setzen,dass das so bleibt, dass sich die Branche weiterentwickelnkann und dass wir Arbeitsplätze erhalten und schaffen .Wir können feststellen: Der Mittelaufwuchs des Ein-zelplans 10 von 141 Millionen Euro ist überproportional,wenn wir einmal andere Haushaltsbereiche betrachten .Das ist auch gerechtfertigt . Darin nicht enthalten sind die100 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasser-schutz .Die Union will die Rahmenbedingungen so setzen,dass diese Branche Zukunft hat . Das ist die Politik derUnion . Wir packen an . Deshalb ist es uns sehr wichtig,beispielsweise im Bereich des vorbeugenden Hochwas-serschutzes – viele haben das über Jahre gefordert – et-was zu tun . Wir haben 2015 20 Millionen Euro im Haus-halt, 2016 sind es 100 Millionen Euro . Wir hatten 2013 8 Milliarden Euro für die Beseitigung der Hochwasser-schäden bereitgestellt .Wir haben mit einem Maßgabenbeschluss dafür ge-sorgt, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspart-ner – Ulrich Freese, der Mitberichterstatter der Koali-tion, war ja mit dabei – diese Thematik vorangebrachthaben . Auch da haben die Grünen und andere zunächstBedenken geäußert, ob das Geld abfließt. Ich habe in denletzten Tagen die Nachricht von unserem Ministeriumbekommen: Jawohl, das ist der Fall .Wir als Union sind auch vor Ort . Ich war in Nord-rhein-Westfalen, in Duisburg . Wir waren auch in Bran-denburg . Die Tatsache, dass der brandenburgische Mi-nister Vogelsänger den ganzen Tag lang die Projekte mitangeschaut hat, hat gezeigt, wie wichtig vorbeugenderHochwasserschutz ist . Er hat gesagt, wie wichtig ihm dasist . Ich denke deshalb, es ist richtig, dass in den einzelnenBundesländern etwas passiert .Wir haben Wort gehalten und die Mittel bereitgestellt .Das Ministerium, dem ich an dieser Stelle ausdrücklichdanken möchte, sorgt dafür, dass sie auch abfließen. Dasgeht nur, wenn man ein sehr gutes Einvernehmen mit denMinistern in den Ländern hat . Das ist gewährleistet . Eszeigt: Diese Bundesregierung macht eine gute Politik,macht eine vorbildliche Politik .
Sie setzt Akzente, Herr Kindler . Das, was Sie hier vorge-tragen haben, ist weit von den Realitäten entfernt .
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Dieser Maßgabenbeschluss ist so gestaltet, dass wirWirtschaft und Umwelt verbinden . Wir nehmen dieLandwirte mit . Vor Ort ist gefragt worden: Gibt es nichtdie Möglichkeit, beispielsweise Entschädigungen ausBundesmitteln zu leisten? Wir zahlen zukünftig – das istmöglich – 20 Prozent des Verkehrswertes für die Auf-stauflächen. Wir wollen Retentionsflächen, wir wollenden Aufstau am Oberlauf . Wir wollen verhindern, dassdas Wasser bei den Leuten ankommt . All das passiertdurch das, was wir hier beschlossen und auf den Weggebracht haben, und zwar prioritätengesteuert und nichtdurch Quoten . Deshalb sind diese 57 Maßnahmen derHochwasser-Rückhaltung und weitere 29 überregionaleMaßnahmen der Deichertüchtigung gut angelegtes Geld .
Sie haben die Gemeinschaftsaufgabe angesprochen .Ein Argument der Linken hier war: Da tut ihr ja nichts .
Natürlich tun wir etwas . Wir setzen Akzente für den länd-lichen Raum . Das bedeutet, dass wir zunächst einmaldie Modell- und Demonstrationsvorhaben auf den Weggebracht haben . Da ist viel gelaufen . Wir haben in denHaushalt zusätzlich 10 Millionen Euro für den ländlichenRaum eingestellt . Ich kann Ihnen versprechen: Diese Ko-alition wird dafür sorgen, dass der ländliche Raum wei-terentwickelt wird . Sie wird ihn nicht vergessen, sondernattraktiv gestalten . Dafür werden wir die entsprechendenMittel bereitstellen .
Wir haben bei der Gemeinschaftsaufgabe dafür ge-sorgt, dass sie einen Aufwuchs von immerhin 30 Millio-nen Euro in 2016 und 60 Millionen Euro jeweils in 2017,2018 und 2019 hat . Wenn das keine auf Zukunft ausge-richtete Politik ist, dann weiß ich es nicht .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir wol-len auch, dass die soziale Abfederung gesichert ist . Wirhaben die entsprechenden Sozialsysteme . Das ist imHaushalt ein Batzen von 3,7 Milliarden Euro . Ich möch-te das an dieser Stelle vor dem Hintergrund der Diskus-sion sagen, dass es rein wirtschaftlich im Moment sehrwohl Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft gibt,die problematisch sind . Deshalb haben wir gesagt: Wirwollen bei der Alterssicherung die Kostensteigerungenauffangen . Das ist immerhin ein Haushaltsansatz von2,17 Milliarden Euro . 2016 werden 18 Millionen Euro,2017 20 Millionen Euro und 2018 30 Millionen Eurodraufgelegt . Das ist soziale Politik, Herr Kindler .Bei der Krankenversicherung sieht das ähnlich aus .Da legen wir 25 Millionen Euro in 2016, 40 MillionenEuro in 2017 und im Folgejahr auch 40 Millionen Eurodrauf . Wir lassen die Bäuerinnen und Bauern also nichtallein . Das hat auch etwas mit Gestaltung des ländlichenRaums, mit Solidarität und mit Begleiten zu tun . Wir sindfür unsere Landwirtschaft .
Sie haben vorhin hier im Plenum die gesunde Ernäh-rung angesprochen . Es stimmt: Über 50 Prozent der Er-wachsenen ernähren sich nicht richtig . Trotzdem könnenwir dem einzelnen Bürger natürlich nicht einfach das aufden Teller legen, was gesund ist . Sie müssen zur Kennt-nis nehmen, dass wir es tatsächlich geschafft haben, rund90 Millionen Euro und über den gesamten Haushalt ge-sehen 150 Millionen Euro für gesundheitlichen Verbrau-cherschutz und Ernährung bereitzustellen .
Beim Bundesinstitut für Risikobewertung beispiels-weise – das hat diese Koalition in den letzten Jahren ge-fordert, und das wird jetzt umgesetzt – werden innerhalbder nächsten drei Jahre 136 Stellen geschaffen, und zwarim Bereich der gesunden Ernährung und der Untersu-chung von Lebensmitteln, sodass sich der Bürger erkun-digen kann: Was kann ich tun, und wo gibt es vielleichtProbleme? Wir haben also keine Angst, und wir sindnicht zurückhaltend . Wir spielen mit offenen Karten . Wirwollen eine gesunde Ernährung unserer Bürger und set-zen uns dafür ein .
Ich will nicht das wiederholen, was der Minister ge-sagt hat . Es gibt „IN FORM“, den Bundeswettbewerb„KLASSE, KOCHEN“ und viele Aktivitäten, mit denenetwas auf den Weg gebracht wird . Deshalb meine ich,dass wir auf dem richtigen Weg sind .Angesprochen worden ist auch der Tierschutz . Wirwehren uns dagegen, dass man von einzelnen schwarzenSchafen, die es in jeder Berufssparte, in jedem Vereinund in jedem Bereich gibt, auf den gesamten Berufsstandschließt . Das ist, auf Deutsch gesagt, eine Sauerei . Daslassen wir mit uns nicht machen .
– Herr Kindler, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dasswir beim Tierschutz eine ganze Menge getan haben . Wirhaben unter anderem die Forschung auf den Weg ge-bracht . Im Bereich des Tierwohles gibt es eine Initiativedes Ministeriums . Dafür haben wir zusätzliche Gelderbereitgestellt und zusätzliche Stellen geschaffen . Es gibtneben der Forschung auch eine ganze Menge realisier-ter Vorhaben . Dankenswerterweise sorgt auch der Bau-ernverband im Rahmen der Tierwohlinitiative dafür –Johannes Röring sitzt ja hier –, dass diese Anstrengungenbegleitet werden, und zwar durch ein Miteinander derhandelnden Personen – von der Wirtschaft bis hin zumBauern –, um das Tierwohl voranzubringen . Ich denke,das ist die richtige Vorgehensweise: miteinander undnicht gegeneinander . Das ist der Weg, den wir beschrei-ten sollten .
Cajus Caesar
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Ich danke unserem Minister. Ich finde, er hat in seinerRede heute deutlich gemacht, dass wir auf dem richtigenWeg sind .
Ich danke auch seinem Team und nenne stellvertretendden Haushaltsbeauftragten Ulrich Kuhlmann und AlbertWulff . Ich darf auch den Abteilungsleiter Bernd-UdoHahn nennen . Wir haben die Informationen – ich den-ke, da werden mir die Mitberichterstatter recht geben –schnell, detailliert und in aussagekräftiger Form bekom-men . Das ist nicht selbstverständlich .Ich darf an dieser Stelle sagen, dass wir unsere erfolg-reiche gemeinsame Arbeit, die sich im Haushaltsentwurfund in den Ideen der Koalition und der Union wider-spiegelt, fortsetzen werden . Deshalb, Herr Kindler, istDeutschland so vorbildlich . Wir gehen in vielen Berei-chen, in denen andere Länder noch längst nicht so weitwie wir sind, voran .
Wir wollen das auch tun . Aber wir müssen natürlich si-cherstellen, dass wir wettbewerbsfähig bleiben .
Lieber Kollege Caesar, denken Sie an die vereinbarte
Redezeit .
Jawohl . Ich bedanke mich dafür, Herr Präsident, dass
Sie so viel Verständnis gezeigt haben, und dass ich dies
hier so zum Ausdruck bringen durfte .
Ich darf sagen: Union und Koalition stehen für einen
vorbeugenden Hochwasserschutz, für einen attraktiven
ländlichen Raum, für das Tierwohl, aber auch für die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Bauern und Landwirte .
Herzlichen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder für die
Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Herr Minister,ernährungspolitisch ist der von Ihnen vorgelegte Haus-haltsplan eine Aneinanderreihung vertaner Chancen . Ha-ben Sie heute schon einen Blick in die Süddeutsche Zei-tung geworfen? Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüredes Artikels „Neuer Chef mit dunkler Vorgeschichte“ .Sie erinnern sich vielleicht: Wir haben im ersten Halb-jahr dieses Jahres durch Medienberichte, zum Teil miterschütternden Bildern, über den Bayern-Ei-Skandalerfahren, in dessen Verlauf letztes Jahr Hunderte Men-schen in mehreren europäischen Ländern an Salmonellenerkrankten . Dieser Skandal ist leider noch nicht zu Ende .Bereits letztes Jahr im Februar wurden bei der FirmaBayern-Ei, einem der größten Hühner- und Eierprodu-zenten in Deutschland, durch bayerische Kontrollbehör-den Salmonellen festgestellt . Es folgte keinerlei Infor-mation innerhalb Deutschlands . Erst im August letztenJahres erfuhr das Bundesamt für Verbraucherschutz undLebensmittelsicherheit von einem Salmonellenproblem,aber nicht über die bayerischen Behörden, sondern überdas EU-Schnellwarnsystem RASFF . Die bayerischenBehörden verweigerten sogar noch bis September denNachbarländern wichtige Auskünfte zur Klärung diesesKrankheitsausbruchs . Verbraucherinnen und Verbrau-cher wurden überhaupt nicht informiert . So etwas darfsowohl im Sinne der Lebensmittelsicherheit als auch desVerbraucherschutzes und auch im Sinne des Tierwohlsnie wieder vorkommen .
Die Qualen, die diese Tiere erlitten haben müssen,kann man sich nur schwer vorstellen: Die Bilder, die inUmlauf kamen, zeigen verendete und kranke Tiere, alleauf einem Haufen . Die Mitarbeiter wurden hingehalten,nach dem Motto „Das liegt alles an der Sommerhitze“ .Der alte Bayern-Ei-Chef sitzt jetzt in Untersu-chungshaft . Aber sein neuer Geschäftsführer ist bereitsin Schleswig-Holstein wegen ähnlicher Delikte auffäl-lig geworden . Derzeit werden offenbar viele der Bay-ern-Ei-Hühner an einen polnischen Schlachthof gelie-fert – um hernach wieder als Suppenhühner bei uns imSupermarkt zu landen?Die Fraktion der CDU/CSU – Sie haben es angespro-chen, Herr Caesar – fordert sichere Lebensmittel . Des-halb brauchen wir europaweit und in den Ländern einelückenlose Kontrolle und die konsequente Ahndung vonVerstößen .
Das sehe ich in diesem Fall nicht . Bei solchen Betrie-ben helfen weder freiwillige Selbstverpflichtungen nochschlecht ausgestatte und überlastete kommunale Behör-den . Solche Probleme können nur von einer bundesweitzuständigen Behörde wahrgenommen werden . SolcheProbleme mit international arbeitenden Unternehmenmüssen auf der Bundesebene angegangen werden .
Das kann keine Behörde, die bei einem Landrat angesie-delt ist, der noch dazu das Problem hat, dass ihm womög-lich Gewerbesteuereinnahmen entgehen, wenn er einenBetrieb schließt. Einen solchen Interessenkonflikt kön-nen wir nicht auf kommunaler Ebene lösen .Cajus Caesar
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Aber nichts davon findet sich in Ihrem Haushaltsplanwieder, Herr Minister, ebenso wenig wie zu vielen ande-ren Themen im Bereich Ernährung . Es ist, wie gesagt, einHaushalt vertaner Chancen .Die Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit inder Bevölkerung ist alarmierend . Wir alle wissen, dassdie Neigung dazu in der Kindheit angelegt wird . Kinderwerden konditioniert . Deshalb sind vor allem bei ihnendie Probleme anzugehen .Es gibt billige Fertigprodukte mit viel zu viel Fett, Zu-cker oder Salz . Das gilt für Fertigpizza wie für Kinder-müsli . Dort gehört das nicht hinein .
Sie meinen, dann müssten die Verbraucher eben bewuss-tere Kaufentscheidungen treffen . Schuld sind die Ver-braucher . Die klare Botschaft des Ernährungsministersist: Sollten Sie an ernährungsbedingten Krankheiten oderBeschwerden leiden, ändern Sie doch bitte Ihren Lebens-stil! Wie aber sollen Kinder mit einer Anlage zu Adipo-sitas ihren Lebensstil ändern?Nein, Herr Minister, stellen Sie endlich die Belangeder Verbraucherinnen und Verbraucher statt der Interes-sen der Lebensmittelwirtschaft in den Mittelpunkt!
90 Millionen Euro sind in Ihrem Haushalt für Ernährungvorgesehen, ungefähr 10 Millionen Euro davon für denBereich Prävention und Aufklärung . Dem stehen zig Mil-liarden Euro Kosten im Gesundheitswesen jedes Jahr fürernährungsbedingte Krankheiten gegenüber . Die könntenwir uns alle sparen und damit wunderbare Dinge machen .Mit dem von Ihnen eingesetzten Geld werden wir aberkaum einen Flyer für jeden Menschen in der Bundesre-publik finanzieren können.Ich stelle fest: Die bisherigen Maßnahmen für gesun-de Ernährung und mehr Bewegung sind nach meinemDafürhalten gescheitert . Freiwillige Mitmachprojekteerreichen auf jeden Fall nicht die Menschen, die sie er-reichen sollten .Gesunde Ernährung ist ein wesentlicher Teil gesund-heitlicher Vorsorge und damit auch staatliche Pflicht-aufgabe. Deshalb fordern wir als Linke verpflichtendeQualitätsstandards, ähnlich wie die DGE-Standards, fürdie Gemeinschaftsverpflegung – vor allem in Kitas undSchulen, aber auch in Pflegeeinrichtungen, Betreuungs-einrichtungen, Krankenhäusern und öffentlichen Kanti-nen .
Wir brauchen ein Verbot von Werbung und Sponso-ring für Lebensmittel, die für Kinder gedacht sind . Einesolche Werbung, die an Kinder gerichtet ist, braucht nie-mand .
Wir brauchen eine stärkere Besteuerung von Softdrinksund Süßwaren und eine gezielte und umfassende For-schung in Bezug auf das Ernährungsverhalten von Kin-dern .Deshalb kann ich nur appellieren: Stellen Sie Mittelein, damit diese Forschung betrieben werden kann, bei-spielsweise auch beim MRI, dem Bundesforschungsins-titut für Ernährung und Lebensmittel . Da wäre sie fach-lich sicherlich gut angelegt .Zur Vereinbarkeit von Theorie und Praxis kann ichnur wieder sagen: Als Linke fordern wir die kosten-freie flächendeckende Schul- und Kitaverpflegung füralle Kinder . Dadurch hätten Sie die Chance, auch kran-ken Kindern und Flüchtlingskindern eine Integration zuermöglichen . Ich glaube, der soziale Kontakt beim ge-meinsamen Mittagessen ist durch fast nichts zu ersetzen .Ermöglichen Sie diesen Kindern die Chance, tatsächlichTeil dieser Gesellschaft zu werden . Dafür wäre zum Bei-spiel ein kostenfreies Mittagessen eine wunderbare Gele-genheit . Deshalb fordern wir, dafür 1,8 Milliarden Euroin den Haushalt einzustellen .Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
Der Kollege Willi Brase spricht als Nächster für die
SPD .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir diskutieren heuteüber den Einzelplan 10 des Haushalts 2016 . Mir ist in derbisherigen Debatte aufgefallen, dass das Thema „Weiter-entwicklung des ländlichen Raums“ nur gestreift wurde .Wenn man sich den ländlichen Raum anschaut, dannwird man feststellen: Es geht um Dorferneuerung, es gehtauch um Landwirtschaft – manchmal gibt es dort nochein oder zwei landwirtschaftliche Betriebe, in manchenTeilen gibt es ehemalige LPGs, die jetzt GmbHs sind; dieStruktur ist also sehr unterschiedlich –, es geht um Infra-struktur, es geht um wirtschaftliches Wachstum, es gehtum Daseinsvorsorge, und es geht ums Bauen .Wenn ich mir das alles ansehe, dann sage ich: Dasist eine Querschnittsaufgabe, die nicht nur das einzelneHaus – das Bundesministerium für Ernährung und Land-wirtschaft –, sondern die Bundesregierung insgesamt zuleisten hat, und das fordern wir als SPD .
Wir haben die klare Erwartung an die Bundesregie-rung, dass jetzt im Herbst mit den Beratungen zu Ände-rungen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derAgrarstruktur und des Küstenschutzes“ begonnen wird .Dabei muss langsam klar sein, ob wir das Grundgesetzoder nur das GAK-Gesetz ändern . Wir sollten jetzt nichtmehr monatelang warten . Ich meine, es sind bald zweiJahre rum . Wir wollen dieses Gesetzesvorhaben vernünf-Karin Binder
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tig auf den Weg bringen . Deshalb wird es Zeit, dass diesendlich passiert .
Wir sagen: Ländliche Regionen sind Zukunftsregio-nen . Deshalb brauchen wir auch bei der GAK – egal inwelcher Art und Weise wir weiterentwickeln – mehr Mit-tel . Ich will das wiederholen, was wir als SPD-Fraktionschon mehrfach gesagt haben: Hier reichen keine 40 Mil-lionen Euro aus, sondern es muss in den nächsten Jahrenschon in Richtung einer halben Milliarde Euro gehen,wenn wir die ländlichen Räume ein Stück weit zukunfts-sicher und zukunftsfest machen und den Menschen dorteine Chance geben wollen .
Das ist also eine Querschnittsaufgabe . Runden derStaatssekretäre reichen hier nicht aus . Wir müssen daskoordinieren – auch mit der Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ . Ich binmir sicher, dass uns das gelingen wird .Das BULE soll weiterentwickelt werden . Ich glaube –ich schaue die Haushälter an –, die Mittel dafür werdenum 10 Millionen Euro erhöht . Das ist gut . Ich denke, wirsollten dieses Programm nutzen, um den bundesweitenAustausch zu fördern . Wir müssen die Erfahrungen miteinzelnen Programmteile nutzen und das vorantreiben .Wir brauchen eine bessere Erfahrungs- und Wissensver-mittlung, um die regionalen Akteure auch ein Stück weitzu stärken, und es muss evaluiert werden . Ich denke, dasist genau richtig und notwendig .
Es ist auch deshalb notwendig, dass wir uns um dieländlichen Regionen kümmern, weil die letzten Unter-suchungen zur demografischen Entwicklung nicht ge-rade Gutes erwarten lassen, was Dörfer und ländlicheRegionen angeht; so bitter das auch sein mag . Wenn dieWissenschaftler empfehlen: „Konzentriert euch mehr aufdie Mittelzentren und auf die Städte“, dann müssen wirfragen: Können wir zulassen, dass dörfliche Strukturen,dörfliches Leben und dörfliche Weiterentwicklung ein-fach abgehakt werden? Nein!Es gibt sehr gute Beispiele für dörfliches Leben. Ichbin ehrenamtlich auch im Unterausschuss „Bürger-schaftliches Engagement“ tätig . Man muss sich einmalansehen, was sich in Dörfern alles entwickelt hat, zumBeispiel in Elten in Emmerich . Dort hat sich die Dorf-bevölkerung, über 100 Menschen, zu Dorfkonferenzenzusammengesetzt, Projekte angeregt und auf den Weggebracht, einen Dorfladen nach zehn Jahren wieder eröff-net, ein Wohnbaulandkonzept auf die Beine gestellt undVeranstaltungsreihen zu erneuerbaren Energien initiiert .Dieses bürgerschaftliche Engagement ist toll und kannnur unterstützt werden . Aber ich denke, auch ein Minis-terium sollte einmal sehen: Gibt es nicht mehrere solcherBeispiele, die wir unterstützen können? Dazu sage ich:Dorf hat Zukunft .
Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz vorsichtigetwas hinzufügen . Müssen wir nicht auch die Zuwande-rung ein Stück weit nutzen, um an der einen oder anderenStelle die Revitalisierung unserer dörflichen Strukturenanzugehen? Das ist schwierig; denn man kann Menschenaus anderen Ländern nicht einfach dort ansiedeln, Stich-wort „Bleiberecht“ . Man muss die Menschen dafür be-geistern, die Zugewanderten unterstützen und im Dorffür sie werben . Man muss mit den Menschen reden . Manmuss deutlich machen, wo der Gewinn für sie und wo dieZukunft liegt. Ich finde, das sollten wir machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einenanderen Bereich ansprechen, der sich nicht direkt haus-halterisch niederschlägt, der uns aber in der Presse undin der Öffentlichkeit immer wieder beschäftigt . Das istdie Situation in den Schlachthöfen der Fleischkonzerne .Mittlerweile sprechen wir wieder von 40 000, hauptsäch-lich osteuropäischen, Arbeitnehmern auf Werkvertrags-basis, die in überteuerten Unterkünften leben, und vonSubunternehmen, die wiederum andere Subunternehmenbeschäftigen . Gott sei Dank engagieren sich dort Men-schen und sagen: Das wollen wir so nicht haben . Wirhaben nicht den Mindestlohn von 8,50 Euro durchge-kämpft, um über Werkverträge ein Tor aufzumachen, woauf Kosten von Menschen billig und immer noch billigerproduziert wird . Das lehnen wir ab .
Da muss etwas passieren. Ich finde es gut, Herr Bun-desminister, dass Sie vorhin gesagt haben: Wir wollenauf dem europäischen Markt und auf dem Weltmarktkeine Billigprodukte anbieten, sondern Qualitätsproduk-te . Qualitätsprodukte entstehen aber nur dort, wo ver-nünftige und gute Arbeitsbedingungen herrschen . DieseWerkvertragsarbeitnehmer arbeiten unter beschissenen,schlechten und widerlichen Arbeitsbedingungen . Diesegehören abgeschafft, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deshalb müssen wir nicht nur darüber reden, wie wirdas Werkvertragsunwesen abschaffen können, sondernman darf bei aller gebotenen Zurückhaltung auch fragen:Wie sieht es eigentlich mit den Überwachungsstruktu-ren aus? Was machen die sogenannten Fleischbeschau-er? Wie gehen die Amtsärzte, die Tierärzte damit um?Gibt es einen Bereich, den wir uns ganz genau anguckenmüssen? Wird die Fleischhygiene beachtet? Gibt es Voll-zugsdefizite? Wird das Tierwohlkonzept umgesetzt? Ichglaube, all das spielt eine Rolle .Wenn man Menschen, die in einem solchen Bereicharbeiten, darauf anspricht, dann sagen die: Von den40 000 Arbeitnehmern können viele kein Deutsch . Wennman diesen Mitarbeitern in der Produktion sagt: „IhrWilli Brase
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dürft hier nicht rauchen“, dann verstehen sie das nicht . –Wir wissen aber alle: Wo man Fleisch zerschneidet, darfman nicht rauchen . Ich meine, dass wir dort aktiv werdenmüssen .Die Zeitschrift top agrar online hat am 17 . August die-ses Jahres wieder einmal auf die mafiösen Zustände hin-gewiesen . Die Menschen, die diese Zustände kritisierten,wurden teilweise bedrängt . Wir alle wissen, dass Kriti-kern tote Tiere vor die Haustür gelegt werden; wir habendie Bilder gesehen . Ich will hier im Deutschen Bundestagdeutlich sagen: Es ist absolut nicht akzeptabel, dass soetwas passiert . Dagegen muss etwas getan werden .
Ich finde es richtig, dass zumindest der Bundeswirt-schaftsminister für den 21 . September dieses Jahres dieSpitzen der Schlacht- und Zerlegeindustrie eingeladenhat, um mit ihnen über genau diese Missstände zu redenund für Abhilfe zu sorgen . Wir wünschen der Bundes-regierung insgesamt, dem Wirtschafts- und auch demLandwirtschaftsminister viel Erfolg, damit wir dort baldwieder ordentliche Zustände haben .Vielen Dank fürs Zuhören .
Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff,BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mi-nister Schmidt, noch im Winter und Frühjahr erklärtenSie bei jeder Gelegenheit, die Zukunft der Milch wer-de nach dem Wegfall der Quote am 1 . April golden sein .Endlich könnten sich unternehmerische Fähigkeiten vollentfalten . Für die Bauern und Bäuerinnen, die Ihnenglaubten, gab es aber schon nach wenigen Apriltagen einböses Erwachen: Der Milchpreis, der 37 Cent betragensollte, sackte auf 27 Cent, dann auf 24 Cent pro Liter ab .Statt im gelobten Land kamen sie im Land des Preisver-falls an, der bis heute unvermindert anhält – da, wo sichSchweinebauern, vor allen Dingen Sauenhalter, schonlänger befinden.Die Lage für die meisten tierhaltenden Betriebe istäußerst dramatisch . Noch nie wurden so viele Liquidi-tätshilfen in so großer Höhe nachgefragt wie aktuell . Wassagt unser Minister? Irgendwann wird es schon besserwerden . Aber Herr Minister, was kommt denn nach derLiquiditätsspritze? Damit werden doch die Ursachen derPreismisere nicht behoben .
Am Montag kamen Sie vom Sondergipfel aus Brüs-sel wieder zurück – mit nichts, nur mit Absichten, mitnull Beschlüssen . Es wurden Ankündigungen gemacht:Die Ausgleichszahlungen sollen vorgezogen, die Liqui-ditätshilfen noch mehr aufgestockt werden, damit dasNötigste bezahlt werden kann . Mit sehr viel Geld soll derExport abermals angekurbelt werden . Nichts, aber auchgar nichts war dabei, mit dem die viel zu hohen Mengenin den Griff bekommen werden könnten . Keinerlei Per-spektive! Was kommt denn, wenn der Preisverfall, wiebefürchtet, weitergeht, Herr Minister? Was wollen Siedenn dann tun?
– Wir Bauern und Bäuerinnen verlangen endlich Taten,Frau Connemann . Taten sind gefordert, nicht nur wohl-feile, warme und blumige Worte, Frau Connemann .
Vor allen Dingen keine Märchen mehr, sondern Taten!Mit jedem Hof, der in einem Dorf zugrunde geht, stirbtein Stück Kulturlandschaft, ein Stück bäuerlichen Le-bens, das wir so dringend brauchen . Wir brauchen keinenExportgipfel, Herr Minister, wir Bauern brauchen end-lich einen Milchgipfel, wo wir über die Situation redenkönnen .
Ich bin seit 47 Jahren Bauer, aber ich habe noch nieeinen so hilflos agierenden Minister erlebt. Wir erinnernuns noch alle gut an den lächerlichen Vorschlag aus demSchmidt‘schen Baukasten „One apple each day keeps thePutin away“ . Stark gewachsene, hoch verschuldete Be-triebe, die nicht mehr ein noch aus wissen, das ist dochdie Realität, Herr Minister .
Warum bekämpfen Sie mit solcher Inbrunst unseregrünen Forderungen? Wir würden uns diese Inbrunstan der Front des Preiskampfes wünschen; aber Sie be-kämpfen uns damit . Wir fordern wie auch der BDM einBonus-Malus-System zur Mengendrosselung in Krisen-zeiten auf dem Milchmarkt . Wir fordern eine grünland-gebundene Förderung für bäuerliche Milchviehhalter .Seit Jahren fordern wir die Erzeugerbündelung, um dieVerhandlungsposition der Milchbäuerinnen und Milch-bauern gegenüber Molkereien zu verbessern .
Wir fordern – wie viele andere auch –, das Tierwohl zustärken und mit mehr Platzangebot vor allen Dingen auchdie Schweinezahlen zu senken .Herr Minister, Sie propagieren stattdessen nur Welt-marktzukunft für die Höfe . Ihre Exportoffensiven habendazu geführt, dass die Märkte zusammenbrachen . DieWeltmärkte für Milch und Schweinefleisch sind gesät-tigt . Sie sind übervoll . Darunter leiden deutsche und eu-ropäische Bauern und Bäuerinnen . Aber auch die Erzeu-Willi Brase
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gerinnen und Erzeuger in anderen Teilen der Welt leidendarunter .Ihrem Haushaltsvorschlag fehlt jegliche Vision, jeg-liche Substanz . Es fehlen Vorschläge und Maßnahmen,mit denen Sie die Probleme in der Landwirtschaft behe-ben und eine gesunde bäuerliche Agrarstruktur fördernwollen . Wir fragen Sie: Was ist denn mit der Tierwohli-nitiative? Was ist denn mit den Empfehlungen des Wis-senschaftlichen Beirates für Agrarpolitik zur zukunftsfä-higen Tierhaltung? Wo in Ihrem Haushalt sind die Mittelfür Tierwohl, mit denen Sie substanzielle Fortschritteerzielen wollen? Wo sind die Umsetzungen, die das Gut-achten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitikempfiehlt?Übrigens haben wir auch von der großen Novelle derDüngeverordnung, die uns Weihnachten auf den Tischgelegt wurde, seit Monaten nichts mehr gehört . Wir hö-ren jetzt: Vielleicht im nächsten Jahr . Die Schmidt‘scheLösung heißt, über Probleme nicht mehr zu reden, bis sieirgendwann vergessen sind .
Das lassen wir Grüne Ihnen nicht durchgehen . Wir wer-den dieses Aussitzen brandmarken . Wir werden der Ge-sellschaft zeigen, dass wir die Probleme angehen wollen .Um die Probleme zu lösen, sind wahrlich weitaus grö-ßere Anstrengungen notwendig, als freundlich und völliginhaltsleer durch das Land zu fahren, wie Sie es gemein-hin tun . Wir fordern deshalb die Aufstockung der Mittelfür die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar-struktur und des Küstenschutzes“ um 200 Millionen Eurofür ein Aktionsprogramm „Bäuerlich-ökologische Land-wirtschaft“, um damit einen Umbauplan „ZukunftsfähigeTierhaltung“ in Höhe von 150 Millionen Euro zur Um-setzung der Vorschläge des Gutachtens zu finanzieren.Wir fordern die Förderung einer grünlandgebundenenMilchviehhaltung mit 50 Millionen Euro nationaler Mit-tel . Damit können wir nach unseren Berechnungen wei-tere Mittel in Höhe von 160 Millionen Euro in EU- undLänderprogrammen hebeln . Angesichts dieser Summesollten wir darüber nachdenken, ob wir damit den haupt-sächlich betroffenen Grünlandbetrieben wirksam helfenkönnen .
Wir fordern weitere zielführende Maßnahmen im Tier-schutz und bei der Novellierung der Düngeverordnung .Wir fordern des Weiteren die Aufstockung der Mittel fürdas Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ sowieeine Bündelungsoffensive für Milcherzeuger .Herr Minister, es gilt, nicht weiter die Hände in denSchoß zu legen und – quasi wie bei einer Tasse Kaffee –nett zu plaudern . Erforderlich ist Handeln . Handeln Sieendlich! Die Bäuerinnen und Bauern warten auf Taten,und zwar auf Ihre Taten .
Der Kollege Waldemar Westermayer spricht jetzt für
die CDU/CSU .
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen undKollegen! Werte Zuhörer auf der Tribüne! Wir disku-tieren heute in erster Lesung über den Haushalt für dasnächste Jahr und damit über die grundsätzliche Ausrich-tung unserer Agrarpolitik . Beginnen möchte ich mit demBereich der Landwirtschaft . Das Berufsbild des Land-wirts ist vielseitig, interessant und bietet einen besonde-ren Bezug zu Natur und Technik sowie zum Tierwohl .Trotzdem ergreifen immer weniger junge Menschendiesen Beruf, da er durchaus auch harte und anstren-gende Seiten hat, gerade was die Arbeitszeiten angeht .Hiervon kann ich ganz persönlich berichten . Bereits mit16 Jahren habe ich nach dem Tod meines Vaters zusam-men mit meiner Mutter den elterlichen Hof weitergeführtund Verantwortung für die ganze Familie übernommen .Über 40 Jahre habe ich den Milchviehbetrieb im Allgäuin eigener Verantwortung geführt . Inzwischen habe ichihn an meinen Sohn übergeben . Sie sehen also, dass ichaus eigener Erfahrung einen ganz praktischen Bezug zurLandwirtschaft habe .Zur Bewältigung der Aufgaben in der Landwirtschaftunternehmen wir in diesem Haushalt einiges . Schwer-punkt ist dabei natürlich die landwirtschaftliche Sozi-alpolitik . Durch die weiter gestiegenen Zuschüsse imBereich der Alterssicherung der Landwirte und der land-wirtschaftlichen Krankenkasse nehmen wir unsere sozi-ale Verantwortung gegenüber den Landwirten und derenFamilien wahr .
Insbesondere der Union ist die Wahrnehmung diesersozialen Verantwortung gegenüber unseren Landwirtenschon immer ein Anliegen gewesen . Das Geld, das wirim sozialen Bereich ausgeben, ist gut angelegt; dennder gesamte landwirtschaftliche Sektor unterliegt in be-sonderem Maße dem demografischen Strukturwandel.Die Dynamisierung der Zuschüsse zur Krankenversi-cherung und zur Alterssicherung ist deshalb genau derrichtige Ansatz . Angesichts dieses Strukturwandels undder damit einhergehenden Probleme müssen wir meinerAnsicht nach auch darüber nachdenken, den abgesenk-ten Zuschuss zur Unfallversicherung wieder anzuheben .Dies würde eine spürbare Entlastung der 1,5 MillionenMitglieder der landwirtschaftlichen Berufsgenossen-schaft bedeuten .Neben dieser sozialen Komponente nehmen wir im ak-tuellen Haushalt Verantwortung für die Gestaltung derLandwirtschaft wahr . Dazu gehört neben der im Haus-halt weiterhin verstärkten Innovationsförderung und demneuen Programm zur Energieeffizienz in Landwirtschaftund Gartenbau insbesondere das fortgeführte Bundespro-gramm zur ländlichen Entwicklung . Entscheidend für diezukünftige Entwicklung des ländlichen Raums ist nebender Flurbereinigung der von der Bundesregierung vor-angetriebene Breitbandausbau . Mit diesen MaßnahmenFriedrich Ostendorff
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unterstützen wir den Wandel der Landwirtschaft hin zumehr Nachhaltigkeit und Innovation . Dadurch erhöhenwir die Wettbewerbsfähigkeit und stellen sicher, dass esauch in Zukunft eine funktionsfähige bäuerliche Land-wirtschaft in Deutschland geben wird . Dies sollte das ge-meinsame Ziel von uns allen sein .Meine Damen und Herren, die aktuellen Entwick-lungen zeigen uns aber auch, dass in vielen Bereichenweiter Handlungsbedarf besteht . Als ehemaliger Milch-viehhalter treibt mich vor allem die aktuelle Krise amMilchmarkt um . Hierbei möchte ich vorausschicken,dass ich natürlich, wie wir alle, die Ausschreitungen inBrüssel am vergangenen Montag auf das Schärfste ver-urteile .
Sie zeigen aber die Sprengkraft des gesamten Themas .Wir stehen aktuell vor der Entscheidung, ob wir eine Ent-wicklung wie im Schweine- und Geflügelbereich hin zudominierenden Großbetrieben wollen oder ob wir wei-terhin lebendige kleine und mittlere Milchviehbetriebe inDeutschland haben wollen .
Eine Wiedereinführung der Milchquote ist keine Op-tion .
In den 32 Jahren der Milchquote musste nämlich alleinmein Betrieb 320 000 Euro für Lieferrechte ausgeben .Die Abschaffung der Milchquote zum 1 . April 2015 hatmit dem Milchpreisrückgang meines Erachtens nichts zutun . In der Bundesrepublik haben wir seither eine Men-gensteigerung um 0,1 Prozent . Die entscheidenden Punk-te sind der Russland-Export und der Einbruch in China .
– Sicher ist die Menge entscheidend; das weiß ich auch,Herr Ostendorff .
– Belasten Sie nicht meine Redezeit .
Ich glaube, bei den Erzeugerbündelungen, wie siedie EU im Milchpaket eigentlich vorgibt, müssen wir innächster Zeit noch einiges machen . Die EU hat es vor-gezogen, dass über das Milchpaket gesprochen wird . Ichbin der Meinung, in diesem Milchpaket sind viele Punkteenthalten; wir müssen sie nur umsetzen, auch wir Land-wirte .
Herr Ostendorff, Sie haben all Ihre Forderungen vor-getragen . Ich komme aus einem Bundesland, in dem eseinen grünen Landwirtschaftsminister und auch einengrünen Ministerpräsidenten gibt .
Ich bekomme natürlich mit, welche zusätzlichen Aufla-gen wir bekommen . Das bedeutet Nachteile in der Be-wirtschaftung . Deswegen ist das meines Erachtens derfalsche Weg .
Sorgen Sie auch einmal dafür, dass die Landwirte nichtunter höheren Kosten leiden müssen, vor allem nichtdurch die jetzt aktuellen Vorkommnisse rund um dieJGS-Anlagen .
Wir sollten deshalb bestehende Exporthemmnisseüberdenken . Sofern es die außenpolitischen Gegeben-heiten zulassen und Russland wieder zu konstruktivenGesprächen in der Lage ist, sollten wir den Handel imAgrarbereich mit Russland wieder vollständig möglichmachen . Andernfalls könnten immerhin 2,5 Prozent desAußenhandels Europas verloren gehen .Im Hinblick auf die Erweiterung unserer Exportmög-lichkeiten spielt auch TTIP eine wichtige Rolle . Das Ab-kommen bietet große Chancen, gerade für unsere Land-wirtschaft . Positiv ist auch, dass nicht nur isoliert überden Abbau von Zöllen geredet wird, sondern auch übergemeinsame bereits bestehende Standards . Solange unsereuropäisches Schutzniveau dabei eingehalten wird – dasist klar unser Ziel und unsere rote Linie für die Verhand-lungen –, überwiegen die Chancen von TTIP deutlich .Darüber hinaus muss auch der Handel seiner Verant-wortung für eine faire Preisgestaltung gerecht werden .Dazu gehört, dass endlich alle Discounter und Super-marktketten das Problem anerkennen und verhandlungs-bereit sind .
Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt be-stimmen wir neben der agrarpolitischen Ausrichtungder Landwirtschaft auch die Ausrichtung unserer Ernäh-rungspolitik . Wir können stolz darauf sein, ein breitesAngebot an qualitativ hochwertigen und gesunden Nah-rungsmitteln zu haben . Diese hohe Qualität der Lebens-mittel ist einer der Schlüssel für eine langanhaltende guteGesundheit und ein langes Leben .Damit wir unser hohes Niveau im Lebensmittelbe-reich aufrechterhalten können, unternehmen wir im Rah-men des gesundheitlichen Verbraucherschutzes im Be-reich der Lebensmittel weiterhin sehr viel . Vor allem sindan diesem Punkt die Prüfung und Bewertung möglicherneuer Risiken von Lebensmitteln entscheidend . Wir alsPolitiker sind hierbei auf die unabhängige, wissenschaft-lich fundierte Analyse der Risiken angewiesen .Waldemar Westermayer
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Ich möchte an dieser Stelle klar sagen, dass ich hin-sichtlich der Analyse und Begutachtung dieser Gefahrenvolles Vertrauen in das Bundesamt für Risikobewertungund seine Mitarbeiter habe . Das BfR wird seiner wissen-schaftlichen Referenz und seiner Orientierungsfunktionfür die Politik und die Verbraucher in vollen Umfang ge-recht . Es ist nicht Aufgabe des BfR – dies möchte ichvor allem im Hinblick auf die aktuelle Diskussion überGlyphosat betonen –, jede mediale Panikmache mitzu-machen .
Neben der Lebensmittelsicherheit kommt auch demBereich der Information über richtige Ernährung undeine gesunde Lebensweise besondere Bedeutung zu .Um noch mehr Verbraucher auch über andere Wege zuerreichen, sollten die einzelnen Ernährungszentren, dievon der CDU in Baden-Württemberg eingeführt wurden,einbezogen werden . Diese haben vor Ort die Fachkom-petenz, über gesunde Ernährung aufzuklären . In Zusam-menarbeit mit dem Lebensmitteleinzelhandel können sonoch mehr Menschen erreicht werden .Schließlich – das ist mir als ehemaligem Landwirt be-sonders wichtig – müssen wir als gesamte Gesellschaftden Wert von Lebensmitteln wieder schätzen lernen . In-sofern bin ich unserem Minister Christian Schmidt auchpersönlich sehr dankbar, dass er das Thema im Rahmender Initiative „Zu gut für die Tonne“ aufgegriffen hat . Eskann einfach nicht sein, dass jeder Bürger in Deutschlandpro Jahr im Schnitt 82 Kilogramm Lebensmittel einfachwegschmeißt . Die Initiative zeigt bereits Wirkung . Durchdie verschiedenen Maßnahmen der Aktion wird das Be-wusstsein der Verbraucher für das Thema geschaffen .Dies zeigt, dass weite Teile der Bevölkerung an gesun-dem und nachhaltigem guten Essen interessiert sind .Dazu passt ein Zitat von Churchill:Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit dieSeele Lust hat, darin zu wohnen .Herzlichen Dank .
Ich erfahre gerade, Herr Kollege Westermayer, dass
das Ihre erste Rede ist .
– Die zweite . – Ich hätte Ihnen gern noch einmal gratu-
liert .
Dann ist der Kollege Rainer Spiering von der SPD an
der Reihe, dem ich hiermit das Wort erteile .
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Minis-ter! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der demografi-sche Wandel und die Globalisierung stellen unsere Ar-beits- und Lebenswelt auf den Kopf und schaffen neueRahmenbedingungen, gerade auch in der Landwirtschaft .Es bedarf eines ausgewogenen Verhältnisses zwischenÖkonomie und Ökologie sowie einer umsichtigen Nut-zung von Ressourcen zur Erhaltung unserer natürlichenLebensgrundlagen . Das ist der Grundstein für eine inno-vative Landwirtschaftspolitik .Landwirtschaft hat sich in den letzten 40, 50 Jahrenfundamental verändert . Landwirtschaft ist heute nichtmehr nur die Basis für die Herstellung von Lebensmit-teln, sondern sie ist auch Produzent von Rohstoffen,Produzent von Energieträgern und Produzent von Ba-sisstoffen . Als Drittes ist sie ein unersetzlicher Teil derdeutschen Wirtschaft als Basiswirtschaft für eine inno-vative und exzellente Landmaschinentechnologie . Ohnediese Basis der deutschen Landwirtschaft wäre unsereBasistechnologie der deutschen Landmaschinentechnikschlicht und ergreifend nicht möglich . Ich werde gleichnoch darauf zurückkommen und darlegen, warum mirdas so wichtig ist .
Wir führen eine Wertediskussion über Landwirtschaftim Allgemeinen sowie über Ernährung und Tierwirt-schaft im Besonderen . Was sind uns Ernährung, unsereTiere und die Umwelt wert? Wie wollen wir leben? Men-schen verlangen verstärkt nach ökologisch nachhaltigen,vegetarischen Lebensmitteln . Wir haben einen extremsteigenden Druck auf die Landwirtschaft . Es ist schiz-ophren: Der Markt verlangt hochwertige und sichereLebensmittel, aber weiterhin zu niedrigsten Preisen, undzeitgleich mehr Tier-, Natur- und Umweltschutz, und dasgeht bis hin zur kompletten Umgestaltung der Landwirt-schaft . Wandel ist nur möglich, wenn alle an der gleichenSeite des Strangs ziehen . Ich glaube, ein Teil dazu ist mitder Aufstellung des Haushalts 2016 getan .Ich sage mal für uns alle: Auch bei einer lebhaftenDiskussion, auch bei einer strittigen Diskussion kann esimmer sein, dass der andere recht hat; das sollte man mitins Kalkül ziehen .
– Das war eine nicht gehörige und auch überflüssige Be-merkung, wenn ich das mal sagen darf .
– Okay .Ich möchte zu dem kommen, was, wie Sie wissen,mich bewegt, und das ist die Forschung im Bereich Er-nährung und Landwirtschaft . Es sind 560 Millionen Euroim Haushalt und damit 10 Prozent des gesamten Agrar-haushalts . Das ist im Vergleich zu anderen Haushalteneine stattliche Summe . Sie ist nötig, aber sie ist auch einklares Zeichen, dass das Ministerium den Bereich For-schung sehr ernst nimmt . Es sind 57 Millionen Euro mehrals im letzten Jahr, eine Steigerung um über 10 Prozent .
Mit jährlich über einer halben Milliarde Euro an För-dermitteln ist das BMEL eines der forschungs- und in-Waldemar Westermayer
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novationsfreundlichsten Ministerien schlechthin . LassenSie mich dazu eine Bemerkung machen, die mir wichtigist, die aber vielleicht ein bisschen Wasser in den Weinschüttet . Faust, Kapitel 7:Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik Wie mit einem Weber-Meisterstück ,Wo ein Tritt tausend Fäden regt, …Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,Sucht erst den Geist heraus zu treiben ,Dann hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt, leider! nur das geistige Band .Ich glaube, wir werden alle sehr sorgfältig aufpassenmüssen, wo unsere Wirtschafts- und Wissenschaftspoli-tik hingeht, und wir als Parlament – ich sage das deut-lich – werden auch eine gewisse Richtschnur legen wol-len müssen . Ich glaube, wir werden wesentlich intensiverbeobachten müssen, welche Institute welche Aufgabenzu welchem Zweck übernehmen. Ich finde den Wissen-schaftsstandort Deutschland schlicht und ergreifend toll,
möchte aber zugleich auch sagen, dass Wissenschaft nurdann einen Wert hat, wenn sie nicht Wissenschaft fürsich, sondern Wissenschaft im Dienste derer ist, die dasGeld dafür aufbringen . Ich glaube, wir sollten in Zukunftein wenig mehr Wert darauf legen, dass wir unsere parla-mentarische Hoheit dahin gehend wahrnehmen .
Das BMEL finanziert Förderprogramme, um innova-tive Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu unter-stützen, die im unmittelbaren Interesse von Gesellschaft,Praxis und Wirtschaft stehen . 41 Millionen Euro sind fürdie Innovationsförderung in den Bereichen Ernährung,Landwirtschaft und Verbraucher, für technische undnichttechnische Innovationen im gesamten Agrar- undErnährungssektor und im gesamten gesundheitlichenVerbraucherschutz, zur Schaffung und Sicherung vonArbeitsplätzen und zur Verbesserung der Lebensmittel-und Produktsicherheit vorgesehen . Mit den zusätzlichenMitteln werden Themen aufgegriffen, die im Koalitions-vertrag als Schwerpunkte aufgeführt sind: Tierschutzund Tiergesundheit, Klimaschutz, nachhaltiger Pflanzen-schutz, gesunde Ernährung, Sicherheit von Lebensmit-teln .Lassen Sie mich jetzt etwas ergänzen, was, glaubeich, für uns wichtig ist . Wir müssen eine Zukunftsstrate-gie entwickeln, gerade auch in Bezug auf Industrie 4 .0 .Wir haben die Basis der deutschen Landwirtschaft, undwir haben die Technologie in deutschen Firmen, die hierangesiedelt sind . Wir sind in vielen Bereichen Welt-marktführer . All das, was die Automobilindustrie mitselbstfahrenden Fahrzeugen probiert, können wir imlandwirtschaftlichen Sektor selber, ohne Google, ohneMicrosoft, ohne Apple, aus eigener Kraft .
Das heißt für uns im Klartext, unseren IT-Standort soauszurüsten, dass unsere Landmaschinenhersteller in derLage sind, unabhängig von interessierten ausländischenKräften hier eigene Systeme aufzubauen, um mit ihrerLandmaschinentechnologie unseren Vorsprung weiterausbauen zu können . Im Übrigen führt dies vielleichtauch zu einer gewissen Selbstständigkeit gegenüber denVereinigten Staaten von Amerika, die ich sehr mag .
Aber können wir mit Blick auf die forschungsbasierteEntwicklung eine Prognose abgeben, wie wir aus demHamsterrad „wachsen oder weichen“ wieder herauskom-men? Ich spreche das jetzt aus einem ganz bestimmtenGrunde an . Bei der digitalen Vernetzung der Geräte zwi-schen Schlepper und Auslesegerät ist noch ordentlichMusik im Spiel . Lassen Sie mich ein Beispiel nennen:Ich war auf meiner Sommertour bei einem Hersteller vonGüllefässern . Früher waren das kleine Dinger, aus denenhinten was rauskam, und wenn der Kanal aufgerissenwurde, roch es ein bisschen . Heute sind das 30-Kubik-meter-Fässer auf drei Achsen, digital gesteuert . Damitman die richtig nutzen kann, werden sie auf eine Längevon 36 Metern ausgeklappt und Schleppschläuche dran-gehängt . Die neueste Technik können Sie sich jetzt dem-nächst auf einer Ausstellung anschauen . Jeder Schlauchhat ein Ventil . Das Ventil wird durch eine App gesteuert .Was braucht man zur Steuerung des Ventils außer denInformationen durch die App? Nicht nur GPS, sondernauch die Grunddaten . Die Grunddaten bekommt manaber nur über eine Hoftorbilanz; das muss ich leider da-zusagen . Wenn man aber das Instrument der Hoftorbilanzordentlich nutzen will, dann braucht man auch eine Dün-gemittelverordnung . Gerade im Hinblick auf unsere füh-renden Betriebe sollten wir unsere Anstrengungen daraufverwenden, die IT weiterzuentwickeln, damit Informa-tionen aus Hoftorbilanz und Düngemittelverordnung somiteinander verknüpft werden können, dass es möglichist, mit weniger Ausbringung und weniger Kunstdüngereinen wesentlich höheren Ertrag zu erzeugen . Das würdebedeuten: Weniger kann mehr sein .
Abschließend zu einem charismatischen, liebens-werten und netten Kollegen der CDU . Er hat sich in derSommerpause zu unserer Haltung zur Düngemittelver-ordnung geäußert . Ich glaube, ich habe gerade deutlichgemacht, warum wir Hoftorbilanz und Düngemittelver-ordnung brauchen .
Herr Kollege Spiering, auch bei einer großzügigen
Auslegung der Redezeit nähert sich diese dem Ende .
Okay . – Lassen Sie mich zitieren – Matthäus 7 –:Was siehst du aber den Splitter in deines BrudersAuge, und wirst nicht gewahr des Balkens in dei-nem Auge?
Rainer Spiering
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Eine gesunde Ernährung und natürliche Landwirt-schaft sollte es uns wert sein, in der Forschung nicht zukleckern, sondern zu klotzen .Herzlichen Dank fürs Zuhören .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alois
Gerig .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch nach sechs
Jahren als Parlamentarier bin ich immer wieder bass er-
staunt, wie sich ein grüner Agrarexperte innerhalb von
fünf Minuten in solch extreme Widersprüche verstricken
kann, lieber Herr Kindler .
Sie beklagen das Höfesterben und beschimpfen die
Landwirte in einer Tour .
Glauben Sie, dass dort, wo Sie etwas zu sagen hätten,
noch irgendeiner Landwirtschaft betreiben wollte?
Zurück zu meiner Rede . Ich danke dem Minister
Schmidt, ich danke auch unserem Chefhaushälter Cajus
Caesar dafür, dass sie mit der Vorlage des Haushaltes
eine solide Basis dafür geschaffen haben, dass wir in die
parlamentarischen Beratungen einsteigen können .
Herr Kollege Gerig, gestatten Sie schon zu Beginn Ih-
rer Rede eine Frage der Kollegin Brantner?
Ja, selbstverständlich, wenn Sie mir die Zeit anhalten .
Davon können Sie ausgehen .
Herr Kollege Gerig, zu Ihrer Aussage, unter einen grünen
Regierung würden alle Bauern auswandern . Würden Sie
bestätigen, dass es in Baden-Württemberg, seit wir einen
grünen Landwirtschaftsminister haben, keine Bauern
mehr gibt?
Ich habe gesagt, bei solchen Aussagen über die Agrar-politik würde kein junger Landwirt bereit sein, den Hofder Eltern zu übernehmen . Baden-Württemberg ist einsehr gutes Beispiel . Ich kann Ihnen dazu gleich ein paarSätze sagen . In viereinhalb Jahren grün-roter Agrarpoli-tik haben wir es geschafft,
dass die Landwirtschaft in Baden-Württemberg beimEinkommen das Schlusslicht in ganz Deutschland bildet,und zwar durch eine einseitig ausgerichtete Agrarpolitikmit ideologischen Scheuklappen . Dazu werde ich in mei-ner Rede noch einiges sagen .
Ohne Zweifel ist es wichtig, dass wir die ländlichenRäume in unserem Agrarhaushalt noch besser bedenkenals seither . Die 10 Millionen Euro, die einmal gesetztwurden, sind ein guter Anfang . Ich könnte mir noch mehrwünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen der anderenFraktionen, die das gesagt haben . Wir erleben, lieberHerr Brase, eine Abwärtsspirale in manchen Gegendender ländlichen Räume . Wir müssen gegensteuern, auchpolitisch gegensteuern: Ohne Moos nix los . Deswegensage ich: Ja, es ist gut so, aber es ist auch wichtig, dassnicht nur die Landwirtschaft den ländlichen Raum för-dert . Wir brauchen eine Verbesserung der Infrastruktur:Straße, Schiene, schnelles Internet . Wir brauchen einemedizinische Nahversorgung. Wir brauchen eine flä-chendeckende Bildung . Wir brauchen fast alle Ressortsdes Deutschen Bundestages,
und wir brauchen Politiker, die ein Herz für den länd-lichen Raum haben, die erkennen, dass dort, wo weni-ger Menschen auf einem Quadratkilometer leben, etwasmehr Förderung pro Kopf stattfinden muss.
Die Land- und Forstwirtschaft braucht aber auch intak-te Dörfer . Vielleicht sind die Zuwanderer eine Chance .Häufig ist die Land- und Ernährungswirtschaft das Rück-grat unserer ländlichen Räume und unserer Dörfer . DieUnion ist es, die diese Politik für den ländlichen Raumseit langem sehr gezielt vorantreibt .Ohne Frage, die Landwirtschaft ist derzeit stark ge-beutelt . Viele Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht:durch schlechte Milchpreise, die Trockenheit, schlechtePreise für Schweinefleisch. Dazu kommen die unsäg-lichen permanenten Diffamierungen von ganz unter-schiedlichen Gruppierungen und teilweise auch von Par-teien, die dazu beitragen, dass die Bauern einfach keineRainer Spiering
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Lust mehr haben . Wir sind uns sicher einig: Alternativenam Arbeitsmarkt gibt es genug .
Deswegen brauchen wir ein Krisenmanagement für dieaktuelle prekäre Situation .
Vieles wurde bereits genannt . Ich bin unserem Ministersehr dankbar dafür, dass er keinesfalls untätig ist, dass erdas Herz am rechten Fleck hat, dass er für die Landwirt-schaft kämpft, dass er beispielsweise, wie er gesagt hat,heute intensive Gespräche mit Vertretern des Lebensmit-telhandels geführt hat; denn das ist sehr maßgeblich fürdie Zukunft unserer Bauern .Die Exportoffensive wurde genannt . Ich hoffe, dasswir das Russland-Embargo möglichst bald auf diploma-tischem Wege aufheben können .Auch ich bin der Meinung, dass die Milchquote sehrteuer war und Preistäler nicht verhindert hat . Ebenso binich der Meinung, die Mittel aus der Superabgabe sindBauerngeld und müssen auch wieder in Bauernhand,ohne Wenn und Aber .
Dafür müssen wir uns einsetzen und kämpfen .Ich kann mir auch gut vorstellen, dass wir im Bereichder betrieblichen Risikovorsorge weitere Maßnahmenergreifen . Es gibt da schon ein paar gute Ansätze, bei-spielsweise beim Investitionsabzugsbetrag . Lassen Sieuns gemeinsam diese Dinge angehen . Ich könnte mirauch vorstellen, den Zuschuss für die Berufsgenossen-schaft aufzustocken .Auf jeden Fall braucht die Landwirtschaft dringendpositive Signale aus der Politik und aus unserer Gesell-schaft . Wir müssen den Bauern sagen, dass wir sie brau-chen . Sonst werden wir eine Misere erleben .Was wir gar nicht brauchen können, ist eine ideolo-gisch geprägte Agrarwende .
Vielmehr brauchen wir eine logische Agrarpolitik mitVernunft,
mit Augenmaß und mit einem gewissen Vertrauen ge-genüber den Erzeugern . Sonst wird der Strukturwandelgnadenlos zuschlagen, und die Verlierer sind nachher dieVerbraucher, die Konsumenten, alle Menschen, die inDeutschland leben und unsere schöne Kulturlandschaftmit ihren Strukturen lieben .
Ohne Zweifel hat sich vieles verändert . Ich kommeviel umher in der Republik . Ich war beispielsweise in dervergangenen Woche in einer Stallanlage in Sachsen-An-halt mit mehr als 1 000 Kühen . Massentierhaltung, wer-den viele sagen . Wir sind teilweise mit dem Auto überdie Futtergänge gefahren . Ich verstehe etwas von Tier-haltung, und ich kann Ihnen sagen: Jeder einzelnen Kuhin diesem Betrieb geht es auf jeden Fall besser als denen,die vor 40 Jahren bei meinem Vater am Hof in einemkleinen, warmen Stall gestanden haben . Das ist doch einepositive Entwicklung .Ich war aber auch in Süddeutschland, in Baden-Würt-temberg unterwegs, wo wir wunderschöne, herrliche, in-takte Landschaften haben .
Auch dort habe ich gesunde Kühe gesehen . Aber ich habedort auch schöne Streuobstbestände gesehen, Kleinbren-nereien, Weinbau und Sonderkulturen anderer Art wieSpargel, Gemüse, Erdbeeren . All die Bauern, mit denenich gesprochen habe, vereint eins, und das ist die Exis-tenznot, die derzeit herrscht wie schon lange nicht mehr .Wenn wir es nicht schaffen, politisch so weit gegenzulen-ken, dass diese Bauern eine Perspektive bekommen, dannwerden wir es erleben, dass die Produktion aus unseremLand verlagert wird, mit der Folge, dass die Landschaftnicht bleibt, wie sie ist, und dass die Nahrungsmittel fürunsere Bürger nicht mehr regional von deutschen Bauernerzeugt werden und damit nicht mehr den hohen Stan-dard haben, den wir in Deutschland haben; denn wir ha-ben bei Lebensmitteln weltweit die höchsten Standards .Deswegen ist es durchaus ein gesellschaftliches Problem,eine Agrarpolitik zu machen, die strukturschwachen Ge-genden – –
Herr Kollege Gerig, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ostendorff?
Immer wieder gern .
Danke schön, Herr Kollege Gerig . – Ich will die Ge-legenheit nutzen, sonst hätte ich dies an anderer Stellegesagt . Sie wiesen darauf hin, dass Sie in der letztenWoche zusammen mit Ihrem Kollegen Kees de Vriesdie Quellendorfer Landwirte GbR in Sachsen-Anhalt be-sucht haben . Der Bericht stand am 2 . September in derMitteldeutschen Zeitung.Kees de Vries ist uns allen noch gut in Erinnerung alsjemand, der vor dem Auslaufen der Quote sehr denkwür-dig sagte: „Wer für 32 Cent nicht melken kann, sollteBeamter werden .“ So hat er sich hier im Deutschen Bun-destag geäußert . Das war schon damals eine sehr mutigeAussage . Er war aber jemand, der wie viele andere in Ih-ren Reihen immer wieder gesagt hat, dass das AuslaufenAlois Gerig
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der Quote die große Chance für die unternehmerischenMilchviehhalter sei .In der Mitteldeutschen Zeitung wurde nun berichtet,dass Sie beide gesagt haben – ich zitiere –:Mit dem Auslaufen der Quote wusste jeder, dasseine große Krise auf uns zukommt .Das hat mich erstaunt . Das haben Sie im Deutschen Bun-destag anders dargestellt .Ein zweites Zitat:Möglicherweise wird der Milchpreis bald unter20 Cent pro Liter fallen .Ich sage: Gott bewahre . – Können Sie diese Aussagenbestätigen, Herr Gerig?
Die kann ich keinesfalls bestätigen . Der Kollege de
Vries hat sich heute Mittag bei mir entschuldigt, weil
er auf eine Beerdigung muss . Ich kenne diesen Bericht
nicht . Wir waren vor Ort, wir hatten die Presse da . Ich
weiß, dass der Kollege de Vries seither genauso über die
Milchquote denkt wie ich . Ich kann mir überhaupt nicht
vorstellen, dass der Milchpreis noch viel weiter sinken
kann . Ich freue mich, dass beispielsweise einer der fünf
Großen im deutschen Lebensmittelhandel gesagt hat:
Noch tiefer gehen wir nicht mit . Es gibt auch in anderen
Ländern dieser Erde Anzeichen, dass eine gewisse Ein-
dämmung der Milchmenge vorgesehen ist .
Diese Aussage, die Sie gerade verlesen haben, werde ich
genau prüfen . Ich weiß, dass ich so etwas nie und nimmer
gesagt habe
und es auch nirgendwo tun würde, dazu bin ich in meiner
Einstellung viel zu festgefahren . Aber Medien sind häu-
fig frei in der Berichterstattung.
Ja, wir brauchen dort, wo Landwirtschaft strukturell
und durch die Natur eine gewisse Benachteiligung erlebt,
einen Ausgleich . Die Möglichkeit gibt es über die soge-
nannte zweite Säule . Auch hier komme ich noch einmal
auf Baden-Württemberg zurück . Es gab ein Programm
von Gerhard Weiser, das MEKA-Programm . Das hat ein
grüner Agrarminister mit seiner Regierung quasi auf null
gefahren und jetzt ganz abgeschafft und durch ein ande-
res Programm, das nennt sich FAKT, ersetzt, von dem
90 Prozent der in Baden-Württemberg konventionell
wirtschaftenden Landwirte nichts mehr haben . Das soll
dann die Agrarpolitik für die Zukunft sein . Damit können
wir in Baden-Württemberg doch unsere Betriebe nicht
halten .
Ich habe überhaupt nichts gegen Bio . Ich muss sagen,
davon ist auch noch keiner reich geworden .
Im Moment hören ja mehr Betriebe auf, als dass neue
einsteigen . Aber, liebe Freunde, so eine Agrarpolitik
wäre verheerend .
Jetzt ist meine Redezeit schon weit fortgeschritten . Ich
möchte darauf hinweisen, dass in unserem Bundesmi-
nisterium glücklicherweise die Ernährung und der Ver-
braucherschutz eine hohe Priorität haben . Das haben
Kolleginnen und Kollegen bereits gesagt . Lebensmittel-
sicherheit spielt bei uns die ganz große Rolle . Bundesin-
stitute wie das BfR und das BVL machen eine hervorra-
gende Arbeit .
Nachdem die Redezeit jetzt schon überschritten ist
und der Kollege Ebner sich noch gemeldet hat, schlage
ich vor, dass wir das in Form einer Kurzintervention ge-
stalten .
Gut .
Damit erteile ich dem Kollegen Ebner das Wort .
Danke, Herr Präsident . – Lieber Kollege Gerig, ist Ih-
nen bekannt, dass die Landesförderprogramme in Abhän-
gigkeit von den GAP-Förderperioden gestaltet werden,
dass diese Förderperioden jeweils sieben Jahre dauern,
dass alle sieben Jahre nicht nur Baden-Württemberg,
sondern alle Bundesländer in diesem schönen Land ent-
sprechende Förderprogramme neu gestalten und auch
Baden-Württemberg dies seit vielen Jahren so tut? Alle
sieben Jahre hat man MEKA neu aufgelegt und immer
wieder neue Förderbestandteile aufgenommen .
Ich möchte Sie auch fragen, ob Ihnen bewusst und be-
kannt ist, dass FAKT sozusagen die Fortsetzung genau
dieser Förderprogramme ist . – Das war die zweite Frage .
Die dritte Frage ist: Können Sie, bitte schön, Ihre
Aussage genau belegen – da müssen Sie jetzt schon
über das Stöckchen springen –, dass FAKT 90 Prozent
der Landwirte nichts bringt? FAKT ist breit angelegt . Es
sind einige Bestandteile ausgelaufen, zum Beispiel die
Förderung der Mulchsaat, weil es nicht sinnvoll ist, sie
zu fördern; denn zum einen rechnet sie sich schon allein
betriebswirtschaftlich, zum anderen findet sie meistens
unter Glyphosateinsatz statt, was wir aus ökologischen
und gesundheitlichen Gründen nicht befürworten kön-
nen . Bitte begründen Sie die von Ihnen angegebene Zahl
von 90 Prozent . Das wollen wir dann schon genau hören .
Kollege Gerig, jetzt haben Sie wieder das Wort .
Danke . – Erstens . Die Vorgehensweise ist mir vollund ganz bewusst . Meines Wissens gibt es in Bayern einvergleichbares System . Dort nennt man es immer nochKULAP . Dort gibt es immer noch viele Maßnahmen, dieFriedrich Ostendorff
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konventionellen Betrieben echt helfen . Sagen Sie mirnachher – das können wir unter vier Augen machen –,
welche Mittel ein baden-württembergischer Milchvieh-halter oder ein baden-württembergischer Schweinehalternoch aus dem Programm FAKT erhalten kann!Darüber hinaus musste ich bitter erleben, wie man invorauseilendem Gehorsam neue Verbote für Gewässer-randstreifen und ein Wildtiermanagement eingeführt hatund beispielsweise auch vorauseilend ein Grünlandum-bruchverbot erteilt hat, das 90 Prozent der Landwirte inBaden-Württemberg richtig wehtut . Das ist so .
Vielen Dank . – Wir sind damit am Schluss dieses Re-
debeitrags und kommen in diesem Geschäftsbereich ab-
schließend zum Kollegen Johann Saathoff, dem ich für
die SPD das Wort erteile .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Minister, ich weiß gar nicht, warumSie das Wort „Fischkopf“ so bescheiden und zurück-haltend aussprechen. Ich finde, dass das überhaupt keinSchimpfwort ist . Immerhin ist der Kopf der wichtigsteTeil des Körpers, zumindest für Politiker,
und ein Fisch zeichnet sich neben kühlem Blut dadurchaus, dass er ein gesundes und nachhaltiges Lebensmittelist .
Sie können sich also durchaus trauen, sich selber „Fisch-kopf“ zu nennen, vor allen Dingen deswegen, weil inFranken viel Karpfenfischfang stattfindet. Also trauenSie sich, Herr Minister! Seien Sie ein Fischkopf!
Das Haushaltsvolumen des Einzelplans 10 beträgt5,5 Milliarden Euro . Allein die Mittel für die landwirt-schaftliche Sozialversicherung betragen 3,7 MilliardenEuro . Diese Zahlen hauen wir uns um die Ohren, ohneuns wirklich zu verbildlichen, wie viel Geld das eigent-lich ist . Also: Als Bürgermeister überlegt man sich, an ei-ner Straße auf beiden Seiten neue Häuser zu bauen . JedesHaus ist 250 000 Euro wert . Alle 20 Meter steht, wie dasin Wohngebieten so ist, ein Haus . Wie lang ist die Straße,die man mit 3,7 Milliarden Euro bauen kann? Ich kann esIhnen sagen: mehr als 140 Kilometer .Das ist die Summe, über die wir jedes Jahr im Zu-sammenhang mit der landwirtschaftlichen Sozialversi-cherung reden . In diesen Tagen habe ich trotzdem öftergehört: Die Politik tut nichts für die Landwirtschaft, diePolitik trägt Schuld an den negativen Entwicklungen,insbesondere bei den Schweinepreisen und den Milch-preisen . – 3,7 Milliarden Euro oder mehr als 140 Kilo-meter Straße mit Neubauten auf beiden Seiten sind ausmeiner Sicht eine deutliche Antwort .
Ich will hier die Geschichte der landwirtschaftlichenSozialversicherung nicht aufarbeiten . Hauptgründe fürihre Entstehung waren: Deutschland braucht die Land-wirtschaft, der Beruf des Landwirts soll attraktiv sein,und die Landwirtschaft in familiengeführten Betriebensoll wettbewerbsfähig sein . Also kurzum – so würden wirdas heute sagen -: Der Strukturwandel hin zur industriel-len Landwirtschaft sollte aufgehalten werden .Ist also angesichts der Mittel, die im vorliegendenHaushalt vorgesehen sind, für die Milchwirtschaft al-les gut? Natürlich nicht! Ostfriesland – nicht nur, aberauch – ist stark von Milchviehbetrieben geprägt . Dassoll so bleiben . Wir wollen unsere Kühe auch in Zukunftnoch auf der Weide sehen . 27 Cent, liebe Kolleginnenund Kollegen, sind zum Leben zu wenig und zum Ster-ben nicht einmal zu viel .
Früher hat man in Ostfriesland, wenn Moorgebiete er-schlossen wurden, gesagt: „De Eerst sien Dod, de Tweedsien Not, de Daard sien Brot“ . Heute ist es eher umge-kehrt: „Dem Ersten sein Brot, dem Zweiten seine Notund dem Dritten sein Tod“ . Was also ist zu tun?Der Dialog mit der Landwirtschaftsbranche ist zuge-gebenermaßen kompliziert . Es gibt mindestens zwei Po-sitionen, die im Gegensatz zueinander stehen . Aber istdas Vertrauen auf die Steigerung des Exports nach Chinaund in den Iran die richtige Lösung? Ich bin mir nichtsicher, ob das wirklich richtig ist .
Das bedeutet nämlich auch, dass das Heft des Handelnsan andere abgegeben wird, dass der Importeur künftigüber seine Marktmacht die Produktionsbedingungen beiuns bestimmt . Das wollen wir doch nicht; zumindest auflange Sicht ist das zu unsicher . Aus meiner Sicht ist dasungeeignet .
Was ist sonst zu tun? Es gibt leider nicht nur eine Lö-sung; vielmehr ist ein Maßnahmenbündel notwendig .Sinnvoll finde ich, dass sich ein Teil der Landwirtschaftein eigenes Instrument zur Mengenerfassung geben will .Alois Gerig
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Das zentrale Problem dabei ist – da beißt die Maus kei-nen Faden ab – die Überproduktion .
Zur Produktionssteuerung . Wenn daraus Kosten ent-stehen, dann finde ich es auch richtig, dass man sich ei-ner Superabgabe bedient . Denn Geld, das durch Mengen-steuerung erwirtschaftet wurde, kann anschließend auchwieder für die Mengensteuerung ausgegeben werden .Eine schnellere Auszahlung der Direktzahlungenist angekündigt – das ist aus meiner Sicht der richtigeWeg –, aber perspektivisch müssen wir dafür sorgen,dass die Direktzahlungen an Leistungen gebunden wer-den – lieber Friedrich Ostendorff, da bin ich ganz deinerMeinung – und nicht an die Hektarmenge .
Wir müssen uns in die regionale Vermarktung ein-bringen . Die globale Wirtschaft glaubt, die gesamte Welttechnisch im Griff zu haben, die gesamte Welt könntekontrolliert werden . Regionalprodukte haben einen en-gen Bezug zur Umwelt . Regionales Wirtschaften undUmweltqualität gehören eng zusammen . Die globaleWelt ist eine anonyme, nicht überschaubare, nicht ver-ständliche Welt . Die regionale Welt hingegen ist durchNähe geprägt, und sie wird mit sozialer Nähe verbunden .Das ist übrigens ein großer Vorteil, den wir gerade ange-sichts der Herausforderung, vor der wir durch die Men-schen, die zu uns kommen und Schutz und Hilfe suchen,stehen, dringend brauchen .
Das Bewusstsein der Kunden für regionale Produkteist vorhanden . Das gilt auch für qualitativ hochwertigeMilch und Gentechnikfreiheit . Dafür gibt es viele Bewei-se . Der Verbraucher weiß mittlerweile, dass Milch mehrist als nur weiße Flüssigkeit . Eine Milchkuh – Tierschutzist in der Milchwirtschaft ein wichtiges Thema – wirdunter derzeitigen Produktionsbedingungen durchschnitt-lich 5 statt 15 Jahre alt . Auf die Sojaproblematik – zumBeispiel die Anbaubedingungen in Südamerika – will ichan dieser Stelle erst gar nicht hinweisen .Unsere Fraktion ist fest davon überzeugt, dass dieEntwicklung ländlicher Räume vorangebracht wer-den muss – Willi Brase hat das vorgetragen –, und dasin allererster Linie durch Wertschöpfung im ländlichenRaum, zum Beispiel durch mobile Käsereien vor Ort .
Stellen Sie sich vor, es würde uns gelingen, dass Men-schen Käse kaufen können, der die Gemeindegrenzenicht verlassen hat . Für mich ist das eine schöne Vorstel-lung .
Das Produkt Milch bekommt ein regionales Gesicht .Das ist eine Abkehr vom sogenannten Milchsee . Aberda muss auch der Einzelhandel mitspielen, zum BeispielAldi . Ich habe Aldi angeschrieben, weil es 2008 in einerWerbung hieß – damals gab es eine Krise -: Wir erhöhenden Preis pro Liter Milch freiwillig von 51 auf 61 Cent,weil wir meinen: Das sind die Bauern wert . In einerWerbung von Aldi aus dem Jahr 2015 heißt es: Preisedauerhaft niedrig, 1 Liter Milch 55 Cent . Was ist in derZwischenzeit passiert?Wo ist nun die Wertschätzung für die Landwirtschaft?Ich habe Aldi angeschrieben und gefragt, ob sie nicht mitmir darüber reden wollen . Die Gesprächsanfrage ist ab-gelehnt worden . Schade – für Aldi .
Nicht nur auf den Einzelhandel, sondern auch auf diesonstige Ernährungsindustrie schauen wir viel zu wenig .Schokolade und alles andere, bei dem quasi in zweiterReihe Milch verbraucht wird, werden viel zu wenig be-achtet . Das muss aus meiner Sicht stärker in den Fokusrücken . Man kann der Krise also mit vielen Maßnahmenbegegnen und nicht nur mit einer Maßnahme .Wir wollen dem Strukturwandel entgegentreten . Ausdem Ministerium ist zum Konzept des Bundesverban-des Deutscher Milchviehhalter aber leider zu hören:Grundsätzlich gelten für die Konzepte des Bundesver-bandes Deutscher Milchviehhalter dieselben ordnungs-politischen Bedenken wie beim auslaufenden Quotensys-tem . – Dann werden die Gründe genannt . Einer war: DerStrukturwandel wird gehemmt . – Herr Minister, das istsicher ein Missverständnis, das ausgeräumt werden kann,wenn man mit allen Verbänden in der Landwirtschaft denDialog sucht .Die Ziele, die für die Mütter und Väter der landwirt-schaftlichen Sozialversicherung zentral waren, sind dochnoch heute unsere Ziele, oder? Also sollte man in diesemGeiste handeln und entscheiden und nicht auf Exporteund Wachstum zulasten der Tiere und der Verbrauchersetzen; denn Strukturwandel bedeutet eine strukturelleEntleerung von ländlichen Räumen, und der wollen wirentgegentreten .
Eigentlich gibt es noch viel zum Thema Küstenschutz,Hochwasserschutz zu sagen .
Kollege Saathoff, Ihre Redezeit ist jetzt langsam er-
schöpft .
Ein Satz, Frau Präsidentin . – Küstenschutz ist nichtalles, aber ohne Küstenschutz ist alles nichts, und dabeiist es egal, ob man Leib und Leben oder Hab und Gutdurch Salz- oder Süßwasser verliert . Dass das nicht pas-siert, dafür setzen wir uns ein .Johann Saathoff
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegenmir nicht vor .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ein-zelplan 17 .Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppie-rungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen und nach-bereitende Gespräche, Absprachen und anderes nachdraußen zu verlegen .Wenn mir jetzt auch die grüne Fraktion gestattet, dieDebatte zu eröffnen? – Das Wort hat die Bundesministe-rin Manuela Schwesig .
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Die gute Nachricht des Haus-haltsentwurfs für 2016, der Ihnen vorliegt, ist: Noch niehat der Bund so viel Geld für Familien, Kinder und Ju-gendliche bereitgestellt .
Das zeigt sich im Etat meines Hauses; viele Mittelzu-wächse und verbesserte Leistungen spiegeln sich aberauch im Etat des Bundesfinanzministers wider. Das wirdzum Beispiel deutlich, wenn Sie an die Steuerentlastungfür die Alleinerziehenden denken .Mir ist wichtig, deutlich zu machen, dass das Geld,das wir für Familien und Kinder in unserem Land bereit-stellen, für alle Familien da ist, für die Familien mit Kin-dern, die in unserem Land leben, und für die Familien mitKindern, die in unser Land kommen . Dieses Geld ist einegute Investition in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes;denn die Familien sichern die Zukunft unseres Landes .Wir haben den Etat um 647 Millionen Euro, also umüber eine halbe Milliarde Euro, angehoben und dabeidrei wichtige Schwerpunkte gesetzt: für mehr Zeit fürFamilien, für eine gute Betreuungsinfrastruktur und fürGeld für Familien . Das ist der Dreiklang einer modernenFamilienpolitik . Das ist wichtig für Familien . Nicht eineLeistung allein hilft Familien, sondern dieses Zusam-menspiel .Es ist gut, dass wir wieder mehr Mittel für das Eltern-geld zur Verfügung stellen; denn das Elterngeld ist eineErfolgsgeschichte und wird es bleiben . Das Elterngeld si-chert Familien mit kleinen Kindern Zeit füreinander . Ichmöchte, dass Mütter und Väter in unserem Land ihre El-ternzeit nutzen und in dieser Zeit das Elterngeld oder dasneue Elterngeld Plus beziehen können . Das ist wichtig .Die Aufwendungen für das Elterngeld steigen jedesJahr, weil wir mehr Eltern haben, die vorher berufstätigwaren, weil wir endlich mehr Geburten haben und weilimmer mehr Väter Elternzeit nehmen oder nehmen wer-den . Das ist eine gute Nachricht . Das sind keine unnöti-gen Kosten; vielmehr entstehen diese Kosten, weil Fami-lienpolitik erfolgreich ist .
Deshalb darf das Elterngeld nicht immer wieder infragegestellt werden . Auch dürfen in den Haushaltsberatungennicht immer wieder Forderungen kommen, das Eltern-geld zu deckeln; denn Familien brauchen Verlässlichkeit .Bundesfinanzminister Schäuble hat in seiner Einbrin-gungsrede völlig zu Recht davon gesprochen, dass derErfolg von Politik auf Vertrauen basiert . Das gilt auchfür die Familienpolitik: Familien müssen sich in unseremLand darauf verlassen können, dass die Leistungen, diewir versprochen haben, für sie erhalten bleiben . Das giltfür das Elterngeld, und das gilt auch für den Rechtsan-spruch auf einen Kitaplatz .
Wir erhöhen mit dem vorliegenden Haushalt dasSondervermögen für den Kitaausbau um 230 MillionenEuro, weil wir mehr Plätze brauchen . In einem anderenEtat wird veranschlagt, dass wir 100 Millionen Euro fürein Sonderprogramm zur Verfügung stellen .Wir wollen die Randzeitenbetreuung in Kitas auswei-ten . Damit sind Zeiten gemeint, die nach 16 Uhr liegen,weil es für berufstätige Mütter und Väter, insbesonderefür alleinerziehende Frauen aus Branchen wie der Pflegeund der Medizin, wichtig ist, wenn sie einem Job nach-gehen wollen . Dafür brauchen sie einen Kitaplatz . Dasist auch die beste Vorbeugung gegen Kinderarmut; dennnur wenn Eltern arbeiten gehen können, einen guten Jobmachen und gut bezahlt werden, können wir den Kampfgegen Kinderarmut und Elternarmut bestehen .
Eltern brauchen auch eine finanzielle Unterstützung.Wir heben das Kindergeld auf 190 Euro an . Davon pro-fitieren 17 Millionen Kinder. Allein 1 Million Kinderschützen wir durch das Kindergeld vor der Armutsfalle .Das ist eine wichtige Leistung . Wir heben zum 1 . Ja-nuar 2016 aber auch den Kinderzuschlag an, und zwarum 20 Euro im Monat . Gerade die Eltern, die jeden Tagarbeiten gehen, aber in Branchen arbeiten, in denen sietrotz Mindestlohns wenig Geld verdienen, Geld, daszusammen mit dem Kindergeld kaum ausreicht, um imMonat klarzukommen, bei denen selten ein Ausflug drinist, geschweige denn Urlaub, diese Eltern, die so fleißigund ihren Kindern ein Vorbild sind, müssen wir besserunterstützen . Deshalb ist es gut und richtig, dass wir denJohann Saathoff
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Kinderzuschlag nach vielen Jahren endlich anheben . Dasist ein wichtiger Beitrag gegen Kinderarmut .
Auch durch die Anhebung des Entlastungsbetrags fürdie Alleinerziehenden in diesem, aber auch im nächstenJahr setzen wir ein wichtiges Zeichen, nämlich das Zei-chen, dass für uns Familie da ist, wo Kinder sind: Eltern,die verheiratet sind oder nicht, Regenbogenfamilien,Patchworkfamilien, aber gerade auch alleinerziehendeFrauen und Männer, die jeden Tag arbeiten und gleich-zeitig für ihre Kinder da sind . Jeder von uns, der Berufund Familie vereinbart, weiß, wie schwierig das ist,selbst wenn man auf eine gute Partnerschaft setzen kann .Wer das allein managt, der hat meinen Respekt . Es wur-de Zeit, dass wir die Alleinerziehenden nach zehn Jahrenendlich steuerlich entlasten .
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, derHaushalt, der Ihnen vorliegt, wird in den Beratungensicherlich auch deshalb noch diskutiert, weil uns einThema seit Wochen und Monaten mehr bewegt als zuder Zeit, als die Haushaltsberatungen der Bundesregie-rung stattfanden: Viele Flüchtlinge kommen zu uns nachDeutschland . Die Schicksale der Flüchtlinge, insbeson-dere der Familien mit Kindern, die Herausforderungenund die überwältigende Hilfsbereitschaft der Menschenin unserem Land – die Bundesregierung reagiert darauf .Auch das wird sich im Haushalt des Bundesfamilienmi-nisteriums wiederfinden müssen.Wir, die wir diesen Fachbereich gemeinsam vertreten,loben seit langem das ehrenamtliche Engagement . Aberseien wir einmal ehrlich: Es wurde in den letzten Jahrenoft nicht genügend beachtet, auch in der Öffentlichkeitnicht . Deshalb bin ich froh und dankbar, dass jetzt vielesehen, wie wichtig ehrenamtliches Engagement in unse-rem Land ist, in der Flüchtlingsarbeit, aber nicht nur dort .Daher ist es wichtig, dass wir auch durch unser Haus dasehrenamtliche Engagement unterstützen .
Das zeigt sich darin, dass es uns nach Jahren endlichgelungen ist, eine Sicherung der Mehrgenerationenhäu-ser zu erreichen . Wir haben im Haushalt 2016 die Mehr-generationenhäuser abgesichert und eine Möglichkeitgefunden, dieses Geld zu verstetigen . An dieser Stelleherzlichen Dank Ihnen allen, die sich für die Mehrgene-rationenhäuser engagiert haben .
Wir werden den Bundesfreiwilligendienst um10 000 Plätze aufstocken . Wir schaffen damit gezieltneue Plätze, um den Bundesfreiwilligendienst in derFlüchtlingsarbeit einzusetzen, um das freiwillige En-gagement, das vor Ort da ist, zu unterstützen . Wir wollen,dass sich in diesem Bundesfreiwilligendienst Leute, diehier schon leben, für Flüchtlinge engagieren . Wir wol-len aber auch, dass Flüchtlinge, die anerkannt sind undeine Arbeitserlaubnis haben, Freiwilligendienst machenkönnen . Denn auch Flüchtlinge bringen Potenziale mit .Auch ihre Möglichkeiten, ihre Hilfsbereitschaft solltenwir nutzen . Deshalb wird es ein Bundesfreiwilligendienstsein, der auch der Integration dienen wird .
Um Engagement, Begegnungen mit Flüchtlingen, ins-besondere mit Kindern und Jugendlichen, geht es auchbei der „Aktion Zusammenspiel“, die im Rahmen desneuen Bundesprogrammes „Willkommen bei Freunden“stattfinden wird; dies wird durch unser Haus finanziert.Diese Aktion wird vom 11. bis 20. September stattfin-den . Wir machen überall Aktionen gemeinsam mit jun-gen Flüchtlingskindern . Ich werbe dafür, dass Sie sichin Ihren Wahlkreisen daran beteiligen . Unterbringung,Versorgung und Integration sind das eine, aber Menschenfinden erst dann hier eine neue Heimat, wenn sie mit Ein-heimischen zusammenkommen . Das ist ein Gewinn fürdiejenigen, die zu uns kommen, aber auch ein Gewinnfür uns . Deswegen wollen wir mit dem Programm „Will-kommen bei Freunden“ diese Begegnungen unterstützen .
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, in die-sen Tagen wird viel davon gesprochen, dass Integrationwichtig ist . Und das stimmt . Ich warne davor, dass wirnicht wieder die Fehler machen, die vielleicht in den60er- und 70er-Jahren passiert sind, als man sich vorallem auf die Arbeitsmarktintegration insbesondere derMänner konzentriert hat und nicht so sehr die Frauen undKinder im Blick hatte . Mir ist es wichtig, darauf hinzu-weisen, dass Integration nicht erst am Arbeitsmarkt be-ginnt . Sie beginnt ganz früh; sie beginnt bei den Kindern .Es ist wichtig, dass die Kinder der Flüchtlinge, die zuuns kommen, eine Kita besuchen können, in die Schulegehen und dort die Sprache lernen,
aber vor allem Freunde finden. Das ist ganz wichtig. Dasist der Schlüssel für Integration .
Deswegen kommen in diesem Bereich neue Heraus-forderungen auf uns zu . Wir werden mehr Plätze in Kitasbrauchen, auch für die Flüchtlingskinder . Wir werdenmehr Plätze brauchen, weil wir endlich seit zehn Jahrenmehr Geburten haben . Notwendig sind eine gute Qua-lität, mehr Erzieher und Sprachförderung . Das ist einegroße Herausforderung . Deshalb werden wir uns diesenPunkt noch einmal genau anschauen müssen .Eine Sache ist mir dabei wichtig. Ich finde es falsch,die Kosten danach einzuteilen: Das brauchen wir für dieFlüchtlingskinder, und das brauchen wir für die anderenKinder . Für mich gehören die Kinder zusammen .
Es ist mir egal, ob sie hier geboren oder zu uns gekom-men sind . Wichtig ist, dass sie alle die gleichen Bildungs-chancen haben .Bundesministerin Manuela Schwesig
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Zum Abschluss . Es hat sich etwas verändert, seit die-ser Haushaltsentwurf aufgestellt wurde: Ich meine dieEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das dasBetreuungsgeld für verfassungswidrig erklärt hat . Ichhabe mich dafür eingesetzt, dass wir die größtmöglicheVertrauensschutzregelung bekommen, das heißt, alle El-tern, die bisher Betreuungsgeld bekommen bzw . einenpositiven Bescheid haben, erhalten es bis zum Ende dervorgesehenen Bezugszeit . Das ist eine Frage des Vertrau-ens auf eine Leistung . Nun muss sich die Politik darüberGedanken machen – sie hat ja eine Leistung versprochen,die es nicht mehr geben kann –, was sie ab 2016, 2017mit den frei werdenden Mitteln macht . Über diese Ent-scheidung muss noch in der Koalition diskutiert werden .Ich werbe angesichts der Herausforderungen für dieFamilien, die ich Ihnen skizziert habe, dafür, dass wirdafür sorgen, dass diese Gelder, auf welchem Weg undüber welche Technik auch immer weiter bereitstehen,und dass wir weiter die Familien unterstützen . Bei denFragen, wie wir mehr Zeit für Familien, eine bessere Ver-einbarkeit von Familie und Beruf und gute Kitas ermög-lichen können, aber auch bei den Geldleistungen für dieFamilien geht es nicht um ein Wunschkonzert;
es geht um notwendige Unterstützung . Die Familien sinddie Leistungsträger in unserer Gesellschaft . Männer undFrauen, die jeden Tag arbeiten gehen, die sich gleich-zeitig für Kinder entscheiden, haben dafür gesorgt, dasswir ein Steuerplus haben . Sie sind diejenigen, die zu den43 Millionen Erwerbstätigen gehören, die Bundesfinanz-minister Schäuble sehr positiv erwähnt hat . Deswegenbrauchen sie unsere Unterstützung . Dafür werbe ich umIhre Unterstützung .
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Ministerin, wir alle wissen – Sie habenes eben angesprochen –, dass der uns vorliegende Haus-haltsentwurf grundlegend überarbeitet werden muss unddass es dafür zwei Gründe gibt . Einen haben Sie geradegenannt: Das Bundesverfassungsgericht hat die Einfüh-rung des Betreuungsgeldes durch den Bund für verfas-sungswidrig erklärt . Sie haben schon ein sehr emotiona-les Plädoyer dafür gehalten, wie das frei werdende Geldeingesetzt werden soll . Auch wir haben dazu Vorschläge .Ich bin sehr gespannt auf unsere Debatte in den Haus-haltsberatungen .Zweitens . Auch in Ihrem Ministerium, Frau Ministe-rin – das haben Sie ebenfalls angesprochen –, und insbe-sondere in den Bereichen Familie, Jugend und Zivilge-sellschaft muss auf die enormen Herausforderungen imZusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise einge-gangen werden .Gestern hatten wir hier im Plenum die Debattenzur Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik .Topthema in allen Debatten waren dabei die Flüchtlin-ge und alles, was mit ihnen zusammenhängt . Wir habengestern darüber diskutiert: Wie können wir für eine hu-mane Aufnahme sorgen? Wie können wir die Fluchtursa-chen effektiv bekämpfen? Wie können wir die Not unddas Leid der Menschen während ihrer Flucht lindern?Nach Beantwortung dieser Fragen ist es aber eine min-destens ebenso große Aufgabe, die Menschen, die zuuns kommen, schnell und gut in unsere Gesellschaft zuintegrieren . Dafür ist es nicht nur notwendig, dass dieFlüchtlinge den Willen haben, sich zu integrieren, son-dern genauso wichtig für das Gelingen dieser Aufgabeist auch, dass unsere Gesellschaft bereit dafür ist, dieMenschen aus den Kriegsgebieten aufzunehmen . Genauan diesem Punkt, Frau Ministerin, muss Ihr Ministeriummeines Erachtens eine viel stärkere Rolle spielen . Mei-nes Erachtens könnte Ihr Ministerium an diesem Punktsogar eine zentrale Rolle spielen .Wir alle freuen uns darüber, dass so viele Menschenehrenamtlich helfen, den Männern, Frauen und Kindern,die zu uns kommen und die oft Wochen und Monate aufder Flucht unter katastrophalen Bedingungen gelebt ha-ben, ihre Ankunft hier so erträglich wie möglich zu ge-stalten . Aber genauso müssen wir entsetzt zur Kenntnisnehmen, dass Flüchtlinge und deren Helfer immer wie-der angepöbelt und angegriffen werden und dass zumTeil auch Flüchtlingsunterkünfte in Flammen aufgehen;Heidenau ist dafür exemplarisch .Ich erinnere mich, wie wir alle letztes Jahr hier da-rüber diskutiert haben, dass wir mehr Geld brauchen:zur Unterstützung von Projekten und Initiativen gegenRechtsradikalismus, gegen Rassismus, gegen Fremden-feindlichkeit allgemein – wenn man es auf den Punktbringen will –, zur Stärkung der Zivilgesellschaft undgegen jede Form von Menschenfeindlichkeit . Damalsdebattierten wir in einem politischen Kontext, der nochgeprägt war von den Morden des NSU und den Empfeh-lungen des NSU-Untersuchungsausschusses, mehr Geldgegen Rassismus und gegen Fremdenfeindlichkeit in dieHand zu nehmen .Damals war die Zeit, als Pegida und die Hooliganszeneanfingen, sich zu formieren, angeblich zum Schutz desAbendlandes vor Überfremdung . Das ist vielen schonwieder entglitten; das ist gar nicht mehr so sehr im öf-fentlichen Bewusstsein . Aber die Menschen, die sich anden Demonstrationen von Pegida in Dresden und ander-norts beteiligt haben, sind immer noch da . Ich glaubenicht, dass sie ihre Meinung inzwischen geändert haben .Ich glaube auch nicht, dass sich die Menschen, die anden Demonstrationen teilgenommen haben, jetzt, da soviele Menschen bei uns um Schutz vor Krieg und Terrorbitten, eines Besseren belehren lassen . Ich befürchte, dasGegenteil ist der Fall . Genau aus diesem Grund kommtmeines Erachtens Ihrem Ministerium in den nächstenJahren solch eine Bedeutung zu . Hier liegt der Schlüssel,etwas dafür zu tun, die Zivilgesellschaft zu stärken, et-was gegen fremdenfeindliche Einstellungen zu unterneh-Bundesministerin Manuela Schwesig
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men und somit dazu beizutragen, dass unsere Menschenzur Aufnahme von Flüchtlingen bereit sind .Konkret würde das, an drei Punkten festgemacht, Fol-gendes bedeuten:Erstens . Wir dürfen bei der Jugendhilfe nicht, wie inIhrem Plan vorgesehen, kürzen, schon gar nicht in denBereichen politische Bildung, Partizipation oder – das istvöllig inakzeptabel; darüber haben Sie aber nicht gespro-chen – bei der Integration junger Menschen mit Migrati-onshintergrund . Selbst ohne die aktuelle Flüchtlingssitu-ation ist der Vorschlag, hier 12 Millionen Euro zu kürzen,meines Erachtens nicht wirklich gut durchdacht .
Zweitens . Wir dürfen das Programm „Demokratie le-ben!“ nicht einfach so fortführen, als gäbe es keine neueSituation . Wir brauchen dringend eine neue Förderrun-de mit mindestens 40 Millionen Euro zusätzlich, unddiesmal muss der Schwerpunkt ganz klar auf Basisini-tiativen liegen statt bei Modellen oder im administrati-ven Bereich . Sicherlich ist das auch alles wichtig, aberjetzt geht es darum, die Vereine zu stärken, die täglichmit jungen Menschen soziale Arbeit gestalten . Dort ent-stehen nämlich die Netzwerke, die das Fundament einerwiderstandsfähigen Zivilgesellschaft bilden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Förderungmuss zwingend auf eine institutionelle, also auf einedauerhafte Förderung umgestellt werden, statt immernur ein- oder mehrjährige Projektförderung vorzusehen .Denn die Nazis lösen sich schließlich nicht auf, wenn einProjekt ausgelaufen ist . Dauerhafte Aufgaben müssenauch dauerhaft finanziert werden.
Das heißt im Übrigen auch, dass die mittelfristige Fi-nanzplanung korrigiert werden muss . Darin sind nämlichab dem Jahr 2017 wieder nur 30 Millionen Euro vorge-sehen .
Drittens . Die Jugendfreiwilligendienste dürfen nichtstagnieren, wie derzeit im Haushaltsplan vorgesehen,sondern, im Gegenteil, sie müssen aufgestockt werden .Wenn sich junge Menschen im Freiwilligen SozialenJahr oder im Internationalen Jugendfreiwilligendienstengagieren wollen, dann müssen wir das fördern, weilsie dort lernen, zu helfen . Diese Dienste sollten auch ver-stärkt im Bereich der Flüchtlingshilfe angeboten werden,Frau Ministerin .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es schaf-fen wollen, die Flüchtlinge gut und sicher in unsere Ge-sellschaft zu integrieren, dann dürfen wir all diese Berei-che nicht vernachlässigen . Die Euphorie der ersten Tage,die wir auf Bildern aus München oder anderen Ortengesehen haben, wo die Menschen die Flüchtlinge mitApplaus begrüßt haben, wird irgendwann verfliegen. MitSicherheit werden wir auch Probleme bei der Integrati-on bekommen . Deshalb ist es dringend notwendig, dieZivilgesellschaft zu stärken und damit die Aufnahmebe-reitschaft unserer Gesellschaft zu erhöhen . Denn ich zu-mindest möchte auch in Zukunft noch solche Bilder vonDeutschland sehen, wie sie derzeit um die Welt gehen .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion .
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher!Wenn wir heute über den Etat des Bundesfamilienminis-teriums sprechen, dann steht die Debatte darüber genau-so im Mittelpunkt der aktuellen Flüchtlingsthematik wieschon die Debatten der vergangenen Tage zu den anderenHaushalten .Es ist schon gesagt worden: Es gibt eine große Welleder Hilfsbereitschaft, die den Menschen entgegenschlägt,die angesichts von Vertreibung, Krieg oder Hunger ausKrisengebieten fliehen und nach einer langen Flucht zuuns kommen . Sie werden hier von vielen Menschen mitehrenamtlichem Engagement und einer großen Welle vonHilfsbereitschaft begrüßt . Das erschöpft sich nicht darin,dass sie am Bahnhof mit Transparenten und Wasser be-grüßt werden . In meinem Wahlkreis habe ich erlebt, dassMenschen schon seit Monaten aktiv bei der Integrationder Flüchtlinge in ein für sie komplett fremdes Land undin einen neuen Alltag helfen .Dieses Engagement wollen wir auch als Familienpoliti-ker mit unserem Haushalt unterstützen; und wir finden indem Haushalt, den wir heute beraten, aber auch in dem,was wir in den kommenden Wochen auf den Weg brin-gen, viele Ansatzpunkte für diese Unterstützung . Dennwir wissen: Die Hilfsbereitschaft in den ersten Tagen undWochen ist das eine . Aber es wird auch darum gehen, dieMenschen, die jetzt zu uns kommen, zu integrieren, unddas sind sehr viele . Allein in diesem Jahr rechnet man mit800 000 Menschen . Darunter sind wenige Frauen undKinder; es werden sicherlich noch viele nachkommen .Es wird darum gehen, sie auch zu integrieren . Sie sollenin unserer Gesellschaft wirklich ankommen .Dabei ist es nicht damit getan, dass sie eine Wohnung,eine Unterkunft und Kleidung haben, sondern Integrationist erst gelungen, wenn die Menschen bei uns arbeiten,bei uns leben, in die Dorfgemeinschaft integriert undselbst ehrenamtlich tätig sowie in Sportvereinen Mitgliedsind, wie wir alle das auch tun . Das ist eine große Her-ausforderung für uns als aufnehmende Gesellschaft undauch für die Menschen, die zu uns kommen .Deshalb ist es richtig, dass wir mit diesem Haushaltdie Weichen stellen und einige neue Programme auf denWeg bringen werden, um beiden Seiten – nämlich derMichael Leutert
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aufnehmenden Gesellschaft und den Neuankommen-den – diesen Schritt zu ermöglichen .Es ist schon angesprochen worden: Bis zu 10 000 neueStellen im Bundesfreiwilligendienst sollen entstehen .Herr Leutert, sicher lesen Sie Zeitung . Sie sagten: DerBundesfreiwilligendienst wird nicht aufgestockt . – Wirhaben gerade beschlossen, dass er um bis zu 10 000 Stel-len aufgestockt wird, um den vielen Ehrenamtlichen vorOrt – bei den Kommunen, aber auch bei den Hilfsorga-nisationen – bei der Koordination der Aufgaben, bei derEinrichtung der Wohnungen und den Flüchtlingen beimSpracherwerb und beim Ankommen im Alltag zu helfen .
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ein pensionierterLehrer oder auch eine Hausfrau, die mehrere Kindergroßgezogen hat, beim Bundesfreiwilligendienst mit-macht und vor Ort mit anpackt .Wir wollen aber auch noch – und ich bin sehr erfreut,dass die Ministerin unseren Vorschlag aufgegriffen hat –einen anderen Weg gehen . Wir wollen den Flüchtlingen,die zu uns kommen, die Möglichkeit geben, selbst Bun-desfreiwilligendienst zu leisten . Junge oder auch ältereFlüchtlinge, die hier ankommen, sollen die Möglichkeithaben, sich von Anfang an – sobald ihre Anerkennungerfolgt ist – in unser Gemeinwesen einzubringen . Es istsehr wertvoll, dass sie die Sprache derjenigen kennen,die hier ankommen, und dass sie die Erfahrungen, die siehier in den ersten Wochen gemacht haben, gleich mit ein-bringen und dadurch ihren Landsleuten bei der Ankunfthelfen können .Deshalb sollten wir von diesen 10 000 neuen Plätzenexplizit Plätze für diejenigen reservieren, die selbst gera-de geflüchtet sind. Das muss natürlich mit einem Sprach-kurs und mit Landeskunde verbunden werden . Das gehtnicht einfach so und ist auch eine organisatorische Her-ausforderung, aber das ist der richtige Weg zur Integrati-on in unsere Gesellschaft .
Wir haben daneben weitere Programme, wie etwa dasProgramm „Willkommen bei Freunden“, das wir mit12,5 Millionen Euro ausgestattet haben, und die Jugend-migrationsdienste, für die die Mittel im letzten Haushaltaufgestockt wurden und die vor allem den jungen Men-schen das Ankommen in unserem Land erleichtern .Das alles sind richtige neue Initiativen oder alte Initi-ativen, die wir intensivieren .Wenn wir auf den Haushalt schauen, den wir vorlegen,dann können wir aber auch noch auf vieles andere stolzsein:Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, die Fa-milienpolitik zu einem der dominierenden Themen in derBundesregierung zu machen . Kein anderer Haushalt –außer dem Bildungshaushalt – ist über die Jahre so starkund kontinuierlich gewachsen wie unser Haushalt . Indieser Regierung, aber auch schon in den Vorgängerre-gierungen unter Schwarz-Gelb und in der Großen Koali-tion davor haben wir bei Kindern, Familien und Fraueneinen klaren Schwerpunkt gesetzt . Unser Haushalt istimmer gestiegen . Das kann sich sehen lassen, und daraufkönnen wir wirklich stolz sein .Auch an anderen Parametern zeigt sich, dass sich dieFamilienpolitik der CDU-geführten Regierungen derletzten Jahre bewährt hat:
Endlich kommen mehr Babys zur Welt . Im letzten Jahrwaren es 33 000 Babys mehr als im Jahr davor . Das isteine Steigerung von knapp 5 Prozent .Der Trend, dass vor allem Akademikerinnen kinderlosbleiben, ist eindeutig gestoppt .Die Familienfreundlichkeit in unserem Land hat zu-genommen . Viele Studien bescheinigen uns, dass wir aufdem Weg hin zu einer Gesellschaft, die die Vereinbar-keit von Familie und Beruf ermöglicht, die Partnerschaftstärkt und die Familienfreundlichkeit erhöht, sehr erfolg-reich sind .
Darauf können wir uns aber nicht ausruhen . Das ist eineAufgabe für die nächsten Jahre .Wir sind sehr stolz darauf, dass wir die Familien indiesem Jahr und in den kommenden Jahren um 5 Milliar-den Euro entlasten . Wir sind auch sehr stolz darauf, dasswir die Elternzeit weiter flexibilisieren konnten und dassdie massiven Steigerungen beim Elterngeld, die so nichteingeplant waren – da schaue ich einmal unsere Haushäl-ter in den Reihen an –, von allen Kollegen des DeutschenBundestages jedes Jahr ohne Murren mitgetragen wur-den . Es ist nicht selbstverständlich, dass den Familienein so großer Teil der Mittel aus unserem Haushalt zurVerfügung gestellt wird . Deshalb muss es unser erstesZiel sein, das Elterngeld, das eine der beliebtesten Leis-tungen für junge Familien in unserem Land ist, für dieZukunft zu sichern . Dazu wollen wir alle Möglichkeitennutzen . Das betrifft auch die freiwerdenden Mittel ausdem Betreuungsgeld . Wir können nicht riskieren, dasseine Leistung, die so anerkannt ist wie das Elterngeld,gefährdet ist, weil eine mögliche Kostenexplosion nichttragbar wäre .
Wir investieren in den Kitaausbau, zum einen mitdem Investitionsprogramm für die Kitas, zum anderenmit dem neuen Programm „KitaPlus“ mit 100 MillionenEuro . Wir setzen das Programm „Schwerpunkt-KitasSprache & Integration“ fort . Dieses Programm ist nichtim Zuge der Flüchtlingskrise entstanden, also nichtsNeues . Es läuft schon einige Jahre; denn wir hatten schonimmer Migranten, junge Schülerinnen und Schüler sowieKindergartenkinder mit Sprachproblemen, um die wiruns gekümmert haben . Deshalb war es uns als Union einAnliegen, dass die Sprachförderung in den Kindertages-einrichtungen weiter vom Bund finanziert wird.Auch das Ehrenamt ist uns ein wichtiges Anliegen .Damit meine ich nicht nur das wunderbare ehrenamtlicheEngagement im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise .Nadine Schön
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Viele Menschen in unserem Land sind seit vielen Jahrenununterbrochen ehrenamtlich aktiv: bei Hilfsorganisati-onen, in Sportvereinen, in der Nachbarschaftshilfe . Ichhabe ein bisschen Angst, dass dieses Engagement durchdas Engagement für Flüchtlinge, das in diesen Tagen zuRecht in den Medien gezeigt wird, etwas unter den Tischfällt . Genau das darf nicht passieren . All die ehrenamtlichtätigen Menschen in unserem Land, die sich seit Jahrenfür unsere Gesellschaft einsetzen, verdienen unseren Re-spekt, unsere Anerkennung und unsere Unterstützung .Das muss man immer mit bedenken, wenn man zurzeitden Ehrenamtlichen dankt, die in der Flüchtlingshilfe en-gagiert sind .
Ein Kumulationspunkt für dieses ehrenamtliche En-gagement sind die Mehrgenerationenhäuser . Hier kommtalles zusammen, was an ehrenamtlichem Engagementüber die Generationen hinweg, aber eben auch für ein-zelne Gruppen in der Gesellschaft geleistet wird: von derPEKiP-Gruppe über die Kinderbetreuung bis hin zum Se-nioren-Rommé, Computerlernkurse und vieles mehr . Alldas wird in den Mehrgenerationenhäusern geleistet . Wirkonnten dieses großartige Engagement für die Zukunftsichern . Die Finanzierung der Mehrgenerationenhäuserist für die nächsten Jahre gesichert . Auch hier danke ichden Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsaus-schuss, denen das ebenfalls ein echtes Anliegen war .
Wir investieren in den Kinderschutz und in den Op-ferschutz . Das Programm „Frühe Hilfen“ werden wirfortsetzen . Gleiches gilt für die Mittel für die Opfer derHeimerziehung . Auch hier wurden die Mittel verstetigt .Das sind gute Signale, gute Botschaften an all die Men-schen, die davon betroffen sind .Man kann sagen, dass wir auf der einen Seite den neu-en Herausforderungen, die auf uns zukommen, gerechtwerden, indem wir die Flüchtlinge und die Menschen,die sich um die Flüchtlinge kümmern, unterstützen, dasswir auf der anderen Seite aber für alle anderen Men-schen in unserem Land, vor allem für die Familien, dierichtigen Weichen stellen und ihnen jede Unterstützungzukommen lassen, die möglich ist . Zusammen mit denLändern und Kommunen, mit den Unternehmen und mitvielen Bürgerinnen und Bürgern wollen wir auf diesemWeg weitergehen .Ich danke allen, die die Haushaltsberatungen in denkommenden Wochen konstruktiv begleiten werden . Si-cher kann man sich immer mehr wünschen und vorstel-len . Aber es liegt eben in der Natur des Haushaltes – unddarum muss es uns gehen –, die richtigen Schwerpunktezu setzen . Ich freue mich auf die Beratungen .Herzlichen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
legin Ekin Deligöz das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,in diesem Einzelplan gibt es Ausgabensteigerungen, wiein anderen Einzelplänen auch . Die sind an vielen Stellenrichtig und wichtig . Sie beruhen auf gesetzlichen Leis-tungen . Nehmen wir das Beispiel Elterngeld, Frau Kolle-gin Schön . Das ist eine gesetzliche Leistung, und es warvon Anfang an intendiert, dass die Mittel steigen; dennsie wollten dadurch insbesondere die Männer motivie-ren, sich aktiv in die Elternarbeit einzubringen . Das tunsie jetzt, und das müssen wir finanzieren. Das ist nichts,wofür man sich bedanken muss, sondern muss schlichtfinanzieren werden, weil es eine gesetzliche Leistung ist.
Trotzdem finde ich, Frau Ministerin, kann man mit alldem eigentlich nicht zufrieden sein . Es gibt einen An-spruch an diesen Haushalt, an Ihr Haus und an diese Ge-sellschaft . Vor allem gibt es den Anspruch, massiv in dieZukunft dieses Landes zu investieren, wenn die Finanz-mittel die Möglichkeit dazu geben . Genau das müsstenSie leisten . Und da sehe ich schon ein paar Versäumnisse,die ich hier aufzählen will:Erstes Versäumnis . Wir brauchen dringend Maßnah-men in Bezug auf die Kitaqualität .
Dafür brauchen wir entsprechende Finanzmittel . DieQualitätsfrage brennt uns schon seit langem auf den Nä-geln . Das wird eher noch dringender werden . Ich versteheden Widerstand der CDU/CSU-Fraktion, ehrlich gesagt,überhaupt nicht . Ich verstehe nicht, dass Sie sich nichtden Ruck geben können, zu sagen: Diese freiwerdendeMilliarde beim Betreuungsgeld gehört den Kindern; siegehört dahin, wo es dringend notwendig ist, und wo esbei den Kindern ankommt, nämlich Kindertagesstättenund Tagesmütter dieses Landes .
Sie könnten das so schön als Zukunftsinvestition dekla-rieren . Damit könnten Sie sich rühmen . Geben Sie sicheinen Ruck! Das ist dringend notwendig .Zweites Versäumnis . Alleinerziehende werden in die-sem Land immer noch alleingelassen . Sie sind in unserenArmutsstatistiken an erster Stelle zu finden. Alleine zuerziehen, ist in diesem Land ein Armutsrisiko . Das istbeschämend . Sie brauchen als Antwort etwas mehr alsKosmetik, und selbst die Kosmetik verschwindet in die-sem Haushaltsplan . Das ist zu wenig . Da müssen wir ent-schlossen handeln . Meine Fraktion hat dazu auch schoneiniges an Ideen vorgelegt .
Drittes Versäumnis . Eine Reform der Ehe- und Fa-milienförderung – ich rede hier von einer Reform undnicht nur von kleinen Änderungen – wäre vernünftig . Esgibt in Sachen Familienförderung mit den FreibeträgenNadine Schön
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für wohlhabende Familien ein Weiter-so . Es ist weiter so,dass das Splitting den Trauschein fördert . Leider gibt esauch bei der Kinderarmut ein Weiter-so . In diesem Landsind Alleinerziehende vorwiegend jung und weiblich .Dagegen müssen wir entschlossen Konzepte vorlegen . Esist mehr nötig, als nur den Kinderzuschlag ein bisschenzu erhöhen . Wir brauchen eine Reform, die bedeutenwürde, dass wir für Kinderarmut in diesem Land keinenPlatz haben . Der setzen wir entschieden etwas entgegen .
Viertes Versäumnis . Das vierte Versäumnis betrifft dieZeitpolitik . Ja, die Vereinbarkeit von Beruf und Fami-lie ist auch eine Frage der Infrastruktur, aber nicht nur;sie hat auch etwas mit der Kultur und der Arbeitswelt indiesem Land zu tun, mit Möglichkeiten, die wir schaf-fen müssen . Sie haben das angekündigt; aber Sie sitzendas Thema aus . Wir werden nicht zulassen, dass Sie esaussitzen, und werden Ihnen dazu konkrete Vorschlägeunterbreiten .Fünftes Versäumnis . Zivilgesellschaftliches Engage-ment gegen rechts ist in diesem Land immer noch unter-finanziert. Es sind zu wenig Mittel dafür vorhanden. Ja,richtig, wir hatten eine Mittelaufstockung . Die war rich-tig und wichtig . Wir haben aber zeitgleich noch die Mo-delle gegen Islamismus mit hineingepackt . Damit wurdedas Ganze de facto wieder aufgefressen . Da brauchen wirwirklich Verbesserungsvorschläge .Wenn man die Zeitung aufschlägt, merkt man erst,wie wichtig diese Maßnahmen und Projekte sind . Es ver-geht kein Tag, an dem wir – leider, leider – nicht vonrechtsextremistischen Taten in diesem Land lesen . Dasist die Kehrseite der Debatte, auch der Debatte über dieFlüchtlinge . Es ist gut und wichtig, dass so viele Men-schen ehrenamtlich arbeiten . Wir alle loben in unserenReden, dass sie aufstehen, Zivilcourage zeigen und aufdie Straße gehen . Aber wir dürfen diese Menschen nichtalleinlassen . Wir müssen ihnen Rückendeckung geben .Dazu gehört, dass wir im Kinder- und Jugendhilfeplanentsprechende Maßnahmen einführen und in diesemHaushaltsplan die Modelle gegen Rechtsextremismuszur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie stär-ker in den Vordergrund stellen und finanziell viel stärkerabbilden, damit diese Menschen ihre Arbeit tun könnenund sich nicht alleingelassen fühlen .
Dass die Mittel für den Bundesfreiwilligendienst er-höht werden, ist ein gutes Zeichen .
Aber lassen Sie das nicht eine singuläre Maßnahme sein;denn diese vielen Freiwilligen brauchen eine Basis fürihre Arbeit . Diese Basis ist im Kinder- und Jugendhilfe-plan gegeben; diesen sollten wir genauer lesen . Darübermüssen wir noch einmal beraten .Darauf, was mit den Frühen Hilfen passiert, bin ichgespannt . Ich glaube, dass die Debatte über die FrühenHilfen noch lange nicht zu Ende ist . Vielmehr brauchenwir dort weitere Anstrengungen . Wir werden Sie dabeigerne konstruktiv begleiten . Im Moment kann ich leidernoch nichts erkennen .Es gibt noch einen Punkt, der mir ein persönlichesAnliegen ist . Das ist die Aufarbeitungskommission fürsexuellen Missbrauch . Leider konnte ich im gesamtenHaushaltsplan keine finanziellen Mittel dafür identifizie-ren . Es wurde auch nichts in irgendeinem Titel vermerkt .Aber wir alle gemeinsam haben in diesem Haus den par-lamentarischen Willen formuliert, eine solche Aufarbei-tungskommission einzusetzen .
Das Wort hat die Kollegin Petra Crone für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! DieAufstellung des Haushalts 2016 möchte ich nutzen, umeinen kleinen Blick zurückzuwerfen, keinen Blick zurückim Zorn – keine Sorge –, sondern einen Blick zurück inFreude; denn wir haben eine ganze Menge gemeinsamgeschafft . Die SPD hat lang ersehnte Akzente setzen kön-nen . Mehr als das: Akzente wurden zu Gesetzen .
Anfang März gab es einen historischen Meilensteinfür uns alle zu feiern: das Gesetz zur gleichberechtigtenTeilhabe in Führungspositionen, die Frauenquote .
Ekin Deligöz
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Endlich ist Schluss mit dem Schneckentempo . Vorbei dieZeit der freiwilligen Selbstverpflichtung! Ich will, dassdie betroffenen Unternehmen bis zum 1 . Januar 2016 dieQuote von 30 Prozent erreichen; denn jetzt sind die Frau-en dran . Sie werden zu Entscheiderinnen in Führungse-tagen .
Ich möchte von den Unternehmen Lösungen sehen,wie sie die Frauen auf mehr Verantwortung im Beruf vor-bereiten und welche Anstrengungen sie unternehmen, umgeeignete Bewerberinnen zu finden. Was ich nicht hörenwill, sind Ausreden .
Ich finde auch nicht, dass wir Energien in die Idee dersogenannten Männerzertifikate, also den Handel mitmännlichen Posten entsprechend den CO2-Verschmut-zungsrechten, stecken sollten . Manchmal stehen Dingein der Zeitung! Ich weiß auch nicht so recht, ob das ernstgemeint ist .Mit der Frauenquote ist der Anfang gemacht . Wasfehlt? Die gleiche Entlohnung von Frauen und Männernohne Einschränkung!
Die Gleichstellung der Geschlechter wird auf dem Ar-beitsmarkt entschieden . Deshalb werden wir noch in die-ser Legislaturperiode ein Gesetz für Lohngerechtigkeitbeschließen .
Die SPD will ein Individualrecht . Arbeitnehmer sollen je-derzeit Auskunft von Arbeitgebern über die Unterschiedein der Bezahlung verlangen können . Wir werden auch da-rüber sprechen, mit welchen verbindlichen Verfahren wirDiskriminierungen bei Lohn und Gehalt beseitigen . Ichfreue mich schon auf die Verhandlungen . Es ist wichtig,dass wir dieses Gesetz gemeinsam schaffen .
Ein weiterer Grund für einen Blick zurück in Freudeist die Ausweitung der Familienpflegezeit, die zum 1. Ja-nuar dieses Jahres in Kraft trat. Ich finde, wir haben guteAntworten auf die Frage vieler Familien gefunden, obund wie sich Pflege in und mit den eigenen Lebensver-hältnissen organisieren lässt . Aber es gilt: Das Bessere istder Feind des Guten . Deshalb müssen wir weitere, bes-sere gesetzliche Schritte gehen, um Frauen und Männerndiese eh schon schwere Aufgabe auch im Einklang mitihrer Erwerbstätigkeit zu erleichtern . Deshalb danke ichIhnen, liebe Ministerin Manuela Schwesig und IhremHaus, für die Vorschläge zum Haushalt . Wir müssen dieMöglichkeiten der Familienpflegezeit offensiver bewer-ben und bekannter machen . Hilfreich werden die Erhö-hungen der Mittel für Darlehen im Haushalt 2016 und dieEinsetzung eines Beirats für die Vereinbarkeit von Pflegeund Beruf sein .Wenn sich Frauen und Männer entscheiden, die schwe-re Aufgabe der Pflege als Beruf auszuüben, brauchen sievon uns umso mehr die bestmögliche Unterstützung .
Denn wir alle, unsere ganze Gesellschaft, brauchen Pfle-gerinnen und Pfleger, die den Menschen mit Körper,Geist und Seele im Blick haben, zum Beispiel auch dieVorstellungen und Bedürfnisse älterer Menschen aus an-deren Kulturen . So wünschen wir uns auch mehr profes-sionelle Pflegende mit Migrationshintergrund. Durch dieReform der Pflegeberufe wollen wir die Attraktivität derAusbildung verbessern, die Mobilität zwischen den ver-schiedenen Pflegeberufen steigern und dadurch die Aus-bildungsqualität erhöhen .Als Seniorenpolitikerin freue ich mich natürlich be-sonders – das ist schon ein paarmal angeklungen –, dassfür das „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ ab2016 Mittel in Höhe von 14 Millionen Euro zur Verfü-gung stehen . Die Arbeit der 450 Häuser ist unverzichtbargeworden, gerade in diesen Tagen . In mehr als 213 Häu-sern gab es über 900 Angebote für Flüchtlinge .
Das ist der beeindruckende Stand von vor Monaten, alsobevor die vielen Menschen Deutschland erreichten . Stel-len Sie sich dieses beeindruckende Engagement heutevor! Die gemeinsame Arbeit für und mit Flüchtlingen isthäufig auch eine Arbeit von Seniorinnen und Senioren,und ihnen möchte ich heute ganz ausdrücklich ein herz-liches Dankeschön sagen für ihre Tatkraft, ihre Herzens-wärme und ihre Zeit .
Endlich kann ich jetzt etwas von dem zurückgeben,was ich selbst als junge Frau erfahren durfte, näm-lich offene Arme und helfende Hände .Das sind die Worte einer 81-jährigen Frau, die in einemMehrgenerationenhaus anpackt .Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Der Kollege Norbert Müller hat für die Fraktion Die
Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Werte Frau Bundesministerin Schwesig! LiebeZuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! FrauSchwesig, Sie wissen, im familienpolitischen Bereichhätten Sie eine große Einigkeit in diesem Haus, weil vieleIhrer Vorschläge, die wir über die Medien nachvollziehenkönnen, auf Zustimmung bei SPD, Grünen und LinkenPetra Crone
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stoßen . Sie suchen diese Einigkeit nicht . Nichtsdestotrotzhätte ich beim vorliegenden Haushalt erwartet, dass sichzumindest die Handschrift der Sozialdemokraten etwasdeutlicher kenntlich macht, als wir das in der gegenwär-tigen Vorlage nachvollziehen können .
– Ich werde Ihnen das auch belegen .Ich kann nicht nachvollziehen, dass es in den großenBlöcken in diesem Haushalt, über die wir in den letztenMonaten – Stichwort „Kinderarmut“ – geredet haben,in irgendeiner Form nennenswerte Bewegungen gege-ben hätte . Aber Sie stärken zur Gesichtswahrung derSPD vielfach präsentierte Vorhaben, die ich jetzt einmalSchaufensterprojekte nenne, auch wenn sie das eine oderandere Gute enthalten, mit relativ kleinen Summen . Aufaktuelle Entwicklungen, die uns begegnen, gehen Sie imHaushalt relativ wenig oder gar nicht ein . Ich will Ihnendas an drei Beispielen belegen .Erster Punkt . Zu den jungen Flüchtlingen hat meinKollege Leutert schon einiges gesagt . Der uns inzwischenvorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Umverteilungder unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge – wir kom-men in der nächsten Sitzungswoche dazu – enttäuscht . Erenttäuscht in Bezug auf den Haushalt in einem zentralenPunkt, nämlich in dem Punkt der Finanzierung durch denBund . Es geht in der gegenwärtigen Situation überhauptnicht, hier null Euro einzustellen und zu erwarten, dassdie bundesweite Umverteilung der vielen jungen Men-schen funktioniert . Ich kann Ihnen sagen: Wenn jeder sy-rische Flüchtling, der gerade in Eisenhüttenstadt, in derErstaufnahmeeinrichtung von Brandenburg, ankommt,1998 geboren ist, dann wissen wir, was auf die Kinder-und Jugendhilfe gegenwärtig zukommt . Wenn der Bunddie Länder und Kommunen bei der bundesweiten Um-verteilung völlig alleinlässt, dann funktioniert das nicht .Wir brauchen einen Einstieg des Bundes in die Finanzie-rung, um Unterbringung und Integration zu ermöglichenbzw . zu verbessern .
Wenn die Jugendmigrationsdienste ausgebaut werden,ändert das auch nichts . Die 7 Millionen Euro sind gutangelegt, aber das kompensiert natürlich nicht die an-deren Probleme . Auch das Programm „Willkommen beiFreunden“ ist gut, so wie es ist, aber es hilft nichts inder zentralen Frage der Unterbringung und der Integrati-onsmaßnahmen . Das bleibt an Ländern und Kommunenhängen, gerade bei den jungen Flüchtlingen, bei den un-begleiteten minderjährigen Flüchtlingen .Wir kennen die schwierige Lage der Kinder- und Ju-gendhilfe in den Kommunen und wissen auch, dass diechronische Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktursich dort gegenwärtig rächt . Der Bund ist gefragt, und erdrückt sich an der Stelle .Dann kommt der Hammer . Wie Sie die 10 000 Stel-len beim Bundesfreiwilligendienst hier ein Stück weitabgefeiert haben, kann ich nicht nachvollziehen . DasEngagement der Menschen, das wir im Fernsehen gese-hen haben, darf nicht ausgenutzt werden, um die in denletzten Jahren weggesparte soziale Infrastruktur – siefehlt uns jetzt – zu ersetzen . Wenn man die Zustände vordem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlinund auch vor diversen Erstaufnahmeeinrichtungen in denLändern sieht, dann kann man das nur als Staatsversagenbezeichnen . Wir sehen dort: Soziale Infrastruktur fehltvöllig. Häufig sind die Kommunen und Länder mit dem,was passiert, völlig überfordert, weil man in den letztenJahren der Ideologie des schlanken Staates gefolgt ist,weil die Kinder- und Jugendhilfe nicht ausfinanziert ist,weil die Ämter nicht ordentlich ausfinanziert sind, weilSozialarbeiter fehlen etc . pp . Die öffentliche Daseinsvor-sorge hat sich an vielen Stellen rar gemacht . Das könnenwir nicht ausschließlich mit Freiwilligen kompensieren,die ein Taschengeld dafür bekommen . Wir brauchen eineStärkung des Sozialstaats, um den gegenwärtigen Her-ausforderungen wieder gewachsen zu sein .
Zweiter Punkt . Das Mindestelterngeld wurde seit2007 nicht erhöht . Das geht überhaupt nicht . Das Min-destelterngeld beträgt 300 Euro . Zur Kaufkraft: Die300 Euro bei der Einführung 2007 entsprechen heutenoch etwa 270 Euro . Wir wissen, dass etwa jeder drit-te Elterngeldempfänger Mindestelterngeld bezieht . EineErhöhung auf 334 Euro wäre schon 2014 nötig und auchangebracht gewesen . Sie ist 2014 nicht geschehen . Sie ist2015 nicht geschehen . Sie ist auch in diesem Haushalt für2016 nicht vorgesehen . Auf eine Anfrage meines Frakti-onskollegen Jörn Wunderlich hat Ihr Haus geantwortet,dass Sie dies auch perspektivisch nicht vorsehen . Sie ha-ben gleichzeitig formuliert – das finde ich dann schonetwas dreist; ich zitiere –: Dauerhaft kann die finanzielleGrundlage einer Familie doch nur durch eigene Erwerbs-tätigkeit gesichert werden. – Das Elterngeld finanziertnicht dauerhaft, sondern, wie Sie wissen, für maximal14 Monate . Diejenigen, die das betrifft, dieses eine Drit-tel der Elterngeldbezieherinnen und bezieher, die Minde-stelterngeld bekommen, sind – auch das wissen wir – zu90 Prozent Frauen . Für ein Bundesfrauenministerium istes überhaupt nicht in Ordnung, an der Stelle zu sagen:Wir haben nicht vor, das anzuheben . – Dann nehmen Siewenigstens den Ausgleich des Wertverfalls der letztenJahre vor, damit die Leute zumindest das haben, was man2007 bekommen hat .
Das wäre auch eine Maßnahme gegen Kinderarmut, weilMindestelterngeld häufig an Familien gezahlt wird, de-nen es finanziell ohnehin am schlechtesten geht.Dritter Punkt . Frau Bundesministerin Schwesig, wirunterstützen Ihr Bemühen – das haben Sie auch von denGrünen gehört; auch dafür hätten Sie eine parlamentari-sche Mehrheit –, die Betreuungsgeldmilliarde in IhremHaushalt zu belassen . Ich glaube, Sie hätten dafür sogareine Mehrheit im Bundesrat . Auch das ist gar kein Prob-lem . Wir würden die Mittel gern im Einzelplan 17 sichernund für das einsetzen, wofür sie immer hätten eingesetztwerden sollen, nämlich für den Ausbau von Kitas, für dieKitaqualität und für eine gute frühkindliche Bildung .
Norbert Müller
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In dem Punkt sind wir uns völlig einig . Wir wollen, dassdas Geld hier verbleibt .Wenn es nach uns Linken gehen würde, wenn Sie hiereine rot-rot-grüne Mehrheit nutzen würden, dann wür-den wir ein Kitaqualitätsgesetz einbringen . Die Milliardewäre eine gute Startfinanzierung, um zum Beispiel Qua-lität, Kitaausbau, Beitragsfreiheit oder auch so etwas wieein kostenfreies Mittagessen zu sichern und hier die Län-der und Kommunen besser zu unterstützen . Da das nichtso ist und Sie auch diese Vorschläge wieder ablehnenwerden, mache ich Ihnen einen anderen Vorschlag, dervielleicht auch für die Union interessant ist und auf denman sich im ganzen Haus verständigen könnte: Sie ha-ben viel zur Integration gesagt . Es ist richtig: Wir wollensyrische Flüchtlingsfamilien, die jetzt zu uns kommen,integrieren . Es sind ja nicht nur junge Männer, die kom-men. Es kommen sehr häufig Familien mit Kindern. „In-tegration“ heißt hier, Kitaplätze zur Verfügung zu stellen .Lassen Sie uns doch die erste freiwerdende Tranchedes Betreuungsgeldes nehmen, das im nächsten Jahrnicht mehr ausgezahlt werden wird – das werden einige100 Millionen Euro sein –, um die Kommunen dabei zuunterstützen, für jedes Flüchtlingskind, soweit die Elternes wünschen, einen kostenlosen Kitaplatz zur Verfügungzu stellen . Das wäre eine Integrationsmaßnahme . Diefür das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel wären hiergut angelegt . Vielleicht kann sich die Union diesem Vor-schlag anschließen . Sie haben viel von Integration gere-det . Das wäre eine tolle Maßnahme . Das könnten wir imHaus wahrscheinlich sogar einstimmig beschließen .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die
CDU/CSU-Fraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber Herr Müller,ich glaube, das wird schwierig mit uns beiden . MeineBegeisterung für diesen Vorschlag hält sich durchaus inGrenzen .
Ich glaube, wir sollten wieder zu den wesentlichen Punk-ten des Haushalts kommen . In diesem Zusammenhangsind heute drei klare Botschaften gesetzt worden .
Die erste Botschaft ist, dass es uns wie im Bundes-haushalt 2015 auch im Bundeshaushalt 2016 gelingt, kei-ne neuen Schulden aufzunehmen . Nun kann man sagen:Das ist eine allgemeinpolitisch wichtige Erkenntnis . –Das ist aber besonders wichtig für Kinder und Familien;denn damit schaffen wir es, den Familien, den Kindernund Enkelkindern keine neuen Schuldenberge zu hinter-lassen . Auch das ist ein Teil von Familienpolitik .
Die zweite Botschaft ist – die Frau Ministerin hat esschon angesprochen –: Wenn man die Haushaltsdebat-ten verfolgt, stellt man fest, dass es zwei Bereiche gibt,in denen seit 2005 ein enormer Aufwuchs zu verzeich-nen ist . Daran zeigt sich auch die Politik der Union derletzten Jahre . Das eine ist der Bereich Bildung und For-schung . Ich glaube, alle von uns stimmen darin überein,dass Bildung und Forschung ein Zukunftsthema ist . Dasandere ist der Bereich Familie, wo die Ausgaben von4,5 auf 9,2 Milliarden Euro gestiegen sind und der Etatdamit mittlerweile verdoppelt wurde . Wir investieren inBildung und Forschung und in Familien . Das ist gut an-gelegtes Geld .
Die dritte Botschaft ist: Wir reden in diesem Zusam-menhang nicht nur über die 9,2 Milliarden Euro, die wirausgeben, sondern auch über weitere Leistungen, diemit familienbezogenen Maßnahmen in Verbindung ste-hen . Das betrifft zum Beispiel das Kindergeld mit rund40 Milliarden Euro . Es werden also aus dem Gesamt-haushalt zusätzliche Leistungen für Familien bereitge-stellt .Das Betreuungsgeld – ich sage das, weil es angespro-chen wurde – war ebenfalls eine Leistung, die nicht ausdem Familienetat finanziert wurde nach dem Motto „Wirnehmen das Geld und schauen einmal, ob wir jetzt einBetreuungsgeld implementieren“ . Es war auch nicht so,dass das Geld bereitgestellt wurde nach dem Motto „Ihrkönnt einmal schauen, wo ihr es investiert“ . Alle Ressortshaben aus ihren Einzelhaushalten Geld für das Betreu-ungsgeld bereitgestellt . Jetzt muss klug überlegt werden:„Was passiert jetzt?“; da stimme ich Ihnen vollkommenzu . Die Ministerin hat gesagt: Man muss sich Gedankenmachen . – Man muss sich aber nicht nur Gedanken da-rüber machen, wie man das Geld ausgibt, sondern auchdarüber, wie man damit umgeht, dass eine für die Fami-lien wichtige Leistung nicht mehr existiert . Denn die An-nahme des Betreuungsgeldes war ein Beweis dafür, dasses eine richtige Entscheidung war, es zu implementieren .
Das Verfassungsgericht hat das Betreuungsgeld gekippt;das ist aufgrund der Kompetenzzuweisung so . Wir wärenin der Großen Koalition aber sicherlich klug beraten, zuüberlegen, wie wir in Bezug auf die Familien, für die esvorgesehen war und die ein Modell für ihre Betreuungentwickelt haben, damit umgehen .Eine Haushaltsdebatte bietet ja immer die Möglich-keit, auch noch einmal allgemein auf Grundlagen der Fa-milienpolitik einzugehen: Wie können wir Familien stär-ken? Wie können wir Kindern und Jugendlichen, Frauenund Männern gleichermaßen gesellschaftliche Teilhabeund Selbstständigkeit ermöglichen? Wie können wir Fa-milien in ihrer Entwicklung Entfaltungsmöglichkeitengeben? – Wenn ich über die Grundlinien unserer Fami-lienpolitik spreche, dann ist einiges in den letzten Jahrenerkennbar geworden .Wir erkennen die Vielfalt der Familien an, ohne sie zubewerten . Wir sagen: Wir wollen den Familien nicht vor-schreiben, wie sie zu leben haben . Wir wollen ihnen nichtNorbert Müller
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vorschreiben, wie sie, wo sie und wann sie ihre Kinderbetreuen sollen . Vielmehr haben wir Vertrauen in die Fa-milien, dass sie für sich entscheiden, wie sie ihr Lebenentwickeln . Wir wollen Familienleistungen aber auch inihrer jeweiligen Wirkung überprüfen .
Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ istsehr zentral . Deswegen haben wir einen Rechtsanspruchauf einen Kitaplatz entwickelt . Aber es gibt auch Famili-en, die ein anderes Modell entwickelt haben . Ich glaube,dass der Staat dies nicht durch einseitige Maßnahmenoder die einseitige Unterstützung von familienpoliti-schen Modellen bewerten sollte, sondern dass der Staatallen Familien entsprechend ihren Vorstellungen Unter-stützung zukommen lassen sollte .
Natürlich überlegen wir: Wie entwickelt sich die Ge-burtenrate? Warum steigen die Ausgaben für das Eltern-geld? Die Antwort ist: Weil es zwei Folgewirkungen gibt .Eine Wirkung ist: Es gibt mehr Geburten, und das habenwir ja alle gewollt . Das war Ziel der Politik in den Jahren2005 bis 2010 .
Es ist gut, dass es pro Jahr 30 000 Geburten mehr gibt .Die andere Wirkung war – das war auch immer unsereLeitlinie –, dass wir es hinbekommen haben, dass insbe-sondere mehr Väter Zeit für Familie haben . Auch das istein gutes Ergebnis .
Deswegen sagen wir ganz klar: Dieses Elterngeld ist einErfolgsmodell . Deshalb wird es auch keine Kürzungenbeim Elterngeld geben .
Liebe Frau Brantner, ich glaube, auch in diesem Punktkönnten wir möglicherweise einmal auf eine Linie kom-men .
Die Frage ist für uns nicht nur die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf . Wir wollen Familie nicht ökonomi-sieren. Wir wollen nicht die ökonomische Effizienz vonFamilie betrachten, sondern wir wollen mit unserer Po-litik eine Arbeitswelt entwickeln, die familiengerechtist, und keine Familie, die arbeitsgerecht ist . Das ist einentscheidender Punkt bei der Gestaltung von Familien-politik . Dabei nehmen wir die Wünsche und verändertenBedingungen der Familien wahr .Ich will noch zu einzelnen Punkten des Einzelplans 17kommen . Es ist im Übrigen nicht nur eine Debatte dar-über, wie man mit Geld umgeht und was man mit Geldbewirkt . Wir haben zu Recht viel über das Engagementvon Menschen in ehrenamtlichen Tätigkeiten gespro-chen . Es ist auch eine Frage der Familienpolitik: Wo sindeigentlich die Bereiche Anerkennung und Wertschätzungvon Familie? Die Anerkennung der Familie muss nichtimmer nur in Geld und Euro ausgezahlt werden, sondernmuss sich in einem kulturellen Wandel der Gesellschaftwiderspiegeln .In Berlin gibt es gerade den Fall der sogenanntenSpielstraße . Eine Straße wurde einmal in der Woche ge-sperrt, damit Kinder spielen konnten . Das wurde vomGericht untersagt . Jetzt kann man eine Straße nur nochsperren, wenn ein Event stattfinden soll. Dann kann manalso die Straße sperren . Hier stellt sich die Frage: In wel-cher Kultur leben wir eigentlich, wenn man es spielendenKindern untersagt, in dieser Straße zu spielen, aber wennman ein Event dort veranstaltet, ist es erlaubt? Ich glau-be, wir müssen im kulturellen Wandel im Umgang mitKindern und Familien einiges tun .
Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell . Mittlerweilesind es 5,8 Milliarden Euro . Das sind 700 Millionen Euromehr als 2013 . Rund 835 000 Eltern haben dieses Eltern-geld mittlerweile bezogen, davon sind 12 Prozent Väter .Wir sind froh, dass es bei den Vätern angekommen ist,dass dieses Erfolgsmodell dafür sorgt, dass sie Erwerbs-tätigkeit und Familienzeit besser kombinieren können .Das war die eine Sichtweise, diese Mittel für Familienbereitzustellen .Die andere Sichtweise war, mit dem Rechtsanspruchauf den Kitaplatz eine Verbesserung der wichtigen früh-kindlichen Bildung zu erreichen und die Vereinbarkeitvon Familie und Beruf besser zu gestalten; auch unterdem Gesichtspunkt Armutsrisiko, weil dadurch die Mög-lichkeit entsteht, mit dem Erwerbseinkommen den ei-genen Lebensunterhalt zu verdienen . Auch hier hat derBund in den letzten Jahren geliefert und 5,4 MilliardenEuro zusätzlich bereitgestellt . Das Sondervermögen Kin-derbetreuungsausbau wird 2016 mit 230 Millionen Euroveranschlagt . Für 320 Millionen Euro ist im FinanzplanVorsorge getroffen .Dann stellt sich die Frage, was wir den Kommunenund Ländern noch gerne zur Verfügung stellen . Ich willdas nur noch einmal erwähnen . Wir geben fast 1 Milliar-de Euro für die Finanzierung der Betriebskosten von Kin-dertagesstätten aus . Da kann man kann sagen: Ja, selbst-verständlich . Das ist doch eine nationale Aufgabe . – Ichwill nur daran erinnern: Wir haben ein föderales System .Es ist nicht so, dass es originäre Aufgabe des Bundes ist,hier zu investieren .
Wir machen das, weil wir zwei Dinge erkennen . Wir er-kennen, dass Länder und Kommunen momentan in einerschwierigen Situation sind – Klammer auf: wobei auchder Bund in keiner anderen Situation ist . Wenn wir überSteuereinnahmen sprechen, dann muss man darauf ver-Marcus Weinberg
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weisen, dass auch Länder und Kommunen von den er-höhten Steuereinnahmen profitieren.
Aber wir machen das, weil es wichtig war und weil esein deutliches Signal ist . Es wäre nur jetzt falsch, darauszu schließen, dass es auch eine Zukunftsaufgabe ist, an-dere Bereiche zu übernehmen . Ich will und wir werdenauch nicht darüber diskutieren, dass wir die Lehrergehäl-ter zum Teil übernehmen . Das sind die Wolken, die Sievorhin sehr exemplarisch hin- und hergeschoben haben,
was man noch alles finanzieren könnte und was mannoch tun könnte . Nein, es gilt der Grundsatz: Wir gebenzu Recht viel Geld für Familien aus, gut angelegtes Geld .Aber das Geld muss erwirtschaftet werden . Es mussMenschen in diesem Land geben, die das tun .
Wir müssen sehr sorgsam damit umgehen und in derHaushaltsdebatte nicht nur einen Sechs-Punkte-Plan ma-chen oder sonst was, Frau Kollegin von den Grünen, woman noch etwas zu fordern hat .
Noch einmal: Wir investieren in diesem Bereich zuRecht, aber bitte sehr sorgsam und sehr gezielt . Von unswurden schon wichtige Themen angesprochen: Sprache,Integration, „Frühe Chancen“ . Dies wurde verstetigt . Wirhaben weiterhin Maßnahmen im Bereich der Integrati-on von Sprachförderung über das Programm „Schwer-punkt-Kitas Sprache & Integration“ . Des Weiteren stel-len wir 100 Millionen Euro für den Bereich „KitaPlus“zur Verfügung, wo man einer gesellschaftlich veränder-ten Bedingung nachkommt, indem man sagt: Mehr undmehr Familien, gerade auch Alleinerziehende, brauchen,wenn sie im Schichtdienst sind, wenn sie am Wochenen-de arbeiten müssen, möglicherweise temporär, punktuelleine längere Betreuung. Ich finde es wichtig, dass mansagt: Dafür machen wir ein Angebot . Wir stellen KitasMittel zur Verfügung, wenn sie ein Konzept einreichen,dass man das Kind auch nach 18 Uhr betreuen kann, wasdie Ausnahme bleibt .
Denn wir wollen nicht, dass Kinder regelhaft 24 Stundendurchgängig in der Kita sind . Das würde unserem Fami-lienmodell widersprechen .
Aber wir wollen eine Flexibilisierung erreichen . Wir wol-len, dass für eine alleinerziehende Mutter, wenn sie ein-mal bis 20 Uhr arbeiten muss, die Möglichkeit gegebenist, ihr Kind betreuen zu lassen . Die Mittel dafür – daswurde schon angesprochen – sind nicht im Einzelplan 17verankert, sondern an anderer Stelle .Das Thema Armutsrisiko wurde angesprochen . Ichwill daran erinnern: Der Entlastungsbetrag für Alleiner-ziehende wurde rückwirkend zum 1 . Januar dieses Jahresvon 1 308 Euro auf 1 908 Euro erhöht . Sehr spät – mankönnte fast sagen: zu spät –, aber wir haben es gemacht .Das war, glaube ich, ein wichtiges Signal dafür, dass wiruns intensiv Gedanken machen, wie wir gerade für Al-leinerziehende mehr tun können .Die steuerlichen Kinderfreibeträge wurden rückwir-kend erhöht . Wir haben das Kindergeld erhöht . Auch hiergilt wie immer: Es wäre mehr denkbar, 10 oder 20 Euro .Weil 1 Euro Kindergelderhöhung rund 180 MillionenEuro ausmacht, muss man einfach sagen: Wir tun viel,aber man muss auch genau überlegen, was man darüberhinaus noch tun kann .Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu einemThema, das in den nächsten Jahre eine große Rolle spie-len wird, nämlich der Welle von Flüchtlingen, die nachDeutschland kommen . Diese Gesellschaft wird sich ver-ändern . Integration bedeutet nicht nur, dass ein paar hin-zukommen . Vielmehr heißt Integration, dass sich die Ge-sellschaft fortlaufend verändert . Die Familienpolitik wirddas besonders berühren . Denn es kommen Kinder, kleineKinder nach Deutschland, die vernünftig betreut werdenmüssen . Es kommen Jugendliche, teilweise traumatisiert,mit großen Problemen, um die wir uns kümmern müssen .Es kommen junge Familien, teilweise aus Kriegsgebie-ten, ebenfalls traumatisiert, wo wir sehen müssen: Wiefinden sie Arbeit? Wie finden sie Wohnraum? Wie findensie vor allen Dingen Anschluss an diese Gesellschaft?Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht:bei den Gastarbeitern, bei den Aussiedlern, Anfang der90er-Jahre auch im Zusammenhang mit dem Bürgerkriegin Bosnien-Herzegowina . Aus diesen Fehlern sollten wirlernen . Integration von Anfang an, so früh wie möglich,
so zielgenau wie möglich und so bedarfsorientiert wiemöglich . Die Entscheidung der Koalition, im erstenSchritt 6 Milliarden Euro bereitzustellen, ist ein guterBeschluss . Unter familienpolitischen Gesichtspunktenist nicht nur entscheidend, wo das Geld herkommt . Icherwarte, wie wahrscheinlich auch die Kolleginnen undKollegen, dass wir von den Kommunen und Ländern ge-nau erfahren, was sie planen, was mit den Kindern pas-sieren soll, die zusätzlich in die Krippe, in die Kita kom-men . Denn die Integration wird nur dann gelingen, wenndie Menschen, die sich jetzt zu Recht engagiert einbrin-gen und die Situation als Chance für unsere Gesellschaftsehen, erkennen, dass die Politik in dieser Phase handelt .
Das heißt für uns, wir müssen schauen, wie wir diese gro-ße Aufgabe bewältigen können . Wir müssen diese Her-ausforderung als Chance begreifen . Das muss unser allerZiel sein . Insoweit haben wir in Bezug auf die nächstenMonate hohe Ansprüche .Letzter Satz: Dieser Haushalt hat es wieder bewiesen:Die Große Koalition ist nicht nur handlungsfähig, son-Marcus Weinberg
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dern auch, was das richtige Investieren an der richtigenStelle angeht, gut aufgestellt .Herzlichen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Dr . Franziska Brantner fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da-men und Herren! Frau Schwesig und Herr Schäuble imClinch – irgendwie ist das ein Déjà-vu . Beim letzten Malging es um die Erhöhung des Freibetrags für die Alleiner-ziehenden, jetzt geht es um die Milliarde für das Betreu-ungsgeld . Herr Schäuble und wahrscheinlich auch Sie,Herr Spahn, wollen das Geld lieber für die Haushaltssa-nierung nutzen .
Das ist auch gut nachvollziehbar, wenn ein Finanzmi-nister das möchte . Ihre Aufgabe, Frau Schwesig, ist es,dafür zu sorgen, dass das Geld in Ihrem Haushalt bleibt,bei den Kindern und den Familien . Daran werden wir Siemessen, aber Sie darin auch unterstützen .
Herr Schäuble, Sie haben hier argumentiert, die Milli-arde würde doch auch ins Elterngeld fließen.
Auch das ist eine für einen Finanzminister und für Sie,Herr Spahn, nachvollziehbare Verhandlungsposition;denn Sie müssen darauf achten, dass das Geld zusam-menbleibt .Aber die zusätzlichen Kosten für das Elterngeld wa-ren absehbar . Wenn wir Gesetze ändern und zusätzlicheElternmonate vorsehen, dann wird das eben teurer . Undwenn mehr Väter das Elterngeld in Anspruch nehmen,wie wir es ja wollen, dann wird es aufgrund der Lohn-ungleichheit, die wir in Deutschland haben, noch teurer .Wir haben das gemeinsam gesetzlich geregelt – wir ha-ben da zugestimmt –, und es war klar, dass dadurch zu-sätzliche Kosten entstehen .Woher soll also das zusätzliche Geld kommen? Wiralle wissen: Wenn es einen Mehrbedarf gibt, der auf ge-setzlicher Grundlage entsteht – und das ist hier der Fall –,dann ist es Verhandlungssache, woher das Geld kommt .Es muss nicht automatisch aus dem Familienhaushaltkommen . Das ist Ihr zweiter Verhandlungsauftrag, FrauSchwesig: dass das Betreuungsgeld dafür nicht genutztwird, sondern in die Kitas geht .
Frau Schwesig, ich habe Ihnen vorhin sehr gut zuge-hört, als Sie gesagt haben, was wir jetzt mit dem Betreu-ungsgeld machen . Für mich hörte sich das sehr danachan: Es soll halt bei den Familien bleiben . – Sie hatten inIhren ersten Pressestatements immer sehr klar gesagt, dasGeld gehe in die Kitas . Ich hoffe und zähle wirklich aufSie, dass es dabei auch bleibt;
denn dort sind die Bedarfe . Wir wissen: Es fehlen alleinheute schon 185 000 Plätze für unsere Ein- und Zwei-jährigen, und wir brauchen eine bessere Relation bei denErzieherinnen, wir brauchen mehr Erzieherinnen für dieKinder .Es wurde häufig schon erwähnt: Unter den Flüchtlin-gen, die heute zu uns kommen und die wir integrierenwerden, sind sehr viele Kinder . Vor allem unter denje-nigen, die bleiben werden, sind sehr viele Kinder . DieSchätzungen belaufen sich auf 300 000 bis 400 000 . Die-se Kinder müssen wir bei uns in jedem Fall so schnellwie möglich in die Kitas integrieren und ihnen durch diedeutsche Sprache einen Weg ermöglichen, anzukommen .Das müssen wir doch jetzt finanziell vorbereiten undnicht erst wieder, wenn die Kommunen sich beschwerenund zu Recht sagen: Wir schaffen das nicht allein .
Von daher – Frau Schwesig, Sie haben es gesagt –nicht unterscheiden zwischen unseren Kindern und denFlüchtlingen . Wenn Sie jetzt in die Kitas, in die Sprach-förderung dort und in mehr Plätze investieren, dann istdies die beste Voraussetzung dafür, dass die Gesellschaftdas gut stemmt, und das ist, so glaube ich, in unser allerInteresse .
Frau Schwesig, es wurde vorhin schon von Kollegen,auch von meiner Kollegin, angesprochen: Kinderarmutist ein Thema, das wirklich gar nicht vorkommt . Leider .Wir wissen, dass 40 Prozent der Alleinerziehenden imALG-II-Bezug leben . Es ist für dieses reiche Land echtein Armutszeugnis, dass es gerade die Alleinerziehendentrifft .
Sie erhöhen zwar den Freibetrag, aber der hilft geradedenjenigen in diesem Bereich nicht . Der Unterhaltsvor-schuss wird zwar leicht erhöht, aber nicht reformiert . Ichfinde, das sind die Stellschrauben, an die Sie heranmüs-sen, Frau Schwesig und liebe CDU . Das können Sie nichteinfach übergehen . Wir wissen, dass das nicht haltbar ist,und ich wünsche mir, dass sich zumindest im nächstenHaushalt widerspiegelt, dass die krasse Schieflage, diewir hier in Deutschland haben, angegangen wird .
Ein letzter Punkt, von dem ich mir wirklich wün-sche, dass wir den zusammen angehen: In dem Koali-Marcus Weinberg
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tionsvorschlag vom Wochenende ist vorgesehen, dassder Aufenthalt der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeein-richtungen auf bis zu sechs Monate verlängert werdenkann . Man kann dazu stehen, wie man will, aber wennman das macht, dann müssen die Bedingungen vor Ortso sein, dass es für Kinder irgendwie ertragbar ist . Das istes momentan nicht . Da hilft Ihr Programm, das die Kom-munen berät, nicht, auch wenn es richtig ist . Das wirdnicht ausreichen . Man wird Gelder brauchen, damit manvor Ort Spielzimmer und Betreuung hat und alles, wases braucht . Das ging jetzt im Sommer irgendwie, weildie Kinder draußen auf dem Bolzplatz waren . Jetzt aberkommt der Winter, und sie sind sechs Monate lang dort,und die Schulpflicht wird nicht einmal eingehalten.
Ich finde, das ist eine tickende Zeitbombe. Das könnenwir uns gar nicht leisten .
Hier müssen wir jetzt wirklich gemeinsam investie-ren, und ich hoffe, dass wir das vielleicht in den Haus-haltsverhandlungen noch hinbekommen . Ich glaube, esist in unser aller Interesse, dass die Kinder nicht erst nachsechs Monaten anfangen, Deutsch zu lernen, sonderndass sie dort ein Angebot haben . Lassen Sie uns das ge-meinsam angehen, ich bitte Sie darum .Danke .
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ulrike
Gottschalck das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Besucherinnen und Besucher! UnsereKanzlerin hat in der gestrigen Generaldebatte sehr pro-minent zu Beginn ihrer Rede betont, dass die Integrationfür sie und die Regierungsparteien allerhöchste Prioritäthat . Das ist gut so; denn es stimmt: Wenn wir die vielenMenschen, die jetzt zu uns kommen und die in höchsterNot flüchten, nicht gut integrieren, wird uns das volks-wirtschaftlich teuer zu stehen kommen .
Abgesehen von der humanitären Verpflichtung, diewir haben, werden wir von dem, was wir jetzt in Teilhabe,in Integration investieren, in einigen Jahren profitieren,aber nur, wenn wir es gut machen . Da darf man nicht nurKlein-Klein machen und mit rein monetärer Ausrichtungvon einem Haushaltsjahr zum anderen schauen . Denn esbraucht auch volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen,um zu erkennen, was für uns in der Zukunft gut ist .Unser Einzelplan 17, meine sehr geehrten Damenund Herren, bietet sich für Integration geradezu an . Ichhalte es für eine hervorragende Idee unserer MinisterinManuela Schwesig – in Absprache mit Volker Kauder –,verstärkt den Bundesfreiwilligendienst für die Flücht-lingshilfe zu nutzen . Denn das ist ein zusätzliches ehren-amtliches Engagement, und es wird denjenigen helfen,die im Moment schon vor Ort eine unendlich wichtigeArbeit machen . Das fängt bei den privaten Spendern an,die mit Teddybären, Windeln oder was auch immer auf-tauchen und helfen wollen, geht über die engagierten Pa-ten, die sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlingekümmern, bis hin zu unseren professionellen Rettungs-organisationen, ohne die wir komplett aufgeschmissenwären . Wenn sie jetzt durch zusätzliches ehrenamtlichesEngagement Unterstützung erhalten, dann ist das einfachnur toll .
Bereits mit dem Nachtragshaushalt 2015 haben wir imKinder- und Jugendplan wegen der Flüchtlingsproble-matik 8 Millionen Euro für die Jugendmigrationsdiensteund 4 Millionen Euro für die C1-Sprachkurse aufgesat-telt, gemeinsam mit den Kollegen der Union . Insoferngibt es dort nun keine Kürzung, Michael Leutert; es sinddie 12 Millionen Euro, die wir im Nachtrag aufgesattelthaben . Wir wollen sie wieder bereitstellen, aber es sollenerst mal die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels abgewartetwerden .Im Hinblick auf den Flüchtlingsgipfel erinnere ichgerne daran, dass es auch eine Verantwortung der Ländergibt .
Wir haben jetzt gute Vorleistungen erbracht, aber auchdie Länder müssen gerade in den Bereichen der Integrati-on und der frühkindlichen Bildung ordentlich etwas tun .Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich mussmeine Rede ein bisschen kürzen, weil die von Manuelaein bisschen länger war . Es war trotzdem eine sehr guteRede unserer Ministerin .
Ich denke, wir müssen ein großes Augenmerk auf die un-begleiteten minderjährigen Flüchtlinge richten, die wirin Obhut nehmen, aber auch auf die schwangeren, alleinreisenden Frauen und ihre Kinder .
Darauf müssen wir besonders schauen .
– Wir tun im Gegensatz zu Ihnen etwas . Ihr habt nichteinmal beim Mindestlohn mitgestimmt . Also seid einmalganz ruhig!
Ich denke, dass wir auch noch einmal über die Maß-nahmen zur Extremismusprävention reden sollten . Daschließe ich mich dem Kollegen Leutert an, der das vor-hin angesprochen hat . Wir haben jetzt das wunderbareDr. Franziska Brantner
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neue Programm „Demokratie leben!“ . Auch da könnenwir vielleicht noch etwas tun, weil es einfach hilft undwirkt .Auch das Elterngeld wirkt . Dazu haben wir schon vielgehört. Ich finde es grandios, dass die Zahl der Geburtenerstmalig wieder nach oben geht – ein großartiger Erfolg!Ich denke, dazu können wir alle uns mal gegenseitig gra-tulieren .
Abschließend zum Betreuungsgeld . Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren, wir als SPD wollen, dass die-ses Geld auch zukünftig Familien zugutekommt .
Aber das wird in einer anderen Flughöhe entschieden .Ich denke, wir müssen uns hier weder als Haushälternoch als Fachpolitiker bekriegen . Ich warne auch davor,erneut diese ganzen ideologischen Debatten über Pro undKontra zu führen . Das brauchen wir nicht .
Wir sollten einen guten Kompromiss finden, der für un-sere Familien, für unsere Kinder gut ist . Denn es gilt: DieJugend ist unsere Zukunft . Wir müssen in den BereichenTeilhabe, Qualität und Integration alles uns Möglichetun, und auch das müssen wir gut machen; denn sonstwird es volkswirtschaftlich teuer .Danke schön .
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Pantel für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Unser Haushalt betrifft all jene Dinge, die der ehema-lige Bundeskanzler Gerhard Schröder abschätzig als„Gedöns“ bezeichnet hat . Wenn wir über Familienpolitikreden, zeigt das Volumen des Haushalts, wie wichtig unsdieses Politikfeld ist . In diesem Zusammenhang, FrauMinister, noch einmal herzlichen Glückwunsch zumkommenden Nachwuchs .
Familienpolitik ist im eigentlichen Sinne Gesell-schaftspolitik . Sie befasst sich mit der Grundlage unseresZusammenlebens in Deutschland . 2016 werden wir dafürüber 9 Milliarden Euro ausgeben, also – das hörten wireben schon – so viel wie noch nie .Familienpolitik betrifft jede Bürgerin und jeden Bür-ger mehrfach im Leben . Alles in unserem Land und inunserem Sozialstaat basiert auf der Familie als kleinsterEinheit menschlichen Zusammenlebens . Familie ist, woMenschen füreinander Verantwortung übernehmen . Fa-milie ist, wo Kinder sind, und da sind alle eingeschlos-sen . Familien zu fördern und zu schützen, ist nach Ar-tikel 6 unseres Grundgesetzes eine der vordringlichstenstaatlichen Aufgaben .Lassen Sie mich an dieser Stelle, weil es gerade soschön passt, einen anderen Punkt anmerken . In dieserWoche wurde in der ARD erneut über Gender-Mainstrea-ming und auch über die Frühsexualisierung von Kinderndiskutiert . Dass das ein Thema ist, habe ich an der großenResonanz gemerkt . Dabei ist klar, dass die Erziehung derKinder Sache der Eltern ist . Sie tragen letztendlich dieVerantwortung, in jeder Hinsicht .Durch unsere Haushaltsausgaben wollen wir Famili-en ein Familienleben nach ihren Wünschen ermöglichen .Wir müssen sicherstellen, dass Menschen in Deutschlandes sich leisten können, eine Familie zu gründen und Kin-der in die Welt zu setzen . 2014 wurden in Deutschland715 000 Kinder geboren, das sind 33 000 Kinder mehrals noch im Vorjahr . Die Bürgerinnen und Bürger in un-serem Land wollen ein gutes Familienleben, sie wollenKinder .Es wäre wissenschaftlich unredlich, steigende Gebur-tenzahlen auf einzelne Effekte zurückzuführen . Was wiraber sicher sagen können ist, dass das der guten Famili-enpolitik der unionsgeführten Bundesregierungen in denzurückliegenden Jahren geschuldet ist .
Es ist anders, als Herr Gysi gestern behauptet hat: Wirhaben in Deutschland mittlerweile ein sehr familien-freundliches Klima geschaffen .Es gibt 40 Millionen Haushalte in Deutschland, über8 Millionen Haushalte mit minderjährigen Kindern . Dassdiese Familien ihren Alltag möglichst flexibel und nachihren Wünschen gestalten können, ist Ziel unserer Poli-tik .
Das Leitbild der Union ist die selbstbestimmte Fami-lie . Die Familien müssen aber auch Zeit für ein Fami-lienleben haben . Daher habe ich mich immer für Maß-nahmen wie das Elterngeld und das Betreuungsgeldausgesprochen .
Dass jetzt auf der Oppositionsbank gemurrt wird, zeigtnur, dass Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsnicht verstanden haben .
– Nein, lesen Sie es nach . – Dass dem Bund nicht zu-gestanden wurde, hierfür Mittel aufzuwenden, ist denZuständigkeiten in unserem föderalistischen System inDeutschland geschuldet . Keineswegs ist das ein Urteilüber die familienpolitischen Aspekte unseres Betreu-Ulrike Gottschalck
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ungsgeldes gewesen . Ich würde Ihnen empfehlen, dasUrteil zu lesen .
[DIE LINKE]: Das ist egal, wenn
Sie rufen an anderer Stelle, wann immer Sie können,„Diversity“ und „bunte Republik“ . Aber wenn es um dieFamilie geht, dann wollen Sie die Einheitsfamilie schaf-fen
– das ist ihnen überlassen –, eine Pseudofamilie, in derder Staat die Kinder erzieht und die Eltern sich voll aufdas Berufs- und Arbeitsleben konzentrieren sollen . Sobitte schön nicht .
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und orien-tieren uns an den Bedürfnissen der Familien . Das Eltern-geld wurde in diesem Sommer um das Elterngeld Plusergänzt. Dadurch haben wir eine zusätzliche, noch flexib-lere Lösung für Eltern gefunden, die ihre Kinder betreuenund in Teilzeit am Berufsleben teilhaben wollen .In diesem Jahr haben wir durch das Gesetz zur weiterenEntlastung von Ländern und Kommunen das Sonder-vermögen „Kinderbetreuungsausbau“ um 550 Millio-nen Euro aufgestockt . Im ersten Quartal 2015 wurden inDeutschland 700 000 Kinder unter drei Jahren betreut .Die Mehrheit dieser betreuten Kinder wird in Einrich-tungen betreut. Die Kindertagespflege bei Tagesmutteroder -vater wird gerade in Ballungsgebieten wie Berlinund Düsseldorf immer beliebter und hat sich als flexibleErgänzung gut etabliert . Wir haben weitere Mittel für denAusbau der Betreuung vorgesehen . Eine gute und ver-lässliche Kinderbetreuung ist uns wichtig . Wir schätzendie Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher, die täglich El-tern bei ihrem Erziehungsauftrag unterstützen .Familien leben heute nicht mehr selbstverständlich inmehreren Generationen zusammen unter einem Dach;wir haben das eben schon mehrfach gehört . Dadurchfehlt auch der Erfahrungsaustausch zwischen Jung undAlt .
Die Mehrgenerationenhäuser bringen Kinder, Eltern,Großeltern und manchmal sogar Urgroßeltern zusam-men . Sie sind ein Erfolgsprojekt .
– Ich kenne ein Mehrgenerationenhaus bei mir vor Ort .Dort funktioniert das alles hervorragend . – Wir sicherndie Arbeit der rund 450 Mehrgenerationenhäuser für2016 bundesweit mit 14 Millionen Euro . Aufgrund derguten Vernetzung und durch gute Kooperationen mitKultur- und Bildungseinrichtungen sowie Wirtschaftsun-ternehmen gelingt es, zusätzlich ein wichtiges Angebotvorzuhalten und Lücken zu schließen . Es ist erklärtesZiel der Union, die Arbeit der Mehrgenerationenhäuserdauerhaft zu sichern .90 Minuten wurden uns für diese Debatte zur Verfü-gung gestellt, 90 Minuten, in denen wir den Etat für dieFamilienpolitik einer Nation mit über 81 Millionen Ein-wohnern diskutieren sollen
– richtig, das ist jede Menge, wie Sie gerade sagten –,aber in dieser Zeit sind natürlich nicht alle Maßnahmen,die wir hier finanzieren, aufzuführen.
Deshalb werde ich nur einige erwähnen .Der Zuzug von Hunderttausenden Flüchtlingen, vondenen viele traumatisiert sind, stellt uns vor große He-rausforderungen . Das ist ein Zuzug von Menschen, dieweder unser Verständnis von Freiheit noch von Grund-rechten kennen, von Menschen, denen unsere Kultur,unsere Gebräuche und unser Leben bisher weitgehendfremd waren . Diese Entwicklungen fordern uns nicht nurorganisatorisch und finanziell, sondern vor allem auchgesellschaftspolitisch . Selbst der bekanntlich deutlichlinks von mir stehende Autor Jakob Augstein
forderte jüngst im Spiegel, es müsse eine deutliche Leit-kultur geprägt werden, um die Integration all dieserMenschen zu sichern, eine Leitkultur, die Menschenein Vorbild ist, eine Leitkultur, geprägt durch unserenRechtsstaat . Wir haben ein Recht auf freie Meinungsäu-ßerung und können unsere Religion frei ausüben, und wirhaben das Recht, uns selbst ein auf der eigenen Leistungbegründetes Leben aufzubauen . Deshalb wollen auch soviele hierher .Für die Flüchtlinge gilt: Wer Schutz in unserem Landsucht, wird ihn finden. Aber auch die Schutzsuchendenmüssen sich an unsere Regeln halten: Männer und Frau-en haben die gleichen Rechte, wir sind vor dem Gesetzgleich, jeder von uns darf seine Meinung frei sagen undan all das glauben, was er oder sie gerade glauben will .Und wir verhüllen nicht unsere Identität . Wir zeigenGesicht, und das meine ich wörtlich . Daher spreche ichmich hier und heute erneut für ein Verbot der Gesichts-vollverschleierung im öffentlichen Raum aus . Frauen zuzwingen, sich zu verhüllen, widerspricht unserer Auffas-sung, dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben undgleich viel wert sind . Dieser Gleichheitsgrundsatz ist dieBasis unseres Rechtssystems und darf nicht wegen fal-scher Toleranz ausgehöhlt werden .
Sylvia Pantel
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 2015 11809
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Mit den Mitteln, die wir in unserem Haushalt für Maß-nahmen zur Stärkung von Vielfalt, Demokratie und To-leranz vorsehen, sollen die Grundlagen unseres Rechts-systems nähergebracht werden . Demokratieerziehung inDeutschland muss bedeuten, dass unsere GrundrechteLeitbild einer Kultur des guten Zusammenlebens und desgegenseitigen Verständnisses sind . Als ich vor kurzemGrundgesetze verteilt habe, wurde mir wieder bewusst,welche Kraft und Bedeutung unser Grundgesetz für vielehat und wie wichtig gerade jungen Menschen die Einhal-tung unserer Grundrechte ist, wie wichtig ihnen Toleranzund Respekt vor den Rechten der Mitmenschen sind .Auch für das Funktionieren einer demokratischenGesellschaft sind Familien ausschlaggebend . Nur durchstarke Familien und die Vielfalt in unseren Familien ver-hindern wir, dass Kinder empfänglich werden für Extre-mismus . Hierbei ist es völlig egal, ob wir von Links- oderRechtsextremismus reden .
Wenn wir heute die Reden der Koalition und der Op-position zum Haushalt des Familienministeriums hören,werden wir Unionspolitiker nicht müde, auf die Investiti-onen und Errungenschaften unserer Familienpolitik hin-zuweisen . Die Damen und Herren der Opposition werdenwieder und wieder nach mehr Mitteln und größeren In-vestitionen in diesem oder jenem Projekt rufen .Wir wissen, dass jeder Euro mehr, den wir in die Zu-kunft eines Kindes stecken, eine gute Investition ist . Je-der Euro, der eine Familie entlastet und für ein glückli-cheres, selbstbestimmteres Familienleben sorgt, rechnetsich . Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir un-seren Kindern und Enkeln einen Haushalt ohne Schul-denberge hinterlassen wollen .Schauen wir in diesen Tagen nach Griechenland: Der19-jährige Hafenarbeiter in Piräus kann genauso wenigetwas für die Misere, in der sich sein Land befindet, wiedie junge Mutter in Thessaloniki, die kaum über die Run-den kommt .
Als Familienpolitiker muss uns die Griechenland-Kriseeine permanente Ermahnung sein, solide zu wirtschaften .Wir schulden unseren Kindern nicht nur gut ausgestat-tete Systeme, Kitas, Schulen, Familienbetreuung undanderes; wir schulden unseren Kindern und Enkeln eineZukunft, in der sie nicht die Zinsen für unsere Schuldenbezahlen müssen,
sondern ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder selbstgestalten können . Deswegen legen wir einen ausge-glichenen Haushalt vor, der die richtigen politischenSchwerpunkte setzt .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-Frak-
tion .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Zunächst einmal habe ichmich gerade gefragt: Was ist denn eine Einheitsfamilie?
Ich habe mich gefragt, ob ich jetzt aus so einer Ein-heits-Familie komme, weil ich als Westdeutscher eineOstdeutsche geheiratet habe .
Ich finde, das wäre die richtige Bezeichnung. Dann binich gerne Mitglied einer Einheitsfamilie, Frau Kollegin .Weder Frau Schwesig noch Frau Gottschalck nochFrau Crone und auch nicht die Redner der Opposition,die ich nicht immer in Schutz nehme, haben jetzt hier tri-umphierend aufgebrüllt und gesagt: Das Betreuungsgeldist endlich weg . Wir hatten das schon immer für falschempfunden . – Ich fand, die Worte von Frau Schwesigdazu waren sehr kontrolliert .
Sie wissen ja, dass wir im Herzen eigentlich eine andereSache verfolgt haben .
Aber wir haben zugunsten einer gemeinsamen Familien-politik ein bisschen weniger auf unser Herz gehört . Jetzthaben wir eine neue Situation . Es ist doch nur richtigund wichtig, wenn wir uns im ganzen Haus darüber einigsind, dass die frei werdenden Mittel aus dem Betreuungs-geld weiterhin den Familien und Kindern zugutekom-men . Dieses gemeinsame Ziel ist richtig und gut .
Ich finde, wir sollten die ideologische Debatte vielleichtein Stück weit vergessen .„Kinder kriegen die Leute immer .“ Das hat einmal einanderer Bundeskanzler gesagt . Das war nicht der Bun-deskanzler mit dem „Gedöns“ . Aber dieser Satz war fastgenauso blöd .
Konrad Adenauer hat das gesagt . Wir wissen aber mitt-lerweile, dass das nicht der Fall ist, sondern es hat auchimmer sehr viel mit persönlichen, ganz individuellenGründen zu tun, warum ich eine Familie gründe . Aberes hat auch immer etwas damit zu tun, in welcher gesell-schaftlichen Atmosphäre und unter welchen gesellschaft-lichen Rahmenbedingungen ich mich gerade befinde.Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben wirSylvia Pantel
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bis jetzt sehr gut hinbekommen . Nicht umsonst ist dasBedürfnis, größere Familien zu gründen, jetzt gestiegen .Das hat auch etwas mit der Familienpolitik dieser Koa-lition zu tun .
Das hat aber auch etwas mit dem Elterngeld zu tun .Natürlich spielt auch das eine Rolle bei der Entscheidung,ob ich eine Familie gründe und zu welchem Zeitpunktich sie gründe . Natürlich können wir jetzt zwischen Op-position und Regierung darüber streiten, dass es selbst-verständlich ist, dass gesetzliche Leistungen auch erfülltwerden . Aber Sie wissen auch: Wir erfüllen nicht nur diealten gesetzlichen Leistungen, sondern wir haben in die-ser Wahlperiode die Palette sogar um das Elterngeld Pluserweitert . Wir haben zusätzliche Anreize geschaffen . Wirhaben uns nicht auf dem ausgeruht, was wir schon ge-setzlich beschlossen haben, sondern wir haben das Ganzeerweitert, und das haben wir gerne getan, liebe Kollegin-nen und Kollegen .
Es ist auch nicht selbstverständlich, dass ein Parla-ment, wenn mehr Eltern, mehr Familien Elterngeld inAnspruch nehmen oder überhaupt Leistungen in An-spruch nehmen, manchmal darüber diskutiert, so etwaswieder einzuschränken . Das ist leider keine Selbstver-ständlichkeit. Ich finde es gut, dass es hier eine Selbstver-ständlichkeit ist, und das sollte auch eine Selbstverständ-lichkeit bleiben . Das weiß auch das Finanzministerium .
Jetzt noch zu ein paar Punkten, über die wir hier heutediskutiert haben, über die wir vor allen Dingen aus demGrund diskutiert haben, weil wir uns in einer besonderenZeit befinden. Wir müssen uns um Flüchtlinge kümmern.Da kommt unserem Ministerium, unserem Politikfeldinsgesamt natürlich eine sehr große Aufgabe zu . Denndas hat nicht nur etwas mit Baustandards oder Verteil-schlüsseln zu tun, es hat auch nicht immer etwas damitzu tun, wie wir das Asylrecht gestalten oder was wir alssichere Herkunftsländer benennen, sondern es hat vorallen Dingen etwas damit zu tun, wie wir die Integrati-on vorantreiben. Ich finde es gut, dass auf dem Gipfelentschieden worden ist, einen zusätzlichen Bereich fürweiteres zusätzliches bürgerschaftliches Engagement zuschaffen . Denn die Bundesfreiwilligendienstler, die wirjetzt zusätzlich einsetzen wollen, sind kein Ersatz fürhauptamtliche Arbeit, die auch weiterhin in diesem Be-reich geleistet werden muss .
Ich finde es nur gut und richtig, dass wir die Zivil-gesellschaft ermuntern, sich in dem Bereich Flüchtlings-hilfe zu engagieren . Wir brauchen die Zivilgesellschaftund auch die besondere Form der Zivilgesellschaft, alsodie Freiwilligendienste, in genau diesem Bereich . Warumbrauchen wir sie? Die Akzeptanz für die Flüchtlinge be-kommen wir nur dann, wenn sie auch zivilgesellschaft-lich anerkannt sind . Deshalb ist es gut, dass wir im Be-reich bürgerschaftliches Engagement noch eine Schippedrauflegen.
Eine zweite Sache gilt; auch das gehört zum Zusam-menhalt der Gesellschaft . Es stellt sich nicht nur die Fra-ge, wie wir die Strukturen des bürgerschaftlichen Engage-ments stärken – wir brauchen zusätzliche Strukturen –,sondern wir sollten auch noch einmal darüber nachden-ken, ob wir nicht auf Bundesebene festere Strukturen zurhauptamtlichen Betreuung und Koordinierung schaffen .Als zweiten Punkt müssen wir bei der Demokratieför-derung eine Schippe drauflegen – wir haben das schoneinmal als Parlament getan – und sagen: Wir nehmenunsere eigenen Beschlüsse jetzt auch richtig ernst, nichtnur vor dem Hintergrund der jetzigen Herausforderungenund der Bilder, die wir gerade von Flüchtlingsheimen ge-sehen haben, sondern auch vor dem Hintergrund, was wirals Parlament gemeinsam anlässlich des NSU-Untersu-chungsausschusses beschlossen haben. Ich finde, da kön-nen wir als Parlament gemeinsam im Rahmen der Haus-haltberatungen für zusätzliche Mittel sorgen .
Ein letzter Punkt: unbegleitete minderjährige Flücht-linge . Ich glaube, dass wir mit dem Gesetzentwurf denLändern und Kommunen sehr stark entgegenkommen .Wir werden ihn demnächst in einer Anhörung, dann imAusschuss und dann im Parlament beraten . Bis jetzt sinddie Rückmeldungen, zumindest die, die ich aus den Län-dern und von den Kommunen gehört habe, dass das zueiner großen Entlastung beitragen wird . Wir wissen aberauch, dass es zusätzliche Mittel auch vor Ort bei den Ju-gendbehörden wird geben müssen; das ist doch klar . Siehaben zusätzliche Aufgaben zu erfüllen; die haben siejetzt schon in Teilen zu erfüllen . Deshalb wäre es nur gutund richtig, wenn im Zusammenhang mit dem Flücht-lingsgipfel, der auf uns zukommt, auch über diese Finan-zierung nachgedacht wird .Unter dem Strich: Die Herausforderungen der aktu-ellen Zeit sind berücksichtigt . Die Herausforderungen,die wir insgesamt haben, sind berücksichtigt . Aber einParlament kann auch immer noch ein bisschen mehr be-rücksichtigen . Von daher freue ich mich auf die Haus-haltsberatungen .Herzlichen Dank .
Der Kollege Alois Rainer hat für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuden wesentlichen Zielen der Familienpolitik gehört es,Sönke Rix
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Familien und Kinder wirksam zu unterstützen und zu för-dern; denn Ehe und Familie sind das Fundament unsererGesellschaft .
Daher ist es für uns auch ein besonderes Anliegen,gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Men-schen in Deutschland ihren Wunsch nach Kindern undFamilie verwirklichen können . Folglich ist es auch rich-tig, dass wir unsere solide, verlässliche und auch stabili-tätsorientierte Politik weiter fortsetzen . Wir wollen einePolitik, die das Miteinander aller Menschen in unseremLand fördert, eine familienfreundliche Gesellschaft undeine Gesellschaft, in der alle Generationen willkommensind .Aus diesem Grund sprechen wir heute beim vorliegen-den Haushaltsentwurf über einen Gesamtansatz vonrund 9,183 Milliarden Euro . Dies entspricht einemAufwuchs – das haben wir schon gehört; aber ich sagees gerne noch einmal – gegenüber dem Soll von 2015um etwa 647 Millionen Euro; prozentual gesehen sinddas 7,6 Prozent mehr als im Vorjahr . Es ist, meine sehrverehrten Damen und Herren, auch der Einzelplan, derin dieser Legislaturperiode prozentual am stärksten an-wächst. Der Bundesfinanzminister hat demzufolge vielfür die Familien übrig .
Lassen Sie mich zunächst auf die gesetzlichen Leis-tungen eingehen; dazu ist schon viel gesagt worden . Ins-gesamt betragen diese Leistungen knapp 87 Prozent desgesamten Haushalts im Einzelplan 17 . Im Wesentlichenist es das heute schon oft angesprochene und im Jahr 2007eingeführte Elterngeld mit rund 5,8 Milliarden Euro fürdas Jahr 2016 . Auch in den folgenden Jahren gehen wirauf die sehr positive Entwicklung beim Elterngeld ein .So werden die Mittel für das Elterngeld um 245 Millio-nen Euro angehoben . Das sind insgesamt 63 Prozent desAusgabenrahmens im Einzelplan 17 . Lieber Herr Kolle-ge, ich habe vorhin von Ihnen gehört: Das ist selbstver-ständlich . – 5,8 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen,ist für mich als Haushälter nicht selbstverständlich .
Ich finde das Elterngeld sehr gut und hervorragend.Es wurde gut eingeführt und gut weitergeführt . Aber5,8 Milliarden Euro sind beileibe keine Selbstverständ-lichkeit . Das darf an dieser Stelle auch in einer Haus-haltsdebatte gesagt werden .Nach gut acht Jahren ist das Elterngeld wahrlich einErfolgsmodell . Es wird immer beliebter . Auch ich alsMann finde es gut, dass immer mehr Männer, Väter, es inAnspruch nehmen . Während es im Jahr 2007 noch etwa18 Prozent der Väter waren, ist der Anteil in den fol-genden Jahren stetig gestiegen . Neben dieser wichtigenLeistung wurden alle Ansätze bedarfsgerecht angepasst .Auch die Alleinerziehenden wurden dementsprechendberücksichtigt .Liebe Uli Gottschalck, für uns sind die Mehrgenera-tionenhäuser ja immer ein Thema . Ich denke, wir habenes jetzt einigermaßen geschafft, dass die Mittel hierfürverstetigt werden . Es begann mit einem Pilotprojekt, dasdann weitergeführt worden ist . Ich bedanke mich auchbei den weiteren Haushältern, die uns hierbei unterstützthaben .Als CSU-Politiker natürlich einige Sätze zum Betreu-ungsgeld . Ich weiß nicht, ob es heute eine Rednerin odereinen Redner gegeben hat, die oder der nicht über dasBetreuungsgeld referiert hat; es ist vieles gesagt worden .Das Bundesverfassungsgericht sah in diesem Zusam-menhang das Fehlen der Gesetzgebungskompetenz beimBund, sodass schlussfolgernd die Länder für das Betreu-ungsgeld zuständig sind .
Sie können sich sicher sein, dass wir die Menschen nichtalleine lassen . Alle Anträge, die vor der Verkündung desUrteils bewilligt wurden, genießen selbstverständlichVertrauensschutz und werden dementsprechend haushal-terisch erfasst; das hat auch die Ministerin schon gesagt .In den letzten Wochen – und noch immer – gingen jadie tollsten Überlegungen zum Betreuungsgeld durch dieMedien . Es muss zunächst einmal ganz deutlich gesagtwerden, dass die 1 Milliarde Euro aus dem Wegfall desBetreuungsgeldes nicht zur Gänze zur Verfügung steht .Abgesehen davon finde ich es aber schon gut, dass sichso viele Köpfe darüber Gedanken machen, was denn nunaus dem Betreuungsgeld wird . Sie können sich sichersein, dass wir auch in dieser Angelegenheit eine gemein-same, gute Lösung finden werden. Meine sehr verehrtenDamen und Herren, gehen Sie fest davon aus – ich geheauf alle Fälle davon aus –, dass das Betreuungsgeld inBayern weiterhin gezahlt wird .
– Ja .Eines ist in diesem Zusammenhang noch zu erwäh-nen: Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Urteilauf unser im Grundgesetz verankertes föderales Systemein . Hier muss schon die Frage erlaubt sein, inwieweitder Bund für manch geforderte Leistungen auf Länder-bzw . auf kommunaler Ebene überhaupt zuständig ist . Derjunge Kollege der Linken ist ja schon weg . Ihm hätte ichdas gerne mit auf den Weg gegeben .
– Ja, ja .Ich möchte nicht unerwähnt lassen – auch das ist vorhinschon gesagt worden –, dass nicht nur der Bund Steuer-mehreinnahmen hatte, sondern auch Länder und Kom-munen . Wenn wir schon über Verteilung sprechen, meinesehr verehrten Damen und Herren, dann müssen wir unsgerade auch mit Blick auf die jetzige Situation über eineÄnderung des Grundgesetzes unterhalten . Eine direkteUnterstützung der Kommunen kann nur dann sicherge-stellt werden, wenn das Geld auch da ankommt, wo esam dringendsten gebraucht wird .
Alois Rainer
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Und wir wissen, dass das momentan bei den Kommunender Fall ist .Es ist immer wieder davon die Rede, dass wir dieKommunen stärker unterstützen müssen . Ich kann nursagen: Von 2010 bis 2019 werden die Kommunen vomBund mit 150 Milliarden Euro unterstützt . Das gab es indieser Form noch nie . Vielen herzlichen Dank an diejeni-gen, die hierfür Verantwortung tragen!
Dabei sind die 3 Milliarden Euro noch nicht berücksich-tigt, die am vergangenen Sonntag im Koalitionsgipfel fürdie Länder und Kommunen ausgehandelt worden sind .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Fa-milien sprechen, dann sprechen wir auch über Familienund Menschen, die aus den Kriegsgebieten flüchten. Dieaußenpolitische Situation im Nahen und Mittleren Os-ten, insbesondere der furchtbare Krieg in Syrien und diemenschenverachtenden Gräueltaten durch den IS-Terrorführen dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen, javerlassen müssen . Sie alle kennen die Bilder, die überden Ticker laufen . Es ist furchtbar . Dass wir den Men-schen helfen, die unsere Hilfe benötigen, steht nicht zurDebatte .
Schon jetzt engagieren sich viele Bürgerinnen undBürger und helfen bei der Flüchtlingshilfe . Das ist eingroßartiges Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit . Ich be-danke mich ganz herzlich bei allen Menschen in Deutsch-land für das große Verständnis .
Auch Bundesfreiwillige werden eingesetzt, umFlüchtlinge und Flüchtlingsfamilien in der Anfangsphasezu begleiten . Auch ist es ein gutes Signal, dass beim Bun-desfreiwilligendienst zur Unterstützung der Menschenin Not 10 000 zusätzliche Stellen eingerichtet werdensollen . Schon jetzt fördert der Bundesfreiwilligendienstzivilgesellschaftliches und ehrenamtliches Engagementvon Frauen und Männern aller Generationen in unseremLand . In Zahlen ausgedrückt sind für den Bundesfreiwil-ligendienst bisher 167 Millionen Euro jährlich vorgese-hen . Für die 10 000 zusätzlichen Stellen kommen weitere43 Millionen Euro hinzu . Das ist ein Pfund, das wir denEhrenamtlichen zugestehen wollen . Das ist auch gut . Wirschätzen die ehrenamtliche Arbeit in Deutschland wieSie, Frau Ministerin, und das nicht erst jetzt, sondernschon seit vielen Jahren . Das, was die Ehrenamtlichenleisten, könnten wir hauptamtlich gar nicht machen .
Wie das Ganze am Ende der Tage ausgearbeitet wird,muss in den nächsten Wochen besprochen werden . Ichbin überzeugt, dass das BAFzA diese Aufgabe wie vieleandere auch wieder erfolgreich meistern wird .
Kollege Rainer, wir müssen jetzt auch mit der Zeit
haushalten . Ich bitte, das Zeichen zu beachten .
Ja, ich bin sofort fertig . Es ist das erste Mal, dass ich
überzogen habe, Frau Präsidentin .
Ich finde, wir haben einen Entwurf vorliegen, mit dem
man sehr gut arbeiten kann . Ich freue mich auf die Ar-
beit mit den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern,
dem Haushaltausschuss und den Verantwortlichen im
Ministerium, und ich lade Sie alle ein, konstruktiv und
vor allem sehr aktiv an den kommenden Beratungen teil-
zunehmen . Ich bin überzeugt, dass wir dann für unsere
Familien und für alle Generationen in Deutschland ein
gutes Ergebnis erreichen werden .
Vielen Dank .
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
mir nicht vor .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 11 . September 2015,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .