Protokoll:
18121

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 121

  • date_rangeDatum: 10. September 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:49 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/121 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 121. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. September 2015 Inhalt Begrüßung des neuen Abgeordneten Volker Mosblech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11701 A Wahl der Abgeordneten Dr. Jan-Marco Luczak und Matthias Hauer als Mitglie- der des Kuratoriums der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11701 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 11701 B Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 11701 C Begrüßung des früheren Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan . . . . . . . . . . 11719 D Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) Drucksache 18/5500 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11701 C b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksache 18/5501 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11701 D Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . 11702 A Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11707 A Dr . Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11708 A Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . 11710 C Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11710 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11711 A Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 11712 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 11714 B Dr . Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11715 D Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11717 A Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11719 A Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11720 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 11721 B Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11722 B Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11724 B Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11725 B Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11727 B Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung und For- schung Dr . Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 11729 A Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11731 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 2014II Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 11733 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11735 C Albert Rupprecht (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11736 D Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 11739 B Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . 11740 C Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11742 B Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11743 D Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11746 C Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11747 C Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11749 B Tagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der staatlichen Notariate in Baden-Württemberg Drucksache 18/5218 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11750 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuordnung des Rechts der Syn- dikusanwälte Drucksache 18/5563 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11750 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Kranken- hausstrukturgesetz – KHSG) Drucksache 18/5867 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11702 A d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts Drucksache 18/5918 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11750 D e) Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2014: – Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2014 – Drucksache 18/5128 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11751 A f) Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2014: – Haus- haltsrechnung des Bundes für das Haus- haltsjahr 2014 – Drucksache 18/5291 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11751 A Tagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses – zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Entlastung der Bun- desregierung für das Haushaltsjahr 2013: – Vorlage der Haushaltsrech- nung des Bundes für das Haushalts- jahr 2013 – – zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Entlastung der Bun- desregierung für das Haushaltsjahr 2013: – Vorlage der Vermögensrech- nung des Bundes für das Haushalts- jahr 2013 – – zu der Unterrichtung durch den Bun- desrechnungshof: Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2014 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes (einschließlich der Fest- stellungen zur Jahresrechnung 2013) – zu der Unterrichtung durch den Bun- desrechnungshof: Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2014 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes: – Weitere Prüfungser- gebnisse – Drucksachen 18/1930, 18/1809, 18/3300, 18/3617 Nr . 1, 18/4650, 18/4865 Nr .1, 18/5387 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11751 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des
  • folderAnlagen
    Alois Rainer (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 2015 11813 Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .09 .2015 Becker, Dirk SPD 10 .09 .2015 Brandl, Dr . Reinhard CDU/CSU 10 .09 .2015 De Ridder, Dr . Daniela SPD 10 .09 .2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .09 .2015 Grindel, Reinhard CDU/CSU 10 .09 .2015 Groth, Annette DIE LINKE 10 .09 .2015 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 10 .09 .2015 Hirte, Dr . Heribert CDU/CSU 10 .09 .2015 Kassner, Kerstin DIE LINKE 10 .09 .2015 Kiziltepe, Cansel SPD 10 .09 .2015 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .09 .2015 Kolbe, Daniela SPD 10 .09 .2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenkert, Ralph DIE LINKE 10 .09 .2015 Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 10 .09 .2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .09 .2015 Mortler, Marlene CDU/CSU 10 .09 .2015 Obermeier, Julia CDU/CSU 10 .09 .2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 10 .09 .2015 Pilger, Detlev SPD 10 .09 .2015 Renner, Martina DIE LINKE 10 .09 .2015 Röspel, René SPD 10 .09 .2015 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .09 .2015 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 10 .09 .2015 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .09 .2015 Werner, Katrin DIE LINKE 10 .09 .2015 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Deutscher Bundestag Inhaltsverzeichnis TOP 1 Einbringung Haushaltsgesetz 2016 – Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Epl 09 Wirtschaft und Energie Epl 30 Bildung und Forschung TOP 2 Entlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2014 TOP 3 Entlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2013 Epl 11 Arbeit und Soziales Epl 10 Ernährung und Landwirtschaft Epl 17 Familie, Senioren, Frauen und Jugend Anlage
Gesamtes Protokol Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1812100000

Rechnung des Bundesrechnungshofes
für das Haushaltsjahr 2014: – Einzel-
plan 20 –
Drucksachen 18/5020, 18/5388 . . . . . . . . 11751 D


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1812100100


a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung des Bundes-
haushaltsplans für das Haushaltsjahr
2016 (Haushaltsgesetz 2016)

Drucksache 18/5500 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11701 D

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung: Finanzplan des Bundes
2015 bis 2019
Drucksache 18/5501 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11702 A

Einzelplan 11

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . 11752 A


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 121 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . September 2014 III


Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11754 B

Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11755 B


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ewald Schurer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11758 D

Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11760 C

Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 11761 B

Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 11763 A


Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11764 C

Sabine Zimmermann (Zwickau)


(DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11765 C


Mark Helfrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11766 C

Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11768 B

Axel E . Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) 11769 B

Einzelplan 10

Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft

Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . 11771 B

Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11774 A

Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . 11775 C


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11777 D

Cajus Caesar (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11778 C

Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11780 B

Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11781 B


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Waldemar Westermayer (CDU/CSU) . . . . . . 11784 C

Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11786 B

Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 11788 A


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 11790 D

Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11791 A

Einzelplan 17

Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend

Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 11793 A

Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11795 C

Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU) . . . . 11796 C


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11735 C

Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . 11800 A

Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 11806 B


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11806 B

Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11807 B

Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11809 C

Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11810 D

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11812 D

Anlage

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 11813 A


(A) (C)



(B) (D)






121. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 10. September 2015

Beginn 9 .00 Uhr


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812100200

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich .

Bevor wir unsere Haushaltsdebatte fortsetzen, möchte
ich den Kollegen Volker Mosblech als neues Mitglied
im Deutschen Bundestag begrüßen, der für den verstor-
benen Kollegen Philipp Mißfelder nachgerückt ist . Ich
begrüße Sie herzlich, und wir freuen uns auf die Zusam-
menarbeit .


(Beifall)


Wir müssen noch eine Wahl durchführen . Für den
aus dem Kuratorium der Bundesstiftung Magnus
Hirschfeld als ordentliches Mitglied ausscheidenden
Kollegen Jens Spahn soll das bisherige stellvertretende
Mitglied Dr. Jan-Marco Luczak als ordentliches Mit-
glied gewählt und als dessen Nachfolger der Kollege
Matthias Hauer als persönliches stellvertretendes Mit-
glied berufen werden . Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist offensichtlich der Fall . Dann sind die beiden
gerade genannten Kollegen Luczak und Hauer in ihrer
jeweiligen Funktion als Mitglieder des Kuratoriums ge-
wählt .

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um den in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkt zu erweitern:

ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfah-
ren

(Ergänzung zu TOP 2)


Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Luftverkehrsabkommen vom 16. und 21. Juni
2011 zwischen den Vereinigten Staaten von
Amerika als erster Partei, der Europäischen
Union und ihren Mitgliedstaaten als zweiter
Partei, Island als dritter Partei und dem Kö-
nigreich Norwegen als vierter Partei und zu
dem Zusatzabkommen vom 16. und 21. Juni
2011 zwischen der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Island

als zweiter Partei und dem Königreich Nor-
wegen als dritter Partei, betreffend die An-
wendung des Luftverkehrsabkommens vom
16. und 21. Juni 2011

Drucksache 18/5580
Überweisungsvorschlag:
A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur

Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Aus-
schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Die am 3 . Juli 2015 gemäß § 80 Absatz 3 der Ge-
schäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrichtung

(14 . Ausschuss)


Unterrichtung durch die Bundesbeauftragte für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit

Tätigkeitsbericht 2013 und 2014 der Bundes-
beauftragten für den Datenschutz und die In-
formationsfreiheit

– 25. Tätigkeitsbericht –

Drucksache 18/5300
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Sportausschuss
A . f . Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
A . f . Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
A . f . Familie, Senioren, Frauen und Jugend
A . f . Gesundheit
A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur
A . f . Menschenrechte und humanitäre Hilfe
A . f . Tourismus
A . f . Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Ich möchte auch hier fragen, ob es Widerspruch gibt . –
Das ist nicht der Fall . Dann verfahren wir so .

Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs-
punkt 1 – fort:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016)







(A) (C)



(B) (D)


Drucksache 18/5500
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019
Drucksache 18/5501
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

Wir haben am Dienstag für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt achteinhalb Stunden be-
schlossen .

Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzel-
plan 09.

Das Wort hat der Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Wenn wir in dieser Woche den Bundeshaushalt 2016
beraten, dann sind die Gedanken aller hier im Parlament
und die Gedanken derjenigen, die uns beobachten, nicht
nur bei diesem Zahlenwerk, sondern bei der vermutlich
größten nationalen und europäischen Herausforderung
seit der Wiedervereinigung: 800 000 Menschen su-
chen Sicherheit und Lebensperspektive hier bei uns in
Deutschland; Millionen Menschen sind auf der Flucht, so
viele wie nie zuvor; Hunderttausende davon setzen ihre
Hoffnung auf uns und rufen nach Aufnahme in Deutsch-
land .

Alle Routine ist verschwunden . Zahl und Wucht die-
ser Menschenflucht haben wahrhaft historische Dimen-
sionen . Angesichts dieser großen Herausforderung kann
man schon sagen: Selten hat Deutschland so zusam-
mengestanden wie jetzt . Das tut uns gut, und das tut den
Flüchtlingen gut .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denen, die Menschen in Not helfen, möchte ich, wie Sie
sicherlich alle auch, nicht nur Respekt ausdrücken, son-
dern vor allen Dingen danken . Das gilt aber auch – auch
das darf man einmal sagen – für die Angehörigen unseres
öffentlichen Dienstes. Ich finde, die Arbeit von Ange-
stellten und Beamten des öffentlichen Dienstes widerlegt
in diesen Tagen und Wochen alle Vorurteile, die es ihnen
gegenüber gelegentlich gibt .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland ist gefordert, aber Deutschland ist auch
stark . Ohne die wirtschaftliche Stärke unseres Landes,
ohne Wachstum und sichere Arbeit würden wir diese
Herausforderung wohl nicht so optimistisch anpacken .
Erst die wirtschaftliche Leistungskraft unseres Landes,

gepaart mit soliden Finanzen, erspart uns jetzt schwe-
re Entscheidungen und Konflikte darüber, wie wir die
Aufnahme und die Integration so vieler Menschen in
Deutschland schaffen und finanzieren wollen. Hätten wir
in den Jahren zuvor auf die gehört, die uns aufgefordert
haben, diesen soliden Pfad zu verlassen – mehr Schulden
zu machen, nicht so sehr auf wirtschaftliche Leistungs-
fähigkeit zu achten –, hätten wir heute nicht die Kraft,
ein so großes Paket für die Flüchtlingshilfe auf den Weg
zu bringen, wie wir es am Sonntag getan haben, ohne
dass es zu Leistungskürzungen für unsere Bürgerinnen
und Bürger und zu Steuererhöhungen kommt . Dass wir
gemeinsam Kurs gehalten haben, meine Damen und
Herren, zahlt sich jetzt aus – für die Flüchtlinge und die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die deutsche Wirtschaft ist auf einem soliden Wachs-
tumspfad . Die Entwicklung in diesem Jahr zeigt, dass die
Prognose der Bundesregierung von 1,8 Prozent Wirt-
schaftswachstum in diesem und im nächsten Jahr realis-
tisch ist . Das zahlt sich für die Menschen aus . Auch 2015
rechnen wir mit einer steigenden Zahl von Erwerbstä-
tigen – ausgehend von einer Rekordbeschäftigung von
über 42 Millionen Menschen in Deutschland .

Das Wachstum wird auch von einer robusten Binnen-
konjunktur getragen . Diese wiederum wird durch gute
Tarifabschlüsse, den Mindestlohn, höhere Investitionen
und übrigens auch den Verzicht auf Rentenkürzungen ge-
tragen . Dazu kommen positiv wirkende Außenfaktoren
wie die Erholung der Vereinigten Staaten, der niedrige
Ölpreis und der Wechselkurs des Euro .

Wachstum und Beschäftigung bringen uns auch in
diesem Jahr höhere Steuereinnahmen als erwartet . Der
Bund bzw . die Koalition hat am letzten Sonntag verabre-
det, dass wir diese gestiegene Finanzkraft jetzt einsetzen
wollen, um Länder und Kommunen noch einmal dauer-
haft, strukturell und übrigens auch dynamisch – und
nicht, wie gestern in einem Redebeitrag gesagt wurde,
einmalig – zu entlasten . Es wird eine Hilfe zur Verfügung
gestellt werden, die am Ende natürlich von der Entwick-
lung der Flüchtlingszahlen abhängig sein muss .

Länder und Kommunen brauchen diesen Beistand für
die menschenwürdige Unterbringung und Versorgung,
aber vor allen Dingen auch für die Integration von Flücht-
lingen . Vergessen wir nicht: Von den Hunderttausenden,
die zu uns kommen, werden viele auf Dauer bleiben . Wir
müssen sie integrieren, und auch dem müssen wir uns
gesamtstaatlich widmen .

Der Bund muss die Voraussetzungen bei der Grund-
sicherung des SGB II, aber auch bei der aktiven Arbeits-
marktpolitik, bei Sprachkursen und bei der Qualifizie-
rung schaffen, um eine größere Zahl von Menschen in
den Arbeitsmarkt zu integrieren . Hier liegen Chancen
und Risiken der Zuwanderung ganz dicht beieinander .
Schaffen wir es, die Menschen, die zu uns kommen,
schnell auszubilden bzw . weiterzubilden und in Arbeit
zu bringen, dann lösen wir eines unserer größten Proble-
me im Hinblick auf die wirtschaftliche Zukunft unseres
Landes, den Fachkräftemangel .

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Deutschland hat ja ein Experiment vor sich, das noch
kein anderes Industrieland der Erde hat schaffen müssen .
Bis 2030 werden wir 6 Millionen Arbeitskräfte weniger
haben – 6 Millionen Menschen, die nicht für die Erarbei-
tung unseres Wohlstands am Arbeitsmarkt zur Verfügung
stehen werden . Das ist nicht nur eine Gefahr für die be-
troffenen Unternehmen vor allem im Mittelstand und im
Handwerk, sondern auch eine Gefahr für den Wohlstand
der ganzen Gesellschaft; denn alternde Gesellschaften
wachsen langsamer, sind weniger innovativ und verlie-
ren an wirtschaftlicher Dynamik .

Die Zuwanderer, die jetzt kommen, können uns hel-
fen, das zu ändern . Wenn es gut läuft, wenn wir es gut
machen, dann nutzen wir einen Willen, den alle diese
Menschen haben, nämlich zu einem besseren und siche-
ren Leben zu kommen . Sie haben Kinder bei sich, denen
sie das versprechen wollen, was uns unsere Eltern ver-
sprochen haben, nämlich: Du sollst es einmal besser ha-
ben als wir . – Wenn wir es schaffen, das zu nutzen, wenn
wir sie zu gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern
unseres Landes machen, dann erinnern wir uns vielleicht
auch selbst an manche der Tugenden, die wir in unserem
Land haben . Manchmal verschwinden dann vielleicht
auch ein bisschen Trägheit und Selbstzufriedenheit .

Die, die kommen, können uns wirklich im wahrsten
Sinne des Wortes bereichern, wenn sie Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes werden . Aber auch das Risiko liegt
auf der Hand . Kümmern wir uns zu spät um Sprachaus-
bildung, suchen wir nicht nach der Qualifikation der
Menschen, die zu uns kommen, und lassen wir sie mona-
telang oder noch länger untätig bleiben, dann werden die
Integrationsprobleme wachsen .

Dann werden aus Leistungsträgern Leistungsemp-
fänger . Ich appelliere deshalb an die Unternehmen, die
Wirtschaftsverbände und die Kammern, gemeinsam mit
Betriebsräten, Gewerkschaften und mit uns in der Bun-
desregierung eine Ausbildungsinitiative für Flüchtlinge
zu starten . Zu einem entsprechenden Gespräch haben wir
schon eingeladen .


(Beifall bei der SPD)


Fragen Sie in den Unternehmen ihre Meister und ihre
Ausbilder! Diese wissen, was man braucht, um Men-
schen, die noch nicht über ausreichende Qualifikationen
verfügen, anzulernen .

Die Bereitschaft vieler Unternehmen, jetzt zu helfen,
ist groß . Ich habe ein wunderbares Erlebnis gehabt . Ein
mittelständischer Industrieller, der in diesem Jahr 66 Jah-
re alt wurde, hat mich gefragt: Was kann ich eigentlich
machen, um zu helfen? Ich habe ihm gesagt: Du musst
Ausbildungsplätze schaffen . Einen Tag später hat er
66 neue nur für Flüchtlinge geschaffen . Das ist ein groß-
artiges Beispiel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Wir müssen Sprachkurse anbieten und die Anerken-
nung von Abschlüssen weiter beschleunigen . Wir müs-
sen die richtige Nachqualifizierung finden, und wir müs-
sen umdenken . Flucht und Asyl dürfen nicht jahrelanges

Nichtstun bedeuten . Ausbildung und Arbeit sind die bes-
te Integration . Integration und soziale Teilhabe bedeu-
ten vor allem auch Kindertagesstätten- und Schulplätze
sowie bezahlbarer Wohnraum, übrigens für alle, die ihn
brauchen, nicht nur für Flüchtlinge .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bund, Länder und Kommunen werden in den kom-
menden Jahren das damit verbundene Ausgabenwachs-
tum spüren . Das ist keine einmalige Angelegenheit .
Wir müssen die Ausgaben nicht nur in diesem und im
nächsten Jahr, sondern auch in den nächsten fünf, zehn
Jahren absichern . Deshalb müssen wir vor allem in der
Wirtschaftspolitik neue Anstrengungen unternehmen .
Denn klar ist uns allen: Nur eine Wirtschaft, die wächst,
kann einen Staat und eine Gesellschaft finanzieren, die
so große Aufgaben wahrnimmt . Schaffen wir das nicht,
werden Verteilungskonflikte entstehen und wird der so-
ziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ganz schnell
in Gefahr geraten . Die Bundesregierung hat sich deshalb
zum Ziel gesetzt, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirt-
schaft weiter nachhaltig zu stärken . Wir erhöhen Investi-
tionen . Wir bauen Bürokratie ab . Wir entlasten Bürgerin-
nen und Bürger und stärken die Kommunen .

Die Bundesregierung hat die öffentlichen Investitio-
nen erhöht . Das wollen wir fortsetzen und haben das in
Haushalts- und Finanzplanung verankert . Bis einschließ-
lich 2019 werden die investiven Ausgaben des Bundes
jährlich bei rund 31 Milliarden Euro liegen; vor ein paar
Jahren waren das noch etwas mehr als 20 Milliarden
Euro . Das wird auch private Investitionen auslösen und
die Konjunktur stützen . Zu den herausragend wichtigen
Zukunftsinvestitionen zählen natürlich in allererster Li-
nie die Digitalisierung, ihre Infrastruktur und vieles an-
dere, was damit zusammenhängt . Aber ich zähle auch
die im Rahmen unserer Klimaschutzziele vorgesehene
Steigerung der Energieeffizienz dazu. Diese ökologische
Modernisierung senkt den CO2-Ausstoß . Sie senkt aber
zugleich auch Kosten und erhöht unsere Wettbewerbsfä-
higkeit . Die Bundesregierung wird deshalb sicherstellen,
dass die Mittel des Bundes für die Energieeffizienz auf
Rekordhöhe steigen .

Wir werden außerdem mit dem Gesetzespaket zum
neuen Strommarkt mehr Markt und Wettbewerb bei der
Energiewende ermöglichen . Auch das wird Wirtschaft-
lichkeitsreserven heben und Kosten senken . Übrigens
sind die Strompreise in diesem Jahr gesunken . Die
EEG-Umlage ist zum ersten Mal seit 15 Jahren gefallen,
und zwar ohne dass wir, wie manche behauptet haben,
einen dramatischen Einbruch bei den erneuerbaren Ener-
gien zu verzeichnen haben .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Photovoltaik! Biogas!)


– Herr Krischer, bei der Windenergie hatten wir 2,5 Gi-
gawatt vorgesehen . Wir lagen letztes Jahr, glaube ich, bei
4,7 Gigawatt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist 2017?)


Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Das ist nicht gerade ein Einbruch, Herr Krischer . Ich
bin sicher, dass die Entwicklung bei der Solarwirtschaft
ähnlich verlaufen wird, wenn wir die Förderung wieder
verstetigen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


– Das tun wir, unter anderem mit den Ausschreibungs-
modellen, die übrigens exzellent laufen, ganz im Gegen-
satz zu Ihren Prognosen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es beteiligen sich Energiegenossenschaften und Bürger .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine einzige Genossenschaft hat ein Projekt gewonnen!)


– Sir, Sie wissen ganz genau, dass wir erst vor der zwei-
ten Runde stehen. Ich finde das eigentlich gut: Sie ma-
chen die Prognose, und wir zeigen später, dass sie nicht
stimmt . Das ist schon okay .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch bei der regionalen Strukturpolitik stellen wir
in Ost und West mehr Geld für die Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
zur Verfügung . Die Lage in Ostdeutschland hat sich in
den letzten 25 Jahren natürlich drastisch verbessert, aber
nicht gut genug . Deshalb wird es über das Jahr 2019 hi-
naus nötig sein, die strukturschwachen Regionen Ost-
deutschlands weiter zu fördern .

Die Förderprogramme des Wirtschaftsministeriums
dafür wachsen auf . Die Mittel für die Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk-
tur“ werden von 580 Millionen Euro im Jahr 2013 auf
jetzt 600 Millionen Euro erhöht . Davon gehen übrigens
80 Prozent in die ostdeutschen Bundesländer . Beim Zen-
tralen Innovationsprogramm Mittelstand sind es immer-
hin 42 Prozent .

Auch der hier im Haus so umstrittene Kompromiss mit
der Braunkohlewirtschaft hat etwas mit der Unterstüt-
zung Ostdeutschlands und mit Strukturpolitik insgesamt
zu tun . Ja, wir haben im Wirtschaftsministerium, wie wir
finden, ein nach wie vor relativ preiswertes Instrument –
die Klimaabgabe – zur Erreichung der CO2-Ziele bis
zum Jahr 2020 entworfen . Aber wir haben jetzt eine Al-
ternative gewählt . Und ja, die Alternative zum Erreichen
dieser Ziele ist teurer . Wir erreichen die Ziele genauso
wie mit der Klimaabgabe . Aber es stimmt: Die Alterna-
tive ist teurer; sie kostet deutlich mehr Geld . Die stärke-
re Förderung von KWK, die Sicherung der Existenz der
Stadtwerke und auch die Begleitung des Strukturwandels
in der Braunkohle kosten Geld . Aber das Risiko einzu-
gehen, dass es zu Strukturbrüchen in der Braunkohle
kommt, hätte uns noch viel mehr Geld gekostet .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ob es wirklich klug ist, zu sagen: „Wir in der Politik
mit unseren Gutachten wissen das am Ende besser als
die, die vor Ort das Risiko tragen“, wenn sich heraus-

stellte, dass man sich geirrt hat? Da waren wir eben an-
derer Meinung .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vom Paulus zum Saulus!)


10 000 Arbeitsplätze sind keine Kleinigkeit für Re-
gionen, die den Schock der Deindustriealisierung nicht
vergessen haben . Die vergütete Stilllegung von Braun-
kohlekraftwerken senkt die CO2-Emissionen erheblich;
aber sie kostet Geld – klar . Außerdem hilft sie den Un-
ternehmen und den Beschäftigten, den Strukturwandel
sozial sicher zu vollziehen . Wer dagegen ist und dagegen
polemisiert, dem rate ich, mal hinzufahren und mit den
Menschen zu reden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Zukunft unserer Unternehmen und unseres Lan-
des liegt in den Investitionen, natürlich auch in Investi-
tionen in die öffentliche Infrastruktur . Dafür haben wir
mit Professor Fratzscher Vorschläge entwickelt, die im
November dieses Jahres ins Kabinett kommen, damit wir
sie umsetzen können .

Unsere Wirtschaft wird aber nur stark bleiben, wenn
auch die privaten Unternehmen mehr investieren . Die
Nettoinvestitionsquote deutscher Unternehmen muss ei-
nem seit mehr als zehn Jahren große Sorge machen; sie
ist nämlich viel zu niedrig . Dafür wollen wir die Rahmen-
bedingungen weiter verbessern . Es geht um mehr Innova-
tionen, um Fachkräftemobilisierung, um das Lösen von
Investitionsbremsen . Das Bürokratieabbaugesetz schafft
eine Entlastung von 700 Millionen Euro . Für die Mobili-
sierung von Venture Capital für die Wachstumsphase von
Unternehmen verabschieden wir gemeinsam mit dem Fi-
nanzministerium in diesen Tagen die Vorschläge .

Von der günstigen Wirtschafts- und Finanzentwick-
lung profitieren auch die Bürgerinnen und Bürger vor al-
len Dingen durch sichere Beschäftigung und ordentliche
Löhne . Große Ungleichheit, sagen IWF, OECD und jetzt
auch das Weltwirtschaftsforum, behindert und blockiert
eine Wirtschaft . Mehr Chancen und bessere Zugänge für
mehr Menschen hingegen vergrößern das Wachstumspo-
tenzial . Die Entwicklung der Reallöhne in Deutschland
ist gut . Im vergangenen Jahr sind die Löhne je Arbeitneh-
mer um knapp 4 Prozent gestiegen . Ordentliche Tarifab-
schlüsse, Tarifbindung, mehr sozialversicherungspflich-
tige Beschäftigung stehen dahinter . Das ist gut und muss
weitergehen .

Verteilungsfragen sind soziale und wirtschaftliche Zu-
kunftsfragen . Wir können ein durchlässiges Bildungssys-
tem am Ende nur finanzieren, wenn wir dafür die Kraft
und die Mittel haben . Also geht es immer wieder auch
um eine gerechte und faire Steuerpolitik . Insbesondere
die in Europa nach wie vor existierende Ungerechtigkeit
beim Steuerzahlen müssen wir beseitigen . Es kann nicht
sein, dass sich große Konzerne vor einem angemessenen
Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens drücken
können .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Bartholomäus Kalb [CDU/CSU])


Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Wer nach dringend notwendigen Reformen in Europa
fragt, der hat hier eine Antwort: Die großen Konzerne
müssen endlich mehr zahlen, damit wir die mittleren und
niedrigen Einkommen von der zu hohen Last der Steuern
und Sozialabgaben, die Weltwirtschaftsforum, OECD
und andere kritisieren, entlasten können . Europa ist nicht
durch Griechenland in Gefahr, sondern durch den wach-
senden nationalen Egoismus seiner Mitgliedstaaten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wenn wir den nicht überwinden, dann werden wir die
Menschen von der europäischen Idee nicht mehr über-
zeugen können .

Insofern müssen wir den Blick auch auf die Zukunft
und die vor uns liegenden zehn Jahre richten . Wir müs-
sen eine Vorstellung davon entwickeln, wovon wir 2025
leben wollen . Wir müssen die Quellen unserer wirtschaft-
lichen Stärke beachten . Im Inland geht es um höhere In-
vestitionen – aber wahrlich nicht nur in Beton, Glasfaser
und Maschinen –, vor allen Dingen aber geht es um die
Menschen, die wir hier haben: soziale Teilhabe, gleicher
Lohn für gleiche Arbeit, übrigens auch gleicher Lohn für
gleichwertige Arbeit;


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Josef Göppel [CDU/CSU])


denn die Art und Weise, wie wir Menschen in Pflegebe-
rufen bezahlen – schlecht nämlich –, ist der eigentliche
Grund, warum wir dort Nachwuchssorgen haben .


(Zuruf der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE])


– Ich glaube schon, dass das so ist .

Das gilt im Inland wie übrigens auch in der internatio-
nalen Vernetzung; denn die internationale Vernetzung ist
die zweite Quelle unseres wirtschaftlichen Wohlstands .
Deutschland bekommt jede internationale Krise zu spü-
ren . Wo sich Märkte verschließen, droht unsere Produk-
tion zu erlahmen . Ukraine, Russland, Strukturprobleme,
Börsenturbulenzen in China, Wachstumsschwäche in
Schwellenländern, Unsicherheiten in der Eurozone und
in Europa – wenn alles zusammenkommt, ist unsere wirt-
schaftliche Entwicklung nicht mehr sicher .

Deshalb glaube ich: Zusammenhalt, Stabilität und
Vertiefung der Europäischen Wirtschafts- und Währungs-
union ist in unserem vitalen Interesse . Der Kollege
Schäuble hat richtigerweise gefordert, dass sich die Mit-
gliedstaaten der Währungsunion an die Regeln halten
müssen; keine Frage. Aber zur finanziellen Stabilität des
Euroraums gehören ganz sicher auch die Harmonisierung
von Steuerbemessungsgrundlagen und eine weitgehende
Harmonisierung der Körperschaftsteuer . Dazu gehört üb-
rigens auch, dass wir nicht immer nur sehr klar wissen,
wie finanzielle Solidität organisiert wird, sondern endlich
genauso klar wissen, dass wir die zweite Säule brauchen .
Wir brauchen Klarheit darüber, wie Wachstum und Be-
schäftigung sowie Arbeit und Innovation in Europa fi-
nanziert werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daran mangelt es in Europa .

Meine Damen und Herren, für Deutschlands Stärke
im kommenden Jahrzehnt gibt es, glaube ich, wichtige
Grundwerte in unserer Republik . Wir dürfen uns nicht
abschotten oder abkehren von der internationalen Ent-
wicklung, nicht von Europa und nicht vom Nahen Osten
oder von Afrika . Das Signal, dass Deutschland Flüchtlin-
ge nicht abweist, sondern aufnimmt, ist übrigens ein Zei-
chen der Stärke, das unsere Partner in der Welt gut ver-
stehen . Jedenfalls international wird es klar verstanden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich müssen wir Fluchtursachen bekämpfen . Wir
müssen für Stabilität sorgen .

Gestern ist in der Debatte zu Recht, ich glaube, von
Frau Göring-Eckardt, auf die Rüstungsexportthemen
hingewiesen worden . Sie hat gesagt: Das dürft ihr nicht
machen . – Sie hat, glaube ich, zu mir gesagt, dass sie
mich am Handeln messen möchte . Deswegen habe ich
mir vorgenommen, heute dazu zumindest ein paar Be-
merkungen zu machen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist sie nicht da! Schade!)


– Da gibt es welche, die ihr das sicher erzählen werden .


(Heiterkeit bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie jetzt was sagen!)


Wenn ich fertig bin, könnte es sein, dass sie es ihr lieber
nicht erzählen .

Der Gesamtwert der Rüstungsexporte, Herr Krischer,
ist 2014 um 1,8 Milliarden Euro gesunken . Das sagt aber
eigentlich gar nichts über die Qualität von Rüstungs-
exporten aus .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Es können kleine Summen sein, weil Kleinwaffen
preiswert sind . Sie sind aber viel gefährlicher als viel-
leicht ein teures, großes Schiff .

Wir haben die Verkaufszahlen von Kleinwaffen, Herr
Krischer, halbiert, und wir haben den Rüstungsexport
in Entwicklungsländer ebenfalls halbiert . Die Top Vier
bei Kleinwaffen sind heute: NATO, EU, NATO-gleich-
gestellte Länder . 2015 haben wir in Deutschland den
Kleinwaffenexport so stark reduziert, dass für das erste
Halbjahr der geringste Wert seit 15 Jahren ausgewiesen
wird . Ehrlich gesagt, ich lasse mich bei dieser Bilanz
gern an meinem Handeln messen. Ich finde, das kann
noch besser werden, aber so schlecht wie in der Vergang-
enheit ist es in Deutschland Gott sei Dank nicht mehr .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Josef Göppel [CDU/CSU])


Die Große Koalition ist weit restriktiver als alle Vor-
gängerregierungen, deren Genehmigungen übrigens noch
immer zum Teil die Ausfuhrstatistik prägen . Ich gebe zu,
dass ich mich darüber ärgere, dass ich immer noch Aus-
fuhrgenehmigungen mittragen muss, die von Vorgänger-
regierungen erteilt wurden . Die Bilanz wäre noch besser,
wenn ich das nicht müsste. Allerdings finde ich es be-
sonders ärgerlich, wenn ausgerechnet Kollegen von den

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Grünen mich dafür kritisieren; denn ich habe jedenfalls
keine Lizenzen erteilt, Fabriken für deutsche Gewehre
in Spannungsgebieten zu errichten . Im Gegenteil: Wir
haben in der Bundesregierung mit unseren Kleinwaffen-
grundsätzen gerade beschlossen, dass es solche Lizenz-
fertigungen in Zukunft gar nicht mehr geben wird . Wir
haben Schluss gemacht mit dem Liefern und Vergessen .
Wir verschärfen die Endverbleibskontrolle vor Ort, und
wir haben keine Kampfpanzer für Regionen genehmigt,
in denen Krieg herrscht und aus denen die Leute fliehen.
Vorgängerregierungen haben das getan .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
schlimm genug, dass es auch eine rot-grüne Regierung
gewesen ist, die das gemacht hat. Ich finde es nur nicht
ganz fair, wenn ausgerechnet ich für die Politik kritisiert
werde, die wir gemeinsam mit Ihnen – ich nicht; ich war
nicht dabei, aber ein paar von Ihnen


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Joschka!)


damals gemacht haben . Deswegen würde ich doch herz-
lich darum bitten, dass wir in der Debatte anständig und
fair miteinander umgehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Statt Waffen brauchen wir einen neuen Nord-Süd-Di-
alog . Das fängt damit an, mehr Mittel für internationale
Hilfsorganisationen zur Verfügung zu stellen . Es ist ja
eine Schande, wie die derzeitige Lage in Syrien ist . Das
UN-Flüchtlingshilfswerk verzeichnet für Syrien eine Fi-
nanzierungslücke von 200 Millionen Euro . 65 Prozent
der notwendigen Kosten sind nicht gedeckt . Dem regio-
nalen Hilfsprogramm für syrische Flüchtlinge im Nahen
Osten fehlen 800 Millionen Euro – eine Unterfinanzie-
rung von 60 Prozent . Das Welternährungsprogramm für
Syrien ist ebenfalls zu 60 Prozent unterfinanziert. Das ist,
finde ich, eine große Schande für die internationale Staa-
tengemeinschaft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812100300

Herr Minister, darf ich Sie nur darauf aufmerksam

machen, dass Sie fröhlich die Redezeit Ihrer Fraktion
verbrauchen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das macht nichts! – Gegenruf des Abg . Thomas Jurk [SPD]: Das macht schon was!)


Ich habe damit überhaupt kein Problem, möchte nur ver-
meiden, dass Sie ein Problem mit Ihrer eigenen Fraktion
bekommen .


(Heiterkeit – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat er eh schon! – Hubertus Heil auch von der CDU!)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Herr Präsident, ich würde sagen: Solange die noch
klatschen, geht es .


(Heiterkeit – Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812100400

Dann wollen wir einmal abwarten, wie lange das an-

hält .

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Wenn es das einzige Problem bleibt, dann ist doch al-
les gut .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)


Ich will der Ermahnung gerne nachkommen .

Zwei abschließende Bemerkungen .

Ich glaube, dass wir neben der Hilfe in den Herkunfts-
ländern und den Nachbarstaaten dringend einen legalen
Zugang nach Europa und nach Deutschland brauchen .
Wir brauchen eine Alternative zu Schlepperbanden und
zu Menschenhändlern . Solange Menschen keine andere
Chance sehen, als über Schlepper und Menschenhändler
nach Europa zu kommen, werden wir das Elend an unse-
ren Grenzen nicht los . Migration lässt sich nicht verbieten
oder verhindern . Die Migration, wie wir sie jetzt haben,
wird stattfinden, auch auf lange Zeit. Was wir brauchen,
sind Wege geordneter Migration . Deswegen rate ich uns
dringend, in Deutschland das Thema Einwanderungs-
gesetz voranzutreiben und übrigens auch in Europa für
eine solche Politik zu werben .


(Beifall bei der SPD)


Ich fand die gestrigen Worte des EU-Kommissions-
präsidenten Jean-Claude Juncker bewegend und bin froh,
dass wenigstens ein erster Schritt getan wurde . Aber ich
finde, angesichts der Zahlen, die jetzt in Rede stehen,
muss man auch realistisch bleiben . Wenn Jean-Claude
Juncker 160 000 Flüchtlinge, die sich derzeit in Itali-
en und Griechenland aufhalten, auf die europäischen
Mitgliedstaaten gerecht verteilen will und Deutschland
noch einmal 31 000 davon aufnehmen soll, also 20 Pro-
zent, dann muss man die Zahlen ein bisschen einord-
nen: Deutschland hat bis vorgestern den Zugang von
450 000 Flüchtlingen registriert . Allein im August waren
es 105 000, und in den ersten acht Tagen des September
waren es bereits 37 000 . Vielleicht werden es im Sep-
tember mehr als 100 000 . Das zeigt, ehrlich gesagt, dass
die Umverteilung von 160 000 Flüchtlingen in Europa
ein erster Schritt ist, wenn man es freundlich bezeichnen
will . Man kann auch sagen: ein Tropfen auf den heißen
Stein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Damit darf nicht alles erledigt sein . Wenn wir Euro-
pa erhalten wollen, haben wir viel zu tun . Aber vor allen
Dingen muss Europa zeigen, dass es seine humane Ori-
entierung beibehält . Wir sind hier in Europa keine Zu-

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


gewinngemeinschaft, bei der man mitmacht, wenn man
Geld kriegt, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft .
Juncker hat den ersten Schritt getan; die Mitgliedstaaten
Europas müssen deutlich mehr Schritte tun .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812100500

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Roland

Claus das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812100600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Bundes minister Gabriel, Sie haben, wie ich finde, be-
rechtigterweise den Zusammenhang zwischen Ihrem Etat
und den aktuellen Flüchtlingsfragen beschrieben . Die
gute Absicht dabei will ich Ihnen auch nicht absprechen,
aber bei den Konsequenzen mangelt es erheblich .

Die gravierendste Ursache von Flucht und Vertreibung
sind bekanntlich Kriege . Vertreter der Koalition haben in
dieser Haushaltswoche zu Recht häufig gesagt, es gehe
darum, die Fluchtursachen zu überwinden . Für Krie-
ge benötigt man Waffen . Deutschland liefert nach wie
vor Waffen, auch in Kriegsgebiete . Zum Beispiel führt
Saudi-Arabien mit deutschen Waffen Krieg im Jemen .

Das Wirtschaftsministerium ist für Waffenexport-
genehmigungen zuständig, freilich nicht allein, aber
maßgeblich . Herr Bundesminister, Sie sind auf diesen
Vorgang eingegangen . Ich will Ihnen belegen, dass Sie
die Zahlen, die Sie ausgewählt haben, in Ihrem Sinne ge-
schönt haben .


(Beifall bei der LINKEN)


In der Welt vom 24 . Juni werden Sie, Herr Bundes-
minister, mit den Worten zitiert: Waffenexporte dürfen
„kein Mittel der Wirtschaftspolitik“ sein . Wie wahr . Fakt
ist aber – auch das ist nachzulesen –, dass im ersten Halb-
jahr 2015 Waffenexporte in Höhe von 6,5 Milliarden
Euro genehmigt wurden . Das sind genauso viele wie im
ganzen Jahr 2014, Herr Bundesminister . Das ist die
Wahrheit . Hier hilft es nicht, wenn Sie sich einzelne Zah-
len heraussuchen .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Jurk [SPD]: Sie können das ja mal mit 2012 oder 2013 vergleichen!)


Nachzulesen ist das im Spiegel vom 9 . August dieses
Jahres, und zwar in der Auswertung einer Anfrage mei-
nes Fraktionskollegen Jan van Aken . Der Spiegel vermu-
tet – ich denke, nicht zu Unrecht –, dass das Jahr 2015 ein
Rekordjahr deutscher Waffenexporte ist . Herr Minister,
konsequent im Sinne der Bekämpfung von Fluchtursa-
chen wäre es doch, zu sagen: Schluss mit den Waffenex-
porten! Verbieten Sie sie! Das wäre eine Konsequenz .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine zweite Konsequenz im Umgang mit dem Flücht-
lingsproblem wäre, sich mit Industrieverbänden und

Kammern dafür einzusetzen, dass Flüchtlinge und Asyl-
suchende schnell in Arbeit und Ausbildung kommen . Das
will die Industrie bekanntlich . Aber Sie wissen wie wir,
dass das Asylrecht, das Zuwanderungsrecht dem enge
Grenzen setzt . Sie müssten sich doch zusammen mit
Bundesministerin Nahles und den Vorschlägen, die der
Chef der Bundesagentur für Arbeit, Herr Weise, gemacht
hat, auf den Weg machen und ein großes Programm auf-
legen, um die Situation zu vereinfachen und Flüchtlingen
und Asylsuchenden den Zugang zu Ausbildung und Ar-
beit zu ermöglichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich höre immer, man solle die Regeln vereinfachen, man
solle entbürokratisieren . Das wäre genau die Stelle, bei
der Sie beginnen sollten .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linksfraktion hat zu diesem Problem Anfang
Juni eine Anhörung zum Thema „Industriepolitik in Ost-
deutschland“ durchgeführt . Dort hat die Bundesagentur
für Arbeit ihre Vorschläge vorgetragen . Wir wundern uns
schon darüber, dass diese Vorschläge nicht im großen Stil
aufgegriffen werden . Wir fordern Sie auf, hier etwas zu
tun .

Der Wirtschaftsetat, meine Damen und Herren, ist
nach wie vor zur Hälfte für die Subventionierung staats-
naher Monopolisten vorgesehen, insbesondere in der
Luft- und Raumfahrt . Das so hoch gepriesene Zentrale
Innovationsprogramm für den Mittelstand macht gerade
ein Drittel der Subventionen für die staatsnahen Monopo-
listen aus . Das ist keine vernünftige Mittelstandspolitik .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will noch ein Wort zur wirtschaftlichen Situation
in Ostdeutschland sagen . Ich freue mich darüber, dass der
Bundesminister heute auf dieses Thema eingegangen ist,
im Unterschied zu vorherigen Reden . Offenbar hat die
Kritik der Opposition doch einige Wirkung erzielt . Ich
habe bereits gesagt, dass wir im Juni zum Thema „Indus-
triepolitik in Ostdeutschland“ mit Expertinnen und Ex-
perten aus der Wirtschaft gesprochen und ihre Erkennt-
nisse wahrgenommen haben. Wir finden, dass es noch
immer eine große Reserve in diesem Land gibt . Ost-
deutsche Industrieunternehmen haben einen ungeheuren
Erfahrungsvorsprung beim Bewältigen von Transforma-
tionen, mit denen wir es in der Wirtschaft noch zu tun
haben werden . Wir fordern Sie auf: Nutzen Sie diese Er-
kenntnisse! Bringen Sie sie ein! Nutzen Sie sie auch für
eine gesamtdeutsche Entwicklung! Hier ist noch vieles
zu leisten .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf ver-
weisen, dass wir in Ostdeutschland ein großes Problem
mit dem hohen Anteil an Niedriglohn-, Zeitarbeits- und
Fristverträgen haben . Im Osten ist diese Gruppe der Be-
schäftigten trotz Mindestlohn nach wie vor etwa doppelt
so stark vertreten wie im gesamten Bundesdurchschnitt .
Da müssen endlich Änderungen auf den Tisch gebracht
werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Herr Bundesminister, Sie sagen häufig wohlklingen-
de Worte zur Energiewende . Sie haben ja auch die Zu-
ständigkeit für die erneuerbaren Energien . Wir möchten
Sie aber darauf hinweisen – das haben wir auf Anfrage
herausgefunden –, dass beim Umweltbundesamt die vor-
gesehenen Haushaltsmittel aus Ihrem Ministerium noch
immer nicht angekommen sind .

Also: Machen Sie nicht nur flotte Sprüche, sondern er-
ledigen Sie die Hausaufgaben! Und vergessen Sie nicht:
Die Fluchtursachen können Sie angehen, indem Sie Waf-
fenexporte einstellen und verbieten .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Völliger Quatsch!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812100700

Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Hubertus Heil Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie be Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 800 000 Flüchtlinge in 2015, das müssen wir uns einmal plastisch vorstellen: Das ist so viel, wie die Stadt Frankfurt am Main an Einwohnern hat . Das heißt, eine Stadt wie Frankfurt kommt neu zu uns . Das ist eine gewaltige Herausforderung für uns alle . Und machen wir uns nichts vor: Das ist nur eine Momentaufnahme . Denn wer garantiert uns denn, dass das am 1 . Januar 2016 nicht so weitergeht, wie es bis zum 31 . Dezember 2015 läuft? Wer sagt uns denn, dass wir nächstes Jahr nicht vor der gleichen Herausforderung stehen? Für uns alle bedeutet das eine gewaltige Kraftanstrengung . Wir müssen uns gemeinsam, und zwar in allen Bereichen dieses Landes, zusammenreißen und dafür sorgen, dass wir diese Herausforderung meistern . Dass so viele Leute eine Willkommenskultur zeigen, ist nur erfreulich und zeigt, wie reif unsere Demokratie ist und wie reif und auch wie reich unser Land ist, weil wir uns das leisten können . Die Flüchtlingsherausforderung meistern wir allerdings nur, wenn die deutsche Wirtschaft gut läuft . Machen wir uns bitte nichts vor: Ohne ein funktionierendes Wirtschaftssystem in Deutschland werden wir solche Herausforderungen nicht bewältigen können . Denn nur, wenn die Wirtschaft gut läuft, gibt es haushälterische Spielräume, die wir Gott sei Dank zurzeit haben und die uns in die Lage versetzen, diese Herausforderung ohne Neuverschuldung – dazu kann man dem Bundesfinanzminister nur gratulieren – zu meistern . Nur dann haben wir auch einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt und vor allen Dingen einen aufnahmefähigen Ausbildungsmarkt, sodass gerade die jungen Leute, die zu uns kommen, untergebracht werden können . Das Wichtigste aber ist für mich: Die gesellschaftliche Akzeptanz für den Zustrom der Flüchtlinge ist umso höher, je besser die wirtschaftli che Lage in Deutschland ist und je weniger sich die Einheimischen um ihren Arbeitsplatz Sorgen machen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1812100800

Volker Kauder hatte vollkommen recht, als er gestern
sagte: Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass die Wirt-
schaft weiterhin so gut läuft . – Ich bin ihm dafür dankbar .
Das muss für uns eine Mahnung sein, der wir nachkom-
men sollten .

Ich möchte an dieser Stelle einen Dreiklang nennen:
Erstens . Wir brauchen mehr Flexibilität und keinen zu-
sätzlichen bürokratischen Schnickschnack;


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!)


den können wir uns gerade in der jetzigen Situation nicht
leisten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens . Es darf zu keinen weiteren oder neuen Belas-
tungen für die Wirtschaft kommen . Drittens . Jeglicher
Rückenwind, den wir ihr geben können, ist wichtig .

Ich komme zu den einzelnen Punkten . Zur Flexibili-
tät . Wer als Flüchtling anerkannt ist, der sollte schnellst-
möglich hier arbeiten können . Das heißt, wir müssen die
Arbeitsagentur schon jetzt, und zwar im frühen Stadium,
in die Flüchtlingscamps, die es gibt, einbinden . Gleich-
zeitig müssen wir Leute finden, die wir einsetzen können,
um die Sprachkenntnisse zu verbessern . Da kann man
auch unkonventionelle Methoden anwenden . Man kann
zum Beispiel darüber nachdenken, ob wir Pensionäre
bitten, mitzuhelfen; das ist ja durchaus denkbar . Wenn
wir das nicht schaffen, dann werden wir das Problem
auch nicht gelöst bekommen . Ohne Sprachkenntnisse
wird es nicht gehen .

Aber auch die Unternehmen müssen ein Stück weit
Flexibilität zeigen . Wir können nicht erwarten, dass jeder
hannoverisches Hochdeutsch spricht .


(Zuruf des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Krischer, Sie können das nicht . Deswegen regen
Sie sich nicht auf .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hannoveranisch kann ich nicht! Das gebe ich zu!)


Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung am
Wochenende zum Beispiel beschlossen hat, dass es ei-
nen erleichterten Zugang von Flüchtlingen zur Zeitarbeit
gibt . Ich halte das für richtig; denn die Zeitarbeit ist im-
mer eine vernünftige Brücke in den ersten Arbeitsmarkt
gewesen und ist gerade für Flüchtlinge eine Chance . Das
gilt aber auch für Werkverträge . – Jetzt ist die Ministerin
nicht da; aber Sie werden es ihr bestimmt ausrichten: Wir
brauchen hier keine Verschärfungen . Die Überlegungen,
die es im BMAS gibt, lassen wir lieber in der Schublade .
Zurzeit brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt mit Sicher-
heit keine neuen Hürden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


Zur notwendigen Flexibilität gehört auch der ziel-
genaue Einsatz der Angestellten und Beamten . Ich bin
einem SPD-Kollegen dankbar, der einmal nachgefragt
hat, was denn mit den ganzen Zöllnern passiert, die zum
1 . Januar ihre Arbeit aufgenommen haben, um die Ein-
haltung des Mindestlohns zu kontrollieren . Wir sollten
uns die Zahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen:
Es sind 24 970 Betriebe überprüft worden . Nun raten
Sie einmal, was man dabei festgestellt hat . – In 146 Fäl-
len wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet . Das heißt,
0,58 Prozent der überprüften Unternehmen haben sich
nicht an den Mindestlohn gehalten .


(Zurufe von der SPD)


Prima vista, und die Einleitung eines Verfahrens bedeutet
ja nicht, dass wirklich etwas falsch gemacht wurde . Das
muss erst einmal bewiesen werden . – Das zeigt also, dass
wir hier vielleicht einen Fehler gemacht haben und die
1 600 Zöllner vernünftiger einsetzen können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich halte es deswegen für völlig richtig, dass Wolfgang
Schäuble gesagt hat: Die nächsten 400 Zöllner stellen
wir nicht für die Kontrolle des Mindestlohns ein, weil
wir ein Misstrauen gegenüber den Unternehmen nicht
in dem Maße begründen können, wenn es maximal um
0,58 Prozent geht, sondern schicken wir zum BAMF und
sorgen dafür, dass die Integration und die Asylverfahren
beschleunigt werden . Genau das ist der richtige Weg .
Hier sollten wir umdenken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen auch bei den Prinzipien des Asylrechts
klare Kante zeigen . Ich bin dafür, dass wir das Asylrecht
so beibehalten, wie es ist . Es muss und darf in keiner
Weise infrage gestellt werden . Wirtschafts- und arbeits-
marktpolitische Aspekte müssen sich einer stringenten
Asylpolitik unterordnen . Dazu gehört auch eine konse-
quente Abschiebepraxis .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Derjenige, der langfristig kein Bleiberecht und kein
Asylrecht in Deutschland bekommen kann, weil er aus
einem sicheren Herkunftsland kommt, der muss zurück-
geführt werden, und zwar nicht erst nach sechs Monaten,
sondern so schnell es geht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist, über das
Thema Arbeitsmarktzuwanderung zu diskutieren, wenn
wir über 500 000 Leute noch nicht integriert haben . Wir
sollten uns da sehr zurückhalten und jetzt keine Diskus-
sion darüber führen, weil das momentan nicht zielfüh-
rend wäre .

Auch bei allen anderen Entscheidungen, die wir tref-
fen müssen, sollten wir uns fragen: Nützen oder schaden
sie der Wirtschaft? Lieber Herr Minister, ich denke da
an Gesetzgebungsvorhaben, über die wir in nächster Zeit
heftig zu diskutieren haben werden, gerade zum Thema
Energiepolitik . Sie haben eben selbst davon gesprochen:

Mir macht der Kostenanstieg bei der Energiepolitik er-
hebliche Sorgen .


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden ganz sicher deutliche Kostenerhöhungen
beim Netzausbau haben . Wir werden für die Kapazitäts-
reserve Geld zahlen müssen . Machen wir uns nichts vor:
Das geht nicht kostenlos .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die wollten Sie doch! Das ist ja echt unglaublich!)


All das wird über den Strommarkt und über den Strom-
preis zu finanzieren sein.

Meine Damen und Herren, machen wir uns bitte nichts
vor: Wir haben schon heute die höchsten Strompreise der
Welt .


(Thomas Jurk [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


Schauen wir einmal auf die USA . Die Amerikaner haben
sich vorgenommen, über niedrige Energiepreise ihren
industriellen Standort zu reindustrialisieren . Es kommt
zu einer Welle von Einwanderungen großer Firmen in die
USA, weil die Energiepreise so fantastisch niedrig sind,
dass es sich für sie lohnt, wegzugehen . Das darf uns nicht
passieren . Vor allem darf nicht passieren, dass dadurch
Wertschöpfungsketten kaputtgemacht werden . Hier sind
wir gefordert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich denke auch, dass wir bei der Klimapolitik vor-
sichtig sein müssen; denn der Emissionshandel muss
zumindest auf dem europäischen Feld so sein, dass wir
das berühmte Level Playing Field erhalten und dass wir
keine zusätzlichen Kosten für unsere Unternehmen ver-
ursachen, die andere Unternehmen in Europa nicht zu
tragen haben . Auch bei sozialpolitischen Entscheidungen
müssen wir sehr vorsichtig sein . Die Rente mit 63 ist kein
Renner . Es sind zwar sehr viele in die Rente gegangen –
insofern ist es schon ein Renner –; aber es ist insofern
schlecht, dass gerade die, die jetzt so früh in Rente ge-
gangen sind, als Leistungsträger und auch als Ausbilder
in den kleineren Betrieben wegfallen . Genau die Leute
könnten wir zurzeit gut brauchen .


(Beifall der Abg . Dr . Kristina Schröder Das war kein Erfolgsmodell . Für mich gilt natürlich, dass wir alles tun müssen, um der Wirtschaft Rückenwind zu geben . Ich bin froh, dass der Bundesverkehrsminister höhere Investitionen in die Infrastruktur und auch in die Digitalisierung vornimmt . Das ist richtig . Last but not least muss es unser Ziel sein – Herr Minister, wir sollten gemeinsam daran arbeiten; ich weiß, dass Sie da voll auf unserer Seite stehen –, TTIP voranzutreiben . Ich ärgere mich darüber, mit welcher Ver Dr. Michael Fuchs ve in Deutschland NGOs wie Campact etc . gegen TTIP kämpfen . (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei mir zu Hause kämpft die CDU dagegen!)


(Wiesbaden) [CDU/CSU])





(A) (C)


(B) (D)


Ich frage mich allerdings auch, woher diese Herrschaften
überhaupt das Geld bekommen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Frage!)


Wir sollten da mal über Transparenz diskutieren . Es wäre
ja ganz nett, wenn wir von denen die Transparenz erhal-
ten würden, die sie von uns permanent erwarten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da ich gerade bei TTIP bin, möchte ich gerne ein Bei-
spiel dafür nennen, wie positiv ein Freihandelsabkom-
men wirken kann . Die EU hat vor drei Jahren mit Korea
ein Freihandelsabkommen geschlossen . Das ist für uns
Deutsche eine dicke Erfolgsstory . Wir haben innerhalb
von drei Jahren fast 32 Prozent mehr Exporte nach Korea
erreicht . Ich weiß, dass die Automobilindustrie am An-
fang Angst davor hatte . Wenn man heute über koreani-
sche Straßen fährt, dann stellt man fest, dass dort gerade
unsere teuren Autos sehr präsent und überall vertreten
sind . Das heißt: Das Freihandelsabkommen ist ein Er-
folgsmodell .

Warum soll das nun mit den Amerikanern anders
laufen? Wir haben 176 Abkommen geschlossen . Diese
176 Abkommen machen einen Großteil unseres Erfol-
ges aus . Das wird bei einem Abkommen mit der größten
Wirtschaftsmacht genauso sein . Insofern hoffe ich, dass
das schnell passiert . Am besten wäre es, unser Abkom-
men mit den Amerikanern würde vor dem Freihandels-
abkommen geschlossen, das die Amerikaner zurzeit mit
den Asiaten aushandeln . Denn eines steht fest: Wenn mit
den Asiaten Standards gesetzt sind, dann wird man uns
vermutlich von amerikanischer Seite sagen: Wir haben
mit 1,8 Milliarden Menschen ein Freihandelsabkommen
geschlossen; da müsst ihr 500 Millionen Europäer euch
schon an diese Standards angliedern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da ist also dringender Handlungsbedarf gegeben . Ich
würde mir wünschen, dass das schnell vorangetrieben
wird .

Bei allen Herausforderungen der aktuellen Flücht-
lingswelle gibt es auch Chancen . Ich sehe die Chance da-
rin –die Bundeskanzlerin hat das in ihrer Rede gesagt –,
dass wir ein Stück weit entbürokratisieren, wieder flexi-
bler werden und die Verkrustungen, die wir uns mittler-
weile geleistet haben, aufbrechen . Ich will ein Beispiel
nennen: Wer aus Syrien geflohen ist, der braucht kein
Lärmschutzgutachten, wenn er neben einer Tischlerei
wohnt . Wer in eine neue Unterkunft kommt, der braucht
nicht unbedingt den allerletzten Energieeffizienzstan-
dard . Wir haben uns über die Jahre Dinge geleistet, die
alle schön sind – „nice to have“, wie es so schön heißt –;
aber wir können uns das in dieser Phase nicht leisten .
Wenn wir das eine oder andere jetzt auf den Prüfstand
stellen, dann kann das durchaus ein Programm sein, das

sich für uns alle lohnt . Ich glaube, dass wir das schaffen
können . Wir sollten die Verkrustungen, die wir haben,
aufbrechen, und wir sollten jetzt gemeinsam Lösungen
finden, die der Wirtschaft helfen, die schwierigen Auf-
gaben zu lösen .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812100900

Zu einer klarstellenden Erklärung zur Aussprache

nach § 30 unserer Geschäftsordnung erhält nun der Bun-
deswirtschaftsminister noch einmal kurz das Wort .

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Herr Kollege Claus, Sie haben mich persönlich an-
gegriffen und gesagt, ich hätte im ersten Halbjahr 2015
Lieferungen von Waffen in einer Größenordnung von
über 6 Milliarden Euro vor allen Dingen in Spannungs-
gebiete genehmigt . Sie haben Saudi-Arabien genannt .
Ich will nur zur Klarstellung sagen: Dieser Betrag – das
weiß Ihr Kollege, weil wir ihm korrekt geantwortet ha-
ben – ist deshalb so hoch, weil darin allein 1,1 Milliarden
Euro für Tankflugzeuge enthalten sind, aber für Großbri-
tannien, und auch ein U-Boot für Israel . So zu tun, als
sei der übergroße Teil der Lieferungen im Umfang von
6 Milliarden Euro in Spannungs- und Kriegsgebiete ge-
gangen, weise ich ausdrücklich zurück .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812101000

Herr Kollege Claus .


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812101100

Herr Bundesminister, wenn Sie in Ihrer Rede nicht so

vollmundig und so selbstgefällig auf die Waffenlieferun-
gen eingegangen wären,


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Langsam! – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Jetzt ist aber gut!)


wäre die Kritik nicht so klar ausgefallen . Aber Fakt
ist: 6,5 Milliarden Euro im gesamten Jahr 2014 stehen
6,5 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2015 gegenüber .
Das ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung,
nachzulesen im Spiegel.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja Quatsch, was Sie da veranstalten!)


Das können Sie nicht wegreden, indem Sie hier einen
Einzelposten hervorheben .


(Widerspruch bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb sage ich noch einmal an Ihre Adresse gerichtet:
Ein Stopp der Rüstungsexporte wäre der richtige Weg

Dr. Michael Fuchs






(A) (C)



(B) (D)


und nicht die Rechtfertigungsversuche, die Sie hier un-
ternehmen .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dass Sie was gegen Israel haben, das wissen wir ja!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812101200

Nun hat der Kollege Hubertus Heil das Wort .


(Zurufe von der SPD: Nein!)


– Nein? – Entschuldigung .


(Volker Kauder [CDU/CSU], an Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gewandt: Jetzt ignoriert Sie schon der Präsident!)


Zunächst hat der Kollege Oliver Krischer das Wort, da-
nach der Kollege Heil .


(Hubertus Heil Schönheit, Herr Präsident!)



Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812101300

Herr Präsident, ich hoffe, ich muss das nicht persön-

lich nehmen . Aber der Kollege Heil redet, glaube ich,
auch gerne nach mir .

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gabriel, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie hier klare
Worte zum Thema Flüchtlinge, zum Thema Integration
und zum Thema Einwanderung gefunden haben . Ich
kann mich erinnern, dass sich der Privatmann Sigmar
Gabriel vor nicht allzu langer Zeit in Debatten noch ganz
anders geäußert hat . Ich begrüße es, dass Sie offensicht-
lich einen Erkenntnisgewinn haben . Ich hoffe, dass sie
angesichts der Herausforderungen, vor denen wir hin-
sichtlich der Integration der Flüchtlinge stehen, Führung
zeigen – gerade Sie als Wirtschaftsminister haben hier
eine herausragende Aufgabe –,


(Hubertus Heil billige Nummer!)


indem Sie dafür sorgen, dass die Menschen, die in unser
Land kommen, eine Perspektive haben, indem Sie klar-
machen, dass Flüchtlinge aufgrund des demografischen
Wandels eine Chance für unser Land sind . Ich hoffe, dass
der Wirtschaftsminister hier, anders als manche Populis-
ten – dafür ist Herr Seehofer zuständig –, klare Kante
zeigt und eine vernünftige Politik macht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wozu Sie überhaupt nichts gesagt haben, Herr Minis-
ter Gabriel, ist das Thema Investitionen . Das wundert
mich ehrlich gesagt; denn wir alle wissen, dass es in un-
serem Land sowohl im staatlichen als auch im privaten
Sektor ein riesiges Defizit bei den Investitionen gibt. Sie
haben mit großem Tamtam die Fratzscher-Kommission
ins Leben gerufen, die vor ein paar Monaten ihre Ergeb-
nisse vorgestellt hat . Ich würde nun erwarten, dass der
Wirtschaftsminister unseres Landes im Zuge der Haus-

haltsberatungen sagt, was jetzt passiert . Aber darüber ha-
ben Sie kein einziges Wort verloren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil chen zuhören!)


Wir haben nachgefragt: Was wird denn nun aus den Er-
gebnissen der Fratzscher-Kommission? Die Antwort ist:
Die Bundesregierung prüft . – Ja, meine Damen und Her-
ren, es wundert schon, dass Sie angesichts der Investiti-
onsschwäche, die wir haben, einen Haushalt vorlegen, in
dem die Investitionen weiter zurückgehen,


(Hubertus Heil und dass die ohnehin schon verfehlte OECD-Quote in der mittelfristigen Finanzplanung noch weiter abgesenkt wird . (Hubertus Heil Das ist nicht nachhaltig, das ist nicht zukunftsfähig . Das macht den Erfolg, den wir im Moment haben, in Zukunft kaputt . Sie haben viele Punkte angesprochen; ich möchte einen herausgreifen . Sie haben über die Digitalisierung der Wirtschaft gesprochen . Was genau Sie vorhaben, habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden . Aber eines ist doch klar: Wir bekommen in Deutschland nicht einmal die Basics der Digitalisierung hin . Vom unzureichenden Breitbandausbau will ich gar nicht reden . In ländlichen Regionen beklagen sich die Unternehmen ständig, dass sie deswegen ihre Geschäfte nicht richtig betreiben können . Aber was ist mit dem kostenlosen Zugang zu WLAN? Das haben uns einige Länder voraus . Sie verhindern mit Ihrer Politik und dieser absurden Regelung zur Störerhaftung, dass es in unserem Land endlich überall und flächendeckend kostenloses WLAN gibt . In anderen Ländern gibt es das längst . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch ein Treppenwitz der Geschichte, dass eine
Graswurzelbewegung namens Freifunk nun ein Problem
löst, wozu Sie als Regierung nicht in der Lage sind . Ich
sage an dieser Stelle ganz deutlich: Danke Freifunk!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum Thema „Energiewende und Klimaschutz“ . Den
Klimaschutz haben Sie einmal erwähnt, nur am Rande,
und das trotz über 20 Minuten Redezeit . Vor zwei Jahren
habe ich gelesen, das Management der Energiewende sei
für Sigmar Gabriel der Weg zur Kanzlerschaft . Von einer
erfolgreichen Energiewende sind wir genauso weit ent-
fernt wie von der Kanzlerschaft von Sigmar Gabriel . Der
Zusammenhang trifft zu, aber im Negativen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage mich: Wo im Haushalt spiegelt sich die Energie-
wende wider? Wo spiegelt sich all das wider, was wir in
Sachen Klimaschutz im Vorfeld der Konferenz in Paris

Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


tun müssen? Das ist alles viel zu wenig . Das ist dieser
globalen Herausforderung nicht angemessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ganz offen gesagt: Was haben wir in der Zeit der
Großen Koalition in Sachen Energiewende eigentlich
gemacht?


(Bernd Westphal [SPD]: Eine Menge!)


Sigmar Gabriel hat einen einzigen relevanten Gesetzent-
wurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, den Ent-
wurf einer EEG-Novelle, der vor einem Jahr verabschie-
det worden ist . Das Ergebnis dieser EEG-Novelle ist: Die
Biogasbranche ist tot . Beim Solarausbau liegen wir weit
unterhalb der Korridore . Im Bereich Windenergie gibt es
einen Schlussverkaufseffekt, und kein Mensch weiß, wie
es nach 2017 in dieser Branche weitergeht; das wird Ih-
nen jeder bestätigen . Sie machen Ausschreibungen, die
eines beweisen: Es wird teurer und bürokratischer . Die
Bürgerenergiewende wird ausgebremst . Dazu sage ich:
Die Abrissbirne der Energiewende funktioniert ganz of-
fensichtlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei allen anderen Themen kommt überhaupt nichts im
Bundestag an . Wir diskutieren über Strommarktdesign .
Es gibt Grünbücher, Weißbücher, Gelbbücher, was weiß
ich alles . Es gibt ein Vertragsverletzungsverfahren der
EU-Kommission bezüglich der Energieeffizienz. Es gibt
etliche Projekte, zum Beispiel das Kraft-Wärme-Kopp-
lungsgesetz . Herr Post, es wurde vor einem Jahr ange-
kündigt, hundertmal versprochen, aber es liegt nichts vor .
Sie simulieren, Politik zu machen . Das Ministerium kün-
digt an und formuliert Überschriften . Vielleicht erstellen
Sie das eine oder andere bunte Konzept; aber hier, wo die
Musik spielt, im Bundestag, kommt am Ende nichts an .


(Thomas Jurk [SPD]: Das stimmt doch nicht! So ein Quatsch!)


Das ist genau das Problem . Sie simulieren an dieser Stel-
le Politik, aber die notwendigen Entscheidungen werden
nicht getroffen . Sie erwecken den Eindruck, dass Sie et-
was tun, aber in der Praxis passiert nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An einer Stelle wäre es mir lieber, wenn nichts pas-
sieren würde . Aus dem sinnvollen Instrument der Koh-
leabgabe haben Sie das exakte Gegenteil gemacht – man
hätte auch etwas anderes vorschlagen können –: Wir stei-
gen jetzt, just zu dem Zeitpunkt, zu dem wir es geschafft
haben, endlich die Subventionierung des Steinkohleber-
gbaus zu beenden, in die Subventionierung der Braun-
kohle ein . Es ist doch ein Treppenwitz, dass Deutschland
vor der Konferenz in Paris anfängt, die Braunkohle zu
subventionieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das hat nichts mit Energiewende zu tun . Das hat nichts
mit Klimaschutz zu tun . Das ist die Zementierung der
Vergangenheit .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812101400

Lieber Herr Krischer .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812101500

Wir sollten eigentlich aus den Defiziten der Subven-

tionierung des Steinkohlebergbaus gelernt haben . Das
wäre eine richtige Botschaft, die der Wirtschaftsminister
vermitteln müsste . Das tut er aber nicht .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812101600

Und nun erhält der bereits angekündigte Kollege Heil

das Wort für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1812101700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! In fünf Minuten Redezeit einige Sätze
zu meinen Vorrednern:

Erstens . Herr Claus, das Notwendige zum Thema Rüs-
tungsexporte hat der Minister selbst klargestellt . Winston
Churchill wird folgendes Zitat zugeschrieben: Glaube
nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast . – Wenn Sie
Durchschnittszahlen nehmen und sie nicht unterlegen,
wenn Sie nicht sagen, worum es geht, um Ihre Argumen-
tation zu bekräftigen, dann ist das nicht nur wahrheits-
widrig, sondern dann steckt im Kern auch eine ideolo-
gische Lüge dahinter . Das müssen Sie sich sagen lassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Roland Claus [DIE LINKE]: Was Sie mir jetzt vorwerfen, trifft aber auch auf den Minister zu!)


Zweitens . Geschätzter Kollege Fuchs, eine Bitte habe
ich für diese Debatte: Das Flüchtlingsthema ist mir zu
wichtig, um hier alte ideologische Debatten über den Ar-
beitsmarkt zu führen . Das muss ganz klar sein .


(Beifall bei der SPD)


Es kann nicht sein, dass diese Herausforderung zum Vor-
wand genommen wird, um alles, was man schon immer
richtig gefunden hat, hier auf die Tagesordnung zu set-
zen .

Worum geht es praktisch? Wir haben einen großen
Konsens in der Koalition, dass wir das gemeinsam schaf-
fen wollen, dass wir die Stärke dieses wirtschaftlich
starken und mitfühlenden Landes aktivieren wollen, um
diese Riesenherausforderung bewältigen zu können, um
die – wie hat der Minister das genannt? – dreifache Inte-
grationsaufgabe leisten zu können: Erstens soll die große
Zahl derjenigen, die hier eine Perspektive haben, die das
Recht haben, dauerhaft hier zu bleiben – nicht alle haben
das Recht, hier dauerhaft zu bleiben –, integriert werden .
Dafür haben wir alles zu tun . Zweitens müssen wir un-
sere Gesellschaft während dieses Prozesses zusammen-
halten . Drittens müssen wir Europa zusammenhalten und
auch auf dieser Ebene für Integration sorgen .

Oliver Krischer






(A) (C)



(B) (D)


Das sind die drei Integrationsaufgaben, die wir haben . Da
ist die Investition in Sprache, in den Zugang zum Arbeits-
markt etwas, Herr Kollege Fuchs, was wir gemeinsam
sehen . Was aber nicht passieren darf, ist, dass in der deut-
schen Bevölkerung der Eindruck erweckt wird, dass das
zum Vorwand für eine Deregulierung am Arbeitsmarkt
führt, damit mit Billiglohnkräften hier gesellschaftlicher
Unfrieden gestiftet wird .


(Beifall bei der SPD – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wir haben doch den Mindestlohn gemacht!)


Das muss ganz klar sein . Wenn das Konsens ist, dann
ist das an dieser Stelle gut . Deshalb habe ich den Zu-
sammenhang mit den Kontrollen beim Mindestlohn nicht
ganz begriffen . Aber das besprechen wir vielleicht noch
einmal .


(Beifall bei der SPD – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Völlig überzogen!)


Lieber Kollege Krischer, ich weiß nicht, womit Sie
sich vor den Debatten immer betanken . Das muss irgend-
ein Zaubertrank sein .


(Heiterkeit bei der SPD)


In der kurzen Redezeit so eine Suda von Polemik und
Unterstellungen loszulassen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Polemik? Ich war ausgesprochen nett heute!)


ist vielleicht dem innerparteilichen Wettbewerb um die
Listenplätze der Grünen beim nächsten Mal geschuldet .
Aber mit der Sache hat es wenig zu tun .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich sage noch einmal: Wir können uns damit auseinan-
dersetzen .

Wir haben in dieser Legislaturperiode energiepolitisch
eine ganze Menge vorgelegt, nicht nur die EEG-Reform .
Sie wissen ganz genau, dass jetzt ein sehr großes Paket
vor uns steht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kündigen Sie seit einem Jahr an! Es kommt aber nichts!)


Sie werden genug Gelegenheit haben, Ihre Kompetenz
in der Energiepolitik, die Sie zweifelsohne haben, außer-
halb der Polemik in diesem Hause unter Beweis zu stel-
len . Da können Sie sich ein bisschen mehr austoben als
mit solchen Reden .


(Beifall bei der SPD)


Der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen
Stärke und der Bewältigung der Aufgaben, die wir jetzt
vor uns haben, liegt in der Frage, dass wir uns eben nicht
zurücklehnen, sondern dass wir investieren .

Herr Kollege Krischer, Sie haben die Fratzscher-Kom-
mission angesprochen . Zweifelsohne hat dieses starke
Land eine ganze Menge zu tun, zu investieren, damit es
auch langfristig ein starkes Land bleibt . Das betrifft öf-

fentliche Investitionen, das betrifft privatwirtschaftliche
Investitionen . Sie haben gesagt, da täte diese Bundes-
regierung nichts – eine glatte Unwahrheit . Schauen Sie
einmal in den Haushalt! Schauen Sie sich an, was wir
getan haben, um Kommunen zusätzlich zu entlasten! Wir
werden jetzt dafür sorgen, dass den Kommunen durch die
Flüchtlingshilfe gezielt geholfen wird, damit diese Ent-
lastung nicht wieder aufgefressen wird . 60 Prozent der
öffentlichen Investitionen sind kommunale Investitionen .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch endlich!)


Diese zu stärken und zu stützen, damit wir tatsächlich
eine gute Infrastruktur, eine gute Daseinsvorsorge vor
Ort haben, ist auch wirtschaftlich vernünftig und im In-
teresse von kleinen mittelständischen Unternehmen in
diesem Land .


(Beifall bei der SPD)


Genau das tun wir mit den zusätzlichen Paketen, die wir
beschlossen haben, mit den 5 Milliarden Euro, die wir
in diesem Jahr für die kommunale Entlastung zur Verfü-
gung stellen .


(Beifall bei der SPD)


Zusätzlich unterstützen wir finanzschwache Kommu-
nen, die strukturelle Probleme haben . Wir haben die Mit-
tel im Bereich der Infrastruktur deutlich erhöht . Wir ha-
ben zusätzlich 4,3 Milliarden Euro für Verkehrswege und
digitale Infrastruktur . Auch das kann sich sehen lassen .

Nicht zuletzt bei Bildung und Forschung haben wir
einen Rekordhaushalt, über den wir gleich noch reden
werden . Es gibt über 16 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung in diesem Land .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden hier über Wirtschaft!)


Es geht nicht nur um physische Infrastruktur, sondern es
geht um die Potenziale, die wir im Bereich Bildung und
Bereich Forschung in diesem Land heben .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Investitionsquote geht zurück!)


– Nein, wir investieren mehr . Das kann man auch nicht
verfälschen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die Zahlen von Herrn Schäuble!)


Sie haben gefragt, was wir für Energieeffizienz tun.
Wir haben in diesem Haushalt zusätzlich 1,2 Milliarden
Euro für Energieeffizienz.

Herr Kollege Krischer, ich weiß nicht, ob Sie evange-
lischer oder katholischer Christ sind – an was Sie glau-
ben, ist Ihre private Sache –, aber auch für Sie gilt der
Satz: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen
Nächsten,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht!)


Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


was die Frage der Investitionsquoten in diesem Haushalt
betrifft .


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht nicht einmal der Koalitionspartner! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Quote geht wirklich zurück!)


Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, Deutschland ist ein starkes und mitfühlendes Land .
Wir haben eine ganze Menge vor uns, damit dieses Land
wirtschaftlich stark bleibt und damit es die Aufgaben
in der Welt, die vor uns stehen, auch bewältigen kann:
ob es die Frage der Digitalisierung ist, die Frage der
Fachkräfte sicherung, die Frage der Energiewende und
auch die Frage, wie wir uns als exportorientiertes Land
international aufstellen .

Dieses Land hat alle Chancen, das zu schaffen . Die
Voraussetzungen sind ausgezeichnet . Wer aber, wie zu-
mindest die Linkspartei, in diesem Land so tut, als sei
Deutschland auf dem Weg in die Verelendung, der ist
nicht nur am Lebensgefühl der Menschen vorbei, son-
dern auch an der Realität . Es geht darum, berechtigte
Hoffnungen zu machen und ohne Träumereien die harten
Aufgaben anzugehen . Wir können das schaffen . Diese
Bundesregierung leistet einen Beitrag, dass wir auf die-
ses Land wirtschaftlich stolz sein können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812101800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812101900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Kollege Heil, wir würden den Weg in die
Verelendung propagieren oder so tun, als wäre – Woher
haben Sie das? Sie werfen hier dem Kollegen Krischer
Polemik vor . Wenn es nicht die höchste Form der dum-
men Polemik war, so einen Quatsch zu erzählen, dann
weiß ich es wirklich nicht mehr . Ein Linker vertritt nie
eine solche Position .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Fuchs, Stichwort TTIP: Jetzt fahren Sie doch
einmal nach Korea, dann sehen Sie dort deutsche Autos,
fahren Sie nach Japan, dann sehen Sie dort deutsche Au-
tos . Warum Handelsabkommen?


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Korea war schon richtig!)


Schauen Sie einmal, wir waren doch zusammen in China .
Haben wir ein Freihandelsabkommen mit China? Nein .
Was haben wir dort gesehen? VW, Audi . Was sehen wir,
wenn wir in den USA sind? Deutsche Autos . Sie tun ja
so, als wäre der Export der Bundesrepublik tot, wenn es
kein TTIP gibt . Sie wissen, dass es bei TTIP um etwas

anderes geht . Es geht darum, die Regeln nach unten zu
drücken . Deshalb sind wir gegen TTIP, Herr Fuchs .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn! So ein Quatsch!)


Herr Minister, Sie haben natürlich die positive Ent-
wicklung Deutschlands angesprochen . Da sind wir uns
einig . Ja, Wachstum toll, Beschäftigung gut, Steuermeh-
reinnahmen . Aber einige Punkte müssen wir schon noch
aufgreifen .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Herr Ernst!)


Der erste Punkt ist: Wir haben Exportüberschüsse, die
den Zusammenhalt Europas gefährden . Das wissen Sie .
Jetzt kann man natürlich Exportweltmeister sein . Das ist
nicht schlimm, im Gegenteil . Wir sind nicht gegen Ex-
porte – das werfen Sie uns ja auch immer vor –, aber wir
sind dagegen, dass wir zu wenig Importe haben . Darü-
ber müssen wir reden . Warum haben wir zu wenig Im-
porte? Weil die Lohnentwicklung in der Bundesrepublik
Deutschland in den letzten zehn Jahren eben nicht mit
der wirtschaftlichen Entwicklung mitgehalten hat, weil
die Löhne von der wirtschaftlichen Entwicklung abge-
koppelt wurden . Deshalb ist natürlich zu wenig Kauf-
kraft in der Bundesrepublik vorhanden, übrigens auch zu
wenig Mittel für Investitionen und auch dafür, dass wir
genügend Importe haben . Dazu habe ich – das tut mir
leid – in Ihrem Vortrag überhaupt nichts gehört .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kreditanstalt für Wiederaufbau sagt:

. . . der Staat vernachlässigt mit den langjährig ne-
gativen Nettoinvestitionen in die Infrastruktur eine
seiner ökonomischen Kernaufgaben .

Viel zu wenig Initiative . Sie wissen: Was Sie machen, ist
ein Tropfen auf den heißen Stein . Auch mit diesem Haus-
halt bleibt das Investitionsvolumen weit hinter den An-
forderungen zurück; das wissen Sie . Warum? Weil sich
diese Bundesregierung nicht traut, die wirklich Reichen
über angemessene Steuern für das Gemeinwohl heranzu-
ziehen . Das ist das Problem .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist der Kern!)


Wenn die CSU diskutiert, die Erbschaftsteuer sogar
ganz abzuschaffen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das
ist ein sehr interessanter Vorschlag . In der Bayerischen
Verfassung heißt es wörtlich:

Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zwecke, die
Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen
einzelner zu verhindern .

Schlau waren die Bayern damals bei der Formulierung
ihrer Verfassung .


(Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Ein wenig dieser Klugheit würde ich ihnen heute wün-
schen .


(Beifall bei der LINKEN)


Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


Wenn Sie als bayerische Abgeordnete einer Abschaf-
fung der Erbschaftsteuer wirklich zustimmen und dieses
Vorhaben vorantreiben, kann ich Ihnen sagen: Dann sind
Sie ein Fall zumindest für den bayerischen Verfassungs-
schutz . Der müsste sich dann um Sie kümmern .


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei ist es dringend notwendig, die massive Un-
gleichheit in Deutschland anzugehen . Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung sagt: Das reichste Tau-
sendstel der Deutschen besitzt 17,3 Prozent des Netto-
vermögens .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: 10 Prozent zahlen über 50 Prozent der Steuern!)


Ein Tausendstel! Die untere Hälfte, also 50 Prozent der
Deutschen, müssen sich mit 2,5 Prozent des Nettover-
mögens begnügen . Da wäre es doch tatsächlich eine
Möglichkeit, diese Gruppe von Superreichen zumindest
ein wenig mehr bei der Finanzierung des Gemeinwohls
heranzuziehen . Aber da scheuen Sie sich, da trauen Sie
sich nicht heran .

Das führt dazu, dass Sie dann bei der Frage der Finan-
zierung der öffentlichen Infrastruktur auf ganz absurde
Ideen kommen . Herr Krischer hat darauf hingewiesen .
Sie kommen auf die Idee, die Privaten sollen doch bitte
die öffentlichen Aufgaben übernehmen und die öffent-
liche Infrastruktur finanzieren. Glauben Sie eigentlich,
dass die das umsonst machen? Die machen das nur gegen
Rendite, und zwar gegen ausreichende Rendite . Weil Sie
ihnen das Geld, das sie zu viel haben, nicht abschöpfen,
versuchen sie natürlich, das Geld gewinnbringend anzu-
legen . Das gelingt ihnen zurzeit nicht so richtig . Also will
der Staat diesen hohen Vermögen auch noch die Rendite
garantieren . Deshalb machen Sie diese Förderung von
öffentlich-privaten Partnerschaften bei der öffentlichen
Infrastruktur .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)


Die Zeche zahlt der Bürger über höhere Steuern, weil
er die Rendite finanziert, oder über die Gebühren bei der
Maut, dem dümmsten Projekt seit dem Turmbau zu Ba-
bel . Das ist der Punkt .


(Beifall bei der LINKEN)


Genau darum geht es . Da sagen wir: Mit diesen Vorstel-
lungen sind wir überhaupt nicht einverstanden . Das, was
Sie hier dargestellt haben, ist keine Lösung .

Einen Punkt möchte ich noch ansprechen . Es ist ja
wirklich kaum zu glauben . Herr Fuchs, ich weiß, dass
Ihnen der Mindestlohn nicht gefällt und dass Sie sich nur
zähneknirschend bereit erklärt haben, dem zuzustimmen .
Jetzt haben wir den Mindestlohn . Jetzt haben Sie endlich
endlich! eine Begründung gefunden, warum man die Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit nicht so schnell ausbauen
muss: Weil doch Flüchtlinge kommen, die aufgenommen
werden sollen! Wenn sich die Bundesrepublik Deutsch-
land, unser Land, nicht mehr Finanzkontrolleure und zu-
sätzliche Personen leisten kann, die die Menschen, die

zu uns kommen, registrieren, dann kann ich wirklich nur
sagen: Armes Deutschland!


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Aber man muss auch erst mal geeignete Menschen finden!)


Aber Ihnen geht es um etwas anderes . Sie wollen die
Flüchtlingsproblematik benutzen, um die Finanzkontrol-
le Schwarzarbeit nicht auszubauen . Oder nehmen Sie das
Beispiel, wie viele Fälle tatsächlich zu Verfahren geführt
haben . Herr Fuchs, mit dieser Argumentation kann man
sämtliche Blitzer auf Autobahnen abschaffen,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


wenn man sagt: Moment einmal, es ist ja nur ein kleiner
Teil, den es betrifft .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie!)


– Ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen, dass ich
davon betroffen wäre . – Ich sage Ihnen nur: Wenn Sie die
Blitzer abbauen, dann fährt jeder schneller . Genauso ist
es beim Mindestlohn . Wenn Sie ihn nicht kontrollieren –
das wollen Sie nicht –, dann führt das dazu, dass es mehr
Menschen gibt, die ihn nicht einhalten .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812102000

Herr Kollege Ernst .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812102100

Deshalb sage ich Ihnen – ich bin gleich fertig, Herr

Präsident –: Ihr eigentliches Ziel ist, den Mindestlohn zu
sabotieren, und deshalb auch dieser Vorschlag . Das ist
unerträglich .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812102200

Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der

Kollege Joachim Pfeiffer .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Hubertus Heil müssen den Zoll auch für Redezeit einsetzen!)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812102300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland
geht es gut, und zwar trotz permanenter Krisen seit 2008,
egal ob Finanzkrise, europäische Unsicherheiten, Struk-
turkrisen, Verschuldungskrisen, Ukraine-Krise oder jetzt
auch Flüchtlingen . Den anderen Ländern geht es nicht
so gut .

Warum geht es Deutschland gut? Ich glaube, das hat
eine ganze Reihe von Gründen . Ich will einen nennen,
der heute und gestern so nicht erwähnt wurde: Deutsch-
land geht es auch gut, weil wir in Deutschland stabile
politische Verhältnisse haben,


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


weil wir in den letzten zehn Jahren stabile, gute Regie-
rungen hatten,


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Wo?)


die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa
und weltweit anerkannt sind und weltweit mithelfen, die
Krisen zu bewältigen . Deshalb haben wir auch sozialen
Frieden in Deutschland . Deshalb kommen viele Investi-
tionen aus dem Ausland nach Deutschland . Es wird hier
investiert: in Infrastruktur – darauf komme ich nachher
noch –, in Immobilien oder in Werte. Davon profitieren
wir . Diese Investitionen befeuern auch unser Wachstum .

Deutschland geht es gut, weil wir heute die Ergebnis-
se der Saat ernten, die mit Strukturreformen am Arbeits-
markt ausgebracht wurde . Ich nenne ausdrücklich – auch
an den Koalitionspartner gerichtet – die Agenda 2010 .
Heute profitieren wir davon, dass die SPD damals den
Mut hatte, dieses Thema anzugehen . Ich würde mir heute
wünschen, Sie wären ein bisschen stolzer auf das, was
Sie damals getan haben .


(Thomas Jurk [SPD]: Schön, dass Sie stolz auf uns sind!)


Manchmal hat man den Eindruck, dass die Agenda
2010 ein vaterloses oder mutterloses Kind ist . Wir haben
sie damals aus der Opposition heraus und im Bundesrat
unterstützt, weil wir sie für richtig hielten. Heute profitie-
ren wir in Deutschland gemeinsam davon .

Wir haben die Negativspirale von immer weniger
Beschäftigung, damit weniger Einnahmen in der Sozi-
alversicherung und weniger Steuereinnahmen durch-
brochen . Heute sind wir in einer positiven Spirale . Wir
haben mit über 43 Millionen Menschen den höchsten
Beschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesre-
publik Deutschland, wir haben die höchsten Einnahmen
in der Sozialversicherung und können deshalb trotz ver-
schiedener Ausgaben, über deren Sinnhaftigkeit man sich
in der Tat streiten kann, beispielsweise den Beitragssatz
zur Rentenversicherung senken . Wir haben die höchsten
Steuereinnahmen, und wir haben, Herr Finanzminister,
eine Nullverschuldung, einen ausgeglichenen Haushalt .
Das ist das Beste, was wir den nachfolgenden Generatio-
nen hinterlassen können, dass sie nicht unsere Schulden
abzahlen müssen . Wir machen keine neuen Schulden und
führen sogar Schulden zurück .

Wir haben aber auch positive Effekte, die sicher nicht
von Dauer sein werden . Allein die niedrigen Energie-
preise bringen in diesem Jahr einen positiven Effekt für
die Volkswirtschaft in Höhe von ungefähr 50 Milliarden
Euro . Ich glaube, das wird nicht von Dauer sein .

Auch bei anderen Rohstoffen ist die Versorgung heute
günstiger und sicherer, als es vor Jahren zum Beispiel bei
den Seltenen Erden der Fall war . Aber auch hier müssen
wir, glaube ich, rechtzeitig handeln, weil auch dies nicht
gottgegeben ist .

Auch die Zinsen werden auf Dauer nicht so niedrig
bleiben, wenngleich wir durch kluges Umschulden jetzt
erreichen können, diese niedrigen Zinsen für längere Zeit
zu sichern, indem man heute lang laufende oder länger
laufende Staatsanleihen auflegt, die mit ihren niedrigen

Zinsen dazu beitragen, diesen Effekt, wenn es ihn nicht
mehr geben sollte, für die nächsten 10, 15 oder 20 Jahre
zu sichern . Das ist solides und nachhaltiges Wirtschaften
unter Führung der Union in Deutschland . Deshalb steht
Deutschland heute in Europa und in der Welt so gut da .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir dürfen uns aber nicht ausruhen . Denn dieser
Wohlstand, den wir erarbeitet haben, braucht weiterhin
Wachstum, und Wachstum braucht freien Handel . Wachs-
tum braucht Innovation, und Wachstum braucht Freiheit
und Wettbewerb . Deshalb sind das die Stellschrauben,
die wir bedienen müssen .

Ich will noch einmal zum Freihandel kommen . Es ist
seit Ricardos Zeiten unbestritten, dass die Nationen, die
sich am freien Handel beteiligen, Vorteile davon haben,
und zwar beide Beteiligten und auch die Menschen in
diesen Ländern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Alle Länder dieser Welt, die sich nicht am Freihandel be-
teiligen, geht es schlechter als denen, die sich beteiligen .
Nordkorea geht es in der Tat nicht besser als Südkorea,
um damit das Thema Freihandelsabkommen noch ein-
mal anzusprechen . Kollege Ernst, in der Tat haben wir
auch vorher Autos nach Südkorea exportiert . Nur: Vor
drei Jahren lag in Südkorea der Anteil deutscher Autos
im Premiumsegment – der Kollege Fuchs hat es ange-
sprochen – unter 20 Prozent . Die Mehrheit kam aus Ja-
pan und Südkorea . Heute hat sich dies durch veränderte
Rahmenbedingungen beim Zoll, beim Import und bei
den Standards umgedreht . Heute beträgt der Anteil deut-
scher Autos im Premiumsegment in Südkorea mehr als
80 Prozent . Das ist das Ergebnis des Freihandelsabkom-
mens, und deshalb ist Freihandel gut für Deutschland, für
unsere Wirtschaft, die Arbeitsplätze und die Menschen in
diesem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb wollen wir mit CETA, dem Freihandelsab-
kommen der Europäischen Union mit Kanada, und dem
Freihandelsabkommen mit den USA, das verhandelt
wird, neue Standards in der Welt setzen, und zwar in al-
len Bereichen die höchsten Standards, die wir haben .

Alles, was Sie vorhergesagt haben, ist nicht eingetrof-
fen . Was haben Sie nicht alles bemüht . Das Chlorhühn-
chen ist in der Versenkung verschwunden,


(Zuruf von der LINKEN: Sie holen es wieder heraus!)


weil alle gemerkt haben, dass das so nicht stimmt . Die
Verbraucherschützer haben gesagt: Nein, das ist über-
haupt nicht gesundheitsgefährdend .

Dann haben Sie von Geheimverhandlungen gespro-
chen . Auch das ist an Dummheit nicht zu überbieten .
Auch dazu wurden Sie eines Besseren belehrt .

Die Schiedsgerichtsverfahren haben Sie unter ande-
rem als Paralleljustiz bezeichnet . Dabei sind wir nicht
nur diejenigen, die es erfunden haben, sondern wir wären
auch die größten Profiteure.

Dr. Joachim Pfeiffer






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812102400

Herr Kollege Pfeiffer, der Kollege Gambke möchte

eine Zwischenfrage stellen .


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812102500

Gerne . Die Redezeit geht eh so schnell um . Vielen

Dank .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812102600

Bitte schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Pfeiffer, Ihre Behauptungen in Richtung Freihan-
delsabkommen bedürfen einer Bemerkung von meiner
Seite . Sie sagen, dass nur mit einem Freihandelsabkom-
men – Sie sagen aber nicht, mit welchem – der Autoexport
nach Südkorea hätte gesteigert werden können . Ich frage
Sie: Würden Sie, wenn Sie heute einen Kreditvertrag ab-
schließen wollen, einen Vertrag über 10 Prozent Zinsen
unterzeichnen und sagen: „Jeder Kreditvertrag ist gut“?
Oder würden Sie nicht auch meiner Meinung folgen, dass
1,5 bis 2 Prozent Zinsen angemessen wären? Das Gleiche
gilt für Freihandels- und Handelsabkommen . Sie können
heute Autos in die USA exportieren . Es geht allein um
den Zoll, der übrigens für Pick-ups 14 Prozent beträgt .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Nein, nein, nein!)


Das heißt, es geht um die Inhalte eines Abkommens und
nicht um ein Abkommen als solches .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Völlig falsch!)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812102700

Das ist doch unstrittig . Da haben Sie völlig recht . Ge-

nau deshalb verhandeln wir doch über dieses Freihandels-
abkommen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir verhandeln gar nicht! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben gar keinen Zugang dazu!)


Wir als Bundesrepublik Deutschland und die anderen
27 Länder der Europäischen Union haben der Europäi-
schen Union, die federführend über das Abkommen ver-
handelt, ein Mandat erteilt . Darin wurden klare Rahmen-
bedingungen gesetzt, zum Beispiel, dass die Kommunen
hinsichtlich der Daseinsvorsorge keiner Privatisierungs-
pflicht oder Sonstigem, was Sie erwähnen, unterliegen.
Die Kommunen können weiterhin entscheiden, ob sie
Dienstleistungen der Daseinsvorsorge selber erbringen
oder beispielsweise von Dritten erbringen lassen . Wenn
sie sie von Dritten erbringen lassen, dann sind diese Drit-
ten – egal ob sie aus Deutschland, aus Westeuropa, aus
den USA oder aus Kanada kommen – aber selbstver-
ständlich gleichzubehandeln wie Inländer . Das Gleiche
wollen wir in den USA, wo wir heute vom öffentlichen
Beschaffungsprozess weitestgehend ausgeschlossen

sind . Dort gibt es diese Gleichbehandlung also noch
nicht . Deshalb verhandeln wir das . Da haben Sie recht .

Die allermeisten der Grünen – von den Linken sowie-
so – und andere Empörungsaktivisten, die davon leben,
dass sie solche Dinge hochziehen, wissen aber anschei-
nend schon vorher, was dabei herauskommt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Teile der CDU sind gegen TTIP!)


Wir wissen noch nicht, was dabei herauskommt,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


sondern wir verhandeln ernsthaft mit den USA, mit Ka-
nada und auch mit anderen Ländern, zum Beispiel, wie
Sie wissen, mit den ASEAN-Staaten und mit China, über
ein Freihandelsabkommen . Im Ergebnis wird dies hof-
fentlich dazu führen, dass der Freihandel weiter zunimmt
und damit alle Beteiligten einen positiven Effekt erzie-
len . Deshalb lohnt es sich, dafür zu kämpfen .

Der Bundeswirtschaftsminister hat an dieser Stelle ja
auch mehrfach eigene Vorschläge gemacht, zum Beispiel
für Schiedsgerichtsverfahren, und gesagt, dass man hier
neue internationale Handelsgerichtsbarkeiten etablieren
könnte . Daran wird hart gearbeitet .


(Abg . Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)


Ich bin eigentlich immer noch bei der Beantwortung der
Frage des Herrn Gambke .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812102800

Ja, ja .


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812102900

Ich sehe gerade aber, die Uhr läuft weiter . – Nach dem

Thema „freier Handel“ möchte ich nun auch auf die In-
novationen und den Bereich „Forschung und Entwick-
lung“ eingehen .

Der Kollege Heil hat es angesprochen: Allein für den
Forschungsetat stellen wir 16,4 Milliarden Euro zur Ver-
fügung, und 3 Milliarden Euro zusätzlich fließen aus
dem Etat des Wirtschaftsministers in die anwendungs-
orientierte Forschung . Dieses Jahr werden also über
19 Milliarden Euro dafür ausgegeben . Seit 2005, seit-
dem die Union in die Regierung gekommen ist und sie
seither führt, hat sich dieser Betrag mehr als verdoppelt .
Damals waren es 7,5 Milliarden Euro, heute geben wir
über 19 Milliarden Euro und damit mehr als 3 Prozent
des Bruttosozialprodukts dafür aus .

Insbesondere Sie von den Linken sagen zum wie-
derholten Male, die Ausgaben für Luft- und Raumfahrt
wären vergebliche Liebesmühe . Entweder Sie wollen
es nicht verstehen, oder Sie können es nicht verstehen .
Wahrscheinlich beides . Sie fordern auch den digitalen
Wandel . Als Stichworte seien nur einmal genannt: Inter-
net der Dinge, Industrie 4 .0, Connected Cars . Wie soll






(A) (C)



(B) (D)


das denn ohne Satelliten und ohne eine genaue Navigati-
on funktionieren?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Dafür brauchen wir Galileo, das europäische Satelliten-
navigationssystem . Ohne dieses System würde keine An-
wendung funktionieren . Flutbewältigung, Registrierung
des Waldwachstums und der CO2-Emissionen, Klima-
schutz: Für all dies ist heute eine Erdbeobachtung mithil-
fe von Satelliten zwingend notwendig . Anders funktio-
niert es nicht . Hierin sind wir weltweit führend .

Wie bringen wir die Satelliten ins All? Mit Raketen,
und hoffentlich nicht nur mit russischen, amerikanischen
oder chinesischen, sondern mit europäischen Trägersys-
temen . Deshalb ist es richtig, dass wir die Ariane 6 ent-
wickeln und wir in diesem Bundeshaushalt zusätzliche
Mittel für die internationale und die europäische Luft-
und Raumfahrt einstellen . Genau das Gleiche gilt auch
in Bezug auf Airbus . Wir müssen hier die Forschung und
Entwicklung vorantreiben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Jurk [SPD])


Das hilft dem Mittelstand und schafft Arbeitsplätze .

Für den digitalen Wandel ist in der Tat eine digitale
Infrastruktur notwendig . Deshalb fördern wir den Breit-
bandausbau mit zusätzlich über 1,4 Milliarden Euro aus
dem Bundeshaushalt . Dies geschieht aber technologieof-
fen . Wir brauchen hier mehrere Technologien .

Durch den digitalen Wandel ergeben sich auch ganz
neue Herausforderungen für den Mittelstand . Ich nenne
nur einmal das Stichwort „Cybersicherheit“ . Es ist auch
für mittelständische Unternehmen eine der größten He-
rausforderungen, dass ihr Know-how gesichert bleibt
und nicht auf irgendwelchen Servern in anderen Ländern
dieser Welt auftaucht und die getätigten Investitionen
und erzielten Innovationen verloren gehen . Auch dafür
müssen wir sorgen . Dabei ist das IT-Sicherheitsgesetz ein
erster Punkt .

Herr Kollege Krischer, Störerhaftung ist in der Tat
ein Problem . Das haben wir erkannt und diskutiert . Am
16 . September ist dies im Kabinett, und das Problem
wird abgestellt . Sie aber haben sich in der Sache, etwa
durch Vorschläge, nicht beteiligt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen Antrag gestellt! Sie haben unseren Antrag abgelehnt! Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht!)


Das ist ein schwieriges Thema, bei dem man zwischen
Datenschutz und Sicherheit abwägen muss . Wir aber
werden dieses Problem am 16 . September, also nächste
Woche, im Kabinett lösen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen es schlimmer!)


Der WLAN-Zugang ist dann künftig über ein Passwort
möglich . Ich glaube, dieser Vorschlag ist eine gute Lö-
sung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen es schlimmer!)


Public-private-Partnership ist angesprochen worden .
Das, was Sie gesagt haben, Herr Ernst, ist an Dumm-
heit wirklich nicht zu überbieten . Was kann denn daran
schlecht sein, wenn man privates Geld mobilisiert? – Ich
sehe, der Kollege Ernst meldet sich zu einer Zwischen-
frage .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812103000

Nein, mit Blick auf die Gesamtredezeit, die wir ver-

einbart haben,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


muss ich darauf achten, dass wir im Rahmen bleiben .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Weiter!)


Ich weiß, dass Sie gerne eine beliebige Zahl von Zwi-
schenfragen zulassen würden . – Bitte schön . Sie haben
jetzt noch zehn Sekunden .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er muss aufhören!)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812103100

Was kann schlecht daran sein, wenn deutsche Versi-

cherer ihr Geld, privates Geld, in die deutsche Infrastruk-
tur investieren? Warum sollen sie es im Ausland inves-
tieren?


(Widerspruch bei der LINKEN)


Was kann schlecht daran sein, dass ausländische Pen-
sionsfonds in deutsche Infrastruktur investieren? Gar
nichts, im Gegenteil .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Wenn es in der Zukunft teurer wird!)


Insofern sind Ihre Vorbehalte wirklich nicht nachvoll-
ziehbar .

Es gäbe noch viel zum Thema Energie, zum Thema
Wettbewerb und auch zum Thema Arbeitsintegration zu
sagen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, lassen Sie das! Das geht schief!)


Aber das müssen wir offensichtlich in der zweiten Runde
nachholen . – Sie sehen: Deutschland ist gut regiert und
auf gutem Kurs . Wir wollen, dass das weiterhin so bleibt .
Die Union wird zusammen mit der SPD in den nächsten
Jahren dafür sorgen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Joachim Pfeiffer






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812103200

Julia Verlinden ist die nächste Rednerin für die Frakti-

on BÜNDNIS 90/Die Grünen .


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812103300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Die Ziele des Energiekonzepts aus
dem Jahre 2010 hätten für die Bundesregierung weiterhin
Bestand – das sagen Sie zumindest immer . Wir Grüne
haben diese, also Ihre Ziele für das Jahr 2020, mit den
aktuellen Zahlen aus diesem Sommer verglichen . Das
Ergebnis ist erschütternd: Deutschland ist bei fast allen
Indikatoren noch weit von seinen Zielen entfernt . Ob
beim Energiesparen im Verkehr, beim Heizen oder beim
Stromverbrauch: Das Erreichen Ihrer eigenen Ziele liegt
in weiter Ferne, obwohl uns nur noch fünf Jahre bleiben .
Auch bei der Nutzung der erneuerbaren Wärme oder der
Elektromobilität geht es absolut gar nicht voran . In der
Schule gäbe es für dieses Ergebnis eine glatte Sechs .


(Ulli Nissen [SPD]: Na, na!)


Jetzt könnte man erwarten, Sie machen das wie jede
professionelle Organisation oder wie ein Wirtschaftsun-
ternehmen: Sie analysieren die Zahlen, merken, dass Sie
nicht auf dem richtigen Pfad sind, und steuern um . Dazu
böten jetzt die Haushaltsberatungen eine wunderbare Ge-
legenheit, etwa Programme aufzulegen, damit Sie das,
was Sie sich selbst vorgenommen haben, bis zum Jahr
2020 auch schaffen . Aber das Gegenteil ist der Fall . Es
gibt ein gelangweiltes Schulterzucken, und Sie machen
einfach weiter wie bisher . So kann man Sie als Regierung
echt nicht ernst nehmen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Energiewendeziele sind ja kein Selbstzweck,
sondern sie sind angesichts der Klimakatastrophe über-
lebensnotwendig . In diesem Haushalt sehe ich: Sie haben
den Ernst der Lage noch nicht begriffen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Haushalt sind viel zu wenig Mittel für Effizienz und
Erneuerbare, und Sie fördern weiter fossile Energieträ-
ger, anstatt endlich den Ausstieg einzuleiten .

Beispiel Energieeffizienz. Die steuerliche Förderung
der energetischen Gebäudesanierung ist bekanntlich an
Ihrem Rumpelstilzchen aus Bayern, an Herrn Seehofer,
gescheitert . Die Ersatzmaßnahmen, die Sie nun planen,
werden wohl kaum dieselbe Wirkung wie die steuerliche
Förderung erzielen .

Oder die erneuerbaren Energien im Wärmebereich .
Seit Jahren dümpelt der Anteil bei 10 Prozent vor sich
hin . Sie erzählten uns noch im Frühjahr, Sie hätten die
Förderungsbedingungen für das Marktanreizprogramm
verbessert, stellen jetzt dafür aber nur 1 Prozent mehr
Mittel ein . Warum trauen Sie Ihren eigenen Verbesserun-
gen nicht mehr zu?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für Kanzlerin Merkel und Minister Gabriel gehen
Lobbyinteressen der fossilen Energiewirtschaft vor Kli-
maschutz und Energiewende . Mit dieser Politik werden

Sie beim Klimagipfel in Paris wahrlich niemanden be-
eindrucken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Frage, die man sich stellen müsste, ist doch: Wen und
was wollen wir mit staatlichen Mitteln und Maßnahmen
eigentlich unterstützen? Diejenigen, die die Energiewen-
de blockieren, die gegen unsere oder Ihre Ziele arbeiten,
weil sie ihre dahinschmelzenden Besitztümer auf Kosten
der Allgemeinheit retten wollen? Oder besser diejenigen,
die mithelfen wollen, unsere Klima- und Energiewende-
ziele umzusetzen?

RWE, Vattenfall und E .ON haben sich bisher nicht
als Verbündete der Energiewende hervorgetan . Im Ge-
genteil: RWE versucht verzweifelt, das Auslaufmodell
Braunkohle weiter am Laufen zu halten . Wie verzweifelt
muss ein Konzern sein, der auf friedliche Protestaktionen
mit Gewalt antwortet, den Konflikt auf dem Rücken der
Polizei austrägt und Journalisten bei ihrer Arbeit hindert?
Und dennoch richten Sie, Herr Gabriel, Ihre Energie-
politik ausgerechnet an den großen Unternehmen aus, an
denen, die die Energiewende bisher weitgehend verpennt
haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Arbeiten Sie statt mit den quengelnden Konzernen doch
lieber mit den vielen Verbündeten zusammen, mit denen,
bei denen die Energiewende immer viel weiter im Vor-
dergrund stand als bei der Politik . Arbeiten Sie doch mit
den Bürgerinnen und Bürgern zusammen, die seit Jah-
ren in Erneuerbare und Effizienzprojekte investieren, mit
Handwerksbetrieben, die sich auf die Montage von Pho-
tovoltaik- und Solarthermieanlagen spezialisiert haben,
mit den innovativen Betrieben aus dem Mittelstand, die
Energiespartechniken entwickeln, an Speichertechnolo-
gien arbeiten oder dezentrale Energieversorgungskon-
zepte voranbringen . Das sind die wirtschaftlichen Akteu-
re, die mithelfen wollen, die Klimaziele zu erreichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auf die Unterstützung von E .ON, Exxon, Shell oder
RWE können Sie lange waren .

Nun gut, Herr Gabriel, die Kohleabgabe war ein Ver-
such; aber die Lobby hat nun einmal beste Drähte ins
Kanzleramt . Deswegen hat Merkel dieses Ansinnen kas-
siert, bevor es ernst werden konnte – und das nur we-
nige Tage nach Ihren eigenen Klimabeschlüssen beim
G-7-Gipfel . Worte und Taten klaffen bei dieser Bundes-
regierung leider nach wie vor meilenweit auseinander .
Geben Sie doch einfach zu, dass es Ihnen egal ist, ob Sie
Ihre eigenen Energiewendeziele erreichen oder nicht .
Das wäre wenigstens ehrlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812103400

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,

möchte ich den früheren Generalsekretär der Ver-
einten Nationen, Kofi Annan, auf der Gästetribüne des
Bundestages herzlich begrüßen .


(Anhaltender Beifall)







(A) (C)



(B) (D)


Lieber Herr Annan, uns ist nicht nur Ihre verdienstvol-
le Arbeit als Generalsekretär in respektvoller Erinnerung,
viele von uns erinnern sich auch gerne an die Rede, die
Sie hier im Deutschen Bundestag im Februar 2002 gehal-
ten haben . Wir verfolgen mit nicht geringerem Respekt
die Arbeit, die Sie mit Ihrer Stiftung nach dem Ausschei-
den aus Ihrem hohen Amt bei den Vereinten Nationen
weiter für Frieden und nachhaltige Entwicklung auf sich
genommen haben .

Wir wünschen Ihnen einen guten und interessanten
Aufenthalt in Berlin und viele aufschlussreiche und in-
formative Gespräche . Seien Sie uns herzlich willkom-
men .


(Beifall)


Thomas Jurk ist der nächste Redner für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD)



Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1812103500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Beinahe wäre ich geneigt, auf die
Ursachen für Krieg, Flucht und Vertreibung einzugehen,
die ja allzu oft ökonomischen Interessen geschuldet sind .
Dabei geht es um mehr als um Waffenlieferungen . Mich
hat die polemische Debatte insbesondere vonseiten der
Opposition unangenehm berührt . Ich begrüße ausdrück-
lich die rigide Genehmigungspraxis des Bundeswirt-
schaftsministers in diesen Fragen, auch wenn ich mir
persönlich vorstellen könnte, dass es gar keine Waffen-
lieferungen gibt .


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zu
Recht beschrieben worden, dass sich die Wirtschaft in
Deutschland momentan in gutem Zustand befindet. Das
wollen wir auch fortsetzen, und ich glaube, dass der
Bundeswirtschaftsminister der Garant dafür ist .

Andererseits operieren wir in einem wirtschaftspolitisch
schwierigen Umfeld . Ich konnte vor wenigen Wochen
Bundeswirtschaftsminister Gabriel auf seiner Reise nach
China begleiten . Ich war als sächsischer Wirtschaftsmi-
nister zweimal in China . Ich gestatte mir den Vergleich,
dass sich dort vieles zum Negativen verändert hat . Ge-
rade die aktuelle Situation in China sollte uns hellhörig
machen, weil sie nicht nur Auswirkungen auf unsere Ex-
porte nach China hat, sondern auch generell enorme kon-
junkturpolitische Effekte haben kann . Deshalb müssen
wir das alles im Auge behalten .

Es ist richtig, dass wir das, was wir in der Vergan-
genheit getan haben, fortsetzen müssen . Wir müssen die
deutsche Wirtschaft weiter stärken, Innovationen voran-
treiben, Investitionen unterstützen und unsere Fachkräf-
tebasis sichern sowie die Energiewende zum Erfolg füh-
ren . Dafür tut diese Bundesregierung eine ganze Menge .
Das will ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich fest-
halten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] niest)


– Schön, dass das beniest wird .

Wenn man sich den Haushaltsplan anschaut, dann
stellt man fest – das erspare ich der geschätzten Vorred-
nerin Frau Verlinden und Herrn Krischer nicht –: Sie dür-
fen nicht nur den Einzelplan 09 des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Energie sehen . All diejenigen, die auf
der Zuschauertribüne sitzen, kennen unser Fachchine-
sisch nicht unbedingt . Deshalb sage ich: Es gibt auch ei-
nen Einzelplan 60 . Dort ist beispielsweise das Zukunfts-
investitionsprogramm verankert. Da fließen im nächsten
Jahr 340 Millionen Euro in Aufgaben der Wirtschaft und
der Energiewende . Wenn man das addiert, stellt man fest:
Das ist eine großartige Leistung . Das wird uns weiter vo-
ranbringen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das ist einmal Aufklärung!)


– Lieber Kollege Mitberichterstatter Andreas Mattfeldt,
du hast völlig recht: Wir müssen weiter aufklären . Wir
müssen aufklären, dass sich insbesondere die Digitalisie-
rung in diesem Haushaltsplan wiederfindet. Wir stocken
dort um 10 Millionen Euro auf und erreichen ein Mittel-
volumen von 85 Millionen Euro . Es könnte immer noch
mehr sein. Aber wir haben auch andere Verpflichtungen
im Rahmen dieses Haushaltes zu bewältigen .

Sehr positiv ist – darauf ist Minister Gabriel be-
reits eingegangen – die Erhöhung der Mittel für die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“, ein ganz besonders bewährtes Ins-
trument, das dazu dient, durch Investitionszuschüsse ins-
besondere die mittelständische Wirtschaft voranzubrin-
gen . Hier erreichen wir übrigens, wenn man die Mittel
aus dem Einzelplan 09 und dem Einzelplan 60 addiert,
wieder das Mittelvolumen von 2009, nämlich 624 Mil-
lionen Euro . Das ist ein gutes Signal . Gemeinsam mit
den Ländern wollen wir im Rahmen der GRW auch die
Wirtschaft in den Bundesländern voranbringen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nicht nur in Zeiten der großen Migrationsanforder-un-
gen wird es wichtig sein, in Ausbildung, Weiterbildung
und Qualifizierung zu investieren. Wir tun dies unter
anderem bei den Fortbildungseinrichtungen des Hand-
werks . Die entsprechenden Mittel erhöhen wir im Ver-
gleich zu 2015 um 7 Millionen Euro . Damit unterstützen
wir sowohl die digitale Ausbildung als auch die techno-
logieorientierte Fort- und Weiterbildung im Mittelstand .

Wo viel Licht ist, gibt es auch Schatten im Haushalt .
Es wurde bereits angesprochen: Ich bin nicht bereit, zu
akzeptieren, dass wir den Mittelansatz bei dem Zentralen
Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, und der indus-
triellen Gemeinschaftsforschung reduzieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke, dass wir während der Haushaltsberatungen
noch eine Lösung finden werden; denn gerade diese bei-
den Bereiche sind wichtige Innovationsmotoren für die
mittelständische Wirtschaft in Deutschland . Ich denke,
dass wir uns über den Kreis der Berichterstatter hinaus

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


einig sind und dafür sorgen werden, dass sich das ver-
ändert .


(Beifall bei der SPD – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das läuft!)


Es wurde bereits angesprochen, dass es eine Reihe
durchaus sehr sinnvoller Projekte im Rahmen der Luft-
und Raumfahrt gibt . Man muss nicht unbedingt ein gro-
ßer Freund der Ariane 6 sein, der neuen Trägerrakete,
die Satelliten ins All befördern soll . Ich hätte mir auch
eine Weiterentwicklung der Ariane 5 vorstellen können .
Nun ist das aber am 2 . Dezember vergangenen Jahres
auf europäischer Ebene anders vereinbart worden . Daran
kommen wir nicht vorbei . Wir müssen die Mittel bereit-
stellen . In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den
Hinweis, dass wir in Deutschland andere Branchen ha-
ben, die es in besonderem Maße verdient hätten, mehr
Unterstützung zu erfahren . Ich erinnere beispielsweise
an die maritime Wirtschaft, die in Deutschland immerhin
380 000 Menschen Arbeit bietet . Dafür sollten wir wäh-
rend der Haushaltsberatungen Lösungen finden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mein geschätzter Bundesminister Gabriel hat mir
zwei Minuten Redezeit geklaut . Deshalb will ich nun zu-
sammenfassen: Wir sind in einer schwierigen, einer erns-
ten Situation. Wir sprechen seit Tagen darüber. Ich finde,
dass das Problembewusstsein in diesem Haus wächst .
Mich hat aber an der Debatte gestört, dass die Opposi-
tion über manches Klein-klein diskutiert hat . Es ist jetzt
nicht die Stunde der Zauderer und Bedenkenträger . Wir
müssen diese Aufgaben anpacken . In diesem Sinne freue
ich mich auf die Beratungen über Einzelplan 09 des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812103600

Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter

für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812103700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestern wurde der Referentenentwurf für ein neues Ener-
giewirtschaftsgesetz vorgelegt . Ich habe schon Reaktio-
nen gehört wie: Alles toll! Alles super! Wir erreichen die
Klimaziele . Es gibt ein neues Strommarktdesign . – Jetzt
kann ich nur sagen: Das wesentliche Ergebnis ist: Die
Energiekonzernchefs haben wieder einmal erfolgreich
die Hand aufgehalten . Herr Krischer, da wird nichts si-
muliert, sondern die Regierung schiebt Kohle rüber .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Kohle, ja!)


Sie macht ein Geschenk in Höhe von Hunderten von
Millionen Euro jährlich für eine Kraftwerksreserve, die
eigentlich niemand braucht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Gabriel hat immer wieder von Überkapazitäten
gesprochen . Jetzt frage ich mich: Wozu braucht man
diese teure Reserve? Wer vergoldet die überflüssigen
Braunkohleruinen? Die Bürgerinnen und Bürger – wer
auch sonst? – entweder über ihre Stromrechnung oder
mit ihren Steuern . Jetzt nennen Sie das auch noch Kapa-
zitäts- und Klimareserve . Dabei nutzt diese Reserve dem
Klima eben nicht, auf jeden Fall nicht genug . Sie nutzt
nur den Konten der Kohlekonzerne; so ist es .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kohleindustrie profitiert sogar doppelt:

Erstens . Ihr werden von 22 Millionen Tonnen CO2, die
einzusparen sie verpflichtet ist, fast 10 Millionen Tonnen,
also knapp die Hälfte, einfach geschenkt .

Zweitens . Die CO2-Einsparung, zu der sie verpflichtet
wäre und die mittels Abschaltung einiger Kohlekraftwer-
ke nun in Reserven überführt wird, bekommt sie groß-
zügig vergütet . Es ist also ein weiterer Superdeal . Das
ist blanker Hohn gegenüber dem ursprünglichen Vor-
schlag des Klimabeitrags, der durchaus sanft und klug
den schrittweisen Kohleausstieg marktgerecht eingeleitet
hätte . Diesen Ausstieg hätten wir auch unterstützt, Herr
Gabriel . Jetzt können Sie von der Regierung nicht ein-
mal abschätzen, ob die sogenannte Klimareserve über-
haupt die erwünschten Einsparungen bringen wird . Das
weiß man also noch gar nicht . Das ist einfach schwach,
schwach, schwach und enttäuschend . Das muss ich Ihnen
leider auch sagen: schwach .


(Beifall bei der LINKEN)


In den Sommermonaten gab es in Garzweiler an den
Kohlebaggern Aktionen, nämlich friedlichen Protest von
Klimaaktivistinnen und -aktivisten und Braunkohlegeg-
nern bei der Aktion „Ende Gelände“ . Ich war zu dieser
Zeit in Bayern . Ich habe mich darüber sehr gefreut . Ich
kann hier nur sagen: Die Linke ist mit diesem Protest so-
lidarisch .


(Beifall bei der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn er in Brandenburg ist?)


– Genauso .

Wenn die Politik in Berlin bei der Kohlefrage versagt,
müssen die Bürgerinnen und Bürger umso mehr aufwa-
chen und hellhörig sein und Druck von der Straße aus-
üben . Das gilt nicht nur für die Kohle, sondern auch für
anderes . Da wird es endlich einmal Zeit .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich wünsche, dass es noch mehr werden, die sich gegen
die Besitzstandswahrung der Kohleindustrie, aber auch
der anderen Konzerne stemmen .

Statt der Kohleindustrie ihr vermeintliches Ende zu
vergolden, brauchen wir Mittel – Regionalmittel, Struk-
turmittel –; denn wir brauchen den schrittweisen Aus-
stieg aus der Kohle . Er ist dringend notwendig . Ob dies
mittels Kohleausstiegsgesetz, wie es die Linke vorge-
schlagen hat, oder ob dies via Klimabeitrag geschieht,
den wir auch unterstützen, das ist für mich egal . Wichtig

Thomas Jurk






(A) (C)



(B) (D)


ist, es wird gemacht . Es wird jetzt endlich Zeit, dass das
Ganze beginnt, und zwar jetzt sofort .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kann nur sagen: Schade für die betroffenen Regi-
onen, dass Sie deren Chance wegen kurzfristiger politi-
scher Ziele verspielen . Die Regionen bräuchten nämlich
die Unterstützung .

Jetzt noch etwas zu den Ausschreibungen . Ich habe
dazu gehört: Alles super, alles toll, usw . Die Akteursviel-
falt ist wirklich gewährleistet . – Ja, bewerben dürfen sich
alle, klar . Aber die Ergebnisse sind eben nicht so, wie wir
uns das vorstellen . Es sind eben nicht die Bürgerener-
giegenossenschaften, die da den Zuschlag erhalten, son-
dern andere . Der Zuwachs der Bürgerenergiegenossen-
schaften wird immer geringer . Von 2013 bis 2014 hat er
sich um 60 Prozent reduziert . Wir haben immer gesagt:
Wir halten diese Ausschreibungen für falsch . Wir waren
immer dagegen . Es ist ein Ausstieg aus dem Erneuer-
bare-Energien-Gesetz . Deswegen sagen wir: Es ist ein
kompletter Systemwechsel .

Die Bundesregierung bastelt schon am EEG 2016 .
Wieder wird beschlossen, Ausschreibungen vorzuneh-
men . Die Ergebnisse der letzten sind noch nicht richtig
da, aber alles ist toll . Wir wollen die Bürgerenergie stüt-
zen . Wir wollen die Energiegenossenschaften stützen .
Wir wollen eine demokratische Energie und nicht zurück
zu den Konzernen . Wir brauchen Akzeptanz für die rege-
nerativen Energien, vor allem auch für die Windkraft . So,
wie Sie das jetzt betreiben, wird die Akzeptanz sinken .
Wir brauchen aber einen großen Klimabeitrag, und wir
brauchen auch Taten vor Paris .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU] – Lachen des Abg . Thomas Jurk [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812103800

Das Wort erhält nun der Kollege Karl Holmeier, dem

ich gleichzeitig zu seinem heutigen Geburtstag herzlich
gratuliere . Alles Gute für das neue Lebensjahr!


(Beifall)



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1812103900

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Seit Jahren schaut Europa bewundernd auf Deutschland .
Unser Land ist unter der Regierungsverantwortung der
Union, unter unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel die
unbestrittene schwarze Lokomotive Europas . Dank unse-
rer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik haben wir eine
wertvolle finanzielle Handlungsfähigkeit erarbeiten kön-
nen . Dank dieser Handlungsfähigkeit, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren, können wir die aktuellen finan-
ziellen Herausforderungen bewältigen, und wir können
darauf reagieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darüber hinaus halten wir an unserem Ziel einer dau-
erhaften schwarzen Null fest . Wir stärken die Investi-
tionen des Bundes und vor allem der Kommunen . Wir

sichern die Finanzierung der Energiewende und des
Breitbandausbaus . An dieser Stelle möchte ich ausdrück-
lich einen Dank an unseren Finanzminister Dr . Wolfgang
Schäuble richten .

Sehr verehrte Damen und Herren, Wirtschaft und
Märkte verlangen nach Vertrauen . Dieses notwendige
Verlangen haben wir mit Inhalt und Rückhalt erfüllt . Der
Erfolg gibt uns recht: Deutschland steht heute im euro-
päischen Vergleich sehr gut da . Wir haben unsere Haus-
aufgaben gemacht . Ganz Europa blickt immer wieder,
wie ich schon eingangs gesagt habe, nach Deutschland .
Deutschland ist die Lokomotive für Wachstum und Be-
schäftigung . Deutschland ist aber auch der Garant für ein
stabiles Europa . Den Aufschwung in Deutschland haben
wir nicht mit Worten herbeigeredet; es waren vielmehr
umfassende Anstrengungen auf allen Ebenen des Staa-
tes, der Wirtschaft und auch der Beschäftigten . So konn-
ten die Weichen für diese hervorragende Entwicklung
in Deutschland gestellt werden . Wichtiger Kompass der
Union war und ist der in die soziale Marktwirtschaft ein-
gebettete ordnungspolitische Rahmen .

Trotz aller Erfolge dürfen wir in Zukunft aber nicht
übermütig werden . Hohe Steuereinnahmen wecken Be-
gehrlichkeiten, und so lauert die größte Gefahr für die
Zukunft im Erfolg der Gegenwart . Es kommt daher jetzt
darauf an, den konjunkturellen Rückenwind zu nutzen
und die Weichen für die Zukunft zu stellen . Die Heraus-
forderungen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
sind groß:

Die Globalisierung wird uns einen noch härteren
Wettbewerb aufzwingen . Mit dem Abschluss von TTIP
und CETA stellen wir uns hier aber aktuell darauf ein .

Die Digitalisierung wird alle Lebensbereiche durch-
dringen, miteinander verbinden und so die Wertschöp-
fungsketten unserer Wirtschaft, aber auch unsere Arbeits-
welt grundlegend verändern .

Die Demografie trifft kein Land Europas stärker als
Deutschland . Deutschland hat nach Japan die zweitältes-
te Bevölkerung der Welt . Diese Herausforderung muss
uns stets im Bewusstsein bleiben und auch unser Han-
deln prägen .

Wir stehen vor der Aufgabe, Deutschland zukunftsfest
zu machen . Unser Ziel ist: Schaffung der bestmöglichen
Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen
unter dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft . Dabei,
meine Damen und Herren, müssen wir der deutschen
Wirtschaft so viel unternehmerische Freiheit und Eige-
ninitiative wie möglich lassen . Bei aller Freiheit und Ei-
geninitiative hat die deutsche Wirtschaft – darauf legt die
CSU besonderen Wert – auch eine gemeinsam zu tragen-
de soziale Verantwortung .

Sehr verehrte Damen und Herren, viele Staaten benei-
den uns um unseren weltweit einzigartigen ordnungspo-
litischen Rahmen . Ihn gilt es immer wieder aufs Neue
auszubalancieren – für eine gute Zukunft, an der alle
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes teilhaben .

Wir haben Solidität und finanzielle Stabilität wieder
zum Kern der Politik gemacht . „Chancen statt Schulden“
lautet die Devise . Für die Union hat das Erwirtschaften

Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


von finanzieller Stabilität Vorrang vor dem Verteilen.
In Bayern haben wir die schwarze Null schon seit zehn
Jahren, beim Bund nun seit 2015 . Andere wollten mehr
Schulden, neue und höhere Steuern, eine Anhebung des
Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung der Ver-
mögensteuer . Wir blieben besonnen . Schulden und höhe-
re Steuern: Beides ist Gift für die Wirtschaft und für die
Konjunktur .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Erfolg gibt uns recht: Wir haben 2015 den ers-
ten ausgeglichenen Haushalt seit 45 Jahren beschlossen .
Diesen Kurs werden wir fortsetzen und auch 2016 sowie
in den nächsten Jahren eine schwarze Null schreiben . Un-
sere Wirtschaft wächst seit 2010 . Das Jahr 2014 konnte
mit einem Wachstum von etwa 1,6 Prozent abgeschlos-
sen werden . Die Wirtschaftsschätzungen sehen für 2015
ein Wachstum zwischen 1,6 und 2,2 Prozent und für 2016
zwischen 1,7 und 2,3 Prozent vor . 42,99 Millionen Men-
schen, also fast 43 Millionen, sind derzeit in Deutsch-
land erwerbstätig – ein neuer Rekordwert . Der Erfolg aus
dem Vorjahr konnte nochmals um 160 000 Menschen ge-
steigert werden . Auch die Zahl der sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigten ist mit einem Rekordwert von
30,72 Millionen so hoch wie noch nie . Das ist ein Plus
von 1,2 Millionen Beschäftigten innerhalb der letzten
zwei Jahre .

Deutschland setzt auf Jugend . Die Jugend hat Chancen
wie nie zuvor . Liegt der Durchschnitt der Jugendarbeits-
losigkeit im Bereich der Euro-Zone bei 21,9 Prozent, so
bescheinigt das Statistische Amt der Europäischen Union
Deutschland eine Arbeitslosenrate von 7,0 Prozent bei
den Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren . Wir sind
damit die Besten in Europa . Der unter Verantwortung der
Union eingeschlagene Weg aus Wachsen, Konsolidieren
und Reformieren war und ist richtig . Er wird immer mehr
zum Vorbild für ganz Europa . Darauf können wir stolz
sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Bundeshaushalt 2016 tragen
wir dazu bei, diese guten Aussichten weiter zu festigen .
Der klare Kurs der Haushaltskonsolidierung wird trotz
neuer Belastungen, die 2016 auf uns zukommen, auch
in den nächsten Jahren fortgesetzt werden . Der Haushalt
weist 2016 zum zweiten Mal in Folge eine schwarze Null
aus . Der Erfolgsweg aus Wachsen und Konsolidieren
wird unbedingt fortgesetzt .

Sehr verehrte Damen und Herren, wir fördern den Mit-
telstand . Wir fördern Innovationen und investieren wei-
ter in Forschung und Entwicklung; all das wurde bereits
angesprochen . Wir unterstützen die Energiewende und
setzen auf Energieeffizienz. Der Haushaltsentwurf 2016
ist ein echter Investitionshaushalt . Wir beginnen mit der
Umsetzung des bis 2018 angelegten 10-Milliarden-Eu-
ro-Investitionsprogramms des Bundes . Der Schwerpunkt
liegt dabei auf Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur,
in den Breitbandausbau, in Energieeffizienz, in den Kli-
maschutz und in die Städtebauförderung . Im Jahr 2016
werden die Investitionsausgaben um rund 3,9 Milliarden
Euro gegenüber 2015 steigen . Wir werden die Bürgerin-
nen und Bürger in unserem Land durch die Verbesserung

der familienpolitischen Leistungen und den Abbau der
kalten Progression um 5 Milliarden Euro steuerlich ent-
lasten . Wir stehen zu unserem Versprechen: keine neuen
Schulden, keine Steuererhöhungen . Das ist für uns Kern
einer verlässlichen und wachstumsfreundlichen Haus-
haltspolitik .

Den mit Abstand größten Anteil an den Ausgaben des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie bilden
mit über 3 Milliarden Euro die Mittel für Forschung, Ent-
wicklung und Innovation . Wesentlicher Förderschwer-
punkt für den Mittelstand als Innovationsmotor ist auch
in Zukunft das bislang sehr erfolgreiche technologie-
offene Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM
genannt . Es ist mit einem Volumen von knapp 538 Mil-
lionen Euro das wichtigste auf Innovation ausgerichtete
Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums .
Wir erhöhen die Fördermittel für die Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,
wie im Koalitionsvertrag verankert, um 24 Millionen
Euro auf insgesamt 624 Millionen Euro . Es ist ein extrem
wichtiges Programm, gerade für die ländlichen Räume
und auch für die Grenzregionen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deutschland, meine Damen und Herren, ist Gründer-
land . Wir unterstützen Unternehmensgründungen im
Jahr 2016 mit knapp 71 Millionen Euro . Das sind wich-
tige Zukunftsinvestitionen in den Standort Deutschland .

Mit der Digitalen Agenda haben wir ambitionierte
Ziele gesetzt . Wir wollen, dass im Jahr 2018 jeder in
Deutschland schnelles Internet mit 50 Megabit hat, auch
und vor allem im ländlichen Raum . Ein schnelles Inter-
net und eine gute Verkehrsinfrastruktur sind von großer
Bedeutung für die deutsche Wirtschaft . Wir bauen beides
weiter aus, und dies kräftig . Wir stärken damit den Stand-
ort Deutschland .

Sehr verehrte Damen und Herren, die Energiewende
ist beschlossen . Sie ist auf den Weg gebracht . Sie ist ein
richtiger und notwendiger Schritt auf dem Weg in eine
Industriegesellschaft der Nachhaltigkeit . Eine der Haupt-
aufgaben der Großen Koalition ist, die Bürgerinnen und
Bürger bei der Energie der Zukunft, bei der Energiewen-
de mitzunehmen . Begeistern wir die Menschen für die
Energiewende, dann wird sie auch gelingen . Die Ener-
giewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und
die Zukunft unserer Energieversorgung beschäftigt die
Menschen .

Für die CSU ist eine sichere, bezahlbare und saubere
Energieversorgung entscheidend für unsere Lebensqua-
lität, unseren Wohlstand, eine intakte Umwelt und eine
liebenswerte Heimat . Bayern war schon in der Vergan-
genheit ein Vorreiter der Energiewende . Bayern setzt die
Energiewende vor Ort hervorragend um . Lassen Sie mich
ein Beispiel nennen: In meinem Heimatlandkreis Cham
in der Oberpfalz wurden bereits im Jahr 2014 56,2 Pro-
zent des gesamten Stromverbrauchs, ob für Private oder
Wirtschaft, durch erneuerbare Energieträger erzeugt . Wir
werden 2015/16 die 60-Prozent-Marke schaffen .

Karl Holmeier






(A) (C)



(B) (D)


Wir brauchen ein neues Marktdesign, mehr Energie-
effizienz, Speicherkapazitäten und ein leistungsfähiges
Stromnetz .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Stromnetz! Vor allem in Bayern!)


Ein zweiter Schwerpunkt des Haushaltsentwurfs 2016 ist
daher die kontinuierliche Umsetzung der Energiewende .
Es stehen große Herausforderungen an . Dazu werden wir
gewisse Fördermaßnahmen auf den Weg bringen .

Insgesamt stehen dem Bundesministerium für Wirt-
schaft und Energie knapp 3 Milliarden Euro für die Ge-
staltung der Energiewende zur Verfügung .

Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren: Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf stellt die
Bundesregierung unter Beweis, dass sie einen Zukunfts-
plan hat . Wir planen und gestalten die Zukunft Deutsch-
lands . Wir stärken die wirtschaftliche Entwicklung un-
seres Landes nachhaltig und langfristig . Deutschland ist
das starke Herz im Zentrum Europas . Darauf können wir
stolz sein, genauso wie auf unsere Bürgerinnen und Bür-
ger, auf unsere Wirtschaft und auf unser Land .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812104000

Nach der Gratulation zu Ihrem Geburtstag gratuliere

ich Ihnen jetzt auch zur Punktlandung bei der Einhaltung
Ihrer Redezeit .

Ich erteile nun dem Kollegen Dr . Thomas Gambke für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege
Holmeier, auch ich gratuliere zum Geburtstag, aber nicht
zu dieser Rede .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist klar und deutlich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber nicht nett! Stellen Sie sich nicht so an!)


Sie sprachen das Projekt ZIM an . Es ist natürlich ein
sehr wichtiges Projekt . Kollege Jurk hat Gott sei Dank
darauf aufmerksam gemacht, dass die Mittel hoffentlich
noch erhöht werden . Sie haben aber nicht gesagt – das
hat Ihnen Ihr Büro anscheinend nicht aufgeschrieben –,
dass der Umfang reduziert wurde . Weder Herr Jurk noch
irgendjemand hat gesagt, dass dieses Programm leider
wegen zu später Ausschreibung des Projektträgers erst
einmal fünf Monate auf Eis gelegt wurde . Das ist keine
vernünftige Wirtschaftspolitik . Das ist Verhinderung . Ich
hoffe, dass wir das im Rahmen der Haushaltsberatungen
beheben können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte gar nicht darum herumreden: Es heißt immer,
wir haben eine gute wirtschaftliche Situation . Aber ich

sage: Wir haben eine hervorragende wirtschaftliche Situ-
ation . Das ist gar keine Frage . Peinlich ist es manchmal,
zu hören, wer sich die Orden an das Revers heftet . Als
Unternehmer sage ich: Auch bei den Unternehmen muss
man sehen, dass es eine Menge Windfall Profits – so sagt
man – gibt . Das ist der Dollarkurs, das ist der Ölpreis .
Das deutet darauf hin, dass wir uns nicht notwendiger-
weise auf einem Wachstumspfad befinden, sondern dass
wir erhebliche Herausforderungen vor uns haben, und
zwar nicht nur in der Frage der Flüchtlinge, was hier dan-
kenswerterweise sehr nüchtern, verantwortungsvoll und
in großer Breite von uns diskutiert wurde, sondern auch
in den Bereichen, die sehr wenig angesprochen wurden:
Digitalisierung, demografische Veränderung, Änderung
in der Mobilität . Weil wir hier ja gar nicht so viel über
Zahlen, sondern mehr über Inhalte reden, hätte ich er-
wartet, dass die Herausforderungen, die damit verbunden
sind, hier auch einmal angesprochen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie mit dem Mittelstand sprechen, stellen Sie
fest, dass man sich da heute große Sorgen macht . Unter
anderem fragt man sich: Was passiert mit China? Die Ab-
hängigkeit der deutschen Automobilindustrie von China
ist eben sehr hoch . Vor vier Wochen war ich in Asien,
als gerade die Börsenkurse fielen. Da habe ich sehr viele
besorgte Gesichter gesehen . Vor dem Hintergrund, dass
ein bayerischer Automobilbauer aus dem Premiumseg-
ment ein Drittel seines Gewinns in China erzielt, weiß
man auch, was da auf uns zukommen kann .

Insofern – ich sage es noch einmal – sind die Rahmen-
bedingungen, die wir setzen, wichtig . Damit können wir
der Wirtschaft helfen und sie unterstützen . Herr Fuchs,
das tun wir aber nicht – Herr Heil hat es in Bezug auf
den Mindestlohn gesagt; ich sage es jetzt in Bezug auf
die Werkverträge –, indem wir notwendige strukturel-
le Verbesserungen verhindern . Ganz im Gegenteil: Wir
brauchen diese Verbesserungen . Denn das Instrument des
Werkvertrags lässt es zu, dass für 3,50 Euro die Stunde
gearbeitet wird . Das müssen wir verhindern . Herr Fuchs,
da sollten Sie jetzt nicht die alten Dinge ausgraben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Rahmenbedingungen zu thematisieren, bedeutet auch,
zu sagen, dass nicht nur der Wirtschaftsminister, sondern
auch andere Ministerien gefordert sind . Bei der Digita-
lisierung geht das gründlich in die Hose . Vier Ministeri-
en streiten sich . Wir sind so zu spät dran . Wir sind nicht
koordiniert . Ein Mittelständler sagte mir, er hat gerade
privat 3 Millionen Euro in ein Glasfasernetz investieren
müssen, um seinen im Schwäbischen angesiedelten Be-
trieb ans Netz anzubinden und ihn so leistungsfähig zu
halten . Ja, das kann doch nicht sein! Erwin Huber hat im-
mer wieder versucht, dieses Problem in Niederbayern da-
durch zu lösen, das privat investiert wird . Herr Holmeier,
das war vor fünf Jahren falsch, und das ist auch heute
falsch, weil es im ländlichen Bereich eben nicht ohne
eine substanzielle Unterstützung geht . Herr Dobrindt

Karl Holmeier






(A) (C)



(B) (D)


sagt: Hier sind 3 Milliarden Euro . Macht, was ihr wollt . –
Das ist nicht koordiniert . So wird das nicht funktionieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es sind aber auch andere Bereiche gefordert . Kommen
wir noch einmal auf die Digitalisierung zurück . Als Uber
auf den Markt kam, waren wir alle – ich auch – ja er-
schüttert, dass die Firma keine Steuern zahlt, keinen Ver-
braucherschutz gewährleistet und anderes . Die Idee, die
dahintersteckt, ist allerdings gut, nämlich über das Netz
individuelle Mobilität zu organisieren, gerade im ländli-
chen Raum . Deshalb ist es notwendig, dass man „proac-
tive“, also in die Zukunft schauend, darüber nachdenken
muss, wie man die juristischen bzw . die verbraucher-
schutzrechtlichen Rahmenbedingungen schafft . Dazu
höre ich aber gar nichts . Dabei wäre hier wie in vielen
anderen Bereichen Rahmensetzung so wichtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein wenig dazu
sagen, was ich als Finanzpolitiker für notwendig erach-
te . Wir müssen nämlich auch mithilfe der Finanzpolitik
für fairen Wettbewerb sorgen; aber den Begriff habe ich
weder bei Herrn Gabriel noch bei Herrn Fuchs gehört,
und Herr Pfeiffer hatte schon angekündigt, dass er aus
Zeitgründen nicht dazu kommt . Herr Gabriel, wir haben
einen Umsatzsteuerbetrug im Umfang von 6 bis 10 Mil-
liarden Euro . Das wird im BMF verleugnet; die Länder
jedoch sehen einen wettbewerbsverzerrenden Umsatz-
steuerbetrug im Umfang von 6 bis 10 Milliarden Euro .
Die Methoden liegen auf der Hand . Die sind im Ham-
burger Taxigewerbe eingeführt worden . Dass hier etwas
geschieht, wird aber von der Bundesregierung blockiert .
Bitte denken Sie darüber einmal nach .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will jetzt gar nicht auf die Hotelsteuer und andere
Branchensubventionen zu sprechen kommen, bei denen
wir eigentlich auch etwas tun müssten .

Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung
hat verflucht viele Hausaufgaben zu machen, nicht nur
im Bereich der Flüchtlinge . Ich denke, dass es absolut
notwendig und wichtig ist, entsprechende Rahmenbedin-
gungen zu setzen, um das hinzukriegen, was wir brau-
chen, nämlich mehr Investitionen, vor allen Dingen im
privaten Bereich . Das bekommen wir nur hin, wenn Sie
endlich Ihre Hausaufgaben machen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812104100

Vielen Dank . – Als Nächstes hat Andreas Lämmel,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1812104200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Gestern Abend hat der Präsident der Bundesver-
einigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Herr Kra-
mer, anlässlich des Parlamentarischen Abends von BDI,

BDA und DIHK noch einmal deutlich gemacht, dass die
deutsche Wirtschaft – das ist ja von niemandem bestrit-
ten worden – sich in einer sehr guten Verfassung befin-
det, allerdings geschmiert durch einen niedrigen Ölpreis,
niedrige Zinsen und einen günstigen Wechselkurs . Er hat
auch noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass diese
positive Entwicklung kein Selbstläufer ist, sondern dass
sich erstens die Weltwirtschaft immer wieder in durchaus
fragilen Zuständen befindet und zweitens auch die Poli-
tik in Deutschland immer wieder einmal dazu neigt, mit
Überregulierung und Bürokratisierung den Unternehmen
das Leben schwer zu machen . Und er warnte davor, dies
weiter auszubauen .

Meine Damen und Herren, wenn wir heute über den
Haushaltsplan des Bundeswirtschaftsministers diskutie-
ren, den Einzelplan 09, dann muss man erst einmal ganz
grundsätzlich sagen: Wirtschaftspolitik ist Zukunftspoli-
tik . Denn die Maßnahmen, die wir heute zum ersten Mal
diskutieren und im November dann beschließen werden,
wirken ja nicht kurzfristig, sondern sie sind eigentlich
alle mittel- und langfristig angelegt . Deswegen muss man
sich, wenn man sich den Haushaltsentwurf anschaut, erst
einmal – das möchte ich klar sagen – die Frage stellen:
Werden die Haushaltsansätze des Wirtschaftsministers
letztendlich diesem Grundsatz gerecht, und werden hier
die Grundlagen gelegt für eine zukünftige wirtschaftliche
Entwicklung?

Positiv an dem Haushaltsentwurf ist, dass er deutlich
übersichtlicher geworden ist . Die fünf Kapitel, die man
jetzt im Haushaltsentwurf findet, sind doch dazu ange-
tan, die Titel etwas besser zu sortieren, obwohl ich sagen
muss, dass durch die vielen Querverweise, durch De-
ckungsvermerke und letztendlich durch die hohe Vorbin-
dung über Verpflichtungsermächtigungen ein klares Bild
nicht sofort ablesbar ist . Man muss sich vielmehr bei je-
dem Titel die Arbeit machen und genau schauen, wie die
wirkliche Situation ist .

Grundsätzlich kann man aber sagen: Der Haushalts-
planentwurf zeichnet sich aus durch eine hohe Investi-
tionsquote, durch hohe Ausgaben im Bereich Forschung
und Technologie . Deswegen kann ich überhaupt nicht
verstehen, dass die linke Seite meint, hier werde nicht an
der Zukunft gearbeitet . Vielleicht haben Sie ja den Plan
von vor zehn Jahren in der Hand gehabt, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Programm ZIM wurde ja schon mehrfach ange-
sprochen . Hier wird sich die Sache daran entscheiden –
das muss man noch einmal ganz klarstellen –, dass erstens
der Ansatz nicht zurückgeht – über diese Notwendigkeit
sind wir uns, glaube ich, hier im Hohen Hause einig –
und dass zweitens genau geguckt wird, wie viele Mittel
überhaupt noch frei verfügbar sind . Die hohe Vorbindung
aus früheren Jahren schränkt im Prinzip die Neuvergabe
von Mitteln ein, und das ist – glaube ich – ein Punkt,
den wir in den nächsten Wochen noch einmal gründlich
diskutieren müssen .

Das Gleiche gilt bei der Investitionsförderung im Rah-
men der Gemeinschaftsaufgabe GRW . Hier gibt es aus
meiner Sicht zwei Randbedingungen: Zum Ersten müs-

Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)


sen die Länder ihre Verpflichtungen erfüllen, das heißt,
sie müssen ihren 50-prozentigen Finanzierungsanteil
auch bereitstellen . Zum Zweiten ist auch hier die Frage
zu stellen: Wie viele freie Mittel sind noch da? Welchen
Umfang hat die sogenannte freie Spitze, um überhaupt
Neubewilligungen auszusprechen? Hier gibt es also noch
einigen Diskussionsbedarf .

Ich möchte nun noch auf ein paar kleinere Titel zu
sprechen kommen, Herr Minister, die mir aufgefallen
sind .

Das Explorationsprogramm wird eingestellt .


(Thomas Jurk [SPD]: Richtig!)


Das Explorationsprogramm diente ja dazu, deutschen
Unternehmen den Weg zur Exploration von Rohstoffen
zu erleichtern, und es war eigentlich ein neues Programm .
Nun schreibt das Bundeswirtschaftsministerium dazu:
Der Bedarf war in den letzten Jahren nicht da, deswegen
wird das Programm eingestellt . – Ich bin mir nicht hun-
dertprozentig sicher, ob das wirklich der richtige Weg ist
oder ob man nicht noch einmal klarer analysieren müsste,
warum es denn so schlecht gelaufen ist . Gab es wirklich
keinen Bedarf? Oder sind die Bedingungen schlecht ge-
wesen? Muss man also daran etwas ändern?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich weiß nicht, ob es wirklich gut ist, neu beschrittene
Wege so schnell wieder zu beenden .

Dann zu dem Themenbereich Außenwirtschaft: Das ist
im Prinzip auch ein sehr wichtiger Punkt; denn Deutsch-
land ist wieder Exportweltmeister, und die Begleitung
und Unterstützung vor allen Dingen kleiner und mittlerer
Unternehmen im Ausland durch den Staat und die Kam-
mern sowie die Präsenz Deutschlands im Ausland sind
eine ganz wichtige Sache . Hier bleiben die Ansätze erst
einmal bestehen . Man schreibt auch in den Begleittexten:
Es werden wieder einige Dependancen etwas aufgewer-
tet . Aber wenn man in Außenhandelskammern nachfragt,
zeigt sich das Problem, dass zwar die Grundausstattung
vieler Außenhandelskammern finanziell gesichert ist,
aber man eigentlich nicht wirklich etwas machen kann,
weil die großen Außenhandelskammerstandorte oft-
mals im Verhältnis zu den kleineren finanziell wesent-
lich schlechter ausgestattet sind und eigentlich weniger
Projektmittel zur Verfügung haben, um ihren Aufgaben
gerecht zu werden .

Jetzt komme ich auf mein Lieblingsthema: die Prä-
senz Deutschlands in Afrika . Natürlich weiß ich um das
Problem, dass man nicht in jedem der afrikanischen Län-
der eine Außenhandelskammer oder ein Delegationsbüro
eröffnen kann . Aber ich würde trotzdem anregen, Herr
Minister, dass man dieses Thema im Außenwirtschafts-
beirat mit auf die Tagesordnung setzt, um einfach für die
nächsten Jahre eine Strategie zu entwickeln, wie wir in
Afrika präsenter werden können . Zumindest besteht da
bei uns ein großes Interesse .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme jetzt auch zum Thema Fluchtursachenbe-
kämpfung . Da haben Sie, Herr Minister, einen Haushalts-
titel, über den Mittel für Transformationspartnerschaften

bereitgestellt werden . Der Ansatz für Transformations-
partnerschaften in Ihrem Haushalt ist mit 1 Million Euro
ausgestattet, die zunächst vorrangig für Partnerschaften
mit Ägypten und Tunesien bereitgestellt werden . Ich hal-
te das grundsätzlich für eine gute Idee . Ob man mit der
Million hinkommt, kann ich im Moment nicht einschät-
zen . Herr Minister, da wäre doch jetzt eigentlich die gro-
ße Chance, sich mit dem BMZ zusammenzusetzen . Das
BMZ hat ja einen enormen Aufwuchs an Mitteln .


(Hubertus Heil mal machen! – Thomas Jurk [SPD]: Guter Vorschlag! Sehr gut!)


Man könnte somit versuchen, über das Mischen von Gel-
dern gemeinsame Projekte mit einem größeren Push zu
versehen . Oftmals scheitern die Projekte ja daran, dass
sie weder richtig ins Wirtschaftsministerium noch rich-
tig ins BMZ passen . So wäre zu fragen, ob man bei den
Transformationspartnerschaften nicht einmal – ich hal-
te es für notwendig, diesen Weg zu beschreiten – inter-
ministeriell zusammenarbeiten könnte, um in den beiden
Musterländern, mit denen wir diese Partnerschaften ein-
gegangen sind, etwas zu bewegen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das würde ich jedenfalls anregen . Wir können Ihnen
zusagen, dass wir diesen Prozess sehr intensiv begleiten
würden . Denn das könnte ja auch ein Modell für andere
Länder werden und dafür sorgen, dass man in verschie-
denen Bereichen vorankommt .

Dann möchte ich hier natürlich eine Lanze für eine
Branche brechen, die während der Haushaltsverhandlun-
gen immer sehr wenig stattfindet: den Tourismus.


(Beifall der Abg . Barbara Lanzinger [CDU/ CSU])


Meine Damen und Herren, der Tourismus ist für Deutsch-
land eine wichtige Wirtschaftsbranche .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Unternehmen im Bereich des Tourismus sind meis-
tens mittlere und kleine Unternehmen . Sie können ihre
Arbeitsplätze nicht in den Rucksack stecken und nach
Tschechien oder nach China gehen, sondern sie müssen
mit den Bedingungen hier in Deutschland klarkommen .
Die Gästezahlen haben sich in Deutschland in den letzten
Jahren sehr positiv entwickelt . Das erfreut uns natürlich
sehr .


(Thomas Jurk [SPD]: Richtig!)


Auch die Mittel für das Marketing von Deutschland ha-
ben sich in den letzten Jahren etwas nach oben entwickelt .
Nun hat aber im Haushaltsentwurf eine Verschiebung
stattgefunden, Herr Minister . Dass die Deutsche Zentra-
le für Tourismus eine halbe Million Euro zusätzlich be-
kommt, um die Marktbearbeitung im Ausland zu intensi-
vieren, ist erst einmal ganz gut . Aber ich weiß nicht, ob
es überall Zustimmung finden wird, dass man das Geld
innerhalb des Tourismustitels verschiebt und bei den
Mitteln für Studien und Untersuchungen wegnimmt, die
dazu da sind, neue Entwicklungen zu untersuchen und

Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)


herauszufinden, welche neuen Wege in Deutschland be-
schritten werden könnten . Das ist sicherlich diskussions-
würdig, auch wenn wir wissen, dass der Bund eigentlich
nicht die Kompetenz im Bereich Tourismus hat,


(Thomas Jurk [SPD]: Kompetenz hat er schon!)


sondern die Länder hier verantwortlich sind .

Meine Damen und Herren, wir wissen auch: Touris-
muspolitik ist oftmals ziemliche Kirchturmpolitik . Wenn
man also deutschlandweite Initiativen wie zum Beispiel
die Servicequalitätsinitiative installieren will – die Ser-
vicequalitätsinitiative ist ein gutes Beispiel, weil man es
hier erstmalig geschafft hat, ein Label für ganz Deutsch-
land zu schaffen –, dann braucht man auch ein paar Mit-
tel, um von der Bundesebene aus solche Vorhaben mit
voranzubringen .


(Hubertus Heil Geld von Schäuble! – Beifall des Abg . Thomas Jurk [SPD])


– Ja, Herr Heil, ich nehme mal an, Sie werden uns dabei
helfen . – Ich denke, dass wir im Ausschuss noch einige
Diskussionen zu führen haben, bis der Haushaltsentwurf
letztendlich verabschiedet werden kann .

Grundsätzlich muss man sagen: Die Entwicklung geht
in die richtige Richtung, die Prioritäten sind gesetzt, und
jetzt kommt es darauf an, die entsprechenden Details zu
regeln . Ich bin insofern optimistisch, dass wir im Haus-
halt einen guten Einzelplan 09 hinbekommen werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812104300

Vielen Dank . – Der Kollege Andreas Mattfeldt spricht

jetzt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hubertus Heil [SPD]: Aber schön beim Haushalt bleiben! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)



Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1812104400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Lieber Hubertus Heil, ein bisschen
ernsthaft wollen wir schon sein, da wir ja gerade auch
bei der Beratung des Haushalts des Wirtschaftsministe-
riums feststellen konnten, dass die Flüchtlingssituation
natürlich auch diese Debatte bestimmt hat . Ich glaube,
wir sind uns einig, wenn ich sage, dass dieses Thema
vor allem ein Wirtschaftsthema ist; denn bei all den zu
bewältigenden Problemen kann Zuwanderung für viele
Unternehmen eine große Chance bedeuten, eine Chance,
dass wir unseren Wohlstand, der auf einer großartigen
Wirtschaftsleistung der vergangenen Jahrzehnte aufbaut,
auch zukünftig erhalten .

Aber zunächst einmal stellen 800 000 Flüchtlinge eine
große Herausforderung dar, vor der wir alle stehen . Zur
Wahrheit gehört, dass wir eine solche Anzahl nicht dau-

erhaft werden bewältigen können . Dass viele Mitbürger
in unserem Land angesichts einer solchen Anzahl von
Flüchtlingen Ängste haben und sich fragen, wie Bund,
Länder und Kommunen die Unterbringung und auch die
Integration bewältigen wollen, ist, wie ich glaube, nur
allzu verständlich . Nicht alle Mitbürger, die uns kritische
Fragen stellen, sind extrem . Mitnichten, viele Mitbürger
sind ernsthaft besorgt, sie haben Angst, und wir sollten
uns davor hüten – was ich ab und an latent höre –, die
Mitbürger, die kritische Fragen aufwerfen, sofort in eine
extreme Ecke zu stellen .

Wir als Politik müssen Antworten geben, wir müs-
sen Entscheidungen treffen, gerade auch um Ängsten zu
begegnen . Deswegen ist es richtig, dass der Koalitions-
ausschuss Regelungen zur Bewältigung der Flüchtlings-
situation getroffen hat . Diese müssen wir jetzt sehr zü-
gig umsetzen . Ob die Maßnahmen ausreichend sind, das
werden wir heute sicherlich noch nicht bewerten können;
das müssen wir später analysieren .

Auch wenn die Wirtschaftspolitik bei diesem Thema
nicht federführend ist, so kommt der Wirtschaft in dieser
Frage eine besondere Bedeutung zu . Denn nur wenn es
gelingt, gemeinsam mit der Wirtschaft das Potenzial und
die Motivation der Menschen, die zu uns kommen, zu
nutzen, nur dann wird Integration gelingen . Deshalb sage
ich ganz deutlich: Für die deutsche Wirtschaft können die
Flüchtlinge, von denen nicht alle, aber einige mit guter
Ausbildung hierherkommen und die willig sind, sich hier
ausbilden zu lassen und zu arbeiten, eine Chance bedeu-
ten .

Wir müssen aber – auch das gehört zur Wahrheit,
wenn wir keine dauerhaften sozialen Probleme erleben
wollen – erfolgreicher sein als bei den Flüchtlingen, die
vor drei Jahren zu uns gekommen sind . Von denen konn-
ten lediglich 12 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert
werden . Ich glaube, wir sind uns einig: Das ist beileibe zu
wenig . Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass ge-
rade das neue Ausbildungsjahr begonnen hat und auch in
diesem Jahr wieder 40 000 Lehrstellen unbesetzt bleiben .
Der Fachkräftemangel führt in einigen Betrieben bereits
so weit, dass Aufträge abgelehnt werden, dass bestehen-
de Produktionskapazitäten nicht ausgenutzt werden .

Wir sollten aber auch so realistisch sein, zuzugeben,
dass wir das Problem des Fachkräftemangels für große
Bereiche unserer Wirtschaft nicht ausschließlich durch
Flüchtlinge werden lösen können . Deshalb haben wir
zur Bekämpfung des Fachkräftemangels zahlreiche Pro-
gramme, über viele Bundesministerien verteilt, auf den
Weg gebracht, die dazu dienen sollen, Fachkräfte im Aus-
land anzuwerben bzw . die Menschen im Ausland für eine
Tätigkeit in Deutschland zu interessieren . Einiges davon
ist in dem Einzelplan 09, über den wir heute sprechen,
etatisiert . Allein der Titel „Fachkräftesicherung für klei-
ne und mittlere Unternehmen“ ist mit 17 Millionen Euro
ausgestattet . In anderen Ressorts sieht es bei solchen Ti-
teln nicht anders aus . Auch dort sind reihenweise Gelder
zur Gewinnung von Fachkräften veranschlagt; von den
Initiativen der Länder und der Kommunen möchte ich
gar nicht sprechen .

Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)


Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass wir dem
Fachkräftemangel nur zielführend begegnen können, in-
dem wir alle koordiniert vorgehen . Im Moment habe ich
den Eindruck, dass zahlreiche Programme nebeneinan-
der laufen, und ich befürchte, dass das Geld größtenteils
versickert, weil die eine Hand häufig nicht weiß, was
die andere tut . Ich halte es für wünschenswert, diesen
Missstand zu beheben . Vielleicht wäre es zielführend,
eine zentrale Abteilung einzurichten, in der alle Bestre-
bungen, die in diese Richtung zielen, national koordi-
niert werden . Ich bin mir sicher, dass wir dann, vielleicht
sogar mit weniger Geld, bessere Ergebnisse erzielen
können als bisher, wenn die Zuständigkeit in einem Mi-
nisterium gebündelt wird, wenn ein Minister für dieses
Thema zuständig ist . Dabei ist mir ganz egal, ob das das
Wirtschaftsministerium, das Sozialministerium oder ein
anderes Ministerium ist . Wichtig ist, dass wir einen Ort
haben, an dem alle Fäden zusammenlaufen . Ich halte das
für zwingend erforderlich, um gerade dem Mittelstand
die notwendige Unterstützung bei der Suche nach Fach-
kräften zukommen zu lassen .

Es mag auch sinnvoll sein, die Gewinnung von Ar-
beitskräften aus dem Kreis der Flüchtlinge so zu koordi-
nieren; das nur einmal so als Gedankenspiel, bevor jedes
Ministerium im Bereich der Flüchtlinge selbst aktiv wird
und nichts koordiniert stattfindet.

Meine Damen und Herren, zu einem anderen Thema,
das der deutschen Wirtschaft Bauchschmerzen bereitet .
Das ist die wirtschaftliche Situation in China . Die unru-
hige Börsensituation dort ist natürlich auch an den deut-
schen Börsen nicht spurlos vorbeigegangen . Noch ver-
mag hier niemand abzusehen, welche Auswirkungen die
Vorgänge in China auf die Weltwirtschaft und somit auch
auf die deutsche Wirtschaft haben werden . Einige be-
fürchten jetzt schon – das sind die Pessimisten –, dass die
nächste Wirtschafts- und Finanzkrise ausbrechen könnte .
Ich persönlich sehe das nicht so pessimistisch . Ich bin
mir vielmehr sicher, dass gerade Deutschland, aber auch
große Teile Europas wirtschaftlich stark genug sind, um
ein Abkühlen des Wirtschaftsklimas in China, welches
vielleicht sogar wirtschaftspolitisch nachvollziehbar ist,
zu verkraften . Wir sollten nicht vergessen, dass China
auch bei einer Abkühlung des Wirtschaftsklimas immer
noch ein sehr hohes Nachfragepotenzial für unsere deut-
schen und unsere europäischen Unternehmen hat .

Meine Damen und Herren, es sieht gut aus für die
deutsche Wirtschaft . Damit dies auch so bleibt, unterstüt-
zen wir mit diesem Haushalt den Mittelstand massiv . So
sieht der Entwurf die Bereitstellung von Fördergeldern
in Höhe von 781 Millionen Euro vor, die im Zuge von
Förderprogrammen wie dem Zentralen Innovationspro-
gramm Mittelstand – übrigens, Herr Gambke, das ma-
chen wir schon selber, das setzen wir wieder auf den
alten Stand; da können Sie sicher sein –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hubertus Heil und ähnlichen Programmen ausgezahlt werden . Das ist eine enorme Summe . Dabei belassen wir es aber nicht, sondern es gibt auch noch eine Reihe von Dienstleistungen, die der Bund mittelständischen Betrieben anbietet . Ich möchte hier exemplarisch die Arbeit der Außenhandelskammern nennen, für die auch in diesem Haushaltsentwurf 40 Millionen Euro vorgesehen sind . Die Außenhandelskammern bieten uns Mittelständlern – ich darf das in meinem Betrieb häufig erleben – große Hilfe, wenn wir unsere Produkte im Ausland vermarkten wollen . Gerade Mittelständler sind auf das Know-how unserer Außenhandelskammern angewiesen, wenn ein neuer Markt im Ausland erschlossen werden soll . Die Außenhandelskammern unterstützen häufig eben nicht nur in rechtlichen Fragen, sondern sie können auch die Marktsituation in den jeweiligen Ländern häufig besser abschätzen, als wir in Berlin das können . Mit Stolz kann auch die Luftund Raumfahrtindustrie auf die vergangenen Jahre zurückblicken, Herr Kollege Claus . Sie hat sich zu einem festen Beschäftigungsund Innovationsfaktor entwickelt . Sie erhält – Sie haben recht, das ist eine große Summe – 1,6 Milliarden Euro, also einen erheblichen Anteil an Mitteln aus dem Einzelplan 09 . Diese Investition zahlt sich besonders in der Luftfahrt aus . Erst kürzlich hat Airbus erneut erfolgreiche Abschlüsse vermelden können . Das Unternehmen hat den Konkurrenten Boeing weiter hinter sich gelassen . Die Bestellung von 250 Maschinen des A320neo durch die indische Airline IndiGo zeigt den Erfolg des Unternehmens . Mit ein wenig Stolz dürfen wir sagen, dass auch die Politik mit geschickten Förderinstrumentarien zu diesem Erfolg beigetragen hat . Das führen wir auf einem sehr, sehr hohen Niveau fort . Doch, meine Damen und Herren, wir dürfen auch andere wichtige Industriezweige nicht vernachlässigen . Der Tourismus ist eben angesprochen worden . Ich spreche jetzt über den Bereich der maritimen Wirtschaft, die erhebliche Chancen birgt . Von der maritimen Wirtschaft profitieren nicht nur – das ist häufig ein Trugschluss – küstennahe Standorte . Vielmehr gibt es über die ganze Bundesrepublik verteilt eine ganze Reihe von Produktionsstandorten, die Produkte für die maritime Wirtschaft zuliefern . Die maritime Wirtschaft stellt heute inklusive der Zulieferindustrie über 400 000 Arbeitsplätze in Deutschland . Das ist schon eine Hausnummer, meine sehr verehrten Damen und Herren! Allerdings spiegelt sich diese Hausnummer im Haushaltsansatz kaum wider . Gemessen an 1,6 Milliarden Euro für Luftund Raumfahrt sind 50 Millionen Euro für die maritime Wirtschaft sicherlich sehr bescheiden . Ich bin fest davon überzeugt, dass Deutschland im Bereich der maritimen Technologien noch erhebliches Potenzial und Luft nach oben hat . Wir sollten in den anstehenden Beratungen überlegen, ob wir mit klugen Entscheidungen zugunsten der maritimen Wirtschaft noch in diesem Haushalt dafür Sorge tragen, noch erfolgreicher zu agieren . Als letzter Redner möchte ich damit schließen: Ich freue mich auf interessante und konstruktive Haushaltsberatungen in diesem Jahr . Auch in diesem Jahr lade ich die Opposition wieder dazu ein, konstruktiv daran mitzuwirken . Ich bin sicher, wir werden dann, wie schon in den Andreas Mattfeldt vergangenen Jahren, auch in diesem Jahr einen erfolgreichen Haushalt verabschieden können . Herzlichen Dank . Vielen Dank . – Der Kollege Mattfeldt ist allerdings heute nicht der letzte Redner; da muss ich Sie jetzt enttäuschen . (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Aber der letzte Redner in dieser Debatte!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)





(A) (C)


(B) (D)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812104500

Zu diesem Einzelplan jedenfalls liegen keine weiteren
Wortmeldungen mehr vor .

Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan
30.


(Unruhe)


– Ich darf dann die Herren bitten, ihre Plätze einzuneh-
men . Wer noch dringenden Gesprächsbedarf hat, der
kann vielleicht außerhalb des Plenarsaals weitersprechen .

Für die Bundesregierung erhält jetzt das Wort Bundes-
ministerin Dr . Johanna Wanka .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man sich diesen Haushalt anschaut, dann
sieht man, dass das Thema Bildung und Forschung in der
Bundesregierung weiterhin, wie schon seit Jahren und
insbesondere seit dem Beginn dieser Legislaturperiode,
Priorität hat .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Haushalt des BMBF wächst wieder: von diesem
Jahr zum nächsten um über 7 Prozent . Vom Beginn der
Legislaturperiode bis 2016 sind es schon 18 Prozent .
Wenn wir weiter zurückgehen, nämlich in das Jahr 2005,
dann können wir feststellen, dass sich der Haushalt des
BMBF mehr als verdoppelt hat . Im Ergebnis heißt das,
dass für das Jahr 2016 16,4 Milliarden Euro eingeplant
sind . Nun kann man das hoch- und runterdeklinieren und
sich über diese Summe freuen . Wichtig ist aber: Was
macht man mit dem Geld? Wird es richtig eingesetzt?
Wofür wird es ausgegeben?

Für mich steht das Thema Bildungsgerechtigkeit im
Fokus; das ist ganz entscheidend . Wir sind ein reiches
Land . Bildungschancen sind Lebenschancen . Diese Le-
benschancen brauchen wir für die Einheimischen und
für die Zuwanderer . Bildungsgerechtigkeit heißt zum
Beispiel, dass wir in den nächsten Jahren verstärkt dafür
sorgen, dass Erwachsene lesen und schreiben können,
Stichwort „Alphabetisierung“ .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir wollen in den nächsten zehn Jahren 180 Millionen
Euro dafür einsetzen . Wir wollen die Erfahrungen, die

wir in den vielen Projekten – über 50 – mit der Wirtschaft
in den Betrieben gesammelt haben, in die Breite tragen
und aufwachsen lassen, um Chancen zu eröffnen .

Zur Bildungsgerechtigkeit gehört auch unser Pro-
gramm „Kultur macht stark“ . Das ist das größte Pro-
gramm für kulturelle Bildung, das es je in der Bun-
desrepublik Deutschland gab . Wir haben jetzt eine
Zwischenevaluation . Sie zeigt, dass wir mit diesem Pro-
gramm diejenigen erreichen, die wir erreichen wollen:
die Kinder und Jugendlichen, die es schwerer haben, die
aus bildungsfernen Elternhäusern kommen, die zum Teil
Migrationshintergrund haben . Genau sie werden mit die-
sem Programm erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Bildungsgerechtigkeit heißt individuelle und präven-
tive Berufsberatung . Wir machen das auf einem sehr
hohen Niveau . Gemeinsam mit dem Arbeitsministerium
erreichen wir Hunderttausende . Wir wollen jetzt – das
funktioniert schon an der einen oder anderen Stelle, zum
Beispiel in Wismar –, dass es diese individuelle und prä-
ventive Beratung auch für Gymnasien gibt, damit ein
Schüler nicht sofort gesagt bekommt, dass er später stu-
dieren muss, sondern damit er im Hinblick auf Studium
und Ausbildung beraten wird . Hierzu habe ich alle Län-
derminister angeschrieben . Es gibt ein großes Interesse
daran . Wir werden das jetzt Stück für Stück in den unter-
schiedlichsten Bundesländern umsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bildungsgerechtigkeit heißt natürlich auch: Chancen
für die Begabten, Begabtenförderung . Die Mittel hier-
für – für Begabtenförderwerke, für Wettbewerbe, die wir
durchführen, und anderes – sind seit 2005 verdreifacht
worden . Begabtenförderung heißt auch Deutschland-
stipendium . Ich habe jetzt zum Beispiel eine junge sy-
rische Geigerin kennengelernt . Als sie in Damaskus stu-
dierte, brach der Krieg aus . Sie ist zu uns gekommen, ist
in Weimar jetzt Meisterschülerin und kann sich mit dem
Deutschlandstipendium ihren Traum erfüllen . Auch das
ist Bildungsgerechtigkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Zusammenhang mit Bildungsgerechtigkeit muss
man unbedingt KAUSA nennen, das sind die Koordi-
nierungs- und Beratungsstellen für potenzielle Auszubil-
dende mit Migrationshintergrund . Wir haben die Anzahl
dieser Stellen verdoppelt; wir haben jetzt 14 oder 15, je-
denfalls eine große Zahl . Wir haben in diesem Bereich
Erfahrung sammeln können . Diese Stellen sind zwingend
notwendig als Ansprechpartner für die jungen Menschen,
die zu uns kommen: Flüchtlinge, Asylbewerber . Wir ha-
ben nur vorläufige Zahlen; alle wissen, wie dynamisch
dieses Feld ist. Die vorläufigen Zahlen zeigen, dass mehr
als ein Drittel derjenigen, die zu uns kommen, jünger als
18 ist, und dass diejenigen zwischen 18 und 25 Jahren im
Moment ein Viertel ausmachen .

Es ist ganz entscheidend, dass man für diese Men-
schen Bildung und Arbeit ermöglicht . Die Voraussetzung
ist natürlich, Deutsch zu können und gute Schulbildung
zu haben . Man kann über vielfältige Möglichkeiten, zum

Andreas Mattfeldt






(A) (C)



(B) (D)


Beispiel über die angebotenen Kurse, Deutsch lernen . Im
Rahmen der Alphabetisierung hat der Deutsche Volks-
hochschul-Verband mit Fördermitteln von uns auch ein
Selbstlernprogramm über das Netz entwickelt . Dies hat
in den letzten Jahren 500 000 Lernende erreicht . Wir ha-
ben jetzt angeschoben, dass dies auch über Smartphones
verfügbar wird, weil die Flüchtlinge in den Erstaufnah-
melagern mit dieser Technik ausgerüstet sind . Das hilft,
ganz viele schnell zu erreichen, zu motivieren und über
Deutschland und Ausbildung zu informieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir alle wissen – darüber haben wir hier oft geredet –,
dass es junge Leute gibt, die nicht ausbildungsfähig sind .
Sie ausbildungsfähig zu machen, ihre Ausbildungsfähig-
keit zu stärken, ist das Ziel des Übergangssystems . Wir
haben uns dafür auf die Schulter geklopft – ich jedenfalls
habe das getan –, dass es uns in den letzten Jahren gelun-
gen ist, dieses Übergangssystem um etwa 40 Prozent zu
reduzieren . Aber es wird jetzt wieder wachsen; die Zahl
derjenigen, die ausbildungsfähig gemacht werden müs-
sen, wird ansteigen . Denn es wird der Ort sein, wo viele
dieser jungen Leute Ausbildungsfähigkeit erreichen müs-
sen . Wir können froh sein, dass wir dieses Instrumenta-
rium haben . Wir müssen es jetzt entsprechend stärken .

Wenn jemand, der zu uns kommt, eine Qualifikation
hat, dann wird aufgrund des Rechtsanspruches, den er
durch das Anerkennungsgesetz hat, seine Qualifikation
eingeschätzt, sodass die Wirtschaft weiß, was er kann,
auch wenn er keine Papiere hat . Auch das ist jetzt mög-
lich . Hierfür gibt es seit 2012 das entsprechende Instru-
ment .

Wir haben im Bereich der Ausbildung seit 1 . August
geregelt, dass jemand, der eine Ausbildung beginnt, auch
wenn er nur geduldet ist, auch wenn er vielleicht wieder
gehen muss, diese Ausbildung in Deutschland abschlie-
ßen kann . Damit hat er, wenn er lange hier bleiben kann,
natürlich die beste Chance zur Integration . Wenn er einer
von denen ist, die wieder gehen müssen, dann hat er in
dieser Zeit in Deutschland immerhin etwas für sein Le-
ben gelernt und wird stärker sein in dem Land, in dem er
zu Hause ist und dann lebt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ab 1 . Januar 2016 wird die Wartezeit bis zum An-
spruch auf BAföG für diejenigen, die zu uns kommen,
auf 15 Monate reduziert . Das waren einmal über vier
Jahre . Die Hochschulen freuen sich in den Welcome
Centern und an anderer Stelle auf die jungen Menschen,
die zu uns kommen und in der Lage sind, ein Studium
zu beginnen . Das BAföG wird natürlich nicht nur unter
dem Aspekt, dass der Zugang für Flüchtlinge vereinfacht
wird, verbessert . Ganz klar ist: Es ist ein Riesenpaket .
Das kostet wahnsinnig viel Geld, aber es wird dafür
sorgen, dass am Ende dieser Legislaturperiode so viele
junge Menschen wie seit über 30 Jahren nicht mehr in
den Genuss des BAföG kommen . Die Summen, die wir
dafür ausgeben, sind beträchtlich . Sie wissen, dass der
Bund das alleine finanziert.

Als Nächstes zum Meister-BAföG . Wir haben mit den
Koalitionsfraktionen vereinbart, es nicht nur zu moder-
nisieren, sondern auch die Leistungen enorm auszuwei-
ten . Genau das brauchen wir . Da wir ja immer wieder
über Gleichwertigkeit reden und für duale Ausbildung
werben, ist festzustellen: Das Meister-BAföG ist von der
Qualität her, so wie es derzeit ausgestaltet ist, ein ganz
wichtiger Punkt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt eine Frage, über die wir ständig diskutieren,
entweder mit Sorge oder mit Begeisterung – sie ist jeden-
falls das Thema –: Wie viele Menschen kann Deutsch-
land aufnehmen? Es ist doch ganz klar: Damit die Auf-
nahmefähigkeit groß ist und zunimmt, müssen wir gut,
innovativ und wettbewerbsfähig sein . Deswegen müssen
wir dafür sorgen, dass alle, die in diesem Land leben,
Chancen haben, auch die Chance, ein Studium aufzuneh-
men, wenn sie es denn wollen . Deswegen ist der Hoch-
schulpakt – sehen Sie sich einmal an, wie viel Geld er uns
allein im nächsten Jahr kostet – ein richtiges Instrument .
Er bietet Sicherheit für die nächsten Jahre und ist mit den
Ländern vereinbart . Ich glaube, das war nicht nur ange-
sichts der demografischen Entwicklung, sondern auch
vor dem Hintergrund der Flüchtlingssituation ein ganz
wichtiger und richtiger Schritt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Bund ist seit vielen Jahren ein ganz wichtiger
Partner im Bereich der Forschung . Während in vielen an-
deren europäischen Ländern und darüber hinaus, auch in
den USA, der Rotstift angesetzt wurde, war das bei uns
nicht der Fall . Bei uns sind die Summen für Forschung
in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert worden .
Kontinuität gab es zum Beispiel durch den Pakt für
Forschung und Innovation . Es bestand die Gefahr, dass
dieses gute Instrument nicht mehr fortgeführt wird . Des-
wegen war es eine große Leistung, dass wir im Koaliti-
onsvertrag vereinbart haben, dass der Bund die jährliche
3-Prozent-Steigerung der Mittel für den Pakt für For-
schung und Innovation allein finanziert. Das führt schon
in der nächsten Zeit zu einer Entlastung der Länder um
1,2 Milliarden Euro .

Der Pakt für Forschung und Innovation bedeutet nicht
nur Tarifsteigerungen oder dass jetzt also alle ein biss-
chen mehr Geld bekommen und die Situation dadurch et-
was komfortabler ist, sondern er bedeutet Innovationen .
Ein Beispiel ist die Großforschung der Helmholtz-Ge-
meinschaft; sie möchte mit der Wirtschaft gemeinsam
Labore einrichten .

Oder: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat Anwendungs-
zentren als ein tolles neues Instrument für Mittelstand
und Fachhochschulen entwickelt . Diese Anwendungs-
zentren kann sie jetzt ausbauen und neue einrichten . Wir
müssen dort ja etwas in der Breite tun .

Oder: Die Leibniz-Gemeinschaft hat sich vorgenom-
men – ich glaube, das freut auch diejenigen, die vorhin
miteinander diskutiert haben –, sich stärker für Grün-
dungsmentalität zu engagieren und im Rahmen ihrer

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


Möglichkeiten aus den Mitteln des Pakts für Forschung
und Innovation Start-ups zu unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Weil wir leistungsstark sind, sind wir auch für viele
Studenten ein Zielland, was mich sehr freut; denken Sie
nur an Diplomingenieure . Diejenigen, die zu uns kom-
men, sind in überproportionalem Maße – mehr als in allen
anderen Fächern – Studenten, die in Deutschland einen
Master im Ingenieurbereich machen wollen . Deutsch-
land ist aber nicht nur das drittbeliebteste Zielland für
Studierende aus aller Welt – erster Platz USA, zweiter
Platz Großbritannien – also englischsprachige Länder –,
dritter Platz Deutschland –, sondern mittlerweile auch
ein Standort für hochkarätige Wissenschaftler .

Ein Beispiel sind die Alexander-von-Humboldt-Pro-
fessuren . Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist –
das ist jetzt allerdings eine Hypothese –, eine der nächs-
ten Nobelpreisträgerinnen – man kann es zwar noch nicht
ganz genau sagen, aber ich denke, dass es so kommen
wird – zu gewinnen .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ui!)


– Ja . – Sicher ist schon, dass wir Herrn Böttinger gewon-
nen haben . Ab 1 . November dieses Jahres wird er das
Berliner Institut für Gesundheitsforschung leiten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Berliner Institut – ich sage nur: 90 Prozent Bun-
desfinanzierung – wird unter seiner Leitung, glaube ich,
sehr erfolgreich arbeiten . Er ist jemand, der in den USA
in der ersten Liga gespielt hat, der genau weiß, was dort
läuft, und der dafür sorgen wird, dass wir in der Weltspit-
ze sind . Nur das kann der Anspruch sein, wenn sich der
Bund dort in einem solchen Maße engagiert .

Meine Damen und Herren, natürlich haben die Inves-
titionen in Bildung und Forschung eine Hebelwirkung
für die Wirtschaft . Gerade wurde eine DIW-Studie veröf-
fentlicht, die besagt, dass ein stärkeres Wachstum der ge-
samtwirtschaftlichen Forschungsausgaben sehr schnell,
also kurzfristig, zu einer Erhöhung des BIP führt und wir
in Deutschland auf diesem Gebiet besonders stark sind .
Das ist unsere Chance .

Ich könnte Ihnen jetzt noch ein paar schöne Zahlen
nennen und zum Beispiel darauf hinweisen, dass wir
in Europa diejenigen sind, die das meiste Geld für For-
schung und Entwicklung ausgeben . Aber: Die anderen
schlafen nicht . Es geht auch nicht nur um Europa, son-
dern um die ganze Welt . Deswegen ist diese Entschei-
dung mit Blick auf den Haushalt richtig: Der Schwer-
punkt, um den es hier insbesondere geht, ist das Thema
Digitalisierung und digitaler Wandel . Gerade haben wir
die Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissen-
schaft“, die ein ganz breites Spektrum abdeckt und mit
wichtigen Menschen besetzt ist, gestartet .

Wir werden – wir machen bekanntlich viel für Frauen
im MINT-Bereich – im Januar eine neue Initiative star-
ten, bei der es darum geht, vor allem den Anteil der Frau-
en in der Informatik zu erhöhen . Das ist einer der Be-

reiche unter den MINT-Fächern, in dem es immer noch
nicht so gut aussieht .

Ich glaube, dass wir mit unserem großen Programm
für Cybersicherheit für die Wirtschaft – die größte Sorge
der Wirtschaft gilt dem Datenklau – dort die richtigen
Impulse setzen, und zwar nicht nur für die großen Unter-
nehmen, sondern gerade für den Mittelstand .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Programm „Industrie 4 .0 – Forschung auf den
betrieblichen Hallenboden“, das im April gestartet ist,
funktioniert nur, wenn der Forscher oder die Forscherin
einen Mittelständler an der Seite hat, wo man die Din-
ge auch ganz handfest vor Ort ausprobieren kann; denn
es geht nicht nur darum, an einer neuen Publikation zu
schreiben . Das brauchen wir .

Ich denke, insgesamt kann man sagen, dass die Politik
in den letzten Jahren sehr viel dazu beigetragen hat, dass
Forschung und Entwicklung in Deutschland gestärkt
worden sind . Wir dürfen aber nicht nachlassen, sondern
müssen diesen Weg weitergehen . Ich freue mich, wenn
Sie uns an dieser Stelle ganz massiv unterstützen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812104600

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Roland Claus,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812104700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Bundesministerin, wenn man Ihnen zuhört – und das
mache ich oft –, dann stellt man fest: Bei Ihnen gibt es
eigentlich nur drei gesellschaftliche Aggregatzustände .
Entweder heißt es „Deutschland geht es gut“ bzw . „Wir
sind auf einem guten Weg“, oder wenn die ersten beiden
nicht funktionieren, dann ist die Position der Regierung
„alternativlos“ . So schön und heil ist die Welt aber nicht,
Frau Ministerin .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Hauptargument, das Sie immer anführen, sind die
enorm steigenden Ausgaben für Bildung und Forschung .
Das kann jeder nachlesen, und das ist auch unbestritten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sagt aber noch nichts über erreichte Ergebnisse und
die Effektivität aus . Gemessen wurden die Bienen nicht
an ihren Flugkilometern, sondern an dem Honig, den sie
nach Hause brachten .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das kommt jedes Mal!)


Niemand im Deutschen Bundestag wird gegen eine
bessere Finanzierung von Bildung und Wissenschaft an-
reden . Sie wissen auch, wie viele Projekte und Vorhaben

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


wir durchaus einvernehmlich und gemeinsam unterstütz-
ten . Insofern haben wir sehr wohl zur Kenntnis genom-
men, dass sich der Etat, um den wir heute ringen, seit
2005 mehr als verdoppelt hat .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber man muss zuweilen an Helmut Kohls gewichtige
Aussage erinnern: Wichtig ist dabei, was hinten heraus-
kommt, meine Damen und Herren .


(Beifall der Abg . Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie halten die Rede vom letzten Jahr! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sehr viel Gutes!)


Dabei muss ich Sie auf ein paar akute Probleme auf-
merksam machen . Ein ganz gravierendes Problem sind
die befristeten Arbeitsverhältnisse, die Zeitverträge im
akademischen Bereich, und zwar durchweg .


(Willi Brase [SPD]: Die hat Kohl aber nicht gemeint!)


Das Statistische Bundesamt hat kürzlich Vergleichszah-
len veröffentlicht . Ich will Ihnen einige Beispiele nen-
nen: Bei den unter 30-Jährigen beträgt der Anteil der
Beschäftigten mit einem Zeitvertrag 80 Prozent . Bei den
unter 35-Jährigen sind es noch 70 Prozent, und bei unter
40-Jährigen immer noch 60 Prozent . Jetzt kommt eine
Zahl, die mindestens genauso schlimm ist: Fast die Hälf-
te dieser befristeten Verträge hat eine Laufzeit von unter
einem Jahr .

Frau Ministerin, diesen Zustand kann man nicht un-
kommentiert hinnehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn ein solcher Zustand ist weder sozial noch kreati-
vitätsfördernd . Man versetze sich doch einmal in die
Lage eines solchen jungen Menschen, der womöglich
einer fantastischen Idee auf die Sprünge helfen und ei-
nen wissenschaftlichen Durchbruch erzielen kann, aber
feststellen muss, dass in drei, vier oder sechs Monaten
sein Vertrag ausläuft und damit auch seine Gehaltszah-
lung endet . Das ist doch sozusagen wissenschafts- und
kreativitätsfeindlich . Es ist aber auch familien- und kin-
derfeindlich . Das ist nicht zuletzt ein Zustand, mit dem
jungen Akademikerinnen und Akademikern ein Stück
ihrer Freiheit genommen wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun haben Sie, glaube ich, das Problem erkannt und le-
gen eine Novelle des – ich kann nichts für den Begriff –
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor . Was die Analyse
angeht, habe ich, als ich mich damit befasst habe, festge-
stellt: Das Problem ist erkannt . Aber bei der Lösung des
Problems sehe ich auch in diesem Gesetzentwurf nicht
wirklich weiterführende Schritte . Wir müssen Sie auffor-
dern, energischer daran zu arbeiten, diesen Zustand zu
überwinden, als das bisher der Fall war, Frau Ministerin .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Ihrem Text heißt es: Die Bundesregierung hat es
sich zum Ziel gesetzt, mehr Bildungsgerechtigkeit zu
schaffen . – Das hat auch in Ihrer Rede eine Rolle ge-
spielt . Leider belegen die OECD-Studie und andere Stu-
dien aber das Gegenteil . Ein ungleicher Zugang zu Bil-
dung und Studium reproduziert nach wie vor eine soziale
Spaltung der Gesellschaft . Darüber, wie sozial gespalten
die Gesellschaft ist, haben wir uns in der Debatte zuvor
ja unterhalten . Die Linke wird auch hierzu Vorschläge
machen, unter anderem für eine umfassende – Sie wer-
den sagen: radikale, und wir werden nicht darüber strei-
ten – BAföG-Reform . Das wäre ein richtiger Schritt hin
zu mehr Bildungsgerechtigkeit .

Sosehr ich mich für Ihre Geigerin in Weimar freue,
Frau Ministerin: Das Deutschlandstipendium ist natür-
lich nicht der Weg, auf dem wir eine moderne Förderung
erreichen können .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Genau da müssen Sie aber selber Verantwortung übernehmen! Das haben Sie noch nie gemacht!)


Wir alle wissen doch, dass es zum Beispiel in Ost-
deutschland natürlich unendlich schwer ist, 50 Prozent
Sponsoring einzuwerben .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Wie viel haben Sie denn übernommen? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur da!)


Sie sehen sich auch – das können Sie auch nicht
ausblenden – einer anhaltenden Kritik des Bundesrech-
nungshofs an der Erfolgskontrolle der Förderprogramme
des Ministeriums ausgesetzt . Der Bundesrechnungshof
schreibt Ihnen in seinem Bericht: Inzwischen ist ein
unsystematisches Nebeneinander von Instrumenten ent-
standen . – Das ist keine Kleinigkeit .

Wir nehmen das Ministerium hier gerne auch ein biss-
chen in Schutz und sagen: Gerade bei kreativen Leistun-
gen in der Wissenschaft kann man nicht jede Erfolgskon-
trolle vorgeben . Hier muss es auch die Möglichkeit von
„Versuch und Irrtum“ geben . Das heißt aber noch lange
nicht, dass alles erlaubt ist und dass wir uns eine solche
Projektträgerlobby, wie sie bei Ihnen anzutreffen ist, ein-
fach unwidersprochen gefallen lassen könnten . Das wer-
den wir zur Sprache bringen .

Im Jahr 2014 haben wir Sie dafür kritisiert, dass
18 Beschäftigte des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt unmittelbar in Ihrem Ministerium beschäftigt
sind . In diesem Jahr stellt der Bundesrechnungshof fest,
dass es 27 sind – allerdings von verschiedenen Projekt-
trägern. Wir weisen darauf hin, dass das einen Konflikt
bedeutet . Das sind Beschäftigte, die auf der einen Seite
Zuwendungsempfänger sind – sie bekommen also Geld
des Bundes – und auf der anderen Seite in dem Ministe-
rium darüber entscheiden, wer das Geld bekommt . Der
Bundesrechnungshof stellt dazu fest: Dies kann zu In-
teressenkollisionen und Wettbewerbsverzerrungen füh-
ren . – Das haben wir Ihnen vor einem Jahr auch gesagt,

Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


aber auf uns haben Sie ja nicht gehört . Nun nehmen Sie
wenigstens den Rechnungshof ernst .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe vorhin in der Debatte über den Wirtschafts-
etat die Subventionierung des Deutschen Zentrums für
Luft- und Raumfahrt und von Airbus kritisiert . Danach
ist mir, wie ich finde, ziemlich platt Forschungsfeindlich-
keit unterstellt worden . Das ist natürlich Käse . Wenn die-
se Forschung so wichtig ist – auch für die Zukunft der In-
dustrie –, dann frage ich mich, warum sich die Industrie
immer mehr aus der Finanzierung zurückzieht . Warum
musste denn die staatliche Kreditanstalt für Wiederauf-
bau jetzt für einen großen Autokonzern einspringen?


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Richtig!)


Da passt doch was nicht zusammen .


(Beifall bei der LINKEN)


Mein Fazit: Gut, dass es mehr Geld für Bildung und
Wissenschaft geben soll, schlecht, dass so viel Geld in
ein ineffizientes und veraltetes Bildungssystem fließt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812104800

Vielen Dank . – Als Nächstes hat Hubertus Heil,

SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1812104900

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Kollege Claus, Sie haben der Ministerin unter-
stellt, sie würde nur drei Aggregatszustände kennen . Ich
würde sagen: Das ist besser, als nur einen, nämlich, alles
schlecht zu finden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich finde, wir brauchen hier einen realistischen Blick.
Ich bin der Ministerin ausdrücklich sehr dankbar, dass sie
darauf hingewiesen hat, was sie auf den Weg gebracht hat
und was aber auch noch vor uns steht .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar eine Menge!)


Ganz klar ist: Die Summe, die wir alle miteinander
erfreulich finden – 16,4 Milliarden Euro, was eine Stei-
gerung von immerhin 7,2 Prozent im Vergleich zum
letzten Jahr bedeutet –, sagt an sich noch nichts weiter
aus, als dass dieses Land, diese Regierung und die sie
tragenden Koalitionsfraktionen mehr Geld in Bildung
und Forschung investieren . Das klingt erst einmal gut,
aber die spannende Frage ist: Zu welchem Zweck? Das
ist von allen Seiten angesprochen worden – auch von der
Ministerin .

Es gibt in dieser Koalition einen Konsens, dass wir uns
unter anderem auf bessere, gleiche und gerechte Chancen
im Bereich der Bildung konzentrieren; denn das hat nicht
nur etwas mit der Frage zu tun, ob wir wirtschaftlich er-

folgreich sind, sondern auch damit, welches Menschen-
bild wir haben . Das Menschenbild, das uns prägt, sieht so
aus, dass Menschen unabhängig von sozialer Herkunft,
Hautfarbe, Geschlecht oder religiösem Hintergrund eine
Chance – dafür müssen wir sorgen – auf ein selbstbe-
stimmtes Leben haben . Dafür ist Bildung ein ganz ent-
scheidender Zugang .

Menschen sind nicht durch Geburt und durch Merk-
male, für die sie nichts können, in ihren Verhältnissen
gefangen . Dass sie selbstbestimmt leben können, dass
sie Autor ihres eigenen Lebensweges sein können, dafür
schafft Bildung die Voraussetzung . Dafür leistet diese
Koalition eine ganze Menge .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Anette Hübinger [CDU/CSU])


Um es ganz praktisch zu machen: Natürlich haben
wir, Kollege Claus, in unserem Land – das belegen Stu-
dien – nach wie vor eine ganze Menge zu tun, um dieser
sozialen Selektivität entgegenzuwirken . Da ist der Bund
gefragt, da sind die Länder und auch die Kommunen ge-
fragt . Ich will aber auch sagen: Es gibt viele Menschen –
dafür muss man einmal Danke sagen –, die sich bür-
gerschaftlich und zivilgesellschaftlich engagieren, um
jungen Menschen eine Chance zu geben . Gerade bei der
aktuellen Flüchtlingshilfe erlebe ich ganz viele Ehren-
amtliche, die beispielsweise Nachhilfeunterricht geben,
die anderen Lesen und Schreiben beibringen und damit
dazu beitragen, dass junge, aber auch ältere Menschen
stärker teilhaben können und eine Chance haben, irgend-
wann in Ausbildung und Arbeit zu kommen . Das, meine
Damen und Herren, nötigt Respekt ab . Dafür muss der
Deutsche Bundestag einmal Danke sagen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch der Bund ist nach wie vor in der Pflicht,
etwas zu tun . Wir tun in vielen Bereichen ganz konkret
etwas, um in diesem Land die Chancen auf Bildung zu
verbessern und gerechter zu machen . Ich will zum Bei-
spiel das Thema der Berufsorientierung und der assistier-
ten Ausbildung ansprechen . Das ist Teil der Ausbildungs-
allianz, die von Sozialpartnern und der Bundesregierung
gebildet wurde . Ich glaube, dass assistierte Ausbildung
ein wesentlicher Beitrag dafür ist, um benachteiligten
Jugendlichen eine zweite oder dritte Chance zu geben,
voranzukommen . Hier arbeiten die Ministerien Hand in
Hand, nämlich das Bundesarbeitsministerium zusammen
mit dem Bundesbildungsministerium . Das ist ebenso
wichtig wie die Allianz an sich .

Ich komme zu einem weiteren Punkt, den ich anspre-
chen will . Es ist durch die Allianz für Aus- und Weiter-
bildung gelungen, mit den Sozialpartnern eine Trend-
umkehr zu schaffen, was die Entwicklung der Zahl der
beruflichen Erstausbildungsplätze betrifft. Diese Zahl
steigt Gott sei Dank nach vielen Jahren wieder, nachdem
sie lange zurückgegangen war . Nun diskutieren wir darü-
ber, wie wir es schaffen, dass wir keinen Mismatch, also
keine unbesetzten Stellen, haben, und darüber, dass wir

Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


etwas dafür tun müssen, damit Lehrlinge in ausreichen-
der Zahl zur Verfügung stehen . Aber natürlich – das muss
man ganz klar sagen – haben wir jahrelang erlebt, dass
das Angebot an beruflicher Erstausbildung zurückgegan-
gen war . Jetzt wächst es wieder . Das ist eine gute Nach-
richt . Auch das war Gegenstand der Gespräche zwischen
Sozialpartnern und Bundesregierung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zu einem materiellen Punkt . Im Haushalt
von Frau Wanka haben wir die BAföG-Reform durchge-
setzt . Immerhin wird es in diesem Land ab kommendem
Jahr, also ab dem Jahr 2016, ungefähr 100 000 junge Men-
schen mehr geben, die durch BAföG bessere Bildungs-
chancen bekommen . Auch das ist eine ganz maßgebliche
Reform . Nicht zuletzt haben wir – die Bundesregierung
gemeinsam mit den Ländern – den Hochschulpakt bis
2020 verlängert . Das heißt: Bis 2020 gibt es sage und
schreibe 670 000 zusätzliche Studienplätze .

Das sind konkrete Maßnahmen . Es ist einfach, zu sa-
gen: Die Situation ist nicht gut . – Vielmehr geht es dar-
um, sie zu verbessern . Es gibt nichts Gutes, außer man tut
es . Zumindest das hätten Sie einmal erwähnen können,
Herr Claus .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trotzdem sage ich: Diese Maßnahmen, die wir auf den
Weg gebracht haben, sind kein Grund, sich zurückzuleh-
nen . Ich erwähne hier das Bildungsbarometer des ifo-In-
stituts von letzter Woche . Darin wird beschrieben, was
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land von Politik, un-
abhängig von Zuständigkeiten, erwarten . Die Menschen
in diesem Land erwarten im Bereich der Bildungspolitik
große Lösungen . Sie wollen Ganztagsschulen, gebüh-
renfreie Kitas und nicht zuletzt vergleichbare Schulab-
schlüsse in der Bundesrepublik Deutschland . Keine Fra-
ge: Da sind alle gefragt, Bund, Länder und Kommunen .

Ich will aber nicht verhehlen, dass dem Bund gerade
in der aktuellen Diskussion, in der wir schnell handeln
müssen, nämlich bei der Beantwortung der Fragen: „Was
tun wir in der Flüchtlingshilfe? Was tun wir für dieje-
nigen, die wir langfristig integrieren wollen?“, durch
künstliche, auch durch verfassungsrechtliche Grenzen an
der einen oder anderen Stelle die Hände gebunden sind .
Ich glaube, dass wir, wenn die Entwicklung so weiter-
geht, über eine neue und gemeinsame Kraftanstrengung
reden müssen, was beispielsweise den Ausbau von Ganz-
tagsschulen in diesem Land betrifft . Hier kann und darf
der Bund durch das Kooperationsverbot, durch den in
Verfassungsrecht gegossenen Irrtum, derzeit leider nicht
tätig werden . Das gilt leider auch für vieles andere, zum
Beispiel für die Frage, ob wir mit Bundeshilfen Sozial-
arbeit, Sprachklassen und Integrationshilfen auf den Weg
bringen können .

Ich sage: Darüber wird zu reden sein . Aber es ist auch
richtig, sich von dieser Grenze nicht aufhalten zu lassen,
sondern Mittel und Wege zu finden, die wir zusammen
mit der Regierung finden werden und zum Teil auch

schon gefunden haben, um Geld tatsächlich dahin zu
bringen, wo es hingehört .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit der Übernahme der BAföG-Finanzierung haben
wir einen Weg – zugegebenermaßen ist das ein Umweg –
gefunden, um die Länder so zu entlasten, dass ihnen jähr-
lich zusätzlich 1,2 Milliarden Euro für bessere Bildung
zur Verfügung stehen, um zum Beispiel in den Hoch-
schulen, aber ebenso – auch das ist möglich – in Schulen
der frühkindlichen Förderung die Bildungssituation zu
verbessern .

Ich füge hinzu: Frau Ministerin Wanka, wenn ich Sie
richtig verstanden habe, sind auch Sie der Meinung, dass
die Mittel aus dem Betreuungsgeld, die nach der Verfas-
sungsgerichtsentscheidung zur Verfügung stehen, gezielt
in den Bereichen Familie und Bildung investiert werden
und nicht im allgemeinen Haushalt versickern sollten . Da
haben Sie und Frau Schwesig unsere absolute Unterstüt-
zung .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die eine Seite der Medaille ist, bessere Bildungs-
chancen zu schaffen . Die andere Seite der Medaille im
Aufgabenbereich des Ministeriums, über dessen Etat wir
gerade diskutieren, betrifft die Frage, wie wir es schaf-
fen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt in
diesem Land zu befördern, um mitzuhelfen, dass aus
wissenschaftlichen und technischen Innovationen auch
gesellschaftlicher und sozialer Fortschritt wird . Beides
ist notwendig . Auch da kann sich sehen lassen, was diese
Regierung auf den Weg gebracht hat .

Sie haben den Pakt für Forschung und Innovation
angesprochen, Frau Ministerin . Der ist ganz wichtig in
diesem Bereich . Und ich füge hinzu: Er stärkt beides . Er
stärkt die erkenntnisorientierte Grundlagenforschung,
die wir in diesem Land genauso brauchen wie anwen-
dungsorientierte Forschung . Es bringt nichts, beides ge-
geneinander auszuspielen . Wir brauchen Erkenntnisse
und Anwendungen in diesem Land . Daraus erwachsen
Innovationen . Mit dem Pakt für Forschung und Innova-
tion schaffen wir Planungssicherheit und Freiheit für die
Forschung in diesem Bereich .

Ich will die Hightech-Strategie, die die Bundesregie-
rung auf den Weg gebracht hat, sowie die Verstärkung im
Bereich der Arbeits- und Dienstleistungsforschung an-
sprechen . Immerhin ist dafür bis 2020 1 Milliarde Euro
vorgesehen . Auch die verstärkte Forschung an Fachhoch-
schulen, die der Bund zusätzlich mit 100 Millionen Euro
fördert, will ich in diesem Zusammenhang erwähnen . All
das kann sich sehen lassen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben allerdings, meine Damen und Herren, in
diesem Herbst noch eine ganze Menge vor uns . Das be-
trifft den Bereich der beruflichen Bildung. Dabei geht
es nicht nur um die Reform des Meister-BAföG . Ich bin
froh, dass CDU und CSU – sie hatten ja in der letzten

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


Woche eine Klausur – mit uns der Meinung sind, dass der
Entwurf der Ministerin eine gute Grundlage ist, wir aber
miteinander mehr tun müssen . Dabei geht es darum, dass
wir im Bereich der beruflichen Erstausbildung – sie steht
im Wettbewerb zu anderen Berufsabschlüssen, die es in
Deutschland gibt – auch Aufstieg ermöglichen bzw . die
Attraktivität dieses Berufsweges stärken müssen . Auch
da können wir, glaube ich, vorankommen . – Herr Claus,
können Sie einen Moment zuhören?


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir hören Ihnen unablässig zu!)


Er ist ein Mann . Ob er multitaskingfähig ist, weiß ich
nicht . Ihm traue ich das aber zu .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und CDU/CSU)


Herr Claus, Sie haben das Thema der Befristung im
Bereich des Wissenschaftsbetriebes angesprochen . Da
teilen wir den Befund . Die Zahlen sind unstrittig . Des-
halb tun wir etwas, und zwar nicht nur das, was Sie be-
schrieben haben . Wir reformieren das Wissenschaftszeit-
vertragsgesetz. Und ich finde, der Gesetzentwurf kann
sich durchaus sehen lassen . Wir wollen den Missbrauch
von Befristungen zurückdrängen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Roland Claus [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch nicht wirklich!)


Wir wollen jungen Menschen die Chance auf eine
planbare Zukunft im Wissenschaftsbetrieb geben . Und
dafür schaffen wir Voraussetzungen, ohne dass wir die
notwendigen Flexibilitäten kaputtmachen . Das gehört
dazu . Mit diesem Recht schaffen wir Perspektiven . Wir
wissen aber, Herr Claus, dass dies allein das Problem
nicht lösen wird, sondern dass es natürlich auch um die
Frage geht, was es an Karrierechancen bzw . Karriere we-
gen im Wissenschaftsbetrieb gibt . Deshalb bin ich froh,
dass die Koalitionsfraktionen einen Pakt für den wissen-
schaftlichen Nachwuchs auf den Weg gebracht haben .

Frau Ministerin, allerdings äußere ich an dieser
Stelle auch einen Wunsch: Ein reines, kleines Tenu-
re-Track-Programm wird nicht ausreichen . Wir müssen
auch etwas für den Mittelbau und vor allen Dingen für
Personalentwicklungskonzepte tun . Dann wird die-
ser Pakt auch den Namen „Pakt für wissenschaftlichen
Nachwuchs“ verdienen . Beides gehört zusammen: Das
Befristungsrecht muss geändert werden, und es müssen
in diesem Bereich – das ist wichtig – Chancen geschaffen
werden .


(Beifall bei der SPD)


Zum Schluss, meine Damen und Herren, hätte ich noch
gerne etwas zum Thema Exzellenzinitiative gesagt . Denn
das ist die große Königsaufgabe, die wir in den nächsten
Monaten noch vor uns haben . Wir wollen mehr Exzel-
lenz wagen . Die Exzellenzinitiative hat die Forschung in
diesem Land vorangebracht und die internationale Spit-
zenforschung an unseren Hochschulen gestärkt . Sie hat
das – auch in der Spitze –, was Sie vorhin angesprochen
haben, hervorgebracht . Wir sagen: Das wollen wir fort-
setzen . Aber da ist mehr Potenzial in diesem Land .

Wir wollen neben der Forschungslinie bzw . der För-
derlinie für Spitzenforscher auch etwas dafür tun, dass
neben der Spitzenforschung auch andere Leistungspro-
file – bei Lehre und Transfer beispielsweise – in der Ex-
zellenzinitiative zur Geltung kommen können . Darüber
wird zu reden sein . Auch das schaffen wir gemeinsam .

Ich glaube, dass sich dieser Etat sehen lassen kann –
aber nicht nur im Hinblick darauf, was die Summe an-
geht, sondern auch auf die Instrumente . Das wird unser
Land voranbringen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812105000

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

Ekin Deligöz das Wort .


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812105100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

es ist richtig, der Etat für Bildung und Forschung steigt .
Aber, um ehrlich zu sein, das ist noch lange kein Grund,
um sich auszuruhen, wenn man das Ziel, 7 Prozent für
Bildung und 3,5 Prozent für Forschung auszugeben, ernst
nimmt . Dieses Ziel ist nämlich noch lange nicht erreicht,
obwohl es eigentlich schon 2010 erreicht werden sollte .
Jetzt sind wir bald im Jahr 2016, aber überhaupt noch
nicht so weit .

Sie wiederholen in allen Reden immer wieder, dass der
Etat steigt . Aber Sie wiederholen das so oft, dass man fast
den Eindruck gewinnt, dass Sie sich dahinter verstecken
und davon ablenken wollen, dass Sie die selbst gesteck-
ten Ziele gar nicht erreichen . Da sollten Sie etwas mehr
Ehrlichkeit einkehren lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin Wanka, Sie haben vollkommen recht,
wenn Sie sagen, dass es nicht nur um die Höhe der Mittel,
sondern auch darum geht, wofür das Geld ausgegeben
wird . Aber warum handeln Sie dann nicht entsprechend?
Warum wird uns das in Ihrem Haushalt so nicht bestä-
tigt? Warum setzen Sie das Geld an vielen Stellen falsch
oder schlicht und einfach nicht verantwortungsvoll ein?
Ich will Ihnen ein paar konkrete Beispiele nennen, da-
mit Ihnen das, was ich Ihnen sage, auch augenscheinlich
wird .

Beispiel Nummer eins: In der Erhöhung der Mittel des
Einzelplans für Bildung und Forschung sind nach wie
vor die Kosten des Rückbaus kerntechnischer Versuch-
seinrichtungen enthalten . Hier geht es um 328 Millionen
Euro, die den Zukunftsinvestitionen entzogen werden
und mit denen die Vergangenheit finanziert wird. Dieser
Ansatz hat sich in den letzten Jahren verdoppelt – Sie
wissen genauso gut wie wir, dass die Kosten explodie-
ren werden; das verschweigen Sie auch nicht . Aber die
Kosten steigen unter anderem deshalb, weil die Steue-
rungsprozesse innerhalb Ihres Hauses unverantwortlich
und unkoordiniert ablaufen . Das sage nicht ich, sondern
der Bundesrechnungshof . Übernehmen Sie doch endlich

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


einmal Verantwortung, und sorgen Sie dafür, dass das
Geld richtig eingesetzt wird, anstatt es zu verschwenden!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Beispiel Nummer zwei ist die Projektmittelüberwa-
chung. Wegen der Defizite bei der Überwachung verjäh-
ren Ansprüche des Bundes; sie gehen uns unwiderruflich
verloren . Wir reden hier immerhin über 6 Milliarden
Euro, die das BMBF jedes Jahr für Bildungs- und For-
schungsprojekte gewährt . Auch hier sagt der Bundes-
rechnungshof: Etwas mehr Verantwortung in diesem
Hause täte der Sache gut . – Wir können keinen einzigen
Cent aus dem Fenster werfen . Aber genau das machen
Sie hier . Übernehmen Sie Verantwortung! Es geht auch
darum, wofür das Geld eingesetzt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Roland Claus [DIE LINKE])


Beispiel Nummer drei . Sie weisen ständig auf das
Deutschlandstipendium hin . 2016 werden wir die Mittel
dafür wieder aufstocken . Das verwundert niemanden .
Aber ich nenne Ihnen ein paar Zahlen . Im Jahre 2014
wurden gerade einmal 63 Prozent der dafür vorgesehe-
nen Mittel abgerufen . Im laufenden Jahr – die Hälfte des
Jahres liegt ja bereits hinter uns – liegt die Quote bei den
abgerufenen Mitteln bei noch nicht einmal 40 Prozent .
Das bedeutet, dass Sie an einer Ideologie um der Ideolo-
gie willen festhalten . Das widerspricht den Grundsätzen
der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit; denn in ei-
nem solchen Fall müssten Sie die Mittel anpassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Roland Claus [DIE LINKE])


Das tun Sie aber nicht . Lieber investieren Sie das Geld
in die Deckung hoher Verwaltungskosten, um an dieser
Ideologie festhalten zu können . Sie sollten das Geld – die-
ses Beispiel haben Sie selber genannt – in die Qualifizie-
rung von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlin-
gen investieren . Stattdessen führen Sie seltsame Projekte
durch und öffnen zum Beispiel Alphabetisierungskurse
für Deutsche auch für Menschen, die überhaupt nicht die
deutsche Sprache beherrschen . Diese Menschen brau-
chen jedoch Unterricht im Fach „Deutsch als Fremdspra-
che“ . Das ist aber etwas komplett anderes . Und deshalb
brauchen wir in diesem Land 11 000 Lehrerinnen und
Lehrer für Deutsch als Fremdsprache . Aber dafür haben
Sie keinen einzigen Cent übrig . Das wäre eine gute In-
vestition und würde bei den Menschen besser ankommen
als die seltsamen Pseudoprojekte, die Sie durchführen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir unterstützen Sie darin – um einmal etwas Po-
sitives zu nennen –, dass Sie den Flüchtlingen den
BAföG-Zugang erleichtern . Das ist gut und wichtig . Das
ist eine Investition in die Zukunft dieser Menschen und
dieses Landes . Aber warum sollen die Menschen 15 Mo-
nate warten? Warum reduzieren Sie die Wartezeit nicht
auf drei Monate? 15 Monate im Leben eines jungen
Menschen, der zum Nichtstun verdammt ist, ist eine sehr

lange Zeit . Geben Sie sich einen Ruck, und machen Sie
daraus drei Monate! Wir sind dann sofort dabei .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bleiben wir bei den Zukunftsinvestitionen . Die Infra-
strukturen des Wissens bekommen von Ihnen keinen
Cent . Was wir brauchen, ist ein Modernisierungspro-
gramm, gemeinsam aufgelegt von Bund und Ländern,
meinetwegen auch zeitlich begrenzt . Der Investitionsstau
in diesem Bereich ist jedenfalls unverantwortlich . Auch
dafür müssen Sie Verantwortung übernehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein innovatives Land wie Deutschland braucht Orte, wo
gedacht, geforscht, gelehrt und auch gelebt werden kann .
Hier brauchen wir Investitionen statt Verschwendung .
Bei diesen Zukunftsinvestitionen müssen Sie sich noch
mehr anstrengen .

Ich sage zum Schluss noch etwas Positives die überbe-
trieblichen Berufsbildungsstätten betreffend . Das wird in
der dualen Ausbildung Möglichkeiten schaffen und dafür
sorgen, dass Betriebe ausbilden, die das bislang nicht ge-
tan haben . Ich bin froh darüber und sehr dankbar dafür,
dass meine Fraktion diese Forderung hier immer und im-
mer wieder hartnäckig eingebracht hat .


(Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Da haben Sie offene Türen eingerannt, Frau Kollegin!)


Dass Sie sehr lange dafür gebraucht haben, das zu über-
nehmen, tut der Sache keinen Abbruch; vielmehr ist es
wichtig, dass Sie das umsetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben noch eine ganze
Menge guter Ideen, die Sie sie alle übernehmen können .
Das werden wir alle gut finden, und ich werde Sie hier
dafür loben . Aber an guten Ideen mangelt es bei Ihnen,
und das ist wirklich sehr bedauerlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812105200

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

Albert Rupprecht das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1812105300

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Die Debatte über unseren Haushalt 2016 fällt
zusammen mit zehn Jahren Regierungszeit der Uni-
onsfraktion und zehn Jahren Kanzlerschaft von Angela
Merkel . Deswegen erlauben Sie mir, dass ich das, was
wir jetzt debattieren, ein Stück weit in diese zehn Jahre
einzuordnen versuche .

Wir starteten als Unionsfraktion mit der Überzeugung,
dass das, was Franz Josef Strauß – er hätte in diesen Ta-
gen seinen 100 . Geburtstag gefeiert – einmal gesagt hat,

Ekin Deligöz






(A) (C)



(B) (D)


richtig ist: „Konservativ … heißt an der Spitze des Fort-
schrittes marschieren .“


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist keine Banalität;


(Hubertus Heil sche Dialektik!)


denn diese Überzeugung durchzieht alle politischen
Bereiche . Wir sind der festen Überzeugung, dass Wohl-
ergehen, Wohlstand, aber auch Gemeinsinn und gesell-
schaftlicher Zusammenhalt nur zu sichern sind, wenn wir
innovativ sind, wenn wir den technischen Fortschritt in
unserem Land vorantreiben, ob das die Energieversor-
gung ist, ob das die Mobilität ist oder ob das die Krebs-
behandlung ist .


(Marianne Schieder [SPD]: Das ist eine Binsenweisheit!)


– Das ist überhaupt keine Binsenweisheit . Wenn man sich
das Ganze konkret anschaut – ich hatte heute schon zwei
Besprechungen zu genau diesem Thema –, dann stellt
man nämlich fest, dass neben den Allgemeinplätzen, die
überall von sich gegeben werden, manche sagen: Ach,
Transfer, darum brauchen wir uns gar nicht zu kümmern .
Das macht die Wissenschaft von allein usw . – Wenn man
diese Grundsätze ernst nimmt, dann heißt das, die gesam-
te Produktionskette ständig anzuschauen, zu optimieren,
zu verbessern, dazuzulernen . Grundlage für Innovation
ist eben nicht die Sonntagsrede, sondern es sind Bildung
und Forschung, aber auch der Anspruch, den man an Bil-
dung und Forschung und an Forscher stellt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind vor zehn Jahren gestartet als der „kranke
Mann in Europa“; Deutschland hatte 5 Millionen Ar-
beitslose . Zehn Jahre später sind wir eines der innova-
tivsten und begehrtesten Länder der Welt . Wir erleben
es im Zusammenhang mit den Flüchtlingen – mit allen
Schwierigkeiten und Herausforderungen, die damit ver-
bunden sind . Wir erleben es aber auch im Zusammen-
hang mit den Studierenden: Die Zahl der Studierenden,
die nach Deutschland kommen, ist so hoch wie noch nie .
Immer mehr Wissenschaftler sagen: Deutschland ist das
Land, in dem ich forschen und in dem ich tätig werden
möchte . Wir sind bei allen internationalen Rankings zur
Frage „Was ist das innovativste Land?“ auf einem der
Plätze vier, fünf oder sechs. Ich finde, das ist ein tolles
Ergebnis, und darauf können wir auch stolz sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das DIW hat vor Kurzem eine Studie herausgegeben
und herausgearbeitet, dass Forschung der Wachstums-
und Innovationstreiber schlechthin ist . Das DIW hat fest-
gestellt, dass die Forschungsausgaben in Deutschland
seit 2007 enorm gestiegen sind, vor allem deswegen,
weil sich die öffentliche Hand – ich füge hinzu: vor allem
der Bund – an die Decke gestreckt hat, und dass der An-
stieg im internationalen Vergleich nur in Südkorea noch

größer ist als in Deutschland. Ich finde, das ist ein heraus-
ragendes Ergebnis . Auch darauf können wir stolz sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zahlen zum BMBF-Haushalt sind mehrfach ge-
nannt worden: Seit 2005 wurde dieser Haushalt mehr als
verdoppelt, auf 16,3 Milliarden Euro . Das ist ein Anstieg
von 116 Prozent . Frau Ministerin Wanka, das ist ein in-
ternationaler Spitzenwert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In den Jahren, in denen Rot-Grün regiert hat, also in
den sieben Jahre zwischen 1998 und 2005 – einen sol-
chen Rückblick vorzunehmen, kann ich den Grünen und
unserem Koalitionspartner nicht ersparen –, ist der Haus-
halt von 8 Milliarden Euro im Jahre 1998 auf schlappe
8,5 Milliarden Euro im Jahre 2005 gestiegen . Das heißt,
in sieben Jahren gab es einen Anstieg um sechs Prozent .
Bei uns ist dieser Haushalt in zehn Jahren um 116 Pro-
zent gestiegen . Darin besteht einfach der Unterschied .

Ich wende mich noch einmal an die Grünen . Lieber
Herr Gehring, ich schätze all die intelligenten Reden, die
Sie hier halten . Nur zu reden, ist aber einfach zu wenig .
Man muss als politische Kraft seine Vorhaben irgend-
wie auch aufs Gleis setzen . Während der grünen Regie-
rungszeit gab es im Bereich der Forschung und Bildung
schlichtweg nur finanzielle Stagnation, nicht mehr und
nicht weniger .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: Nehmen Sie mal die schwarze Brille ab, damit der Blick frei wird!)


Noch einen Tipp an unsere Kollegen der SPD – Frau
Schieder, jetzt kommen wir zu Ihnen –: Wenn Sie Ihre
forschungs- und bildungspolitischen Träume Wirklich-
keit werden lassen wollen, dann haben Sie eine Chance:
Regieren Sie mit uns als Juniorpartner . Wir ziehen den
Karren! Regieren Sie mit uns! Dann kriegen wir die Sa-
chen auch durch .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil als Juniorpartner!)


Der Haushalt 2016 ist wiederum gelebte Priorität für
Forschung und Bildung: plus 1,1 Milliarden Euro . Der
Haushalt steigt damit auf 16,3 Milliarden Euro . Es ist der
viertgrößte Fachhaushalt im Bundeshaushalt . Es ist eine
Steigerung um 7,2 Prozent gegenüber einer Steigerung
des Gesamthaushalts um 3,4 Prozent . Das ist gelebte Pri-
oritätensetzung . Ich bedanke mich auch im Namen der
Fachpolitiker bei unseren Kollegen in den Fraktionen der
SPD und der Union, die das mittragen . Ich bedanke mich
an dieser Stelle aber auch ganz besonders bei Ihnen, Frau
Wanka, weil es keine einfache Übung ist, den Bundes-
finanzminister zu überzeugen, dass er im Haushalt über
1 Milliarde Euro drauflegt. Danke schön!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist mehrfach gesagt worden: Ohne Moos nix los . –
Aber das allein reicht nicht, sondern es geht um die in-
haltlichen Schwerpunktsetzungen . Unsere Grundsätze,

Albert Rupprecht






(A) (C)



(B) (D)


Leitbilder und Ziele haben sich seit 2005 im Wesentli-
chen nicht geändert . Da gibt es Kontinuität . Für die ste-
hen wir .

Erstens . Wir setzen auf Freiheit und Eigenverantwor-
tung . Deswegen haben wir seit 2012 das Wissenschafts-
freiheitsgesetz – ein historischer Meilenstein .

Zweitens . Wir setzen auf Verlässlichkeit . Deswegen
gibt es den dritten Pakt für die außeruniversitären For-
schungseinrichtungen von 2016 bis 2020 mit einem Auf-
wuchs von über 4 Milliarden Euro . Den Aufwuchs, liebe
Kolleginnen und Kollegen, zahlen wir vom Bund allein;
das ist nicht selbstverständlich . Auch da strecken wir uns
wieder nach der Decke .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drittens . Wir setzen auf Breite, aber auch auf Spitze
und Exzellenz . Wir wissen aus der Diskussion über die
Exzellenzinitiative: Ohne eine gesunde, eine ausreichen-
de Breite wird es keine stabile Spitze geben . Deswegen
ist das Austarieren einer der entscheidenden Punkte .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie das denn machen?)


– Dazu komme ich gleich, zu dem, was wir schon ma-
chen und was wir machen werden .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten seit Jahren!)


Ich sage einmal ein paar Punkte dazu, was wir in der
Breitenförderung machen:

Wir fördern die Hochschulen und Wissenschaftsein-
richtungen in der Breite, insbesondere beispielsweise
die Fachhochschulen . Die Zahlen: Seit 2005 – lieber
Herr Kollege Gehring, damals haben wir die Regierung
übernommen; vorher ward ihr dran – haben wir die Mit-
tel für die Fachhochschulen verfünffacht, nämlich von
damals 10 Millionen Euro auf jetzt 48 Millionen Euro .
1 400 Forschungsvorhaben – 286 Millionen Euro – an
125 Fachhochschulen, das ist Förderung der Breite, sehr
geehrte Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben den Overhead-Anteil für die Projektförde-
rung gesteigert . Von 2016 bis 2020 werden wir 2 Mil-
liarden Euro, wiederum Bundesmittel, zur Verfügung
stellen . Das ist Breitenförderung, liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen .

Qualitätspakt Lehre . Es sind 2 Milliarden Euro, die
wir vonseiten des Bundes zur Verfügung stellen . Das ist
Breitenförderung, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen .

Hochschulpakt, das Megathema . In der Gesamtlauf-
zeit gibt es insgesamt über 20 Milliarden Euro zum Auf-
bau von Studienplätzen . Das sind Mittel, die wir vom
Bund zur Verfügung stellen, obwohl es nicht unsere Ver-
antwortung ist .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bund und Länder! Hälftig finanziert!)


Ohne diese 20 Milliarden Euro würde die Hochschul-
landschaft unseres Landes in der Breite vollkommen an-

ders ausschauen . Das ist Breitenförderung, die wir stem-
men – auf Ebene des Bundes .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Swen Schulz Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Länder auch!)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt einen Rie-
senabstand zwischen Breitenförderung und Spitzenför-
derung . Dennoch braucht es auch die Spitzenförderung .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ohne Breite keine Spitze! Ist doch klar!)


Sie ist notwendig . Sie ist zwingend . Wenn wir Deutsch-
land im globalen Maßstab vergleichen, stellen wir fest:
Wir sind in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt, aber
in der absoluten Spitze gibt es in der Tat etwas zu tun .
Das Schanghai-Ranking 2015 zeigt uns, dass unter den
100 besten Universitäten nur vier deutsche sind, nämlich
die Uni Heidelberg auf Platz 46, die TU München auf
Platz 51, die LMU auf Platz 52 und die Uni Bonn auf
Platz 97. Da ist, finde ich, noch etwas zu tun. Da müs-
sen wir noch einmal etwas drauflegen. Das muss besser
werden .

Das zeigt sich auch bei der Zahl der Nobelpreisträger .
Von 1900 bis 1930 gab es 35 deutsche Nobelpreisträ-
ger, die auch in Deutschland tätig waren . In den letzten
30 Jahren waren es 22 deutsche Nobelpreisträger, die
in Deutschland tätig waren, ein erheblicher Teil bei der
Max-Planck-Gesellschaft . Das heißt im Ergebnis, dass es
da an den deutschen Hochschulen im Vergleich zu 1900,
1910, 1920 ziemlich mau ausschaut .

Deswegen war es ein richtiger, ein notwendiger
Schritt, die Exzellenzinitiative zu begründen . An dieser
Stelle sei explizit noch einmal anerkannt, dass es die
SPD-Ministerin Bulmahn war, die sie angestoßen hat .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marianne Schieder [SPD]: Respekt, Herr Rupprecht!)


– Ja, das ist die Wahrheit . – Es wurde aber von der Minis-
terin Schavan nach der Regierungsübernahme durch uns
finanziell, technisch und organisatorisch umgesetzt, und
zwar in der Großen Koalition .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gab damals einen breiten Konsens, dass Exzellenz
sowie Spitzenforschung und -förderung notwendig sind .
Es war ein Urgestein, der SPD-Minister Zöllner, der da-
für gestanden hat .


(Swen Schulz Mann! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sehr guter Mann!)


– Ein guter Mann, absolut . – Neben den Bundespoliti-
kern waren es der CDU-Minister Frankenberg und der
CSU-Minister Goppel,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber Geschichtsklitterung!)


die gesagt haben: Natürlich ist es einfacher, 50 statt
8 Universitäten zu sagen: „Ihr bekommt Geld“ . Aber
es braucht Mut und Weitsicht, zu entscheiden: „Was ist

Albert Rupprecht






(A) (C)



(B) (D)


exzellent?“ und es auch mit den Akteuren zu bespre-
chen . – Exzellenz ist nicht, wenn 50 Universitäten nach
dem Gießkannenprinzip Geld bekommen, sondern Ex-
zellenz ist, wenn die absoluten Spitzenuniversitäten Geld
bekommen . Es heißt nämlich Exzellenzinitiative und be-
wusst nicht Gießkanneninitiative .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Das hat auch keiner gesagt!)


Insofern wünsche ich mir und hoffe, dass die
SPD-Kollegen, Herr Kollege Heil, sich in den nächsten
Wochen bei diesem Thema ein Vorbild an großen sozi-
aldemokratischen Bildungsministern wie Herrn Zöllner
nehmen und den Weg gemeinsam mit uns beschreiten .
Wo Exzellenzinitiative draufsteht, muss auch Exzellenz
drin sein . Das heißt: Förderung von einigen wenigen
Spitzenzentren mit internationaler Ausstrahlung, aber
auch von Forschungsfeldern . Ein Forschungsfeld kann
durchaus auch ein Fachbereich sein, es kann ein Cluster
sein oder anderes, also ausdifferenzierte Strukturen .

Ich muss leider enden, weil die Redezeit abgelaufen
ist .


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank! – Beifall des Abg . Willi Brase [SPD])


Das ist schade; denn ich würde gerne zur beruflichen
Bildung und zum wissenschaftlichen Nachwuchs noch
etwas sagen . Aber meine nachfolgenden Redner werden
das machen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812105400

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

die Kollegin Dr . Rosemarie Hein .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812105500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich muss Ihnen mit ein paar Zahlen kommen . 7 Prozent
Steigerung im Einzelplan für Bildung und Forschung:
Das klingt nach viel,


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist es auch!)


doch es ist wenig angesichts der permanenten und in-
zwischen chronisch gewordenen Unterfinanzierung des
gesamten Bildungsbereiches .

Schauen wir einmal in die einzelnen Kapitel hinein .

Im Wissenschaftsbereich, dem größten Haushaltsbe-
reich in diesem Einzelplan, wird der Etat um 9,5 Prozent
aufgestockt . Für die Forschungsförderung sind immerhin
noch 4 Prozent mehr Geld vorgesehen . Für die allgemei-
ne und die berufliche Bildung, in der die Weiterbildung
und die gesamte Nachwuchsförderung untergebracht
sind, bleibt gerade einmal eine Steigerung um 2 Prozent .

Ich finde, eine ausreichende Bildungsfinanzierung und
mehr Chancengerechtigkeit sehen anders aus .


(Beifall bei der LINKEN)


In diesen Einzelplan gehört auch die gesamte
BAföG-Erhöhung hinein . Das heißt, von den 85 Milli-
onen Euro, die hier mehr ausgegeben werden, werden
allein schon 40 Millionen Euro für die BAföG-Erhöhung
benötigt . Diese 40 Millionen Euro – das haben Sie von
uns mehrfach gesagt bekommen – werden nicht ausrei-
chen, um auch nur die Steigerung der Lebenshaltungs-
kosten für Studierende in irgendeiner Weise zu kompen-
sieren . Sie sind also schon jetzt zu wenig . Wenn Ihnen
Bildung so wichtig ist, wie Sie immer vorgeben, hätten
hier andere Zahlen stehen müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


In dieses Kapitel gehört auch die „Qualitätsoffensi-
ve Lehrerbildung“ mit den etwa 50 Millionen Euro, die
Sie dafür ausgeben wollen . Wir wissen alle, dass in den
letzten Jahren die Lehramtsstudierenden darüber klagen,
dass ihre Ausbildung nicht hinreichend ist . Wir wissen
um die mangelnde Qualität der Lehramtsausbildungen .
Wir wissen, dass das ein ungeliebtes Kind der Hoch-
schulen war, weil man dafür keine Drittmittel einwerben
kann . Deshalb gibt es jetzt dieses Programm, um die
Qualität der Lehramtsausbildung zu verbessern . Es soll
ein Wettbewerbsprogramm um die besten Konzepte sein .
Die erste Ausschreibungsrunde ist gelaufen . Die ersten
70 Prozent des Etats sind vergeben . 19 Projekte von
Hochschulen haben Förderzusagen erhalten . Es gibt aber
120 Hochschulen, die Lehramtsstudierende ausbilden .
Drei Viertel der Bewerbungen wurden abgelehnt . Aber
eine bessere Lehramtsausbildung brauchen wir doch an
allen Hochschulen und nicht nur an 19 oder vielleicht
noch an fünf mehr .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, das Instrument des Wettbewerbs ist wenig
geeignet, um eine Lehramtsausbildung in dieser Qualität
flächendeckend in relativ kurzer Zeit umzusetzen.


(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Planwirtschaft!)


Das eignet sich nicht dafür . Hören Sie damit auf . Suchen
Sie dafür einen anderen Weg .

Aber es geht nicht nur um die Qualität der Lehramts-
studienplätze, sondern auch um ihre Anzahl . Ende Au-
gust klagte der Philologenverband, dass derzeit etwa
30 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen . Das war abseh-
bar. In meinem Bundesland hat man aus Effizienzgrün-
den vor einigen Jahren einen ganzen Ausbildungsstand-
ort geschlossen . Inzwischen gibt es nicht mehr genügend
Lehrkräfte, um alle frei werdenden Stellen zu besetzen .
Die meisten Bundesländer haben in den vergangenen
Jahren zu wenige Lehramtsstudienplätze bereitgestellt .
Das haben sie in Erwartung sinkender Schülerzahlen ge-
tan . Nun wissen wir, dass sich die Prognose geändert hat .
Es werden 800 000 junge Menschen mehr sein, die zur
Schule gehen werden . Dafür brauchen wir Lehrkräfte .


(Willi Brase [SPD]: Länder!)


Albert Rupprecht






(A) (C)



(B) (D)


– Nun ist es falsch, die Schuld einfach auf die Länder zu
schieben, Herr Brase . Das ist eine sehr billige Ausrede .
Sie konnten nicht wissen, wie sich die Situation entwi-
ckelt .

Wir haben Ihnen seit 2010 abverlangt, die Ausweitung
des Hochschulpaktes zu befördern, und zwar bezogen
auf die Lehramtsausbildung mit 30 000 zusätzlichen Stu-
dienplätzen . Diese Zahl kommt Ihnen bekannt vor, ich
habe sie gerade genannt . Hätten Sie damals auf uns ge-
hört und nicht einfach den Antrag vom Tisch gewischt, so
hätten wir heute zumindest ein paar Probleme weniger .


(Beifall bei der LINKEN)


In die Schülerzahl ist die Anzahl der Flüchtlingskinder
noch nicht eingerechnet . Sie kommt noch obendrauf .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Die haben Sie damals schon gewusst!)


– Die haben auch wir damals noch nicht gewusst, obwohl
man bestimmte Dinge schon absehen konnte .

Hier brauchen wir zusätzliche Fachkräfte, nämlich
Psychologen, Therapeuten sowie Lehrkräfte, die Deutsch
als Zweitsprache oder Deutsch als Fremdsprache unter-
richten können . Das können die allermeisten Lehrkräfte
nicht . Ich bin Deutschlehrerin, ich könnte es auch nicht .
Ich habe es nie gelernt .

In meiner Heimatstadt Magdeburg wurde die Aufnah-
me von Kindern aus Flüchtlings- und Zuwandererfamili-
en bisher auf wenige Schulen konzentriert . Das wird nun
nicht mehr gehen . Sie werden an allen Schulen aufge-
nommen werden müssen . Dort sind die Lehrkräfte aber
nicht darauf vorbereitet . Sie können es auch nicht einfach
nebenbei leisten . Dazu ist die Aufgabe viel zu groß .


(Beifall bei der LINKEN)


In dieser Haushaltsdebatte wurde in jeder zweiten
Rede betont, dass die Bildung von Flüchtlingskindern
wichtig ist . Das ist richtig, und sie können nicht mehr
monatelang darauf warten . Sicher müssen die Hochschu-
len etwas tun, aber wir brauchen die Lehrkräfte schnell .
Ich frage mich: Warum bieten Sie nicht wenigstens ein
Weiterbildungsangebot für Deutsch als Zweitsprache
oder Deutsch als Fremdsprache an?


(Beifall bei der LINKEN)


Der Weiterbildungsbereich ist der Bereich im Haushalt,
der gekürzt wird .

Ganz zum Schluss noch etwas zum Deutschlandsti-
pendium; ich kann es Ihnen nicht ersparen . Die Bundes-
regierung hat sich sehr gefreut: 22 500 Förderfälle gebe
es im Jahr 2014, ein Anstieg um 14 Prozent . Die Bun-
desregierung verschweigt: Die Zahl der Deutschland-
stipendien macht gerade einmal 0,84 Prozent der Zahl
der Studierenden aus, also nicht einmal 1 Prozent; ein
Verhältnis von 1 100 . Ich kenne Lotterien mit höheren
Gewinnchancen .


(Beifall bei der LINKEN)


Schlimmer ist aber noch: Dem Zuwachs von 2 800 zu-
sätzlichen Deutschlandstipendiaten steht im gleichen
Zeitraum ein Rückgang von über 19 000 BAföG-Emp-

fängern gegenüber; und das bei steigenden Studierenden-
zahlen. Ich finde, das ist ein ausgesprochen schlechtes
Signal . Darum bleiben wir dabei: Das Deutschlandstipen-
dium gehört abgeschafft und in das BAföG überführt .
Vielleicht können Sie bis zum Ende der Haushaltbera-
tungen noch einmal über die eine oder andere Anregung
nachdenken . Vielleicht können wir hier oder da etwas
verbessern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812105600

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Swen Schulz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1812105700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf als
Haushälter einmal sagen: Man kann sich immer mehr
wünschen oder noch mehr wünschen, gerade vonseiten
der Opposition . Auch der eine oder andere Koalitionsab-
geordnete wünscht sich mehr . Aber insgesamt ist es ein
beachtlicher Rekordhaushalt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Herr Rupprecht, ich will hinzufügen: Ohne SPD wäre
das nicht möglich .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich erinnere einmal an die Finanzplanung der Ko-
alition von CDU/CSU und FDP . Die Finanzplanung
Ihrer letzten Koalition sah für das Jahr 2016 lediglich
13,6 Milliarden Euro vor . Jetzt sind es etwa 3 Milliarden
Euro mehr . Ich will jetzt nicht von einem SPD-Bonus für
Bildung und Forschung sprechen, aber auffällig ist das
schon .


(Beifall bei der SPD)


Wie auch immer . Ministerin Wanka darf sich über die
tatkräftige Unterstützung der SPD freuen, und wir alle
freuen uns über die gute Vorlage der Ministerin Wanka
und der gesamten Bundesregierung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich geht es nicht nur um die schiere Größe des
Haushaltes, sondern vor allem darum, wie das viele Geld
eingesetzt wird . Mit diesem Haushaltsplanentwurf – das
will ich ausdrücklich lobend erwähnen – werden die
langen Linien der Bildungs- und Forschungspolitik in
Deutschland fortgesetzt . Ich kann auch sagen: Der rote
Faden wird weitergestrickt .

Auf einige dieser roten Fäden will ich näher eingehen .
Da ist zuerst das BAföG zu nennen . Die beschlossene
Verbesserung greift ab dem nächsten Jahr . Das Schü-
ler-BAföG und das Studierenden-BAföG werden erhöht .

Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


Das macht etwa 150 Millionen Euro zusätzlich im nächs-
ten Jahr aus . Die Gesamtausgaben für das BAföG liegen
bei deutlich über 2 Milliarden Euro . Mit diesem Geld
können sich viele einen Bildungsweg erlauben, der ihnen
sonst verschlossen wäre . Das ist ein starkes Stück sozia-
ler Bildungsfinanzierung.


(Beifall bei der SPD)


Zum Thema BAföG gehört auch das Meister-BAföG .
Wir tun also mehr für Schüler und Studierende – wunder-
bar –, aber wir sollten das genauso für diejenigen tun, die
sich beruflich qualifizieren wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen haben wir in den letzten Haushaltsberatungen
die Erhöhung des Meister-BAföGs gefordert, und wir
halten Wort . Der rote Faden wird verlängert . Immerhin
16 Millionen Euro zusätzlich sind im Regierungsent-
wurf vorgesehen . Wir wollen in den parlamentarischen
Beratungen einmal schauen, ob wir ein bisschen dazu-
tun können, um den Weg für eine starke Gesetzesnovelle
zu ebnen. Die berufliche Bildung ist uns nicht weniger
wichtig als die akademische Bildung, und das zeigen wir
an dieser Stelle .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der nächste rote Faden ist der Hochschulpakt . Die Un-
terstützung des Bundes für die Hochschulen der Länder
beläuft sich inzwischen allein 2016 auf 2,5 Milliarden
Euro . Auch hier haben wir unsere Ankündigung des letz-
ten Jahres wahr gemacht . Wir haben zugesagt, dass wir
das Geld für die dritte Phase zur Verfügung stellen wer-
den . Wir wollten auch, dass die Lehre besonders bedacht
wird . Auch diese Forderung ist praktische Politik gewor-
den . Ich möchte mir die Situation in den Ländern und an
den Hochschulen ohne diese starke Hilfe des Bundes gar
nicht ausmalen . Hunderttausende können nur studieren,
weil es den Hochschulpakt gibt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich darf hinzufügen, was für eine Erfolgsgeschichte
die Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsbe-
reich ist . Schade, dass sich dieses Konzept der Zusam-
menarbeit für den Bereich Schule noch nicht durchge-
setzt hat . Wir arbeiten aber unverdrossen daran .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo? Wie? Wann?)


Ich komme zu weiteren roten Fäden . Die Exzellenz-
initiative wird weiter finanziert; wir arbeiten an einem
Folgekonzept . Der Pakt für Forschung und Innovation
zur Finanzierung der außeruniversitären Forschung wird
mit Steigerungen fortgesetzt und sogar vom Bund allein
getragen . Das sagt sich so schnell daher . Es wirkt schon
fast langweilig, weil das ja keine Neuigkeiten sind . Aber
eines muss ich sagen: Die Exzellenzinitiative umfasst im
nächsten Jahr immerhin 4 Milliarden Euro für die For-
schung an Hochschulen . Zusammen mit der Förderung
von außeruniversitären Forschungseinrichtungen – Leib-
niz, Helmholtz, Max-Planck, Fraunhofer und DFG –

macht das 5,5 Milliarden Euro aus . 5,5 Milliarden Euro!
Das gibt nicht jedes Jahr neue Schlagzeilen; aber das ist
verlässliche Politik, auf die die Wissenschaft vertrauen
und auch bauen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das stärkt Deutschland nicht nur intellektuell, sondern
auch wirtschaftlich und hilft bei der Lösung von Proble-
men, zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit und Kli-
ma, in der Arbeitswelt, in der Technologie oder im sozi-
alen Miteinander . Deutschland steht heute in sehr vielen
Bereichen deutlich besser da als vor etwa 15 Jahren . Viel
wird darüber geredet, welchen Anteil die Wirtschaftspo-
litik, die Arbeitsmarktpolitik und die Steuerpolitik dar-
an haben . Das ist alles richtig . Aber ich sage: Dass die
rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder mit
der Ministerin Bulmahn eine beispiellose Offensive in
der Bildungs- und Forschungspolitik gestartet hat und
dass diese von den Koalitionen hinterher noch weiterge-
tragen und intensiviert wurde, hat erheblich dazu beige-
tragen, dass Deutschland heute stark und noch attraktiver
ist .


(Beifall bei der SPD)


Wir belassen es aber nicht etwa dabei . Wir machen
weiter . Wir beginnen, neue rote Fäden zu stricken, etwa
mit der Initiative für wissenschaftlichen Nachwuchs;
Hubertus Heil hat dazu das Nötige gesagt . Das Wissen-
schaftssystem steht auf tönernen Füßen, wenn wir uns
nicht intensiver bemühen, junge Leute zu gewinnen und
dauerhaft zu halten . Darum packen wir das jetzt an .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine
Reihe weiterer Themen, die wir in den parlamentarischen
Haushaltsberatungen noch näher anschauen werden . Um
nur Stichworte zu nennen: Alphabetisierung – die Minis-
terin ist darauf eingegangen –, Arbeits-, Produktions- und
Dienstleistungsforschung, die „Häuser der kleinen For-
scher“, das Programm „Kultur macht stark . Bündnisse
für Bildung“, die Begabtenförderung im akademischen
wie im beruflichen Bereich, die Fachhochschulen, digi-
tale Medien in der Bildung, die Gesundheitsforschung,
die Akademien und vieles mehr . Ich sage dies nur, um
anzudeuten, dass es auch aus Sicht von Koalitionsabge-
ordneten durchaus noch einigen Stoff für vertiefte Haus-
haltsberatungen und vielleicht an der einen oder anderen
Stelle auch noch Veränderungsbedarf gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber in diesen Zeiten kann wohl kaum eine Rede ge-
halten werden, ohne gesondert auf die Flüchtlingsthema-
tik einzugehen . Mir stellt sich die Frage, welchen Beitrag
das Ministerium für Bildung und Forschung leisten kann .
Ich habe den Eindruck, in der Debatte kommen sehr vie-
le Themen vor, es werden viele Dinge angesprochen,
auch mehrere Bundesministerien sind immer wieder im
Gespräch, aber das Bundesministerium für Bildung und
Forschung ist dies eigentlich eher wenig .


(Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Swen Schulz (Spandau)







(A) (C)



(B) (D)


Ich finde, es hieße, das Ressort unter Wert zu behandeln,
wenn man es in der Flüchtlingsfrage außen vor ließe .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ministerin Wanka hat dazu dankenswerterweise vor-
hin in ihrer Rede schon einiges gesagt .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau!)


Es ist auch einiges beschlossen, zum Beispiel, den Zu-
gang zum BAföG zu erleichtern . Sehr gut . Außerdem gibt
es Maßnahmen zur Alphabetisierung von Flüchtlingen,
und die vom Bund geförderte Stiftung Lesen ist aktiv . Es
gibt Projekte für Flüchtlinge im Rahmen des Programms
„Kultur macht stark . Bündnisse für Bildung“ . Das ist al-
les fein und vielleicht auch noch auszubauen, aber ich
will trotzdem die Frage stellen: Was ist mit zusätzlichen
Stipendien? Was ist mit der Anerkennungsberatung?
Was ist mit dem ganzen Bereich der beruflichen Bildung
und der Nutzung überbetrieblicher Bildungsstätten? Be-
steht da vielleicht noch weiterer Handlungsbedarf? Und
können wir vielleicht ein Programm für Schulsozialar-
beit auflegen? Sollten wir einen neuen Schwerpunkt auf
Migrations- und Integrationsforschung legen, die uns ge-
sellschaftlich helfen kann bei der Bewältigung der anste-
henden Fragen? Was ist mit der Friedensforschung und –
das ist ein ganz anderes Feld – der Forschung im Bereich
der vernachlässigten und armutsassoziierten Krankhei-
ten, die ja in den Heimatländern von Flüchtlingen häufig
schlimm wüten? Machen wir da genug?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bildung und
Forschung kann nicht alles, und wir Bundespolitiker in
diesem Feld können nicht allein die Welt retten, das ist
klar . Aber ich weiß, dass wir mit Bildung und Forschung
viele Probleme lösen und Fragen beantworten können .
Ich hoffe, dass wir in den Haushaltsberatungen unseren
Teil dazu beitragen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812105800

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Kai Gehring, Bünd-

nis 90/Die Grünen .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812105900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bildung und Forschung sind die Bereiche, in die 2016
mehr Geld investiert werden soll; zwar nicht genug, aber
immerhin . Allerdings kann man aus dem Geld mehr ma-
chen, als Ministerin Wanka es tut . Deswegen verlangen
wir deutliche Korrekturen am Bildungs- und Forschungs-
haushalt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ministerin Wanka verwaltet ideen- und mutlos alte
Projekte ihrer Vorgängerinnen . Mit ihrer Amtszeit ver-
bindet sich keine neue wegweisende Idee . Dieser an-

triebslosen Politik setzen wir frische Ideen entgegen, da-
mit es in Deutschland innovativer und gerechter zugeht .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen ein Land der Chancen und Erfinder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Yes we can!)


Seit Anfang Januar können Bund und Länder die
Hochschulen dauerhaft unterstützen . Mit der Grundge-
setzänderung tun sich völlig neue Chancen auf, das haben
Sie abgefeiert . Aber nicht so bei Frau Wanka: Auf ihren
Vorschlag für mehr und dauerhafte Kooperation wartet
die Welt noch heute . „Ministerin ideenlos“ lässt grüßen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Wie wichtig es ist, die Wissenschaftsfinanzierung wei-
terzudenken, zeigt der Hochschulpakt . Seit Jahren inves-
tieren Bund und Länder Milliarden in zusätzliche Studi-
enplätze . Das ist ein wichtiger Kraftakt, der viel bringt .
Und trotzdem sind Hörsäle überfüllt und bröckeln Bau-
ten mancherorts vor sich hin, und neue Studierende mit
Fluchthintergrund sind in der Berechnung noch gar nicht
berücksichtigt . Für bessere Studienbedingungen ist es
daher dringend notwendig, die Infrastrukturen des Wis-
sens bundesweit auszubauen und zu erneuern, mit einem
Push im Hochschulbau loszulegen . Wir fordern weiter
ein Modernisierungsprogramm . Eine kreative Wissens-
gesellschaft braucht das .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kraftlos und halbherzig geht es beim BAföG zu . Frau
Wanka und der Koalition gebührt die zweifelhafte Ehre,
eine BAföG-Reform verabschiedet zu haben, die erst
Jahre später bei den Studierenden wirklich ankommt . Das
muss man sich vorstellen: Sie feiern sich seit Jahren für
eine BAföG-Novelle, aber bis heute hat keine Studieren-
de und kein Studierender davon profitiert. Ein weiteres
Jahr wird ins Land ziehen . Das ist völlig unverständlich,
das ist unfair . Das BAföG muss rauf, und zwar sofort .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Planlos sind Sie in der Forschungspolitik . Wir mei-
nen, Forschungsförderung muss aktiv zur Bewältigung
der großen gesellschaftlichen Herausforderungen bei-
tragen . Der Bundesregierung fehlt diese Zielsetzung . Es
macht wenig Sinn, die Forschung mit genmanipulierten
Organismen zu fördern und das Geld der Steuerzahler
in der Fusionsforschung zu versenken . Nachhaltig ist
Forschung zur Lösung der Klimakrise, der Energiefrage
und des Problems der Ressourcenknappheit sowie zu De-
mografie und vernachlässigten Krankheiten. Nachhaltig
ist eine steuerliche Forschungsförderung für kleine und
mittlere Unternehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nachhaltig ist auch, eine neue Gründerkultur in unserem
Land zu entfachen . Genau an diesen Stellen wollen wir in
Ihrem Haushalt umsteuern .

Swen Schulz (Spandau)







(A) (C)



(B) (D)


Ob Exzellenzinitiative oder Nachwuchsprogramm –
es gibt bisher keinen Vorschlag der Ministerin und auch
keine gemeinsame Idee der Koalition . Da kann man
nicht länger warten; denn 2016 muss eine Dekade für
den wissenschaftlichen Nachwuchs beginnen . Unsere
Hochschulen brauchen ein Bund-Länder-Programm für
10 000 zusätzliche Nachwuchsstellen, vom Mittelbau
bis zur Tenure-Track-Professur . Eine zukunftsfähige
Wissensgesellschaft verträgt eben kein „Hire and Fire“,
sondern braucht deutlich mehr unbefristete Stellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie, Frau Wanka, sind nicht nur Forschungsminis-
terin, sondern auch Bildungsministerin . Da stellt sich
akut die Frage: Wie helfen Sie, die Bildung von über
800 000 Flüchtlingen anzuerkennen und zu verbessern,
die allein in diesem Jahr nach Deutschland kommen wer-
den? Viele von ihnen werden bleiben, wollen sich ein-
bringen, wollen Neubürger werden . Das birgt ganz neue
Chancen, und da sind Sie gefragt, Frau Ministerin .

Vor wenigen Tagen bin ich einer jungen Frau aus Eri-
trea begegnet . Ihren positiven Asylbescheid hat sie nach
neun Monaten und zwei Wochen erhalten . So lange war
diese junge Frau zum Hoffen, Warten und Nichtstun ver-
dammt, und das ist kein Zustand .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Und das liegt an Frau Wanka, oder was?)


Denn in dieser Zeit hätte die junge Frau zum Beispiel ei-
nen Ausbildungsplatz suchen können . Doch welcher Ar-
beitgeber stellt sie ein, wenn jederzeit die Abschiebung
droht? Wie absurd ist das eigentlich? Es wäre für Sie ein
Leichtes, daraus eine Win-win-Situation zu machen . Vie-
le Betriebe suchen händeringend nach Azubis und Fach-
kräften . Die Flüchtlinge wollen arbeiten und sich bilden .
Dafür müssen Sie die Bedingungen schaffen . Flüchtlinge
müssen zügig eine Ausbildung beginnen und sie auch in
unserem Land abschließen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Unter den Neuankömmlingen sind bis zu 400 000 un-
ter 18 Jahren . Die können was und wollen was: die Schu-
le abschließen, Deutsch lernen, eine Ausbildung oder
ein Studium aufnehmen oder fortsetzen . Dafür braucht
es eine gemeinsame Kraftanstrengung . Integration durch
Bildung ist die größte Chance und Herausforderung die-
ses Jahrzehnts, und da kann der Bund helfen . Wie kann er
denn helfen? Die Bund-Länder-Programme zur Dekade
für Alphabetisierung sind da ein kleiner, richtiger Schritt .
Diesem Schritt müssen aber weitere folgen, wenn es um
Bildung für alle geht – mit mehr Sprachkursen, mehr
Plätzen und Personal in Kitas, Schulen und Hochschulen,
nicht zuletzt mit deutlich mehr Stipendien für Flüchtlin-
ge; auch der Zugang zum BAföG kann und muss schnel-
ler erfolgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn jeder junge Flüchtling von heute kann Gründerin,
Arzt oder Ingenieurin von morgen sein .


(Beifall der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Dafür braucht es übrigens Zigtausend zusätzliche
Lehrkräfte und mehr Klassenzimmer . Nordrhein-Westfa-
len geht voran und schafft allein 3 600 zusätzliche Leh-
rerstellen zur Flüchtlingsintegration . Hilfen für Schulen
sind aber eine nationale, bundesweite Aufgabe, und Sie,
Frau Wanka, können da mitwirken . Machen Sie mit uns
ein Bund-Länder-Schulmodernisierungsprogramm, um
Schulen auszubauen .


(Thomas Rachel, Parl . Staatssekretär: Das ist verfassungswidrig!)


Das wäre dringend notwendig, schon länger und erst
recht jetzt, wenn man sieht, wie viele Schülerinnen und
Schüler zusätzlich kommen . Das können wir machen,
und das sollten wir machen: ein Schulmodernisierungs-
programm .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


All das gehört in Ihren Haushaltsentwurf 2016, erst
recht in Zeiten von Steuerüberschüssen .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Die gibt es in den Ländern auch! 60 Prozent der Steuerüberschüsse fließen in Kommunen und Länder!)


Da muss man gerade bei Zukunftsinvestitionen beson-
ders stark zulegen . Wir werden Hand anlegen und Än-
derungsanträge zu Ihrem Haushalt für Forschung und
Bildung stellen . In diesem Bereich wird Zukunft gedacht
und gemacht . Jetzt sind wir Parlamentarier an der Reihe,
um Ihren bisweilen ideenlosen Entwurf zu überarbeiten,
damit aus unserem Einwanderungsland ein Land der
Chancen wird und damit es für alle in Deutschland inno-
vativer und gerechter zugeht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812106000

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Tankred

Schipanski, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1812106100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gehring, Ihre
Reden waren schon frischer, sie waren ideenreicher, wit-
ziger und auch mal besser .


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zuschauer sind so langweilig! Da kann niemand was dafür!)


Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Zudem war es falsch, was Sie erzählt haben . Schauen Sie
auf die Geduldeten, die während der Ausbildung eben
nicht mehr abgeschoben werden dürfen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ganz toll, so ein Duldungsstatus!)


Schauen Sie auf die Programme des BMBF wie „Bildung
integriert“ und auf die vielen anderen Ansätze, die heute
in dieser Debatte gerade auch mit Blick auf die Flücht-
lingspolitik vorgetragen wurden .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie schon einmal in einer Flüchtlingsunterkunft?)


Lassen Sie mich Ihnen ein paar Fakten vortragen –
Albert Rupprecht hat darauf hingewiesen –: Seit 2005 hat
sich der Forschungs- und Bildungshaushalt von 7,6 auf
jetzt 16,4 Milliarden Euro mehr als verdoppelt . Das ist
ein unwahrscheinlicher Aufwuchs allein in diesem Jahr .
Im Jahr 2016 steigt er wieder um 7,3 Prozent oder um-
gerechnet um 1,11 Milliarden Euro . Das ist – insbeson-
dere im Vergleich zum Gesamthaushalt – ein deutlicher
Zuwachs .

Bei den Bruttoinlandsausgaben für FuE gab es
von 2008 bis 2012 eine Steigerung um 56 Prozent auf
79,1 Milliarden Euro . Die Wirtschaft trägt zwei Drittel
dieser Ausgaben . Dazu passt auch, dass von den zehn der
forschungsstärksten europäischen Unternehmen fünf aus
Deutschland kommen .

92,4 Prozent der internen FuE-Ausgaben der Wirt-
schaft werden in Westdeutschland eingesetzt . Das ist ein
Fakt, der für uns nicht befriedigend ist . Daher legen wir
beim Titel „Innovationsförderung in den neuen Ländern“
ein ganzes Stück nach . Wir haben den Haushaltstitel auf
149 Millionen Euro erhöht, um die Innovationskraft und
die FuE-Leistungen in den neuen Ländern zu stärken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ferner bauen wir – es ist angeklungen – unter Wah-
rung des eigenständigen Profils von Universitäten und
Fachhochschulen den Titel „Forschung an Fachhoch-
schulen“ aus . Lag der Etat für die Fachhochschulen im
Jahr 2011 noch bei 37 Millionen Euro, liegt er nun bei
überwältigenden 48 Millionen Euro . Das ist ein gutes
Zeichen .

Auf den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, den
Pakt für Forschung und Innovation möchte ich an dieser
Stelle nicht weiter eingehen; das haben meine Vorredner
getan .

Die Zahlen, die wir vorgetragen haben, sind das eine .
Kardinal Marx sagte am Dienstagabend dieser Woche
auf dem traditionellen St .-Michael-Jahresempfang: Wir
brauchen ein umfassenderes Bild von Wachstum, nicht
nur nackte Zahlen wie Bruttoinlandsprodukt und Ar-
beitslosenzahlen . – Blicken wir mit diesen Augen auf die
Bildungsrepublik Deutschland, lässt sich dieser Haushalt
und unsere Politik als eine Politik der Chancengerech-
tigkeit beschreiben: weniger Schulabbrecher, viele be-
gleitende Maßnahmen, Rekordniveau bei Studierenden,
kontinuierliche Stärkung der dualen Ausbildung; unsere

Initiative in Bezug auf das Meister-BAföG sei in diesem
Zusammenhang besonders erwähnt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unsere Politik ist eine Politik nachhaltiger Bildung,
Stichwort: kein Abschluss ohne Anschluss . Wir ermög-
lichen ein durchgängiges System und lebenslanges Ler-
nen; die Nationale Strategie für Alphabetisierung gehört
selbstverständlich dazu, liebe Kollegen von den Grünen .

Unsere Politik lässt sich beschreiben als eine Politik,
die unsere Wissenschaftler motiviert, ermutigt und wert-
schätzt, sie als Motor der Innovation begreift . Wir beglei-
ten das durch das Wissenschaftsfreiheitsgesetz . Die Be-
richte über die GAIN-Tagung zeigen: Viele kluge Köpfe
der Welt möchten hier in Deutschland als Wissenschaft-
ler arbeiten . Das spiegelt sich auch in der Reform des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wider, durch das wir
die Einrichtungen regulieren wollen, die sich als schwar-
ze Schafe entpuppt haben und mit ihrem wissenschaftli-
chen Nachwuchs nicht so umgehen, wie wir uns das vor-
stellen . – Sie sehen: In der Bildungsrepublik Deutschland
stimmen nicht nur die Zahlen, sondern auch der damit
verbundene Geist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Trotz der positiven Tatsache, dass sich der Bund in
höchstem Maß im Bereich Bildung und Forschung en-
gagiert, fragte mich gestern eine Schülerin einer Besu-
chergruppe, warum so wenig davon bei ihrer Schule vor
Ort ankomme . Ein Student meiner thüringischen Heima-
tuniversität, der TU Ilmenau, fragte, warum dort gegen-
wärtig massiv Stellen gestrichen werden? Meine Damen
und Herren, was ist da los? Warum kommt das Geld nicht
vor Ort an? Dafür gibt es einen einzigen Grund: Manche
Bundesländer torpedieren durch ihre Landespolitik die
Schwertpunktsetzung des Bundes .

Lieber Herr Heil, da braucht es keine Ausführungen
zum Kooperationsverbot . Auch ich freue mich, dass die
Bundesratsbank heute für ihre Verhältnisse relativ gut
gefüllt ist . Manche Bundesländer nutzen das großartige
Engagement des Bundes, um ihre eigenen Mittel in den
Bereichen zurückzufahren, in denen sie eigentlich inves-
tieren müssten .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Unmöglich!)


Manche Bundesländer nehmen ihren Verfassungsauftrag
nicht ernst


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!)


und finanzieren trotz primärer Zuständigkeit ihre Bil-
dungseinrichtungen unzureichend .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können in Ber-
lin noch so viel drauflegen, wir können noch so viele
Aufwüchse vorsehen, die Bundesländer müssen mitzie-
hen; denn nur so können unsere Impulse in den einzelnen
Bundesländern wirken, nur so können bei Studentinnen
und Studenten sowie den Schülerinnen und Schülern po-
sitive Effekte ankommen . Ich kann den Bundesländern,
die so eine Politik betreiben, nur sagen: Sie verspielen

Tankred Schipanski






(A) (C)



(B) (D)


damit Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit; Sie be-
treiben eine falsche Haushaltspolitik .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Hubertus Heil Als wir vor circa einem Jahr über den Haushalt 2015 gesprochen haben, kämpfte in Thüringen die Partei Die Linke mit dem Slogan „Wir machen alles besser“ im Landtagswahlkampf . Wir wissen, dass im Freistaat Thüringen dann die erste rot-rot-grüne Koalition entstanden ist unter der Führung eines kommunistischen Ministerpräsidenten, der mit seinen Genossen den Menschen versprochen hat: Wir machen alles besser . Wenn ich die Reden der Linken heute hier im Plenum höre, stelle ich fest: Das ist genau der gleiche Tenor . (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir sind in einer Partei!)


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


(Caren Lay [DIE LINKE]: So was von gestern!)


Schauen wir doch einmal auf die Bildungs- und Hoch-
schulpolitik in Thüringen, wo die Linke Verantwortung
trägt .

Thüringen war berühmt für seine gute MINT-Aus-
bildung in den Schulen, für die Erfolge bei „Jugend
forscht“, für außerschulisches Bildungsengagement . Der
Bund unterstützt dies mit vielen Projekten, obwohl er
keine Zuständigkeit für diesen Bereich hat .


(Zurufe von der LINKEN)


Flächendeckend engagieren wir uns über die Stiftung
„Haus der kleinen Forscher“ . Allein in diesem Haushalts-
jahr sind dafür 10,5 Millionen Euro angesetzt . Thüringen
hat in den Haushalten für die Jahre, in denen Sie jetzt
in Thüringen regieren, keinen einzigen Euro für außer-
schulische Bildung eingestellt, obwohl es sehr viele loka-
le Initiativen gibt, die auf die Unterstützung des Landes
warten .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie doch zum Landtag Thüringen! Da können Sie über Thüringen jeden Tag reden!)


Das Land ist dafür ausdrücklich zuständig . Doch die
Linken geben keinen müden Euro dafür .

Es wird nichts besser, aber vieles schlechter . In mei-
nem Wahlkreis wird höchstwahrscheinlich die Compu-
terschule in Arnstadt geschlossen . Die Ministerin der
Linken hatte vor Schuljahresbeginn noch nicht einmal
Zeit, sich mit den Verantwortlichen dieser Initiative vor
Ort zu treffen. Das finde ich äußerst bitter. Das ist linke
Bildungspolitik .


(Zuruf von der LINKEN)


– Das müssen Sie jetzt ertragen . Sie stehen da in Verant-
wortung .

Heute lese ich in der Zeitung, dass Thüringer Schüler
ein ganzes Schuljahr lang keine Klassenfahrten machen

können, weil die neue Landesregierung auch diesen Titel
zusammengestrichen hat. Das finde ich bemerkenswert.
Aber hier regen Sie sich über das Deutschlandstipendium
auf, von dem 1 Prozent der Studierenden profitiert. Das
ist einfach unredlich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Linke hat 1 000 neue Lehrer versprochen . Nichts
ist passiert .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie auch noch zum Bundeshaushalt?)


Stattdessen gibt es Unterrichtsausfall: Ganze Fächer fal-
len aus . Über die Lehramtsanwärter will ich erst gar nicht
sprechen . Sie beklagen hier, dass die Lehrerausbildung
nicht klappt . Schauen Sie nach Thüringen: Da läuft über-
haupt nichts . Sie haben nicht eines Ihrer Wahlverspre-
chen wahrgemacht .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Ich bin gespannt, ob Sie dem Beispiel Bayerns folgen
und jetzt Willkommensklassen einrichten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das wäre ein wichtiger Beitrag, den die Landesregierung
mit Blick auf die Flüchtlinge leisten könnte .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812106200

Kollege Schipanski?


Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1812106300

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812106400

Ist gut .


Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1812106500

Wir machen das am Ende .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812106600

Am Ende machen wir gar nichts .


Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1812106700

Wir haben die Länder in Milliardenhöhe durch eine

BAföG-Reform entlastet . Die frei werdenden Mittel soll-
ten an den Hochschulen eingesetzt werden . In Thüringen
ging 2015 aber kein einziger Euro davon an die Hoch-
schulen . Skandalös ist das .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind im Bundestag, nicht im Landtag Thüringen! – Swen Schulz warten auf den Monitoringbericht!)


Meine Heimatuniversität in Ilmenau muss ein Drittel ih-
rer Lehrstühle – noch einmal: ein Drittel ihrer Lehrstüh-
le! – aus Finanznot streichen, weil der Freistaat sie nicht
ausreichend finanziert. Der renommierten Universität

Tankred Schipanski






(A) (C)



(B) (D)


Jena geht es nicht besser . Das ist die Wahrheit über die
linke Hochschulpolitik, die Sie im Land vertreten .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann reden Sie denn wieder zum Bundeshaushalt?)


Was Sie auf Bundesebene fordern, auch in Ihren Reden
heute, ist Schall und Rauch . Sie machen nichts besser; sie
machen vieles schlechter .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Warum sage ich das an dieser Stelle so ausdrücklich?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!)


Weil ich froh bin, dass ich mich als Mandatsträger hier
im Bundestag frei äußern darf . Anders ist es unter dem
Genossen Ramelow im linken Thüringen,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


der am gestrigen Tage den kommunalen Amtsträgern –
das sind Bürgermeister und Landräte – in einem Erlass
angedroht hat, sie disziplinarrechtlich zu verfolgen,
wenn sie seine chaotische Flüchtlingspolitik im Freistaat
öffentlich kritisieren .


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das noch zum Bildungshaushalt! – Zurufe von der LINKEN)


Ein Maulkorberlass, und das im 25 . Jahr der deutschen
Einheit! Schämen Sie sich!


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Das ist skandalös . Wir werden uns von solchen SED-In-
strumenten nicht einschüchtern lassen, weder Amtsträger
noch Mandatsträger . Wir werden auch weiterhin die Tat-
sachen der Genossen benennen .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich fordere die Bundesländer auf, durch ihre Haushalte
die aktive Politik der Bundesregierung und des Ministeri-
ums für Bildung und Forschung weiter zu unterstützen .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Was sagen Sie denn zu Baden-Württemberg? Schämen sollten Sie sich!)


Wir setzen die richtigen Schwerpunkte, gerade auch mit
Blick auf die Digitalisierungspolitik . Das war gestern bei
der Rede unserer Kanzlerin Thema Nummer eins . Dies
ist ein Haushalt der Ermutigung . Wir haben klare Zu-
ständigkeiten . Ich freue mich auf die Beratungen dieses
Haushalts .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812106800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marianne Schieder,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1812106900

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Meine Vorrednerinnen und Vorredner sind be-
reits allgemein auf die Vorzüge, aber auch auf die Bau-
stellen eingegangen, die es im Bildungsetat gibt . Manch
einer, Herr Schipanski, hat deutlich daran vorbeigeredet;
das muss man auch einmal sagen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Weil er Grund hatte!)


Ich möchte Ihr Augenmerk auf eine besondere und,
wie ich meine, viel zu wenig beachtete Problematik rich-
ten . Ich möchte auf die Lage all der Menschen in diesem
Land eingehen, die mit einer Lese- und Rechtschreib-
schwäche zu kämpfen haben und die mehr oder weniger
als Analphabeten einzustufen sind .

Worüber reden wir da? Hierzulande gelten – man kann
es kaum glauben, aber es ist wahr und durch zuverlässi-
ge Forschung nachgewiesen – 7,5 Millionen Menschen
im erwerbsfähigen Alter als funktionale Analphabeten .
Das sind 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung .
57 Prozent der Betroffenen gehen einer regelmäßigen Ar-
beit nach, häufig natürlich als angelernte oder ungelernte
Arbeitskräfte . Deutsch – man höre und staune – ist bei
58 Prozent der Betroffenen die Muttersprache . 80 Pro-
zent der Betroffenen haben sogar einen Schulabschluss .
Es handelt sich also nicht um ein Rand- oder gar ein
Randgruppenproblem, sondern es handelt sich um eine
Problematik, die die gesamte Gesellschaft durchdringt .

Wir reden über Bürgerinnen und Bürger, die ihre
Rechte und Pflichten nicht entsprechend wahrnehmen
und erfüllen können und dies wie einen schrecklichen
Makel vor ihren Nachbarn, vor Freunden, vor den Ar-
beitgebern, ja, manchmal sogar vor der eigenen Familie
geschickt zu verbergen wissen .

Wir reden über Väter und Mütter, die ihren Kindern
nicht bei den Hausaufgaben helfen können . Wir reden
über Menschen, die aus Scham und Furcht in prekären
Jobs landen, obwohl sie mit der richtigen Unterstützung
gute Chancen auf qualifizierte Arbeitsplätze hätten.


(Beifall bei der SPD)


Wir reden über Menschen, die wir aus einer men-
schenunwürdigen Situation befreien müssen – einer Si-
tuation, die eines Sozialstaats und einer Bildungsgesell-
schaft unwürdig ist .


(Beifall bei der SPD)


Weil uns Sozialdemokraten dieses Thema so wichtig
ist, ist es Teil des Koalitionsvertrags geworden . Wir ha-
ben bereits im Juni dieses Jahres einen Antrag dazu in
erster Lesung beraten . Dieser Antrag und die darin ein-

Tankred Schipanski






(A) (C)



(B) (D)


geforderten Maßnahmen sind gerade auch in der Fachöf-
fentlichkeit sehr positiv aufgenommen worden .

Im Zentrum steht die Forderung nach einem famili-
en- und lebensweltorientierten Förderprogramm, das
niedrigschwellige Angebote unterstützt, mit denen die
betroffenen Menschen und ihre Familien erreicht werden
können, um so die Schreib- und Lesepraxis in den Fami-
lien zu stärken .

Wir brauchen aber auch den Ausbau von arbeitsplatz-
orientierter Grundbildung, damit vor allen Dingen er-
werbstätige Menschen mit Lese- und Schreibschwäche
gefördert werden können .

Wir halten es für dringend erforderlich, dass eine na-
tionale Koordinierungs- und Monitoringstelle gegründet
wird, die all die Aktivitäten des Bundes, aber auch der
Länder bündelt und Service und Beratung bietet .


(Beifall bei der SPD)


Das Rad muss nicht neu erfunden werden . Vielmehr
gilt es, die vielen erfolgreichen Pilotprojekte in die
Fläche zu tragen und ein Angebot zu schaffen, das die
Zielgruppen erreicht . Auch die vielen Lehrkräfte und Er-
wachsenenbildner, die sich von einer befristeten Stelle
zur anderen hangeln, brauchen endlich Planungssicher-
heit und gesicherte Arbeitsverhältnisse .

Frau Ministerin, am Dienstag haben Sie anlässlich des
Weltalphabetisierungstags auch Ihre Pläne zu diesem
Thema vorgestellt . Das wurde auch Zeit, kann ich dazu
nur sagen; denn ich will heute nicht verhehlen, dass ich
lange Zeit, eigentlich bis Dienstag, den Eindruck hatte,
dass das Interesse an diesem Thema seitens des Ministe-
riums und auch seitens der Ministerin wesentlich ausge-
prägter sein könnte . Aber ich bin natürlich sehr erfreut,
dass es jetzt losgeht, dass sich das Ministerium und die
Ministerin dieses Themas annehmen und dass Sie mit
uns gemeinsam die nationale Dekade für Alphabetisie-
rung anschieben . Das ist gut so, und die Maßnahmen, die
angekündigt worden sind, sind es auch .

Aber es gibt an manchen Stellen noch Luft nach oben .
Das betrifft vor allen Dingen die Finanzierung . 180 Mil-
lionen Euro für zehn Jahre ist viel Geld, aber angesichts
der Tragweite der Aufgabe nicht zu viel Geld . Da waren
wir schon weiter . Wir haben in den Haushalt für 2015
immerhin schon knapp 20 Millionen Euro eingestellt .
Bei diesem Betrag pro Jahr sollten wir, meine ich, auch
bleiben .


(Beifall des Abg . Dr . Karamba Diaby [SPD])


Ich hoffe sehr, dass das letzte Wort in dieser Hinsicht
noch nicht gesprochen ist . Denn das Thema ist wichtig .
Es handelt sich um eine Thematik, die nicht in kurzer
Zeit zu bewältigen ist . Nur durch ausreichende und gesi-
cherte Mittelausstattung können wir langfristige Projekte
finanzieren und verhindern, dass nur Leuchtfeuer entzün-
det werden, die im Endeffekt nicht zum Ziel führen .

Wir haben einen guten Weg eingeschlagen, was die
Alphabetisierung und Grundbildung betrifft . Ich bin si-
cher, dass die ausgerufene Alphabetisierungsdekade hel-
fen wird, die Zahl der Analphabeten in unserem Land zu
senken . Es gibt aber noch viel zu tun, bis dieses Ziel er-

reicht ist . Ich bitte Sie alle in allen Fraktionen, uns zu un-
terstützen . Ich bitte Sie: Packen wir es gemeinsam an, um
eine für die Menschen unwürdige Situation, die dringend
verbessert werden muss, wirklich zu verbessern .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812107000

Die Kollegin Anette Hübinger, CDU/CSU-Fraktion,

hat jetzt das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anette Hübinger (CDU):
Rede ID: ID1812107100

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Enorme Herausforderungen bei der
Flüchtlingsaufnahme, weitere Krisenbewältigung in
Griechenland – dennoch ein Rekordhaushalt für Bildung
und Forschung und der Wille, das Ganze ohne Neuver-
schuldung auf den Weg zu bringen . Das sind die zentra-
len Herausforderungen an die Haushalts- und Finanzpo-
litik, insbesondere im Haushaltsjahr 2016 . Die schwarze
Null ist kein Selbstzweck . Vielmehr geht es bei solider
Haushaltspolitik darum, das Vertrauen in Deutschland zu
erhalten und der jungen Generation Perspektiven zu er-
öffnen . Daher müssen wir unsere aktuellen Probleme mit
heutigen Mitteln lösen und dürfen das Ganze nicht auf
die nächste Generation verschieben . Denn dann würden
wir es uns zu leicht machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dieser Prämisse im Hinterkopf setzen wir nun
den Auftakt für die Haushaltsverhandlungen 2016 . Was
bedeutet das für den Einzelplan 30, Bildung und For-
schung? Weil die regierende Koalition an die junge Ge-
neration denkt, bleibt der Bereich Bildung und Forschung
weiterhin zentraler Schwerpunkt . Für das kommende
Jahr – das haben wir gehört – sind 16,4 Milliarden Euro
veranschlagt . Das ist eine Steigerung um 1,1 Milliarden
Euro . Aber man muss auch dazusagen, dass in diesem
Betrag 100 Millionen Euro aus dem Haushaltsjahr 2017
enthalten sind, die in 2016 vorgezogen werden, um neue
Ansätze schon jetzt realisieren zu können . Das Betreu-
ungsgeld hat etwa 108 Millionen Euro in unserem Haus-
halt ausgemacht . Diese Mittel wurden über die GMA
erwirtschaftet . Auch das bleibt jetzt in diesem Haushalt
erhalten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Diese Mittelsteigerung liegt prozentual betrachtet
mit 7,4 Prozent doppelt so hoch wie die Steigerung des
Gesamthaushaltes . Es ist meines Erachtens ein richtiges
und wichtiges Signal, dass die Bundesregierung an dem
10-Prozent-Ziel – 7 Prozent für Bildung und 3 Prozent
für Forschung – festhalten wird .

Der bildungs- und forschungspolitische Fokus in die-
sem Haushalt richtet sich aber nicht nur auf die Aufga-
ben des Bundes selbst . Mit der Übernahme des BAföG,

Marianne Schieder






(A) (C)



(B) (D)


mit dem Hochschulpakt und mit der alleinigen Finanzie-
rung der Steigerung der Mittel für die außeruniversitä-
ren Forschungsinstitutionen entlasten wir die Länder um
einen namhaften Milliardenbetrag . Das sind, wenn man
es überschlägt, ungefähr 5 Milliarden Euro . Ins Verhält-
nis gesetzt zum Haushaltsvolumen von 16,4 Milliarden
Euro macht das fast ein Drittel aus . Ein Drittel ist also für
Aufgaben der Länder vorgesehen . Dies obliegt eigent-
lich nicht dem Bund und damit unserem Haushalt . Wir
als Haushaltspolitiker müssen bald fragen, was unseren
Haushalt ausmacht und ob wir die Bundesaufgaben in
Zukunft noch ordnungsgemäß erledigen können .

Welchen Wert eine stringente Bildungs- und Forschungs-
politik hat, zeigt sich auch darin, dass Deutschland mit
7,4 Prozent die mit Abstand geringste Jugendarbeitslo-
sigkeit in Europa hat. Das ist unserer beruflichen Ausbil-
dung, der dualen Ausbildung geschuldet . Dieses Modell
der beruflichen Ausbildung wird mittlerweile weltweit
nachgefragt .

Das zeigt sich aber auch an den transnationalen Pa-
tentanmeldungen . Hier ist Deutschland führend in Euro-
pa und auf Platz drei weltweit . Dies ist ein Verdienst der
Industrie, aber ebenso der Forschungspolitik, die in der
Hightech-Strategie die globalen Herausforderungen ad-
ressiert, zu verdanken .

Somit stellen sich aufs Neue die Fragen: Wie kann man
diese Erfolge weiter ausbauen, und welche Schwerpunk-
te sollten aus fachpolitscher Sicht gesetzt werden? Wie
können wir auf neue Entwicklungen wie beispielsweise
die Flüchtlingsströme adäquat reagieren? Erst einmal
bleibt festzuhalten, dass die Themen „Bildungsgerech-
tigkeit“, „ein ganzheitliches, leistungsfähiges Wissen-
schaftssystem“, „starke außeruniversitäre Forschungs-
einrichtungen“ sowie „Stärkung der Spitzenforschung“
Leitlinien in diesem Einzelplan sind .

An dieser Stelle mein Dank an das Ministerium, das
die wesentlichen Schwerpunkte, die die Fachpolitiker ge-
setzt haben, in diesem Haushaltsjahr weiter fortschreibt .
Ihnen, den Fachpolitikern, waren zum Beispiel besonders
wichtig: die Verbesserung der Berufsorientierung, eine
Stärkung der überbetrieblichen Bildungsstätten, Weiter-
bildung und lebenslanges Lernen . Dies sind Themen, die
besonders jungen Menschen auf ihrem beruflichen Weg
helfen und ihnen auch bei ihrer künftigen Entwicklung in
ihrem Berufsleben weiterhelfen . Das BMBF schließt in
diesem Haushaltsentwurf daran an und investiert in die
überbetrieblichen Bildungsstätten im Bereich Digitali-
sierung weitere 14 Millionen Euro .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Man kann sagen: Die ÜBS werden fit für die Zukunft
gemacht .

Besonders zu erwähnen ist die Initiative des BMBF
zur Gewinnung von Studienabbrechern für die beruf-
liche Ausbildung . Damit soll die Durchlässigkeit zwi-
schen akademischer und beruflicher Bildung verbessert
und den jungen Menschen neue Perspektiven eröff-
net werden. Eine fundierte berufliche Ausbildung und
eine durchlässige Weiterbildung untermauern auch die
Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bil-

dung . Diese Gleichwertigkeit wird noch dadurch unter-
strichen, dass wir jetzt das Meister-BAföG novellieren
und es dem BAföG für Studierende gleichstellen . In der
Fraktionsklausur wurde von unserem Fraktionsvorsit-
zenden Volker Kauder der Wunsch geäußert – das wurde
auch so verabschiedet –, dass diese Gleichwertigkeit her-
gestellt wird und wir dafür neue Mittel einstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Jetzt brauchen wir nur noch die Sozialdemokraten!)


Jetzt brauchen wir nur noch das Votum der Sozialdemo-
kraten, diesen Weg mitzugehen . Aber ich denke, das wer-
den wir in den Haushaltsberatungen hinbekommen .

Auch die Weiterentwicklung der Alphabetisierungs-
strategie zu einer Dekade der Alphabetisierung gewinnt
aufgrund der Flüchtlingsströme natürlich an Bedeutung .
Liebe Frau Kollegin Schieder, wir fangen nicht erst da-
mit an, sondern es werden, wie Ministerin Wanka betont
hat, bereits Hunderte von Millionen Euro dafür inves-
tiert . Und: Eine Strategie zu einer Dekade weiterzuent-
wickeln, ist – das zeigt sich schon in der Wortwahl – eine
besondere Herausforderung, der wir uns stellen wollen .

Auch in der Forschung haben wir Akzente, auch neue
Akzente gesetzt . Für Gesundheitsforschung und Gesund-
heitswirtschaft werden im Haushaltsjahr rund 7 Millio-
nen Euro zusätzlich eingestellt . Als Beispiel möchte ich
hier die Wirkstoffinitiative, die sich der Erforschung von
neuen Wirkstoffen im Bereich der Antibiotikaresistenzen
widmet, nennen . Welche Brisanz dieses Thema hat, kann
man täglich in der Presse nachlesen . Denn immer wieder
wird über ganze Abteilungen in Kliniken berichtet, die
vorübergehend geschlossen werden, weil ein multiresis-
tenter Keim aufgetreten ist .

Besonders am Herzen liegt mir – das wurde heute
schon erwähnt – die Erforschung der armutsassoziierten,
vernachlässigten Krankheiten . Diese Krankheiten waren
auch ein besonderer Schwerpunkt beim G-7-Treffen in
diesem Jahr .

Produktentwicklungspartnerschaften sind ein neues
Finanzierungsmodell in unserem Haushalt . Wir werden
mit diesen Produktentwicklungspartnerschaften in eine
zweite Förderrunde gehen . Ich gehe von einer Verdoppe-
lung der Mittel im Förderzeitraum aus .

Ein weiteres zukunftsweisendes Anliegen ist die Di-
gitale Agenda . Denn die Digitalisierung tangiert jeden
Einzelnen von uns in allen Lebensbereichen . So muss die
Forschung nicht nur die Digitalisierung an sich begleiten,
sondern auch Antworten darauf finden, wie die Arbeits-
welt und unser künftiges Leben in diesem Prozess positiv
gestaltet werden können . Daher wurde der gesamte The-
menbereich um 10 Millionen Euro gestärkt und interdis-
ziplinär angelegt .

Durch die Digitalisierung sollen neue wissenschaftli-
che Informationsstrukturen aufgebaut werden . Durch die
Vernetzung von Forschungsdatenbanken kann ein uner-
messliches Potenzial gehoben werden . Dies ist ein wich-

Anette Hübinger






(A) (C)



(B) (D)


tiger Schritt für den Forschungsstandort Deutschland, der
mit der Open-Access-Strategie neue Maßstäbe setzt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Des Weiteren wird das Thema „Digitale Bildung an
Schulen“ vorangetrieben . Und mit der Plattform „Indus-
trie 4 .0“ wird ein deutliches Zeichen für die Digitalisie-
rung der Wirtschaft gesetzt .

Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die Flücht-
lingsproblematik eingehen . Kollege Schulz hat gesagt,
dass auch auf den Einzelplan 30 in der Zukunft Heraus-
forderungen zukommen werden . Viele Dinge sind schon
positiv angelegt . Notwendig sind aber auch Flexibilisie-
rung beim und schnellerer Zugang zum BAföG, ein Ab-
schiebestopp während der Ausbildung, die Anerkennung
ausländischer Qualifikationen sowie Sprachkurse und
frühkindliche Bildung .

Aber ich bin mir sicher, dass wir das alles schaffen
werden . Denn Deutschland ist stark . Ich freue mich auf
die Haushaltsverhandlungen, die in den vergangenen
Jahren immer sehr kollegial vonstattengegangen sind,
und wünsche uns eine gute Beratung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812107200

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Oliver

Kaczmarek von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1812107300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

tatsächlich beeindruckend, wenn man einen Blick auf die
Zahlen wirft, vor allem dann, wenn man sich die Lage
vor Augen führt, aus der die Bildungspolitik seit 1998
befreit worden ist . Erinnern wir uns kurz an das Jahr, das
das Ende des Reformstaus in Deutschland markiert: Das
BAföG – runtergewirtschaftet; stagnierende Forschungs-
ausgaben . Deutschland galt als kranker Mann in Europa .
Wenn man sich das vor Augen führt und dann den heuti-
gen Mittelaufwuchs sieht, muss man sagen: Ja, das war
tatsächlich eine Kraftanstrengung in den letzten fast zwei
Jahrzehnten und stellt eine deutliche Prioritätensetzung
für Bildung und Innovation vieler Bundesregierungen
dar .


(Beifall bei der SPD)


Es ist schon angesprochen worden: Mehr Geld alleine
macht noch keine gute Bildungspolitik . Deswegen las-
sen Sie mich am Schluss der Debatte noch einen Blick
auf zwei oder drei Herausforderungen werfen, die in den
nächsten zwei Jahren dieser Wahlperiode vor uns lie-
gen . Unsere erste Herausforderung: Wir müssen weiter
in Chancengleichheit investieren . Chancengleichheit ist
nach wie vor eine zentrale Frage . Denn wir wollen, dass
im Bildungswesen nicht die Herkunft, sondern Leistung
zählt .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb war es richtig und wichtig, dass wir das
BAföG substanziell erhöht und strukturell modernisiert
haben . Einige der in der 25 . BAföG-Novelle vorgese-
henen Maßnahmen sind schon in Kraft getreten, Herr
Gehring . Wir haben uns gefreut, Frau Ministerin, als wir
im Sommer gehört haben, dass Sie eine Anregung aus
den parlamentarischen Beratungen aufgenommen haben,
nämlich die Voraufenthaltsdauer für Geflüchtete vorzei-
tig auf 15 Monate zu reduzieren . Das ist in dieser Situ-
ation ein richtiger Schritt und ein Willkommensgruß an
diejenigen, die dann auch mit staatlicher Unterstützung
unsere Hochschulen besuchen können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist auch schon angesprochen worden, und es gehört
zur Chancengleichheit: Genauso wichtig wie das BAföG
ist das Meister-BAföG . Die Anhebung der Bedarfssätze
und Freibeträge haben wir schon beim BAföG geregelt .
Wir werden jetzt die Leistungen und den Geförderten-
kreis ausweiten und das AFBG modernisieren . Lassen
Sie uns deshalb beim BAföG deutlich machen: Wir re-
den nicht nur über die Gleichwertigkeit von beruflicher
und akademischer Bildung; wir schaffen sie . Das wird im
AFBG deutlich werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung zur Chancen-
gleichheit . Heute Nachmittag wird der Etat der Famili-
enministerin beraten . Deswegen – Herr Heil hat es schon
angesprochen – ganz kurz: Uns interessieren doch auch
die Spitzenforscher von morgen, die heute in die Kitas
gehen . Die Lage beim Betreuungsgeld ist so, wie sie ist .
Das Verfassungsgericht hat gesprochen . Unser aller In-
teresse als Bildungspolitiker – über die Ressortgrenzen
hinweg – sollte sein, dass das Geld im Etat der Familien-
ministerin bleibt, damit dort in die Qualitätsverbesserung
bei der frühkindlichen Bildung investiert werden kann .


(Beifall bei der SPD)


Zweite Herausforderung . Wir müssen dem Fachkräf-
temangel entschieden entgegentreten . Dazu brauchen wir
mehr Schritte in Richtung Gleichwertigkeit von beruf-
licher und allgemeiner Bildung . Ich glaube, manche aka-
demische Debatte, die darüber gerade geführt wird, hilft
am Ende nicht weiter, weil wir ganz konkrete Schritte
brauchen .

Die Ausbildungswilligen brauchen einen Ausbildungs-
platz, auch die – das sage ich ganz bewusst – ohne Abitur .
Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Debatte in
einem Akademisierungswahn zu sehr auf eine bestimmte
Gruppe von Ausbildungswilligen konzentriert .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Alle brauchen einen Ausbildungsplatz, und zwar über-
all im Land . Ich bin froh, dass mit der Allianz für Aus-
und Weiterbildung ein erster Schritt gegangen wurde,
dass die Zahl der Ausbildungsplätze steigt und wir in die
assistierte Ausbildung investieren .

Auszubildende brauchen aber auch eine gute Aus-
bildung . Das ist eine Baustelle, der wir uns annehmen
müssen . Leider hat uns der DGB-Ausbildungsreport, der

Anette Hübinger






(A) (C)



(B) (D)


Anfang September vorgestellt wurde, wieder vor Augen
geführt, dass in einigen Branchen die Qualität der Aus-
bildung leider nicht gut ist . Damit müssen wir uns be-
schäftigen; denn die Auszubildenden brauchen eine gute
Ausbildung .


(Beifall bei der SPD)


Nicht zuletzt: Auszubildende brauchen auch eine
Übernahmeperspektive . Wie sonst sollen sie die Zuver-
sicht haben, eine Familie zu gründen, eine Wohnung zu
beziehen, sich ehrenamtlich zu engagieren, also all das zu
tun, was wir von ihnen gesellschaftlich erwarten, wenn
sie nach der Ausbildung – das ist hier schon angespro-
chen worden – mit befristeten Verträgen leben müssen?

Deshalb brauchen wir keine Debatten über einen ver-
meintlichen Akademisierungswahn, sondern konkrete
Schritte, die den Auszubildenden helfen . Das schafft
Gleichwertigkeit der Ausbildungswege und ist eine
wichtige Herausforderung für die nächsten zwei Jahre .


(Beifall bei der SPD)


Dritte Herausforderung . Noch nie haben so viele
Menschen wie heute ein Studium aufgenommen . Sie zu
unterstützen, dass sie ein erfolgreiches Studium und ei-
nen guten Studienabschluss haben, ist für mich eine der
Schlüsselherausforderungen .

Es ist schon angesprochen worden: Der Hochschul-
pakt wurde verlängert . An dieser Stelle möchte ich kurz
einschieben, dass der Hochschulpakt, der Pakt für For-
schung und Innovation, die Exzellenzinitiative und der
Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs, den es bald
geben wird, zusammengehören: Das ist eine vierteilige
Strategie für die Entwicklung unseres Wissenschaftssys-
tems .

Wir wollen bei der Neugestaltung der Exzellenzinitia-
tive nicht nur dafür sorgen, dass mehr Geld für Etablier-
te zur Verfügung stehen wird, sondern auch, dass eine
Strategie entwickelt wird, die das gesamte System in
Bewegung und mehr Exzellenz bringt . Herr Heil hat ge-
sagt: „Wir wollen mehr Exzellenz wagen .“ Das ist genau
richtig . Spitze und Breite gehören zusammen . Deswegen
müssen wir diese vier Elemente immer zusammen sehen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen es jetzt aber vor allem schaffen, dass die
Qualität der Lehre verbessert wird . Ich glaube, das ist ein
ganz wichtiger Punkt . Wer ein Studium beginnt, der soll
es – qualitätsgesichert natürlich – auch abschließen . Da-
für haben wir mit dem Qualitätspakt Lehre und mit den
Festlegungen, die wir im Hochschulpakt getroffen haben,
eine gute Basis gelegt . Aber ich will noch einen Schritt
weiter gehen: Unserer Meinung nach ist eine gute Lehre
auch ein Kriterium für Exzellenz .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will es noch anders sagen und mich damit auch etwas
aus dem Fenster lehnen: Eine Hochschule mit schlechter

Lehre kann keine gute und schon gar keine exzellente
Hochschule sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen gehört das mit in die Verhandlungen über die
Exzellenzinitiative .

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben in
den letzten zwei Jahren viel Gutes geschafft . Wir sind
auf einem guten Weg, haben aber noch viel zu tun . In
den Beratungen werden wir noch ein bisschen am Haus-
haltsentwurf schleifen, sodass sich die Bundesregierung
darauf verlassen kann, eine gute etatmäßige Grundlage
vom Parlament zu bekommen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812107400

Vielen Dank . – Weitere Wortmeldungen zu diesem

Einzelplan liegen nicht vor .

Bevor wir zu der Beratung des nächsten Einzelplanes
kommen, müssen wir noch eine Reihe von Entscheidun-
gen treffen .

Zunächst rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 f
sowie Zusatzpunkt 1 auf:

a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der
staatlichen Notariate in Baden-Württemberg
Drucksache 18/5218
Überweisungsvorschlag:
A . f . Recht und Verbraucherschutz

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
ordnung des Rechts der Syndikusanwälte
Drucksache 18/5563
Überweisungsvorschlag:
A . f . Recht und Verbraucherschutz (f)

A . f . Wirtschaft und Energie
A . f . Arbeit und Soziales

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der Strukturen der Krankenhausversorgung

(Krankenhausstrukturgesetz – KHSG)

Drucksache 18/5867
Überweisungsvorschlag:
A . f . Gesundheit (f)

Innenausschuss
A . f . Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
A . f . Wirtschaft und Energie
A . f . Ernährung und Landwirtschaft
A . f . Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
A . f . Familie, Senioren, Frauen und Jugend
A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur
A . f . Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Unterhaltsrechts und des Unterhalts-
verfahrensrechts

Oliver Kaczmarek






(A) (C)



(B) (D)


Drucksache 18/5918
Überweisungsvorschlag:
A . f . Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
A . f . Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen

Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2014
– Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2014 –
Drucksache 18/5128
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

f) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen

Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2014
– Haushaltsrechnung des Bundes für das
Haushaltsjahr 2014 –
Drucksache 18/5291
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

ZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luft-
verkehrsabkommen vom 16 . und 21 . Juni 2011
zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika
als erster Partei, der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Island
als dritter Partei und dem Königreich Norwegen
als vierter Partei und zu dem Zusatzabkommen
vom 16 . und 21 . Juni 2011 zwischen der Europä-
ischen Union und ihren Mitgliedstaaten als erster
Partei, Island als zweiter Partei und dem König-
reich Norwegen als dritter Partei, betreffend die
Anwendung des Luftverkehrsabkommens vom
16 . und 21 . Juni 2011

Drucksache 18/5580
Überweisungsvorschlag:
A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur

Hierbei handelt es sich um Überweisungen im
vereinfachten Verfahren ohne Debatte .

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf .
Hierbei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vor-
lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 3 a:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)


– zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen

Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2013

– Vorlage der Haushaltsrechnung des Bun-
des für das Haushaltsjahr 2013 –

– zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen

Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2013

– Vorlage der Vermögensrechnung des
Bundes für das Haushaltsjahr 2013 –

– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof

Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2014 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-

(einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung 2013)


– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof

Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2014 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
rung des Bundes

– Weitere Prüfungsergebnisse –

Drucksachen 18/1930, 18/1809, 18/3300, 18/3617
Nr. 1, 18/4650, 18/4865 Nr. 1, 18/5387

Unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung schlägt
der Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung der
Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2013 vor . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden .

Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung auf-
zufordern,

a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundes-
haushaltspläne die Feststellungen des Haushalts-
ausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrech-
nungshofes zu befolgen,

b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlich-
keit unter Berücksichtigung der Entscheidungen des
Ausschusses einzuleiten oder fortzuführen und

c) die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen, da-
mit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den
Haushaltsberatungen gewährleistet ist .

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es
jemanden, der dagegenstimmt? – Das ist nicht der Fall .
Gibt es jemanden, der sich enthält? – Dann ist diese Be-
schlussempfehlung einstimmig angenommen worden .

Ich komme zum Tagesordnungspunkt 3 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)

zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrech-
nungshofes

Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2014

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


– Einzelplan 20 –
Drucksachen 18/5020, 18/5388

Wer stimmt für Nummer 1 der Beschlussempfehlung,
also die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? –
Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Gibt es jeman-
den, der sich enthält? – Damit ist auch diese Beschlus-
sempfehlung einstimmig angenommen worden .

Wer stimmt für Nummer 2 der Beschlussempfehlung,
also die Erteilung der Entlastung? – Stimmt jemand da-
gegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch diese
Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden .

Wir setzen die Haushaltsberatungen fort . Wir kommen
jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.

Wenn die Kolleginnen und Kollegen sich hingesetzt
haben, können wir mit der Debatte beginnen . – Als erste
Rednerin hat die Bundesministerin für Arbeit und Sozia-
les, Andrea Nahles, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor
ich mich mit den Themen für das kommende Jahr be-
schäftige, gestatten Sie mir kurz einen Blick zurück:

Wir haben in dieser Legislaturperiode schon einige
große Reformvorhaben umgesetzt . Wir haben die Müt-
terrente und die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitrags-
jahren eingeführt . Seit 1 . Januar 2015 gilt der allgemeine
gesetzliche Mindestlohn . Wir haben die Tarifautonomie
gestärkt und neue Ansätze zum Abbau der Langzeitar-
beitslosigkeit umgesetzt . Weil so mancher Sorge hat,
möchte ich an dieser Stelle direkt sagen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen: Die Bekämpfung der Langzeitarbeits-
losigkeit wird auch weiterhin Priorität haben und Hand-
lungsschwerpunkt bleiben, auch wenn neue Aufgaben
hinzukommen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Reformen der vergangenen Jahre waren zum Teil
mit heftigen Kontroversen verbunden . An Horrorszena-
rien hat es nicht gemangelt . Heute, mit etwas Abstand,
können auch die größten Pessimisten feststellen, dass
diese Horrorszenarien so nicht eingetreten sind . Die Kos-
ten der Mütterrente und die Inanspruchnahme der Rente
ab 63 Jahren liegen voll im Rahmen der Erwartungen .
Andere Beitragszahler rücken nach . Beitragsausfälle
bleiben aus .

Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist
auf Rekordniveau . Der Mindestlohn wird zunehmend
zur Normalität und stabilisiert spürbar die Strukturen auf
dem Arbeitsmarkt . Statt der prophezeiten Jobverluste ist
die Beschäftigung heute höher als vor einem Jahr, näm-
lich über eine halbe Million Menschen mehr .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das spült viel Geld in die Sozialkassen .

Natürlich ist der auch Mindestlohn ein wichtiges In-
strument, um die Zuwanderung nicht in einen Wettlauf
nach unten, sondern in ordentliche Arbeit münden zu las-
sen; darauf lege ich Wert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Arbeit der letzten zwei Jahre zeigt, dass wir mit
Augenmaß und Vernunft vorgehen . Lassen Sie uns, lie-
be Kolleginnen und Kollegen, geleitet von dieser Erfah-
rung, auch die kommenden Reformaufgaben angehen:
mit Augenmaß und klarem Blick auf die Dinge, die wir
verändern möchten .

Wir werden in den kommenden Monaten das umset-
zen, was wir schon sehr präzise im Koalitionsvertrag
verabredet haben, ein Gesetzespaket zur Vermeidung von
Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen . Derzeit
sind wir in intensiven Vorbereitungen und Gesprächen,
um ein zielgenaues Gesetz zu erarbeiten .

Zwei Dinge möchte ich hierzu an dieser Stelle anmer-
ken:

Erstens geht es nicht darum, die Vertragsform Werk-
vertrag infrage zu stellen . Aber ein Anliegen unserer Re-
form ist es, den Menschen, die hinter solchen Verträgen
stehen, ein Gesicht zu geben, zum Beispiel indem Be-
triebsräte Kenntnis bekommen, wer als Werkarbeitneh-
mer auf dem Firmengelände beschäftigt ist .

Einen zweiten Punkt möchte ich aus aktuellem Anlass
gerne in Erinnerung rufen, weil er uns erst kürzlich in der
Realität der Tarifauseinandersetzung begegnet ist . Wir
möchten klarstellen, dass Leiharbeiter nicht als Streik-
brecher eingesetzt werden dürfen . Auch das haben wir im
Koalitionsvertrag verabredet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Abschluss ei-
nes intensiven Dialoges mit allen Betroffenen werden
wir im kommenden Jahr auch ein Bundesteilhabegesetz
vorlegen . Mit dem Bundesteilhabegesetz werden wir
Menschen mit Behinderungen mehr Selbstständigkeit
und mehr Teilhabe eröffnen . Aber – das sage ich direkt
dazu –: Alles, was wir tun werden, werden wir so gestal-
ten, dass wir damit keine neue Ausgabendynamik auslö-
sen . Auch das haben wir klar verabredet .

Wir werden also diese Vorhaben weiter umsetzen,
auch wenn uns alle zurzeit sicher ein ganz anderes
Thema bewegt, nämlich das Schicksal vieler Millionen
Flüchtlinge auf der ganzen Welt und die Frage, wie wir
denen, die bei uns Zuflucht suchen, ein würdiges neues
Leben in unserem Land ermöglichen können . Wenn ich
in diesen Wochen Bilder sehe, wie Hunderte von Men-
schen auf den Bahnhöfen warten – mit Jacken, Pullovern,
Wasser, Essen und einem freundlichen Lächeln für die
ankommenden Flüchtlinge: in München, in Frankfurt, in
Dortmund, in Saalfeld in Thüringen oder sogar nachts
um drei in Berlin –, dann bin ich persönlich dankbar . All

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


denen, die das überall in unserem Land tun – und den
vielen mehr, die auch helfen –, möchte ich Danke sagen .


(Beifall im ganzen Hause)


Aber auch Bund, Länder und Kommunen stehen hier
vor großen Herausforderungen . Als Erstes sehen wir
natürlich, was nötig ist, um das Dringendste zu gewähr-
leisten: ein Dach über dem Kopf, Decken, Kleidung,
Registrierung, Essen, ärztliche Versorgung, Schule für
die Kinder . Bei all dem dürfen wir uns nicht allein auf
noch so großes freiwilliges Engagement verlassen . Dafür
brauchen die Kommunen und Länder finanzielle Unter-
stützung . Und auch der Bund steht vor einer großen He-
rausforderung . Auch wir benötigen zusätzliche Finanz-
mittel, wenn wir diese Aufgabe erfolgreich schultern
wollen . Ich bin überzeugt, wir können es schaffen . Aus
den Flüchtlingen sollen möglichst schnell Nachbarn und
Kollegen werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Lange Asylverfahren und die Abhängigkeit von staat-
licher Hilfe – das ist für die betroffenen Menschen frus-
trierend, und es ist die schlechteste Lösung für unser
Gemeinwesen, übrigens auch für die öffentlichen Kas-
sen . Ziel muss es sein, dass die Menschen, die bei uns
bleiben, zügig in Arbeit kommen . Unser Haushalt, unser
Einzelplan 11, der hier zur Debatte steht, ist ein wichtiger
Hebel, mit dem wir das stemmen können .

Wir fangen nicht erst jetzt an . Ich habe alle Spielräume
genutzt, um auch im laufenden Jahr sofort anzupacken .
Worum geht es im Einzelnen? Natürlich ist die Versor-
gung der Menschen schon ein großer Brocken . Wir brau-
chen zusätzliche Mittel für die Hilfe zum Lebensunter-
halt, zwischen 1 Milliarde Euro und 2 Milliarden Euro .
Wie viel genau, das hängt von vielen Variablen ab – je
nachdem, wie viele Menschen wirklich einen Asylantrag
stellen, wie viele Anträge dann anerkannt werden und
wie viele Familienangehörige nachziehen .

Und auch das sage ich ganz offen: In der Arbeitslo-
senstatistik wird sich das niederschlagen . Ich wünsche
mir, dass sich alle, die heute sagen: „Das wollen wir
stemmen; wir wollen die Menschen bei uns aufnehmen“,
daran noch in einem Jahr erinnern; denn das ist dann
kein Zeichen gescheiterter Arbeitsmarktpolitik, sondern
ein Zeichen dafür, dass wir eine große, eine andauernde
Aufgabe bewältigen müssen . Ich will, dass wir aus Ab-
hängigkeit keinen Dauerzustand machen . Ich will, dass
wir die Flüchtlinge integrieren und dass sie in Arbeit
kommen . Am liebsten wollen diese Menschen für sich
selbst sorgen . Das ist mein Eindruck, wenn ich mit diesen
Menschen rede . Wir werden die Kosten auf Dauer nur
im Griff behalten, wenn wir jetzt auch aktive Leistungen
neben die passiven Leistungen stellen und damit Integra-
tion finanzieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei der Eingliederung in Arbeit, die die Jobcenter leis-
ten, brauchen wir Dolmetscher, wir brauchen Deutschleh-
rer, wir brauchen Mitarbeiter, die sich kümmern . Auch
die Verfahren zur beruflichen Anerkennung kosten Geld.
Wir veranschlagen in diesem aktiven Bereich 600 Milli-

onen bis 1,1 Milliarden Euro . Ich habe schon ausgeführt,
warum ich Bandbreiten nenne und wir noch nicht in der
Lage sind, das präziser zu beziffern . Alleine für die be-
rufsbezogenen Sprachförderungskurse brauchen wir pa-
rallel zu den bislang eingeplanten ESF-Mitteln schon für
das Jahr 2016 180 Millionen Euro zusätzlich .

Wir stehen also hier vor einer riesigen Aufgabe . Und
es wird nicht damit getan sein, dass wir jetzt für ein Jahr
auf Krisenmodus schalten, und dann läuft alles wieder
normal; darauf möchte ich in aller Deutlichkeit hinwei-
sen . Nein, wir haben eine Daueraufgabe vor uns . Wir
werden daher nicht ausschließlich mit befristeten Stellen
auskommen . Das, was wir an dieser Stelle tun, ist nicht
allein kurzfristige Nothilfe . Es wird auf längere Sicht nö-
tig bleiben . Und es ist zugleich eine gute und notwendige
Investition in unsere eigene Zukunft; denn die aktiven
Mittel wirken auch an anderer Stelle . Sie helfen in den
Branchen und Regionen, wo händeringend Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer gesucht werden, zu einer
möglichst schnellen Vermittlung .

Ich will auch klar darauf hinweisen: Nicht alle, die da
kommen, sind hoch qualifiziert. Ganz klar: Das ist nicht
so . Der syrische Arzt ist nicht der Normalfall . Wir haben
bei der Bundesagentur für Arbeit das Pilotprojekt „Early
Intervention“ gestartet und erhoben, wie die Möglichkei-
ten sind . Nicht einmal jeder Zehnte kann direkt in Arbeit
oder Ausbildung kommen . Zumeist fehlen Deutschkennt-
nisse, aber auch anderes . Wir haben in neun Großstädten
begonnen . Bald wollen wir bundesweit so weit sein, dass
Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, wenn ein Asylantrag
gestellt wird, so früh wie möglich in die entsprechenden
Einrichtungen gehen, dort mit den Menschen sprechen:
Was habt ihr gemacht? Was könnt ihr? – Dann können
wir sehen, ob Berufserfahrung und welche Qualifikation
vorhanden ist, ob ergänzende Qualifikationen notwen-
dig sind, auf welche Stellen die Betreffenden vermittelt
werden können und welche Arbeitgeber man ansprechen
kann. Vielleicht findet sich auch ein Betrieb, der mit Aus-
bildung oder Training on the Job motivierte Mitarbeiter
für die Zukunft gewinnen will . Die Signale, die ich al-
leine in den letzten Tagen aus der deutschen Wirtschaft
erhalten habe, stimmen mich hier sehr optimistisch .

Wir brauchen also zumeist ergänzende Qualifizierung
und in vielen Fällen überhaupt erst einmal eine grund-
ständige Ausbildung . Wir alle hier im Haus sind uns si-
cherlich einig: Deutschlernen ist ein Generalschlüssel .
Was die Menschen in den Integrationskursen lernen,
reicht aber oft nicht, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu
fassen . Deswegen geht es nicht nur um die Erhöhung der
Zahl der berufsbezogenen Sprachkurse, sondern auch
darum, möglichst früh Sprachkurse anzubieten und eine
ununterbrochene Linie des Lernens zu ermöglichen .

Wir spüren schon heute: Die Menschen wollen . Sie
wollen lernen, und sie wollen arbeiten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen die Aufnahme von Arbeit erleichtern . Ich
habe eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die
zum Ziel haben, die Vermittlung in Arbeit von Hürden
und Bürokratie zu befreien . Wir sind zurzeit darüber in
Abstimmung innerhalb der Bundesregierung und mit den

Bundesministerin Andrea Nahles






(A) (C)



(B) (D)


Ländern . Ich hoffe, dass es gelingt, für eine Weile be-
stimmte Hürden beiseite zu stellen, allerdings ohne dabei
die Interessen der anderen Arbeitslosen in unserem Land
aus dem Blick zu verlieren . Wir brauchen Zuwanderung .
Wir brauchen Menschen, die zu uns kommen, und wenn
sie kommen, sollten sie das ohne Angst tun und sich hier
auch aufgenommen fühlen . Deswegen müssen wir all die
in ihre Schranken weisen, die Stimmung gegen Flücht-
linge machen oder sogar Hass säen .


(Beifall im ganzen Hause)


Ich bin sicher: Wir werden hier bald ein Einwande-
rungsgesetz beraten . Doch bis es dazu kommt, wollen
wir versuchen, mit ganz konkreten Maßnahmen Druck
von den Asylverfahren zu nehmen . Mein Vorschlag ist,
dass wir eine Kontingentregelung für Bürger aus den
Staaten des Westbalkans auf den Weg bringen . Sie sollen
in den nächsten fünf Jahren die Möglichkeit eines gere-
gelten Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen .
Derzeit läuft dies alles über die Asylverfahren . Das ist
nicht sinnvoll, weil die Anerkennungsquote bei unter
1 Prozent liegt . Bis zu 20 000 Menschen sollen jedes
Jahr hierherkommen können, aber nur dann, wenn sie
ein konkretes Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzange-
bot haben, bei dem natürlich die tariflichen Regelungen
geachtet und erfüllt sind . Das halte ich für einen vernünf-
tigen Weg, um das Asylverfahren zu entlasten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen ste-
tigen Zuwachs bei der Beschäftigung . Die Erwerbstätig-
keit in Deutschland ist auf Rekordniveau, und es gibt so
viele offene Stellen wie noch nie . Wir haben in den letz-
ten Jahren für gesunde Finanzen gesorgt und die soziale
Sicherung fest aufgestellt . Die Herausforderung, vor der
wir jetzt stehen, Menschen nach Flucht und Gefahr hier
Heimstatt und Hoffnung zu geben, Arbeit und Aussicht
auf ein Leben in Sicherheit – diese Aufgabe wird uns
noch Jahre beschäftigen . Ich bin mir mit Finanz minister
Schäuble einig, dass wir das, was wir dafür benötigen,
bereitstellen werden . Die Aufgabe fordert – das ist klar –;
aber sie überfordert uns nicht . Wir können sie meistern .
Wir werden sie meistern . Wir im Bereich der Arbeits-
markt- und Sozialpolitik werden alles tun, was dafür nö-
tig ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812107500

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Katja

Kipping von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812107600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser

Haushaltsentwurf verrät: Schwarz-Rot hat nicht vor, die

großen sozialen Baustellen anzugehen . Dieser Entwurf
ist blind gegenüber den sozialen Nöten in diesem Land .


(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Natürlich!)


Nehmen wir nur die Hartz-IV-Regelsätze . Diesem
Haushaltsentwurf zufolge ist kein Spielraum für eine
wirkliche Erhöhung des soziokulturellen Existenzmini-
mums . Dabei ist die bisherige Berechnung der Regel-
sätze eine Farce . Da werden die Ausgaben der ärmsten
Menschen in diesem Land statistisch festgehalten, ohne
zu schauen, ob es ihnen nicht bereits am Lebensnotwen-
digen mangelt . Von den so ermittelten Ausgaben ziehen
Sie dann noch einmal locker 30 Prozent ab, und das soll
das Existenzminimum sein . Wir meinen: Das kann so
nicht weitergehen . Hier muss deutlich mehr Geld einge-
plant werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zu den Hartz-IV-Sanktionen . Als Linke
haben wir hier eine klare Position: Das Hartz-IV-Sankti-
onssystem gehört abgeschafft und muss durch eine sank-
tionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn beim soziokulturellen Existenzminimum han-
delt es sich um ein soziales Grundrecht, und bei Grund-
rechten kürzt man nicht . Das ist einfach unanständig .


(Beifall bei der LINKEN)


Seit vielen Wochen befindet sich nun der Erwerbslo-
senaktivist Ralph Boes im Sanktionshungern . Das heißt,
infolge einer 100-prozentigen Sanktion hat er sich ent-
schieden, keinerlei Essen mehr zu sich zu nehmen . Das
ist seine Art, gegen die Hartz-IV-Sanktionen zu protes-
tieren. Ich finde es erschreckend, dass jemand zu solch
drastischen Maßnahmen greift oder greifen muss . Ich
habe ihn besucht, mich länger mit ihm unterhalten und
ihn sehr inständig darum gebeten, sein Sanktionshungern
zu beenden . Ich habe in diesem Zusammenhang eine Bit-
te an Sie, Frau Nahles: Bitte suchen Sie das direkte Ge-
spräch mit Ralph Boes . Es geht hier um ein Menschenle-
ben, und man darf als zuständige Ministerin nichts, aber
auch gar nichts unversucht lassen, dieses zu retten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir befinden uns in der Mitte der Wahlperiode. In
zwei Jahren sind Bundestagswahlen . Es ist also Zeit für
eine Zwischenbilanz hinsichtlich der Frage: Wo stehen
wir sozialpolitisch?

Es gibt Armut in diesem Land . Armut bedeutet für viele
Leute, dass sie unter materieller Unterversorgung leiden .
60 Prozent der Armutsgefährdeten können sich mit ihrer
Familie nicht einmal eine Woche Urlaub hier im Land
leisten . 25 Prozent der Armutsgefährdeten können sich
nur jeden zweiten Tag eine warme vollwertige Mahlzeit
leisten . Armut ist nicht einfach eine relative Größe, wie
Sie, Frau Nahles, uns weismachen wollen; Armut ist für
viele Menschen in diesem Land eine reale Belastung .
Deswegen muss man etwas dagegen unternehmen . Wir

Bundesministerin Andrea Nahles






(A) (C)



(B) (D)


schlagen dazu als Linke eine solidarische Mindestrente,
eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine ordentli-
che Kindergrundsicherung vor .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und warme Weihnachten!)


In dieser Bilanz schlägt auch negativ zu Buche, dass
soziale Grundrechte verwehrt werden – durch Sanktio-
nen und niedrige Regelsätze .

Über die Versäumnisse im Bereich der Arbeitsmarkt-
politik wird meine Kollegin Sabine Zimmermann reden .
In der Erwerbswelt sind besonders Frauen und junge
Menschen von prekären und unsicheren Arbeitsverhält-
nissen betroffen . So ist beispielsweise bei Neueinstellun-
gen jeder zweite Vertrag befristet .

Zudem haben wir eine soziale Spaltung in diesem
Land . Die reichsten 10 Prozent schwimmen im Reich-
tum; jeder von ihnen hat im Durchschnitt mehr als 1 Mil-
lion Euro . Die ärmsten 10 Prozent haben nichts als ihre
Schulden. Ich finde, diese Erkenntnis schreit nach Um-
verteilung von oben nach unten . Es macht mich wütend,
zu sehen, dass Sie von der SPD und Sie von der CDU/
CSU sich der Umverteilung von oben nach unten derma-
ßen verweigern .


(Beifall bei der LINKEN)


Um es zusammenzufassen: Unterlassungen beim
Durchsetzen von sozialen Grundrechten, Untätigkeit
beim Kampf gegen Armut . Diese Bilanz ist beschämend .
Frau Nahles, Sie haben noch zwei Jahre Zeit . Nutzen
Sie sie! Es gibt viel zu tun in diesem Land – für soziale
Grundrechte und gegen Armut .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812107700

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Karl

Schiewerling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1812107800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! An die guten Zahlen haben
wir uns längst gewöhnt: 43 Millionen Menschen in Be-
schäftigung, 31 Millionen sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse, im europäischen Vergleich
eine niedrige Arbeitslosigkeit und vor allen Dingen eine
niedrige Jugendarbeitslosigkeit . Konsequenz daraus
ist: Wir haben gut gefüllte Sozialkassen, die zwar nicht
überquellen, aber im Augenblick auch keinen Anlass zur
Sorge geben .

An diese guten Zahlen haben wir uns so sehr gewöhnt,
dass wir vergessen haben, was die Ursachen sind . Wir ha-
ben vergessen, dass die Zahlen das Ergebnis einer guten
Finanz- und Wirtschaftspolitik sind . Eine Ursache dafür
ist, dass wir vor zehn Jahren Reformen gemacht haben,
die ihre Wirkung entfalten, und dass auch die Korrektu-

ren, die in der letzten Legislaturperiode vorgenommen
worden sind, ihre Wirkung entfalten . Alles das gehört
dazu .

Wir haben uns deswegen daran gewöhnt, eher über
Fachkräfte zu diskutieren als Arbeitslosigkeit . Ich mei-
ne, das ist eine Entwicklung, die eher ermutigt als be-
trübt . Das ist ein völlig anderer Blickwinkel auf diese
Gesellschaft als der, Frau Kipping, den Sie gezeichnet
haben . Viele Menschen, die bis dahin in Armut waren,
haben den Sprung in die Beschäftigung geschafft – auch
viele Langzeitarbeitslose haben diesen Weg geschafft –
und können ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften
finanzieren.


(Zuruf der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE])


Ich meine, Frau Kipping, das ist eine gute Entwicklung,
und wir werden an dieser Entwicklung weiterarbeiten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben uns so sehr an diese guten Zahlen gewöhnt,
dass wir geneigt sind, die Augen davor zu verschließen,
dass am strahlend blauen Konjunkturhimmel möglicher-
weise Gewitterwolken aufziehen könnten, die uns schon
wieder vor neue Herausforderungen stellen . Ich nenne
nur die Situation in der Ukraine . Ich denke an die Situati-
on in China und anderen Bereichen, wo wir vom Export
abhängig sind . Gewiss, wir können nicht allem vorbeu-
gen; aber wir dürfen das auch nicht aus dem Auge ver-
lieren, weil wir sonst Gefahr laufen, zu glauben, dass ein
Immer-weiter-so letztendlich die Normalität ist . Wir wer-
den dafür kämpfen, dass das die Normalität bleibt, aber
das hängt von Dingen ab, über die wir in der Arbeits-
markt- und Sozialpolitik allein nicht entscheiden können .

Meine Damen und Herren, auch die Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik steht vor den Herausforderungen der de-
mografischen Entwicklung. Die neue Herausforderung,
vor die wir nun gestellt sind, ist die Situation, dass viele
Menschen auf der Flucht sind, existenziell an Leib und
Leben bedroht sind; wir alle kennen die Bilder . Sie sind
vor Bürgerkriegen geflüchtet. Sie suchen Schutz in unse-
rem Land . Wir nehmen sie auf . Wir begrüßen sie freund-
lich . Wir wollen tun, was wir können . Ich sage Ihnen: Es
ist gut, dass wir hier in Deutschland ein Zeichen setzen,
und es ist gut, wie wir es setzen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Diese Entwicklung bestimmt die Agenda in unserem
Land; die Bundesarbeitsministerin hat gerade ausführlich
darauf hingewiesen . Somit ergeben sich neue Herausfor-
derungen, neue Wege, aber auch neue Chancen . Mit die-
sem Dreiklang will die Union im Haushalt 2016 den ver-
änderten Anforderungen im Bereich „Arbeitsmarkt und
Sozialpolitik“ Rechnung tragen .

Bei allen neuen Aufgaben, die sich aus der Hilfe für
die Flüchtlinge ergeben, muss allerdings im Blick be-
halten werden – auch da unterstütze ich die Bundesar-
beitsministerin voll –, dass sich Anforderungen an uns
stellen, die weiterhin unsere Agenda bestimmen und de-
nen wir Rechnung tragen müssen: Anforderungen in der
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Situation der noch
nicht vermittelten Langzeitarbeitslosen, die Situation der

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


arbeitsuchenden Menschen, die Frage, wie wir das Ren-
tensystem auf Dauer krisenfest machen können . All diese
Herausforderungen bleiben bestehen . Alles, was wir für
die Menschen tun, die in Not sind und zu uns kommen,
ersetzt nichts, sondern muss zusätzlich geschultert wer-
den . Ich bin sicher, dass wir im Sinne des Dreiklangs die
neuen Herausforderungen annehmen, die neuen Wege
beschreiten und auch die neuen Chancen erkennen . Des-
wegen werden wir das gemeinsam schultern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kernthema der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist aus
unserer Sicht die Integration in den ersten Arbeitsmarkt .
Die Union will gemeinsam mit dem Koalitionspartner,
wenn auch zunächst befristet, die arbeitsmarktpoliti-
schen Instrumente angehen mit dem Ziel, den Übergang
in den Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass er für die ver-
schiedenen Zielgruppen zum Erfolg wird . Es geht um die
Arbeitslosen, die 55 Jahre und älter sind . Es geht um die
langjährigen Bezieher von Arbeitslosengeld II . Es geht
um die Menschen, die mindestens drei Jahre nicht im
Erwerbsleben standen . Es geht um junge Eltern, die seit
Jahren von der Grundsicherung leben, und es geht um
ein Programm für schwer erreichbare junge Menschen .
Zu diesem Programm gehört, dass wir diese Menschen
möglichst nah an den Arbeitsmarkt bringen und in den
ersten Arbeitsmarkt integrieren . Wir haben den Vor-
schlag unterbreitet, das gute und bewährte Instrument der
Integrationsbetriebe zu nutzen, um sozusagen Schritte zu
ermöglichen, den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir wollen schon in die-
sem Haushalt und auch in zukünftigen Haushalten in
die Zukunft investieren . Im Koalitionsvertrag haben wir
dazu festgehalten:

Junge Menschen, deren Eltern seit Jahren von
Grundsicherung leben, sollen Unterstützung be-
kommen .

Darauf haben wir uns verständigt . Wir müssen es schaf-
fen, auch den schwer erreichbaren jungen Menschen eine
Perspektive zu geben . Insofern freue ich mich sehr, dass
die Bundeskanzlerin und die Bundesarbeitsministerin,
sozusagen ohne großes Aufheben zu machen, gemein-
sam einen Vorschlag von mir übernommen haben, ein
Programm mit der Überschrift „RESPEKT“ aufzulegen:
Respekt vor den jungen Menschen, die auf dem Weg in
ihre Zukunft sind, Respekt vor denen, die Hilfe benö-
tigen . Wir wollen dieses Programm im Oktober starten
und über diesen Weg Einrichtungen schaffen, in denen
diese jungen Menschen Unterstützung erhalten . Ziel ist
es, dass sie persönlich geprägte, langfristige Beziehun-
gen eingehen können, die Vertrauen und Sicherheit schaf-
fen und einen kontinuierlichen und nachhaltigen Weg in
Ausbildung und Arbeit ebnen . Die zentrale Botschaft des
Programms heißt: Wir achten die jungen Menschen . Wir
erkennen ihre unterschiedlichen Problemlagen an . Mit
ihnen gemeinsam wollen wir den Weg zu einer selbst-
bestimmten und freien Teilhabe in unserer Gesellschaft
öffnen .

Dabei haben wir auch die Situation der jungen Eltern
im Blick, die seit Jahren von Grundsicherung leben . Sie
sind eine besondere Zielgruppe unserer Maßnahmen . Die
Eltern haben eine ganz wichtige Vorbildfunktion . Ihnen
soll geholfen werden, diese Aufgabe wahrzunehmen . Ich
danke ausdrücklich den beiden Berichterstattern für den
Haushalt, Axel Fischer und Ewald Schurer, die schon im
letzten Jahr für den Haushalt 2015 und in diesem Jahr für
den Haushalt 2016 die Voraussetzungen dafür geschaffen
haben .

Das ist, Frau Kipping, ein gänzlich anderes Programm,
als es die Linken haben . Wir setzen dort an, wo wir den
Menschen helfen können, um aus ihrer Not herauszu-
kommen . Wir nehmen sie sehr konkret an die Hand .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Deswegen kürzen Sie im Bereich der Arbeitsmarktpolitik!)


Unser Ziel besteht nicht darin, die Hartz-IV-Sätze will-
kürlich anzuheben, sondern darin, auf der Basis ordent-
licher Berechnungen die Grundlage für das Leben zu
schaffen .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber Ihre Arbeitsmarktpolitik besteht doch darin, die Leistungen zu kürzen!)


Unser Ziel muss sein, den Menschen eine Perspektive zu
geben . Daran arbeiten wir .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, wir stehen vor der großen
Aufgabe der Integration von Flüchtlingen, die eine dau-
erhafte Duldung haben, die ein Bleiberecht haben . Es
gilt, die Willkommenskultur, die die Menschen überall,
auf den Bahnhöfen und auf den Straßen, dokumentieren,
auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen . Dazu gehört
auch die Wirtschaft, dazu gehören auch die Betriebe . Ich
unterstütze ausdrücklich Ihre Einschätzung, dass sich die
eigentlichen Herausforderungen bezüglich des Arbeits-
marktes nicht heute stellen, sondern verschärft Anfang
des kommenden Jahres . Das betrifft nicht nur die Sprach-
kurse, sondern auch die Vermittlung in Arbeit . Deswegen
ist es gut, dass wir uns diesen Herausforderungen stellen .
Die Bundesarbeitsministerin hat das Programm vorge-
stellt. Es findet unsere Unterstützung. Ich denke, dass wir
die Herausforderungen und die Aufgaben, die sich daraus
ergeben, auch gemeinsam schultern .

Voraussetzung ist natürlich, dass die Rechtsgrundla-
gen für jeden Einzelnen, der zu uns gekommen ist, ge-
klärt sind, das heißt, dass er bei uns bleiben kann, dass
er geduldet ist, dass er hier eine Lebensperspektive hat .
Dann können die Schritte erfolgen, die Menschen dau-
erhaft im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen . Das stellt
auch eine Riesenchance dar, dem viel zitierten Fachkräf-
temangel zu begegnen . Allerdings müssen die Branchen
sehr konkret sagen, wer wie viele Fachkräfte benötigt
und in welcher Region Fachkräfte gebraucht werden .
Fachkräftemangel ist kein pauschales Thema, sondern
ein branchen- und regionalspezifisches Thema. Deswe-
gen muss sehr spezifisch und passgenau gehandelt wer-
den . Ansonsten kommt es zu einem– neuhochdeutsch
ausgedrückt–, Mismatching und werden Erwartungshal-

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


tungen geweckt, die möglicherweise gar nicht zu befrie-
digen sind .

Meine Damen und Herren, zu den neuen Chancen, vor
denen wir stehen, gehört auch, dass wir mithilfe der jun-
gen Zuwanderer, die jetzt zu uns kommen, die demogra-
fische Entwicklung neu angehen können. Es ist gut, dies
in den Blick zu nehmen, wenn wir über die Zukunfts-
sicherung, unsere Alterssicherung reden . Wir hatten im
Juni 32,6 Milliarden Euro in der Nachhaltigkeitsrückla-
ge; das sind 2 Milliarden Euro mehr, als wir geplant hat-
ten . Durch die Mütterrente und die Rente mit 63 sind es
allerdings 2,5 Milliarden Euro weniger als beim letzten
Jahreswechsel . Aber wir stehen besser da, als vermutet .
Das sind gute Perspektiven für die Zukunft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Nachhaltigkeitsrücklage liegt oberhalb von
1,5 Monatsausgaben . Ich höre schon wieder die Auguren
im Himmel tönen, man könne dann doch den Rentenver-
sicherungsbeitrag senken .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein!)


Ich kann nur dringend raten, die Finger davon zu lassen
und sich genau anzuschauen, welche Belastungen noch
kommen, damit wir ihn nicht zu schnell wieder erhöhen
müssen und der Effekt nur ein kurzfristiges Strohfeuer
ist .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich will auf einen weiteren
Punkt zu sprechen kommen, der die Rente betrifft und
mir in den letzten Wochen und Monaten verstärkt sehr
am Herzen liegt . Wir müssen den Menschen helfen, ei-
nen Überblick über ihre zukünftige Alterssicherung
zu bekommen . Da besteht aus meiner Sicht dringender
Handlungsbedarf . Die Rentenauskunft der Deutschen
Rentenversicherung wird nicht ausreichen, so gut sie
auch ist . Wir brauchen als Überblick eine Zusammenfüh-
rung der privaten, der betrieblichen und der gesetzlichen
Altersvorsorge . Die Menschen müssen wissen, wie hoch
die steuerliche Belastung ist, wie hoch der Krankenver-
sicherungsbeitrag ist, weil es sonst ein böses Erwachen
geben kann . Vor allem müssen wir es ihnen rechtzeitig
sagen, damit sie sich darauf einstellen können . Das ist ein
wichtiger Beitrag für die jüngere Generation, damit sich
jeder darüber im Klaren ist, welche Entwicklung auf ihn
zukommt . Ich halte es für zwingend geboten – und ich
glaube, dass die Politik gut beraten ist, die Erwartungen
an die entsprechenden Träger deutlich zu formulieren –,
das auf den Weg bringen und damit nicht mehr allzu
lange zu warten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neue Herausforderungen, neue Wege, neue Chan-
cen – voller Optimismus krempeln wir die Arme hoch
und nehmen diese Herausforderung an . Ich bin sicher:
Wir werden es gemeinsam schaffen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812107900

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz

das Wort .


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812108000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Schiewerling, die Kollegin Katja Kipping hat hier
auf ein ernstes Problem hingewiesen, nämlich auf Armut
in einem reichen Land. Ich finde es wirklich sehr bedau-
erlich, dass Ihnen nichts anderes einfällt, als mit Polemik
darauf zu reagieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich finde, an einer solchen Stelle ist für Polemik kein
Platz . Das war vielmehr ein Hinweis, dass wir uns der
Sache annehmen sollen .

Im Übrigen gibt es nicht nur zwei Berichterstatter,
sondern mit Frau Lötzsch und mir vier Berichterstatter
zu diesem Thema .


(Beifall der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Als Hauptberichterstatterin werde ich mir sehr viel Mühe
geben, dass wir sachlich fundiert und kollegial zusam-
menarbeiten, so wie wir das bisher auch getan haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Frau Ministerin, Sie haben im Einzelplan 11 zu Recht
den Schwerpunkt auf die Versorgung und Förderung
von Flüchtlingen gelegt . Er umfasst Leistungen, die mit
Flüchtlingshilfe zu tun haben . Dazu zählen Maßnahmen
zum Unterhalt und zur Integration – ALG-II-Leistun-
gen, Kosten der Unterkunft –, berufliche Maßnahmen –
Jobcenter, Förderprogramme, Qualifizierung – und die
ESF-Gelder, die meist leider bereits gebunden sind . An
dieser Stelle wird sich zeigen, ob wir in der Lage sind,
diese Programmtitel durch nationale Mittel aufzusto-
cken, um eine Antwort auf Ihre Frage zu finden.

Die derzeitige Entwicklung ist für uns alle eine He-
rausforderung; das gebe ich zu . Deshalb debattieren wir
darüber . Aber ich verstehe meine Rolle in der Opposition
auch als konstruktive Verantwortung . Deshalb will ich
Ihnen unbequeme Sachverhalte und Versäumnisse nicht
verschweigen .

Wir wissen noch nicht, wie die 3 Milliarden Euro,
über die wir reden, eingesetzt werden . Wir wissen aber,
dass ein Großteil dieser Mittel durch die Passivleistungen
vereinnahmt werden wird, weil wir die Mittel für KdU-
und ALG-Leistungen steigern müssen, da es darauf einen
gesetzlichen Anspruch gibt . Dann wird es darauf ankom-
men, ob Sie die Fehler, die Sie im letzten Haushaltsver-
fahren bei den Fördermitteln gemacht haben, wiederho-
len, indem Sie alles schönreden und kleinrechnen . Das
wäre wirklich unverantwortlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will Ihnen sagen, warum, und möchte Ihnen dazu
einige Beispiele nennen . Im Haushaltsplan 2015 sind wir

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


davon ausgegangen – die Zahlen nenne ich Ihnen in aller
Deutlichkeit –, dass in diesem Jahr 300 000 Asylanträ-
ge gestellt werden und sich weitere 370 000 Flüchtlinge
mit sogenannter SGB-III- und SGB-II-Relevanz im Land
befinden. Das Angebot für diese Flüchtlinge war, ehrlich
gesagt, äußerst bescheiden . Das Programm „Integrations-
richtlinie Bund“ wurde auf 2 000 Menschen jährlich aus-
gelegt . Für 300 000 plus 370 000 Flüchtlinge gibt es also
2 000 Plätze; das Bezugsjahr für die Planungen war 2012 .
Den Hinweis, dass diese Zahlen überholt sind, haben Sie
erfolgreich ignoriert . Für die ESF-BAMF-Sprachkurse
hat das BMAS ganze 26 000 Plätze einkalkuliert . Für das
Programm „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ wa-
ren ganze 2 300 Plätze veranschlagt . Wie hätte das denn
funktionieren sollen? Was ist das für ein Angebot? Sie
selber merken doch, wie beschämend diese Zahlen sind,
Frau Ministerin . Das müssen Sie zugeben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schlimmer ist aber, dass Sie all die Rufe und Hinwei-
se darauf schlicht und einfach ignoriert haben und nicht
wahrhaben wollten, weil nicht sein sollte, was nicht sein
durfte .

Kommen wir zu den Jobcentern . Das Eingliederungs-
budget wurde im Jahr 2015 um keinen einzigen Cent
erhöht . Aus dieser „Erhöhung“ um nicht einen einzigen
Cent sollte Folgendes finanziert werden:


(Iris Gleicke [SPD]: Das stimmt doch nicht! – Katja Mast [SPD]: 350 Millionen!)


die allgemeinen Kostensteigerungen inklusive dem Per-
sonalhaushalt, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosig-
keit und die Angebote für Asyl- und Schutzberechtigte,
die zwar Potenziale, aber auch komplexe Hemmnisse
haben. All das hätte daraus finanziert werden sollen. Der
Hinweis darauf, dass wir hier dringend mehr Mittel brau-
chen, wurde von Ihnen total ignoriert . Das konnte nicht
gut gehen, Frau Ministerin .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt, den Sie nicht gerne hören – ja, ich
gebe zu, es ist nicht angenehm, so etwas zu hören –: Der
Verschiebebahnhof von den Eingliederungstiteln zu den
Verwaltungskosten wird weitergehen, und zwar in Folge
seit vielen Jahren . Diesmal ist es mindestens eine halbe
Milliarde Euro, die immer verschoben wird . Das geht so
nicht .

All das sind Gründe dafür, warum ich sehr skeptisch
in dieses Verfahren gehe . Ich bin gespannt, ob Sie wirk-
lich hinkriegen, was Sie hier in vielen blumigen Worten
versprochen haben, Frau Ministerin .

Es gibt Mehrbedarfe – und es muss sie auch geben –,
und zwar schon im Jahr 2015 . Nicht umsonst muss die
Bundesagentur an ihre Interventionsreserve gehen . Da-
rauf, dass das Geld für Sprachförderung vorne und hinten
nicht reicht, hat die Bundesagentur bereits im März hin-
gewiesen; aber auch das konnten Sie erfolgreich ignorie-
ren . Wir könnten einiges machen . Wir könnten fehlende
Gelder für 2015 durch einen Nachtragshaushalt bereit-
stellen . Wir könnten die ESF-Mittel durch nationale Mit-

tel aufstocken . Ob Sie das machen oder nicht, darauf bin
ich gespannt . Viel gehört habe ich dazu nicht .

Frau Ministerin, was wir jetzt brauchen, ist eine Kurs-
setzung . Der künftige Kurs kann aber nicht ein gede-
ckelter Betrag sein, bei dem man dann einmal guckt, wie
weit wir damit kommen . Der Kurs muss doch lauten: Wir
brauchen eine systematische, bedarfsorientierte und ziel-
orientierte Finanzierung der notwendigen Maßnahmen .
Integration ist wichtig . Lassen Sie uns die Fehler, die wir
bei der Gastarbeitergeneration gemacht haben, nicht wie-
derholen . Wir brauchen die Jobchancen, wir brauchen die
Integrationsmittel, wir brauchen die Sprachkurse . Wenn
wir all das nicht machen, dann wird der Preis in Zukunft
um einiges höher, und der Preis sind die Chancen der
Menschen, die in unser Land kommen . Dafür müssen
wir jetzt geradestehen, und zwar nicht nur mit Worten,
sondern auch mit Taten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben den Willen bekundet, aber Zahlen dazu stehen
noch aus; sie sind nicht im Haushaltsplan . Ich bin ge-
spannt, was wir dann in der Beratung noch vorgerechnet
bekommen .

Es gibt noch andere Beratungsgegenstände; auf einen
Teil davon wird mein Kollege Wolfgang Strengmann-
Kuhn noch eingehen . Lassen Sie mich aber noch einen
Punkt ansprechen: 86 Milliarden Euro aus Ihrem Etat
gehen an die Rentenversicherung . Dieser Betrag – das
wissen wir jetzt schon – wird sukzessive steigen, und
zwar nicht zuletzt aufgrund des Rentenpakets, dessen Fi-
nanzierung ja erst noch auf den Bundesetat zukommt . Im
Moment ist dies noch nicht enthalten, im Moment müs-
sen dies die Beitragszahler tragen .

Zeitgleich steigt in diesem Land die Altersarmut, ins-
besondere bei Frauen . Die zwischen Männern und Frau-
en vorhandene Lohnlücke führt zu einer Rentenlücke, so-
bald die Frauen ins Rentenalter kommen . Darauf haben
Sie keine Antworten . Sie nehmen sich der Sache nicht an,
Sie ignorieren das . Sie wollen da überhaupt nichts verän-
dern . Dass Sie das so ignorieren, macht mich persönlich,
ehrlich gesagt, fassungslos, und damit komme ich zurück
auf die Polemik . Wenn es um Armut geht, dann können
wir uns Polemik in diesem Land nicht leisten . Gerech-
tigkeit heißt, zu handeln und nicht nur weichzuspülen,
heißt, etwas zu tun und nicht nur darüber zu reden . Frau
Ministerin, daran werden wir arbeiten müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812108100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ewald Schurer

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ewald Schurer (SPD):
Rede ID: ID1812108200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Verehrte Kollegin Deligöz, Sie haben ja eine ganze Liste

Ekin Deligöz






(A) (C)



(B) (D)


vorgetragen; das ist auch die Arbeit der Opposition . Eine
ganz wichtige Zahl darin war allerdings schon völlig
falsch . Sie ignorieren, dass wir die Jobcenter mit 4 mal
350 Millionen Euro, also 1,4 Milliarden Euro, mehr über
diese Periode hinweg finanzieren. Die Zahl, die Sie ge-
nannt haben, war grundfalsch . Sie ignorieren diese klare
Erhöhung, die im Haushalt ausgewiesen ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Das wissen Sie aber besser!)


So geht es weiter . Es ist natürlich die Aufgabe der
Opposition, sich kritisch mit der Politik der Regierung
zu befassen . Man muss aber auch sagen: Wofür, glauben
Sie, haben wir das Rentenpaket geschnürt? Das ist die
manifeste Form eines Beitrags zur Bekämpfung der Al-
tersarmut und zur Bekämpfung der Armut per se in dieser
Gesellschaft .


(Beifall bei der SPD – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was genau machen Sie gegen Altersarmut?)


So etwas hier einfach wegzudiskutieren, ist nur bedingt
redlich und ist der verkrampfte Versuch der Opposition,
hier etwas zu finden.

Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und
Kollegen, es ist schlicht und einfach so, dass wir bei den
Haushaltsberatungen im Bereich Arbeit und Soziales vor
einer riesigen Herausforderung stehen – die Frau Minis-
terin hat es skizziert –, die im bisherigen ersten Entwurf
noch nicht ganz abgebildet ist; das muss man zugeben .
Es wird, technisch betrachtet, zu einer Art Nachtrag zum
Haushalt kommen müssen, schon allein aufgrund der zu-
sätzlichen Ausgaben in den Bereichen Flucht, Asyl und
Anerkennung und den entsprechenden Leistungsgeset-
zen des Bundes . Ich als Haushälter erwarte zumindest,
dass es bei den genannten Leistungen zu Steigerungen
von mehr als 2 Milliarden Euro kommt . Das wird noch
kommen; wir werden den Haushalt entsprechend ergän-
zen müssen .

Auf der anderen Seite ist Folgendes von Bedeutung –
ich habe es gestern in der Generaldebatte gesagt –: Es ist
gut und kein Glück und kein Zufall, sondern hart erarbei-
tet, dass wir zurzeit am Arbeitsmarkt makroökonomisch
die beste Situation haben, die es je gab, mit einem kla-
ren Aufwuchs an Stellen; das wird die Opposition zwar
wissen, aber natürlich hier nicht anführen . Auch die Voll-
zeitbeschäftigung ist in den letzten Monaten und Jahren
signifikant angestiegen. Damit gibt es weniger prekäre
Arbeitsverhältnisse und mehr Arbeitsverhältnisse, von
denen man leben kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Mindestlohn hat dazu seinen Beitrag geleistet .
Man muss einfach feststellen, dass das Rentenpaket, der
Mindestlohn und weitere Projekte auch sozialpolitisch in
die richtige Richtung gehen . Zum Beispiel hat der Min-
destlohn – das ist auch gesagt worden – die Binnennach-
frage im Lande gefördert und zugleich mehr Vollzeitjobs
hervorgebracht; es gab eine Konversion von Teilzeitjobs

in feste Beschäftigungen . Also war der Mindestlohn ein
äußerst erfolgreiches Projekt . Dem kann sich nicht ein-
mal die Opposition verschließen . Teilweise haben Sie
das früher in den Fachdebatten schon einmal zugegeben;
heute, in der Haushaltsdebatte, können Sie das nicht . Das
ist das Rollenspiel einer Opposition . Das verstehe ich
doch .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sagen nur, dass er allein nicht gegen Armut hilft!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich
mit dem Haushalt beschäftigt, sind nicht nur die Zah-
len bedeutungsschwer . Aber 127,3 Milliarden Euro,
also 40,8 Prozent, fast 41 Prozent des gesamten Bun-
deshaushaltes, entfallen in diesem ersten Entwurf – die
Summe wird sich durch Nachträge erhöhen – auf den
Bereich Arbeit und Soziales . Dass wir davon für Rente
und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
29,9 Prozent, fast 30 Prozent ausgeben, ist, wenn man
den Haushalt in Gänze betrachtet, volkswirtschaftlich
beachtlich .

Für die Arbeitsförderung sind 10,25 Prozent vorgese-
hen . Das ist, was den Faktor Arbeit angeht, der zweit-
größte Bereich des Haushaltes für Arbeit und Soziales .
Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg hat natürlich
eine gute Arbeit gemacht, hat aufgrund der guten Kon-
junktur immer mehr Menschen vermitteln können, hat
im eigenen Haushaltsbereich mittlerweile stolze Rück-
lagen geschaffen . Die Rücklagen werden sich durch die
gute Situation am Arbeitsmarkt erhöhen und geben der
Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit, gemeinsam
mit dem Ministerium proaktiv die richtigen arbeits-
marktpolitischen Instrumente auszuloten und zu nutzen .
Da geschieht eine Menge . Auch das ist von Ihnen, Frau
Kipping, nur begrenzt dargestellt worden .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Soll ich meine knappe Redezeit nutzen, um für Sie Propaganda zu machen, oder was?)


Die Bundesagentur für Arbeit betreibt aktive Arbeits-
marktpolitik und wird damit die Situation am Arbeits-
markt erneut verbessern . Aus der Dualität der beiden Ein-
heiten – Arbeit und Soziales – entsteht eine gute Politik .

Wir planen weitere Initiativen . Zumindest wir Sozial-
demokratinnen und Sozialdemokraten wollen – das ist
angekündigt – den Missbrauch bei Werkverträgen und
Leiharbeit begrenzen . Das wird unser Paket für diese vier
Jahre noch ergänzen . Da sind wir in intensiver Abstim-
mung mit dem Koalitionspartner, den Freunden von der
Union, wie ich mutig behaupten möchte . Zumindest im
Bereich Arbeit und Soziales sehe ich bei der Union Sen-
sibilität und Zustimmung, dass diese Projekte notwendig
sind .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zur be-
reits angesprochenen Herausforderung zurück . Es geht
um eine ernste Situation . Viele in der Haushaltsdebatte
belobigen, wie stark unsere Gesellschaft durch das Eh-
renamt, durch zivilgesellschaftliche Beiträge ist . Was

Ewald Schurer






(A) (C)



(B) (D)


haben die Kommunen, die Länder und der Bund da zu
leisten? Es gibt zum einen das 3-plus-3-Paket . Da wer-
den wir – das habe ich schon gesagt – sicherlich gute
2 Milliarden Euro mehr benötigen, relativ kurzfristig,
aber auch im Jahr 2016, um künftig die Leistungen – sie
sind genannt worden – für ALG II und die Kosten der
Unterkunft bewältigen zu können .

Ich muss hier ausdrücklich belobigen – nicht, weil
es mir nahegelegt wurde, sondern aus innerer Überzeu-
gung –: Angesichts der aufgeregten Diskussion hielt ich
den Beitrag von Ministerin Andrea Nahles für den bes-
ten . Sie hat – erstens – gesagt: Wir müssen alles tun, um
die Menschen, die nach Abschluss des Asylverfahrens
bei uns bleiben können, mit aktiver Arbeitsmarktpolitik
in unsere Gesellschaft zu integrieren . Ich möchte bitte
schön für die ganze Koalition sagen dürfen: Das ist eine
außerordentlich zielführende politische Initiative, die die
aufgeregte Diskussion ein Stück weit versachlicht .

Zum Zweiten wünsche ich mir schon, dass wir Im-
pulse für einen geordneten Zugang zum Arbeitsmarkt
schaffen, und zwar über das Asylverfahren hinaus . Ich
bin ein Anhänger einer Einwanderungsgesetzgebung .
Das ist keine einfache Diskussion, aber auch sie darf
man im Rahmen der parlamentarischen Beratung einmal
offensiv ansprechen . Ich wünsche mir schon, dass wir
Arbeitsmarktprobleme, auch mit Blick auf die Situati-
on auf dem Westbalkan, ein Stück weit über eine neue
Zuwanderungsgesetzgebung regeln . Das hielte ich, Frau
Ministerin, für die zweite sehr bedeutsame Aussage . Dies
ist ordnungspolitisch für den Arbeitsmarkt von großer
Bedeutung .

Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt gibt es
massive Unterstützung aus dem Bereich der Wirtschaft;
das passiert auch nicht jeden Tag . Bei mir zu Hause in
Oberbayern wirbt die IHK für München und Oberbay-
ern massiv für Veränderungen, die wir politisch derzeit
mit der Ministerin und den Parteien diskutieren . Es heißt:
Der Fachkräftemangel kann – das ist ein Chance – nur
dann behoben werden, wenn wir den Menschen, die zu
uns kommen, über Sprachförderung – auch in diesem Be-
reich gibt es Nachbesserungen seitens des Ministeriums
für Arbeit und Soziales – und Berufsbildung einen geord-
neten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen . So können
wir positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt erzielen, die
dringend notwendig sind . Das wird nicht nur in Berlin
so gesehen . Auch in den übrigen Regionen Deutsch-
lands – am Rhein, am Main und im Ruhrgebiet – sagen
die Wirtschaftsverbände: Lasst uns Migration und Asyl
für eine gute Arbeitsmarktpolitik nutzen . – Das halte ich
für wichtig .

Ich finde auch wichtig, festzuhalten, dass Gewerk-
schaften und Wirtschaft in diesem Zusammenhang die
gleiche Meinung vertreten – auch das kommt nicht je-
den Tag vor –: Anstatt Angst in unserer Gesellschaft zu
schüren, sollten wir Zuwanderung auch als eine Chance
für die Qualifizierung der Menschen am Arbeitsmarkt
begreifen .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812108300

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Gesine

Lötzsch von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812108400

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ich hoffe, Sie, liebe Frau Nahles, und
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, haben
sehr gut zugehört, als der Finanzminister am Dienstag
den Haushalt eingebracht hat . Er will nämlich die Situa-
tion, die durch die Flüchtlinge entstanden ist, nutzen, um
die SPD und uns alle beim Thema Mindestlohn über den
Tisch zu ziehen . Das darf nicht passieren, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Provokante These!)


Weniger Zollbeamte als geplant sollen die Einhal-
tung des gesetzlichen Mindestlohns überprüfen . Kolle-
ge Michael Fuchs von der Union hat heute Morgen bei
der Diskussion über den Wirtschaftsetat noch einmal
nachgelegt und sich über die Kontrolle des gesetzlichen
Mindestlohnes lustig gemacht . Das, meine Damen und
Herren, dürfen Sie sich nicht gefallen lassen . Wir werden
uns das nicht gefallen lassen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kann Ihnen einen ganz konkreten Alternativvor-
schlag unterbreiten, wie Sie Personal gewinnen kön-
nen . Die Bundeswehr hat immer noch einen beacht-
lichen Überhang an zivilem Personal, nämlich genau
14 800 Personen .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ach! Das haben Sie ausgerechnet?)


Seit Jahren bekommen diese Menschen Geld, ohne dafür
eine richtige Arbeit zu haben . Ich habe dieses Problem
schon bei vielen Haushaltsberatungen angesprochen .
Vielleicht erinnert sich noch jemand an Herrn Pofalla . Er
war einmal Kanzleramtschef und wollte diese Frage lö-
sen . Inzwischen ist er bei der Deutschen Bahn, aber den
Personalüberhang gibt es immer noch . Ich bin mir sicher,
dass diese Menschen gerne arbeiten würden und auch
bereit wären, Flüchtlinge zu registrieren . Frau Nahles,
es gibt also keinen Grund, sich bei der Mindestlohnkon-
trolle über den Tisch ziehen zu lassen . Wenn es um die
Sicherung des Mindestlohnes geht, haben Sie die volle
Unterstützung der Linken .


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist immer nützlich, sich die verschiedenen Haus-
halte anzuschauen und die Einzelpläne ins Verhältnis zu
setzen . Auch Sie, Frau Nahles, haben sicher festgestellt,
dass die Bundeswehr laut Plan 34,2 Milliarden Euro er-
halten soll, Sie hingegen sollen für die Arbeitsförderung
nur 32 Milliarden Euro bekommen. Ich finde, das ist
wirklich ein Missverhältnis .


(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Unterschiedliche Aufgabenstellungen!)


Ewald Schurer






(A) (C)



(B) (D)


Dahinter steckt die Vorstellung, dass die Bundeswehr
unsere Sicherheit garantiert . Ich sage Ihnen aber: Un-
sere Sicherheit wird garantiert, wenn die Menschen in
sicheren Verhältnissen leben, und dazu gehören sichere
Arbeitsplätze .


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht alle Maßnahmen müssen etwas kosten . Sie kön-
nen sogar Geld sparen . Frau Nahles, Sie können einen
wichtigen Beitrag zur Flüchtlingsdebatte leisten, indem
Sie dafür sorgen, dass Flüchtlinge wie in Schweden ab
dem ersten Tag arbeiten dürfen .


(Beifall bei der LINKEN)


Damit würde man auch dem absurden Argument entge-
gentreten, dass diese Menschen nur in unsere Sozialversi-
cherungssysteme einwandern wollen . Damit könnte man
Ressentiments entgegentreten . Frau Nahles, in diesem
Zusammenhang könnten Sie gleich auch die Vorrangprü-
fung abschaffen; denn sie ist großer Unsinn .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe bereits am Dienstag vorgeschlagen, dass wir
uns in dieser Haushaltsdebatte endlich dazu durchringen
sollten, ein Integrationskonjunkturprogramm aufzulegen .
Das würde Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose und für
Menschen, die zu uns kommen, schaffen, und das wäre
für uns alle gut .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812108500

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Astrid

Freudenstein das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1812108600

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Arbeits-
bereich Arbeit und Soziales ist an sich schon ein ausge-
sprochen umfangreicher . Wenn die haushaltspolitische
Dimension dazukommt, wird es noch unübersichtlicher .
Und jetzt kommt auch noch das Thema „Flucht und Zu-
flucht“ dazu, das unser Ressort ganz besonders betrifft.
Es gibt in diesen Tagen also viel zu sagen . Vieles wurde
in dieser Debatte und den vorherigen bereits gesagt .

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich heute einmal
mit der Verantwortung zu beschäftigen, die wir insbeson-
dere beim Aufstellen des Haushalts tragen . Es geht aber
auch um die Verantwortung eines jeden Einzelnen von
uns für den Sozialstaat, um die Verantwortung, die wir
jetzt für diejenigen haben, die zu uns kommen, und um
das, was wir von denen, die zu uns kommen, einfordern
müssen .

Warum kommen in diesen Monaten so viele Men-
schen zu uns – ausgerechnet zu uns – nach Deutschland?
Sie kommen in erster Linie deshalb zu uns, weil sie hier
sicher leben können . Sie kommen zu uns, weil wir ein

Rechtsstaat sind, und sie kommen zu uns, weil wir ein
Sozialstaat sind .


(Mark Helfrich [CDU/CSU]: Richtig! Und kein Armenhaus!)


Sie kommen zu uns, weil wir wie kaum ein anderes Land
auf dieser Welt den Schwachen helfen und Chancen
geben, und sie kommen zu uns, weil wir wie kaum ein
anderes Land auf dieser Welt den Starken Chancen ge-
ben . Dafür, meine Damen und Herren von der Linken, ist
Deutschland ganz offensichtlich weltbekannt und welt-
berühmt . Darauf, meine ich, können wir tatsächlich stolz
sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Kollegin Kipping, wir sind auch noch für anderes
bekannt: Wir sind eine stabile Demokratie . Es gibt bei
uns Demonstrationsfreiheit, es gibt Pressefreiheit, es gibt
Meinungsfreiheit, es gibt unabhängige Gerichte .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt, aber das steht nicht im Sozialhaushalt! Das steht im Grundgesetz!)


Es gibt viele Möglichkeiten, sich politisch einzubringen
und sein Recht zu bekommen . Ein Mittel der politischen
Auseinandersetzung haben wir nicht vorgesehen: Das
ist das Mittel des Hungerstreiks . Ich meine, es gibt viele
gute Gründe dafür, und wir sollten uns über Fraktions-
grenzen hinweg einig sein, dass wir diesem Mittel kein
Forum bieten sollten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Gandhi war irgendwie kein Vorbild!)


Der Sozialstaat ist in unserem Grundgesetz definiert,
in Artikel 20 . Als Sozialstaat haben wir zunächst einmal
Verantwortung zu tragen für die jetzige Generation, für
alle Bürger in unserem Land, für die Steuerzahler, für
die Arbeitnehmer, für die Arbeitgeber . Sie alle zahlen
Steuern und Abgaben im Vertrauen darauf, dass wir sie
sinnvoll und gerecht einsetzen . Als Sozialpolitiker tragen
wir Verantwortung dafür, dass die Sozialversicherungen
funktionieren, dass es ein soziales Netz gibt, das Härten
auffängt, und dafür, dass soziale Gerechtigkeit herrscht,
die ein friedliches Miteinander ermöglicht . Dazu gehört
natürlich auch ein stabiler Arbeitsmarkt mit fairen Bedin-
gungen für Beschäftigte und Unternehmen .

Der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr sieht
vor, dass die Mittel dafür sinnvoll eingesetzt werden,
zum Beispiel für den so wichtigen Abbau von Langzeit-
arbeitslosigkeit . Wir dürfen gerade in diesen Zeiten der
Flüchtlingsströme nicht die aus dem Auge verlieren, die
schon immer in unserem Land leben und auf unsere Hilfe
angewiesen sind . Das sind die Menschen mit Behinde-
rungen . Das sind die Menschen, die von Armut bedroht
sind, weil sie alt oder krank sind . Auf sie müssen wir
ganz besonders achten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da gibt es auch jedes Jahr mehr!)


Dr. Gesine Lötzsch






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben bei unseren Haushaltsberatungen eine Ver-
antwortung nicht nur gegenüber der jetzigen Generation,
sondern natürlich ganz besonders auch für die künftigen
Generationen, für diejenigen, die noch gar nicht geboren
sind . Diese Verantwortung besteht insbesondere darin,
unseren Kindern und Kindeskindern einen nicht noch
höheren Schuldenberg zu hinterlassen . Deswegen glau-
be ich, dass der ausgeglichene Bundeshaushalt der wohl
wichtigste Beitrag zur Generationengerechtigkeit ist .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das werden die später mal ganz anders sehen!)


Nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen, und Schul-
den abbauen, auf diesem Weg müssen wir bleiben . Ich
glaube nicht, dass dies mit Ihren Ideen möglich wäre,
Frau Kollegin Kipping .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Doch!)


Gerade der Einzelplan 11, der Etat für Arbeit und So-
ziales, der größte in unserem Bundeshaushalt, muss in
dieser Hinsicht Zeichen setzen . Wir müssen hier gut und
verantwortungsvoll wirtschaften . Ich meine, dass der
vorliegende Plan ein sehr gutes Fundament für die Bera-
tungen in den kommenden Wochen ist .

Unser Sozialstaat ist aber immer nur so stark wie die
Menschen, die ihn tragen . So hat jeder Einzelne von
uns Verantwortung, dass unser soziales Gebilde so stark
bleibt, wie es jetzt ist . Dazu gehört, dass zunächst ein-
mal – das ist die Ausgangsbasis – grundsätzlich jeder für
sich selbst verantwortlich ist, jeder sein Einkommen so
weit wie möglich selbst erwirtschaftet .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie jetzt mal etwas zum Haushalt sagen?)


Dazu gehört auch, dass er sich zum Beispiel fortbildet
und neue Herausforderungen wie die Digitalisierung an-
nimmt .

Natürlich würde der Sozialstaat nicht funktionieren
ohne all diejenigen, die nicht erwerbstätig im klassischen
Sinne sind, sondern die daheim Kinder erziehen, die sich
ehrenamtlich engagieren . Sie sind nämlich eine beson-
ders wertvolle Stütze unseres Sozialstaats . Die verbes-
serte Mütterrente, die wir hier im Parlament beschlossen
haben, ist deshalb auch richtig und wichtig .

Wie tief verankert das Ehrenamt in unserem Land ist,
das erleben wir in diesen Tagen wieder besonders ein-
drucksvoll am Münchener Hauptbahnhof, aber nicht nur
dort . Ich meine, auch darauf können wir ganz besonders
stolz sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Verantwortung für unseren Sozialstaat tragen durch-
aus auch diejenigen, die jetzt zu uns kommen . Auch sie
sollen – die Ministerin hat darauf hingewiesen – mög-
lichst rasch auf eigenen Beinen stehen können . Auch sie
sollen nach einiger Zeit ihr Einkommen grundsätzlich
selbst erwirtschaften können .

Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, Frauen wie Män-
ner, müssen sich für unseren Arbeitsmarkt qualifizieren.
Das heißt zunächst einmal, sie müssen unsere Sprache
lernen, auch wenn ich weiß, wie unendlich schwierig es
ist, Deutsch zu lernen .


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Für Bayern ja! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das können ja noch nicht mal die Bayern!)


– Wir diskutieren das einmal im Anschluss . – Sie müssen
unsere Regeln und Werte kennenlernen und auch akzep-
tieren .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sind sie ja gekommen!)


Auch diese Verantwortung gibt es . Auch das werden wir
einfordern müssen .

Wir in der Politik müssen jetzt alles tun, was in un-
serer Kraft steht, damit das auch gelingen kann . Das
wird sicher nicht einfach werden . Im Übrigen wird es
auch nicht billig werden . Unterschiedliche Herkunft,
unterschiedliche Kulturen und Religionen zusammenzu-
bringen, so viele auf einmal in so kurzer Zeit, sodass in
Deutschland ein gutes Miteinander entsteht, das ist eine
Aufgabe, der wir alle uns jetzt stellen müssen . Ich mei-
ne, dass die Maßnahmen, die der Koalitionsausschuss am
Sonntag dazu beschlossen hat, ein erster ganz wichtiger
Schritt sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales
ist von dem Flüchtlingsstrom ganz besonders betroffen .
Frau Nahles hat bereits angedeutet, welche zusätzlichen
Kosten auf unseren Haushalt zukommen werden . Die
Zahl der SGB-II-Bezieher wird steigen und ebenso die
Zahl der Arbeitslosen . Das müssen wir so ehrlich sagen .

Der Zustrom von Flüchtlingen wird uns auch kurzfris-
tig nicht das Problem des Fachkräftemangels in einigen
Branchen und auch nicht das Problem des demografi-
schen Wandels nehmen . Migration hat ja sehr verschie-
dene Ursachen . Wir sollten uns davor hüten, Arbeits- und
Fluchtmigration zu vermengen . Natürlich kann es in den
nächsten Jahren zu Synergieeffekten kommen . Dies kann
auch Vorteile für uns bringen . Aber wir wissen, dass wir
erst einmal – das macht sich in unserem Haushalt ganz
besonders bemerkbar – sehr viel Geld investieren müs-
sen . Das müssen wir den Menschen in unserem Land
auch so sagen .

Aber wie Minister Schäuble in seiner Rede schon
deutlich gemacht hat: Wir haben uns in den vergangenen
Jahren durch eine sehr gute, solide Haushaltspolitik und
durch eine gute Wirtschaftspolitik ein Polster erarbeitet,
das es jetzt möglich macht, diese Herausforderung anzu-
nehmen . Die gute Konjunktur, die Rekordbeschäftigung
und sinkende Arbeitslosenzahlen haben uns in diese
Lage versetzt . Wenn wir uns jetzt alle dieser Verantwor-
tung stellen, jeder für sich, der Staat sich seiner Verant-
wortung annimmt, aber auch jeder Einzelne seine Verant-
wortung wahrnimmt, dann bin ich guten Mutes, dass wir

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


weiter solide wirtschaften können und eine gute Zukunft
bauen . Ich freue mich auf die Beratungen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812108700

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr .

Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zu Beginn auf einen Vorschlag aus dem Ko-
alitionspaket vom vergangenen Wochenende hinweisen,
über den auch schon vor der Sommerpause diskutiert
worden ist, nämlich die Umwandlung von Geldleistun-
gen in Sachleistungen und die Kürzungen von Leistun-
gen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz . Dazu habe
ich noch einmal in das Urteil des Bundesverfassungsge-
richts aus dem Jahr 2012 geschaut . Dort heißt es:

Art . 1 Abs . 1 GG in Verbindung mit dem Sozial-
staatsprinzip des Art . 20 Abs . 1 GG garantiert ein
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschen-
würdigen Existenzminimums . . . Art . 1 Abs . 1 GG
begründet diesen Anspruch als Menschenrecht . …
Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen
Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik
Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Gesetzgeber darf

… bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichern-
der Leistungen nicht … nach dem Aufenthaltsstatus
differenzieren .

Er darf es nicht .

… Daher erlaubt es die Verfassung nicht, das in
Deutschland zu einem menschenwürdigen Leben
Notwendige unter Hinweis auf das Existenzniveau
des Herkunftslandes von Hilfebedürftigen oder auf
das Existenzniveau in anderen Ländern niedriger
als nach den hiesigen Lebensverhältnissen geboten
festzulegen .

Der Gesetzgeber darf das nicht . Das sollten Sie einmal
zur Kenntnis nehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn Sie jetzt mit dem Argument, Flüchtlinge abzu-
schrecken, die Geld- in Sachleistungen umwandeln, ver-
stößt das also nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern
es ist aus meiner Sicht auch ein ziemlich bekloppter Vor-
schlag .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn man sich genau anschaut, wofür diese Leistun-
gen sind, dann sieht man, dass es sich um Leistungen
handelt, die auf dem Markt eingekauft werden oder um es
Flüchtlingen zu ermöglichen, eine Sport- oder Kulturver-
anstaltung zu besuchen . Zum Existenzminimum gehört
auch soziale und kulturelle Teilhabe . Sie verlangen nicht
mehr und nicht weniger, als dass jetzt die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter in den Erstaufnahmeeinrichtungen,
die wirklich alle Hände voll zu tun haben, jetzt auch noch
Gutscheine für Sportveranstaltungen, für Kulturveran-
staltungen, für Drogerieartikel und Ähnliches verteilen
müssen . Es ist sowohl für die Betroffenen einfacher als
auch für die Beschäftigten, wenn man ihnen tatsächlich
Geldleistungen gibt . Das ist ein riesiger bürokratischer
Aufwand .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es schränkt die Freiheit und Selbstbestimmung der Asyl-
bewerber unzumutbar ein, und es ist völlig diskriminie-
rend .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Statt die Leistungen für Flüchtlinge noch weiter zu
kürzen, fordern wir Sie auf, das Asylbewerberleistungs-
gesetz endlich abzuschaffen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


und das aus einem weiteren wichtigen Grund: Die völlig
unwürdige und unzureichende Gesundheitsversorgung
wäre dann beendet . Gleichzeitig würden die Kommunen
sofort und dauerhaft um mehrere 100 Millionen Euro
entlastet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir brauchen keine Abschreckungslogik, sondern wir
brauchen endlich eine echte Willkommenskultur . Die Be-
völkerung hat das am vergangenen Wochenende gezeigt .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sie wollen einen Blankoscheck!)


In dem Haushaltsetat geht es nicht nur um Flüchtlinge,
sondern auch um vieles andere mehr . Die gute Situation
sollte eigentlich genutzt werden, um Strukturreformen
für die Zukunft anzugehen . Ein Beispiel ist das Grund-
sicherungssystem, das grundlegend renoviert gehört . Es
müsste vereinfacht und transparenter gestaltet werden .
Sicherungslücken müssten endlich geschlossen werden .
Dazu machen Sie bisher nichts . Das Ziel muss sein, dass
jeder Mensch in Deutschland eine Grundsicherung hat,
die das Existenzminimum sichert . Das Bundesverfas-
sungsgericht – ich habe es eben zitiert – sagt, das ist ein
Grund- und Menschenrecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Nun soll der Regelsatz um satte 5 Euro angehoben
werden . Das reicht nicht .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Wir fordern Sie auf, bei der Neuberechnung endlich die
Rechentricks zu unterlassen und den Regelsatz anzuhe-
ben . Bis der Regelsatz neu berechnet ist, fordern wir eine
Anhebung auf mindestens 420 Euro .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit über einem Jahr versprechen Sie ein Gesetz zur
Rechtsvereinfachung der Hartz-IV-Regelleistungen . Die
Menschen in den Jobcentern, sowohl die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter als auch die Betroffenen, warten
tatsächlich auf Vereinfachungen . Das ist unendlich kom-
pliziert . Legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor, da-
mit wir wenigstens über die Vorschläge hier diskutieren
können!

Man hört, es hängt vor allen Dingen an den Sanktio-
nen und – einmal wieder – an der Verbohrtheit der CSU .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wieso wundert mich das nicht?)


Das Mindeste wäre, dass man die scharfen Sanktionen
für unter 25-Jährige abschafft, die nach Meinung aller
Expertinnen und Experten völlig kontraproduktiv sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen auch die Sanktionierung bei den Kosten der
Unterkunft abschaffen, damit die Leute ihre Miete be-
zahlen können, ihnen nicht gekündigt wird und sie auf
der Straße stehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass die unwürdigen
100-Prozent-Sanktionen endlich abgeschafft werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Kollegin Kipping hat völlig recht: Ralph Boes hat
jetzt zwei Monate gehungert, weil er vom Jobcenter kei-
ne Geldleistungen mehr bekommt . Das widerspricht der
Verfassung . Diese Sanktionen müssen sofort aufgehoben
werden . Es geht da um ein Menschenleben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir fordern, die Sanktionen insgesamt auszusetzen und
das Sanktionsregime gründlich zu überarbeiten . Wir for-
dern: Sanktionsmoratorium jetzt!

Aber Reformen des Sozialgesetzbuches II alleine rei-
chen nicht aus . Wir haben sechs Grundsicherungsleistun-
gen in vier Gesetzen . Das müsste dringend vereinfacht
und vereinheitlicht werden . Auch dazu wäre ein Schritt
in die richtige Richtung die Abschaffung des Asylbewer-
berleistungsgesetzes .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Damit würden Sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klap-
pe schlagen: eine Vereinfachung und gleichzeitig eine
bessere Versorgung von Flüchtlingen . Gehen Sie also
wenigstens diesen Schritt, und schaffen Sie das Asylbe-
werberleistungsgesetz endlich ab!

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812108800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ralf

Kapschack von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1812108900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer! Es ist in dieser Debatte viel von großen
Herausforderungen die Rede gewesen, von Herausforde-
rungen, die aufgrund der großen Zahl von Flüchtlingen,
die bei uns Schutz suchen, auf unser Land zukommen .
Ich bin sicher, wir werden diese Herausforderungen
meistern, wenn wir wollen .

Angesichts dieser neuen Herausforderungen dürfen
wir aber nicht den Eindruck entstehen lassen, wir würden
uns nur noch um die kümmern, die kommen, und nicht
mehr um die, die da sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es darf keine Situation entstehen, in der zum Beispiel
Langzeitarbeitslose das Gefühl haben, ihre Chancen wür-
den jetzt noch weiter sinken, weil Geld und Aufmerk-
samkeit sich auf andere konzentrieren .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das müsst ihr dann auch mal machen!)


– Ich komme ja gleich dazu; eins nach dem anderen . –
Ich bin froh, dass wir uns da weitgehend einig sind . Es
muss klar sein, welche zusätzlichen Aufgaben finanziert
werden müssen . Dafür braucht es Geld, und zwar zusätz-
lich und ausreichend .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Kollegin
Pothmer, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit
ist und bleibt ein zentrales Thema der SPD .


(Beifall bei der SPD – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das allein reicht aber nicht! Sie haben den falschen Koalitionspartner! – Gegenruf des Abg . Kai Whittaker [CDU/CSU]: Na, ob Sie das auch noch in zwei Jahren sagen, Herr Kollege?)


– Ich kenne ja Ihre Kritik . – Die beiden neuen Program-
me sind angelaufen . Natürlich kann man immer sagen, es
könnte gerne noch ein bisschen mehr sein; klar .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es müsste anders sein!)


Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


Genauso klar ist auch: Mit diesen beiden Programmen
werden wir die Langzeitarbeitslosigkeit nicht beseitigen .
Trotzdem sind sie sinnvoll und wichtig .


(Beifall bei der SPD)


Es ist schon angesprochen worden: Wir werden da-
rüber hinaus 350 Millionen Euro an Haushaltsresten zur
Verfügung haben, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu be-
kämpfen . Das hat die Ministerin zu Beginn der Legislatur
angekündigt, und das wird jetzt erledigt und abgearbeitet


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Kai Whittaker [CDU/CSU])


– Schritt für Schritt, Jahr für Jahr –, sodass wir 2017
1,4 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Langzeitar-
beitslosigkeit zur Verfügung haben werden .


(Katja Mast [SPD]: Hört! Hört!)


Wir haben ja oft ein kurzes Gedächtnis; da nehme ich
mich überhaupt nicht aus . Wenn man sich aber in Erinne-
rung ruft, wie drastisch bei der Arbeitsmarktpolitik unter
Schwarz-Gelb gekürzt worden ist, dann ist das jetzt nach
wie vor ein Kraftakt . Es wäre uns natürlich lieber, wir
könnten mit unserem Koalitionspartner auch über einen
sozialen Arbeitsmarkt reden,


(Beifall bei der SPD)


darüber, Geld für die Schaffung von Arbeit statt für die
Verwaltung von Arbeitslosigkeit einzusetzen . Es wird
unsere Forderung bleiben – das wird Sie nicht überra-
schen –, über den sogenannten Passiv-Aktiv-Tausch zu
reden und in der Arbeitsmarktpolitik neue Wege zu ge-
hen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn? Das ist zu wenig!)


Wir geben seit Jahren viel Geld dafür aus, Regelsätze
und Wohnungen von Langzeitarbeitslosen zu finanzie-
ren . Wir sollten das Geld lieber dafür einsetzen, Arbeit
zu finanzieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Gute Sache! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie das!)


Menschen, die lange arbeitslos sind, könnten so wie-
der in eine Beschäftigung kommen . Viele von ihnen wür-
den eine Chance erhalten, ihr Leben irgendwann wieder
eigenständig – unabhängig von Stütze – zu organisieren .

Zum Schluss noch ein Gedanke: Für eine gute Arbeits-
marktpolitik brauchen wir qualifizierte und engagierte
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern . Was
dort unter oft schwierigen Bedingungen geleistet wird,
verdient höchste Anerkennung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb kann es nicht vernünftig sein, dass diejenigen,
die dafür sorgen, dass Menschen einen Job bekommen,

sich selber um ihren Job sorgen müssen, weil er befristet
ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist absolut richtig! Ja!)


Nicht zu wissen, wie es nach der Befristung weiter-
geht, ist schlecht für die Motivation . Aber genau diese
Motivation brauchen wir auch, um die großen Heraus-
forderungen, von denen schon so viel die Rede war, zu
meistern . Auch das ist ein Thema für die Ausschussbera-
tungen . Ich hoffe, wir sind uns darin einig .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812109000

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Sabine

Zimmermann von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812109100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sicher, der Haushalt für Arbeit und Soziales ist
wieder einmal der größte Einzeletat . Aber daraus abzu-
leiten, dass diese Bundesregierung eine besonders sozia-
le Politik betreibt, ist schon eine ziemliche Fehlannahme .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu großen Teilen besteht dieser Haushalt aus Pflicht-
leistungen, und diese sind Ausdruck, dass Sie eine Reihe
von Problemen einfach nicht in den Griff bekommen .
Deshalb muss der Staat ständig als Reparaturbetrieb un-
terwegs sein .

Daran arbeiten Sie weiter . Mit Ihrer verfehlten Ren-
tenpolitik produzieren Sie heute die Ausgaben von mor-
gen .

Was ich vermisse, ist eine wirkliche Prioritätensetzung
anhand der drängenden Probleme . Wo es brennt, müssen
Sie endlich richtig Geld in die Hand nehmen . Das geht
nicht zum Nulltarif, Frau Nahles .


(Beifall bei der LINKEN)


In vier Minuten kann ich leider nur auf drei Punkte
eingehen .

Erstens Langzeitarbeitslosigkeit, die Sie überhaupt
nicht ansprechen . Seit Jahren haben wir eine verfestig-
te Sockelarbeitslosigkeit von 1 Million Menschen, von
denen viele inzwischen schon vier Jahre und länger ar-
beitslos sind .

Ich kenne Frauen aus dem Vogtland, die in der Tex-
tilindustrie gearbeitet haben und seit über 15 Jahren er-
werbslos sind . Das darf es doch nicht geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Und was tun Sie? Sie reden und reden . Jahr für Jahr hö-
ren wir diese Reden und Ihre Lobhudelei, aber es passiert
nichts in diesem Zusammenhang . Vor diesem Hinter-

Ralf Kapschack






(A) (C)



(B) (D)


grund, Frau Nahles, hätte ich erwartet, dass Sie endlich
mehr Geld in die Hand nehmen, um diesen Menschen
wieder eine Perspektive zu eröffnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nein, Fehlanzeige! Ältere über 55: Fehlanzei-
ge! Menschen mit Behinderung – ihre Zahl steigt und
steigt –: Wieder Fehlanzeige! Alleinerziehende: Eben-
falls Fehlanzeige! Im Vergleich zu den hier bestehenden
Problemen sind die zwei Progrämmchen für insgesamt
43 000 Langzeiterwerbslose, die Sie für dieses Jahr auf-
gelegt haben, die aber noch nicht einmal begonnen ha-
ben, bei über 1Million Betroffenen wie immer nur ein
Tropfen auf den heißen Stein .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens Flüchtlinge, die Herausforderung der letzten
Wochen. Menschen flüchten vor Krieg und Elend und
erwarten zu Recht, dass wir ihnen Asyl gewähren und
ein Leben in Sicherheit ermöglichen . Für die Linke ha-
ben sie selbstverständlich ein Recht auf gesellschaftliche
Teilhabe .


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt vor allen Dingen: Sie müssen arbeiten können,
um ihre Familien zu ernähren . Dabei, Frau Nahles, ist
Arbeitsförderung gefordert . Sehr schnell und unbürokra-
tisch müssen die zahlreichen Beschränkungen für Flücht-
linge beim Arbeitsmarktzugang beseitigt werden .

Sie gehen davon aus, dass etwa 250 000 erwerbsfähi-
ge Flüchtlinge zu uns kommen werden . Für eine gute,
solide Arbeitsmarktpolitik sollte das überhaupt kein Pro-
blem sein . Was wir brauchen, sind eine bessere individu-
elle Unterstützung und eine Vermittlung auf Augenhöhe .
Wir brauchen den Ausbau der Weiterbildung, und wir
brauchen Angebote zur öffentlich geförderten Beschäf-
tigung auch für Flüchtlingsprojekte .


(Beifall bei der LINKEN)


Das alles kostet natürlich Geld; das gibt es nicht zum
Nulltarif .

Drittens möchte ich über die Armut und die Altersar-
mut sprechen . In kaum einem anderen Land der EU ist
die Armutsgefährdung von Erwerbslosen so groß wie in
Deutschland . Wenn wir über Armut in Deutschland re-
den, dann muss auch erwähnt werden, dass die weiter
rasant ansteigende Altersarmut ein gravierendes Problem
ist . Das ist der Preis für Ihre Senkung des Rentenniveaus
und den durch Sie in den letzten Jahren verursachten gro-
ßen Niedriglohnsektor .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke schlägt eine Mindestrente von 1 050 Euro vor .
Das wäre ein richtiger Schritt .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss . – Nutzen wir die Heraus-
forderungen heute als Chance, die Arbeitsmarktpolitik
grundsätzlich neu aufzustellen . Dazu gehört auch eine
bessere finanzielle Ausstattung, die weit über das hin-
ausgeht, was die Bundesregierung in ihrem Haushalt hier
angekündigt hat .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812109200

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Mark Helfrich

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1812109300

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debat-
te über den Einzelplan 11 des Haushaltes des Ressorts
„Arbeit und Soziales“ zeigt eines ganz deutlich: Die uni-
onsgeführten Bundesregierungen der vergangenen Jahre
unter Angela Merkel haben nachweislich eine gute Ar-
beit geleistet .

Wir haben mit einer gezielten Wachstumspolitik die
Finanz- und Wirtschaftskrise bewältigt . Wir haben den
Bundeshaushalt konsolidiert und legen das zweite Mal
in Folge einen ausgeglichenen Haushaltsplan vor . Wir
haben bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der
Schaffung von Beschäftigung beeindruckende Erfolge
vorzuweisen .

Fast 43 Millionen Männer und Frauen sind heute er-
werbstätig . Das ist Rekord seit der deutschen Wiederver-
einigung. Die sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung hat gegenüber dem Vorjahr noch einmal um eine
halbe Million zugenommen . Die Jugendarbeitslosigkeit
ist EU-weit auf dem niedrigsten Level überhaupt .

Unsere Arbeitnehmer haben mehr Geld in der Tasche .
Die Reallöhne sind seit Beginn der statistischen Auf-
zeichnung im Jahre 2008 im letzten Jahr am stärksten
gestiegen . Die Situation auf dem Arbeitsmarkt spiegelt
sich auch in den öffentlichen Kassen wider .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Sozialversicherungssysteme haben gesunde Polster .
Allein im ersten Halbjahr 2015 ergab sich noch einmal
ein Plus von 3,7 Milliarden Euro .

Ich will an dieser Stelle auch nicht verhehlen, dass un-
ter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 grundlegen-
de Weichenstellungen dafür vorgenommen worden sind .
Das will ich hier auch ausdrücklich anerkennen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Unsere gute Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage darf
uns aber nicht den Blick auf die vor uns liegenden po-
litischen Herausforderungen verstellen . Diesen trägt der
Einzelplan 11 mit Ausgaben in Höhe von voraussichtlich
130 Milliarden Euro Rechnung .

Lassen Sie uns zurückschauen: Auf den Tag genau
heute vor 51 Jahren, am 10 . September 1964, wurde der
Portugiese Amando Rodrigues de Sá bei seiner Ankunft
in Köln-Deutz als millionster Gastarbeiter begrüßt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Er hat ein schönes Moped dafür gekriegt!)


Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


– Ja, in der Tat . – Er kam, weil er sich im „Land des
Geldes“, wie er es ausdrückte, als Tischler bessere Ver-
dienstmöglichkeiten erhoffte .

Die meisten der sogenannten Gastarbeiter aus den süd-
europäischen Ländern kamen aus wirtschaftlichen Grün-
den zu uns, und sie blieben mit ihren Familien . Sie haben
gearbeitet, Steuern gezahlt, Sozialversicherungsbeiträge
in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt und sogar
Unternehmen gegründet . Auf diese Weise haben sie zum
deutschen Wirtschaftswunder beigetragen, und sie sind
Teil unserer Gesellschaft geworden .

Heute leben wir wieder in Zeiten, in denen Menschen
ihre Heimat verlassen und zu uns kommen . Die Bewälti-
gung der aktuellen Flüchtlingskrise wird für die nächsten
Jahre die wichtigste politische Herausforderung unseres
Landes sein . Die Erfahrungen aus unserer Vergangenheit
sollten wir uns bei der Integration der jetzt zu uns kom-
menden Menschen zunutze machen .

Wir beraten heute diesen Bundeshaushalt im Zeichen
einer Völkerwanderung . Ich glaube, dieses Wort ist in
Anbetracht dessen, was wir erleben, nicht zu hoch gegrif-
fen . Dabei wird der Haushalt des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales wie kein anderer von der steigenden
Zahl von Asylsuchenden betroffen sein .

Die bisher veranschlagten Mittel für Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende werden nach derzei-
tigem Stand – wir haben hier eine große Dynamik; des-
wegen kann man nur sagen: nach derzeitigem Stand – im
Jahr 2016 um mehr als 2 Milliarden Euro ansteigen . Das
umfasst Hartz-IV-Leistungen auf der einen Seite und den
Bereich der Arbeitsförderung und der beruflichen Inte-
gration von Zuwanderern auf der anderen Seite .

Nach Feststellung des IAB, des Forschungsinstituts
der Bundesagentur für Arbeit, kommt von den derzeit
erwarteten 800 000 Flüchtlingen nur ein kleinerer Teil
direkt im Arbeitsmarkt an . Es ist eben nicht so, dass nur
gut ausgebildete Ärzte und Ingenieure zu uns kommen,
sondern es kommen auch Analphabeten und Menschen
ohne Schulabschluss . Auch das gehört zum Gesamtbild
dazu . Deshalb werden Flüchtlinge den bevorstehenden
Fachkräftemangel vorerst nur bedingt beheben können –
um es so zu sagen .

Gleichwohl gilt: Jeder asylberechtigte Flüchtling, der
nicht erwerbstätig ist, wird am Ende zu höheren Kosten
in unserem Haushalt führen . Das können wir alle mitei-
nander, auch im Sinne der Menschen, nicht wollen . Es
geht darum, einer Verfestigung von Langzeitarbeitslo-
sigkeit entgegenzuwirken . Je länger Menschen im Leis-
tungsbezug sind – das wissen wir aus Erfahrung –, umso
schwieriger wird es, sie anschließend in den Arbeits-
markt zu integrieren .

In Sachen Integration haben wir mit der Verkürzung
der Wartefrist für die Arbeitserlaubnis einen ersten
Schritt gemacht . Nach drei Monaten kann mittlerweile
eine Arbeitserlaubnis erteilt werden . Es geht jetzt dar-
um, die Menschen schnell in Arbeit und Ausbildung zu
bringen . Es gibt dafür ein bundesweites Modellprojekt:
„Early Intervention“ .


(Kerstin Griese [SPD]: Ein gutes Projekt!)


Das Projekt, mit dem qualifizierte und motivierte Flücht-
linge mittels Coaching in Arbeit und Ausbildung ge-
bracht werden sollen, zeigt aber auch eines: Von den gut
800 Teilnehmern sind knapp 8 Prozent tatsächlich in Ar-
beit und Ausbildung gelangt .

Ein Haupthindernis auf dem Weg – auch das ist kein
Geheimnis – sind in der Tat mangelnde Deutschkennt-
nisse . Insofern müssen wir dort mit Sprach- und Inte-
grationskursen ansetzen, mit Einstiegsprogrammen für
Flüchtlinge in Unternehmen, aber auch in Behörden; das
sage ich ganz deutlich . Ich sage an dieser Stelle auch
ganz deutlich, dass ich die Wirtschaft hier ganz klar mit
in der Verantwortung und mit in der Pflicht sehe, sich
nachhaltig für die Integration von Flüchtlingen zu enga-
gieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, Deutschland erwartet
in diesem Jahr circa 800 000 Asylbewerberinnen und
Asylbewerber . Sie alle vertrauen zu Recht darauf, dass
sie nach deutschem Recht und Gesetz eine Chance be-
kommen . Jeder, der Krieg, Verfolgung und Vertreibung
in seiner Heimat entkommen ist und Schutz sucht, kann
auf Deutschland zählen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Klar muss aber auch sein, dass niemandem Asyl ge-
währt wird, der aus rein wirtschaftlichen Gründen hier-
herkommt, so sehr das in jedem Einzelfall verständlich
und nachvollziehbar ist . Die Akzeptanz unseres Asyl-
rechts hängt davon ab, dass wir das Asylrecht ordnungs-
gemäß anwenden, auch wenn das Asylverfahren nicht
das erhoffte Ergebnis bringt .

Nur wenn Recht und Gesetz konsequent angewen-
det werden, werden die Solidarität der großen Mehrheit
der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes anhalten und
auch die eine oder andere Angst, das eine oder andere
Unbehagen beim Thema Zuwanderung verschwinden .
Auch das ist ganz wichtig für das, was wir gemeinsam
vor uns haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist auch wichtig, weil Deutschland auf gezielte und
qualifizierte Einwanderer angewiesen ist. Deshalb haben
wir gemeinsam ein großes Interesse, ein Bild von uns als
attraktives Ziel in die Welt zu senden .

Der demografische Wandel ist die zweite große He-
rausforderung, der wir uns stellen müssen . Es ist heute
bereits gesagt worden, dass der Bundeszuschuss zur Ren-
tenversicherung auf Sicht die 100-Milliarden-Euro-Gren-
ze erreichen wird . Dieser Bundeszuschuss würde dann
ungefähr ein Drittel des Bundeshaushaltes ausmachen .

Ein Grund hierfür sind die geburtenstarken Jahrgän-
ge, die demnächst in den Ruhestand gehen . Ein anderer
Grund hierfür ist die Rente mit 63, die zur Folge hat, dass
die Fachkräfte, die wir so dringend brauchen, schneller
in den Ruhestand gehen . Wer jetzt die von der Union ge-

Mark Helfrich






(A) (C)



(B) (D)


forderte Flexirente infrage stellt, der hat, glaube ich, die
Zeichen der Zeit nicht erkannt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir brauchen die Flexirente, um Anreize für längeres
Arbeiten zu setzen . Eine weitere Verkleinerung unserer
Arbeitskräftebasis kann keine ernsthafte Antwort auf die
Situation einer alternden Gesellschaft und eines zuneh-
menden Fachkräftemangels sein .

Eine letzte Anmerkung: Lange Zeit war der Konflikt
um prekäre und atypische Arbeitsverhältnisse ein beherr-
schendes Thema der Arbeitsmarktpolitik . Ich bin sehr
froh darüber, dass das Statistische Bundesamt kürzlich
festgestellt hat, dass wir seit 2005 gerade bei diesen Be-
schäftigungsformen den niedrigsten Wert haben . Nach
Angaben der Forscher hängt das mit dem demografi-
schen Wandel und dem Fachkräftemangel zusammen .
Das verbessert die Position von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern . Das Normalarbeitsverhältnis wird ge-
stärkt, und das ist ein gutes Zeichen .

Vor diesem Hintergrund sage ich auch, dass uns die
Herausforderungen, die wir jetzt haben, zeigen, dass wir
im Moment im Arbeitsmarkt mehr und nicht weniger
Flexibilität benötigen . Auch das sollte uns im Sinne von
verantwortungsvollem Handeln die eine oder andere Fra-
gestellung noch einmal neu bewerten lassen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zwei gi-
gantische Aufgaben vor der Brust . Mit der zügigen Inte-
gration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt kann es uns
mit Glück gelingen, gleichzeitig die Flüchtlingskrise und
den demografischen Wandel zu meistern. Die Folgen ei-
nes Scheiterns sind nicht auszumalen . Deshalb haben wir
jetzt alle gemeinsam die Pflicht, konsequentes Handeln
an den Tag zu legen, deutsche Flexibilität neu zu erfinden
und vor allem Realitätssinn zu beweisen . Lasst es uns ge-
meinsam anpacken .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812109400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Kerstin

Griese von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1812109500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegin-

nen! Wir beraten hier über fast 41 Prozent des Bundes-
haushaltes . Im Ausschuss für Arbeit und Soziales werden
wir das sehr intensiv und mit großer Verantwortung tun;
denn es geht um die zentralen Felder von Arbeit, sozialer
Sicherung, Rente und Teilhabe aller Menschen . Und ich
will ganz klar sagen: Wir kümmern uns um alle Men-
schen, seien sie zu uns geflüchtet oder seien sie hier auf-
gewachsen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Uns geht es um die Teilhabe an der Gesellschaft und am
Arbeitsmarkt, um gute Teilhabe für alle, um ihren Platz

in der Gesellschaft . Deshalb haben wir hier eine große
Verantwortung .

Wir sind besonders mit dem Schicksal der vielen
Flüchtlinge, die zu uns kommen, befasst . Gerade in die-
sem Ausschuss – das ist schon gesagt worden – betrifft
uns das in vielfältiger Weise . Ich bin Ministerin Andrea
Nahles sehr dankbar, dass sie es mit ihren Vorschlägen
geschafft hat, dass der Koalitionsausschuss schon Sonn-
tagnacht eine Erhöhung der Mittel für Flüchtlinge um
6 Milliarden Euro beschlossen hat . Mindestens 3 Milliar-
den davon werden an die Länder gehen . Ganz herzlichen
Dank dafür .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das ist viel Geld . Es ist notwendiges und gut angelegtes
Geld, wenn wir es richtig machen . Denn die Menschen,
die zu uns kommen, sind motiviert . Sie wollen, dass ihre
Kinder in die Kita und in die Schule gehen . Sie wollen
Arbeit und schnell selbstständig werden, um für ihre Fa-
milie alleine aufkommen zu können . Sprache und Arbeit
sind die beiden zentralen Elemente für Integration .

Deshalb bin ich froh, dass schon angekündigt ist – das
werden wir dann beim Nachtragshaushalt noch einmal in-
tensiv beraten –, dass wir die Sprachkurse ausweiten und
die Integrationskurse deutlich aufstocken . Auch die be-
rufsbezogenen Deutschkurse werden wir ausweiten und
in ein Bundesprogramm überführen; denn das ist ganz
wichtig . Wir öffnen die Integrationskurse für Asylbewer-
ber und Geduldete . Die berufsbezogene Sprachförderung
wollen wir, wie gesagt, durch zusätzliche Bundesmittel
sicherstellen . Die Sprache zu lernen, ist ein wichtiger
Baustein. Der zweite wichtige Baustein ist, Qualifikatio-
nen von Flüchtlingen zu erkennen, passende Angebote zu
machen und auch Weiterqualifizierung anzubieten.

Einige haben schon das gute Programm „Early Inter-
vention“ erwähnt, das die Jobcenter durchführen . Dabei
nehmen sie frühzeitig Kontakt zu Flüchtlingen auf . Die
Ergebnisse sind durchaus vielversprechend . Ich sage aber
auch ganz klar: Wir brauchen dafür in den Jobcentern gut
geschulte, kultursensible und hochmotivierte Jobvermitt-
ler . Deshalb unterstütze ich ganz klar die Forderung, dass
dort mehr Stellen entfristet werden müssen; denn erfah-
rene Arbeitsvermittler müssen sich langfristig, zuverläs-
sig und gut um Flüchtlinge kümmern können .


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen hier mehr Qualifizierungsmittel für die
Jobcenter, damit tatsächlich Vermittlung in Arbeit statt-
findet und diese wirklich große Aufgabe gut bewältigt
werden kann .

Die Wirtschaft, Unternehmen und Handwerk, unter-
stützen uns in dieser Situation in starkem Maße, weil
sie Arbeitskräfte brauchen . Das wird von einfachen Be-
schäftigungen bis hin zu Stellen für Fachkräfte gehen .
Wir wollen die betreffenden Menschen so schnell wie
möglich in Arbeit bringen, und zwar in anständige Ar-
beitsverhältnisse und zu tarifvertraglichen Bedingungen,
zumindest aber zum Mindestlohn . Wenn wir das gut hin-
bekommen – ich nehme heute durchaus wahr, dass sich
alle darum mit aller Kraft kümmern wollen –, dann eröff-
net diese Entwicklung eine große Chance .

Mark Helfrich






(A) (C)



(B) (D)


Es wäre völlig falsch, die Leistungen für Flüchtlinge
gegen die Leistungen für andere Menschen auszuspielen .
Die Ministerin hat ausdrücklich gesagt, wie viel wir tun,
um gerade Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu brin-
gen . Frau Zimmermann, ich rufe Ihnen das ausdrücklich
in Erinnerung . Die Ministerin hat darauf hingewiesen,
dass die intensive Förderung von Langzeitarbeitslosen
für uns eine wichtige Aufgabe der sozialen Gerechtigkeit
ist . Wir haben dazu nicht Progrämmchen, sondern Pro-
gramme gestartet; diese laufen bereits .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Für 43 000! Bei 1 Million Langzeitarbeitslosen!)


Wir haben zudem die Mittel für die Jobcenter um
350 Millionen Euro jährlich erhöht . Das ist gut angeleg-
tes Geld, um Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit
herauszuhelfen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir können uns als Sozialdemokraten durchaus noch
mehr vorstellen . Wir können uns vorstellen, den sozialen
Arbeitsmarkt noch stärker zu etablieren und mit einem
Passiv-Aktiv-Transfer Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu fi-
nanzieren; das ist allemal besser . Das verhilft den Men-
schen zu Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt und in der Ge-
sellschaft . In diese Richtung werden wir die Beratungen
über diesen Haushalt gerne aufnehmen . Ich freue mich
auf die gute Zusammenarbeit .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812109600

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte

hat Axel Fischer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schön, dass
wir heute die Haushaltsdebatte so entspannt führen kön-
nen . Die Bundesregierung hat einen Haushaltsentwurf im
Frühsommer eingebracht . Im Sommer haben sich dann
die Ereignisse überschlagen . Ich muss nicht im Einzel-
nen auf die hier bereits ausführlich geschilderte Flücht-
lingsproblematik eingehen; der Kollege Helfrich hat
dazu schon einiges gesagt . Heute wissen wir allerdings
schon, dass beim Haushalt für 2016 an einigen Stellen
die vorgesehenen Mittel nicht ausreichen werden . Der
Kollege Karl Schiewerling hat das in seiner Rede schon
angesprochen .

Wir werden an der einen oder anderen Stelle vor-
aussichtlich noch einiges an Geld draufpacken müssen .
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat von 10 Milliarden
Euro gesprochen, die Bundesarbeitsministerin von vor-
aussichtlich 3,3 Milliarden Euro allein im Einzelplan 11,
Arbeit und Soziales . Wie viel es am Ende wirklich sein
wird, wissen wir noch nicht . Auf jeden Fall ist es sehr
viel Geld . Aber kein Grund zur Panik! Denn dank einer
auf Wachstum und sparsames Haushalten und weniger
auf ausufernde Umverteilung ausgerichteten Politik ha-

ben wir heute eine solide finanzielle Basis für eine zu-
kunftsträchtige Arbeits- und Sozialpolitik . Dank der gro-
ßen Leistungen von Arbeitnehmern und Unternehmern
floriert die Wirtschaft. Die Steuer- und Abgabenquellen
sprudeln, und auch Löhne, Gehälter und Renten sind ge-
stiegen . Diese Woche kam die Nachricht von einem neu-
en Exportrekord . Es läuft gut .

Die Regierungskoalition hat in den vergangenen Jah-
ren erfolgreiche Arbeit geleistet . Wir haben mit einer
vorausschauenden und zukunftsorientierten Wachstums-
politik sowie mit vielen ordnungspolitisch notwendigen
und sinnvollen Maßnahmen die Finanz- und Wirtschafts-
krise erfolgreich gemeistert . Wir haben viele Menschen
wieder, andere neu in Arbeit gebracht . Wir haben den
Bundeshaushalt konsolidiert . Die schwarze Null von
Kerstin Radomski lässt grüßen . Wir haben gerade im
Bereich der Arbeitsvermittlung bei der Aktivierung von
Langzeitarbeitslosen und bei den arbeitsmarktpolitischen
Instrumenten Erfolg gehabt . Das kann sich sehen lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch die weiteren Aussichten sind gut . Die Bundesre-
gierung rechnet im kommenden Jahr mit knapp 2 Prozent
realem Wirtschaftswachstum, und die Lage auf dem Ar-
beitsmarkt ist bei steigender Erwerbstätigkeit – mit deut-
lich unter 3 Millionen Arbeitslosen – stabil . Die steigen-
de Beschäftigung, steigende Einkommen und steigende
Renten sowie niedrige Energiepreise lassen die Kaufkraft
der privaten Haushalte ansteigen . Der Konsum wird vo-
raussichtlich um rund 2 Prozent zunehmen . Das ist doch
was!

Deshalb können wir darüber debattieren, wofür das
Geld ausgegeben werden soll, über das wir dank eines
konsolidierten Bundeshaushaltes und einer florierenden
Wirtschaft verfügen . Mein spezieller Dank geht dabei na-
türlich an unseren Bundesfinanzminister, Dr. Wolfgang
Schäuble, der es mit einer enormen Energieleistung nicht
nur geschafft hat, den jahrzehntelang chronisch unterfi-
nanzierten Bundeshaushalt wieder ins Gleichgewicht zu
bringen; vielmehr ist der Bundeshaushalt mittlerweile
sogar so solide aufgestellt und geführt, dass wir Reser-
ven haben, auf unvorhersehbare Situationen angemessen
zu reagieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben also wie die Eichhörnchen vor dem Winter
für schlechte Zeiten vorgesorgt, und so können wir die
Herausforderung durch die Völkerwanderung, die wir
derzeit erleben, annehmen und ihr begegnen . Denn eines
ist klar – da hilft kein Jammern und kein Zündeln –: Die
Menschen sind hier . Es liegt nun an uns, an unserer heu-
tigen Perspektive, ob wir sie als Chance oder Risiko, als
Last oder als Bereicherung betrachten . Es liegt an uns,
was wir aus dieser Situation machen .

Leitmotiv für unser Handeln müssen unsere euro-
päischen Werte sein, insbesondere auch die universel-
len Menschenrechte . Die notwendige Integration derer,
die bleiben dürfen, wird zur gesamtgesellschaftlichen
Herausforderung, und diese Herkulesaufgabe dürfen

Kerstin Griese






(A) (C)



(B) (D)


wir weder zulasten der Arbeitslosen noch zulasten der
Schwächsten in unserer Gesellschaft abarbeiten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Viele der Flüchtlinge sind jung und männlich und kön-
nen nicht Deutsch sprechen . Die Integration in den Ar-
beitsmarkt ist insbesondere aufgrund der Sprachbarriere
schwierig, zumal der Mindestlohn ja auch erwirtschaftet
werden muss . Flüchtlinge, die voraussichtlich im Land
bleiben dürfen, sollten wir aber so schnell wie möglich
in den Arbeitsmarkt integrieren . Das verbessert übrigens
auch die gesellschaftliche Eingliederung . Daimler-Chef
Dieter Zetsche hat ja angekündigt, in den Flüchtlingszen-
tren nach Arbeitskräften zu suchen und für sein Unter-
nehmen zu werben . Aber selbst wenn es zutrifft, was er
sagt – dass die meisten Flüchtlinge jung, gut ausgebildet
und hoch motiviert sind –, brauchen diese Menschen un-
sere Unterstützung . Sie brauchen Sprachkurse, und sie
brauchen eine betriebliche Einstiegsqualifizierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Denn mit der erfolgreichen Arbeitsvermittlung steht und
fällt das Schicksal dieser Menschen . Eine zusätzliche
Flexibilität der Arbeitsagenturen kann da nur nützen, die
Integration in den Arbeitsmarkt zielgerichtet zu fördern .

Es bestehen derzeit viele Ängste in der Bevölkerung;
diese müssen wir natürlich ernst nehmen . Eine davon ist
beispielsweise: Zuwanderung verdrängt deutsche Arbeit-
nehmer . Ich habe die derzeit überaus positive Situation
am Arbeitsmarkt bereits beschrieben . Wir haben die
geringste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung .
Viele Betriebe suchen händeringend geeignete Bewerber
und brauchen immer länger, um freie Stellen zu besetzen .
Das Schlagwort „Fachkräftemangel“ macht ja die Runde .
Zudem: Aufgrund der demografischen Entwicklung sinkt
die Zahl der potenziell Erwerbstätigen zukünftig weiter .

Bislang konnten wir das teilweise durch die höhere
Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren und vor allem
durch Zuwanderung aus anderen EU-Ländern ausglei-
chen. Da kamen beispielsweise qualifizierte Ärzte und
Ingenieure aus Bulgarien oder Rumänien zu uns, deren
Tätigkeit hier weitere Arbeitsplätze geschaffen hat, weil
Aufträge in Deutschland statt im Ausland abgearbeitet
werden konnten .

Wir besetzen auch weniger attraktive Arbeitsplätze
mit Zuwanderern . Auch die Betreiber von Dönerbuden,
die von frühmorgens bis spätabends Döner und Sonstiges
verkaufen und vielfältige Integrationsdienste für weniger
leistungsfähige Hartz-IV-Bezieher leisten, sind zumeist
Zuwanderer .

Nicht nur Daimler-Chef Dieter Zetsche begreift die Zu-
wanderung als Chance . Er sagt:

Sie können uns – ähnlich wie vor Jahrzehnten die
Gastarbeiter – helfen, unseren Wohlstand zu erhal-
ten bzw . zu vermehren . Deutschland kann doch die
freien Arbeitsplätze gar nicht mehr allein mit Deut-
schen besetzen .

Meine Damen und Herren, die Kosten für die Zuwan-
derung sollten wir fair verteilen auf Bund, Länder und
Gemeinden . Nicht nur der Bund hat derzeit erhebliche
Steuermehreinnahmen . Die Länder haben zudem mit der
Erhöhung der Grunderwerbsteuer vielerorts kräftig spru-
delnde weitere Finanzquellen erschlossen . Der Bund hat
in den letzten Jahren Länder und Kommunen in Milliar-
denhöhe entlastet und wird dies weiter tun – Stichwort
„Bundesteilhabegesetz“ .

Für einen sachlichen Austausch über die notwendige
Unterstützung in Flüchtlingsfragen wäre es zielführend,
wenn das Zerrbild von flächendeckend darbenden Kom-
munen in Deutschland in der Mottenkiste bliebe – wo es
hingehört . Ich rede hier ja auch nicht ständig von Spaß-
bädern, kommunalen Verwaltungswasserköpfen oder
verantwortungslosen Fehlinvestitionen und Fehllenkun-
gen kommunaler Mittel . In den letzten zehn Jahren – das
fällt zufällig in die Regierungszeit von Angela Merkel –
hat sich hier vieles zugunsten der Kommunen entwickelt .


(Beifall der Abg . Mark Helfrich [CDU/CSU] und Heinz Wiese Den meisten Kommunen geht es finanziell wieder gut. Wer jetzt pauschal Weltuntergangsstimmung verbreitet, der oder die muss sich schon fragen lassen, worum es ihm oder ihr tatsächlich geht . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, die Zuschüsse zur Ren-
tenversicherung sowie die Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung stellen mit 93,2 Milliarden Euro
den größten Block im Bundeshaushalt 2016 dar . Das ist
knapp ein Drittel der gesamten Ausgaben des Bundes,
fast 5 Milliarden Euro oder 5,5 Prozent mehr als noch
2014 . Hier zeigt sich: Das Wohl unserer Senioren liegt
dieser Bundesregierung am Herzen . Mütterrente und
Rente mit 63 verursachen zwar zukünftig eine gewisse
weitere Ausgabendynamik,


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine gewisse?)


sodass wir in 2018 bei den Ausgaben den Betrag von
100 Milliarden Euro wohl überschreiten werden . Eine
gute Verfassung unseres Arbeitsmarktes und unserer
Wirtschaft kann jedoch die Finanzierung langfristig si-
cherstellen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in den
kommenden Wochen den Haushalt gemeinsam beraten .
Die Maxime ist das, was Volkmar Klein gestern hier am
Rednerpult gesagt hat: Der Erfolg misst sich nicht am
schieren Ausgeben von Geld; wichtig ist, dass das Geld
zielgerichtet und erfolgreich eingesetzt wird .

Zum Abschluss, Herr Strengmann-Kuhn, muss ich
schon sagen: Sie haben mich mit Ihrer Aussage hier
wirklich schockiert . Dass die Grünen die Gesundheits-
leistungen für Asylbewerber nicht mehr über Steuern fi-
nanzieren wollen, sondern dass das Geld von den Pflicht-

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)







(A) (C)



(B) (D)


versicherten aufgebracht werden soll, halte ich für einen
Fehler und für absolut nicht akzeptabel .


(Widerspruch der Abg . Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812109700

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan lie-

gen nicht vor . Deshalb verlassen wir den Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Ernährung und Landwirtschaft, Einzel-
plan 10.

Bevor wir damit starten, warten wir noch ein wenig,
bis die Kolleginnen und Kollegen, die an der Beratung
des neu aufgerufenen Einzelplans mit besonderer Intensi-
tät teilnehmen werden, ihre Plätze eingenommen haben .

Nachdem alle, die in besonders intensiver Weise die
Beratung begleiten werden, ihre Plätze eingenommen
haben, starten wir jetzt mit dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft,
und ich erteile als erstem Redner das Wort dem Bundes-
minister Christian Schmidt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eine sichere und gesunde Ernährung und eine
ebensolche Erzeugung von Nahrungsmitteln, das sind
echte Lebensthemen . Mit denen kommt jeder von uns
jeden Tag in Berührung . Deshalb haben sie zu Recht gro-
ße Aufmerksamkeit . Ländliche Räume, Landwirtschaft,
Fischerei und Forsten gehören für mich in gleicher Wei-
se zu diesen Lebensthemen . Mein Ministerium bündelt
diese Themen und stellt sich den Erwartungen, Sorgen
und Bedürfnissen der Erzeuger, der Verbraucher, von uns
allen .

Mit dem Einzelplan 10 mit einem Etatansatz von
knapp 5,5 Milliarden Euro haben wir für das Jahr 2016
eine gute Grundlage für die Fortentwicklung dieser wich-
tigen Politikbereiche vorgelegt . Dieser Haushalt setzt
Akzente, folgt einer tragfähigen Perspektive, und bei
seiner Beratung kann man sich natürlich nicht nur mit
Strategischem, sondern muss man sich auch mit Aktuel-
lem beschäftigen .

Die Bauern machen derzeit in Deutschland und in
ganz Europa mit Vehemenz auf ihre wirtschaftlichen
Sorgen und Nöte aufmerksam . Diese betreffen die Er-
zeugerpreise, insbesondere für Milch, die im Keller
sind . Für 27 Cent pro Liter Milch können viele auf Dau-
er nicht kostendeckend produzieren, geschweige denn
den Lebensunterhalt verdienen . Ebenso sind der Markt
für Schweinefleisch und dort, wo es in diesem Sommer
große Trockenheit gegeben hat, der Feldfruchtbau un-
ter Druck . Wir beobachten eine verhaltene Nachfrage

auf den internationalen Märkten, während gleichzeitig
ein großes Angebot auf den Markt drängt . Die Folgen
des russischen Embargos für Nahrungsmittel treffen die
Landwirtschaft genauso wie die Marktvolatilitäten insbe-
sondere in China .

Ich denke, wir sind uns in diesem Hause über alle
Fraktionen hinweg einig: Die Lage bedarf des Handelns .
Wir müssen handeln, wir müssen klug handeln, und wir
müssen so handeln, dass auch im nächsten Jahr von den
Entscheidungen, die wir jetzt treffen, profitiert werden
kann . Aber wir unterscheiden uns wohl sehr deutlich bei
der Wahl der Maßnahmen . Jedenfalls habe ich das den
Demonstrationen und Diskussionen der letzten Wochen
und Monate entnommen .

Eine Rolle rückwärts zur Mengensteuerung alter
Schule, und sei es auch mit neuem, aufgehübschtem Na-
men, wird es mit mir nicht geben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier bin ich mir mit dem Deutschen Bauernverband und
übrigens auch mit der Europäischen Union einig . Wir
können nicht ein 15 Jahre lang entwickeltes Programm
des Ausstiegs aus einer Mengensteuerung wie der alten
Quotenregelung nun ohne Weiteres sozusagen über den
Tisch ziehen, vor allem auch deshalb nicht, weil wir zwi-
schenzeitlich festgestellt haben, dass der Erfolg der Men-
gensteuerung nicht eingetreten ist . Sonst hätten wir doch
nicht vor fünf Jahren, zu Zeiten der Milchquote, eine Kri-
se gehabt, die von den Zahlen her noch dramatischer als
die heutige gewesen ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben für ein solches System der staatlichen Ein-
griffe in Form von Mengenregelungen übrigens auch
keine Rechtsgrundlage . Ich möchte bei der Diskussion
in aller Bescheidenheit darauf hinweisen: Welche Töp-
fe man auch immer wo fordert, wir können keine Töp-
fe aus Lust und Laune heraus, aufgrund eines Bedarfs
oder einer Entscheidung heraus schaffen . Es bedarf einer
Rechtsgrundlage auf europäischer Ebene, auf nationaler
Ebene . Ich halte fest: Die gibt es nicht . Wenn jemand
meint, diese wäre leicht zu erreichen, darf ich aus dem
letzten Sonderrat der EU-Agrarminister vom vergange-
nen Montag berichten . Ich habe angesprochen, dass wir
in die Diskussion durchaus die Frage einbringen müssen,
ob es auch andere Möglichkeiten der Mengensteuerung
gibt . Denn was wollen wir erreichen? Wir wollen die Vo-
latilität, dass der einzelne Bauer einmal viel und einmal
wenig verdient, aber zwischendrin kaum mit seiner Fi-
nanzierung hinterherkommt, einigermaßen ausgleichen .
Ich darf darauf hinweisen, dass von den anderen 27 Mi-
nistern auf europäischer Ebene nicht ein einziger und
auch vonseiten der Kommission niemand eine Rückkehr
zur Quote oder Mengensteuerung gefordert hat . Ich bitte,
dieses auch für die nationale Diskussion zur Kenntnis zu
nehmen . Wir müssen hier neue Ansätze und Gedanken
entwickeln, und das werden wir auch tun .

Nationale oder europäische Begrenzungen müssen
sich am Weltmarkt orientieren . Die große Mehrheit der

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)







(A) (C)



(B) (D)


Milcherzeuger hat sich ja auch für die Chancen des wett-
bewerblichen Marktes entschieden . Was ist unser Pro-
blem? Wir haben einen Wettbewerb in unserem Lande,
der über den Preis geht und nicht über die Qualität . Hier
müssen wir ansetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen bei den Produkten ansetzen . Aber auch in
der Wertschöpfungskette, die – ich muss es sagen – vom
Erzeuger bis zum Verbraucher geht, müssen alle bereit
sein, sozusagen ihr Scherflein beizutragen. Ich habe heu-
te früh mit dem Handel intensive Gespräche geführt . Ich
bin nicht ganz ohne Optimismus aus diesen Gesprächen
herausgegangen . Wir müssen erreichen, dass das Risiko
des Marktes nicht allein bei den Erzeugern hängen bleibt .
Das muss geändert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch ein ganz klares Wort, liebe Kolleginnen und
Kollegen, zu einer bedenklichen Entwicklung . Wir ha-
ben einen europäischen Binnenmarkt . Mancher wirft
uns vor – auch der deutschen Agrarwirtschaft und unse-
ren Bauern –, wir wären zu erfolgreich . Okay, das muss
man immer an dem messen, was man selbst erreicht hat
oder nicht, ob man den Strukturwandel genutzt hat oder
nicht . Es geht aber nicht, dass in den Grenzen innerhalb
der Europäischen Union, im Schengen-Raum, Fahrzeuge
aufgehalten werden,


(Beifall des Abg . Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU])


bei denen nachgeprüft wird, ob in ihnen deutsche Milch-
produkte transportiert werden . Man hört sogar auch, dass
sich in anderen europäischen Ländern mancher nicht
mehr traut, deutsche Qualitätsprodukte ins Regal zu stel-
len, weil er Sorge haben muss, dass das eine oder andere
passiert . Ich werde in aller Schärfe – das habe ich bereits
getan – und mit allen Mitteln, wenn sich Fälle, die mir
konkret vorliegen, bei Nachprüfung bestätigen – leider
wird das wohl der Fall sein –, unsere europäischen Nach-
barn darauf hinweisen, dass wir eine Hausordnung haben .
Die Hausordnung ist der europäische Binnenmarkt . Wir
verkaufen unsere Produkte dort, wo der Verbraucher sie
will, und lassen nicht zu, dass irgendjemand zwischen-
drin entscheidet, ob er sie bekommen soll oder nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was müssen wir jetzt machen? Direkthilfen! Sofort-
hilfen! Wir müssen, auch wenn wir den Kurs der Markto-
rientierung beibehalten, trotzdem ein Maßnahmenpaket
auflegen, um den Landwirten in der konkreten Situati-
on zu helfen . Deswegen bin ich für Sofortmaßnahmen .
Wir haben in der letzten Woche von der EU-Kommis-
sion eine halbe Milliarde Euro angeboten bekommen .
Der gedachte Ansatz muss lauten, dass das, was über
die Superabgabe – die Insider kennen das – nach Brüs-
sel geflossen ist, sich in der gleichen Größenordnung im
Haushalt für die Landwirtschaft wiederfindet. Wenn man
dann die 350 Millionen Euro für Direktzahlungen und
weitere Programme für Obst und Gemüse hinzunimmt,

geht das in die richtige Richtung . Luft nach oben ist noch
da . Wir werden am Montag in Luxemburg weiter über
diese Dinge reden . Wir werden dann vor allem über die
Details reden .

Mir liegt daran, dass wir, wenn wir wissen, wie die
EU ihre Gelder einsetzen will, überlegen, wie wir eine
nationale Unterstützung – ob mit Brüsseler Mitteln oder
mit anderen Mitteln – fixieren können. Wir führen hier
kurzfristig Gespräche . Ich werde dann Maßnahmen vor-
schlagen, die allen betroffenen Landwirten schnelle Un-
terstützung bieten . Wir sollten nicht den Keil zwischen
Schweinemäster und Milchbauern treiben oder denen,
deren Ernte durch die Trockenheit Schaden genommen
hat . Wir müssen auf alle blicken .

Dann gibt es noch einen Punkt, über den wir in der Tat
mit Brüssel reden müssen . Die Direktzahlungen bleiben .
Sie betragen im Schnitt ungefähr ein Drittel des Einkom-
mens deutscher Landwirte . Jeder von uns weiß, dass wir
in einer krisenhaften Situation, zum Beispiel bei Hoch-
wasser, auf kommunaler Ebene, auf Landesebene und
auf Bundesebene dafür sorgen, dass schnell und unbü-
rokratisch geholfen wird . Das hat auch in vielen Fällen
funktioniert . Nun versuchen Sie einmal, auf europäischer
Ebene zu sagen: Wir helfen schnell und unbürokratisch .
Sie werden feststellen, dass das Dickicht der Regelun-
gen, wobei jede für sich durchaus eine Begründung ha-
ben mag, in der Gesamtschau zu einer solchen Unbeweg-
lichkeit des Tankers führt, dass er auf solche Krisen gar
nicht mehr richtig reagieren kann . Wir müssen das an-
gehen . Deswegen reicht es mir nicht aus, wenn der eine
oder andere zu Direktzahlungen sagt: Geht nicht, ist nicht
möglich . Geht nicht, gibt es nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin Süddeutscher . Ich nehme das Wort „Fischkopf“
nie in den Mund . Ich bitte aber, dem sehr geschätzten
Kollegen Till Backhaus zu bestellen, dass ich es mir so
vorstelle, wie er es macht . Er hat nämlich gesagt: Okay,
wir gehen das an, wir schauen, dass wir es schaffen, das
Geld schneller an die Leute zu bringen . Ich werde in mei-
ner Verwaltung dafür sorgen, dass das so schnell geht . –
Das finde ich aller Ehren wert. Danke schön! 15 weitere
Minister könnten sich – das darf ich in diesem Fall durch-
aus einmal sagen – an ihm ein Beispiel nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dafür bekommt er jetzt aber keinen Sonderbonus;
denn hinsichtlich der Zahlungen bin ich an europäische
Regelungen gebunden . Allerdings bin ich der Meinung,
dass man das pragmatisch sehen sollte . Es muss doch
möglich sein, dass, wenn das Geld für die Schaffung von
Liquidität nötig ist, wir die Zahlung vorziehen, sodass
das Geld nicht erst im Januar, sondern schon im Novem-
ber oder Oktober da ist . Das gilt nicht nur jetzt, das muss
auch in Zukunft gelten . Wir müssen dieses Problem de-
zidiert angehen .

Dann müssen wir auch einmal über die eine oder an-
dere Belastung, die wir der Landwirtschaft aus sicherlich
auch guten Überlegungen zumuten, reden . Wir lassen
uns – das will ich durchaus erwähnen – vieles einfallen .

Bundesminister Christian Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Man hört oft: Die Landwirtschaft muss dieses oder jenes
tun; es muss dieses oder jenes vorgeschrieben werden . –
Dazu sage ich: Auch all das kostet Geld . Ich plädiere
damit nicht dafür, Landwirtschaft nur unter dem Aspekt
der Wettbewerbsfähigkeit zu sehen . Natürlich sind öko-
logische Fragestellungen und das Tierwohl, auf das ich
noch zu sprechen komme, sehr wichtige Punkte . Es muss
alles in einem vernünftigen Zusammenhang stehen . Ich
möchte nämlich, dass unsere Landwirtschaft in Deutsch-
land produziert und wir uns nicht vom Export abhängig
machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Stichwort „Export“: Manche fragen nun, was denn der
Export solle, das sei doch nur Überschussabbau . Liebe
Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen sehr genau: Wenn
wir den Export im Milchbereich, um nur dieses Beispiel
zu nennen, auf null fahren, dann bedeutet das das Aus für
die Hälfte unserer landwirtschaftlichen Betriebe .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass wir nicht auf Teufel komm raus exportieren, steht
selbstverständlich auf dem gleichen Blatt . Das ist aber
auch nicht der Fall .

Ich bin dafür, dass wir über Qualität und Export in die
Märkte, die aufnahmefähig sind, reden . Was mit mir nicht
geht und was, glaube ich, auch in diesem Haus niemand
fordern wird – an anderer Stelle höre ich diese Forderung
manchmal –, sind Exportsubventionen für Produkte, die
bei uns nicht absetzbar sind . Mit einer Verbilligung die-
ser Produkte würden wir nur schwächere Märkte in an-
deren Ländern belasten . Nein, ich möchte, dass wir in
die aufnahmefähigen Märkte exportieren . Darauf werden
wir unser Augenmerk richten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


China ist und bleibt ein wichtiger Absatzmarkt . Dafür
brauche ich aber die Unterstützung durch die EU .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ganz genau!)


Wir brauchen Geld und Ideen von der EU . Die Ideen lie-
fern wir, wenn es notwendig ist, sogar selber .

Ich möchte intelligente Märkte und lade deswegen zu
einem Exportgipfel und zu einem Lebensmittelgipfel ein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wozu dient dieser Lebensmittelgipfel? Wir müssen er-
reichen, dass der Erzeuger, zum Beispiel von Schwei-
nefleisch, nicht alleine seine Standards an einigen ver-
schiedenen Produzenten orientieren muss; denn dieses
Management überfordert ihn womöglich . Die Produzen-
ten sind und bleiben Landwirte und Tierzüchter; bei de-
nen wollen wir keine Managementstrukturen aufbauen .

Hinzu kommen auch noch ein paar andere Fragen zum
Tierwohl, die wir ansprechen müssen . Im Bereich des
Tierwohls setzen wir in diesem Jahr 30 Millionen Euro
ein . Ich bedanke mich bei den Haushältern schon jetzt für
die gute Unterstützung, die ich hoffentlich bekommen
werde und auf die ich aufgrund der guten Erfahrungen
in der Vergangenheit und des einen und anderen Vorge-

spräches hoffen kann . Dieses Thema müssen wir näm-
lich sehr ernst nehmen . Wir streben eine Mischung aus
freiwilliger Verbindlichkeit und rechtlicher Regelung an .
Das habe ich vor einem Jahr präsentiert . Da wollen wir
eine Zwischenbilanz ziehen . Aber es geht auch um The-
men wie – die Kollegin Jantz hat das als Erste angespro-
chen – das Schlachten trächtiger Rinder . Wir kommen
nicht darum herum, das rechtlich zu regeln; das läuft auf-
grund der Strukturen nicht über die freiwillige Verbind-
lichkeit . Dazu werde ich in Kürze einen Gesetzentwurf
vorlegen . In dem Zusammenhang werden wir darüber
sprechen und entscheiden, und zwar mit dem Ziel, dass
das zukünftig nicht mehr passiert .

Im Bereich der Ernährung haben wir 90 Millionen
Euro eingesetzt . Wir müssen in den Schulen und anders-
wo eine Offensive für gesunde Ernährung starten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Leider sind unsere eigenen Projekte, Frau Kramme, nur
Insidern bekannt . Wir müssen sie darüber hinaus bekannt
machen . Wir müssen uns auch zu der Frage der Lebens-
mittelvernichtung und zum Thema Kochen verhalten .
Bei Letzterem müssen wir ein Bündnis mit denen einge-
hen, die das noch können:


(Beifall bei der CDU/CSU)


mit den Älteren und auch mit Spitzenköchen .

Es muss natürlich jetzt nicht jeder wie Tim Mälzer, der
sich hier erfreulicherweise sehr intensiv engagiert, oder
wie Klaus Töpfer sein, der in die neu aufgesetzte Initia-
tive „Zu gut für die Tonne“ neuen Schwung einbringen
will . Ich sehe auch, dass wir uns hier nicht nur gegensei-
tig bestätigen dürfen, indem wir sagen: Ja, wunderschön
und wichtig . Vielmehr kommt es auf unseren Einsatz an .
Wenn wir gegen Pommes, Pasta, Pizza und Pfannku-
chen – das sind die vier beliebtesten Gerichte – ein Stück
weit gesundes Obst und Gemüse und andere Dinge stel-
len wollen, dann müssen wir an den Schulen anfangen .


(Petra Hinz fangen, nicht erst in den Schulen!)


Wir können das jedoch nicht gesetzlich verordnen . Das
muss langsam wachsen, und dazu müssen Bund und Län-
der Geld in die Hand nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben eine Reihe von weiteren Aufgaben, aber ich
glaube, allein diese Punkte zeigen: Wer meint, den Land-
wirtschaftsetat könne man außen vor lassen, der sei für
uns nicht interessant, dem sage ich: Nein, wir vertreten
eigentlich den Lebensetat, und bei uns spielt Musik . Wir
werden deswegen die Orchestrierung auch in der öffent-
lichen Wahrnehmung noch verstärken .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bundesminister Christian Schmidt






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812109800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Heidrun Bluhm .


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812109900

Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Uns alle beschäftigt heute wie auch schon in
verschiedenen anderen Debatten die aktuelle Flüchtlings-
problematik . Jetzt fragen Sie sich sicher: Was hat das mit
der Landwirtschaft zu tun? Aber ich denke, wir stehen
hier ganz deutlich in der Verantwortung, zu hinterfragen,
welchen Anteil unsere exportorientierte Agrarpolitik, so-
wohl die des Bundes als auch die der EU, an den Krisen
in dieser Welt trägt und welchen Schaden die Entwick-
lungsländer durch sie erfahren .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)


Klar, wir liefern keine subventionierten Hähnchen mehr
nach Afrika, aber wir liefern sie immer noch und machen
damit die heimische Wirtschaft kaputt, gegebenenfalls
gar nicht erst marktfähig .

Herr Minister, Sie sagten eben in Ihren Ausführungen,
Sie wollen in die Märkte, die aufnahmefähig sind . Das ist
sehr allgemein . Das kann gut sein, das kann aber genauso
schädlich sein, wenn wir es beziehen auf die Entwick-
lungsländer oder die Schwellenländer .

Sie sehen, Herr Minister: Auch wenn Ihr Haushalt
ein eher kleiner ist, berührt die Politik, die mit diesem
Haushalt gemacht wird, trotzdem viele Bereiche in un-
serer Gesellschaft . Die Frage ist: Werden Sie dieser Ver-
antwortung gerecht? Und das will ich hier einmal kurz
beleuchten:

Ihre Fraktion zeichnet in der Öffentlichkeit ja sehr
gern und oft ein Bild, nahezu ein Idealbild, der bäuer-
lichen Landwirtschaft . Ihre konkrete Politik aber, wenn
man sie genau betrachtet, benachteiligt eher kleine und
mittlere Betriebe . Export- und renditeorientierte Konzer-
ne und Kartelle dominieren die Landwirtschaft längst,
üben auch auf dem Markt zunehmend ihren Einfluss aus
und machen damit eine sozial und ökologisch nachhalti-
ge Landwirtschaft unmöglich . TTIP zum Beispiel wird
diesen Prozess wahrscheinlich noch unterstützen . Ich
glaube, dieser Trend – so sagt es zumindest die Linke –
muss gestoppt werden . Hier vermisse ich die Ernsthaftig-
keit Ihres Engagements .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich vermisse die Ernsthaftigkeit Ihrer Politik außer-
dem, wenn das Ministerium zwar die Gefahr explodie-
render Bodenpreise erkennt und im Agrarbericht sogar
klar darauf hinweist, aber nichts tut oder wie im Fall der
BVVG sogar selbst an der Preistreiberei beteiligt ist, in-
dem hier öffentliches Eigentum weiter privatisiert wird .
Das kritisieren wir im Übrigen schon lange, aber ich will
das hier heute noch einmal zum Ausdruck gebracht ha-
ben .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Minister, Sie haben es eben selbst angesprochen:
Auch die gegenwärtige Milchkrise scheint Sie nicht
wirklich ernsthaft zu beschäftigen und vor allem zum
Handeln zu bewegen . Sie schauen dem Überlebenskampf
vieler Milchviehbetriebe tatenlos zu und belassen es bei
wirkungslosen Appellen . Auch das haben Sie eben in Ih-
rer Rede noch einmal deutlich gemacht . Auch hier haben
Sie angekündigt, dass Sie etwas tun wollen, aber was Sie
tun wollen, das haben Sie nicht gesagt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei brauchen wir dringend eine wirksame Lö-
sung . Wenn es, wie Sie sagen, keine Mengensteuerung
sein soll, um dem Preisdumping auf dem deutschen
Milchmarkt entgegenzutreten: Was dann, Herr Minister?
Was wollen Sie tun? Direkt- oder Soforthilfen? Wir wer-
den doch aufgrund der Mechanismen des Marktes Markt-
preisschwankungen immer wieder haben, und dann sind
Sie permanent am Subventionieren .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben wäre eine gute Gelegenheit gewesen, das zu beantworten!)


Sie müssen sich hier also als Regierung auch strukturell
eine andere Lösung einfallen lassen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Stellen Sie sich der sozialen Verantwortung für die
heimischen Betriebe und deren Mitarbeiter . Stellen Sie
sich auch der globalen sozialen Verantwortung für die
Entwicklungs- und Schwellenländer .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor allem erkenne ich aber die fehlende Ernsthaftig-
keit bei der Entwicklung der ländlichen Räume . Auch
hier reden Sie viel und kündigen an, die Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-
tenschutzes“ zu reformieren . Doch bis heute ist faktisch
nichts passiert . Es ist ja gut, sorgfältig zu prüfen oder
auch abzustimmen; aber es braucht dringend eine ressor-
tübergreifende Gesamtstrategie; doch diese fehlt bisher
in der Regierung insgesamt .


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Plan ist für uns und die Mitbürgerinnen und Mitbür-
ger in den kleinen Städten und Gemeinden bisher nicht
erkennbar .

Doch ich sage Ihnen: Viel entscheidender als die Fra-
ge, wie die neue Gemeinschaftsaufgabe heißt und wie
sie gegebenenfalls strukturiert wird, ist die Höhe der
Mittel, die Sie tatsächlich für eine nachhaltige Regional-
entwicklung bereitstellen wollen . Zwar erhöhen Sie die
GAK-Mittel um 10 Millionen Euro . Das sind allerdings
nur 1,6 Prozent des Gesamtaufkommens . Es bringt also
eigentlich null Effekt für die Kommunen und die Betrie-
be . Doch eine Förderung, die den schon heute drängen-
den Problemen vieler Kommunen gerecht werden würde,
bleiben Sie bisher schuldig .






(A) (C)



(B) (D)


Dabei stehen die Kommunen strukturschwacher Re-
gionen vor einer dreifachen Herausforderung: sinkende
Einnahmen, hohe Lasten durch Sozialabgaben und zum
Dritten hohe Infrastrukturkosten . Jene Kommunen also,
die am dringendsten den Wandel gestalten müssen und
am dringendsten eine nachhaltige Infrastrukturausstat-
tung brauchen, können daran kaum arbeiten, weil sie
finanziell gelähmt sind. Und wir lassen sie im Regen ste-
hen . Dabei bedeuten die unterlassenen Investitionen von
heute dreimal höhere Kosten für morgen .

Wir fordern deshalb im Einklang mit den Ländern
eine Aufstockung der GAK-Mittel für den Bereich Re-
gionalentwicklung um mindestens 200 Millionen Euro .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen den Kommunen helfen, Daseinsvorsorge,
Mobilität und Teilhabe langfristig zu sichern, vor allem
in den schrumpfenden Regionen . Wir müssen die ländli-
chen Räume entwickeln und wollen sie nicht abwickeln .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich weiß, dass die SPD und auch einige aus Ihrer Frakti-
on, Herr Schmidt, eine derartige Mittelaufstockung wün-
schen . Umso weniger verstehen wir Ihre Politik und den
Stillstand in Ihrem Haushalt . Aber nur konkrete Zahlen
würden auch Taten bedeuten .


(Beifall bei der LINKEN)


Die neue Gemeinschaftsaufgabe zur Entwicklung der
ländlichen Räume muss ihren Namen auch verdienen .
Sie braucht eine starke regionalpolitische Komponente,
um den wachsenden Problemen der ländlichen Kommu-
nen, der ländlichen Räume wirklich gerecht zu werden
und nicht nur ein Nebenprodukt der Agrarförderung zu
bleiben .

Ich weiß, Herr Schmidt: Nicht alle Probleme des
ländlichen Raums haben Sie zu verantworten . Herr
Dobrindt verschläft ja auch den Breitbandausbau, und
Herr Schäuble sitzt auf dem Geld . Steuergerechtigkeit
zu schaffen und die Kommunen mit ausreichenden Mit-
teln auszustatten, damit sie Schulen und Straßen sanieren
können, bleibt damit aus . Auch ohne zusätzliches Geld
von Herrn Schäuble hätten Sie aber eine Quelle, um die-
sen Haushalt zu reformieren . Wir sagen: Schaffen Sie die
Agrardieselsubventionen ab! Dann hätten wir ein wenig
mehr Geld, das wir an dieser Stelle ausgeben könnten .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Angelehnt an unsere Reise nach Afrika, die wir, Herr
Schmidt, im Frühjahr gemeinsam gemacht haben, möch-
te ich meine Ausführungen folgendermaßen beenden:
Seien Sie kein zahmer Tiger, weder gegenüber expor-
torientierten Konzernen oder Kartellen noch gegenüber
Bodenspekulanten!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Setzen Sie sich bei Herrn Schäuble für mehr Geld für
die ländlichen Räume ein! Zeigen Sie Ihre Zähne, Herr
Schmidt! Seien Sie ein richtiger bayerischer Löwe!

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812110000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira

Drobinski-Weiß für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1812110100

Herr Präsident! Herr Minister Schmidt! Sehr verehrte

Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Als mich in den wahrscheinlich leider
letzten Sonnentagen der detaillierte Haushaltsplan des
BMEL erreichte, da dachte ich: Gar nicht schlecht! Da
ging auch bei mir ein bisschen die Sonne auf, aber – ich
sage es Ihnen – nur ganz kurz .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen auch, warum bei mir ein bisschen die
Sonne aufging: Im Haushaltsplan findet sich die Zusage,
dass sich die Kampagne gegen Lebensmittelverschwen-
dung „Zu gut für die Tonne“ nicht mehr nur an Ver-
braucher richten wird, sondern auch an Landwirtschaft,
Handel, Industrie und Gastronomie . Das Thünen-Ins-
titut bekommt mehr Geld, um endlich eine Systematik
zu entwickeln, mit der es möglich wird, zu erfassen, wer
was warum wegwirft . Das ist eine wichtige Grundlage
dafür, um wirksame Maßnahmen zu entwickeln und um
die Verschwendung einzudämmen . Dafür hat sich die
SPD-Fraktion schon seit langem eingesetzt, und ich bin
froh, dass Sie dies nun endlich im Haushalt festschrei-
ben. 60 Prozent der Lebensmittelverschwendung finden
nämlich nicht in Privathaushalten statt, sondern bereits
vorher .

Ich denke, wir als Politik sind in der Pflicht, etwas zu tun.


(Beifall bei der SPD)


Alles andere halte ich ethisch und übrigens auch ökono-
misch für nicht vertretbar .

Wenn allerdings die Aufgaben wachsen, wenn die
Ausrichtung eines Vorhabens breiter wird, dann braucht
es selbstverständlich auch mehr Geld, um diese neuen
Aufgaben zu bewältigen . „Zu gut für die Tonne“ muss
noch besser ausgestattet werden . Herr Minister, es liegt
noch viel Arbeit vor uns, aber wir und auch Sie sind auf
einem guten Weg .

So viel zum Sonnenschein . Ein paar Wölkchen, das
heißt ein paar Fragezeichen, sind dann doch noch auf-
getaucht .

Obwohl ich mir viel Mühe gegeben habe, kann ich
nach wie vor nirgendwo im Haushalt einen Posten ent-
decken, der die Kosten für die nationale Strategie zur
Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten
abdeckt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dabei liegt ein entsprechender Beschluss des Bundes-
tages schon seit einigen Monaten auf dem Tisch . Der

Heidrun Bluhm






(A) (C)



(B) (D)


muss – da bin ich mir ganz sicher – irgendwo im Minis-
terium durchgerutscht sein .


(Dr . Karin Thissen [SPD]: Genau!)


Immerhin stehen für den Bereich „Gesundheitlicher
Verbraucherschutz und Ernährung“ im Jahr 2016 5 Mil-
lionen Euro mehr zur Verfügung . Zudem sind von den
16 Millionen Euro im Titel „Information der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher“ im vergangenen Jahr fast
11 Millionen Euro nicht abgerufen worden . Mittel sind
also ausreichend vorhanden . Diese Mittel sollten wir für
Maßnahmen einsetzen, die es den Menschen erleichtern,
sich gesund und ausgewogen zu ernähren . Sie sollten alle
Menschen erreichen, egal wo sie einkaufen, welchen Bil-
dungsstand und wie viel Geld sie haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Reduktionsstrategie, die die Rezepturen von Fer-
tigprodukten verbessern soll, ist so ein Mittel . Dass sie
funktioniert, das zeigen nicht nur Beispiele aus anderen
Ländern . Auch eine Aktion des Ernährungsministeriums
selbst hat gezeigt: Seit es die Reduktionsziele für herz-
schädliche Transfette mit der Wirtschaft vereinbart hat,
ist der Gehalt an Transfetten in Lebensmitteln deutlich
zurückgegangen . Jetzt müssen wir uns auch um Salz
und Zucker kümmern … insbesondere in Lebensmitteln
speziell für Kinder … von denen wir sowieso meinen,
dass sie völlig unnötig sind, und die wir daher ablehnen .
Aber das passiert nicht von allein, das gibt es auch nicht
umsonst . Ein entsprechender Haushaltsposten ist unab-
dingbar .


(Beifall bei der SPD)


Verbraucherinformationen, Aufklärungskampagnen
und Bildungsarbeit – das alles ist wichtig . Aber Men-
schen, insbesondere Kinder, müssen das Erlernte auch
umsetzen können . Im Moment arbeiten das gängige
Lebensmittelangebot und die Art, wie es beworben und
vermarktet wird, eher gegen sie . Wenn wir nicht dafür
sorgen, bessere Bedingungen für gesunde Ernährung zu
schaffen, nützen alle Bildungsinitiativen wenig, Herr Mi-
nister . Schließlich braucht es für einen sicheren Verkehr
Fahrschulen, die uns das Fahren beibringen, ebenso wie
sichere Straßen und sichere Autos; ach ja, und Ampeln
wären auch nicht schlecht . Aber das ist ein anderes The-
ma .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch ein Hinweis zum Schluss . Gestern erreichte
mich die Nachricht, sehr verehrter Herr Bundesminister
Schmidt, dass das Forschungsinstitut für Kinderernäh-
rung vor dem Aus steht . Dabei hatten Sie in den letzten
Haushaltsverhandlungen zugesagt, sich persönlich für
den Fortbestand des Instituts einzusetzen . Ich appelliere
dringend an Sie und an Ihr Ministerium: Setzen Sie alles
daran, die Arbeit dieses wichtigen Instituts weiterhin zu
ermöglichen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Grundsätzlich – da bin ich zuversichtlich – können wir
mit den Mitteln, die uns für das Jahr 2016 zur Verfügung
stehen, viel erreichen . Packen wir es an!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812110200

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege

Sven-Christian Kindler .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute über den Agrarhaushalt,
aber auch grundsätzlich über die Fragen der Landwirt-
schaftspolitik . Nach zwei Jahren haben wir jetzt Halbzeit
der Großen Koalition . Herr Minister, daher hätte ich er-
wartet, dass Sie etwas zu Ihrer Bilanz und zur Situation
der Landwirtschaft sagen .

Eigentlich geht es um ein schönes, positives Thema:
um Essen, um das, was uns satt macht, was uns erhält,
um das Verhältnis von Mensch, Natur und Tier . Aber
wenn man sich im Land umschaut, stellt man fest, dass
viele Menschen verunsichert sind, Angst haben und wü-
tend auf die Landwirtschaftspolitik sind . Es gibt eine
große Akzeptanzkrise .

50 000 Menschen waren in diesem Jahr bei der Wir-
haben-es-satt-Demo in Berlin, darunter viele Landwirte .
Sie haben klargemacht, dass sie eine andere Landwirt-
schaftspolitik wollen. Herr Minister, ich finde, man darf
diese Bedenken nicht wegwischen, sondern man muss
die Menschen endlich ernst nehmen und ihnen zuhören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt zentrale Probleme in der Landwirtschaft, die
jetzt angegangen werden müssen – auf diese Probleme
weisen auch die Landwirte hin : Wir haben ein großes
Höfesterben in Deutschland; gut ein Drittel der klima-
schädlichen Treibhausgase entsteht weltweit in der Land-
wirtschaft; wir haben einen enormen Wasserverbrauch
und eine enorme Wasserverschmutzung durch die indust-
rielle Landwirtschaft; wir haben ganz viel Tierquälerei in
der Massentierhaltung;


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Eine Unterstellung!)


wir haben quasi alle paar Monate einen neuen Lebens-
mittelskandal .


(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Sprechen wir über Deutschland, oder was?)


Herr Minister, ich finde, diese Probleme dürfen nicht
weiter ignoriert werden . Gerade die Union darf diese
Probleme nicht weiter schönreden und sich wegducken .
Es muss endlich gehandelt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Probleme sind nicht gottgegeben, sondern Folge
einer falschen Agrarpolitik, einer Agrarpolitik, für die –

Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


das haben wir gerade schon in der Rede der SPD-Kol-
legin gehört – in der Bundesregierung vor allen Dingen
die Kollegen von der CDU/CSU stehen . Diese Probleme
sind Folge einer Agrarpolitik, die auf Masse statt Klasse
setzt, auf Wachsen oder Weichen, auf Agrarfabriken statt
Bauernhöfe. Ich finde, zu Recht fordern viele Menschen
in Deutschland, dass sich die Agrarpolitik endlich ändert .
Wir brauchen jetzt endlich ein Umsteuern in der Agrar-
politik in Deutschland .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ganz besonders deutlich wird das an der Milchkrise .
Viele bäuerliche Betriebe stehen jetzt vor dem Aus . Das
war in den letzten Monaten schon absehbar . Herr Minis-
ter, ich frage mich: Wo waren Sie eigentlich? Ich habe
nichts von Ihnen gehört, keine Forderungen, keine kon-
kreten Pläne . Sie haben das Thema – das muss man ganz
ehrlich und hart so sagen – einfach verschlafen . Auch
heute gibt es keine Antwort, sondern wieder nur Ankün-
digungen. Ich finde, das ist deutlich zu wenig. Das ist ein
krasses Versagen als Landwirtschaftsminister in dieser
zentralen Frage .

Zu dem Ergebnis vom Montag, das Sie angesprochen
haben . Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter
spricht zu Recht von Aktionismus und von einem Vor-
täuschen von Politik . Er sagt, dass es den Agrarministern
der EU-Staaten an Problembewusstsein mangelt, dass sie
nicht über die nötige Weitsicht verfügen . Ihre Antwort
darauf – das haben Sie heute wieder gesagt – ist Export .
Die Probleme dabei sind aber – darauf hat die Kollegin
Bluhm schon hingewiesen :

Erstens . Wenn in Länder exportiert wird, zum Beispiel
in Westafrika, in denen die Kleinbauern schon heute ihre
Existenzgrundlage durch die Dumpingkonkurrenz aus
dem Ausland verlieren, dann wird dieser Export dort
zu noch mehr Armut und Hunger führen – Stichwort
„Fluchtursachen“ .

Zweitens . Für die deutschen Milchviehhalter lautet
die Frage: Was bringt ihnen das? Die Nachfrage auf dem
Weltmarkt ist sehr schwankend . In China und Indien ha-
ben wir Nachfrageeinbrüche . Wir wissen, dass auf dem
Weltmarkt kein hoher Preis zu erzielen ist, und die Milch
auf dem Weltmarkt zu verramschen, kann nicht die Lö-
sung sein . Unsere Milchviehhalter brauchen andere Ant-
worten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Spiering [SPD]: Welche?)


Ich kann Ihnen dazu Folgendes sagen: Wir wissen,
dass es auf dem Markt ein zentrales Überschussproblem
gibt . Deswegen muss man als Minister handeln und für
eine Marktregulierung eintreten . Wir sind nicht für die
alte Milchquote – das ist klar; dahin wollen wir nicht
zurück ; aber wir haben immer davor gewarnt, dass die
Europäische Union zu wenig Kriseninstrumente hat,
dass sie gegen das Überschussproblem zu wenig machen
kann . Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter
schlägt vor, wieder ein Bonus-Malus-System einzufüh-
ren . Ein solches System kann man auch branchenbezo-
gen einführen, Herr Schmidt . Da dürfen Sie sich nicht
wegducken . Man kann dafür sorgen, dass Betriebe, die

mehr produzieren, einen Malus zahlen, und Betriebe, die
freiwillig weniger produzieren, einen Bonus bekommen .
Das kann man mit der Branche vereinbaren . Dazu muss
man handeln, dazu muss man sich mit den Bauern tref-
fen. Ich finde, deswegen brauchen wir einen Milchgipfel
statt eines Exportgipfels . Einen solchen Gipfel muss der
Minister jetzt einberufen . So etwas muss er vereinbaren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Schmidt, ich glaube, Sie sind der unbekanntes-
te Minister dieser Regierung . Sie sind extrem blass . Ihre
Taktik ist es anscheinend, sich wegzuducken und gar
nichts zu machen, sich zu verstecken und zu hoffen, dass
alles gut wird . Aber es wird nicht alles gut . Im Hinter-
grund lassen auch Sie sich – leider – die Papiere vom
Bauernverband und der Agrarindustrie schreiben .

Stichwort „Düngeverordnung .“ Es gibt sie bisher im-
mer noch nicht, obwohl die Europäische Kommission ein
Verfahren gegen Deutschland eingeleitet hat, weil wir
eine viel zu hohe Nitratbelastung im Grundwasser haben .
Die Hauptursache dafür ist bekannt: Das ist die Über-
düngung, das ist die Gülle. Ich finde es angesichts des
Zustands unseres Grundwassers, angesichts des Zustands
des Wassers in Deutschland insgesamt nicht akzeptabel,
dass die Düngeverordnung nicht kommt . Sie muss jetzt
kommen . Wir müssen unser Wasser schützen . Da müssen
Sie ran, Herr Schmidt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812110300

Herr Kollege Kindler, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge des Kollegen Röring?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gern .


Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1812110400

Lieber Herr Kollege Kindler, ich habe eine Frage an

Sie . Wenn eine Familie, die aus Asien, aus Syrien oder
dem Irak nach Deutschland kommt, kommt sie in ein
Land, in dem nach ihrer Vorstellung Milch und Honig
fließen; denn hier gibt es sichere und bezahlbare Lebens-
mittel, die von verantwortungsvollen Landwirten erzeugt
werden . In Ihrer Rede wird aber das Erreichte der letz-
ten Jahrzehnte niedergemacht . Was antworten Sie dieser
Familie auf die Frage, wie Ihre Rede zu den Erfahrun-
gen passt, die sie mit der Landwirtschaft in Deutschland
macht?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch völlig klar: Sie können die Situation in Sy-
rien, wo ein blutiger Bürgerkrieg geführt wird, wo Krieg
und Gewalt herrschen, wo Menschen aus ihren Häu-
sern herausgebombt werden, nicht mit der Situation in
Deutschland vergleichen . Die Frage ist doch: Wie sieht
die Situation in Deutschland aus?

Sven-Christian Kindler






(A) (C)



(B) (D)


Ich würde mit dieser Familie, die Sie angeführt haben,
auf einen der zahlreichen Milchviehhalterbetriebe gehen,
zum Beispiel in Niedersachsen, in denen auch ich schon
war, und mich mit dem Milchviehhalter unterhalten . Die-
se haben in diesem wie auch im letzten Jahr, bevor die
alte Milchquote, die nicht perfekt war, ausgelaufen ist,
schon davor gewarnt, dass sie große Probleme haben .
Als kleine Milchviehhalterbetriebe stehen sie wirklich
vor der Entscheidung: Wachsen oder Weichen? Denn
es gibt eine Tendenz zu immer größeren Betrieben, eine
Tendenz zu immer mehr Masse . Sie werden jetzt wahr-
scheinlich ihren Betrieb aufgeben; denn sie wissen nicht,
wie sie die Schulden bezahlen sollen, die sie haben, und
ob sie den Betrieb an ihre Söhne oder Töchter überhaupt
weitergeben können .

Ich glaube, dann werden auch die Menschen, die zum
Beispiel aus Syrien kommen, verstehen, dass es gut ist –
das kennen sie aus ihrer Heimat –, dass man eine kleine,
regionale bäuerliche Landwirtschaft hat, dass man auf
Strukturen vor Ort setzt, dass man mit den Menschen im
Dorf zusammenkommt, dass man nicht so viele, aber da-
für gesunde Kühe auf einer Weide hat . So kann man da-
für sorgen, dass die Milch bezahlbar bleibt und eine gute
Qualität hat . Das würde ich diesen Menschen antworten .
Das ist aus meiner Sicht die richtige Antwort .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht auch um Tierschutz . Auch da ist es das glei-
che Trauerspiel, Herr Schmidt . Der Wissenschaftliche
Beirat in Ihrem Ministerium hat Ihnen im März ein sehr
lesenswertes Gutachten vorgelegt . Er stellt fest, dass die
gegenwärtigen Tierhaltungsbedingungen in der Land-
wirtschaft nicht zukunftsfähig sind . Er fordert weiterhin
nicht weniger als ein grundsätzliches Umsteuern bei der
industriellen Massenfleischproduktion.

Wenn man sich dieses Gutachten einmal durchliest,
dann stellt man fest, dass das eigentlich eine schallen-
de Ohrfeige für die letzten zehn Jahre CSU-Agrarpolitik
und den Tierschutz ist; denn er fordert nämlich genau
das, was wir immer gesagt haben: mehr Platz für Tiere,
artgerechte Beschäftigung und mehr Auslauf. Ich finde,
man sollte, wenn man schon nicht auf die Grünen hört,
wenigstens auf das eigene Ministerium, auf den eigenen
Beirat hören, jetzt endlich einen Tierschutzplan vorlegen
und dafür sorgen, dass die Tierquälerei in der Massentier-
haltung aufhört . Das wäre jetzt notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sehen: In der Landwirtschaft ist viel los . Es gibt
Krisen . Viele Bauern haben große Sorgen und große
Ängste . Darauf müsste man jetzt eingehen . Man muss
darauf hören, was ein Großteil der Bevölkerung fordert,
was viele Landwirte fordern, was der Bundesverband der
Milchviehhalter fordert und was sieben grüne Agrarmi-
nister in den Ländern umsetzen: Wir brauchen jetzt ein
sanftes, aber auch ein konsequentes Umsteuern, Schritt
für Schritt für eine Agrarwende . Das muss sich im Haus-
halt abbilden, aber auch bei dieser Bundesregierung . Da-
rum muss es jetzt gehen .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812110500

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Cajus

Caesar .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1812110600

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Ernäh-
rungswirtschaft nehmen eine Schlüsselrolle in unserer
Gesellschaft und in unserer Wirtschaft ein . Und weil das
so ist, will die Union die Rahmenbedingungen so setzen,
dass das so bleibt, dass sich die Branche weiterentwickeln
kann und dass wir Arbeitsplätze erhalten und schaffen .

Wir können feststellen: Der Mittelaufwuchs des Ein-
zelplans 10 von 141 Millionen Euro ist überproportional,
wenn wir einmal andere Haushaltsbereiche betrachten .
Das ist auch gerechtfertigt . Darin nicht enthalten sind die
100 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasser-
schutz .

Die Union will die Rahmenbedingungen so setzen,
dass diese Branche Zukunft hat . Das ist die Politik der
Union . Wir packen an . Deshalb ist es uns sehr wichtig,
beispielsweise im Bereich des vorbeugenden Hochwas-
serschutzes – viele haben das über Jahre gefordert – et-
was zu tun . Wir haben 2015 20 Millionen Euro im Haus-
halt, 2016 sind es 100 Millionen Euro . Wir hatten 2013
8 Milliarden Euro für die Beseitigung der Hochwasser-
schäden bereitgestellt .

Wir haben mit einem Maßgabenbeschluss dafür ge-
sorgt, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspart-
ner – Ulrich Freese, der Mitberichterstatter der Koali-
tion, war ja mit dabei – diese Thematik vorangebracht
haben . Auch da haben die Grünen und andere zunächst
Bedenken geäußert, ob das Geld abfließt. Ich habe in den
letzten Tagen die Nachricht von unserem Ministerium
bekommen: Jawohl, das ist der Fall .

Wir als Union sind auch vor Ort . Ich war in Nord-
rhein-Westfalen, in Duisburg . Wir waren auch in Bran-
denburg . Die Tatsache, dass der brandenburgische Mi-
nister Vogelsänger den ganzen Tag lang die Projekte mit
angeschaut hat, hat gezeigt, wie wichtig vorbeugender
Hochwasserschutz ist . Er hat gesagt, wie wichtig ihm das
ist . Ich denke deshalb, es ist richtig, dass in den einzelnen
Bundesländern etwas passiert .

Wir haben Wort gehalten und die Mittel bereitgestellt .
Das Ministerium, dem ich an dieser Stelle ausdrücklich
danken möchte, sorgt dafür, dass sie auch abfließen. Das
geht nur, wenn man ein sehr gutes Einvernehmen mit den
Ministern in den Ländern hat . Das ist gewährleistet . Es
zeigt: Diese Bundesregierung macht eine gute Politik,
macht eine vorbildliche Politik .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Sie setzt Akzente, Herr Kindler . Das, was Sie hier vorge-
tragen haben, ist weit von den Realitäten entfernt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da Sven-Christian Kindler müssen Sie jetzt selber lachen, weil das absurd ist!)





(A) (C)


(B) (D)


Dieser Maßgabenbeschluss ist so gestaltet, dass wir
Wirtschaft und Umwelt verbinden . Wir nehmen die
Landwirte mit . Vor Ort ist gefragt worden: Gibt es nicht
die Möglichkeit, beispielsweise Entschädigungen aus
Bundesmitteln zu leisten? Wir zahlen zukünftig – das ist
möglich – 20 Prozent des Verkehrswertes für die Auf-
stauflächen. Wir wollen Retentionsflächen, wir wollen
den Aufstau am Oberlauf . Wir wollen verhindern, dass
das Wasser bei den Leuten ankommt . All das passiert
durch das, was wir hier beschlossen und auf den Weg
gebracht haben, und zwar prioritätengesteuert und nicht
durch Quoten . Deshalb sind diese 57 Maßnahmen der
Hochwasser-Rückhaltung und weitere 29 überregionale
Maßnahmen der Deichertüchtigung gut angelegtes Geld .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben die Gemeinschaftsaufgabe angesprochen .
Ein Argument der Linken hier war: Da tut ihr ja nichts .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut ihr auch nicht!)


Natürlich tun wir etwas . Wir setzen Akzente für den länd-
lichen Raum . Das bedeutet, dass wir zunächst einmal
die Modell- und Demonstrationsvorhaben auf den Weg
gebracht haben . Da ist viel gelaufen . Wir haben in den
Haushalt zusätzlich 10 Millionen Euro für den ländlichen
Raum eingestellt . Ich kann Ihnen versprechen: Diese Ko-
alition wird dafür sorgen, dass der ländliche Raum wei-
terentwickelt wird . Sie wird ihn nicht vergessen, sondern
attraktiv gestalten . Dafür werden wir die entsprechenden
Mittel bereitstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben bei der Gemeinschaftsaufgabe dafür ge-
sorgt, dass sie einen Aufwuchs von immerhin 30 Millio-
nen Euro in 2016 und 60 Millionen Euro jeweils in 2017,
2018 und 2019 hat . Wenn das keine auf Zukunft ausge-
richtete Politik ist, dann weiß ich es nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir wol-
len auch, dass die soziale Abfederung gesichert ist . Wir
haben die entsprechenden Sozialsysteme . Das ist im
Haushalt ein Batzen von 3,7 Milliarden Euro . Ich möch-
te das an dieser Stelle vor dem Hintergrund der Diskus-
sion sagen, dass es rein wirtschaftlich im Moment sehr
wohl Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft gibt,
die problematisch sind . Deshalb haben wir gesagt: Wir
wollen bei der Alterssicherung die Kostensteigerungen
auffangen . Das ist immerhin ein Haushaltsansatz von
2,17 Milliarden Euro . 2016 werden 18 Millionen Euro,
2017 20 Millionen Euro und 2018 30 Millionen Euro
draufgelegt . Das ist soziale Politik, Herr Kindler .

Bei der Krankenversicherung sieht das ähnlich aus .
Da legen wir 25 Millionen Euro in 2016, 40 Millionen
Euro in 2017 und im Folgejahr auch 40 Millionen Euro
drauf . Wir lassen die Bäuerinnen und Bauern also nicht
allein . Das hat auch etwas mit Gestaltung des ländlichen

Raums, mit Solidarität und mit Begleiten zu tun . Wir sind
für unsere Landwirtschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben vorhin hier im Plenum die gesunde Ernäh-
rung angesprochen . Es stimmt: Über 50 Prozent der Er-
wachsenen ernähren sich nicht richtig . Trotzdem können
wir dem einzelnen Bürger natürlich nicht einfach das auf
den Teller legen, was gesund ist . Sie müssen zur Kennt-
nis nehmen, dass wir es tatsächlich geschafft haben, rund
90 Millionen Euro und über den gesamten Haushalt ge-
sehen 150 Millionen Euro für gesundheitlichen Verbrau-
cherschutz und Ernährung bereitzustellen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Beim Bundesinstitut für Risikobewertung beispiels-
weise – das hat diese Koalition in den letzten Jahren ge-
fordert, und das wird jetzt umgesetzt – werden innerhalb
der nächsten drei Jahre 136 Stellen geschaffen, und zwar
im Bereich der gesunden Ernährung und der Untersu-
chung von Lebensmitteln, sodass sich der Bürger erkun-
digen kann: Was kann ich tun, und wo gibt es vielleicht
Probleme? Wir haben also keine Angst, und wir sind
nicht zurückhaltend . Wir spielen mit offenen Karten . Wir
wollen eine gesunde Ernährung unserer Bürger und set-
zen uns dafür ein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will nicht das wiederholen, was der Minister ge-
sagt hat . Es gibt „IN FORM“, den Bundeswettbewerb
„KLASSE, KOCHEN“ und viele Aktivitäten, mit denen
etwas auf den Weg gebracht wird . Deshalb meine ich,
dass wir auf dem richtigen Weg sind .

Angesprochen worden ist auch der Tierschutz . Wir
wehren uns dagegen, dass man von einzelnen schwarzen
Schafen, die es in jeder Berufssparte, in jedem Verein
und in jedem Bereich gibt, auf den gesamten Berufsstand
schließt . Das ist, auf Deutsch gesagt, eine Sauerei . Das
lassen wir mit uns nicht machen .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie doch nur mal das Gutachten Ihres Wissenschaftlichen Beirates!)


– Herr Kindler, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass
wir beim Tierschutz eine ganze Menge getan haben . Wir
haben unter anderem die Forschung auf den Weg ge-
bracht . Im Bereich des Tierwohles gibt es eine Initiative
des Ministeriums . Dafür haben wir zusätzliche Gelder
bereitgestellt und zusätzliche Stellen geschaffen . Es gibt
neben der Forschung auch eine ganze Menge realisier-
ter Vorhaben . Dankenswerterweise sorgt auch der Bau-
ernverband im Rahmen der Tierwohlinitiative dafür –
Johannes Röring sitzt ja hier –, dass diese Anstrengungen
begleitet werden, und zwar durch ein Miteinander der
handelnden Personen – von der Wirtschaft bis hin zum
Bauern –, um das Tierwohl voranzubringen . Ich denke,
das ist die richtige Vorgehensweise: miteinander und
nicht gegeneinander . Das ist der Weg, den wir beschrei-
ten sollten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Cajus Caesar






(A) (C)



(B) (D)


Ich danke unserem Minister. Ich finde, er hat in seiner
Rede heute deutlich gemacht, dass wir auf dem richtigen
Weg sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich danke auch seinem Team und nenne stellvertretend
den Haushaltsbeauftragten Ulrich Kuhlmann und Albert
Wulff . Ich darf auch den Abteilungsleiter Bernd-Udo
Hahn nennen . Wir haben die Informationen – ich den-
ke, da werden mir die Mitberichterstatter recht geben –
schnell, detailliert und in aussagekräftiger Form bekom-
men . Das ist nicht selbstverständlich .

Ich darf an dieser Stelle sagen, dass wir unsere erfolg-
reiche gemeinsame Arbeit, die sich im Haushaltsentwurf
und in den Ideen der Koalition und der Union wider-
spiegelt, fortsetzen werden . Deshalb, Herr Kindler, ist
Deutschland so vorbildlich . Wir gehen in vielen Berei-
chen, in denen andere Länder noch längst nicht so weit
wie wir sind, voran .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht bei der Massentierhaltung!)


Wir wollen das auch tun . Aber wir müssen natürlich si-
cherstellen, dass wir wettbewerbsfähig bleiben .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812110700

Lieber Kollege Caesar, denken Sie an die vereinbarte

Redezeit .


Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1812110800

Jawohl . Ich bedanke mich dafür, Herr Präsident, dass

Sie so viel Verständnis gezeigt haben, und dass ich dies
hier so zum Ausdruck bringen durfte .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Und das bei zehn Minuten!)


Ich darf sagen: Union und Koalition stehen für einen
vorbeugenden Hochwasserschutz, für einen attraktiven
ländlichen Raum, für das Tierwohl, aber auch für die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Bauern und Landwirte .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre schön!)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812110900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812111000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Minister,
ernährungspolitisch ist der von Ihnen vorgelegte Haus-

haltsplan eine Aneinanderreihung vertaner Chancen . Ha-
ben Sie heute schon einen Blick in die Süddeutsche Zei-
tung geworfen? Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre
des Artikels „Neuer Chef mit dunkler Vorgeschichte“ .

Sie erinnern sich vielleicht: Wir haben im ersten Halb-
jahr dieses Jahres durch Medienberichte, zum Teil mit
erschütternden Bildern, über den Bayern-Ei-Skandal
erfahren, in dessen Verlauf letztes Jahr Hunderte Men-
schen in mehreren europäischen Ländern an Salmonellen
erkrankten . Dieser Skandal ist leider noch nicht zu Ende .

Bereits letztes Jahr im Februar wurden bei der Firma
Bayern-Ei, einem der größten Hühner- und Eierprodu-
zenten in Deutschland, durch bayerische Kontrollbehör-
den Salmonellen festgestellt . Es folgte keinerlei Infor-
mation innerhalb Deutschlands . Erst im August letzten
Jahres erfuhr das Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit von einem Salmonellenproblem,
aber nicht über die bayerischen Behörden, sondern über
das EU-Schnellwarnsystem RASFF . Die bayerischen
Behörden verweigerten sogar noch bis September den
Nachbarländern wichtige Auskünfte zur Klärung dieses
Krankheitsausbruchs . Verbraucherinnen und Verbrau-
cher wurden überhaupt nicht informiert . So etwas darf
sowohl im Sinne der Lebensmittelsicherheit als auch des
Verbraucherschutzes und auch im Sinne des Tierwohls
nie wieder vorkommen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Qualen, die diese Tiere erlitten haben müssen,
kann man sich nur schwer vorstellen: Die Bilder, die in
Umlauf kamen, zeigen verendete und kranke Tiere, alle
auf einem Haufen . Die Mitarbeiter wurden hingehalten,
nach dem Motto „Das liegt alles an der Sommerhitze“ .

Der alte Bayern-Ei-Chef sitzt jetzt in Untersu-
chungshaft . Aber sein neuer Geschäftsführer ist bereits
in Schleswig-Holstein wegen ähnlicher Delikte auffäl-
lig geworden . Derzeit werden offenbar viele der Bay-
ern-Ei-Hühner an einen polnischen Schlachthof gelie-
fert – um hernach wieder als Suppenhühner bei uns im
Supermarkt zu landen?

Die Fraktion der CDU/CSU – Sie haben es angespro-
chen, Herr Caesar – fordert sichere Lebensmittel . Des-
halb brauchen wir europaweit und in den Ländern eine
lückenlose Kontrolle und die konsequente Ahndung von
Verstößen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das sehe ich in diesem Fall nicht . Bei solchen Betrie-
ben helfen weder freiwillige Selbstverpflichtungen noch
schlecht ausgestatte und überlastete kommunale Behör-
den . Solche Probleme können nur von einer bundesweit
zuständigen Behörde wahrgenommen werden . Solche
Probleme mit international arbeitenden Unternehmen
müssen auf der Bundesebene angegangen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Das kann keine Behörde, die bei einem Landrat angesie-
delt ist, der noch dazu das Problem hat, dass ihm womög-
lich Gewerbesteuereinnahmen entgehen, wenn er einen
Betrieb schließt. Einen solchen Interessenkonflikt kön-
nen wir nicht auf kommunaler Ebene lösen .

Cajus Caesar






(A) (C)



(B) (D)


Aber nichts davon findet sich in Ihrem Haushaltsplan
wieder, Herr Minister, ebenso wenig wie zu vielen ande-
ren Themen im Bereich Ernährung . Es ist, wie gesagt, ein
Haushalt vertaner Chancen .

Die Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit in
der Bevölkerung ist alarmierend . Wir alle wissen, dass
die Neigung dazu in der Kindheit angelegt wird . Kinder
werden konditioniert . Deshalb sind vor allem bei ihnen
die Probleme anzugehen .

Es gibt billige Fertigprodukte mit viel zu viel Fett, Zu-
cker oder Salz . Das gilt für Fertigpizza wie für Kinder-
müsli . Dort gehört das nicht hinein .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie meinen, dann müssten die Verbraucher eben bewuss-
tere Kaufentscheidungen treffen . Schuld sind die Ver-
braucher . Die klare Botschaft des Ernährungsministers
ist: Sollten Sie an ernährungsbedingten Krankheiten oder
Beschwerden leiden, ändern Sie doch bitte Ihren Lebens-
stil! Wie aber sollen Kinder mit einer Anlage zu Adipo-
sitas ihren Lebensstil ändern?

Nein, Herr Minister, stellen Sie endlich die Belange
der Verbraucherinnen und Verbraucher statt der Interes-
sen der Lebensmittelwirtschaft in den Mittelpunkt!


(Beifall bei der LINKEN)


90 Millionen Euro sind in Ihrem Haushalt für Ernährung
vorgesehen, ungefähr 10 Millionen Euro davon für den
Bereich Prävention und Aufklärung . Dem stehen zig Mil-
liarden Euro Kosten im Gesundheitswesen jedes Jahr für
ernährungsbedingte Krankheiten gegenüber . Die könnten
wir uns alle sparen und damit wunderbare Dinge machen .
Mit dem von Ihnen eingesetzten Geld werden wir aber
kaum einen Flyer für jeden Menschen in der Bundesre-
publik finanzieren können.

Ich stelle fest: Die bisherigen Maßnahmen für gesun-
de Ernährung und mehr Bewegung sind nach meinem
Dafürhalten gescheitert . Freiwillige Mitmachprojekte
erreichen auf jeden Fall nicht die Menschen, die sie er-
reichen sollten .

Gesunde Ernährung ist ein wesentlicher Teil gesund-
heitlicher Vorsorge und damit auch staatliche Pflicht-
aufgabe. Deshalb fordern wir als Linke verpflichtende
Qualitätsstandards, ähnlich wie die DGE-Standards, für
die Gemeinschaftsverpflegung – vor allem in Kitas und
Schulen, aber auch in Pflegeeinrichtungen, Betreuungs-
einrichtungen, Krankenhäusern und öffentlichen Kanti-
nen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen ein Verbot von Werbung und Sponso-
ring für Lebensmittel, die für Kinder gedacht sind . Eine
solche Werbung, die an Kinder gerichtet ist, braucht nie-
mand .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen eine stärkere Besteuerung von Softdrinks
und Süßwaren und eine gezielte und umfassende For-
schung in Bezug auf das Ernährungsverhalten von Kin-
dern .

Deshalb kann ich nur appellieren: Stellen Sie Mittel
ein, damit diese Forschung betrieben werden kann, bei-
spielsweise auch beim MRI, dem Bundesforschungsins-
titut für Ernährung und Lebensmittel . Da wäre sie fach-
lich sicherlich gut angelegt .

Zur Vereinbarkeit von Theorie und Praxis kann ich
nur wieder sagen: Als Linke fordern wir die kosten-
freie flächendeckende Schul- und Kitaverpflegung für
alle Kinder . Dadurch hätten Sie die Chance, auch kran-
ken Kindern und Flüchtlingskindern eine Integration zu
ermöglichen . Ich glaube, der soziale Kontakt beim ge-
meinsamen Mittagessen ist durch fast nichts zu ersetzen .
Ermöglichen Sie diesen Kindern die Chance, tatsächlich
Teil dieser Gesellschaft zu werden . Dafür wäre zum Bei-
spiel ein kostenfreies Mittagessen eine wunderbare Gele-
genheit . Deshalb fordern wir, dafür 1,8 Milliarden Euro
in den Haushalt einzustellen .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812111100

Der Kollege Willi Brase spricht als Nächster für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1812111200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir diskutieren heute
über den Einzelplan 10 des Haushalts 2016 . Mir ist in der
bisherigen Debatte aufgefallen, dass das Thema „Weiter-
entwicklung des ländlichen Raums“ nur gestreift wurde .

Wenn man sich den ländlichen Raum anschaut, dann
wird man feststellen: Es geht um Dorferneuerung, es geht
auch um Landwirtschaft – manchmal gibt es dort noch
ein oder zwei landwirtschaftliche Betriebe, in manchen
Teilen gibt es ehemalige LPGs, die jetzt GmbHs sind; die
Struktur ist also sehr unterschiedlich –, es geht um Infra-
struktur, es geht um wirtschaftliches Wachstum, es geht
um Daseinsvorsorge, und es geht ums Bauen .

Wenn ich mir das alles ansehe, dann sage ich: Das
ist eine Querschnittsaufgabe, die nicht nur das einzelne
Haus – das Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft –, sondern die Bundesregierung insgesamt zu
leisten hat, und das fordern wir als SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die klare Erwartung an die Bundesregie-
rung, dass jetzt im Herbst mit den Beratungen zu Ände-
rungen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ begonnen wird .
Dabei muss langsam klar sein, ob wir das Grundgesetz
oder nur das GAK-Gesetz ändern . Wir sollten jetzt nicht
mehr monatelang warten . Ich meine, es sind bald zwei
Jahre rum . Wir wollen dieses Gesetzesvorhaben vernünf-

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


tig auf den Weg bringen . Deshalb wird es Zeit, dass dies
endlich passiert .


(Beifall bei der SPD)


Wir sagen: Ländliche Regionen sind Zukunftsregio-
nen . Deshalb brauchen wir auch bei der GAK – egal in
welcher Art und Weise wir weiterentwickeln – mehr Mit-
tel . Ich will das wiederholen, was wir als SPD-Fraktion
schon mehrfach gesagt haben: Hier reichen keine 40 Mil-
lionen Euro aus, sondern es muss in den nächsten Jahren
schon in Richtung einer halben Milliarde Euro gehen,
wenn wir die ländlichen Räume ein Stück weit zukunfts-
sicher und zukunftsfest machen und den Menschen dort
eine Chance geben wollen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist also eine Querschnittsaufgabe . Runden der
Staatssekretäre reichen hier nicht aus . Wir müssen das
koordinieren – auch mit der Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ . Ich bin
mir sicher, dass uns das gelingen wird .

Das BULE soll weiterentwickelt werden . Ich glaube –
ich schaue die Haushälter an –, die Mittel dafür werden
um 10 Millionen Euro erhöht . Das ist gut . Ich denke, wir
sollten dieses Programm nutzen, um den bundesweiten
Austausch zu fördern . Wir müssen die Erfahrungen mit
einzelnen Programmteile nutzen und das vorantreiben .
Wir brauchen eine bessere Erfahrungs- und Wissensver-
mittlung, um die regionalen Akteure auch ein Stück weit
zu stärken, und es muss evaluiert werden . Ich denke, das
ist genau richtig und notwendig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Gitta Connemann [CDU/CSU])


Es ist auch deshalb notwendig, dass wir uns um die
ländlichen Regionen kümmern, weil die letzten Unter-
suchungen zur demografischen Entwicklung nicht ge-
rade Gutes erwarten lassen, was Dörfer und ländliche
Regionen angeht; so bitter das auch sein mag . Wenn die
Wissenschaftler empfehlen: „Konzentriert euch mehr auf
die Mittelzentren und auf die Städte“, dann müssen wir
fragen: Können wir zulassen, dass dörfliche Strukturen,
dörfliches Leben und dörfliche Weiterentwicklung ein-
fach abgehakt werden? Nein!

Es gibt sehr gute Beispiele für dörfliches Leben. Ich
bin ehrenamtlich auch im Unterausschuss „Bürger-
schaftliches Engagement“ tätig . Man muss sich einmal
ansehen, was sich in Dörfern alles entwickelt hat, zum
Beispiel in Elten in Emmerich . Dort hat sich die Dorf-
bevölkerung, über 100 Menschen, zu Dorfkonferenzen
zusammengesetzt, Projekte angeregt und auf den Weg
gebracht, einen Dorfladen nach zehn Jahren wieder eröff-
net, ein Wohnbaulandkonzept auf die Beine gestellt und
Veranstaltungsreihen zu erneuerbaren Energien initiiert .
Dieses bürgerschaftliche Engagement ist toll und kann
nur unterstützt werden . Aber ich denke, auch ein Minis-
terium sollte einmal sehen: Gibt es nicht mehrere solcher

Beispiele, die wir unterstützen können? Dazu sage ich:
Dorf hat Zukunft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz vorsichtig
etwas hinzufügen . Müssen wir nicht auch die Zuwande-
rung ein Stück weit nutzen, um an der einen oder anderen
Stelle die Revitalisierung unserer dörflichen Strukturen
anzugehen? Das ist schwierig; denn man kann Menschen
aus anderen Ländern nicht einfach dort ansiedeln, Stich-
wort „Bleiberecht“ . Man muss die Menschen dafür be-
geistern, die Zugewanderten unterstützen und im Dorf
für sie werben . Man muss mit den Menschen reden . Man
muss deutlich machen, wo der Gewinn für sie und wo die
Zukunft liegt. Ich finde, das sollten wir machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einen
anderen Bereich ansprechen, der sich nicht direkt haus-
halterisch niederschlägt, der uns aber in der Presse und
in der Öffentlichkeit immer wieder beschäftigt . Das ist
die Situation in den Schlachthöfen der Fleischkonzerne .
Mittlerweile sprechen wir wieder von 40 000, hauptsäch-
lich osteuropäischen, Arbeitnehmern auf Werkvertrags-
basis, die in überteuerten Unterkünften leben, und von
Subunternehmen, die wiederum andere Subunternehmen
beschäftigen . Gott sei Dank engagieren sich dort Men-
schen und sagen: Das wollen wir so nicht haben . Wir
haben nicht den Mindestlohn von 8,50 Euro durchge-
kämpft, um über Werkverträge ein Tor aufzumachen, wo
auf Kosten von Menschen billig und immer noch billiger
produziert wird . Das lehnen wir ab .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Da muss etwas passieren. Ich finde es gut, Herr Bun-
desminister, dass Sie vorhin gesagt haben: Wir wollen
auf dem europäischen Markt und auf dem Weltmarkt
keine Billigprodukte anbieten, sondern Qualitätsproduk-
te . Qualitätsprodukte entstehen aber nur dort, wo ver-
nünftige und gute Arbeitsbedingungen herrschen . Diese
Werkvertragsarbeitnehmer arbeiten unter beschissenen,
schlechten und widerlichen Arbeitsbedingungen . Diese
gehören abgeschafft, liebe Kolleginnen und Kollegen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb müssen wir nicht nur darüber reden, wie wir
das Werkvertragsunwesen abschaffen können, sondern
man darf bei aller gebotenen Zurückhaltung auch fragen:
Wie sieht es eigentlich mit den Überwachungsstruktu-
ren aus? Was machen die sogenannten Fleischbeschau-
er? Wie gehen die Amtsärzte, die Tierärzte damit um?
Gibt es einen Bereich, den wir uns ganz genau angucken
müssen? Wird die Fleischhygiene beachtet? Gibt es Voll-
zugsdefizite? Wird das Tierwohlkonzept umgesetzt? Ich
glaube, all das spielt eine Rolle .

Wenn man Menschen, die in einem solchen Bereich
arbeiten, darauf anspricht, dann sagen die: Von den
40 000 Arbeitnehmern können viele kein Deutsch . Wenn
man diesen Mitarbeitern in der Produktion sagt: „Ihr

Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


dürft hier nicht rauchen“, dann verstehen sie das nicht . –
Wir wissen aber alle: Wo man Fleisch zerschneidet, darf
man nicht rauchen . Ich meine, dass wir dort aktiv werden
müssen .

Die Zeitschrift top agrar online hat am 17 . August die-
ses Jahres wieder einmal auf die mafiösen Zustände hin-
gewiesen . Die Menschen, die diese Zustände kritisierten,
wurden teilweise bedrängt . Wir alle wissen, dass Kriti-
kern tote Tiere vor die Haustür gelegt werden; wir haben
die Bilder gesehen . Ich will hier im Deutschen Bundestag
deutlich sagen: Es ist absolut nicht akzeptabel, dass so
etwas passiert . Dagegen muss etwas getan werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es richtig, dass zumindest der Bundeswirt-
schaftsminister für den 21 . September dieses Jahres die
Spitzen der Schlacht- und Zerlegeindustrie eingeladen
hat, um mit ihnen über genau diese Missstände zu reden
und für Abhilfe zu sorgen . Wir wünschen der Bundes-
regierung insgesamt, dem Wirtschafts- und auch dem
Landwirtschaftsminister viel Erfolg, damit wir dort bald
wieder ordentliche Zustände haben .

Vielen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812111300

Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff,

BÜNDNIS 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mi-
nister Schmidt, noch im Winter und Frühjahr erklärten
Sie bei jeder Gelegenheit, die Zukunft der Milch wer-
de nach dem Wegfall der Quote am 1 . April golden sein .
Endlich könnten sich unternehmerische Fähigkeiten voll
entfalten . Für die Bauern und Bäuerinnen, die Ihnen
glaubten, gab es aber schon nach wenigen Apriltagen ein
böses Erwachen: Der Milchpreis, der 37 Cent betragen
sollte, sackte auf 27 Cent, dann auf 24 Cent pro Liter ab .
Statt im gelobten Land kamen sie im Land des Preisver-
falls an, der bis heute unvermindert anhält – da, wo sich
Schweinebauern, vor allen Dingen Sauenhalter, schon
länger befinden.

Die Lage für die meisten tierhaltenden Betriebe ist
äußerst dramatisch . Noch nie wurden so viele Liquidi-
tätshilfen in so großer Höhe nachgefragt wie aktuell . Was
sagt unser Minister? Irgendwann wird es schon besser
werden . Aber Herr Minister, was kommt denn nach der
Liquiditätsspritze? Damit werden doch die Ursachen der
Preismisere nicht behoben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Am Montag kamen Sie vom Sondergipfel aus Brüs-
sel wieder zurück – mit nichts, nur mit Absichten, mit
null Beschlüssen . Es wurden Ankündigungen gemacht:

Die Ausgleichszahlungen sollen vorgezogen, die Liqui-
ditätshilfen noch mehr aufgestockt werden, damit das
Nötigste bezahlt werden kann . Mit sehr viel Geld soll der
Export abermals angekurbelt werden . Nichts, aber auch
gar nichts war dabei, mit dem die viel zu hohen Mengen
in den Griff bekommen werden könnten . Keinerlei Per-
spektive! Was kommt denn, wenn der Preisverfall, wie
befürchtet, weitergeht, Herr Minister? Was wollen Sie
denn dann tun?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Den größten Preisverfall gab es in der Quote unter Friedrich!)


– Wir Bauern und Bäuerinnen verlangen endlich Taten,
Frau Connemann . Taten sind gefordert, nicht nur wohl-
feile, warme und blumige Worte, Frau Connemann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vor allen Dingen keine Märchen mehr, sondern Taten!
Mit jedem Hof, der in einem Dorf zugrunde geht, stirbt
ein Stück Kulturlandschaft, ein Stück bäuerlichen Le-
bens, das wir so dringend brauchen . Wir brauchen keinen
Exportgipfel, Herr Minister, wir Bauern brauchen end-
lich einen Milchgipfel, wo wir über die Situation reden
können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich bin seit 47 Jahren Bauer, aber ich habe noch nie
einen so hilflos agierenden Minister erlebt. Wir erinnern
uns noch alle gut an den lächerlichen Vorschlag aus dem
Schmidt‘schen Baukasten „One apple each day keeps the
Putin away“ . Stark gewachsene, hoch verschuldete Be-
triebe, die nicht mehr ein noch aus wissen, das ist doch
die Realität, Herr Minister .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Warum bekämpfen Sie mit solcher Inbrunst unsere
grünen Forderungen? Wir würden uns diese Inbrunst
an der Front des Preiskampfes wünschen; aber Sie be-
kämpfen uns damit . Wir fordern wie auch der BDM ein
Bonus-Malus-System zur Mengendrosselung in Krisen-
zeiten auf dem Milchmarkt . Wir fordern eine grünland-
gebundene Förderung für bäuerliche Milchviehhalter .
Seit Jahren fordern wir die Erzeugerbündelung, um die
Verhandlungsposition der Milchbäuerinnen und Milch-
bauern gegenüber Molkereien zu verbessern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Macht es doch!)


Wir fordern – wie viele andere auch –, das Tierwohl zu
stärken und mit mehr Platzangebot vor allen Dingen auch
die Schweinezahlen zu senken .

Herr Minister, Sie propagieren stattdessen nur Welt-
marktzukunft für die Höfe . Ihre Exportoffensiven haben
dazu geführt, dass die Märkte zusammenbrachen . Die
Weltmärkte für Milch und Schweinefleisch sind gesät-
tigt . Sie sind übervoll . Darunter leiden deutsche und eu-
ropäische Bauern und Bäuerinnen . Aber auch die Erzeu-

Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


gerinnen und Erzeuger in anderen Teilen der Welt leiden
darunter .

Ihrem Haushaltsvorschlag fehlt jegliche Vision, jeg-
liche Substanz . Es fehlen Vorschläge und Maßnahmen,
mit denen Sie die Probleme in der Landwirtschaft behe-
ben und eine gesunde bäuerliche Agrarstruktur fördern
wollen . Wir fragen Sie: Was ist denn mit der Tierwohli-
nitiative? Was ist denn mit den Empfehlungen des Wis-
senschaftlichen Beirates für Agrarpolitik zur zukunftsfä-
higen Tierhaltung? Wo in Ihrem Haushalt sind die Mittel
für Tierwohl, mit denen Sie substanzielle Fortschritte
erzielen wollen? Wo sind die Umsetzungen, die das Gut-
achten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik
empfiehlt?

Übrigens haben wir auch von der großen Novelle der
Düngeverordnung, die uns Weihnachten auf den Tisch
gelegt wurde, seit Monaten nichts mehr gehört . Wir hö-
ren jetzt: Vielleicht im nächsten Jahr . Die Schmidt‘sche
Lösung heißt, über Probleme nicht mehr zu reden, bis sie
irgendwann vergessen sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das lassen wir Grüne Ihnen nicht durchgehen . Wir wer-
den dieses Aussitzen brandmarken . Wir werden der Ge-
sellschaft zeigen, dass wir die Probleme angehen wollen .

Um die Probleme zu lösen, sind wahrlich weitaus grö-
ßere Anstrengungen notwendig, als freundlich und völlig
inhaltsleer durch das Land zu fahren, wie Sie es gemein-
hin tun . Wir fordern deshalb die Aufstockung der Mittel
für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar-
struktur und des Küstenschutzes“ um 200 Millionen Euro
für ein Aktionsprogramm „Bäuerlich-ökologische Land-
wirtschaft“, um damit einen Umbauplan „Zukunftsfähige
Tierhaltung“ in Höhe von 150 Millionen Euro zur Um-
setzung der Vorschläge des Gutachtens zu finanzieren.

Wir fordern die Förderung einer grünlandgebundenen
Milchviehhaltung mit 50 Millionen Euro nationaler Mit-
tel . Damit können wir nach unseren Berechnungen wei-
tere Mittel in Höhe von 160 Millionen Euro in EU- und
Länderprogrammen hebeln . Angesichts dieser Summe
sollten wir darüber nachdenken, ob wir damit den haupt-
sächlich betroffenen Grünlandbetrieben wirksam helfen
können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern weitere zielführende Maßnahmen im Tier-
schutz und bei der Novellierung der Düngeverordnung .
Wir fordern des Weiteren die Aufstockung der Mittel für
das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ sowie
eine Bündelungsoffensive für Milcherzeuger .

Herr Minister, es gilt, nicht weiter die Hände in den
Schoß zu legen und – quasi wie bei einer Tasse Kaffee –
nett zu plaudern . Erforderlich ist Handeln . Handeln Sie
endlich! Die Bäuerinnen und Bauern warten auf Taten,
und zwar auf Ihre Taten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812111400

Der Kollege Waldemar Westermayer spricht jetzt für

die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Waldemar Westermayer (CDU):
Rede ID: ID1812111500

Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Werte Zuhörer auf der Tribüne! Wir disku-
tieren heute in erster Lesung über den Haushalt für das
nächste Jahr und damit über die grundsätzliche Ausrich-
tung unserer Agrarpolitik . Beginnen möchte ich mit dem
Bereich der Landwirtschaft . Das Berufsbild des Land-
wirts ist vielseitig, interessant und bietet einen besonde-
ren Bezug zu Natur und Technik sowie zum Tierwohl .
Trotzdem ergreifen immer weniger junge Menschen
diesen Beruf, da er durchaus auch harte und anstren-
gende Seiten hat, gerade was die Arbeitszeiten angeht .
Hiervon kann ich ganz persönlich berichten . Bereits mit
16 Jahren habe ich nach dem Tod meines Vaters zusam-
men mit meiner Mutter den elterlichen Hof weitergeführt
und Verantwortung für die ganze Familie übernommen .
Über 40 Jahre habe ich den Milchviehbetrieb im Allgäu
in eigener Verantwortung geführt . Inzwischen habe ich
ihn an meinen Sohn übergeben . Sie sehen also, dass ich
aus eigener Erfahrung einen ganz praktischen Bezug zur
Landwirtschaft habe .

Zur Bewältigung der Aufgaben in der Landwirtschaft
unternehmen wir in diesem Haushalt einiges . Schwer-
punkt ist dabei natürlich die landwirtschaftliche Sozi-
alpolitik . Durch die weiter gestiegenen Zuschüsse im
Bereich der Alterssicherung der Landwirte und der land-
wirtschaftlichen Krankenkasse nehmen wir unsere sozi-
ale Verantwortung gegenüber den Landwirten und deren
Familien wahr .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insbesondere der Union ist die Wahrnehmung dieser
sozialen Verantwortung gegenüber unseren Landwirten
schon immer ein Anliegen gewesen . Das Geld, das wir
im sozialen Bereich ausgeben, ist gut angelegt; denn
der gesamte landwirtschaftliche Sektor unterliegt in be-
sonderem Maße dem demografischen Strukturwandel.
Die Dynamisierung der Zuschüsse zur Krankenversi-
cherung und zur Alterssicherung ist deshalb genau der
richtige Ansatz . Angesichts dieses Strukturwandels und
der damit einhergehenden Probleme müssen wir meiner
Ansicht nach auch darüber nachdenken, den abgesenk-
ten Zuschuss zur Unfallversicherung wieder anzuheben .
Dies würde eine spürbare Entlastung der 1,5 Millionen
Mitglieder der landwirtschaftlichen Berufsgenossen-
schaft bedeuten .

Neben dieser sozialen Komponente nehmen wir im ak-
tuellen Haushalt Verantwortung für die Gestaltung der
Landwirtschaft wahr . Dazu gehört neben der im Haus-
halt weiterhin verstärkten Innovationsförderung und dem
neuen Programm zur Energieeffizienz in Landwirtschaft
und Gartenbau insbesondere das fortgeführte Bundespro-
gramm zur ländlichen Entwicklung . Entscheidend für die
zukünftige Entwicklung des ländlichen Raums ist neben
der Flurbereinigung der von der Bundesregierung vor-
angetriebene Breitbandausbau . Mit diesen Maßnahmen

Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


unterstützen wir den Wandel der Landwirtschaft hin zu
mehr Nachhaltigkeit und Innovation . Dadurch erhöhen
wir die Wettbewerbsfähigkeit und stellen sicher, dass es
auch in Zukunft eine funktionsfähige bäuerliche Land-
wirtschaft in Deutschland geben wird . Dies sollte das ge-
meinsame Ziel von uns allen sein .

Meine Damen und Herren, die aktuellen Entwick-
lungen zeigen uns aber auch, dass in vielen Bereichen
weiter Handlungsbedarf besteht . Als ehemaliger Milch-
viehhalter treibt mich vor allem die aktuelle Krise am
Milchmarkt um . Hierbei möchte ich vorausschicken,
dass ich natürlich, wie wir alle, die Ausschreitungen in
Brüssel am vergangenen Montag auf das Schärfste ver-
urteile .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie zeigen aber die Sprengkraft des gesamten Themas .
Wir stehen aktuell vor der Entscheidung, ob wir eine Ent-
wicklung wie im Schweine- und Geflügelbereich hin zu
dominierenden Großbetrieben wollen oder ob wir wei-
terhin lebendige kleine und mittlere Milchviehbetriebe in
Deutschland haben wollen .


(Willi Brase [SPD]: Das ist richtig!)


Eine Wiedereinführung der Milchquote ist keine Op-
tion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In den 32 Jahren der Milchquote musste nämlich allein
mein Betrieb 320 000 Euro für Lieferrechte ausgeben .
Die Abschaffung der Milchquote zum 1 . April 2015 hat
mit dem Milchpreisrückgang meines Erachtens nichts zu
tun . In der Bundesrepublik haben wir seither eine Men-
gensteigerung um 0,1 Prozent . Die entscheidenden Punk-
te sind der Russland-Export und der Einbruch in China .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Menge ist die entscheidende Frage!)


– Sicher ist die Menge entscheidend; das weiß ich auch,
Herr Ostendorff .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben 10 Millionen ausgedehnt seit 2010, und das ist zu viel!)


– Belasten Sie nicht meine Redezeit .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, bei den Erzeugerbündelungen, wie sie
die EU im Milchpaket eigentlich vorgibt, müssen wir in
nächster Zeit noch einiges machen . Die EU hat es vor-
gezogen, dass über das Milchpaket gesprochen wird . Ich
bin der Meinung, in diesem Milchpaket sind viele Punkte
enthalten; wir müssen sie nur umsetzen, auch wir Land-
wirte .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist zu viel auf dem Markt!)


Herr Ostendorff, Sie haben all Ihre Forderungen vor-
getragen . Ich komme aus einem Bundesland, in dem es

einen grünen Landwirtschaftsminister und auch einen
grünen Ministerpräsidenten gibt .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der macht gute Politik! Eine sehr ehrenwerte Politik macht der! Das wird der Wähler zeigen!)


Ich bekomme natürlich mit, welche zusätzlichen Aufla-
gen wir bekommen . Das bedeutet Nachteile in der Be-
wirtschaftung . Deswegen ist das meines Erachtens der
falsche Weg .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der unterstützt unsere Forderungen!)


Sorgen Sie auch einmal dafür, dass die Landwirte nicht
unter höheren Kosten leiden müssen, vor allem nicht
durch die jetzt aktuellen Vorkommnisse rund um die
JGS-Anlagen .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein anderes Thema!)


Wir sollten deshalb bestehende Exporthemmnisse
überdenken . Sofern es die außenpolitischen Gegeben-
heiten zulassen und Russland wieder zu konstruktiven
Gesprächen in der Lage ist, sollten wir den Handel im
Agrarbereich mit Russland wieder vollständig möglich
machen . Andernfalls könnten immerhin 2,5 Prozent des
Außenhandels Europas verloren gehen .

Im Hinblick auf die Erweiterung unserer Exportmög-
lichkeiten spielt auch TTIP eine wichtige Rolle . Das Ab-
kommen bietet große Chancen, gerade für unsere Land-
wirtschaft . Positiv ist auch, dass nicht nur isoliert über
den Abbau von Zöllen geredet wird, sondern auch über
gemeinsame bereits bestehende Standards . Solange unser
europäisches Schutzniveau dabei eingehalten wird – das
ist klar unser Ziel und unsere rote Linie für die Verhand-
lungen –, überwiegen die Chancen von TTIP deutlich .

Darüber hinaus muss auch der Handel seiner Verant-
wortung für eine faire Preisgestaltung gerecht werden .
Dazu gehört, dass endlich alle Discounter und Super-
marktketten das Problem anerkennen und verhandlungs-
bereit sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt be-
stimmen wir neben der agrarpolitischen Ausrichtung
der Landwirtschaft auch die Ausrichtung unserer Ernäh-
rungspolitik . Wir können stolz darauf sein, ein breites
Angebot an qualitativ hochwertigen und gesunden Nah-
rungsmitteln zu haben . Diese hohe Qualität der Lebens-
mittel ist einer der Schlüssel für eine langanhaltende gute
Gesundheit und ein langes Leben .

Damit wir unser hohes Niveau im Lebensmittelbe-
reich aufrechterhalten können, unternehmen wir im Rah-
men des gesundheitlichen Verbraucherschutzes im Be-
reich der Lebensmittel weiterhin sehr viel . Vor allem sind
an diesem Punkt die Prüfung und Bewertung möglicher
neuer Risiken von Lebensmitteln entscheidend . Wir als
Politiker sind hierbei auf die unabhängige, wissenschaft-
lich fundierte Analyse der Risiken angewiesen .

Waldemar Westermayer






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte an dieser Stelle klar sagen, dass ich hin-
sichtlich der Analyse und Begutachtung dieser Gefahren
volles Vertrauen in das Bundesamt für Risikobewertung
und seine Mitarbeiter habe . Das BfR wird seiner wissen-
schaftlichen Referenz und seiner Orientierungsfunktion
für die Politik und die Verbraucher in vollen Umfang ge-
recht . Es ist nicht Aufgabe des BfR – dies möchte ich
vor allem im Hinblick auf die aktuelle Diskussion über
Glyphosat betonen –, jede mediale Panikmache mitzu-
machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neben der Lebensmittelsicherheit kommt auch dem
Bereich der Information über richtige Ernährung und
eine gesunde Lebensweise besondere Bedeutung zu .
Um noch mehr Verbraucher auch über andere Wege zu
erreichen, sollten die einzelnen Ernährungszentren, die
von der CDU in Baden-Württemberg eingeführt wurden,
einbezogen werden . Diese haben vor Ort die Fachkom-
petenz, über gesunde Ernährung aufzuklären . In Zusam-
menarbeit mit dem Lebensmitteleinzelhandel können so
noch mehr Menschen erreicht werden .

Schließlich – das ist mir als ehemaligem Landwirt be-
sonders wichtig – müssen wir als gesamte Gesellschaft
den Wert von Lebensmitteln wieder schätzen lernen . In-
sofern bin ich unserem Minister Christian Schmidt auch
persönlich sehr dankbar, dass er das Thema im Rahmen
der Initiative „Zu gut für die Tonne“ aufgegriffen hat . Es
kann einfach nicht sein, dass jeder Bürger in Deutschland
pro Jahr im Schnitt 82 Kilogramm Lebensmittel einfach
wegschmeißt . Die Initiative zeigt bereits Wirkung . Durch
die verschiedenen Maßnahmen der Aktion wird das Be-
wusstsein der Verbraucher für das Thema geschaffen .
Dies zeigt, dass weite Teile der Bevölkerung an gesun-
dem und nachhaltigem guten Essen interessiert sind .

Dazu passt ein Zitat von Churchill:

Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die
Seele Lust hat, darin zu wohnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Willi Brase [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812111600

Ich erfahre gerade, Herr Kollege Westermayer, dass

das Ihre erste Rede ist .


(Zurufe)


– Die zweite . – Ich hätte Ihnen gern noch einmal gratu-
liert .

Dann ist der Kollege Rainer Spiering von der SPD an
der Reihe, dem ich hiermit das Wort erteile .


(Beifall bei der SPD)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1812111700

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Minis-

ter! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der demografi-
sche Wandel und die Globalisierung stellen unsere Ar-
beits- und Lebenswelt auf den Kopf und schaffen neue

Rahmenbedingungen, gerade auch in der Landwirtschaft .
Es bedarf eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen
Ökonomie und Ökologie sowie einer umsichtigen Nut-
zung von Ressourcen zur Erhaltung unserer natürlichen
Lebensgrundlagen . Das ist der Grundstein für eine inno-
vative Landwirtschaftspolitik .

Landwirtschaft hat sich in den letzten 40, 50 Jahren
fundamental verändert . Landwirtschaft ist heute nicht
mehr nur die Basis für die Herstellung von Lebensmit-
teln, sondern sie ist auch Produzent von Rohstoffen,
Produzent von Energieträgern und Produzent von Ba-
sisstoffen . Als Drittes ist sie ein unersetzlicher Teil der
deutschen Wirtschaft als Basiswirtschaft für eine inno-
vative und exzellente Landmaschinentechnologie . Ohne
diese Basis der deutschen Landwirtschaft wäre unsere
Basistechnologie der deutschen Landmaschinentechnik
schlicht und ergreifend nicht möglich . Ich werde gleich
noch darauf zurückkommen und darlegen, warum mir
das so wichtig ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir führen eine Wertediskussion über Landwirtschaft
im Allgemeinen sowie über Ernährung und Tierwirt-
schaft im Besonderen . Was sind uns Ernährung, unsere
Tiere und die Umwelt wert? Wie wollen wir leben? Men-
schen verlangen verstärkt nach ökologisch nachhaltigen,
vegetarischen Lebensmitteln . Wir haben einen extrem
steigenden Druck auf die Landwirtschaft . Es ist schiz-
ophren: Der Markt verlangt hochwertige und sichere
Lebensmittel, aber weiterhin zu niedrigsten Preisen, und
zeitgleich mehr Tier-, Natur- und Umweltschutz, und das
geht bis hin zur kompletten Umgestaltung der Landwirt-
schaft . Wandel ist nur möglich, wenn alle an der gleichen
Seite des Strangs ziehen . Ich glaube, ein Teil dazu ist mit
der Aufstellung des Haushalts 2016 getan .

Ich sage mal für uns alle: Auch bei einer lebhaften
Diskussion, auch bei einer strittigen Diskussion kann es
immer sein, dass der andere recht hat; das sollte man mit
ins Kalkül ziehen .


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Solange es keine Grünen sind!)


– Das war eine nicht gehörige und auch überflüssige Be-
merkung, wenn ich das mal sagen darf .


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Eine ironische!)


– Okay .

Ich möchte zu dem kommen, was, wie Sie wissen,
mich bewegt, und das ist die Forschung im Bereich Er-
nährung und Landwirtschaft . Es sind 560 Millionen Euro
im Haushalt und damit 10 Prozent des gesamten Agrar-
haushalts . Das ist im Vergleich zu anderen Haushalten
eine stattliche Summe . Sie ist nötig, aber sie ist auch ein
klares Zeichen, dass das Ministerium den Bereich For-
schung sehr ernst nimmt . Es sind 57 Millionen Euro mehr
als im letzten Jahr, eine Steigerung um über 10 Prozent .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Mit jährlich über einer halben Milliarde Euro an För-
dermitteln ist das BMEL eines der forschungs- und in-

Waldemar Westermayer






(A) (C)



(B) (D)


novationsfreundlichsten Ministerien schlechthin . Lassen
Sie mich dazu eine Bemerkung machen, die mir wichtig
ist, die aber vielleicht ein bisschen Wasser in den Wein
schüttet . Faust, Kapitel 7:

Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück ,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt, …
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben ,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band .

Ich glaube, wir werden alle sehr sorgfältig aufpassen
müssen, wo unsere Wirtschafts- und Wissenschaftspoli-
tik hingeht, und wir als Parlament – ich sage das deut-
lich – werden auch eine gewisse Richtschnur legen wol-
len müssen . Ich glaube, wir werden wesentlich intensiver
beobachten müssen, welche Institute welche Aufgaben
zu welchem Zweck übernehmen. Ich finde den Wissen-
schaftsstandort Deutschland schlicht und ergreifend toll,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


möchte aber zugleich auch sagen, dass Wissenschaft nur
dann einen Wert hat, wenn sie nicht Wissenschaft für
sich, sondern Wissenschaft im Dienste derer ist, die das
Geld dafür aufbringen . Ich glaube, wir sollten in Zukunft
ein wenig mehr Wert darauf legen, dass wir unsere parla-
mentarische Hoheit dahin gehend wahrnehmen .


(Beifall bei der SPD)


Das BMEL finanziert Förderprogramme, um innova-
tive Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu unter-
stützen, die im unmittelbaren Interesse von Gesellschaft,
Praxis und Wirtschaft stehen . 41 Millionen Euro sind für
die Innovationsförderung in den Bereichen Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucher, für technische und
nichttechnische Innovationen im gesamten Agrar- und
Ernährungssektor und im gesamten gesundheitlichen
Verbraucherschutz, zur Schaffung und Sicherung von
Arbeitsplätzen und zur Verbesserung der Lebensmittel-
und Produktsicherheit vorgesehen . Mit den zusätzlichen
Mitteln werden Themen aufgegriffen, die im Koalitions-
vertrag als Schwerpunkte aufgeführt sind: Tierschutz
und Tiergesundheit, Klimaschutz, nachhaltiger Pflanzen-
schutz, gesunde Ernährung, Sicherheit von Lebensmit-
teln .

Lassen Sie mich jetzt etwas ergänzen, was, glaube
ich, für uns wichtig ist . Wir müssen eine Zukunftsstrate-
gie entwickeln, gerade auch in Bezug auf Industrie 4 .0 .
Wir haben die Basis der deutschen Landwirtschaft, und
wir haben die Technologie in deutschen Firmen, die hier
angesiedelt sind . Wir sind in vielen Bereichen Welt-
marktführer . All das, was die Automobilindustrie mit
selbstfahrenden Fahrzeugen probiert, können wir im
landwirtschaftlichen Sektor selber, ohne Google, ohne
Microsoft, ohne Apple, aus eigener Kraft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das heißt für uns im Klartext, unseren IT-Standort so
auszurüsten, dass unsere Landmaschinenhersteller in der
Lage sind, unabhängig von interessierten ausländischen

Kräften hier eigene Systeme aufzubauen, um mit ihrer
Landmaschinentechnologie unseren Vorsprung weiter
ausbauen zu können . Im Übrigen führt dies vielleicht
auch zu einer gewissen Selbstständigkeit gegenüber den
Vereinigten Staaten von Amerika, die ich sehr mag .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber können wir mit Blick auf die forschungsbasierte
Entwicklung eine Prognose abgeben, wie wir aus dem
Hamsterrad „wachsen oder weichen“ wieder herauskom-
men? Ich spreche das jetzt aus einem ganz bestimmten
Grunde an . Bei der digitalen Vernetzung der Geräte zwi-
schen Schlepper und Auslesegerät ist noch ordentlich
Musik im Spiel . Lassen Sie mich ein Beispiel nennen:
Ich war auf meiner Sommertour bei einem Hersteller von
Güllefässern . Früher waren das kleine Dinger, aus denen
hinten was rauskam, und wenn der Kanal aufgerissen
wurde, roch es ein bisschen . Heute sind das 30-Kubik-
meter-Fässer auf drei Achsen, digital gesteuert . Damit
man die richtig nutzen kann, werden sie auf eine Länge
von 36 Metern ausgeklappt und Schleppschläuche dran-
gehängt . Die neueste Technik können Sie sich jetzt dem-
nächst auf einer Ausstellung anschauen . Jeder Schlauch
hat ein Ventil . Das Ventil wird durch eine App gesteuert .
Was braucht man zur Steuerung des Ventils außer den
Informationen durch die App? Nicht nur GPS, sondern
auch die Grunddaten . Die Grunddaten bekommt man
aber nur über eine Hoftorbilanz; das muss ich leider da-
zusagen . Wenn man aber das Instrument der Hoftorbilanz
ordentlich nutzen will, dann braucht man auch eine Dün-
gemittelverordnung . Gerade im Hinblick auf unsere füh-
renden Betriebe sollten wir unsere Anstrengungen darauf
verwenden, die IT weiterzuentwickeln, damit Informa-
tionen aus Hoftorbilanz und Düngemittelverordnung so
miteinander verknüpft werden können, dass es möglich
ist, mit weniger Ausbringung und weniger Kunstdünger
einen wesentlich höheren Ertrag zu erzeugen . Das würde
bedeuten: Weniger kann mehr sein .


(Beifall bei der SPD)


Abschließend zu einem charismatischen, liebens-
werten und netten Kollegen der CDU . Er hat sich in der
Sommerpause zu unserer Haltung zur Düngemittelver-
ordnung geäußert . Ich glaube, ich habe gerade deutlich
gemacht, warum wir Hoftorbilanz und Düngemittelver-
ordnung brauchen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812111800

Herr Kollege Spiering, auch bei einer großzügigen

Auslegung der Redezeit nähert sich diese dem Ende .


Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1812111900

Okay . – Lassen Sie mich zitieren – Matthäus 7 –:

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders
Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in dei-
nem Auge?


(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist ja Stimmung in der Koalition!)


Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


Eine gesunde Ernährung und natürliche Landwirt-
schaft sollte es uns wert sein, in der Forschung nicht zu
kleckern, sondern zu klotzen .

Herzlichen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Da hat der Herr Lehrer gesprochen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812112000

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alois

Gerig .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1812112100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch nach sechs
Jahren als Parlamentarier bin ich immer wieder bass er-
staunt, wie sich ein grüner Agrarexperte innerhalb von
fünf Minuten in solch extreme Widersprüche verstricken
kann, lieber Herr Kindler .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie beklagen das Höfesterben und beschimpfen die
Landwirte in einer Tour .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bestimmt nicht die Landwirte! Das ist doch Quatsch!)


Glauben Sie, dass dort, wo Sie etwas zu sagen hätten,
noch irgendeiner Landwirtschaft betreiben wollte?


(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie mit den Landwirten! Fragen Sie sie, was sie von der Bundesregierung halten!)


Zurück zu meiner Rede . Ich danke dem Minister
Schmidt, ich danke auch unserem Chefhaushälter Cajus
Caesar dafür, dass sie mit der Vorlage des Haushaltes
eine solide Basis dafür geschaffen haben, dass wir in die
parlamentarischen Beratungen einsteigen können .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812112200

Herr Kollege Gerig, gestatten Sie schon zu Beginn Ih-

rer Rede eine Frage der Kollegin Brantner?


Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1812112300

Ja, selbstverständlich, wenn Sie mir die Zeit anhalten .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812112400

Davon können Sie ausgehen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Gerig, zu Ihrer Aussage, unter einen grünen
Regierung würden alle Bauern auswandern . Würden Sie
bestätigen, dass es in Baden-Württemberg, seit wir einen
grünen Landwirtschaftsminister haben, keine Bauern
mehr gibt?


Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1812112500

Ich habe gesagt, bei solchen Aussagen über die Agrar-

politik würde kein junger Landwirt bereit sein, den Hof
der Eltern zu übernehmen . Baden-Württemberg ist ein
sehr gutes Beispiel . Ich kann Ihnen dazu gleich ein paar
Sätze sagen . In viereinhalb Jahren grün-roter Agrarpoli-
tik haben wir es geschafft,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Agrarpolitik!)


dass die Landwirtschaft in Baden-Württemberg beim
Einkommen das Schlusslicht in ganz Deutschland bildet,
und zwar durch eine einseitig ausgerichtete Agrarpolitik
mit ideologischen Scheuklappen . Dazu werde ich in mei-
ner Rede noch einiges sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben hier keinen Landtagswahlkampf! Wir sind im Bundestag!)


Ohne Zweifel ist es wichtig, dass wir die ländlichen
Räume in unserem Agrarhaushalt noch besser bedenken
als seither . Die 10 Millionen Euro, die einmal gesetzt
wurden, sind ein guter Anfang . Ich könnte mir noch mehr
wünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen der anderen
Fraktionen, die das gesagt haben . Wir erleben, lieber
Herr Brase, eine Abwärtsspirale in manchen Gegenden
der ländlichen Räume . Wir müssen gegensteuern, auch
politisch gegensteuern: Ohne Moos nix los . Deswegen
sage ich: Ja, es ist gut so, aber es ist auch wichtig, dass
nicht nur die Landwirtschaft den ländlichen Raum för-
dert . Wir brauchen eine Verbesserung der Infrastruktur:
Straße, Schiene, schnelles Internet . Wir brauchen eine
medizinische Nahversorgung. Wir brauchen eine flä-
chendeckende Bildung . Wir brauchen fast alle Ressorts
des Deutschen Bundestages,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da macht die Bundesregierung aber ziemlich wenig!)


und wir brauchen Politiker, die ein Herz für den länd-
lichen Raum haben, die erkennen, dass dort, wo weni-
ger Menschen auf einem Quadratkilometer leben, etwas
mehr Förderung pro Kopf stattfinden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Land- und Forstwirtschaft braucht aber auch intak-
te Dörfer . Vielleicht sind die Zuwanderer eine Chance .
Häufig ist die Land- und Ernährungswirtschaft das Rück-
grat unserer ländlichen Räume und unserer Dörfer . Die
Union ist es, die diese Politik für den ländlichen Raum
seit langem sehr gezielt vorantreibt .

Ohne Frage, die Landwirtschaft ist derzeit stark ge-
beutelt . Viele Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht:
durch schlechte Milchpreise, die Trockenheit, schlechte
Preise für Schweinefleisch. Dazu kommen die unsäg-
lichen permanenten Diffamierungen von ganz unter-
schiedlichen Gruppierungen und teilweise auch von Par-
teien, die dazu beitragen, dass die Bauern einfach keine

Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


Lust mehr haben . Wir sind uns sicher einig: Alternativen
am Arbeitsmarkt gibt es genug .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist großer Blödsinn!)


Deswegen brauchen wir ein Krisenmanagement für die
aktuelle prekäre Situation .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pappkameraden!)


Vieles wurde bereits genannt . Ich bin unserem Minister
sehr dankbar dafür, dass er keinesfalls untätig ist, dass er
das Herz am rechten Fleck hat, dass er für die Landwirt-
schaft kämpft, dass er beispielsweise, wie er gesagt hat,
heute intensive Gespräche mit Vertretern des Lebensmit-
telhandels geführt hat; denn das ist sehr maßgeblich für
die Zukunft unserer Bauern .

Die Exportoffensive wurde genannt . Ich hoffe, dass
wir das Russland-Embargo möglichst bald auf diploma-
tischem Wege aufheben können .

Auch ich bin der Meinung, dass die Milchquote sehr
teuer war und Preistäler nicht verhindert hat . Ebenso bin
ich der Meinung, die Mittel aus der Superabgabe sind
Bauerngeld und müssen auch wieder in Bauernhand,
ohne Wenn und Aber .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dafür müssen wir uns einsetzen und kämpfen .

Ich kann mir auch gut vorstellen, dass wir im Bereich
der betrieblichen Risikovorsorge weitere Maßnahmen
ergreifen . Es gibt da schon ein paar gute Ansätze, bei-
spielsweise beim Investitionsabzugsbetrag . Lassen Sie
uns gemeinsam diese Dinge angehen . Ich könnte mir
auch vorstellen, den Zuschuss für die Berufsgenossen-
schaft aufzustocken .

Auf jeden Fall braucht die Landwirtschaft dringend
positive Signale aus der Politik und aus unserer Gesell-
schaft . Wir müssen den Bauern sagen, dass wir sie brau-
chen . Sonst werden wir eine Misere erleben .

Was wir gar nicht brauchen können, ist eine ideolo-
gisch geprägte Agrarwende .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vielmehr brauchen wir eine logische Agrarpolitik mit
Vernunft,


(Beifall der Abg . Gitta Connemann [CDU/ CSU])


mit Augenmaß und mit einem gewissen Vertrauen ge-
genüber den Erzeugern . Sonst wird der Strukturwandel
gnadenlos zuschlagen, und die Verlierer sind nachher die
Verbraucher, die Konsumenten, alle Menschen, die in
Deutschland leben und unsere schöne Kulturlandschaft
mit ihren Strukturen lieben .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In 15 Jahren hat sich die Zahl der Betriebe halbiert!)


Ohne Zweifel hat sich vieles verändert . Ich komme
viel umher in der Republik . Ich war beispielsweise in der

vergangenen Woche in einer Stallanlage in Sachsen-An-
halt mit mehr als 1 000 Kühen . Massentierhaltung, wer-
den viele sagen . Wir sind teilweise mit dem Auto über
die Futtergänge gefahren . Ich verstehe etwas von Tier-
haltung, und ich kann Ihnen sagen: Jeder einzelnen Kuh
in diesem Betrieb geht es auf jeden Fall besser als denen,
die vor 40 Jahren bei meinem Vater am Hof in einem
kleinen, warmen Stall gestanden haben . Das ist doch eine
positive Entwicklung .

Ich war aber auch in Süddeutschland, in Baden-Würt-
temberg unterwegs, wo wir wunderschöne, herrliche, in-
takte Landschaften haben .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine super Regierung! – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig gute Landwirtschaftspolitik dort!)


Auch dort habe ich gesunde Kühe gesehen . Aber ich habe
dort auch schöne Streuobstbestände gesehen, Kleinbren-
nereien, Weinbau und Sonderkulturen anderer Art wie
Spargel, Gemüse, Erdbeeren . All die Bauern, mit denen
ich gesprochen habe, vereint eins, und das ist die Exis-
tenznot, die derzeit herrscht wie schon lange nicht mehr .
Wenn wir es nicht schaffen, politisch so weit gegenzulen-
ken, dass diese Bauern eine Perspektive bekommen, dann
werden wir es erleben, dass die Produktion aus unserem
Land verlagert wird, mit der Folge, dass die Landschaft
nicht bleibt, wie sie ist, und dass die Nahrungsmittel für
unsere Bürger nicht mehr regional von deutschen Bauern
erzeugt werden und damit nicht mehr den hohen Stan-
dard haben, den wir in Deutschland haben; denn wir ha-
ben bei Lebensmitteln weltweit die höchsten Standards .
Deswegen ist es durchaus ein gesellschaftliches Problem,
eine Agrarpolitik zu machen, die strukturschwachen Ge-
genden – –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812112600

Herr Kollege Gerig, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Ostendorff?


Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1812112700

Immer wieder gern .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke schön, Herr Kollege Gerig . – Ich will die Ge-
legenheit nutzen, sonst hätte ich dies an anderer Stelle
gesagt . Sie wiesen darauf hin, dass Sie in der letzten
Woche zusammen mit Ihrem Kollegen Kees de Vries
die Quellendorfer Landwirte GbR in Sachsen-Anhalt be-
sucht haben . Der Bericht stand am 2 . September in der
Mitteldeutschen Zeitung.

Kees de Vries ist uns allen noch gut in Erinnerung als
jemand, der vor dem Auslaufen der Quote sehr denkwür-
dig sagte: „Wer für 32 Cent nicht melken kann, sollte
Beamter werden .“ So hat er sich hier im Deutschen Bun-
destag geäußert . Das war schon damals eine sehr mutige
Aussage . Er war aber jemand, der wie viele andere in Ih-
ren Reihen immer wieder gesagt hat, dass das Auslaufen

Alois Gerig






(A) (C)



(B) (D)


der Quote die große Chance für die unternehmerischen
Milchviehhalter sei .

In der Mitteldeutschen Zeitung wurde nun berichtet,
dass Sie beide gesagt haben – ich zitiere –:

Mit dem Auslaufen der Quote wusste jeder, dass
eine große Krise auf uns zukommt .

Das hat mich erstaunt . Das haben Sie im Deutschen Bun-
destag anders dargestellt .

Ein zweites Zitat:

Möglicherweise wird der Milchpreis bald unter
20 Cent pro Liter fallen .

Ich sage: Gott bewahre . – Können Sie diese Aussagen
bestätigen, Herr Gerig?


Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1812112800

Die kann ich keinesfalls bestätigen . Der Kollege de

Vries hat sich heute Mittag bei mir entschuldigt, weil
er auf eine Beerdigung muss . Ich kenne diesen Bericht
nicht . Wir waren vor Ort, wir hatten die Presse da . Ich
weiß, dass der Kollege de Vries seither genauso über die
Milchquote denkt wie ich . Ich kann mir überhaupt nicht
vorstellen, dass der Milchpreis noch viel weiter sinken
kann . Ich freue mich, dass beispielsweise einer der fünf
Großen im deutschen Lebensmittelhandel gesagt hat:
Noch tiefer gehen wir nicht mit . Es gibt auch in anderen
Ländern dieser Erde Anzeichen, dass eine gewisse Ein-
dämmung der Milchmenge vorgesehen ist .

Diese Aussage, die Sie gerade verlesen haben, werde ich
genau prüfen . Ich weiß, dass ich so etwas nie und nimmer
gesagt habe


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!)


und es auch nirgendwo tun würde, dazu bin ich in meiner
Einstellung viel zu festgefahren . Aber Medien sind häu-
fig frei in der Berichterstattung.

Ja, wir brauchen dort, wo Landwirtschaft strukturell
und durch die Natur eine gewisse Benachteiligung erlebt,
einen Ausgleich . Die Möglichkeit gibt es über die soge-
nannte zweite Säule . Auch hier komme ich noch einmal
auf Baden-Württemberg zurück . Es gab ein Programm
von Gerhard Weiser, das MEKA-Programm . Das hat ein
grüner Agrarminister mit seiner Regierung quasi auf null
gefahren und jetzt ganz abgeschafft und durch ein ande-
res Programm, das nennt sich FAKT, ersetzt, von dem
90 Prozent der in Baden-Württemberg konventionell
wirtschaftenden Landwirte nichts mehr haben . Das soll
dann die Agrarpolitik für die Zukunft sein . Damit können
wir in Baden-Württemberg doch unsere Betriebe nicht
halten .

Ich habe überhaupt nichts gegen Bio . Ich muss sagen,
davon ist auch noch keiner reich geworden .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht ganz gut!)


Im Moment hören ja mehr Betriebe auf, als dass neue
einsteigen . Aber, liebe Freunde, so eine Agrarpolitik
wäre verheerend .

Jetzt ist meine Redezeit schon weit fortgeschritten . Ich
möchte darauf hinweisen, dass in unserem Bundesmi-
nisterium glücklicherweise die Ernährung und der Ver-
braucherschutz eine hohe Priorität haben . Das haben
Kolleginnen und Kollegen bereits gesagt . Lebensmittel-
sicherheit spielt bei uns die ganz große Rolle . Bundesin-
stitute wie das BfR und das BVL machen eine hervorra-
gende Arbeit .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812112900

Nachdem die Redezeit jetzt schon überschritten ist

und der Kollege Ebner sich noch gemeldet hat, schlage
ich vor, dass wir das in Form einer Kurzintervention ge-
stalten .


Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1812113000

Gut .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812113100

Damit erteile ich dem Kollegen Ebner das Wort .


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812113200

Danke, Herr Präsident . – Lieber Kollege Gerig, ist Ih-

nen bekannt, dass die Landesförderprogramme in Abhän-
gigkeit von den GAP-Förderperioden gestaltet werden,
dass diese Förderperioden jeweils sieben Jahre dauern,
dass alle sieben Jahre nicht nur Baden-Württemberg,
sondern alle Bundesländer in diesem schönen Land ent-
sprechende Förderprogramme neu gestalten und auch
Baden-Württemberg dies seit vielen Jahren so tut? Alle
sieben Jahre hat man MEKA neu aufgelegt und immer
wieder neue Förderbestandteile aufgenommen .

Ich möchte Sie auch fragen, ob Ihnen bewusst und be-
kannt ist, dass FAKT sozusagen die Fortsetzung genau
dieser Förderprogramme ist . – Das war die zweite Frage .

Die dritte Frage ist: Können Sie, bitte schön, Ihre
Aussage genau belegen – da müssen Sie jetzt schon
über das Stöckchen springen –, dass FAKT 90 Prozent
der Landwirte nichts bringt? FAKT ist breit angelegt . Es
sind einige Bestandteile ausgelaufen, zum Beispiel die
Förderung der Mulchsaat, weil es nicht sinnvoll ist, sie
zu fördern; denn zum einen rechnet sie sich schon allein
betriebswirtschaftlich, zum anderen findet sie meistens
unter Glyphosateinsatz statt, was wir aus ökologischen
und gesundheitlichen Gründen nicht befürworten kön-
nen . Bitte begründen Sie die von Ihnen angegebene Zahl
von 90 Prozent . Das wollen wir dann schon genau hören .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812113300

Kollege Gerig, jetzt haben Sie wieder das Wort .


Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1812113400

Danke . – Erstens . Die Vorgehensweise ist mir voll

und ganz bewusst . Meines Wissens gibt es in Bayern ein
vergleichbares System . Dort nennt man es immer noch
KULAP . Dort gibt es immer noch viele Maßnahmen, die

Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


konventionellen Betrieben echt helfen . Sagen Sie mir
nachher – das können wir unter vier Augen machen –,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist interessant, das hier zu hören! Das interessiert uns alle!)


welche Mittel ein baden-württembergischer Milchvieh-
halter oder ein baden-württembergischer Schweinehalter
noch aus dem Programm FAKT erhalten kann!

Darüber hinaus musste ich bitter erleben, wie man in
vorauseilendem Gehorsam neue Verbote für Gewässer-
randstreifen und ein Wildtiermanagement eingeführt hat
und beispielsweise auch vorauseilend ein Grünlandum-
bruchverbot erteilt hat, das 90 Prozent der Landwirte in
Baden-Württemberg richtig wehtut . Das ist so .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812113500

Vielen Dank . – Wir sind damit am Schluss dieses Re-

debeitrags und kommen in diesem Geschäftsbereich ab-
schließend zum Kollegen Johann Saathoff, dem ich für
die SPD das Wort erteile .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1812113600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Minister, ich weiß gar nicht, warum
Sie das Wort „Fischkopf“ so bescheiden und zurück-
haltend aussprechen. Ich finde, dass das überhaupt kein
Schimpfwort ist . Immerhin ist der Kopf der wichtigste
Teil des Körpers, zumindest für Politiker,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollte so sein!)


und ein Fisch zeichnet sich neben kühlem Blut dadurch
aus, dass er ein gesundes und nachhaltiges Lebensmittel
ist .


(Beifall der Abg . Willi Brase [SPD] und Gitta Connemann [CDU/CSU])


Sie können sich also durchaus trauen, sich selber „Fisch-
kopf“ zu nennen, vor allen Dingen deswegen, weil in
Franken viel Karpfenfischfang stattfindet. Also trauen
Sie sich, Herr Minister! Seien Sie ein Fischkopf!


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Haushaltsvolumen des Einzelplans 10 beträgt
5,5 Milliarden Euro . Allein die Mittel für die landwirt-
schaftliche Sozialversicherung betragen 3,7 Milliarden
Euro . Diese Zahlen hauen wir uns um die Ohren, ohne
uns wirklich zu verbildlichen, wie viel Geld das eigent-
lich ist . Also: Als Bürgermeister überlegt man sich, an ei-
ner Straße auf beiden Seiten neue Häuser zu bauen . Jedes
Haus ist 250 000 Euro wert . Alle 20 Meter steht, wie das
in Wohngebieten so ist, ein Haus . Wie lang ist die Straße,
die man mit 3,7 Milliarden Euro bauen kann? Ich kann es
Ihnen sagen: mehr als 140 Kilometer .

Das ist die Summe, über die wir jedes Jahr im Zu-
sammenhang mit der landwirtschaftlichen Sozialversi-
cherung reden . In diesen Tagen habe ich trotzdem öfter
gehört: Die Politik tut nichts für die Landwirtschaft, die
Politik trägt Schuld an den negativen Entwicklungen,
insbesondere bei den Schweinepreisen und den Milch-
preisen . – 3,7 Milliarden Euro oder mehr als 140 Kilo-
meter Straße mit Neubauten auf beiden Seiten sind aus
meiner Sicht eine deutliche Antwort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will hier die Geschichte der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung nicht aufarbeiten . Hauptgründe für
ihre Entstehung waren: Deutschland braucht die Land-
wirtschaft, der Beruf des Landwirts soll attraktiv sein,
und die Landwirtschaft in familiengeführten Betrieben
soll wettbewerbsfähig sein . Also kurzum – so würden wir
das heute sagen -: Der Strukturwandel hin zur industriel-
len Landwirtschaft sollte aufgehalten werden .

Ist also angesichts der Mittel, die im vorliegenden
Haushalt vorgesehen sind, für die Milchwirtschaft al-
les gut? Natürlich nicht! Ostfriesland – nicht nur, aber
auch – ist stark von Milchviehbetrieben geprägt . Das
soll so bleiben . Wir wollen unsere Kühe auch in Zukunft
noch auf der Weide sehen . 27 Cent, liebe Kolleginnen
und Kollegen, sind zum Leben zu wenig und zum Ster-
ben nicht einmal zu viel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Früher hat man in Ostfriesland, wenn Moorgebiete er-
schlossen wurden, gesagt: „De Eerst sien Dod, de Tweed
sien Not, de Daard sien Brot“ . Heute ist es eher umge-
kehrt: „Dem Ersten sein Brot, dem Zweiten seine Not
und dem Dritten sein Tod“ . Was also ist zu tun?

Der Dialog mit der Landwirtschaftsbranche ist zuge-
gebenermaßen kompliziert . Es gibt mindestens zwei Po-
sitionen, die im Gegensatz zueinander stehen . Aber ist
das Vertrauen auf die Steigerung des Exports nach China
und in den Iran die richtige Lösung? Ich bin mir nicht
sicher, ob das wirklich richtig ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bedeutet nämlich auch, dass das Heft des Handelns
an andere abgegeben wird, dass der Importeur künftig
über seine Marktmacht die Produktionsbedingungen bei
uns bestimmt . Das wollen wir doch nicht; zumindest auf
lange Sicht ist das zu unsicher . Aus meiner Sicht ist das
ungeeignet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was ist sonst zu tun? Es gibt leider nicht nur eine Lö-
sung; vielmehr ist ein Maßnahmenbündel notwendig .
Sinnvoll finde ich, dass sich ein Teil der Landwirtschaft
ein eigenes Instrument zur Mengenerfassung geben will .

Alois Gerig






(A) (C)



(B) (D)


Das zentrale Problem dabei ist – da beißt die Maus kei-
nen Faden ab – die Überproduktion .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Richtig!)


Zur Produktionssteuerung . Wenn daraus Kosten ent-
stehen, dann finde ich es auch richtig, dass man sich ei-
ner Superabgabe bedient . Denn Geld, das durch Mengen-
steuerung erwirtschaftet wurde, kann anschließend auch
wieder für die Mengensteuerung ausgegeben werden .

Eine schnellere Auszahlung der Direktzahlungen
ist angekündigt – das ist aus meiner Sicht der richtige
Weg –, aber perspektivisch müssen wir dafür sorgen,
dass die Direktzahlungen an Leistungen gebunden wer-
den – lieber Friedrich Ostendorff, da bin ich ganz deiner
Meinung – und nicht an die Hektarmenge .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns in die regionale Vermarktung ein-
bringen . Die globale Wirtschaft glaubt, die gesamte Welt
technisch im Griff zu haben, die gesamte Welt könnte
kontrolliert werden . Regionalprodukte haben einen en-
gen Bezug zur Umwelt . Regionales Wirtschaften und
Umweltqualität gehören eng zusammen . Die globale
Welt ist eine anonyme, nicht überschaubare, nicht ver-
ständliche Welt . Die regionale Welt hingegen ist durch
Nähe geprägt, und sie wird mit sozialer Nähe verbunden .
Das ist übrigens ein großer Vorteil, den wir gerade ange-
sichts der Herausforderung, vor der wir durch die Men-
schen, die zu uns kommen und Schutz und Hilfe suchen,
stehen, dringend brauchen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Bewusstsein der Kunden für regionale Produkte
ist vorhanden . Das gilt auch für qualitativ hochwertige
Milch und Gentechnikfreiheit . Dafür gibt es viele Bewei-
se . Der Verbraucher weiß mittlerweile, dass Milch mehr
ist als nur weiße Flüssigkeit . Eine Milchkuh – Tierschutz
ist in der Milchwirtschaft ein wichtiges Thema – wird
unter derzeitigen Produktionsbedingungen durchschnitt-
lich 5 statt 15 Jahre alt . Auf die Sojaproblematik – zum
Beispiel die Anbaubedingungen in Südamerika – will ich
an dieser Stelle erst gar nicht hinweisen .

Unsere Fraktion ist fest davon überzeugt, dass die
Entwicklung ländlicher Räume vorangebracht wer-
den muss – Willi Brase hat das vorgetragen –, und das
in allererster Linie durch Wertschöpfung im ländlichen
Raum, zum Beispiel durch mobile Käsereien vor Ort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE] und Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Stellen Sie sich vor, es würde uns gelingen, dass Men-
schen Käse kaufen können, der die Gemeindegrenze
nicht verlassen hat . Für mich ist das eine schöne Vorstel-
lung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das Produkt Milch bekommt ein regionales Gesicht .
Das ist eine Abkehr vom sogenannten Milchsee . Aber
da muss auch der Einzelhandel mitspielen, zum Beispiel
Aldi . Ich habe Aldi angeschrieben, weil es 2008 in einer
Werbung hieß – damals gab es eine Krise -: Wir erhöhen
den Preis pro Liter Milch freiwillig von 51 auf 61 Cent,
weil wir meinen: Das sind die Bauern wert . In einer
Werbung von Aldi aus dem Jahr 2015 heißt es: Preise
dauerhaft niedrig, 1 Liter Milch 55 Cent . Was ist in der
Zwischenzeit passiert?

Wo ist nun die Wertschätzung für die Landwirtschaft?
Ich habe Aldi angeschrieben und gefragt, ob sie nicht mit
mir darüber reden wollen . Die Gesprächsanfrage ist ab-
gelehnt worden . Schade – für Aldi .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nicht nur auf den Einzelhandel, sondern auch auf die
sonstige Ernährungsindustrie schauen wir viel zu wenig .
Schokolade und alles andere, bei dem quasi in zweiter
Reihe Milch verbraucht wird, werden viel zu wenig be-
achtet . Das muss aus meiner Sicht stärker in den Fokus
rücken . Man kann der Krise also mit vielen Maßnahmen
begegnen und nicht nur mit einer Maßnahme .

Wir wollen dem Strukturwandel entgegentreten . Aus
dem Ministerium ist zum Konzept des Bundesverban-
des Deutscher Milchviehhalter aber leider zu hören:
Grundsätzlich gelten für die Konzepte des Bundesver-
bandes Deutscher Milchviehhalter dieselben ordnungs-
politischen Bedenken wie beim auslaufenden Quotensys-
tem . – Dann werden die Gründe genannt . Einer war: Der
Strukturwandel wird gehemmt . – Herr Minister, das ist
sicher ein Missverständnis, das ausgeräumt werden kann,
wenn man mit allen Verbänden in der Landwirtschaft den
Dialog sucht .

Die Ziele, die für die Mütter und Väter der landwirt-
schaftlichen Sozialversicherung zentral waren, sind doch
noch heute unsere Ziele, oder? Also sollte man in diesem
Geiste handeln und entscheiden und nicht auf Exporte
und Wachstum zulasten der Tiere und der Verbraucher
setzen; denn Strukturwandel bedeutet eine strukturelle
Entleerung von ländlichen Räumen, und der wollen wir
entgegentreten .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eigentlich gibt es noch viel zum Thema Küstenschutz,
Hochwasserschutz zu sagen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812113700

Kollege Saathoff, Ihre Redezeit ist jetzt langsam er-

schöpft .


Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1812113800

Ein Satz, Frau Präsidentin . – Küstenschutz ist nicht

alles, aber ohne Küstenschutz ist alles nichts, und dabei
ist es egal, ob man Leib und Leben oder Hab und Gut
durch Salz- oder Süßwasser verliert . Dass das nicht pas-
siert, dafür setzen wir uns ein .

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812113900

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen

mir nicht vor .

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ein-
zelplan 17 .

Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppie-
rungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen und nach-
bereitende Gespräche, Absprachen und anderes nach
draußen zu verlegen .

Wenn mir jetzt auch die grüne Fraktion gestattet, die
Debatte zu eröffnen? – Das Wort hat die Bundesministe-
rin Manuela Schwesig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Die gute Nachricht des Haus-
haltsentwurfs für 2016, der Ihnen vorliegt, ist: Noch nie
hat der Bund so viel Geld für Familien, Kinder und Ju-
gendliche bereitgestellt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das zeigt sich im Etat meines Hauses; viele Mittelzu-
wächse und verbesserte Leistungen spiegeln sich aber
auch im Etat des Bundesfinanzministers wider. Das wird
zum Beispiel deutlich, wenn Sie an die Steuerentlastung
für die Alleinerziehenden denken .

Mir ist wichtig, deutlich zu machen, dass das Geld,
das wir für Familien und Kinder in unserem Land bereit-
stellen, für alle Familien da ist, für die Familien mit Kin-
dern, die in unserem Land leben, und für die Familien mit
Kindern, die in unser Land kommen . Dieses Geld ist eine
gute Investition in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes;
denn die Familien sichern die Zukunft unseres Landes .

Wir haben den Etat um 647 Millionen Euro, also um
über eine halbe Milliarde Euro, angehoben und dabei
drei wichtige Schwerpunkte gesetzt: für mehr Zeit für
Familien, für eine gute Betreuungsinfrastruktur und für
Geld für Familien . Das ist der Dreiklang einer modernen
Familienpolitik . Das ist wichtig für Familien . Nicht eine
Leistung allein hilft Familien, sondern dieses Zusam-
menspiel .

Es ist gut, dass wir wieder mehr Mittel für das Eltern-
geld zur Verfügung stellen; denn das Elterngeld ist eine
Erfolgsgeschichte und wird es bleiben . Das Elterngeld si-
chert Familien mit kleinen Kindern Zeit füreinander . Ich
möchte, dass Mütter und Väter in unserem Land ihre El-
ternzeit nutzen und in dieser Zeit das Elterngeld oder das
neue Elterngeld Plus beziehen können . Das ist wichtig .

Die Aufwendungen für das Elterngeld steigen jedes
Jahr, weil wir mehr Eltern haben, die vorher berufstätig
waren, weil wir endlich mehr Geburten haben und weil
immer mehr Väter Elternzeit nehmen oder nehmen wer-
den . Das ist eine gute Nachricht . Das sind keine unnöti-
gen Kosten; vielmehr entstehen diese Kosten, weil Fami-
lienpolitik erfolgreich ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb darf das Elterngeld nicht immer wieder infrage
gestellt werden . Auch dürfen in den Haushaltsberatungen
nicht immer wieder Forderungen kommen, das Eltern-
geld zu deckeln; denn Familien brauchen Verlässlichkeit .

Bundesfinanzminister Schäuble hat in seiner Einbrin-
gungsrede völlig zu Recht davon gesprochen, dass der
Erfolg von Politik auf Vertrauen basiert . Das gilt auch
für die Familienpolitik: Familien müssen sich in unserem
Land darauf verlassen können, dass die Leistungen, die
wir versprochen haben, für sie erhalten bleiben . Das gilt
für das Elterngeld, und das gilt auch für den Rechtsan-
spruch auf einen Kitaplatz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir erhöhen mit dem vorliegenden Haushalt das
Sondervermögen für den Kitaausbau um 230 Millionen
Euro, weil wir mehr Plätze brauchen . In einem anderen
Etat wird veranschlagt, dass wir 100 Millionen Euro für
ein Sonderprogramm zur Verfügung stellen .

Wir wollen die Randzeitenbetreuung in Kitas auswei-
ten . Damit sind Zeiten gemeint, die nach 16 Uhr liegen,
weil es für berufstätige Mütter und Väter, insbesondere
für alleinerziehende Frauen aus Branchen wie der Pflege
und der Medizin, wichtig ist, wenn sie einem Job nach-
gehen wollen . Dafür brauchen sie einen Kitaplatz . Das
ist auch die beste Vorbeugung gegen Kinderarmut; denn
nur wenn Eltern arbeiten gehen können, einen guten Job
machen und gut bezahlt werden, können wir den Kampf
gegen Kinderarmut und Elternarmut bestehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Eltern brauchen auch eine finanzielle Unterstützung.
Wir heben das Kindergeld auf 190 Euro an . Davon pro-
fitieren 17 Millionen Kinder. Allein 1 Million Kinder
schützen wir durch das Kindergeld vor der Armutsfalle .
Das ist eine wichtige Leistung . Wir heben zum 1 . Ja-
nuar 2016 aber auch den Kinderzuschlag an, und zwar
um 20 Euro im Monat . Gerade die Eltern, die jeden Tag
arbeiten gehen, aber in Branchen arbeiten, in denen sie
trotz Mindestlohns wenig Geld verdienen, Geld, das
zusammen mit dem Kindergeld kaum ausreicht, um im
Monat klarzukommen, bei denen selten ein Ausflug drin
ist, geschweige denn Urlaub, diese Eltern, die so fleißig
und ihren Kindern ein Vorbild sind, müssen wir besser
unterstützen . Deshalb ist es gut und richtig, dass wir den

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Kinderzuschlag nach vielen Jahren endlich anheben . Das
ist ein wichtiger Beitrag gegen Kinderarmut .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Auch durch die Anhebung des Entlastungsbetrags für
die Alleinerziehenden in diesem, aber auch im nächsten
Jahr setzen wir ein wichtiges Zeichen, nämlich das Zei-
chen, dass für uns Familie da ist, wo Kinder sind: Eltern,
die verheiratet sind oder nicht, Regenbogenfamilien,
Patchworkfamilien, aber gerade auch alleinerziehende
Frauen und Männer, die jeden Tag arbeiten und gleich-
zeitig für ihre Kinder da sind . Jeder von uns, der Beruf
und Familie vereinbart, weiß, wie schwierig das ist,
selbst wenn man auf eine gute Partnerschaft setzen kann .
Wer das allein managt, der hat meinen Respekt . Es wur-
de Zeit, dass wir die Alleinerziehenden nach zehn Jahren
endlich steuerlich entlasten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, der
Haushalt, der Ihnen vorliegt, wird in den Beratungen
sicherlich auch deshalb noch diskutiert, weil uns ein
Thema seit Wochen und Monaten mehr bewegt als zu
der Zeit, als die Haushaltsberatungen der Bundesregie-
rung stattfanden: Viele Flüchtlinge kommen zu uns nach
Deutschland . Die Schicksale der Flüchtlinge, insbeson-
dere der Familien mit Kindern, die Herausforderungen
und die überwältigende Hilfsbereitschaft der Menschen
in unserem Land – die Bundesregierung reagiert darauf .
Auch das wird sich im Haushalt des Bundesfamilienmi-
nisteriums wiederfinden müssen.

Wir, die wir diesen Fachbereich gemeinsam vertreten,
loben seit langem das ehrenamtliche Engagement . Aber
seien wir einmal ehrlich: Es wurde in den letzten Jahren
oft nicht genügend beachtet, auch in der Öffentlichkeit
nicht . Deshalb bin ich froh und dankbar, dass jetzt viele
sehen, wie wichtig ehrenamtliches Engagement in unse-
rem Land ist, in der Flüchtlingsarbeit, aber nicht nur dort .
Daher ist es wichtig, dass wir auch durch unser Haus das
ehrenamtliche Engagement unterstützen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das zeigt sich darin, dass es uns nach Jahren endlich
gelungen ist, eine Sicherung der Mehrgenerationenhäu-
ser zu erreichen . Wir haben im Haushalt 2016 die Mehr-
generationenhäuser abgesichert und eine Möglichkeit
gefunden, dieses Geld zu verstetigen . An dieser Stelle
herzlichen Dank Ihnen allen, die sich für die Mehrgene-
rationenhäuser engagiert haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden den Bundesfreiwilligendienst um
10 000 Plätze aufstocken . Wir schaffen damit gezielt
neue Plätze, um den Bundesfreiwilligendienst in der
Flüchtlingsarbeit einzusetzen, um das freiwillige En-
gagement, das vor Ort da ist, zu unterstützen . Wir wollen,
dass sich in diesem Bundesfreiwilligendienst Leute, die
hier schon leben, für Flüchtlinge engagieren . Wir wol-
len aber auch, dass Flüchtlinge, die anerkannt sind und

eine Arbeitserlaubnis haben, Freiwilligendienst machen
können . Denn auch Flüchtlinge bringen Potenziale mit .
Auch ihre Möglichkeiten, ihre Hilfsbereitschaft sollten
wir nutzen . Deshalb wird es ein Bundesfreiwilligendienst
sein, der auch der Integration dienen wird .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Um Engagement, Begegnungen mit Flüchtlingen, ins-
besondere mit Kindern und Jugendlichen, geht es auch
bei der „Aktion Zusammenspiel“, die im Rahmen des
neuen Bundesprogrammes „Willkommen bei Freunden“
stattfinden wird; dies wird durch unser Haus finanziert.
Diese Aktion wird vom 11. bis 20. September stattfin-
den . Wir machen überall Aktionen gemeinsam mit jun-
gen Flüchtlingskindern . Ich werbe dafür, dass Sie sich
in Ihren Wahlkreisen daran beteiligen . Unterbringung,
Versorgung und Integration sind das eine, aber Menschen
finden erst dann hier eine neue Heimat, wenn sie mit Ein-
heimischen zusammenkommen . Das ist ein Gewinn für
diejenigen, die zu uns kommen, aber auch ein Gewinn
für uns . Deswegen wollen wir mit dem Programm „Will-
kommen bei Freunden“ diese Begegnungen unterstützen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, in die-
sen Tagen wird viel davon gesprochen, dass Integration
wichtig ist . Und das stimmt . Ich warne davor, dass wir
nicht wieder die Fehler machen, die vielleicht in den
60er- und 70er-Jahren passiert sind, als man sich vor
allem auf die Arbeitsmarktintegration insbesondere der
Männer konzentriert hat und nicht so sehr die Frauen und
Kinder im Blick hatte . Mir ist es wichtig, darauf hinzu-
weisen, dass Integration nicht erst am Arbeitsmarkt be-
ginnt . Sie beginnt ganz früh; sie beginnt bei den Kindern .
Es ist wichtig, dass die Kinder der Flüchtlinge, die zu
uns kommen, eine Kita besuchen können, in die Schule
gehen und dort die Sprache lernen,


(Beifall des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


aber vor allem Freunde finden. Das ist ganz wichtig. Das
ist der Schlüssel für Integration .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Michael Leutert [DIE LINKE])


Deswegen kommen in diesem Bereich neue Heraus-
forderungen auf uns zu . Wir werden mehr Plätze in Kitas
brauchen, auch für die Flüchtlingskinder . Wir werden
mehr Plätze brauchen, weil wir endlich seit zehn Jahren
mehr Geburten haben . Notwendig sind eine gute Qua-
lität, mehr Erzieher und Sprachförderung . Das ist eine
große Herausforderung . Deshalb werden wir uns diesen
Punkt noch einmal genau anschauen müssen .

Eine Sache ist mir dabei wichtig. Ich finde es falsch,
die Kosten danach einzuteilen: Das brauchen wir für die
Flüchtlingskinder, und das brauchen wir für die anderen
Kinder . Für mich gehören die Kinder zusammen .


(Beifall bei der SPD)


Es ist mir egal, ob sie hier geboren oder zu uns gekom-
men sind . Wichtig ist, dass sie alle die gleichen Bildungs-
chancen haben .

Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


Zum Abschluss . Es hat sich etwas verändert, seit die-
ser Haushaltsentwurf aufgestellt wurde: Ich meine die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das das
Betreuungsgeld für verfassungswidrig erklärt hat . Ich
habe mich dafür eingesetzt, dass wir die größtmögliche
Vertrauensschutzregelung bekommen, das heißt, alle El-
tern, die bisher Betreuungsgeld bekommen bzw . einen
positiven Bescheid haben, erhalten es bis zum Ende der
vorgesehenen Bezugszeit . Das ist eine Frage des Vertrau-
ens auf eine Leistung . Nun muss sich die Politik darüber
Gedanken machen – sie hat ja eine Leistung versprochen,
die es nicht mehr geben kann –, was sie ab 2016, 2017
mit den frei werdenden Mitteln macht . Über diese Ent-
scheidung muss noch in der Koalition diskutiert werden .

Ich werbe angesichts der Herausforderungen für die
Familien, die ich Ihnen skizziert habe, dafür, dass wir
dafür sorgen, dass diese Gelder, auf welchem Weg und
über welche Technik auch immer weiter bereitstehen,
und dass wir weiter die Familien unterstützen . Bei den
Fragen, wie wir mehr Zeit für Familien, eine bessere Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf und gute Kitas ermög-
lichen können, aber auch bei den Geldleistungen für die
Familien geht es nicht um ein Wunschkonzert;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


es geht um notwendige Unterstützung . Die Familien sind
die Leistungsträger in unserer Gesellschaft . Männer und
Frauen, die jeden Tag arbeiten gehen, die sich gleich-
zeitig für Kinder entscheiden, haben dafür gesorgt, dass
wir ein Steuerplus haben . Sie sind diejenigen, die zu den
43 Millionen Erwerbstätigen gehören, die Bundesfinanz-
minister Schäuble sehr positiv erwähnt hat . Deswegen
brauchen sie unsere Unterstützung . Dafür werbe ich um
Ihre Unterstützung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812114000

Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812114100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Frau Ministerin, wir alle wissen – Sie haben
es eben angesprochen –, dass der uns vorliegende Haus-
haltsentwurf grundlegend überarbeitet werden muss und
dass es dafür zwei Gründe gibt . Einen haben Sie gerade
genannt: Das Bundesverfassungsgericht hat die Einfüh-
rung des Betreuungsgeldes durch den Bund für verfas-
sungswidrig erklärt . Sie haben schon ein sehr emotiona-
les Plädoyer dafür gehalten, wie das frei werdende Geld
eingesetzt werden soll . Auch wir haben dazu Vorschläge .
Ich bin sehr gespannt auf unsere Debatte in den Haus-
haltsberatungen .

Zweitens . Auch in Ihrem Ministerium, Frau Ministe-
rin – das haben Sie ebenfalls angesprochen –, und insbe-
sondere in den Bereichen Familie, Jugend und Zivilge-
sellschaft muss auf die enormen Herausforderungen im

Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise einge-
gangen werden .

Gestern hatten wir hier im Plenum die Debatten
zur Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik .
Topthema in allen Debatten waren dabei die Flüchtlin-
ge und alles, was mit ihnen zusammenhängt . Wir haben
gestern darüber diskutiert: Wie können wir für eine hu-
mane Aufnahme sorgen? Wie können wir die Fluchtursa-
chen effektiv bekämpfen? Wie können wir die Not und
das Leid der Menschen während ihrer Flucht lindern?
Nach Beantwortung dieser Fragen ist es aber eine min-
destens ebenso große Aufgabe, die Menschen, die zu
uns kommen, schnell und gut in unsere Gesellschaft zu
integrieren . Dafür ist es nicht nur notwendig, dass die
Flüchtlinge den Willen haben, sich zu integrieren, son-
dern genauso wichtig für das Gelingen dieser Aufgabe
ist auch, dass unsere Gesellschaft bereit dafür ist, die
Menschen aus den Kriegsgebieten aufzunehmen . Genau
an diesem Punkt, Frau Ministerin, muss Ihr Ministerium
meines Erachtens eine viel stärkere Rolle spielen . Mei-
nes Erachtens könnte Ihr Ministerium an diesem Punkt
sogar eine zentrale Rolle spielen .

Wir alle freuen uns darüber, dass so viele Menschen
ehrenamtlich helfen, den Männern, Frauen und Kindern,
die zu uns kommen und die oft Wochen und Monate auf
der Flucht unter katastrophalen Bedingungen gelebt ha-
ben, ihre Ankunft hier so erträglich wie möglich zu ge-
stalten . Aber genauso müssen wir entsetzt zur Kenntnis
nehmen, dass Flüchtlinge und deren Helfer immer wie-
der angepöbelt und angegriffen werden und dass zum
Teil auch Flüchtlingsunterkünfte in Flammen aufgehen;
Heidenau ist dafür exemplarisch .

Ich erinnere mich, wie wir alle letztes Jahr hier da-
rüber diskutiert haben, dass wir mehr Geld brauchen:
zur Unterstützung von Projekten und Initiativen gegen
Rechtsradikalismus, gegen Rassismus, gegen Fremden-
feindlichkeit allgemein – wenn man es auf den Punkt
bringen will –, zur Stärkung der Zivilgesellschaft und
gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit . Damals
debattierten wir in einem politischen Kontext, der noch
geprägt war von den Morden des NSU und den Empfeh-
lungen des NSU-Untersuchungsausschusses, mehr Geld
gegen Rassismus und gegen Fremdenfeindlichkeit in die
Hand zu nehmen .

Damals war die Zeit, als Pegida und die Hooliganszene
anfingen, sich zu formieren, angeblich zum Schutz des
Abendlandes vor Überfremdung . Das ist vielen schon
wieder entglitten; das ist gar nicht mehr so sehr im öf-
fentlichen Bewusstsein . Aber die Menschen, die sich an
den Demonstrationen von Pegida in Dresden und ander-
norts beteiligt haben, sind immer noch da . Ich glaube
nicht, dass sie ihre Meinung inzwischen geändert haben .
Ich glaube auch nicht, dass sich die Menschen, die an
den Demonstrationen teilgenommen haben, jetzt, da so
viele Menschen bei uns um Schutz vor Krieg und Terror
bitten, eines Besseren belehren lassen . Ich befürchte, das
Gegenteil ist der Fall . Genau aus diesem Grund kommt
meines Erachtens Ihrem Ministerium in den nächsten
Jahren solch eine Bedeutung zu . Hier liegt der Schlüssel,
etwas dafür zu tun, die Zivilgesellschaft zu stärken, et-
was gegen fremdenfeindliche Einstellungen zu unterneh-

Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


men und somit dazu beizutragen, dass unsere Menschen
zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit sind .

Konkret würde das, an drei Punkten festgemacht, Fol-
gendes bedeuten:

Erstens . Wir dürfen bei der Jugendhilfe nicht, wie in
Ihrem Plan vorgesehen, kürzen, schon gar nicht in den
Bereichen politische Bildung, Partizipation oder – das ist
völlig inakzeptabel; darüber haben Sie aber nicht gespro-
chen – bei der Integration junger Menschen mit Migrati-
onshintergrund . Selbst ohne die aktuelle Flüchtlingssitu-
ation ist der Vorschlag, hier 12 Millionen Euro zu kürzen,
meines Erachtens nicht wirklich gut durchdacht .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Wir dürfen das Programm „Demokratie le-
ben!“ nicht einfach so fortführen, als gäbe es keine neue
Situation . Wir brauchen dringend eine neue Förderrun-
de mit mindestens 40 Millionen Euro zusätzlich, und
diesmal muss der Schwerpunkt ganz klar auf Basisini-
tiativen liegen statt bei Modellen oder im administrati-
ven Bereich . Sicherlich ist das auch alles wichtig, aber
jetzt geht es darum, die Vereine zu stärken, die täglich
mit jungen Menschen soziale Arbeit gestalten . Dort ent-
stehen nämlich die Netzwerke, die das Fundament einer
widerstandsfähigen Zivilgesellschaft bilden .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Förderung
muss zwingend auf eine institutionelle, also auf eine
dauerhafte Förderung umgestellt werden, statt immer
nur ein- oder mehrjährige Projektförderung vorzusehen .
Denn die Nazis lösen sich schließlich nicht auf, wenn ein
Projekt ausgelaufen ist . Dauerhafte Aufgaben müssen
auch dauerhaft finanziert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt im Übrigen auch, dass die mittelfristige Fi-
nanzplanung korrigiert werden muss . Darin sind nämlich
ab dem Jahr 2017 wieder nur 30 Millionen Euro vorge-
sehen .


(Norbert Müller Richtig!)


Drittens . Die Jugendfreiwilligendienste dürfen nicht
stagnieren, wie derzeit im Haushaltsplan vorgesehen,
sondern, im Gegenteil, sie müssen aufgestockt werden .
Wenn sich junge Menschen im Freiwilligen Sozialen
Jahr oder im Internationalen Jugendfreiwilligendienst
engagieren wollen, dann müssen wir das fördern, weil
sie dort lernen, zu helfen . Diese Dienste sollten auch ver-
stärkt im Bereich der Flüchtlingshilfe angeboten werden,
Frau Ministerin .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es schaf-
fen wollen, die Flüchtlinge gut und sicher in unsere Ge-
sellschaft zu integrieren, dann dürfen wir all diese Berei-
che nicht vernachlässigen . Die Euphorie der ersten Tage,
die wir auf Bildern aus München oder anderen Orten
gesehen haben, wo die Menschen die Flüchtlinge mit
Applaus begrüßt haben, wird irgendwann verfliegen. Mit
Sicherheit werden wir auch Probleme bei der Integrati-

on bekommen . Deshalb ist es dringend notwendig, die
Zivilgesellschaft zu stärken und damit die Aufnahmebe-
reitschaft unserer Gesellschaft zu erhöhen . Denn ich zu-
mindest möchte auch in Zukunft noch solche Bilder von
Deutschland sehen, wie sie derzeit um die Welt gehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812114200

Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher!
Wenn wir heute über den Etat des Bundesfamilienminis-
teriums sprechen, dann steht die Debatte darüber genau-
so im Mittelpunkt der aktuellen Flüchtlingsthematik wie
schon die Debatten der vergangenen Tage zu den anderen
Haushalten .

Es ist schon gesagt worden: Es gibt eine große Welle
der Hilfsbereitschaft, die den Menschen entgegenschlägt,
die angesichts von Vertreibung, Krieg oder Hunger aus
Krisengebieten fliehen und nach einer langen Flucht zu
uns kommen . Sie werden hier von vielen Menschen mit
ehrenamtlichem Engagement und einer großen Welle von
Hilfsbereitschaft begrüßt . Das erschöpft sich nicht darin,
dass sie am Bahnhof mit Transparenten und Wasser be-
grüßt werden . In meinem Wahlkreis habe ich erlebt, dass
Menschen schon seit Monaten aktiv bei der Integration
der Flüchtlinge in ein für sie komplett fremdes Land und
in einen neuen Alltag helfen .

Dieses Engagement wollen wir auch als Familienpoliti-
ker mit unserem Haushalt unterstützen; und wir finden in
dem Haushalt, den wir heute beraten, aber auch in dem,
was wir in den kommenden Wochen auf den Weg brin-
gen, viele Ansatzpunkte für diese Unterstützung . Denn
wir wissen: Die Hilfsbereitschaft in den ersten Tagen und
Wochen ist das eine . Aber es wird auch darum gehen, die
Menschen, die jetzt zu uns kommen, zu integrieren, und
das sind sehr viele . Allein in diesem Jahr rechnet man mit
800 000 Menschen . Darunter sind wenige Frauen und
Kinder; es werden sicherlich noch viele nachkommen .
Es wird darum gehen, sie auch zu integrieren . Sie sollen
in unserer Gesellschaft wirklich ankommen .

Dabei ist es nicht damit getan, dass sie eine Wohnung,
eine Unterkunft und Kleidung haben, sondern Integration
ist erst gelungen, wenn die Menschen bei uns arbeiten,
bei uns leben, in die Dorfgemeinschaft integriert und
selbst ehrenamtlich tätig sowie in Sportvereinen Mitglied
sind, wie wir alle das auch tun . Das ist eine große Her-
ausforderung für uns als aufnehmende Gesellschaft und
auch für die Menschen, die zu uns kommen .

Deshalb ist es richtig, dass wir mit diesem Haushalt
die Weichen stellen und einige neue Programme auf den
Weg bringen werden, um beiden Seiten – nämlich der

Michael Leutert






(A) (C)



(B) (D)


aufnehmenden Gesellschaft und den Neuankommen-
den – diesen Schritt zu ermöglichen .

Es ist schon angesprochen worden: Bis zu 10 000 neue
Stellen im Bundesfreiwilligendienst sollen entstehen .
Herr Leutert, sicher lesen Sie Zeitung . Sie sagten: Der
Bundesfreiwilligendienst wird nicht aufgestockt . – Wir
haben gerade beschlossen, dass er um bis zu 10 000 Stel-
len aufgestockt wird, um den vielen Ehrenamtlichen vor
Ort – bei den Kommunen, aber auch bei den Hilfsorga-
nisationen – bei der Koordination der Aufgaben, bei der
Einrichtung der Wohnungen und den Flüchtlingen beim
Spracherwerb und beim Ankommen im Alltag zu helfen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ein pensionierter
Lehrer oder auch eine Hausfrau, die mehrere Kinder
großgezogen hat, beim Bundesfreiwilligendienst mit-
macht und vor Ort mit anpackt .

Wir wollen aber auch noch – und ich bin sehr erfreut,
dass die Ministerin unseren Vorschlag aufgegriffen hat –
einen anderen Weg gehen . Wir wollen den Flüchtlingen,
die zu uns kommen, die Möglichkeit geben, selbst Bun-
desfreiwilligendienst zu leisten . Junge oder auch ältere
Flüchtlinge, die hier ankommen, sollen die Möglichkeit
haben, sich von Anfang an – sobald ihre Anerkennung
erfolgt ist – in unser Gemeinwesen einzubringen . Es ist
sehr wertvoll, dass sie die Sprache derjenigen kennen,
die hier ankommen, und dass sie die Erfahrungen, die sie
hier in den ersten Wochen gemacht haben, gleich mit ein-
bringen und dadurch ihren Landsleuten bei der Ankunft
helfen können .

Deshalb sollten wir von diesen 10 000 neuen Plätzen
explizit Plätze für diejenigen reservieren, die selbst gera-
de geflüchtet sind. Das muss natürlich mit einem Sprach-
kurs und mit Landeskunde verbunden werden . Das geht
nicht einfach so und ist auch eine organisatorische Her-
ausforderung, aber das ist der richtige Weg zur Integrati-
on in unsere Gesellschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben daneben weitere Programme, wie etwa das
Programm „Willkommen bei Freunden“, das wir mit
12,5 Millionen Euro ausgestattet haben, und die Jugend-
migrationsdienste, für die die Mittel im letzten Haushalt
aufgestockt wurden und die vor allem den jungen Men-
schen das Ankommen in unserem Land erleichtern .

Das alles sind richtige neue Initiativen oder alte Initi-
ativen, die wir intensivieren .

Wenn wir auf den Haushalt schauen, den wir vorlegen,
dann können wir aber auch noch auf vieles andere stolz
sein:

Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, die Fa-
milienpolitik zu einem der dominierenden Themen in der
Bundesregierung zu machen . Kein anderer Haushalt –
außer dem Bildungshaushalt – ist über die Jahre so stark
und kontinuierlich gewachsen wie unser Haushalt . In
dieser Regierung, aber auch schon in den Vorgängerre-
gierungen unter Schwarz-Gelb und in der Großen Koali-
tion davor haben wir bei Kindern, Familien und Frauen
einen klaren Schwerpunkt gesetzt . Unser Haushalt ist

immer gestiegen . Das kann sich sehen lassen, und darauf
können wir wirklich stolz sein .

Auch an anderen Parametern zeigt sich, dass sich die
Familienpolitik der CDU-geführten Regierungen der
letzten Jahre bewährt hat:


(Ulli Nissen [SPD]: Aber jetzt mit einer SPD-Ministerin!)


Endlich kommen mehr Babys zur Welt . Im letzten Jahr
waren es 33 000 Babys mehr als im Jahr davor . Das ist
eine Steigerung von knapp 5 Prozent .

Der Trend, dass vor allem Akademikerinnen kinderlos
bleiben, ist eindeutig gestoppt .

Die Familienfreundlichkeit in unserem Land hat zu-
genommen . Viele Studien bescheinigen uns, dass wir auf
dem Weg hin zu einer Gesellschaft, die die Vereinbar-
keit von Familie und Beruf ermöglicht, die Partnerschaft
stärkt und die Familienfreundlichkeit erhöht, sehr erfolg-
reich sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Darauf können wir uns aber nicht ausruhen . Das ist eine
Aufgabe für die nächsten Jahre .

Wir sind sehr stolz darauf, dass wir die Familien in
diesem Jahr und in den kommenden Jahren um 5 Milliar-
den Euro entlasten . Wir sind auch sehr stolz darauf, dass
wir die Elternzeit weiter flexibilisieren konnten und dass
die massiven Steigerungen beim Elterngeld, die so nicht
eingeplant waren – da schaue ich einmal unsere Haushäl-
ter in den Reihen an –, von allen Kollegen des Deutschen
Bundestages jedes Jahr ohne Murren mitgetragen wur-
den . Es ist nicht selbstverständlich, dass den Familien
ein so großer Teil der Mittel aus unserem Haushalt zur
Verfügung gestellt wird . Deshalb muss es unser erstes
Ziel sein, das Elterngeld, das eine der beliebtesten Leis-
tungen für junge Familien in unserem Land ist, für die
Zukunft zu sichern . Dazu wollen wir alle Möglichkeiten
nutzen . Das betrifft auch die freiwerdenden Mittel aus
dem Betreuungsgeld . Wir können nicht riskieren, dass
eine Leistung, die so anerkannt ist wie das Elterngeld,
gefährdet ist, weil eine mögliche Kostenexplosion nicht
tragbar wäre .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir investieren in den Kitaausbau, zum einen mit
dem Investitionsprogramm für die Kitas, zum anderen
mit dem neuen Programm „KitaPlus“ mit 100 Millionen
Euro . Wir setzen das Programm „Schwerpunkt-Kitas
Sprache & Integration“ fort . Dieses Programm ist nicht
im Zuge der Flüchtlingskrise entstanden, also nichts
Neues . Es läuft schon einige Jahre; denn wir hatten schon
immer Migranten, junge Schülerinnen und Schüler sowie
Kindergartenkinder mit Sprachproblemen, um die wir
uns gekümmert haben . Deshalb war es uns als Union ein
Anliegen, dass die Sprachförderung in den Kindertages-
einrichtungen weiter vom Bund finanziert wird.

Auch das Ehrenamt ist uns ein wichtiges Anliegen .
Damit meine ich nicht nur das wunderbare ehrenamtliche
Engagement im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise .

Nadine Schön (St. Wendel)







(A) (C)



(B) (D)


Viele Menschen in unserem Land sind seit vielen Jahren
ununterbrochen ehrenamtlich aktiv: bei Hilfsorganisati-
onen, in Sportvereinen, in der Nachbarschaftshilfe . Ich
habe ein bisschen Angst, dass dieses Engagement durch
das Engagement für Flüchtlinge, das in diesen Tagen zu
Recht in den Medien gezeigt wird, etwas unter den Tisch
fällt . Genau das darf nicht passieren . All die ehrenamtlich
tätigen Menschen in unserem Land, die sich seit Jahren
für unsere Gesellschaft einsetzen, verdienen unseren Re-
spekt, unsere Anerkennung und unsere Unterstützung .
Das muss man immer mit bedenken, wenn man zurzeit
den Ehrenamtlichen dankt, die in der Flüchtlingshilfe en-
gagiert sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Kumulationspunkt für dieses ehrenamtliche En-
gagement sind die Mehrgenerationenhäuser . Hier kommt
alles zusammen, was an ehrenamtlichem Engagement
über die Generationen hinweg, aber eben auch für ein-
zelne Gruppen in der Gesellschaft geleistet wird: von der
PEKiP-Gruppe über die Kinderbetreuung bis hin zum Se-
nioren-Rommé, Computerlernkurse und vieles mehr . All
das wird in den Mehrgenerationenhäusern geleistet . Wir
konnten dieses großartige Engagement für die Zukunft
sichern . Die Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser
ist für die nächsten Jahre gesichert . Auch hier danke ich
den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsaus-
schuss, denen das ebenfalls ein echtes Anliegen war .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir investieren in den Kinderschutz und in den Op-
ferschutz . Das Programm „Frühe Hilfen“ werden wir
fortsetzen . Gleiches gilt für die Mittel für die Opfer der
Heimerziehung . Auch hier wurden die Mittel verstetigt .
Das sind gute Signale, gute Botschaften an all die Men-
schen, die davon betroffen sind .

Man kann sagen, dass wir auf der einen Seite den neu-
en Herausforderungen, die auf uns zukommen, gerecht
werden, indem wir die Flüchtlinge und die Menschen,
die sich um die Flüchtlinge kümmern, unterstützen, dass
wir auf der anderen Seite aber für alle anderen Men-
schen in unserem Land, vor allem für die Familien, die
richtigen Weichen stellen und ihnen jede Unterstützung
zukommen lassen, die möglich ist . Zusammen mit den
Ländern und Kommunen, mit den Unternehmen und mit
vielen Bürgerinnen und Bürgern wollen wir auf diesem
Weg weitergehen .

Ich danke allen, die die Haushaltsberatungen in den
kommenden Wochen konstruktiv begleiten werden . Si-
cher kann man sich immer mehr wünschen und vorstel-
len . Aber es liegt eben in der Natur des Haushaltes – und
darum muss es uns gehen –, die richtigen Schwerpunkte
zu setzen . Ich freue mich auf die Beratungen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812114300

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Ekin Deligöz das Wort .


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812114400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

in diesem Einzelplan gibt es Ausgabensteigerungen, wie
in anderen Einzelplänen auch . Die sind an vielen Stellen
richtig und wichtig . Sie beruhen auf gesetzlichen Leis-
tungen . Nehmen wir das Beispiel Elterngeld, Frau Kolle-
gin Schön . Das ist eine gesetzliche Leistung, und es war
von Anfang an intendiert, dass die Mittel steigen; denn
sie wollten dadurch insbesondere die Männer motivie-
ren, sich aktiv in die Elternarbeit einzubringen . Das tun
sie jetzt, und das müssen wir finanzieren. Das ist nichts,
wofür man sich bedanken muss, sondern muss schlicht
finanzieren werden, weil es eine gesetzliche Leistung ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Trotzdem finde ich, Frau Ministerin, kann man mit all
dem eigentlich nicht zufrieden sein . Es gibt einen An-
spruch an diesen Haushalt, an Ihr Haus und an diese Ge-
sellschaft . Vor allem gibt es den Anspruch, massiv in die
Zukunft dieses Landes zu investieren, wenn die Finanz-
mittel die Möglichkeit dazu geben . Genau das müssten
Sie leisten . Und da sehe ich schon ein paar Versäumnisse,
die ich hier aufzählen will:

Erstes Versäumnis . Wir brauchen dringend Maßnah-
men in Bezug auf die Kitaqualität .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Dafür brauchen wir entsprechende Finanzmittel . Die
Qualitätsfrage brennt uns schon seit langem auf den Nä-
geln . Das wird eher noch dringender werden . Ich verstehe
den Widerstand der CDU/CSU-Fraktion, ehrlich gesagt,
überhaupt nicht . Ich verstehe nicht, dass Sie sich nicht
den Ruck geben können, zu sagen: Diese freiwerdende
Milliarde beim Betreuungsgeld gehört den Kindern; sie
gehört dahin, wo es dringend notwendig ist, und wo es
bei den Kindern ankommt, nämlich Kindertagesstätten
und Tagesmütter dieses Landes .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie könnten das so schön als Zukunftsinvestition dekla-
rieren . Damit könnten Sie sich rühmen . Geben Sie sich
einen Ruck! Das ist dringend notwendig .

Zweites Versäumnis . Alleinerziehende werden in die-
sem Land immer noch alleingelassen . Sie sind in unseren
Armutsstatistiken an erster Stelle zu finden. Alleine zu
erziehen, ist in diesem Land ein Armutsrisiko . Das ist
beschämend . Sie brauchen als Antwort etwas mehr als
Kosmetik, und selbst die Kosmetik verschwindet in die-
sem Haushaltsplan . Das ist zu wenig . Da müssen wir ent-
schlossen handeln . Meine Fraktion hat dazu auch schon
einiges an Ideen vorgelegt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittes Versäumnis . Eine Reform der Ehe- und Fa-
milienförderung – ich rede hier von einer Reform und
nicht nur von kleinen Änderungen – wäre vernünftig . Es
gibt in Sachen Familienförderung mit den Freibeträgen

Nadine Schön (St. Wendel)







(A) (C)



(B) (D)


für wohlhabende Familien ein Weiter-so . Es ist weiter so,
dass das Splitting den Trauschein fördert . Leider gibt es
auch bei der Kinderarmut ein Weiter-so . In diesem Land
sind Alleinerziehende vorwiegend jung und weiblich .
Dagegen müssen wir entschlossen Konzepte vorlegen . Es
ist mehr nötig, als nur den Kinderzuschlag ein bisschen
zu erhöhen . Wir brauchen eine Reform, die bedeuten
würde, dass wir für Kinderarmut in diesem Land keinen
Platz haben . Der setzen wir entschieden etwas entgegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Viertes Versäumnis . Das vierte Versäumnis betrifft die
Zeitpolitik . Ja, die Vereinbarkeit von Beruf und Fami-
lie ist auch eine Frage der Infrastruktur, aber nicht nur;
sie hat auch etwas mit der Kultur und der Arbeitswelt in
diesem Land zu tun, mit Möglichkeiten, die wir schaf-
fen müssen . Sie haben das angekündigt; aber Sie sitzen
das Thema aus . Wir werden nicht zulassen, dass Sie es
aussitzen, und werden Ihnen dazu konkrete Vorschläge
unterbreiten .

Fünftes Versäumnis . Zivilgesellschaftliches Engage-
ment gegen rechts ist in diesem Land immer noch unter-
finanziert. Es sind zu wenig Mittel dafür vorhanden. Ja,
richtig, wir hatten eine Mittelaufstockung . Die war rich-
tig und wichtig . Wir haben aber zeitgleich noch die Mo-
delle gegen Islamismus mit hineingepackt . Damit wurde
das Ganze de facto wieder aufgefressen . Da brauchen wir
wirklich Verbesserungsvorschläge .

Wenn man die Zeitung aufschlägt, merkt man erst,
wie wichtig diese Maßnahmen und Projekte sind . Es ver-
geht kein Tag, an dem wir – leider, leider – nicht von
rechtsextremistischen Taten in diesem Land lesen . Das
ist die Kehrseite der Debatte, auch der Debatte über die
Flüchtlinge . Es ist gut und wichtig, dass so viele Men-
schen ehrenamtlich arbeiten . Wir alle loben in unseren
Reden, dass sie aufstehen, Zivilcourage zeigen und auf
die Straße gehen . Aber wir dürfen diese Menschen nicht
alleinlassen . Wir müssen ihnen Rückendeckung geben .
Dazu gehört, dass wir im Kinder- und Jugendhilfeplan
entsprechende Maßnahmen einführen und in diesem
Haushaltsplan die Modelle gegen Rechtsextremismus
zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie stär-
ker in den Vordergrund stellen und finanziell viel stärker
abbilden, damit diese Menschen ihre Arbeit tun können
und sich nicht alleingelassen fühlen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Michael Leutert [DIE LINKE])


Dass die Mittel für den Bundesfreiwilligendienst er-
höht werden, ist ein gutes Zeichen .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Aber lassen Sie das nicht eine singuläre Maßnahme sein;
denn diese vielen Freiwilligen brauchen eine Basis für
ihre Arbeit . Diese Basis ist im Kinder- und Jugendhilfe-
plan gegeben; diesen sollten wir genauer lesen . Darüber
müssen wir noch einmal beraten .

Darauf, was mit den Frühen Hilfen passiert, bin ich
gespannt . Ich glaube, dass die Debatte über die Frühen
Hilfen noch lange nicht zu Ende ist . Vielmehr brauchen
wir dort weitere Anstrengungen . Wir werden Sie dabei
gerne konstruktiv begleiten . Im Moment kann ich leider
noch nichts erkennen .

Es gibt noch einen Punkt, der mir ein persönliches
Anliegen ist . Das ist die Aufarbeitungskommission für
sexuellen Missbrauch . Leider konnte ich im gesamten
Haushaltsplan keine finanziellen Mittel dafür identifizie-
ren . Es wurde auch nichts in irgendeinem Titel vermerkt .
Aber wir alle gemeinsam haben in diesem Haus den par-
lamentarischen Willen formuliert, eine solche Aufarbei-
tungskommission einzusetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD] und Norbert Müller Das bedeutet auch, dass wir die Mittel dafür zur Verfügung stellen müssen, und zwar rechtssicher, und dass wir den Beauftragten nicht zu einem Bittsteller werden lassen . Ich erwarte dazu ein klares Bekenntnis im Haushaltsausschuss . Frau Ministerin, wie Sie sehen, ist der Anspruch zu Recht sehr hoch . Der Anspruch ist, dass wir die Kultur in diesem Land im Sinne der Kinder, der Mütter und all der anderen Menschen, die Sie im Rahmen des Haushaltsplans vertreten, verändern . Kultur verändern braucht aber auch sehr viel Mut, manchmal auch gegenüber Ihrem Koalitionspartner. Setzen Sie sich durch! Wir finden, dass uns nichts Besseres passieren kann, als in die Zukunft der Kinder und Jugendlichen in diesem Land zu investieren . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812114500

Das Wort hat die Kollegin Petra Crone für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Crone (SPD):
Rede ID: ID1812114600

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Die
Aufstellung des Haushalts 2016 möchte ich nutzen, um
einen kleinen Blick zurückzuwerfen, keinen Blick zurück
im Zorn – keine Sorge –, sondern einen Blick zurück in
Freude; denn wir haben eine ganze Menge gemeinsam
geschafft . Die SPD hat lang ersehnte Akzente setzen kön-
nen . Mehr als das: Akzente wurden zu Gesetzen .


(Beifall bei der SPD)


Anfang März gab es einen historischen Meilenstein
für uns alle zu feiern: das Gesetz zur gleichberechtigten
Teilhabe in Führungspositionen, die Frauenquote .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Ekin Deligöz






(A) (C)



(B) (D)


Endlich ist Schluss mit dem Schneckentempo . Vorbei die
Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtung! Ich will, dass
die betroffenen Unternehmen bis zum 1 . Januar 2016 die
Quote von 30 Prozent erreichen; denn jetzt sind die Frau-
en dran . Sie werden zu Entscheiderinnen in Führungse-
tagen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Ich möchte von den Unternehmen Lösungen sehen,
wie sie die Frauen auf mehr Verantwortung im Beruf vor-
bereiten und welche Anstrengungen sie unternehmen, um
geeignete Bewerberinnen zu finden. Was ich nicht hören
will, sind Ausreden .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Ich finde auch nicht, dass wir Energien in die Idee der
sogenannten Männerzertifikate, also den Handel mit
männlichen Posten entsprechend den CO2-Verschmut-
zungsrechten, stecken sollten . Manchmal stehen Dinge
in der Zeitung! Ich weiß auch nicht so recht, ob das ernst
gemeint ist .

Mit der Frauenquote ist der Anfang gemacht . Was
fehlt? Die gleiche Entlohnung von Frauen und Männern
ohne Einschränkung!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Gleichstellung der Geschlechter wird auf dem Ar-
beitsmarkt entschieden . Deshalb werden wir noch in die-
ser Legislaturperiode ein Gesetz für Lohngerechtigkeit
beschließen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die SPD will ein Individualrecht . Arbeitnehmer sollen je-
derzeit Auskunft von Arbeitgebern über die Unterschiede
in der Bezahlung verlangen können . Wir werden auch da-
rüber sprechen, mit welchen verbindlichen Verfahren wir
Diskriminierungen bei Lohn und Gehalt beseitigen . Ich
freue mich schon auf die Verhandlungen . Es ist wichtig,
dass wir dieses Gesetz gemeinsam schaffen .


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Grund für einen Blick zurück in Freude
ist die Ausweitung der Familienpflegezeit, die zum 1. Ja-
nuar dieses Jahres in Kraft trat. Ich finde, wir haben gute
Antworten auf die Frage vieler Familien gefunden, ob
und wie sich Pflege in und mit den eigenen Lebensver-
hältnissen organisieren lässt . Aber es gilt: Das Bessere ist
der Feind des Guten . Deshalb müssen wir weitere, bes-
sere gesetzliche Schritte gehen, um Frauen und Männern
diese eh schon schwere Aufgabe auch im Einklang mit
ihrer Erwerbstätigkeit zu erleichtern . Deshalb danke ich
Ihnen, liebe Ministerin Manuela Schwesig und Ihrem
Haus, für die Vorschläge zum Haushalt . Wir müssen die
Möglichkeiten der Familienpflegezeit offensiver bewer-
ben und bekannter machen . Hilfreich werden die Erhö-
hungen der Mittel für Darlehen im Haushalt 2016 und die
Einsetzung eines Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege
und Beruf sein .

Wenn sich Frauen und Männer entscheiden, die schwe-
re Aufgabe der Pflege als Beruf auszuüben, brauchen sie
von uns umso mehr die bestmögliche Unterstützung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn wir alle, unsere ganze Gesellschaft, brauchen Pfle-
gerinnen und Pfleger, die den Menschen mit Körper,
Geist und Seele im Blick haben, zum Beispiel auch die
Vorstellungen und Bedürfnisse älterer Menschen aus an-
deren Kulturen . So wünschen wir uns auch mehr profes-
sionelle Pflegende mit Migrationshintergrund. Durch die
Reform der Pflegeberufe wollen wir die Attraktivität der
Ausbildung verbessern, die Mobilität zwischen den ver-
schiedenen Pflegeberufen steigern und dadurch die Aus-
bildungsqualität erhöhen .

Als Seniorenpolitikerin freue ich mich natürlich be-
sonders – das ist schon ein paarmal angeklungen –, dass
für das „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ ab
2016 Mittel in Höhe von 14 Millionen Euro zur Verfü-
gung stehen . Die Arbeit der 450 Häuser ist unverzichtbar
geworden, gerade in diesen Tagen . In mehr als 213 Häu-
sern gab es über 900 Angebote für Flüchtlinge .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist der beeindruckende Stand von vor Monaten, also
bevor die vielen Menschen Deutschland erreichten . Stel-
len Sie sich dieses beeindruckende Engagement heute
vor! Die gemeinsame Arbeit für und mit Flüchtlingen ist
häufig auch eine Arbeit von Seniorinnen und Senioren,
und ihnen möchte ich heute ganz ausdrücklich ein herz-
liches Dankeschön sagen für ihre Tatkraft, ihre Herzens-
wärme und ihre Zeit .


(Beifall im ganzen Hause)


Endlich kann ich jetzt etwas von dem zurückgeben,
was ich selbst als junge Frau erfahren durfte, näm-
lich offene Arme und helfende Hände .

Das sind die Worte einer 81-jährigen Frau, die in einem
Mehrgenerationenhaus anpackt .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812114700

Der Kollege Norbert Müller hat für die Fraktion Die

Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812114800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Werte Frau Bundesministerin Schwesig! Liebe
Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Frau
Schwesig, Sie wissen, im familienpolitischen Bereich
hätten Sie eine große Einigkeit in diesem Haus, weil viele
Ihrer Vorschläge, die wir über die Medien nachvollziehen
können, auf Zustimmung bei SPD, Grünen und Linken

Petra Crone






(A) (C)



(B) (D)


stoßen . Sie suchen diese Einigkeit nicht . Nichtsdestotrotz
hätte ich beim vorliegenden Haushalt erwartet, dass sich
zumindest die Handschrift der Sozialdemokraten etwas
deutlicher kenntlich macht, als wir das in der gegenwär-
tigen Vorlage nachvollziehen können .


(Ulli Nissen [SPD]: Das sehen Sie aber völlig falsch!)


– Ich werde Ihnen das auch belegen .

Ich kann nicht nachvollziehen, dass es in den großen
Blöcken in diesem Haushalt, über die wir in den letzten
Monaten – Stichwort „Kinderarmut“ – geredet haben,
in irgendeiner Form nennenswerte Bewegungen gege-
ben hätte . Aber Sie stärken zur Gesichtswahrung der
SPD vielfach präsentierte Vorhaben, die ich jetzt einmal
Schaufensterprojekte nenne, auch wenn sie das eine oder
andere Gute enthalten, mit relativ kleinen Summen . Auf
aktuelle Entwicklungen, die uns begegnen, gehen Sie im
Haushalt relativ wenig oder gar nicht ein . Ich will Ihnen
das an drei Beispielen belegen .

Erster Punkt . Zu den jungen Flüchtlingen hat mein
Kollege Leutert schon einiges gesagt . Der uns inzwischen
vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Umverteilung
der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge – wir kom-
men in der nächsten Sitzungswoche dazu – enttäuscht . Er
enttäuscht in Bezug auf den Haushalt in einem zentralen
Punkt, nämlich in dem Punkt der Finanzierung durch den
Bund . Es geht in der gegenwärtigen Situation überhaupt
nicht, hier null Euro einzustellen und zu erwarten, dass
die bundesweite Umverteilung der vielen jungen Men-
schen funktioniert . Ich kann Ihnen sagen: Wenn jeder sy-
rische Flüchtling, der gerade in Eisenhüttenstadt, in der
Erstaufnahmeeinrichtung von Brandenburg, ankommt,
1998 geboren ist, dann wissen wir, was auf die Kinder-
und Jugendhilfe gegenwärtig zukommt . Wenn der Bund
die Länder und Kommunen bei der bundesweiten Um-
verteilung völlig alleinlässt, dann funktioniert das nicht .
Wir brauchen einen Einstieg des Bundes in die Finanzie-
rung, um Unterbringung und Integration zu ermöglichen
bzw . zu verbessern .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn die Jugendmigrationsdienste ausgebaut werden,
ändert das auch nichts . Die 7 Millionen Euro sind gut
angelegt, aber das kompensiert natürlich nicht die an-
deren Probleme . Auch das Programm „Willkommen bei
Freunden“ ist gut, so wie es ist, aber es hilft nichts in
der zentralen Frage der Unterbringung und der Integrati-
onsmaßnahmen . Das bleibt an Ländern und Kommunen
hängen, gerade bei den jungen Flüchtlingen, bei den un-
begleiteten minderjährigen Flüchtlingen .

Wir kennen die schwierige Lage der Kinder- und Ju-
gendhilfe in den Kommunen und wissen auch, dass die
chronische Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktur
sich dort gegenwärtig rächt . Der Bund ist gefragt, und er
drückt sich an der Stelle .

Dann kommt der Hammer . Wie Sie die 10 000 Stel-
len beim Bundesfreiwilligendienst hier ein Stück weit
abgefeiert haben, kann ich nicht nachvollziehen . Das
Engagement der Menschen, das wir im Fernsehen gese-
hen haben, darf nicht ausgenutzt werden, um die in den

letzten Jahren weggesparte soziale Infrastruktur – sie
fehlt uns jetzt – zu ersetzen . Wenn man die Zustände vor
dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin
und auch vor diversen Erstaufnahmeeinrichtungen in den
Ländern sieht, dann kann man das nur als Staatsversagen
bezeichnen . Wir sehen dort: Soziale Infrastruktur fehlt
völlig. Häufig sind die Kommunen und Länder mit dem,
was passiert, völlig überfordert, weil man in den letzten
Jahren der Ideologie des schlanken Staates gefolgt ist,
weil die Kinder- und Jugendhilfe nicht ausfinanziert ist,
weil die Ämter nicht ordentlich ausfinanziert sind, weil
Sozialarbeiter fehlen etc . pp . Die öffentliche Daseinsvor-
sorge hat sich an vielen Stellen rar gemacht . Das können
wir nicht ausschließlich mit Freiwilligen kompensieren,
die ein Taschengeld dafür bekommen . Wir brauchen eine
Stärkung des Sozialstaats, um den gegenwärtigen Her-
ausforderungen wieder gewachsen zu sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweiter Punkt . Das Mindestelterngeld wurde seit
2007 nicht erhöht . Das geht überhaupt nicht . Das Min-
destelterngeld beträgt 300 Euro . Zur Kaufkraft: Die
300 Euro bei der Einführung 2007 entsprechen heute
noch etwa 270 Euro . Wir wissen, dass etwa jeder drit-
te Elterngeldempfänger Mindestelterngeld bezieht . Eine
Erhöhung auf 334 Euro wäre schon 2014 nötig und auch
angebracht gewesen . Sie ist 2014 nicht geschehen . Sie ist
2015 nicht geschehen . Sie ist auch in diesem Haushalt für
2016 nicht vorgesehen . Auf eine Anfrage meines Frakti-
onskollegen Jörn Wunderlich hat Ihr Haus geantwortet,
dass Sie dies auch perspektivisch nicht vorsehen . Sie ha-
ben gleichzeitig formuliert – das finde ich dann schon
etwas dreist; ich zitiere –: Dauerhaft kann die finanzielle
Grundlage einer Familie doch nur durch eigene Erwerbs-
tätigkeit gesichert werden. – Das Elterngeld finanziert
nicht dauerhaft, sondern, wie Sie wissen, für maximal
14 Monate . Diejenigen, die das betrifft, dieses eine Drit-
tel der Elterngeldbezieherinnen und bezieher, die Minde-
stelterngeld bekommen, sind – auch das wissen wir – zu
90 Prozent Frauen . Für ein Bundesfrauenministerium ist
es überhaupt nicht in Ordnung, an der Stelle zu sagen:
Wir haben nicht vor, das anzuheben . – Dann nehmen Sie
wenigstens den Ausgleich des Wertverfalls der letzten
Jahre vor, damit die Leute zumindest das haben, was man
2007 bekommen hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre auch eine Maßnahme gegen Kinderarmut, weil
Mindestelterngeld häufig an Familien gezahlt wird, de-
nen es finanziell ohnehin am schlechtesten geht.

Dritter Punkt . Frau Bundesministerin Schwesig, wir
unterstützen Ihr Bemühen – das haben Sie auch von den
Grünen gehört; auch dafür hätten Sie eine parlamentari-
sche Mehrheit –, die Betreuungsgeldmilliarde in Ihrem
Haushalt zu belassen . Ich glaube, Sie hätten dafür sogar
eine Mehrheit im Bundesrat . Auch das ist gar kein Prob-
lem . Wir würden die Mittel gern im Einzelplan 17 sichern
und für das einsetzen, wofür sie immer hätten eingesetzt
werden sollen, nämlich für den Ausbau von Kitas, für die
Kitaqualität und für eine gute frühkindliche Bildung .


(Beifall bei der LINKEN)


Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


In dem Punkt sind wir uns völlig einig . Wir wollen, dass
das Geld hier verbleibt .

Wenn es nach uns Linken gehen würde, wenn Sie hier
eine rot-rot-grüne Mehrheit nutzen würden, dann wür-
den wir ein Kitaqualitätsgesetz einbringen . Die Milliarde
wäre eine gute Startfinanzierung, um zum Beispiel Qua-
lität, Kitaausbau, Beitragsfreiheit oder auch so etwas wie
ein kostenfreies Mittagessen zu sichern und hier die Län-
der und Kommunen besser zu unterstützen . Da das nicht
so ist und Sie auch diese Vorschläge wieder ablehnen
werden, mache ich Ihnen einen anderen Vorschlag, der
vielleicht auch für die Union interessant ist und auf den
man sich im ganzen Haus verständigen könnte: Sie ha-
ben viel zur Integration gesagt . Es ist richtig: Wir wollen
syrische Flüchtlingsfamilien, die jetzt zu uns kommen,
integrieren . Es sind ja nicht nur junge Männer, die kom-
men. Es kommen sehr häufig Familien mit Kindern. „In-
tegration“ heißt hier, Kitaplätze zur Verfügung zu stellen .

Lassen Sie uns doch die erste freiwerdende Tranche
des Betreuungsgeldes nehmen, das im nächsten Jahr
nicht mehr ausgezahlt werden wird – das werden einige
100 Millionen Euro sein –, um die Kommunen dabei zu
unterstützen, für jedes Flüchtlingskind, soweit die Eltern
es wünschen, einen kostenlosen Kitaplatz zur Verfügung
zu stellen . Das wäre eine Integrationsmaßnahme . Die
für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel wären hier
gut angelegt . Vielleicht kann sich die Union diesem Vor-
schlag anschließen . Sie haben viel von Integration gere-
det . Das wäre eine tolle Maßnahme . Das könnten wir im
Haus wahrscheinlich sogar einstimmig beschließen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812114900

Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1812115000

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber Herr Müller,

ich glaube, das wird schwierig mit uns beiden . Meine
Begeisterung für diesen Vorschlag hält sich durchaus in
Grenzen .


(Ulli Nissen [SPD]: Das ist aber schade!)


Ich glaube, wir sollten wieder zu den wesentlichen Punk-
ten des Haushalts kommen . In diesem Zusammenhang
sind heute drei klare Botschaften gesetzt worden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die erste Botschaft ist, dass es uns wie im Bundes-
haushalt 2015 auch im Bundeshaushalt 2016 gelingt, kei-
ne neuen Schulden aufzunehmen . Nun kann man sagen:
Das ist eine allgemeinpolitisch wichtige Erkenntnis . –
Das ist aber besonders wichtig für Kinder und Familien;
denn damit schaffen wir es, den Familien, den Kindern
und Enkelkindern keine neuen Schuldenberge zu hinter-
lassen . Auch das ist ein Teil von Familienpolitik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die zweite Botschaft ist – die Frau Ministerin hat es
schon angesprochen –: Wenn man die Haushaltsdebat-
ten verfolgt, stellt man fest, dass es zwei Bereiche gibt,
in denen seit 2005 ein enormer Aufwuchs zu verzeich-
nen ist . Daran zeigt sich auch die Politik der Union der
letzten Jahre . Das eine ist der Bereich Bildung und For-
schung . Ich glaube, alle von uns stimmen darin überein,
dass Bildung und Forschung ein Zukunftsthema ist . Das
andere ist der Bereich Familie, wo die Ausgaben von
4,5 auf 9,2 Milliarden Euro gestiegen sind und der Etat
damit mittlerweile verdoppelt wurde . Wir investieren in
Bildung und Forschung und in Familien . Das ist gut an-
gelegtes Geld .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die dritte Botschaft ist: Wir reden in diesem Zusam-
menhang nicht nur über die 9,2 Milliarden Euro, die wir
ausgeben, sondern auch über weitere Leistungen, die
mit familienbezogenen Maßnahmen in Verbindung ste-
hen . Das betrifft zum Beispiel das Kindergeld mit rund
40 Milliarden Euro . Es werden also aus dem Gesamt-
haushalt zusätzliche Leistungen für Familien bereitge-
stellt .

Das Betreuungsgeld – ich sage das, weil es angespro-
chen wurde – war ebenfalls eine Leistung, die nicht aus
dem Familienetat finanziert wurde nach dem Motto „Wir
nehmen das Geld und schauen einmal, ob wir jetzt ein
Betreuungsgeld implementieren“ . Es war auch nicht so,
dass das Geld bereitgestellt wurde nach dem Motto „Ihr
könnt einmal schauen, wo ihr es investiert“ . Alle Ressorts
haben aus ihren Einzelhaushalten Geld für das Betreu-
ungsgeld bereitgestellt . Jetzt muss klug überlegt werden:
„Was passiert jetzt?“; da stimme ich Ihnen vollkommen
zu . Die Ministerin hat gesagt: Man muss sich Gedanken
machen . – Man muss sich aber nicht nur Gedanken da-
rüber machen, wie man das Geld ausgibt, sondern auch
darüber, wie man damit umgeht, dass eine für die Fami-
lien wichtige Leistung nicht mehr existiert . Denn die An-
nahme des Betreuungsgeldes war ein Beweis dafür, dass
es eine richtige Entscheidung war, es zu implementieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Verfassungsgericht hat das Betreuungsgeld gekippt;
das ist aufgrund der Kompetenzzuweisung so . Wir wären
in der Großen Koalition aber sicherlich klug beraten, zu
überlegen, wie wir in Bezug auf die Familien, für die es
vorgesehen war und die ein Modell für ihre Betreuung
entwickelt haben, damit umgehen .

Eine Haushaltsdebatte bietet ja immer die Möglich-
keit, auch noch einmal allgemein auf Grundlagen der Fa-
milienpolitik einzugehen: Wie können wir Familien stär-
ken? Wie können wir Kindern und Jugendlichen, Frauen
und Männern gleichermaßen gesellschaftliche Teilhabe
und Selbstständigkeit ermöglichen? Wie können wir Fa-
milien in ihrer Entwicklung Entfaltungsmöglichkeiten
geben? – Wenn ich über die Grundlinien unserer Fami-
lienpolitik spreche, dann ist einiges in den letzten Jahren
erkennbar geworden .

Wir erkennen die Vielfalt der Familien an, ohne sie zu
bewerten . Wir sagen: Wir wollen den Familien nicht vor-
schreiben, wie sie zu leben haben . Wir wollen ihnen nicht

Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


vorschreiben, wie sie, wo sie und wann sie ihre Kinder
betreuen sollen . Vielmehr haben wir Vertrauen in die Fa-
milien, dass sie für sich entscheiden, wie sie ihr Leben
entwickeln . Wir wollen Familienleistungen aber auch in
ihrer jeweiligen Wirkung überprüfen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist
sehr zentral . Deswegen haben wir einen Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz entwickelt . Aber es gibt auch Famili-
en, die ein anderes Modell entwickelt haben . Ich glaube,
dass der Staat dies nicht durch einseitige Maßnahmen
oder die einseitige Unterstützung von familienpoliti-
schen Modellen bewerten sollte, sondern dass der Staat
allen Familien entsprechend ihren Vorstellungen Unter-
stützung zukommen lassen sollte .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich überlegen wir: Wie entwickelt sich die Ge-
burtenrate? Warum steigen die Ausgaben für das Eltern-
geld? Die Antwort ist: Weil es zwei Folgewirkungen gibt .
Eine Wirkung ist: Es gibt mehr Geburten, und das haben
wir ja alle gewollt . Das war Ziel der Politik in den Jahren
2005 bis 2010 .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD])


Es ist gut, dass es pro Jahr 30 000 Geburten mehr gibt .
Die andere Wirkung war – das war auch immer unsere
Leitlinie –, dass wir es hinbekommen haben, dass insbe-
sondere mehr Väter Zeit für Familie haben . Auch das ist
ein gutes Ergebnis .


(Beifall des Abg . Sönke Rix [SPD])


Deswegen sagen wir ganz klar: Dieses Elterngeld ist ein
Erfolgsmodell . Deshalb wird es auch keine Kürzungen
beim Elterngeld geben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD])


Liebe Frau Brantner, ich glaube, auch in diesem Punkt
könnten wir möglicherweise einmal auf eine Linie kom-
men .


(Ulli Nissen [SPD]: Oh!)


Die Frage ist für uns nicht nur die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf . Wir wollen Familie nicht ökonomi-
sieren. Wir wollen nicht die ökonomische Effizienz von
Familie betrachten, sondern wir wollen mit unserer Po-
litik eine Arbeitswelt entwickeln, die familiengerecht
ist, und keine Familie, die arbeitsgerecht ist . Das ist ein
entscheidender Punkt bei der Gestaltung von Familien-
politik . Dabei nehmen wir die Wünsche und veränderten
Bedingungen der Familien wahr .

Ich will noch zu einzelnen Punkten des Einzelplans 17
kommen . Es ist im Übrigen nicht nur eine Debatte dar-
über, wie man mit Geld umgeht und was man mit Geld
bewirkt . Wir haben zu Recht viel über das Engagement
von Menschen in ehrenamtlichen Tätigkeiten gespro-
chen . Es ist auch eine Frage der Familienpolitik: Wo sind
eigentlich die Bereiche Anerkennung und Wertschätzung
von Familie? Die Anerkennung der Familie muss nicht

immer nur in Geld und Euro ausgezahlt werden, sondern
muss sich in einem kulturellen Wandel der Gesellschaft
widerspiegeln .

In Berlin gibt es gerade den Fall der sogenannten
Spielstraße . Eine Straße wurde einmal in der Woche ge-
sperrt, damit Kinder spielen konnten . Das wurde vom
Gericht untersagt . Jetzt kann man eine Straße nur noch
sperren, wenn ein Event stattfinden soll. Dann kann man
also die Straße sperren . Hier stellt sich die Frage: In wel-
cher Kultur leben wir eigentlich, wenn man es spielenden
Kindern untersagt, in dieser Straße zu spielen, aber wenn
man ein Event dort veranstaltet, ist es erlaubt? Ich glau-
be, wir müssen im kulturellen Wandel im Umgang mit
Kindern und Familien einiges tun .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell . Mittlerweile
sind es 5,8 Milliarden Euro . Das sind 700 Millionen Euro
mehr als 2013 . Rund 835 000 Eltern haben dieses Eltern-
geld mittlerweile bezogen, davon sind 12 Prozent Väter .
Wir sind froh, dass es bei den Vätern angekommen ist,
dass dieses Erfolgsmodell dafür sorgt, dass sie Erwerbs-
tätigkeit und Familienzeit besser kombinieren können .
Das war die eine Sichtweise, diese Mittel für Familien
bereitzustellen .

Die andere Sichtweise war, mit dem Rechtsanspruch
auf den Kitaplatz eine Verbesserung der wichtigen früh-
kindlichen Bildung zu erreichen und die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf besser zu gestalten; auch unter
dem Gesichtspunkt Armutsrisiko, weil dadurch die Mög-
lichkeit entsteht, mit dem Erwerbseinkommen den ei-
genen Lebensunterhalt zu verdienen . Auch hier hat der
Bund in den letzten Jahren geliefert und 5,4 Milliarden
Euro zusätzlich bereitgestellt . Das Sondervermögen Kin-
derbetreuungsausbau wird 2016 mit 230 Millionen Euro
veranschlagt . Für 320 Millionen Euro ist im Finanzplan
Vorsorge getroffen .

Dann stellt sich die Frage, was wir den Kommunen
und Ländern noch gerne zur Verfügung stellen . Ich will
das nur noch einmal erwähnen . Wir geben fast 1 Milliar-
de Euro für die Finanzierung der Betriebskosten von Kin-
dertagesstätten aus . Da kann man kann sagen: Ja, selbst-
verständlich . Das ist doch eine nationale Aufgabe . – Ich
will nur daran erinnern: Wir haben ein föderales System .
Es ist nicht so, dass es originäre Aufgabe des Bundes ist,
hier zu investieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Sie wollten in die Zukunft investieren! – Norbert Müller widersprechen Sie sich aber!)


Wir machen das, weil wir zwei Dinge erkennen . Wir er-
kennen, dass Länder und Kommunen momentan in einer
schwierigen Situation sind – Klammer auf: wobei auch
der Bund in keiner anderen Situation ist . Wenn wir über
Steuereinnahmen sprechen, dann muss man darauf ver-

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


weisen, dass auch Länder und Kommunen von den er-
höhten Steuereinnahmen profitieren.


(Norbert Müller Weil der Bund einen Rechtsanspruch erlassen hat, deswegen!)


Aber wir machen das, weil es wichtig war und weil es
ein deutliches Signal ist . Es wäre nur jetzt falsch, daraus
zu schließen, dass es auch eine Zukunftsaufgabe ist, an-
dere Bereiche zu übernehmen . Ich will und wir werden
auch nicht darüber diskutieren, dass wir die Lehrergehäl-
ter zum Teil übernehmen . Das sind die Wolken, die Sie
vorhin sehr exemplarisch hin- und hergeschoben haben,


(Norbert Müller Über Lehrergehälter haben wir nicht geredet!)


was man noch alles finanzieren könnte und was man
noch tun könnte . Nein, es gilt der Grundsatz: Wir geben
zu Recht viel Geld für Familien aus, gut angelegtes Geld .
Aber das Geld muss erwirtschaftet werden . Es muss
Menschen in diesem Land geben, die das tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen sehr sorgsam damit umgehen und in der
Haushaltsdebatte nicht nur einen Sechs-Punkte-Plan ma-
chen oder sonst was, Frau Kollegin von den Grünen, wo
man noch etwas zu fordern hat .


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser einen Sechs-Punkte-Plan als gar keine Ahnung!)


Noch einmal: Wir investieren in diesem Bereich zu
Recht, aber bitte sehr sorgsam und sehr gezielt . Von uns
wurden schon wichtige Themen angesprochen: Sprache,
Integration, „Frühe Chancen“ . Dies wurde verstetigt . Wir
haben weiterhin Maßnahmen im Bereich der Integrati-
on von Sprachförderung über das Programm „Schwer-
punkt-Kitas Sprache & Integration“ . Des Weiteren stel-
len wir 100 Millionen Euro für den Bereich „KitaPlus“
zur Verfügung, wo man einer gesellschaftlich veränder-
ten Bedingung nachkommt, indem man sagt: Mehr und
mehr Familien, gerade auch Alleinerziehende, brauchen,
wenn sie im Schichtdienst sind, wenn sie am Wochenen-
de arbeiten müssen, möglicherweise temporär, punktuell
eine längere Betreuung. Ich finde es wichtig, dass man
sagt: Dafür machen wir ein Angebot . Wir stellen Kitas
Mittel zur Verfügung, wenn sie ein Konzept einreichen,
dass man das Kind auch nach 18 Uhr betreuen kann, was
die Ausnahme bleibt .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn wir wollen nicht, dass Kinder regelhaft 24 Stunden
durchgängig in der Kita sind . Das würde unserem Fami-
lienmodell widersprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber wir wollen eine Flexibilisierung erreichen . Wir wol-
len, dass für eine alleinerziehende Mutter, wenn sie ein-
mal bis 20 Uhr arbeiten muss, die Möglichkeit gegeben
ist, ihr Kind betreuen zu lassen . Die Mittel dafür – das
wurde schon angesprochen – sind nicht im Einzelplan 17
verankert, sondern an anderer Stelle .

Das Thema Armutsrisiko wurde angesprochen . Ich
will daran erinnern: Der Entlastungsbetrag für Alleiner-
ziehende wurde rückwirkend zum 1 . Januar dieses Jahres
von 1 308 Euro auf 1 908 Euro erhöht . Sehr spät – man
könnte fast sagen: zu spät –, aber wir haben es gemacht .
Das war, glaube ich, ein wichtiges Signal dafür, dass wir
uns intensiv Gedanken machen, wie wir gerade für Al-
leinerziehende mehr tun können .

Die steuerlichen Kinderfreibeträge wurden rückwir-
kend erhöht . Wir haben das Kindergeld erhöht . Auch hier
gilt wie immer: Es wäre mehr denkbar, 10 oder 20 Euro .
Weil 1 Euro Kindergelderhöhung rund 180 Millionen
Euro ausmacht, muss man einfach sagen: Wir tun viel,
aber man muss auch genau überlegen, was man darüber
hinaus noch tun kann .

Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu einem
Thema, das in den nächsten Jahre eine große Rolle spie-
len wird, nämlich der Welle von Flüchtlingen, die nach
Deutschland kommen . Diese Gesellschaft wird sich ver-
ändern . Integration bedeutet nicht nur, dass ein paar hin-
zukommen . Vielmehr heißt Integration, dass sich die Ge-
sellschaft fortlaufend verändert . Die Familienpolitik wird
das besonders berühren . Denn es kommen Kinder, kleine
Kinder nach Deutschland, die vernünftig betreut werden
müssen . Es kommen Jugendliche, teilweise traumatisiert,
mit großen Problemen, um die wir uns kümmern müssen .
Es kommen junge Familien, teilweise aus Kriegsgebie-
ten, ebenfalls traumatisiert, wo wir sehen müssen: Wie
finden sie Arbeit? Wie finden sie Wohnraum? Wie finden
sie vor allen Dingen Anschluss an diese Gesellschaft?

Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht:
bei den Gastarbeitern, bei den Aussiedlern, Anfang der
90er-Jahre auch im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg
in Bosnien-Herzegowina . Aus diesen Fehlern sollten wir
lernen . Integration von Anfang an, so früh wie möglich,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


so zielgenau wie möglich und so bedarfsorientiert wie
möglich . Die Entscheidung der Koalition, im ersten
Schritt 6 Milliarden Euro bereitzustellen, ist ein guter
Beschluss . Unter familienpolitischen Gesichtspunkten
ist nicht nur entscheidend, wo das Geld herkommt . Ich
erwarte, wie wahrscheinlich auch die Kolleginnen und
Kollegen, dass wir von den Kommunen und Ländern ge-
nau erfahren, was sie planen, was mit den Kindern pas-
sieren soll, die zusätzlich in die Krippe, in die Kita kom-
men . Denn die Integration wird nur dann gelingen, wenn
die Menschen, die sich jetzt zu Recht engagiert einbrin-
gen und die Situation als Chance für unsere Gesellschaft
sehen, erkennen, dass die Politik in dieser Phase handelt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt für uns, wir müssen schauen, wie wir diese gro-
ße Aufgabe bewältigen können . Wir müssen diese Her-
ausforderung als Chance begreifen . Das muss unser aller
Ziel sein . Insoweit haben wir in Bezug auf die nächsten
Monate hohe Ansprüche .

Letzter Satz: Dieser Haushalt hat es wieder bewiesen:
Die Große Koalition ist nicht nur handlungsfähig, son-

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


dern auch, was das richtige Investieren an der richtigen
Stelle angeht, gut aufgestellt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812115100

Das Wort hat die Kollegin Dr . Franziska Brantner für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da-
men und Herren! Frau Schwesig und Herr Schäuble im
Clinch – irgendwie ist das ein Déjà-vu . Beim letzten Mal
ging es um die Erhöhung des Freibetrags für die Alleiner-
ziehenden, jetzt geht es um die Milliarde für das Betreu-
ungsgeld . Herr Schäuble und wahrscheinlich auch Sie,
Herr Spahn, wollen das Geld lieber für die Haushaltssa-
nierung nutzen .


(Nadine Schön Nein! Das ist völlig falsch! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist eine bloße Vermutung der Grünen!)


Das ist auch gut nachvollziehbar, wenn ein Finanzmi-
nister das möchte . Ihre Aufgabe, Frau Schwesig, ist es,
dafür zu sorgen, dass das Geld in Ihrem Haushalt bleibt,
bei den Kindern und den Familien . Daran werden wir Sie
messen, aber Sie darin auch unterstützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Schäuble, Sie haben hier argumentiert, die Milli-
arde würde doch auch ins Elterngeld fließen.


(Nadine Schön Das ist noch alles nicht klar!)


Auch das ist eine für einen Finanzminister und für Sie,
Herr Spahn, nachvollziehbare Verhandlungsposition;
denn Sie müssen darauf achten, dass das Geld zusam-
menbleibt .

Aber die zusätzlichen Kosten für das Elterngeld wa-
ren absehbar . Wenn wir Gesetze ändern und zusätzliche
Elternmonate vorsehen, dann wird das eben teurer . Und
wenn mehr Väter das Elterngeld in Anspruch nehmen,
wie wir es ja wollen, dann wird es aufgrund der Lohn-
ungleichheit, die wir in Deutschland haben, noch teurer .
Wir haben das gemeinsam gesetzlich geregelt – wir ha-
ben da zugestimmt –, und es war klar, dass dadurch zu-
sätzliche Kosten entstehen .

Woher soll also das zusätzliche Geld kommen? Wir
alle wissen: Wenn es einen Mehrbedarf gibt, der auf ge-
setzlicher Grundlage entsteht – und das ist hier der Fall –,
dann ist es Verhandlungssache, woher das Geld kommt .
Es muss nicht automatisch aus dem Familienhaushalt
kommen . Das ist Ihr zweiter Verhandlungsauftrag, Frau
Schwesig: dass das Betreuungsgeld dafür nicht genutzt
wird, sondern in die Kitas geht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Schwesig, ich habe Ihnen vorhin sehr gut zuge-
hört, als Sie gesagt haben, was wir jetzt mit dem Betreu-
ungsgeld machen . Für mich hörte sich das sehr danach
an: Es soll halt bei den Familien bleiben . – Sie hatten in
Ihren ersten Pressestatements immer sehr klar gesagt, das
Geld gehe in die Kitas . Ich hoffe und zähle wirklich auf
Sie, dass es dabei auch bleibt;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn dort sind die Bedarfe . Wir wissen: Es fehlen allein
heute schon 185 000 Plätze für unsere Ein- und Zwei-
jährigen, und wir brauchen eine bessere Relation bei den
Erzieherinnen, wir brauchen mehr Erzieherinnen für die
Kinder .

Es wurde häufig schon erwähnt: Unter den Flüchtlin-
gen, die heute zu uns kommen und die wir integrieren
werden, sind sehr viele Kinder . Vor allem unter denje-
nigen, die bleiben werden, sind sehr viele Kinder . Die
Schätzungen belaufen sich auf 300 000 bis 400 000 . Die-
se Kinder müssen wir bei uns in jedem Fall so schnell
wie möglich in die Kitas integrieren und ihnen durch die
deutsche Sprache einen Weg ermöglichen, anzukommen .
Das müssen wir doch jetzt finanziell vorbereiten und
nicht erst wieder, wenn die Kommunen sich beschweren
und zu Recht sagen: Wir schaffen das nicht allein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Von daher – Frau Schwesig, Sie haben es gesagt –
nicht unterscheiden zwischen unseren Kindern und den
Flüchtlingen . Wenn Sie jetzt in die Kitas, in die Sprach-
förderung dort und in mehr Plätze investieren, dann ist
dies die beste Voraussetzung dafür, dass die Gesellschaft
das gut stemmt, und das ist, so glaube ich, in unser aller
Interesse .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Schwesig, es wurde vorhin schon von Kollegen,
auch von meiner Kollegin, angesprochen: Kinderarmut
ist ein Thema, das wirklich gar nicht vorkommt . Leider .
Wir wissen, dass 40 Prozent der Alleinerziehenden im
ALG-II-Bezug leben . Es ist für dieses reiche Land echt
ein Armutszeugnis, dass es gerade die Alleinerziehenden
trifft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie erhöhen zwar den Freibetrag, aber der hilft gerade
denjenigen in diesem Bereich nicht . Der Unterhaltsvor-
schuss wird zwar leicht erhöht, aber nicht reformiert . Ich
finde, das sind die Stellschrauben, an die Sie heranmüs-
sen, Frau Schwesig und liebe CDU . Das können Sie nicht
einfach übergehen . Wir wissen, dass das nicht haltbar ist,
und ich wünsche mir, dass sich zumindest im nächsten
Haushalt widerspiegelt, dass die krasse Schieflage, die
wir hier in Deutschland haben, angegangen wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein letzter Punkt, von dem ich mir wirklich wün-
sche, dass wir den zusammen angehen: In dem Koali-

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


tionsvorschlag vom Wochenende ist vorgesehen, dass
der Aufenthalt der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeein-
richtungen auf bis zu sechs Monate verlängert werden
kann . Man kann dazu stehen, wie man will, aber wenn
man das macht, dann müssen die Bedingungen vor Ort
so sein, dass es für Kinder irgendwie ertragbar ist . Das ist
es momentan nicht . Da hilft Ihr Programm, das die Kom-
munen berät, nicht, auch wenn es richtig ist . Das wird
nicht ausreichen . Man wird Gelder brauchen, damit man
vor Ort Spielzimmer und Betreuung hat und alles, was
es braucht . Das ging jetzt im Sommer irgendwie, weil
die Kinder draußen auf dem Bolzplatz waren . Jetzt aber
kommt der Winter, und sie sind sechs Monate lang dort,
und die Schulpflicht wird nicht einmal eingehalten.


(Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Das ist Ländersache!)


Ich finde, das ist eine tickende Zeitbombe. Das können
wir uns gar nicht leisten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier müssen wir jetzt wirklich gemeinsam investie-
ren, und ich hoffe, dass wir das vielleicht in den Haus-
haltsverhandlungen noch hinbekommen . Ich glaube, es
ist in unser aller Interesse, dass die Kinder nicht erst nach
sechs Monaten anfangen, Deutsch zu lernen, sondern
dass sie dort ein Angebot haben . Lassen Sie uns das ge-
meinsam angehen, ich bitte Sie darum .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812115200

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ulrike

Gottschalck das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1812115300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Unsere
Kanzlerin hat in der gestrigen Generaldebatte sehr pro-
minent zu Beginn ihrer Rede betont, dass die Integration
für sie und die Regierungsparteien allerhöchste Priorität
hat . Das ist gut so; denn es stimmt: Wenn wir die vielen
Menschen, die jetzt zu uns kommen und die in höchster
Not flüchten, nicht gut integrieren, wird uns das volks-
wirtschaftlich teuer zu stehen kommen .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Abgesehen von der humanitären Verpflichtung, die
wir haben, werden wir von dem, was wir jetzt in Teilhabe,
in Integration investieren, in einigen Jahren profitieren,
aber nur, wenn wir es gut machen . Da darf man nicht nur
Klein-Klein machen und mit rein monetärer Ausrichtung
von einem Haushaltsjahr zum anderen schauen . Denn es
braucht auch volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen,
um zu erkennen, was für uns in der Zukunft gut ist .

Unser Einzelplan 17, meine sehr geehrten Damen
und Herren, bietet sich für Integration geradezu an . Ich
halte es für eine hervorragende Idee unserer Ministerin

Manuela Schwesig – in Absprache mit Volker Kauder –,
verstärkt den Bundesfreiwilligendienst für die Flücht-
lingshilfe zu nutzen . Denn das ist ein zusätzliches ehren-
amtliches Engagement, und es wird denjenigen helfen,
die im Moment schon vor Ort eine unendlich wichtige
Arbeit machen . Das fängt bei den privaten Spendern an,
die mit Teddybären, Windeln oder was auch immer auf-
tauchen und helfen wollen, geht über die engagierten Pa-
ten, die sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
kümmern, bis hin zu unseren professionellen Rettungs-
organisationen, ohne die wir komplett aufgeschmissen
wären . Wenn sie jetzt durch zusätzliches ehrenamtliches
Engagement Unterstützung erhalten, dann ist das einfach
nur toll .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bereits mit dem Nachtragshaushalt 2015 haben wir im
Kinder- und Jugendplan wegen der Flüchtlingsproble-
matik 8 Millionen Euro für die Jugendmigrationsdienste
und 4 Millionen Euro für die C1-Sprachkurse aufgesat-
telt, gemeinsam mit den Kollegen der Union . Insofern
gibt es dort nun keine Kürzung, Michael Leutert; es sind
die 12 Millionen Euro, die wir im Nachtrag aufgesattelt
haben . Wir wollen sie wieder bereitstellen, aber es sollen
erst mal die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels abgewartet
werden .

Im Hinblick auf den Flüchtlingsgipfel erinnere ich
gerne daran, dass es auch eine Verantwortung der Länder
gibt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben jetzt gute Vorleistungen erbracht, aber auch
die Länder müssen gerade in den Bereichen der Integrati-
on und der frühkindlichen Bildung ordentlich etwas tun .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich muss
meine Rede ein bisschen kürzen, weil die von Manuela
ein bisschen länger war . Es war trotzdem eine sehr gute
Rede unserer Ministerin .


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich denke, wir müssen ein großes Augenmerk auf die un-
begleiteten minderjährigen Flüchtlinge richten, die wir
in Obhut nehmen, aber auch auf die schwangeren, allein
reisenden Frauen und ihre Kinder .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Darauf müssen wir besonders schauen .


(Norbert Müller Nicht schauen, tun!)


– Wir tun im Gegensatz zu Ihnen etwas . Ihr habt nicht
einmal beim Mindestlohn mitgestimmt . Also seid einmal
ganz ruhig!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Eine gute Packung!)


Ich denke, dass wir auch noch einmal über die Maß-
nahmen zur Extremismusprävention reden sollten . Da
schließe ich mich dem Kollegen Leutert an, der das vor-
hin angesprochen hat . Wir haben jetzt das wunderbare

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


neue Programm „Demokratie leben!“ . Auch da können
wir vielleicht noch etwas tun, weil es einfach hilft und
wirkt .

Auch das Elterngeld wirkt . Dazu haben wir schon viel
gehört. Ich finde es grandios, dass die Zahl der Geburten
erstmalig wieder nach oben geht – ein großartiger Erfolg!
Ich denke, dazu können wir alle uns mal gegenseitig gra-
tulieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend zum Betreuungsgeld . Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren, wir als SPD wollen, dass die-
ses Geld auch zukünftig Familien zugutekommt .


(Beifall des Abg . Martin Patzelt [CDU/CSU])


Aber das wird in einer anderen Flughöhe entschieden .
Ich denke, wir müssen uns hier weder als Haushälter
noch als Fachpolitiker bekriegen . Ich warne auch davor,
erneut diese ganzen ideologischen Debatten über Pro und
Kontra zu führen . Das brauchen wir nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sollten einen guten Kompromiss finden, der für un-
sere Familien, für unsere Kinder gut ist . Denn es gilt: Die
Jugend ist unsere Zukunft . Wir müssen in den Bereichen
Teilhabe, Qualität und Integration alles uns Mögliche
tun, und auch das müssen wir gut machen; denn sonst
wird es volkswirtschaftlich teuer .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812115400

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Pantel für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1812115500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Unser Haushalt betrifft all jene Dinge, die der ehema-
lige Bundeskanzler Gerhard Schröder abschätzig als
„Gedöns“ bezeichnet hat . Wenn wir über Familienpolitik
reden, zeigt das Volumen des Haushalts, wie wichtig uns
dieses Politikfeld ist . In diesem Zusammenhang, Frau
Minister, noch einmal herzlichen Glückwunsch zum
kommenden Nachwuchs .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Familienpolitik ist im eigentlichen Sinne Gesell-
schaftspolitik . Sie befasst sich mit der Grundlage unseres
Zusammenlebens in Deutschland . 2016 werden wir dafür
über 9 Milliarden Euro ausgeben, also – das hörten wir
eben schon – so viel wie noch nie .

Familienpolitik betrifft jede Bürgerin und jeden Bür-
ger mehrfach im Leben . Alles in unserem Land und in
unserem Sozialstaat basiert auf der Familie als kleinster
Einheit menschlichen Zusammenlebens . Familie ist, wo

Menschen füreinander Verantwortung übernehmen . Fa-
milie ist, wo Kinder sind, und da sind alle eingeschlos-
sen . Familien zu fördern und zu schützen, ist nach Ar-
tikel 6 unseres Grundgesetzes eine der vordringlichsten
staatlichen Aufgaben .

Lassen Sie mich an dieser Stelle, weil es gerade so
schön passt, einen anderen Punkt anmerken . In dieser
Woche wurde in der ARD erneut über Gender-Mainstrea-
ming und auch über die Frühsexualisierung von Kindern
diskutiert . Dass das ein Thema ist, habe ich an der großen
Resonanz gemerkt . Dabei ist klar, dass die Erziehung der
Kinder Sache der Eltern ist . Sie tragen letztendlich die
Verantwortung, in jeder Hinsicht .

Durch unsere Haushaltsausgaben wollen wir Famili-
en ein Familienleben nach ihren Wünschen ermöglichen .
Wir müssen sicherstellen, dass Menschen in Deutschland
es sich leisten können, eine Familie zu gründen und Kin-
der in die Welt zu setzen . 2014 wurden in Deutschland
715 000 Kinder geboren, das sind 33 000 Kinder mehr
als noch im Vorjahr . Die Bürgerinnen und Bürger in un-
serem Land wollen ein gutes Familienleben, sie wollen
Kinder .

Es wäre wissenschaftlich unredlich, steigende Gebur-
tenzahlen auf einzelne Effekte zurückzuführen . Was wir
aber sicher sagen können ist, dass das der guten Famili-
enpolitik der unionsgeführten Bundesregierungen in den
zurückliegenden Jahren geschuldet ist .


(Ulli Nissen [SPD]: Und einer SPD-Ministerin!)


Es ist anders, als Herr Gysi gestern behauptet hat: Wir
haben in Deutschland mittlerweile ein sehr familien-
freundliches Klima geschaffen .

Es gibt 40 Millionen Haushalte in Deutschland, über
8 Millionen Haushalte mit minderjährigen Kindern . Dass
diese Familien ihren Alltag möglichst flexibel und nach
ihren Wünschen gestalten können, ist Ziel unserer Poli-
tik .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ja!)


Das Leitbild der Union ist die selbstbestimmte Fami-
lie . Die Familien müssen aber auch Zeit für ein Fami-
lienleben haben . Daher habe ich mich immer für Maß-
nahmen wie das Elterngeld und das Betreuungsgeld
ausgesprochen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass jetzt auf der Oppositionsbank gemurrt wird, zeigt
nur, dass Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
nicht verstanden haben .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es! – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Müller KE]: Schlechte Verlierer, würde ich einmal sagen!)


– Nein, lesen Sie es nach . – Dass dem Bund nicht zu-
gestanden wurde, hierfür Mittel aufzuwenden, ist den
Zuständigkeiten in unserem föderalistischen System in
Deutschland geschuldet . Keineswegs ist das ein Urteil
über die familienpolitischen Aspekte unseres Betreu-

Ulrike Gottschalck






(A) (C)



(B) (D)


ungsgeldes gewesen . Ich würde Ihnen empfehlen, das
Urteil zu lesen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller man verliert!)


(Potsdam) [DIE LINKE]: Das ist egal, wenn


Sie rufen an anderer Stelle, wann immer Sie können,
„Diversity“ und „bunte Republik“ . Aber wenn es um die
Familie geht, dann wollen Sie die Einheitsfamilie schaf-
fen


(Widerspruch bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Müller len Eltern, genau!)


– das ist ihnen überlassen –, eine Pseudofamilie, in der
der Staat die Kinder erzieht und die Eltern sich voll auf
das Berufs- und Arbeitsleben konzentrieren sollen . So
bitte schön nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Was ist denn eine Einheitsfamilie?)


Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und orien-
tieren uns an den Bedürfnissen der Familien . Das Eltern-
geld wurde in diesem Sommer um das Elterngeld Plus
ergänzt. Dadurch haben wir eine zusätzliche, noch flexib-
lere Lösung für Eltern gefunden, die ihre Kinder betreuen
und in Teilzeit am Berufsleben teilhaben wollen .

In diesem Jahr haben wir durch das Gesetz zur weiteren
Entlastung von Ländern und Kommunen das Sonder-
vermögen „Kinderbetreuungsausbau“ um 550 Millio-
nen Euro aufgestockt . Im ersten Quartal 2015 wurden in
Deutschland 700 000 Kinder unter drei Jahren betreut .
Die Mehrheit dieser betreuten Kinder wird in Einrich-
tungen betreut. Die Kindertagespflege bei Tagesmutter
oder -vater wird gerade in Ballungsgebieten wie Berlin
und Düsseldorf immer beliebter und hat sich als flexible
Ergänzung gut etabliert . Wir haben weitere Mittel für den
Ausbau der Betreuung vorgesehen . Eine gute und ver-
lässliche Kinderbetreuung ist uns wichtig . Wir schätzen
die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher, die täglich El-
tern bei ihrem Erziehungsauftrag unterstützen .

Familien leben heute nicht mehr selbstverständlich in
mehreren Generationen zusammen unter einem Dach;
wir haben das eben schon mehrfach gehört . Dadurch
fehlt auch der Erfahrungsaustausch zwischen Jung und
Alt .


(Norbert Müller Das ist die Kehrseite der Flexibilisierung am Arbeitsmarkt!)


Die Mehrgenerationenhäuser bringen Kinder, Eltern,
Großeltern und manchmal sogar Urgroßeltern zusam-
men . Sie sind ein Erfolgsprojekt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Reden Sie einmal mit den Leuten!)


– Ich kenne ein Mehrgenerationenhaus bei mir vor Ort .
Dort funktioniert das alles hervorragend . – Wir sichern
die Arbeit der rund 450 Mehrgenerationenhäuser für

2016 bundesweit mit 14 Millionen Euro . Aufgrund der
guten Vernetzung und durch gute Kooperationen mit
Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Wirtschaftsun-
ternehmen gelingt es, zusätzlich ein wichtiges Angebot
vorzuhalten und Lücken zu schließen . Es ist erklärtes
Ziel der Union, die Arbeit der Mehrgenerationenhäuser
dauerhaft zu sichern .

90 Minuten wurden uns für diese Debatte zur Verfü-
gung gestellt, 90 Minuten, in denen wir den Etat für die
Familienpolitik einer Nation mit über 81 Millionen Ein-
wohnern diskutieren sollen


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Jede Menge!)


– richtig, das ist jede Menge, wie Sie gerade sagten –,
aber in dieser Zeit sind natürlich nicht alle Maßnahmen,
die wir hier finanzieren, aufzuführen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ich habe die Zeit gemeint!)


Deshalb werde ich nur einige erwähnen .

Der Zuzug von Hunderttausenden Flüchtlingen, von
denen viele traumatisiert sind, stellt uns vor große He-
rausforderungen . Das ist ein Zuzug von Menschen, die
weder unser Verständnis von Freiheit noch von Grund-
rechten kennen, von Menschen, denen unsere Kultur,
unsere Gebräuche und unser Leben bisher weitgehend
fremd waren . Diese Entwicklungen fordern uns nicht nur
organisatorisch und finanziell, sondern vor allem auch
gesellschaftspolitisch . Selbst der bekanntlich deutlich
links von mir stehende Autor Jakob Augstein


(Norbert Müller Geringfügig!)


forderte jüngst im Spiegel, es müsse eine deutliche Leit-
kultur geprägt werden, um die Integration all dieser
Menschen zu sichern, eine Leitkultur, die Menschen
ein Vorbild ist, eine Leitkultur, geprägt durch unseren
Rechtsstaat . Wir haben ein Recht auf freie Meinungsäu-
ßerung und können unsere Religion frei ausüben, und wir
haben das Recht, uns selbst ein auf der eigenen Leistung
begründetes Leben aufzubauen . Deshalb wollen auch so
viele hierher .

Für die Flüchtlinge gilt: Wer Schutz in unserem Land
sucht, wird ihn finden. Aber auch die Schutzsuchenden
müssen sich an unsere Regeln halten: Männer und Frau-
en haben die gleichen Rechte, wir sind vor dem Gesetz
gleich, jeder von uns darf seine Meinung frei sagen und
an all das glauben, was er oder sie gerade glauben will .
Und wir verhüllen nicht unsere Identität . Wir zeigen
Gesicht, und das meine ich wörtlich . Daher spreche ich
mich hier und heute erneut für ein Verbot der Gesichts-
vollverschleierung im öffentlichen Raum aus . Frauen zu
zwingen, sich zu verhüllen, widerspricht unserer Auffas-
sung, dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben und
gleich viel wert sind . Dieser Gleichheitsgrundsatz ist die
Basis unseres Rechtssystems und darf nicht wegen fal-
scher Toleranz ausgehöhlt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)


Mit den Mitteln, die wir in unserem Haushalt für Maß-
nahmen zur Stärkung von Vielfalt, Demokratie und To-
leranz vorsehen, sollen die Grundlagen unseres Rechts-
systems nähergebracht werden . Demokratieerziehung in
Deutschland muss bedeuten, dass unsere Grundrechte
Leitbild einer Kultur des guten Zusammenlebens und des
gegenseitigen Verständnisses sind . Als ich vor kurzem
Grundgesetze verteilt habe, wurde mir wieder bewusst,
welche Kraft und Bedeutung unser Grundgesetz für viele
hat und wie wichtig gerade jungen Menschen die Einhal-
tung unserer Grundrechte ist, wie wichtig ihnen Toleranz
und Respekt vor den Rechten der Mitmenschen sind .

Auch für das Funktionieren einer demokratischen
Gesellschaft sind Familien ausschlaggebend . Nur durch
starke Familien und die Vielfalt in unseren Familien ver-
hindern wir, dass Kinder empfänglich werden für Extre-
mismus . Hierbei ist es völlig egal, ob wir von Links- oder
Rechtsextremismus reden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir heute die Reden der Koalition und der Op-
position zum Haushalt des Familienministeriums hören,
werden wir Unionspolitiker nicht müde, auf die Investiti-
onen und Errungenschaften unserer Familienpolitik hin-
zuweisen . Die Damen und Herren der Opposition werden
wieder und wieder nach mehr Mitteln und größeren In-
vestitionen in diesem oder jenem Projekt rufen .

Wir wissen, dass jeder Euro mehr, den wir in die Zu-
kunft eines Kindes stecken, eine gute Investition ist . Je-
der Euro, der eine Familie entlastet und für ein glückli-
cheres, selbstbestimmteres Familienleben sorgt, rechnet
sich . Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir un-
seren Kindern und Enkeln einen Haushalt ohne Schul-
denberge hinterlassen wollen .

Schauen wir in diesen Tagen nach Griechenland: Der
19-jährige Hafenarbeiter in Piräus kann genauso wenig
etwas für die Misere, in der sich sein Land befindet, wie
die junge Mutter in Thessaloniki, die kaum über die Run-
den kommt .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Warum bestrafen Sie sie dann mit Ihrer Politik?)


Als Familienpolitiker muss uns die Griechenland-Krise
eine permanente Ermahnung sein, solide zu wirtschaften .
Wir schulden unseren Kindern nicht nur gut ausgestat-
tete Systeme, Kitas, Schulen, Familienbetreuung und
anderes; wir schulden unseren Kindern und Enkeln eine
Zukunft, in der sie nicht die Zinsen für unsere Schulden
bezahlen müssen,


(Beifall bei der CDU/CSU)


sondern ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder selbst
gestalten können . Deswegen legen wir einen ausge-
glichenen Haushalt vor, der die richtigen politischen
Schwerpunkte setzt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812115600

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1812115700

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!

Meine Damen und Herren! Zunächst einmal habe ich
mich gerade gefragt: Was ist denn eine Einheitsfamilie?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe mich gefragt, ob ich jetzt aus so einer Ein-
heits-Familie komme, weil ich als Westdeutscher eine
Ostdeutsche geheiratet habe .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, das wäre die richtige Bezeichnung. Dann bin
ich gerne Mitglied einer Einheitsfamilie, Frau Kollegin .

Weder Frau Schwesig noch Frau Gottschalck noch
Frau Crone und auch nicht die Redner der Opposition,
die ich nicht immer in Schutz nehme, haben jetzt hier tri-
umphierend aufgebrüllt und gesagt: Das Betreuungsgeld
ist endlich weg . Wir hatten das schon immer für falsch
empfunden . – Ich fand, die Worte von Frau Schwesig
dazu waren sehr kontrolliert .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir durften nicht reden!)


Sie wissen ja, dass wir im Herzen eigentlich eine andere
Sache verfolgt haben .


(Beifall bei der SPD)


Aber wir haben zugunsten einer gemeinsamen Familien-
politik ein bisschen weniger auf unser Herz gehört . Jetzt
haben wir eine neue Situation . Es ist doch nur richtig
und wichtig, wenn wir uns im ganzen Haus darüber einig
sind, dass die frei werdenden Mittel aus dem Betreuungs-
geld weiterhin den Familien und Kindern zugutekom-
men . Dieses gemeinsame Ziel ist richtig und gut .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ich finde, wir sollten die ideologische Debatte vielleicht
ein Stück weit vergessen .

„Kinder kriegen die Leute immer .“ Das hat einmal ein
anderer Bundeskanzler gesagt . Das war nicht der Bun-
deskanzler mit dem „Gedöns“ . Aber dieser Satz war fast
genauso blöd .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Konrad Adenauer hat das gesagt . Wir wissen aber mitt-
lerweile, dass das nicht der Fall ist, sondern es hat auch
immer sehr viel mit persönlichen, ganz individuellen
Gründen zu tun, warum ich eine Familie gründe . Aber
es hat auch immer etwas damit zu tun, in welcher gesell-
schaftlichen Atmosphäre und unter welchen gesellschaft-
lichen Rahmenbedingungen ich mich gerade befinde.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben wir

Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)


bis jetzt sehr gut hinbekommen . Nicht umsonst ist das
Bedürfnis, größere Familien zu gründen, jetzt gestiegen .
Das hat auch etwas mit der Familienpolitik dieser Koa-
lition zu tun .


(Beifall bei der SPD)


Das hat aber auch etwas mit dem Elterngeld zu tun .
Natürlich spielt auch das eine Rolle bei der Entscheidung,
ob ich eine Familie gründe und zu welchem Zeitpunkt
ich sie gründe . Natürlich können wir jetzt zwischen Op-
position und Regierung darüber streiten, dass es selbst-
verständlich ist, dass gesetzliche Leistungen auch erfüllt
werden . Aber Sie wissen auch: Wir erfüllen nicht nur die
alten gesetzlichen Leistungen, sondern wir haben in die-
ser Wahlperiode die Palette sogar um das Elterngeld Plus
erweitert . Wir haben zusätzliche Anreize geschaffen . Wir
haben uns nicht auf dem ausgeruht, was wir schon ge-
setzlich beschlossen haben, sondern wir haben das Ganze
erweitert, und das haben wir gerne getan, liebe Kollegin-
nen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Es ist auch nicht selbstverständlich, dass ein Parla-
ment, wenn mehr Eltern, mehr Familien Elterngeld in
Anspruch nehmen oder überhaupt Leistungen in An-
spruch nehmen, manchmal darüber diskutiert, so etwas
wieder einzuschränken . Das ist leider keine Selbstver-
ständlichkeit. Ich finde es gut, dass es hier eine Selbstver-
ständlichkeit ist, und das sollte auch eine Selbstverständ-
lichkeit bleiben . Das weiß auch das Finanzministerium .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt noch zu ein paar Punkten, über die wir hier heute
diskutiert haben, über die wir vor allen Dingen aus dem
Grund diskutiert haben, weil wir uns in einer besonderen
Zeit befinden. Wir müssen uns um Flüchtlinge kümmern.
Da kommt unserem Ministerium, unserem Politikfeld
insgesamt natürlich eine sehr große Aufgabe zu . Denn
das hat nicht nur etwas mit Baustandards oder Verteil-
schlüsseln zu tun, es hat auch nicht immer etwas damit
zu tun, wie wir das Asylrecht gestalten oder was wir als
sichere Herkunftsländer benennen, sondern es hat vor
allen Dingen etwas damit zu tun, wie wir die Integrati-
on vorantreiben. Ich finde es gut, dass auf dem Gipfel
entschieden worden ist, einen zusätzlichen Bereich für
weiteres zusätzliches bürgerschaftliches Engagement zu
schaffen . Denn die Bundesfreiwilligendienstler, die wir
jetzt zusätzlich einsetzen wollen, sind kein Ersatz für
hauptamtliche Arbeit, die auch weiterhin in diesem Be-
reich geleistet werden muss .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es nur gut und richtig, dass wir die Zivil-
gesellschaft ermuntern, sich in dem Bereich Flüchtlings-
hilfe zu engagieren . Wir brauchen die Zivilgesellschaft
und auch die besondere Form der Zivilgesellschaft, also
die Freiwilligendienste, in genau diesem Bereich . Warum
brauchen wir sie? Die Akzeptanz für die Flüchtlinge be-
kommen wir nur dann, wenn sie auch zivilgesellschaft-
lich anerkannt sind . Deshalb ist es gut, dass wir im Be-

reich bürgerschaftliches Engagement noch eine Schippe
drauflegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine zweite Sache gilt; auch das gehört zum Zusam-
menhalt der Gesellschaft . Es stellt sich nicht nur die Fra-
ge, wie wir die Strukturen des bürgerschaftlichen Engage-
ments stärken – wir brauchen zusätzliche Strukturen –,
sondern wir sollten auch noch einmal darüber nachden-
ken, ob wir nicht auf Bundesebene festere Strukturen zur
hauptamtlichen Betreuung und Koordinierung schaffen .
Als zweiten Punkt müssen wir bei der Demokratieför-
derung eine Schippe drauflegen – wir haben das schon
einmal als Parlament getan – und sagen: Wir nehmen
unsere eigenen Beschlüsse jetzt auch richtig ernst, nicht
nur vor dem Hintergrund der jetzigen Herausforderungen
und der Bilder, die wir gerade von Flüchtlingsheimen ge-
sehen haben, sondern auch vor dem Hintergrund, was wir
als Parlament gemeinsam anlässlich des NSU-Untersu-
chungsausschusses beschlossen haben. Ich finde, da kön-
nen wir als Parlament gemeinsam im Rahmen der Haus-
haltberatungen für zusätzliche Mittel sorgen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein letzter Punkt: unbegleitete minderjährige Flücht-
linge . Ich glaube, dass wir mit dem Gesetzentwurf den
Ländern und Kommunen sehr stark entgegenkommen .
Wir werden ihn demnächst in einer Anhörung, dann im
Ausschuss und dann im Parlament beraten . Bis jetzt sind
die Rückmeldungen, zumindest die, die ich aus den Län-
dern und von den Kommunen gehört habe, dass das zu
einer großen Entlastung beitragen wird . Wir wissen aber
auch, dass es zusätzliche Mittel auch vor Ort bei den Ju-
gendbehörden wird geben müssen; das ist doch klar . Sie
haben zusätzliche Aufgaben zu erfüllen; die haben sie
jetzt schon in Teilen zu erfüllen . Deshalb wäre es nur gut
und richtig, wenn im Zusammenhang mit dem Flücht-
lingsgipfel, der auf uns zukommt, auch über diese Finan-
zierung nachgedacht wird .

Unter dem Strich: Die Herausforderungen der aktu-
ellen Zeit sind berücksichtigt . Die Herausforderungen,
die wir insgesamt haben, sind berücksichtigt . Aber ein
Parlament kann auch immer noch ein bisschen mehr be-
rücksichtigen . Von daher freue ich mich auf die Haus-
haltsberatungen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812115800

Der Kollege Alois Rainer hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1812115900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu
den wesentlichen Zielen der Familienpolitik gehört es,

Sönke Rix






(A) (C)



(B) (D)


Familien und Kinder wirksam zu unterstützen und zu för-
dern; denn Ehe und Familie sind das Fundament unserer
Gesellschaft .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daher ist es für uns auch ein besonderes Anliegen,
gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Men-
schen in Deutschland ihren Wunsch nach Kindern und
Familie verwirklichen können . Folglich ist es auch rich-
tig, dass wir unsere solide, verlässliche und auch stabili-
tätsorientierte Politik weiter fortsetzen . Wir wollen eine
Politik, die das Miteinander aller Menschen in unserem
Land fördert, eine familienfreundliche Gesellschaft und
eine Gesellschaft, in der alle Generationen willkommen
sind .

Aus diesem Grund sprechen wir heute beim vorliegen-
den Haushaltsentwurf über einen Gesamtansatz von
rund 9,183 Milliarden Euro . Dies entspricht einem
Aufwuchs – das haben wir schon gehört; aber ich sage
es gerne noch einmal – gegenüber dem Soll von 2015
um etwa 647 Millionen Euro; prozentual gesehen sind
das 7,6 Prozent mehr als im Vorjahr . Es ist, meine sehr
verehrten Damen und Herren, auch der Einzelplan, der
in dieser Legislaturperiode prozentual am stärksten an-
wächst. Der Bundesfinanzminister hat demzufolge viel
für die Familien übrig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zunächst auf die gesetzlichen Leis-
tungen eingehen; dazu ist schon viel gesagt worden . Ins-
gesamt betragen diese Leistungen knapp 87 Prozent des
gesamten Haushalts im Einzelplan 17 . Im Wesentlichen
ist es das heute schon oft angesprochene und im Jahr 2007
eingeführte Elterngeld mit rund 5,8 Milliarden Euro für
das Jahr 2016 . Auch in den folgenden Jahren gehen wir
auf die sehr positive Entwicklung beim Elterngeld ein .
So werden die Mittel für das Elterngeld um 245 Millio-
nen Euro angehoben . Das sind insgesamt 63 Prozent des
Ausgabenrahmens im Einzelplan 17 . Lieber Herr Kolle-
ge, ich habe vorhin von Ihnen gehört: Das ist selbstver-
ständlich . – 5,8 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen,
ist für mich als Haushälter nicht selbstverständlich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich finde das Elterngeld sehr gut und hervorragend.
Es wurde gut eingeführt und gut weitergeführt . Aber
5,8 Milliarden Euro sind beileibe keine Selbstverständ-
lichkeit . Das darf an dieser Stelle auch in einer Haus-
haltsdebatte gesagt werden .

Nach gut acht Jahren ist das Elterngeld wahrlich ein
Erfolgsmodell . Es wird immer beliebter . Auch ich als
Mann finde es gut, dass immer mehr Männer, Väter, es in
Anspruch nehmen . Während es im Jahr 2007 noch etwa
18 Prozent der Väter waren, ist der Anteil in den fol-
genden Jahren stetig gestiegen . Neben dieser wichtigen
Leistung wurden alle Ansätze bedarfsgerecht angepasst .
Auch die Alleinerziehenden wurden dementsprechend
berücksichtigt .

Liebe Uli Gottschalck, für uns sind die Mehrgenera-
tionenhäuser ja immer ein Thema . Ich denke, wir haben
es jetzt einigermaßen geschafft, dass die Mittel hierfür

verstetigt werden . Es begann mit einem Pilotprojekt, das
dann weitergeführt worden ist . Ich bedanke mich auch
bei den weiteren Haushältern, die uns hierbei unterstützt
haben .

Als CSU-Politiker natürlich einige Sätze zum Betreu-
ungsgeld . Ich weiß nicht, ob es heute eine Rednerin oder
einen Redner gegeben hat, die oder der nicht über das
Betreuungsgeld referiert hat; es ist vieles gesagt worden .
Das Bundesverfassungsgericht sah in diesem Zusam-
menhang das Fehlen der Gesetzgebungskompetenz beim
Bund, sodass schlussfolgernd die Länder für das Betreu-
ungsgeld zuständig sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie können sich sicher sein, dass wir die Menschen nicht
alleine lassen . Alle Anträge, die vor der Verkündung des
Urteils bewilligt wurden, genießen selbstverständlich
Vertrauensschutz und werden dementsprechend haushal-
terisch erfasst; das hat auch die Ministerin schon gesagt .

In den letzten Wochen – und noch immer – gingen ja
die tollsten Überlegungen zum Betreuungsgeld durch die
Medien . Es muss zunächst einmal ganz deutlich gesagt
werden, dass die 1 Milliarde Euro aus dem Wegfall des
Betreuungsgeldes nicht zur Gänze zur Verfügung steht .
Abgesehen davon finde ich es aber schon gut, dass sich
so viele Köpfe darüber Gedanken machen, was denn nun
aus dem Betreuungsgeld wird . Sie können sich sicher
sein, dass wir auch in dieser Angelegenheit eine gemein-
same, gute Lösung finden werden. Meine sehr verehrten
Damen und Herren, gehen Sie fest davon aus – ich gehe
auf alle Fälle davon aus –, dass das Betreuungsgeld in
Bayern weiterhin gezahlt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: In Bayern?)


– Ja .

Eines ist in diesem Zusammenhang noch zu erwäh-
nen: Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Urteil
auf unser im Grundgesetz verankertes föderales System
ein . Hier muss schon die Frage erlaubt sein, inwieweit
der Bund für manch geforderte Leistungen auf Länder-
bzw . auf kommunaler Ebene überhaupt zuständig ist . Der
junge Kollege der Linken ist ja schon weg . Ihm hätte ich
das gerne mit auf den Weg gegeben .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Vereinbarkeit von Familie und Beruf!)


– Ja, ja .

Ich möchte nicht unerwähnt lassen – auch das ist vorhin
schon gesagt worden –, dass nicht nur der Bund Steuer-
mehreinnahmen hatte, sondern auch Länder und Kom-
munen . Wenn wir schon über Verteilung sprechen, meine
sehr verehrten Damen und Herren, dann müssen wir uns
gerade auch mit Blick auf die jetzige Situation über eine
Änderung des Grundgesetzes unterhalten . Eine direkte
Unterstützung der Kommunen kann nur dann sicherge-
stellt werden, wenn das Geld auch da ankommt, wo es
am dringendsten gebraucht wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD])


Alois Rainer






(A) (C)



(B) (D)


Und wir wissen, dass das momentan bei den Kommunen
der Fall ist .

Es ist immer wieder davon die Rede, dass wir die
Kommunen stärker unterstützen müssen . Ich kann nur
sagen: Von 2010 bis 2019 werden die Kommunen vom
Bund mit 150 Milliarden Euro unterstützt . Das gab es in
dieser Form noch nie . Vielen herzlichen Dank an diejeni-
gen, die hierfür Verantwortung tragen!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dabei sind die 3 Milliarden Euro noch nicht berücksich-
tigt, die am vergangenen Sonntag im Koalitionsgipfel für
die Länder und Kommunen ausgehandelt worden sind .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Fa-
milien sprechen, dann sprechen wir auch über Familien
und Menschen, die aus den Kriegsgebieten flüchten. Die
außenpolitische Situation im Nahen und Mittleren Os-
ten, insbesondere der furchtbare Krieg in Syrien und die
menschenverachtenden Gräueltaten durch den IS-Terror
führen dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen, ja
verlassen müssen . Sie alle kennen die Bilder, die über
den Ticker laufen . Es ist furchtbar . Dass wir den Men-
schen helfen, die unsere Hilfe benötigen, steht nicht zur
Debatte .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schon jetzt engagieren sich viele Bürgerinnen und
Bürger und helfen bei der Flüchtlingshilfe . Das ist ein
großartiges Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit . Ich be-
danke mich ganz herzlich bei allen Menschen in Deutsch-
land für das große Verständnis .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auch Bundesfreiwillige werden eingesetzt, um
Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien in der Anfangsphase
zu begleiten . Auch ist es ein gutes Signal, dass beim Bun-
desfreiwilligendienst zur Unterstützung der Menschen
in Not 10 000 zusätzliche Stellen eingerichtet werden
sollen . Schon jetzt fördert der Bundesfreiwilligendienst
zivilgesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement
von Frauen und Männern aller Generationen in unserem
Land . In Zahlen ausgedrückt sind für den Bundesfreiwil-
ligendienst bisher 167 Millionen Euro jährlich vorgese-
hen . Für die 10 000 zusätzlichen Stellen kommen weitere

43 Millionen Euro hinzu . Das ist ein Pfund, das wir den
Ehrenamtlichen zugestehen wollen . Das ist auch gut . Wir
schätzen die ehrenamtliche Arbeit in Deutschland wie
Sie, Frau Ministerin, und das nicht erst jetzt, sondern
schon seit vielen Jahren . Das, was die Ehrenamtlichen
leisten, könnten wir hauptamtlich gar nicht machen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie das Ganze am Ende der Tage ausgearbeitet wird,
muss in den nächsten Wochen besprochen werden . Ich
bin überzeugt, dass das BAFzA diese Aufgabe wie viele
andere auch wieder erfolgreich meistern wird .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812116000

Kollege Rainer, wir müssen jetzt auch mit der Zeit

haushalten . Ich bitte, das Zeichen zu beachten .


Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1812116100

Ja, ich bin sofort fertig . Es ist das erste Mal, dass ich

überzogen habe, Frau Präsidentin .

Ich finde, wir haben einen Entwurf vorliegen, mit dem
man sehr gut arbeiten kann . Ich freue mich auf die Ar-
beit mit den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern,
dem Haushaltausschuss und den Verantwortlichen im
Ministerium, und ich lade Sie alle ein, konstruktiv und
vor allem sehr aktiv an den kommenden Beratungen teil-
zunehmen . Ich bin überzeugt, dass wir dann für unsere
Familien und für alle Generationen in Deutschland ein
gutes Ergebnis erreichen werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812116200

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen

mir nicht vor .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 11 . September 2015,
9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen .