Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in die Tagesord-nung müssen wir noch eine Wahl zur Besetzung des Ge-meinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grund-gesetzes durchführen und eine neue Schriftführerinwählen.Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Nachfolger für denausscheidenden Kollegen Michael Hartmann in den Ge-meinsamen Ausschuss nach Artikel 53 a des Grund-gesetzes den Kollegen Burkhard Lischka zu berufen.Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist of-fensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Lischka ge-wählt.Wir müssen auch eine neue Schriftführerin wählen,bedauerlicherweise. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen schlägt vor, als Nachfolgerin für die Kollegin IreneMihalic die Kollegin Tabea Rößner zu wählen. – Auchdazu kann ich keine größere Bewegung im Plenum fest-stellen.
– Na ja, auch die Freude hält sich in Grenzen.
Es wäre ja auch ganz schön, wenn diese Aufgaben übereinen Zeitraum wahrgenommen würden, für die dieWahlen normalerweise durchgeführt werden. – Jeden-falls nehmen wir damit diesen Vorschlag offenkundigzustimmend zur Kenntnis, und damit ist die KolleginTabea Rößner gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-nung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführtenPunkte zu erweitern:ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachtenVerfahren
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten OliverKrischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock,weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur zweiten Änderung des Ge-setzes für den Ausbau erneuerbarer EnergienDrucksache 18/3234Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitb) Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-GesetzesDrucksache 18/3321Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, wie in solchen Fällen üblich abgewi-chen werden.Schließlich mache ich noch auf eine nachträglicheAusschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktlisteaufmerksam:Der am 7. November 2014 überwiesenenachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung zur Mitberatung überwie-sen werden:Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg, Volker Beck
, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Förderung vonTransparenz und zum Diskriminierungs-schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweis-gebern
Drucksache 18/3039
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6604 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussSportausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungIch frage Sie, ob Sie sich damit einverstanden erklä-ren können. – Das ist offenkundig der Fall. Dann habenwir das hiermit so vereinbart.Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-nungspunkt I – fort:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für
Drucksachen 18/2000, 18/2002b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2014 bis 2018Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt I.12 auf:Einzelplan 09Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-gieDrucksachen 18/2809, 18/2823Berichterstatter sind die Abgeordneten Thomas Jurk,Andreas Mattfeldt, Roland Claus und Anja Hajduk.Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor, über den wir morgen nachder Schlussabstimmung abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 125 Minuten, also gute zwei Stunden,vorgesehen. – Auch dazu darf ich Einvernehmen fest-stellen.Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wortdem Kollegen Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meineDamen und Herren! Herr Bundesminister Gabriel, wirhaben intensiv über den Wirtschafts- und Energieetat be-raten und diskutiert. In der Tat ist in diesem Etat an eini-gen Stellen einiges besser geworden. Das haben wirmeist sogar einvernehmlich so beschlossen. Im Ganzenaber, muss ich Ihnen leider sagen, ist dieser Etat eineEnttäuschung geblieben – mehr Schein als Sein.
Die Hälfte Ihres Etats ist traditionell an Subventionengebunden, und für das vielgelobte Zentrale Innovations-programm Mittelstand, kurz: ZIM, wird gerade einmalein Drittel dessen verausgabt, was an solchen Subventio-nen in Ihren Etat eingestellt ist. Insofern muss man sa-gen: Der Wirtschafts- und Energiehaushalt macht einigesmöglich, davon auch manches Gute, nur wirkliche Wirt-schaftspolitik kann man damit nicht machen.
Wenn ein Staat, Herr Bundesminister, nicht in derLage ist, mehr als ein einziges Prozent des Gesamthaus-halts für die Erneuerung seiner Wirtschaft einzusetzen,ist es um diesen Staat nicht gut bestellt.
Herr Bundesminister, Sie haben vor zwei Tagen einBündnis mit dem Titel „Zukunft der Industrie“ vorge-stellt.
Sie haben in diesem Zusammenhang die Hauptproblemeder Wirtschaft präzise benannt. Ich will nur ein paarStichworte sagen: unbewältigte Energiewende, Fach-kräftemangel, zu geringe Investitionstätigkeit, schlep-pende Digitalisierung. Ich füge hinzu: sehr ungleicheStandortverteilung zwischen Ost und West. Gemessen andiesen Herausforderungen, die Sie ja selbst beschriebenhaben, ist der Wirtschaftshaushalt leider ein Beitrag zurVerschärfung des Problems und kein Beitrag zur Lösungdes Problems. Das wollen wir Ihnen nicht durchgehenlassen, Herr Minister.
Der Gründungsaufruf zum Bündnis „Zukunft der In-dustrie“ ist natürlich wieder einmal ganz gut getextet.Die Abteilung „Überschriften“ hat geliefert. Die Wirt-schaft und besonders der Mittelstand, Herr Minister,brauchen aber keine neuen Losungen, sondern konkreteUnterstützung.
Diesbezüglich herrscht in Ihrem Etat aber leider Fehl-anzeige.
Ich will ein Wort zum Aufreger dieser Woche sagen,der Frauenquote in Aufsichtsräten großer Unternehmen.Da muss ich ja vor allem die Union ansprechen, die sichsehr gegen diesen Schritt gewehrt hat.
Ich glaube, bei der Union ist das Problem, dass sie im-mer erst dann bereit ist, Frauen Verantwortung zu über-tragen, wenn das Ganze schon voll gegen die Wand ge-
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Roland Claus
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fahren ist. Ich nehme nur einmal das Beispiel derbayerischen Hypo-Real-Estate-Bank, wo am Ende eineFrau den Laden sanieren musste. Ich rufe Ihnen zu: Ver-suchen Sie doch einmal, vor dem Schaden klug zu wer-den. Dieser Beitrag könnte hier eine Rolle spielen.
Als Energieminister, Herr Gabriel, haben Sie natür-lich eine Menge Großbaustellen. Ich will nur die Strom-trassen vom windreichen Norden in den energiebedürfti-gen Süden erwähnen, ein Projekt mit Shakespeare’scherAmbition: Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Me-thode. – Wir, die Linken, meinen: Besser wäre es gewe-sen, ein gesamtstaatliches Energiekonzept aufzulegen,das in erster Linie auf Dezentralität setzt, auf die Stär-kung von Stadtwerken, auf die Förderung von erneuer-baren Energien, und zwar dort, wo sie gebraucht werden,und erst dann die Frage der großen stromintensiven In-dustrien anzugehen.
Sie werden mit der Bundesnetzagentur jetzt natürlicheine große Verantwortung bei der Lösung dieses Pro-blems übernehmen.Herr Bundesminister, Sie haben hier im Bundestaghäufig über die Verhandlungen zum sogenannten Frei-handelsabkommen mit den USA, TTIP, informiert. Diedeutsche Übersetzung lautet ja: Transatlantische Han-dels- und Investitionspartnerschaft. Sie haben sich dafürstarkmachen wollen, die sogenannten Schiedsverfahren,bei denen drei Richter ohne Widerspruchsmöglichkeitabschließend allein entscheiden können, erheblich zuverändern. Nun haben Sie dem Bundestag und anderenmitgeteilt: Diese Schiedsgerichte lassen sich nicht mehrrausverhandeln. – Da müssen wir Ihnen eines sagen,Herr Bundesminister: Wenn diese Schiedsgerichte sichnicht rausverhandeln lassen, dann darf sich Deutschlandnicht in dieses Abkommen reinverhandeln lassen. Daswäre die Lösung.
Herr Bundesminister, Sie sind ja jetzt im Kabinett alsMinister auch für Ostdeutschland zuständig. Ich will Siedaran erinnern – bei der Einbringung des Etats haben Siegerade einmal einen Halbsatz zur Lage in Ostdeutsch-land zustande gebracht –: Der „Jahresbericht der Bun-desregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014“,den wir vor kurzem beraten haben, enthält ja eine ganzeMenge an Analysen zur wirtschaftspolitischen Entwick-lung in Ostdeutschland. Sie haben das präzise beschrie-ben. Allerdings haben Sie bei den Schlussfolgerungenüberhaupt nicht geliefert. Sie sind, was den Osten an-geht, so ziemlich ein „Minister folgenlos“.
Wir haben natürlich mit dem Problem zu kämpfen,dass seit zehn Jahren, was die wichtigsten wirtschafts-politischen Indikatoren angeht, keine Angleichung zwi-schen Ost und West zu beobachten ist. Wir haben einenverfestigten Niedriglohnsektor. Der Anteil der Zeitarbei-ter ist im Osten doppelt so hoch. Wir haben Standort-nachteile – Stichwort „Arbeitsproduktivität“ – bei gro-ßen Unternehmen und eine hohe Arbeitslosigkeitsrate.Das alles ist bekannt.Für die schwarze Null haben Sie sich hinreichendselbst abgefeiert. Irgendwann ist aber Ihr schlechtes Ge-wissen durchgebrochen.
Ausdruck dieses schlechten Gewissens ist die Ankündi-gung des Bundesfinanzministers, für die Zeit ab 2016ein 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm aufzule-gen.
Das war in der Tat eine Nacht-und-Nebel-Aktion, für diees noch nicht einmal eine Deckung gibt; denn bislang istnicht klar, aus welchen Mitteln dieses Programm ge-speist werden soll.
Nun haben wir den Bundeswirtschaftsminister in denBeratungen natürlich gefragt, was dieses Programm fürden Wirtschaftsetat bedeutet und wie das im Kabinettberaten wurde. Dabei stellte sich heraus: Das angekün-digte 10-Milliarden-Euro-Programm hat im Kabinettüberhaupt keine Rolle gespielt. Das Kabinett war damitüberhaupt noch nicht befasst. – Wenn das nicht Aus-druck Ihres schlechten Gewissens und Ihrer Konzep-tionslosigkeit ist, dann frage ich mich, was es dann seinsoll.
Beim Kartellamt sind Sie erfreulicherweise auf dieVorschläge der Opposition eingegangen und haben einerbesseren Ausstattung zugestimmt. „Links wirkt“, kön-nen wir dazu nur sagen.Wir sagen Ihnen: Wir brauchen eine zukunftsfähigeWirtschaftspolitik in diesem Lande.
Die Linke will eine sozial-ökologische Gerechtigkeits-wende in der Wirtschaft und in der ganzen Gesellschaft.Davon sind wir weit entfernt. Da wollen wir aber hin,und da lassen wir auch nicht locker.
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Jurk für dieSPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lassen Sie mich an diesem schönenMorgen mit einem Zitat beginnen, das vielen Urhebernzugesprochen wird: Prognosen sind schwierig, beson-ders wenn sie die Zukunft betreffen. – Damit will ichkurz auf das jüngste Jahresgutachten des Sachverständi-genrates eingehen.Unzweifelhaft ist die wirtschaftliche Dynamik nichtso hoch wie noch im Frühjahr erwartet. Ursachen hierfürsind auch nach Ansicht des Sachverständigenrates in ers-ter Linie die geopolitischen Risiken sowie die ungüns-tige Entwicklung im Euro-Raum und nicht die von denArbeitgeberverbänden kritisierte Einführung des Min-destlohns. Insgesamt sind die wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen günstig und das Wachstum robust. Diekonjunkturellen Frühindikatoren zeigen aufwärts undder Arbeitskräftebedarf steigt. Wir haben einen stabilenArbeitsmarkt mit 43 Millionen Erwerbstätigen. Davonsind 30,3 Millionen sozialversicherungspflichtig be-schäftigt. Wir haben also allen Grund, optimistisch in dieZukunft zu schauen.
Das tun übrigens auch die deutschen Unternehmen, wieder Anstieg des ifo-Geschäftsklimaindexes beweist.Optimistisch können wir auch sein, weil der Bund mitdem Haushalt 2015 nicht nur keine neuen Schuldenmacht, sondern der Etat des Bundeswirtschaftsministe-riums auch kräftige Impulse für Investitionen und Inno-vationen vorsieht. Die Mittel für das wichtige und er-folgreiche Zentrale Innovationsprogramm Mittelstandwerden um 30 Millionen Euro auf nunmehr 543,5 Mil-lionen Euro und die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ um17 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro angehoben.Lieber Herr Kollege Claus, auch wenn ich Sie als Kol-lege im Haushaltsausschuss sehr schätze, muss ich dochsagen, dass die Untergangsstimmung, die die Linke seitwenigen Tagen hier verbreitet, völlig unangebracht ist.
– Andreas, du bist doch gleich dran. – Und wenn Siedann noch behaupten, die Linke „würgt“, dann muss ichsagen: Ich möchte sie nicht an meinem Hals spüren.Im parlamentarischen Verfahren haben wir mehr als50 Änderungen vorgenommen und dabei insbesonderedie Innovationsförderung gestärkt, was mir sehr wichtigist; denn wie schon der amerikanische Informatiker AlanCurtis Kay sagte, besteht die beste Art, die Zukunft vo-rauszusagen, darin, sie zu erfinden. Besonders hervorhe-ben möchte ich, dass wir im kommenden Jahr für dieForschungsinfrastruktur 4,5 Millionen Euro mehr ausge-ben wollen, als ursprünglich im Entwurf vorgesehenwar. Damit können die Förderung der Industriellen Ge-meinschaftsforschung und die Forschungsförderung inOstdeutschland – Stichwort INNO-KOM-Ost – auf dembisherigen Niveau fortgeführt werden.
Daneben haben wir die Mittel für die Informations-und Kommunikationstechnologien um 3,8 MillionenEuro erhöht. Denn die Digitalisierung der Wirtschaft isteine der zentralen wirtschaftspolitischen Herausforde-rungen für Deutschland. Von der Mittelerhöhung profi-tieren gerade auch kleine und mittlere Unternehmen dergewerblichen Wirtschaft einschließlich des Handwerks.Sie sollen künftig Gutscheine für externe Beratungsleis-tungen in den Bereichen IT-Sicherheit, Internetmarke-ting und digitale Geschäftsprozesse in Anspruch nehmenkönnen. Außerdem wurden im Personalhaushalt desMinisteriums die Grundlagen für die Errichtung einesneuen Referates „Digitale Agenda“ geschaffen.Darüber hinaus stellen wir – auch das ist mir sehrwichtig – 5 Millionen Euro für ein Innovationspro-gramm zur Verfügung, mit dem der notwendige Struk-turwandel der Verteidigungswirtschaft unterstützt wird.Damit sollen Innovationsvorhaben für zivile Technolo-gien, Produkte oder technische Dienstleistungen geför-dert werden. Im Energiebereich stocken wir mit zusätzli-chen Mitteln den Forschungsetat zu Energieeffizienzund erneuerbaren Energien um insgesamt 322 Millio-nen Euro bis 2017 auf. Das sind in diesem Jahr zunächst10 Millionen Euro, 2016 sind es 96 Millionen Euro, unddiese Mittel wachsen bis auf 216 Millionen Euro imJahre 2017.Neben der Förderung aus den Einzelplänen, allen vo-ran dem Einzelplan für Wirtschaft und Energie, fördernwir Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende überein anderes Instrument: über den hier altbekannten Ener-gie- und Klimafonds. Hier haben wir einiges getan; dennwir stellen den Energie- und Klimafonds auf verlässlicheBeine.Wie machen wir das? Zum einen sind die prognosti-zierten Einnahmen aus dem europäischen Emissionszer-tifikatehandel mittlerweile realistisch veranschlagt; dasheißt, es wird für 2015 von einem Jahresdurchschnitts-preis von 6,27 Euro pro Tonne CO2 ausgegangen. Zumanderen wird der 2014 erstmals gezahlte Bundeszu-schuss an den Energie- und Klimafonds verstetigt. In2015 sind dies maximal 781 Millionen Euro. Der Zu-schuss wächst bis 2018 auf 836 Millionen Euro auf. Dasstärkt die Einnahmenseite. Beide Maßnahmen führendazu, dass die Gesamtfinanzierung des Energie- und Kli-mafonds gesichert wird.
Schon in meinen vorangegangenen Reden bin ich aufdie Energieeffizienz eingegangen. Anfang Dezemberdieses Jahres möchte das Kabinett unter anderem einenNationalen Aktionsplan Energieeffizienz verabschie-den. Wir werden dann hier im Bundestag darüber disku-tieren. Wichtig ist für mich, dass durch öffentlicheFörderung und ordnungspolitische Vorgaben Effizienz-maßnahmen vorangetrieben werden. Ziel muss es sein,die Wirtschaftlichkeit von Energieeffizienz- und Ener-
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Thomas Jurk
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giesparmaßnahmen zu erhöhen und bestehende Hürdenabzubauen.Neben Fördern und Fordern sind aber auch Informa-tion und Beratung, wie Energie gespart oder effizienteingesetzt werden kann, notwendig. Hier sehe ich übri-gens noch weiteren Handlungsbedarf. Bestehende Bera-tungsprogramme müssen treffgenauer und miteinanderverknüpft sein. Wir verfügen bereits über gute Förder-instrumente wie das CO2-Gebäudesanierungsprogrammund den Energieeffizienzfonds im Energie- und Klima-fonds oder das Marktanreizprogramm im Einzelplan desMinisteriums. Weitere Instrumente sind erforderlich,während die bestehenden Instrumente ihre Wirksamkeitnachweisen müssen. Gerade bei der Weiterentwicklungder bestehenden Programme sehen wir erwartungsvollder Evaluierung durch das Bundeswirtschaftsministe-rium entgegen.Zum Schluss noch ein kurzer Ausblick. Wir werdenin den Jahren 2016 bis 2018 insgesamt 10 Milliar-den Euro für zusätzliche Investitionen mobilisieren. Fürden Einzelplan des Bundeswirtschaftsministeriums hatdies zur Folge, dass wir uns ab dem Jahre 2016 nichtmehr mit der Finanzierung des Betreuungsgeldes herum-plagen müssen.
Diese Ausgaben werden dann aus dem Gesamthaushaltfinanziert, und die freiwerdenden Mittel können so di-rekt für weitere Investitionen genutzt werden.Natürlich ist für unsere Wirtschaft nicht nur der sinn-volle Einsatz von Sachkapital wichtig, sondern ebensodie Einführung innovativer, neuer Produkte und Verfah-ren. Nur so können wir unseren Industrie- und Produk-tionsstandort langfristig sichern. Damit erschließen wirweitere Potenziale für neue Arbeitsplätze im Bereich derindustriebezogenen und wissensbasierten Dienstleistun-gen.
Die Erfahrung lehrt, dass grundlegende Innovationenhäufig nur deshalb realisiert werden können, weil sieeine gezielte staatliche Förderung erhalten. Eine zentraleAufgabe von Wirtschaftspolitik muss es bleiben, dieLeistungsfähigkeit des deutschen Forschungs- und Inno-vationssystems auch künftig sicherzustellen.
Dieser Aufgabe werde ich mich auch bei den nächstenHaushaltsberatungen mit großer Freude stellen. Ange-sichts des positiven Beratungsklimas mit meinen Mitbe-richterstattern und den Mitarbeitern des Ministeriumsbin ich optimistisch, dass wir dazu einen konstruktivenBeitrag leisten werden.
Das Wort erhält nun die Kollegin Anja Hajduk, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Minister Gabriel, in diesen Tagen wird vielüber Investitionen gesprochen. Die Kritik an Deutsch-land wegen mangelnder Investitionstätigkeit ist allent-halben sehr groß. Ich teile diese Kritik ausdrücklich,wenngleich ich im Rahmen der Haushaltswoche hierauch erwähnen möchte, dass ich es für ein Missverständ-nis hielte, für höhere und intensivere InvestitionenSchulden machen zu müssen. Das müssen wir nicht, aberwir müssen mehr investieren; ich glaube, das ist sehrklar.
Vor diesem Hintergrund ist es natürlich beachtlich,dass Sie, Herr Gabriel, Zweierlei getan haben: Sie habenin diesem Sommer eine Expertenkommission eingesetzt,die darüber beraten soll, wie wir Investitionen steigernkönnen – soweit ich unterrichtet bin, geht es sowohl umdie private als auch um die öffentliche Investitionstätig-keit –, und Sie haben einen Reformplan für Deutschlandund Frankreich in Auftrag gegeben. Ich glaube, in dieserAngelegenheit werden Sie die Öffentlichkeit heute nochin Paris informieren – und vielleicht ja auch uns schonhier im Parlament.Jetzt frage ich Sie: Wie passt das eigentlich damit zu-sammen, dass Sie in diesem Haushalt 2015 in derSumme keine zusätzlichen Investitionen tätigen? Das istdoch einfach nicht zu verstehen.
Ab 2016 gibt es – das ist relativ kurzfristig vom Fi-nanzminister schnell noch entschieden worden – ein zu-sätzliches Investitionsprogramm im Umfang von10 Milliarden Euro. Ich habe es schon gestern hier indiesem Haus gesagt, und ich wiederhole es noch einmal:Laut den Zahlen vom Bundesfinanzministerium selbstbedeutet das gemäß dem Finanzplan weiterhin eine He-rabsetzung der Investitionsquote von 10,1 Prozent auf9,3 Prozent im Jahr 2018. Das kann also definitiv nichtdie Lösung sein.
Ich bitte Sie, sich in der Großen Koalition nicht hintereiner neuen, anderen statistischen Aussage zu verste-cken. Damit spreche ich noch einmal den KollegenKauder an. Selbst wenn wir die Investitionen etwas an-ders berechnen, nämlich über die volkswirtschaftlicheGesamtrechnung, bedeutet das allenfalls eine Stabilisie-rung der Investitionsquote.Warum ich diesen Punkt hier heute noch einmal soeingehend anspreche: Das passt auch schlicht nicht zudem Ergebnis, das Herr Gabriel heute, wenn ich nichtganz falsch unterrichtet bin, entgegennehmen muss. Dervon ihm selbst in Auftrag gegebene Reformplan enthältnämlich die Aussage, Deutschland müsse seine Investi-tionen in die Infrastruktur bis zum Jahr 2018 auf 20 Mil-liarden Euro steigern. Man sieht also im Ergebnis: Ihreeigene finanzpolitische Strategie ist nicht ausreichend.
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Anja Hajduk
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Man kann nach einem Jahr Regieren auch sagen: Sie istschlicht falsch und geht nicht auf.
Ich komme zu einem zweiten Punkt, zur Energieeffi-zienz. Es gibt hier europäische Vorgaben. Obwohl wirhäufig nachgefragt haben, gibt es bis zur heutigen Haus-haltsdebatte keine belastbaren Aussagen der Regierungdazu, wie wir die EU-Energieeffizienzrichtlinie umset-zen und materiell untermauern wollen. Ich weiß, dassSie uns in Aussicht stellen, diese Frage möglicherweiseab nächster Woche zu beantworten. Mit Blick auf denHaushalt 2015 – das ist der zweite Haushalt in dieser Le-gislaturperiode – stelle ich heute fest: Es geschiehtnichts! Das, was Sie uns hier heute vorlegen, HerrGabriel, ist in Bezug auf die Energiewende und auch kli-mapolitisch wirklich ein ganz schwaches Zeugnis – mankönnte auch sagen: ein Armutszeugnis.
Dabei könnte man die beiden von mir angesproche-nen Punkte relativ einfach zusammenführen; denn umdie Energieeffizienz zu fördern, muss man ein wirksa-mes Investitionsprogramm auflegen. Damit können wir– wie sagt man im Volksmund so schön? – zwei Fliegenmit einer Klappe schlagen. Wir können die Energieeffi-zienz steigern, und wir können die Wertschöpfung stei-gern. Wenn wir es schlau machen, können wir damit so-ziale Ziele verbinden, indem wir das Wohnen in schlechtsanierten Gebäuden günstiger machen. Ich frage mich:Wie lange wollen Sie noch warten, um diese Vorhabenentschlossen anzupacken?Wir Grünen haben Ihnen dazu einen Vorschlag ge-macht: Wir wollen die jährliche Sanierungsquote auf3 Prozent anheben. Wir wollen das KfW-Gebäudesanie-rungsprogramm aufstocken. Wir wollen einen Energie-sparfonds mit einem Gesamtvolumen von 3 MilliardenEuro auflegen. All diese Maßnahmen ließen sich imRahmen des 10-Milliarden-Euro-Programms von HerrnSchäuble finanzieren. Also: Strengen Sie sich an! GebenSie sich einen Ruck, und setzen Sie das endlich um.
Ein kleiner Hinweis, weil nach mir Herr Mattfeldt alsVertreter der Koalition sprechen wird: Sie haben in derBereinigungssitzung des Haushaltsausschusses 146 Mil-lionen Euro für das KfW-Gebäudesanierungsprogrammbereitgestellt. Da hatten wir kurz geglaubt, Sie wolltenjetzt wirklich etwas anpacken. Mittlerweile haben wirfestgestellt: Das ist nichts anderes als die Umsetzung al-ter Förderzusagen. Dahinter steckt keine Zusage neuerMittel. Auch da ist wirklich totale Fehlanzeige!Zum Schluss meiner Rede möchte ich Ihnen, HerrGabriel, eine Frage stellen; ich weiß, dass Sie hier undheute noch Stellung nehmen. Wir haben uns in der erstenLesung mit der CETA-Problematik und dem Investi-tionsschutz sehr genau auseinandergesetzt. Sie selber ha-ben sehr präzise – das hat mich gefreut – dahin gehendStellung bezogen, dass es nach Ihrer persönlichen Mei-nung bei einem Investitionsschutzabkommen nicht da-rum gehen darf, Gesetze oder die Willensbildung in ei-nem demokratisch gewählten Parlament auszuhebeln,auch nicht auf indirekte Weise, also kein indirekterDruck auf den Gesetzgeber ausgeübt werden darf. Dassind Ihre Worte.Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund fragen: Kön-nen Sie uns zusagen – das war Ihr damaliges Ziel –, dassSie sowohl bei CETA als auch bei TTIP mit Blick aufdie Investitionsschutzabkommen, verbunden mit demgroßen Risiko eines hohen Entschädigungsanspruches– damit würde indirekt Druck auf die Gebietskörper-schaften ausgeübt –, Fortschritte erzielt haben und wei-tergekommen sind, damit diese Regelung aus den Frei-handelsabkommen verschwindet, sowohl aus dem mitKanada als auch aus dem mit den USA? Ich bitte Sie umeine Stellungnahme dazu, ob Sie das einhalten, was Ih-ren eigenen Zielsetzungen und Ihren eigenen Maßstäbenentspricht.Schönen Dank.
Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Dass Wirtschaft zu 50 ProzentPsychologie ist, haben wir alle von BundeskanzlerLudwig Erhard gelernt. Dass man aber eine Rezessionauch herbeireden kann – jetzt schaue ich zu den Linken –,
lernen wir in diesen Tagen, lieber Roland Claus, ganzdeutlich von Ihnen. Deshalb bin ich froh, dass Sie zwarvielleicht in Thüringen etwas zu sagen haben werden– zum Leidwesen der Thüringer –, dass Sie aber aufBundesebene davon hoffentlich noch weit entfernt sind.
Als Kaufmann halte ich mich, was die wirtschaftlicheLage anbelangt, lieber an Zahlen und Fakten. Die Faktensprechen eine ganz deutliche Sprache: Der deutsche Ar-beitsmarkt zeigt sich weiterhin sehr stabil. Zum Glücksind für uns in Deutschland eine niedrige Arbeitslosen-quote und die hohe Zahl der Erwerbstätigen mittlerweilefast schon zur Normalität geworden.Ich sage: Es ist doch schön, dass wir uns längst andiese Zahlen gewöhnt haben und dass die Verkündungvon neuen Arbeitsmarktzahlen am Ende eines jeden Mo-nats heute nicht mehr die Begeisterungsstürme auslöst,die es anfangs gab, als die Zahl der Erwerbstätigen stiegoder – so darf ich sagen – sich die Situation in Deutsch-land besserte. Deshalb sage ich: Ein Blick in die jüngereVergangenheit kann uns nicht schaden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6609
Andreas Mattfeldt
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Erinnern wir uns einfach an die desaströsen Arbeits-marktzahlen, die 2005 zu verzeichnen waren, als dieerste Große Koalition unter Angela Merkels Führungihre Arbeit aufgenommen hat. Seinerzeit hatten wir eineArbeitslosenquote von 11,7 Prozent, 5,3 Millionen Ar-beitslose, und die Zahl der Erwerbstätigen lag bei ledig-lich 38,9 Millionen Beschäftigten. Heute haben wir miteiner Arbeitslosenquote von 6,3 Prozent und 2,7 Millio-nen Arbeitslosen die Zahlen gegenüber 2005 fast hal-biert und, was das Schönste ist, wir haben mit 43 Millio-nen Erwerbstätigen einen Rekordstand erreicht, derzeigt, wie wirtschaftlich stark diese BundesrepublikDeutschland ist.
– Auch Schröders Reformen wirken, keine Frage. Des-halb hat die Unionsfraktion ihnen klugerweise zuge-stimmt. Ich würde mich freuen – diesen Wink darf ichdem geschätzten Koalitionspartner geben –, wenn Sieselbstbewusst zu diesen Reformen stehen würden, stattsich peu à peu davon zu verabschieden.
Selbst die in diesen Tagen eher kritischen Mitgliederdes Sachverständigenrates prognostizieren einen weite-ren Anstieg der Erwerbstätigenzahlen. Ich darf deshalbsagen, dass diese Regierung weiterhin auf einem richti-gen Weg ist.Seit Mitte der 70er-Jahre in Westdeutschland und na-türlich nach dem schwierigen Umbruch nach der deut-schen Wiedervereinigung in Ostdeutschland ist die Be-wältigung der Arbeitslosigkeit für jede Regierung inDeutschland die größte Herausforderung gewesen. Esgab unterschiedlichste Lösungsansätze, von denen ei-nige auch wir entwickelt haben. Viele davon waren nichtsonderlich erfolgreich.Erst seit 2005 haben sich die Zahlen enorm verbes-sert. Es ist eben nicht selbstverständlich – auch und ge-rade mit Blick auf das europäische Ausland –, dass sichdie Zahlen heute so präsentieren, wie wir sie wahrneh-men. Das war ein gemeinsamer Kraftakt von Arbeitneh-mern, Arbeitgebern und der Politik. Diesen Erfolg habenwir in Deutschland gemeinsam, alle Bevölkerungsgrup-pen, erreicht.In der Finanz- und Wirtschaftskrise haben ganz be-sonders die Arbeitnehmer die Zähne zusammengebissen.Sie haben auf Lohnsteigerungen verzichtet und Kurzar-beit hingenommen. So ist es gelungen, begleitet von klu-gen politischen Rahmenbedingungen, dass Deutschlandgestärkt aus der Krise hervorgegangen ist. Nur deshalbstehen wir heute so gut da, meine Damen und Herren.
Schön ist es doch, dass die Menschen in Deutschlandmit anständigen Lohnzuwächsen am wirtschaftlichenAufschwung partizipieren. Gute Lohnabschlüsse undeine niedrige Inflationsrate ermöglichen Reallohnzu-wächse, die wir lange nicht hatten. Die Menschen habenheute wieder mehr Geld im Portemonnaie. Das zeichnetdiese soziale Marktwirtschaft aus
und zeigt mir, dass diese soziale Marktwirtschaft inDeutschland immer noch funktioniert.Den absoluten Miesmachern aufseiten der Linkenhilft vielleicht der realistische Blick vom Ausland aufDeutschland. Deutschlands wirtschaftliche Stärke wirdanerkannt, gerade auch, weil sich die konjunkturelleLage sowohl in der Welt als auch im Euro-Raum nachwie vor schwierig darstellt. Ich darf in diesem Zusam-menhang darauf hinweisen – mein Vater ist ja Fran-zose –: Die Wirtschaftsdaten von reformbereiten Län-dern sind erheblich optimistischer als jene in denLändern, die kaum Mut für Veränderungen zeigen.Das Gutachten des Sachverständigenrates für 2015– es ist bereits angesprochen worden – geht von einemWachstum von „nur“ 1 Prozent aus, wie die Gutachterschreiben. Ich sage: Auch 1 Prozent ist doch Wachstum,und zwar auf einem sehr hohen Niveau. Wie anfangs er-wähnt, kann man eine Rezession auch herbeireden. Da-vor möchte ich aber ausdrücklich warnen und unter-stütze deshalb die Annahmen der Bundesregierung, dievon einem höheren Wachstum für 2015, nämlich von1,3 Prozent, ausgeht.Dass dieser Aufschwung durch die Binnenkonjunkturgetragen wird, merken wir auch. Der private Konsum istdie wichtigste Stütze der Binnenwirtschaft, und dieMenschen haben jetzt mehr Geld im Portemonnaie. DasSchöne ist: Sie geben dieses Geld auch aus.Meine Damen und Herren, Sorge bereitet mir wie si-cherlich auch dem gesamten Haus die Situation in Russ-land und der Ukraine. Auch hierbei möchte ich mich anFakten orientieren. Die Fakten lassen nichts anderes zuals die Unterstützung der Position unserer Bundeskanz-lerin, die bei ihrer Rede in Sydney darauf hingewiesenhat, dass die Ukraine-Krise zu einem Flächenbrand wer-den könnte.Putins Handeln oder – vielleicht muss man das ehersagen – Putins Nichthandeln stellt uns in Europa in derTat vor nicht einfache Entscheidungen, die auch wirt-schaftliche Auswirkungen haben. Es darf aber nicht sein,dass wir nach so vielen positiven Erfahrungen zwischenRussland und Deutschland wieder in eine Konfrontationzwischen den USA und Europa auf der einen Seite undRussland auf der anderen Seite hineinlaufen. Ein solchesBlockdenken habe ich weiß Gott lange genug erlebenmüssen. Lassen Sie uns auch nicht vergessen, dass nebenallen wirtschaftlichen Beziehungen auch zwischen-menschliche Beziehungen zwischen Russland und derEU gewachsen sind, die von großem Vertrauen geprägtsind, aber in diesen Tagen, übrigens auch in ganz vielenFamilien, auf eine harte Probe gestellt werden. Deshalbmein Appell – vor allem an Russland –: Lassen Sie uns,auch im Interesse des russischen Volkes, doch nicht daszerstören, was wir seit 25 Jahren aufgebaut haben!
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6610 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Andreas Mattfeldt
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Da kommen wir wieder zur Wirtschaft. Sie sprechennun heute, Herr Minister Gabriel, das zweite Mal indieser Funktion über Ihren Etat. Hinter uns liegen sehranstrengende, aber auch konstruktive Beratungen. Ichmöchte deshalb Dank sagen, Ihnen, Ihrem Haus, IhrenStaatssekretären auf der Regierungsbank, aber natürlichauch Dank sagen für die gute Zusammenarbeit zwischenuns Berichterstattern.
Nach den parlamentarischen Beratungen hat der Etatdes Wirtschaftsministeriums ein Gesamtvolumen von7,3 Milliarden Euro. Das ist ein leichter Aufwuchs imVergleich zum Regierungsentwurf, um circa 183 Millio-nen Euro, der sich natürlich aus der Notwendigkeit derAnpassung der Mittel für das Gebäudesanierungspro-gramm ergibt. Gerade dieses Programm sorgt dafür, dassdas Geld auch wirklich dorthin gelangt, wo es nach mei-nem Dafürhalten hin soll, nämlich zu den Hausbesitzern,die ihr Heim energetisch sanieren wollen und so eineneffizienten Beitrag zur Energieeinsparung leisten. AlsNebeneffekt – das müssen wir auch sagen – ist dies na-türlich auch ein gutes Konjunkturprogramm für unsereHandwerker.Die Energiewende ist das herausragende Projekt die-ser Legislatur. Genau deshalb liegt ein Schwerpunkt des2015er-Haushalts in diesem Bereich.
Auf Ressortebene ist das Ziel „Energiepolitik aus einerHand“ bereits erreicht worden: Sämtliche Energiefragensind im Bundesministerium für Wirtschaft und Energiegebündelt worden. Jetzt müssen wir dafür sorgen, HerrMinister Gabriel, dass dies auch auf den darunterliegen-den Ebenen fortgesetzt wird.Meine Damen und Herren, die Wirtschaftspolitik die-ser Koalition ist zum großen Teil Mittelstandspolitik.Deshalb setzen wir unsere finanzielle Förderunterstüt-zung vor allem für den Mittelstand fort. Der Mittelstandist und bleibt das Rückgrat unserer Wirtschaft. Dass diesso bleibt, das war mir und meinem Koalitionsmitbericht-erstatter Thomas Jurk ein sehr wichtiges Anliegen. Wirbeide waren nicht damit einverstanden – das ist, glaubeich, ein offenes Geheimnis –, dass im Haushaltsentwurfeinige Ansätze im Bereich der Mittelstandsförderung ge-kürzt wurden. Deshalb haben wir rund 8 Millionen Eurofür diese Zwecke wieder in die Förderinstrumentarienfür den Mittelstand hereingeholt, und 1 Million Euro ha-ben wir zusätzlich für Investitionen in Fortbildungsein-richtungen, vor allem denjenigen für das Handwerk, zurVerfügung gestellt.
Ein Thema, das vielleicht ab und an zu kurz kommt:Auch die Deutsche Zentrale für Tourismus erhält für2015 mehr Mittel. Wir haben den Ansatz hierfür auf ins-gesamt 30 Millionen Euro angehoben, um im Auslandfür unsere schöne Heimat, für den Tourismus bei uns inDeutschland zu werben. Das hatte ich bereits bei meinerRede zur Einbringung des Haushaltes angekündigt; dashaben wir jetzt umgesetzt.
Wir wollen aber nicht nur im Bereich Tourismus mehrmachen und die mittelständische Wirtschaft dort mitmehr Geldern unterstützen, sondern auch im Bereich derDigitalisierung. Hier haben wir in den Haushaltsberatun-gen knapp 4 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügunggestellt, so zum Beispiel zur Unterstützung vor allemkleiner und mittelständischer Betriebe. Diese erhaltenzum Beispiel mit dem Modellvorhaben „go-digital“ Gut-scheine für externe Beratungsdienstleistungen im Be-reich IT-Sicherheit, Internetmarketing und digitale Ge-schäftsprozesse – Themen, die in kleinen undmittelständischen Betrieben häufig unterschätzt werden.So unterstützt der Bund auch bei diesen wichtigen The-men gerade kleine und mittelständische Unternehmen.
Jetzt darf ich noch etwas sagen: Wir haben zu Beginndieser Legislaturperiode viel Soziales gemacht, wir ha-ben den einen oder anderen sehr ausgabefreudigen Ent-schluss gefasst. Jetzt müssen wir auch Haushaltskonsoli-dierung und die Wirtschaft wieder in den Fokus unseresHandelns rücken. Ich selbst komme aus der Wirtschaftund weiß, welche Belastungen diese Beschlüsse für dieWirtschaft mit sich bringen – sie bringen aber auch Gu-tes für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes; des-halb waren sie zu einem großen Teil richtig. Wir dürfenaber – diese Bemerkung sei mir gestattet – genauso dieLeistungsfähigkeit der Unternehmen nicht überfordern;denn es sind die Unternehmen, die den Menschen Arbeitgeben, ihren Lohn zahlen und vor allen Dingen Steuernentrichten. Wir geben dann diese Steuereinnahmen hof-fentlich klug und geschickt aus. Deshalb: Jetzt ist es ander Zeit, auch an die Wirtschaft zu denken. Lassen Sieuns also alle gemeinsam die noch vor uns liegenden He-rausforderungen zum Beispiel im Bereich der Infrastruk-tur anpacken und die dort bestehenden Probleme lösen.Nun werden einige Kollegen sagen: Du hast garnichts über Fracking gesagt. – Das ist richtig.
Und jetzt ist es auch zu spät.
Dazu werde ich jetzt auch nichts sagen. Darüber wer-den wir auf kluge Weise in einer der anstehenden Sitzun-gen beraten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6611
Andreas Mattfeldt
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Ich darf heute dafür werben, diesem Haushalt desBundeswirtschaftsministeriums die Zustimmung zu ge-ben.Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Es ist häufig die Logik von Haushaltsdebatten, ge-rade wenn es um die Wirtschaft geht, dass man ein biss-chen in der einen oder anderen Richtung in Extremeverfällt. Was will ich damit sagen? Ich glaube, dass wiruns in der Wirtschaftspolitik weder regierungsamtlicheSchönfärberei noch oppositionsmäßige Schwarzmalereileisten dürfen. Wir brauchen einen realistischen Blickdarauf, was wirtschaftspolitisch vor uns liegt. Wenn manes nicht glaubt, dann sollte man vielleicht das Buch vonMarcel Fratzscher, dem DIW-Chef, lesen, der über unserLand, wie ich finde, in bemerkenswerter Weise deutlichmacht, dass wir wirklich das sind, was wir alle miteinan-der feststellen, nämlich die Wachstumslokomotive inEuropa, ein starker volkswirtschaftlicher Wachstumskernin Europa, der über vernünftige Wertschöpfungskettenverfügt. Wenn man sich daran erinnert, wie es früher, voretwa zehn Jahren, war, als über Deutschland als denkranken Mann Europas gesprochen wurde, muss man sa-gen: Dass sich das verändert hat, liegt daran, dass Vor-gängerregierungen den Mut zu Reformen hatten, denandere nun offensichtlich unter schwierigeren Bedin-gungen erst aufbringen müssen. Herr Mattfeldt, ich sagedas mit Hinweis auch auf Frankreich. Wenn JacquesChirac und Sarkozy den gleichen Mut zu Reformen ge-habt hätten wie beispielsweise die rot-grüne Bundesre-gierung, würden wir nicht vor solchen Problemen ste-hen, wie wir sie heute haben.
Wir können Präsident Hollande nur den Mut und die Un-terstützung wünschen, um zu Strukturreformen in sei-nem Land zu kommen.
– Sehen Sie das doch nicht einseitig durch die parteipoli-tische Brille, sondern versuchen Sie einfach, festzustel-len: Ja, wir sind ein starkes Land.Herr Fratzscher hat aber in seinem Buch auch deut-lich gemacht, dass es keinen Grund gibt, sich selbstzu-frieden zurückzulehnen. Oder wie der Volksmund sagt:Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie am fal-schen Körperteil. Tatsache ist: Bei aller Freude über dieStärke unseres Landes haben wir auch ein paar wundePunkte, die es zu bearbeiten gilt. Ein wunder Punkt istdie Investitionsquote in diesem Land, und zwar sowohldie private als auch die öffentliche. Deshalb bin ich froh,dass wir nicht nur mit dem Etat des Bundeswirtschafts-ministeriums, sondern mit dem gesamten Bundeshaus-halt dafür sorgen, dass die öffentlichen Investitionengestärkt werden, und zwar sowohl im Bereich der Mit-telstandsförderung und im Bereich der Verkehrsinfra-struktur als auch bei Bildung und Forschung. Nicht nur,dass wir Schritt für Schritt den Haushalt konsolidieren,wir investieren auch mehr in Zukunft. Hier sind wir aufeinem guten Weg.
Das reicht aber nicht. Deshalb ist es richtig und ver-nünftig, dass wir gerade in der momentanen Phase– Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat das angemahnt;Bundesfinanzminister Schäuble hat sich nun auf denWeg gemacht – zusätzliche Mittel, die sich aus den vor-handenen Spielräumen ergeben, für öffentliche Investi-tionen nutzen. Wir werden zwar über die Verteilung derMittel noch im Einzelnen zu diskutieren haben. Aber auswirtschaftspolitischer Sicht ist es wichtig, dass wir dieMittel nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern sie tat-sächlich für investive Maßnahmen einsetzen, beispiels-weise für die energetische Gebäudesanierung, die Stär-kung der Kommunen
sowie für die Verbesserung der Verkehrsinfrastrukturund der Breitbandinfrastruktur in diesem Land. Da gehö-ren die Mittel hin. Sie dürfen nicht mit der Gießkanneverteilt werden.
Wenn wir über Investitionsquoten reden, dann dürfenwir nicht nur über die öffentlichen, sondern müssen auchüber die privatwirtschaftlichen Investitionen reden unddarüber, wie die Rahmenbedingungen der Wirtschaft fürInvestitionen in Deutschland sind. Ja, wir haben Stand-ortstärken, zum Beispiel die berufliche Erstausbildung indiesem Land, eine im internationalen Vergleich noch im-mer gute Infrastruktur, eine Forschungslandschaft, diesich sehen lassen kann, und sozialen Frieden, der für In-vestitionssicherheit in diesem Land sorgt. Wir sind einstarkes Land.Aber wir haben auch ein paar Schwachstellen. Die zubearbeiten, ist Aufgabe aktiver Wirtschaftspolitik. Des-halb bin ich froh, dass BundeswirtschaftsministerSigmar Gabriel im Gegensatz zu manchem VorgängerWirtschaftspolitik nicht nach dem Motto „Wir schauender Wirtschaft beim Wachsen zu“ oder – noch schlimmer –„Wir schauen ihr beim Schrumpfen zu“ betreibt, sonderndass er auf aktive Gestaltung der Rahmenbedingungensetzt,
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6612 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Hubertus Heil
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beispielsweise indem er die Energiewende wieder vomKopf auf die Füße stellt. Das ist die wichtigste wirt-schaftspolitische Aufgabe. Wir haben Aufräumarbeitenzu leisten, damit die Energiewende funktioniert.
– Das kann ich gerne geben, Herr Kollege Krischer. Siehaben ja auch noch die Gelegenheit.Wir haben binnen eines Jahres dafür gesorgt, dass mitder EEG-Reform nicht nur Planbarkeit in den Ausbauder erneuerbaren Energien kommt,
sondern eben auch mehr Kosteneffizienz, damit wirnicht mehr nach dem Gießkannenprinzip das Geld ver-schleudern. Hinzu kommt die Akzeptanz der Energie-wende.
– Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie verstehen von vie-lem etwas, aber von Wirtschaftspolitik wirklich nichts,wenn Sie hier so etwas sagen.
– Hören Sie doch einfach einen Moment zu. Sie habennachher noch die Gelegenheit.Wir haben tatsächlich dafür gesorgt, dass die EEG-Reform vorangekommen ist, und – was wichtig ist, da-mit wir auch energieintensive Betriebe in Deutschlandhalten können – wir haben binnen eines Jahres den Kon-flikt mit der EU-Kommission beigelegt, damit dieGrundstoffindustrien in Deutschland bleiben. Ich weißnicht, was in dieser Frage passiert wäre, wenn FrauGöring-Eckardt Wirtschaftsministerin gewesen wäre.Ich bin froh, dass Sigmar Gabriel das geschafft hat.
Wir haben aber energiepolitisch noch eine ganzeMenge vor, beispielsweise für mehr Energieeffizienz zusorgen.
Dafür werden am 3. Dezember entsprechende Maßnah-men im Kabinett getroffen. Dazu gehört beispielsweisedie energetische Gebäudesanierung. Wir werden imkommenden Jahr die Entscheidung über das zukünftigeStrommarktdesign treffen. Wir wollen, dass die Energie-wende zum Erfolg geführt wird – für eine saubere, abereben auch für eine sichere und bezahlbare Energiever-sorgung. Das sind wir der wirtschaftlichen Entwicklungund den Menschen in diesem Land schuldig.
– Das tut Ihnen weh. Das merke ich schon an den Zwi-schenrufen. Aber es ist so: Wir machen uns auf den Weg.
Es geht weiterhin darum, Industriepolitik in diesemLand zu betreiben. Da ist Energiepolitik ein ganz zentra-ler Bereich. Dazu gehört aber auch das Thema Fachkräf-tesicherung, an dem wir arbeiten, und nicht zuletzt dieFrage der Akzeptanz von industrieller Wertschöpfungund von Innovation in diesem Lande. Deshalb ist das an-gesprochene Bündnis für Industrie in diesem Land, dasSigmar Gabriel mit Wirtschaft und Gewerkschaften ge-schlossen hat, ganz wichtig.Die großen Herausforderungen, vor denen der Indust-riestandort Deutschland steht, sind die demografischeEntwicklung – Stichwort: Fachkräfte –, die Frage derInnovation – Stichwort: Digitalisierung, Industrie 4.0 –,die Frage der Internationalisierung und die Frage derRohstoffknappheit und der Energiekosten. Das sind allesFragen, die wir nicht alleine beantworten können; viel-mehr brauchen wir abgestimmte Maßnahmen zwischenWirtschaft, Politik und Gewerkschaften in diesem Land.Das sind große Herausforderungen. Deshalb finde iches richtig, dass Sigmar Gabriel die Initiative ergriffenhat. Ich bin dem BDI-Präsidenten, Herrn Grillo, unddem IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel außerordent-lich dankbar, dass sie mitmachen; denn sie wissen: Esgibt bei allen Interessenunterschieden, die es zwischenArbeitnehmern und Gewerkschaften in diesem Landgibt, die es auch in der Politik, auch in der GroßenKoalition, gibt, die Notwendigkeit, zu einem neuen In-dustriekonsens in diesem Land zu kommen. Das ist derSchulterschluss, den wir für wirtschaftlichen Erfolg indiesem Land brauchen.
Schließlich müssen wir etwas für das wirtschaftlicheRückgrat dieses Landes tun, und das ist der Mittelstand.Aufgrund meiner begrenzten Redezeit nur ein Hinweis:Diese Regierung redet nicht über Bürokratieabbau, siemacht sich auf den Weg. Ich nenne zum Beispiel dieOne-in- und die One-out-Regelung.
– Das kann ich erklären. – Wir sorgen für eine Bürokra-tiebremse.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6613
Hubertus Heil
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Es wird für jede neue Regelung eine alte Regelung ge-strichen. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Ich fügehinzu: Das meiste ist Steuerbürokratie in diesem Land.Die werden wir uns vornehmen müssen, damit wir die-sem Land tatsächlich Investitionsimpulse geben, die üb-rigens nicht immer Geld kosten müssen, die aber geradefür die mittelständische Wirtschaft wichtig sind.Dieser Bundeswirtschaftsminister hat in einem Jahrdafür gesorgt, dass aus einem verwaisten Haus wiederein gestaltendes Schlüsselressort dieser Bundesregierunggeworden ist. Wir werden ihn auf diesem Weg weiter imInteresse der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Lan-des unterstützen.Herzlichen Dank.
Nun erhält der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lieber Hubertus Heil, ich habe vor kurzem ei-nen sehr schönen Spruch gehört von einem Kollegen derCDU. Dieser würde auf den Schlusssatz zutreffen, denSie gerade gesagt haben: Zu viel Weihrauch schwärztselbst den Heiligen.
Der Heilige sitzt hier.
Sigmar Gabriel, bei so viel Lob müssen wir aufpassen,dass du dann nicht auch inhaltlich schwarz wirst – bei soviel Weihrauch, der da kommt.
Ich möchte auf Investitionen eingehen, meine Damenund Herren. Überall ist zu lesen und festzustellen:Deutschland hat viel zu wenige Investitionen und ge-fährdet damit das Wachstum. Deshalb stellt sich dieFrage: Haben wir eigentlich auch zu wenig Geld odernur zu wenig Investitionen? Deshalb müssen wirschauen, wie es um das Geld bestellt ist.Die Frankfurter Rundschau vom 20. Novemberschreibt mit Verweis auf die Schweizer Bank UBS: DasVermögen der Superreichen in Deutschland wuchs – ichzitiere – um 10 Prozent auf über 2,5 Billionen Dollar. –Hierbei handelt es sich um eine Steigerung um 10 Pro-zent innerhalb eines Jahres. Das heißt, der Vermögenszu-wachs in einem Jahr betrug 10 Prozent. Die FrankfurterRundschau schreibt weiter:Mit dieser Summe könnte man alle deutschen Ar-beitnehmer zwei Jahre bezahlen oder sieben Jahredie Ausgaben der Bundesregierung finanzieren.Meine Damen und Herren, in diesem Lande fehlt esnicht an Geld, sondern diese Bundesregierung traut sichnicht, das für Investitionen benötigte Geld dort zu holen,wo es eigentlich ist. Das ist unser Problem.
Ein immer größerer Teil des Kuchens geht aus-schließlich an die Eigentümer größter Vermögen. InDeutschland gibt es einen Spruch dazu: Der Teufelmacht immer auf den größten Haufen. Genau das ist dasProblem in diesem Land.Meine Damen und Herren, wir haben ein massivesVerteilungsproblem in der Bundesrepublik Deutschland.Dieses Verteilungsproblem wird von dieser Regierungignoriert und nicht angegangen. An dieser Stelle möchteich die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bemühen:Von 2000 bis 2013 haben wir eine Zunahme der Unter-nehmens- und Gewinneinkommen von 24 Prozent zuverzeichnen. Die realen Arbeitnehmerentgelte je Be-schäftigten sind im selben Zeitraum um 3,1 Prozent ge-sunken. Ja, Herr Mattfeldt, Sie haben recht: Die Arbeit-nehmer haben die Zähne zusammengebissen. Aber dasGeld ist woanders gelandet. Andere haben das Gegenteilvon Zähnezusammenbeißen gemacht: Diese haben kräf-tig kassiert und sich gleichzeitig privaten Investitionenverweigert.Meine Damen und Herren, die Renten langjährig Ver-sicherter sind zwischen 2000 und 2012 ebenfalls gesun-ken, real um 19 Prozent im Westen und um 23,4 Prozentim Osten.Während sich bei einigen das Geld offensichtlich an-häuft, zerfällt die öffentliche Infrastruktur. Eltern strei-chen inzwischen die Klassenzimmer ihrer Kinder selbst.
Jede zweite Betonbrücke in Deutschland ist inzwischenmarode. Es bilden sich Bürgerinitiativen mit dem Ziel,öffentliche Schwimmbäder weiter zu betreiben, weil denKommunen das Geld fehlt. Seit 2003 – und das wissenSie, Herr Gabriel – reichen die Bruttoinvestitionen nichtmehr aus, um die Abschreibungen auszugleichen – einRiesenproblem.Die 10 Milliarden Euro, die noch nicht einmal sichersind und über die im Parlament nicht gesprochen wird,reichen hinten und vorne nicht aus. Mit Ihrer Politikläuft diese Republik auf der Felge.
Staat und Unternehmen müssten jährlich allein103 Milliarden Euro mehr ausgeben, um den Verschleißauszugleichen, so das Deutsche Institut für Wirtschafts-forschung. Was macht diese Regierung? Wo sind die Ini-tiativen, um das zu beheben? Wie auf einer Fronleich-namsprozession tragen Sie die schwarze Null vor sichher.
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6614 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Klaus Ernst
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Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, Siewarten auf eine göttliche Vorsehung in dieser Frage. Dashat ja schon religiöse Züge, was Sie hier machen. WennSie wirklich etwas bei den Investitionen ändern wollen,dann kommen Sie nicht darum herum, auf das Vermögender Superreichen zuzugreifen.
Jetzt will ich Ihnen eine Rechnung aufmachen. Alleinder Zuwachs des Vermögens der Superreichen betrug imletzten Jahr 10 Prozent. Das ist ein Vermögenszuwachsvon 285 Milliarden Dollar – das wird in Dollar ausge-drückt. 5 Prozent Steuern auf das Vermögen, wie wir esvorschlagen, entsprächen 129 Milliarden Dollar; das wä-ren ungefähr 100 Milliarden Euro. Wenn Sie also dieForderungen der Linken realisieren würden, hätten Sie100 Milliarden Euro mehr in Ihrem Staatshaushalt. Dannhätten Sie die Möglichkeit, den Investitionsstau inner-halb kurzer Zeit zu beseitigen.Warum machen Sie das eigentlich nicht? Gleichzeitigwürde das kein Problem für die Superreichen bedeuten.Sie hätten immer noch über 100 Milliarden Euro mehrauf dem Konto. Glauben Sie, sie würden auf dem Zahn-fleisch gehen, wenn sie nur noch 100 Milliarden Euromehr statt 200 Milliarden Euro mehr hätten? Nein. Des-halb sage ich, meine Damen und Herren: Diese Regie-rung ist in dieser Frage nicht nur zahm, sondern auch be-scheiden und sogar feige. Die Möglichkeiten, Problemezu lösen, hätte sie nämlich; aber sie nutzt sie nicht.Jetzt wird man mir entgegnen: Es ist vor allen Dingender Koalitionspartner, der sich weigert, diese Problemeanzugehen. – Dann sage ich der CDU/CSU: Sie sind fürden Zustand, den wir in Deutschland bald haben werden,verantwortlich. – Denn wir leben permanent über unsereVerhältnisse, weil wir es den Reichen nicht nehmen,Herr Fuchs. Das ist unser Problem.
Eine letzte Bemerkung, weil ich nicht mehr viel Zeithabe. Ich möchte noch einmal auf die geplanten Han-delsabkommen wie das TTIP zu sprechen kommen. Wirwaren unterwegs und haben gesehen, was in der Welt losist. Eins möchte ich Ihnen schon noch sagen: Es gibtneue und es gibt alte Studien. Selbst wenn man alte Stu-dien heranzieht und berücksichtigt, was in der Grund-wertekommission der SPD diskutiert wird – –
– Da war ich eingeladen
– ja –, auf euren Vorschlag. Vielleicht warst du es, dermich eingeladen hat; ich weiß es nicht.
Ich möchte aus einem Diskussionspapier der Grund-wertekommission der SPD zitieren. Dort ist zu lesen:Das durchschnittliche Wachstum pro Jahr, das man mitden Handelsabkommen erreichen würde, würde für dieEuropäische Union jährlich 0,04 Prozent und für dieUSA 0,03 Prozent bedeuten. In dem Text heißt es weiter:„weniger als jeder Witterungseffekt“.Meine Damen und Herren, wenn man an die Wachs-tumswirkungen der Handelsabkommen glaubt, dannkann man auch den Regenmachern glauben. Deshalbsollten wir diese Abkommen ablehnen.Ich danke fürs Zuhören.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Fuchs für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Wortevon Herrn Ernst hören wir eigentlich jedes Jahr fünf-,sechs-, siebenmal.
Lieber Herr Ernst, Sie sollten irgendwann mal irgendwasanderes sagen. Wir haben das alles schon gehört. Ihregesamte Auffassung über die Vermögensteuer sollten Siezunächst einmal mit dem Bundesverfassungsgericht ab-klären. Ich verweise auf den berühmten Halbteilungs-grundsatz. Nehmen Sie ihn doch zur Kenntnis. Es hatdoch keinen Sinn, das immer wieder zu wiederholen.
Sie wissen, dass das nicht funktioniert.
Meine Damen und Herren, die deutsche Wirtschaft istin einer ausgesprochen positiven Situation, so positiv,wie sie viele Jahre nicht gewesen ist. Trotz der schwieri-gen Situation im Umfeld, trotz des schwierigen Aus-landsgeschäftes für die deutschen Unternehmen, trotzder Situation, die wir in der Ukraine, in Syrien, im Irakund in vielen Ländern Europas haben, wächst unsereWirtschaft weiter, und zwar im nächsten Jahr um1,2 Prozent.Ich will diese Zahl verdeutlichen. Was bedeutet1,2 Prozent Wachstum? Das sind 34 Milliarden Euro zu-sätzliches Wachstum. Bei Griechenland wären es10 Prozent Wachstum, bei Portugal wären es 15 ProzentWachstum, ja, selbst bei Österreich wären es mehr als10 Prozent Wachstum, wenn die Wirtschaft in diesenLändern in der gleichen Größenordnung wachsen würde.
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Dr. Michael Fuchs
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Dass eine reife Volkswirtschaft wie die deutsche in einerKrisensituation so wächst, ist ausgesprochen positiv.Dies zeigt, wie robust unsere Wirtschaft ist, wie robustdie Binnenkonjunktur ist und dass wir wettbewerbsfä-hige Unternehmen haben.Davon profitieren wir alle: Davon profitieren dieMenschen; davon profitieren die Unternehmen. Davonprofitiert allerdings auch der Staat, und deswegen sindwir überhaupt in der Lage, bei niedrigster Inflation einensolch ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, wie es heuteder Fall ist. Nach 46 Jahren haben wir es endlich malwieder geschafft, einen Haushalt auszugleichen. Ich bindem Bundesfinanzminister, aber auch allen Haushälterndankbar, die das ermöglicht haben. Das ist eine tolleLeistung. Wenn das Gleiche in anderen europäischenLändern gemacht würde, würde es uns allen wesentlichbesser gehen.
Das ist ein Zeichen, dass das, was wir machen, funktio-niert. Wir sollten darum kämpfen, dass das in ganzEuropa so gehandhabt wird.Meine Damen und Herren, die Lage ist positiv. DieArbeitsmarktsituation ist so positiv wie seit der Wieder-vereinigung nicht mehr. Aber das ist kein Automatismus.Wir können uns darauf nicht ausruhen. Wir dürfen nichtglauben, dass uns das geschenkt wird. Die Situation hatsich wirklich verändert. Während Ende der 1990er-Jahre, Anfang dieses Jahrtausends die Wirtschaft in allerRegel darüber geklagt hat, dass die Löhne zu hoch sindund dass Deutschland deswegen nicht wettbewerbsfähigist, so muss man jetzt feststellen, dass sich die Diskus-sion komplett auf andere Bereiche verlagert hat.Da geht es um die Energiepolitik; da geht es aberauch um eine gut ausgebaute Infrastruktur. Deswegen istes vollkommen richtig, dass die Bundesregierung gesagthat: Gerade der Breitbandausbau für das Internet in ganzDeutschland, im Land, auf der Fläche, ist dringend not-wendig und muss vorangetrieben werden. – Dass dafürGelder in die Hand genommen werden müssen, weiß je-der von uns; das ist klar. Aber das geht auch in andereBereiche hinein: Luftverkehr, Bahnverkehr etc. All dasmuss besser ausgebaut werden; denn ein Land wieDeutschland braucht eine vernünftige Infrastruktur. Da-ran sollten wir weiter arbeiten.Wir haben ein weiteres großes Problem – da liegt einezentrale Aufgabe für dieses Parlament –, und das istdie demografische Entwicklung. Ich nenne nur zwei,drei Zahlen. Im Jahr 2009 wurden in Deutschland600 000 Ausbildungsverträge im Handwerk unterschrie-ben. Wir werden im Jahr 2015 überhaupt nur noch500 000 Schulabgänger haben. Das heißt, da wird eseine gewaltige Lücke geben. In meinem Wahlkreis ha-ben wir immerhin noch 365 offene Ausbildungsstellenim Handwerk.Dieser Rückgang wird zu einem Facharbeitermangelund zu einem Wettlauf um Facharbeiter führen. Das sindDinge, die wir in der nächsten Zeit, Herr Minister, etwasintensiver adressieren müssen. Wir müssen uns gemein-sam überlegen, wie wir der Wirtschaft hierbei helfenkönnen; denn wir konkurrieren mit anderen Standortenüberall in der Welt. Wenn in Deutschland keine qualifi-zierten Arbeitnehmer mehr zu bekommen sind, dannkann es uns sehr schnell passieren, dass die Firmen da-hin abwandern, wo die Arbeitnehmer sind.Deswegen bin ich auch froh, dass wir uns sehr inten-siv mit dem Außenhandel beschäftigen. Die Bundeskanz-lerin hat gestern vollkommen zu Recht sehr nachdrücklichzum Ausdruck gebracht, dass TTIP vorangebracht wer-den muss. Wenn ich immer die Unkenrufe von allenmöglichen Leuten höre, wie schlimm und fürchterlichdas Ganze sein würde, kann ich nur sagen: Ich habe inder letzten Woche auf der Asien-Pazifik-Konferenz derdeutschen Wirtschaft feststellen können, wie notwendigdie Freihandelsabkommen sind.
Jeder hat uns klargemacht, dass das dringend ist.Wenn man nur einmal die letzten fünf Jahre betrachtet –ich bin ja so ein alter Außenhändler
und habe mich zeit meines Lebens mit Außenhandel be-schäftigt, meine Damen und Herren –, dann hat man inden 31 größten Nationen, mit denen wir Handel betrei-ben, 860 neue Handelshemmnisse festzustellen. BeimAufbau von Handelshemmnissen liegt Russland an ers-ter Stelle. An zweiter Stelle liegt China. An dritter Stelleliegt Indien. Indien hat beispielsweise kurzerhand denPkw-Importzoll von 75 Prozent auf 100 Prozent angeho-ben. All das ist in den letzten fünf Jahren passiert. Anvielen Stellen sind Handelshemmnisse neu aufgebautworden. Das schadet der deutschen Wirtschaft natürlichganz erheblich.Deswegen ist es notwendig, dass wir so schnell wiemöglich daran weiterarbeiten. Die Doha-Runde ist schonlange zum Stillstand gekommen. Seit über zehn Jahrenhat sich nichts bewegt. Ich hoffe, dass der neue Präsidentjetzt endlich mehr Schwung hineinbringt. Die Zeichen,die dadurch gesetzt wurden, dass Froman jetzt mit In-dien verhandelt hat, sind positiv, und es könnte sein, dasssich da etwas bewegt. Aber noch viel mehr würde sichbewegen, wenn es uns gelingen würde, TTIP so schnellwie möglich abzuschließen.Was ist eigentlich der zentrale Grund dafür, dass TTIPfür uns so wichtig ist? Meine Damen und Herren, mitdiesem Abkommen werden Normen und Standards fürden transatlantischen Raum gesetzt. Unsere Normenwerden mit denen der Amerikaner abgeglichen undgleichgesetzt. Die Amerikaner – das hat man uns in Viet-nam sehr nachdrücklich beigebracht, Herr Minister –verhandeln auch sehr intensiv über TPP. Das ist dasTrans-Pacific Partnership Agreement. Wenn das zuerstfertig ist, dann werden Normen zwischen den Pazifik-staaten und den Amerikanern gesetzt, und dann könnenwir uns darauf verlassen, dass sie diese natürlich in dieVerhandlungen mit uns über TTIP einbringen müssen,
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Dr. Michael Fuchs
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weil sie keine zwei verschiedenen Normensysteme – ei-nes für den pazifischen und eines für den atlantischenRaum – haben können. Wenn das passiert, dass zuerstdie transpazifischen Normen festgelegt werden, dann be-deutet das für uns, dass wir denen sozusagen nachlaufenmüssen. Mir ist es andersherum lieber, nämlich dass dieuns nachlaufen.
Deswegen finde ich es sehr positiv, dass FrauMalmström uns mitgeteilt hat, dass die Verhandlungen– in großer Transparenz; dafür bin ich unbedingt – soschnell wie möglich fortgesetzt werden sollen.
Ich habe auch noch die Hoffnung, dass das schnellergehen könnte, und zwar deswegen schneller gehenkönnte, weil in den USA jetzt in beiden Häusern die Re-publikaner das Sagen haben, die traditionell deutlichfreihandelsfreudiger sind, als es die Demokraten nuneinmal sind.
Insofern sollten wir alles daransetzen – das ist eine derwichtigsten Aufgaben, Herr Minister, der nächsten Zeit –,dieses Abkommen weiter nach vorne zu bringen.Gerade der Mittelstand ist auf Freihandel angewiesen.Seine Unternehmen haben keine großen Rechtsabteilun-gen, die sich mit nichts anderem beschäftigen, als zuschauen, in welchem Land welche Regeln gelten; daskann sich der normale Mittelständler nicht leisten. Wennwir es aber schaffen können, die Situation so darzustel-len, dass er es kann, dann sollten wir das tun.Meine Damen und Herren, ein weiterer Bereich, indem es dringend notwendig ist, etwas zu tun, ist der In-vestitionsbereich. Ich bin froh, dass der Bundesfinanz-minister weitere 10 Milliarden Euro zur Verfügung stellt,
die wir in den nächsten drei Jahren investieren werden.
Ich bin froh, dass im nächsten Haushalt festgelegt wird,wohin das Geld fließt. Das ist notwendig.
Je mehr Investitionen wir haben, desto größer ist dieChance, dass Deutschland den Wachstumspfad weiterverfolgen kann.Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass Investitio-nen nicht nur im öffentlichen Sektor, sondern auch imprivaten Sektor, im Unternehmenssektor, erfolgen. Dafürmüssen die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dassan den Standort Deutschland geglaubt wird und dassmöglichst viel in Deutschland investiert wird.In Deutschland haben wir in den letzten Jahren diehöchsten Forschungsetats überhaupt; aber wir geben erst2,94 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für For-schung aus. Ich nenne mal die Zahlen anderer Länder:Südkorea investiert 4 Prozent und das wachstumsschwa-che Japan 3,4 Prozent. Wir sind da also noch nicht an derSpitze. Das kann noch deutlich mehr werden. Wir solltendaran arbeiten.Wir brauchen in Deutschland gute Bedingungen fürExistenzgründer, für Risiko- und auch für Beteiligungs-kapital. Wir haben zurzeit 4,43 Millionen Selbststän-dige. Die Zahl klingt besonders gut; aber es ist nicht so,als wäre Deutschland das Gründerland der EuropäischenUnion oder gar der Welt – nein!Wenn man sich einmal überlegt, welche großen Un-ternehmen mit Weltgeltung in Deutschland vor demZweiten Weltkrieg gegründet wurden und welche da-nach, dann stellt man fest, dass es in Deutschland eigent-lich nur ein einziges nach dem Zweiten Weltkrieg ge-gründetes Unternehmen gibt, das Weltgeltung erlangthat, nämlich SAP. Wir sollten einmal darüber nachden-ken, warum das bei uns so ist. In den USA sieht es an-ders aus. Ich nenne einfach nur Microsoft, Apple, CiscoSystems, Intel, Dell, Facebook, Google; all das sind Un-ternehmen mit Weltgeltung, die nach dem Zweiten Welt-krieg, zum Teil in den letzten 20 Jahren, entstanden sind.Ich meine, es muss schon einen Gedanken wert sein, wa-rum das bei uns so schleppend vorangeht.
Das Risiko- und Beteiligungskapital spielt da be-stimmt eine Rolle. Ich zitiere jemanden:Wenn im Silicon Valley … 15 Milliarden Euro Ven-ture Capital … zur Verfügung gestellt werden, dannist das, was wir in Deutschland zu bieten haben,eher auf der Ebene homöopathischer Dosen.Das Zitat stammt von Herrn Gabriel; da sitzt er.Wir sollten dafür sorgen, dass sich der Einsatz vonVenture Capital in Deutschland lohnen kann. Da kann esnicht sein, dass Steuerbegünstigungen für Gewinne ausder Veräußerung von Streubesitzanteilen – die Begünsti-gungen sind im Prinzip dafür da, um eine Doppelbesteue-rung zu vermeiden – aktuell wieder zur Diskussion ge-stellt werden;
denn dann wird da nicht investiert. Wir brauchen abergerade diese Investitionen in kleine, in junge Unterneh-men; das ist notwendig.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6617
Dr. Michael Fuchs
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Lieber Kollege Mattfeldt, ich habe noch drei MinutenRedezeit, und deswegen werde ich noch ein bisschen zurEnergiepolitik sagen. Wir brauchen eine konsistenteEnergiepolitik – –
Einen Moment mal! Können wir einen Zeitabgleich
machen? Wo sollen die drei Minuten herkommen?
Wir brauchen eine konsistente Energiepolitik, die
dazu führt, dass wir sicher, zuverlässig und zu jeder Zeit
preiswert Energie zur Verfügung stellen können, die
selbstverständlich ökologisch sein sollte. – Prima, ich
kriege noch Redezeit.
Nein, nein. Nach Ablauf der Redezeit gibt es auch
keine Zwischenfragen.
Dann kann ich nur sagen: Wir werden an dieser Ener-
giepolitik intensiv arbeiten.
Na also!
Ich gehe davon aus, dass wir das gemeinsam schaffen.
Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Schlecht um eine Kurzinterven-
tion gebeten.
Herr Dr. Fuchs, Sie haben am Anfang Ihrer Rede aus-
geführt, dass eine Vermögensteuer in Deutschland ver-
fassungswidrig sei. Ich will Sie darauf hinweisen, dass
das eine alte Mär ist bzw. eine Schutzbehauptung von
Leuten, die befürchten, dass sie zur Steuerzahlung he-
rangezogen werden.
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
besagt, dass zum Beispiel der sogenannte Halbteilungs-
grundsatz, mit dem jahrelang argumentiert worden ist,
nicht gilt und dass er im Grunde genommen nie als Leit-
linie für staatliches Handeln zu interpretieren war. Es
gibt also klare Vorgaben vonseiten des Bundesverfas-
sungsgerichts, dass eine Vermögensbesteuerung alleine
in den Händen der Politik liegt.
Bevor ich hier im Bundestag mein Mandat erworben
habe, war ich Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung
von Verdi
und habe renommierte Staatsrechtler beauftragt, Gutach-
ten zu diesem Thema anzufertigen. Aus diesen Gutach-
ten ging immer eindeutig hervor, dass die Politik die
Vermögensbesteuerung völlig frei gestalten kann. Viel-
leicht können Sie das in Zukunft einmal zur Kenntnis
nehmen und in Ihrer Argumentation berücksichtigen;
auch wenn Einzelne, möglicherweise auch Sie, eine Ver-
mögensbesteuerung befürchten.
Danke schön.
Zur Erwiderung Herr Kollege Fuchs.
Erstens. Wir alle hier im Haus wissen – vielleicht die
Linke nicht; davon gehe ich aus –, dass eine Vermögens-
besteuerung von Unternehmensbesitz, automatisch, weil
es sich um eine Substanzbesteuerung handelt, dazu führt,
dass die Unternehmen weniger investieren.
Das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, das sollten
Sie aber zur Kenntnis nehmen.
Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Halbteilungsgrundsatz aufgestellt. Den müssen Sie zur
Kenntnis nehmen, ob Sie das wollen oder nicht.
Es hat gesagt: Wenn jemand 50 Prozent Steuern zahlt,
dann ist das genug.
Auch ich bin der Meinung, dass damit genügend Steuer
erhoben ist. Ob Sie wollen oder nicht: Das müssen Sie
leider zur Kenntnis nehmen.
Das Wort erhält nun die Kollegin Katharina Dröge für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel! HerrKollege Heil, ich bin noch neu im Bundestag. Deswegenhabe ich vielleicht noch die eine oder andere Illusion. Sohabe ich mich tatsächlich gefragt, warum wir Grünen ei-gentlich immer die Einzigen sind, die Frauen in wirt-
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6618 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Katharina Dröge
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schaftspolitische Debatten schicken, auch in diese De-batte.
Durch Ihren Kommentar heute über Frau Göring-Eckardt habe ich allerdings einiges gelernt. Ich habe ver-standen, was für ein Problem Sie und auch Ihre Parteimit dem Thema „Frauen und Wirtschaftspolitik“ leiderimmer noch haben.
Ich habe verstanden, warum Sie im Koalitionsausschussso ein Problem mit der Frauenquote in der Wirtschafthatten. Ich kann Ihnen nur raten: Tauschen Sie sich mitFrau Göring-Eckardt über Wirtschaftspolitik aus. Ange-sichts Ihrer Rede habe ich den Eindruck: Da können Sienoch das eine oder andere lernen.
Jetzt zu Ihnen, Herr Minister Gabriel. Auch von Ihnenbin ich ein kleines bisschen enttäuscht – nicht, dass Sieetwas für die Ansicht von Herrn Heil in Bezug auf dieFrauenquote könnten –: Sie haben leider Ihren Platz aufder Redeliste mit Herrn Heil getauscht. Ich hatte eigent-lich gehofft, Sie würden vor mir reden; denn es machtmehr Spaß, Ihnen zu antworten als Herrn Heil.
Sie hätten vielleicht auch die eine oder andere Frage vonFrau Hajduk beantworten können.
– Die Sache spreche ich gerade an.Herr Gabriel, Frau Hajduk hat Ihnen die eine oder an-dere Frage zum Freihandelsabkommen TTIP gestellt undzu Ihrer Position in Bezug auf die Schiedsgerichte. Beider letzten Debatte, die wir hier zu TTIP und CETA ge-führt haben, haben Sie dem Parlament einiges verspro-chen. Sie lassen die Welt nun aber etwas im Unklarendarüber, welche Position Sie vertreten. Wenn Sie vor mirgesprochen hätten, wäre ich jetzt schlauer.
– Sie wissen es auch nicht, oder? – Ich hätte gerne ge-wusst, ob Herr Gabriel es geschafft hat, die Schiedsge-richte aus CETA herauszustreichen. Das wäre auch fürIhre Partei interessant; denn Sie haben ja einen entspre-chenden Parteitagsbeschluss gefasst, in dem drinsteht:Rote Linien bei Schiedsgerichten im CETA.
Jetzt hat es Herr Gabriel anscheinend nicht geschafft,die Schiedsgerichte aus CETA herauszuverhandeln.
Die relevante Frage für Sie von der SPD ist doch jetzt:Wie gehen Sie mit Ihrem Parteitagsbeschluss um? Wasmachen Sie denn jetzt, wenn es doch Schiedsgerichte imCETA gibt? Es interessiert mich, was Herr Gabriel dazusagen wird. Sie haben ja gleich in Ihrer Rede 20 MinutenZeit, um darauf zu antworten.
Jetzt aber zu Ihrem Haushalt; das ist ja das eigentlicheThema der Debatte. Herr Gabriel, ich muss Ihnen sagen:Bei Ihrem Haushalt habe ich ein Déjà-vu. Ich habe Ihnenschon öfter in Debatten gesagt, dass Sie mit Ihren Analy-sen durchaus richtig liegen. Das sehe ich auch hier beider Wirtschaftspolitik. Ich will durchaus anerkennen,dass Sie sich darüber bewusst sind, dass mangelnde In-vestitionen in Deutschland ein Problem sind und dass dieeuropäische Wirtschaftspolitik gerade in einer Krisesteckt. Nur, mit dem Handeln klappt das irgendwie nichtbei Ihnen. Sie schließen Bündnisse, Sie schreiben Kon-zepte, Sie gründen Kommissionen – das ist zwar allessuper, aber gute Analysen ersetzen eben noch keine gutePolitik. Ich muss sagen: Von guter Politik ist in IhremHaushalt einfach nichts zu erkennen, trotz entsprechen-der Analysen und Rhetorik.
Nun frage ich mich – das ist vielleicht für Sie nichtschön zu hören –: Wie fühlt man sich als Wirtschafts-minister, wenn man zwar in der Analyse immer richtiglag, dann aber ausgerechnet der Finanzminister von derCDU/CSU, der immer gesagt hat, für Investitionen seikein Geld vorhanden, auf einmal damit um die Eckekommt und im Haushalt 10 Milliarden Euro für Investi-tionen zur Verfügung stellt? Wenn Sie das, was Sie ana-lysiert haben, ernst nehmen, dann können Sie mit diesen10 Milliarden Euro, die Herr Schäuble im Haushalt vor-sieht, auf keinen Fall zufrieden sein. Denn diese 10 Mil-liarden Euro gibt es erst ab dem Jahr 2016 – das heißt,sie wirken im nächsten Jahr noch nicht –, und sie werdenaußerdem auf drei Jahre verteilt. Das ist kein ernsthaftesKonzept für die Lage, in der wir uns aktuell befinden.
Ich möchte das nur noch einmal verdeutlichen. Wirsprechen in Europa mittlerweile von einer ganzen verlo-renen Generation, von jungen Erwachsenen, die seit fasteinem Jahrzehnt damit kämpfen, dass es in ihren Län-dern keine Jobs für sie gibt, unabhängig davon, welcheAusbildung sie gemacht haben und wie gut sie qualifi-ziert sind. Sie finden einfach nichts. Das sind Menschen,die so alt sind wie ich und immer noch bei ihren Elternwohnen müssen. Ich hoffe, meine Eltern hören das jetztnicht oder verstehen es zumindest nicht falsch.
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Katharina Dröge
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Aber es ist doch nicht schön, wenn man in diesem Alternoch bei seinen Eltern wohnen muss.
Diese Situation darf es eigentlich nicht geben. JungeLeute haben doch irgendwann auch ein Recht auf eineeigene Wohnung und eine eigene Familie. Es klingt jetztvielleicht witzig, aber wir tragen dafür Verantwortung.Auch hier in Deutschland tragen wir Verantwortung da-für, wie die Wirtschaftspolitik in Europa aussieht. Wirmüssen etwas gegen ungesund hohe Leistungsbilanz-überschüsse und zu geringe Investitionen unternehmen,und die neuen Mittel für Investitionen – also die 10 Mil-liarden Euro verteilt auf drei Jahre – können wirklichnicht die Antwort auf die Krise sein.
Vielleicht noch ein anderer Vergleich: 10 MilliardenEuro, das ist etwa das Doppelte dessen, worauf uns dasUnternehmen Vattenfall gerade für den Atomausstiegverklagt. Die Risiken, die wir mit dem Atomausstieg vorinternationalen Schiedsgerichten eingehen, betragennämlich 4,7 Milliarden Euro.
Das heißt, die Hälfte dessen, was wir möglicherweise fürInfrastruktur und Bildung ausgeben – wir wissen ja nochnicht genau, wofür die Bundesregierung dieses Geldausgeben will –, haben wir jetzt als Risiken, weil esdiese internationalen Schiedsgerichte gibt. Aber genaudiese Schiedsgerichte wollen Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von der CDU/CSU, ja unbedingt in TTIP undCETA aufnehmen. Die Vereinbarung zu den Schiedsge-richten bekommt Herr Gabriel anscheinend nicht aus denVerträgen heraus.Deshalb stellt sich schon die Frage, auch an HerrnSchäuble als Finanzminister: Welche Risiken gehen Sieda eigentlich ein, und das angesichts der Tatsache, dasswir hier um jede Milliarde Euro streiten und dass Siekein Geld für den Breitbandausbau und für die Infra-struktur haben? Stattdessen sagen Sie so locker: Wirnehmen diese Schiedsgerichte jetzt in verschiedensteHandelsverträge auf. – So riskieren Sie dann, dass unsinternationale Konzerne auf Milliardenzahlungen ver-klagen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn Ihr Haushaltso üppig gestrickt ist, Herr Schäuble, dann können Sietatsächlich noch etwas mehr Geld in die Hand nehmen,und zwar für notwendige Investitionen.
Das Wort erhält nun der BundeswirtschaftsministerSigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Frau Kollegin Dröge, manchmal finden es auch Elternnötig, dass die Kinder endlich ausziehen.
Dass die Kinder noch bei den Eltern wohnen, ist nichtnur bedauerlich für die Kinder, sondern manchmal auchfür die Eltern.Ich wollte Ihnen, Frau Kollegin Dröge, aber noch ein-mal sagen, warum ich mich auf der Rednerliste habenach hinten setzen lassen. Ich wollte Ihrem KollegenKrischer, der ja immer spannende Reden hält, einmal dieMöglichkeit geben, dass ich auf ihn antworten kann;denn dies ist die Stunde des Parlaments. Nun haben Sieaber mit Herrn Krischer getauscht
und konnten daher nicht nach mir sprechen.Die Haushaltsdebatte ist die Stunde des Parlaments,und da ist es angemessen, dass Ministerinnen und Minis-ter dem Parlament auf ihre Debatte antworten und nichtvorweggehen. Das ist die Idee einer Haushaltsdebatte.
Ich bin ja auch schon einige Jahre Parlamentarier, und esist, wie ich finde, doch ganz spannend, wenn Sie als Ab-geordnete etwas sagen und ein Minister wie ich musshinterher antworten.
Aber wenn man es, wie Ihr Kollege Krischer, lieber hat,sicher zu sein, dass ihm keiner mehr antworten kann,dann ist das kein Zeichen eines ausgesprochen großenSelbstbewusstseins, meine Damen und Herren.
Nun zur Beantwortung Ihrer Fragen, Frau KolleginHajduk und Frau Kollegin Dröge.
– Ich dachte, ich soll Ihre Fragen beantworten. Ich ma-che das gerne.Frau Kollegin Dröge, die Antwort auf Ihre Frage, wasCETA angeht, habe ich Ihnen doch schon im Ausschussgegeben. Da haben Sie und die Kollegin Hajduk michdoch schon einmal gefragt: Wie sieht es aus? KriegenSie die Investitionsschutzklauseln aus dem Abkommenraus? – Ich habe damals im Parlament wie auch nocheinmal im Haushaltsauschuss gesagt, dass ich davonausgehe, dass das mehr als schwierig ist und vermutlichnicht klappen wird. Denn das Abkommen ist ausverhan-delt.
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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Wir bemühen uns jetzt, die Investitionsschutzklau-seln, die in CETA, dem europäisch-kanadischen Abkom-men, enthalten sind, noch zu verbessern. Ich habe Ihnenübrigens nicht nur gesagt, sondern auch geschrieben,was der Gutachter dazu sagt; diesen können Sie übrigenseinladen. Er sagt, dass der Investitionsschutz im euro-päisch-kanadischen Abkommen so schwach sei, dass erjedem kanadischen Unternehmen empfehlen würde, vorder deutschen Gerichtsbarkeit zu klagen, weil die Aus-sicht, dort Entschädigungen zugesprochen zu bekommen– vorausgesetzt, es gab einen entsprechenden entschädi-gungswürdigen Eingriff beispielsweise durch ein Ge-setz –, wesentlich höher sei als vor einem Schiedsge-richt.Der Grund dafür ist, dass Kanada mit Schiedsge-richtsverfahren mit den Vereinigten Staaten schlechteErfahrungen gemacht hat und deshalb ein Interesse Ka-nadas bestand, diese Verfahren deutlich einzuschränken.Das alles wissen Sie. Das alles steht im Gutachten. Es istüberhaupt kein Problem für mich, zu wiederholen, dasswir im Hinblick auf CETA am Ende vor der Frage ste-hen, ob unser Unwohlsein und die Kritik an dem„Schweizer Käse“ des Investitionsschutzes – der Gut-achter hat es so bezeichnet; so schwach findet er es – da-für ausreichen, dass Deutschland als alleiniges Land inEuropa den gesamten Prozess anhalten kann.Sie werden sich als grüne Fraktion fragen müssen,wie Sie als europäisch-orientierte Partei, die Sie ja sind,mit Ihrer Position umgehen, wenn der Rest Europas die-ses Abkommen will. Ich sage Ihnen: Deutschland wirddem dann auch zustimmen. Das geht gar nicht anders.
Herr Minister, darf die Kollegin Hajduk dazu eine
Zwischenfrage stellen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Selbstverständlich.
Herr Minister, ich möchte da einmal nachfragen. Esist richtig, dass wir darüber bereits mehrfach gesprochenhaben. Ich finde aber, dass es das Kapitel Investitions-schutz aufgrund seiner Bedeutung wert ist, diskutiert zuwerden. Das hier ist also keine Schauveranstaltung, son-dern eine sehr ernste Debatte. Sie wissen auch, welchenResonanzboden das in der Bevölkerung hat. Im Übrigenist das, was wir machen, nicht parteigebunden, sondernes herrscht eine allgemeine Verunsicherung.Sie haben damals im Ausschuss geantwortet, dass esganz schwer sei, Mitstreiter zu finden. Sie haben auchgesagt, dass sich das besonders auf CETA bezieht. Ichhabe das so verstanden, dass es bei TTIP noch viel offe-ner wird. Deswegen habe ich dahin gehend noch Nach-fragen.Sie haben im Ausschuss und öffentlich zu verstehengegeben, dass Sie davon überzeugt sind, dass solche Re-gelungen gar nicht nötig sind. Da die Meinung der deut-schen Regierung mit Blick auf die Bewertung eines sol-chen Abkommens aber nicht unwesentlich ist, möchteich Sie fragen: Warum und aufgrund welcher Erkenntnissind Sie so sicher, dass Entschädigungsansprüche, diesich aus mediativen Schiedsgerichtsverfahren ergeben,definitiv keinen indirekten Druck auf Gebietskörper-schaften ausüben können?Es geht bei dieser Thematik nicht immer nur um dieBundesrepublik. Es kann auch um eine Kommune ge-hen. In dem Fall würden sich internationale Großunter-nehmen und die Rechtsabteilung einer Kommune vor in-ternationalen Schiedsgerichten gegenüberstehen. Warumsind Sie so sicher, dass das, was Sie als Maßstab gesetzthaben – kein Druck auf souveräne Entscheidungen –nicht doch entsteht und dass sich die Schiedsgerichteschwächer auswirken als der ordentliche Rechtsweg inDeutschland? Da reicht mir kein gutachterliches Zitat.Da muss doch eine Prüfung in Ihrem Haus stattgefundenhaben.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Antwort Nummer eins ist, dass wir in der Tat der fes-ten Überzeugung sind, dass der Gutachter recht hat. Wirreden jetzt über das Abkommen zwischen Kanada undEuropa und nicht über ein noch nicht existierendes Ab-kommen mit den USA. Der dort vorgesehene Investi-tionsschutz ist außerordentlich schwach. Der Gutachterhat daher mit seiner Beurteilung recht.Die Antwort Nummer zwei auf die Frage, wie dieKommunen von CETA und dem Abkommen mit denUSA betroffen sind: Die öffentliche Daseinsvorsorge– darauf beziehen sich ja die Sorgen der Kommunen –ist von diesem Freihandelsabkommen ausgenommen.Das heißt, der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge,bei dem ja viele Sorgen haben, der Druck zur Privatisie-rung und zu einer weiteren Liberalisierung werde stei-gen, ist weder Bestandteil von CETA noch Bestandteildes Abkommens mit den USA. Es ist vorgesehen, die öf-fentliche Daseinsvorsorge von den Verhandlungen mitden Vereinigten Staaten auszunehmen.
– Ich bin sicher, dass unser Begriff von öffentlicher Da-seinsvorsorge von diesem Abkommen ausgenommenbleibt.
– Der deutsche Begriff, Herr Krischer, „öffentliche Da-seinsvorsorge“ ist in Deutschland nichts Umstrittenes.Dazu gehören Krankenhäuser, dazu gehört die Abwas-serbeseitigung.
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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Eine Kommune darf übrigens privatisieren; aber sie wirddurch ein Freihandelsabkommen nicht dazu gezwungen,es zu tun.
In der Öffentlichkeit wird so getan – Frau Hajduk, ichmeine nicht Sie persönlich, sondern andere –, als würdeein Freihandelsabkommen in Deutschland oder in Europabestehende Gesetze verändern. Das ist bei keinem Frei-handelsabkommen der Welt der Fall. Deutschland hat130 Investitionsschutzabkommen geschlossen – übrigensnicht unbedingt immer mit dem besten Investitionsschutz.In all diesen Ländern gibt es amerikanische Konzerne.Kein einziger dieser amerikanischen Konzerne hat ver-sucht, über ein Schiedsgericht sozusagen deutsche Ge-setze zu verändern. Es gibt gar keine Erfahrung, die denEindruck rechtfertigt, das könnte passieren.
– Mit Fragen ist es so: Wenn man eine Frage gestellt be-kommt, muss man antworten, Herr Krischer. Deswegenmöchten Sie ja lieber nach mir reden und nicht vor mir.Frau Hajduk, bereits die alte Bundesregierung hat inBezug auf die Verhandlungen mit den Vereinigten Staa-ten gesagt, dass sie ein Investitionsschutzabkommenzwischen zwei entwickelten Rechtssystemen wie denVereinigten Staaten und Europa eigentlich nicht für not-wendig hält. Die Antwort der Amerikaner ist relativ ein-fach – die der Europäer auch –: Es geht nicht umDeutschland, sondern um Länder wie Rumänien undBulgarien, mit denen es amerikanische Investoren in Eu-ropa ebenfalls zu tun haben und bei denen auch Deutsch-land Schwierigkeiten hat, den Investitionsschutz fürseine Unternehmen sicherzustellen.
Es gibt ja durchaus Streitverfahren in erheblichemUmfang über deutsche Investitionen in Mitgliedstaatender Europäischen Union, von denen wir nicht den Ein-druck haben, dass sie mit dem Wettbewerbsrecht in derEU oder mit den Regeln der WTO in Einklang zu brin-gen seien. Deswegen, finde ich, müssen wir als Deutscheaufpassen, dass wir bei diesem Thema keine nationaleBauchnabelschau betreiben. Ich bin deshalb dafür, dasswir das alles öffentlich und in Ruhe debattieren.Ich habe überhaupt keine Zweifel daran, dass wirbeim kanadisch-europäischen Abkommen noch Verbes-serungen erreichen werden. Aber der Rest Europas hältdie deutsche Debatte über das kanadisch-europäischeAbkommen für – wie soll ich das einmal freundlich aus-drücken? – bemerkenswert. Wir werden doch am Endevor der Frage stehen, ob die Sorgen, die wir haben unddie von keiner Regierung, die am Ende in den europäi-schen Räten abstimmen muss, geteilt werden, berechtigtsind. Dabei ist es egal, ob Sozialdemokraten, ob Konser-vative oder ob Grüne wie in Schweden in der Regierungsind; die schwedische Regierung ist absolut dafür, das zumachen.
– Nein, Frau Kollegin, ich habe mit der niederländischenKollegin gesprochen. Sie ist der Überzeugung, dass manCETA verabschieden muss.Die Niederländer sind, weil sie uns Deutschen entge-genkommen wollen, so freundlich, zu sagen: Wir schaueneinmal, ob wir noch etwas verändern können. – Aber denGlauben, wir hätten es im Kreuz, gegen den Rest Euro-pas den Investitionsschutz komplett wieder aus den Ver-handlungen herauszunehmen, den habe ich nicht.
– Das habe ich Ihnen schon beim letzten Mal im Parla-ment und auch im Ausschuss gesagt. Im Gegensatz zuIhnen finde ich, dass man darüber eine ganz rationaleund gelassene Debatte führen kann, weil das Abkommenein gutes Abkommen ist und wir noch einige Verbesse-rungen erreichen werden.Sie als Grüne würden, wären Sie in der Regierung,nicht auf die Idee kommen – da bin ich ganz sicher –,Europa wegen dieses Abkommens anzuhalten. Ichglaube nicht, dass Ihre Außen- und Europapolitiker dasmachen würden. Auch wir werden es nicht machen.
– Nein, wir verhandeln weiter über CETA.
Herr Krischer, ich habe gar kein Problem damit, aus-schließlich darüber zu reden. Wir reden mit unseren Kol-legen über weitere Verbesserungen beim Investitions-schutz, auch beim europäisch-kanadischen Abkommen.Ihre Frage und die Frage Ihrer Kollegin war aber, ob wirden komplett herausbekommen. Meine Antwort ist:Nein. Das habe ich Ihnen im Ausschuss gesagt, das habeich hier im Parlament gesagt, und das werde ich auchmeiner Partei sagen, die in Teilen eine andere Auffas-sung hat.
– Dazu brauchte man keine Klarstellung, weil ich Ihnendas schon im Ausschuss gesagt habe. Dass Sie offen-sichtlich selbst keinen Weg wissen, wie man es heraus-bekommen könnte, zeigt sich daran, dass Sie ständig derAussage ausweichen, wie Sie sich gegenüber Ihren Part-nern in Europa aufstellen wollen.
Herr Minister, Sie hatten freundlicherweise angebo-ten, dass Sie anstelle der vorbereiteten Rede dieses ja of-fenkundig wichtige Thema intensiv behandeln wollen.
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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Der Kollege Ernst würde gerne eine Frage stellen unddie Kollegin Dröge auch.
Dann unternehmen wir jetzt einmal den Versuch, die Re-gierungsbefragung in die Parlamentsdebatte zu integrie-ren, wenn Sie damit einverstanden sind.
Darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Aber gerne.
Bitte schön.
Drei Fragen hätte ich, Herr Minister.
– Das sind relativ kurze Fragen.Erstens. Sie haben gerade Rumänien angesprochen.Dass dort ein Investorenschutz notwendig wäre, ist Ih-nen bekannt. In Rumänien leitet ein Mineralwasserher-steller zurzeit ein Schiedsverfahren ein, weil von der Re-gierung zugesagte Investitionen gekürzt wurden. DieseInvestitionen wurden allerdings gekürzt, weil Rumänienjetzt Mitglied der Europäischen Union ist und diese Sub-ventionen nicht den Regeln der Europäischen Union ent-sprechen. Die Politik, die wir in der Europäischen Unionbetreiben, führt also dazu, dass die rumänische Regie-rung jetzt ein Schiedsverfahren am Hals hat, von dem sienoch nicht weiß, wie es ausgeht.Zweitens. Sie haben gerade gesagt, dass der Rest Eu-ropas eine andere Position vertritt. Ich glaube, man mussüberprüfen, wer das ist. Ich weiß, dass die Bürger in sehrvielen Ländern eine ganz andere Auffassung haben alsdiejenigen, mit denen Sie vielleicht sprechen.
In diesen Ländern findet dieselbe Debatte statt wie inDeutschland. Wenn wir über den „Rest Europas“ reden,müssen wir, glaube ich, auch die Frage klären, warumdie Europäische Union ein Bürgerbegehren ablehnt, mitdem der Einfluss der Bürger hinsichtlich dieser Fragenein wenig manifestiert werden könnte. Das ist Fakt: DieEuropäische Union lehnt dieses Bürgerbegehren ab.Drittens. Sie haben gesagt, die öffentliche Daseins-vorsorge sei ausgenommen. Sie haben in diesem Zusam-menhang auch vom Abwasser geredet. Das CETA-Abkommen beinhaltet ausdrücklich – das habe ich über-prüft – das Problem des Abwassers, das die Kommunenbetrifft, nämlich im Anhang II. Es gibt zwei verschie-dene Anhänge: Der eine beschäftigt sich mit dem ThemaWasser, der andere mit dem Thema Abwasser. Das Ab-wasser ist also drin. Momentan wird die Daseinsvor-sorge in diesen Abkommen also keinesfalls so definiert,wie Sie das vielleicht möchten.Ein letzter Punkt: der Parteitagsbeschluss. Ich habeden Eindruck, dass wir zurzeit etwas Merkwürdiges erle-ben: Wir haben einen Parteitagsbeschluss Ihrer Partei.Den Inhalt dieses Beschlusses haben wir hier zur Ab-stimmung gestellt. Sie haben nicht zugestimmt, sonderngesagt: Das machen wir alles schon. – Jetzt stellen wiraber fest, dass es offensichtlich in eine andere Richtunggeht. Offensichtlich läuft es auf eine Zustimmung zudiesen Abkommen hinaus, obwohl man den Investoren-schutz nicht herausbekommen hat.
Täuscht mich der Eindruck, oder täuscht er mich nicht?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Natürlich täuscht er Sie. – Erstens. Sie haben sich da-mals ja gerade nicht getraut, den Antrag zur Abstim-mung zu stellen. Das hätte ich sehr begrüßt; aber das ha-ben Sie sich nicht getraut, weil der Antrag am Anfang– dieser Text wurde gemeinsam mit den Gewerkschaftenverabschiedet – die Freihandelsabkommen als etwasRichtiges bezeichnet. Sie haben sich nicht getraut, die-sen Antrag hier zur Abstimmung zu stellen, weil er amAnfang eine positive Beurteilung von Freihandelsab-kommen enthält. Deswegen haben Sie sich das damalsnicht getraut. Das ist Ihr Problem, nicht meins.
– Lesen Sie einmal Ihre Anträge nach. Ich habe halt einganz gutes Gedächtnis.Zweitens. Beim Thema Daseinsvorsorge bzw. Ab-wasser, das Sie angesprochen haben, geht es um fol-gende Frage: Darf es einen Marktzugang für kanadischeUnternehmen in Deutschland und umgekehrt geben?Das wird dort geregelt. Dort wird nicht geregelt, dass eseinen irgendwie gearteten Zwang zur Privatisierung gibt.Das Recht der Kommunen, zu sagen: „Wir wollen dieAbwasserbeseitigung oder die Wasserversorgung in un-serer Hoheit behalten“, wird davon überhaupt nicht tan-giert.
Ständig wird der Versuch unternommen, Äpfel mit Bir-nen zu vergleichen.
Unsere Unternehmen, auch unsere Wasserversor-gungsunternehmen, haben im Zweifel ein Interesse,Marktzugangsmöglichkeiten in anderen Teilen der Welt
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6623
Bundesminister Sigmar Gabriel
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zu bekommen. Im Gegenzug sagen wir: Wenn bei unsjemand die Abwasserbeseitigung oder Wasserversor-gung privatisiert – das gibt es in Deutschland durchaus,und zwar auf freiwilliger Basis, ohne Zwang –, dannmuss es auch möglich sein, dass sich Unternehmen ausanderen Ländern darum bewerben, wie das übrigensheute in der Europäischen Union schon der Fall ist.Gucken Sie sich einmal an, wo in Deutschland Lyon-naise des Eaux oder Générale des Eaux in den letztenJahren überall tätig waren. Ich will gar nicht bewerten,ob das gut oder schlecht ist. Es geht lediglich darum:Wenn sich eine Kommune das Recht herausnimmt,selbst zu entscheiden, was sie mit ihrer Wasserversor-gung und Abwasserentsorgung tut, dann darf keine Dis-kriminierung ausländischer Unternehmen erfolgen. Dasist Gegenstand von Freihandelsabkommen. Sie versu-chen, den Eindruck zu erzeugen – vielleicht haben Siediesen Eindruck ja auch –, dass es einen Zwang zur Pri-vatisierung gibt, dass Kommunen unter Druck gesetztwerden und dass jemand klagen könnte, wenn eineKommune sagt: Ich privatisiere aber nicht. – Das ist ab-soluter Unfug. Das steht da nirgendwo drin.
Mit meinem Hinweis darauf, dass die Amerikanernicht nur Interesse an Deutschland haben, sondern einAbkommen mit Europa schließen, wollte ich deutlichmachen, dass wir als Deutsche erhebliche Schwierigkei-ten mit einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Unionhaben, weil diese ihre Gesetze, sagen wir einmal, inhöchst kreativer Form, wenn es zu wechselnden politi-schen Mehrheiten kommt, so ändern, dass deutsche In-vestoren, obwohl sie schon investiert haben, ihre Investi-tion nicht zu Ende führen können. Das verstößt gegendie Regeln des europäischen Binnenmarktes. Wir versu-chen, das nicht über Schiedsgerichte zu lösen. Manch-mal aber ist ein Schiedsgericht am Ende die einzigeMöglichkeit, sich zu vergleichen; auch das gehört dazu.Darauf wollte ich hinweisen.Ich bitte darum, dass wir so vorgehen, wie es die Kol-legin Hajduk tut. Wir müssen versuchen, rational abzu-schichten: Wo gibt es berechtigte Sorgen, und wie kön-nen wir sie beheben? Wir dürfen aber nicht so tun, alswürden unsere gesetzlichen Standards durch Freihan-delsabkommen mit Investitionsschutz bedroht. Seit esInvestitionsschutzabkommen gibt – Deutschland hat,wie gesagt, schon 130 solcher Abkommen geschlossen –,ist so etwas nicht eingetreten.Jetzt will ich noch etwas zu der Asien-Debatte sagen.Wissen Sie – das ist auch an den Kollegen Ernst gerich-tet –, es geht nicht um die Frage, wie viel Prozent Wirt-schaftswachstum dadurch entstehen. Ich halte das allesfür Voodoo-Ökonomie, sowohl die Aussagen derer, dieein gigantisches Wirtschaftswachstum prognostizieren,als auch derer, die sagen, dass das nur zu ganz wenigWachstum führen wird; denn kein Mensch kann vorher-sagen, wie sich das entwickelt. Aber eines ist klar: Kop-peln wir uns zum Beispiel von den asiatischen Ländernab, wenn diese Freihandelsabkommen schließen, auchmit den USA, sind wir als Europäer außen vor. Dann al-lerdings ist das für eine Exportnation wie Deutschlandeine mittlere Katastrophe. Darum geht es doch.
Wir waren gerade zusammen dort. Diese Länder sa-gen: Das 21. Jahrhundert ist ein pazifisches – eigentlichmeinen sie: ein asiatisches – Jahrhundert. – Ich vermute,da ist etwas dran. Jetzt geht es um die Frage: Haben wirals Europäer, als Deutsche eigentlich noch Anschluss andiese Region, oder sagen wir: „Wir sind uns selbst ge-nug“? Das ist die eigentliche Debatte, die wir führenmüssen. Wer an sozialen, ökologischen und Nachhaltig-keitsstandards im Welthandel interessiert ist, dem mussdoch klar sein, dass wir diese eher mit den VereinigtenStaaten hinbekommen als mit China. Wenn die Vereinig-ten Staaten eines Tages ein Abkommen mit China schlie-ßen, dann werden wir uns diesen Standards anpassenmüssen.Europa wird möglicherweise das letzte Mal dieChance haben, in einem Abkommen zwischen den bei-den derzeit noch größten Handelsregionen der WeltStandards für den Welthandel zu beschließen. Sie wer-den nicht so sein, dass Linke, Sozialdemokraten, Grüneund vielleicht auch Konservative dann sagen: Jetzt ist al-les in Ordnung. – Sie werden nicht optimal in unserempolitischen Sinne sein. Aber sie werden allemal bessersein als alles, was Amerika und China aufschreiben wür-den. Es geht um die Frage: Müssen wir uns bzw. müssensich unsere Kinder diesen Handelsabkommen anpassen,oder haben wir die Chance, gemeinsam mit den Ameri-kanern Standards zu vereinbaren, denen sich andere an-passen müssen? Das ist die politische Frage, um die esgeht.
Noch einmal: Jeder von uns, der hier sitzt, weiß doch,dass sich Veränderungen zum Besseren Schritt fürSchritt ergeben. Wir werden keine Handelsabkommenschließen, die für alle, die hier im Parlament sitzen, undfür die gesamte Öffentlichkeit optimal sind. Wir müssenes aber schaffen, in unserem Land eine aufgeklärte Dis-kussion zu führen. Monatelang hat Deutschland über einChlorhuhn debattiert,
das gar nicht Gegenstand dieses Handelsabkommens ist.
Es wird so getan, als könnten diesem Handelsabkommenzufolge gentechnisch veränderte Nahrungsmittel nachEuropa geschickt werden, obwohl selbst EU-KommissarHerr De Gucht nachweisen kann, dass dies nicht Gegen-stand des Handelsabkommens ist.Besuchen Sie einmal Opel in Rüsselsheim. Wenn Siedort sind, sehen Sie: Im Eingangsbereich steht ein klei-nes Auto. Man versucht gerade, es in die USA zu expor-tieren. Am Beispiel dieses Autos hat Opel einmal ge-schildert, was sie alles ändern müssen – vom Blinkerüber die Scheinwerfer, die Frontlänge und die Decke bishin zur Heckklappe –, um dieses kleine Auto in den Ver-
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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einigten Staaten verkaufen zu können. Ich glaube, dieVeränderung der Fertigungslinie, um das möglich zu ma-chen, kostet 150 Millionen Euro. Das ist das Thema,über das wir reden!Mein dringender Rat an uns alle ist, dass wir das nichtim Klein-Klein debattieren, sondern dass wir uns da-rüber im Klaren sind, dass, wenn wir uns von den Welt-märkten abkoppeln, dies am Ende viele HunderttausendMenschen in Deutschland ihren Job kosten wird – nichtdie im öffentlichen Dienst und nicht die, die im Parla-ment sitzen; aber Facharbeiter und Angestellte inDeutschland werden das am Ende bezahlen müssen.
Herr Minister, darf denn die Frau Dröge jetzt noch
ihre Zwischenfrage stellen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Ja.
Herr Minister, vielen Dank, dass Sie die Zwischen-frage noch zulassen. – Ich hatte mich eben noch zu derDebatte über die Schiedsgerichte gemeldet, weil auchich, ähnlich wie Sie, ein gutes Gedächtnis habe.Am 25. September 2014 haben wir hier im Parlamentmiteinander über CETA und die Schiedsgerichte disku-tiert. Damals lag Ihr Gutachten schon vor; wir hatten dasgelesen. Unser Gegengutachten liegt ebenfalls vor – Siehaben das hoffentlich auch gelesen –, weshalb wir wei-terhin der Meinung sind, dass es hochproblematisch ist,wenn Schiedsgerichte Teil von CETA sind.Aber ich habe eine konkrete Frage an Sie. Darauf sindSie bei Ihrer Antwort auf die Zwischenfrage von FrauHajduk auch nicht eingegangen, sondern Sie haben nurden Anschein erweckt, als würde das, was Sie hier imParlament erzählen, in einer zusammenhängenden undlogischen Reihenfolge stehen. In der angesprochenenDebatte haben Sie aber gesagt:Insofern sind die Dinge, die wir mit dem DGB ver-abredet haben, für mich in der Tat verbindlicheLeitlinien …Das haben Sie hier im Parlament gesagt: „verbindlicheLeitlinien“. Wenn man diese verbindlichen Leitlinienliest, findet man darin:In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren… abzulehnen.Auch das haben Sie am 25. September 2014 hier im Par-lament versprochen.Damals gab es Ihr Rechtsgutachten schon, und Sie ha-ben nicht gesagt, dass Sie der Ansicht sind, dass nurvielleicht noch einzelne Teile nachzuverhandeln sind,was Sie im Moment in Brüssel tun, wie ich wahrnehme,und nicht über das gesamte ISDS zu verhandeln ist. Siehaben auch nicht so klar, wie Sie das jetzt getan haben,gesagt, dass die SPD CETA am Ende zustimmen wird,wenn ISDS Teil des Abkommens ist, sondern Sie habenden Anschein erweckt – so muss ich Ihr Zitat verstehen –,dass Sie CETA ablehnen werden, wenn ISDS nicht he-rausgenommen wird.Deswegen ist meine konkrete Frage an Sie: Ist dasjetzt verbindlich? Gilt das, was Sie uns am 25. Septem-ber 2014 im Deutschen Bundestag gesagt haben, nichtmehr?Bei meiner zweiten Frage geht es um die öffentlicheDaseinsvorsorge. Sie haben jetzt gesagt, sie sei nichtmehr Bestandteil von TTIP. Wenn man sich das TTIP-Mandat aber durchliest, dann sieht man, dass nur diePublic Utilities aus den Verhandlungen ausgeklammertwerden. Gemäß der Definition von Public Utilities gehtes nur um die öffentliche Daseinsvorsorge, die nicht imWettbewerb mit Kommerziellen steht. Es geht hier alsoim Kern um die Polizei, die Justiz und die öffentlicheVerwaltung.Unsere europäische Definition von öffentlicher Da-seinsvorsorge entspricht eben nicht dieser Definition vonPublic Utilities. Im TTIP-Mandat ist diesbezüglich keineKlarstellung vorgenommen worden, weshalb nach unse-rer Rechtsauffassung ein großer Teil der öffentlichen Da-seinsvorsorge nicht aus den TTIP-Verhandlungen ausge-klammert ist.Meine Frage an Sie ist: Wie kommen Sie zu IhrerRechtsauffassung?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Erstens ging es bei der Debatte mit dem KollegenErnst um das europäisch-kanadische Abkommen. Da-rüber haben wir eben geredet.
– Ich habe auf die Frage von Herrn Claus geantwortet,Frau Kollegin.
– Ernst. Dass ich euch immer verwechsle!
Ich hoffe, es ist für keinen von Ihnen ein Problem. – Ichhabe auf die Frage des Kollegen Ernst geantwortet, derüber das europäisch-kanadische Abkommen geredet hat.Zu TTIP gibt es noch gar keine Verhandlungsergebnisse.In der Tat bin ich der festen Überzeugung, dass es beiTTIP um Marktzugänge gehen wird und nicht um denZwang zur Privatisierung im Bereich der öffentlichenDaseinsvorsorge. Das haben uns die Verhandler, die inBrüssel für die Europäische Union verhandeln, übrigens
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auch mehrfach bestätigt. Deswegen sehe ich keinenGrund, meine Auffassung dazu zu ändern.Zweitens. Sie haben völlig korrekt zitiert, dass dasLeitlinien für mein Handeln sind. Was tue ich also? Ichversuche, zu klären, was von den 14 Punkten, die darinstehen, umsetzbar ist und was nicht. Am Ende muss mansich dann entscheiden, ob die Dinge, die man nicht ge-schafft hat, im Vergleich zu den Dingen, die man ge-schafft hat, so schwerwiegend sind, dass man das ganzeAbkommen ablehnen muss, oder ob man glaubt, dassdas, was man durchsetzen konnte, ausreicht, um zurechtfertigen, dass man das Abkommen, obwohl manvielleicht nicht alles hinbekommen hat, nicht ablehnt.Ich glaube, dass diese Lehre in Ihrer Partei schon längstgezogen wurde.
– Ich wollte nicht auf Herrn Kretschmann abheben. Ichglaube, dass das bei den Grünen alle so sehen. – Es istabsolut klar: Wir versuchen, so zu verhandeln, dass dieGefahren durch den Investitionsschutz, die Frau Hajdukbeschrieben hat, nicht eintreten. Ich glaube, dass wir dasauch schaffen. Bei den Verhandlungen zu CETA ist dasviel einfacher als bei TTIP. Bei den Verhandlungen zuTTIP ist das noch offen. Bei CETA sind die jetzigen Re-gelungen schon schwach. Wir werden versuchen, diesesAbkommen noch besser zu machen: durch Regeln zuAppellationsgerichten, durch die Frage, wie die Richterberufen werden, durch die Entscheidung, dass man nurden einen oder den anderen Weg gehen kann und nicht,nachdem man auf nationaler Ebene gescheitert ist, nochein Schiedsgericht anrufen kann.Mein Eindruck ist, dass in Europa schon jetzt nichtviele bereit sind, in dieser Frage, selbst bei den Verbesse-rungen, mitzumachen. Dann werden Sie und wir ent-scheiden müssen – auch meine Partei wird darüber ent-scheiden müssen –, ob Sie glauben, ein europäisch-kanadisches Abkommen, bei dem es nicht gelungen ist,den gesamten Investitionsschutz herauszunehmen, stop-pen zu müssen, weil Sie der Überzeugung sind, dassdeutsche Sorgen wichtiger sind als das, was der RestEuropas für sich und seine wirtschaftliche Entwicklungfür sinnvoll und nötig hält. Dabei rate ich zu etwas weni-ger deutscher Nabelschau. Das ist mein Rat an uns alle.Deswegen bin ich bei dem, was ich tue, mit mir im Rei-nen.Ich hätte übrigens auf die Frage Ihrer KolleginHajduk viel einfacher antworten können. Sie hat michnämlich nur gefragt, ob ich etwas dafür tue, der Gefahr,dass ein Parlament erpresst wird, entgegenzutreten. Ichhätte sagen können: Natürlich tun wir das. – Ich hätte al-len konkreten Aussagen zu CETA und TTIP aus demWeg gehen können. Glauben Sie mir: Ich bin sprachlichund auch sprecherisch dazu in der Lage.Ich habe das absichtlich nicht gemacht, weil ich dafürbin, dass wir rational über diese Fragen reden, und weilich es richtig finde, dass das Parlament, Frau Hajduk, da-rüber debattiert. Aber bitte seien Sie sachbezogen, undhalten Sie sich an Tatsachen! Wir reden über keine Klei-nigkeit. Wenn wir das hier falsch machen, dann werdenuns unsere Kinder und Enkel aufgrund unserer ängstli-chen und ideologischen Debatte in Deutschland verflu-chen; das sage ich Ihnen.
Frau Kollegin, Sie haben noch eine Frage gestellt. Siehaben gefragt, warum die 10 Milliarden Euro – auchFrau Hajduk hat das freundlich angesprochen –, die HerrSchäuble zur Verfügung stellt, nichts bringen. Daraufwill ich Ihnen antworten: Unter anderem führt diesesGeld dazu, dass wir am 3. Dezember dieses Jahres imKabinett ein Energieeffizienzprogramm beschließenkönnen, mit dem endlich das Thema Energieeffizienzklar aufgegriffen wird, und dass wir allein bis 2018 fürdiesen Bereich zusätzlich rund 1,2 Milliarden Euro er-halten.
– Für die nächsten Jahre stehen dafür im Haushalt desFinanzministers 7 Milliarden Euro bereit. Darin steht,wie ich glaube, eine sehr allgemeine Bemerkung dazu,für welche Bereiche das Geld genutzt werden soll. Unteranderem steht darin, glaube ich, das Thema Energieeffi-zienz. Ich habe Ihrer Kollegin Hajduk im Haushaltsaus-schuss wahrheitsgemäß gesagt, dass ich beim Tagesord-nungspunkt Bereinigungssitzung noch nicht in der Lagewar, Ihnen dazu abschließend etwas zu sagen. Die Koali-tion hat sich vor zwei Tagen über dieses Thema verstän-digt. Gott sei Dank, Frau Hajduk – darüber sollten wiruns freuen –, bietet das 10-Milliarden-Euro-Programmdie Möglichkeit, endlich mehr für Energieeffizienz zutun.
– Mensch, Herr Krischer, Sie hätten doch vor mir redenkönnen. Dann hätte ich Ihnen auch noch geantwortet.Dazu hatten Sie keinen Mumm. Nun machen Sie nichtständig Zwischenrufe.
Frau Hajduk, ich finde, Sie haben vorhin eine absolutzutreffende Bemerkung gemacht. Sie haben gesagt: Dasist ein klassisches Investitionsprogramm. – Genau so istes. Mit den Mitteln von Herrn Schäuble für die Energie-effizienz hebeln wir erhebliche private Investitionen.
– Was heißt, wir wachen langsam auf? Das ist nun wirk-lich keine ganz neue Erfindung: Das am besten laufendeProgramm in der Konjunkturkrise war das CO2-Gebäu-desanierungsprogramm. Das hat damals auch die GroßeKoalition gemacht.
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Frau Hajduk, die Wahrheit ist doch, dass die Unions-fraktion und die FDP bereits in der letzten Legislatur-periode versucht haben,
dieses CO2-Gebäudesanierungsprogramm hinzubekom-men,
und dass die Länder aufgrund der zu erwartenden Steu-erausfälle erklärt haben, dass sie nicht mitmachen wür-den. Das ist doch die Wahrheit.
– Ich finde, es ist gar nicht so schlimm, im Parlament dieWahrheit zu sagen, Frau Hajduk. Das kann man gefahr-los machen.
– Nein. Der Punkt ist doch, dass auch die rot-grün re-gierten Länder das damals abgelehnt haben. Auch dieGrünen haben es abgelehnt.
Wir machen es jetzt dadurch möglich, dass wir einenVorschlag haben, wie wir in diesem Fall die steuerlicheAbsetzbarkeit von Gebäudesanierungsprogrammen fürdie Länder und Kommunen kostenneutral gestalten kön-nen. Darauf bezieht sich unser Vorschlag. Deswegenhoffen wir, dass wir mit Unterstützung der Grünen undder Sozialdemokraten im Bundesrat eine Mehrheit fürdieses Programm bekommen. Die Möglichkeit, das zutun, hat uns Herr Schäuble gegeben. Sie haben gesagt, essei schlimm, dass der für Investitionen zuständige Wirt-schaftsminister es dem Finanzminister überlässt, dasGeld dafür aufzutreiben. Das ist aber, ehrlich gesagt,sein Job, und ich bin ihm dafür dankbar, dass er ihn guterledigt hat.
Deswegen werden wir beim Energieeffizienzprogrammendlich etwas machen.Das größte Investitionsprogramm ist übrigens, dassdiese Bundesregierung die Absicht hat – und wir wollendas jetzt noch etwas verstärken –, bis zum Ende derWahlperiode die Städte und Gemeinden um insgesamt10 Milliarden Euro zu entlasten. 4,5 Milliarden Euro ha-ben wir in diesem Jahr erreicht, übrigens durch die Ver-abredung der letzten Bundesregierung im Vermittlungs-ausschuss. Nachts um vier, als alle müde waren – Grüneund FDP waren schon nach Hause gegangen –, habenHerr Kauder und ich gesagt: Jetzt machen wir es. – So istdas im Vermittlungsausschuss: Wer zu früh müde wird,verliert.
– Das hat ja keiner gehört, Herr Kauder. – Dadurch ha-ben wir eine Entlastung um 4,5 Milliarden Euro erreicht.Jetzt wollen wir bis zum Ende der Wahlperiode mitdem Teilhabegesetz noch einmal das Gleiche schaffen.Das ist das größte Investitionsprogramm, das mandurchführen kann. Denn mehr als 50 Prozent der öffent-lichen Investitionen werden durch die Städte und Ge-meinden aufgebracht, und sie können das häufig nichtmehr, weil ihre Finanzkraft nicht ausreicht. Diese Regie-rung verbessert die Finanzkraft der Kommunen. Das istein Investitionsprogramm.
Ich hoffe übrigens sehr, dass sich Bund und Länder inder Debatte über die Flüchtlingshilfe darauf einigen, dieKommunen weiter zu unterstützen; denn ich habe Angstdavor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen sonst mit an-deren öffentlichen Aufgaben, zum Beispiel Sanierungs-vorhaben für Schulen, Kindergärten, Freibäder und an-deres, in Konflikt gerät. Den politischen Sprengstoffdürfen wir nicht zulassen. Es darf nicht sein, dass wir dieKommunen mit den Flüchtlingsfragen alleine lassen undes am Ende zu solchen Konstellationen kommt.
Denn wir werden in Deutschland mehr Flüchtlinge auf-nehmen. Das tun wir bereits, und ich hoffe, dass sichBund und Länder in dem Punkt einigen, weil wir nichtnach dem Motto „Den Letzten beißen die Hunde“ han-deln dürfen.
Weil wir über viele Themen gesprochen und auch vielüber TTIP diskutiert haben, bin ich noch nicht zumHaushalt des Wirtschaftsministeriums gekommen. Ichwill nur noch einmal bestätigen, was Herr Fuchs und an-dere bereits gesagt haben. Wir hatten im letzten Jahr0,1 Prozent Wachstum. Im Jahr davor waren es 0,4 Pro-zent. Jetzt haben wir 1,2 Prozent Wachstum. Da kannman wirklich nicht behaupten, wir seien auf dem Weg indie Krise.Wir haben 325 000 neue Arbeitsplätze in diesem Jahr,übrigens fast alle sozialversicherungspflichtig. Wir ha-ben den Höchststand bei der sozialversicherungspflichti-gen Beschäftigung erreicht. Wir haben zum ersten Malseit langer Zeit – wir beide streiten immer darüber, HerrSchlecht – steigende Reallöhne. Das hat etwas mit denTarifabschlüssen zu tun, aber auch mit dem Mindest-lohn.
Ich finde übrigens, dass die Bundeskanzlerin gesterneinen ganz wichtigen Satz gesagt hat.
– Nein, mehrere Sätze. – Sie hat zum Beispiel gesagt,Frau Kollegin Lötzsch: Nichts rechtfertigt die Aggres-
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sion gegenüber der Ukraine und das Annektieren derKrim. – Aber niemand von Ihnen hat geklatscht. Ichhabe das genau gesehen. Man muss ja nicht immer klat-schen, wenn die Regierungschefin einer anderen Frak-tion redet, aber bei der Aussage wäre es gut gewesen,wenn Sie mitgeklatscht hätten.
Sie hat gestern auch gesagt: Man darf nicht Wirt-schafts- und Sozialpolitik gegeneinander ausspielen. –Das finde ich richtig. Der Mindestlohn ist doch keinWahlgeschenk, wie es manche darstellen. Wir wollen,dass Leute, die den ganzen Tag arbeiten gehen, nicht amEnde des Monats zum Sozialamt gehen müssen. Einer,der arbeiten geht, muss mehr haben als einer, der nichtarbeiten geht.
Das ist der Sinn des Mindestlohns. Das ist kein Wahlge-schenk. Das ist eine hart erarbeitete Leistung.Auch in der Debatte über die Rente geht es nicht umein Wahlgeschenk. Es gibt keine Rente mit 63. Es gibteine Rente nach 45 Versicherungsjahren. Dann darf manmit 63 ohne Abschläge gehen. Bei manchen von denen,die das kritisieren, würde ich mir wünschen, sie müsstenselbst nach dieser langen Zeit der Erwerbstätigkeit mitder Rente klarkommen, die die Menschen, die so langegearbeitet haben, heute im Schnitt bekommen.
Ein bisschen mehr Demut gegenüber denen, die in die-sem Land arbeiten und dafür manchmal nicht allzu vielGeld bekommen, würde ich mir in der Diskussion wün-schen; denn dieses Land lebt von dem Versprechen: Wersich anstrengt, der hat etwas davon. – Das ist der Grund,warum Deutschland seit 1945 diesen Aufschwung ge-nommen hat. Das ist der Grund: Leistung soll sich nichtnur für einige wenige, sondern für alle lohnen. „Wohl-stand für alle“ war Erhards Credo, und das ist der Grund,warum wir die beiden Dinge nicht auseinanderrückenkönnen.Übrigens: Auch die Frauenquote ist doch keine Belas-tung für die Wirtschaft.
Jedes Jahr gibt es unter den jungen Frauen mehr undbessere Schulabschlüsse, und jedes Jahr gibt es unter denjungen Frauen mehr und bessere Studienabschlüsse.Trotzdem tauchen diese Frauen in den Spitzenstellungender Wirtschaft nicht auf. Das ist nicht nur ungerecht;selbst der größte Chauvi
muss doch erkennen, dass es ökonomischer Wahnsinnist, auf die gut ausgebildeten Frauen in den Spitzenstel-lungen von Staat und Gesellschaft in diesem Land zuverzichten.
Der Sinn der Frauenquote ist doch nicht, ein paarFrauen in Spitzenpositionen zu bekommen, sondern derSinn der Frauenquote ist, dass in den Führungsetagender deutschen Wirtschaft die Alltags- und Lebensrealität,die Berufswege von Frauen endlich in den Blick genom-men werden,
weil Männer diese anders beurteilen als Frauen und weilFrauen möglicherweise – das ist die Hoffnung bei derFrauenquote – dann in ihren Unternehmen dafür sorgen,dass der Berufs- und Karriereweg von Frauen – imZweifel mit Kindern und Familie – eine bessere Beglei-tung erfährt, als das unter dem Blickwinkel der Männerder Fall ist.
Das ist der Sinn der Frauenquote. Sie wird der Wirt-schaft helfen, sie wird dem Land helfen. Wir könnendoch nicht über Fachkräftemangel reden, aber nichts da-gegen tun, dass junge, gut ausgebildete Frauen ihren Be-rufs- und Karriereweg nicht machen können.
Deswegen ist die Frauenquote keine Belastung, sondernein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung.Ich glaube deshalb, dass wir mit all dem, was wir tun,dem folgen sollten, was die Kanzlerin gestern in ihrerRede gesagt hat: Wir dürfen Wirtschaft und soziale Fra-gen in Deutschland nicht gegeneinanderstellen, sondernmüssen sie miteinander verbinden.Trotzdem steht Deutschland vor großen Herausforde-rungen: in der Energiepolitik, bei den Fachkräften, in derInvestitionspolitik. Übrigens: Auch wenn wir 3 ProzentWirtschaftswachstum hätten, müssten wir etwas dagegentun, dass die energieintensive Industrie das Land verlässt– durch Desinvestitionen –, weil wir zu hohe Energie-kosten für diesen Bereich haben. Es darf uns aber nichtegal sein, ob die Grundstoffindustrie in unserem Landweiter existieren kann; denn sie ist verantwortlich fürzentrale Wertschöpfungsketten in diesem Land. Wennjetzt selbst angeblich aufgeklärte Magazine in Deutsch-land von einer schützenden Hand reden, die wir überStahlkocher halten würden, will ich sagen: Das sind Ar-beitsplätze, die da sind, damit wir dort das Geld verdie-nen, das wir brauchen, um es auch in Ökologie undSoziales investieren zu können. Darum geht es inDeutschland.
Herr Minister – –
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Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Ich komme zum Schluss. – Ich bedanke mich für IhreGeduld. Ich wollte wenigstens am Ende noch den Ein-druck vermitteln, dass es nicht so ist, dass ich glaube, al-les sei gut, sondern ich meine, dass wir eine Menge He-rausforderungen vor uns haben und es keineswegs so ist,dass wir die alle schon bewältigt hätten. Aber es machthalt auch keinen Sinn, das Land irgendwie in die Krisehineinzureden, und es macht keinen Sinn, zu glauben,wenn man auf den deutschen Bauchnabel schaut, könnteman sich irgendwie noch vernünftig bewegen in einersich völlig verändernden Welt.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Bevor der Kollege Schlecht, der sich an der dazu vor-
gesehenen Stelle bereits aufgebaut hat, das Wort erhält,
will ich noch eine geschäftsleitende Bemerkung machen:
Ich habe natürlich gesehen, dass es zwischendurch noch
weitere Wünsche zu Zwischenfragen gab. Wir haben
aber – wie ich finde, vernünftigerweise – die Gelegen-
heit genutzt, Fragen, die uns besonders beschäftigen,
unabhängig von der Vorbereitung des Ministers in den
Mittelpunkt dieser unmittelbaren parlamentarischen
Aussprache zu stellen – mit dem Effekt, dass die Rede-
zeit des Ministers mehr als verdoppelt worden ist.
– Ich fand das ja auch sehr vernünftig; wir haben nur
vorher einen Beschluss zur Dauer der Debatte gefasst,
der mit dieser unserer eigenen Handhabung natürlich in
einen immer stärkeren Konflikt geraten ist. Deswegen
bitte ich um Verständnis dafür, dass ich mit Rücksicht
auf andere Tagesordnungspunkte, die heute über den Tag
erledigt werden müssen, irgendwann darauf verzichtet
habe, den Minister um die Genehmigung weiterer Zwi-
schenfragen zu bitten. Ich fürchte, er hätte dem stattge-
geben,
was mit Blick auf unsere weitere Tagesordnung dann
schwierig geworden wäre. Das wollte ich nur zur Unter-
richtung sagen. Ich glaube, anders, als einen Mittelweg
zu suchen, können wir vernünftigerweise nicht verfah-
ren.
Herr Kollege Schlecht, jetzt haben Sie das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Herr Gabriel, dass Sie zum Schluss das Erhard’scheZitat vom Wohlstand für alle zustimmend – so habe ichdas jedenfalls verstanden – vorgetragen haben, finde ichsehr mutig; denn gerade in den letzten zehn, zwanzigJahren ist diese Devise des ehemaligen Bundeskanzlers– gerade beginnend mit der von SPD und Grünen ge-führten Regierung – so mit Füßen getreten worden wienoch nie zuvor in der bundesdeutschen Geschichte.
Wir haben eine Auseinanderentwicklung zu beklagen. Inden letzten zehn, zwanzig Jahren ging es eben nicht umWohlstand für alle, sondern es gab die Entwicklung, dassdie Reallöhne des Einzelnen heute im Durchschnitt im-mer noch unter dem Niveau des Jahres 2000 liegen,während die Einkommen aus Unternehmertätigkeit, dieGewinneinkommen um 20, 30 oder sogar 40 Prozentnach oben geschnellt sind. Dass hier nicht Wohlstand füralle geschaffen wurde, ist offensichtlich. Insofern ist esschon zynisch, wenn Sie dieses Zitat hier weitertragen.
Die dramatische Auseinanderentwicklung bei denEinkommensverhältnissen ist einer der Gründe, weshalbwir in Deutschland eine labile wirtschaftliche Situationhaben.
Viele haben hier gesagt, die wirtschaftliche Situation seiganz gut und es hätte viel schlimmer kommen können.Wenn wir die Quartalswerte zur Kenntnis nehmen, kom-men wir nicht umhin, zu konstatieren, dass wir inDeutschland in ökonomischer Hinsicht auf MessersSchneide stehen. Wir hatten bereits im zweiten Quartaleinen leichten Rückgang der wirtschaftlichen Entwick-lung – minus 0,1 Prozent – zu verzeichnen. Im drittenQuartal gab es eine leichte Korrektur nach oben, nämlichplus 0,1 Prozent. Wie es im vierten Quartal in Anbe-tracht verschiedenster – zum Teil kritischer, zum Teil po-sitiver – Indikatoren laufen wird, ist in der Tat eine of-fene Frage.Vor diesem Hintergrund ist eine grundlegende Kor-rektur der Wirtschaftspolitik in Deutschland notwendig.Diese muss darin bestehen, die Binnennachfrage endlichwieder deutlich zu stärken. Wir müssen wieder – ge-nauso wie Erhard es zum Ausdruck gebracht hat; dafängt es an – Wohlstand für alle schaffen. Es muss dabeivor allen Dingen um den Wohlstand breiter Bevölke-rungsschichten gehen. Auf diesen müssen wir wiederviel stärker setzen.
Wir Linke wollen eine massive Steigerung der Löhne.Die Löhne sind um gut 18 Prozent hinter dem zurückge-blieben, was in den letzten 15 Jahren möglich gewesenwäre. Wir wollen wieder die Rahmenbedingungen füreine offensive Tarifpolitik schaffen. Dafür müssen solcheKnüppel wie Leiharbeit, Befristung und Werkverträge,die den Gewerkschaften zwischen die Beine geworfenwurden, weg. Dann wird es in Tarifrunden wieder mög-lich sein, ganz andere und viel deutlichere Lohnsteige-rungen zu erzielen. Das ist das Hauptcredo unserer lin-ken Wirtschaftspolitik.
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Michael Schlecht
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Wenn es schon in den Tarifrunden des nächsten Jahresmöglich wäre, anständige Lohnerhöhungen von 4 oder5 Prozent zu erzielen – das wäre aus meiner Sicht abso-lut notwendig –, dann gäbe es allein aufgrund dieserLohnerhöhungen Impulse im Umfang von über 10 Mil-liarden Euro. Wenn wir dann noch einen vernünftigenMindestlohn von mindestens 10 Euro einführen würden,und zwar ohne diese Löcher, diese Ausnahmen, über diewir hier weidlich diskutiert haben, dann würden wir ei-nen Nachfrageeffekt in Deutschland erzielen, der nocheinmal bei annähernd 20 Milliarden Euro liegen würde.Wenn wir darüber hinaus Hartz-IV-Beziehern 500 Euro– das ist das Mindeste, was man sich überhaupt vorstel-len kann – unter Wegfall diverser Sanktionen zahlenwürden, hätten wir noch einmal einen Impuls im Um-fang von 10 Milliarden bis 15 Milliarden Euro bei derBinnennachfrage zu verzeichnen, und zwar zum Wohleder betreffenden Menschen als auch der ökonomischenEntwicklung in Deutschland; denn die Menschen, dieunter solch niedrigen Einkommen leiden, geben ihr Gelddann wirklich aus.Wir brauchen über diese Dinge hinaus natürlich auch– das kann ich jetzt nur kurz ausführen; es ist darüberviel referiert worden – hier in Deutschland endlich deut-lich mehr Investitionen. Ein Zitat des DIW-PräsidentenHerrn Fratzscher lautet:Seit 1999 hat Deutschland einen Investitionsrück-stand von … einer Billion Euro aufgebaut und da-durch erhebliche Wachstumschancen verpasst. Wirgefährden damit die Zukunft Deutschlands als Wirt-schaftsstandort …usw. An diesem Zitat des DIW-Präsidenten, der hier vor-hin schon so wohlwollend zitiert worden ist, erkenntman, was in Deutschland zu tun ist.Wir fordern, dass in Deutschland jährlich mindestens50 Milliarden Euro mehr in die verschiedenen Bereicheder Infrastruktur investiert werden. Es gäbe auch eine Fi-nanzierungsmöglichkeit jenseits von Schulden. Manmüsste endlich Reiche und Vermögende richtig besteu-ern. Wir sind für die Millionärsteuer, wir wollen eineWiedereinführung der Vermögensteuer. Alle, die mehrals 1 Million Euro Vermögen haben – möglicherweiseHerr Fuchs, ich weiß es nicht –, sollen 5 Prozent Steuernauf ihr Vermögen zahlen. Dann hätten wir mehr als80 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und könntenwirklich großdimensionierte, sinnvolle Investitionspro-gramme auflegen, ohne uns großartig neu verschuldenzu müssen. Das ist das, was wir wollen. Aber ich weiß:Die Regierung – Herr Gabriel ist nicht mehr da – scheutdavor zurück,
weil sie zu feige ist, die Reichen in Deutschland anzuge-hen. Wer diese Feigheit weiterhin praktiziert, versündigtsich an den Interessen dieses Landes.Danke schön.
Danke, Herr Kollege Schlecht. – Schönen guten Mor-
gen, liebe Kolleginnen und Kollegen im Saal und liebe
Gäste auf der Tribüne!
Nächster Redner in der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Den Men-
schen in Deutschland geht es gut wie lange nicht. Ich
würde sogar sagen: Den allermeisten geht es so gut, wie
es ihnen noch nie in Deutschland gegangen ist. Ich muss
schon sagen: Wenn man hört, was der Kollege Claus, die
Frau Wagenknecht, der Herr Ernst oder jetzt gerade
– nomen est omen – der Herr Schlecht hier erzählen,
dann muss ich sagen: Mit Verlaub, das ist Stuss, absolu-
ter Stuss.
Es ist eine Mischung von Halbwahrheiten, von ökono-
mischem Schwachsinn und von Verdrehung von Daten
und Fakten.
Sie haben gerade wieder mehrfach gesagt, die Rei-
chen würden zu wenig besteuert, die Armen zu viel und
es gebe Gerechtigkeitslücken. Es werden hier Stimmun-
gen gemacht und Dinge suggeriert, die hinten und vorne
nicht zusammenpassen.
Ich sage Ihnen jetzt einmal, wer 2013 wie viel zur
größten direkten Steuer, der Einkommensteuer, beigetra-
gen hat. Das Aufkommen betrug rund 200 Milliarden
Euro. Das oberste 1 Prozent der Steuerzahler hat 19,8 Pro-
zent der 200 Milliarden bezahlt, also fast 40 Milliarden
Euro. Die oberen 10 Prozent haben 50,7 Prozent bezahlt,
die oberen 20 Prozent 67,4 Prozent und die oberen
50 Prozent 92,5 Prozent.
Das heißt natürlich umgekehrt: Die untersten 50 Prozent
haben 7,5 Prozent bezahlt, und die untersten 20 Prozent
haben 0,1 Prozent der Einkommensteuer bezahlt.
Herr Kollege Pfeiffer, erlauben Sie eine Zwischen-frage oder -bemerkung des Kollegen Schlecht?
– Bemerkungen gibt es auch. Das sieht die Geschäfts-ordnung vor.
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6630 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
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Ich erlaube es gerne.
Herr Pfeiffer, diese wunderbare Rechnerei der Steuer-
belastung kennt man ja sattsam, aber sie anzuführen,
zeugte schon immer von einer sehr ausgeprägten intel-
lektuellen Leistung; denn es ist doch überhaupt kein
Wunder in einem Land – ich habe es doch gerade eben
lang und breit dargelegt; Sie haben offensichtlich nicht
zugehört –, in dem seit dem Jahr 2000 die Einkommens-
entwicklung von Reich und Arm so stark auseinander-
geht: Auf der einen Seite werden die Reichen immer rei-
cher, sodass sie gar nicht mehr wissen, wo sie ihr Geld
lassen sollen. Auf der anderen Seite aber wird die Armut
immer größer. Es gibt unter denjenigen, die von Armut
betroffen sind, viele Leute, die heute 10 oder 20 Prozent
weniger als im Jahr 2000 verdienen. Dass diese Men-
schen natürlich zum Teil überhaupt keine Steuern mehr
bezahlen, ist doch nur logisch, weil sie gar kein Geld ha-
ben oder nur so wenig, dass das deutlich unter den zu
versteuernden Größen liegt. Insofern kommen dabei sol-
che wunderbaren Zahlen heraus. Dass Sie damit dem ge-
neigten Publikum quasi die Krokodilstränen in die Au-
gen treiben wollen ob der außerordentlichen Belastung
der Reichen, ist schon abenteuerlich.
Wir können gerne noch ein wenig bei den Daten und
Fakten verweilen. Tatsache ist, dass im vergangenen
Jahr 200 Milliarden Euro Steuern auf das Einkommen
gezahlt wurden, und zwar von denjenigen, die gearbeitet
haben. – Sie können ruhig noch stehen bleiben. Ich bin
noch lange nicht fertig mit der Beantwortung Ihrer
Frage.
Ich sage, wie lange er stehen bleibt.
Wie Sie dann dazu kommen, zu behaupten, das seinicht repräsentativ,
das müssen Sie mir schon einmal erklären.Schauen Sie sich doch einmal die Reallohnzuwächsein diesem Jahr an. Schauen Sie sich doch einmal dieLohnabschlüsse an. Schauen Sie sich dabei auch an, wel-che Umverteilungs- und Ausgleichsmechanismen zumBeispiel mit der Bemessungsgrenze wir in der Sozialver-sicherung haben. Schauen Sie sich außerdem an, wiezwischen den Bundesländern im Gesundheitsbereich, imPflegebereich, bei der Rentenversicherung und auf ande-ren Feldern verteilt wird.
Dass Sie angesichts dessen behaupten, in Deutschlandwürde die Schere auseinandergehen, ist wirklich abwegig.An dieser Stelle fühle ich mich an unsere Bolivien-Reise erinnert, Herr Schlecht – Kollege Barthel und Kol-lege Krischer waren ja, glaube ich, dabei –, als Sie denBolivianern erklärt haben, dass die Mehrheit der Deut-schen ihr Wohnzimmer auch mit Bananenkisten ein-richte. Das war selbst dem Kollegen Barthel zu viel.
Was Sie da erzählen, das hat mit der Realität in diesemLand wirklich nichts zu tun.
– Doch. Du warst auch dabei.
Kollege Barthel hat jedenfalls gesagt, jetzt reiche es, dassei selbst ihm zu viel. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist ernicht verdächtig.Den Menschen geht es also gut. Die Einkommen stei-gen. Die Menschen sind Gott sei Dank gesund. Außer-dem nimmt die Lebenserwartung zu. Nicht nur den Men-schen geht es gut, sondern auch die deutsche Wirtschaftist in einer robusten Verfassung. 43 Millionen Menschensind in Lohn und Brot. Die meisten davon sind in keinenprekären Beschäftigungsverhältnissen, sondern in so-zialversicherungspflichtigen Verhältnissen. Im Jahr 2005waren es 27 Millionen Menschen. Jetzt sind wir bei über30 Millionen Menschen. In nicht einmal zehn Jahren istalso die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigterum 4 Millionen Menschen angestiegen. Diese Entwick-lung fand trotz der demografischen Entwicklung und dendamit verbundenen großen Herausforderungen statt.
Seit Oktober vergangenen Jahres sind es rund 479 000Menschen mehr. Es sind also fast eine halbe MillionMenschen mehr in Lohn und Brot, die Steuern und Sozi-alversicherungsbeiträge zahlen, wie gerade diskutiert.Deshalb können wir uns auch etwas leisten.Gerade in den letzten Minuten wurden die aktuellenArbeitslosenzahlen bekannt gegeben. Entgegen den Er-wartungen ist die Arbeitslosigkeit gesunken. Die Ar-beitslosigkeit ist ja das Gegenstück zur Beschäftigung,wobei die Beschäftigung noch viel wichtiger ist. Wennverkündet würde, dass zwar die Arbeitslosigkeit zurück-ginge, aber die Beschäftigung konstant bliebe oder garauch zurückginge, dann wäre das keine gute Nachricht.Die Beschäftigung ist aber ausgeweitet worden. Und zu-gleich ist die Arbeitslosenzahl zurückgegangen auf2,71 Millionen Menschen. Das ist die niedrigste Arbeits-losenzahl, die wir in Gesamtdeutschland seit 1990 hat-ten.
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Dr. Joachim Pfeiffer
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Darüber hinaus haben wir – das ist nach meiner Erin-nerung vorhin bereits von Frau Dröge angesprochenworden – für unsere Jugend die besten Perspektiven, diewir jemals in Deutschland hatten. Schauen Sie sich ein-mal die Jugendarbeitslosigkeit oder die Zahl der Ausbil-dungsplätze an. Auch da hat sich die Entwicklung völligumgekehrt. Während wir vor zehn Jahren in diesemHaus noch über planwirtschaftliche Ausbildungsabga-ben diskutiert haben, die wir Gott sei Dank nie einge-führt haben, haben wir heute eher einen Mangel, undzwar an Bewerbern, nicht an Ausbildungsplätzen. ImHandwerk, im Dienstleistungsbereich und im Handelkönnen heute bereits viele Ausbildungsplätze nicht be-setzt werden. Das heißt, wir haben ganz andere Pro-bleme als die, die uns hier zum Teil suggeriert werden.Auch der Export läuft nach wie vor hervorragend. Indiesem Jahr haben wir in mehreren Monaten Waren imWert von über 100 Milliarden Euro exportiert. Wir wer-den dieses Jahr wohl einen neuen Exportrekord aufstel-len.Wir in Deutschland sind es doch, die weltweit dasgrößte Interesse daran haben, dass der Freihandel fairund offen stattfindet. Wir in Deutschland haben deshalbdas größte Interesse an Freihandelsabkommen, die denHandel regeln. Wir in Deutschland wollen dabei vor al-lem den Freihandel regeln, nicht aber alle möglichen Le-bensumstände der Menschen in den verschiedenen Län-dern. Es geht also um Freihandel und darum, ob wirunsere Produkte und Dienstleistungen in der Welt auchweiterhin uneingeschränkt verkaufen können.
Bei den heutigen Haushaltsberatungen geht es umKonsolidieren und Wachsen. Sparen, Neuverschuldungbeenden, Einstieg in den Schuldenabbau – das ist dochdas Beste, was wir für uns selber, aber vor allem auch fürunsere Kinder tun können. Bekanntlich sind ja dieSchulden von heute die Steuern von morgen. Wenn wires angesichts unserer demografischen Entwicklungschaffen, keine neuen Schulden zu machen, sogar Schul-den abzubauen, dann schaffen wir für morgen und fürübermorgen Freiräume. Und trotzdem sind wir in derLage, zu investieren. Auch dies ist ja vorhin angespro-chen worden.Die Zinsen werden sicher nicht immer so niedrig blei-ben, wie sie im Moment sind. 0,1 Prozentpunkte mehr anZinsen bedeuten für den Bundeshaushalt im Moment proJahr Mehrausgaben in Höhe von ungefähr 1 MilliardeEuro. Das heißt, 1 Prozentpunkt macht 10 MilliardenEuro aus. Wer sich das vor Augen führt, der weiß, dasses gut ist, in Zeiten, in denen der Zins niedrig ist und dieSteuereinnahmen sprudeln, die Neuverschuldung zu be-enden und Schulden abzubauen; denn auch dies schafftFreiräume in der Zukunft. Sparen und Konsolidierensind deshalb kein Widerspruch zu Wachstum, sondern essind zwei Seiten derselben Medaille.Aber selbstverständlich ist nicht alles gut. Wer nichtimmer besser wird, hört auf, gut zu sein. Deshalb inves-tieren wir in diesem Haushalt in Forschung und Ent-wicklung und damit in die Zukunft.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-land haben wir in absoluten Zahlen so viel in Forschungund Entwicklung investiert, wie im Haushalt für dasnächste Jahr vorgesehen. Die entsprechenden Zahlenwaren noch nie so hoch, auch wenn es noch Luft nachoben gibt; Kollege Fuchs hat es vorhin angesprochen.Aber die 3 Prozent Steigerung, die wir uns vorgenom-men haben, erreichen wir. Ich möchte das an drei Bei-spielen erläutern: Wir investieren in den Mittelstand, wirinvestieren in die Energieforschung, und wir investierenin die Luft- und Raumfahrt.Der deutsche Mittelstand ist bekanntlich Innovations-motor und Rückgrat unserer Wirtschaft. Über 1 500deutsche Unternehmen sind Weltmarktführer in ihremSegment. Neun von zehn der Spitzenunternehmer sindMittelständler. Jeder Mittelständler in Deutschlandbringt in aller Regel alle zwei Jahre eine Innovation aufden Markt; in den anderen europäischen Ländern ist diesnur alle drei oder vier Jahre der Fall. Das kommt nichtvon ungefähr. Ich glaube nicht, dass wir so viel intelli-genter sind als der Rest Europas. Vielmehr hängt das vonden Rahmenbedingungen ab.Wir haben Rahmenbedingungen geschaffen, die es er-möglichen, dass gerade mittelständische Unternehmenin Forschung und Entwicklung, in die Marktreife, in dasAn-den-Markt-Bringen ihrer Produkte und Dienstleis-tungen investieren. In diesem Zusammenhang ist zumBeispiel das ZIM, das Zentrale InnovationsprogrammMittelstand, zu erwähnen. Herr Jurk hat es eingangs be-reits angesprochen: Wir erhöhen die Mittel für diesesProgramm um 30 Millionen Euro auf 543 MillionenEuro. Das heißt, die Mittel für dieses Programm befin-den sich auf sehr hohem Niveau; seit Jahren liegen siebei über 500 Millionen Euro. Wir investieren in Unter-nehmensgründungen. Wir investieren in Wagniskapital.Wir geben im nächsten Jahr also über 650 MillionenEuro allein für Innovationen im deutschen Mittelstandaus.
So schaffen wir auch zukünftig Arbeitsplätze, neue Pro-dukte und Dienstleistungen.Zur Energieforschung. Im Jahr 2000 haben wir inDeutschland gerade einmal 300 Millionen Euro in dieEnergieforschung investiert. Seit dem Jahr 2005, seit dieUnion die Regierung führt, in wechselnden Konstella-tionen, wurden die Energieforschungsausgaben kontinu-ierlich erhöht. Die Energieeffizienz wurde schon an-gesprochen. Die Forschungsausgaben im BereichEnergieeffizienz wurden in den letzten Jahren verzehn-facht,
im Bereich der erneuerbaren Energien verfünffacht, auchim Bereich der Speichertechnologien. Ich nenne Ihnen
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6632 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Dr. Joachim Pfeiffer
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die Zahlen: Wir geben in 2015 über 900 Millionen Euro,nämlich 925 Millionen Euro, für Energieforschung aus –
das Dreifache dessen, was wir vor zehn Jahren ausgege-ben haben. In der Planung haben wir für 2016 über1 Milliarde Euro und für 2017 über 1,1 Milliarden Eurovorgesehen. So schaffen wir auch mit Forschung undEntwicklung Innovationen gerade in dem wichtigen Feldder Energie, sodass wir auch dort an der Spitze bleiben.Zum Thema Luft- und Raumfahrt. Es geht dort nichtnur um Grundlagenforschung und Erkenntnis; nein, esgeht dort auch um sehr konkrete Dinge. Es geht quasivom All in den Alltag. Luft- und Raumfahrt fasziniertauch, wie wir in den letzten Wochen im Zusammenhangmit dem deutschen Astronauten gesehen haben, FrauZypries, der wirklich die Massen in Deutschland mobili-siert hat – so kann man sagen – und deutlich gemachthat, was hier in Deutschland möglich ist.
– Ich weiß: Er kommt aus Künzelsau, und Christian vonStetten ist mit ihm zur Schule gegangen. Trotzdem hat eres ins All geschafft. Herzlichen Glückwunsch an alleBeteiligten!
Auch bei der Mission „Rosetta“ beispielsweise gehtes nicht nur um reinen Erkenntnisgewinn. Nein, all dieseAktivitäten schlagen sich ganz konkret dann auch imAlltag nieder. Es gäbe heute keine Klimaforschung,Waldbrände könnten nicht frühzeitig erkannt werden,wenn wir nicht Programme wie „Copernicus“ hätten.Auch die Ergebnisse der Versuche, die Alexander Gerstdurchgeführt hat, fließen direkt in die medizinische For-schung zum Muskel- und Knochenabbau ein.
Herr Kollege, Sie denken an die Redezeit?
Ich denke an die Redezeit, –
Dann ist ja gut.
– leider schon die ganze Zeit. Wenn Sie mich nicht
aufhalten würden, wäre ich noch schneller fertig.
Moment, Moment!
Aber ich komme gleich zum Schluss.
Ihre Kollegen bekommen dann weniger Redezeit.
Das Stichwort „Erdbeobachtung“ will ich im Zusam-
menhang von Forschung und Alltag noch nennen.
Im dritten Feld, bei der Luft- und Raumfahrt – damit
schließe ich –, werden in die Technologieforschung
160 Millionen Euro investiert. Ins nationale Weltraum-
programm werden 270 Millionen Euro und ins interna-
tionale Weltraumprogramm, sozusagen in die Zusam-
menarbeit, 630 Millionen Euro investiert. Das ist über
1 Milliarde Euro für diesen Bereich. Das ist gut angeleg-
tes Geld, damit wir auch in Zukunft an der Spitze mit-
spielen können, in Zukunft noch besser werden, als wir
es heute schon sind, und auch 2020, 2030 sagen können:
Jawohl, Deutschland spielt an der Spitze mit. – Dafür le-
gen wir mit diesem Bundeshaushalt die Grundlage. Wir
säen also, damit die Pflanzen wachsen und wir dann die
Früchte ernten können.
Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege.
Ich unterbreche, wenn die Redezeit radikal über-
schritten wird. Das war der Fall. Deswegen werde ich ei-
nem Ihrer Kollegen jetzt etwas Redezeit abziehen müs-
sen; tut mir leid.
– Das war nicht eine Minute. Ich habe die Uhr hier, Herr
Pfeiffer.
– Danke, Herr Kauder.
Nächster Redner: Oliver Krischer für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Bundesminister Gabriel, ich fand es gut, dass wirhier einmal eine Debatte über TTIP, über CETA, überFreihandelsabkommen geführt haben und herausgearbei-tet haben, dass Sie – ich habe das in der Klarheit nochnicht gehört; ich glaube, das war auch öffentlich nichtklar – CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada,mit Investitionsschutz zustimmen werden. Das hat sichgelohnt; denn Sie haben das klipp und klar gesagt. Es istgut, dass das hier von Ihnen klargestellt worden ist.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6633
Oliver Krischer
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Es ist kein Geheimnis, dass wir da eine andere Auffas-sung haben.
Ich bin einmal gespannt darauf, was die Sozialdemo-kratie, die dazu ja etwas Konträres beschlossen hat, inZukunft dazu sagen wird. Da stehen uns sicherlich nochinteressante Debatten bevor.
Wenn Sie das nicht innerhalb Ihrer Partei hinbekommen,dann ist es ja gut, wenn wir es hier im Plenum schaffen,die Position klarzumachen.
Herr Gabriel, Sie haben hier 40 Minuten geredet; derPräsident hat das bestätigt. Das ist völlig in Ordnung. Ichwürde mir wünschen, Sie kämen einmal zur Fragestundeund beantworteten dort die Fragen, anstatt Ihre Staatsse-kretäre vorzuschicken, die vom Blatt ablesen und dieFragen anderweitig beantworten. Da sollten Sie sich ein-mal stellen; den Mut sollten Sie haben. Das wäre Parla-mentarismus.
Sie haben zwar 40 Minuten über TTIP und viele an-dere Dinge gesprochen – Sie haben auch etwas zur Ener-giepolitik gesagt –, aber Sie haben nicht ein einziges Mal– Zeit dafür wäre durchaus gewesen – das Wort „Klima-schutz“ erwähnt; das kommt bei Ihnen gar nicht vor.
Das haben Sie überhaupt nicht im Kopf. Ich sage Ihnenauch, warum: Sie werden das Klimaschutzziel 2020 kra-chend verfehlen.
Das ist die Bilanz von mehreren Regierungen Merkel, andenen Sie zweimal – als Umweltminister und als Wirt-schaftsminister – beteiligt waren. Das ist Ihre Bilanz,wenn dieses Klimaschutzziel verfehlt wird.
Der Öffentlichkeit ist eines klar – es ist gut, dass dasdeutlich geworden ist –: Wir kommen nicht drumherum,etwas beim Kohlekraftwerkspark zu tun. Wir müssenendlich die ältesten Kohlekraftwerke aus Adenauers Zei-ten vom Netz nehmen, wenn wir das Klimaschutzziel er-reichen wollen. Da habe ich in den letzten Wochen etwaserlebt, was ich bei Sigmar Gabriel gar nicht kannte:Viermal hat er in drei Wochen seine Position verändert.Heute war vielleicht nicht die Gelegenheit, es zu er-klären; aber draußen ist Ihre Position nicht deutlich ge-worden, und auch ich habe es nicht verstanden, wie jetzt22 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart wer-den sollen – wobei das eigene Ministerium sagt, esmüsste mindestens doppelt so viel sein, und wissen-schaftliche Gutachten besagen, es müsste dreimal so vielsein. Dazu kommt nichts. Wird es da ein Gesetz geben?Wird es eine freiwillige Selbstverpflichtung geben? –All das wissen wir nicht. Dabei ist es erforderlich, dasswir beim fossilen Kraftwerkspark endlich etwas machen.Dazu würde ich mir – wo auch immer – eine Klarstel-lung wünschen.
Es mag ja sein – wahrscheinlich ist es auch so –, dassIhnen der Klimaschutz egal ist, dass das nicht Ihr Themaist, dass Sie sagen: Komm, ich bin Sozi, ich bin für qual-mende Schlote; das ist mein Ziel, das ist das, wovon icherzähle. – Aber das ist nicht zukunftsfähig. WelchesSignal sendet ein Wirtschaftsminister, eine Bundesregie-rung aus dem Energiewendeland Deutschland, wenn hierhochmoderne Gaskraftwerke abgeschaltet werden undInvestoren ernsthaft überlegen, sie zu demontieren undim Ausland wieder aufzubauen? – Nachdem Sie schondie erneuerbaren Energien abgebaut und abgerissen ha-ben, machen Sie das jetzt auch noch mit der Effizienz-technologie. Das kann doch nicht sein. Da werden wiralles dagegensetzen.
Noch etwas. Wir reden ja heute über den Haushalt. Dahabe ich gehört: Herr Schäuble legt 2016 ein 10-Milliar-den-Euro-Programm auf. Ich frage mich die ganze Zeit:Warum kommt das nicht mit diesem Haushalt? Warum,bitte schön, kommt dieses Investitionsprogramm nichtsofort, wenn Sie es für erforderlich erachten? – Es kanndoch nicht sein, dass Sie etwas für die Zukunft ankündi-gen, dass Sie ungedeckte Schecks liefern, an die sichnächstes Jahr keiner mehr erinnert, und das Geld amEnde bei der CSU in Bayern landet und in Umgehungs-straßen investiert wird anstatt in Energieeffizienz, Ge-bäudesanierung und Effizienztechnologien für die deut-sche Wirtschaft. Da sollten Sie jetzt die Fakten schaffenund nicht ungedeckte Schecks für die Zukunft ausstel-len, meine Damen und Herren.
Wir haben es hier heute mehrfach von den Kollegen,die dazu geredet haben, gehört: Da gibt es jetzt einenNationalen Aktionsplan Energieeffizienz und ein Ak-tionsprogramm Klimaschutz 2020. All das sind nur Wort-hülsen; das ist nur beschriebenes Papier. Am Ende ist dieWahrheit im Haushalt. Da muss man eines feststellen:Sie sind auf dem gleichen Niveau wie Ihr Amtsvorgän-ger. Sie haben die gleichen Mittel, die gleichen Pro-gramme im Haushalt wie Philipp Rösler – nichts mehr.Da ist die Große Koalition nach einem Jahr angekom-men. Das ist nicht zukunftsgerecht. Das ist ein Rück-
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6634 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Oliver Krischer
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schritt in die Vergangenheit. Das hilft uns beim Klima-schutz nicht weiter.
Das bringt die deutsche Wirtschaft nicht voran. Das istan der Stelle nicht in Ordnung.
Denken Sie an die Redezeit.
Letzter Satz, Frau Präsidentin.
Nein, stopp, Herr Krischer! – Erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage vom Kollegen Jurk?
– 20 Sekunden.
– Wir können jetzt gerne mal die Geschäftsführer nach
vorne holen, wenn Sie mögen.
So, Herr Jurk.
Ich hoffe, Herr Krischer freut sich, wenn ich durch
meine Frage jetzt auch seine Redezeit verlängere.
Zu meiner Frage. Sie haben eben Herrn Rösler be-
müht. Ich kann mich erinnern: Als Schwarz-Gelb an der
Regierung war, bestand große Unsicherheit darüber, was
aus all den Energieprogrammen wird, die aus dem EKF
gespeist werden; denn durch die sinkenden Einnahmen
aus dem Zertifikatehandel und der fehlenden Brennele-
mentesteuer ist ja ein Teil der Basis weggebrochen. Wä-
ren Sie bereit, mir zuzustimmen, dass wir mit dem in
diesem Haushalt vorgesehenen Bundeszuschuss dafür
sorgen werden, dass eine solide Basis für die Finanzie-
rung der energetischen Programme gelegt wird? Das
kann man mit dem, was Herr Rösler gemacht hat, nun
wirklich nicht vergleichen.
Herr Jurk, ich danke Ihnen für diese Frage, mit der
Sie lediglich bestätigen, dass Sie die Mittel aus dem
Bundeshaushalt nehmen. Der blödsinnige EKF hat seine
Funktion doch völlig verloren. Das haben wir als Grüne
schon damals kritisiert.
Trotz des Eindrucks, den Sie durch das, was Sie er-
zählen, erwecken: Sie setzen in der Summe keinen einzi-
gen Euro mehr ein.
Im Gegenteil: Die Mittel für die Programme werden re-
duziert, und das Marktanreizprogramm wird verkleinert.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, mit der Sie auf dem
Niveau von Philipp Rösler angekommen sind.
Ihre Versprechen sind lediglich ungedeckte Schecks für
die Zukunft.
Sie haben die Planungs- und Investitionssicherheit
angesprochen. Es ist doch ein Irrsinn, dass Sie Pro-
gramme ankündigen, aber niemand weiß, ob sie 2016
auch realisiert werden. Ich sage Ihnen, was das für einen
Effekt hat: Wenn ich überlege, mein Gebäude zu sanie-
ren, dann mache ich 2015 nichts, sondern ich warte auf
das Programm, das Sie für 2016 angekündigt haben. Das
heißt: Im Ergebnis wird es 2015 sogar noch einen Ab-
sturz bei den Investitionen geben. Das ist genau das Ge-
genteil von dem, was wir brauchen. Das ist das Ergebnis
Ihrer Politik. Mit Ihren folgenlosen Ankündigungen und
nicht substanziellen, ungedeckten Schecks ziehen Sie
am Ende alles runter. Sie machen die Investitionen ka-
putt. Das müssen Sie sich – tut mir leid – ins Stammbuch
schreiben lassen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Rückfrage des Kolle-
gen Jurk?
Ja, aber selbstverständlich.
Gut.
Kollege Krischer, Sie sitzen nicht im Haushaltsaus-schuss. Würden Sie mir recht geben, dass wir beispiels-weise die Mittel für die Forschung für erneuerbare Ener-gien und Energieeffizienz erhöht haben? Würden Siezugeben, dass wir im Vorausblick auf den NationalenAktionsplan bereits eine Vielzahl neuer Energieeffi-zienzmaßnahmen angekündigt
haben, die wir selbstverständlich auch einpreisen wer-den?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6635
Thomas Jurk
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– Gehen Sie davon aus, dass sich die Bundesregierungan das hält, was das Kabinett beschließt.
– Sie lachen immer darüber.
Ich möchte Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dasswir bei der Übertragung von Programmen des Bundes-umweltministeriums, insbesondere beim UAP, dafür ge-sorgt haben, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, diejetzt im Bundeswirtschaftsministerium tätig sind, aus dersachgrundlosen Befristung herausgenommen und infeste Beschäftigungsverhältnisse übernommen wurden.Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Haushalt.Würden Sie wenigstens das zur Kenntnis nehmen?
Das ist ja alles schön und gut, Herr Kollege Jurk, was
Sie hier aufzählen. Aber Sie haben selber gesagt, Sie ha-
ben „angekündigt“.
Ich habe nichts davon gehört, dass klar ist, wie viel in
die Gebäudesanierung investiert wird. Aus der Union
werden ganz andere Vorstellungen laut: Sie will das
Geld in neue Straßen investieren. Da bin ich sehr ge-
spannt.
Ich bin auch sehr gespannt, ob das Geld am Ende über-
haupt fließen wird, ob es auch frisches Geld geben wird.
Das alles werden wir sehen. Das führt am Ende nur zu
Attentismus.
Was die Ankündigungen angeht: Der Wirtschafts-
minister hat in den letzten Wochen einen richtig schönen
Eiertanz vorgeführt. Erst hat er gesagt: Wir müssen im
Bereich Kohlekraftwerke etwas tun. Plötzlich war das
alles nicht mehr wahr, und es wurde dementiert. Dann
wurde gesagt: Wir machen ein Programm. Dann wurde
verhandelt. Jetzt hat er auf einmal alle, die überhaupt ge-
fragt haben, ob man im Bereich Kohlekraftwerke etwas
machen muss, für dumm erklärt.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das zeigt nur: Diese Koalition ist in einer fossilen
Endlosschleife.
Sie gehen die Herausforderungen nicht an. Sie investie-
ren nicht in die Zukunft. Das ist nicht zukunftsfähig. Das
bringt uns nicht nach vorne. Das ist nicht das, was unser
Land, was Europa braucht.
Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Krischer. – Nächster Red-
ner in der Debatte, Dr. Peter Ramsauer für die CSU/
CDU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! In der vergangenen Woche hatte ich Besuchvon einer Reihe ausländischer Führungskräfte aus derWirtschaft. Eine der zentralen Fragen an mich war: Wastut Deutschland gegen die verheerende Rezession, in diees jetzt hineinschlittert? Ich dachte mir: Das ist das typi-sche Bild, das mancherorts von der Lage in Deutschlandgezeichnet wird. Lieber Herr Krischer, Ihre Rede ebenwar so ein verheerender Beitrag, eine gespenstischeRede, die genau dieses verzerrte Bild von Deutschlandfördert.
Deswegen kann man nicht oft genug sagen: SchauenSie sich die Realität an. Die Zahlen sind alle genanntworden. Auch wenn die Wachstumserwartungen nichtganz so hoch sind, wie wir sie nach dem Frühjahrsgut-achten dieses Jahres noch erwartet hatten: Tatsache ist,dass wir weiterhin Wachstum haben und Deutschlanddamit Wachstums- und Wirtschaftslokomotive in Europableibt und auch darüber hinaus für die weltwirtschaftli-che Entwicklung von erheblicher Bedeutung ist.
Allerdings muss man auch sehen, dass dies gerade inder jetzigen Lage durch einen fast ungewöhnlich günstigenÖlpreis begünstigt wird. Manche sagen, er sei ein süßesGift, aber im Endeffekt wirkt der niedrige Ölpreis natürlichals ein gewaltiges Konjunkturprogramm, wenn man sicheinmal vorstellt, dass eine Ölpreissenkung von 10 Dollarpro Barrel eine Verschiebung von circa 0,5 Prozent desWeltsozialprodukts von den erdölfördernden zu den erd-ölverbrauchenden Ländern ergibt. Daran sieht man,welch gewaltige fördernde Wirkung dies für die Kon-junktur hat.Wenn man sich dessen bewusst ist, dann wird auchklar, dass wir aus eigener Kraft heraus, aus unserer origi-nären Wirtschaftspolitik heraus alles dafür tun müssen,dass wir wirtschaftlich stabil bleiben. Ein wesentlichesStichwort in dieser Debatte dazu lautet: Förderung vonInvestitionen. Darauf hat auch Bundeswirtschaftsminis-ter Sigmar Gabriel eingehend hingewiesen.
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6636 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Dr. Peter Ramsauer
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Noch einmal zur Erinnerung, wo wir einmal waren:1998 hatte der Bundeshaushalt eine Investitionsquotevon 12,5 Prozent. Wir waren im vergangenen Jahr, 2013,auf einem historischen Tiefstand von 8,1 Prozent, wer-den in diesem Jahr bei 8,6 Prozent liegen, und in denkommenden Jahren – positive Tendenz – steigt sie auf8,8 Prozent.Nun zu den 10 Milliarden Euro, von denen 7 Milliar-den Euro in den kommenden Jahren – 2016, 2017 und2018 – effektiv zur Verfügung stehen. Wenn man dieseMittel dazurechnet, so kommen wir solide auf Investi-tionsquoten von über 9 Prozent, und damit gehen wirden entscheidenden, richtigen Weg, liebe Kolleginnenund Kollegen.
Ich fände es auch zielführend, darüber nachzudenken,ob man diese 7 Milliarden Euro nicht ausschließlich indirekte Investitionen steckt, sondern sie auch zum Teildazu verwendet, investitions- und wachstumsförderndeSteuererleichterungen zu gewähren. Dazu gibt es eineReihe von Stichpunkten. Ich bin ein entschlossener Ver-fechter der Abschaffung der kalten Progression.
Dafür gibt es viele Gründe, aber ich nenne nur mal einenGrund dafür: Im sozialen Bereich passen wir beispiels-weise die Grundsicherung in jedem Jahr der Entwick-lung der Einkommen an. Im steuerlichen Bereich tun wirgenau dies nicht, und das führt zur kalten Progression.Wenn man das Ganze einmal infinitesimal denkt, dannwird das eines Tages dazu führen, dass wir einen direk-ten Übergang von der Grundsicherung in den Spitzen-steuersatz bekommen. Also: Weg mit der kalten Progres-sion, damit sich das auch entspricht.Von der steuerlichen Förderung der energetischen Ge-bäudesanierung wurde bereits gesprochen. Wir hattendamals in der schwarz-gelben Koalition ein Konzept zursteuerlichen Förderung bereits fertig. Danke, Herr Bun-deswirtschaftsminister, dass Sie darauf hingewiesen ha-ben, woran es gescheitert ist. In meinen Augen ist diesteuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanie-rung etwas, was dem ganzen Projekt noch einmal einengewaltigen Schub geben würde, da die steuerliche För-derung jenseits der KfW-Programme im Einzelfall viel,viel passgenauer ist.Eine Reihe weiterer steuerlicher Entlastungen wärezu überlegen. Ich persönlich halte beispielsweise dieLuftverkehrsteuer nach wie vor für ein völlig falschesInstrument. Sie gehört abgeschafft.
– Danke, Herr Kollege Tiefensee. Wir ziehen hier wirk-lich an einem Strang. – Die Luftverkehrsteuer benachtei-ligt die deutsche Luftverkehrswirtschaft einseitig gegen-über allen anderen Wettbewerbern weltweit.Da wir gerade bei Steuern sind: Sie ist zwar keineBundessteuer, aber die Erbschaftsteuer gehört regionali-siert. Was die Ausgestaltung anbelangt, gehört sie denLändern anheimgestellt. Das wäre ein wirksames undgutes Mittel für den Steuerföderalismus.Ich möchte noch ein Wort zum Thema Exportpolitikverlieren. Wir alle wissen, wie sehr die deutsche Wirt-schaft vom Export abhängig ist. Die Belastungen undVerbote, die wir der deutschen Exportwirtschaft auferle-gen, nehmen eher zu, als dass wir sie Stück für Stück zu-rückführen. Ich möchte dazu ein paar Beispiele aus derallerjüngsten Zeit nennen:Ich halte es für einen schweren Fehler, wenn wir denExport von deutschen Kohlekraftwerksanlagen quasi un-terbinden, indem keine Exportkreditgarantien gegebenwerden oder dem Export ähnliche Erschwernisse bereitetwerden.
Gestern hatten wir im Wirtschaftsausschuss eine De-legation von südafrikanischen Kolleginnen und Kolle-gen zu Gast. Wir haben über die dortige Energiepolitikund auch über die eigene gesprochen. Sie haben unsdazu zwei Mitteilungen gemacht:Sie haben erstens gesagt: Unsere Energieversorgungin Südafrika beruht zu 85 Prozent auf der Basis vonKohleverstromung. Daher müssen wir in Südafrika nachund nach unsere 40 bis 50 Jahre alten Kohlekraftwerkedringend erneuern. – Wenn wir die sehr guten deutschenKohlekraftwerke nicht mehr exportieren lassen mit derBegründung, wir könnten damit irgendwo in der WeltCO2-Emissionen unterbinden, dann begehen wir damiteinen schweren Denkfehler.
Die Kollegen haben uns zweitens erklärt: In dem Fallholen wir uns unsere Kohlekraftwerke von anderen Lie-feranten außerhalb Deutschlands, obwohl wir wissen,dass sie wesentlich schlechtere Effizienzgrade haben. –Damit wäre eine Joint Implementation auf diesem Ge-biet geradezu auf den Kopf gestellt.
Wir dürfen keine Erschwernisse im Exportbereich zulas-sen.Sie haben uns weiterhin gesagt, dass sie in Südafrikaderzeit nur ein Kernkraftwerk haben und weitere achtbauen werden.
Damit sind wir beim nächsten Thema. Ich halte es füreinen schweren Fehler der deutschen Exportpolitik,wenn wir, weil wir bis 2022 selbst aus der Kernenergieaussteigen, in besserwisserischer, belehrender Art und
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Dr. Peter Ramsauer
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Weise keine Kernkraftwerkstechnik mehr exportierenlassen.
Denn auch wenn wir unsere Exportwirtschaft mit einemVerbot belegen, werden Länder wie in diesem Fall Süd-afrika zusätzliche Kernkraftwerke bauen.
Die wehrtechnische Industrie gehört auch zu diesemThema. Über das Freihandelsabkommen sowie über dieWirtschaftssanktionen, unter denen auch die deutscheWirtschaft leidet, ist bereits eingehend gesprochen wor-den. Nur so viel: Ich halte Wirtschaftssanktionen gegenwen auch immer für ein völlig untaugliches Mittel derPolitik. Wirtschaftssanktionen müssen immer daran ge-messen werden, was sie politisch und wirtschaftlich fürbeide Seiten wirklich bedeuten, und das ist nichts Gutes.Ich habe die Diskussion bezüglich des Zeitbudgetseingehend verfolgt. Ich bedanke mich sehr für dieGnade, dass bei mir nicht gekürzt worden ist.
Sie haben ja auch noch ein bisschen Zeit.
Der arme Kollege Lämmel ist der Letzte, und den bei-
ßen in der Regel die Hunde.
Ich fasse in meinen letzten 49 Sekunden eine Reihe
von Beispielen zusammen, an denen wir trotz guter Kon-
junkturdaten weiterarbeiten müssen. Wenn man einmal
zusammenfasst, was aus allen Ecken und Enden zu hö-
ren ist, stellt man fest, dass wir in Deutschland schon
eine sehr ausgeprägte Neinsagermentalität haben: Nein
zur Kernkraft, Nein zu Kohlestrom, Nein zu Fracking,
Nein zu Windkraft in manchen Ländern,
Nein zur CCS-Technologie, Nein zu neuen Stromtras-
sen, Nein zu Energiespeichern, Nein zu den Exporten,
von denen ich gesprochen habe, Nein zu Freihandelsab-
kommen, Nein zu Großprojekten usw. usf.
Jetzt rufen gerade die Richtigen, die personifizierten und
in Partei- und Fraktionsform gegossenen Professions-
neinsager.
Mit dauernder Neinsagerei machen wir in Deutsch-
land keinen Staat. Deswegen wünsche ich mir ein ge-
samtwirtschaftliches und gesamtgesellschaftliches Ja in
Deutschland, damit wir alles tun können, was der Wett-
bewerbsfähigkeit unseres Landes dient. Wir sollten alles
unterlassen, was dem entgegensteht.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ramsauer. – Letzter
Redner in der Debatte, den nicht die Hunde beißen:
Andreas Lämmel für die CSU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich vermute, es gilt noch die Regel, nach der
Haustiere hier nicht erlaubt sind.
Ja.
Sonst würde ich das nächste Mal meine Katze mit-bringen.Meine Damen und Herren, bei der heutigen Debatteüber den Haushalt bleibt mir nur noch die Funktion, allesein bisschen zusammenzukehren und die Diskussionwieder darauf zu fokussieren, worum es eigentlich geht.Immer, wenn man sich einen Haushaltsentwurf an-schaut, muss man die Grundsatzfrage stellen: Nützt derHaushaltsentwurf, so wie er aufgestellt worden ist, derweiteren Entwicklung der Konjunktur, oder nützt er die-sem Ziel nicht?
– Das ist Ihre Sicht, Herr Krischer, aber Sie werden si-cherlich nach dieser Rede überzeugt sein, dass er dochdem Ziel der Stützung der Konjunktur nützt.Die Förderung von Investitionen ist im Haushalt klarfestgelegt, und sie ist sogar auf das im Koalitionsvertragfestgelegte Niveau erhöht worden. Die Förderung von Fund E ist heute schon lange und breit dargelegt worden.Das ist ein ganz wichtiger Punkt in der Strategie derBundesrepublik Deutschland. Damit wird ein klares Zei-chen für den weiteren Aufbau der Mittel bei Forschungund Technologie gesetzt.Die Förderung der Außenwirtschaft ist ebenfalls einsehr wichtiger Punkt. Deutschland ist ein exportorien-tiertes Land. Deswegen ist natürlich freier Handel sehrwichtig. Insofern fand ich die Diskussion um TTIP undCETA sehr interessant und danke dem Wirtschaftsminis-
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6638 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Andreas G. Lämmel
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ter, dass er hier noch einmal klar Position bezogen hat.Wir stehen zu diesen Abkommen.Herr Krischer und Frau Dröge, Sie schüren ja mit gutgesetzten Worten immer wieder Zweifel an diesen Ab-kommen.
Das eigentlich Schlimme ist das, was Sie auf der Straßeveranstalten, nicht die Diskussion hier; denn hier kannman die Argumente austauschen. Aber das, was Sie aufder Straße veranstalten, wenn Sie Ihre Vorfeldtrupps
zum Unterschriftensammeln durch die Fußgängerzonenziehen lassen,
gemeinsam mit den Leuten der Linken,
und dort die Leute nicht einmal ansatzweise über TTIPoder CETA aufklären, sondern einfach versuchen, siezum Unterschreiben zu nötigen, ist genau das, was Siewieder einholen wird.
Die Grünen bleiben damit bei ihrer Linie, zu allem Neinzu sagen, was die Entwicklung Deutschlands voranbrin-gen könnte.
Das ist genau der Punkt. Es hat sich ja auch bei denWahlen gezeigt, dass das die Bürger einfach nicht mehrwollen. Ich meine, Sie werden mit Ihrer tollen Koalitionin Thüringen, die Sie da jetzt anbahnen, sicherlich in derWählergunst weiter sinken.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Haus-haltsentwurf im Hinblick auf das Thema Außenwirt-schaft angeschaut hätten, dann wäre Ihnen aufgefallen:Wir haben eine Exportinitiative Erneuerbare Energien.Wir haben eine Exportinitiative Energieeffizienz. Wirhaben eine Exportinitiative Umwelttechnologie, und wirhaben eine Exportinitiative Gesundheitswirtschaft ge-startet. Das alles sind Felder, auf denen wir versuchen,dem deutschen Mittelstand Möglichkeiten zu geben, sichGeschäftsfelder in der Welt zu erschließen. Genau das istder Weg. Hier müssen wir unsere Aktivitäten ausbauen.Dazu brauchen wir freien Handel.Ein weiterer wichtiger Punkt sind öffentlich-privatePartnerschaften im Bereich der Außenwirtschaft. Ichnenne hier als Beispiel die Büros der AHKs. Wir sind in54 Ländern mit diesen Büros vertreten. Diese sind An-laufpunkte für die deutsche Wirtschaft in allen Teilen derWelt, um Geschäftsanbahnungen voranzubringen. Wirmüssen uns in den nächsten Jahren natürlich überlegen,wie dieses Netz der Auslandsbüros erweitert und ergänztwerden kann; denn wir müssen auf die veränderten Ge-gebenheiten in der Welt reagieren. In 22 Ländern habenwir außerdem Delegiertenbüros, die ein weiteres Stand-bein der deutschen Außenwirtschaft sind.Im Bereich der Außenwirtschaft haben wir – KollegeRamsauer hat in seiner Rede gerade darauf hingewie-sen – auch selbst für Restriktionen gesorgt. Zu nennensind hier die Frage der Rüstungsexporte, die Frage derExporte von Dual-Use-Gütern und natürlich auch dieSanktionen gegen Russland. Als sächsischer Abgeordne-ter muss ich in diesem Zusammenhang Folgendes sagen:Vielleicht sind die Sanktionen gegen Russland für diedeutsche Wirtschaft insgesamt kein großes Problem, fürSachsen entwickeln sich diese Sanktionen aber zuneh-mend zu einem wirtschaftlichen Problem. Wir brauchenganz einfach einen Mechanismus, um die Sanktionenletztendlich auch zurückführen zu können, um wiederHandelsbeziehungen mit Russland aufnehmen zu kön-nen.
Abschließend will ich einen Bereich ansprechen, derheute ganz entschieden zu kurz gekommen ist. Es gehtum das Thema Tourismus. Im Tourismus sind inDeutschland 2,9 Millionen Menschen beschäftigt. Dassind mehr Beschäftigte als in der deutschen Automobil-industrie, im Bereich der Mikroelektronik oder in ande-ren Branchen, die öfter im Fokus stehen. 4,4 Prozent desBruttoinlandsprodukts werden durch den Tourismus er-wirtschaftet. Gerade die Tourismuswirtschaft wurde inden letzten Jahren mit vielen Regulierungen und Einen-gungen überzogen, die sich vor allen Dingen kostenmä-ßig niederschlagen. Die Einführung des Mindestlohnszum 1. Januar 2015 stellt für den Tourismus eine weitereBelastungsprobe dar.Meine Damen und Herren, ich denke, das ThemaTourismus kommt in unserer politischen Diskussion hierzu wenig zur Geltung. Dieser Wirtschaftszweig ist orts-gebunden. Er kann nicht nach China oder Amerika ab-wandern. Meistens handelt es sich um kleine oder mittel-ständische Unternehmer, die das touristische Lebengestalten. Die im Tourismus Beschäftigten sind Dienst-leister. Die Tourismusbranche ist also eine Dienstleis-tungsbranche, und die Dienstleistungsbranchen sind dieBranchen der Zukunft. Das heißt, auch die Tourismus-branche ist eine Zukunftsbranche.
Der Bund hat im Bereich Tourismus nicht allzu vieleZuständigkeiten. Vor allem die Länder sind gefragt,wenn es darum geht, die touristische Infrastruktur zu un-terstützen bzw. die Tourismuswirtschaft insgesamt zuunterstützen. Wir können nur über die Deutsche Zentralefür Tourismus im Ausland Marketing für unser Land be-treiben, damit mehr Gäste nach Deutschland kommen,damit die Betten, die Restaurants und die Museen gefülltwerden und die Taxifahrer die Touristen fahren können.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6639
Andreas G. Lämmel
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Zur touristischen Kette gehören nämlich nicht nur Be-herbergungsbetriebe und Gaststätten. Nach dem Hoch-wasser 2002 konnten wir in Dresden ganz klar sehen,wer alles am Tourismus partizipiert. Wenn keine Gästekommen, dann steht die Hälfte der Dienstleistungswirt-schaft still. Das muss man sich immer vergegenwärtigen.
Deswegen werbe ich dafür, dass die Tourismuswirt-schaft auch in der politischen Diskussion eine höhereBedeutung bekommt und man sich ihrer Probleme an-nimmt. Oftmals geht man leichtfertig über dieses Themahinweg. Ein Beispiel dafür ist die Internetseite, dieBerlin zu den hygienischen Zuständen in Gaststätten ge-macht hat, ohne zu differenzieren. Manch einem Gastro-nomiebetrieb wurde dadurch letztendlich die Existenz-grundlage entzogen. Man muss also sensibel vorgehen.Wir müssen uns mit den Problemen der Touristikbranchebeschäftigen.Es ist gut, dass im Haushalt mehr Mittel für das Mar-keting im Ausland eingestellt werden. Das wird sich inden nächsten Jahren sicherlich niederschlagen; wir wer-den in den nächsten Jahren sicherlich mehr Gäste inDeutschland begrüßen können.
Insoweit kann ich Sie alle nur animieren – das gilt vorallem für die Grünen –, dem Haushalt zuzustimmen. Dasist ein guter Haushalt. Es wird nicht lange dauern, biswir die nächsten Haushaltsdiskussionen führen, dannüber den Haushalt 2016.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. – Damit schließe
ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie,
in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 09 ist angenommen bei Zustimmung von CDU/
CSU und SPD und Ablehnung der Linken und des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.13 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung
Drucksachen 18/2823, 18/2824
Berichterstatter sind die Abgeordneten Swen Schulz,
Anette Hübinger, Roland Claus und Ekin Deligöz.
Zum Einzelplan 30 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die
Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache mit Roland Claus für die
Linken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrte Frau Bundesministerin! Ich will zunächst das Pri-vileg des ersten Redners nutzen, um zu versuchen, dar-zustellen, welchen Platz dieser Haushalt im Gesamtetateinnimmt. Wir haben es hier nämlich mit einem ganz be-sonderen Haushalt, der eine gewisse Einzigartigkeit auf-weist, zu tun. Bevor ich mich in die Details des Etats be-gebe, will ich das darstellen.Im Vergleich zu allen anderen Etats des Bundes istdies ein Haushalt, in dessen Programmtiteln relativ we-nig zu verwalten und sehr, sehr viel zu verteilen ist.Wenn man so will, ist Frau Ministerin Wanka damit eineArt ganzjährige Weihnachtsfrau.
Aber: Genau das ist das Problem dieses Ministeriums.Denn Sie verwechseln, und zwar regelmäßig, das Vertei-len finanzieller Wohltaten mit den angestrebten EffektenIhrer Ausgaben. Da haben Sie ein erhebliches Missver-hältnis zu beklagen.
– Ja, wir werden nachher wieder hören, dass Sie die Aus-gabensteigerungen hervorheben. Selbstverständlich gibtes, zumindest nach meinem Wissen, niemanden imDeutschen Bundestag, der sich nicht dafür einsetzte,mehr Geld für eine bessere Bildung in den Haushalt ein-zustellen. Das ist nun einmal Konsens.
Aber das Problem dabei ist, dass Sie nicht verglei-chen, was wirklich dabei herauskommt, wenn Sie dieAufwendungen erhöhten. Weil diese Erkenntnis bishernoch nicht bei Ihnen fruchtet, muss ich leider folgendenVergleich wiederholen, Frau Bundesministerin: Gemes-sen wurden die Bienen nicht an ihren Flugkilometern,sondern an dem Honig, den sie nach Hause brachten. Indieser Hinsicht haben Sie ein Defizit zu beklagen.
Leider ist das Ergebnis Ihrer Bildungspolitik, dass diesoziale Spaltung der Gesellschaft über den ungleichenZugang zu Bildung und Studium regelrecht reproduziertwird. Das belegen OECD-Studien, und das wissen wiraus eigenen Erkenntnissen. Aber das muss uns doch zudenken geben. Bei einem solchen Zustand kann man esnicht belassen wollen, meine Damen und Herren.
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6640 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Roland Claus
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Wenn ich mir dann noch den Zustand der frühkindli-chen Bildung und den Zustand der Kindertagesstätten imWesten und im Süden dieses Landes anschaue
– da jammert es ja regelrecht den Hund samt Hütte –,muss ich sagen: Es wäre ein Anspruch, zu sagen: LassenSie uns doch wenigstens einmal die Kitalandschaft imWesten auf Ostniveau bringen. Aber davon sind wir weitentfernt.Die Linke schlägt Ihnen eine große BAföG-Reformvor. Sie wird eine Menge Geld kosten. Wir wollen 4 Mil-liarden Euro mehr ins System bringen, um tatsächlichmehr Menschen den Zugang zu einem Studium zu er-möglichen. Dafür wollen wir gerne auf das Deutschland-stipendium verzichten.
Wir betonen an dieser Stelle: Markenzeichen linkerHaushaltspolitik sind nicht neue Schulden, sondern ge-rechte Steuersätze, meine Damen und Herren.
Wir schlagen Ihnen auch eine besondere Hochschul-förderung in strukturschwachen Regionen vor, von dervor allem ostdeutsche Hochschulen und Universitätenprofitieren würden. Man könnte so auch wirtschaftlicheund soziale Nachteile wirklich ausgleichen.Frau Ministerin, ich muss Sie noch auf ein ganz spe-zielles, gravierendes Problem von vielen Problemen inIhrem Haushalt hinweisen: Im Bundesministerium fürBildung und Forschung sind 18 externe Mitarbeiter vomDeutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt beschäftigt.Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt emp-fängt als Projektträger sehr häufig Zuwendungen desBundesministeriums. Wir haben es hier nach unseremVerständnis also mit einem klassischen Interessenkon-flikt zu tun, da die gleichen Leute, die die Mittel bekom-men, im Ministerium möglicherweise mit darüber ent-scheiden, wie sie vergeben werden. Diesen Zustandwollen wir nicht hinnehmen.
Wir haben das als Linke kritisiert; darüber sind Sie hin-weggegangen. Inzwischen gibt es aber auch eine Ihnensehr bekannte kritische Sicht des Bundesrechnungsho-fes. Wenn Sie schon die Opposition nicht ernstnehmenwollen: Eine solche Ignoranz gegenüber dem Bundes-rechnungshof ist beispiellos und nicht zu akzeptieren.
Frau Bundesministerin, Sie haben sich nun auch zudem Nacht-und-Nebel-Sonderprogramm, den Investitio-nen in Höhe von 10 Milliarden Euro, geäußert. Sie sindvon der Welt gefragt worden – das ist am 25. November2014 erschienen –: „Für welche Investitionen plädierenSie?“ Ihre Antwort war:… ich freue mich, dass neben der Infrastruktur auchBildung und Forschung– jetzt kommt es –genannt worden sind.Was heißt denn das: „genannt worden sind“? Das heißtdoch: Ein Gönner hat das verkündet; es hat keine Kabi-nettsberatung vor der Veröffentlichung gegeben. Das istdoch nun wirklich Haushaltspolitik nach Gutsherrenart.
Es ist „genannt worden“. Sie haben an dieser Entschei-dung also offenbar überhaupt nicht mitwirken können.Außerdem verweisen wir Sie darauf, dass bislang nochkein Wort zur Gegenfinanzierung dieses Programms ge-sagt worden ist.
– Ja, natürlich, das habe ich Ihnen ja gerade erklärt. Odermuss ich das wiederholen, weil Sie es noch immer nichtverstanden haben? Markenzeichen linker Haushaltspoli-tik sind nicht neue Schulden, sondern gerechte Steuern.
Sie wollten Deutschlands Zukunft gestalten. Ange-kommen sind Sie bei der schwarzen Null. Zukunftsfä-higkeit sieht anders aus.
Vielen Dank, Herr Kollege Claus. – Nächste Rednerin
in dieser Debatte ist Anette Hübinger für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin Wanka!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine verehrten Da-men und Herren auf der Tribüne! Am Ende des vergan-genen Monats ist mir ein Kommentar in der Presse auf-gefallen. Der Titel lautete – ich zitiere –: „Deutschlandmuss in Europa ein Vorbild sein“. In diesem Kommentarwurde sehr überzeugend dargestellt, warum man an derschwarzen Null, an der Konsolidierung des Haushaltes,festhalten muss und dieses Ziel nicht einfach aufgebensollte, wenn es eine kleine Konjunkturdelle gibt. Ich binstolz, dass wir für 2015 einen ausgeglichenen Haushaltvorlegen können und auch beschließen werden.
Sparen ist aber kein Selbstzweck. Mit dem Bundes-haushalt 2015 treten wir deshalb auch den Beweis dafüran, dass man finanzielle Konsolidierung und Zukunftsin-vestitionen sehr wohl miteinander verbinden kann undauch muss. Der Etat des Bundesministeriums für Bil-dung und Forschung ist dafür das beste Beispiel. Wir be-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6641
Anette Hübinger
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raten heute abschließend über die schwarze Null, aberauch über einen Rekordetat dieses Ministeriums, der2015 fast 15,3 Milliarden Euro umfassen wird. Hinzukommt, dass diese Rekordinvestition keine Eintagsfliegeist. Vielmehr ist der Bildungs- und Forschungsetat in denletzten Jahren immer maßgeblich angestiegen. Von 2005bis heute haben wir ihn sogar verdoppelt.
Auch die Große Koalition wird diese Entwicklung wei-terführen. Ich glaube, dass wir uns in der Großen Koali-tion am Ende dieser Legislaturperiode sehr gerne daranmessen lassen werden, ob wir das erreicht haben odernicht.Das Ministerium für Bildung und Forschung hat auchdieses Mal einen Haushaltsentwurf vorgelegt, in dem in-haltliche Kontinuität und neue thematische Akzentset-zungen gleichermaßen berücksichtigt sind. An dieserStelle ein großes Dankeschön an Ministerin Wanka unddie vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministe-rium für diese sehr gute Arbeit in den vergangenen Jah-ren!
Die richtigen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen inBildung und Forschung und die finanzielle Verlässlich-keit in diesem Bereich haben dazu geführt, dassDeutschland in Bildungsfragen stark aufgeholt hat, fürseine duale Berufsausbildung beneidet wird und in derForschung zur internationalen Spitze gehört – eine Ent-wicklung, die weltweit aufmerksam verfolgt wird.
Auf diesen Erfolgen sollten wir uns nicht ausruhen. Dasheißt aber nicht, dass wir jedes Jahr das Rad neu erfin-den müssen.Neu ist allerdings, dass der Bund die BAföG-Kostender Länder auf Dauer übernehmen wird. Das sind für dieLänder Einsparungen in einer Höhe von ungefähr1,2 Milliarden Euro jährlich. Die Länder haben verspro-chen, dieses Geld im Bildungsbereich zu investieren.Darauf werden wir achten.Neu ist auch das gemeinsame Bund-Länder-Pro-gramm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, das derBund mit 45 Millionen Euro finanziert. Ziel dieses Pro-gramms ist die nachhaltige Verbesserung der Lehreraus-bildung, von der Profilierung und Optimierung derStrukturen der Lehrerbildung an den Hochschulen bishin zur Fortentwicklung der Lehrerbildung in Bezug aufdie Anforderungen der Heterogenität und der Inklusion.Da dies ein guter Haushaltsentwurf ist, haben wir imDetail genau hingeschaut, wo wir nachsteuern wollenund können. Erhöht haben wir in Zusammenarbeit mitden Fachpolitikern der Koalition zum Beispiel die Titelfür berufliche Bildung, insbesondere für die Berufs-orientierung.
Wir geben hierfür 12 Millionen Euro mehr und erhöhendamit den Titel auf 77 Millionen Euro. Erhöht haben wiraber auch den Titel für die überbetrieblichen Ausbil-dungsstätten, weil wir dort einen Mehrbedarf für Reno-vierungen sehen, aber auch einen Mehrbedarf, um dieseAusbildungsstätten zu Kompetenzzentren in der berufli-chen Ausbildung weiterzuentwickeln. 10 Millionen Eurozusätzlich ist eine stolze Summe.
Diese Erhöhungen zeigen, dass wir in der Koalition dieberufliche duale Ausbildung genauso wertschätzen undihr genauso viel Aufmerksamkeit schenken wie der aka-demischen Bildung.Auch Themen wie Alphabetisierung, Forschung anFachhochschulen oder die Stärkung von Forschungsakti-vitäten im Bereich der vernachlässigten und armutsasso-ziierten Krankheiten finden Sie im Koalitionsvertrag.Die Umschichtungen zugunsten dieser Bereiche zeigen,dass die CDU/CSU, aber auch die SPD die Umsetzungdes Koalitionsvertrages sehr ernst nehmen. Er ist dieLeitlinie unseres Handelns.
Oft geht es auch gar nicht um ganz große Summen.Ich will Ihnen dies an einem Beispiel verdeutlichen. Wirhaben für das „Haus der kleinen Forscher“ 1 MillionEuro zusätzlich bereitgestellt. Mit dem „Haus der klei-nen Forscher“ sollen die Neugier der Kinder und das In-teresse für naturwissenschaftliche Vorgänge gewecktwerden. Wir wollen diesen Bildungsansatz verstetigen.Deswegen wird dieses Programm für Kinder im Grund-schulalter fortgesetzt und mit 2 Millionen Euro jährlichunterstützt.
Wenn ich schon über kleinere Veränderungen in ei-nem Milliardenhaushalt spreche, möchte ich auch daraufhinweisen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass einMinisterium die Veränderungen, die die Mitglieder desHaushaltsausschusses in Kooperation mit den Fachpoli-tikern beschlossen haben, fortführt. Vielmehr beschlie-ßen wir immer nur den Haushaltsplan für das kommendeJahr. Hier muss ich das BMBF loben: Die Änderungensind zumeist vollumfänglich fortgeführt worden, sodasswir nicht immer wieder von vorne anfangen müssen undneue Akzente setzen können.
Die Änderungsanträge von 2014 bis 2015 ziehen, wennman sie bis zum Ende der Legislaturperiode hochrech-net, eine Festschreibung von 370 Millionen Euro nachsich. Ich kann mir vorstellen, dass auch in den folgendenJahren die Fachpolitiker oder auch die Haushaltspoliti-ker noch einige Wünsche haben.
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6642 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Anette Hübinger
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Jeder umgeschichtete Euro wurde durch eine seriöseGegenfinanzierung innerhalb des Haushalts gedeckt.Auch da unterscheiden wir uns in unserem Anspruch et-was von den lieben Kolleginnen und Kollegen der Oppo-sition, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt: Die Grünenfordern Umschichtungen in Höhe von insgesamt1,5 Milliarden Euro; davon sind 230 Millionen Euro ge-genfinanziert.
Die Linke setzt dem die Krone auf; von 6,6 MilliardenEuro an Umschichtungen sind 810 Millionen Euro ge-genfinanziert. Seriöse Haushaltspolitik zum Wohle vonBildung und Forschung sieht meiner Ansicht nach etwasanders aus.
Allein mit Fantasie an diese Sache heranzugehen ist,denke ich, nicht der richtige Weg. Ich möchte Ihnen aberzugestehen, dass Sie, insbesondere auf der linken Seite,ohnehin eine ganz andere Politik wollen.Aber zurück zur Realität. Der Blick auf den Haushalt2015 zeigt, dass es für die Koalition immer noch oberstePriorität hat, dass der Bereich Bildung und Forschung anerster Stelle steht. Ich glaube, wenn wir in künftigenHaushalten Spielräume haben, kann man für die Zukunftunseres Landes und unserer Kinder am allerbesten indiesen Bereich investieren.
Zum Schluss darf ich mich noch ganz herzlich bei denKolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern bedan-ken. Ich danke insbesondere unserem Hauptberichter-statter Swen Schulz für das kollegiale Miteinander undseine optimale Führung dieser Haushaltsverhandlungen.
Ich darf mich aber auch bei den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern des Ministeriums und in den Fraktionen be-danken; denn es ist nicht einfach, nächtelang über einemHaushalt zu brüten. Ich bedanke mich für die gute Zu-sammenarbeit.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Hübinger. – Nächste
Rednerin in der Debatte ist Ekin Deligöz für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Ministerin, am Dienstag waren wir zur Ein-weihung des neuen Gebäudes Ihres Ministeriums einge-laden. Ich gratuliere auch in unserem Namen zu diesemGebäude. Es ist sehr innovativ, zumindest in energeti-scher Hinsicht. Darüber freue ich mich als Grüne ganzbesonders, und ich hoffe, dass sich das Innovative auchauf Ihre Politik niederschlägt, die uns in Zukunft aus Ih-rem Hause erwartet.Mit Blick auf Ihren Haushalt hört das Feiern aberwieder auf. Ich hätte mir etwas mehr gewünscht. FrauHübinger, Sie haben behauptet, wir hätten Forderungengestellt, deren Finanzierung nicht gedeckt ist. Sie wissenes besser. Sie wissen, dass wir einen Antrag vorgelegthaben, mit dem wir bei den ökologisch schädlichen Sub-ventionen angesetzt haben. Wir haben damit beispielhaftdargelegt, wo man einsparen und wo man investierenkann. Bei uns war jeder Cent gedeckt. Ihre Behauptunglassen wir so nicht stehen. Ich lasse das für meine Frak-tion nicht gelten.
Das Jahr 2014 haben Sie mit der Ankündigung von9 Milliarden Euro Investitionen in Bildung und For-schung begonnen. Das klingt gut. Allein mir fehlt derGlaube; denn – damit kommen wir zum Kern – dieserBundeshaushalt ist auf Sand gebaut. Warum? Sie setzenauf gute Steuereinnahmen und darauf, dass die Konjunk-tur weiter anhält. Sie setzen auf niedrige Arbeitslosigkeitund niedrige Zinsen. Wenn aber die Steuereinnahmennur um einen Hauch sinken und zum Beispiel einen hal-ben Prozentpunkt geringer ausfallen, dann klafft in Ih-rem Haushalt schon eine Lücke von 14 Milliarden Euro.Sie werden sich daran messen lassen müssen, ob es Ih-nen gelingt, in zwei Jahren endlich eine BAföG-Erhö-hung durchzusetzen und die versprochenen 9 MilliardenEuro auch tatsächlich in dieser Höhe zu investieren. Zur-zeit reden wir nur von Versprechen, aber nicht von dertatsächlichen Umsetzung.
Schon jetzt muss dieser Haushalt eine große Last tra-gen. Sie haben unter den vielen Einzelplänen die größteglobale Minderausgabe mit fast einer halben MilliardeEuro auferlegt bekommen, obwohl der Minister, dieKanzlerin und Sie selber wahrscheinlich auch gleichwieder immer behaupten, Bildungsinvestitionen seienwahre Zukunftsinvestitionen. Vorne bringen Sie dasGeld zur Tür herein, aber hinten holen Sie es durchsFenster wieder heraus. Sie tricksen und machen leereVersprechungen.
Ärgerlich ist auch, dass das Bildungsministerium we-gen des unsinnigen Betreuungsgeldes sparen muss. Siehaben zwar den Gesamtansatz für das Betreuungsgeld inder Bereinigungssitzung um 100 Millionen Euro ge-senkt. Aber statt die GMA im gleichen Maße zu verrin-gern, hat der Finanzminister die GMA im Bildungsetatum weitere 70 Millionen Euro erhöht. Rechte Hand,linke Hand – Sie tricksen, meine Damen und Herren. Siereden hier von Innovation und heraus kommen Sparmaß-nahmen im Bildungsetat, also genau dort, wo Investitio-nen stattfinden müssten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6643
Ekin Deligöz
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Was mir wirklich Bauchschmerzen macht, Frau Minis-terin – da haben wir offensichtlich einen Dissens, denich hier auch benenne –, sind die Kosten für den Rück-bau bzw. die Stilllegung atomarer Forschungsanlagen.Als Haushälterin mache ich mir wirklich Sorgen da-rüber, wie die explodierenden Kosten diesen Haushaltvon Jahr zu Jahr stärker belasten werden. Als Grüne binich überzeugt davon, dass es richtig ist, gegen kerntech-nische Anlagen, gegen Atomforschung anzugehen. Dahaben wir einen Dissens. Sie sagen nämlich noch immer,die Forschung an der Kernfusion, die Forschung an derAtomenergie sei Zukunftsforschung.
Ich sage Ihnen: Das ist rückständige Forschung, das istFesthalten an Dinosauriertechnologien.
Wir hier in Deutschland, wir können anders; Innovationgeht anders.
Die Bundesregierung will Atommüll aus dem For-schungszentrum Jülich in die USA abschieben. Ich sehedas kritisch und sage Ihnen auch, warum. Sie behaupten,das sei Forschungsmüll. Das ist aber falsch. Fakt ist,dass in diesem Reaktor jahrzehntelang kommerziellStrom erzeugt und durch den Verkauf auch Geld verdientwurde.
Daher handelt es sich nicht um Forschungsmüll. Damitgilt das Gesetz, dass Wiederaufbereitung im Ausland– seit 2005 – verboten ist. Damit haben wir die Verant-wortung, eine Lösung in Deutschland zu finden, und da-mit sind Sie dazu verpflichtet, nach dieser Lösung zu su-chen.
Wir können nicht sagen: „Aus den Augen, aus demSinn“, sondern müssen uns dieser Verantwortung stellen.Sie müssen sich dieser Verantwortung stellen. DuckenSie sich da bitte nicht weg!
Ich finde übrigens, dass die Stilllegung von For-schungsreaktoren gar nicht in diesen Haushalt gehört.Eigentlich gehören diese Aufwendungen in einen ande-ren Haushalt, nämlich in den Haushalt eines Ressorts,wo tatsächlich Wissen und Know-how im Umgang mitAtommüll vorhanden sind: in das BMU. In Anbetrachtder Tatsache, was da auf uns zukommt, könnten wir auchüber das Finanzministerium direkt reden; besser wäremeines Erachtens aber das BMU. Fakt ist doch: An ers-ter Stelle muss die Sicherheit stehen. Ich glaube, alleindeswegen sollte das Bildungsministerium in seinem ei-genen Interesse mit daran arbeiten, dass diese Aufgabenicht in diesem Haushalt verbleibt, sondern in einen an-deren Haushalt wandert.
Abschließend bedanke ich mich bei unserem Haupt-berichterstatter Swen Schulz; er hat das sehr gut ge-macht. Ich danke zudem allen Berichterstattern und auchdem Ministerium, dass sie gute Ideen übernommen ha-ben. Ich bin als Politikerin schon immer überzeugt ge-wesen, dass sich gute Ideen durchsetzen. Als wir unsereAnträge eingebracht haben, dass die Kürzungen im Be-reich der beruflichen Bildung zurückgenommen werdensollen, hat die Koalition noch dagegen gestimmt. Siewurden eines Besseren belehrt.
Gute Argumente setzen sich eben durch; am Ende zähltdas Ziel. Wenn die Ideen von den Grünen kommen,umso besser.Ich freue mich auch, dass wir jetzt eine Aufwertungim Bereich der Friedensforschung und der Fachhoch-schulen haben; auch das sind lange erhobene Forderun-gen der Grünen. Wir bleiben zuverlässige Partner, wennes um Bildung und Forschung geht. Eines unterscheidetuns von Ihnen: Wir tricksen nicht.Danke.
Vielen Dank, Frau Kollegin Deligöz. – Nächster Red-
ner in der Debatte: Swen Schulz für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! KolleginDeligöz, eigentlich hatten Sie so einen schönen Schlussgefunden – das war so versöhnlich –; doch dann kam dasmit dem Tricksen. Wir sollten uns da gegenseitig einbisschen auf den Stand der Dinge bringen: Dieser Haus-halt ist seriös ausfinanziert. Wir haben das in sehr inten-siven Haushaltsberatungen sichergestellt.
Das hat eine ganze Menge Arbeit gemacht, mehr, alsman von außen erkennen kann. Darum will ich mich inmeiner Funktion als Hauptberichterstatter bei meinen Be-richterstatterkolleginnen und -kollegen auch noch einmalganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Vorallem aber richtet sich mein Dank an die fleißigen Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter in den Abgeordnetenbüros,
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6644 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Swen Schulz
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in den Fraktionen, natürlich auch im Ministerium, dieuns Berichterstatter dabei unterstützt haben. Ohne siewäre das alles nicht möglich gewesen. Herzlichen Dankvon uns allen!
Neulich habe ich hier im Plenum davon gesprochen,dass Ministerin Wanka sicher jeden Tag dem Himmel fürdie SPD dankt; denn wir haben die Ausgaben für Bil-dung und Forschung im Vergleich zur schwarz-gelbenFinanzplanung deutlich erhöht. Heute will ich das erwei-tern. Frau Ministerin, Sie werden sich bestimmt glück-lich schätzen, dass Sie mit einem so engagierten Parla-ment zusammenarbeiten; denn wir Parlamentarier habenes geschafft, den guten Regierungsentwurf noch einStück weit zu verbessern.
Insgesamt sind es 25 Änderungen geworden. Manchewie die zusätzliche Million beim „Haus der kleinen For-scher“, von der Frau Hübinger sprach, sind klein, aberfein. Manche sind ein wenig größer.Ich habe gestern die Debatte der ersten Lesung imSeptember dieses Jahres nachgelesen. Was damals von-seiten der Koalitionsfraktionen an Themen angespro-chen wurde, haben wir in den HaushaltsberatungenPunkt für Punkt abgearbeitet. Wir können heute klar sa-gen: Die Koalition hat Wort gehalten, und der DeutscheBundestag macht einen Unterschied.
Im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Rede-zeit kann ich nicht auf alle Bereiche eingehen, die wirberücksichtigt haben. Lassen Sie mich daher einige he-rausgreifen, ohne mir das als Mangel an Wertschätzungfür die anderen Themen auszulegen. Sie können sichersein, dass wir alle Fragen intensiv erörtert haben.In den Beratungen sind von verschiedenen Abgeord-neten – auch von der Opposition – Hinweise gekommen,dass wir die berufliche Bildung noch stärker betonenmüssen. Das haben wir getan. 22 Millionen im Jahr 2015und 55 Millionen Euro in den folgenden Jahren stellenwir mehr zur Verfügung, um 20 000 zusätzliche Plätzefür die Berufsorientierung von Schülerinnen und Schü-lern sowie überbetriebliche Berufsbildungsstätten zu fi-nanzieren. Das ist ein starkes Signal in Richtung berufli-cher Bildung.
Wir werden in den nächsten Jahren noch mehr für dieberufliche Bildung tun. Dazu gehört auch das Meister-BAföG. Beim Schüler- und Studierenden-BAföG habenwir vorgelegt. Nun müssen wir für die beruflich Qualifi-zierten nachlegen. Diese Fachkräfte sind uns nicht weni-ger wichtig. Wir werden das mit einer entsprechenden fi-nanziellen Verstärkung unterlegen.
Wir haben in den parlamentarischen Beratungen nochetwas für die Produktions-, Arbeits- und Dienstleis-tungsforschung draufgelegt. Das ist nicht nur für dieWirtschaft, sondern auch für die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer ein wichtiges Feld. Alle reden über die In-dustrie 4.0. Die Wirtschaftswelt und die Arbeitsplätzeverändern sich massiv. Wir wollen die Umbrüche stärkererforschen und die Folgen positiv gestalten. Es ist unswichtig, gemeinsam mit der Wissenschaft, der Wirt-schaft und den Gewerkschaften zu Konzepten zu kom-men, damit wir im Wettbewerb Schritt halten und gleich-zeitig gute Arbeit schaffen. Der Wandel darf nichtzulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge-hen.
Ein weiterer Schwerpunkt sind die Alphabetisierungund die Grundbildung. Auch da haben wir den Ansatzerhöht. Wir liegen nun beim Doppelten des Jahres 2013.Es geht dabei nicht um Nobelpreise und Hightech. Trotz-dem ist das sehr wichtig. Gemeinsam mit dem Staatsse-kretär Müller habe ich neulich eine Veranstaltung zu die-sem Thema besucht. Es ist wirklich beeindruckend, vonden erwachsenen Menschen, die alphabetisiert werden,und den Projekten zu lernen, was Alphabetisierung fürgesellschaftliche Teilhabe und Chancen individuell be-deutet. Mit relativ wenig Geld können wir da wirklicheine Menge bewirken.
Das Ministerium entwickelt gemeinsam mit den Länderndas Konzept für eine ganze Alphabetisierungsdekade.Der Bundestag wird das mit gutem Rat und Unterstüt-zung begleiten. Wir wissen: Jeder Bürger, dem wir damitauf seinem Lebensweg helfen, stellt einen großen Erfolgfür uns alle dar.
Wir haben noch viel mehr gemacht, für die digitalenMedien in der Bildung, die Friedensforschung, die klei-nen Fächer, die Stärkung Deutschlands im europäischenForschungs- und Bildungsraum, die Forschung an denFachhochschulen, die Gesundheitsforschung und die Ki-tas.Ich will nun zu dem einzigen Punkt kommen, an demes in der Koalition ein Stück weit gehakt hat. Ich will dashier offen ansprechen. Das muss man nicht verschwei-gen. Schließlich bleiben wir auch in der Koalition unter-schiedliche Parteien; das ist gut so. Ich meine das Ganz-tagsschulbegleitprogramm. Wir von der SPD sind derAuffassung, dass sich der Bund trotz der Zuständigkeitder Länder für die Schulen aus diesem erfolgreichenProgramm nicht ganz herausziehen sollte.
Die Union will nur die Forschung weiter finanzieren,nicht aber das Beratungsnetzwerk und den bundesweitenGanztagsschulkongress. Obwohl die Union hier sehrklar ist und ihre respektablen Gründe hat, ist sie uns fürdas Jahr 2015 so weit entgegengekommen, dass wir eine
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6645
Swen Schulz
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nochmalige und letztmalige Finanzierung vonseiten desBundes vorsehen. Wir setzen nun darauf, dass die Län-der die Zeit nutzen und künftig eine andere Lösung fin-den.
Insgesamt hat der Haushaltsausschuss, wie gesagt,25 Änderungsanträge beschlossen. Wir mussten aucheine Gegenfinanzierung für unsere Ausgabenwünschevorsehen. Nur mehr Geld zu fordern, wäre allzu leichtgewesen. Wir haben Positionen gefunden, in denen dieAusgaben nicht in der geplanten Höhe umsetzbar sind,etwa beim Deutschlandstipendium, beim Haus der Zu-kunft und bei einigen Investitionsvorhaben. UnsereAnträge wurden auch von der Opposition im Haus-haltsausschuss überwiegend angenommen oder mit ei-ner freundlichen Enthaltung bedacht. Es gab nur wenigeAblehnungen. Ganz schlecht können unsere Änderungenalso nicht gewesen sein.Ich will noch darauf hinweisen, dass die Zusammen-arbeit mit Frau Hübinger sehr zielführend und verläss-lich ist.
Auch mit den beiden Oppositionsberichterstattern ist essehr konstruktiv und angenehm. Ich weiß jetzt zwarnicht, ob euch das hilft, wenn ich das hier so sage;
aber ihr müsst jetzt mit diesem Lob klarkommen.
Wir schauen auch über das Jahr 2015 hinaus. Diedeutsche Bildungs- und Forschungspolitik hat in denletzten gut 15 Jahren über die verschiedenen Regierun-gen hinweg – Rot-Grün, Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb –lange Linien entwickelt, und wir setzen noch einmal or-dentlich eins drauf und entwickeln diese langen Linienweiter. Wir verlängern den Hochschulpakt, wir verlän-gern den Pakt für Forschung und Innovation, wir über-nehmen das BAföG komplett und stärken es, und wirführen die Exzellenzinitiative verändert weiter. Das er-gibt ein erhebliches Haushaltsvolumen in den nächstenJahren, das ich hier lieber nicht näher beziffern will;sonst bekommen ein paar Haushälter Schweißausbrüche.Es wird noch besser: Mit dem Investitionspaket für2016 bis 2018 entfällt schon einmal die Umlage für dasBetreuungsgeld. Das sind über 100 Millionen Euro jähr-lich.
Ich sage dazu: Endlich haben wir das erreicht. Mich hatdie ganze Zeit geärgert, dass der Bildungshaushalt mitdiesem unsinnigen Betreuungsgeld belastet wird. Damitist jetzt Schluss.
Hinzu kommen in den nächsten Jahren je über300 Millionen Euro zusätzliche freie Mittel. Dann stelltsich auch noch die Frage, was wir mit den weiteren Mit-teln für Investitionen machen werden. Das werden wir inden nächsten Monaten erörtern.Das sind schon ordentliche Perspektiven. Ich würdejetzt gerne noch erläutern, was wir auf Vorschlag derSPD mit dem Geld machen wollen, aber ich darf nicht.Die Präsidentin leuchtet schon.
– Sie leuchtet mir den Weg.
Auch mir tut es leid. Es ist zwar bald Weihnachten,
aber es geht nicht. Bitte kommen Sie zum Ende.
Mein Fazit: Wir haben einen guten, einen Rekord-
haushalt 2015 heute hier zur Abstimmung vorliegen. Ab
der nächsten Woche machen wir uns dann an den noch
besseren Haushalt für die nächsten Jahre.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich kann auch nichtsdafür, dass die Reden immer so kurz sind. Aber Sie wis-sen: Wir haben noch einen langen Tag vor uns, und wirhängen unglaublich. Bisher haben Sie sich in dieser De-batte überpünktlich an die Redezeiten gehalten.Ich begrüße meinen Kollegen Hintze auf der Tribüne.Schönen guten Tag, Herr Kollege!Ich fahre fort in der Rednerliste und erteile Frau Bun-desministerin Professor Johanna Wanka das Wort.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir diskutieren seit Dienstag in zweiter Lesungden Haushalt für das Jahr 2015. In fast allen Redebeiträ-gen ist von der schwarzen Null und davon, keine neuenSchulden mehr zu machen, geredet worden. Das ist einKraftakt. Seit Jahrzehnten ist das nicht mehr gelungen.Sie können sich vorstellen, dass es natürlich nicht nurbei uns, sondern in vielen Ressorts Wünsche gibt. Trotzder schwarzen Null und der Tatsache, dass keine neuenSchulden aufgenommen werden, hat der Einzelplan desBMBF, über den wir gerade reden, eine Steigerung vondiesem Jahr auf das nächste um 8,7 Prozent erfahren.
Das bedeutet erfolgreiche Konsolidierung und auch er-folgreiche Schwerpunktsetzung. Frau Deligöz, Sie wis-sen es besser, und ich habe es schon oft gesagt: Diese
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6646 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Steigerung ist netto, also unter Abzug der globalen Min-derausgabe. Das ist das Geld, das zusätzlich hinzu-kommt, rund 1,2 Milliarden Euro.
Insgesamt umfasst der Haushalt des BMBF 15,3 Mil-liarden Euro. Damit steigt er zum neunten Mal in Folge.Seit 2005, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, sinddie Haushaltsmittel jedes Jahr gestiegen.Nun kann man meinen, dass Bildung und Forschungüberall auf der Welt wichtig sind. Schauen Sie sich ein-mal in Europa um. Schauen Sie sich einmal an, welcheLänder in Europa nicht gekürzt haben. Ich will jetzt garnicht von Griechenland reden, wo die Mittel um 40 Pro-zent gekürzt worden sind. Ich will auch nicht von Groß-britannien reden. Es gibt kaum Länder – in Norwegenund in Schweden ist es noch so ähnlich –, die die Mittelgehalten oder gar erhöht haben.Das heißt, das ist nicht trivial. Es ist eine große Leis-tung, diese Schwerpunktsetzung in der BundesrepublikDeutschland so konsequent durchgehalten zu haben. Dasmuss uns erst einmal einer nachmachen.
Jetzt stellt sich die Frage, was die Opposition macht.Es liegen Änderungsvorschläge von Bündnis 90/DieGrünen vor. Natürlich legt die Opposition Änderungs-vorschläge vor. Änderungsvorschläge machen aber aucheigene Leute.
Diese Änderungsvorschläge umfassen ein Volumenvon 1,2 Milliarden Euro. Das ist noch einmal so viel wiedie von uns vorgesehene Steigerung. Nur mal so zurOrientierung, um das ein bisschen einzuordnen: Der Be-trag in Höhe von 1,2 Milliarden Euro ist der Betrag, umden Sie in Ihrer Regierungszeit auf Bundesebene in sie-ben Jahren den BMBF-Haushalt gesteigert haben. DieseSteigerung fordern Sie nun für ein Jahr. Ich denke, andieser Stelle wird sehr deutlich, wie Taten und Worteauseinanderklaffen.
Die Linke will natürlich nicht nur 2,4 Milliarden Euromehr. Das hätte auch niemand gedacht. Die Linke willauch nicht 3 Milliarden Euro oder 5 Milliarden Euro,sondern 7 Milliarden Euro mehr, die die Linke ein-schließlich unserer Steigerungen in Höhe von 1,2 Mil-liarden Euro mit ihren Änderungsanträgen insgesamt be-antragt.
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass Siein dem Bundesland, in dem Sie Einfluss haben, in demSie Mitglied der Regierung sind, wenigstens dafür sor-gen würden, wofür Sie in den vergangenen Jahren nichtgesorgt haben, nämlich dass das Geld, das vom Bundkommt und in dieses Land fließt, bei den Hochschulenund den Studierenden ankommt. Das wünsche ich mir.
Es ist klar: Oppositionsarbeit hat ihre eigenen Regeln.Ich war selbst auch einmal in der Opposition. Das istvöllig klar. Bei Forschung und Bildung brauchen wirmeines Erachtens aber etwas anderes. Hierbei brauchenwir Verlässlichkeit und einen langen Atem.Deswegen ist ein ausgeglichener Haushalt die besteBasis dafür, dass wir auch in Zukunft Spielräume fürdiesen Bereich gewinnen und darüber diskutieren, waswir mit diesen 10 Milliarden Euro machen. Das ist derUnterschied.Ich glaube, Sie möchten gerne Politik für den Augen-blick und für den Beifall. Wir wollen eine Politik derVerantwortung. Diese muss einen langen Atem haben.Das zeigt dieser Haushalt. Das zeigt auch die Steige-rungsrate in dieser Legislaturperiode im BMBF-Haus-halt in der vorliegenden Fassung. Mindestens 25 Prozentwerden in dieser Legislaturperiode hinzukommen.
Herr Claus, ich kann die Bemerkung überhaupt nichtnachvollziehen, wir seien den Nachweis schuldig geblie-ben, was mit den dem BMBF zur Verfügung gestelltenMitteln gemacht wurde. Sehen wir einmal von den Eva-luationen ab, die wir zu allen unseren Programmen ma-chen, um einen Überblick über die Auswirkungen unse-rer Programme zu gewinnen. Der Beleg ist doch unsereStellung in der Wissenschafts- und Forschungsszene.Wir sind international spitze. Bei Innovationsrankingssind wir ganz weit vorn. Das ist der Beleg dafür, dassdas, was gemacht wurde, richtig und wichtig ist.Es geht nicht nur darum, dass man mehr Geld ausgibt,sondern auch darum, wie man es ausgibt. Derzeit sindwir in der Situation, dass Studierende und Forscher ausder ganzen Welt zu uns kommen und wir richtig guteSpitzenforscher bekommen. Das haben wir auch durchStrategien erreicht.Deswegen sage ich, dass ich stolz darauf bin, dass wirim Jahr 2014 als erstes europäisches Land eine Strategiefür den europäischen Forschungsraum entwickelt haben.Dabei wurde auch berücksichtigt, wie Deutschland dassieht und was Deutschland macht. Wenn heute der neueKommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovationzu mir kommt, dann werden wir darüber reden, wie maneine Stärkung Europas insgesamt erreichen kann. Wirsind in Deutschland gut. Das nützt uns aber nur, wennwir als europäischer Bereich glänzen in Konkurrenz zuden anderen Standorten auf der Welt.
Von dem Geld, das in den vergangenen Jahren in die-sen Haushalt geflossen ist, ist ganz viel da angekommen,wo Bildung und Forschung betrieben werden, nämlich inden Ländern, und zwar über den Pakt für Forschung und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6647
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Innovation, über den Hochschulpakt und über die Exzel-lenzinitiative.Jetzt machen wir aber etwas, was es zuvor noch nichtgab. Ab dem 1. Januar zahlt der Bund das BAföG kom-plett. Wo da ein Schattenhaushalt sein soll oder wo manda sozusagen einen Türken gebaut hat – –. Das meineich jetzt nicht in Richtung von Herr Mutlu. Nicht, dassSie gleich einen Schreck bekommen.
– Nein. Sie schauten so kritisch; deswegen habe ich anSie gedacht.
– Wir beide, ja. – Entschuldigung! Ich habe nach einerVokabel gesucht, die das, was Frau Deligöz angespro-chen hat, ausdrückt.
– „Tricksen“, ja, tricksen. Ich kam nicht darauf.Was ein Trick daran sein soll, dass der Bund ab 1. Ja-nuar 2015 – das ist in etwas mehr als einem Monat –vollständig die Mittel für das BAföG zur Verfügungstellt, das müssen Sie mir einmal erklären. Das ist hartesGeld.
Was man mit dem zusätzlich zur Verfügung stehendenGeld alles machen kann! Wir haben es ins Gesetz ge-schrieben: Dieses Geld ist insbesondere für die Hoch-schulen gedacht. Wir alle wissen, dass die Grundfinan-zierung der Hochschulen trotz der vielen Gelder, die derBund gegeben hat, nicht gestiegen ist. Rein theoretischkönnte die Grundfinanzierung aller Hochschulen – derganz großen in München oder in Berlin und der ganzkleinen – ab dem 1. Januar 2015, also fast ab sofort, dau-erhaft um 5 Prozent steigen. Es gilt, dieses Geld richtigeinzusetzen. Dieses Geld kann für die Finanzierung un-befristeter Stellen verwendet werden. Es ist ein geeigne-tes Instrument zur Lösung des Problems, wissenschaftli-chen Nachwuchs zu finden. Dieses Instrument liegt aufdem Tisch der Länder.
Meine Damen und Herren, Henry Ford sagte einmal:Was ein Land ausmacht, entscheidet sich nicht erst inden Forschungslaboren und in den Fabrikhallen, sondernin den Schulen. – Wir setzen früher an: in der Kita.
Das „Haus der kleinen Forscher“ gibt es seit einer Reihevon Jahren. Wir haben uns in den Koalitionsverhandlun-gen vorgenommen, 80 Prozent aller Kinderbetreuungs-einrichtungen mit dieser Initiative zu erreichen. Erreichthaben wir jetzt schon die vierten Klassen der Grund-schulen. Außerdem unterstützen wir die Eltern der Schü-ler, die sich für diese Initiative interessieren. Dass wirmit einem ganzen Stab von Mitarbeitern ein wirklich gu-tes System aufgebaut haben, ist etwas, worauf wir stolzsein können. Das, was wir aufgebaut haben, wird ja auchwertgeschätzt.
Mehr Schulklassen zu erreichen, ist unser nächsterSchritt. Dreh- und Angelpunkt in den Schulen sind na-türlich die Lehrer, deren Qualität, deren Geschick. Wirhaben viele positive Nachrichten über die Wertschätzungder Lehrer durch die Kinder. Der Bund gibt ab demnächsten Jahr ohne Kofinanzierung 500 Millionen Euroaus – die nötigen Ausschreibungen laufen jetzt schon;Entscheidungen werden bereits getroffen –, damit dieLehrerbildung in den Ländern – sie tragen ja die Haupt-last; Lehrerbildung ist ihre Aufgabe – ermöglicht, dassNeues ausprobiert werden kann, dass die Qualität gestei-gert werden kann, dass man sich auf die neuen Heraus-forderungen einstellen kann.Die Problemlage bei der beruflichen Bildung kennenwir alle. Das Entscheidende dabei ist für mich nicht einneues Programm, sondern flächendeckend etwas zu-stande zu bringen. Das heißt, präventiv, also nicht erst,wenn jemand 35 ist und keinerlei Abschluss hat, und in-dividuell, auf den Einzelnen und seine Fähigkeiten aus-gerichtet, zu beraten. Das ist mit den Summen, die wir inunserem Etat haben, nicht leistbar. Ich bin sehr froh, dasswir, mein Ministerium, das Arbeitsministerium und dieBundesagentur für Arbeit, uns verständigt haben und inden nächsten Jahren über 1 Milliarde Euro für die Be-rufseinstiegsbegleitung, für die Unterstützung der Bil-dungsketten einsetzen. Ich freue mich auch, dass die Ti-telansätze in unserem Haushalt über das, was Sie sichgewünscht haben, hinaus ein Stück weit erhöht wordensind. Das macht die ganze Sache rund.
Maßnahmen zur Alphabetisierung habe ich selbst vorOrt ganz intensiv erlebt. Ich habe Menschen kennenge-lernt, die sich getraut haben, daran teilzunehmen, undMenschen, die es dann auch geschafft haben. In diesemZusammenhang kommt es vor allen Dingen darauf an,die richtigen Instrumente einzusetzen. Niedersachsenstand in diesem Bereich immer – es gab keine Hilfe vomBund – 1 Million Euro pro Jahr zur Verfügung. Erreichthaben wir damit 50 bis 60 Prozent. Wir müssen mehr er-reichen. Deswegen brauchen wir große Instrumente. DasGanze muss man durch entsprechende Werbemaßnah-men begleiten, wie sie in dieser Kampagne angelegtsind. Es geht darum, möglichst viele zu erreichen, undvor allen Dingen darum, zu ermutigen.
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6648 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Damit kommen wir zum Thema Bildungsgerechtig-keit. Was heißt das für den Hochschulpakt? Ich habeheute vermisst – Sie wissen ja alle, dass wir es geregelthaben –, dass gefragt wird: Was ist denn mit den steigen-den Studierendenzahlen? Eigentlich ist der Hochschul-pakt ein Paket, in dem aufgrund der Prognose festgelegtist, wie viel der Bund zahlt – Schluss! In den vergange-nen Jahren wurde die Summe, die der Bund zahlt, immerwieder angehoben, wenn es mehr Studierende gab. Wirhaben seit gestern die neue Studierendenprognose. Wirzahlen in 2015 200 Millionen Euro mehr, als geplantwar. Das heißt, wir reagieren darauf und zahlen für jedenStudenten, der zusätzlich an den Hochschulen ist, denentsprechenden Betrag. 200 Millionen Euro, das ist einebeträchtliche Summe.
Ein paar letzte Bemerkungen, und zwar zu Forschungund Entwicklung. Dass wir viel Geld für Forschung undEntwicklung ausgegeben haben, hat auch bewirkt, undzwar durch kluge Konstrukte, dass die Wirtschaft mehrausgegeben hat und wir das Ziel „3 Prozent vom Brutto-inlandsprodukt für Forschung und Entwicklung“ fast er-reicht haben.Das Herzstück oder Kernstück der Forschungsförde-rungsphilosophie des Bundes ist die Hightech-Strategie.Dazu vielleicht zwei Einsprengsel:Ich denke, es ist ganz klar, dass für uns alle, CDU undCSU, Werterhaltung, nachhaltiges Wirtschaften, Klima-schutz Herzensangelegenheiten sind. Deswegen habenwir in diesem Jahr in einem intensiven Agendaprozessüberlegt: Wie machen wir das Forschungsprogramm fürnachhaltige Entwicklung noch stärker? Was machen wirin den nächsten Jahren? Dieser lange Prozess unter Be-teiligung der Zivilgesellschaft, der Verbände – wer auchimmer sich beteiligen wollte, konnte das tun – läuft imRahmen der Hightech-Strategie ab Januar mit neuemDrive.Sie haben die Bilder von der „Sonne“ gesehen. Diestartet jetzt im Dezember in den Pazifischen Ozean. Undwas macht sie dort?
– Herr Röspel, haben Sie es nicht verstanden? DasSchiff!
– Ja. Wir waren damit eine Woche lang im Morgenma-gazin. Das haben alle mitbekommen. – Was macht dasForschungsschiff „Sonne“ im Pazifischen Ozean? Mankümmert sich nicht darum: Wo sind vielleicht Rohstoffe,die wir in Deutschland brauchen? Man kümmert sich umgrundlegende Fragen der Menschheit. Man kümmertsich um Fragen des Klimawandels: Wie entsteht dasKlima da? Wie kann man Tsunamis verhindern? Wirkönnen mit entsprechenden Geräten jetzt in Tiefen vor-dringen, in denen wir noch nie waren, und können sehen,was auf dem Meeresboden passiert und welche Auswir-kungen das hat. – Das ist ein wichtiger Punkt der High-tech-Strategie.Auf einen zweiten Punkt möchte ich an dieser Stellenur kurz eingehen. Barack Obama hat eine Analyse zuder Frage in Auftrag gegeben: Warum sind die Deut-schen so gut? Warum sind die im Innovationsranking voruns? Warum packen die das? – In der Analyse, die manihm vorgelegt hat, wurde deutlich herausgearbeitet, dassDeutschland dadurch stark ist, dass Deutschland in derLage ist, sich in den alten Industrien durch Innovationenimmer wieder international wettbewerbsfähig zu halten.Wir sind nicht der Weltmeister im Einreißen und darin,alles völlig neu zu machen, sondern wir haben dieseInnovationskraft in den Industrien.Im Bereich Produktion geht es jetzt um die Digitali-sierung. Diesen Wettbewerbsschub schaffen wir, müssenwir schaffen. Aber dazu braucht es auch staatliche För-derung. Das von Herrn Schulz schon angesprocheneProgramm bedeutet Forschung für Produktion, Dienst-leistung und Arbeit von morgen. Es geht auch um dieArbeitsbedingungen, die die Sozialpartner vereinbaren.1 Milliarde Euro ist dafür vorgesehen. Das Programmläuft zum Teil schon und startet, was den Bereich Arbeitanbetrifft, im nächsten Jahr.
Meine Damen und Herren, das waren nur wenige Bei-spiele, die zeigen, dass es uns nicht nur gelingt, mehrGeld in diesen Bereich zu geben, sondern dass es unsauch gelingt, auf die großen Herausforderungen ehrlicheund tragfähige Antworten zu finden, und darauf bin ichstolz.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächste Rednerin in
der Debatte: Dr. Rosemarie Hein für die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, in dieser Woche waren wir Gäste beider Eröffnung Ihres neuen Gebäudes, eines sehr schönenGebäudes. Nach den Reden konnten wir ein Kunstwerkbestaunen, das an der Treppe präsentiert wurde. Ausdem Treppengeländer stieg weißer Rauch auf. WeißerRauch gilt als Zeichen dafür, dass ein Problem gelöstworden ist. Doch für weißen Rauch gibt es in diesemHaushalt, finde ich, keinen Grund.Ja, der Haushalt für Bildung und Forschung steigt ins-gesamt um etwa 1,2 Milliarden Euro. Aber mehr als dieHälfte davon entfällt auf die Übernahme der BAföG-Ausgaben durch den Bund. Zudem enthält der Einzel-plan 30 eine saftige globale Minderausgabe von immer-hin 478 Millionen Euro. Globale Minderausgaben bringtman immer dann aus, wenn man sparen muss, sich abernicht entscheiden kann, wo. Damit stehen wichtige Vor-haben theoretisch auf einer potenziellen Kürzungsliste.
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Dr. Rosemarie Hein
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Niemand weiß, wo gekürzt wird. Ich nenne das eineLuftnummer. Nur ist noch nicht klar, wo der Ballonplatzt.
Nun kommt es: Wenn man jetzt die zusätzlich über-nommenen BAföG-Mittel und die globale Minderaus-gabe addiert, dann kommt eine Summe von etwas mehrals 1,2 Milliarden Euro heraus, also ziemlich genau das,was Sie als Erhöhung verbuchen wollen. Ein Mehr fürBildung sieht aber anders aus.
Statt kräftig in die Bildung zu investieren, haben Sie ei-gentlich nur die globale Minderausgabe erhöht.Nun haben wir sehr wohl zur Kenntnis genommen,dass im Zuge der Haushaltsverhandlungen noch einmalumverteilt wurde: 8 Millionen Euro streichen Sie beimDeutschlandstipendium, anderswo kommen 3 MillionenEuro dazu, dort 2 Millionen, da 6 Millionen – immerschöne runde Summen. So richtig weiß man nicht, wiesich die runden Summen ergeben. So fülle ich immermeine Weihnachtstüten, wenn am Ende noch Süßigkei-ten übrig sind.
Das hat doch nichts mit einer sinnvollen und bewusstenPrioritätensetzung zu tun. Mir erschließt sich das nicht.Nun erwarten Sie sicher, dass die Länder das beimBAföG eingesparte Geld in die Bildung stecken; aberSie können es eben nicht mehr beeinflussen, weil Sie invielen Bildungsfragen nichts zu melden haben.
Im Gegenzug bleiben aber wichtige Bildungsaufgabendes Bundes auf der Strecke. So wird zum Beispiel trotzsteigender Bedarfe weniger für die Aufstiegsfortbildungeingeplant. Das ist ein Rechtsanspruch, wird mir KollegeRossmann gleich wieder vorhalten.
Doch wenn man das Geld, das man hier braucht undauch ausgeben will, gar nicht einplant, dann muss manes erwirtschaften, und das über andere Haushaltstitel.Das führt wiederum zu einer Erhöhung der globalenMinderausgabe, weil das Geld ja irgendwo herkommenmuss. Es ist also eine versteckte Minderausgabe. Das istweder transparent noch, Frau Hübinger, seriös.
Nehmen wir den Bereich der Berufsorientierung. Dastocken Sie nun zwar die Mittel auf;
doch die zusätzlichen 100 Euro für Schüler an Förder-schulen mit besonderem Förderbedarf sollen gänzlichaus einem Berufsorientierungsprogramm, das Sie zurzeitüberarbeiten, gestrichen werden. Bezeichnend ist die Be-gründung, die ich auf meine schriftliche Einzelfrage hin
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Künftig sollten dieSchüler mit besonderem Förderbedarf nicht mehr in För-derschulen unterrichtet werden, sondern in Regelschu-len, also inklusiv; da brauche man die Förderung nichtmehr.
– Nein, das ist nicht die Idee der Inklusion. Da müssenSie sich einfach mal kundig machen. Aber wenn Sie soüber die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechtevon Menschen mit Behinderung reden, dann wundertmich nicht, dass wir bei der inklusiven Bildung nichtweiterkommen.
Sie meinen, dass der Koalitionsvertrag die Leitliniefür das eigene Handeln ist. Aber was wird zum Beispielaus der Ausbildungsgarantie? Sie ist mit keiner einzigenbelastbaren Zahl im Haushalt verankert. Oder was ist mitder digitalen Bildung?
Was haben Sie unternommen, um mit den Ländern ir-gendetwas zu vereinbaren? Wie wollen Sie bei Lernmit-telfreiheit die digitalen Lernmittel finanzieren? – WennSie etwas gemeinsam mit den Ländern machen, gehe ichdoch davon aus, dass der Bund da auch Geld reinsteckt;aber ich finde nichts.
Also ist das alles nur heiße Luft mit Zwiebackstaub; dashätte zumindest meine Oma dazu gesagt.
– Ich finde, Sie sind sehr unsachlich. Vielleicht guckenSie sich einfach mal das an, was Sie in den letzten Mo-naten und Wochen so intensiv ausgehandelt haben.
– Das habe ich getan.
– Richtig: Dazu habe ich nichts gefunden. Sie können esmir ja nachher zeigen.
Nein, Ihr Haushalt ist wahrlich kein Grund, zu jubelnund weißen Rauch aufsteigen zu lassen.
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6650 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Dr. Rosemarie Hein
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Sie müssen jetzt schauen, wo die 478 Millionen Euroherkommen sollen. Ich will Ihnen zwei Vorschläge ma-chen – zumindest ein bisschen könnten Sie damit einspa-ren –: Verzichten Sie doch auf den Export der hochradio-aktiven Brennelemente in die USA!
Nehmen Sie dazu einfach unseren Änderungsantrag an.Streichen Sie das Deutschlandstipendium ganz!
Wenn man es zusammenrechnet, kommt man auf eineErsparnis von etwas mehr als 100 Millionen Euro. Ichfinde, das ist ein guter Anfang.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Hein. – Nächster
Redner in der Debatte: Hubertus Heil für die SPD.
Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrteFrau Dr. Hein, ich war in der letzten Legislaturperiode,wie Sie das jetzt sind, in der Opposition. Ich habe dabeieines gelernt: Ein Angriff auf die Regierung ist nur dannpassend, wenn man auch die Größe hat, zuzugeben, wasdie Regierung alles geleistet hat. Das macht eine souve-räne Opposition aus.
Dann tritt auch das, was Sie wirklich zu sagen haben,deutlicher hervor.
Das haben Sie aber nicht geschafft. Der Eindruck, dassSie in Ihrer Rede ein Zerrbild gezeichnet haben, ist nichtganz von der Hand zu weisen.
Viele der Fragen, die Sie gestellt haben, sind einfachzu beantworten. Zum Thema „Digitale Bildung“ wirddie Kollegin Esken gleich etwas sagen. Ich will Sie nurauf eines hinweisen: Diese Große Koalition – das hättenSie auch einmal erwähnen können – hat binnen einesJahres mehr bewegt als die Vorgängerregierung in vierJahren. Ich will Ihnen das anhand einzelner Zahlen die-ses Haushaltes belegen.
Dies ist ein Rekordetat; das hat die Ministerin zuRecht erwähnt. Das BMBF hat einen Etat von 15,3 Mil-liarden Euro, und es wird noch mehr. Durch die Ent-scheidungen, die diese Große Koalition im ersten Jahrgetroffen hat, mobilisieren wir für den Zeitraum von2015 bis 2023 zusätzliche Bundesmittel in Höhe vonrund 31 Milliarden Euro.Ich will Ihnen die Zahlen nennen bzw. aufschlüsseln.Durch die 100-prozentige Übernahme des BAföG gebenwir – wenn Sie den Zeitraum bis 2023 hochrechnen –10,5 Milliarden Euro zusätzlich für Hochschulen, Schu-len und – auch das ist möglich – für frühkindliche Förde-rung.
Sie als Opposition könnten zumindest anerkennen,dass das ein Riesenschritt ist.
Dass das nicht genug ist, das können Sie immer sagen;aber so zu tun, als würden wir im Bereich Bildung sogarnoch kürzen, das ist nicht ganz redlich, Frau Dr. Hein.
Wir sind übereingekommen, im Rahmen des Hoch-schulpakts bis 2023 zusätzlich 14,1 Milliarden Euro zumobilisieren. Auch das ist eine stramme Leistung. Ichfinde das richtig.
Wir stellen für die Programmpauschalen bis 2020 wei-tere 2,03 Milliarden Euro und für den Pakt für For-schung und Innovation 3,87 Milliarden Euro zur Verfü-gung. Das sind zusammen rund 31 Milliarden Euro. Siekönnen also nicht so tun, als würden wir in diesem Be-reich kürzen. Sie können gerne sagen: Das ist immernoch nicht genug – Ihnen ist an dieser Stelle ja nie etwasgenug –, aber zeichnen Sie bitte kein Zerrbild nach demMotto „Die kürzen bei Bildung“. Das ist nicht die Wahr-heit.
Die Bilanz nach einem Jahr stellt sich so dar: Wie imKoalitionsvertrag vereinbart, haben wir 6 MilliardenEuro für Bildung und 3 Milliarden Euro für Forschungauf den Weg gebracht. Wenn der Bundesrat und dieMPK dem Ganzen zustimmen, ist das ab 1. Januar auchgesetzgeberisch auf der Schiene. Durch die Übernahmedes BAföG investieren wir jährlich 1,17 Milliarden Euroin gute Bildung.
Wir haben den Hochschulpakt und den Pakt für For-schung und Innovation auf den Weg gebracht.
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Hubertus Heil
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Worauf ich sehr stolz bin: Es ist uns in diesem einenJahr gelungen, Projekte auf den Weg zu bringen, die garnicht im Koalitionsvertrag stehen.
Das betrifft die BAföG-Erhöhung, durch die ab 2016 im-merhin 825 Millionen Euro jährlich mehr für Chancen-gleichheit mobilisiert werden.
Damit gibt es 110 000 zusätzliche Anspruchsberechtigteund Geförderte im Bereich des BAföG. Herr Gehring,man kann immer darüber streiten, ob es ein Jahr zu spätist.
Sie wissen, ich wünsche mir, es wäre gestern gewesen;das ist doch nicht die Frage. Wenn die Opposition ein-mal anerkennen würde, was wir geschafft haben unddass wir damit einen wesentlichen Schritt in Richtungmehr Chancengleichheit gemacht haben, dann wäre dasein Zeichen von Größe und Souveränität.
Wir haben in diesem Jahr – was nicht trivial ist – mit-einander den Artikel 91 b Grundgesetz auf den Weg ge-bracht. Das ermöglicht Formen der Kooperation, die es– ich betone das – im Bereich Wissenschaft und For-schung nie zuvor gegeben hat.
– Gar keine Frage, wenn wir eine absolute Mehrheit ge-habt hätten – mit euch hätten wir die Zweidrittelmehrheitim Parlament gehabt –, dann hätten wir das Koopera-tionsverbot für die Schule auch noch gekippt.
Das fällt aber unter das Motto „Hätte, hätte, Fahrrad-kette“. Ihr habt uns nicht zur absoluten Mehrheit verhol-fen und euch nicht besonders stark dafür gemacht, dasswir eine Zweidrittelmehrheit hinbekommen. Auf gutDeutsch: Lieber kleine Schritte, als große Worte, lieberKollege Mutlu.
Das, was wir, die Große Koalition, für die Wissenschaftund Forschung erreicht haben, kann sich sehen lassen.
Frau Ministerin, für den Bereich Bildung, Wissen-schaft und Forschung gilt das alte deutsche Sprichwort:Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an derfalschen Körperseite.
Das habe ich ja noch nie gehört.
Ja, das ist doch so, oder?
Ja, aber ich habe es noch nie gehört.
Claudia, Verzeihung, Frau Präsidentin, vorhin hat der
Kollege Schulz behauptet, Sie würden jetzt leuchten. Ich
finde: Sie leuchten immer. Das wollte ich auch noch sa-
gen.
Oh!
Ja, ist doch so. Strahlen, das ist der richtige Begriff.Aber jenseits des Strahlens muss man auch handeln.Wir haben dafür zu sorgen, dass wir trotz aller Er-folge, die wir haben, in den nächsten Jahren die Weichenrichtig stellen.Ich behaupte, das Jahr 2015/16 gibt Gelegenheit fürzentrale Weichenstellungen. Ich möchte mich in diesemBereich auf drei Punkte beziehen. Eines wurde bereitsgesagt: Mit diesem Haushalt mobilisieren wir mehr fürdie berufliche Bildung. Aber wenn es richtig ist, dass sieder Kern unseres Systems der beruflichen Ausbildungund ein Erfolgsfaktor für die wirtschaftliche Entwick-lung in diesem Land ist, ein System, das vor allem jun-gen Menschen eine Chance gibt, zu einem selbstbe-stimmten Leben zu finden, dann haben wir im nächstenJahr mindestens drei Dinge zu bewegen:Erstens – das haben wir auf dem Schirm – die Allianzfür Aus- und Weiterbildung. Gemeinsam mit dem Bun-desministerium für Wirtschaft sowie dem Arbeits- unddem Bildungsministerium geht es darum, die Ausbil-dungsgarantie von einer Überschrift zur Realität werdenzu lassen, auch die Wirtschaft für zusätzliche Ausbil-dungsplätze in die Pflicht zu nehmen und den benachtei-ligten jungen Menschen über assistierte Ausbildungebenfalls eine Chance zu geben.
Zweitens. Swen Schulz sprach es an: Wir brauchendie Novelle beim Meister-BAföG. Das ist Aufstiegsför-derung, und ich kann mir nicht verkneifen, zu sagen: Esist nicht sinnvoll – das ist an den Präsidenten der Hoch-
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6652 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Hubertus Heil
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schulrektorenkonferenz gerichtet –, Debatten von vor-gestern über Studiengebühren zu führen. Wenn es umGleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Aus-bildung geht, dann finde ich es sinnvoller, einmal lang-fristiger darüber zu sprechen, ob wir nicht die Meisterge-bühren in diesem Land senken oder sie irgendwann ganzstreichen. Das wäre Gleichwertigkeit von beruflicherund akademischer Bildung.
Drittens. Wir haben uns auch um die Qualität und dieModernität der beruflichen Ausbildung zu kümmern.Die Reform des Berufsbildungsgesetzes ist eine großeAufgabe. Ich möchte an dieser Stelle einmal ganz grund-sätzlich sagen: Ich empfinde diesen lähmenden Wider-spruch zwischen dem Vorwurf des Akademisierungs-wahns auf der einen Seite und einer Geringschätzung derberuflichen Bildung auf der anderen Seite als etwas, wasuns nicht wirklich weiterhilft. Wir brauchen in Deutsch-land beides: ordentliche Berufsausbildung, Fachkräfte,sowie akademische Bildung. Diese dürfen wir nicht ge-geneinander ausspielen.
Durchlässigkeit ist das Gebot der Stunde.Das heißt auch, dass wir im Hochschulbereich weiter-gehen müssen. Vor allem müssen wir die Lage des wis-senschaftlichen Nachwuchses und des Mittelbaus in derZukunft verbessern. Wir haben zu wenige Dauerstellen,zu viel Unklarheit für junge Leute in diesem Bereich undzu viele Befristungen.Wir werden als Koalition – das haben wir uns vorge-nommen – das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellie-ren – mit Augenmaß, gar keine Frage; aber wir werdenes novellieren, um den Missbrauch von Befristungen imakademischen Bereich zurückzudrängen.
Ich sage aber auch: Wir brauchen Mittel für eine Per-sonaloffensive an den Hochschulen, damit junge Men-schen, die bereits eine gute Hochschulausbildung haben,im Wissenschaftsbetrieb Karriereperspektiven haben,damit sie nicht alle ins Ausland gehen, sondern, im Ge-genteil, die klügsten Köpfe der Welt auch an unsereHochschulen in Deutschland kommen.
Außerdem werden wir die Exzellenzinitiative fortset-zen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber wir werdendarüber in der Koalition mit den Ländern zu sprechenhaben. Last, but not least: Wir setzen einen Schwerpunktim Bereich Innovation und Forschung. Für uns ist esganz wichtig – ich denke, das trägt uns auch in der Ko-alition –, dass wir technologischen und wissenschaftli-chen Fortschritt befördern und nach vorne bringen, aberimmer auch dafür sorgen, dass aus technischem Fort-schritt gesellschaftlicher Fortschritt wird.
Das betrifft vor allem die Digitalisierung. Dabei gehtes um IT-Sicherheit und Standardisierung, es geht aberauch um die Humanisierung der Arbeit und um dieFrage, welche Grundlage wir schaffen, damit Deutsch-land wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreich bleibt.Damit leisten die Bildungs-, die Wissenschafts- und dieForschungspolitik ihren Beitrag zu wirtschaftlichem Er-folg, aber eben auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit indiesem Land.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Hubertus Heil. – Nächste Rednerin in
der Debatte ist Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Hubertus Heil hat etwas zur Souveräni-tät der Opposition gesagt. Ich will mal sagen: Zur Sou-veränität von Regierungsfraktionen sollte gehören, aufLobhudeleien an Stellen zu verzichten, an denen sienicht angemessen sind.
Ich finde, der Haushalt für 2015 hat viele verpasste Chan-cen. Das betrifft insbesondere auch den Einzelplan 30;dazu werde ich gleich kommen.
Frau Ministerin Wanka hat auch, wie wir es die ganzeWoche erleben durften, die „mausgraue Null“ bejubelt.Dazu muss man sagen: Fakt ist doch, dass die schwarz-rote Koalition ihre Schulden versteckt und das Geldnicht mehr bei der Bank leiht, sondern sie greift in dieRentenkasse, sie bedient sich beim Gesundheitsfondsund fährt bei der Infrastruktur auf Verschleiß. Ihre Null,welche Farbe man ihr auch immer geben möchte, istdoch letztendlich nur Augenwischerei, liebe Kollegin-nen, liebe Kollegen.
Die Risiken und Lasten werden in die Zukunft ge-schoben und fallen damit den Jüngeren auf die Füße,also genau denen, deren Anliegen schon heute im Haus-halt für das kommende Jahr und ganz besonders im Ein-zelplan 30 – Bildung, Wissenschaft und Forschung – zuwenig Berücksichtigung finden. Das hat nichts mit ei-nem soliden Haushalt zu tun. Das finden wir zukunfts-vergessen.
Erst am Dienstag hat die OECD die Bundesregierungvehement aufgefordert, endlich mehr zu investieren undwachstumsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. Ganzkonkret nimmt die OECD den Bildungsbereich von derKita bis hin zu den Hochschulen in den Blick. Ich finde,das sind sehr vernünftige und vorausschauende Anre-gungen, die wir von der OECD bekommen.
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Katja Dörner
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Aber man muss sich fragen: Wo findet sich die Um-setzung dieser Anregungen im Etat von Frau Wanka fürdas kommende Jahr?Wir haben in der letzten Sitzungswoche zwei zentraleGesetzgebungsverfahren aus dem Zuständigkeitsbereichdieses Ministeriums zum Abschluss gebracht: dieBAföG-Novellierung und die Grundgesetzänderung zumKooperationsverbot; beides ist bereits angesprochenworden. Aus unserer Sicht wurden bei beiden ganz zen-trale Chancen vertan.
Wir machen nicht denselben Fehler wie die Kollegenvon Union und SPD. Wir wollen nicht, dass die Studie-renden zwei weitere Jahre im Regen stehen und auf dielängst überfällige BAföG-Erhöhung warten müssen. Wirhaben es schon im Gesetzgebungsverfahren zur BAföG-Novellierung deutlich gemacht, wir haben hier auch na-mentlich darüber abstimmen lassen, und wir haben esauch im Haushaltsverfahren ganz klar dokumentiert,dass wir es mit der BAföG-Erhöhung zum kommendenSemester ernst meinen und dass man das selbstverständ-lich solide finanzieren kann. Wir wollen nicht – das be-kräftigen wir auch hier –, dass die Studierenden dieOpfer der mausgrauen Null werden.
Wir wollen, dass das BAföG zum Leben und Lernenreicht. Wenn die BAföG-Erhöhung, wie angekündigt, imHerbst 2016 endlich kommt, dann haben die Studis inDeutschland sechs Jahre lang auf eine Erhöhung gewar-tet. In dieser Zeit sind bekanntlich die Mieten, die Le-benshaltungskosten, der Preis für Kaffee in der Mensaund die Kopierkosten gestiegen. Alle Kosten sind gestie-gen. Es muss daher doch ganz klar sein, dass dieBAföG-Erhöhung zumindest die Inflation ausgleichenmuss. Deshalb sagen wir: Wir wollen eine Erhöhung um10 Prozent und nicht um die 7 Prozent, die jetzt geplantsind. Wir sagen auch ganz klar: Wir wollen diese Erhö-hung jetzt.
Ich möchte noch zu einem Punkt kommen, der mirbesonders am Herzen liegt. Wir Grüne haben in diesenHaushaltsverhandlungen einen Schwerpunkt auf die Un-terstützung von Flüchtlingen gelegt. Warum das ange-sichts der internationalen Krisen besonders notwendigist, liegt sicherlich auf der Hand. Wir wollen insgesamt1 Milliarde Euro zusätzlich im Inland wie im Auslandzur Verfügung stellen. Warum Union und SPD Flüchtlin-gen den Weg zum BAföG unnötig schwer machen, kön-nen wir überhaupt nicht nachvollziehen.
Wir brauchen endlich eine Politik, die alle Talenteund alle Fähigkeiten fördert. Dazu gehören natürlich dieTalente von Flüchtlingen, die zu uns kommen. Deshalbist es für uns völlig unverständlich, dass Flüchtlinge nunnach 3 Monaten arbeiten können sollen, aber 15 Monatewarten müssen, bis sie BAföG beantragen dürfen. Es istaus unserer Sicht sehr ärgerlich, dass das im Rahmen derBAföG-Reform nicht ausgeräumt wurde.
Nicht nur das BAföG wurde in der letzten Sitzungs-woche novelliert; auch das Grundgesetz wurde geändert.Leider bleibt das Kooperationsverbot für die schulischeBildung bestehen. Das ist aus unserer Sicht ein ganz gro-ßes Übel, das uns noch auf die Füße fallen wird. Ichhabe eben schon auf die Anregungen der OECD hinge-wiesen. Ein Ganztagsschulprogramm, wie wir es zwi-schen 2004 und 2010 hatten, wäre doch in der jetzigenSituation genau das Richtige für die Bildung und auchfür die Konjunktur. Wir finden: So etwas hätte auch inden Haushalt ab 2015 gehört.
Wir werden nicht müde, zu kritisieren, dass der Koali-tion beim Thema Kooperationsverbot auf halber Streckedie Luft ausgegangen ist.Im Bereich der Wissenschaft gibt es ab dem 1. Januar2015 einen neuen Aktionsradius für den Bund. Es gibtaber offensichtlich keine neuen Ideen und kein Geld.Das ist doch mehr als befremdlich. Mit großem Brimbo-rium werden das Grundgesetz geändert und neue Koope-rationsmöglichkeiten an der Stelle geschaffen. Was abermacht die Große Koalition mit ihren neuen Möglichkei-ten? Was will sie damit anfangen? Man weiß es nicht.
Wir finden das nicht ausreichend. Das ist keine zukunfts-taugliche Politik. Insgesamt sehen wir, dass die Haus-haltspolitik der Großen Koalition versagt, insbesondereda, wo es um die jüngere Generation geht, nämlich imEinzelplan 30. Deshalb können wir dem so nicht zustim-men.Vielen Dank.
Haben Sie das gesehen? Auf die Minute!
Ja, das will ich ausdrücklich loben. Auf die Sekunde
genau. Gutes Beispiel! – Als nächster Redner hat
Dr. Wolfgang Stefinger das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Deutschlands Zukunft gestalten“, so lautet
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Dr. Wolfgang Stefinger
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der Titel des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSUund SPD. Deutschlands Zukunft gestalten: Wo wird dasdeutlicher als im Bildungs- und Forschungsbereich?Wenn wir uns die Aufgaben des Bildungs- und For-schungsministeriums ansehen, wenn wir uns den vorlie-genden Haushalt ansehen, wenn Sie, wie ich, viel vorOrt unterwegs sind, Forschungseinrichtungen besuchen,mit Unternehmensgründern sprechen, dann wird deut-lich: Wir gestalten Deutschlands Zukunft, und es ist einegute Zukunft.
Deutschland steht als Forschungs- und Innovations-standort ganz oben. Trotz Finanz- und Wirtschaftskrisehat Deutschland die Ausgaben für Bildung und For-schung von Jahr zu Jahr gesteigert. Andere EU-Länderhaben die Ausgaben in diesem Bereich teilweise massivgekürzt.
Der Haushaltsplan 2015 weist, was die Neuverschul-dung angeht, nicht nur eine schwarze Null auf, sonderner beinhaltet mit 15,3 Milliarden Euro für Bildung undForschung auch die bislang höchste Summe für diesenBereich in der Geschichte der Bundesrepublik. Damit le-gen wir den Grundstein für Innovationen, Wirtschafts-wachstum, Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze.
Die Anstrengungen der letzten Jahre haben sich ge-lohnt. Das zeigt ein Blick auf zahlreiche internationaleRankings. Von den zehn forschungsstärksten Unterneh-men in Europa kommen fünf aus Deutschland. Die Zahlder in Forschung und Entwicklung tätigen Menschen istseit 2005 trotz Wirtschafts- und Finanzkrise auf über580 000 gestiegen. Das ist ein Plus von 114 000. BeimExport von forschungsintensiven Gütern gehört Deutsch-land mit einem Anteil von rund 12 Prozent am Welthan-delsvolumen zu den Spitzenreitern. Und: Wir sind ein-mal mehr Nobelpreisnation. Es ist ein Wissenschaftlereiner unserer großen Forschungseinrichtungen, nämlichvom Max-Planck-Institut, der den Nobelpreis für Che-mie erhalten hat.
Das alles zeigt, dass wir auf einem sehr guten Wegsind, aber auch, dass wir nicht nachlassen dürfen. Daherhaben wir mit einer ganzen Reihe von strukturellen Re-forminitiativen eine neue Dynamik in unser Wissen-schafts- und Innovationssystem gebracht. Seit 2006 läuftdie Hightech-Strategie der Bundesregierung, die wir zueiner umfassenden und ressortübergreifenden Innova-tionsstrategie weiterentwickeln. Hier werden die The-menfelder in den Blick genommen, die für unsereGesellschaft sowie für Wachstum und Wohlstand vonbesonderer Bedeutung sind: digitale Wirtschaft und Ge-sellschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Energie, inno-vative Arbeitswelt, gesundes Leben, intelligente Mobili-tät und Sicherheit.Wir alle nutzen das Internet, sind mobil erreichbar,sprechen über die digitale Wirtschaft und Gesellschaft,Produktionsprozesse der Zukunft. Das stellt uns selbst-verständlich auch vor neue Herausforderungen, was dieSicherheit von Daten und Betriebssystemen angeht. Da-her fördert das BMBF Kompetenzzentren auf dem Ge-biet der IT-Sicherheit. Mit Erfolg: Drei Kompetenzzen-tren haben vor wenigen Wochen den ersten, zweiten unddritten Platz im Wettbewerb um den 5. Deutschen IT-Si-cherheitspreis belegt.
Ausgezeichnet werden hier innovative Konzepte undLösungen zur IT-Sicherheit, zur Kryptografie, zur Sys-tem- und Netzsicherheit sowie zur Abwehr von Cyber-angriffen. Sie sehen also: Auch im digitalen Bereich ge-stalten wir Deutschlands Zukunft.Mit dem Pakt für Forschung und Innovation fördernwir Erfindungen. So wird die außeruniversitäre For-schung bei der Max-Planck-Gesellschaft, der Helm-holtz-Gemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft undder Leibniz-Gesellschaft weiter gestärkt. Für 2015 ist einMittelaufwuchs von 5 Prozent und ab 2016 eine jährli-che Etatsteigerung von 3 Prozent vorgesehen.
– Darüber sind wir alle sehr glücklich. Vielen Dank,Herr Kollege. – Diese Steigerung trägt der Bund alleine,ohne Länder und trotz ausgeglichenem Haushalt.
Wir führen außerdem die Exzellenzinitiative fort und un-terstützen den wissenschaftlichen Nachwuchs.Bei all den wichtigen Maßnahmen für die Wissen-schaft, für die Studenten und für die Forschung dürfenwir die gleichwertige Säule unseres Bildungssystems,die berufliche Bildung, nicht vergessen. Unsere dualeBerufsausbildung ist ein Erfolgsmodell und Exportschla-ger. Für uns hat die berufliche Bildung einen hohen Stel-lenwert. Daher wurden – das ist schon angesprochenworden – die Haushaltstitel „Überbetriebliche Berufsbil-dungsstätten“ und „Maßnahmen zur Verbesserung derBerufsorientierung“ gegenüber dem ursprünglichen Haus-haltsentwurf um 10 Millionen Euro bzw. 12 MillionenEuro erhöht;
denn wir sind uns bewusst, dass es Jugendliche gibt, diedurch eine unzureichende Berufsberatung eventuell ei-nen für sie unpassenden Ausbildungsweg einschlagen,und wir wollen einem Ausbildungs- bzw. Studienab-bruch vorbeugen. Die ergebnisoffene Berufs- und Stu-dienorientierung und der Ausbau von Beratungs- und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6655
Dr. Wolfgang Stefinger
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Berufsbildungsangeboten für Studienaussteiger und -um-steiger leisten hierzu einen wichtigen Beitrag.
Wir müssen junge Leute wieder zu einer dualen Aus-bildung motivieren. Hierzu müssen wir aber auch dieChancen und Wege aufzeigen, die es gibt, und es gibtviele Wege. Einen Beitrag leisten Werbekampagnen,zum Beispiel vom Handwerk und von Verbänden, aberauch unser Paket „Chance Beruf“. In diesem Zusam-menhang spielt natürlich auch das Thema Durchlässig-keit eine wichtige Rolle; denn ein junger Mensch stelltsich natürlich die Frage: Welche Chance habe ich dennmit meiner Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt, was ver-diene ich und habe ich die Möglichkeit, mich weiterzu-qualifizieren? Für uns gilt: Es gibt keinen Abschlussohne Anschluss.
Ich durfte letzte Woche an der Hochschule Münchenvor Handwerksmeistern sprechen. Dort kam vom Fri-seur, über den Bäcker und Elektrotechniker bis zumGoldschmied der erste Jahrgang des Bachelorstudien-gangs Unternehmensführung zusammen. Die Jüngstewar Mitte 20, der Älteste Mitte 40, hochmotivierteLeute, teils mit eigenem Betrieb, teils im elterlichen Be-trieb, teils im Angestelltenverhältnis tätig. Sie wollensich berufsbegleitend weiterbilden, ihren Betrieb voran-bringen und leisten damit einen wichtigen Beitrag fürunser Land.
Daran zeigt sich: Wer sich in unserem Land ein Ziel ge-setzt hat, fleißig ist, lernen will und sich engagiert, derbekommt auch eine Möglichkeit und Unterstützung.Im Handwerk eröffnen sich gerade für junge Men-schen in unserem Land, auch für junge Menschen mitMigrationshintergrund, sehr viele Chancen, weil dasHandwerk und die vielen anderen Ausbildungsbetriebejungen Menschen Chancen geben. Die Ausbildungsbe-reitschaft unserer kleinen und mittelständischen Betriebeist ungebrochen hoch. Dafür von dieser Stelle ein herzli-cher Dank!
Das Handwerk ist aber auch auf unsere Unterstützungangewiesen. Wir müssen unseren deutschen Meisterbriefauf EU-Ebene verteidigen.
Er ist und bleibt ein unverkennbares Qualitätssiegel fürhandwerkliche Qualität und hat eine besondere Bedeu-tung für die duale Ausbildung. Hierfür bitte ich Sie alleum Ihre Unterstützung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssenaber auch auf diejenigen schauen, die ohne Abschlussdie Schule verlassen. In diesem Bereich haben wir eini-ges erreicht: Die Quote der Schulabbrecher liegt bei un-ter 6 Prozent – es waren einmal 12 Prozent –, aber auchdas darf uns nicht zufriedenstellen. Einen großen Anteilam Bildungserfolg hat natürlich der Schüler selbst,
aber auch der Lehrer. Lehrerbildung ist Ländersache; daswissen Sie. Das Programm „Qualitätsoffensive Lehrer-bildung“, das wir uns insgesamt 500 Millionen Eurokosten lassen – im nächsten Jahr werden es davon45 Millionen Euro sein –, ist schon angesprochen wor-den.Sie sehen insgesamt: Die berufliche Bildung liegt unsebenso am Herzen wie die akademische Bildung und dieForschung. Mit Verlaub, das war aber auch klar; denn fürDeutschlands Zukunft brauchen wir hervorragend quali-fizierte Leute in allen Bereichen.
Sie sehen: Wir investieren stark in Bildung und For-schung und haben unseren Haushalt in Ordnung. In un-serem Land gibt es viele motivierte und engagierte Men-schen, die mit Fleiß, Ehrlichkeit und Willensstärke unserLand weiter nach vorne bringen. Gemeinsam mit ihnengestalten wir Deutschlands Zukunft.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege
Willi Brase das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Damen und Herren! MinisterinWanka hat dargestellt, wie stark die InnovationsfähigkeitDeutschlands ausgeprägt ist. Dabei geht es, wenn wireinmal den industriellen Teil nehmen, um das Zusam-menspiel von Ingenieuren, Meistern und Facharbeitern.Dieses Zusammenspiel zu bewahren und zu stärken, isteine hochlöbliche, eine wichtige Aufgabe zur Gestaltungder Zukunft unseres Landes.
Dies findet nicht im luftleeren Raum, sondern inAbteilungen, in Forschungseinrichtungen und in Be-triebsteilen statt. Weil die Weiterentwicklung auch mitDigitalisierung, neuen Werkstoffen und neuen Produk-tionsverfahren zu tun hat, war es wichtig, dass wir gesagthaben: Wir wollen die Dienstleistungs- und Arbeitsfor-
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6656 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Willi Brase
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schung weiter voranbringen. – Ich bin unseren Haushäl-tern dankbar, dass es gelungen ist, 6 Millionen Eurodraufzusatteln. So erreichen wir das Ziel, das Sie, FrauWanka, neulich formuliert haben: Bis 2020 wollen wirfür diesen Bereich 1 Milliarde Euro zur Verfügung stel-len. Da es hier um Arbeitsbedingungen, neue Arbeitsfor-men, neue Werkstoffe, neue Verfahren und die Humani-sierung der Arbeit geht, glaube ich: Es ist wichtig, dasswir hier weitere 6 Millionen Euro draufsatteln.
Wir wollen, dass die Anträge zu Forschungsvorhaben,die erarbeitet und auf den Weg gebracht werden, gründ-lich geprüft und schnell umgesetzt werden. Es kannnicht sein, dass das zur Verfügung stehende Geld nichtabgerufen wird. Wenn wir dafür sorgen wollen, dassDeutschland industriell auch weiterhin so stark ist, müs-sen wir auf diesem Pfad voranschreiten.Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte – aucher ist schon erwähnt worden –, ist die Alphabetisierungbzw. das Problem, dass es in unserem Land Menschengibt, die nicht lesen und schreiben können. Dass wir auf-grund der demografischen Entwicklung in TeilbereichenFachkräfte brauchen, ist allein schon ein Grund, zu sa-gen: Ja, wir nehmen mehr Geld in die Hand, um diesenMenschen eine Chance zu geben. – Auch in diesem Fallstellen wir 6 Millionen Euro mehr bereit.Es geht dabei letztendlich um die Menschen selbst.Die Menschen müssen die Chance haben, Dinge zu er-kennen. Es geht also nicht nur darum, dass dies für unsals Gesellschaft und möglicherweise auch für Wirtschaftund Industrie wichtig ist, sondern es geht auch darum,dass die Menschen unterstützt werden. Deshalb haltenwir es für richtig, an dieser Stelle 6 Millionen Euro zurVerfügung zu stellen. Wir sagen: Das ist ein vernünftigerWeg.
Wir haben in den Koalitionsverhandlungen entschie-den, die berufliche Bildung weiter voranzubringen. Seitmehreren Jahren versuchen wir, den jungen Leutenrechtzeitig ein Stück Orientierungshilfe zu geben, imRahmen der Berufsorientierung, auch schon in der ach-ten Klasse. Dies weiten wir jetzt auf alle Schulformenund alle Schultypen aus. Das ist nicht nur der absolutrichtige Weg, sondern in gewisser Weise auch wachs-tumsfördernd. Junge Menschen, die ein Stück weit selbstentscheiden können – auf der Grundlage von Potenzial-analysen in der Schule oder von Praktika in Unterneh-men, im Dienstleistungsbereich oder im öffentlichenDienst –, werden wir nicht in den Übergangsmaßnahmenfinden, sondern in Ausbildung, in Ausbildung nach Lan-desrecht und hoffentlich beim richtigen Studium an einerHochschule; dann gibt es auch weniger Abbrecher. Des-halb ist es richtig, dass wir hier um 12 Millionen Euroaufstocken.
Klar ist doch auch: Wenn wir bei der Orientierung dierichtigen Weichen stellen und jedem deutlich machen,welche Perspektiven und Fähigkeiten er oder sie hat,dann wird der Einzelne vernünftig unterstützt. Das istnicht nur wachstumsfördernd, sondern damit tun wirauch etwas sehr Sinnvolles für die jungen Menschen.Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns fragen: Wieist die Situation bei den überbetrieblichen Bildungsstät-ten des Handwerks und der Industrie- und Handelskam-mern? Wenn wir sie zu Kompetenzzentren ausweiten, er-höht dies die Qualität. Es stärkt auch das Ansehen vonIngenieuren, Meistern und Facharbeitern in den Betrie-ben, in den Handwerksbetrieben und in den Industriebe-trieben. Es ist richtig, dass wir hier 10 Millionen Eurodraufgesattelt haben. Wenn es sein muss, müssen wirhier auch in den nächsten Jahren etwas tun, sehr geehr-ten Damen und Herren.
Zusammengefasst: Mein Dank gilt unseren Haushäl-tern, dass sie diesen Weg mitgegangen sind, sodass wirden jungen Leuten eine Chance geben können. Das istfür die jungen Leute gut, aber es ist auch für unsere Ge-sellschaft und für unsere Industrie gut.Glück auf!
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege
Dr. Thomas Feist das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute hier soviele junge Menschen sind, die sehen, wie sehr wir unsmit dem Thema Bildung und Forschung beschäftigen.Das ist nicht nur unser Thema, sondern das ist vor allenDingen unser Thema für euch.
– Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Herr Kollege.
– Sie haben wohl zu wenig Redezeit, Herr Mutlu.
Es ist eigentlich schade, dass Ihre Fraktion Sie nicht hiervorne hinstellt, wenn Sie etwas Wichtiges zu sagen ha-ben. Quatschen Sie aber nicht dazwischen, sondern hö-ren Sie einfach einmal zu, so wie die jungen Menschendas dort oben auch machen.
Wir werden heute zum neunten Mal in Folge einenHaushalt mit Aufwüchsen beschließen. Mit etwas über15 Milliarden Euro ist er der bisher größte im BereichBildung und Forschung. Das ist nicht nur ein guter Tagfür Sie, Frau Ministerin, für die Haushälter und für das
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6657
Dr. Thomas Feist
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Parlament, sondern das ist auch ein guter Tag fürDeutschland.
Wir haben darüber gesprochen, dass das BildDeutschlands in der Welt vorwiegend dadurch geprägtwird, dass die akademische und die berufliche Bildungbei uns Hand in Hand gehen. In diesem Bereich habenwir die Mittel etwas erhöht, weil das wichtig ist. Das giltgerade für die berufliche Bildung, aber auch im akade-mischen Bereich unternehmen wir zusätzliche großartigeAnstrengungen.Im Rahmen des Hochschulpakts werden wir 200 Mil-lionen Euro mehr für die zusätzlichen Studienanfängerausgeben, und wir werden die BAföG-Finanzierung abdem nächsten Jahr alleine übernehmen. Gerade die Wis-senschaft in Deutschland profitiert von dem steigendenInteresse von Hochleistungsnachwuchswissenschaftlernaus der ganzen Welt. Deshalb ist es wichtig, dass wirschauen, was bei uns in der beruflichen Bildung passiert.Deswegen setzen wir mit diesem Haushalt ganz beson-dere Akzente in den Bereichen Berufsorientierung undüberbetriebliche Einrichtungen.
Weil die besten politischen Entscheidungen durchGutachten gedeckt sind,
kann ich in Bezug auf unseren Haushalt auch einmal ausdem Gutachten der Expertenkommission Forschung undInnovation zitieren, das aus dem Februar dieses Jahresstammt, also sehr aktuell ist. Dort lesen wir – ich zitiere –:Das deutsche Produktions- und Innovationsmodellbasiert vor allem im industriellen Bereich auf einerspezifischen Verbindung von hochqualifizierten …Absolventen aus dem Hochschulsystem mit hervor-ragend ausgebildeten Facharbeitern aus dem dualenBildungssystem. Um diese Stärke in Zukunft nicht zu gefährden, giltes, die Investitionen in die Erhaltung und Weiter-entwicklung der Attraktivität der Berufsbildungfortzuführen. … Die bildungspolitische Zielsetzungsollte sich weniger an Akademikerquoten, sondernmehr an einem optimalen Bildungsmix und flexi-blen individuellen Bildungsbiografien orientieren.
Genau das tun wir, genau das bildet sich auch in diesemHaushalt ab.Ich möchte noch auf eine weitere Haushaltspositionzu sprechen kommen, die bisher noch keine wichtigeRolle gespielt hat, aber auch von der Ministerin ange-sprochen worden ist. Es ist wichtig, dass wir uns diesenBereich noch einmal anschauen. Es geht um das ver-stärkte Engagement der BAs bei der Berufseinstiegsbe-gleitung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeitund Soziales. Dies ist gut.
Noch besser wäre es, wenn wir das System der Berufs-einstiegsbegleitung in Richtung einer assistierten Aus-bildung erweitern würden, die sich eben nicht zuerst anden Regularien, sondern an den Bildungsbiografien undLebenswirklichkeiten junger Menschen orientiert.
Ab dem nächsten Jahr werden wir die BAföG-Finan-zierung komplett übernehmen. Das bedeutet natürlich ei-nen zusätzlichen finanziellen Handlungsspielraum fürdie Länder, die diesen nutzen müssen, um mehr in dieBildung und in die Wissenschaft zu investieren. Es gehtum eine ganze Menge Geld. 1,2 Milliarden Euro proJahr übernehmen wir als Bund dann zusätzlich – Geld,das dann den Ländern zur Verfügung steht.Ich will Ihnen einmal ein schönes Beispiel aus Sach-sen nennen – nicht nur, weil ich aus Sachsen komme,sondern auch, weil wir dort eine wirklich gute Politikmachen. Das tun wir jetzt übrigens auch in einer GroßenKoalition, und wir werden das schon ordentlich hinbe-kommen.In dem dortigen Koalitionsvertrag steht der Passus:Wir werden uns für eine flächendeckende Berufs- undStudienorientierung einsetzen, die die Gymnasien um-fasst. – Es ist richtig, so etwas im Koalitionsvertrag zuvereinbaren.
Genauso wichtig ist es, dass wir sagen: Wenn wirvom Bund eine flächendeckende Berufs- und Studienori-entierung einführen wollen und dafür Geld – das habenwir gemacht, nämlich 12 Millionen Euro mehr – zur Ver-fügung stellen, dann sollten wir möglichst Anreizeschaffen, dass die Länder, deren ursprüngliche Aufgabedas ist, diese Aufgabe übernehmen, während wirschauen, wie wir sie als Bund dabei unterstützen. Dafürwerden wir uns in der nächsten Zeit einsetzen.Es ist hier über Berufsorientierung gesprochen wor-den. Gut, ich habe drei Kinder, aber man sollte nicht nurvon eigenen Erlebnissen reden und davon, wie schwer esist, aus der Unübersichtlichkeit von Berufsbildern, vorallen Dingen auch bei Studiengängen – es gibt mehrereZehntausend Bachelorstudiengänge –, das Passende zufinden. Deswegen müssen wir in diesem Bereich etwastun. Dazu gibt es ein aktuelles Gutachten von Allens-bach, in dem die Vorstellungen junger Leute zur Berufs-orientierung untersucht wurden.Weil etwas Fachkenntnis nicht schaden kann, möchteich Ihnen das gerne zu Gehör bringen. 44 Prozent derSchüler fühlen sich laut dieser Studie über beruflicheMöglichkeiten nicht ausreichend informiert. Nur knappein Drittel hat konkrete Vorstellungen zur beruflichenZukunft, 20 Prozent haben gar keine Vorstellung.54 Prozent der Schüler an Sekundarschulen wissennicht, welche Berufe gute Zukunftsaussichten haben.Neben Defiziten in der Berufsorientierung haben62 Prozent der Gymnasiasten einen gefühlten Mangel– dahinter steckt meistens mehr – an Studienorientie-rung. Nur 25 Prozent der Schüler holen sich Informatio-
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6658 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Dr. Thomas Feist
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nen bei der Agentur für Arbeit. Davon schätzt nur einDrittel diese Informationen als hilfreich ein. Deswegenist es richtig, dass wir die Berufs- und Studienorientie-rung finanzieren. Wir haben mit diesem Haushalt denAnfang gemacht. Das werden wir in den nächsten Jahrenfortsetzen.
Im Übrigen ist die duale berufliche Bildung ein sehrgelungenes Beispiel für eine private und öffentlichePartnerschaft; denn wir sollten auch die Leistungen derUnternehmen nicht ganz vergessen. Neben dem, was wirhier im Bund und in den Ländern für die berufliche Aus-bildung machen, sollte auch einmal die Rolle der Unter-nehmen gewürdigt werden. Man muss sich vorstellen:16 000 Euro kostet ein Azubi. Dieses Geld muss manerst einmal aufbringen. Die Investitionen der Unterneh-men in die Ausbildung liegen momentan bei 24 Milliar-den Euro pro Jahr. Auch das sollte uns einen großenDank in diese Richtung wert sein.
Abschließend möchte ich den Blick nach außen rich-ten. Nur wenn wir hier in Deutschland mit einem ausge-wogenen Mix an akademischer und beruflicher Bildungerfolgreich sein werden, werden wir das Überzeugungs-potenzial dafür haben, dass auch andere Länder in Eu-ropa und in der Welt diesen Weg einschlagen. Deswegenwill ich Ihnen zum Schluss zwei Beispiele aus Ländernnennen, in denen dieses System auf den Weg gebrachtwurde oder schon funktioniert. Das eine Beispiel beziehtsich auf ein Land in der Nähe, das andere auf ein weiterentferntes Land.Das erste Beispiel ist Georgien, ein Land, das durchein Assoziierungsabkommen näher an die EuropäischeUnion rückt. Georgien geht es nicht in erster Linie umGeld, sondern das Land will von uns lernen. Es teilt un-sere Werte. Das heißt für dieses Land, dass ihm die dualeBildung etwas wert sein muss. Ich weiß, dass gerade inder Regierung gefragt wird: Wie kann man dafür die ge-setzlichen Grundlagen schaffen? Wie können wir dieseEntwicklung durch Berufsforschung akademisch beglei-ten? Dafür braucht das Land natürlich die Hochschulen.Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit der richtigenUnterstützung in diesen Bereichen dafür sorgen werden,dass durch die duale berufliche Bildung in diesen euro-päischen Ländern oder in den Ländern, die näher an unsheranrücken wollen, die Jugendarbeitslosigkeit drastischverringert und die Zukunftsfähigkeit von ganz Europagesichert wird.
Das zweite Beispiel, das ich gerne nennen möchte, istein weiter entferntes Land: Ecuador. Die DeutscheSchule Quito mit 1 600 Schülern, eine der größten deut-schen Auslandsschulen, hat vor einigen Jahren mit einerdualen beruflichen Bildung angefangen, angeschlossenan das Schulsystem. Der Leiter der Schule war mit die-sem Modell so erfolgreich – es geht schließlich auch umdas Image von beruflicher Bildung; das müssen wir unsklarmachen; die meisten Leute studieren, weil sie mei-nen, die duale Bildung hat in unserem Land keinen rich-tigen Stellenwert –, dass die Regierung diesen Lehrernach seiner Pensionierung als Berater beschäftigt hat.Inzwischen hat dieses Land die gesetzlichen Voraus-setzungen für eine duale Ausbildung nach deutschemVorbild geschaffen. Pro Jahr werden 120 000 jungeMenschen ausgebildet. Das ist eine nachhaltige Ent-wicklungspolitik, die wir damit für die Welt leisten.Wenn wir in Deutschland weiter daran festhalten, wer-den wir sehr erfolgreich sein.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Saskia
Esken das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich auf ei-nen kleinen, zunächst unscheinbar wirkenden Haushalts-ansatz eingehe, über den ich mich ganz besondersgefreut habe, möchte ich mich bei all denen bedanken,die in den vergangenen Wochen diesen Haushalt entwor-fen und ihn in zahlreichen Sitzungen teils bis in dieNacht hinein beraten haben. Sie alle haben wirklich her-vorragende Arbeit geleistet.
Worüber ich mich gemeinsam mit meinem Berichter-statterkollegen Sven Volmering besonders gefreut habe,ist ein kleiner, erster Haushaltsansatz zur Förderung vonOER. Ausgesprochen heißt das: Open Educational Re-sources; auf Deutsch sprechen wir von freien Lehr- undLernmaterialien. Im Haushaltsjahr 2015 sollen für ihreFörderung 2 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Dasfinde ich großartig.„Open“ bzw. „frei“ heißen diese Lehr- und Lernmate-rialien nicht etwa, weil sie kostenlos oder gar umsonst zuerstellen wären – dann bräuchten wir keine Haushalts-mittel dafür –, nein, der Begriff „Openness“ oder „Frei-heit“ bezieht sich auf den freien Zugang, den jeder zuden Lehr- und Lernmaterialien haben soll. Dazu kommteine möglichst freie Lizenzierung, die es Lernenden undLehrenden ermöglicht, die Materialien zu verändern undsie weiterzugeben.Was bedeuten solche freien Lehr- und Lernmateria-lien für unser schulisches und außerschulisches Bil-dungssystem, insbesondere dann, wenn sie in digitalerForm vorliegen und entsprechend eingesetzt werdenkönnen? Für Lehrkräfte eröffnen OER und digitale Me-dien die Möglichkeit, Lehr- und Lernmaterialien soauszuwählen und anzupassen, dass sie den eigenen Er-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6659
Saskia Esken
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fahrungen und Vorlieben, der besonderen Unterrichtssi-tuation und den besonderen Bedürfnissen der Lernendenentsprechen. Wenn Lehrkräfte das heute auf der Grund-lage von geschlossen lizenzierten Materialien tun, dannarbeiten sie in einer problematischen rechtlichen Grau-zone und unter der ständigen Angst vor der Abmahnung.Für Lernende in Bildungseinrichtungen bedeuten OERund digitale Lernmedien aktivere Lernprozesse. Sie er-lauben das Lernen nach individuellen Zugängen und Be-dürfnissen, auch im Sinne der Inklusion. Außerdem istdas vernetzte Lernen im Austausch mit anderen geradefür junge Menschen besonders motivierend, weil dasLernen damit dort stattfindet, wo sie zu Hause sind.Für frei Lernende ist der offene und für den Endnut-zer möglichst kostenfreie Zugang zu OER ein großerGewinn; denn er ermöglicht Menschen das lebensbeglei-tende Lernen, die durch ihre familiäre Situation, durcheingeschränkte Mobilität oder durch andere Gründe amBesuch einer Bildungseinrichtung gehindert sind. Diesgilt sowohl für die berufliche Weiterbildung als auch fürdie Weiterbildung nach Bedarf und Interesse, nach Lustund Laune. Dieser ungehinderte Zugang zu Bildung undWissen ist ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft,nicht nur für das Bildungssystem.
Für die traditionellen Hersteller von Bildungsmateria-lien bedeuten OER nicht etwa eine Kampfansage. Dasmöchte ich sehr deutlich machen. Nach meiner Wahr-nehmung können – anders als auf der Grundlage von ge-schlossen lizenzierten Inhalten – gerade mit OER diewertvolle Arbeit, die Erfahrung und die Qualität, die dieSchulbuchverlage heute in unser Bildungssystem ein-bringen, auch in Zukunft genutzt werden. Es wird denVerlagen, aber auch weiteren Akteuren auch weiterhinmöglich sein, aus vorhandenen Inhalten auf der einenSeite und Bildungsstandards und Bildungsplänen auf deranderen Seite gute, praxistaugliche Unterrichtskonzeptezu entwickeln und zu verkaufen; denn solche Unter-richtskonzepte werden auch weiterhin gebraucht.Für die Qualität der Bildungsmaterialien kann die Of-fenheit einen Quantensprung bedeuten, weil gerade dievernetzte Erzeugung, Nutzung und Weiterentwicklungvon solchen Lernmaterialien auf offenen Plattformen dieQualität fördert und deren Sicherung erleichtert. Schondie Möglichkeit der stetigen Weiterentwicklung und An-passung an die Anforderungen des Bildungsbetriebsstellt einen großen Vorteil zum analogen gebundenenSchulbuch dar.Die wesentlichen Vorteile von OER liegen also aufder einen Seite im offenen Zugang für alle und auf deranderen Seite in der stetigen Weiterentwicklung undQualitätsverbesserung der Materialien. Deshalb sind die2 Millionen Euro für OER im Bundeshaushalt 2015 viel-leicht zunächst unscheinbar, aber ein wichtiger Schrittfür die Bildung und, wie ich finde, ein gutes Signal so-wohl an die, die sich derzeit überwiegend ehrenamtlichmit OER beschäftigen, als auch an die, die heute schonmit dem Erzeugen von Bildungsmaterialien ihr Geld ver-dienen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Rainer
Spiering das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist jetzt gut ein Jahrher, dass ich das letzte Mal vor einer Berufsschulklassegestanden habe. Lassen Sie mich dem Ausdruck geben,was ich in diesem Jahr hier erlebt habe. Wir Berufsschul-lehrer hatten häufig den Eindruck, dass wir der Teil derBildung sind, der seinen Job macht und tapfer vor sichhin arbeitet, aber von der Öffentlichkeit nicht wahrge-nommen wird. Lassen Sie mich sagen, dass ich heutesehr froh und sehr glücklich bin, weil in meiner Wahr-nehmung in diesem Land unglaublich viel passiert. Sowie ich das in diesem Jahr erlebt habe, steht Berufsbil-dung im Fokus der Diskussion, es bewegt sich, es be-rührt Deutschland, und Deutschland ist berührt und be-wegt sich. Dafür möchte ich dem Hohen Haus ersteinmal herzlich danken.
Frau Wanka hat eine Studie für den Präsidenten derVereinigten Staaten von Amerika angesprochen, in dergefragt wurde, worauf sich die Innovationsfähigkeit derdeutschen Wirtschaft gründet: Industrie, Mittelstand,Handwerk. Ich ergänze einmal, was Frau Ministerin ge-sagt hat: Ja, das sind die Facharbeiter, die Ingenieure unddas dazu gehörende Umfeld; aber da drunter sind die Ba-sics, und die Basics sind die deutsche Berufsausbildung,sie macht es erst möglich, dass diese Innovationskraftüberhaupt vorhanden ist. Ich finde, um dieses Systemlohnt es sich jeden Tag zu streiten und zu kämpfen, unddas tun wir in diesem Haus. Das finde ich vorbildlich.
Hier ist die Ausbildungsgarantie angesprochen wor-den. Nun ist eine Garantie in einem System wie inDeutschland, wo die Berufsausbildung Teil des Arbeits-marktes ist, nicht Ausdruck eines staatlichen Dirigismus– ich hoffe, dass jede und jeder das versteht; ich hoffeauch, dass jede und jeder nicht dorthin möchte, dass wirstaatlichen Dirigismus bekommen –, vielmehr kann dasimmer nur eine Frage von Angebot und Förderung sein.
Da sind wir beim Pakt für Ausbildung auf dem absolutrichtigen Weg. Die assistierte Ausbildung ist angespro-chen worden, die Berufsorientierung ist angesprochen
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6660 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Rainer Spiering
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worden. Lassen Sie mich an dieser Stelle den Bogenschließen: Wir haben in diesem Hohen Hause teilweisedie etwas unselige Diskussion „Akademisierung kontraduales System“ geführt. Welch Unsinn! Das eine bedingtdas andere, das eine ist nur mit dem anderen möglich.Ich weise noch einmal mit großer Freude darauf hin: Esgibt kein vergleichbares Schulsystem weltweit, wo einAbsolvent durch das Berufsbildungssystem gleiten und,wenn er denn fleißig ist und genügend gefördert wird,als Hochschulprofessor enden kann. Das gibt es sonstnirgendwo.
Beim BAföG gibt es – das ist mir aufgefallen; ichhabe aufmerksam zugehört – eigentlich nur eine Grup-pierung – Dr. Feist ergänzt diese Gruppierung der So-zialdemokraten –,
die die Frage des Meister-BAföGs nach wie vor für un-geklärt hält. Es ist wirklich fragwürdig, dass eine Gruppejunger Menschen, die sich mit hohem Engagement fort-bewegt, eigenes Geld in die Hand nehmen muss, vielesin Kauf nehmen muss, während ein Großteil der Jugend-lichen in den Genuss von BAföG kommt. Deswegenbitte ich dieses Haus inständig, bei der Diskussion umdie Berufsbildung das Meister-BAföG mit in den Fokuszu nehmen, damit unsere jungen Meisterinnen undMeister eine gute Zukunft haben.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Von GalileoGalilei stammt der Ausspruch: Und sie bewegt sichdoch. – Ich sage im Hinblick auf unser Berufsbildungs-system: Es bewegt sich immer, und das ist auch gut so.
Ganz herzlichen Dank, auch für diese klare Unter-streichung der Bedeutung der beruflichen Bildung!Ich schließe die Debatte.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 30 – Bundesministerium für Bildung und For-schung – in der Ausschussfassung. Dazu liegt ein Ände-rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache18/3308 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmtfür diesen Änderungsantrag? – Die Linke und Bünd-nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Koali-tion. Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmender Koalition gegen die Stimmen der Opposition abge-lehnt.Ich lasse nun über den Einzelplan in der Ausschuss-fassung abstimmen. Wer stimmt dafür? – Die Koalition.Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Enthaltungen? –Das ist nicht der Fall. Damit ist der Einzelplan 30 mitden Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-position angenommen worden.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III. a bis f so-wie die Zusatzpunkte 1 a und b auf:III. a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurVerbesserung der Rechtsstellung von asyl-suchenden und geduldeten AusländernDrucksache 18/3160Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung von Vorschriften zur Durchfüh-rung unionsrechtlicher Vorschriften zurDurchsetzung des VerbraucherschutzesDrucksache 18/3253Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaftc) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset-zes zur Änderung des Fahrpersonalgeset-zesDrucksache 18/3254Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzd) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsab-kommen vom 10. Juni 2013 zwischen derEuropäischen Union und ihren Mitglied-staaten einerseits und der Regierung des
Drucksache 18/3255Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Auswärtiger Ausschusse) Beratung des Antrags der AbgeordnetenRoland Claus, Matthias W. Birkwald, CarenLay, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEKeine Anrechnung von NVA-Verletzten-rente auf Grundsicherung im AlterDrucksache 18/3170Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieVerteidigungsausschussHaushaltsausschuss
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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f) Beratung des Antrags der AbgeordnetenRalph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEÖkologischen Hochwasserschutz länder-übergreifend sicherstellen und sozial ver-ankernDrucksache 18/3277Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für TourismusZP 1 a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenOliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, AnnalenaBaerbock, weiteren Abgeordneten und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurzweiten Änderung des Gesetzes für denAusbau erneuerbarer EnergienDrucksache 18/3234Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitb) Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Änderung des Erneuer-bare-Energien-GesetzesDrucksache 18/3321Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitEs handelt sich dabei um Überweisungen im verein-fachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV. a bis f auf. Eshandelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zudenen keine Aussprache vorgesehen ist.Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV. a auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ZweitenGesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Er-richtung eines Sondervermögens „Energie-und Klimafonds“Drucksachen 18/2443, 18/2658Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-haltsauschusses
Drucksache 18/3199Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 18/3199, den Ge-setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen18/2443 und 18/2658 in der Ausschussfassung anzuneh-men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? –Die Opposition. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nichtder Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratungmit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen derOpposition angenommen worden.Wir kommen jetzt zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich ent-halten möchte? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Ge-setzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Opposition angenommen worden.Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten IV. bbis f, zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-schusses.Tagesordnungspunkt IV. b:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 115 zu PetitionenDrucksache 18/3172Wer stimmt dafür? – Alle, soweit ich das sehen kann.Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? –Auch niemand. Dann ist die Sammelübersicht 115 ein-stimmig angenommen worden.Tagesordnungspunkt IV. c:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 116 zu PetitionenDrucksache 18/3173Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Wer stimmt dage-gen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/DieGrünen. Damit ist die Sammelübersicht 116 mit denStimmen der Koalition gegen Stimmen der Linken beiEnthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommenworden.Tagesordnungspunkt IV. d:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 117 zu PetitionenDrucksache 18/3174Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 117 einstim-mig angenommen worden.
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6662 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Tagesordnungspunkt IV. e:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 118 zu PetitionenDrucksache 18/3175Wer stimmt dafür? – Koalition und Linke. Wer stimmtdagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? –Niemand. Damit ist die Sammelübersicht 118 mit denStimmen der Koalition und der Linken bei Gegenstim-men von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.Tagesordnungspunkt IV. f:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 119 zu PetitionenDrucksache 18/3176Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Wer stimmt dage-gen? – Die Opposition. Gibt es jemanden, der sich ent-halten möchte? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieSammelübersicht 119 mit den Stimmen der Koalition ge-gen die Stimmen der Opposition angenommen worden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen jetzt dieHaushaltsberatungen fort. Dazu rufe ich den Tagesord-nungspunkt I. 14 auf:Einzelplan 11Bundesministerium für Arbeit und SozialesDrucksachen 18/2811, 18/2823Die Berichterstattung haben die Abgeordneten EkinDeligöz, Axel Fischer, Ewald Schurer und Dr. GesineLötzsch.Zu dem Einzelplan 11 liegt ein Änderungsantrag derFraktion Die Linke vor. Außerdem hat die FraktionBündnis 90/Die Grünen einen Entschließungsantrag ein-gebracht, über den wir morgen, nach der Schlussabstim-mung, abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. Gibt es dazuWiderspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das sobeschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in derAussprache hat die Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Am1. Januar 2015 ist das Hartz-IV-Gesetz zehn Jahre inKraft. Das ist wirklich kein Grund zum Feiern.
Der anerkannte Armutsforscher Christoph Butterweggezieht den Schluss – ich darf mit Erlaubnis der Präsiden-tin zitieren –,dass es sich bei Hartz IV um ein zutiefst inhumanesSystem … handelt, das Menschen entrechtet, er-niedrigt und entmündigt.
Sowohl die von Hartz IV unmittelbar Betroffenenwie auch ihre Angehörigen und die mit ihnen ineiner „Bedarfsgemeinschaft“ zusammenlebendenPersonen werden stigmatisiert …, sozial ausge-grenzt und isoliert.Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe in unseremLand, die so intensiv überwacht, kontrolliert und sank-tioniert wird wie die Bezieher von Hartz IV. Wir, dieLinke, finden: Diese Politik der Nulltoleranz gegen Ar-beitslose muss endlich beendet werden.
Übrigens habe ich eine interessante Veranstaltungentdeckt. Die Evangelische und die Katholische Akade-mie laden gemeinsam mit der Humboldt-Universität imJanuar zu einer Diskussion mit dem Titel „DoppelteStandards in der Unternehmensführung. Ist Heucheleivermeidbar?“ ein. Ich schlage Ihnen vor: Ersetzen Sieeinfach das Wort „Unternehmensführung“ durch „Poli-tik“, und stellen Sie die Frage: Doppelte Standards in derPolitik. Ist Heuchelei vermeidbar?
Ich will nur ein Beispiel für doppelte Standards in derPolitik benennen. Daimler Benz und die Deutsche Tele-kom waren nicht in der Lage, vertragsgemäß die Lkw-Maut einzuführen. Deshalb fehlen uns 6 Milliarden Euroin der Kasse. Bis heute sind diese Schulden nicht begli-chen. Trotzdem ist die Bundesregierung der Meinung,dass der neue milliardenschwere Mautvertrag nicht aus-geschrieben werden musste; vielmehr sollen diese bei-den Unternehmen das fortführen.Können Sie, meine Damen und Herren, sich solcheStandards in einem beliebigen Jobcenter vorstellen?Nein, natürlich nicht. Wer dort einen Termin verpasst,muss sofort mit Sanktionen rechnen, aber Daimler undTelekom schulden uns 6 Milliarden Euro und werdenmit einem neuen Vertrag belohnt. Das ist nicht in Ord-nung. Diese doppelten Standards müssen endlich been-det werden.
Zehn Jahre nachdem Hartz IV eingeführt wurde undwir in Deutschland den größten Niedriglohnsektor Euro-pas haben, gilt ab 1. Januar 2015 endlich der Mindest-lohn. Ich sage absichtlich nicht, dass ab 1. Januar überallder Mindestlohn gezahlt wird. Es gibt einfach zu vieleMöglichkeiten, den Mindestlohn zu umgehen. Um daszu verhindern, brauchen wir mehr und effektive Kontrol-len.Doch dafür hat die Bundesregierung leider unzurei-chend vorgesorgt.
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Dr. Gesine Lötzsch
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600 Planstellen sind bei der Finanzkontrolle Schwarzar-beit, die auch für die Überwachung des Mindestlohnszuständig ist, unbesetzt. Das sind 10 Prozent all dieserStellen. Erst 2017 soll sich die Personalausstattung ver-bessern. Bis dahin sollen in Ausbildung befindlicheNachwuchskräfte aushelfen. Der Bundesrechnungshofhat schon Kritik angemeldet. Ich zitiere:Der Nachweis der Mindestlohnunterschreitung beider Auftragsvergabe an Sub-unternehmer gestaltet sich zunehmend schwieriger.Um hier erfolgreich kontrollieren zu können, bedarfes eingehender Kenntnisse der erforderlichen Prü-fungs- und Ermittlungsmaßnahmen.Die Konsequenz wird sein: Viele Niedriglöhner wer-den noch lange auf ihren Mindestlohn warten müssen.Ich frage mich: Ist die unzureichende Kontrolle nur Aus-druck von mangelnder handwerklicher Fähigkeit, oderist es etwa doch ein Geschenk an die Arbeitgeber, diekeinen Mindestlohn zahlen wollen?
– Es ist sehr schön, dass Sie dazwischenrufen: „Quatsch!Der ist unabdingbar!“ – Es gibt jeden Tag insbesondereaus Ihren Reihen neue Infragestellungen und neue Vor-stellungen dazu, wie man den Mindestlohn umgehenkann. Ich finde, wenn Sie in einem Zwischenruf sagen:„Der Mindestlohn ist unabdingbar“, dann sorgen Sieverdammt noch mal dafür, dass er wirklich überalldurchgesetzt wird und alle diese Schlupflöcher endlichgeschlossen werden.
Abschließend will ich noch etwas zur Altersarmut sa-gen. Das Statistische Bundesamt hat uns mitgeteilt, dassArmut immer mehr ältere Menschen in Deutschland be-trifft. Fast jeder siebte Ältere im Westen unseres Landeswar 2013 von Armut bedroht. Im Osten – einschließlichBerlin – gilt zwar „nur“ jeder achte Rentner als armuts-gefährdet. Dafür ist das Armutsrisiko bei der Gesamtbe-völkerung wesentlich größer als im Westen. Jeder Fünftelebt jetzt schon an der Armutsschwelle.Die Aussichten werden nicht besser. Im Gegenteil:Heute gehen viele Menschen in Rente, die nach der Wie-dervereinigung ihre Arbeit verloren hatten und sich voneiner Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur anderen han-geln mussten. Entsprechend sieht die Rente aus. Die Be-kämpfung der Altersarmut ist das Gebot der Stunde. Ichfinde, das muss man intensiv anpacken, und hier, FrauNahles, haben Sie noch nichts getan.
Wer glaubt, dass mit der Rente ab 63 und der Mütter-rente die zunehmende Altersarmut bekämpft wird, derhat sich geirrt. Deshalb müssen wir dieses Problem vielernsthafter angehen. Es ist doch dramatisch, wie vieleRentnerinnen und Rentner Grundsicherung beantragenmüssen. Traurige Spitzenreiter bei der Beantragung derGrundsicherung sind Städte wie Hamburg und Bremen.Hamburg – die Stadt der Millionäre und die Stadt mit dermeisten Grundsicherung. Darin zeigt sich, wie gespaltenunsere Gesellschaft ist. Nur durch eine gerechte Besteu-erung, durch eine Besteuerung der wirklich Superrei-chen können wir dieses Problem endlich lösen.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Als nächste Rednerin spricht die BundesministerinAndrea Nahles.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit undSoziales:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Einzelplan 11 ist Teil eines Haushaltes,der ohne Neuverschuldung auskommt und – das füge ichhinzu – ohne Sozialkürzungen. Das zu erreichen, istwahrlich außergewöhnlich, und wir haben es geschafft.Darüber können wir uns freuen.
Nicht nur der Bundeshaushalt gibt Anlass zur Freude;denn auch die Haushalte der Sozialversicherungen sindsolide aufgestellt. Erst letzte Woche hat das der Renten-versicherungsbericht gezeigt. Die Deutsche Rentenversi-cherung weist eine Rekordrücklage von 33,5 Milliar-den Euro aus.
Sogar bei sinkenden Beitragssätzen ist die Rücklage inden vergangenen Jahren stetig aufgewachsen. Diese guteFinanzlage ermöglicht uns eine Beitragssatzsenkung um0,2 Prozentpunkte ab dem 1. Januar 2015. Das ist gut;denn es entlastet die Wirtschaft und die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer in unserem Land. Das ist auch eingutes Signal in der aktuellen konjunkturellen Situation.
Die Zahlen zeigen auch: Das Anfang Juli in Kraft ge-tretene Rentenpaket, von dem über 10 Millionen Men-schen in Deutschland profitieren, ist verlässlich finan-ziert. Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Ren-tenversicherung danken, dass sie die Mütterrente so zü-gig und ohne Fehler umgesetzt haben. Das war eine Her-kulesaufgabe. Das ist keine Selbstverständlichkeit.Herzlichen Dank dafür.
Trotz aller Unkenrufe wird auch die Rente mit 63 umge-setzt. Die Kosten und auch die Zahl derjenigen, die An-träge stellen, bewegen sich vollkommen in dem von unserwarteten Rahmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, grundlegend für diegute Finanzlage der Sozialkassen ist vor allem eins: die
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6664 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Bundesministerin Andrea Nahles
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gute Beschäftigung. Wenn wir im Jahresvergleich einenZuwachs um rund eine halbe Million Beschäftigte aufzu-weisen haben, bringt das Mehreinnahmen für die sozia-len Sicherungssysteme von sage und schreibe 5 Milliar-den Euro und, wenn man den Soli hinzurechnet,Steuermehreinnahmen von 3 Milliarden Euro. Deswe-gen ist unser wichtigstes Ziel für die kommenden Jahre,das hohe Beschäftigungsniveau zu halten.
Das muss das zentrale Ziel unseres Aufgabenbereichessein.Mit 43 Millionen Erwerbstätigen schreiben wir einAllzeithoch. Wir haben mittlerweile bei der Erwerbstäti-genquote im europäischen Vergleich eine Spitzenposi-tion; vor zehn Jahren lagen wir ganz unten. FrauLötzsch, das zeigen eben auch die Entwicklungen derletzten zehn Jahre, die auch durch die Reformen, die wirhier durchgeführt haben, mit ausgelöst und befördertworden sind, und dazu stehen wir auch. Das ist einepositive Entwicklung. Da wollen wir unser Licht nichtunter den Scheffel stellen.
Es gibt ein großes Thema in diesem Land; das ist dieFachkräftesicherung. Wir haben in der letzten Woche zu-sammen mit den Arbeitgeberverbänden, den Gewerk-schaften und der Bundesagentur für Arbeit eine „Part-nerschaft für Fachkräfte“ ins Leben gerufen. Natürlichsind alle bereits aktiv und engagiert. Wir haben uns aberverabredet, im nächsten Jahr eine gemeinsame Offensivezu starten. Wir wollen alle Stränge, die da sind, zu einemstarken Tau zusammendrehen, so dass noch mehr Zug-kraft entsteht, vor allem für folgende Gruppen:Erstens: für Frauen. Die Beschäftigungsquote ist indiesem Bereich ganz gut, 73 Prozent. Aber leider: Wennman genauer hinschaut, stellt man fest, dass über 80 Pro-zent derer, die in Teilzeit arbeiten, Frauen sind. Dasheißt, hier geht es eher darum, die Arbeitsstundenzahlder Frauen zu erhöhen, so wie sie es wünschen. Das wol-len sie. Genügend Untersuchungen belegen: Frauen wol-len mehr Stunden arbeiten, wenn sie in Arbeit sind.Zweitens: für Ältere. Wir haben in diesem BereichRiesenfortschritte erreicht; das weist übrigens auch derRentenversicherungsbericht aus. Aber es ist immer nochdeutlich zu sehen, dass es bei den 60- bis 64-Jährigenund den noch Älteren einen großen Knick gibt. Deswe-gen dürfen wir unsere Anstrengungen an dieser Stellenicht einstellen. Im Gegenteil: Wir müssen sie weiter vo-rantreiben.Das wird auch Thema auf dem Integrationsgipfelnächste Woche sein; meine Kollegin Aydan Özoğuz seheich hier vorne. Es geht sowohl um die Menschen mit Mi-grationshintergrund in unserem Land, die häufiger alsMenschen ohne Migrationshintergrund ohne Schulab-schluss und ohne Ausbildung sind, als auch um Men-schen, die derzeit aus dem Ausland zu uns kommen.Viele von ihnen arbeiten gar nicht oder unterhalb ihrerQualifikation.Diese beiden Punkte stellen bei der Fachkräftesiche-rung eine ganz entscheidende Ressource dar, ein Poten-zial, das wir heben wollen.
Wir werden nicht nachlassen, an einer Stelle, wo vielestolpern, Vorschläge zu machen und Initiativen zu er-greifen: beim Übergang von Schule in Ausbildung. Hierhaben wir initiiert – das ist noch im Aufbau –, Jugendbe-rufsagenturen aufzubauen – gute Beispiele dafür sindbereits realisiert, zum Beispiel in Hamburg oder inMainz –; das muss weitergehen. Warum? Weil viele,vielleicht durch die Schule frustriert, nicht genügendSchwung mitnehmen, um eine duale Ausbildung durch-zuziehen. Deswegen haben wir ein ESF-Programm zurBerufseinstiegsbegleitung entwickelt. Wir haben es be-reits beantragt, und es wurde genehmigt.Hier liegen wirklich Chancen; denn bis 2019 habenwir mit einem Gesamtvolumen von 1 Milliarde Euro dieMöglichkeit, 115 000 junge Menschen zu unterstützenund an 2 500 Schulen mit der Betreuung der Jugendli-chen zu beginnen und sie auch im ersten halben Jahr ih-rer Ausbildung weiter zu begleiten. Das halte ich für ei-nen wesentlichen Schritt, um auch für schwächereSchülerinnen und Schüler in ganz Deutschland denÜbergang von Schule in Ausbildung erfolgreich zu orga-nisieren.
Tatsächlich ist die gute Situation auf dem Arbeits-markt nicht automatisch auch eine Erfolgsgeschichte fürLangzeitarbeitslose. Wir haben über viele Jahre gehofft,dass ein Arbeitsmarkt, der gut aufnahmefähig ist, vielen,die länger arbeitslos sind, als Chance dienen kann. Dasgab es sicherlich auch, aber insgesamt kommen wir seiteinigen Jahren von der Zahl von 1 Million Langzeitar-beitslosen, von diesem Sockel nicht herunter. Ich habedeswegen vor wenigen Wochen im Ausschuss für Arbeitund Soziales ein Konzept vorgelegt. Kern sind zweiwichtige Erkenntnisse:Die eine Erkenntnis lautet: Es gibt nicht die Langzeit-arbeitslosen. Es gibt verschiedene Gruppen. Es sind Al-leinerziehende. Es sind Ältere. Es sind Leute ohne Aus-bildung, zum Teil auch funktionale Analphabeten. Essind Menschen, deren Gesundheit beeinträchtigt ist. Oftkommen auch mehrere Probleme zusammen.Die andere Erkenntnis oder Erfahrung lautet: Am bes-ten lassen sich Erfolge erzielen, wenn wir nah an dieEinzelnen herankommen. Man muss dabei an ein gutesProfiling oder an ein Paket von maßgeschneiderten Hil-fen denken. Vor allem brauchen wir eine richtige Priori-tätensetzung in den Jobcentern. Dieses Thema musswirklich mit Priorität behandelt werden.
Genau an diesen Punkten setzt das Konzept an, ein-mal über das ESF-Programm für Langzeitarbeitslose. Esgeht darum, auf der einen Seite Arbeitgeber zu akquirie-ren und auf der anderen Seite Arbeitnehmer zu beglei-ten, wenn sie denn in einen Job kommen. Was wir fest-
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Bundesministerin Andrea Nahles
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gestellt haben, ist, dass leider viele, die nach langer Zeitder Arbeitslosigkeit wieder in einem Job begonnen ha-ben, abbrechen.Ein weiterer Teil des Konzepts ist die bessere Betreu-ung in Aktivierungszentren; so nennen wir das. Dasmeine ich mit der Priorität, und zwar überall. Ich ladeübrigens auch die Optionskommunen ausdrücklich ein,sich an diesem Konzept der Aktivierungszentren zu be-teiligen. Das wollen wir umsetzen.Dann haben wir auch etwas Neues vorgeschlagen,nämlich ein BMAS-Programm zur sozialen Teilhabe;denn einige dieser Langzeitarbeitslosen sind sehr weitvom ersten Arbeitsmarkt entfernt. Wir müssen auch andieser Stelle ganz ehrlich sein. Es braucht für diese Men-schen andere, niedrigschwelligere Angebote. Wir habendas Programm deswegen bewusst „soziale Teilhabe“ ge-nannt. Es geht in diesem Zusammenhang um einenLohnkostenzuschuss von bis zu 100 Prozent, um diesenMenschen über einige Jahre eine sozialversicherungs-pflichtige Beschäftigung zu ermöglichen.Ich verstehe dieses Konzept auch als Einladung zumDialog. Wir werden den Dialog mit den Verbänden, mitden Kommunen, den Städten und Gemeinden, mit denKirchen in den nächsten Wochen vorantreiben. Es istaber natürlich auch eine Einladung an Sie: Lassen Sieuns gemeinsam weiter nach den besten Wegen suchen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Fach-kräfte; ich habe es schon angesprochen. 37 Prozent derUnternehmen in Deutschland fürchten einen Fachkräfte-mangel. Derweil suchen rund 180 000 Schwerbehinderteeinen Arbeitsplatz. 59 Prozent davon haben einen Hoch-schulabschluss oder haben einen Beruf gelernt. Sie erfül-len also sämtliche Anforderungen an die Qualifikation.Da passt etwas nicht zusammen. Umso irritierender ist,dass diejenigen Unternehmen, die tatsächlich Schwerbe-hinderte beschäftigen, von guten bis sehr guten Erfah-rungen berichten.Es kommt am deutschen Arbeitsmarkt offensichtlichetwas vor, was ich nicht hinnehmen möchte. Die Behin-derung wird anscheinend wie unter einem Brennglas ge-sehen. Vieles macht einen Menschen aus, doch wir sehenvor allem den Aspekt der Behinderung – und den dannganz riesig. Dabei geraten das Können und das Poten-zial, das die Leute mitbringen, leider völlig aus demBlick. Das kann so nicht bleiben.Es muss angesichts der guten Zahlen, die wir haben,und der Fachkräftesituation möglich sein, echte Inklu-sion am Arbeitsmarkt zu schaffen. Es muss unser Ehr-geiz sein, in den nächsten Jahren hier einen qualitativenSchritt nach vorn zu machen.
Wir werden deswegen den Nationalen Aktionsplanweiter aktualisieren – selbstverständlich mit den Men-schen mit Behinderung und ihren Verbänden. Wir wer-den das Behindertengleichstellungsgesetz weiterentwi-ckeln, um sprachliche Hürden oder auch Barrierenbaulicher Art weiter zu reduzieren. Natürlich packen wirauch das Bundesteilhabegesetz an. Bis 2016 wird dasGesetz vorliegen; das ist meine Planung.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Aspektder Selbstbestimmung aufmerksam machen. Unser gan-zes Bemühen ist es, den Menschen mit Behinderungeneinfach mehr selbstbestimmtes Leben in diesem Land zugarantieren und dafür die nötigen Voraussetzungen zuschaffen. Ich bin mir sicher, dass wir uns darüber einigsind, dass wir da weiter vorankommen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschlussmöchte ich den Mitgliedern des Haushaltsausschusses,insbesondere unseren Berichterstattern und unserer Ge-samtberichterstatterin Ekin Deligöz, ganz herzlich fürdie Zusammenarbeit danken. Das ist gut gelaufen; dieArbeit hat sich gelohnt. In diesem Sinne wünsche ichuns eine gute Beratung.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege
Markus Kurth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Minister Nahles, als Sie die Gesamtbewertung Ih-res Einzelplans vorgenommen haben, erinnerten Siemich doch ein wenig an die Kapelle auf der „Titanic“:Sie trompeten laut zur Beruhigung der Menschen. Siewollen vergessen machen, dass gerade dem größtenZweig der Sozialversicherung Ungemach droht. Sie wis-sen aber schon, dass die Rentenfinanzen ab heute nurnoch in eine Richtung gehen, nämlich abwärts.Meine Damen und Herren, heute ist ein historischerTag. Nie zuvor in der Geschichte der Rentenversiche-rung – mutmaßlich nie wieder zu unseren Lebzeiten –war die Rücklage so hoch wie am heutigen Tag. Ab mor-gen werden die Dezemberrenten überwiesen. Und dagönnen Sie sich von der Großen Koalition jetzt so etwaswie einen Tanz auf dem Vulkan; ich nehme an, die nach-folgenden Redner werden das auch noch tun. Aber ichsage Ihnen: Der Gipfel, auf dem Sie sich wähnen, istgleichzeitig der Scheitelpunkt: Ab heute lassen Sie dieReserve der Rentenversicherung gnadenlos und unerbitt-lich leerlaufen; Monat für Monat, Jahr für Jahr schwin-det die entbehrungsreich aufgebaute Rücklage der Versi-cherten. Das ist das Gegenteil von nachhaltiger Politik.
Im Jahr 2018 sind laut aktuellem Rentenversiche-rungsbericht der Bundesregierung nur noch 0,4 Monats-ausgaben übrig. Danach wird den Steuerzahlern, denBeitragszahlern, den Rentnerinnen und Rentnern die
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Markus Kurth
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Rechnung präsentiert, und diese wird heftig ausfallen:Satte 10 Milliarden Euro sind dann Jahr für Jahr aufzu-bringen.Nein, es gibt kaum ein besseres Beispiel, um zu zei-gen, dass Sie sich Ihre schwarze Null schlichtweg ergau-nern.
Sie ergaunern sie sich durch die Verschiebung von Las-ten in die Sozialsysteme – wie bei der Mütterrente, dieSie mit Steuermitteln hätten finanzieren müssen – unddurch die Verschiebung von Lasten in die Zukunft.Das Politikfeld der Alterssicherung gibt aber auch ei-nen Einblick in die unanständigen Bewegungsgesetzeder Großen Koalition. Es lässt sich sehr gut studieren,warum eine Große Koalition – um es in Anlehnung anMüntefering zu sagen – großer Mist ist. Das erste Bewe-gungsgesetz ist: Gibst du mir dein Geschenk, gebe ichdir mein Geschenk. – Das ist beim Rentenpaket zu be-obachten gewesen.Das zweite Bewegungsgesetz lautet – wir beobachtenes in diesen Tagen bei den Verhandlungen über dieFlexi-Rente –: Gönnst du mir nicht das Schwarze untermFingernagel, gönne ich dir auch nicht das Schwarze un-term Fingernagel. – Das Ergebnis sind Bewegungslosig-keit und Stillstand.
Meine Damen und Herren, die Diskussion um dieRente mit 63 – das zeigt sich jetzt – hat durchaus ver-brannte Erde hinterlassen. Es scheint keine ehrliche Dis-kussion über einen flexiblen Renteneintritt mehr mög-lich zu sein. Aber es ist und bleibt doch wahr: Werverhindern will, dass die Rente mit 67 eine verkappteRentenkürzung darstellt, muss besonderen Gruppen amArbeitsmarkt flexible Übergänge in die Rente ermögli-chen, und das notfalls auch vor dem 63. Lebensjahr.
Dies gilt insbesondere – das können Sie ruhig zur Kennt-nis nehmen, meine Damen und Herren von der Union –für Schwerbehinderte, Langzeitarbeitslose, Menschenmit Erwerbsminderung und leistungsgeminderte Perso-nen. Alle verfügbaren Zahlen zeigen – wir haben jüngsterst eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerich-tet –, dass es hier die größten Probleme gibt. Aber wasmachen Sie, was macht das Arbeitsministerium? – Busi-ness as usual, Augen zu und durch! Besondere, mitHaushaltsmitteln unterlegte Anstrengungen für die Be-schäftigung Älterer sind nicht zu erkennen. Frau Nahles,im Prinzip setzen Sie an dieser Stelle – jedenfalls nachmeinem Dafürhalten – die Politik Ihrer Vorgängerin,Frau von der Leyen, schlichtweg fort.
Die Rentenübergänge sind nur eine Zukunftsaufgabe,an der diese Regierung erkennbar scheitern wird. DasGesamtniveau der Alterssicherung muss Anlass zurSorge geben. Auch hier lohnt ein Blick in den aktuellenRentenversicherungsbericht und in die Antworten derBundesregierung auf meine schriftlichen Fragen. Sieprognostizieren ein Gesamtversorgungsniveau von50,6 Prozent in 2030, davon wird aber ein erklecklicherAnteil durch die Riester-Rente abgedeckt. Wenn mansich aber ansieht, wie viele Menschen in eine vollständiggeförderte Riester-Versicherung einzahlen, dann wird ei-nem schwummerig.35 Millionen Versicherte werden vom sinkenden Ren-tenniveau betroffen sein. Gerade einmal 6,4 MillionenVersicherte, also weniger als ein Fünftel, sparen so viel,dass sie die volle Zulage bekommen. Die übrigen sparenentweder gar nicht, nehmen nur einen Teil der Förderungin Anspruch oder stellen ihre Versicherungen beitrags-frei, weil sie nicht sparen können.Im Ergebnis heißt das: Für mehr als vier Fünftel derRentenversicherten trifft die Prognose der Bundesregie-rung zum Versorgungsniveau nicht zu. Mehr noch: Auchfür das übrige Fünftel, das voll spart, wird die Zusage inBezug auf das Versorgungsniveau nicht zutreffen, weildie Renditeannahmen zu optimistisch und die Verwal-tungskosten höher sind, als angenommen.
Es wäre eine wichtige Aufgabe, hier für Wahrheit undKlarheit zu sorgen; denn die gesamte Konstruktion desDreisäulenmodells wankt, wenn sich dieser Trend fort-setzt.
Mit Blick auf Ihre Politik stelle ich fest: Es ist beinahetragisch, welche Lähmung bei der Alterssicherung droht.Müntefering hat gesagt „Opposition ist Mist“ – das trifftmanchmal zu, aber nicht immer. Ich füge jedoch hinzu:Eine Große Koalition ist eigentlich immer „GroßerMist“.Danke.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der KollegeAxel Fischer das Wort.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Lieber Kollege Kurth, Sie sollten sich hier nicht soaufblasen.
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Axel E. Fischer
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Ich kann mich noch daran erinnern: 2005 war die Ren-tenkasse auf Notkredite angewiesen. Seitdem – die FrauMinisterin hat darauf hingewiesen – geht es bergauf. Seitdie Grünen nicht mehr in der Bundesregierung sind,läuft es in Deutschland. Das muss man ganz klar sagen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Haushalt 2015 für den Bereich Arbeit und Soziales,den wir heute debattieren, ist ein rundum gelungenesWerk. Die ohnehin bereits ausgewogene Vorlage derBundesregierung vom Sommer dieses Jahres haben wireinerseits an veränderte Rahmenbedingungen ange-passt, andererseits haben wir wichtige eigene Akzentegesetzt, zum Beispiel bei der aktiven Arbeitsmarktpoli-tik oder mit der Ausstattung der Geschäftsstelle der Min-destlohnkommission.Mit einem Volumen von 125,5 Milliarden Euro – dassind fast 42 Prozent des Gesamtetats – sollen die Ausga-ben für Arbeit und Soziales um 3,6 Milliarden Euro– das entspricht knapp 3 Prozent – über denen des Vor-jahres liegen. Mit diesen moderaten Steigerungen leistenwir einen erheblichen Beitrag für einen Bundeshaushaltohne neue Schulden. Mit Wolfgang Schäuble als Finanz-minister wird der Bund 2015 erstmals seit 1969 keineKredite zur Deckung der Ausgaben aufnehmen müssen.
Damals war übrigens Franz Josef Strauß Finanzministereiner christlich-sozialdemokratischen Koalition, also ei-ner Koalition, wie wir sie jetzt wieder haben. Damitschließen wir den bereits eingeschlagenen Konsolidie-rungspfad für die Bundesfinanzen erfolgreich ab.Die sogenannte schwarze Null erreichen wir trotz ein-getrübter Konjunkturaussichten, trotz gestiegener Ar-beitsmarktausgaben, trotz erheblich steigender Hilfendes Bundes für die Kommunen und trotz erheblicherAusweitung der Leistungen für die Rentner. Dank einerüber die Jahre hinweg auf Wachstum durch Investitio-nen, auf sparsames Haushalten und weniger auf Umver-teilung ausgerichteten Politik haben wir heute einesolide finanzielle Basis für eine zukunftsorientierte Ar-beitsmarkt- und Sozialpolitik.
Die Wirtschaft entwickelt sich zwar etwas schwächer,aber der Arbeitsmarkt zeigt sich – und das trotz der Er-eignisse in der Ukraine oder im Nahen und Mittleren Os-ten – sehr robust. Erwerbstätigkeit und sozialversiche-rungspflichtige Beschäftigung sind weiter gestiegen. Mitrund 43 Millionen Erwerbstätigen und mehr als 30 Mil-lionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Men-schen in Deutschland brechen wir ständig neue Rekorde.
Für das neue Jahr erwarten wir eine weiter sinkendeArbeitslosigkeit – mit dann weniger als 2,7 MillionenArbeitslosen.
Ich kann mich noch an 5 Millionen und mehr Arbeitsloseerinnern. Zwar hat sich die Anzahl der Arbeitslosen bes-ser entwickelt, als wir es noch vor einigen Jahren erwar-tet haben, aber diese Entwicklung hat sich bislang leidernicht in einer entsprechend gesunkenen Anzahl an Be-darfsgemeinschaften oder Ausgaben für Langzeitarbeits-lose niedergeschlagen.
Deshalb haben wir im parlamentarischen Verfahrendie Ausgaben für Hartz IV, also das Arbeitslosengeld II,für 2015 auf 20,1 Milliarden Euro erhöht. Zwar ist dieZahl der Langzeitarbeitslosen von 2007 bis heute von1,7 Millionen auf etwa 1 Million zurückgegangen, aberwir können und wollen uns nicht damit abfinden, dassdie insgesamt positive Entwicklung am Arbeitsmarkt andiesem Teil der Arbeitslosen heute fast spurlos vorbei-geht. Deshalb bleiben die Ausgaben im Titel für Leistun-gen zur Eingliederung in Arbeit und die Verwaltungs-kosten hinsichtlich des SGB II mit 8 Milliarden Eurounverändert hoch.Ausgabenreste aus den letzten Haushalten in Höhevon 350 Millionen Euro erweitern den arbeitsmarktpoli-tischen Spielraum. Wir finanzieren hieraus unter ande-rem anteilig das neue ESF-Langzeitarbeitslosenpro-gramm mit einem Volumen von 224 Millionen Eurosowie das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Ar-beitsmarkt“ mit 75 Millionen Euro in 2015.Darüber hinaus haben wir unsere Spielräume ge-nutzt, um auch für langzeitarbeitslose Jugendliche wei-tere Förderungsperspektiven zu eröffnen; der KollegeSchiewerling wird in seiner Rede noch darauf eingehen.Denn unabhängig vom Alter der Langzeitarbeitslosenund vom jeweiligen Programm ist es wichtig, konkret anden Vermittlungshemmnissen im Einzelfall anzusetzen.Egal ob alleinerziehend, fehlender Abschluss, fehlendeSprachkenntnisse, fehlender Arbeitswille oder Drogen-abhängigkeit – wir wollen alle unsere Mitbürger in dieLage versetzen, an der Arbeitswelt teilzuhaben und einselbstbestimmtes Leben in Arbeit zu führen, meine Da-men und Herren.
Dazu müssen wir aber neue Wege finden, neue Instru-mente erproben und neue Strukturen schaffen. Wichtigist, insbesondere den Kern von rund 150 000 Schwerver-mittelbaren anzugehen. Hierbei ist besonders Kreativitätgefragt: neue Wege erkunden und Neues ausprobieren,um die Vermittlungshemmnisse zu beseitigen, Stich-wort: Passiv-Aktiv-Tausch. Klar, dass hier alle an einem
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Axel E. Fischer
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Strang ziehen müssen: Bund, Länder, Kommunen, Un-ternehmen und auch die Bundesagentur.Erste Erfahrungen mit Modellprojekten wie „Per-spektive in Betrieben“ zeigen, wie auch arbeitsmarkt-ferne Grundsicherungsempfänger Stück für Stück Inte-grationsfortschritte erzielen können. Wir werden hierweitere Modellprojekte auf den Weg bringen. Aber klarist auch: Wir werden für spürbare Verbesserungen, ins-besondere mit Blick auf die Vielzahl an Menschen mitmehreren Vermittlungshemmnissen – die Frau Ministe-rin wies bereits darauf hin –, sicherlich einen langenAtem brauchen, und wir werden auch darauf achtenmüssen, dass die Kosten für diese Programme nicht we-gen möglicher Mitnahmeeffekte aus dem Ruder laufen.Meine Damen und Herren, eine Grundvoraussetzungfür erfolgreiche Vermittlung in Arbeit sind motivierteund fachlich gut ausgebildete Vermittler.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Pothmer zu?
Axel E. Fischer (CDU/CSU):
Wenn sie möchte, gern. Wenn die Uhr stehen bleibt,
ist das kein Problem.
Ja, das ist jetzt schon geschehen; keine Sorge.
Herr Fischer, Sie haben gerade auf den Passiv-Aktiv-Transfer hingewiesen und deutlich gemacht, dass alle aneinem Strang ziehen müssen. Kann ich Ihren Worten ent-nehmen, dass sich die CDU/CSU-Fraktion zukünftig fürden Passiv-Aktiv-Transfer einsetzen wird und dass derFehler, den das Programm zur Bekämpfung der Lang-zeitarbeitslosigkeit von Frau Nahles beinhaltet, nämlichdass dieser Passiv-Aktiv-Transfer nicht vorgesehen ist,korrigiert wird, und zwar mit Ihrer Hilfe, Herr Fischer?
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Sie können davon ausgehen, dass wir, so wie ich esbeschrieben habe, verschiedene Modellprojekte auf denWeg bringen.
– Das hat mit Ausweichen überhaupt nichts zu tun. – Wirmüssen neue Wege gehen und diese selbstverständlichinnerhalb der Koalition beraten. Ich garantiere Ihnennicht, dass das, was Sie darunter verstehen, passierenwird. Ich garantiere Ihnen aber, dass die Grundsätze derKoalition in diesem Bereich zum Tragen kommen. Obdas Ihnen dann gefällt oder nicht, wird uns im Zweifelegal sein. Wir werden es inhaltlich beraten. Denn uns istwichtig, dass den Menschen geholfen wird, und nicht,dass die Ideologie, die Sie verbreiten, unbedingt durch-gesetzt werden muss. Bei uns stehen die Menschen imMittelpunkt.
Im ersten Halbjahr 2014 haben die Kommunen inDeutschland Überschüsse in Höhe von 5,3 MilliardenEuro erwirtschaftet – in einem halben Jahr wohlgemerkt.Wesentlich für diese vergleichsweise komfortable Fi-nanzsituation ist die massive Entlastung der Kommunenin den vergangenen Jahren durch den Bund, und zwarinsbesondere durch die Übernahme der Kosten der Un-terkunft und der Hilfe zum Lebensunterhalt.Bis zum Inkrafttreten des für 2018 vorgesehenenBundesteilhabegesetzes legen wir jährlich 1 MilliardeEuro obendrauf. Für das Jahr 2015 beträgt die hierdurchentstandene Entlastung 5,4 Milliarden Euro. 4,9 Milliar-den Euro sind dafür allein im Einzelplan 11 vorgesehen.500 Millionen Euro kommen über die Umsatzsteuerbe-teiligung der Kommunen noch hinzu.Mit diesen Überschüssen sind viele Kommunen wie-der in der Lage, langfristig zu planen und notwendige In-vestitionen zu tätigen. Das freut uns und zeigt deutlich,wie wichtig uns die Selbstorganisation und Selbstver-waltung der Bürger vor Ort ist und wie groß wir Subsi-diarität schreiben.
Ich persönlich verbinde diesen großen Erfolg für diekommunale Selbstverwaltung auch mit dem Namen un-seres langjährigen Kollegen Peter Götz, der wie kaumein anderer über Jahrzehnte hinweg mit Herzblut für aus-kömmliche Kommunalfinanzen gekämpft hat.
Mit dem Rentenpaket, also mit Mütterrente und Rentemit 63, ist die Große Koalition fulminant in diese Legis-laturperiode gestartet.
Beide Rentenleistungen erfreuen sich übrigens größterBeliebtheit. So steigen die beitragsfinanzierten Leistun-gen der Rentenversicherung im kommenden Jahr umetwa 10 Milliarden Euro an. Die Ausgaben im Bundes-haushalt 2015 für die Rentenversicherung, die Grund-sicherung im Alter und im Falle von Erwerbsminderungsteigen moderat von 88,4 auf 90,2 Milliarden Euro, alsoum knapp 2 Milliarden Euro. Die Absenkung des Ren-tenbeitrags um 0,2 Prozentpunkte auf 18,7 Prozent imkommenden Jahr entlastet den Bundeshaushalt um rund500 Millionen Euro. Die Rentenzuschüsse sind derzeitsolide finanziert. Der in 2018 auf rund 101 MilliardenEuro absehbar steigende Bundeszuschuss ist in den kom-menden Jahren finanzierbar.Bei aller Freude über die derzeitige Finanzierbarkeitvon Mütterrente und Rente mit 63 aus den Rücklagender gesetzlichen Rentenversicherung dürfen wir die Be-lastbarkeit der arbeitenden Generation und unserer Wirt-
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Axel E. Fischer
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schaft nicht überstrapazieren. Denn für alle sozialpoliti-schen Maßnahmen gilt, dass sie nur in der Höhefinanzierbar sind, wie die Leistungen vom aktiven Teilder Bevölkerung erbracht werden.In diesem Zusammenhang ein kleines Gedankenspiel:1970 lag die Lebenserwartung bei durchschnittlich gut70 Jahren. Heute liegt sie mit gut 80 Jahren mehr als10 Jahre höher. Das bedeutet, dass die Menschen heute10 Jahre länger leben als 1970. Für die meisten ist diesein Gewinn an Lebensqualität. 1970 lag das gesetzlicheRenteneintrittsalter bei 65 Jahren. Wenn Menschen heutemit 63 abschlagsfrei in Rente gehen, dann gewinnen siegegenüber früheren Rentnern bei kürzeren Lebensar-beitszeiten 12 Jahre Rentnerdasein dazu. Insofern ver-deutlicht die Einführung der abschlagsfreien Rente mit63 für langjährig Beschäftigte auch die soziale Kompo-nente der Rentenpolitik dieser Bundesregierung.Aber so respektabel es ist, wenn Menschen möglichstfrüh aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden wollen:Wir dürfen die Kehrseite nicht vergessen: steigende Ren-tenausgaben, sinkende Renteneinnahmen und vor allemein sinkendes Arbeitskräftepotenzial. Der demografischbedingte zunehmende Fachkräftemangel verschärft sichdamit weiter. Insofern darf es nicht verwundern, wennUnternehmen mittlerweile beginnen, gutes Personal zuhorten.Meine Damen und Herren, während SüdosteuropasJugend teilweise verzweifelt nach Ausbildungsplätzensucht, suchen Ausbildungsbetriebe bei uns händeringendgeeigneten Nachwuchs. Derzeit ringen Europas Arbeits-vermittlungen und Arbeitsverwaltungen um eine einheit-liche Strategie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosig-keit. Unter Leitung von BA-Chef Weise treffen sich dieVerantwortlichen Anfang Dezember in Rom, um Erfah-rungen auszutauschen und europaweit zu gemeinsamen,praktikablen Lösungen zu kommen; denn die Absen-kung der Jugendarbeitslosigkeit ist ein Anliegen von al-len. Ich denke, Herr Weise wird uns am 3. Dezember2014 im Haushaltsausschuss darüber berichten können.Wir jedenfalls wollen weiterhin – auch über 2015 hi-naus – jungen Menschen Perspektiven weisen und ihnendie Hand reichen für einen gelungenen Einstieg in ein er-fülltes Arbeitsleben. Denn auf ihrer Persönlichkeit undihrer Tatkraft fußt die Zukunft unserer Wirtschaft, unse-rer Sozialsysteme und unserer Gesellschaft in einem al-ternden Europa. Dabei bezieht sich „alternd“ nicht nurauf die Demografie, sondern beschreibt auch eine Geis-teshaltung; denn wir müssen, wie Papst Franziskus amDienstag vor dem Europarat in Straßburg sagte, in Eu-ropa jene geistige Jugend wiederfinden, die „es fruchtbarund bedeutend gemacht hat“.Abschließend bleibt mir nur noch, allen recht herzlichfür die gute Zusammenarbeit zu danken: für das Ministe-rium Frau Nahles, der Hauptberichterstatterin EkinDeligöz, Frau Lötzsch und Herrn Schurer sowie demKollegen Schiewerling und der ganzen Arbeitsgruppe.Ich glaube, wir haben einen Etat vorgelegt, dem manohne Probleme zustimmen kann.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner hat der Kollege Ewald Schurer
das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dort, wo derKollege aufgehört hat, möchte ich gleich weitermachen.Die Frau Ministerin ist sicherlich bei mir, wenn ich michpersönlich und auch im Namen der Haushälterinnen undHaushälter bei Herrn Bald bedanke, einem exzellentenFachmann im BMAS,
der über Jahre hinweg führend dazu beigetragen hat, die-ses Haus so gut aufzustellen.Der Dank an die Kolleginnen und Kollegen ist geradeausgesprochen worden. Diesen Dank möchte ich wieder-holen. Er geht auch an die Fachpolitikerinnen und Fach-politiker der Unionsfraktion – die Politiker der SPD-Fraktion sind sowieso spitze; das weiß jeder –, die mitgroßer Fachkenntnis diesen Haushalt mit entwickelt ha-ben.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn derKollege Markus Kurth eine der großen Katastrophen dermodernen Schifffahrt bemühen muss, um hier die Aus-wirkungen der Rentenpolitik darzustellen, ist das schonein trauriges Beispiel und macht die fachlichen Defiziteder Grünenfraktion in diesem Bereich klar.
Die Anleihen kommen ja immer von der Initiative NeueSoziale Marktwirtschaft. Diese Bausätze tragen Sie ja injeder Debatte vor. Zu mehr reicht es bei Ihnen nicht.
Ich muss Ihnen dazu sagen – auch wenn Sie sich hierbis aufs Äußerste echauffieren –: Was Sie beschriebenhaben, hat mit dem, was wir hier machen, nichts zu tun.Wir machen berechenbare, ordnungspolitisch saubereHaushaltspolitik im Bereich Rente und Arbeit und stem-men einen Haushalt über 125,5 Milliarden Euro. Das istganz großes Kino im Bereich des Haushaltswesens desBundes. Das ist der Anteil von 42 Prozent, die der Kol-lege vor mir bereits genannt hat. Das lässt sich mit solcheiner Schiffskatastrophe nicht vergleichen. Wir machenhier berechenbare Politik für die Menschen in Rente undArbeit.
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Ewald Schurer
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Ich muss auch noch etwas anderes sagen – HerrKurth, hören Sie doch einmal zu; die Nachhilfe ist beiIhnen gerade richtig –:
Die Finanzierung unseres Rentensystems hängt in derZukunft – das ist Volkswirtschaft; das ist auch für Sieganz wichtig –
vom Grad der Beschäftigung und vom Fortschritt derProduktivität unserer Volkswirtschaft ab.
Wenn wir das weiterhin so gut hinbekommen wieSchwarz-Rot zurzeit, haben wir allen Grund, sagen zukönnen: In den nächsten 10, 20 Jahren halten wir unsereSozialsysteme sauber und berechenbar. Dann müssenwir keinen billigen Vergleich ziehen; dann müssen wirkeinen Vergleich ziehen mit einer humanitären Katastro-phe, bei der Tausende von Menschen ihr Leben gelassenhaben. Das war ein ganz schwacher Einstieg. Da könnenSie noch so schreien; das macht es nicht besser.
– Jetzt hören Sie doch einmal zu.
– Sie haben doch schon reden dürfen. Beim nächstenMal dürfen Sie wieder reden.
– Herr Kurth, das war inhaltlich keine gute Leistung. Siemüssen nicht gleich total ausrasten, wenn Sie mit Faktenkonfrontiert werden. – Das ist kein gutes Benehmen,Frau Präsidentin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist eine leben-
dige Debatte. Das ist gut; deshalb habe ich bisher auch
nicht eingegriffen. Das werde ich auch nicht, solange es
eine sachliche Auseinandersetzung ist.
Zum Mindestlohn: Mich hat der letzte Bericht der so-genannten Sachverständigen ein bisschen verunsichert.Ich dachte, ich bin im falschen Film,
weil die Sachverständigen plötzlich versucht haben, mitesoterischen Mitteln – glauben, fühlen, tasten – die Wirt-schaftslage bei uns zu analysieren. Ich muss ehrlich sa-gen: Das fand ich gar nicht lustig, weil ich von den Wirt-schaftsweisen eine seriöse ökonomische Analyseerwarte. Ich erwarte Herleitungen, die wichtig sind, da-mit wir eine gute Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik ma-chen können.
Das, was von den Sachverständigen kam, folgte mir zusehr dem Prinzip Glauben. Ein Appendix lautete: Ja, esgibt Sozialreformen – Mindestlohn und Rentenpaket –,und die machen wir automatisch verantwortlich für dieleichten Konjunktureinbrüche im zweiten und drittenQuartal. – So ein Quatsch.
Ich will Sachverständige, die ich ernst nehmen kann,die nach ökonomischen und handwerklich sauberenPrinzipien etwas herleiten, mit dem wir in der Politik gutarbeiten können. Daher war ich ein Stück weit ent-täuscht. Hinter dieser Enttäuschung steckt die Vermu-tung, dass das nicht nur esoterische Versatzstücke waren,sondern dass dies die Denkweise der Wirtschaftsweisenwiderspiegelt, die noch zu sehr im Denkmuster der letz-ten 20 Jahre – neoliberale Wirtschaftsphilosophie – ver-harrt. Es gibt aber neue Philosophien. Auch der IWF sagtheute: Wir müssen bei uns die Nachfrage und die Sozial-systeme stärken, aber alles auf ökonomisch vernünftigeWeise, seriös finanziert. Ich glaube, hier besteht Nach-holbedarf, den wir in dieser Parlamentsdebatte gegen-über diesem doch sehr elitären Kreis, der für die deut-sche Volkswirtschaft und damit auch für die Politikbedeutend ist, anmahnen dürfen.
Ich will auf einen Bereich eingehen, den mein Kol-lege schon angesprochen hat. – Danke, Axel Fischer! –Für mich ist, bei den vielen Hundert Haushaltstiteln, diewir ansprechen könnten, ganz wichtig, dass wir demMindestlohn eine Mindestlohnkommission zur Seitestellen, dass wir eine Geschäftsstelle mit dazugehörigemPersonal stellen und Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler finanzieren.
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Ewald Schurer
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Diesbezüglich gilt mein ganz großer Dank den Freundenvon der Union. So sind wir in der Lage, in den nächstenein, zwei Jahren zu evaluieren: Welche Wirkungen wirdder Mindestlohn am Arbeitsmarkt entfalten? Wie wird ersich auf Steuern und Sozialsysteme auswirken? Und wiewird er sich auf die Tarifverhandlungen auswirken? Beiden Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen geht esum Sekundärwirkungen. Wird die Lohnuntergrenzekünftig nicht mehr unter 8,50 Euro liegen, sondern einStück oder deutlich darüber? Deswegen sind für michdie Mindestlohnkommission und die Geschäftsstelle vonsehr großer Bedeutung.
Herr Kollege Schurer, lassen Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Pothmer zu?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Schurer, Sie werden mir sicher zustim-
men, dass die Wirksamkeit des Mindestlohns entschei-
dend von der Frage abhängt, ob die Einhaltung des Min-
destlohns gut kontrolliert werden kann und gut
kontrolliert wird. Seit heute wissen wir – die Gewerk-
schaften haben dazu eine große Pressekonferenz durch-
geführt –, dass es eine neue Verordnung geben wird, der
auch die Arbeitsministerin Nahles zugestimmt hat. Diese
neue Verordnung wird dazu führen, so die Aussage der
großen Gewerkschaften, dass die Schlupflöcher deutlich
größer werden, weil die Kontrolle nicht in dem erforder-
lichen Umfang möglich sein wird. Können Sie mir ein-
mal erklären, welchen Sinn diese Verordnung hat?
Schließlich haben Sie gerade gesagt, dass der Mindest-
lohn und damit auch die Kontrolle der Einhaltung des
Mindestlohns eine große Bedeutung hat.
Es ist wahr, dass über diese Verordnung aktuell debat-tiert wird. Das ist einmal ein guter Beitrag vonseiten dergrünen Freunde.
Darüber, wie die Verordnung wirken wird, ist noch zudebattieren. Diese Diskussion wird mit den Gewerk-schaften zu führen sein.Tatsache ist, dass das Mindestlohngesetz schon imKoalitionsvertrag so angelegt ist, dass wir versuchen, dieUmsetzung und die Kontrolle auch durch neue Stellenbeim Zoll zu gewährleisten. Ich gebe Ihnen recht, dassdas nicht von heute auf morgen bzw. innerhalb eines Jah-res in vollem Umfang möglich ist. Wir müssen sukzes-sive eine Struktur schaffen, um die Umsetzung des Min-destlohns künftig zu gewährleisten; auch da gebe ichIhnen recht.
Ich vermute, hier besteht zwischen uns Konsens. Auchdas ist ja mal eine schöne Geschichte.
Frau Präsidentin, ich will zur Entlastung der Kommu-nen kommen. Ich denke, wenn wir über den Haushalt fürArbeit und Soziales diskutieren, müssen wir auch erwäh-nen – das ist wichtig –, dass es eine große, berechtigteErwartungshaltung der Kommunen gibt, im Sozialbe-reich entlastet zu werden. Für das Bundesteilhabegesetzreichen wir ab 2018 die vollen 5 Milliarden Euro aus, bisdahin jeweils 1 Milliarde Euro jährlich; auch das istschon ein kleines Stück Entlastung. Künftig findet eine100-prozentige Übernahme der Kosten für die Grund-sicherung bei Erwerbsminderung und im Alter statt. Da-durch kommt es bis 2018 zu einer Entlastung – auch dasollten meine grünen Freunde zuhören – in Höhe voninsgesamt 25 Milliarden Euro. Das ist eine gewaltigeEntlastung, die den Kommunen wirklich weiterhelfenwird.Auch im Zuge der Reform des Asylbewerberleis-tungsgesetzes werden erste Beträge fließen. Meine Frak-tion bzw. meine Partei hat unter anderem angeregt – wirwerden darüber noch diskutieren –, weitere Entlastungender Kommunen auf den Weg zu bringen. Das ist in fi-nanzieller Hinsicht nicht leicht. Aber wir wissen, dasswir auf dem Gebiet von Migration, Flucht und Asyl nochmehr leisten müssen, auch vonseiten des Bundes. Dasbetrifft aber nicht nur den Bereich Arbeit und Soziales,sondern von dieser Querschnittsaufgabe werden ver-schiedene Ministerien betroffen sein.
Ich hoffe, dass wir uns innerhalb der Koalition einigenwerden. Weitere Entlastungen der Kommunen werdensicherlich mit den im Hinblick auf den Städtebau geplan-ten Maßnahmen verbunden sein, Stichwort „SozialeStadt“. Hinzu kommen 6 Milliarden Euro für Kinder-krippen, Kitas, Schulen, Hochschulen und BAföG-Leis-tungen. All das spielt bei der Entlastung der Kommuneneine Rolle – nicht alles unmittelbar, aber teilweise mit-telbar.Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass wir un-sere Bemühungen zur Bekämpfung der Langzeitarbeits-losen durch entsprechende Modelle verstärken wollen.
Zu diesem Thema wird mein Kollege Ralf Kapschacksprechen; er wird die sozialdemokratische Programmatikinsgesamt darstellen. Ich wünsche mir, dass wir auchweiterhin sehr sachliche Dialoge führen, Herr Kurth, undüber die echten Probleme im Bereich Arbeit und Sozia-
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Ewald Schurer
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les in diesem Land sprechen, ohne Nebenkriegsschau-plätze zu eröffnen.Herzlichen Dank für das Zuhören.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Sabine
Zimmermann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Kollegin Nahles, Sie sagten vorhin,dass Sie stolz auf die Reformen der Agenda 2010 sindund dass Sie stolz darauf sind, mit 43 Millionen Er-werbstätigen so viel Beschäftigung wie noch nie erreichtzu haben. – Vielleicht, Frau Nahles, können Sie mir zu-hören; dann wissen Sie auch, wovon ich rede.Ich sage Ihnen einmal aus Sicht einer Gewerkschafte-rin, wie ich diese Reformen empfinde – Sie sind ja auchGewerkschafterin; aber ich bin vielleicht ein bisschennäher an der Basis als Sie –: Wir haben in den letztenJahren einen enormen Wandel auf dem Arbeitsmarkt er-lebt. Es gibt 1,2 Millionen Aufstocker, 800 000 Leihar-beiterinnen und Leiharbeiter, 2,5 Millionen Zweitjobber– Menschen, die von ihrem ersten Job allein nicht lebenkönnen und deshalb einen zweiten Job haben –, 5 Millio-nen Minijobberinnen und Minijobber
– hören Sie mir zu –, 889 000 minijobbende Rentner undRentnerinnen, 500 000 Rentnerinnen und Rentner, diedie Grundsicherung im Alter brauchen, und fast 2 Mil-lionen Kinder, die in Armut leben. Das ist das ErgebnisIhrer Reformen der Agenda 2010. Nehmen Sie das end-lich einmal zur Kenntnis, meine Damen und Herren!
Ich habe einen Kollegen in Zwickau. Er ist Leiharbei-ter und alleinerziehender Vater, ist in der Automobilin-dustrie bzw. in der Zuliefererindustrie im Dreischicht-system tätig und hat nebenbei zwei Minijobs, damit erseine Tochter ernähren und überhaupt über die Rundenkommen kann. Wenn ich zu ihm sage: „Die Bundesre-gierung sagt doch, es gibt 43 Millionen Jobs“, antworteter mir: Ja, ich allein habe drei davon. – Es kann dochnicht sein, dass er sich nicht einmal um seine Tochterkümmern kann, weil er rund um die Uhr arbeitet!
Zum Thema Langzeiterwerbslosigkeit ist zu sa-gen: Jeder dritte Erwerbslose ist mehr als ein Jahrlang arbeitslos. 1 Million Langzeitarbeitslose haben inDeutschland schon lange keine Aussicht mehr auf einenJob.
Von guter Arbeit wollen wir hier gar nicht reden. Undwas tun Sie? Sie wollen für eine bessere Arbeitsmarkt-politik keinen zusätzlichen Cent in die Hand nehmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, als Sienoch in der Opposition waren, haben Sie den arbeits-marktpolitischen Kahlschlag der Vorgängerregierungvon Union und FDP sehr heftig kritisiert. Heute sitzenSie auf der Regierungsbank und heben für alles denArm. Ich verstehe das nicht. Wo bleiben hier Ihre sozial-demokratischen Wurzeln?
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen:2010 betrug der Etat für aktive Arbeitsmarktpolitik imBereich Hartz IV noch 6,6 Milliarden Euro. Nun soll erbei 3,9 Milliarden Euro liegen. Das ist ein Minus von40 Prozent bei einem Rückgang der Langzeiterwerbslo-sigkeit um 7 Prozent. Das passt doch nicht zusammen.Das ist die pure Ignoranz dieser Regierung. Da sagenwir: Das ist auch unsozial.
Ich will Ihnen einmal vorlesen – Sie werden sicher-lich auch viele Briefe bekommen –, wie es den langzeit-erwerbslosen Menschen in unserem Land geht – ichzitiere eine Frau aus Berlin –: Ich sehe keine Zukunfts-perspektive mehr für mich, und ich kann so nicht leben,wie es jetzt für mich vorgesehen ist. Ich gleite mehr undmehr in eine Depression, bin weit entfernt von demMenschen, der ich einmal war. Ich bin seelisch nichtmehr gesund. Es ist ein Zustand, den man schwer be-schreiben kann.Eine Frau aus dem Vogtland schrieb: Für morgenhabe ich eine Einladung ins Jobcenter zu meiner Arbeits-vermittlerin. Der Termin ist wichtig. Wenn ich nicht hin-gehe, gibt’s Sanktionen. Alles wird ablaufen wie immer:die Abfrage, wo ich mich wann beworben habe, sie wirdmit mir gemeinsam in der Jobbörse suchen, dann darfich wieder gehen. Ich fühle mich alleingelassen, obwohlich viele kenne, denen es so geht wie mir. Das sind ehe-malige Arbeitskollegen, aber auch meine drei Studenten-freundinnen von früher. Alle wollen arbeiten.Meine Damen und Herren, und was tun Sie? Sie fei-ern hier zwei Schmalspurprogramme, die Sie jetzt für43 000 Menschen installieren wollen. „Hoffnungslos un-terfinanziert“, hat der Paritätische Wohlfahrtsverbanddazu gesagt. Mehr gibt es dazu auch wirklich nicht zusagen.Ihr Haushalt ist ein Nein zu mehr guten Weiterbil-dungsmaßnahmen, ein Nein zu guter öffentlich geförder-ter Beschäftigung und ein Nein zu besserer Vermittlungvon Langzeiterwerbslosen in den Jobcentern.
Sie halten auch daran fest, dass Langzeiterwerbslosein den ersten sechs Monaten einer Neubeschäftigungvom Mindestlohn auszunehmen sind. Ich frage Sie: Sind
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6673
Sabine Zimmermann
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das Menschen zweiter Klasse? Hören Sie endlich auf,die Langzeiterwerbslosen zu diskriminieren!
Wir Linke fordern, den Etat für die Arbeitsmarktpolitikan die tatsächliche Arbeitslosigkeit anzupassen.Auch die Armut wollen Sie nicht bekämpfen.Hartz IV hat Millionen von Menschen in die Armut ge-trieben. Darunter sind 1,6 Millionen Kinder in den Be-darfsgemeinschaften, und Sie tun nichts, um diese skan-dalösen Auswüchse der Agenda 2010 zu überwinden.Nicht einmal den Regelsatz wollen Sie erhöhen, obwohlIhnen das Bundesverfassungsgericht dies vor kurzemerst anders gesagt hat.Wir unterstützen das breite Bündnis von Erwerbslo-seninitiativen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbän-den, das eine Neuberechnung des Regelsatzes fordert.Gemeinsam wollen wir ein menschenwürdiges Existenz-minimum für alle.
Sagen Sie jetzt nicht, meine Damen und Herren derGroßen Koalition, dafür sei kein Geld da. Die SchweizerBank UBS hat gerade den Reichtumsbericht vorgelegt.Danach leben in Deutschland nach den USA die zweit-meisten Multimillionäre. 19 000 Superreiche gibt es beiuns, die jeweils mindestens 23 Millionen Euro besitzen.Das ist insgesamt das Vierfache unseres Haushaltes imBund. Mit Ihrer Steuerpolitik schonen Sie diese Herr-schaften aber, und Sie sehen zu, wie die Schere zwischenArm und Reich immer weiter auseinandergeht. Sie spal-ten das Land, und das ist unverantwortlich.
Ich komme zum Schluss, obwohl ich noch sehr vielsagen könnte, zum Beispiel zum Mindestlohn, der jetzteingeführt wird. Sie nennen ihn Mindestlohn; wir sagenFlickenteppich dazu. Kontrollieren können Sie ihn nicht,weil Sie das dafür nötige Geld gar nicht einstellen.Abschließend möchte ich noch unsere MinisterinNahles aus dem Jahr 2010 zitieren. Da war sie nochnicht Arbeitsministerin. Sie sagten damals zum Haushaltder schwarz-gelben Regierung: Die Maßnahmen sind„extrem feige, weil die Verursacher der Krise geschontund Bedürftige rasiert werden“. Leider ist der heute vor-liegende Haushalt keinen Deut besser. Die Linke wirdihn ablehnen, weil er unsozial ist.Danke schön.
Als nächster Redner spricht Karl Schiewerling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen des Haus-
halts der Bundesarbeitsministerin finden in – europäisch
und weltweit – wirtschaftlich spannenden Zeiten statt,
übrigens mit einem hohen Potenzial an volkswirtschaft-
lichen Fehlprognosen. Eine dieser Fehlprognosen ist,
dass sich auf dem Arbeitsmarkt schon seit langem eine
negative Entwicklung hätte bemerkbar machen müssen.
Fast hysterisch haben manche ständig auf die Arbeitslo-
senzahlen geschaut, um zu sehen, wann sie denn endlich
steigen. Tatsächlich sinken sie. Tatsächlich haben wir ei-
nen Aufwuchs an Beschäftigung: 500 000 zusätzliche
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Liebe Frau Zimmermann, wenn diese Beschäfti-
gungsverhältnisse alle so katastrophal wären, wie Sie sie
beschreiben, dann hätten wir nicht diesen Aufwuchs im
Bereich der Sozialversicherung. Glauben Sie denn, Mi-
nijobs machen Mehreinnahmen von 33 Milliarden Euro
in der Sozialversicherung aus?
Ihre regelmäßig wiederkehrende Darstellung der angeb-
lich katastrophalen Situation in Deutschland ist durch
nichts, aber auch gar nichts gedeckt. Auch uns machen
die Langzeitarbeitslosen – dazu sage ich gleich etwas –
große Sorgen; überhaupt keine Frage. Aber hier ständig
den Eindruck zu erwecken, als herrschte in Deutschland
das nackte Elend, widerspricht völlig dem Gefühl der
Menschen und widerspricht auch völlig der Realität.
Herr Schiewerling, lassen Sie eine Zwischenfrage von
Frau Zimmermann zu?
Ja, einmal.
Vielen Dank, lieber Kollege Schiewerling. – Nehmen
Sie zur Kenntnis, dass die Zahlen, die ich gebracht habe,
keine Zahlen der Linken oder von mir sind, sondern
Zahlen des Statistischen Bundesamtes? Nehmen Sie
auch zur Kenntnis, dass ich nicht gesagt habe, dass die
Lage katastrophal ist, sondern dass ich nur beschrieben
habe, wie viele Millionen Menschen im Niedriglohnbe-
reich arbeiten, wie viele Millionen Menschen auf Grund-
sicherung angewiesen sind und wie viele Millionen
Menschen bei uns in Deutschland in Armut leben?
Erstens. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Zahlenvom Statistischen Bundesamt sind. Zweitens. Ich nehmeallerdings auch zur Kenntnis, dass Sie diese Zahlen desStatistischen Bundesamtes permanent so drehen undwenden, dass der Eindruck einer flächendeckenden Ka-tastrophe entsteht. Daran können Sie nichts ändern, auch
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6674 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Karl Schiewerling
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nicht durch die Art, wie Sie gerade Ihre Frage gestellthaben.
Meine Damen und Herren, die Entwicklungen aufdem Arbeitsmarkt sind positiv. Vor zehn Jahren warDeutschland der kranke Mann in Europa; die Frau Bun-desarbeitsministerin hat in ihrer Rede vorhin darauf hin-gewiesen. Heute sind wir die Lokomotive. Daran habenviele ihren Anteil, auch die Agenda 2010. Ohne die Fle-xibilisierung hätten wir das nicht geschafft. DieseAgenda wurde unter Gerhard Schröder auf den Weg ge-bracht, und ohne die umsichtige Finanz-, Wirtschafts-und Sozialpolitik unserer Bundeskanzlerin AngelaMerkel würden wir nicht da stehen, wo wir heute stehen.
Sie von den Linken können es drehen und wenden,wie Sie wollen, und das SGB II so oft angreifen, wie Siewollen.
Ich sage Ihnen: Das SGB II ist geschaffen worden, umvor absoluter Armut zu bewahren. Das SGB II ist ge-schaffen worden, um eine Grundsicherung zu schaffen,damit die Menschen nicht ins Bodenlose fallen. DasSGB II hat auch dazu geführt, dass wir im Bereich derArbeitsmarktpolitik neue Wege gehen konnten, die vor-her nicht möglich waren.
Ich glaube, dass Ihre Analyse falsch ist. Allerdings– das ist richtig – haben wir schon in der letzten, christ-lich-liberalen, Koalition und in nahtloser Fortsetzung inder jetzigen Koalition dem Missbrauch auf dem Arbeits-markt, wo einige glaubten, sie könnten durch die Libera-lisierung des Arbeitsmarktes mit allem und jedem inWildwestmanier umgehen und Arbeitsverhältnisse nachBelieben gestalten, einen Riegel vorgeschoben. Deswe-gen haben wir so viele Branchen ins Entsendegesetz auf-genommen. Das fing in der christlich-liberalen Koalitionan. Es sei übrigens in Demut erwähnt: Alle Branchen bisauf eine einzige Ausnahme wurden unter CDU-Kanzlernin das Entsendegesetz aufgenommen.
Deswegen ist es richtig, dass wir sagen: Wir wollenkeine Dumpinglöhne, und wir wollen diese Verwerfun-gen am Arbeitsmarkt nicht.
Dazu gehört auch, dass wir Mitte dieses Jahres dasTarifvertragsgesetz geändert haben und dass wir dasMindestlohngesetz gemacht haben. Das war ein wichti-ger und richtiger Schritt, den wir hier gegangen sind.Wir haben einmalig einen Mindestlohn von 8,50 Eurogesetzlich beschlossen. Danach wird die Mindestlohn-kommission über die Höhe des Mindestlohns entschei-den. Sie hat den Auftrag, die Gesamtentwicklung zubeobachten und zu bewerten und entsprechende Vor-schläge für die Zukunft zu machen. Deswegen bin ichden Haushältern und dem Haushaltausschuss dankbar,dass sie dazu beigetragen haben, dass die Mindestlohn-kommission kein Gremium von Frühstücksdirektorenwird, sondern so ausgestattet ist, dass sie tatsächlich ih-ren Auftrag erfüllen kann. Denn die zukünftige Entwick-lung des Mindestlohns gehört dahin, wo wir sie vorgese-hen haben, nämlich in die Hand der Tarifpartner.
Ein Thema, das hier des Öfteren angesprochen wurde,ist die Kontrolle der Schwarzarbeit. Es ist zwar richtig,dass es 600 nichtbesetzte Stellen gibt. Das liegt abernicht daran, dass diese Stellen nicht besetzt werden sol-len, sondern daran, dass zukünftige Zollbeamte nicht wieBirnen am Baum wachsen. Sie müssen zunächst einmalausgebildet und qualifiziert werden. Sie müssen am Ar-beitsmarkt gewonnen und dann auch eingestellt werden.Mit diesem Haushalt haben wir die Voraussetzungen ge-schaffen, dass wir sie einstellen können.Das zeigt, dass diese Bundesregierung keineswegsMindestlöhne unterlaufen will, wie es heute dargestelltwurde. Sie will sie auch vernünftig kontrollieren. Aller-dings können wir nicht für jeden Betrieb zwei Mitarbei-ter vom Zoll abstellen, um zu gewährleisten, dass nie-mand eine falsche Zahl in den Ordner schreibt. Dannhätten wir uns manches andere in der GeschichteDeutschlands sparen können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allenguten Entwicklungen machen aber auch wir uns großeSorgen um die Situation der Langzeitarbeitslosen. Inso-fern treffen wir uns mit den Kolleginnen und Kollegender SPD, mit denen wir gemeinsam mit der Bundesar-beitsministerin an dieser Aufgabe arbeiten. Ich versteheauch die Sorgen, die die Fraktionen der Grünen und derLinken vorbringen. Auch uns ist es nicht egal, wie es mitder verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit weitergeht.Auch uns treibt um, dass Menschen es so schwer haben,den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden.Deswegen ist es gut, dass wir die arbeitsmarktpoliti-schen Instrumente, mit denen wir helfen können, immerwieder neu überprüfen und überarbeiten. Dazu gehörtauch, dass wir Brücken bauen und einen Hilfeweg ein-schlagen müssen, der für einen längeren Zeitraum als aufein halbes Jahr Hilfe angelegt ist. Die Förderung mussüber viele Jahre gehen, um Menschen, die sich beson-ders schwertun, treppenartig, sukzessive an den erstenArbeitsmarkt heranzuführen.
Lassen Sie mich einen Punkt aufgreifen, den FrauBundesarbeitsministerin vorhin mit Blick auf die Behin-derten angesprochen hat. Ich möchte das auch auf dieLangzeitarbeitslosen beziehen. Ich glaube, es ist an derZeit, dass wir in den Jobcentern, in den Unternehmenund in unserer Gesellschaft den Blick nicht länger daraufrichten, was Menschen alles nicht können, sondern da-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6675
Karl Schiewerling
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rauf, was sie alles können. Wir müssen bei ihren Stärkenund Begabungen ansetzen, um sie weiterzuentwickeln.Denn ich glaube, dass manches, was sich als Defizit dar-stellt, abgearbeitet, beseitigt und zu etwas Positivem ent-wickelt werden kann.
Was uns und mich besonders umtreibt, ist die Lebens-situation der Langzeitarbeitslosen, aber vor allen Dingenauch der jungen Menschen, die aus Haushalten kommen,deren Eltern und Großeltern schon lange von Sozialhilfeleben. Wir machen die Erfahrung, dass diese jungenMenschen von niemandem erreicht werden. Sie werdennicht von den Jobcentern erreicht. Sie tauchen in derSchule ab. Sie sind nicht durch sozialstaatliche Institu-tionen zu erreichen. Sie sind aber da, und sie werden,wenn wir ihnen nicht konsequent helfen, denselben Wegnehmen wie ihre Eltern.
Wir müssen dagegen angehen. Sie leben in Lebenszu-sammenhängen, in denen sie das, was sie erleben, für dieganze Wirklichkeit halten.Aber, meine Damen und Herren, diese jungen Men-schen haben genauso Begabungen und Fähigkeiten wiedie Kinder aus anderen Haushalten. Sie haben genau wiediese Fähigkeiten, die entwickelt werden müssen. Dennwir können auf keinen verzichten.
Wir brauchen sie.Es gibt genügend Initiativen, die mit großem Erfolgdaran arbeiten. Ich kenne eine Initiative, die es geschaffthat, junge Menschen, auf die keiner einen Pfifferling ge-geben hätte, nach zwanzig Jahren konsequenter Arbeitzur Fachhochschulreife zu bringen. Wissen Sie, diesenBlickwinkel zu schärfen und hier die Angebote zu entwi-ckeln, das halten wir für einen wichtigen Teil. Deswegenbin ich den Haushältern, insbesondere unseren beidenBerichterstattern Axel Fischer und Ewald Schurer, mittatkräftiger Unterstützung vieler in manchen Einrichtun-gen unserer Bundesregierung, dankbar, dass es gelungenist, in diesem Bundeshaushalt die Möglichkeit für Mo-dellprojekte für diese jungen Menschen zu eröffnen. Ichhoffe sehr, dass wir im kommenden Jahr damit anfangenkönnen. Das ist der Weg, den wir dringend benötigen,um gerade dort, wo niemand mehr herankommt und woniemand mehr erreicht wird, diesen jungen Menschen zuhelfen.
Im Mittelpunkt steht dabei, meine Damen und Her-ren, das, was uns als Union in der Arbeitsmarktpolitikumtreibt: Es darf keiner verloren gehen. – Das ist nichtnur eine Frage des Geldes,
das ist auch eine Frage des Klimas, das wir miteinanderschaffen. Ich kann nur sagen: Ich glaube, dass wir damiteinander auf einem Weg sind oder uns auf diesen be-geben, der deswegen erfolgreich sein kann – und ichhoffe, auch erfolgreich ist –, weil wir zwei Rahmenbe-dingungen haben, die uns diesen Weg erleichtern: aufder einen Seite eine gute Wirtschafts- und Beschäfti-gungslage, auf der anderen Seite die Nachfrage nachFachkräften. Ich kann die deutsche Wirtschaft und alleanderen nur auffordern, den Blick bitte mit uns gemein-sam auf dieses Potenzial von jungen Menschen, auf dasPotenzial derjenigen zu richten, die keine Berufsausbil-dung haben, obwohl sie 25 Jahre und älter sind, und mituns gemeinsam diesen jungen Menschen eine neue be-rufliche Perspektive zu öffnen. Wir kommen in dieserFrage nicht weiter mit Ideologie, sondern nur, indem wirjeden Einzelnen in den Blick nehmen und jedem Einzel-nen eine Chance geben. Ich sage Ihnen: Das ist ein wich-tiges Anliegen der Union, und dafür werden wir uns ge-meinsam mit unserem Koalitionspartner und mit derBundesarbeitsministerin einsetzen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letz-ten Satz sagen, zum Bereich der Rentenpolitik. – HerrKollege Kurth, das reizt mich doch;
das ist Ihnen in herausragender Weise gelungen. – Nein,diese Rentenpolitik ist nicht verantwortungslos, sondernwir würdigen durch einen weiteren Rentenpunkt die Er-ziehungsleistung von Menschen – Frauen in erster Li-nie –, die dafür gesorgt haben, alles darangesetzt haben,dass die Kinder geboren und erzogen wurden, die heutedafür sorgen, dass es diese Wirtschaft überhaupt so gibt,wie es sie gibt.
Dieser Rentenpunkt, meine Damen und Herren, ist nichtallein beitragsfinanziert, dieser Punkt ist auch steuer-finanziert; da sind erhebliche Steuern eingeflossen.
Wir haben nämlich in diesem Zusammenhang beschlos-sen, dass wir ab 2017/2018 eigens dafür 2 MilliardenEuro zusätzlich in die Rentenkasse fließen lassen wer-den, weil das notwendig ist, um damit eine Gesamtfinan-zierung auf Dauer gesehen verantwortungsvoll sicherzu-stellen.Meine Damen und Herren, mit uns wird es keine ver-antwortungslose Rentenpolitik geben. Wir haben denBlick auf die junge Generation gerichtet. Wir werdenauch weiter daran arbeiten, dass die Übergänge in dieRente gut gestaltet werden. Wir werden mithelfen, dassMenschen so lang wie möglich erwerbstätig sein kön-nen, weil wir auf keinen verzichten können bei der Auf-gabe, dieses Land gemeinsam zukunftsfähig zu machen.Dafür steht dieser Haushalt, dafür steht diese Regierung,und dafür werden wir uns einsetzen.Herzlichen Dank.
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6676 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
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Vielen Dank. – Jetzt hat das Wort Ekin Deligöz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Schiewerling, was Sie über die Chancenvon Kindern gesagt haben – dass wir kein Kind fallenlassen dürfen –, hat mir, ehrlich gesagt, gut gefallen. Icherkenne an: Für Sie ist das wirklich ein Fortschritt. – Füruns ist das seit zwanzig Jahren Programm.
Die Frage ist allerdings, ob Sie das, was Sie hier gesagthaben, auch wirklich verinnerlicht haben, ob das mehrist als warme Worte, ob Sie das in Ihrer Politik umset-zen.
Da, muss ich gestehen, fehlt mir noch ein bisschen wasin Ihrer Politik.Natürlich schließe ich mich aber zunächst hier alsHauptberichterstatterin dem Dank an die Kollegen Be-richterstatter, an das Haus, an Ihre Mitarbeiter, FrauNahles, an. Die Beratungen liefen extrem gut und auchin einer guten Atmosphäre. Wir haben viele Stunden ge-tagt. Nicht umsonst reden wir hier über den größten Ein-zelhaushalt. Das heißt aber nicht, liebe Kolleginnen undKollegen, dass wir in allem einer Meinung waren. Dasdarf nicht missverstanden werden.Eines müssen wir aber alle gemeinsam wahrnehmen:Die Belastungen in diesem Einzelplan werden in denkommenden Jahren beträchtlich sein. Wir mussten nochwährend der Haushaltsplanungen 1,2 Milliarden Eurofür ALG II und KdU draufpacken, weil die Titel schlichtund einfach zu niedrig berechnet waren. Ähnliches giltauch für die Rente. Da hat mein Kollege Kurth schlichtund einfach recht.
Sie reden davon, was 2018 kommt. Aber er spricht aus,was wir alle wissen und worin wir ihn bestätigen müs-sen: Die Kosten werden laut den Prognosen noch stei-gen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Sie werden mitWucht an uns herangetragen. Das wird unseren Hand-lungsspielraum in der Sozialpolitik extrem schmälern.Das ist übrigens der Grund, warum wir von den Grünender Meinung sind, dass wir hier keinen Cent zu ver-schwenden haben und uns auf die wichtigen sozialpoliti-schen Aufgaben konzentrieren müssen.
Eine der wichtigsten Aufgaben in diesem reichenLand ist nun einmal die Bekämpfung der Armut. Wennes um Armut im Alter geht, warten wir noch immer aufAntworten von Ihnen. Der Regelsatz bleibt unangemes-sen niedrig. Zu den Regelungen betreffend die Erwerbs-minderungsrente und die Grundsicherung im Alter hörenwir von Ihnen nichts. Die Lebensleistungsrente ist ver-schollen. Selbst von dem Schulsozialarbeitsprogrammzur Chancengerechtigkeit von Kindern, das einmal inunserem Haushalt war, ist nichts mehr zu sehen und zuhören. Herr Schiewerling, deshalb habe ich vorhin ge-sagt, dass Sie nicht nur reden sollen, sondern auch han-deln müssen. Das muss seinen Niederschlag auch imHaushaltsplan finden; es reicht nicht, es in der Haus-haltsrede zu erwähnen.
Kommen wir zur Langzeitarbeitslosigkeit. Ja, das istein brennender Punkt, den wir stärker in den Fokus neh-men müssen; das ist richtig. Aber was Sie vorgelegt ha-ben, Frau Nahles, ist nichts anderes als Kosmetik. Siemachen uns etwas vor. Faktisch richten Sie bestehendeMittel einfach nur neu aus. Programme lösen Pro-gramme ab. De facto kommen keine neuen Mittel dazu.Wir bleiben bei dem, was sowieso schon vorhanden ist,benennen es nur anders; so bleibt die Wirkung begrenzt:Sie wollen 43 000 Menschen erreichen, und das bei1 Million Langzeitarbeitslosen, von denen wiederumrund 200 000 bis 300 000 gravierende Zugangshemm-nisse zum regulären Arbeitsmarkt haben. Sie visierengerade einmal einen Bruchteil des tatsächlichen Prob-lems an. Hier sollten Sie aber etwas ambitionierter her-angehen. Hier geht es darum, etwas zu bewegen, wasdieses Land dringend braucht.
Sie müssen hier zugeben, dass Sie den Aktiv-Passiv-Transfer nicht wollen.
Ich weiß, dass die Kollegen von CDU/CSU und SPDhier durchaus Sympathien zeigen.
Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und baldauch Hessen marschieren voraus und sagen: Das ist et-was, was wir wirklich angehen müssen. – Aber Sie sindnicht willens. Lassen Sie uns doch wenigstens auf Bun-desebene ein Pilotprojekt starten, um zu schauen, ob esfunktioniert oder nicht. Seien Sie mutig! Das, was dieBundesländer an guten Erfahrungen machen, können wirübernehmen, und darauf können wir uns auch verlassen.Wenn wir positive Veränderungen nicht nur für einigewenige, sondern für viele erreichen wollen, müssen wiran dieser Stelle mutiger voranschreiten.
Wenig Klarheit herrscht übrigens auch bei den Ein-gliederungsmitteln und den Verwaltungskosten. Hierverhält es sich ein wenig so wie in dem Film Und täglichgrüßt das Murmeltier. Da wird schon wieder – wie in allden Vorjahren – Geld in Richtung Verwaltung umge-schichtet. Das übt Druck auf die Eingliederungstitelaus. Wir brauchen hier im Sinne von Haushaltsklarheitund -wahrheit eine bessere Struktur, um das besser nach-vollziehen zu können.Noch ein Thema, das noch nicht zur Sprache kam:Flüchtlinge. Die Arbeitsagenturen sind noch nicht darauf
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6677
Ekin Deligöz
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vorbereitet, was da auf uns zukommt. Dabei hätten wirjetzt die Chance, vorbereitet diese Thematik anzugehen,statt der Entwicklung hinterherzurennen. Wir von denGrünen haben dazu einen Antrag vorgelegt, in dem wirganz viele Beispiele aufgezeigt haben, wie das in diesemBereich durchdekliniert werden kann. Darauf könnenSie sich gerne berufen, wenn es darum geht, in diesemBereich aktiv zu sein.
Ja, es ist gut, dass es die Mindestlohnkommissionsamt Geschäftsstelle gibt. Es ist schade, dass es dafürkeine neuen Mittel gab. So mussten wir die Finanzierungdurch wenig überzeugende Umschichtungen ermögli-chen, damit diese eingerichtet werden konnte. Ich wün-sche Frau Rothe von der Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin gutes Gelingen dabei; denn von derArbeit und von den Ergebnissen wird viel Kulturwandelin diesem Land abhängen.Zum Schluss erlauben Sie mir, Frau Präsidentin, nocheinen Appell, den man leider schon wieder anbringenmuss. Es geht um den Fonds zur Aufarbeitung der Heim-erziehung in Behindertenhilfe und Kinderpsychiatrien.Ich glaube, ich spreche im Namen aller Berichterstatterdes Einzelplans 11, wenn ich die Länder eindringlichauffordere, in diesem Bereich aktiver ihren Beitrag zuleisten.
Bei vielen Titeln können wir verstehen, dass die Länderandere Interessen haben; hier fehlt mir jegliches Ver-ständnis. Wir sind gemeinsam verantwortlich. Deshalbmuss jedes Land, jeder für sich einen Beitrag dazu leis-ten. Das sind wir den Opfern schuldig. Da gibt es keineEntschuldigung.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Ralf
Kapschack das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer! In Deutschland haben so viele Men-
schen einen Job wie nie zuvor. Das stimmt. Es stimmt
natürlich auch, dass die pure Zahl noch nicht so ganz
viel über die Qualität dieser Arbeitsplätze aussagt.
– Ja, zugegeben. – Aber man muss trotzdem zur Kennt-
nis nehmen, dass nicht nur Teilzeit- und befristete Ar-
beitsverhältnisse geschaffen worden sind, sondern auch
jede Menge sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs.
Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
Wir werden mit dem gesetzlichen Mindestlohn dafür
sorgen, dass deutlich mehr Menschen von ihrer Arbeit
auch leben können.
Wir werden durch neue Regeln die Ordnung auf dem Ar-
beitsmarkt verbessern.
Ich bin gestern Abend mit der U-Bahn zu meiner
Wohnung gefahren.
– Lassen Sie mich den Gedanken eben zu Ende führen. –
Im U-Bahnhof war ein Werbebanner, auf dem mich ein
junger Mann anschaute. Auf seiner Brust war eine Auf-
schrift mit dem Text: „Habt ihr uns vergessen?“ Es ging
um neue Perspektiven für Langzeitarbeitslose.
– Ja. Ich habe mit der Initiative Neue Soziale Marktwirt-
schaft relativ wenig am Hut, aber die Frage, die da ge-
stellt wird, muss man doch beantworten können. – Die
Frage kann ich gut beantworten: Nein, wir haben nie-
manden vergessen, erst recht nicht die Langzeitarbeitslo-
sen.
Ich finde, dieser Haushalt – auch wenn Sie anderer
Meinung sind – ist ein Beleg dafür; denn mit den Pro-
grammen, die die Ministerin ausführlich erläutert hat,
wird klar: Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit
ist für diese Regierung und insbesondere für die Sozial-
demokraten ein ganz besonderes Thema, ein zentrales
Anliegen.
Die beiden Programme „Chancen eröffnen – soziale
Teilhabe sichern. Konzept zum Abbau der Langzeitar-
beitslosigkeit“ und „Perspektiven in Betrieben“ sind
Schritte in die richtige Richtung. Intensive Betreuung ist
das A und O bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslo-
sen.
– Ich habe Sie nicht vergessen.
Herr Kollege Kapschack, gestatten Sie denn die Zwi-
schenfrage?
Ja, gut.
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6678 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
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Bitte schön.
Herr Kapschack, es tut mir leid, aber die Präsidentin
hat immer nur nach rechts geschaut, nicht nach links.
Ich habe hier eine Statistik, die zu dem Thema passt,
nachdem wir schon den ganzen Tag darüber geredet ha-
ben, wie toll es ist, dass so viele Beschäftigungsverhält-
nisse geschaffen wurden. Nach dieser Statistik wurden in
den letzten zehn Jahren 1 Million neue Beschäftigungs-
verhältnisse geschaffen, aber leider ist es nicht so, dass
man sagen könnte, dass alle etwas davon gehabt haben.
Wie gesagt: 1 Million mehr insgesamt. Aber die Zahl der
normal Beschäftigten ist in dem gleichen Zeitraum um
2,4 Millionen gesunken. Das heißt, es wurden zwar
1 Million Beschäftigungsverhältnisse mehr geschaffen,
aber die Normalarbeitsverhältnisse verzeichnen ein Mi-
nus von 2,4 Millionen. Bei den atypisch Beschäftigten
gibt es ein Plus von 3,3 Millionen, bei den befristet Be-
schäftigten ein Plus von 600 000, bei den Teilzeitbe-
schäftigten ein Plus von 2,4 Millionen, bei den geringfü-
gig Beschäftigten ein Plus von 1,8 Millionen, bei den
Leiharbeitnehmern gibt es ein Plus von 700 000. Ist Ih-
nen das bekannt, und was sagen Sie dazu?
Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. – Bitte schön,
Herr Kapschack.
Natürlich ist mir das bekannt. Das ändert aber nichts
an meiner Einschätzung, dass die Zahl sozialversiche-
rungspflichtiger Vollzeitarbeitsplätze zugenommen hat.
Nichts anderes habe ich gesagt.
Ich möchte auf das Thema Langzeitarbeitslosigkeit
zurückkommen. Eine intensive Betreuung – ich habe es
angesprochen – ist das A und O, wenn man Langzeitar-
beitslose wieder in Beschäftigung bringen will. Gerade
in dieser Woche ist das sehr anschaulich und sehr positiv
in der Wirtschaftswoche beschrieben worden; dabei ist
die Wirtschaftswoche alles andere als ein Zentralorgan
der deutschen Sozialdemokratie.
Die Opposition sagt, das sei nicht genug. Da sind wir
gar nicht so weit auseinander. Ich komme aus dem Ruhr-
gebiet – das wissen manche –, und da fallen – das wissen
manche immer noch nicht – keine Briketts vom Himmel.
Das Ruhrgebiet ist auch nicht das Armenhaus der Na-
tion. Das wird deutlich, wenn man sich die Wirtschafts-
leistung pro Kopf anschaut. Richtig ist aber, dass es er-
hebliche Probleme am Arbeitsmarkt gibt. Diese
Probleme haben mit dem Strukturwandel zu tun. Wenn
man sich die Arbeitslosenquote unter dem Blickwinkel
des SGB II anschaut, dann stellt man fest, dass von den
15 Städten mit der höchsten Arbeitslosenquote ungefähr
fünf bis sechs Städte, also etwa ein Drittel, im Ruhrge-
biet liegen. Diese Probleme gibt es aber nicht nur im
Ruhrgebiet, sondern auch in anderen Teilen der Repu-
blik. Diese Probleme gibt es in Bremerhaven genauso
wie in Pirmasens und in Frankfurt an der Oder.
Ich werbe hier – das Thema ist schon ein paarmal an-
gesprochen worden – für einen neuen Weg, der zusätzli-
che Möglichkeiten eröffnen wird. Lassen Sie uns da, wo
wir Verantwortung tragen, parteiübergreifend dafür sor-
gen, dass stärker Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert
wird.
Auf Fachebene wird das als Passiv-Aktiv-Tausch disku-
tiert. Gelder, die bislang für passive Leistungen, also für
Hartz IV oder Kosten der Unterkunft, ausgegeben wer-
den, sollen für die Schaffung von Beschäftigung in den
Bereichen verwendet werden, in denen das sinnvoll und
notwendig ist. Dafür werbe ich vor allem bei den Kolle-
ginnen und Kollegen der CDU/CSU, weil ja bekannt ist,
dass der Bundesfinanzminister diesen Ansatz noch nicht
so richtig überzeugend findet. Deshalb, und nur deshalb
können wir diese Idee zurzeit bundesweit noch nicht um-
setzen.
Das ist eine Idee von Kommunen, Sozialverbänden
und anderen, die in den vergangenen Jahren immer wie-
der auf den Tisch gelegt worden ist, zuletzt von meinen
ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen. Es geht um ei-
nen völlig anderen Ansatz als bisher. Es geht darum, Ar-
beit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren – darum geht
es –, und darum, die begrenzten Mittel besser einzuset-
zen: im Interesse der Menschen, im Interesse der Sozial-
kassen und auch im Interesse der Kommunen.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir
zumindest ein paar Modellprojekte in den besonders be-
troffenen Regionen auf den Weg bringen. Ich bin sicher,
es lohnt sich.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält
jetzt Stephan Stracke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Bundesagentur für Arbeit hat heute die Ar-beitslosenzahlen für den Monat November auf den Tischgelegt. Danach ist der Arbeitsmarkt in Deutschland wei-ter robust. Trotz der wirtschaftlichen Unsicherheiten fin-den sich keinerlei Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt.Wir haben derzeit fast 43 Millionen Erwerbstätige dankder hervorragenden Wirtschaftsleistung und unserer Un-ternehmen, die hier Treffliches leisten. Gegenüber 2005stellt das eine Halbierung der Arbeitslosenquote dar.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6679
Stephan Stracke
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Bayern hat es vorgemacht. Der Arbeitsmarkt im Frei-staat ist Monat für Monat Klassenbester in Deutschland.Die Arbeitslosenquote in Bayern beträgt derzeit ledig-lich 3,4 Prozent gegenüber 6,3 Prozent im Bundesdurch-schnitt. Das kommt nicht von ungefähr. Das hat damit zutun, dass wir von Anfang an Wert darauf gelegt haben,erstens keine neuen Schulden zu machen und zweitensInvestitionen in die Zukunft zu tätigen. Genau das tunwir jetzt auch auf Bundesebene beim Haushalt: Endlichgibt es die schwarze Null. Das ist die Antwort für diejunge Generation.Gleichzeitig richten wir den Blick nach vorn. Wirtreiben nicht nur das voran, was wir im Koalitionsver-trag festgelegt haben, nämlich Investitionen in Höhe von23 Milliarden Euro, sondern darüber hinaus wollen wirin den nächsten Jahren zusätzlich 10 Milliarden Euro füreine bessere Infrastruktur, insbesondere für Straßen undden Breitbandausbau, ausgeben.Wir haben in Deutschland einen starken Sozialstaat.Das System der sozialen Sicherung in Deutschland weistinsgesamt ein Volumen von rund 800 Milliarden Euroaus. Die Sozialleistungsquote liegt bei etwa 30 Prozent.Ich kenne kein europäisches Land, das in diesem Be-reich vergleichbar gut wie Deutschland aufgestellt ist.
– Außer natürlich Bayern. Bayern ist bei all diesen The-men natürlich immer vorbildlich, Frau Kollegin. Schön,dass Sie das vonseiten der Linken anerkennen. Das magIhnen auch Zuspruch geben für das, was Sie unter ande-rem in Thüringen vorhaben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sozial-staat in Deutschland funktioniert. Die Menschen sind ge-gen die zentralen Risiken gut abgesichert. Die Schwa-chen können sich auf die Starken verlassen, und auch dieGutsituierten helfen denen, die weniger haben. Auch dasAusmaß der Umverteilung in Deutschland ist im interna-tionalen Vergleich groß; das hat der Sachverständigenratin seinem jüngsten Jahresgutachten noch einmal glasklarbeschrieben.Entscheidend, gerade für den kleinen Mann, ist derBeitragssatz. Der Beitragssatz ist die Steuer des kleinenMannes. Deswegen war es immer Unionspolitik, denGesamtsozialversicherungsbeitrag möglichst unter 40 Pro-zent zu halten. In den letzten Jahren haben wir es ge-schafft, gerade was den Rentenbeitrag angeht, eineEntlastung von über 12 Milliarden Euro zustande zubringen.
Das ist eine riesige Leistung. Mehr Geld in den Taschender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesemLand, das ist etwas, was damit zu tun hat, dass die Rah-menbedingungen in diesem Land hervorragend sind. Da-für hat diese Bundesregierung in den letzten neun Jahrentrefflich gesorgt.
Sinkende Rentenbeiträge, steigende Renten, volleRücklagen mit 33,5 Milliarden Euro und die Tatsache,dass die Potenziale der älteren Beschäftigten auf demArbeitsmarkt wieder deutlich mehr geschätzt werden,das sind die Erfolge unserer schwarz-rot geführten Bun-desregierung.
Das zeigt: Wir machen Politik für die Menschen, die beiden Menschen auch ankommt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit demRentenpaket haben wir zentrale Punkte beschlossen, ins-besondere was die Mütterrente angeht. Ich möchte hiereinmal mit der Mär aufräumen, dass die Mütterrente ge-genwärtig nicht steuermittelfinanziert sei.
Das Gegenteil ist richtig. Die derzeitigen Rentenzahlun-gen sind, was die Kindererziehungszeiten angeht, natür-lich zur Gänze steuermittelfinanziert. Insofern ist dasgenau der richtige Ansatz. Wir haben auch in der Sach-verständigenanhörung noch einmal herausgearbeitet,dass seit den 90er-Jahren rund 100 Milliarden Euro mehran Steuermitteln aufgrund der Kindererziehungszeitenins System geflossen sind, als derzeit tatsächlich ge-braucht werden.
Insofern ist die Mütterrente natürlich nachhaltig finan-ziert.
– Herr Kurth, da nutzt es auch nichts, wenn Sie dazwi-schenrufen.Wir müssen allerdings, was die arbeitsmarktpoliti-schen Instrumente angeht, aufpassen, dass wir keineneuen Anreize schaffen, gerade was die gut Qualifizier-ten in diesem Land angeht, früher in Rente zu gehen.Deswegen: Ich sehe nicht, dass wir weitere Anreizeschaffen sollten im Hinblick auf eine Reduzierung derAltersgrenze von 63. Wir sind dabei, uns im Rahmen ei-ner Arbeitsgruppe zu überlegen, wie wir flexibles Arbei-ten bis zum Erreichen der Rentenaltersgrenze und auchdanach attraktiver machen können.Auch hier darf ich darauf hinweisen, dass wir schoneiniges erreicht haben, insbesondere, dass heutzutage einArbeitsverhältnis rechtssicher fortgesetzt werden kann,wenn man das Renteneintrittsalter erreicht hat. Das ge-währleistet ein viel höheres Maß an Flexibilität. Diejeni-gen, die nach Erreichen der Rentenaltersgrenze weiterar-beiten, stocken durch ihre Sozialversicherungsbeiträgenicht nur ihre Rente auf, sondern sie bekommen auchnoch einen Zuschlag in Höhe von 6 Prozent. Das ist et-
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6680 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Stephan Stracke
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was, was wir deutlicher bekannt machen sollten, geradeaufgrund der Zinslage in diesem Land.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir habenden Mindestlohn als einen Mindestschutz für Beschäf-tigte eingeführt. Dabei ging es uns vor allem darum, einestarke Mindestlohnkommission zu haben, die tatsächlichdarauf achtet, dass Beschäftigung in diesem Land nichtbehindert wird. Deswegen ist es gut, dass wir in diesenHaushaltsberatungen die finanziellen und personellenVoraussetzungen dafür geschaffen haben, dass wir nuneine Geschäfts- und Informationsstelle haben, die arbei-ten kann und genau den gesetzgeberischen Auftrag,nämlich Evaluation vorzunehmen, erfüllen kann. Inso-fern ein herzliches Dankeschön an die Haushälter derFraktionen, dass dies möglich war und dass wir den ge-setzgeberischen Willen entsprechend umsetzen können.Wir setzen uns gleichzeitig für eine zeitnahe Evalua-tion des Mindestlohns ein. Deswegen haben wir dasBMAS gebeten, das Institut für Arbeitsmarkt- und Be-rufsforschung zu beauftragen, um möglichst schnell Er-kenntnisse zu gewinnen, wie der Mindestlohn ab dem1. Januar 2015 tatsächlich wirkt.Beim Mindestlohn geht es immer auch um die Frageder Entbürokratisierung und der Kontrolle.
Natürlich ist Kontrolle im Rahmen des Mindestlohns un-abdingbar. Aber wir müssen uns auch immer wieder vorAugen führen, dass wir den administrativen Aufwandauf ein erträgliches Maß begrenzen müssen. Deswegenhaben wir als Gesetzgeber die Voraussetzungen dafürgeschaffen, dass beispielsweise Dokumentationspflich-ten im Sinne größerer Flexibilität den spezifischen Be-dürfnissen der Praxis angepasst werden können. Deswe-gen haben wir eine Verordnungsermächtigung an dasArbeitsministerium und das Finanzministerium erteilt.Hier sind schon gute Veränderungen auf den Weg ge-bracht worden. Wir sollten die Spielräume für Entbüro-kratisierung bei diesem Thema in der Tat nutzen.Ein wichtiges Thema, das uns in Zukunft beschäfti-gen wird, ist die Tarifeinheit. Hier gilt der Grundsatz: einBetrieb – ein Tarifvertrag. Dieser hat sich über die Jahr-zehnte hinweg bewährt. Er verhindert auch, dass ein-zelne Berufsgruppen ihre Schlüsselposition nutzen, umeigene Interessen gegenüber den Interessen der Gesamt-belegschaft vorrangig durchzusetzen. Das gefährdetnämlich nicht nur den Betriebsfrieden, sondern belastetinsgesamt auch die Wirtschaft. Deswegen werden wirden Grundsatz der Tarifeinheit schärfen.
Dazu wollen wir eine Tarifkollisionsregelung auf denWeg bringen.Wir werden nicht das Streikrecht regeln – das bleibtden Gerichten überlassen –, aber wir setzen zwei An-haltspunkte: zum einen das Mehrheitsprinzip – das istam nächsten an der Verfassung – und nicht etwa dasGünstigkeits- oder Spezialitätsprinzip. Zum anderenüberlegen wir, das betriebsbezogen zu machen. So wäredie Eingriffstiefe insgesamt am geringsten, und das führtdazu, dass wir den verfassungsrechtlich möglichen Pfad,der zugegebenermaßen ein schmaler ist, meines Erach-tens einhalten können.Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist einganz zentrales Thema. Hier sind wir erfolgreich gewe-sen. In Bayern beispielsweise ist es den Jobcentern ge-lungen, viele marktnahe Kunden, aber auch solche mitVermittlungshemmnissen in Arbeit zu bringen. Dabeimuss es in erster Linie darum gehen, die Beschäfti-gungsfähigkeit der Betroffenen aufrechtzuerhalten oderwiederherzustellen bzw. der Entstehung von Vermitt-lungshemmnissen entgegenzuwirken. Dazu bedarf es ei-nes ganzheitlichen Ansatzes. Passgenaue Maßnahmenund umfassende Betreuung setzen auch ausreichende fi-nanzielle Mittel der Jobcenter voraus. Wir haben ge-zeigt, was der richtige Weg ist, in Bayern beispielsweisemit den Projekten „TANDEM“ für Nürnberg und Fürthoder „KAJAK“. Diesen Weg sollten wir weitergehen.Wir sind in diesem Jahr im Rahmen der Sozialpolitikerfolgreich gewesen. Wir stehen für eine Sozialpolitikmit Augenmaß: Belohnung der Lebensleistung der heuteÄlteren, aber auch Verantwortung für die kommendenGenerationen und gleichzeitig Abkehr von der Politikder Schuldenfinanzierung. Das zeichnet diese Bundesre-gierung aus. In dem Sinne wollen wir auch die nächstenJahre gemeinsam weitermachen. Ich bitte um Unterstüt-zung hierfür.Herzliches Dankeschön!
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja
Mast, SPD-Fraktion.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Frau Präsidentin! Wir diskutieren hier den Einzelplan 11.Der Einzelplan 11 ist der Haushalt des Bundesministe-riums für Arbeit und Soziales
und aus meiner Sicht der größte Zukunftsetat des Ge-samthaushalts und damit auch dieser Bundesregierung.
Haushaltspolitik ist auch immer Politik in materiellerForm. Bei den Haushaltsberatungen spielen natürlichauch immer die politischen Schwerpunkte eine Rolle.Wir hatten in den Haushaltsberatungen jetzt mehrereFragen zu Verordnungen der Bundesregierung zur Ar-beitszeiterfassung im Rahmen der Mindestlohngesetzge-bung. Für den Haushalt wichtig ist zuerst einmal, dass es
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Katja Mast
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den Mindestlohn gibt. Er kommt, und er gilt im Grund-satz ab 1. Januar 2015 – und mit einer Brücke für alle an-deren zwei Jahre später.Zur Mindestlohnverordnung will ich etwas vorschla-gen, nachdem es viele Nachfragen und kontroverse De-batten hierzu im Plenum gegeben hat. Dabei ging es un-ter anderem um die Arbeitszeiterfassung für Menschen,die nicht im Betrieb arbeiten, sondern mobil unterwegssind, zum Beispiel Zeitungszusteller. In der Verordnungist festgehalten, dass geregelt werden soll, wie die Zei-tung in einem Gebiet zugestellt wird und wie viel Zeitman im Schnitt braucht. Dann ist es eigentlich nur nochwichtig, zu sagen, an welchen Tagen man Zeitungen aus-getragen hat. Jetzt ist aber die Frage: Was passiert ei-gentlich, wenn einmal schlechtes Wetter ist oder Schneeliegt? – Das Problem ist dann, dass die Arbeitszeit einbisschen länger sein kann. Alle, die wie ich schon einmalin ihrem Leben Zeitungen ausgetragen haben, wissen ge-nau, wovon ich gerade rede.
Dafür gibt es ein ganz praktikables Verfahren: Wennman die Zeitungen erhält, wird ein Zettel mitgeliefert,auf dem man gegebenenfalls einträgt, dass man längergebraucht hat. Damit ist die Arbeitszeit erfasst.
Wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales sind fach-lich hochinteressierte Kolleginnen und Kollegen allerFraktionen. Wir haben ja das Recht der Selbstbefassung.Insofern schlage ich vor: Lassen Sie uns doch in dernächsten oder übernächsten Sitzung mit dieser Verord-nung selbst befassen und die Fachfragen klären. Dannkönnen wir uns immer noch politisch darüber streiten,ob sie Missbrauch ermöglicht oder nicht.
Frau Kollegin Mast, könnten Sie jetzt im Zuge der
Selbstbefassung entscheiden, ob die Kollegin Pothmer
Ihnen eine Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbe-
merkung machen kann?
Eigentlich bin ich jetzt gerade nur auf die eben ge-
stellte Zwischenfrage der Kollegin Pothmer eingegan-
gen. Deshalb würde ich vorschlagen, das im Rahmen ei-
ner Kurzintervention am Ende der Rede zu machen.
Ich will zu meinem eigentlichen Punkt zurückkom-
men: Ich will über den Zukunftsetat sprechen, den wir
hier haben. Bei diesem Zukunftsetat geht es aus meiner
Sicht um eine der zentralsten Fragen für die Bundesrepu-
blik Deutschland. Aus meiner Sicht ist die wichtigste
Frage im Hinblick auf die Sicherheit der sozialen Siche-
rungssysteme und unseren Wohlstand: Schaffen wir es,
unser Fachkräftepotenzial in Zukunft zu sichern? Ich
komme aus Baden-Württemberg; da hat man eine beson-
dere Sicht, denn es gibt dort schon viele Betriebe, die
händeringend nach Fachkräften suchen. Ich finde es
wichtig, zu schauen: Gibt es denn in diesem Haushalt
Antworten auf diese zentrale Zukunftsfrage? Wenn ich
mir den Haushalt anschaue, dann finde ich darin ziem-
lich viele Antworten.
Es gibt zum Beispiel die Antwort, dass wir für die In-
tegration junger Menschen zusätzlich 530 Millionen
Euro in die Hand nehmen, um Berufseinstiegsbegleiter
zu finanzieren. Das sind Menschen, die Jugendliche
schon in der Schule, ab Klasse sieben, begleiten und
schließlich gleichsam als Brücke noch in den ersten
sechs Monaten der Ausbildung. Das halte ich für ein
ganz wichtiges Instrument, um gerade den Jugendlichen
zu helfen, die heute bei der dualen Ausbildung vielleicht
durch den Rost fallen.
Es ist deshalb eine wichtige Antwort auf die Frage der
Sicherung der Fachkräfte der Zukunft.
Wir diskutieren gerade im Bund ein Bündnis für Aus-
und Weiterbildung. Fast alle Maßnahmen, die da disku-
tiert werden, liegen im Verantwortungsbereich des Bun-
desarbeitsministeriums. Auch da geht es um Zukunfts-
fragen junger Menschen.
Wir diskutieren heute noch mit unserem Koalitions-
partner die Frage nach flexiblen Übergängen in die
Rente. Ich freue mich schon darauf, dass wir das nachher
diskutieren. Für uns von der SPD ist dabei nämlich eine
Frage ganz zentral: Wie schafft man es, dass Fachkräfte,
die heute oft vor dem Renteneintrittsalter aufhören, zu
arbeiten, dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung ste-
hen? Deswegen haben wir auch den Vorschlag zur Ein-
führung eines Arbeitssicherungsgeldes gemacht. Wir
wollen damit ermöglichen, dass jemand nicht Arbeitslo-
sengeld bezieht und dann direkt in Rente geht oder viel-
leicht in den Arbeitslosengeld-II-Bezug fällt. Da bauen
wir in Zukunft eine Brücke in die Erwerbstätigkeit.
Frau Kollegin Mast, Ihre Redezeit ist jetzt entschie-
den abgelaufen.
Für mich ist es deshalb ein wichtiger Punkt, dass uns
klar ist: Wenn wir über den Haushalt des Bundesarbeits-
ministeriums reden, dann reden wir über Zukunft, über
Fachkräftesicherung und darüber, wie wir Menschen
eine Erwerbstätigkeit ermöglichen und wie wir ihnen da-
mit Sicherheit im Alltag gewähren.
Vielen Dank.
Der nächste Redner ist der Kollege Mark Helfrich,CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zwölf Jah-
ren galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Vor
neun Jahren erreichte die Zahl der Arbeitslosen mit
5,2 Millionen den höchsten Stand seit 1933. Und vor
fünf Jahren erlitten wir den stärksten wirtschaftlichen
Einbruch der Nachkriegszeit. Heute hingegen wird
Deutschland als ökonomischer Superstar Europas gefei-
ert. Es ist einer Studie eines Karriereportals zufolge das
attraktivste nicht englischsprachige Land der Welt für
ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Deutschland wird mehr und mehr zu einer europäi-
schen Traumfabrik, und das nicht ohne Grund. Wir haben
eine stabile wirtschaftliche Lage mit fast 43 Millionen Er-
werbstätigen und über 30 Millionen sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigten. Das ist der höchste Beschäfti-
gungstand in der Geschichte der Bundesrepublik.
Herr Kollege Helfrich, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Birkwald?
Das tue ich nicht. Ich bin mir sicher: Ihre Frage wird
sich im Verlauf meiner Rede erübrigen. Wenn nicht,
dann können Sie immer noch eine Kurzintervention ma-
chen, lieber Kollege Birkwald.
Wunderbar. Danke.
Aktuelle Schlagzeilen wie „Der Arbeitsmarktbrummt“, „Der Beschäftigungsmotor läuft rund“, „DieArbeitslosigkeit sinkt auf Rekordwert“ lassen sogar dieHerzen der Haushälter höher schlagen; denn ein stabilerArbeitsmarkt ist eine Grundvoraussetzung für ausgegli-chene Haushalte und damit für nachhaltig gesundeStaatsfinanzen.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit undSoziales, über den wir heute beraten, hat einen Umfangvon 125,5 Milliarden Euro, das sind beachtliche 42 Pro-zent des gesamten Bundeshaushaltes. Er wird – und mankann es gar nicht häufig genug sagen – nach 45 Jahrender erste Haushalt ohne neue Schulden sein.
Die schwarze Null ist eine historische Leistung. Dielassen wir uns nicht kaputtreden. Wir schaffen damitmittel- und langfristig neue Handlungsspielräume füruns und für zukünftige Generationen, ohne Lasten ein-seitig in die Zukunft zu verlagern.Wir stehen gegenüber kommenden Generationen inder Pflicht. Ihre Chancen heute zu verfrühstücken, wäreunverantwortlich. In diesem Sinne ist die schwarze Nullauch gelebte Verantwortung. Sie ist Markenzeichen derBundesregierung unter Angela Merkel und der von ihrgeführten Großen Koalition.Unsere gute Wirtschafts- und Haushaltslage darf nichtden Blick auf die vor uns liegenden politischen Heraus-forderungen verstellen.
Die aktuellen Krisen innerhalb Europas und außerhalbEuropas machen auch der deutschen Wirtschaft zuschaffen. Daher müssen wir darauf achten, dass wir nichtVerunsicherung schüren und Vertrauen zerstören; denndie Politik legt mit diesem Vertrauen die Grundlagen füreine florierende wirtschaftliche Entwicklung.Vertrauen ist die wichtigste Ressource unserer Volks-wirtschaft. Schon Ludwig Erhard wusste: „Die Hälfteder Wirtschaftspolitik ist Psychologie.“ Wir müssen Mit-telstand und Industrie, die Herz und Rückgrat unsererWirtschaft sind, langfristig verlässliche Rahmenbedin-gungen bieten. Dazu gehört eben auch, dass wir Herzund Rückgrat mit weiteren Belastungen verschonen.Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei aktuelleEreignisse aufgreifen. Wir haben in den letzten Wochenerlebt, wie Spartengewerkschaften Tarifkonflikte überein erträgliches Maß hinaus zugespitzt haben. WeiteTeile des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft warenvon Folgen dieser Arbeitskämpfe betroffen. MillionenBürgerinnen und Bürger waren die Leidtragenden.
Auch dadurch geht Vertrauen in verlässliche Rahmenbe-dingungen verloren. Das kann nicht in unserem Sinnesein.Klar ist und bleibt: Das Streikrecht ist unantastbar.Aber es ist kein Freibrief. Die Unternehmen müssen sichdarauf verlassen können, dass Tarifverträge, die mit derMehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus-gehandelt worden sind, auch Bestand haben und nichtvon kleineren Gewerkschaften umgangen werden kön-nen. Für das von der Bundesregierung geplante Gesetzzur Tarifeinheit gibt es also sehr gute Gründe.
Wir leben in einer Zeit des demografischen Wandels.In unserer Gesellschaft wird die Zahl der Einwohner ge-ringer und ihr Alter im Durchschnitt höher. Im Ergebnissteigen die Rentenbezugszeiten. Bis zum Jahr 2020 wirdsich eine Fachkräftelücke von 1,3 Millionen ergeben.Berechnungen zufolge werden bis 2030 8 Millionen Ar-beitskräfte fehlen. Die Zahl der Arbeitskräfte wird insge-samt um ein Viertel schrumpfen. All das sind alarmie-rende Zahlen. Diese Entwicklung müssen wir in denFokus rücken.Ein wirkliches Zeichen können wir mit der Flexi-Rente setzen. Angesichts des kontinuierlichen Anstiegsder Lebenserwartung muss Schluss damit sein, dassMenschen durch Gesetz oder Tarifverträge gegen ihrenWillen in den Ruhestand geschickt werden.
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Mark Helfrich
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Wenn Menschen länger leben, verschiebt sich ebenauch der Beginn des Altseins. Man ist mit 60, 63 oder 65nicht automatisch alt. Ganz im Gegenteil: Es ist wichtig,dass wir die älteren Menschen in ihrem Tatendrang nichtstoppen. Immer mehr Deutsche wollen länger arbeiten.In kaum einem anderen Land hat die Erwerbsbeteiligungder Älteren so sehr zugenommen; das ist kürzlich auchnoch einmal durch das Deutsche Institut für Wirtschafts-forschung bestätigt worden.
Herr Kollege Helfrich, gestatten Sie jetzt eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Birkwald?
Wer so hartnäckig bittet – sehr gerne, Herr Birkwald.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr
Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Es ist jetzt auch
eine andere als vorhin.
Sie haben gerade einen wichtigen Satz gesagt. Sie sag-
ten, dass Sie dagegen seien, dass Menschen gegen ihren
Willen in den Ruhestand geschickt werden. Nun haben
wir das Thema Zwangsverrentung. Das heißt, Hartz-IV-
Betroffene, die 63 Jahre alt sind, werden seit 2008 auch
gegen ihren Willen von den Jobcentern in Rente ge-
schickt und erhalten dann häufig sehr kleine Renten mit
sehr hohen Abschlägen, sodass sie gezwungen sind, So-
zialhilfe zu beantragen, weil es die Grundsicherung im
Alter ja erst ab dem 65. Geburtstag gibt.
Zwangsverrentung bedeutet, dass sie nur 2 600 Euro
Schonvermögen haben dürfen und gegebenenfalls auch
ihre Kinder in Regress genommen werden. Ich halte die
Zwangsverrentung für unwürdig. Sie gehört abgeschafft.
Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, dass in der
Arbeitsgruppe, die die Koalition derzeit zu verschiede-
nen Themen des Altersübergangs eingerichtet hat und in
der auch dieses Thema auf der Tagesordnung steht, von-
seiten der Union der Vorschlag kommen wird, dass die
Zwangsverrentung in Zukunft abgeschafft werden wird?
Das würde die Opposition sehr begrüßen.
Ich kann natürlich nicht den Ergebnissen dieser Ar-beitsgruppe vorgreifen, Kollege Birkwald. Auch Siewissen, dass es sich grundsätzlich um zwei unterschied-liche Sachverhalte handelt, auch wenn sie begrifflichnah beieinanderliegen. Aber gerade Ihnen traue ich zu,dass Sie das sehr genau unterscheiden können. Damitwürde ich meine Antwort an dieser Stelle beenden
und zu meinen Ausführungen zurückkehren wollen.
Bereits heute arbeitet rund ein Viertel der Ruheständ-ler. Mehr als zwei Drittel dieser Menschen geben dafürauch nichtökonomische Gründe an. Es geht darum,Freude an der Arbeit zu haben, die eigenen geistigen Fä-higkeiten auszubauen und zu erhalten und darum, Wis-sen und Erfahrungen weiterzugeben. Das sind die Be-weggründe, warum Menschen gern länger arbeiten.
Fast 40 Prozent der 55- bis 70-Jährigen können sichvorstellen, nach Eintritt in den gesetzlichen Ruhestandweiter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das istjüngst, Anfang November, auch durch den Bundesinnen-minister und das Bundesinstitut für Bevölkerungsent-wicklung vorgestellt worden.Vor diesem Hintergrund bekommt die derzeit intensivgeführte Diskussion um das Thema „weitere Renten-reform und Einstieg in die Rente ab 60“ natürlich eineganz besondere Dynamik. Ich sage an dieser Stelle auch,dass ich das vor dem Hintergrund dessen, was ich geradegeschildert habe, nicht nachvollziehen kann. Aus meinerSicht und aus Sicht der CDU/CSU geht diese Diskussionin die falsche Richtung.Eine weitere vorsätzliche Verkleinerung unserer Ar-beitskräftebasis kann nicht die Antwort an die Wirtschaftauf den zunehmenden Fachkräftemangel sein. Damitlässt sich kein Vertrauen in verlässliche Rahmenbedin-gungen schaffen.Meine Damen und Herren, immer weniger Menschenin Deutschland sind ohne Arbeit. Die Zahl der Arbeitslo-sen ist mit 2,7 Millionen auf einem Rekordtief. Im Okto-ber waren bei der Bundesagentur für Arbeit mehr alseine halbe Million freie Arbeitsstellen gemeldet. Damithaben immer mehr Menschen realistische Chancen aufeinen Arbeitsplatz.Trotz der niedrigen Arbeitslosenzahlen bleibt die Zahlder Langzeiterwerbslosen hoch, deshalb senken wir auchnicht die Mittel für die Betreuung und Eingliederung.Vielmehr stellen wir pro Jahr zusätzlich 350 MillionenEuro zur Verfügung. Nur mal ein Vergleich, den man aufsich wirken lassen möge: Im Jahr 2006 standen für dieBetreuung und Eingliederung arbeitsloser Menschendieselben Finanzmittel zur Verfügung wie heute für rund2,7 Millionen Arbeitslose. Ich denke, das spricht eineeindeutige Sprache.
Es ist richtig, diese Mittel nicht zu kürzen, weil eseine besonders schwierige Aufgabe ist, die verfestigteLangzeitarbeitslosigkeit, um die es jetzt geht, zu senken.
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Mark Helfrich
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Es gibt aber keinen Grund, dass wir das Lied, das dieOpposition bei diesem Thema immer wieder gerne an-stimmt, in Moll mitsingen.Wir stellen viel Geld für zwei neue Bundespro-gramme zur Verfügung; darüber ist geredet worden. Wirwerden über 1,3 Milliarden Euro aus dem Eingliede-rungstitel und aus dem Europäischen Sozialfonds bereit-stellen. Ich gehe an dieser Stelle nicht weiter darauf ein,weil bereits alles gesagt wurde. Es geht um Langzeit-arbeitslose ohne Berufsschulabschluss bzw. um Lang-zeitarbeitslose, die sehr arbeitsmarktfern sind und dannin eine öffentlich finanzierte Beschäftigung hineinkom-men. Das ist gut, weil diese Menschen somit sozialeTeilhabe im Erwerbsleben erfahren. Das ist eine sehrwichtige Aufgabe funktionierender Sozialpolitik.Das System insgesamt funktioniert; davon bin ich festüberzeugt. Um es mit den weisen Worten des Chefs derBundesagentur für Arbeit zu sagen: Das Programm desFörderns und Forderns ist das beste, das wir je hatten. –Nichts ist so gut, dass es nicht verbessert werden kann.Deswegen legen wir mit dem Einzelplan 11 heute bzw.am morgigen Freitag die Grundlagen für richtige und so-lide finanzierte Maßnahmen, damit dieses Programmnoch ein Stück besser werden kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns ineiner nie dagewesenen widersprüchlichen Situation. InZeiten wirtschaftlicher Stärke und eines florierenden Ar-beitsmarktes stehen wir vor großen arbeitsmarkt- und so-zialpolitischen Herausforderungen. Ich behaupte, es sinddie größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte;ich habe ausgeführt, woran ich das festmache. LassenSie uns diese Herausforderung ohne Denkverbote ange-hen und gemeinsam neue Wege beschreiten.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Helfrich. Sie waren der
letzte Redner zum Einzelplan 11.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzel-
plan 11 – Bundesministerium für Arbeit und Soziales –
in der Ausschussfassung.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/3305 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich lasse jetzt über den Einzelplan 11 in der Ausschuss-
fassung abstimmen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 11 ist mit
den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.15 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Drucksachen 18/2823, 18/2824
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten
Michael Leutert, Alois Rainer, Ulrike Gottschalck und
Ekin Deligöz.
Zum Einzelplan 17 liegen zwei Entschließungs-
anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über
die wir morgen nach der Schlussabstimmung abstim-
men.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Michael Leutert, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Ministerin! Zuallererst möchte ichmich als Hauptberichterstatter natürlich bei meinen Mit-berichterstattern Ulrike Gottschalck von der SPD, EkinDeligöz von den Grünen und Alois Rainer von derUnion bedanken. Ich glaube, wir haben in den letztenWochen eine gute, sachorientierte und faire Zusammen-arbeit gehabt, die meines Erachtens vorbildhaft für denpolitischen Raum ist.
Ich möchte es ebenfalls nicht versäumen, darauf hin-zuweisen, dass wir eine Sache gemeinsam geschafft ha-ben, über die ich mich sehr freue: Wir werden alle Bil-dungszentren des Bundes einschließlich Sondershausenerhalten können, und zwar mit Personal. Das ist ein her-vorragendes Ergebnis, was ich hier noch einmal unter-streichen möchte. Wir haben das Geld. Wir haben eineKonzeption. Das Ministerium muss das jetzt umsetzen.Dann können wir uns im nächsten Jahr über die Ergeb-nisse unterhalten.
Allerdings ist das Ganze an einem anderen Punkt, denich jetzt ansprechen möchte, nicht so gut gelaufen. Da-mit meine ich das Programm „Demokratie leben!“, alsodas Programm, aus dem wir die Initiativen gegenRechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlich-keit finanzieren. Der Regierungsentwurf sah dafür unge-fähr 30 Millionen Euro vor. Wir haben diese Summe inden Haushaltsverhandlungen auf 40 Millionen Euro er-höht. Trotzdem reicht das Geld nicht aus. Die Linke hat50 Millionen Euro vorgeschlagen. Das ist auch dieSumme, mit der die SPD im Wahlkampf aufgetreten ist.Wir haben das Ziel nicht erreicht.
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Michael Leutert
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus aktuellem An-lass sage ich: Wir beschäftigen uns hier schon lange mitden Themen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechts-extremismus. Wir werden uns leider auch noch länger da-mit beschäftigen müssen. Der NSU-Skandal hat gezeigt,über welche Dimensionen, welche Ausmaße wir hiersprechen. Die Empfehlungen der Untersuchungsaus-schüsse sind ganz klar: Wir müssen mehr tun, damit dieZivilgesellschaft gestärkt wird, um gegen Rassismus undFremdenfeindlichkeit vorzugehen. Das heißt aber auch:Wir brauchen mehr Geld dafür.
Leider hat sich in Deutschland seit einigen Monatendie Stimmung dramatisch verändert. Das hat etwas mitden steigenden Asylbewerberzahlen zu tun, mit denFlüchtlingen, die wir aus den Bürgerkriegsländern auf-nehmen. Der gemeinsame Aufmarsch von Hooligansund Nazis in Köln hat das ins öffentliche Bewusstseingerückt. Aber nicht nur dort, sondern auch bei mir imWahlkreis finden immer öfter Veranstaltungen statt, beidenen sich Bürgerinnen und Bürger in meines Erachtenserschreckender Weise über Flüchtlinge äußern. Die Zahlder Demonstrationen gegen Flüchtlinge nimmt zu, unddie Bürgerinnen und Bürger, ob bewusst oder unbe-wusst, nehmen daran teil, Seite an Seite mit Nazis. AmMontag dieser Woche waren es 6 000 Demonstranten inDresden. Dieser Aufmarsch erinnert sehr an die größtenNaziaufmärsche Europas, die in Dresden stattgefundenhaben. Sachsens Innenminister Ulbig hat vor drei Tageneine Sondereinheit der Polizei gegen kriminelle Asylbe-werber vorgeschlagen. Damit ist uns in dieser Situationüberhaupt nicht geholfen. Damit wird noch Öl ins Feuergegossen.
Allerdings muss ich sagen: Dazu muss man nicht In-nenminister sein. Ich habe gerade bei Spiegel Online ge-lesen, dass Kollege Grass vorgeschlagen hat, man sollteüber Zwangseinquartierungen von Flüchtlingen in deut-schen Wohnstuben nachdenken. Ich muss ganz ehrlichsagen: Das ist eine Art der Panikmache, die niemandemweiterhilft. Aber der Kollege Grass ist ja hin und wiederauch für Skandale bekannt.Schauen wir uns einmal die Zahlen an. Da Herr Ulbigauf die Kriminalitätsrate unter Asylbewerbern hingewie-sen hat, möchte ich auf folgende Statistik hinweisen: InDeutschland gab es bis Ende September 7 753 politischmotivierte Straftaten von rechts, darunter 358 Gewaltde-likte mit 275 Verletzten. Es gab im Übrigen nur dreiHaftbefehle. Allein in diesem Jahr gab es 23 Brandan-schläge auf Flüchtlingsheime und 194 Kundgebungenbzw. Demonstrationen, wie ich sie gerade am Beispielvon Dresden beschrieben habe. Da gibt es natürlich ei-nen Zusammenhang. Dass das eine das andere irgendwiebedingt, liegt ja auf der Hand. Zum Beispiel gab es inPlauen allein im September dieses Jahres sieben An-griffe gegen Flüchtlinge. Einer der Flüchtlinge erlitt soschwere Schnitt- und Stichverletzungen, dass er zehnTage stationär behandelt werden musste. Liebe Kolle-ginnen und Kollegen, so etwas passiert in Sachsen, ei-nem Bundesland, in dem der Anteil von Menschen mitMigrationshintergrund nicht einmal 2,5 Prozent beträgt.Das muss man sich einmal überlegen. Das ist nicht bloßirre, was dort passiert, das ist einfach gefährlich.
Man muss sich einmal fragen, was in diesem Bundes-land passiert, wenn der Bundesdurchschnitt von 8 Pro-zent erreicht wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt in unsererVerantwortung, etwas zur Prävention beizutragen, undzwar jetzt und nicht erst, wenn es für die Prävention zuspät ist, wenn Justiz und Polizei eingreifen müssen.
Deshalb sind die Projekte und Initiativen gegen Rechts-extremismus und Rassismus – die mobilen Beratungsteams,die Opferberatung – so wichtig für uns; sie entstehen ausder Zivilgesellschaft heraus. Diese Projekte und Initiati-ven brauchen eine verlässliche Finanzierungsgrundlage;und wenn das anders nicht geht, brauchen wir notfallsein Gesetz dafür.
Derzeit geben wir für diese Projekte und Initiativenauf Bundesebene 40 Millionen Euro aus. Das entsprichtpro Einwohner 50 Cent im Jahr. Ich finde, diese Präven-tionsarbeit sollte uns mehr wert sein.
Ich glaube, 1 Euro pro Einwohner kann man pro Jahr fürdiese Präventionsarbeit durchaus bezahlen.
Auch die Evangelische Kirche in Deutschland hat sichfür eine Erhöhung auf mindestens 70 Millionen Euroausgesprochen.Noch ein Satz zum Schluss: Der Verfassungsschutz,der beim NSU-Skandal erbärmlich versagt hat, bekommtdieses Jahr 231 Millionen Euro. Das ist ein Aufwuchsvon 21 Millionen Euro.
Wenn man wenigstens diesen Aufwuchs von 21 Millio-nen Euro in die Präventionsarbeit gesteckt hätte, dannwäre die Zivilgesellschaft gestärkt worden. Dort wäredas Geld wesentlich besser angelegt als beim Verfas-sungsschutz.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetztdas Wort die Bundesministerin Manuela Schwesig.
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Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren Abgeordnete! Der Haushalt 2015 istBasis, ist ein wichtiger Baustein einer modernen Gesell-schaftspolitik, einer modernen Gesellschaftspolitik, wieich sie vor einem Jahr bei meinem Amtsantritt angekün-digt habe. Einer modernen Gesellschaftspolitik, die aufSolidarität basiert, auf dem Zusammenhalt der Genera-tionen. Einer modernen Gesellschaftspolitik, die auf Frei-heit basiert, auf der Freiheit für Frauen und Männer, in un-serem Land ihren Lebensentwurf zu leben und dabeiunterstützt zu werden. Einer modernen Gesellschafts-politik, die natürlich auch auf Gerechtigkeit basiert, vorallem darauf, dass Frauen und Männer in unserem Landgleichberechtigt sind.Wie sieht es aus mit dieser Gerechtigkeit? Wir habenin unserem Grundgesetz verankert – dieses Grundgesetzhaben wir in diesem Jahr gebührend gefeiert –, dassMänner und Frauen gleichberechtigt leben; aber 75 Pro-zent der Frauen sagen: Das ist für uns nicht Realität. Wa-rum sagen 75 Prozent der Frauen: „Die Lebenswirklich-keit sieht für uns anders aus, als sie im Grundgesetzverbrieft ist“? Das liegt daran, dass die Frauen spüren,dass sie in der Arbeitswelt benachteiligt sind. Sie erle-ben, dass sie schlechtere Löhne bekommen als die Män-ner, sie erleben, dass die Vereinbarkeit von Beruf undFamilie immer noch schwierig ist und es oft an ihnenhängt, und sie erleben, dass sie schlechte Aufstiegschan-cen haben, obwohl gerade die junge Generation derFrauen besser ausgebildet ist denn je.Dass wir mit moderner Gesellschaftspolitik dafür sor-gen, dass diese Solidarität, diese Freiheit und diese Ge-rechtigkeit in unserem Land gelebt werden, ist einewichtige Aufgabe der Großen Koalition. Deshalb freueich mich darüber – das wissen Sie sicherlich –, dass wiruns in dieser Woche im Koalitionsausschuss entschiedenhaben, dass der Gesetzentwurf, den ich gemeinsam mitHeiko Maas zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauenund Männern in Führungspositionen vorgelegt habe,kommt. Das ist mit Blick auf diese moderne Gesell-schaftspolitik ein wichtiger Gesetzentwurf. Ich bin froh,dass die verbindliche Frauenquote kommt.
Ich bin sehr froh, dass sich diejenigen, die für SPDund Union an den Koalitionsverhandlungen teilgenom-men haben, schon damals Gedanken darüber gemachthaben, wie das gehen kann: Wir brauchen klare Vorga-ben, damit es gelingt, dass mehr Frauen in Führungs-positionen kommen, verbunden mit Spielräumen, die dieUnternehmen haben müssen. Deshalb ist es gut, dass derGesetzentwurf für die größten Unternehmen mit dengrößten Gremien, mit den größten Aufsichtsräten in un-serem Land eine klare, feste Vorgabe von mindestens30 Prozent vorsieht – ohne Ausnahmen; das war mir im-mer wichtig.Liebe Abgeordnete der Grünen, Sie reden immer voneinem „Quötchen“. Wenn Sie das als „Quötchen“ anse-hen, dann sind Ihre Vorschläge nichts; denn Ihre Vor-schläge sehen Ausnahmen vor. Die sieht unser Gesetz-entwurf nicht vor. Insofern, finde ich, ist das ein sehrguter Gesetzentwurf. Aber ich will mich mit Ihnen nichtdarüber streiten, weil ich weiß, dass Sie dieses Vorhabenim Grunde Ihres Herzens unterstützen. Ich freue mich,dass es dafür eine so breite Unterstützung in diesemHaus gibt.
Wir geben einer Vielzahl von Unternehmen, über3 000 Unternehmen, die Möglichkeit, sich auf den Wegzu machen und sich selbst Zielvorgaben zu setzen, aller-dings nach klaren Regeln, nämlich nach den Regeln, sichverbindlich festzulegen, dies umzusetzen und darüber zuberichten.Ich freue mich sehr, dass wir uns einig sind, dass deröffentliche Bereich der Wirtschaft nicht hinterherhinkendarf. Das sind gute Vorschläge, die wir zukünftig ge-meinsam beraten können. Ich bin sicher, dass wir damiteinen Kulturwandel in der Arbeitswelt einleiten. EinenKulturwandel, den wir dringend brauchen, einen Kultur-wandel dahin gehend, dass Frauen mehr Möglichkeitenbekommen, ihre Potenziale zu entfalten, dass Frauenschlicht und einfach gerecht behandelt werden und dasssie in der Arbeitswelt die gleichen Chancen wie Männerhaben, wenn sie gut qualifiziert sind. Wir haben diesegut qualifizierten Frauen. Das ist das Signal an dieFrauen in unserem Land: Wir machen uns auf den Weghin zu mehr Gerechtigkeit für die Frauen in unseremLand.
Gut ist auch, dass dieses Gesetz nicht die schwarzeNull gefährdet. Im Gegenteil, dieses Gesetz wird dazuführen, dass Wirtschaft und öffentlicher Bereich noch er-folgreicher werden. Damit stärken wir den wirtschaftli-chen Erfolg unseres Landes. Diesen Erfolg brauchen wir.Denn es sind ja nicht abstrakte Unternehmen, die dafürSorge tragen, dass wir hier über die Verteilung von Geldreden, sondern es sind die Frauen und Männer in unse-rem Land, die tagtäglich arbeiten gehen, ob als kluge,verantwortungsvolle Unternehmerinnen oder Unterneh-mer, ob als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer.Diese Menschen sind die Leistungsträger in unseremLand. Sie gehen arbeiten und sorgen mit ihren Steuernund Sozialversicherungsbeiträgen dafür, dass unser So-zialsystem getragen wird und wir heute einen Haushaltvorliegen haben, mit dem wir wichtige Vorhaben in un-serer Gesellschaft voranbringen können.Es ist wichtig, dass wir diese Frauen und Männer un-terstützen, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Berufund Familie. Im Etat des Familienministeriums sind al-lein für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufund Familie 5,5 Milliarden Euro veranschlagt, für dasElterngeld und das neue Elterngeld Plus. Es ist wichtig,dass die neue Generation Vereinbarkeit ihr Lebensmo-dell leben kann.Viele Frauen und Männer in unserem Land sagen: Ichwill beides. Ich möchte meinen Job machen; ich möchtedafür Zeit haben und darin gut sein. Aber ich möchteauch Zeit für meine Familie haben. – Frauen in unserem
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6687
Bundesministerin Manuela Schwesig
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Land haben oft das Gefühl, dass es nie für beides reicht.Im Job wird ihnen gesagt: Du musst möglichst rund umdie Uhr präsent sein. Wenn du zu viel Zeit mit deiner Fa-milie verbringst, dann reicht die Zeit nicht für den Job. –Von der Familie kommt die Frage: Wann bist du eigent-lich wieder zu Hause? – Diesen Druck spüren dieFrauen. Diesen Druck spüren aber auch die jungen Väterin unserem Land. Sie sagen nämlich: Ich will nicht erstzum Gute-Nacht-Kuss zu Hause sein, sondern ich willauch Zeit für meine Familie haben. – Deshalb ist es gut,dass die Große Koalition mit dem neuen Elterngeld Plusdas Lebensmodell unterstützt, dass Mütter und VäterZeit für beides, für den Job und für die Familie, habenund sich diese Zeit partnerschaftlich teilen. Das ist mo-derne Gesellschaftspolitik. Es ist aber auch eine Frageder Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass Mütter und Vä-ter Chancen im Job, aber auch Zeit für die Familie ha-ben.
Wir denken auch an die Familien, deren Kinder viel-leicht schon längst aus dem Haus sind, denen sich dafüraber die Frage stellt: Wie geht es mit pflegebedürftigenAngehörigen weiter? Viele Menschen erleben beides.Zum einen haben sie eine Erziehungsverantwortung fürdie Kinder, zum anderen stellt sich ihnen die Frage: Wasist mit meinem pflegebedürftigen Vater? Wie bekommeich das unter einen Hut, wenn ich arbeiten muss? Auchdies lastet oft auf den Schultern der Frauen. Deshalbfreue ich mich sehr, dass wir die Basis für eine bessereVereinbarkeit von Beruf und Familie schaffen, auch mitpflegebedürftigen Angehörigen.Das Elterngeld Plus, das ich eben vorgestellt habe,wird diesen Freitag im Bundesrat verabschiedet und aufden Weg gebracht. Den neuen Gesetzentwurf zur besse-ren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf werdenwir in der nächsten Woche beraten. Durch die Pflegere-form haben wir dafür die finanziellen Voraussetzungengeschaffen. Es wird zukünftig möglich sein, im Akutfalleine kurze Auszeit für Phasen der Pflege in der Familiezu nehmen oder auch in eine längere Pflege- und Fami-lienpflegezeit zu gehen, und zwar mit finanzieller Unter-stützung. Das ist ein wichtiges Signal der Großen Ko-alition: Wir lassen Familien mit pflegebedürftigenAngehörigen nicht im Stich, sondern unterstützen sie.Auch das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.
Die moderne Gesellschaftspolitik setzt auch auf denZusammenhalt der Generationen, auf die Solidarität. EinErfolgsprojekt für gelebte Solidarität sind die Mehrgene-rationenhäuser in unserem Land. Jedes Mehrgeneratio-nenhaus lebt die Idee vom Zusammenhalt der Generatio-nen. Dort sind zum Beispiel Kitas. Dort sind auch Omasund Opas, die vorlesen und Zeit mit Kindern verbringen,die vielleicht nicht ihre eigenen Enkelkinder sind, aberin ihrem Stadtteil leben und deren Eltern froh sind, dasssie unterstützt werden, weil die eigenen Großeltern derKinder vielleicht 300 Kilometer weit entfernt wohnen.Es gibt hier viele tolle Projekte, zum Beispiel auch fürFamilien, die eine Entlastung brauchen, weil sie demen-ziell erkrankte Angehörige haben.Sie alle kennen die Mehrgenerationenhäuser und ha-ben sich für sie starkgemacht. Deshalb sage ich ein Dan-keschön an die Fachpolitiker, aber auch an die Haus-haltspolitiker, die sich dafür eingesetzt haben, dass esjetzt Planungssicherheit für diese Mehrgenerationenhäu-ser gibt. 16 Millionen Euro sind für 2015 verankert, undes gibt den wegweisenden Beschluss des Haushaltsaus-schusses, diesen Ansatz zu verstetigen. Das ist ein wich-tiges Signal an die Generationen, aber vor allem auch andie Ehrenamtlichen in diesen Mehrgenerationenhäusern.Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!
Meine Damen und Herren, moderne Gesellschafts-politik heißt auch Freiheit, zum Beispiel Freiheit für un-sere Jugend, die nicht von der Schule und durch Erwar-tungen der Gesellschaft erdrückt werden darf, sondernFreiräume erhalten muss, wie wir alle sie als Jugendlichehatten. Gelegentlich sehnen wir uns heute vielleicht nachdieser Zeit zurück. Deshalb bin ich Ihnen sehr dankbar,dass wir die Kinder- und Jugendarbeit besser unterstüt-zen, dass wir die Mittel dafür weiter aufstocken und dasswir vor allem die Jugendmigrationsdienste in diesemHaushalt besserstellen, weil sie dazu beitragen, dassVielfalt in unserem Land gelebt wird und dass junge Mi-grantinnen und Migranten in unserem Land gut auf-wachsen. Das ist ein wichtiges Signal für die Jugend inunserem Land.
Ich bin auch dankbar dafür, dass in diesem Etat wei-terhin über 100 Millionen Euro für das wichtige Bundes-programm „Integration und Sprache“ bereitstehen. DieBekämpfung von Kinderarmut ist wichtig. Dazu gehört,dass die Eltern eine Arbeit haben und gut dafür bezahltwerden. Dazu gehört aber auch, dass die Kinder – auchbereits in den Kitas – unabhängig vom sozialen Statusder Eltern Chancen auf Bildung bekommen und geför-dert werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit derSprachförderung in den Kitas den Grundstein dafür le-gen, dass die Kinder in unserem Land gut aufwachsen.Auch das ist ein Signal des Haushalts 2015, das an dieKinder in unserem Land geht.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, einemoderne Gesellschaft braucht die Freiheit, dass Men-schen in unser Land kommen und hier groß werden undleben können, ohne Angst davor zu haben, dass sie dis-kriminiert werden, angegriffen werden oder sogar Ge-walt erleben, weil sie eine andere Hautfarbe haben, auseiner anderen Kultur stammen, einer anderen Religionangehören oder eine andere sexuelle Identität haben. Inden letzten Wochen und Monaten haben wir gesehen– Herr Leutert hat darauf hingewiesen –, dass zum Bei-spiel der Antisemitismus in unserem Land wächst, dasswir Probleme mit dem radikalen Salafismus haben unddass mittlerweile Familien bei der Polizei anrufen undsagen: Ich habe die Sorge, dass mein Kind auswandertund sich dem IS-Terror anschließt. – Das ist ganz kon-krete Realität. Deswegen ist es richtig, dass wir nebender Bekämpfung von Rechtsextremismus präventiv ge-
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Bundesministerin Manuela Schwesig
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gen diese neuen Formen der Radikalisierung arbeiten.Natürlich müssen gewaltbereite Dschihadisten und Ter-roristen von den Sicherheitsbehörden und der Justiz ver-folgt werden.Aber es geht um mehr. Es geht auch darum, dass alleDemokratinnen und Demokraten durch Angriffe auf un-sere Demokratie und unsere offene Gesellschaft heraus-gefordert sind, Zeichen zu setzen. Deshalb brauchen wirnicht nur eine sicherheitspolitische Antwort, sondernauch eine präventive gesellschaftspolitische Antwort.
Wie kann das gehen? Wir haben das Bundespro-gramm „Demokratie leben!“, das am 1. Januar 2015 star-tet. Mit diesem Bundesprogramm werden wir unter Be-teiligung von Jugendlichen auf kommunaler Ebene undauch auf Landesebene Demokratiezentren und präven-tive Projekte fördern, die heute schon erfolgreich sind,aber unter zwei Punkten leiden: Sie haben keine Pla-nungssicherheit und oft keine ausreichenden finanziellenMittel vor Ort. Deshalb ist es gut, dass wir mit demneuen Bundesprogramm eine längerfristige Finanzie-rung auf den Weg bringen und eine Verstetigung errei-chen. Der Bundestag hat entschieden, dieses Bundespro-gramm um 10 Millionen Euro aufzustocken. Das findeich richtig, weil inzwischen neue radikale Formen hinzu-kommen, für deren Bekämpfung wir nicht Gelder ausder Arbeit gegen Rechtsextremismus herausziehen kön-nen. Nein, das Geld muss on top kommen, sodass wirgegen alle radikalen Formen in unserem Land angehenkönnen.Herr Leutert, Sie haben recht: Es kann immer mehrsein. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Vor mehrerenJahren hat der Deutsche Bundestag beschlossen, diesesProgramm aufzustocken. Leider ist dann einige Zeit nichtspassiert. Umso mehr freue ich mich, dass der DeutscheBundestag jetzt fraktionsübergreifend sagt: Wir wollenunseren Beschluss umsetzen und stocken dieses Bundes-programm auf. – Ich als Ministerin stehe bereit, dieMaßnahmen dieses Programms mit meinen Leuten undmit Vertretern der Zivilgesellschaft umzusetzen. Mehrgeht immer; gar keine Frage. Aber diese 10 MillionenEuro sind ein wichtiges Signal für die Menschen, die vorOrt Gesicht zeigen. Dafür bedanke ich mich ganz herz-lich; denn ohne Freiheit ist moderne Gesellschaftspolitiknichts.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächste Rednerin fürBündnis 90/Die Grünen ist Dr. Franziska Brantner.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Uns liegt derEntwurf eines Haushalts vor, bei dem wir uns fragenmüssen: Welchen Fußabdruck hinterlassen Sie, wenn esum Bildungsgerechtigkeit geht, wenn es um eine Stär-kung der Alleinerziehenden geht, wenn es um die Be-kämpfung von Kinderarmut geht? Ziehen wir einmal einResümee aus den Ankündigungen und dem, was erreichtwurde.Wir wissen alle, dass es für Bildungsgerechtigkeitzentral ist, dass die Qualität in der Kindertagesbetreuungbundesweit gleichermaßen steigt. Sie bauen hier auf einsolides schwarz-gelbes Erbe auf: 5,4 Milliarden Eurowurden unter Schwarz-Gelb in den Ausbau investiert.Doch jetzt, wo es an das Eingemachte geht, nämlich umdie Frage: „Wie entlasten wir die Erzieherinnen und Er-zieher, die so gute Arbeit leisten?“, da geht Ihnen dieLuft aus. Nach großen Ankündigungen vonseiten derMinisterin sind von dem Milliardenmärchen noch550 Millionen Euro für drei Jahre übrig geblieben, unddas erst ab 2016. Für 2015 ist kein zusätzliches Geldvorgesehen. Die Bertelsmann-Stiftung hat berechnet,dass Bund, Länder und Kommunen zusammen jährlicheigentlich 5 Milliarden Euro zusätzlich investierenmüssten, um eine angemessene Zahl von Erzieherinnenund Erziehern für unsere Kitas zu ermöglichen. Was bie-ten Sie den Ländern und Kommunen an? Eine Arbeits-gruppe.
In der letzten Woche sagte Frau Schwesig: 1,5 Milliar-den Euro mehr sollen aus dem von Herrn Schäuble ange-kündigten 10-Milliarden-Euro-Paket in den Ausbau derHortbetreuung an den Schulen fließen. Wir drücken Ih-nen wirklich die Daumen und hoffen, dass wir nicht einDéjà-vu wie bei den Geldern zur Erhöhung der Kitaqua-lität erleben.
Das Betreuungsgeld dagegen schluckt weiterhin900 Millionen Euro im Haushalt, die woanders gut auf-gehoben wären.
Zum Glück ist der Ansatz etwas gekürzt worden, da dieEltern diese Leistung nicht so annehmen, wie Sie es er-wartet haben.
Das spricht eigentlich für sich und macht deutlich, dassdie Wahlfreiheit an dieser Stelle dazu führt, dass die El-tern das Betreuungsgeld nicht wählen.
Zu denken gibt uns auch, was heute in der Süddeut-schen Zeitung über Bayern zu lesen ist, Herr Lehrieder:52 Prozent der bayerischen Kleinkinder gehen in eine
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Dr. Franziska Brantner
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Krippe; für 73 Prozent zahlt der Freistaat zugleich nochBetreuungsgeld.
Ich weiß natürlich, dass in Bayern einer immer mehr insGewicht fällt, sodass aus 100 Prozent in Bayern 125 Pro-zent werden. Aber es ist schon seltsam, dass Sie in Bay-ern auf mehr als 100 Prozent Kinder kommen.
In Bayern erhält jeder zum Ende des Elterngeldbe-zugs automatisch einen Antrag für das Betreuungsgeldzugeschickt. Bei der Meldung zum Anspruchsende,wenn das Kind in eine Kita geht, wird anscheinend nichtmehr ganz so genau hingeschaut. Anders kann man sichden Unterschied nicht erklären.
Frau Kollegin Brantner, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Lehrieder? – Bitte schön, Herr Kol-
lege.
Frau Kollegin, Sie haben gerade ausgeführt, dassBayern 125 Prozent der Kinder fördert. Das würden wirgerne tun; aber das ist in Bayern gar nicht nötig. Stim-men Sie mir zu, dass nach diesem Rechenmodell, wenn50 Prozent der Kinder eine Kita besuchen und für70 Prozent der verbleibenden 50 Prozent Betreuungs-geld gezahlt wird, insgesamt etwa 70 bis 80 Prozent eineFörderung erhalten? Die 70 Prozent beziehen sich näm-lich auf die verbleibenden 50 Prozent, nur um die mathe-matischen Grundrechenarten für Sie etwas aufzufri-schen, Frau Kollegin. Stimmen Sie mir zu, dass daseinen Prozentsatz ergibt, der unter 100 Prozent liegendürfte?
Es wäre schön, wenn es so wäre, Herr Lehrieder.Dann würden wir alle uns wahrscheinlich nicht wun-dern, und dann würde auch keine Zeitung darüber be-richten. Es ist aber anders, nämlich dass 52 Prozentinsgesamt in die Kita gehen und für 73 Prozent der Kin-der insgesamt Betreuungsgeld gezahlt wird. Das ergibt125 Prozent.
– Das können wir gerne noch einmal besprechen. Aberden Zahlen zufolge scheint es dort Überschneidungen zugeben.
Ich bin froh – Frau Schwesig, Sie haben es gerade er-wähnt –, dass es möglich war, dass ein Teil der frei-gewordenen Mittel jetzt in Beratungsnetzwerke gegenRechtsextremismus und Modellprojekte gegen islami-sche Radikalisierung fließt. Wir Grünen als Bundes-tagsfraktion haben schon seit Jahren gefordert, dassdie Mittel dafür erhöht werden. Schade ist aber, dass90 Millionen Euro aus diesem Einzelplan in SchäublesSchatzkästchen geflossen sind und deshalb nicht fürdiese Inhalte zur Verfügung stehen.
Zu einem Thema in diesem Haushalt gibt es nochnicht einmal konkrete Ankündigungen. Das ist die be-schämende Kinderarmut in unserem Land. Die Statisti-ken der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Kinderarmutnimmt wieder zu. Während die Zahl von 2007 bis 2012gesunken ist, ist sie seit 2012 wieder gestiegen. Insge-samt beziehen heute 15,7 Prozent der unter 15-JährigenHartz-IV-Leistungen. Das betrifft 1,64 Millionen Jungenund Mädchen, und das in einem so reichen Land wieDeutschland.Auch deswegen wird es Zeit, endlich Konsequenzenaus der Gesamtevaluation der ehe- und familienbezoge-nen Leistungen zu ziehen. Sie sind eine große Große Ko-alition. Nehmen Sie doch diese Herausforderung an undgehen Sie die tiefgreifenden Reformen an, die man miteiner knappen Mehrheit vielleicht nicht hinbekommt!Nutzen Sie diese Chance! Die Erkenntnisse sind dochbekannt. Wir haben kein Erkenntnisproblem. Das Pro-blem ist, dass es jetzt von Ihnen abhängt, endlich für Ge-rechtigkeit zu sorgen. Unser Ziel muss es doch sein, dassKinder gefördert werden und nicht der Trauschein.
Doch was machen Sie? Sie verstecken Reförmchen ingroßen Steuergesetzen, statt das Thema Kinderarmut zurDiskussion zu bringen. In Ihrem Entwurf eines Gesetzeszur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodexder Union finden sich dafür gute Ansätze, wenn manzum Beispiel den Entlastungsbeitrag für Alleinerzie-hende erhöhen würde. Das ist aber leider Fehlanzeige.Was Sie in dem Gesetzentwurf regeln, ist die Freistel-lung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, dieKinder haben oder Angehörige pflegen, für die Notfall-betreuung, die zumindest mit bis zu 600 Euro gefördertwird. Das begrüßen wir. Wir glauben aber, dass auch dasnur die Hälfte des Weges ist, weil Selbstständige davonnicht profitieren. Notwendig ist eine Regelung sowohlfür Geringverdienende als auch für Selbstständige. Des-wegen wollen wir, dass auch in Zukunft die Betreuungs-kosten wieder als Werbungskosten geltend gemacht wer-den können.
Wir reden viel über Zeit für Familien und Stress derEltern. Deswegen begrüßen wir, dass es mit dem Eltern-geld Plus eine neue Regelung gibt. Wir müssen aberüberprüfen, inwieweit diese Regelung auch Alleinerzie-
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Dr. Franziska Brantner
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henden helfen wird. Allein und mit Kind wird es schwie-rig sein, den engen Korridor von 25 bis 30 Wochenstun-den Arbeitszeit zu erreichen, um zusätzliche vier MonateElterngeld zu erhalten. Es kann nicht sein, dass geradejenen, den Alleinerziehenden, diese vier Monate fehlen,und jene, die eh zu zweit sind, sie zusätzlich bekommen.Ich glaube, wir müssen wirklich genau schauen, wie sichdas Gesetz auswirkt.
Kein Geld für die Qualität in der Kindertagesbetreu-ung, die Beibehaltung des Betreuungsgeldes, eine Leer-stelle bei der steigenden Kinderarmut, verpasste Chan-cen, um Alleinerziehende zu stärken, kleine Schrittebeim Elterngeld Plus und kleine Einsichten beim ThemaRechtsextremismus und Islamismus – unser Resümeeist: Dieser Haushaltsentwurf ist vor allem eines: einerote Null.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Herr Kollege Alois
Rainer, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir blicken auf sehr konstruktive Gesprä-che und Beratungen zum Bundeshaushalt 2015 zurück.Gerne möchte ich mich in diesem Zusammenhang beimeinen Mitberichterstatterkolleginnen und -kollegen,Herrn Leutert, und auch beim Ministerium, Frau Minis-terin, sehr herzlich für die hervorragende Zusammenar-beit bedanken.
– Ich habe niemanden vergessen. – Dank der hervorra-genden Arbeit unseres BundesfinanzministersDr. Wolfgang Schäuble, aber auch dank der sehr gutenminutiösen Aufarbeitung in den Beratungen zum Bun-deshaushalt ist es uns gelungen, für das kommende Jahreinen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen. Ge-rade das ist für die jungen Menschen in unserem Landein richtiges und wichtiges Zeichen; denn wer ehrlichePolitik will, darf nicht ständig über seine Verhältnisse le-ben. Unsere Politik steht für Kontinuität, Verlässlichkeitund auch Nachhaltigkeit.
Dass man trotz Haushaltskonsolidierung eine gute Poli-tik machen kann, zeigt der vorliegende Haushaltsent-wurf für das Jahr 2015. Doch geht es nicht nur um dasErreichen der sogenannten schwarzen Null. Diese ist fürden Moment gut, richtig und wichtig. Viel entscheiden-der ist jedoch, dass wir daran nachhaltig festhalten.Meine Damen und Herren, unsere Familienpolitik isteine Politik der Verantwortung. Dass wir diese überneh-men, zeigen wir unverkennbar im Einzelplan 17, imHaushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend. So haben wir den Etat des Einzel-plans 17 von 7,9 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf8,5 Milliarden Euro für 2015 angehoben. Das entsprichteiner Erhöhung gegenüber dem Vorjahr von etwa600 Millionen Euro. Schon diese Aufstockung machtdeutlich, wie wichtig uns die Menschen und insbeson-dere die Familien in unserem Land sind. Um vor Augenzu führen, über welche Summen wir eigentlich sprechen,möchte ich Ihnen den Etat aus dem letzten Jahr ins Ge-dächtnis rufen: Im Jahr 2013 hatten wir einen Gesamt-etat von 6,8 Milliarden Euro. Ausgehend von dieserSumme haben wir den Familienhaushalt um 1,7 Milliar-den Euro auf 8,5 Milliarden Euro angehoben. Das ist einIndiz dafür, dass hier vernünftige Politik gemacht wird,die frei ist von übereifrigem Aktionismus und übereifri-gem Populismus.Den wesentlichen Anteil im Einzelplan 17 macht dasElterngeld aus – darüber ist schon gesprochen worden –,das wir bereits im letzten Haushalt um 470 MillionenEuro auf 5,4 Milliarden Euro angehoben haben. Für dasJahr 2015 haben wir den Ansatz um weitere 180 Millio-nen Euro auf etwa 5,6 Milliarden Euro erhöht. Damit istund bleibt das Elterngeld das zentrale Instrument unsererVerantwortung gegenüber den Familien in Deutschland.
Darüber hinaus wurde mit dem Elterngeld Plus eine zu-sätzliche Gestaltungskomponente geschaffen, die einewesentliche Unterstützung für Familien nach der Geburteines Kindes ermöglicht. Mit der Flexibilisierung der El-ternzeit ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Zeit für dieFamilie getan. Dass das Geld gut investiert ist, belegendie aktuellen Zahlen.Als Vertreter der CSU ist es mir natürlich eine Her-zensangelegenheit, das Betreuungsgeld anzusprechen.
Ich möchte gleich zum Antrag der Grünen kommen. Ichkann nicht nachvollziehen, dass Sie so sehr darauf be-harren, die Kinder schon im Kleinkindalter von ihren El-tern wegzuziehen.
Die Wahrheit ist doch, dass Kinder in den ersten dreiJahren die Bindung zu ihren Eltern brauchen. Dies bele-gen im Übrigen viele wissenschaftliche Studien.
Weiter sagen Sie, dass Eltern durch das Betreuungsgeldvom Arbeitsmarkt ferngehalten werden.
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Alois Rainer
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– In Ihrem Antrag steht: Eltern werden durch das Be-treuungsgeld vom Arbeitsmarkt ferngehalten. – Dashabe nicht ich, sondern das haben Sie geschrieben.Wir schaffen Wahlmöglichkeiten für junge Familien.Das ist soziale Gerechtigkeit. Wenn in Bayern 50 Pro-zent der Kinder in die Kindertagesstätte bzw. die Krippegehen, ist das gut. Die Eltern dieser Kinder haben dieseMöglichkeit gewählt; das ist in Ordnung. Wir wollen dasnicht verbieten. Aber es ist genauso in Ordnung, das Be-treuungsgeld in Anspruch zu nehmen. Dafür stehen wir,und dafür werden wir weiterhin stehen.
Erst kürzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen derGrünen, habe ich auf Ihrer Internetseite gelesen, dass Fa-milien mehr Zeit füreinander haben sollen. Darin stimmeich Ihnen voll und ganz zu. Familien brauchen nicht we-niger, sondern mehr Zeit füreinander. Das Betreuungs-geld gibt ihnen ein Stück weit mehr Zeit füreinander,wenn sie es denn wollen. Wenn sie es nicht wollen, kön-nen sie die andere Möglichkeit wählen. Sie widerspre-chen sich in Ihrem Antrag. Auf der einen Seite wollenSie mehr Zeit für die Familien. Auf der anderen Seitesollen die Kinder am besten ganz flott nach der Geburtvon Dritten betreut werden. Wir unterstützen die jungenFamilien. Das ist unser Verständnis von Fairness undGerechtigkeit.Wie heißt es so schön: Wenn etwas gut ist, machenwir mehr davon. – Genau das tun wir. Der Ansatz für dasBetreuungsgeld wurde von 515 Millionen auf 900 Mil-lionen Euro angehoben.
Damit gehen wir auf die Erhöhung der Familienleistungvon 100 auf 150 Euro im Monat ein.Da wir schon von Betreuung sprechen, nutze ich indiesem Zusammenhang gerne die Überleitung zum Bun-desamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.Nach der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011durchlief die Behörde eine umfassende Umstrukturie-rung. Mit den ursprünglichen Aufgaben betreffend dieAnerkennung von Kriegsdienstverweigerung und dieDurchführung des Zivildienstes administriert das Bun-desamt mittlerweile 28 wichtige Aufgaben für die Men-schen in unserem Land, zum Beispiel das im März 2013gestartete Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Diesesbietet hilfesuchenden Frauen erstmals die Möglichkeit,sich bundesweit zu jeder Zeit, 24 Stunden, und anonymHilfe zu holen.
Oder die vertrauliche Geburt. Hier werden aktiv Lebengerettet. Seit der Einführung zum 1. Mai dieses Jahreswurden 54 Geburten gemeldet. Weitere Aufgaben sindder Bundesfreiwilligendienst mit entsprechender päda-gogischer Begleitung, die Mehrgenerationenhäuser, zudenen ich später noch mehr sagen werde, der Fonds fürOpfer der Heimerziehung in West und Ost, die Ge-schäftsstelle der Conterganstiftung, die mit 155 Millio-nen Euro ausgestattet ist, und vieles mehr. – Mit dieserVielfältigkeit hat sich die Behörde, die einst als Abbau-behörde betitelt wurde, zu einer etablierten Stütze desBundesfamilienministeriums entwickelt. So ist es nurfolgerichtig, dass wir mit der personellen Stabilisierungdes Bundesamtes die Rahmenbedingungen dazu ge-schaffen haben, dass die gute Arbeit auch künftig fortge-setzt werden kann. Ich möchte mich in diesem Zusam-menhang ganz herzlich bei meiner Kollegin UlliGottschalck bedanken, die mit dafür gesorgt hat, dasswir das geschafft haben.
An dieser Stelle möchte ich auch noch die 17 Bil-dungszentren in Deutschland ansprechen. Aufgrund ei-nes Gutachtens der Prognos AG vom Februar 2014 wur-den die Kapazitäten dem Bedarf angepasst. Hierausergaben sich jährliche Einsparungen von 5,5 MillionenEuro ab dem Jahr 2017. Ich bin grundsätzlich der Mei-nung, dass man Bildung nicht nur wirtschaftlich betrach-ten sollte; vielmehr sehe ich Bildung auch als Aufgabedes Staates. Daher finde ich es richtig, dass wir dieseauch weiter in der Obhut des BAFzA und der staatlichenBildungszentren gelassen haben.Ich finde es hervorragend, dass wir den Jugendmigra-tionsdienst mit 1 Million Euro mehr stärken können. DieMinisterin hat hier schon darüber gesprochen. Der Titelwurde auf 42,6 Millionen Euro angehoben – in der jetzi-gen Zeit eine notwendige Maßnahme.
Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich nochein Thema ansprechen, das ich bereits mehrfach an-sprach und das ein Herzensthema von mir ist. Ich freuemich zum einen besonders, dass wir die Finanzierungder Mehrgenerationenhäuser nach dem Wegfall der ESF-Mittel im Haushalt 2015 berücksichtigen konnten; zumanderen freue ich mich darüber, dass wir mit einemMaßgabebeschluss im Haushaltausschuss die dauerhafteBeteiligung des Bundes an dem überaus erfolgreichenKonzept der Mehrgenerationenhäuser sicherstellenkonnten.
Die Mehrgenerationenhäuser – ich konnte mir in ver-schiedenen Häusern der Republik ein Bild vor Ort ma-chen – leisten durch ihre Vielzahl und Vielfalt ein gene-rationenübergreifendes Angebot für Jung und Alt.Dadurch werden die Potenziale aller Generationen imQuerschnitt unserer Gesellschaft gefördert. Integrationund Inklusion werden in den Mehrgenerationenhäuserngelebt und großgeschrieben. Von daher, liebe Frau Kol-legin Deligöz, habe ich es nicht verstanden, dass Sie unddie Fraktion der Grünen dem Maßgabebeschluss zumErhalt der Mehrgenerationenhäuser im Haushaltsaus-schuss nicht zugestimmt,
sondern sich enthalten haben. Ich gehe einfach einmaldavon aus, dass Sie noch nicht die Möglichkeit hatten,sich eines der 447 geförderten MGHs anzuschauen; denn
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Alois Rainer
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dann hätten auch Sie mit Sicherheit wie ich gesehen,welche hervorragende Arbeit hier geleistet wird.
Natürlich ist die Summe der Wünsche immer größerals die Summe an Geld, die vorhanden ist. Dennoch wol-len die Menschen keine neuen Schulden. Sie wollen einePolitik, wie ich schon eingangs sagte, die nachhaltig ei-nen maßgeblichen Beitrag für die wirtschaftliche Situa-tion in Deutschland leistet. Wir sind mit diesem Haushaltein Vorbild für andere Länder in Europa und der Welt;denn dieser Haushalt ohne neue Schulden ist generatio-nengerecht und für die Zukunft unserer Menschen gut.Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli
Gottschalck, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Lange, manchmal auch sehr lange Haushaltsver-handlungen liegen hinter uns. Ich muss aber sagen: DerEinsatz hat sich gelohnt. Jedenfalls mit unserem Etatkönnen wir sehr zufrieden sein; denn im Gegensatz zudem Bild, das die Kollegin von den Grünen gezeichnethat, haben wir doch ordentliche Akzente zugunstenwichtiger Gesellschaftsaufgaben gesetzt.
Der Einzelplan sieht einen Aufwuchs um etwas mehrals eine halbe Milliarde Euro vor. Dies ist im Wesentli-chen auf höhere Ausgaben beim Elterngeld zurückzu-führen. Ja, das Elterngeld ist uns lieb, aber auch teuer.Trotzdem muss ich sagen: Es bringt etwas, und das istgenau das, was wir wollten. Die Trends, die sich ab-zeichnen, nämlich dass mehr Väter Elterngeld beziehenund Frauen besser verdienen, sind genau die von uns ge-wollten Effekte zum Wohle der Familien. Deshalb kön-nen wir sagen: Ja, es ist teuer, aber es ist auch sehr gut.
Das neue Elterngeld Plus, welches jungen Eltern ermög-licht, in Teilzeit zu gehen, und zwar beiden Elternteilen,wird dies nochmals beflügeln.Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist wirk-lich eine moderne Familienpolitik einer modernenMinisterin. Dafür ein herzliches Dankeschön. Sie verste-hen Ihr Handwerk. Danke schön, Frau Ministerin.
An dieser Stelle will ich meinen Dank und vor allenDingen einen herzlichen Glückwunsch aussprechen zumgroßen Erfolg der Frauenquote. Gerade die Querschüsseder vergangenen Tage haben noch einmal deutlich ge-macht, wie wichtig die Frauenquote ist, um diese Män-nerdominanz zu durchbrechen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zurück zumHaushalt. Ich komme auf die Bereinigungssitzung zusprechen, in der uns einiges gelungen ist.Die Mehrgenerationenhäuser sind insbesondere einAnliegen meines Kollegen Alois Rainer. Wir sind uns dasehr einig. Auch die Linke hat dem zugestimmt. Wirwollen, dass die Mehrgenerationenhäuser, die ihre Auf-gabe wirklich auf hervorragende Art und Weise erfüllen,weiter existieren können. Deshalb ist es gut, dass wir mitgroßer Mehrheit diesen Beschluss gefasst haben, zumaldie Häuser Planungssicherheit für das Jahr 2016 brau-chen. Insofern wäre ein späterer Beschluss zu spät gewe-sen. Deswegen ist dieser Maßgabebeschluss gefasst wor-den.
Ein sehr großer Erfolg der Bereinigungssitzung sindzusätzliche 10 Millionen Euro für Maßnahmen zur Stär-kung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Mit10 Millionen Euro mehr stehen nun insgesamt 40,5 Mil-lionen Euro zur Verfügung. Ich finde, damit sind wirschon ganz ordentlich aufgestellt, um präventiv gegenrechtsextreme, salafistische, antisemitische oder anderemenschenfeindliche Auswüchse vorgehen zu können.Kollege Leutert, natürlich wünsche auch ich mir im-mer mehr. Man muss aber immer den kompletten Haus-halt im Blick haben und darauf achten, dass nichts ausdem Ruder läuft. Wir haben 10 Millionen Euro gefordertund gehofft, 5 Millionen Euro zu bekommen. Letztlichhaben wir uns auf 10 Millionen Euro geeinigt. Ichdenke, das ist ein ganz guter Erfolg. Das ist auch wichtigfür die lokalen Bündnisse vor Ort.
Die Programme müssen schnell auf den Weg gebrachtwerden. Die Ministerin steht gemeinsam mit den Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses in den Startlö-chern, um das neue Programm „Demokratie leben“ vo-ranzutreiben. Ich bin mir sicher, dass das zügigumgesetzt wird und dass das Geld bei den Bündnissenankommen wird.Mit 1 Million Euro mehr stärken wir die Jugendmig-rationsdienste. Auch das ist eine wichtige und gute Ent-scheidung, mit der wir es geschafft haben, bei den Ju-gendmigrationsdiensten draufzusatteln. Diese leisteneine extrem wichtige Arbeit. Es gibt über 400 Jugendmi-grationsdienste, die junge Migrantinnen und Migrantenim Alter von 12 bis 27 Jahren freundlich empfangen unddiese bei ihrem Integrationsprozess aktiv unterstützen.Deshalb ist diese Arbeit wichtig.Ich habe mir die Jugendmigrationsdienste in Kasselangeschaut, die eine wirklich hervorragende Arbeit leis-ten. Gerade in diesen Zeiten ist es besonders wichtig,dass auch die Kommunen dabei sehr unterstützt werden,weil sie den jungen Menschen Wege aufzeigen und auf-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6693
Ulrike Gottschalck
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passen, dass keiner von den jungen Menschen, die hierankommen, auf der Strecke verloren geht. Ich denke, dasist gut investiertes Geld. Davon profitiert auch unseregesamte Gesellschaft.
Beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftli-che Aufgaben – das hat Alois Rainer vorhin bereits an-gesprochen – konnten wir die Streichung von 112 kw-Vermerken – für Nichthaushälter möchte ich darauf hin-weisen, dass das für „künftig wegfallend“ steht – errei-chen. Damit haben wir eine zukunftssichere Personalpo-litik im BAFzA gesichert.Das BAFzA, die ehemalige Zivildienstbehörde, wareinmal als Teilabbaubehörde geplant. Deshalb sind beiihr so viele kw-Vermerke ausgebracht. In der Zwischen-zeit wurde jedoch eine Aufgabe nach der anderen an dasBAFzA übertragen. Inzwischen hat das BAFzA 28 Auf-gaben zu erfüllen. Das BAFzA ist verantwortlich für dasHilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das Verfahren fürdie vertrauliche Geburt und den Fonds für die Opfer derHeimerziehung in Ost und West. Das BAFzA erfüllt alsosehr viele Aufgaben. Bisher waren 25 Prozent der dorti-gen Arbeitsplätze befristet.Ich denke, es ist richtig, dass wir dafür gesorgt haben,dass wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herrscht,konkret auf unserem eigenen Arbeitsmarkt. Deshalb binich sehr froh, dass uns das gemeinsam gelungen ist.
An dieser Stelle will ich mich ausdrücklich auch beimUnionshaushälter Alois Rainer bedanken;
denn ohne die gute Zusammenarbeit hätten wir die gan-zen Leistungsverbesserungen nicht auf den Weg ge-bracht. Auch die Arbeit mit Ekin Deligöz und dem Kol-legen Leutert ist sehr gut verlaufen, wenn auch nichtimmer so übereinstimmend wie vielleicht mit den Uni-onshaushältern.Ich habe bereits gestern in der Generaldebatte ausge-führt, wie schwierig es für Familien ist, den ganz norma-len Alltagswahnsinn unter einen Hut zu bekommen. JedeFamilie ist anders. Deshalb müssen wir dafür sorgen,dass Familien die Unterstützung bekommen, die zu ihreneigenen Vorstellungen passt. Wichtige Initiativen habenwir schon auf den Weg gebracht. Aber zum Beispiel derVorschlag von Manuela Schwesig im Hinblick auf Fami-lienarbeitszeit sollte weiter vertieft beraten werden. Wirmüssen dafür sorgen, dass der Kitaausbau nicht stoppt.Investitionen in Verkehrswege sind sehr wichtig; aberInvestitionen für unsere Kinder sind genauso wichtig.Deswegen kündige ich als Haushälterin schon einmal an,dass ich schon Wert darauf lege, dass in dem 10-Milliar-den-Euro-Investitionsprogramm, das wir beschlossenhaben, auch Gelder für den Kitaausbau, für die frühkind-liche Bildung enthalten sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Ab-schluss will ich sagen: Ich bedanke mich für die diesjäh-rigen Haushaltsverhandlungen. Ich denke, wir könnensehr zufrieden sein. Ich bedanke mich für das nette Mit-einander bei meinen Mitberichterstatterinnen und Mitbe-richterstattern, bei Manuela Schwesig und ihrem ganzenHaus.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt
das Wort Norbert Müller.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Frau Ministerin Schwesig! Liebe Gästeauf den Besuchertribünen, die zu dieser etwas familien-unfreundlichen Zeit heute Nachmittag in den DeutschenBundestag gekommen sind!
– Schauen Sie einmal, wie viele Kitas in Deutschlandbereits zwischen 16 und 17 Uhr schließen. Betroffen da-von sind die, die kleine Kinder haben.In der ersten Beratung zum Bundeshaushalt 2015sprach an dieser Stelle noch meine Kollegin DianaGolze. Frau Golze ist, wie Sie wissen, inzwischen alsMinisterin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen undFamilie in die rot-rote Regierung Dietmar Woidkes ein-getreten und wird dort mit der ihr eigenen Leidenschaftweiter gegen Armut und soziale Benachteiligung vonKindern und Jugendlichen kämpfen.
Ich finde es bedauerlich, dass Sie, Frau MinisterinSchwesig, und die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion – bei der CDU/CSU sind jugend- und familien-politisch ohnehin kaum Fortschrittliches und auch keinemoderne Gesellschaftspolitik zu erwarten – die Kritik anden falschen Weichenstellungen des Bundeshaushaltesvollständig ignorieren, dass Sie zum Stichwort „Betreu-ungsgeld“, zu der Kritik daran, die Sie selbst einmal vor-getragen haben – ich erinnere an das SPD-Wahlpro-gramm –, und zu moderner Gesellschaftspolitik, die Sieim SPD-Bundestagswahlprogramm sehr präzise skiz-ziert haben, hier gar nichts mehr sagen; vielmehr suchenSie sich neue Themen aus.
Frau Ministerin Schwesig, wenn ich Ihren Haushaltund das besagte SPD-Wahlprogramm nebeneinander-lege, stellt sich mir folgende Frage: Wie ertragen Sie eseigentlich, hier eine Politik vertreten zu müssen, Stich-wort „Betreuungsgeld“, die Ihren Überzeugungen docheigentlich weitgehend widersprechen müsste, und sichsozusagen als Sahnehäubchen von Ihrem Koalitionspart-
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ner in der Öffentlichkeit demütigen zu lassen, wie wir esdiese Woche erleben konnten?Unabhängig vom Haushalt finde ich es ein Stück weitenttäuschend, wie profillos sich die SPD hier trotz hoff-nungsvoller Programmatik gibt. Ich habe als Landtags-abgeordneter in einer rot-roten Koalition in Brandenburgeine andere SPD-Familien-, -Jugend- und -Frauenpolitikkennengelernt. Und ja: Eine Koalition ist immer vonKompromissen geprägt. Aber ein Kompromiss, bei demman am Ende das Gegenteil dessen macht, was maneinst versprochen hat, ist eben kein Kompromiss.
Ihre 1 Milliarde Euro – oder besser: 900 MillionenEuro –, die Sie als Belohnungsprämie für den Verzichtauf die Inanspruchnahme eines Rechtsanspruches hierwieder in den Haushalt eingestellt haben, steht für dengrößten familienpolitischen Sündenfall der Sozialdemo-kratie in dieser Legislaturperiode. Es ist nicht einmal er-kennbar, dass Sie an diesem sozial-, bildungs- und fami-lienpolitischen Unfug namens Betreuungsgeld nochernsthaft Kritik vorbringen, sondern Sie machen fast dasGegenteil.Gerade weil Sie aber offenbar nicht bereit sind, diebabylonische Gefangenschaft der Koalition mit derCDU/CSU hier zu verlassen, werden Sie sich auch wei-tere Kritik gefallen lassen müssen, und zwar zu Punkten,zu denen Sie in Ihrer Rede nichts gesagt haben, die je-doch angeblich Schwerpunkte in dieser Wahlperiodesein sollen.In Ihrer Rede auf dem 15. Deutschen Kinder- und Ju-gendhilfetag haben Sie erklärt – ich zitiere Sie, FrauSchwesig –:Einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit in dieserLegislaturperiode will ich deshalb den Jugendli-chen widmen.Und weiter sagten Sie:Ich will deshalb bei der Eigenständigen Jugendpoli-tik in dieser Legislaturperiode vom Reden zumHandeln kommen.Da kann man jetzt auch Beifall klatschen.Doch leider muss der Applaus verebben, wenn manIhre Worte, denen Sie Handlungen folgen lassen wollten,mit dem vorliegenden Haushalt abgleicht. Diesen Rea-litätscheck bestehen Sie mit dem vorliegenden Einzel-plan 17 nicht.Man kann durchaus erfreut feststellen, dass Sie imKinder- und Jugendplan den Posten zur Jugendpolitikum 400 000 Euro auf nunmehr 2,5 Millionen Euro auf-gestockt haben. Aber was steckt hinter den 2,5 MillionenEuro? Hieraus wurde das Zentrum für die Entwicklungeiner Eigenständigen Jugendpolitik finanziert; das habenSie gerade wieder abgewickelt. Dabei fallen mir noch ei-nige Dinge auf:Erstens. Sie werden eine Koordinierungsstelle mitdem hochtrabenden Namen „Handeln für eine jugendge-rechte Gesellschaft“ einrichten. Das haben Sie angekün-digt. Was soll diese Koordinierungsstelle eigentlich tun?Sie soll die Handlungsstrategien der Eigenständigen Ju-gendpolitik in 16 Modellprojekten – für jedes Bundes-land eines – ausprobieren, soll Bausteine einer eigenenJugendpolitik umsetzen. Damit verlagern Sie die Verant-wortung für die Eigenständige Jugendpolitik vom Bundauf die Kommunen und auf die Länder. Das ist kein Ei-genständiges Handeln, sondern das ist höchstens dasKommentieren des Handelns anderer.Zweitens. Die Eigenständige Jugendpolitik soll imRahmen der Demografiestrategie der Bundesregierungweiterentwickelt werden. Damit sie dort nicht komplettuntergeht, was zu erwarten wäre, wurde eine AG „Ju-gend gestaltet Zukunft“ gegründet. Bis zum Frühjahr2017 – da findet der vierte Demografiegipfel statt – wirdsich die AG mit dem Schwerpunkt „Gelingendes Auf-wachsen von Jugendlichen in ländlichen Räumen“ be-schäftigen. So weit, so gut. So wird die AG mit demhochtrabenden Namen „Jugend gestaltet Zukunft“ in dennächsten zweieinhalb Jahren vier Kommunen besuchenund sich vor Ort gelungene Beispiele in der Praxis an-schauen.Frau Ministerin Schwesig, ich bitte Sie! Beides hörtsich an wie die modifizierte Fortführung der Kampagnefür eine kindgerechte Kommune. Sie wollten in dieserWahlperiode bei der Eigenständigen Jugendpolitik vomReden zum Handeln kommen. Aber wo ist hier Ihre ei-genständige Handlung? Ist es nicht vielmehr so, dass Siedarauf warten, dass andere für Sie handeln?Ich komme zu meinem letzten Beispiel. Sie haben unsauf eine Kleine Anfrage bezüglich der Situation vonStraßenkindern geantwortet, dass Sie vier Projekte fürStraßenkinder mit jeweils 100 000 Euro fördern werden.Ich begrüße, dass Sie die Realität zur Kenntnis nehmen,dass es in diesem Land Tausende Kinder und Jugendli-che gibt, die auf der Straße leben. Das sind Kinder undJugendliche, die auf der Straße gelandet sind, auch des-halb, weil die Gesellschaft versagt hat.Ich muss nun feststellen, woher die 400 000 Eurokommen, die Sie einstellen wollen: von der Eigenständi-gen Jugendpolitik. So spielen Sie die Eigenständige Ju-gendpolitik gegen Straßenkinder aus. Ich erkläre Ihnendas auch: Wenn Kinder und Jugendliche zu Straßenkin-dern werden, dann hat dies eine Vorgeschichte; das wis-sen Sie. Die Vorgeschichte ist das Scheitern der Gesell-schaft an ihren sozialen Problemen. Nicht nur dieFamilien, auch die örtlichen Strukturen – Schule, Ver-einslandschaft, Kinder- und Jugendhilfe – haben an die-sem Punkt bereits versagt. Kein Jugendlicher lebt gernauf der Straße. Es ist die Flucht vor einer Gesellschaft, inder es die Jugendlichen nicht mehr aushalten, wenn siesich mit ihrem Lebensmittelpunkt auf die Straße zurück-ziehen.So richtig es ist, diesen Jugendlichen Öffentlichkeitzu geben, Frau Schwesig, so falsch ist es, an der Eigen-ständigen Jugendpolitik zu sparen; denn eine gute Ju-gendpolitik geht an die Wurzel des Problems und setztan der sozialen Infrastruktur an – das hatten Sie auch imSPD-Wahlprogramm –, die vorbeugend wirken soll, so-dass es gar nicht erst zu dieser Anzahl von Straßenkin-
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dern kommt. Die Eigenständige Jugendpolitik kostetGeld, sie kostet viel Geld, Frau Schwesig, und ich kannnicht erkennen, dass Sie in diesem Haushalt hier einenSchwerpunkt gesetzt haben. Von daher können Sie un-sere Zustimmung nicht erwarten.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Marcus Weinberg, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich will drei Vorbemerkungen machen:Erstens. Liebe Frau Brantner, ob die Null nun rot oderweiß oder schwarz oder grün ist, ist relativ wurscht.
Für Familienpolitiker ist es hervorragend, dass wir dieseNull erreicht haben; denn wir sind für die kommendenGenerationen verantwortlich. Damit schützen wir diekommenden Generationen vor Verschuldung.
Ich bin mittlerweile – auch erkennbar – 47 Jahre.Wenn man rückblickend feststellt, dass man 45 der47 Jahre in Neuverschuldung erlebt hat, dann kann manheilfroh sein, dass wir endlich dieses Ergebnis erzielt ha-ben. Ich hatte schon die Sorge, dass eines Tages die Zahlder Jahre mit Neuverschuldung mein Gewicht erreicht.Das, Gott sei Dank, ist verhindert worden. Das ist ein Er-folg auch für die Familien in diesem Land.
Zweitens. Man kann viel kritisieren, wie die Linke esgern tut; man muss dann aber auch sagen, woher dasGeld kommen soll.
Zusammengerechnet würden Ihre Forderungen weitmehr als 50 Milliarden Euro verschlingen. Ein Grund-satz von uns Familienpolitikern ist: Wir tun gern etwasaus Überzeugung; wir haben auch eine richtige Zielfunk-tion.Wir müssen aber auch wissen: Das Geld, das wir fürgute Maßnahmen ausgeben, müssen andere erwirtschaf-ten. Deswegen ist es ein Gebot der wirtschaftlichen Ver-nunft, daran zu denken, Maßnahmen nicht über Neuver-schuldung zu finanzieren, weil unsere Kinder dann dafürzahlen müssten.Beim dritten Punkt geht es auch um die moderne Fa-milienpolitik. Ich stimme natürlich zu: Wir haben einemoderne Familienpolitik. Aber es sei auch erwähnt, dassdie Themen, die die moderne Familienpolitik auszeich-nen – Elterngeld, Kitaausbau, Familienpflege, Qualitätin der frühkindlichen Bildung, Frauenquote – bereits seitvielen Jahren angelegt waren. Insoweit setzen wir dasfort, was wir in den Regierungsjahren vorher schon ein-gebracht haben. Das ist ein gemeinsamer Erfolg der Gro-ßen Koalition.
Richtig ist – Frau Gottschalck und Herr Rainer habenes angesprochen –, dass der Etat noch einmal erhöhtwurde: auf 8,54 Milliarden Euro. Das ist ein Erfolg. Esgibt im Bundeshaushalt zwei Bereiche, die seit 2005deutliche Zuwächse zu verzeichnen haben. Das eine istder Bereich Bildung, Forschung und Wissenschaft, dasandere ist der Bereich Familie. Das heißt also, dass wirseit 2005 in Deutschland einen Paradigmenwechsel erle-ben, dass wir in die Zukunft investieren. Da sind dieGelder gut angelegt; mit diesen Mitteln können wir Fa-milien stärken. Wir wollen Kindern und Jugendlichen,Frauen und Männern gleichberechtigte gesellschaftlicheTeilhabe ermöglichen; wir wollen ihnen insgesamtSelbstständigkeit und die Entfaltung ihrer Fähigkeitenermöglichen. Unsere Familienpolitik ist in der Summedavon geprägt, dass wir den Veränderungen, den ver-schiedenen Lebensphasen gerecht werden und die Maß-nahmen und Leistungen den einzelnen Phasen entspre-chend ausprägen.Ich will das mit den veränderten Rollenbildern undden Familienleitbildern, die sich in Deutschland entwi-ckeln, in Verbindung setzen. Was müssen wir familien-politisch machen? Ja, es gibt die traditionelle Familie, inder einer der beiden Partner zu Hause bleibt und sich umdie Erziehung und Betreuung der Kinder kümmert. Des-wegen haben wir für diese Menschen etwas zu leisten.Es gibt auch die Alleinerziehenden – wir haben für siedie Regelungen zum Elterngeld korrigiert –, die sich al-leine um das Kind kümmern müssen. Es ist gut und rich-tig, dass nun auch die Alleinerziehenden die Partner-schaftsmonate nutzen können.Immer mehr Menschen, immer mehr junge Eltern sa-gen: Beide sollen für das Einkommen der Familie ver-antwortlich sein; es sind mittlerweile 81 Prozent. Auchfür diese müssen wir entsprechende Maßnahmen entwi-ckeln. Unsere Familienpolitik wird den verschiedenenRollenbildern gerecht.Das sehen Sie auch daran, dass die Große Koalitionden drei großen Wünschen der Menschen – die Erwar-tungen haben sich verändert – Rechnung trägt. Das eineist der Wunsch, die Vereinbarkeit von Beruf und Familiezu erleichtern. So hat Allensbach 2013 festgestellt, dass81 Prozent diesen Wunsch haben. Dem werden wir ge-recht. 60 Prozent der Eltern von Kindern unter 18 Jahrenwünschen, junge Familien stärker zu fördern. Das ma-chen wir. 55 Prozent wünschen, dass das Angebot anKrippenplätzen ausbaut wird. Das machen wir. All dasfindet sich im Dreieck aus finanzieller Sicherheit der Fa-milie, Infrastruktur und Zeitmanagement. Es entsprichtden Grundsätzen der Union für das familienpolitischeHandeln: Wir wollen die Vielfalt anerkennen, Maßnah-men zielgenau und bedarfsgerecht zuschneiden und sodie Familien unterstützen. Deswegen müssen die fami-lienpolitischen Leistungen immer überprüft werden. Esist immer eine Aufgabe der Politik, das, was man leistet,
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zu überprüfen, aber immer auch Vertrauen in die Fami-lien zu haben. Familien sollen eigenverantwortlich diefür sie passenden Leistungen wählen.Frau Brantner, deswegen verstehe ich nicht, warumSie bewerten müssen, ob 20, 40, 60 oder 80 Prozent derEltern das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen. Neh-men Sie es doch einfach zur Kenntnis. Es ist doch gut,wenn Menschen die Wahl haben, zwischen den Möglich-keiten wählen können.
Das sollten wir doch nicht einschränken. Sie könneneine Maßnahme doch nicht anhand der Frage bewerten,ob sie nur 20 Prozent oder sogar 80 Prozent in Anspruchnehmen. Das ist doch der falsche Zugang zu dieserFrage.
Der Zugang muss doch sein: Es gibt das Angebot, undwir freuen uns über jede Familie, die das Angebot wahr-nimmt. Das gilt sowohl für den Krippenausbau als auchfür das Betreuungsgeld. Wir wollen es den Familiennicht vorschreiben. Wir wollen die Familien in ihrer ei-genen Entscheidung stärken, Frau Brantner; wir beidehaben sie nicht zu kommentieren.Das bedeutet für uns, dass die Familienpolitik nichteinseitig und verengt ökonomischen Interessen dienenmuss. Wir sagen: Wir wollen nicht die arbeitsgerechteFamilie, sondern eine familiengerechte Arbeitswelt. Da-ran kann man auch den Erfolg der Familienpolitik be-werten. Da sieht man, dass die großen Maßnahmen, diewir implementiert haben, zu entsprechenden Erfolgengeführt haben.Ich will die großen Maßnahmen, die Leuchttürme, an-sprechen, weil sie in Übereinstimmung zu den Wün-schen der Eltern stehen. Das erste Thema ist der gesamteBereich Elterngeld, Elterngeld Plus. Noch einmal: Wasgut und richtig war und angenommen wurde, ist, das El-terngeld zu flexibilisieren. Frau Brantner, dahinter stehtnatürlich ein Gedankengang. Sie haben in Ihrer Rede dieRegelung kritisiert, dass beide, Vater und Mutter, jeweils25 bis 30 Stunden arbeiten müssen und gefordert, dieseetwas nach oben und nach unten zu öffnen. Aber das istdoch der entscheidende Punkt: Wir wollen doch – in An-führungszeichen – „wegkommen“ von der Aufteilung,dass die Mutter 20 Stunden und der Vater 40 Stunden ar-beitet. Wir wollen eine gleichmäßigere Verteilung.Wir wollen so auch den Männern gerecht werden, diezu über 60 Prozent sagen, sie möchten mehr Zeit mit ih-ren Kindern verbringen.
Wir möchten auch den Müttern gerecht werden, diegerne etwas mehr arbeiten möchten. Diesen Ansatz, dieStärkung der Partnerschaftlichkeit, verfolgen wir mitdem Partnerschaftsbonus und den Partnermonaten. Daswürden wir doch kaputtmachen, wenn wir Ihrem Vor-schlag folgen würden.
Ein zweites Thema ist der Ausbau der U3-Krippen-plätze. Hierfür sind 5,4 Milliarden Euro vorgesehen. Dasist eine große Summe. Deswegen finde ich das immerwieder erwähnenswert. Nun sagt Frau Brantner, wirwürden die Länder und Kommunen alleine lassen. Wis-sen Sie: Wir geben zusätzlich zu den Investitionsmitteln845 Millionen Euro und demnächst 945 Millionen Eurofür die Betriebskosten dazu.
Wenn ich dann dazurechne, was wir für den Bereich Bil-dung und Forschung ausgeben, wenn ich dazurechne,was wir in den nächsten Jahren den Kommunen an Ent-lastung schenken werden, dann kann ich nur sagen: FrauBrantner, Sie kommen doch aus Baden-Württemberg.Gehen Sie zu Ihrer zuständigen Ministerin, und sagenSie ihr, sie soll Erzieherinnen einstellen. Das liegt in ih-rer Verantwortung und nicht in unserer Verantwortung.
Frau Gottschalck, wir können gerne darüber diskutie-ren, wie wir die 10 Milliarden Euro aus dem Investi-tionsprogramm sinnvoll für unser Land ausgeben. Aberich befürchte, wenn wir einmal damit anfangen, dannkommen noch die Hortplätze oder diese oder jene Be-treuung dazu, und irgendwann diskutieren wir in diesemPlenum womöglich noch darüber, ob wir nicht 20 Pro-zent der Lehrergehälter dazugeben.Wir haben im föderativen System eine klare Ordnung,und wir verstoßen immer stärker gegen diese Ordnung.Deswegen bin ich heilfroh, dass wir in der Bund-Länder-Kommission darüber reden, dass die Finanzströme end-lich geordnet werden, damit jeder weiß, was er zu tunhat; denn wir können nicht die originären Aufgaben derLänder und Kommunen wahrnehmen. Das schaffenselbst wir nicht.
Zur der Frage, wie man die Qualität verbessern kann.Ich finde es richtig, dass die Länderminister mit derBundesministerin gemeinsame Gespräche führen undüberlegen: Was ist die Agenda? Ich erwarte von denLändern, dass sie bereit sind, ihren Betreuungsschlüssel– Hamburg hat derzeit einen Betreuungsschlüssel von1 zu 5,6 und Bremen einen von 1 zu 3,1 – zu verändern,Erzieherinnen einzustellen und Qualitätsstandards fest-zulegen. Das ist doch im Interesse der Länder, der Kom-munen und des Bundes.Das Kitaqualitätsgesetz, wie man es fordert, hättedoch nur eines als Konsequenz, dass gesagt wird: Ihrseid für die Standards verantwortlich, ihr müsst sie auchbezahlen. Ich sage es noch einmal: Das ist nicht unsereoriginäre Aufgabe. Ich verweigere mich der Diskussionnicht, aber ich bin verärgert darüber, wenn die Mittel, die
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wir für die Länder bereitstellen, für etwas anderes ausge-geben werden.
Ich habe bereits ein Beispiel genannt. Wenn einem Qua-lität so wichtig ist, dann muss man als zuständiger Mi-nisterpräsident, in diesem Fall Bürgermeister, die Quali-tät auch ausbauen.Wenn man das Geld, das man vom Bund bekommt,aber verwendet, um die Beiträge zu streichen, dann setztman die Priorität anders. Dann ist es doch eher wichti-ger, dass diejenigen mit hohen Einkommen, die auch dieentsprechenden Beiträge zahlen, entlastet werden. Dannsetzt man halt nicht auf die Qualität und das Einstellenneuer Erzieherinnen und Erzieher. Aber das ist eine poli-tische Frage, die in den Ländern entschieden werdenmuss.Es wurden viele einzelne Maßnahmen angesprochen,zum Beispiel die Frühen Hilfen, die mit 51 MillionenEuro unterstützt wurden – das wurde jetzt verstetigt –,oder die Mehrgenerationenhäuser, mit denen der sozialeZusammenhalt in der Gesellschaft – das ist für uns alleparteiübergreifend ein wichtiger Punkt – gestärkt wird.Wir werden dafür kämpfen, dass wir diese auch über2016 hinaus sichern bzw. konzeptionell neu aufstellen;das steht ja auch im Koalitionsvertrag. Weitere Maßnah-men, die wir unterstützen, sind die Jugendfreiwilligen-dienste, Entschädigung für die Opfer der HeimerziehungOst und Ähnliches. Familienpolitik muss konkret sein.Familienpolitik muss für die Familie, für Mann undFrau, für die Kinder und Jugendlichen da sein.Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Diskus-sionspunkt aufgreifen. Ich finde es richtig, dass man da-rüber diskutiert, wie man die Rechte der Kinder stärkenkann. Ich gehöre zu denen, die immer sagen: Die Partizi-pation von Kindern und Jugendlichen muss gestärkt wer-den. Aber mit Blick auf die Diskussion über die Frage,ob Kinderrechte im Grundgesetz festgeschrieben werdensollen, sage ich ganz deutlich: Wir könnten möglicher-weise einen gefährlichen Weg einschlagen.Zum einen sind Kinder bereits Träger von Grundrech-ten. Wenn ich weiter differenziere, dann mache ich einenRiesenfehler, weil ich das sozusagen indirekt infragestelle. Ich möchte, dass wir Familien, Eltern und Kindergemeinsam stärken. Was ich aber nicht möchte, ist, dasswir eine Diskussion führen und Wolken hin- und her-schieben; als ob dadurch die Probleme in der Jugendhilfegelöst werden könnten.Wissen Sie eigentlich, dass 10 von 16 Bundesländerndie Kinderrechte bereits in der Verfassung haben? Bre-men, Brandenburg, Bayern und einige andere mehr. Gibtes empirisch nachgewiesen irgendwelche Unterschiedebeim Kinderschutz, beim Kindeswohl, bei ASD oder beiJugendhilfestrukturen? Nein. Deshalb warne ich davor,dass wir diese Diskussion falsch führen, weil wir dannnur Wolken hin- und herschieben und den Menschen et-was vormachen, was wir nicht erfüllen.Lassen Sie uns bitte in den nächsten Monaten undJahren konkret darüber nachdenken, wie wir das Kindes-wohl und die Familien sowie Eltern und Kinder gemein-sam stärken können, und nicht zwischen beiden Seitendifferenzieren; denn ich denke, dass Eltern und Kinderimmer noch im Fokus unserer Politik stehen müssen wiein den vergangenen Jahren.
Insofern ist es ein guter Haushalt, und ich freue michschon auf den Haushalt 2016, wenn wir die nächstenWeichen stellen können.Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank. – Nächste Rednerin ist KordulaSchulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlau-ben Sie mir, dass ich kurz auf zwei Punkte aus der bishe-rigen Debatte eingehe. Ich hätte mich gefreut, wenn beider Lesung des Einzelplans 17, in dem es ja um Familienund Frauen geht, auch einige der Wortführer gegen dieFrauenquote hier anwesend gewesen wären und zuge-hört hätten – etwa der Vertreter der Pfauenquote bei derCDU, Herr Kauder –; dann hätte das unter Umständenauch dazu beigetragen, den Umgangston zwischen Män-nern und Frauen in dieser Koalition zu verbessern.
Aber dabei sind bei Ihnen ja einige durch ein Wechsel-bad der Gefühle gegangen. Das hätte hier vielleicht et-was besser herausgestellt werden können.Als zweiter Punkt wurde angesprochen, dass wir unsbei den Mehrgenerationenhäusern enthalten, und ich sageIhnen: Mehrgenerationenhäuser sind auch für uns einganz wesentlicher Punkt der Begegnung der Generatio-nen vor Ort. Wir wollen dauerhaft gerade auch mehrereGenerationen, die Kontakte sowie die verschiedenen Be-darfe und Bedürfnisse dieser Menschen zusammenbrin-gen, und wir glauben, dass Mehrgenerationenhäuser inden Kommunen tatsächlich die richtigen Orte dafür sind.Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie in diesenBereich investieren, dann müssen Sie auch so ehrlichsein und diesem Haus sagen, wofür Sie diese Mittel ein-setzen wollen. Ihren Vorschlägen fehlt jedes Konzept.Deswegen haben wir uns bei diesem Antrag enthalten.
Das ist die Wahrheit.
– Ja, da können Sie jetzt schreien, aber davon bekommenSie auch kein Konzept.
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Kordula Schulz-Asche
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Ein weiterer Punkt, auf den ich eingehen möchte undbei dem wir sogar gegen das, was Sie vorgeschlagen ha-ben, gestimmt haben und witzigerweise auch noch dieEinzigen waren, weil es da eine ganz große Koalition indiesem Hause gab, sind die circa 30 Millionen Euro, dieSie in jedem Jahr für die Bildungszentren des Bundes-amtes, für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgabenvorsehen. Wir haben ausdrücklich dagegen gestimmt.Meine Damen und Herren, die Freiwilligendienstesind hervorragende Lern- und Bildungsangebote. Siezeichnen sich durch Vielfalt sowohl der Angebote – vomsozialen Jahr über das ökologische Jahr – aus, und dievielen Freiwilligen leisten eine gute, notwendige Arbeitfür unsere Gemeinschaft. Sie unterstützen Ältere, sie en-gagieren sich im Naturschutz, in der Entwicklungszu-sammenarbeit und vielen anderen zusätzlichen Feldern.Auch unsere bewährten Träger leisten eine gute Ar-beit. Sie zeichnen sich durch Vielfalt und Pluralität in ih-rer tagtäglichen Arbeit an vielfältigen Einsatzstellen derBildungsarbeit aus. Ich denke, das ist ein riesiges Danke-schön wert.
Bei den jungen Freiwilligendiensten ist es selbstver-ständlich, dass der Freiwilligeneinsatz sowie die pädago-gische und politische Bildung in einer Hand sind. BeimBundesfreiwilligendienst gibt es – aber das ist historischin der Entstehung begründet – eine Ausnahme. Hier sindderzeit politische und pädagogische Bildung leider nochgetrennt.Eine Übergangsphase wäre für uns völlig okay, aber,meine Damen und Herren, Sie entwerfen kein Konzept,wie diese staatliche Bildungsarbeit in Zukunft zusam-men mit der Zivilgesellschaft gestaltet werden kann,sondern Sie wollen ein Weiter-so, und dazu haben wirgesagt: Das ist uns zu kurz gedacht. Wir brauchen einneues, modernes Konzept, deswegen stimmen wir mitNein.
Zudem hat der Bundesrechnungshof gezeigt, dassdies durchaus auch wirtschaftlich infrage gestellt werdenkann. Ich finde, dass das eine grundsätzliche Frage auf-wirft, nämlich welche Rolle das Subsidiaritätsprinzipspielt, das da heißt: Wenn die Zivilgesellschaft etwasbesser machen kann als der Staat, dann soll es auch dieZivilgesellschaft machen. Dass in diesem Bereich dage-gen verstoßen wird, wundert mich übrigens auch, insbe-sondere im Hinblick auf die CDU/CSU-Fraktion, die ge-rade das Prinzip „Zivilgesellschaft vor Staat“ immer sehrin den Vordergrund stellt.
Meine Damen und Herren, versuchen Sie deswegenbitte, zusammen mit der Zivilgesellschaft und den freienTrägern ein gemeinsames Konzept für eine vernünftigeArbeit der Freiwilligendienste in Deutschland zu entwi-ckeln, aber hören Sie auf, mit den staatlichen Angebotendie Arbeit der freien Träger zu zerstören.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, liebe Kollegin Schulz-Asche. – Schö-
nen Spätnachmittag von mir, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, liebe Gäste auf der Tribüne und liebe Damen und
Herren auf der Regierungsbank! – Nächster Redner in
der Debatte ist Sönke Rix für die SPD.
Herzlich willkommen, Frau Präsidentin! Wir haben
schon engagiert debattiert. Sie haben eine gute Debatte
erwischt, bei der Sie uns jetzt wahrscheinlich auch noch
sicher durch die letzten Minuten führen werden.
Dann kommt es jetzt auch auf Sie an.
Ich werde mir Mühe geben. – Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau
Kollegin, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie die Frei-
willigendienste angesprochen haben. Dafür stellen wir
einen Riesenbatzen in unserem Haushalt zur Verfügung.
Diese Mittel investieren wir gerne und auch gut. Wir
sind gerne bereit, für das Freiwillige Soziale Jahr, das
Freiwillige Ökologische Jahr und den Bundesfreiwilli-
gendienst Geld auszugeben; denn wir sind dankbar für
die jungen Menschen, die sich für unsere Gesellschaft
engagieren. Herzlichen Dank an die jungen Menschen!
Ich finde es auch gut, es so zu machen, wie wir es im
Koalitionsvertrag miteinander vereinbart haben. Meines
Erachtens sollten wir keine großen Strukturdebatten da-
rüber führen, ob wir einen Bundesfreiwilligendienst
brauchen oder nicht und ob die Jugendfreiwilligen-
dienste besser sind oder nicht;
denn meist bietet ein Träger sowohl die Jugendfreiwilli-
gendienste als auch den Bundesfreiwilligendienst an,
und die Menschen, die das – –
Ich wollte Sie eigentlich ausreden lassen, um Sie dannzu fragen, lieber Kollege Rix: Erlauben Sie eine Zwi-schenfrage oder Zwischenbemerkung der KolleginSchulz-Asche?
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Ich habe schon sehnsüchtig darauf gewartet, von mei-
ner Rede in die Antwort überzuleiten.
Ja oder nein?
Ja.
Gut. – Bitte, Frau Schulz-Asche.
Herr Kollege, wie bewerten Sie, dass die Staatsminis-
terin an die freien Träger geschrieben hat, es sei grund-
sätzlich infrage zu stellen, ob die freien Träger überhaupt
in der Lage seien, neutrale Bildungsangebote im politi-
schen Bereich anzubieten? Das ist doch wirklich ein
Schlag ins Gesicht der vielen freien Träger, die in Frei-
willigendiensten seit Jahrzehnten sehr bewährte Arbeit
auch im Bereich der politischen Bildung leisten.
Frau Kollegin, so, wie ich dieses Schreiben verstan-den habe, macht sie nur deutlich, dass politische Bildunggenauso wie durch die freien Träger auch durch denStaat erfolgen kann. Deshalb ist es auch gut und sinn-voll, dass wir die staatlichen Schulen weiterhin fördern.
Ich wollte aber Folgendes sagen: Es ist gut, dass wirim Moment keine Strukturdebatten führen, ob das einebesser ist als das andere; denn große Träger wie die Ar-beiterwohlfahrt, die Deutsche Sportjugend und andereOrganisationen behandeln die Freiwilligen vor Ort inden Einsatzstellen gleich. Ich halte es für sehr wichtig,dass die jungen Menschen, die sich engagieren, auchgleiche Rahmenbedingungen vorfinden. Daran könnenwir an der einen oder anderen Stelle noch arbeiten.Ich bin auch für eine Stärkung des Trägerprinzips.Außerdem bin ich dafür, noch stärker dafür zu sorgen,dass die jungen Menschen, wenn sie denn vor Ort sind,eine bessere Anerkennungskultur vorfinden. Das könnenwir aber nicht gesetzlich regeln. Da müssen wir vielmehrmoderierend einwirken. Wir sollten mit der DeutschenBahn und mit der GIZ noch einmal über Verbesserungenim Bereich der Anerkennungskultur für die jungen Men-schen sprechen. Insoweit sind wir, was die Freiwilligen-dienste angeht, auf einem sehr guten Weg.
Auch was die Mehrgenerationenhäuser angeht, sindwir auf einem sehr guten Weg. Für die Weiterführunggibt es nämlich genügend Konzepte, Frau Kollegin. Siewollen jetzt noch abwarten und das Geld nicht bereitstel-len, weil nach Ihrer Ansicht keine geeigneten Konzeptevorliegen. Das sehe ich anders. Wenn Sie tatsächlichMehrgenerationenhäuser besucht hätten, wüssten Sie,dass sie das Geld dringend brauchen. Es gibt gute Kon-zepte, die unbedingt weitergeführt werden müssen. Dortfindet eine Teilhabe von Seniorinnen und Senioren so-wie der jungen Generation statt. Daher bin ich demHaushaltsausschuss sehr dankbar dafür, dass er den Be-schluss zur Weiterfinanzierung der Mehrgenerationen-häuser gefasst hat.
Jetzt noch zu der Kollegin Golze, die leider – ich sageganz bewusst: leider – nicht mehr bei uns ist: Sie ist einefachlich sehr kompetente Kollegin gewesen, mit der mansich gut sachlich auseinandersetzen konnte. Ich wünscheFrau Golze – ich glaube, ich spreche damit auch im Na-men des ganzen Hauses – für ihre neue Tätigkeit viel Er-folg.
Im Rahmen ihrer neuen Tätigkeit wird sie vermutlichauch lernen müssen, Kompromisse einzugehen und nichtall das umsetzen zu können, was man von Anfang an inWahlkämpfen gefordert hat. Wir sind nämlich nichtmehr im Wahlkampfstadium, sondern im Umsetzungs-stadium. Insofern ist es verständlich, dass nicht von bei-den Koalitionspartnern alles zu 100 Prozent umgesetztwerden kann. Das ist in Brandenburg übrigens nicht an-ders als in Berlin.
Gerade was die Hilfe für Menschen angeht, die vonsexueller Gewalt betroffen waren, können Sie ja einmaldie Sozialministerin von Brandenburg fragen, ob dasLand Brandenburg in diesen Fonds einzahlt. Vielleichtkann sie es, obwohl sie es will, aus gewissen Gründennicht. Von daher muss man sagen, dass Kompromissemanchmal vernünftig sein können und manchmal auchnotwendig sind.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind froh, dassder Koalitionsausschuss getagt hat und die Debatte zumThema „Frauen in Führungspositionen“ wieder auf denPunkt zurückgebracht hat, an dem wir sie eigentlichschon hatten. Die Quote von 30 Prozent in Aufsichtsrä-ten von börsennotierten und voll mitbestimmungspflich-tigen Betrieben wird kommen. Das steht so auch im Ko-alitionsvertrag. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dassdas so kommen wird. Ich glaube, es ist gut, dass wir dasan dieser Stelle noch einmal sichergestellt haben.
Mein Dank gilt nicht nur der Ministerin, die dabei nocheinmal gegen Widerstand aus den eigenen Reihen derKoalition gekämpft hat, sondern auch denjenigen, diefraktionsübergreifend, gemeinsam mit anderen Frauenan der Berliner Erklärung gearbeitet haben.
Es ist eine gemeinsame Grundlage, die wir hier umset-zen. Es ist sehr wichtig, dass wir wissen, dass es nicht
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ein Projekt der Koalition, sondern ein Projekt für dieFrauen ist. Es ist gut, dass die Frauenquote kommt.
Wir haben hier schon viel über das Programm „De-mokratie leben!“ gehört und davon, dass es bei den Mit-teln ein Plus von 10 Millionen Euro gab. Wir können na-türlich sagen: Am liebsten wären uns da 50 Millionen,100 Millionen Euro oder noch mehr. Aber wir haben esgeschafft, und das auch durch intensive Arbeit des Parla-mentes. Ich finde, wir als Parlament können durchauseinmal sagen: Ein Zuwachs von 10 Millionen Euro in ei-nem Programm, für das bis dato nur 30 Millionen Eurovorgesehen waren, ist ein richtiger, guter und großerSchritt. Solch eine deutliche Steigerung wünschen sichauch andere für ihre Programme. Es ist gut, dass dasmöglich geworden ist, und dafür bedanke ich mich beimHaushaltsausschuss.
Wir setzen damit mehrere politische Versprechungenum; denn das Erste, was wir hier nach dem NSU-Unter-suchungsausschuss gemeinsam im Haus beschlossen ha-ben, ist, dass wir auch zivilgesellschaftlich gegen Nazi-terror angehen wollen. Das bedeutet, dass wir dieseProgramme stärken müssen. Das ist der erste Beschluss,den wir hier gefasst haben.Der zweite Beschluss ist, dass wir auch gemeinsamgegen Antisemitismus vorgehen wollen. Auch das set-zen wir damit um.Das Dritte, was wir miteinander angehen wollen, sinddie neuen Herausforderungen durch den Salafismus unddurch die Hooligans auf der Straße. Ich finde es gut, dasswir hier die Zivilgesellschaft ganz eindeutig stärken. Ichbedanke mich für diesen Vorschlag des Haushaltsaus-schusses. Ich bedanke mich auch im Namen der Zivilge-sellschaft. Wie wir das Geld verteilen, das bereden wirgemeinsam mit der Zivilgesellschaft.Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Rix. – Nächste Rednerin
in der Debatte: Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesemHohen Hause habe ich meine erste Rede im April 2014zum Familienetat des Bundeshaushaltes gehalten. Dorthabe ich gesagt: „Wir sind … nah am Ziel, … keineneuen Schulden aufzunehmen.“ Jetzt ist es so weit. DerBund wird 2015 keine neuen Schulden machen. Dafürdanke ich den Haushälterinnen und Haushältern, die diesin langen Nachtsitzungen erreicht haben. Wir möchtenunseren nachfolgenden Generationen, unseren Kindernund Enkelkindern keine wachsenden Schuldenberge hin-terlassen. Eine wichtige Voraussetzung für eine nachhal-tige Politik sind solide Finanzen.
Deshalb nehmen wir seit 46 Jahren erstmals keine neuenKredite auf, und wir arbeiten in den nächsten Jahren ander Tilgung.Die Familie ist die beste Voraussetzung für eine guteEntwicklung von Kindern. Sie prägt uns lebenslang. Un-ser Leitmotiv war und ist, gute Rahmenbedingungen fürFamilien zu schaffen.
Deshalb investieren wir in unsere Familien. Der Etat desFamilienministeriums wächst trotz des ausgeglichenenHaushalts um 564 Millionen Euro auf 8,5 MilliardenEuro an. Diese wirklich guten Rahmenbedingungen sindnicht ideologisch geprägt und bevormundend. Nach Ar-tikel 6 des Grundgesetzes sind Pflege und Erziehung dasnatürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen ob-liegende Pflicht. Mit unserer Familienpolitik unterstüt-zen wir Eltern bei ihren Aufgaben. Wir schaffen unter-schiedliche Angebote und lassen sie selbst entscheiden,welche Angebote sie nutzen wollen.
Mit dem Betreuungsgeld erkennen wir die Erzie-hungsleistungen der Eltern an. Den Haushaltsansatz fürdas Betreuungsgeld haben wir von 515 Millionen Euroauf 900 Millionen Euro erhöht; der Bedarf ist sehr wohlvorhanden. Der Haushaltsansatz für das Elterngeldwurde noch einmal angehoben, und zwar um 180 Millio-nen Euro auf insgesamt 5,5 Milliarden Euro. Viele Müt-ter wollen nach einer IGES-Studie von 2014 bereitswährend der Elternzeit wieder zurück in ihren alten Be-ruf. Damit sie beim Elterngeld keine Ansprüche verlie-ren, haben wir das Elterngeld flexibilisiert. Laut einerforsa-Umfrage von 2014 will jeder zweite befragte Vaterin Teilzeit arbeiten, um mehr Zeit mit seinen Kindernverbringen zu können. Das Elterngeld Plus ermöglicht esEltern, früher wieder in den Beruf einzusteigen. Sie kön-nen bis zu 24 Monate Elterngeld Plus erhalten. Wennbeide Elternteile mindestens vier Monate lang gleichzei-tig zwischen 25 und 30 Wochenstunden arbeiten undsich gemeinsam um das Kind kümmern, erhalten sie vierweitere Elterngeld-Plus-Monate, die sogenannten Part-nerschaftsmonate. Wir wollen auch die Alleinerziehen-den bei ihrer Erziehungsarbeit unterstützen. Deshalbkönnen auch sie die vier Partnerschaftsmonate in An-spruch nehmen. Mit dem Elterngeld, dem ElterngeldPlus mit Partnerschaftsbonus und dem Betreuungsgeldwird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert.
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Sylvia Pantel
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Diese Leistungen können flexibel genutzt und kombi-niert werden. Wir schaffen Freiräume für Familien undsichern die Familien finanziell ab.Für Eltern, die ihre Kinder lieber in der Kita betreutwissen wollen, unterstützen wir den Ausbau der Kinder-betreuung für unter Dreijährige weiter. Der Bund hatsich bis 2014 mit mehr als 5 Milliarden Euro an den In-vestitions- und Betriebskosten beteiligt. Ab 2015 betei-ligt er sich dauerhaft mit 845 Millionen Euro pro Jahr anden Betriebskosten. Und wir unterstützen die Länderweiter, obwohl der Kinderbetreuungsausbau ganz klareine Aufgabe der Länder ist. In den Jahren 2016 bis2018 sind zusätzliche Mittel in Höhe von 550 MillionenEuro für Investitionen geplant. Das sind enorme finan-zielle Leistungen des Bundes.Damit die Länder und die Kommunen ihren Aufga-ben nachkommen können, erstattet der Bund seit Anfang2014 alle Ausgaben für die Grundsicherung im Alter undbei Erwerbsminderung; das wird leider sehr schnell ver-gessen.
Hierfür stehen über 5 Milliarden Euro zur Verfügung.Ab 2015 wird der Bund die Finanzierung des Bun-desausbildungsförderungsgesetzes, kurz BAföG ge-nannt, komplett übernehmen. Das sind weitere Entlas-tungen für die Länder um jährlich 1,17 Milliarden Euro.Die Länder bekommen somit zusätzliche Mittel, um denweiteren Ausbau der Kindertagesstätten vorantreiben zukönnen.Elterngeld, Elterngeld Plus mit dem Partnerschaftsbo-nus, Betreuungsgeld und die staatliche und private Kin-derbetreuung – so viele Wahlmöglichkeiten gab es nochnie, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu er-leichtern.
Wir fördern unsere Familien dabei mit Leistungen inHöhe von 7,4 Milliarden Euro.Die Menschen werden erfreulicherweise immer älterund bleiben dabei länger fit und aktiv. Doch es gibt auchMenschen, die gepflegt werden müssen. Ein großer Teilder Pflegebedürftigen will in der vertrauten Umgebungbleiben, und viele betroffene Familien wünschen sich,ihre Angehörigen zu Hause versorgen zu können. Siebrauchen unsere Unterstützung.
Wir haben für die Pflegezeit und die Familienpflege-zeit Mittel in Höhe von 2,3 Millionen Euro eingestellt.Bei einer länger andauernden Pflegesituation könnenAngehörige eine Auszeit von bis zu sechs Monaten neh-men oder die Arbeitszeit reduzieren, um ein Familien-mitglied zu pflegen. Das zinslose Darlehen soll denLohnausfall abfangen. Berufstätige werden entlastet. Sokönnen sie schwierige Pflegesituationen flexibler meis-tern. Dies ist ein weiterer Schritt zur besseren Vereinbar-keit von Familie, Pflege und Beruf.
Viele erwachsene Kinder wohnen aus beruflichenoder familiären Gründen nicht mehr in der Nähe ihrerEltern oder Großeltern. Deshalb brauchen wir unter-schiedliche Angebote. Mein Kollege Marcus Weinbergund andere haben schon erklärt, wie wichtig uns dieMehrgenerationenhäuser sind und dass wir sie mit16,5 Milliarden Euro unterstützen.
– Ja, ist klar. Es sind Millionen.In der letzten Woche konnte ich mich bei einer Veran-staltung des Mehrgenerationenhauses HELL-GA in Düs-seldorf erneut persönlich von deren engagierter Arbeitüberzeugen. Das Angebot wird von allen Altersgruppengut angenommen. Frau Schulz-Asche, unsere Mehrgene-rationenhäuser haben, bevor sie Geld aus irgendeinerFörderung bekommen haben, sehr wohl Konzepte vorle-gen müssen.
Insofern werden nur Mehrgenerationenhäuser gefördert,die auch schlüssige Konzepte haben.
In der Heimerziehung haben viele Kinder und Ju-gendliche großes Leid erfahren. Wir halten unser Ver-sprechen, ihnen zu helfen. Die Zuweisungen an denFonds für Opfer der Heimerziehung werden um 20 Mil-lionen Euro auf 62,7 Millionen Euro erhöht. Damit wol-len wir das erlittene Unrecht etwas lindern.
Im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik haben wirein Volumen von mehr als 380 Millionen Euro beschlos-sen. Es gibt viele kleine Positionen, die eine wichtigeund gute Arbeit für Kinder und Jugendliche beinhalten.Es sind – das wurde mehrfach erwähnt – auch die Mittelfür die Jugendmigrationsdienste, die die Integrations-politik der Kommunen unterstützen, um knapp 1 MillionEuro erhöht worden.Die Mittel für Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt,Toleranz und Demokratie wurden um 10 Millionen Euroauf jetzt 40,5 Millionen Euro erhöht. Damit wollen wirinsbesondere präventive Maßnahmen gegen Islamismus,Salafismus und Antisemitismus stärken. Junge Frauenund Männer werden nach Syrien oder in den Irak ge-lockt. Welche Gründe treiben diese jungen Menschen an,dass sie in diese Krisengebiete gehen, um dort mit un-vorstellbarer Brutalität zu töten oder selbst getötet zuwerden?Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat uns diebeängstigende Situation am Dienstag geschildert. Wirkönnen uns das als Staat nicht gefallen lassen und dürfendas nicht tolerieren. Wir müssen den jungen MenschenPerspektiven aufzeigen, Grenzen setzen und ihnen Wert-schätzung für unser freiheitliches System vermitteln.Auch fehlt ihnen ein Gefühl für den Wert ihres eigenen
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Sylvia Pantel
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Lebens und des Lebens anderer Menschen. Wir dürfennicht zulassen, dass sie Fanatikern auf den Leim gehenund deren Versprechungen und Verlockungen verfallen.
In Deutschland dürfen sich keine Parallelgesellschaftenentwickeln. Wir sind eine Gesellschaft mit einer Rechts-ordnung. Jeder hat unser Grundgesetz und die Gesetzezu achten, unabhängig von Kultur und Religion.Meine Damen und Herren, der Gesamthaushalt 2015ist ein solider Haushalt mit wachstumsfördernden Maß-nahmen und Investitionen in die Zukunft. Er setzt dierichtigen Akzente in der Familienpolitik und steht fürKontinuität, die wir in der Familienpolitik verfolgen. Ichmöchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die dazubeigetragen haben, die Beratungen erfolgreich abzu-schließen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich danke Ihnen, liebe Kollegin Pantel. – Letzter Red-
ner in dieser Debatte: Josef Rief für die CDU/CSU, –
gebürtig aus Illertissen.
– Das verstehen Sie nicht. Aber er versteht, warum ich es
sage.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Besucher auf der Plenartribüne! Es istheute und auch früher schon viel über die Familienpoli-tik geredet worden. Ein Bundeskanzler sprach von Ge-döns, andere von bloßem Geldausgeben, wieder anderevon der Lufthoheit über Kinderbetten. Diese Bundesre-gierung macht es besser. Wir haben ein wirksames Paketgeschnürt, um die Familien wirklich zu unterstützen.
Ja, die Familien halten unsere Gesellschaft zusammen.Sie brauchen aber Rahmenbedingungen, unter denen siesich entfalten können. Die Arbeit dieser Bundesregie-rung ist geprägt von Angeboten, die es den Familien er-möglichen, ihr Leben eigenverantwortlich zu führenund zu gestalten. Herzlichen Dank, Frau MinisterinSchwesig, für Ihre Arbeit.
Senioren, die ihr Erwerbsleben bereits hinter sich ha-ben, finden Angebote, ihre in vielen Lebensjahren er-worbenen Erfahrungen und Fähigkeiten auch wieder fürdie Gesellschaft und für ihre eigene Familie, ihre Kinderund Enkel, einzusetzen. So war auch die Erhöhung derMütterrente für die Union ein Herzensanliegen.
Eltern – insbesondere Mütter – sollen die Chance ha-ben, Familie und Beruf bzw. ihre Weiterentwicklung undihre Karriere nach ihren Wünschen zu vereinen. Kinderund Jugendliche sollen alle Unterstützung erhalten, umeigenverantwortlich und selbstständig ein fester Teil un-serer Gesellschaft zu sein.
Kinder sind unsere Zukunft. Deshalb bin ich froh unddankbar, dass es dieser Bundesregierung endlich gelun-gen ist, die schwarze Null – von mir aus auch eine roteNull oder eine grüne Null –
im Bundeshaushalt zu erreichen. Ich bin froh, dass dieservor allen Dingen für die junge Generation wichtigeSchritt erreicht werden konnte – und dies insbesondereohne einen finanziellen Kahlschlag im Familienhaushalt,den viele, auch in diesem Haus, prophezeit haben. Ichdanke allen, die dazu beigetragen haben, dass wir ge-meinsam diese Kehrtwende in der Haushaltspolitik ein-leiten konnten.Der Etat für die vielen wichtigen Projekte konnte so-gar um über eine halbe Million Euro gesteigert werden.Das ist ein großer Erfolg für die Familienpolitik der Gro-ßen Koalition.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal dieMehrgenerationenhäuser nennen. Als Berichterstattermeiner Fraktion freut es mich besonders, dass es gelun-gen ist, die Finanzierung für 2015 auch ohne EU-Mittelsicherzustellen. Die Bundesmittel sind ein wichtigesZeichen der Wertschätzung für die vielen Mitarbeiterund die Freiwilligen in den Mehrgenerationenhäusern,die täglich eine hervorragende und vorbildliche Arbeitleisten. Dafür danke ich ihnen recht herzlich.
Die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Mehr-generationenhäusern über 2014 hinaus war lange un-gewiss – zu lange; denn für die Mitarbeiter der Häuserbegann mit Blick auf laufende Miet- und Arbeitsverhält-nisse eine quälende Zeit der Ungewissheit. Ich dankedeswegen den Haushältern und unserem Finanzministerfür die bereitgestellten gut 16,5 Millionen Euro.Die Planungssicherheit bleibt für uns Familienpoliti-ker ein wichtiger Punkt. Der Haushaltsausschuss und dasFinanzministerium haben schon grünes Licht für eineVerstetigung gegeben, und ich bin im Gegensatz zu denGrünen zuversichtlich, dass das Bundesfamilienministe-rium die dafür notwendigen Konzepte bald vorlegenwird. Ich würde mich nicht wundern, wenn es sie schonhat.Die Mehrgenerationenhäuser sind gelebtes bürger-schaftliches Engagement und eigenverantwortliches Han-deln aus der Bürgerschaft heraus. Weniger staatliche
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Josef Rief
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Vorgaben bewirken, dass die Mehrgenerationenhäuser sovielfältig sind. Um nur einige Aufgaben zu nennen:Pflege, Deutschkurse, Hilfe bei Behördengängen, Kin-derbetreuung, Integration von Migranten, Lernbeglei-tung und Berufseinstieg. Auch der aktuellen Herausfor-derung der vielen Bürgerkriegsflüchtlinge stellen sichzahlreiche Mehrgenerationenhäuser.
Was als Projekt der damaligen CDU-FamilienministerinUrsula von der Leyen begann, bereichert nun wegen desgroßen Erfolges als ständige Einrichtung überall inDeutschland unser Miteinander. An dieser Stelle sageich Dank für den großen Einsatz in den Mehrgeneratio-nenhäusern und möchte insbesondere dem StadtteilhausGaisental in Biberach, meinem Wahlkreis, danken.
Weniger im öffentlichen Bewusstsein sind beispiels-weise die Möglichkeiten der Familienerholung. Auchhier sage ich Dank für fast 2 Millionen Euro für die Fa-milienferienstätten, die dazu beitragen, dass auch denFamilien ein Urlaub ermöglicht wird, die sonst nicht ver-reisen können. Wir erreichen damit Motivation und Stär-kung für den Familienalltag.Lassen Sie mich auch einige kritische Worte zu derForderung nach Einführung eines Familienwahlrechtssagen. Wie soll die Stimmabgabe für die Kinder erfol-gen, wenn sich die Eltern untereinander nicht einig sind?Auch können Jugendliche schon andere politische Vor-stellungen als ihre eigenen Eltern haben.
Wie könnte eine geheime Wahl gewährleistet werden,wenn sich Eltern abstimmen müssten, was sie für ihreKinder wählen?Dieser Etat ist Ausdruck einer Politik, die nicht aufstaatliche Regulierung und Maßnahmen abzielt, sondernChancen aufzeigt. Er enthält Angebote für alle Genera-tionen. Auch das Elterngeld Plus – das ist schon ange-sprochen worden – ist Ausdruck dieser Politik. Es schafftEntscheidungsspielraum und kann für junge Eltern dieVereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.Ich möchte an dieser Stelle auch das Betreuungsgelderwähnen. Wir können heute mit Recht sagen: Das Be-treuungsgeld ist eine Erfolgsgeschichte.
Es ist eine Anerkennung für Eltern, die die Erziehungder Kinder zu Hause übernehmen, und es schafft einenÜbergang, wenn die Bezugszeit des Elterngeldes auf-hört. Die Quote derjenigen, die es in Anspruch nehmen,wächst von Quartal zu Quartal. In meiner HeimatregionOberschwaben beziehen über 70 Prozent der Berechtig-ten das Betreuungsgeld. Ich weiß auch von Eltern, dieden Grünen nahestehen und froh sind, dass sie Betreu-ungsgeld in Anspruch nehmen können.
Ich bin sehr froh, dass das Betreuungsgeld zum großenTeil von Familien mit mehreren Kindern in Anspruchgenommen wird. Dies unterstreicht, wie wichtig es ge-wesen ist, diese echte Wahlfreiheit zu schaffen.
Wir müssen uns darüber hinaus ernsthaft fragen: Tunwir alles, damit wir mehr junge Menschen motivieren,statt keinem Kind ein Kind, statt einem Kind zwei Kin-der und statt zwei Kindern drei oder mehr Kinder beiverantworteter Elternschaft zu bekommen? Tun wir allesdafür, dass wir gerade Eltern von Mehrkindfamiliennicht zu viel zumuten? Ist uns klar, dass bei vielen Fami-lien aufgrund der hohen Belastung durch Beruf und Fa-milie psychische Erkrankungen zunehmen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen fernabvon allen Ideologien den Willen der Eltern in den Mittel-punkt stellen. Die Bundesregierung und die Koalitions-fraktionen sind mit dem vorliegenden Familienetat aufeinem hervorragenden Weg, um die Lebenssituation derFamilien, Senioren, Frauen und Jugend in unserem Landzu verbessern.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke schön, Herr Kollege Rief. – Ich schließe damitdie Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauenund Jugend, in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damitist der Einzelplan 17 bei Zustimmung von CDU/CSUund SPD gegen die Stimmen von Linken und Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen.Jetzt gibt es einen kleinen Platzwechsel. In der Zwi-schenzeit begrüße ich den Minister. Herr Schmidt, herz-lich willkommen!Ich bitte Sie, möglichst zügig die Plätze zu wechseln.
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6704 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Dann rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt I.16 auf:Einzelplan 10Bundesministerium für Ernährung undLandwirtschaftDrucksachen 18/2810, 18/2823Berichterstattung haben die Abgeordneten CajusCaesar, Ulrich Freese, Roland Claus und Sven-ChristianKindler.Zum Einzelplan 10 liegen ein Änderungsantrag derFraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich sehe undhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort anKarin Binder für die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Da-
men und Herren auf der Besuchertribüne! Der Haushalt
des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft um-
fasst knapp 5,4 Milliarden Euro. Davon sind lediglich
200 Millionen Euro für Ernährung und den gesundheitli-
chen Verbraucherschutz vorgesehen.
Herr Minister, Sie sind mit der Aussage angetreten,
dass Ihnen gerade das Thema Ernährung besonders
wichtig sei. Aber nach diesem Haushaltsplan 2015 kann
ich das leider nicht feststellen. Statt aktive Ernährungs-
politik zu betreiben, herrscht Stillstand. Damit werden
Sie Ihrem eigenen Anspruch und Ihrer Verantwortung
als Ernährungsminister nicht gerecht.
Das möchte ich an drei Punkten verdeutlichen. Das
sind zum einen der Bereich Lebensmittelsicherheit, zum
anderen der Bereich Verbraucherinformation und zum
Dritten die Schul- und Kitaverpflegung.
Erstens. Die Lebensmittelsicherheit steht und fällt mit
einer effizienten und kontinuierlichen Lebensmittelüber-
wachung. Aber seit Jahren weisen Fachleute vergeblich
darauf hin, dass Tausende Lebensmittelkontrolleure feh-
len. Sie warnen vergeblich, dass weltweit zusammenge-
kaufte Rohwaren und global arbeitende Lebensmittel-
konzerne nicht von kommunalen Behörden überwacht
werden können.
Frau Kollegin Binder, erlauben Sie eine Zwischen-
frage oder Zwischenbemerkung des Kollegen von der
SPD?
Gerne.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass die gesamte
Lebensmittelüberwachung Aufgabe der Kommunen
bzw. der Länder ist
und dass wir in dem Zusammenhang die Länder nicht
vollständig aus ihrer Verpflichtung entlassen können, in-
dem wir den gesamten Aufgabenbereich zu einer Bun-
desaufgabe machen?
Lieber Kollege Priesmeier, selbstverständlich ist mirbekannt, dass die Kommunen und Länder für diesen Be-reich und damit auch für die Finanzierung zuständigsind. Aber darin liegt zumindest ein Teil des Problems.
Wir haben es mit einer sehr stark veränderten Situa-tion zu tun, in der Lebensmittel global produziert, einge-kauft und weitervertrieben werden. Wie soll eine kom-munale Behörde noch den Überblick bewahren?
Wir wollen den Kommunen und den Ländern die Ver-antwortung nicht komplett abnehmen. Aber wir wolleneinen Teil der Verantwortung beim Bund angesiedeltwissen. Immer, wenn es um internationale Konzerne, dieglobale Lebensmittelproduktion und den globalen Ver-trieb von Lebensmitteln geht, braucht es eine übergeord-nete Stelle und vor allem eine ausreichende Zahl von Le-bensmittelkontrolleuren, die dem Ganzen gewachsensind.Es braucht auf allen drei Ebenen Lebensmittelkon-trolleure, die jeweils für einen bestimmten Bereich zu-ständig sind. Der Bund hat sowohl der Bevölkerung alsauch der EU gegenüber eine Verantwortung.
Ja, genau diesen Punkt wollte ich sowieso anmerken:In dieser Frage wollte ich die Verantwortung des Bundeskonkretisieren. Aber wir finden nichts dazu im Haushalt2015.Mein zweiter Punkt war: Verbraucherinformationwird zum Auslaufmodell. Dazu nenne ich Ihnen zweiBeispiele, erstens das Verbraucherportal lebensmittel-klarheit.de, das sehr erfolgreich Verbrauchertäuschungender Lebensmittelindustrie aufdeckt. Dieses steht Ende2015 vor dem Aus.Das zweite Beispiel ist das sehr gut angenommeneProjekt „Gesund ins Leben“, das Mutter und Kind in derZeit der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahrwichtige Unterstützung bei einer ausgewogenen gesun-den Ernährung liefert. Auch das steht nach 2015 auf derKippe.Herr Minister, diese beiden Themen dürfen nicht Op-fer der üblichen „Projektitis“ werden.
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Karin Binder
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Sie müssen in Ihrem Ministerium verankert und langfris-tig finanziert werden.Nun komme ich zu meinem dritten Punkt – besser:Ausrufezeichen –: die Kita- und Schulverpflegung inDeutschland. Vorgestern wurde von Herrn MinisterChristian Schmidt eine Studie zur Qualität des Schules-sens in Deutschland vorgestellt, ein wichtiger Beitrag,für den ich dem Ministerium ausdrücklich dankenmöchte.
Die Untersuchung zeigt: Gute Schulkantinen sind inDeutschland noch immer Mangelware. Zwar benotenKinder und Jugendliche, die am Essen teilnehmen, dasAngebot mit Zwei bis Drei, also befriedigend. Doch dieHälfte der befragten Schülerinnen und Schüler meidetdie Schulkantine, vergibt damit also die Noten Fünf bisSechs, also mangelhaft oder ungenügend.Über die Gründe, warum viele Kinder und Jugendli-che das Angebot nicht nutzen, können wir spekulieren.Ich behaupte: Nicht wenige Kinder aus armen Familienverzichten, weil sie oder ihre Eltern nicht bei Behördenoder Schulleitungen um Almosen betteln möchten. Sieschämen sich dafür, und viele nehmen deshalb amSchulessen nicht teil. Da hilft auch das Bildungs- undTeilhabepaket nicht wirklich. Wir wissen, dass nicht ein-mal ein Viertel der Familien, die Anspruch darauf hätten,tatsächlich darauf zurückgreift. Das ist ein Armutszeug-nis für unser reiches Land.
Gemeinschaftsessen, das den sinnvollen Standardsder Deutschen Gesellschaft für Ernährung entspricht,kostet mehr als 1,50 Euro und ist auch für 3,50 Euronicht finanzierbar. Hier kommt der Antrag der Links-fraktion in die Debatte, mit dem ich gern den Haushaltdes Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf-stocken möchte. Die Linke fordert die Bundesregierungauf, eine hochwertige und beitragsfreie Kita- und Schul-verpflegung sicherzustellen.
Deshalb sollen in diesen Bundeshaushalt 1,8 MilliardenEuro für lernstarke Mahlzeiten ab Beginn des Schuljah-res 2015/2016 eingeplant werden. Für die Folgejahresind dann jeweils 4,4 Milliarden Euro im Haushalt desjeweiligen Jahres vorzusehen.Der Bund hat gegenüber allen Kindern eine sozialeFürsorgepflicht und ist für die gesundheitliche Vorsorgeverantwortlich. Wer glaubt, die Bundesregierung könnesich hier aus der finanziellen Verantwortung stehlen, derirrt. Wer will, dass alle Kinder gleichermaßen gesundaufwachsen, sich entwickeln und ihre Bildungschancenüberhaupt nutzen können, der muss für diese flächende-ckende beitragsfreie Verpflegung eintreten. Sie ist un-verzichtbar.
Die Teilnahme am Gemeinschaftsessen darf nicht amzu kleinen Geldbeutel von Familien scheitern. Die Al-mosen des Bildungs- und Teilhabepakets reichen nichtfür eine gute und abwechslungsreiche Schulverpflegung,insbesondere dann nicht, wenn verbindliche Qualitäts-standards für die Verpflegung festgeschrieben werdensollen, was der Minister erfreulicherweise auch schonangekündigt hat und was ich sehr begrüße. Dass dieshochgesteckte Ziele sind, ist uns klar. Aber gerade des-halb müssen auch die Vernetzungsstellen für die Kita-und Schulverpflegung dauerhaft finanziell gesichertwerden. Sie sind personell aufzustocken und ihre Ange-bote flächendeckend auszubauen. Die Schulen brauchendiese Beratung und diese Hilfestellungen. Die Schullei-tungen dürfen mit der Umsetzung nicht alleingelassenwerden.Noch eines. Ich denke, das Thema Mehrwertsteuer – –
Denken Sie auch an Ihre Redezeit!
Ich komme zum Ende. – Herr Bundesfinanzminister
Schäuble, warum Schulessen im Gegensatz zum Futter
für Hund, Katze, Maus noch immer mit 19 Prozent be-
steuert wird, ist mir ein Rätsel; vielleicht können Sie es
mir erklären. Wir jedenfalls möchten das gern ändern.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Binder. – Nächster Red-
ner in der Debatte: Cajus Caesar für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mein besonderer Dank gilt unserem Minister ChristianSchmidt und dem Haushaltsbeauftragten UlrichKuhlmann für die gute Zusammenarbeit mit dem Minis-terium. Hier ist schon mit dem Entwurf einiges auf denWeg gebracht worden. Herzlichen Dank! Mein Dank giltnatürlich auch den Mitberichterstattern Ulrich Freese,Sven Kindler und Roland Claus. Es war eine sehr effek-tive Arbeit. Wir haben uns sehr gut austauschen könnenund im Sinne der Sache gearbeitet.Wir können auf den Haushalt 2015 stolz sein. Insge-samt wird nicht mehr ausgegeben, als eingenommenwird. Das ist eine Regel, die jeder von uns auch privateinhalten muss. Wir haben es geschafft. Darauf könnenwir stolz sein.
Wir als Union und als Koalition stehen für eine mo-derne Landwirtschaft. Das heißt, dass es Einkommenund Arbeitsplätze sowie Bewirtschaftung und Pflege vonKulturfläche im ländlichen Raum gibt. Dazu gehört auchder Naturschutz. Deshalb Dank an unsere Landwirte!
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6706 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Cajus Caesar
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Es ist richtig, dass wir mit dem Bundesprogramm„Ländliche Entwicklung“, das mit zusätzlich 10 Millio-nen Euro das Leben auf dem Land attraktiver machensoll, Maßstäbe setzen. Wir wollen Projekte. Wir wollendie Bürger vor Ort mitnehmen. Ein Beispiel: In meinerGemeinde Kalletal im Kreis Lippe finden bereits Demo-grafieforen und Ländliche-Raum-Foren statt. Wir wollenals Bundesregierung die Anliegen der Bürger aufnehmenund ihre Ideen weiterentwickeln. Wir wollen die Bürgerbei der Entwicklung des ländlichen Raums nicht imStich lassen. Nein, wir sind an ihrer Seite.
Dass die Vorhaben auch personell untermauert wer-den müssen, ist uns klar. Obwohl im Bundeshaushalt ins-gesamt weniger Stellen vorgesehen sind, ist es gelungen,im Rahmen des Haushalts für Ernährung und Landwirt-schaft mehr Stellen zu schaffen. Wir haben Akzente zu-gunsten des ländlichen Raums und des Tierwohls, aberauch insbesondere zugunsten des Bundesamtes für Ver-braucherschutz und Lebensmittelsicherheit gesetzt. Dassind wesentliche Akzente. Wir wollen bei Krisen raschreagieren können, insbesondere im Bereich der Lebens-mittelsicherheit. Wir wollen außerdem im Bereich derTierarzneimittel gut aufgestellt sein. 2015 werden67 neue Stellen beim Bundesamt für Verbraucherschutzund Lebensmittelsicherheit geschaffen. Das ist eineLeistung, das sind Akzente in den richtigen Bereichen.Damit können wir uns sehen lassen. Der Weg dieser Ko-alition ist richtig.
Wir gehen neue Wege im Bereich des Hochwasser-schutzes. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe habenwir uns bislang schon sehr stark beim allgemeinenHochwasserschutz mit rund 100 Millionen Euro enga-giert, genauso wie beim Küstenschutz. Als ich vor eini-gen Wochen in Norddeutschland war, habe ich gesehen,wie effektiv und sinnvoll diese Mittel eingesetzt werden.Aber wir wollen in diesem Haushalt einen besonderenAkzent auf den präventiven, den vorbeugenden Hoch-wasserschutz setzen. Deshalb haben wir einen Maßgabe-beschluss gefasst, der festlegt, dass wir uns insbesondereim ländlichen Raum für den präventiven Hochwasser-schutz starkmachen. Das ist ein Zeichen. Dieser neueWeg ist richtig.
Wir wollen diesen Weg zunächst einmal mit einemNeuansatz von immerhin 20 Millionen Euro gehen. Mankann sagen: „Das reicht hinten und vorne nicht“, abervor dem Hintergrund, dass wir zuerst einmal startenmüssen – das habe ich mir von all denjenigen sagen las-sen, die sich bei der Erarbeitung des Sonderprogrammsdamit beschäftigt haben –, ist das richtig. 20 MillionenEuro werden wir im Jahr 2015 effektiv einsetzen kön-nen. Wir werden den Landwirtschaftshaushalt in dennächsten Jahren so aufstellen, dass wir diese Aufgabesinnvoll und effektiv bewältigen können. Da können Sievon der Opposition sicher sein. Auch hier ist die Koali-tion gemeinsam auf dem richtigen Weg.Wir wollen, dass im Rahmen des Hochwassersonder-programms sich Bund und Länder in der Gemeinschafts-aufgabe abstimmen und dass unter der Federführung un-seres Ministeriums die Dinge vorangebracht werden.Wir wollen keine Rekordpegelstände mehr, wir wollen,dass Flutwellen nicht mehr in dieser Höhe auftreten, undwir wollen insbesondere erreichen, dass die Schäden, diean Häusern, an landwirtschaftlichen Flächen, aber auchan der Infrastruktur insgesamt entstehen, nicht mehr sogroß sind wie bisher.Sie erinnern sich an das Hochwasser 2013. Die Bun-desregierung hat für den Flutopferhilfefonds 8 Milliar-den Euro in Aussicht gestellt. Es werden ungefähr6,5 Milliarden Euro verausgabt werden. Wir wollen dasGeld in Zukunft präventiv sinnvoll einsetzen, um solcheSchäden zu vermeiden. Deshalb ist unser Ansatz, an derDonau, an der Elbe, an der Oder, am Rhein und an derWeser entsprechende Maßnahmen länderübergreifenddurchzuführen. Wir müssen natürlich an den Oberläufenansetzen, damit die Maßnahmen greifen.Dafür müssen Flächen in Anspruch genommen wer-den, Flächen, die vielleicht derzeit nicht landwirtschaft-lich genutzt werden. Aber wenn wir Flächen in An-spruch nehmen, die bewirtschaftet werden, dann wollenwir dafür sorgen, dass sie auch zukünftig bewirtschaftetwerden können. Das ist uns wichtig. Wir brauchen Le-bens- und Nahrungsmittel. Insofern muss dafür gesorgtwerden, dass diese Flächen der Bewirtschaftung nichtentzogen werden und dass diejenigen, die sie für Über-flutung oder zum Aufstauen zur Verfügung stellen, ent-schädigt werden. Das ist uns wichtig.
Was die konkrete Umsetzung betrifft, ist es uns wich-tig, dass es eine Länderbeteiligung gibt. Deshalb sind dieMittel im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe angesetzt.Bisher haben wir beim Hochwasserschutz eine 60/40-Regelung, beim Küstenschutz eine 70/30-Regelung. Wirgehen davon aus – das besagt auch unser Maßgabebe-schluss –, dass sich die Länder bei diesen Maßnahmenentsprechend beteiligen. Der Bund hat hier grünes Lichtgegeben, und es kann jetzt vorangehen.Das bedeutet aber auch, dass wir insbesondere dieBürger mitnehmen wollen, dass wir Bebauung schützenwollen, dass wir selbstverständlich auch die landwirt-schaftlichen Flächen schützen wollen, dass wir verhin-dern wollen, dass wertvoller Boden verloren geht, unddass wir damit insgesamt Ökologie und Ökonomie in be-sonderer Weise sinnvoll miteinander vernetzen wollen.Damit wollen wir auch auf Klimaveränderungen reagie-ren.Aber seien wir ehrlich: Viele Schäden sind eingetre-ten, weil zu nahe an den Flussläufen gebaut wurde. Wirmüssen beim Planungsrecht die Kommunen mit in dieVerantwortung nehmen, sodass wir in Zukunft gemein-sam mit ihnen, den Ländern, den Bürgern und den Land-wirten geeignete Maßnahmen angehen. Wenn wir das in
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6707
Cajus Caesar
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dieser Form gemeinsam tun, dann sind wir auch auf demrichtigen Weg.Jedenfalls uns als Union, uns als Koalition war derpräventive Hochwasserschutz ein besonderes Anliegen.Deshalb haben wir das eingebracht. Wir müssen davonausgehen, dass wir die Mittel in den nächsten Jahrennoch deutlich erhöhen müssen. Es gibt ganz klare Vor-stellungen davon, welche Maßnahmen länderübergrei-fend stattfinden sollen, welche Maßnahmen ganz kon-kret an welchen Wasserläufen stattfinden sollen.Ich denke, diese Bundesregierung zeigt an dieserStelle, dass sie für die dort Wirtschaftenden, für die dortWohnenden und für all diejenigen, die für die Natur ein-treten, den richtigen Rahmen setzt.Deshalb ist diese Union, ist diese Koalition auf demrichtigen Weg.Herzlichen Dank. Alles Gute!
Vielen Dank, Herr Kollege Caesar. – Nächster Rednerin der Debatte: Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben große Herausforderungen; wir ha-ben große Probleme in der Landwirtschaft. Um nur ei-nige zu nennen: Wir haben das Höfesterben. Wir habenimmer neue Lebensmittelskandale. Wir haben Monokul-turen. Wir haben die Klimaverschmutzung. Wir habenQuälerei in der Massentierhaltung. Wir haben Gensojaim Futter.Mit diesem Haushalt werden diese Probleme fortge-schrieben, muss man leider sagen. Es gibt keine Wende,keine Antwort und keine Reaktion darauf. Dieser Haus-halt ist gegen die Interessen der bäuerlich-ökologischenLandwirtschaft gerichtet.
Herr Minister Schmidt, Sie sind jetzt knapp ein Jahrim Amt; Sie sind knapp ein Jahr Landwirtschaftsminis-ter. Zu Beginn der Legislaturperiode haben Sie selbstnicht geglaubt, dass Sie Landwirtschaftsminister wer-den. Die Frage ist, was Sie in diesem einen Jahr gemachthaben.
Wir wissen jetzt: Sie haben die Gentechniklobby inBrüssel unterstützt. Und wir wissen auch: Sie essen je-den Tag einen Apfel, und das soll auch Herrn Putin scha-den.
Was war sonst? Sonst sind Sie abgetaucht. Nichts! Wowaren die großen Gesetzesvorhaben? Welche Gesetzge-bungsprozesse haben Sie vorangebracht? Wo war einneuer Anlauf für ein echtes Tierschutzgesetz? Wo wareine Regelung zur Hofabgabeklausel? Wo ist die Erhö-hung der GAK-Mittel? Da ist nichts, gar nichts bei Ihnenals Minister. Als Agrarminister sollten Sie aber wissen,Sie müssen auch arbeiten. Wer die Felder nicht bestellt,der kann nachher auch nicht ernten.
Herr Minister, es hat einen Grund, dass Sie im Kerneigentlich nur die Verwaltung des Status quo machen.Sie wollen nämlich nicht arbeiten; Sie trauen sich nichtan Strukturen ran, weil Sie nicht den Mut haben, sich mitmächtigen Interessen anzulegen, nämlich mit der Agrar-industrie und der Agrarlobby. Hierfür braucht man Mutund auch Biss, wenn man da was durchsetzen will. Ichfinde, es muss endlich Schluss damit sein, dass die CSU-Agrarminister Minister der Großkonzerne sind. Wir brau-chen endlich eine Agrarwende in Deutschland.
Aber nicht nur in Deutschland hat Ihre Agrarpolitikverheerende Folgen. Das sehen wir leider auch weltweit.Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation derVereinten Nationen, die FAO, sagt ganz klar: Kleine undfamiliäre bäuerliche Betriebe sind der zentrale Bausteinim Kampf gegen Hunger in Schwellen- und Entwick-lungsländern.Was macht nun die Bundesregierung an dieser Stellein diesem Etat? Sie fördern weiter Agrarexporte; Sie för-dern weiter die Fleischindustrie. Sie fördern Lobbybüroszum Beispiel in China. In diesem Jahr haben Sie dieGerman Meat GmbH in Peking eingerichtet. Sie habenein Reisebüro im Ministerium, um Reisen zur Förderungvon Agrarexporten zu finanzieren. Mit Steuergeldernfördern Sie Reisen von Fleischunternehmen nach Ghana,zur Elfenbeinküste, nach Thailand und nach Mexiko, umso hochsubventionierte Billigfleischexporte in lokaleMärkte hineinzudrängen. Mit Dumpingkonkurrenz ma-chen Sie lokale Bauern platt und treiben auch diese Bau-ern in die Abhängigkeit von der Fleischindustrie. Somittreiben Sie dort den Hunger voran.Ich finde, ehrlich gesagt: Das ist skandalös. DieseAgrarexporte müssen endlich gestoppt werden.
Aber nicht nur weltweit, sondern auch hier inDeutschland brauchen wir einen Paradigmenwechsel inder Landwirtschaft. Es kann nicht sein, dass jeden Tag20 bäuerliche Betriebe in Deutschland dichtmachenmüssen. In Deutschland gibt es ein massives Höfester-ben. Seit 2005, seit Angela Merkel regiert, sind 27 Pro-zent der Betriebe dichtgemacht worden.Das hat leider auch damit zu tun, dass die RegierungMerkel vor allen Dingen auf Masse statt auf Klasse setzt,auf Großbetriebe statt auf kleinere und mittlere Unter-nehmen. Nachher zahlen eben die kleinen und mittlerenUnternehmen und ihre Arbeitnehmer, die ihre Jobs ver-lieren, die Zeche für diese Agrarlobbypolitik. Ich sageIhnen: Der Trend des Höfesterbens muss endlich ge-stoppt werden. Wir brauchen Bauernhöfe statt Agrar-fabriken.
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Sven-Christian Kindler
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Dafür haben wir heute einen Änderungsantrag vorge-legt. Wir wollen, dass die Mittel für die Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-tenschutzes“ um 200 Millionen Euro erhöht werden;kurz: Die GAK-Mittel müssen erhöht werden. Gemein-sam mit den Ländern wollen wir einen Aktionsplan füreine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft erarbeiten,um den Strukturwandel zu gestalten, um tiergerechteHaltungsverfahren zu entwickeln – auch für den Klima-schutz und für gute bäuerliche Chancen im ländlichenRaum. Die Agrarministerkonferenz hat das letztes Jahreinstimmig gefordert, Agrarminister aus allen Parteienund aus allen Ländern. Deswegen fordere ich Sie als Ko-alition auf – Agrarminister gehören auch Ihren Parteienan –: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie nachherunserem Änderungsantrag auf Erhöhung der GAK-Mit-tel zu!
Wir Grüne wollen auch, dass endlich Ernst gemachtwird mit dem Tierschutz. Jetzt haben Sie, Herr MinisterSchmidt, eine PR-Kampagne angekündigt, die soge-nannte Tierwohl-Initiative. Leider ist diese Initiative nurein billiges Feigenblatt. Das erkennt man, wenn man essich ernsthaft anschaut. Sie wollen zwei Jahre in einemsogenannten Kompetenzkreis reden, sprich: viel Zeitverschenken und nachher nichts machen. Sie haben ge-sagt, Sie setzen auf „verbindliche Freiwilligkeit“. HerrMinister, ich zitiere Sie – „verbindliche Freiwilligkeit“,ich frage mich, was das sein soll. Ich meine, entweder istetwas verbindlich oder es ist freiwillig. Das ist so wie or-ganisiertes Chaos; das ist wie ein veganer Schlachthof.Das ist ein Widerspruch in sich. Das passt einfach nichtzusammen.
Herr Minister, glauben Sie im Ernst, dass großeFleischkonzerne wie Wiesenhof oder Rothkötter freiwil-lig Tiere besser behandeln? Glauben Sie wirklich, dassdiese Konzerne freiwillig auf ihre Profitinteressen ver-zichten werden? Ich meine, das ist doch komplett welt-fremd.Wir Grüne wollen, dass jetzt endlich Ernst gemachtwird mit dem Tierschutz. Die Zeiten, wo man freiwilligder Tierquälerei zugeschaut hat, sind jetzt vorbei. Wirwollen klare und harte gesetzliche Standards. Die Lö-sungen liegen auf dem Tisch. Die Probleme sind be-kannt. Wir brauchen endlich ein echtes Tierschutzgesetz.
Wir brauchen ein Verbandsklagerecht für anerkannteTierschutzverbände. Das Enthornen von Rindern, dasAbschneiden von Ringelschwänzen bei Schweinen unddas Kupieren von Schnäbeln bei Geflügel müssen end-lich beendet werden. Die Tiere in den Ställen brauchengenug Platz, Auslauf und Beschäftigung. Wir sagen klar:Die Ställe müssen sich den Bedürfnissen der Tiere an-passen und nicht umgekehrt.
Denken Sie an Ihre Redezeit, bitte.
Ja, Frau Präsidentin.
Die grünen Landwirtschaftsminister in den Ländern
machen vor, wie es geht,
wie man die Agrarwende Schritt für Schritt mit den Bau-
ern, mit den Verbrauchern gestalten kann. Das brauchen
wir auch im Bund.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Kindler. – Nächster Redner in
der Debatte: Ulrich Freese für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kehrenwir von einer Parteitagsrede zurück in die Niederungendes Bundestages.
Wir beschäftigen uns mit dem Haushalt des Bundes-ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Ich willzu Beginn meinen Mitstreitern Cajus Caesar, auch Ih-nen, Herr Kindler – im Ausschuss arbeiten Sie ganz an-ders; da halten Sie keine Parteitagsreden –, und HerrnClaus für die konstruktive Zusammenarbeit recht herz-lich danken. Natürlich gebührt Dank auch dem Ministerals dem Hausherrn. Aber hinter dem Minister stehen indiesem Fall Herren, die sehr intensiv und konstruktiv mituns zusammenarbeiten. Deshalb sind Herr Hahn, HerrKuhlmann und Herr Wulff in diesen Dank einzubezie-hen.Wir Sozialdemokraten haben uns nicht zu beklagen;die Zusammenarbeit ist gut. Offenheit und Transparenz,die wir für notwendig erachten, wachsen. Alle Anfragenwerden so beantwortet, alle Informationen werden so ge-geben, dass wir immer besser verstehen, was hinter die-sem Haushalt steckt und wie mit diesem Haushalt imSinne einer ökologischen, zukunftsorientierten Land-wirtschaft in Deutschland gearbeitet werden kann.Die Aufstellung des Haushaltes 2015 verfolgt dasgroße Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt, also einen
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Ulrich Freese
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Haushalt ohne Schulden, auf den Weg zu bringen. Eswaren die Sozialdemokraten, die mit FinanzministerMöller den letzten ausgeglichenen Haushalt auf den Weggebracht haben.
Wir Sozialdemokraten sind jetzt wieder daran beteiligt,dass es einen ausgeglichenen Haushalt in der Bundesre-publik Deutschland gibt.
– Lesen Sie nach! Herr Strauß hatte noch eine Schulden-aufnahme eingeplant. Möller hat keinen Schuldenhaus-halt mehr abgeliefert. Das ist die ganze Wahrheit.Wir können mit diesem Haushalt, meine sehr verehr-ten Damen und Herren, sehr wohl Politik machen, Poli-tik im Sinne der aufgeworfenen Fragen.Wer sich diese Haushaltsstruktur anschaut, stellt fest:3,6 Milliarden Euro gehen in die Altersvorsorge, in dieKrankenversicherung und in die Unfallversicherung.Von dem Rest – 1,8 Milliarden Euro – geben wir mehrals 500 Millionen Euro für Forschung und Entwicklungaus. Die Institute – sie sind allen bekannt – will ich nocheinmal in Erinnerung rufen:Im Julius-Kühn-Institut, das sich mit Pflanzen und zu-künftig intensiver mit Bienenforschung beschäftigenwird, weil wir dort eine entsprechende Stelle angesiedelthaben, arbeiten 765 Personen; der Haushalt umfasst rund85 Millionen Euro.Im Friedrich-Loeffler-Institut, das sich mit Tierschutzund Tiergesundheit, mit dem Verhältnis zwischenMensch und Tier, mit der Übertragung von Krankheitenbeschäftigt und Tierseuchen verhindert, arbeiten630 Personen; der Haushalt umfasst 97 Millionen Euro.Im Max-Rubner-Institut, bei dem es um gesundheitli-chen Verbraucherschutz im Ernährungsbereich geht– das ist ja reklamiert worden –, arbeiten 475 Personen;der Haushalt umfasst 51 Millionen Euro.Im Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut – es gehtum ländliche Räume, um Wald und Fischerei – arbeiten605 Personen; der Haushalt umfasst 70,6 MillionenEuro.Im Bundesinstitut für Risikobewertung, das natürlichetwas mit Lebensmittelsicherheit zu tun hat, arbeiten570 Personen; der Haushalt umfasst 86,5 MillionenEuro.Dazu kann ich, was gerade Verbraucherschutz undLebensmittelsicherheit angeht, noch das Bundesamt fürVerbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nennenmit einem Aufwuchs auf 450 Stellen und einem Haus-halt von 37 Millionen Euro.Angesichts dessen kann niemand behaupten, dass dasBild des ökologischen, gesunden, vernünftigen Land-wirtschaftsbetriebs in dieser Politik keine Rolle spielt.Die Zahlen – die Bürgerinnen und Bürger draußen regis-trieren das – sprechen eine ganz andere Sprache, meinesehr verehrten Damen und Herren.
Natürlich sind nicht alle Wünsche erfüllbar gewesen– das ist klar, wenn man die Restriktionen des Haushaltssieht –, aber dennoch: Das, worum wir Sozialdemokra-ten im Haushalt 2014 gerungen haben – Cajus Caesar hatdarauf verwiesen –, wird im Haushalt 2015 Realität. Wirhaben den Maßgabebeschluss zum Hochwasserschutzdurchgesetzt, weil wir wussten: Nur wenn wir 2014 be-ginnen, werden wir 2015 Geld haben. Die 20 MillionenEuro – das muss man sehen – werden um Länderanteileangereichert. Wir, Cajus Caesar und ich, haben gemein-schaftlich auch schon angemahnt, dass im Haushalt 2016– das ist die Erwartung an die Bundesregierung – ein hö-herer Betrag, möglicherweise aus dem Investitionspro-gramm, in den Haushalt eingestellt wird, damit die anvi-sierten 100 Millionen Euro sehr schnell erreicht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Bäuerinnen undBauern – es geht um rund 630 000 Beschäftigte in237 000 landwirtschaftlichen Betrieben – schulden wirDank. Aber verbaler Dank, Dank allein mit Wortenreicht nicht. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben,die Rentenversorgung, die mit der Hofabgabeklausel zu-sammenhängt, zu modifizieren. Das steht im Koalitions-vertrag. Darauf werden wir hinarbeiten.
Ich gehe davon aus, Herr Minister und meine Kolle-ginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass wir unsgegenseitig ernst nehmen. „Gegenseitig ernst nehmen“heißt in diesem Fall, im ersten Halbjahr 2015 denRechtsrahmen zu regeln, damit Bauern und Bäuerinnenihren Hof nicht abgeben müssen und weiterarbeiten kön-nen.Ich habe gestern mit Interesse auf Spiegel Online ge-lesen: „Junge Unionsabgeordnete machen Druck beiFlexi-Rente“. Da wird zur Begründung Jana Schimke zi-tiert:„Immer mehr Menschen wollen heute länger arbei-ten … Dies zu tun ist keine Strafe, sondern ent-springt dem Wunsch, Wissen und Erfahrung weiter-zugeben, aktiv zu bleiben und am Arbeitslebenweiter teilzuhaben.“ Verbesserte Rahmenbedingun-gen würden dazu beitragen, „dass sich längeres Ar-beiten auch lohnt“.Wenn wir uns ernst nehmen, meine Damen und Her-ren von der CDU/CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen,dann lasst uns nach Weihnachten, im neuen Jahr, endlichim Rahmen der vorgegebenen Linien – die Idee desMinisters, unsere Überlegungen – einen Kompromiss fürdie Bäuerinnen und Bauern im Alter von 64, 65 oder66 Jahren auf den Weg bringen, die zum Teil darauf war-ten, endlich auch bei Weiterbetrieb ihres Betriebes eineRente zu erhalten, also mit einem Teil ihrer eingezahlten
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Ulrich Freese
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Beiträge aus der Armut herauszukommen. Das sind wirihnen schuldig.
Ich freue mich auf eine solidarisch geführte Diskussion.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Freese. – Nächster Rednerin der Debatte ist der Bundesminister Christian Schmidt.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! 5,3 Milliarden Euro werden im Haushalt desBMEL, des Landwirtschaftsministeriums, zur Verfügungstehen. Wir haben damit zu haushalten. Dieser Etat istdamit im Hinblick auf die Anforderungen der Agrarpoli-tik, der Politik für ländliche Entwicklung einschließlichdes Hochwasserschutzes, der Ernährungspolitik und derWaldpolitik sowie im Hinblick auf internationale Anfor-derungen gut aufgestellt.Die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusseshat ein gutes Ergebnis hervorgebracht. Lieber KollegeFreese, lieber Cajus Caesar, lieber Kollege Kindler, lie-ber Kollege Claus, Ihnen allen miteinander herzlichenDank dafür, dass wir mit 20 Millionen Euro für den vor-beugenden Hochwasserschutz, wie der Kollege Freesesagte, einen Einstieg geschafft und die Gemeinschafts-aufgabe gestärkt haben.
20 Millionen Euro für vorbeugenden Hochwasserschutz –da waren sich mein Haus, das Umweltministerium unddas Finanzministerium einig. Wir werden als Bund dieLänder unterstützen. Mein Haus wird einen wichtigenBeitrag leisten. Ich danke dem Deutschen Bundestag –davon ausgehend, dass es vielleicht Zustimmung findet,dass wir diese Gelder in Umsetzung des Maßgabebe-schlusses erhalten haben.Ich danke Ihnen auch dafür, dass wir Investitionen indie Entwicklung ländlicher Räume tätigen können. Wirhaben das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung mit10 Millionen Euro ausgestattet; das ist ein Anfang. DasBundesprogramm bündelt Modell- und Demonstrations-vorhaben, Wettbewerbe, Initiativen. Hier will ich eineIdeenwerkstatt entstehen lassen. Sie verarbeitet das, wasin der Fläche erfolgreich erprobt wird. Wir stellen dieRessourcen bereit, damit mein Haus künftig der zentraleAnsprechpartner für Fragen der ländlichen Entwicklungsein kann. Die Bundesregierung hat hier eine Staatsse-kretärsrunde eingerichtet – unter Führung meines Hau-ses –, um sich bei den infrastrukturellen und strukturel-len Aspekten dieser landwirtschaftlichen und ländlichenThemen abzustimmen.
Die zusätzlichen 10 Millionen Euro, die in den beidenanstehenden Haushaltsjahren jeweils zur Verfügung ste-hen, machen Fortschritte möglich, zunächst viele kleineFortschritte vor Ort, später aber eine Bewegung zumBesseren in der großen Fläche. Ich habe natürlich ver-nommen, dass die Bereitstellung von 10 Millionen Eurofür das Programm als ein Einstieg verstanden wird.Man tut sich natürlich immer schwer, Oppositionsan-träge, in denen noch mehr Geld für den eigenen Etat ge-fordert wird, von vornherein zurückzuweisen. Das ist füruns ein Merkzettel. Ich danke den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD für den Merkzettel, den sie uns ei-gentlich mit der Bereitstellung von 10 Millionen Euromitgegeben haben. Natürlich wird die ländliche Ent-wicklung im Hinblick auf die demografische Struktur inunserem Lande und auf manche strukturelle Fragen beizukünftigen politischen Aktivitäten einen noch höherenStellenwert bekommen.Wir wollen die Arbeitsplätze und die Versorgung imAlter sichern. Das gehört genauso dazu. Deswegen binich mit Kollegen Gröhe auch im Gespräch, beispiels-weise über die ländliche ärztliche Versorgung. Es gibtweitere Maßnahmen, die wir – gemeinsam mit anderenRessorts – mit diesen zusätzlichen 10 Millionen Euro so-zusagen andenken wollen.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas überdie Gemeinschaftsaufgabe sagen. Wir befinden uns ge-rade in einer Diskussion über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Die Gemeinschaftsaufgabe,die nicht immer nur Zustimmung erfahren hat, hat sichals gemeinsames Bund-Länder-Finanzierungsinstru-ment bewährt und sollte ausgebaut werden. Sie wurdevon Franz Josef Strauß gemeinsam mit Karl Schiller ent-wickelt und eingeführt.
– Der Franz Josef Strauß hat das immer gut im Griff ge-habt. Er war ja nicht dumm.
Er hat etwas auf den Weg gebracht, das sich bewährt hat.Deswegen bin ich überzeugt davon, dass wir den Ausbaudieses Instruments weiter verfolgen können.Mein Ministerium ist ein forschungsstarkes Ministe-rium. Wir werden auch im nächsten Jahr das eine oderandere an Überschneidungen bzw. Verknüpfungen ha-ben. Es werden neue Forderungen aus der Forschungkommen, und wir werden die entsprechenden Schwer-punkte setzen.
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Bundesminister Christian Schmidt
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Danke noch einmal für den Hinweis auf unsere leis-tungsfähigen Institute. 310 Millionen Euro sind imHaushalt für die Forschungsinstitute vorgesehen. Damitsind wir auf dem Weg vom Acker zum Teller tatsächlichImpulsgeber für eine Wertschöpfung, die sich an denKriterien von Nachhaltigkeit und Tierwohl messen las-sen muss.Wir tragen den Ansprüchen der Verbraucherinnen undVerbraucher Rechnung. Ich kann vorsorglich sagen – damuss ich Sie enttäuschen, lieber Kollege Kindler –: Dassind nicht nur Ankündigungen. Der Kompetenzkreis tagtsehr intensiv und diskutiert durchaus kontrovers; das sollauch so sein.
Aber ich möchte, dass wir das Thema Tierwohl gemein-sam weiterentwickeln.Ich darf meinen Dank an die freiwillig Tätigen in die-sem Kompetenzkreis unter Leitung von Gert Lindemannrichten. Ich denke, dass uns die Zwischenergebnisse inden nächsten Wochen vorliegen werden. Was mir berich-tet wurde, hört sich alles sehr gut an.
Die wissenschaftliche Erkenntnis ist wichtig. Wir ha-ben gerade jetzt bei der sich aktuell abzeichnenden undGott sei Dank nicht in aller Schärfe aufgetretenen Geflü-gelpest gesehen, dass sich das Ineinandergreifen der Ak-tivitäten von Bund und Ländern bei der Bekämpfung be-währt. Das ist nach den bereits gemachten Erfahrungensogar besser geworden. Ich kann nicht mehr zählen, wieoft ich in den letzten Tagen mit Till Backhaus telefonierthabe bzw. unsere Leute sich abgestimmt haben. Dass esgelingt, dass durch aktives Monitoring Wildvögel abge-schossen, in Rostock in der Landesuntersuchung über-prüft und dass sie dann, wenn dort nicht mehr weiter ge-testet werden kann, zum FLI auf die Insel Riemsgebracht werden, zeigt doch, dass das System funktio-niert. Da ich jemand bin, der versucht, eine Gefahr pro-aktiv zu bekämpfen – ich warte nicht, bis der Risikofalleingetreten ist –, bin ich sehr dankbar, dass wir diesnachweisen können.
Wir dürfen gerade bei der Tiergesundheit nicht nach-lassen. H5N8 ist ein neuer Virustyp, der wohl aus Koreastammt und jetzt nach Deutschland gelangt ist. Ich habemit meiner niederländischen Kollegin und auch mit mei-ner Kollegin aus dem Vereinigten Königreich vereinbart,dass wir bei der Ursachensuche und auch bei der Be-kämpfung gemeinsam vorgehen. Ich würde mir wün-schen, dass sich auch die Europäische Kommission früh-zeitig in solche Fragen einbringt, das heißt unteranderem, das Monitoring der Wildvögel zu unterstützen.Dabei geht es nicht um Beträge, die den europäischenoder unseren Haushalt umwerfen, sondern um die Er-kenntnis, dass wir in Risikogebieten gemeinsam handelnmüssen und gemeinsam Verantwortung tragen.Ich darf diesen Fall auch zum Anlass nehmen, überTiergesundheit und Lebensmittelsicherheit insgesamt zusprechen. Da müssen einige Äußerungen korrigiert wer-den. Gott sei Dank leben wir in einer Zeit, in der die Le-bensmittel so sicher sind wie noch nie.
Eine Skandalisierung nützt niemandem. Mit Blick aufjene, die versuchen, in ihren bäuerlichen Betrieben dielandwirtschaftliche Erzeugung möglichst nah an nichtimmer ganz realistischen Vorstellungen auszurichten,sage ich: Wir werden den Ökolandbau gemeinsam unter-stützen. Ich bin allerdings nicht bereit, das eine gegendas andere auszuspielen. Nahrungsmittelversorgungkann nur in den Gunstregionen funktionieren, wenn allemiteinander arbeiten: die konventionelle Landwirtschaft,die ökologische Landwirtschaft und auch jene, die da-zwischenliegen.
Papst Franziskus hat auf der Welternährungskonfe-renz der FAO in der letzten Woche gesagt:Gott kann verzeihen. Menschen verzeihen manch-mal. Die Erde verzeiht nicht.Was heißt das? Das heißt, dass wir das Prinzip der Nach-haltigkeit natürlich beachten müssen. Er hat aber auchden Appell an uns gerichtet, die Erde zu nutzen; und imJahr 2050 9 Milliarden Menschen zu ernähren, ist eineAufgabe, die machbar ist. Das Sicherstellen der Ernäh-rung heute leidet darunter, dass wir, was die Nachhaltig-keit angeht, die entsprechenden Organisationsstrukturenund Bewirtschaftungsmethoden in den Entwicklungslän-dern leider nicht im ausreichenden Maße zur Verfügunghaben. Ich habe deshalb mit meinem Kollegen GerdMüller gemeinsam eine Initiative auf den Weg gebracht,die gerade dies ändern soll.Übrigens möchte ich mit einer Mär einmal aufräu-men: Überall wird insinuiert, wir hätten heute noch Ex-portsubventionen. Die Exportsubventionen auf europäi-scher Ebene sind aber auf null gestellt.
Ich habe mich dezidiert dagegen ausgesprochen, Obst-und Gemüseerzeuger wegen ihrer Absatzschwierigkei-ten zu unterstützen und das Instrument der Subventionwieder zu verwenden. Wir können nicht auf Kosten an-derer versuchen, unsere Überflüsse abzugeben. Nein, derExport ist ein regulärer Vorgang, und er geht nur in dieLänder, die die Waren brauchen und bezahlen können.Der Selbstversorgungsgrad in Russland beträgt60 Prozent. Die Preise steigen im Augenblick in russi-schen Supermärkten, weil sich Russland allein nichtselbst versorgen kann. Da stehen wir zur Verfügung undwürden dies auch gern tun.Ernährung ist ein ganz wichtiger Punkt. Sie gestatten,dass ich dies noch kurz anspreche. Jawohl, wir haben mitIN FORM ein, denke ich, sehr gutes Programm, einennationalen Aktionsplan. Aber die 1,76 Milliarden Euro,
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Bundesminister Christian Schmidt
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die nötig sind, um die Schulversorgung in ganz Deutsch-land zu finanzieren – das würde, so glaube ich, KollegeFreese, die Bund-Länder-Finanzbeziehungen etwas aufden Kopf stellen.
– Ich habe das auch nicht behauptet.Aber was bleibt, ist, dass wir die Schulvernetzungs-stellen natürlich unterstützen. Ich möchte auch hier nichtaufs Regulative, Vorschriftliche, eingehen, sondern dieMöglichkeit zur Entwicklung geben. Viele Beratungenzeigen, dass die Kinder insbesondere Nudeln,
Pommes und Pfannkuchen, aber keinen Spinat wollen.Das ist nun einmal so. Wir sollten auch nicht versuchen,die Kinder komplett davon abzubringen. Die entspre-chende Beratung findet besser vor Ort statt. Das wissendie Schulleiter, die Ökotrophologen und manchmal dieEltern etwas besser als wir. Deswegen ist hier ein StückZurückhaltung geboten.Vielen Dank dafür, dass Sie beim Haushalt keine Zu-rückhaltung gezeigt haben, sondern mir mit 5,3 Milliar-den Euro ein gutes Volumen zur Verfügung stellen, mitdem ich, wie gerade auch von Ihnen eingefordert, unserePolitik – einschließlich des Forstes – dann auch umset-zen kann.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Christian Schmidt. – Nächste Rednerin
in der Debatte ist Dr. Kirsten Tackmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Mit 5 von 300 Milliarden Euro ist dasAgrarbudget tatsächlich ein Mini-Etat. Das liegt abernicht so sehr an der fehlenden Wertschätzung, sondernhängt einfach damit zusammen, dass über die Agrarpoli-tik und ihre Finanzierung überwiegend in Brüssel und inden Bundesländern entschieden wird. Das ist in keinemanderen Ressort so.Dass stolze 70 Prozent dieses Mini-Etats in der land-wirtschaftlichen Sozialversicherung gebunden sind, hal-ten wir Linke zwar durchaus für richtig. Wir erhaltenaber auch unsere Kritik aufrecht, dass die landwirt-schaftliche Alterssicherung als Teilrentensystem längstnicht mehr vor Altersarmut schützt. Dass Betriebe inDeutschland nach wie vor erst einmal abgegeben werdenmüssen, um diese Minirente überhaupt zu bekommen,riecht nach indirekter Enteignung und muss dringendkorrigiert werden.
Ja, Junglandwirte müssen gefördert werden und müssenauch eine Chance bekommen. Der Zwangsverkauf vonBauernhöfen ist aber der völlig falsche Weg.Leider wurden auch dieses Jahr alle Haushaltsanträgeder Linken abgelehnt, obwohl wir eine Gegenfinanzie-rung vorgeschlagen haben, Herr Minister. Abgelehntwurde zum Beispiel unsere langjährige Forderung nacheinem Herden- und Wolfsschutzkompetenzzentrum. Da-bei wachsen die Probleme der Weidetierhalterinnen undWeidetierhalter in den betroffenen Regionen immer wei-ter. Diese Betriebe sind doch schon die Verlierer der EU-Agrarpolitik und müssen tagtäglich um ihre Existenzkämpfen – und das, obwohl die Weidetierhaltung aktuelldie größte gesellschaftliche Akzeptanz genießt, wie eineUmfrage gerade ergeben hat.Es reicht eben nicht, den materiellen Schaden durchWolfsrisse auszugleichen. Die Weidetierhalterinnen und-halter wollen zu Recht wissen, wie sie ihre Tiere schüt-zen können. Ein höherer Zaun mit Untergrabungsschutzreicht oft nicht aus, aber gut ausgebildete Herdenschutz-hunde schon. Deshalb wird dieses Zentrum so dringendgebraucht. Es soll sowohl Erfahrungen und Wissen bün-deln und verbreiten – Wissen hilft nämlich auch gegenStammtischparolen – als auch forschen, um herauszufin-den, wie die Koexistenz zwischen Weidetierhaltung undWölfen funktionieren kann.
Da der Wolf Artenschutzstatus hat, ist hier der Bund inder Pflicht. Gern kann er das auch gemeinsam mit denBundesländern erledigen. Dieses Kompetenzzentrummuss aber jetzt kommen.
Als Tierärztin sage ich auch deutlich, dass der Bundfür die Epidemiologie, also die angewandte Tierseuchen-forschung, mehr tun muss – und zwar deswegen, weilwir immer häufiger Bedrohungslagen haben, aktuellzum Beispiel durch Vogelgrippe und AfrikanischeSchweinepest. Die Forderung von Minister Schmidtnach mehr EU-Geld für Überwachungsuntersuchungenist zwar vollkommen richtig. Wir müssen mit diesen Er-gebnissen aber natürlich auch etwas anfangen können.Wir müssen besser verstehen lernen, was es konkretbedeutet, wenn bei einer einzigen Krickente H5N8 ge-funden wird, und was Behörden und Betriebe denn tunmüssen, um die Ausbreitung zu verhindern. Wir müssendoch wissen, warum binnen weniger Tage eine gefährli-che Influenzavariante aus Korea in drei verschiedenenBetrieben in drei verschiedenen Ländern der EU bei dreiverschiedenen Geflügelarten auftaucht.
Wir brauchen auch eine Deckelung der Größe vonTierbeständen am Standort und in den Regionen. Es istdoch nicht zu verantworten, dass im Verdachtsfall vor-sorglich Hunderttausende Hühner oder ZehntausendeSchweine getötet werden müssen, auch wenn sie gesundsind.
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Dr. Kirsten Tackmann
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Im Agraretat wird aber auch Geld falsch ausgegeben.Zum Beispiel wird nach wie vor fossiler Agrardiesel mit430 Millionen Euro jährlich gefördert. Das ist zwar einewichtige Unterstützung für die Betriebe. Es ist aber vielsinnvoller, einheimische Pflanzenkraftstoffe für dieLandmaschinen zu fördern. Das bringt übrigens auchmehr Arbeitsplätze und Geld in die ländlichen Räume.Deswegen wollen wir 10 Prozent der Mittel aus diesemFördertopf verwenden, um den Wechsel von fossilen zupflanzlichen Kraftstoffen zu unterstützen.
Aber selbst wenn das Geld in diesem Mini-Etat aus-schließlich sinnvoll verwendet werden würde, wärenzwei grundsätzliche Probleme nicht gelöst: Erstens kor-rigiert das eben nicht die falsche Agrarpolitik in der EU.Diese macht nämlich die Agrarwirtschaft zum Zuliefererauf einem sozial und ökologisch blinden Markt, statt siein ihrer eigentlichen Funktion zu stärken, nämlich dieRegionen mit Lebensmitteln und erneuerbaren Energiensicher und bezahlbar zu beliefern. Zweitens bleiben dieländlichen Räume auf der Strecke. Sie legen zwar einBundesprogramm für die ländlichen Räume auf, aberbundesweit 10 Millionen Euro für zwei Jahre sind ange-sichts der Probleme, die dort existieren, ein Tröpfchenauf einen überhitzten Stein. Einzelne Projekte machen janoch lange kein Konzept.Ich selbst wohne in einem Dorf mit 60 Seelen undkenne die dortige Situation. Ich möchte hier einmal miteinem Missverständnis aufräumen. Wir leben dort nicht,weil wir nicht schnell genug weggekommen sind oderweil wir krank, alt oder doof sind. Wir leben dort, weilwir besondere Lebensbedingungen haben wollen.
Wir verzichten dafür auch gerne auf andere Dinge. Aberwir brauchen dennoch eine gute Anbindung an öffentli-che Verkehrsmittel, gute Bildung und Kultur, Internetund Gesundheitsversorgung. Wir haben ein Recht daraufund wollen keine Almosen.
Uns fehlt, ehrlich gesagt, ein Minister, der im Kabi-nett auch einmal mit der Faust auf den Tisch haut, wennnicht genug Geld zur Verfügung gestellt wird. Ihr Man-tra von der schwarzen Null ist gerade für die ländlichenRäume fatal. Dass Sie nicht einmal versuchen, durcheine gerechte Steuerpolitik und durch das Unterbindenvon Steuerflucht mehr Geld für einen ausgeglichenenHaushalt einzunehmen, ist der eigentliche Skandal. Da-durch wird die soziale Ungerechtigkeit verschärft undwerden die Zukunftschancen in den ländlichen Räumenverbaut.Apropos dünn besiedelte Gebiete: Im europäischenMaßstab ist nicht Deutschland dünn besiedelt, sondernLappland und Teile Estlands. Ich habe im Urlaub selbsterlebt, dass es dort eine bessere öffentliche Daseinsvor-sorge gibt als in Deutschland. Das zeigt doch, dass es nureine Frage des Willens ist, es dann auch zu realisieren.
Deswegen wird die Linke im Interesse der Dörfer undder kleinen Städte auch weiter Druck machen für einenachhaltige Agrarpolitik.Vielen Dank.
Vielen Dank, Dr. Tackmann. – Nächster Redner in der
Debatte: Johann Saathoff für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! In den vergangenen Jahren haben wir in derLandwirtschaft viele Entwicklungen erlebt, die wir heutenicht länger hinnehmen wollen. Ich möchte die Gelegen-heit nutzen, um noch einmal ganz weit zurückzudenkenan die McSharry-Reform von 1992. Diese Reform warwegweisend und ein tiefer Einschnitt zugleich. Aber wirhaben auch nach den Reformen von Fischler und Ciolosimmer noch große Probleme in der Landwirtschaftspoli-tik. Der Fokus in der Landwirtschaft liegt nach wie vornur auf Produktivität. Wir kommen einfach nicht wegvom Motto „Wachsen oder Weichen“. Wir brauchen unsnur einmal die aktuelle Situation auf dem Milchmarktanzuschauen. Es wird produziert, was das Zeug hält.Niemals zuvor waren die Überschüsse so hoch. UnserHeil suchen wir derweil auf neuen Märkten.Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so darf esnicht weitergehen. Das alles basiert auf externalisiertenKosten, genau wie bei der Atomkraft. Die Auswirkun-gen auf die Umwelt sind enorm. Menschen arbeiten un-ter zum Teil äußerst fragwürdigen Bedingungen, und dieZeit der Tiere vor ihrem Tod lässt sich kaum als Lebenbezeichnen. So wie wir nun endlich alle erkannt haben,dass wir aus der Atomkraft aussteigen wollen, so müssenwir auch erkennen, dass sich in unserer Agrarpolitiketwas ändern muss. Wir wollen die Politik für die ländli-chen Räume nicht länger als Teil der Landwirtschafts-politik betrachten, sondern umgekehrt die Landwirt-schaftspolitik als Teil der Politik für die ländlichenRäume.
Wenn wir die Landwirtschaftspolitik nur als einenBaustein der Politik für die ländlichen Räume neben an-deren Bausteinen wie der Umwelt, dem Tierschutz, denArbeitsbedingungen und der Energie betrachten, dannstellen wir fest, dass wir andere Lösungsansätze für dieLandwirtschaft brauchen, Ansätze, die wir gemeinsammit den Landwirten entwickeln wollen; denn heute wirddoch mehr Geld an der Landwirtschaft als in der Land-
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6714 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Johann Saathoff
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wirtschaft verdient. Viele Landwirte, die eigentlich freieUnternehmer sein wollen, befinden sich faktisch in Ab-hängigkeit und sind nur noch ein kleines Rädchen in ei-nem großen System. Das kann doch keinem Landwirtgefallen. Deswegen denken wir schon jetzt an die Halb-zeitbewertung der GAP. Wir sind der Meinung, dass sichCross Compliance nicht nur auf den Acker beziehen darfund dass es öffentliches Geld nur für öffentliche Leistun-gen geben darf.
In unserer Politik für die ländlichen Räume unterneh-men wir mit dem Haushalt 2015 – nach der Eiweißpflan-zenstrategie in diesem Jahr – mit dem Bundesprogrammfür die ländliche Entwicklung einen weiteren Schritt.Unser nächster Schritt ist bereits in Vorbereitung: dieGrundgesetzänderung zur Weiterentwicklung der Ge-meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“. Außerdem wollen wir inner-halb der Bundesregierung eine zentrale Stelle schaffen,die die Politik für die ländlichen Räume koordiniert; denndie Zuständigkeiten liegen in mehreren Ministerien – lei-der.Ich möchte uns allen an einem Beispiel die Situationder ländlichen Räume aus dem praktischen Leben herausbeschreiben: In meiner ostfriesischen Heimat gab es bisvor zwei Jahren noch einen Einzelhändler, der seinenBetrieb in der dritten Generation führte. Als er den La-den schloss, weil er sich nicht mehr rechnete, gab er unsmit auf den Weg, dass die Eltern junger Menschen aufder Suche nach einem Ausbildungsplatz zukünftig nichtmehr bei ihm zu klingeln brauchten. Sie müssten nun dieKlingel von Ebay oder Amazon suchen; denn er hatte ei-nen Großteil seines Umsatzes an das Internet verloren.Wir wollen die ländlichen Räume schnellstmöglich andas schnelle Internet anschließen, um Unternehmen glei-che Arbeitsbedingungen und den Menschen gleiche Le-bensbedingungen zu bieten.
Aber das Internet bedeutet nicht nur Segen. Das Kauf-verhalten hat sich durch das Internet enorm verändert,und wir alle kennen die leerstehenden Ladenlokale imländlichen Raum. Auch in Städten gibt es ein „Wachsenoder Weichen“ als Folge der immer gleich aussehendenund immer größer werdenden Einkaufszentren und Ket-ten, die um sich greifen.Damit wir solche Auswirkungen angemessen in unse-ren Überlegungen berücksichtigen, ist es wichtig, dasswir eine zentrale Stelle einrichten, die die ländlichenRäume im Blick hat. Dadurch können wir zuständig-keitsübergreifend durch geeignete Maßnahmen an derReattraktivierung der ländlichen Räume arbeiten. Wirbrauchen die Geschäfte, wir brauchen ein Bewusstseinder Menschen dafür, dass diese Geschäfte wichtig für siesind, und wir brauchen die Wertschöpfung vor Ort, da-mit das Geld nicht durch das Internet in die weite Weltverschwindet.Noch schlimmer ist es allerdings, wenn die Menschenverschwinden. Mobilität und die Kosten der Mobilitätsind schon jetzt für die Menschen von entscheidenderBedeutung. Die Menschen ziehen der Arbeit hinterher.Ein junger Mensch auf der Suche nach einem Ausbil-dungsplatz wird vermutlich Ostfriesland verlassen müs-sen, was die Problemlage der ländlichen Räume nochweiter verstärkt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kind mutt Naamhebben, so sagt man in Ostfriesland.
Ich will damit sagen, dass wir der Bedeutung der Politikfür die ländlichen Räume in Zukunft dadurch Ausdruckverleihen sollten, dass das BMEL auch die ländlichenRäume in seinen Namen aufnimmt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff. – Wie heißt das?Sagen Sie es bitte noch einmal.
– Gut, wieder was gelernt.Nächster Redner in der Debatte: Friedrich Ostendorfffür Bündnis 90/Die Grünen.
Geschätzte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Warum koalieren wir eigentlich nicht, JohannSaathoff? Das frage ich mich nach deinen Reden immerwieder.Die Landwirtschaft steht vor riesigen Herausforde-rungen. Das müssen wir heute besprechen. Die Pro-bleme liegen auf der Hand – sie sind so offensichtlich,dass ein Schließen der Augen nicht mehr ausreicht, HerrMinister –, sei es die Belastung von Grundwasser durchAntibiotika, aber auch durch Nitrate, Phosphate, seien esdie gesundheitlichen Gefahren für die Verbraucher durchantibiotikaresistente Keime, die aus der Massentierhal-tung resultieren, oder sei es der Ausstieg von 40 Prozentder landwirtschaftlichen Betriebe, von fast 50 Prozentder Milchviehbetriebe und von etwa 70 Prozent derschweinehaltenden Betriebe allein in den letzten 14 Jah-ren. Die Veränderung der Landwirtschaft vollzieht sichin einem Tempo und mit einem Ausmaß, dass dieGrundfesten unserer Gesellschaft berührt werden.Die Folgen sind, wie allgemein bekannt, der Rück-gang der Arten – inzwischen auch der Allerweltsartenwie Spatz, Nachtigall, Kiebitz, Feldlerche; wer hätte dasgedacht? –, die Entvölkerung des ländlichen Raums, derVerlust von ländlicher Kultur und von ländlichen Struk-turen in einem ungeahnten Ausmaß und die zunehmende
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Entfremdung von Bäuerinnen und Bauern von der übri-gen Nachbarschaft. Meine Damen und Herren von derKoalition: Wie lange wollen Sie sich das noch untätigansehen? Wie lange wollen Sie weiter wie das Kanin-chen vor der Schlange kauern?
Es ist doch offensichtlich: Wir müssen endlich han-deln. Dieses Handeln ist von Ihnen, Herr MinisterSchmidt, leider wohl nicht mehr zu erwarten, ebenso we-nig wie von den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU. Herr Minister Schmidt, Ihre Chefin, Frau Merkel,hat gerade gestern in ihrer Rede den zunehmenden Anti-biotikaresistenzen, ausgelöst durch die Nutztierhaltung,den Kampf angesagt.Das sind gute Worte. Was tun Sie – außer weiterhin auf-zuschreiben bzw. aufschreiben zu lassen, in welch un-glaublichem Ausmaß medizinisch wichtige Antibiotikaals Treibstoff in der Massentierhaltung eingesetzt wer-den? Dieses Nichtstun reicht doch nicht, Herr Minister!Handeln ist gefordert!
Zu „Christian“ sagen wir Ja. Aber wir sagen: mehrMeyer, weniger Schmidt.
Auch die nebulöse Tierwohl-Initiative muss wohleher als Beruhigungspille denn als wirksame Behand-lung bezeichnet werden, Herr Minister. Seit Jahren wer-den die Verhältnisse in der Landwirtschaft schöngefärbt.Im Sommer dieses Jahres erklärten Sie noch – das warIhr Credo –: Hohe Exporte bringen hohe Preise. – Das istschon jetzt überholt. Das haben Sie der Landwirtschaftaber immer wieder erzählt. Seit Ilse Aigner setzt dieseBundesregierung auf Export. Sie kennt nur ein Krite-rium: Größe und Masse.Wie aber sieht die Realität aus? Die nächste Milch-krise ist schon da. Milchpreise von 30 Cent je Liter unddeutlich darunter bringen sehr viele bäuerliche Betriebein allergrößte Existenznot. Nach dem Wegfall der Quoteim nächsten Jahr wird der Ausstieg dramatisch werden –leider. Keiner von uns hat das gewollt. Aber Sie haben essehenden Auges hingenommen.
Das Gleiche gilt für die Perspektive der kleinen undmittleren Schweinehalter. Preise von 1,40 Euro und da-runter für das Kilo Fleisch – im Januar notierte der Preisan der Börse sogar bei 1,30 Euro – sind absolut ruinös.Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist dochdas simpelste ökonomische Gesetz, dass eine Steigerungder Angebotsmenge bei gleich bleibender Nachfragezum Preiszusammenbruch führt. Deutschland produ-ziert heutzutage aber 115 Prozent des eigenen Bedarfs anMilch, und wir produzieren 125 Prozent des eigenen Be-darfs an Schweinefleisch.
Ich sage: Der Bedarf ist gedeckt. Ich glaube, das könnenwir angesichts dieser Zahlen feststellen.Aber: In diesem Jahr wird bei Milch ein abermaligerRekordzuwachs von 4 Prozent erwartet. Sie fördern dasnoch, und zwar durch viel Steuergeld, das in den Bauneuer Ställe fließt. Aber auch der Weltmarkt ist, wasdeutsche Produkte betrifft, gesättigt. Herr Fricke – ersitzt auf der Tribüne –, hören Sie jetzt zu; denn jetzt wirdIhre Zeitung zitiert. „China hat keinen Hunger mehr aufdeutsches Schweinefleisch“, titelt die Vieh und Fleisch,die Herr Fricke mitverantwortet.
Der chinesische Milchdurst wird geringer und zuneh-mend durch Neuseeland gedeckt. Neuseeland produ-zierte alleine in den ersten neun Monaten 2014 12 Pro-zent mehr Milch. Das ist ein Teufelskreis für unsereBäuerinnen und Bauern.Produktionssteigerung, Konzentration der Tierhaltungund damit verbundene Umweltfolgen, Aufgabe von klei-nen und mittleren Betrieben, weitere Ausweitung undKonzentration der Produktion, Sinken der Preise undwieder Aufgabe von Betrieben: Das ist der Teufelskreis,in dem sich unsere Betriebe befinden. Meine Damen undHerren von der CDU/CSU, es ist doch nicht zu überse-hen: Ihre Politik zielt darauf, dass am Ende 1 bis 2 Pro-zent der landwirtschaftlichen Betriebe übrig bleiben. Sa-gen Sie den Betrieben dies ehrlich, damit sie wissen,woran sie sind, und sich nicht noch in unnötige Ver-schuldung stürzen, die sie umbringen wird.
Die Krise, meine Damen und Herren, ist eine grundsätz-liche. Sie ist eine Krise des globalen Nahrungssystems.Sie von der CDU/CSU sind ihre Apologeten, die vollertiefer Überzeugung das Hohelied auf die Agrarindustriesingen.Was muss getan werden? Wir kommen nicht darumherum, die Probleme bei der Wurzel zu packen. Wirbrauchen eine Kehrtwende in der Agrarpolitik. Wir brau-chen ein neues Leitbild der Landwirtschaft. Die kleinenund mittleren bäuerlichen Betriebe müssen in ihrer Viel-falt endlich ins Zentrum der Politik gerückt werden. Wirbrauchen die Flächenbindung in der Tierhaltung, um diedurch die Massentierhaltung ausgelösten massiven Um-weltprobleme zu beheben. Wir brauchen Bestandsober-grenzen und viel weniger Tiere im Stall, eine artgerechteTierhaltung mit Weidegang und Einstreu, einen neuenUmgang mit dem Tier
und eine Honorierung der vielfältigen öffentlichen Leis-tungen der kleinen und mittleren Betriebe. Das mussendlich das Prinzip des Handelns, das Prinzip der Ge-meinsamen Agrarpolitik werden. Wir brauchen gemein-same und konzentrierte Anstrengungen, um den genann-ten Herausforderungen zu begegnen und die Aufgabenzu lösen. Wir brauchen auch die Aufstockung der GAK-Mittel um 200 Millionen Euro, damit wir einen Aktions-
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plan für die bäuerlich-ökologische Landwirtschaft aufden Weg bringen können.
Vielen Dank, Kollege Ostendorff. – Nächster Redner
in der Debatte: Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/
CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ichfinde, der Einzelplan 10 unseres Bundeshaushaltes 2015setzt richtige und wichtige Akzente für das Landlebenund auch für die Verbraucher in Deutschland. Es ist rich-tig: Bei einem Ausgabenanteil von 70 Prozent für dielandwirtschaftliche Sozialpolitik ist der Gestaltungs-spielraum natürlich eingeschränkt, und somit ist dasnicht ganz einfach.Gerade wurde schon darauf hingewiesen: In dieserKonstellation – Herr Freese und Cajus Caesar – ist esganz zum Schluss gelungen, 20 Millionen Euro zusätz-lich für den präventiven Hochwasserschutz bereitzustel-len – verbunden mit einem Maßgabebeschluss. Damit istder Einstieg gelungen, mehr zu tun. Das ist ein klaresund gutes Signal. Natürlich hätte das noch mehr seinkönnen – das hätten wir uns alle gewünscht –, aber dasLeben ist halt kein Wunschkonzert.Wir sind fest entschlossen, den Haushalt ohne Neu-verschuldung zu verabschieden. Die Schulden von heutesind bekanntlich Steuern von morgen, und wir wissen,dass viele hohe Staatsverschuldungen letztendlich dieUrsachen der Krisen der letzten Jahre waren. Deshalb istdieser Weg richtig.Wir tragen mit dem Einzelplan 10 einen Anteil an derGesamtverantwortung und leisten unseren Beitrag. Dasheißt für uns zum einen, Maß zu halten, und zum ande-ren, die richtigen Schwerpunkte bei den Zukunftsinvesti-tionen zu setzen. Das ist hervorragend gelungen. MeinDank geht insbesondere an die beiden Haushälter HerrnCaesar und Herrn Freese. In diesen Dank will ich gerneauch die Grünen, Herrn Kindler, und auch Herrn Clausmiteinschließen.Dazu aber doch noch eine Bemerkung: Hier wurdedarauf hingewiesen, man sollte sich, wenn es um denStrukturwandel geht, mehr in Richtung der grünen Land-wirtschaftsminister bewegen. Gucken Sie einmal nach,wie groß der Strukturwandel zu Künasts Zeiten war!Ernsthaft! Sie werden sich wundern, wie hoch die Zah-len sind. Ich bin Niedersachse und in jeder sitzungs-freien Woche in Niedersachsen unterwegs. Ich be-fürchte, wenn es dort noch zwei, drei Jahre soweitergeht, werden wir ein Bauernsterben erleben, wiewir es noch nie erlebt haben. Das ist dann von den Grü-nen zu verantworten.
Meine Damen und Herren, wir sind ein besondererAusschuss. Wir sind zuständig für das Essen und Trin-ken von über 80 Millionen Menschen in Deutschland –und das auch noch täglich. Wir sind zuständig für ge-sunde, sichere, nachhaltig erzeugte und – das betoneich – bezahlbare Lebensmittel. Wir sind aber auch zu-ständig für knapp 300 000 landwirtschaftliche Familien-betriebe, und wir haben auch Verantwortung für fast5 Millionen Familien, die ihren Lohn und ihr Brot in derAgrarwirtschaft verdienen.
Ich will an dieser Stelle auch nicht ganz ohne Stolzfeststellen, dass es bei allen Herausforderungen, Aufga-ben und Problemen, die niemand infrage stellt und diewir zu bewältigen bzw. zu lösen haben, stimmt: UnsereLebensmittel waren noch nie so sicher und gut wieheute. Darauf kann man stolz sein. Dafür haben unsereLandwirtschaft und auch die Agrarwirtschaft Lob undAnerkennung verdient.
Uns ist das Landleben ein besonderes Anliegen.Landleben bedeutet Naturschutzraum, bedeutet Erho-lungsraum, aber bedeutet auch und vor allem Wirt-schaftsraum. Das gerät leider immer wieder in Verges-senheit. Zum Landleben kommt es nicht einfach vonalleine, wie manche hier tun, sondern es ist das Projekteiner starken Wirtschaft im ländlichen Raum, die vor Ortverwachsen und engagiert ist und die Menschen durchArbeitsplätze und eine gute Infrastruktur im Dorf hält.Auch Natur – damit meine ich die Artenvielfalt – ent-steht nicht einfach von alleine, wie manche tun,
sondern ist ebenfalls das Produkt menschlichen Wirkensund dabei auch maßgeblich von der Landwirtschaft ge-prägt.
Daraus leite ich ab: Die Lebensader für lebendige Dörfer– sozusagen der Nukleus des Landlebens – ist die Land-wirtschaft und nichts anderes.
Deshalb wollen wir die Marktposition zumindest sta-bilisieren. Dass wir insbesondere in manchen Regionendie Grenzen des Wachstums erreicht haben, weiß jeder.
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Franz-Josef Holzenkamp
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Das braucht auch niemand infrage zu stellen. Aber auchdie Exportstrategie gehört mit zur Gesamtstrategie.
Exportsubventionen gibt es nicht mehr.Hier wurden die Agrarexporte in Entwicklungsländerangesprochen. Es gibt das Abkommen: „Everything butArms“. Was bedeutet das? Die 50 ärmsten Länder derWelt dürfen in unser Land alles exportieren, was sie wol-len. Sie können aber beim Import so viele Zollschrankenaufbauen, wie sie wollen. Wenn Sie etwas kritisieren,dann bleiben Sie zumindest bei der Realität und bei derWahrheit. Ich glaube, darauf haben die Zuschauer einAnrecht.
Wichtig ist uns ein Thema, das auch BundesministerSchmidt schon ansprach: das Bundesprogramm fürländliche Entwicklung. Wir wissen, dass wir struktur-schwache Regionen haben. Für diese sogenannten struk-turschwachen Landstriche wollen wir exemplarisch Lö-sungen finden. Ich bin froh, dass gerade dieses Thema,das uns ein besonderes Anliegen ist, auch ein Herzens-anliegen unseres Ministers ist. Herr Minister, herzlichenDank dafür.
Das Volumen der GAK von 600 Millionen Euro istgesichert. Wir wollen mehr und wollen diese Gemein-schaftsaufgabe in eine Gemeinschaftsaufgabe für ländli-che Entwicklung umwandeln. Darin sind wir uns einig;darauf wurde hingewiesen.Unsere Landwirtschaft ist hochinnovativ und effizientunterwegs. Nie war die Qualität von Lebensmitteln bes-ser; darauf habe ich hingewiesen. Auch das will ichdeutlich sagen: Obwohl der Bauer in Deutschland einhohes Vertrauen genießt, besteht zunehmend ein Unbe-hagen darüber, was und wie er etwas macht. Damit müs-sen wir uns sehr selbstkritisch auseinandersetzen.
Leider fand bislang dieses Unbehagen keinen Wider-hall an der Ladentheke. Leider können wir auch vonUmfragen nicht leben. Trotzdem stellen wir uns den Er-wartungen und Veränderungen unserer Gesellschaft.Landwirtschaft braucht Akzeptanz. Aber entscheidendist, wie wir das machen, wie wir wirklich zu Verbesse-rungen kommen. Herr Schmidt hat es deutlich gemacht:Anders als Sie machen wir das miteinander statt gegen-einander. Pauschale Stigmatisierungen sind einfach nichtlösungsorientiert. Vielleicht begreifen Sie das irgend-wann im Laufe dieser Legislatur.Durch die Stärkung gezielter Forschungsaktivitätenerarbeiten wir praktikable Lösungen. Für die Forschunggeben wir über 500 Millionen Euro aus. Nach wie vormuss die Wettbewerbsfähigkeit eine gewisse Rolle spie-len, sonst kommt es zu Produktionsverlagerungen mitdem Verlust von Arbeitsplätzen. Das wollen wir nicht.Das beruhigt vielleicht das grüne Gewissen, aber denTieren ist damit definitiv nicht geholfen, und es vernich-tet Arbeitsplätze.Die von Minister Schmidt vorgestellte Tierwohl-Ini-tiative ist genau der richtige Weg, tiergerechte und prak-tikable Lösungen zu erarbeiten. Er hat deutlich gemacht:Der Kompetenzkreis, der heute getagt hat, arbeitet unterHochdruck. Aktuell arbeiten wir im Übrigen an der Ent-wicklung des Prüf- und Zulassungsverfahrens. Sie se-hen: Wir sind inhaltlich intensiv unterwegs.Noch ein Satz zum Thema Antibiotika. Die Änderungdes Arzneimittelgesetzes zum Einsatz von Antibiotika inder Nutztierhaltung, das wir beschlossen haben, ist erstin diesem Jahr in Kraft getreten. Die Vorgaben setzen inden einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben an. Damitermöglichen wir einen Vergleich, und damit wollen wirdie Menge der eingesetzten Antibiotika in der Nutztier-haltung reduzieren, um Resistenzen beim Menschen vor-zubeugen. Interessant ist auch, sich einmal die Werte desGenfer Sees anzuschauen, in dem sich viele resistenteKeime finden, obwohl dort fast keine Tiere gehaltenwerden.Zur Wahrheit gehört aber auch: Das ist eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe, weil wir auch in der Human-medizin große Probleme haben. Wir sollten keine gegen-seitigen Schuldzuweisungen machen, sondern solltendas Problem annehmen, und zwar in gesellschaftlicherVerantwortung.
Wir geben im kommenden Jahr über 30 MillionenEuro für mehr Tierschutz aus: für praktikable Lösungenstatt unausgegorener Verbote. Schließlich müssen hö-here Standards auch bezahlt werden. Eine besondereVerantwortung kommt dabei dem Lebensmitteleinzel-handel zu, ganz besonders in diesem Jahr. Es gab witte-rungsbedingt eine große Ernte, weil es der Wettergott indiesem Jahr, jedenfalls in den meisten Regionen, gut mituns gemeint hat. Auch andere Dinge, wie das Russland-Embargo, spielen hier eine große Rolle. Das bedeutetMarktdruck, was zur Folge hat, dass die Preisspiralenach unten geht.Von dieser Stelle mein Appell an die vier marktbe-herrschenden Unternehmen des Lebensmitteleinzelhan-dels: Überdenkt einmal die aggressive Preispolitik! Ichfreue mich aber auch darüber – auch das will ich konsta-tieren –, dass der Lebensmitteleinzelhandel bei der Tier-wohl-Initiative der Wirtschaft mitmacht und damit end-lich auch Verantwortung übernimmt. Wir Bauern habendamit erstmalig die Chance, höhere Standards bezahlt zubekommen. Das kann Ordnungspolitik nämlich nichtleisten, meine Damen und Herren.
Unser Leitbild der deutschen Landwirtschaft – daswurde vorhin angesprochen – ist und bleibt für die
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Franz-Josef Holzenkamp
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Union eine unternehmerische, wettbewerbsorientierteund familiengeführte bäuerliche Landwirtschaft. Siewird immer wieder infrage gestellt. In meiner Regiongibt es viele Tiere. In meiner Region sind über 90 Pro-zent der gesamten Landwirtschaft in den Händen bäuer-licher Familien. So gehört sich das, und so wollen wirdas.Derjenige, der das infrage stellt, stellt letztlich leben-dige Dörfer infrage. Er weiß nämlich nicht, worüber erredet. Ob konventionell oder öko, ob groß oder klein:Landwirtschaft auf die Zukunft auszurichten, das ist un-ser Ziel. Deshalb lautet die Zukunftsfrage nicht „Intensivoder Extensiv?“ – das ist viel zu einfach –; es geht viel-mehr darum, wie wir unabhängig von der Produktions-form besser, effizienter und auch nachhaltiger werden.Die reine ökologische Selbstbefriedigung hilft uns ga-rantiert nicht weiter, meine Damen und Herren. Wir ha-ben schon einige Parteitagsreden gehört. Wenn Sie aufIhrem Parteitag debattieren, ob aus dem Veggie-Day nuneine Veggie-Steuer werden soll, dann hat das mit Frei-heit – mit wirklicher Freiheit – überhaupt nichts zu tun.
Wir sind mit diesem Haushalt 2015 auf einem gutenWeg. Wir sollten die Aufgaben und Herausforderungen,aber auch die Probleme als Chance begreifen. Wir sindfür 80 Millionen Menschen zuständig. Stellen wir unsselbstbewusst und mit Freude fröhlich und begeistert denHerausforderungen dieser schönen Berufe, und machenwir den Akteuren vor Ort, den Bauern, durch vernünfti-ges politisches Handeln Mut! Dazu Ihnen allen eineherzliche Einladung!
Vielen herzlichen Dank, Herr Holzenkamp. Jetzt bin
ich mal fröhlich. Das bin ich aber immer. – Nächste Red-
nerin: Christina Jantz für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesemHaushalt durchbrechen wir die Schuldenspirale. Zumersten Mal seit Jahrzehnten wird ein Bundeshaushaltohne neue Schulden verabschiedet. Das ist sozialdemo-kratische Politik; denn wir übernehmen Verantwortungfür spätere Generationen.
Zugleich nutzen wir Spielräume, legen neue Schwer-punkte fest und investieren im Landwirtschaftshaushaltganz gezielt, Herr Minister. Wir erfüllen damit nicht nurunsere Pflicht gegenüber den Menschen, sondern auchgegenüber der Umwelt und den Tieren.Meine Damen und Herren, besonders der SPD liegtder Tierschutz am Herzen. Wir haben uns dafür starkge-macht, dass dem Tierschutz auch im Haushalt 2015 ge-bührend Platz eingeräumt wird. Wir haben die Diskus-sionen in diesem Bereich in Fahrt gebracht und werdensie weiter vorantreiben.Nicht zuletzt ist es unser Verdienst, dass die GroßeKoalition sich klar und ohne Wenn und Aber dem Wohl-ergehen der Tiere verschrieben hat. Minister Schmidtsetzt mit der Tierwohl-Initiative unsere Forderungen um.Lassen Sie mich nur zwei unserer Forderungen nen-nen, die jetzt verwirklicht werden: Erstens. Wir wollenseit Jahren, dass die Tierschutzforschung gestärkt wird.Zweitens. Wir wollen, dass Tiere besser gehalten wer-den, insbesondere Schweine, Hühner und Rinder. Siealle, meine Damen und Herren, kennen die grausamenBilder aus dem Fernsehen, beispielsweise von den qual-vollen Zuständen in den Hähnchenmastställen.Im Bereich der Forschung möchte ich das Bundes-institut für Risikobewertung mit der Zentralstelle zur Er-fassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungs-methoden zum Tierversuch hervorheben. Wir stärken dieArbeit des Instituts mit 9 Millionen Euro und leisten da-mit unmittelbar einen Beitrag dazu, das Leiden von Ver-suchstieren zu vermeiden.
Im Bereich der landwirtschaftlichen Tierhaltung ha-ben wir mit dem geplanten Prüf- und Zulassungsverfah-ren für Stallhaltungssysteme die entsprechenden Eck-punkte festgelegt. In den vergangenen Monaten hat sichin meinen zahlreichen Gesprächen bestätigt, dass sowohldie Tierhalter als auch die Hersteller solche Verfahrenbegrüßen. Damit leistet dieses Verfahren nicht nur sei-nen Beitrag für mehr Tierschutz; es bedeutet auch Inves-titions- und Rechtssicherheit für die Hersteller und fürdie Landwirte.Diese Beispiele zeigen, dass wir uns mit Augenmaßdiesem Thema genähert haben. Wir stellen keine überzo-genen, widersprüchlichen Forderungen. Wir wollen Lö-sungen, die so tierfreundlich wie möglich und praktika-bel sind.
Wir stemmen uns zudem gegen die Auswüchse in derIntensivtierhaltung. Wir treten für ein gesundes Gleich-gewicht in der Landwirtschaft ein. Das bedeutet selbst-verständlich regional verankerte Ressourcen und um-weltschonend produzierende Betriebe, Familienbetriebe.Dazu gehören gute Haltungsbedingungen und gesundeTiere.Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfrak-tion freue ich mich, dass die Arbeit für den Tierschutz imMinisterium gestärkt wird. Auf unser Drängen werdendie notwendigen Stellen hierfür geschaffen.Wir bauen zudem den Bienenschutz aus. Mit einerInstitutsleiterstelle im Julius-Kühn-Institut verbessern
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Christina Jantz
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wir das Bienenmonitoring. Das ist ebenfalls im Koali-tionsvertrag verankert und war ein besonderes Anliegender SPD.
So gehen Umweltschutz und Tierschutz Hand in Hand.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit die-sem Haushalt ein Mehr für den Tierschutz erreicht. Ge-meinsam werden wir das Thema in den kommenden Mo-naten weiterentwickeln und vorantreiben. Wir wollenuns verstärkt beispielsweise dem Problem der Qualzuch-ten und auch des Wildtierhandels widmen.Wir nehmen es nicht länger hin, dass beispielsweiseHunde gezüchtet werden, die permanent entzündete Au-gen haben, oder Vögel, die sich nicht mehr auf einerSitzstange halten können. Wir können nicht akzeptieren,dass eine Riesenpython in einer 50-Quadratmeter-Woh-nung oder die Bartagame in der Badewanne gehaltenwird.
Sicher müssen wir hierfür das Tierschutzgesetz nach-schärfen, und wir werden auf die Umsetzung der im Ko-alitionsvertrag vereinbarten Regelungen zu dem Um-gang und dem Handel mit Wildtieren drängen.Ich habe eingangs deutlich gemacht, dass die SPD dieDiskussion im Bereich des Tierschutzes in Fahrt ge-bracht hat. Es liegt an uns, nun nicht nachzulassen. Wiralle sind aufgefordert – und das ist nicht zuletzt eineethisch-moralische Frage an jeden Einzelnen von uns –,das Beste für die Tiere zu erreichen. Ich lade Sie daherein, in den kommenden Monaten und Jahren mit mir ge-meinsam sachliche Lösungen zu finden, die dem Wohl-ergehen der Tiere auch tatsächlich nutzen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Jantz. – Nächste Redne-
rin in der Debatte: Gitta Connemann für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Bei uns geht über den Tisch, was bei denMenschen in diesem Land auf dem Teller landet. So lässtsich die Arbeit unseres Ausschusses für Ernährung undLandwirtschaft auf den Punkt bringen. Unsere Themengehen wirklich jeden in diesem Land an, denn es gehtum Ernährung, unser tägliches Brot.Jeder muss essen, mindestens dreimal am Tag. Jederkann mitreden, viele wollen es, und das ist auch gut so;denn Lebensmittel spielen eine wirklich herausragendeRolle für das, was uns am meisten bedeutet. Was ist es?Die Gesundheit, durchaus auch unser Aussehen. Oderum es ebenfalls auf Platt zu sagen: Eten un Drinken holtLiev un Seel binanner.
Aber Ernährung ist inzwischen mehr als reine Nah-rungsaufnahme. Essen ermöglicht das Bekenntnis zu ei-nem Lebensstil, übrigens auch zu einer Abgrenzung.Sind Sie Veganer, Flexitarier, Wurstesser? Sind Sie klas-sischer Mittagesser oder Snacker? Das Essen bestimmtdas Sein.Das Fernsehen hat diesen Trend im Übrigen erkanntund darauf reagiert. Laut einer aktuellen Studie geht esdort an 34 Stunden pro Woche um Lebensmittel, Ernäh-rung, Kochen und Essen. Jede Zeit hat eben ihre The-men. Jetzt ist es die gesunde und sichere Ernährung.Um diese scheint es nicht sonderlich gut bestellt zusein. Jedenfalls kann man diesen Eindruck gewinnen,wenn man die Schlagzeilen liest. Da ist die Rede vonDioxin-Eiern, Formschinken, Neuland-Hühnern oderFairtrade. Es entsteht der Eindruck, dass eine Mafia ausBetrügern und Panschern uns alle vergiften oder zumin-dest täuschen will. Das alles wird übrigens angeheiztvon einer Angstindustrie, die von der Skandalisierunglebt.
Ich betone an dieser Stelle: Es ist ein Spiel mit der Angstum höhere Quoten, höhere Spenden und manchmal auchum höhere Wählerstimmenanteile. Ich betone auch, dassdie meisten NGOs außerordentlich wertvolle Arbeit leis-ten. Aber nicht jede ist dem Allgemeinwohl verpflichtet.Vielmehr gibt es inzwischen etliche, die ganz handfestewirtschaftliche Interessen haben.
Deshalb warnt zum Beispiel die Stiftung Warentest voretlichen Tier- und Umweltschutzorganisationen – ich zi-tiere –: „Vorsicht angebracht“. Mit der Unsicherheit derVerbraucher wird gespielt. Dazu sage ich auch im Na-men meiner Fraktion: Das ist aus unserer Sicht zynischund verantwortungslos.
Wir stehen für Klarheit statt Wahrheit,
für Aufklärung statt Empörung, für Fakten statt Vermu-tung, übrigens auch für Wissen statt Unterstellung.Wie ist die Situation? Wir wurden noch nie so alt wieheute, blieben noch nie so lange gesund und aktiv. Vordem Ersten Weltkrieg betrug die Lebenserwartung einerFrau noch nicht einmal 44 Jahre. Es gab keine Kühlket-ten. Es fehlte an Wissen über Hygiene. Es wurde geges-sen, was es gab, und das war oft zu wenig, manchmal gar
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Gitta Connemann
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nichts. Heute wird eine Frau im Schnitt 81 Jahre alt. DieLebenserwartung hat sich fast verdoppelt – dank der mo-dernen Medizin, aber auch dank besserer Ernährung. Sobestätigt uns das Bundesinstitut für Risikobewertung –ich zitiere –, dassLebensmittel heutzutage im Vergleich zu früher ausnaturwissenschaftlicher Sicht signifikant sichererund qualitativ deutlich besser geworden sind …
Ja, noch nie wurden Lebensmittel so sicher produziertwie heute. Noch nie wurde Nahrung so intensiv kontrol-liert wie heute.
Noch nie war Essen so preiswert wie heute. Noch niegab es eine so große Auswahl wie heute. Es gibt Lebens-mittel im Überfluss, und zwar mit dem Vierklang ge-sund, sicher, bezahlbar, vielfältig. Übrigens dank Grup-pierungen, die hier vorhin massiv angegriffen wurden,dank unserer Landwirte, unserer Gärtner und unsererFischer, aber auch dank unserer Fleischer, Bäcker,Hersteller und Einzelhändler. Lieber Sven-ChristianKindler, bei allem Verständnis dafür, den Wahlkampf inden Plenarsaal zu tragen,
sage ich: Ich lehne als Schwester eines Landwirts, dertagtäglich das tut, was von ihm gefordert wird – er bringtsich in die Gesellschaft ein; er ist da, wenn ein Mann ge-braucht wird, sei es in der Feuerwehr oder dann, wenn esdarum geht, das Osterfeuer zusammenzuschieben; er er-zeugt Nahrungsmittel, wie sie sein sollen –,
und im Namen aller Urproduzenten sowie meiner Frak-tion diese Stigmatisierung ab.
Denn es sind genau diese Produzenten, die dem Verbrau-cher die Wahl ermöglichen. Genau diese Freiheit will erbehalten. Die Bürger wollen selbst entscheiden, wann siewas wie essen.
Dies hat die Diskussion über den sogenannten VeggieDay eindrucksvoll bewiesen. Wir brauchen keine staatli-chen Volkserzieher, auch keine Bevormundung durchKaloriensteuern.
Was wir brauchen, sind Wahrheit und Klarheit, damitder Verbraucher wirklich selbst entscheiden kann. Dasist schwieriger geworden, ohne Frage; denn die Verhält-nisse haben sich verändert. Hier sind viele gefordert.Erstens, die Wirtschaft selbst. Die Globalisierung desHandels erhöht die Wahlfreiheit. Die Technologisierungder Lebensmittelproduktion bringt Fortschritt. Aber bei-des ist dem größten Teil der Bevölkerung fremd. Deswe-gen müssten sich Branchen öffnen und auch realistischinformieren. Ich sage sehr kritisch: Dem wird so mancheWerbung nicht gerecht. Wir sehen Bilder von der lä-chelnden Bäuerin, die den Joghurt mit der Hand rührt.Mit der Realität hat das wirklich nichts zu tun, und dasist auch gut so; denn wahrscheinlich würde ein Gesund-heitsamt diesen Joghurt nicht abnehmen, und das Früh-stück wäre unbezahlbar. Aber die Verbraucher sind amEnde enttäuscht. Wagen Sie Transparenz!Zweitens. Es gibt Informationen im Überfluss. Wersoll da eigentlich noch den Durchblick behalten? Hinzukommen beschönigende Abbildungen, zum Teil auchirreführende Werbeaussagen. In der Hühnersuppe istkein Hühnerfleisch, im Schwarzwälder Schinken keinSchwarzwälder Schwein. Deswegen ist es gut – da spre-che ich Sie an, lieber Herr Minister –, dass diese Bun-desregierung, dass auch Sie sich auf EU-Ebene dafüreingesetzt haben, dass es klarer wird. So ab dem 13. De-zember wird besser gekennzeichnet werden – dank die-ser Bundesregierung. Die Lebensmittel-Informations-verordnung wird zu mehr Transparenz beitragen; denndamit sind Nährwertangaben zukünftig Pflicht. So kannjeder Verbraucher sehen, wie viele Kalorien das Lebens-mittel hat, wie viel Fett, Kohlehydrate und Eiweiß dasLebensmittel hat – deutlich sichtbar und gut lesbar, unddas übrigens alles ohne Ampel, die inzwischen auch vonder Europäischen Kommission stark kritisiert wird. Wirals Fraktion haben immer vor dieser Simplifizierung ge-warnt. Trauen wir dem Verbraucher doch etwas zu!
Wir schützen Verbraucher, lieber Herr Minister, bes-ser vor Täuschungen; denn ab dem 13. Dezember sindHersteller verpflichtet, künstlichen oder minderwertigenErsatz in Lebensmitteln, wie zum Beispiel Vanillin stattechter Vanille, anzugeben, und zwar in unmittelbarerNähe des Produktnamens. Klebefleisch ist mit dem Hin-weis „aus Fleischstücken zusammengefügt“ kenntlich zumachen. Damit dienen wir Verbrauchern, aber auch denErzeugern und den Produzenten, die Klarheit und Wahr-heit ernst nehmen.
Drittens brauchen wir Verbraucherbildung; denn wirmüssen auch zur Kenntnis nehmen, dass sich der Ver-braucher verändert hat. Das klassische Mittagessen inder Familie ist inzwischen nicht mehr die Regel. Stattdrei Mahlzeiten am Tag gibt es gegebenenfalls zehn
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Gitta Connemann
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Snacks. Kochkultur und Ernährungskompetenz befindensich auf dem Rückzug. Das Basiswissen fehlt.Wenn die Bundesratsbank besetzt wäre, würde ichjetzt an die Länder appellieren: Tun Sie den mutigenSchritt, und führen Sie endlich ein Fach „Verbraucher-bildung, Kompetenz Haus- und Ernährungswirtschaft“ein. Damit wäre allen gedient.
Das tun die Länder leider nur eingeschränkt. Deshalb istes wichtig, dass der Bund in Verbraucherbildung inves-tiert. Lieber Herr Minister, das tun Sie. In Ihrem Haus-halt sind für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Er-nährung im nächsten Jahr über 103 Millionen Eurovorgesehen. Sie setzen dabei einen Schwerpunkt auf dieInformation von Verbraucherinnen und Verbrauchern.Ich erinnere an „IN FORM – Deutschlands Initiative fürgesunde Ernährung und mehr Bewegung“.Mit Projekten wie dem Ernährungsführerschein oder„KLASSE, KOCHEN“ wird Basiswissen darüber ver-mittelt, wo und wie Lebensmittel wirklich produziertwerden. So wird das Einmaleins der Ernährung vermit-telt. So können auch Lebensmittelabfälle vermiedenwerden; denn – darin sind wir uns einig – unser Essen istzu gut für die Tonne.All dies bietet unser Haushalt. Deswegen kann ich amEnde sagen: Bei uns geht über den Tisch, was bei denDeutschen auf dem Teller landet, und das ist gut so.
Vielen Dank, Frau Kollegin Connemann. – Es liegt
noch der Wunsch nach einer Zwischenfrage vor. Wird
auf die Zwischenfrage noch Wert gelegt, oder wollen Sie
eine Kurzintervention machen? – Das ist nicht der Fall.
Damit ist die Rede der Kollegin Gitta Connemann zu
Ende.
Ich rufe jetzt den Kollegen Willi Brase für die Sozial-
demokraten auf.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heuteden Einzelplan „Ernährung und Landwirtschaft“. Wirhaben einiges über die Entwicklung der ländlichen Re-gionen gehört. Ich habe einmal ein bisschen gestöbertund geschaut, was uns eigentlich die Wissenschaft sagt,was uns Institute sagen, wenn es um den Vergleich vonstädtischen Metropolen und ländlichen Regionen geht.Das hört sich etwas anders an als das, was wir teilweisehier heute erfahren haben.Auf dem Land– so heißt es da so schön –kommen die großen gesellschaftlichen Herausfor-derungen wie demografischer Wandel, Fachkräfte-mangel oder lückenhafte Infrastruktur schneller unddirekter an. Deswegen müssen Lösungen für dieseHerausforderungen hier früher entwickelt und um-gesetzt werden. Ländliche Räume werden so zu Ex-perimentierfeldern für neue Konzepte, die sich un-abhängig von ihrer geografischen Lage beweisenmüssen …Das ist die Aussage des Leiters Gesellschaftliches Enga-gement der Deutschen Bank, die beim Fraunhofer-Insti-tut eine entsprechende Studie im Rahmen der Standort-initiative „Deutschland – Land der Ideen“ in Auftraggegeben hat.Es wird weiter festgestellt, dass es einige Megatrendsgibt, die durchaus positiv und bekräftigend für die soge-nannten ländlichen Regionen, für den ländlichen Raumund für die ländliche Entwicklung sind.1. Unternehmergeist in ländlichen Räumen:Ländliche Regionen – ich komme aus der industriestarken Region Südwest-falen –entwickeln Innovationsstrategien und neue Wirt-schaftszweige, vor allem zur Nutzung ihrer natürli-chen Ressourcen. … Dienstleistungen … werdenmodernisiert und digitalisiert. Ziel ist es, die Stand-ortattraktivität aufrecht zu erhalten.Genau das stimmt. Das kann ich teilweise in vielen Re-gionen von Baden-Württemberg bis Schleswig-Holsteinfeststellen. Genau das wird im ländlichen Bereich ge-macht. Ich finde, an dieser Stelle muss man ihn nicht he-runterreden, sondern sagen: Das sind starke Regionen,und das muss auch so bleiben.
2. Ressource Natur als Wirtschaftsmotor:… ländliche Räume … haben einen … Wettbe-werbsvorteil gegenüber Städten und Metropolregio-nen: für eine wirtschaftlich attraktive Energiege-winnung …Darüber werden wir gleich noch im Zusammenhang mitEinzelplan 16 diskutieren; wir haben auch schon häufigdarüber diskutiert. Außerdem nutzen ländliche Regionendie Natur bis hin zum Tourismus und sagen: Hier kannstdu nicht nur gut arbeiten. Wo andere Urlaub machen, daarbeiten wir. – Auch das ist ein positives Merkmal.
3. Regionen werden zur Marke.Ländliche Regionen entwickeln zunehmend ihre ei-genen Gesichter.Man weist ein Stück weit mit Stolz und Zufriedenheitauf die eigene Region hin, wo man lebt, wo man be-stimmte Produkte hat und wo es bestimmte Entwicklun-gen gibt. Außerdem gibt es immer mehr ländliche Re-gionen, die sich gegen gentechnisch veränderteLebensmittel aussprechen und die GVO-frei bleibenwollen. Auch das sollten wir einmal positiv bemerken.
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Willi Brase
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Es gibt wieder regionaltypische Kulturangebote. Werheute durch die Bundesrepublik wandert – auch elektro-nisch – und schaut, welche kommunalen und regionalenKulturangebote in den unterschiedlichen Jahreszeitengemacht werden, der kann nur sagen, dass das eine tolleSache ist. Das geht von der Nordsee bis zu den Alpen,von Aachen bis Cottbus.4. Gemeinsam für die Region.Verantwortungsbewusstsein und Gemeinschaftsge-fühl prägen das Miteinander und sorgen im Bereichgesellschaftlicher und sozialer Innovationen sowieim Kampf gegen den Fachkräftemangel für unge-wöhnliche, aber erfolgreiche Wege …Also, ich erlebe ländliche Regionen nicht weinerlich undjammernd. Ich erlebe sie auch nicht so, dass nur dieLandwirtschaft im Mittelpunkt steht. Vielmehr erlebeich ländliche Regionen so, dass Menschen anpacken,dass sie Visionen entwickeln, dass sie nach vorne gehen,dass sie gut arbeiten und immer wieder bereit sind,Neues aufzunehmen.Ein weiterer Punkt sind vernetzte Dörfer. Das ist al-lerdings ein Problem, das wir im Bereich der ländlichenRegionen noch lösen müssen. Vernetzte Dörfer heißtnichts anderes, als den Breitbandausbau und die Digitali-sierung voranzutreiben.Deshalb sind wir Sozialdemokraten dafür, die GAK,sprich: die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derAgrarstruktur und des Küstenschutzes“, weiterzuent-wickeln. Das haben wir uns vorgenommen, und das wer-den wir auch auf den Weg bringen. Hierfür brauchen wireine Grundgesetzänderung, damit wir nicht nur BULEhaben, was richtig und notwendig ist, wo experimentiertwird und Best Practice auf den Weg gebracht wird. Wirwollen es aber grundsätzlich so verankern, dass es in ei-nem Artikel des Grundgesetzes um die Agrarstrukturund den Küstenschutz sowie um die regionale ländlicheEntwicklung geht.
Im Haushalt haben wir dafür 600 Millionen Euro indie Hand genommen. Das ist gut. Als Fachpolitiker wa-ren wir uns aber einig, dass wir, wenn wir die GAK re-formiert haben, Herr Minister, mehr Geld brauchen. Dasheißt, wir müssen gut und kräftig kämpfen, damit wir beiund mit den Haushältern mehr Geld organisieren, damitim positiven Sinne tatsächlich der richtige Weg für dieländlichen Regionen eingeschlagen wird.Ich fasse zusammen: Ländliche Räume sind Zukunfts-räume. Die Beteiligungsbereitschaft der Menschen dortist hoch. Ländliche Räume sind partizipativ und koope-rieren. Wir müssen etwas für die Daseinsvorsorge dortmachen. Vor diesem Hintergrund wird es Sie nicht er-staunen, wenn wir als Sozialdemokratinnen und Sozial-demokraten sagen: Wir wollen langfristig die erste Säuleder Gemeinsamen Agrarpolitik in die zweite überführen.Vielen Dank für Ihr geduldiges Zuhören.
Danke schön. – Abschließender Redner zu diesem
Einzelplan ist der Kollege Rainer Spiering, SPD.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ichhabe dem Verlauf der Diskussion heute sehr aufmerksamzugehört. Gestatten Sie mir, zu sagen, dass ich bei eini-gen Diskussionsbeiträgen doch irritiert war.Auf meiner Agenda steht: Postleitzahl 49… Das istder Wahlkreis Osnabrück-Land, also rund um Osna-brück. Dort befindet man sich mitten im Zentrum deut-scher Tierproduktion mit den entsprechenden Folgen.Dort zu leben, erzeugt vielleicht eine höhere Sensibilität,als sie der eine oder andere hat. Man erlebt bei uns zuHause eine ausgesprochen effiziente Landwirtschaft, dieso arbeitet, wie der Industriestaat Deutschland arbeitet.Wie sollte sich die Landwirtschaft davon auch abkop-peln? Das hat natürlich Folgen. Wir sind mittlerweile beiProduktionsstandards angelangt, bei denen zumindestich – da gehe ich auf Johann Saathoff ein – ein Unbeha-gen wahrnehme. Ich glaube, wir müssen dieses Unbeha-gen sehr sensibel aufnehmen, und zwar im Sinne unsererproduktiven Landwirtschaft. Es findet in diesem Landmittlerweile eine ausgesprochen intensive Wertediskus-sion statt. Ich glaube, wir sollten diese Wertediskussionbegleiten.Ich sehe auf der Regierungsbank StaatssekretärinFrau Schwarzelühr-Sutter sitzen. Sie hat ein ganz tollesAmt; sie ist nämlich Verwaltungsratsvorsitzende derDBU, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Die Deut-sche Bundesstiftung Umwelt – ich glaube, sie war andiesem Projekt nicht ganz unbeteiligt – macht jetzt eineganz interessante Studie: Man untersucht landwirtschaft-liche Höfe auf ihre ökologische Verträglichkeit beimEinsatz von Energie. Ökobilanzen kennen wir aus indus-trieller Tätigkeit. Im industriellen Bereich sind solcheUntersuchungen seit langem gang und gäbe.Jetzt macht die DBU zusätzlich etwas, was ich ausge-sprochen spannend finde, nämlich eine Ethiküberprü-fung. Das heißt, es werden Produktionsstandards undEnergieeffizienz von 15 oder 20 sehr großen Höfen inten-siv untersucht, und parallel dazu findet eine Ethikdebatteüber die Frage statt, wie sich unser Verbraucherverhal-ten, unsere Produktion auf unsere Wahrnehmung auswir-ken. Ich finde es ganz wichtig, dass wir uns dieser Dis-kussion stellen. Nur wenn wir uns dieser Diskussioninhaltlich gestellt haben und Ergebnisse vorliegen, kön-nen wir auch fortschreiten – oder aber uns zurückneh-men.
Wenn man wie ich aus einer Region mit einem Rie-senstahlwerk kommt, dann fällt einem der Vergleich sehrleicht. Natürlich sind wir in der Effizienz unserer Stahl-herstellung unglaublich gut geworden. Aber ich sage Ih-nen: Es gibt einen Unterschied zwischen der Steigerung
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Rainer Spiering
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der Stahlproduktion und der Tieraufzucht, und dessenmüssen wir uns jederzeit bewusst sein.
Ein weiterer wichtiger Themenkreis für die Landwirt-schaft in der Region Osnabrück ist die mit der Landwirt-schaft einhergehende Landwirtschaftsindustrie. Ich habeheute noch einmal nachgeschaut: Krone, Grimme, Ama-zone, Claas haben ein Umsatzvolumen von 5 MilliardenEuro, ungefähr 13 000 Beschäftigte und einen Exportan-teil von knapp über 70 Prozent. Das ist natürlich auchmeiner Heimatregion geschuldet. Diese Unternehmensind unglaublich intensiv am Markt. Was sie natürlichbrauchen, Herr Minister – jetzt komme ich wieder zumeinem Lieblingsthema –, ist, dass sie von der Bundes-republik Deutschland bei unglaublich intensiven For-schungsvorhaben begleitet werden.Ich bin unlängst bei Claas gewesen. Ich hoffe, dassich das jetzt nicht falsch darstelle; denn es ist ziemlichkompliziert: Es wird ja eine Eiweißstrategie verfolgt.Man beschäftigt sich dabei mit der Umsetzung von Pro-teinen. Man ist bei Claas in der Sensorik mittlerweile soweit, dass man offensichtlich schon bei der Aufnahmedes Grases feststellen kann, wie hoch dessen Proteinge-halt ist. Das finde ich total spektakulär. Toll finde ichauch, dass so etwas bei uns in Deutschland stattfindet.Ich glaube, dass wir da im Rahmen der technologischenFortentwicklung – ich verweise auf Düngerhersteller wieAmazone – insgesamt Unterstützung leisten müssen.Wenn wir den Technologiestandort Deutschland mitseiner Riesenexportrate weiterentwickeln wollen, dannmüssen wir da mehr Forschungsmittel investieren.Eines möchte ich, bevor meine Redezeit vorbei ist,noch loswerden: Ich habe heute beim DIL nachgefragt:Wie sieht es eigentlich mit der Energieintensität der Le-bensmittelproduktion aus? Von den 500 Exajoule, diewir an Energie pro Jahr weltweit verbrauchen, entfälltzurzeit ungefähr ein Drittel auf die Lebensmittelherstel-lung, und zwar deshalb, weil wir da nicht effizient genugsind.Wenn Sie einmal einen konzentrierten Blick auf dieStadt Berlin und ihren Energieverbrauch werfen, dannwerden Sie eine unglaublich hohe Energiedichte beiEdeka, Lidl, Aldi und Rewe finden. Das hängt mit derProduktionstechnik in Deutschland zusammen: Kühlket-ten, Produktionsketten, Logistikketten. All dies kommtdort zusammen. Ich glaube, wir werden intensiv daranarbeiten müssen, die Energieverluste, die wir dort erlei-den, herunterzufahren, um eine wesentlich höhere Ener-gieeffizienz zu bekommen. Dann, Herr Minister, sindwir bei der Bioökonomie, und ich weiß Sie da auf mei-ner Seite.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 10 – Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft – in der Ausschussfassung. Hierzu liegen
zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstim-
men.
Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3303. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dieser Änderungsantrag ist damit
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ab-
gelehnt.
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3304. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt ge-
gen diesen Änderungsantrag? – Dieser Änderungsantrag
ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge-
gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10
in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan
10? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es damit
logischerweise keine. Der Einzelplan 10 ist damit mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit
Drucksachen 18/2815, 18/2823
Die Berichterstattung haben die Kollegen Abgeord-
nete Steffen-Claudio Lemme, Christian Hirte, Dr. André
Berghegger, Roland Claus sowie Sven-Christian
Kindler.
Zu dem Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor. Des Weiteren liegen zwei
Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor, über die wir aber erst morgen nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache, die letzte am heutigen Tag, 96 Minu-
ten vorgesehen. – Dagegen erhebt sich kein Wider-
spruch. Somit ist das beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, sehe, dass mittlerweile
alle hier zuständigen Kolleginnen und Kollegen ihren
Platz eingenommen haben, und erteile als erstem Redner
dem Kollegen Hubertus Zdebel von den Linken das
Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter HerrPräsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks! Sehr
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Hubertus Zdebel
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geehrte Frau Staatssekretärin und – er verschwindet lei-der gerade ins Gespräch – sehr geehrter Herr Staatsse-kretär! Es war keine gute Entscheidung für den Umwelt-schutz, dass die Energiepolitik von der Großen Koalitionaus dem Umweltministerium herausgetrennt und demWirtschaftsministerium zugeschlagen wurde.
Das macht sich jetzt schon sehr deutlich bemerkbar,auch im Umweltausschuss selbst, weil verschiedeneThemen, die früher immer im Umweltausschuss behan-delt wurden – energiepolitische Fragen und sehr vieleandere Fragen des Umweltschutzes –, teilweise nichtmal mehr im Umweltausschuss diskutiert werden, son-dern nur noch im federführenden Ausschuss; das ist imRegelfall der Ausschuss für Wirtschaft und Energie.Auch die Debatte um die Klimaschutzziele macht dassehr deutlich; denn es hängt jetzt vor allem vom Wirt-schaftsminister ab, ob er dem Klimaschutz Vorrang gibtoder den wirtschaftlichen Braunkohleinteressen von Vat-tenfall und RWE. Das Umweltministerium kann nurnoch Vorschläge machen; aber hier hat das Ministeriumkeine echte Handhabe mehr, um wirkungsvolle Klima-schutzmaßnahmen auch umzusetzen. So wird der Um-weltschutz erneut der Wirtschaftspolitik untergeordnet.Das lässt sich an anderen signifikanten Bereichen IhresRessorts, Frau Hendricks, deutlich belegen.Stichwort Atommüll. Der Entwurf des nationalenEntsorgungsprogramms bringt es an den Tag: Wir habenvermutlich doppelt so viel Atommüll, wie die Bundesre-gierung bislang zugegeben hatte. Klar ist damit auch:Die gesamte Atommüllentsorgung wird noch viel teurerwerden als bislang gedacht. Immerhin – das rechne ichIhnen sehr hoch an, Frau Ministerin – hat die Bundesre-gierung jetzt begonnen, sich der strahlenden Realität zustellen. Die Frage ist aber doch letztlich: Wann will dieBundesregierung endlich die entsprechenden Konse-quenzen aus diesen Erkenntnissen ziehen? – Davon istbisher nichts zu sehen.An vielen Standorten entwickelt sich die Atommüllla-gerung zum Desaster. In Brunsbüttel zum Beispiel quilltder Atommüll aus verrosteten Fässern, und bundesweitwurden bislang 2 000 Rostfässer entdeckt. Der Atom-müll in Jülich soll sogar – in meinen Augen rechtswid-rig – in die USA verschoben werden,
weil man die sichere Lagerung bisher nicht in den Griffbekommen hat. Deswegen haben wir heute in der De-batte zum Forschungsetat verlangt, die vorgesehenen Fi-nanzmittel für dieses rechtswidrige Atommüllgescha-chere mit den USA zu streichen.
Der Antrag wurde aber gegen die Stimmen der Linkenund der Grünen von der Großen Koalition abgelehnt.
Das macht deutlich, wohin die Reise gehen soll.Der Schacht Konrad ist als Endlager nicht geeignet;das wissen wir alle. Der Ausbau des Lagers für leicht-und mittelradioaktiven Atommüll verzögert sich wegenimmer neuer Probleme immer weiter. Dadurch steigenauch die Kosten. Und jetzt muss die Regierung zugeben:Er reicht nicht mal aus, um den gesamten Atommüll auf-zunehmen.Der Oberbürgermeister von Salzgitter, die IG MetallSalzgitter-Peine, das Landvolk Braunschweiger Landund die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad haben völ-lig recht, wenn sie die Bundesregierung und die Nieder-sächsische Landesregierung auffordern, bei diesen Fragenendlich zu einem Neustart zu kommen. Meine Fraktionhat daher für die heutige Sitzung beantragt, kein neuesGeld in den ungeeigneten Schacht Konrad zu stecken.
Es macht auch wenig Sinn, weitere Haushaltsmittel inein mangelhaftes Standortauswahlgesetz oder gar in denAufbau eines völlig überflüssigen neuen Bundesamtesfür kerntechnische Entsorgung zu stecken. Die Anhö-rung der Endlager-Kommission vor einigen Wochen,Anfang November, hat diesen Unsinn verdeutlicht: Fastalle Experten meldeten massive Bedenken gegen diesesneue Bundesamt an. Wann wollen Sie, meine Damenund Herren von der Großen Koalition, denn daraus dieKonsequenzen ziehen? – Sie haben gleich die Chance,dem entsprechenden Änderungsantrag von uns zuzu-stimmen.
Jahrzehntelang hatten die Atomkonzerne mit denAKW die Lizenz zum Gelddrucken. Den atomarenDreck und die enormen Kostenrisiken sollen jetzt derStaat und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlerübernehmen. Die größte Unverschämtheit ist, dass sichdie Konzerne nun auch noch aus der Finanzierung derAtommüllentsorgung stehlen wollen. Wir Linke sagen:Es gibt ein Verursacherprinzip, und dieses muss die Re-gierung durchsetzen.
Frau Hendricks, es wäre gut, wenn Sie endlich klar sa-gen würden – da hört man im Moment sehr wenig vonIhnen –, wohin die Reise bei dieser Sache, bei der soge-nannten Bad Bank für Atom, gehen soll.Lassen Sie mich am Schluss noch einiges zumFracking sagen. Für uns Linke ist klar: Fracking mussangesichts der unvorhersehbaren Risiken für Menschund Umwelt ohne jegliche Ausnahmen per Gesetz ver-boten werden.
Sonst stehen uns die nächsten Umweltkatastrophen unddamit die nächste Kostenexplosion ins Haus. Eine BadBank für Fracking – ähnliche Überlegungen gibt es auchfür den Atombereich – wäre vorprogrammiert.Noch im Juli 2014 hatten Sie, Frau Hendricks, ge-meinsam mit Bundeswirtschaftsminister Gabriel diestrengsten Regeln angekündigt. Jetzt haben Sie diese Re-geln weiter aufgeweicht. Bei aller Rhetorik: Die vorge-
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Hubertus Zdebel
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schlagenen gesetzlichen Regelungen laufen in Wirklich-keit auf ein Fracking-Erlaubnis-Gesetz hinaus.
Sie haben einen weiteren Kniefall vor den Konzernengemacht, und Mensch und Umwelt bleiben erneut aufder Strecke, und das alles offensichtlich mit Ihrer Zu-stimmung, Frau Ministerin. So stellen wir uns wirkungs-volle Politik im Umweltbereich zum Schutz von Menschund Natur nicht vor. Wir werden den Einzelplan daherablehnen.
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Steffen-Claudio Lemme.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inden letzten Tagen, in dieser Haushaltsdebatte ist anläss-lich des historischen Ereignisses, einen ausgeglichenenBundeshaushalt ohne neue Schulden aufzustellen, häufigder Begriff „Verantwortung“ gefallen.Ja, es ist richtig: Was wir unseren Kindern und Enkel-kindern hinterlassen, bemisst sich nicht allein am Haus-haltssaldo.
Angesichts zunehmender Naturkatastrophen und desKlimawandels führt uns der Politikbereich des Bundes-umwelt- und -bauministeriums unsere Verantwortung fürdie Zukunftsfähigkeit unseres Landes besonders deutlichvor Augen. Ich möchte daher darlegen, welche Anstren-gungen wir in Zeiten eines ausgeglichenen Haushalts imBereich Umwelt-, Naturschutz-, Klima- und Baupolitikunternehmen.Die Hochwasserereignisse in den Jahren 2002 und2013 haben allein im Gebiet um Donau und Elbe Schä-den in Höhe von rund 18 Milliarden Euro verursacht.Gemeinsam mit den Ländern steht der Bund deshalb inder Verantwortung, dass sich solche Katastrophen nichtwiederholen. Deshalb investieren wir nun in vorbeu-gende Maßnahmen.Ich freue mich, dass wir trotz der Zielsetzung einesausgeglichenen Bundeshaushaltes die Hochwasser-schutzvorsorge entschlossen angehen und bereits im Jahr2015 erste 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
Damit werden besonders schlimm betroffene Gebiete fi-nanzielle Hilfe für präventive Maßnahmen wie Deich-rückverlagerungen oder Flutpolder erhalten.Im Bereich Naturschutz konnten wir 3 MillionenEuro für den Kampf gegen die Wilderei bereitstellen. Imvergangenen Jahr fielen allein in Afrika mehr als20 000 Elefanten Wilderern zum Opfer. Ähnlich drama-tisch sieht die Lage bei Nashörnern aus. Allein in Süd-afrika wurden im letzten Jahr über 1 000 Nashörner ille-gal getötet. Mit den 3 Millionen Euro zur Stärkung derinternationalen Zusammenarbeit im Naturschutz möch-ten wir stärker gegen den illegalen Handel mit Elefan-ten- und Nashornprodukten vorgehen.
Als weiteren Erfolg der parlamentarischen Haushalts-beratungen konnten wir mit 30 Millionen Euro das För-derprogramm zur Nachrüstung von Diesel-Pkw mit Ruß-partikelfiltern wieder auflegen.
Diese erneute Unterstützung bei der Umrüstung ist sehrsinnvoll, da nach Daten des Kraftfahrt-Bundesamteszum Stichtag 1. Januar 2014 noch immer rund 1,5 Mil-lionen Diesel-Pkw und 400 000 leichte Nutzfahrzeugefür eine Umrüstung in Betracht kommen. Auch die gest-rige Rüge der EU-Kommission, dass wir unsere verbind-lichen Grenzwerte für Feinstaub in einigen größerenStädten noch immer überschreiten, bestätigt den Sinndieser Entscheidung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verantwortungsteht gerade auch dann im Mittelpunkt unseres Han-delns, wenn es darum geht, Flüchtlingen, die bei unsHilfe suchen, eine sichere und menschenwürdige Unter-kunft bereitzustellen. Ich bin deshalb erleichtert, dasswir in der Bereinigungssitzung beschlossen haben, dassGrundstücke und leerstehende Gebäude im Besitz desBundes den Ländern und Gemeinden zur Unterbringungvon Asylsuchenden und Flüchtlingen mietfrei überlassenwerden.
Als richtige Entscheidung hat sich auch das von unsmit dem Haushalt 2014 neu aufgelegte Bundespro-gramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ erwiesen.So haben wir nicht nur eine jahrelange sozialdemokrati-sche Forderung umgesetzt, indem wir die Städtebauför-dermittel von 455 auf 700 Millionen Euro aufgestocktund die „Soziale Stadt“ zum Leitprogramm innerhalbder Städtebauförderung gemacht haben. Wir haben mitdem Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“ einProgramm ins Leben gerufen, das eine wichtige Lückein der Städtebauförderung schließt; denn es ermöglichtdie Förderung von Projekten mit besonderer nationalerWahrnehmbarkeit und Qualität.Vor einer Woche wurden 21 Projekte bekannt gege-ben, die im Programmjahr 2014 profitieren werden. Mitder riesigen Resonanz, die dieses Programm erfahrenhat, hatte ich nicht gerechnet; denn bis zum Fristablaufwaren über 270 Projektanträge mit einem beantragtenFördervolumen von mehr als 900 Millionen Euro einge-gangen. Das Programm war damit nur vier Monate nachseinem Entstehen bereits um mehr als das 18-Facheüberzeichnet. Diesen Erfolg werden wir im Haushalt
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6726 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Steffen-Claudio Lemme
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2015 mit einer zweiten Förderperiode in gleicher Höhefortsetzen.
Kurz vor dem Klimagipfel in Lima, der noch in die-sem Jahr den Weg für ein neues internationales Klimaab-kommen bereiten soll, wird viel über das Erreichen un-seres Reduktionsziels diskutiert. Ich meine: zu Recht.Angesichts der großen Relevanz möchte ich den Klima-schutz in meiner heutigen Rede hervorheben. MeinerMeinung nach gibt es keine Alternative dazu, unserselbstgestecktes Ziel, bis 2020 40 Prozent CO2-Emissio-nen gegenüber 1990 einzusparen, zu erreichen.
Deutschland ist der größte TreibhausgasverursacherEuropas und muss zeigen, dass Klimaschutz in einem In-dustrieland nicht nur funktioniert, sondern auch großeWachstumspotenziale beinhaltet.
Wir müssen vor dem Klimagipfel in Lima zu unseremWort stehen, damit ein Abkommen für das internationale2-Grad-Ziel beschlossen werden kann, doch dafür müs-sen wir noch eine Lücke zwischen 5 und 8 Prozentpunk-ten schließen. Es sind deshalb erhebliche zusätzlicheAnstrengungen in allen Sektoren und von allen Akteurenerforderlich.Das Bundesumweltministerium und das Bundeswirt-schaftsministerium gehen mit ihrem AktionsprogrammKlimaschutz 2020 und dem Nationalen AktionsplanEnergieeffizienz, der mit 25 bis 30 Millionen Megaton-nen zusätzlicher Einsparung Bestandteil des Aktionspro-gramms sein wird, den richtigen Weg.
Starke Minderungspotenziale gibt es vor allem auchin der Energiewirtschaft, der Industrie, bei den Haushal-ten und somit insbesondere auch bei Gebäuden, im Ver-kehr und in der Landwirtschaft. Die Verantwortung zurEinhaltung des Ziels liegt somit nicht nur bei den beidenSPD-Ressorts Umwelt und Wirtschaft, sondern sie wirdauch Zugeständnisse in anderen Bereichen erfordern.
Zugegeben: Es ist einfach, unsere Ziele mit Prosa zuumschreiben und Forderungen zu stellen. Angesichts al-ler Interessenlagen, denen Sie gegenüberstehen, ist esein Kraftakt, den Sie da vor sich haben, Frau Ministerin.Aber ich bin mir sicher, dass Sie diesen schaffen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere solide Fi-nanzpolitik mit einem ausgeglichenen Haushalt ermög-licht es uns auch, Mehrausgaben für Investitionen zu tä-tigen. Diese sind dringend notwendig, um nicht aufVerschleiß zu fahren.„Die Investitionsentscheidungen von heute werdendie Zukunft unserer Wirtschaft und unseres Klimas be-stimmen“, möchte ich an dieser Stelle den ehemaligenWeltbank-Chefökonomen und Co-Vorsitzenden der Glo-balen Wirtschafts- und Klimakommission, Lord Nicho-las Stern, zitieren. Bei den zusätzlichen 10 MilliardenEuro für Investitionen sollten die Energieeffizienz imGebäudebereich und die energetische Quartiers- undStadtentwicklung daher eine herausragende Rolle spie-len. Zusätzliche Investitionen ohne neue Schulden: Dassind insbesondere für die nachfolgenden Generationengute Nachrichten – womit wir wieder bei der Verantwor-tung wären.Wir haben in diesem Jahr zwei Bundeshaushalte bera-ten. Ich denke, dass wir im Umwelt- und Baubereicheine gute Arbeit geleistet haben, an die wir nun anknüp-fen können.
Ich möchte mich bei meinen Mitberichterstattern,auch wenn sie hier so reinquaken, für den stets gutenAustausch bedanken. Auch beim Ministerium bedankeich mich recht herzlich für die gute Zusammenarbeit.Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege Lemme. – Nächste Rednerin ist
für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin Hendricks, Haushaltsreden sind in derRegel auch Grundsatzreden. Gerade nach einem JahrBundesregierung bietet es sich an, eine Bilanz zu ziehen.Da will ich etwas machen, was Sie vielleicht ein biss-chen wundert, Frau Ministerin. Zunächst einmal möchteich Sie nämlich in meiner Funktion als Umweltaus-schussvorsitzende loben;
denn Sie informieren uns Abgeordnete, nehmen unsernst und versuchen, uns da, wo Sie können, auch in un-seren Anliegen zu unterstützen. Das ist keine Selbstver-ständlichkeit. Dafür herzlichen Dank!Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Wir ha-ben als gesamter Umweltausschuss gefordert, dass beiunseren Dienstreisen, sowohl den Flugreisen als auchden Autofahrten, der CO2-Ausstoß kompensiert wird.Damit wollen wir ein Zeichen setzen. Mit diesem Sym-bol wollen wir deutlich machen, dass wir Klimaschutzernst nehmen. Der gesamte Umweltausschuss hat diesenBeschluss gefasst. Die Ministerin hat 2 Millionen Euroin ihren Haushalt eingestellt. Wir mussten als Abgeord-nete nur noch den Zusatz vornehmen, dass das nicht nurfür die Bundesregierung gilt, sondern auch für den Bun-
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Bärbel Höhn
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destag – ohne jeden Cent mehr. Es ist am Ende an eini-gen Haushaltskollegen der CDU/CSU gescheitert.
Das finde ich extrem enttäuschend. Was wir da erlebt ha-ben, ist absolut peinlich.
Ich wende mich jetzt der fachlichen Bewertung zu.Dabei will ich meine Funktion als Umweltausschussvor-sitzende beiseitelegen und als grüne Abgeordnete spre-chen. Da muss ich sagen, dass ich Ihre inhaltliche Bilanzschon sehr enttäuschend finde. Das möchte ich nicht nuran den Punkten, bei denen Ihr Ministerium Kompeten-zen verloren hat und Herr Gabriel Ihnen aus meinerSicht viel zu häufig in die Suppe spuckt, sondern auch anureigenen Tätigkeiten und Feldern festmachen.Ich nehme nur einmal die Abfallpolitik. Das DualeSystem steht vor einem Kollaps. Die Müllverbrennungs-anlagen haben in vielen Regionen Überkapazitäten. Siesaugen den Müll zu Billigstpreisen an. Das führt natür-lich in vielen Bereichen dazu, dass die Verwertungsquo-ten in den Keller gehen. Da haben wir ein Riesen-problem. Das müssen Sie endlich anpacken, FrauMinisterin.
Die Menschen wollen recyceln. Sie wollen ihre Alt-geräte eben nicht mehr so entsorgt sehen, wie es jetzt derFall ist, nämlich auf Deponien in Afrika, wo Kinder un-ter schrecklichsten, gesundheitsschädlichen Bedingun-gen diese Geräte auseinandernehmen. Das heißt: SorgenSie dafür, dass wir eine Wertstofftonne bekommen. Sor-gen Sie dafür, dass die Umsetzung der Altgeräte-Richtli-nie endlich vorankommt. Das ist ein wichtiger Schritt.
Eben ist dargestellt worden, dass 3 Millionen Euro fürden Kampf gegen Wilderei bereitgestellt werden. Das isteine gute Sache – für Nashörner und Elefanten. Es giltaber genauso, vor der eigenen Haustür zu kehren. Wirhaben auch einen dramatischen Verlust an Vögeln undReptilien zu verzeichnen. Nun betrifft das nicht alleineIhre Tätigkeit. Das ist nicht alles im letzten Jahr gewe-sen. Im letzten Jahr sind aber wichtige Entscheidungenfür die intensive Landwirtschaft gefallen. Das haben wirgerade eben bei der Debatte zur Landwirtschaft gehört.Sie haben bei diesen Entscheidungen mitgemacht, FrauMinisterin. Das bedeutet einen weiteren Verlust an Vö-geln, an Reptilien, an Arten. Dies fällt in Ihr Ressort.Das dürfen wir nicht durchgehen lassen.
Ein wichtiger Punkt ist auch das Fracking. Was habenSie dazu gesagt? Sie haben gesagt, Sie werden das ver-hindern. Ich habe noch ein Zitat aus dem Deutschlandra-dio. Nach der letzten Einigung, die Sie mit Gabriel er-zielt haben, haben Sie gesagt, dass „keinerlei irgendwiewassergefährdende Stoffe eingesetzt“ werden. Aber Tat-sache ist etwas anderes. Tatsache ist, dass auch schwachwassergefährdende Stoffe eingesetzt werden. Sie ermög-lichen ab 2018 Fracking. Sie machen die Tür auf. Damuss ich sagen: Die Bevölkerung ist dagegen. ZeigenSie Stärke, und stoppen Sie das Fracking. Wir brauchendas hier nicht.
Wir reden viel über internationalen Klimaschutz, überdas Klimaaktionsprogramm und über die 40 Prozent anCO2, die wir hier in Deutschland reduzieren wollen. Sieselbst haben an dem von Ban Ki-moon veranstaltetenGipfel in New York teilgenommen. Sie haben dort selbermitdemonstriert und gesagt, dass Sie die KfW-Förde-rung von Kohlekraftwerken im Ausland stoppen wollen.Das haben Sie am Ende nicht gemacht. Es ist nur dieEntwicklungsbank, die jetzt nicht mehr fördert. Aber dieIPEX-Bank fördert weiter. Mit 2 Milliarden Euro wirddie falsche Förderung von Kohlekraftanlagen fortge-setzt. Das ist kein gutes Zeichen, Frau Ministerin. Auchdas hätten Sie stoppen müssen.
Wir sollten Kohlekraftwerke im Ausland nicht mehr för-dern.Was gilt nun hier in Deutschland? Ich erwarte hier ei-gentlich – wie wurde das eben so schön gesagt? – Klar-heit und Wahrheit. Das, was wir erleben, ist eine Trick-serei mit Zahlen. Sie nützt dem Klima nicht. Was istdenn passiert? Schauen wir uns das einmal an, anstattimmer von einer Lücke von 5 bis 8 Prozent zu reden.Wir wollen den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent re-duzieren. Darin sind wir uns einig. Was haben wir bishergemacht? Wir haben den CO2-Ausstoß in 23 Jahren um24 Prozent reduziert. Die Lücke beträgt also 16 Prozentund nicht 5 oder 8 Prozent. Wir haben also den CO2-Ausstoß in 23 Jahren um 24 Prozent reduziert. Wir müs-sen daher den CO2-Ausstoß in den verbleibenden fünfJahren noch um 16 Prozent reduzieren, um diese Lückezu schließen.Wenn Minister Gabriel jetzt sagt, dass die Kraftwerkeeine Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO2 erbrin-gen sollen, was ist dann eigentlich mit dem, was von deralten Regierung vorgegeben worden ist? Da hieß esdoch: Kraftwerke, die über 45 Jahre am Netz sind, wer-den wohl automatisch abgeschaltet. Das entspräche ei-nem Minus von 40 Millionen Tonnen CO2 in 2020. Giltdas noch? Kommen die 22 Millionen Tonnen CO2 zu derEinsparung durch die Abschaltung dieser alten Kraft-werke hinzu, oder hat der Minister seinen Beitrag, der ei-gentlich geleistet werden soll, gerade mal eben auf dieHälfte reduziert?
Und was ist mit der anderen Lücke, die noch bleibt?
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Bärbel Höhn
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Diese Trickserei, die Sie da veranstalten, nützt kei-nem. Sie nützt noch nicht einmal den Menschen imRuhrgebiet. Es wird ja immer gesagt, dass es da um Ar-beitsplätze geht. Ich kann Ihnen sagen: Ich wohne imRuhrgebiet. Der Steinkohlebergbau ist viel zu lange sub-ventioniert worden. Wir hätten das Geld besser in dieUmstrukturierung und in zukunftsfähige Arbeitsplätzeinvestieren sollen.
Das Geld hätten wir dafür nehmen sollen. Dann hättenwir den Menschen mehr geholfen.Ich komme zum letzten Punkt: Eigentlich bleibt Ihnennoch viel in Ihrem Ministerium. Sie sind für sehr wich-tige Dinge zuständig, nämlich für unseren Schutz: fürden Klimaschutz und den Schutz der Biodiversität. Dassind unsere Lebensgrundlagen. Machen Sie doch endlichetwas daraus. Machen Sie auch etwas aus den sozialenFragen des Ministeriums. Wenn ich jetzt einfach einmaldas Wohngeld als Beispiel nehme – es ist 2013 gekürztworden, dann wieder erhöht; heute, vor dem Winter, ha-ben wir 100 Millionen Euro weniger für die Betroffenenzu Verfügung –, dann muss ich sagen: Das ist keine So-zialpolitik, sondern das ist eine falsche Politik ohneKonzept und ohne Plan, Frau Ministerin.
Von daher: Es wäre auch in diesem verkleinertenMinisterium viel möglich. Trauen Sie sich einfach mehrzu. Machen Sie Umweltschutz wieder zum Thema. Wirwerden Sie bei einer guten Umweltpolitik unterstützen,aber ansonsten werden wir Sie kritisieren.Danke schön.
Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege
Christian Hirte.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Kolleginnen und Kollegen! „Das Budget sollte ausgegli-
chen sein, die öffentlichen Schulden sollten reduziert
werden.“ Das sagte schon Marcus Tullius Cicero vor
2000 Jahren. Relativ lange hat es gedauert, ehe sich
diese Erkenntnis in der praktischen Politik wirklich
durchgesetzt hat. Gut, dass wir heute so weit sind. Gut,
dass wir einen Haushalt haben, den wir in dieser Woche
ohne Neuverschuldung verabschieden werden.
Während viele europäische Staaten mit einer Neuver-
schuldung kämpfen – gewollt oder ungewollt; aber sel-
ten ohne eigenes Zutun –, macht Deutschland in der ge-
samtstaatlichen Betrachtung sogar Überschüsse. Stellt
man Haushalts- und Handelsbilanz nebeneinander,
kommt Deutschland mit einem Plus von fast 6 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts hervorragend davon.
In diese Stärke versuchen nun aber andere Staaten
und auch einige Politiker hierzulande eine besondere
Verantwortung Deutschlands hineinzuinterpretieren.
Wer so viel Geld habe, meinen sie, solle es gefälligst
auch ausgeben. Bei nicht wenigen stößt dies auf offene
Ohren. Zum Beispiel scheint die neue rot-rot-grüne Al-
lianz in Thüringen das Geldausgeben in großem Umfang
zu planen, freilich ohne viele Worte darüber zu verlieren,
wo denn das Geld dafür herkommen soll.
Herr Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lenkert?
Gerne.
Kollege Hirte, die CDU hat in Thüringen 24 Jahre
lang regiert. Im Jahr 1991 lag der Schuldenstand Thürin-
gens bei null, inzwischen liegt er bei fast 17 Milliar-
den Euro. Können Sie mir sagen, wer die ganze Zeit den
Ministerpräsidenten in Thüringen gestellt hat, welche
Partei diese Schulden verursacht hat?
Herr Kollege Lenkert, möglicherweise haben Sie ver-kannt, woraus die hohen Investitionsausgaben und dieSchuldenaufnahme resultierten. Sie resultierten nicht ausder Politik der vergangenen 24, 25 Jahre im neugegrün-deten Freistaat Thüringen, sondern aus der desaströsenWirtschafts- und Sozialpolitik, die die SED in den Jah-ren zuvor zu verantworten hatte.
Wenn Sie hier den Eindruck erwecken wollen, dass dieSchulden in Thüringen daraus resultieren, dass in denletzten Jahren keine verantwortungsvolle Haushaltspoli-tik betrieben wurde, sollten Sie sich daran erinnern, dasswir in Thüringen seit Jahren ausgeglichene Haushaltevorgelegt haben. Schon in den letzten Jahren der Regie-rung Althaus ist es gelungen, ohne neue Schulden auszu-kommen. In der aktuellen Legislaturperiode sind sogarSchulden getilgt worden. Ich würde mir wünschen, dassThüringen diesen Kurs in den nächsten Jahren beibehält.Leider ist das nicht zu erwarten.
– In der Tat, das tut mir weh. Es zeichnet sich ja ab, waswir zu erwarten haben.Die Schuldenkrise hat verdeutlicht, wie anfällig Staa-ten mit einer hohen Schuldenquote sind. Gerade das Bei-
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Christian Hirte
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spiel Griechenland zeigt doch, wie wichtig solides Wirt-schaften ist. Die schwarze Null ist deswegen keinFetisch, keine Monstranz, die der Finanzminister vorsich herträgt, und sie ist auch nicht seiner Eitelkeit ge-schuldet, sondern sie steht für die Glaubwürdigkeit undfür die Stabilität unseres Gemeinwesens. Das sind ganzwichtige Standort- und Investitionsvorteile, die – das istzu befürchten – künftig in Thüringen vielleicht nichtmehr gegeben sind.Dass Sparen und Investieren sich nicht gegenseitigausschließen, haben wir mit dem Haushaltsentwurf 2015bewiesen. Dafür ganz herzlichen Dank an den Finanz-minister. Für den Einzelplan 16 gilt der Dank insbeson-dere Ministerin Hendricks und den Kollegen aus demHaushaltsausschuss, die Kurs gehalten haben und dieseshistorische Ereignis ermöglicht haben. Liebe aktuelleFreunde von der SPD, dieses Ergebnis ist auch Folgedessen, was die letzte Große Koalition mit der Schulden-bremse auf den Weg gebracht hat. Das ist quasi die Kon-sequenz der Schuldenbremse, die vor einigen Jahren ver-einbart wurde und jetzt endlich greift. Auch dafürherzlichen Dank an die Koalitionäre. Mein herzlicherDank gilt im Besonderen meinem FraktionskollegenDr. André Berghegger, der mit mir gemeinsam im Haus-haltsausschuss den Einzelplan 16 verantwortet, heuteaber leider nicht sprechen kann, da sich der Ältestenratauf eine bestimmte Höchstzahl von Rednern verständigthat. Deswegen darf ich heute seine Erfolge hier mit er-läutern.Bundesfinanzminister Schäuble hat angekündigt, inden nächsten Jahren trotz sich eintrübender Konjunktur-aussichten und dem damit in Zusammenhang stehendengeringeren Anstieg der Steuereinnahmen zusätzlich10 Milliarden Euro für investive Maßnahmen auszuge-ben. Aber schon heute wird investiert: Mit dem Koali-tionsvertrag haben wir beschlossen, die Haushaltsmitteldes Bundes für die Städtebauförderung zu erhöhen. Dashaben wir im Haushalt 2014 gemacht. Auf diesem hohenNiveau setzen wir die Förderung im Haushalt 2015 fort.Außerdem haben wir den Maßnahmenkatalog noch ein-mal konkretisiert und deutlich gemacht, dass ab diesemJahr auch Grünflächen förderfähig sind. Ich denke, dasist für die Nachhaltigkeit wichtig und hat auch etwas mitökologischer Verantwortung zu tun, müsste den Grünenalso gefallen.
Ich denke, das ist am Ende ein wichtiges Instrument, umdie Attraktivität von Stadtzentren und die Lebensqualitätzu steigern.Beim Wohngeld gibt es im Vergleich zum Regie-rungsentwurf in der Tat erhebliche Änderungen – das istschon angesprochen worden –, nämlich 100 Millio-nen Euro weniger. Es sieht in der Tat etwas beherzt aus,dass wir so viel weniger ansetzen. Aber die Bundesre-gierung hat eine Reform des Wohngeldgesetzes ange-kündigt. Es besteht auch überhaupt kein Zweifel daran,dass sie im nächsten Jahr umgesetzt wird. Aber wennwir sie im nächsten Jahr umsetzen und berücksichtigen,dass die Kommunen noch ein bisschen Zeit brauchenwerden, um ihre Software umzustellen und alles ver-nünftig umzusetzen, dass also noch eine gewisse Zeitzwischen der Verabschiedung des Gesetzentwurfes unddem Inkrafttreten des Gesetzes benötigt wird, ist klar,dass das neue Gesetz im nächsten Jahr noch nicht kom-plett kassenwirksam werden kann. Wenn wir uns dieZahlen für dieses Jahr ansehen, zum Beispiel Stand Sep-tember 2014, stellen wir fest, dass gerade einmal300 Millionen Euro abgeflossen sind. Das heißt, mitdem um 100 Millionen Euro niedrigeren Ansatz kom-men wir hervorragend zurecht, ohne dabei Aussagen da-rüber zu treffen, wie genau die Reform inhaltlich ausse-hen wird.Auch Bildung und Wissenschaft sind wichtige The-men, die wir uns als Koalition vorgenommen haben. Esist gut, dass wir im Rahmen des Einzelplans 16 mit demLeibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig ein wichti-ges Projekt angehen. Aufgrund der Evaluierung warschon vor Jahren klar, dass es gut wäre, wenn das Institutumzieht, um Synergieeffekte zu schaffen. Es ist schön,dass wir diese Maßnahmen im Rahmen des nächstenHaushalts starten und damit den WissenschaftsstandortDeutschland stärken können.Herr Kollege Kindler, Sie haben in Ihrem Antrag zurenergetischen Gebäudesanierung und Energieeffizienzzu diesem Thema Stellung genommen;
das finde ich gut. Ich hätte es noch besser gefunden,wenn Sie schon in der letzten Legislaturperiode dafürSorge getragen hätten, dass die Länder über den Bundes-rat, in dem auch die Grünen eine gewisse Mitverantwor-tung haben, bei der steuerlichen Förderung der Gebäude-sanierung helfen.
Dann wären wir heute vielleicht ein Stück weiter. Wennwir dieses gemeinsame Ziel haben – in Ihrem Antragschildern Sie ja, wie dramatisch die Konsequenzen desKlimawandels sein könnten –, müsste Ihnen ja daran ge-legen sein, über alle Möglichkeiten zu diskutieren.
Zum Dialog sind Sie herzlich eingeladen.
Zu den Mitteln für den Klimaschutz gehören natürlichauch die Mittel für Maßnahmen beim internationalen
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Christian Hirte
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Klimaschutz. Dazu ist schon einiges gesagt worden. DasBMUB beteiligt sich am neuen Weltbankfonds für Kli-maschutzprojekte in den Entwicklungsländern. Für diePilot Auctioning Facility sollen bis zu 15 Millionen Eurobereitgestellt werden, um Projekte in der Abfallwirt-schaft, vor allem in den Bereichen Deponieentgasung,organische Abfälle und Abwasserentsorgung, zu för-dern. Ich denke, das sind sinnvolle Maßnahmen.Angesprochen wurde auch schon das ehrgeizige Zielim Hinblick auf die Verringerung der Treibhausgasemis-sionen bis 2020. Frau Höhn, ich kann nicht bestreiten,dass wir noch ein gutes Stück des Weges vor uns haben.Gespräche dazu laufen momentan bereits auf Fachebene.Ich denke, nach der Kabinettsentscheidung am 3. De-zember dieses Jahres sind wir alle ein Stück schlauer.Vielleicht sagt nachher ja auch die Ministerin noch etwasdazu.
Ganz besonders freue ich mich, dass wir mit dem För-derprogramm zur Nachrüstung von Dieselfahrzeugenmit Rußpartikelfiltern vorangekommen sind.
– Ich freue mich auch über die Freude bei den SPD-Kol-legen. – Auch manch einen in Stuttgart wird das viel-leicht freuen.
Der Kollege Lemme hat es gerade schon angesprochen:Da haben sicherlich schon einige von den ungefiltertenAbgasen die Nase voll. Erst gestern hat uns die Europäi-sche Kommission deutlich mitgeteilt, dass wir in einigengroßen Städten Probleme haben. Stuttgart war explizitgenannt. Deswegen denke ich, dass das eine sinnvolleMaßnahme ist, um in diesem Bereich vielleicht leichteVerbesserungen zu erzielen.Ich freue mich natürlich auch, dass wir jetzt – nachunserem intensiven Werben schon im letzten Jahr und imRahmen der Anberatung des Haushalts für 2015 – mitder SPD einen gemeinsamen, guten Standpunkt gefun-den haben und die Förderung wieder aufnehmen. Ichkann mich noch gut daran erinnern, dass wir unmittelbarnach der Haushaltsdebatte zur Anberatung des Haushaltsfür 2015 quasi im Hinausgehen ein kurzes Gespräch mitder Ministerin Hendricks geführt haben, die deutlichmachte, dass sie gesprächsbereit ist. Also: HerzlichenDank an die Koalitionäre, dass wir hier vorangekommensind!Ein weiterer positiv herauszuhebender Aspekt der Be-ratungen zum Einzelplan 16 – jetzt wird es ein bisschentechnisch – ist der Personalbereich. Hier haben wir – da-für auch noch einmal ganz herzlichen Dank an meineKollegen Lemme und Dr. Berghegger – nach intensivenVerhandlungen schon für den diesjährigen Haushalt eineVereinbarung mit dem BMUB erreicht, wonach über200 sachgrundlos befristete Stellen innerhalb der nächs-ten drei Jahre peu à peu abgebaut und in reguläre Anstel-lungsverhältnisse umgewandelt werden. Ich denke, dasist zum einen für die Qualität der Arbeit im Haus, zumanderen aber auch für die betroffenen Mitarbeiter eineganz wichtige Entscheidung.
Ich habe mich ein bisschen über das gewundert, waswir vom ersten Redner der Linken zum Thema Endlage-rung gehört haben. Nach einem Antrag der Linken sollendie Mittel für Schacht Konrad und Gorleben abgesenktwerden. Das widerspricht ein bisschen dem, was wirvorhin von Ihnen gehört haben.
Sie haben dargestellt, wie dramatisch alles wäre, kom-men aber trotzdem zu erheblichen Einsparpotenzialen.Richtig ist zwar, dass es mit dem Standortauswahlgesetzund natürlich auch durch die Arbeit der Endlagersuch-kommission keine Vorfestlegung gibt. Aber das heißtnicht, dass wir in den nächsten 20 Jahren die Hände inden Schoß legen könnten und nichts mehr tun müssten.Wir haben schon erhebliche radioaktive Abfälle, mit de-nen wir weiter umgehen müssen, und Sie selber habenden Zustand von einigen Behältnissen angesprochen.Das heißt, das Thema bleibt uns unabhängig von derEntscheidung zum Endlager vor Augen, und wir müssenuns als Haushälter darum kümmern.
Wirklich witzig finde ich den Umstand, dass Sie dieKosten für die Infostellen für zu hoch halten. Sie betragen100 000 Euro bei Gorleben und 200 000 Euro beim SchachtKonrad. Bei einem Gesamthaushalt von 300 MilliardenEuro haben Sie über den gesamten Haushalt verteiltAusgabenmehrbelastungen von über 50 Milliarden Eurovorgeschlagen, und jetzt kommen Sie mit solchen Kle-ckerbeträgen. Ich frage mich wirklich, wie Sie die Finan-zierung der 50 Milliarden Euro sichern wollen, ohne ver-nünftige Prioritäten zu setzen. Wenn Sie auf diesemNiveau haushalterische Politik gestalten wollen, dann istmir bange um meinen Freistaat Thüringen, wenn es dortgenauso geht.
Vielen Dank.
Für die Bundesregierung hat jetzt BundesministerinDr. Barbara Hendricks das Wort.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerBundeshaushalt 2015 sendet viele richtige und wichtigeSignale vor allem an die Menschen, deren Geld wir ver-walten und mit denen wir die Zukunft Deutschlands ge-stalten wollen.Nachhaltigkeit ist ein zentrales Leitprinzip dieserBundesregierung nicht nur in der Haushaltspolitik. Im
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Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Haushalt 2015 sparen wir deshalb auch nicht bei den In-vestitionen in die Zukunftsthemen Umweltschutz, Kli-maschutz und Naturschutz. Im Gegenteil!
Mit knapp 3,9 Milliarden Euro ist der Gesamtetat desBMUB gegenüber 2014 um rund 200 Millionen Eurogestiegen. Ein großer Teil davon, über die Hälfte, fließtin Investitionen, sodass man beim Einzelplan 16 mit gu-tem Grund von einem Investitionshaushalt sprechenkann.
Wir investieren in die Vorsorge. Wie angekündigt, be-ginnen wir mit dem Sonderrahmenplan einen vorbeu-genden Hochwasserschutz. Dafür haben wir im Einzel-plan 10 einen neuen Haushaltstitel geschaffen; KollegeSchmidt hat eben darauf hingewiesen. Die Zunahme vonExtremwetterereignissen und die Erfahrung mit den gro-ßen Hochwasserkatastrophen in den letzten 15 Jahrenfordern uns heraus. Mit dem Sonderrahmenplan stellenwir uns dieser Herausforderung.Uns beschäftigt allerdings nicht nur die Zukunft; unsbeschäftigen auch die Versäumnisse der Vergangenheit.Das gilt vor allem für die Kosten im Bereich Endlage-rung. Die Überlegungen dazu hätten selbstverständlich– genauso wie die Suche nach dem Endlager – an denAnfang und nicht an das Ende der Kernenergienutzunggestellt werden müssen. Die jetzige Bundesregierungstellt sich dieser Aufgabe. Wir nehmen die Sorgen derMenschen ernst, weil sie berechtigt sind, da es um denEinsatz von Risikotechnologie geht. Herr KollegeZdebel, natürlich kann man leichthin sagen: SchachtKonrad ist ungeeignet. – Schacht Konrad wird auf Grund-lage eines gültigen Planfeststellungsverfahrens ausge-baut und ist zugegebenermaßen für 300 000 Kubikmeterradioaktiven Abfall genehmigt. Mehr darf da auch nichtuntergebracht werden. Wenn es zu einer Erweiterungkäme – sehr konjunktivisch –, müsste man selbstver-ständlich ein neues Planfeststellungsverfahren machenmit allen planerischen Voraussetzungen, die dafür not-wendig wären.Wenn wir bei dem Entsorgungsplan, den wir der EU-Kommission pflichtgemäß, aber auch gerne vorlegenwerden, jetzt weitere 300 000 Kubikmeter schwach- undmittelradioaktiven Mülls benennen – anders als das frü-here Bundesregierungen gemacht haben –, so ist dieserMüll natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern warschon da.Rund 200 000 Tonnen werden wir haben, wenn wirdiesen strahlenden Müll aus der Asse geborgen haben,womit aber frühestens im Jahr 2033 begonnen werdenwird. Das Bergen wird dann noch Jahrzehnte in An-spruch nehmen. Natürlich müssen wir dafür irgendwannein Endlager haben. Diese Frage müssen wir aber nichtzwingend heute beantworten,
sondern dann, wenn mit dem Bergen des Asse-Mülls be-gonnen wird. Wir sind nicht sicher, was bis dahin pas-siert. Aber solange wir mit dem Bergen noch nicht be-gonnen haben, brauchen wir für den Müll kein Endlager.Der Müll ist noch nicht oben, also muss er auch nichteingelagert werden.Weitere 100 000 von den insgesamt zusätzlich gemel-deten 300 000 Kubikmetern schwach- und mittelradioak-tiven Mülls können aus der Urananreicherung kommen.Dies ist von früheren Bundesregierungen als Wirt-schaftsgut bezeichnet worden. Man kann sich dieserAuffassung anschließen. Wenn man das aber nicht fürabsolut sicher hält, muss man zumindest Vorsorge tref-fen, und dann zählt auch dies zum schwach- und mittel-radioaktiven Müll, obwohl es bislang nicht als solcherbezeichnet und eingerechnet wurde.Das heißt: Wir stellen uns der Verantwortung. Wirschaffen Transparenz und werden rechtzeitig mit denentsprechenden Schritten Vorsorge dafür treffen, dassauch für diese zusätzlichen 300 000 Kubikmeter Müll,die, wie gesagt, schon da waren, nur anders bezeichnetwurden, ein vernünftiges Endlager gefunden wird. Obdas ein erweiterter Schacht Konrad oder ein anderesEndlager wird, weiß ich noch nicht. Diese Frage istheute auch nicht zwingend zu beantworten, obwohl wiruns natürlich daranmachen, eine Antwort zu finden;denn die Planungsvorhaben sind, wie wir wissen, relativlangwierig.Ihnen ist bekannt, auf welchem Stand wir bei der Su-che nach einem Endlager für den hochradioaktiven Müllsind. In der Zwischenzeit werden noch viele Zwischen-lager jahrzehntelang betrieben werden müssen; auch dasist richtig. Da müssen wir mit den Bürgerinnen und Bür-gern voraussichtlich offen umgehen. Es wird voraus-sichtlich frühestens zwischen 2050 und 2060 mit derEinlagerung in ein dann aufnahmebereites Endlagerbegonnen werden können. Bevor man nicht mit der Ein-lagerung des hochradioaktiven Mülls beginnen kann,müssen die Zwischenlager selbstverständlich aufrecht-erhalten werden. Ich weiß, dass das viele Menschennicht beruhigt, weil sie sich ausrechnen können, dass sieihr ganzes Leben lang in der Nähe eines Zwischenlagerswohnen werden; aber das ist nun einmal nicht zu ändern.Wir können schließlich kein Endlager herbeizaubern. Ichhabe in diesem Zusammenhang immer wieder gesagt:Wir haben in unserer jeweiligen Regierungszeit die Ver-antwortung dafür, dass wir alle möglichen und notwen-digen Schritte gehen, damit alle nach uns kommendenGenerationen überhaupt die Chance haben, Schritte zugehen, die möglich und notwendig sind.
Es geht uns darum, die Sorgen der Menschen ernst zunehmen. Aus dem gleichen Grund haben wir ein Gesetzzum Fracking auf den Weg gebracht, bei dem der Schutzdes Grundwassers über alle anderen Interessen gestelltwird.
Der Schutz der Umwelt steht für uns alle in Deutschlandüber wirtschaftlichen Interessen. Nur dort, wo es nach
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6732 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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vielfacher Prüfung keine Bedenken gibt, kann es verein-zelt zu unkonventionellem Fracking kommen. Das wirdnach dem Stand der Dinge aber nach meiner Einschät-zung nur in sehr wenigen Ausnahmefällen geschehen.Übrigens, Frau Kollegin Höhn – ich gehe davon aus,das war keine Absicht –, was das unkonventionelleFracking anbelangt, ist in dem Gesetzentwurf ausdrück-lich davon die Rede, dass auch bei Probebohrungen nurStoffe der Wassergefährdungsklasse 0 eingesetzt werdendürfen
– nein, was das unkonventionelle Fracking anbelangt,sind es nur Stoffe der Wassergefährdungsklasse 0 –, dassallerdings beim konventionellen Fracking die Frackflüs-sigkeit die Wassergefährdungsklasse 1 haben darf. Übri-gens – dieses Fracking findet in Niedersachsen schonseit Jahrzehnten statt – sind die Anforderungen der Was-sergefährdungsklasse 1 höher als das, was bisher dortpraktiziert wird, um auch das einmal deutlich zu ma-chen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dassder Klimaschutz eine der größten globalen Herausforde-rungen unserer Zeit ist. Wir müssen den Klimawandelstoppen und seine Folgen so weit wie möglich begren-zen. Ich habe schon häufiger darauf hingewiesen, dass esgerade bei diesem Thema einen Zusammenhang vonökologischen und sozialen Problemen gibt. Die Folgendes Klimawandels sind schon jetzt sozial ungerecht ver-teilt. Das gilt nicht nur für die ärmsten Regionen derWelt und die Gruppe der kleinen Inselstaaten. Die Bun-desregierung stellt sich dieser Verantwortung zum Bei-spiel mit dem Klima-Aktionsprogramm, das wir nächsteWoche im Kabinett verabschieden werden. Sie werdensehen: Es werden keine Zahlentricksereien sein. Wirwerden das alles sauber nachweisen können. Wir werdendas 40-Prozent-Ziel tatsächlich einhalten können.Es gibt im Übrigen keine Lücke, was die fehlenden7 Prozentpunkte angeht. Ich habe immer gesagt: Ohneweitere Verhaltensänderungen werden uns im Jahr 2020zwischen 5 und 8 Prozentpunkte fehlen. Das könnenauch 7 Prozentpunkte sein. Diese Lücke kommt nichtheute zustande, sondern dann, wenn man die voraus-sichtliche Entwicklung von 2014 bis 2020 ohne Verhal-tensänderungen mit einrechnet. Heute ist die Lücke inder Tat noch größer.Weil das nicht ausreicht, führen wir zusätzliche Maß-nahmen durch. Sonst kämen wir bis 2020 auf etwa 32 bis35 Prozent, und das reicht uns nicht aus. Der Ausstoßdes Kraftwerksparks, der sich, untechnisch ausgedrückt,auch bis 2020 weiterentwickelt, ist schon eingerechnet.Die 22 Millionen Tonnen, die vom Wirtschaftsministergenannt worden sind, kommen bei der CO2-Einsparungon top. Das ist in der Tat Sache des Bundes.
Wir sind nicht nur in diesem Zusammenhang verant-wortlich. Auch die Erstauffüllung des Grünen Klimafondshaben wir als einer der ersten auf den Weg gebracht. Wirsind damit beispielhaft gewesen und geblieben. Das wardas richtige Signal an die Geberkonferenz in der vergan-genen Woche.Ich kann deshalb heute mit Stolz sagen: Dieser Haus-halt ist ein Klimaschutzermöglichungshaushalt. Daraufbin ich wirklich stolz.Als Bundesbauministerin freue ich mich, dass wir dieProgramme auf dem hohen Niveau, das wir 2014 er-reicht haben, fortsetzen können. Aufgaben gibt es selbst-verständlich genug. Die Wohnungsmärkte sind in Bewe-gung. Die Nachfrage steigt; die Leerstände gehenzurück. Viele Menschen insbesondere in den Ballungs-räumen suchen bezahlbaren Wohnraum. Unser Bündnisfür bezahlbares Wohnen und Bauen ist auf dem Weg. Esgibt noch keine Ergebnisse; das ist klar. Es ist ein Zu-sammenspinnen verschiedenster Interessen. Aber wirsind auf einem guten Weg, und wir werden selbstver-ständlich Ergebnisse vorlegen.Die Bautätigkeit in Deutschland nimmt zu. Erstmalsseit vielen Jahren werden wir in diesem Jahr erreichen,dass Wohnungsneubau im erforderlichen Umfang statt-findet. Das bedeutet rund 250 000 neue Wohnungsein-heiten in diesem Jahr. Das werden wir in diesem Jahrerstmals seit vielen Jahren wieder erleben. Das ist eingutes Zeichen, und diesen Trend wollen wir fortsetzen.
Ich will noch kurz einige Stichpunkte nennen – meineRedezeit wird knapp –, die uns wichtig sind, zum Bei-spiel das Programm „Soziale Stadt“. Auch in der Flücht-lingshilfe werden wir weiter aktiv sein und den Kommu-nen hilfreich zur Seite stehen, wo es notwendig ist. Ichbedanke mich für das Engagement der Kommunen vorOrt.Ich bedanke mich auch sehr herzlich bei denjenigen,die bei der Erstellung des Haushalts mit uns zusammen-gearbeitet haben. An dieser Stelle finde ich es wichtig,auf eines hinzuweisen: Es hat in den vergangenen Jahrenlineare Stellenstreichungen gegeben – es ist nicht zu be-streiten, dass das richtig war –, die aber für das Jahr2015 nicht vorgesehen sind. Ich glaube, wir alle sinddankbar dafür, dass wir in den Ministerien unsere quali-fizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten kön-nen. Auch Sie als Abgeordnete profitieren selbstver-ständlich davon. Ein Punkt ist mir noch ganz wichtig:Die sogenannten sachgrundlosen Befristungen kann ichmit Unterstützung des Haushaltsausschusses – „sach-grundlose Befristungen“ ist schon ein Wortungetüm – inmehreren Jahrestranchen zurückführen, in zweiterTranche im Jahr 2015.
Insgesamt ist dies ein zukunftsweisender Haushalt,auf den wir alle stolz sein können. Und, Frau Höhn, ma-chen Sie sich keine Sorgen: Das Wertstoffgesetz ist aufdem Weg.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6733
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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– Ja, wie lange schon? Es ist in der letzten Legislaturpe-riode gescheitert. – Die Elektronikschrottverordnung istauf dem Weg. Die Düngemittelverordnung ist auf demWeg. Die Verordnung über Anlagen zum Umgang mitwassergefährdenden Stoffen ist auf dem Weg. Leider istKollege Schmidt nicht mehr da; wir streiten da munterund kräftig, aber wir kommen zum Ziel.Herzlichen Dank.
Für die Linke spricht jetzt der Kollege Ralph Lenkert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Damen undHerren! Kollege Hirte, Lesen bildet. Hätten Sie unserenAntrag zum Haushalt komplett gelesen,
dann hätten Sie gewusst, dass wir weit über 50 Milliar-den Mehreinnahmen über eine Millionärsteuer, über eineVermögensteuer erzielen wollen. Das zu sagen, wäreehrlich gewesen.Ein weiterer Punkt:
Die Linke betrachtet die Atommüllendlager SchachtKonrad und Gorleben als komplett überflüssig undfalsch.
Wir wollen kein Geld in tote Pferde, in falsche Entschei-dungen investieren. Das ist das, was die CDU in Thürin-gen regelmäßig getan hat.
Ich erinnere an die hoffnungslos überdimensioniertenAbwasseranlagen, in die Ihre Partei investiert hat unddie heute für allein 1,5 Milliarden Euro Schulden desFreistaates verantwortlich sind.
Aber jetzt zum Umweltbereich. Ich möchte den Ab-geordneten der Koalition danken. Bei zwei Punkten sindSie unseren Vorschlägen gefolgt. Beim Hochwasser-schutz haben Sie unsere Forderungen sogar verdoppelt.
Danke, dass Sie unseren Argumenten gefolgt sind. Vie-len Dank auch, Frau Dött, für Ihren Einsatz für die Wie-dereinführung der Förderung der Filternachrüstung beiDieselfahrzeugen. Das ist ein wichtiger kleiner Schritt.Schade, dass Sie andere Vorschläge ignoriert haben.Die Mieten steigen in Ballungszentren, die Betriebs-kosten explodieren bundesweit. Allein für Warmwasserund Heizung muss ein durchschnittlicher Haushalt heutejährlich 3 100 Euro ausgeben. Im Jahr 2000 waren esnoch 1 500 Euro. Und was machen Sie, Frau Umweltmi-nisterin Hendricks? In Interviews thematisieren Sie die-ses Problem, und das Wohngeld wird um 100 MillionenEuro gekürzt.Wir beantragen 460 Millionen Euro mehr für die Wie-dereinführung des Zuschlags für Heiz- und Energiekostenfür Wohngeldempfänger.
Das wären durchschnittlich 40 Euro je Monat, 15 Pro-zent der Energiekosten. Damit würden Sie fast 1 MillionMenschen helfen. Sie würden über 100 000 Rentnerin-nen und Rentner sowie Aufstockerinnen und Aufstockeraus Mindestsicherung und Hartz IV herausholen. DieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Argen könnten sichdann statt mit Kosten der Unterkunft mit der Weiterbil-dung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen befas-sen. Ganz nebenbei würden Kommunen in struktur-schwachen Regionen entlastet. Frau Ministerin,Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie diesem Vor-schlag einfach zu!
Zwei Beispiele, wie es Hunderte in Deutschland gibt:In Gera in Thüringen stehen 11 Prozent der Wohnungenleer. Die Mittel für den Stadtumbau würden für Gera ent-sprechend der Einwohnerzahl 700 000 Euro betragen.Wie soll damit die Strukturanpassung gelingen?
In Jena in Thüringen herrscht Wohnungsmangel.800 000 Euro stellt der Bundeshaushalt für sozialenWohnungsbau bereit. Wie soll damit ein Wohnungspro-blem gelöst werden? Sie kleckern, statt zu klotzen. Stim-men Sie unseren Investitionsprogrammen zu, oder legenSie eigene auf! Dann könnten die Mieten in Ballungs-zentren sowie die Betriebskosten in strukturschwachenRegionen sinken. Ganz nebenbei wäre dies ein Konjunk-turprogramm für die Wirtschaft und gelebter Klima-schutz.
Frau Hendricks, ich war überrascht, dass Sie sogarGelder in die Forschung zur Altlastensanierung zur Be-seitigung von Umweltschäden investieren. 314 000 alt-lastenverdächtige Flächen gibt es bundesweit. Bei90 000 wurden die Gefahren inzwischen bewertet. Da-von wurden 28 000 saniert. 4 800 werden saniert, 3 700Altlasten müssen dauerhaft überwacht werden, und min-destens 14 000 warten noch auf ihre Sanierung, so wiedie Deponien mit belasteten Erdölbohrschlämmen beiMeppen und der Teersee in Rositz, der eigentlich saniertsein sollte. 80 Millionen zahlte Thüringen. Das Ergebnisist – freundlich gesagt – unzureichend. Da wurde vorhernicht genug geforscht.
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6734 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Ralph Lenkert
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Für viele Altlastenprobleme – seien es Schwermetalleoder Phenole, Dioxine oder Polychlorierte Biphenyle,auch PCB genannt, gibt es keine oder nur extrem teureSanierungsstrategien.
Oft werden belastete Böden, belastetes Material einfachin Sondermülldeponien weggeschlossen und bleiben ge-fährlich. Da muss man forschen, neue Verfahren zur Sa-nierung und Überwachung entwickeln. Das haben Sie,Frau Hendricks, und Sie, meine Damen und Herren vonder Koalition, wohl erkannt und sagenhafte fette 2 Mil-lionen Euro im Haushalt eingestellt. Ich sage: Sie habennichts begriffen. Das sind 6 Euro je Verdachtsfläche oder150 Euro je Altlast. Damit werden Sie keine Lösung fürdie Altlastenprobleme finden, weder für Rositz noch fürMeppen noch für die Sondermülldeponie Herfa-Neu-rode.Forschung wäre auch wichtig bei Wirkungen vonneuartigen Chemikalien. Da zwingt die EU die Pkw-Hersteller zur Umrüstung der Kältemittel in Klimaanla-gen. 1234yf heißt das neue Wundermittel. Verbrennt die-ses Kältemittel, was bei über 20 000 Pkw-Bränden inDeutschland pro Jahr sicher passieren wird, dann ent-steht nicht nur hochgiftige Flusssäure. Es entsteht mit20 Prozent Volumenanteil auch Dicarbonylfluorid. Dassagt Ihnen vielleicht nichts. Dicarbonylfluorid ist che-misch verwandt mit Phosgen, einem Kampfgas aus demErsten Weltkrieg, und ist um ein Vielfaches gefährlicherals Flusssäure. 1 ppm, also ein Teil, Dicarbonylfluoridauf 1 Million Teile zehn Minuten eingeatmet, ist lebens-bedrohlich. Folgt man den Angaben der Hersteller Du-pont und Honeywell von 1234yf zur Verdünnung der beieinem Brand entstehenden Flusssäure in den Abgasen,dann wird bei Pkw-Bränden eine Konzentration von13 ppm Dicarbonylfluorid auftreten. Für mich als Ma-schinenbauer sind diese von Professor Kornath, Expertefür anorganische Fluorchemie der TU München, ermit-telten Werte nachvollziehbar. Aber was antwortet dieBundesregierung auf meine Frage zur Gefährlichkeitvon Dicarbonylfluorid? Ich zitiere:Eine abschließende Bewertung kann aufgrund desnicht abgeschlossenen Bewertungsverfahrens nochnicht vorgenommen werden.Die Bewertung läuft seit 2010. Wollen oder können Siediese nicht abschließen, oder fehlt einfach wieder einmaldas Geld für Testversuche? Falls Geld fehlt, gefährdetIhre schwarze Null Menschenleben.
Die meisten Menschen wissen inzwischen, wie wich-tig Umweltschutz ist. Dieser Haushalt zeigt: Sie habennichts begriffen. Die Qualität dieses Haushalts istschlechter als meine Stimme am heutigen Abend.
Lieber Kollege Lenkert, wir wünschen Ihnen, dass
sich Ihre Stimme bis morgen erholt.
Ich gebe nun dem Kollegen Dr. Georg Nüßlein für die
CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! DerKollege Lenkert hat hier passagenweise zu Altlasten imOsten ausgeführt, es aber peinlich vermieden, zu sagen,woher diese kommen, nämlich aus der ehemaligen DDR.
Sie hätten „nostra culpa, nostra culpa“ sagen müssen. Ichmöchte mit Bezug auf die Zwischenfrage, die der Kol-lege Lenkert vorhin gestellt hat und die der KollegeHirte hervorragend pariert hat, festhalten: 25 Jahre nachdem Mauerfall können wir, die Menschen der Bundesre-publik Deutschland, stolz darauf sein, was wir gemein-sam bei der deutschen Einheit geleistet haben. Nichtstolz sein kann man auf die Umweltlasten, die die DDRhinterlassen hat.
Die Bundesrepublik Deutschland hat durch einen klarenRahmen sowie durch Innovation und Technologie dafürgesorgt, dass das der Vergangenheit angehört, im Übri-gen – das kannten die Bürger der DDR genug – nichtdurch Verzicht und – das kannten die Bürger der DDRebenfalls genug – nicht durch Zwang. Freiwilligkeit undWirtschaftlichkeit, das sind aus meiner Sicht die Krite-rien für eine kluge und zukunftsgerichtete Umweltpoli-tik. Sie sind auch entscheidend für den Klimaschutz.Der deutsche Beitrag zum weltweiten Klimaschutz istnull und nichtig, wenn wir nicht vorleben können, dassWirtschaftswachstum und Klimaschutz Hand in Handgehen. Vorbild ist nur, wer Wohlstand steigert und CO2reduziert.
Vorbild ist nicht, wer immer höhere Ziele ausgibt, sie amEnde nicht erreicht oder sie nur durch Deindustriealisie-rung erreicht. Deshalb formulieren wir ganz klare Anfor-derungen an das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020,das wir sehr begrüßen. Diese Anforderungen heißen:Erstens. Eingriffe, die der deutschen Wirtschaft schaden,sind unnötig und zu unterlassen. Zweitens. Markt, Wett-bewerb und Anreiz gehen vor Regulierung und Zwang. –Ich habe eigentlich erwartet, dass auch die Grünen dasjetzt so formulieren, nachdem sie auf dem Parteitag be-schlossen haben, dass sie jetzt die Partei der Freiheitwerden.
Ich würde mir wünschen, dass das auch so kommt. –Drittens. Bei all dem, was wir in den nächsten Wochenund Monaten zum Klimaschutz beraten werden, müssenwir klare Preisschilder entwerfen, eine Reihenfolge
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6735
Dr. Georg Nüßlein
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aufstellen und uns Gedanken machen, wie man mitmöglichst niedrigen volkswirtschaftlichen Kosten das40-Prozent-Ziel erreichen kann, das wir erreichen wol-len.
Der Ausstieg aus der Kernenergie macht die Zielerrei-chung hinsichtlich des CO2-Ausstoßes natürlich nochschwieriger. Gleichzeitig aus der Kohle auszusteigen,halte ich persönlich für kaum darstellbar.
Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-nen, gerade das Thema Versorgungssicherheit ernst zunehmen. Ich will noch einmal deutlich machen: Ein na-tionaler Alleingang beim Ausstieg aus der Kohle machtmittelfristig keinen Sinn, weil das ETS-Zertifikate frei-setzt, die im Ausland wieder eingesetzt werden können.
Jetzt gibt es ein paar ganz Schlaue, die sagen: Aber derETS-Handel liegt doch am Boden, und die Zertifikatewerden ohnehin nicht genutzt. – Nur, wenn man gleich-zeitig sagt, man wolle den CO2-Handel europaweit stär-ken, was wir tun wollen, dann darf man solche Effektenicht vernachlässigen. Deshalb macht ein nationalerAusstieg aus der Kohleverstromung keinen Sinn.
Das würde an das Motto erinnern: Hauptsache, die Sta-tistik stimmt. Wie dann der Importstrom produziert wird,steht auf einem anderen Blatt. – Das ist aus meiner Sichtder falsche Weg.Ich glaube, ein guter Ansatz, ein Ansatz, der uns auchwirtschaftlich voranbringen kann, ist die Energieeffi-zienz. Es macht Sinn, Rohstoffe zu sparen, die Technikauf Sparen auszurichten, Weltmarktführer bei solchenTechnologien zu werden, knappe Güter sorgsam einzu-setzen und zu berücksichtigen, dass auch deren Explora-tion massive Umweltprobleme verursacht, die man be-trachten muss.Bei der Energieeffizienz steht der Wärmebereich Gottsei Dank ganz oben auf der Agenda dieser Bundesregie-rung. Ich verstehe, dass den Grünen alles nicht schnellgenug gehen kann. Aber man hätte – das hat auch derKollege Hirte vorhin angedeutet – durchaus schon frühereinen Beitrag dazu leisten können, die CO2-Gebäudesa-nierung, die wir hier seit Jahren einfordern, auch tatsäch-lich umzusetzen.
Ich will gar nicht auf die Vergangenheit eingehen. Ichwürde mir nur wünschen, dass in der Zukunft nicht das-selbe Spiel gemacht wird, das da heißt: Der Bund mussdie Zeche zahlen, und die Länder lehnen sich zurück undschauen sich an, was passiert.
Energieeffizienz im gewerblichen Bereich spielt na-türlich auch eine wichtige Rolle. Da gibt es eine Mengezu tun. Ich glaube nicht, dass man dafür immer ein Auditbraucht. Ich glaube, dass unsere Unternehmen mittler-weile sehr genau wissen, wo sie Geld sparen können.Wir sollten uns vielmehr miteinander Gedanken machen,womit wir die Entwicklung von Energieeffizienz mögli-cherweise verhindern. Ein Beispiel ist für mich die Fall-beillösung, die im EEG steht. Da ist klar, dass derjenige,der Energie einspart, sich einen Bärendienst erwiesenhat, wenn er unter die 16-Prozent-Hürde fällt. Es gibtnoch eine ganze Menge ähnlicher Schwellen. Man musssich noch einmal im Rahmen der Effizienzoffensive Ge-danken machen, wie man das Ganze etwas besser aufei-nander abstimmt.Ich habe vorhin gesagt, dass wir beim Thema ETSOptimierungen vornehmen wollen. Das ist ein markt-wirtschaftliches Instrument, auf das wir viel setzen soll-ten und bei dem wir auch berücksichtigen müssen, dasssich konjunkturelle Einflüsse auf die Preise der CO2-Zertifikate auswirken. Das ist auch gut so; denn letztend-lich geht es darum, wie man die Konjunktur stützt, wenndie Nachfrage sinkt und damit dann natürlich auch dieCO2-Produktion. Es ist klar, dass der Markt darauf re-agieren muss.Momentan wird in der Automobilindustrie über dieFrage nachgedacht, ob es sinnvoll ist, den Verkehr zu in-tegrieren. Mein Damen und Herren, das sollte mandurchaus diskutieren.
– Nein. Nicht, damit sie nichts machen müssen. Sie er-kennen nämlich, dass einige in Brüssel imstande sind,mit dem 95-Gramm-Ziel Industriepolitik gegen die deut-schen Flotten zu betreiben. Deshalb sagen sie: Wir soll-ten einmal überlegen, ob das für uns nicht wenigerschädlich ist.Ich glaube, man braucht beides. Man braucht denHandel mit CO2-Zertifikaten. Mit Maß und Ziel kannman vielleicht auch den Verkehrssektor einbauen. Dabeimuss man aber natürlich immer bedenken, dass das Aus-wirkungen auf den Benzinpreis hat und dass diese Artder Mobilitätsreduzierung natürlich auch eine sozialeKomponente hat. Auf der anderen Seite muss man aberauch maßvoll Maßstäbe dafür setzen, damit sich dieTechnik nach vorne entwickelt, aber mit Maß und Ziel,jedoch nicht, um die deutsche Wirtschaft und die Auto-mobilindustrie zu schädigen, sondern um den techni-schen Fortschritt anzuregen. Das sollten wir gemeinsamtun.
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6736 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Dr. Georg Nüßlein
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Ich will noch auf ein Thema eingehen, das hier aucheine Rolle gespielt hat und das durchaus sehr brisant ist,nämlich auf das Thema Fracking. Eine Regelung zu die-sem schwierigen Thema ist in der vergangenen Legisla-turperiode an der Kommunikation gescheitert.
Viele haben damals so getan, als sei Fracking aktuellverboten und die Mehrheit im Deutschen Bundestagwolle Fracking erlauben. Heute sind schon wieder einigeauf dem Weg, ähnliche Kommunikationsstrategien auf-zubauen, Frau Höhn. Mein Damen und Herren, es gehtnicht darum, Fracking zu erlauben. Das ist erlaubt, undzwar relativ unkonditioniert. Vielmehr geht es darum,Fracking ordentlich zu regulieren.
Der Vorschlag der Bundesministerin dazu ist ein guterVorschlag, unabhängig davon, wie Sie das sehen wollen.
Fakt ist: Wer Fracking konditionieren bzw. regulierenwill, der muss an diesem Vorschlag jetzt konstruktiv mit-arbeiten. Sonst stehen wir am Ende wieder ohne Gesetzda, und die Industrie kann fracken und kann sich aufdem Klageweg durchsetzen.
Es wird dann keine Umweltverträglichkeitsprüfungengeben, auch nicht für das, was wir hier als konventionel-les Fracking beschreiben. Auch innerhalb der Union dis-kutieren wir heftig über das Lagerstättenwasser und überdie Fragen: Was ist Stand der Technik? Was muss mantun? Kann man das wieder in die Ursprungstiefe verpres-sen? Muss man das aufbereiten? Meine Damen und Her-ren, das wird man ohne Gesetz nicht regeln können. Daswollen wir aber tun.
Der Fokus der Öffentlichkeit liegt in der Tat auf demsogenannten unkonventionellen Fracking. An dieserStelle möchte ich deutlich unterstreichen: In diesem Re-ferentenentwurf steht ein glasklares Verbot mit Blick aufden Schutz von Mensch, Natur und Wasser.
Das wird allerdings ergänzt durch einen Erlaubnisvorbe-halt. Dieser Erlaubnisvorbehalt besagt – ich sage daseinmal untechnisch –:
Wenn Forschung und Entwicklung irgendwann nach2018 an einen Punkt kämen, bei dem gar nichts mehr da-gegen spräche, dann kann die Wasserbehörde eine Er-laubnis erteilen. Wenn man wie Sie der Auffassung ist,dass das alles Teufelszeug ist und dass man das unterkeinen Umständen tun kann,
muss man sich keine Sorgen machen, dass diese Erlaub-nis in diesem Land irgendwann erteilt wird.Ich sage Ihnen aber: Ich halte es für richtig, dass derErlaubnisvorbehalt darin steht. Denn wenn ein Land, dasauf Hightech, auf Forschung und Entwicklung setzt, denAnspruch erhebt, Pilotvorhaben, Spitzentechnologienvoranbringen zu wollen, dann muss man zumindest dieChance eröffnen, dass diese Technologie auch im eige-nen Land irgendwann einmal zum Tragen kommt.
Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie am Schluss Ihrer
Redezeit noch eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-
Schröter?
Wenn die Frau Kollegin unbedingt will.
Eigentlich habe ich mit der Kollegin Bulling-Schröter
gar kein Problem. Sie spricht meinen Dialekt.
Danke schön. Wir beide kommen ja aus Bayern. Sie
haben es gerade gesagt. – Ich bin über Ihre Ausführun-
gen ein bisschen erstaunt; denn die bayerische Wirt-
schaftsministerin, Frau Aigner, hat erst neulich in einer
großen bayerischen Zeitung gesagt, die Bayerische
Staatsregierung, vor allem die CSU, lehne unkonventio-
nelles Fracking insgesamt ab. Sie hat gesagt: Mit uns
wird es das nicht geben. – Ich sehe also schon einen Wi-
derspruch zwischen dem, was Sie erzählen, und dem,
was in Bayern in der Zeitung steht.
Machen Sie sich keine Sorgen über das, was die Bay-erische Staatsregierung in großer Einheit macht. Derbayerische Ministerpräsident hat im Rahmen seinesChina-Besuchs ganz deutlich formuliert, dass der Vor-schlag, den die Frau Hendricks auf den Tisch gelegt hat,ein guter, ein intelligenter Kompromiss ist und dass erdas Verbot, so wie es Bayern anstrebt, natürlich so aus-gestaltet sehen möchte, wie ich es gerade eben beschrie-ben habe, nämlich verbunden mit dem Vorbehalt, dassman, wenn nichts mehr dagegen spreche, auch frackenkann.Ich kann Ihnen auch sagen, dass das, was ich vorhinzu Forschung und Entwicklung gesagt habe, auch hiergilt: Wenn Fracking im eigenen Land nicht mehr an-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6737
Dr. Georg Nüßlein
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wendbar sein sollte, dann muss man sich doch zumindestdie Option offenhalten, am Standort Deutschland zu for-schen, zu entwickeln und dafür Sorge zu tragen, dass un-ter anderen, besseren Konditionen in Zukunft im Aus-land gefrackt wird. Das, was wir hier machen, nämlichzu sagen: „Wir bleiben sauber; aber aus dem Auslandimportieren wir Gas, das dort unter schlechteren Bedin-gungen gefrackt worden ist“, ist Ökokolonialismus derschlimmsten Sorte. Deshalb ist das abzulehnen.
Wir müssen ganz klar dafür Sorge tragen, dass auchda die Technik vorankommt. Zumindest das sollten Sieuns zubilligen, und Sie sollten nicht ständig weiterDenkverbote verhängen. Das steht einer Partei der Frei-heit nämlich gar nicht an.Vielen herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Eine Vorbemerkung kann ich mir jetzt doch nicht ver-kneifen: Dieses beständige Jammern über die Bildungeiner rot-rot-grünen Regierung in Thüringen, HerrNüßlein, hat wirklich mehr mit Phantomschmerzen überden Verlust einer Regierung zu tun als mit berechtigtenVorwürfen.
Frau Ministerin, ich will mit einem Punkt beginnen,der sich nicht in Ihrem Haushalt, sondern im Haushaltdes Forschungsministeriums wiederfindet, bei dem Sieaber durchaus eine gewichtige Rolle spielen. Nach Mei-nung vieler gehört dieser Punkt eigentlich in den Haus-halt Ihres Ministeriums. Ich meine den geplanten Exportder Jülicher Brennelemente zur Wiederaufarbeitung indie USA. Dafür sind im Haushalt 65,5 Millionen Euroeingestellt. Am Ende werden dafür womöglich 1 Mil-liarde Euro anfallen; denn die Amerikaner wollen sichden Bau und die Entwicklung der Anlage, die sie für dieBehandlung der Graphitbrennelemente brauchen, natür-lich von uns bezahlen lassen.Dieser Export wird damit begründet, dass der JülicherReaktor ein Forschungsreaktor sei. Bei der IAEA wird erals Leistungsreaktor geführt. Diesen Streit auszubreiten,bringt irgendwie nicht viel. Es steht Gutachten gegenGutachten. Ich glaube, es geht im Kern um etwas ande-res.Ich spreche das in dieser Debatte und nicht in der überden Forschungshaushalt an, weil ich glaube, dass Sie,Frau Ministerin Hendricks, dafür ansprechbarer sind.Wir haben im Juni letzten Jahres eine Bund-Länder-Kommission zur Lagerung hoch radioaktiver Abfall-stoffe eingesetzt. Diese Kommission arbeitet mit vielUnterstützung durch das Bundesumweltministerium. Siehat viele Mitglieder, aus der Politik, aus den Landes-regierungen, aus der Zivilgesellschaft, aus der Wissen-schaft. Wir arbeiten ganz kleinteilig daran, das aufzu-bauen, was am Ende für ein Endlager für hochradioaktiven Müll das Wichtigste in diesem Land ist,nämlich Vertrauen. Das, was wir für den Vertrauensauf-bau machen, akribisch und an ganz vielen Stellen, dasreißt die Bundesregierung mit diesem geplanten Exportmit einem Körperteil, den man hier im Parlament anstän-digerweise nicht nennt, gerade wieder ein.Ich bitte Sie, sich dafür einzusetzen, dass von dieserfalschen Haltung Abstand genommen wird.
Frau Wanka, die zuständige Ministerin, hat bei ihremBesuch in der Kommission keinen Zweifel daran gelas-sen, dass sie die Sensibilität für die Metabotschaft, diedieser Export hat, nicht hat, dass sie nicht realisiert, wo-rum es in der Kommission im Kern geht und was dieserExport der Arbeit der Kommission antut.Deswegen bitte ich Sie darum. Sie haben tatsächlichauch eine Aufgabe in dieser ganzen Gemengelage; dennein Atommüllexport kann nur erlaubt werden, wenn Sieals zuständige Ministerin die Gewähr dafür geben, dasseine schadlose Verwertung oder eine sichere Endlage-rung im Empfängerland gewährleistet ist. Sichere Endla-gerung: Wo in den USA soll die stattfinden? Da sind dieUSA nicht mal so weit wie wir; sie sind zurückgefallen.Eine schadlose Verwertung kann eine Wiederaufarbei-tung oder eine ähnliche Behandlung nun wirklich nichtsein.Zweites Thema – ich bleibe beim Atommüll –:Schacht Konrad. Konrad war in den letzten Tagen indi-rekt oder direkt von zwei Aufregernachrichten betroffen.Zum einen geht es um die rostenden Atommüllfässer. Ja,es sind längst mehr als das eine Atommüllfass in Bruns-büttel vor zweieinhalb Jahren oder die über 100 Atom-müllfässer in Brunsbüttel, von denen wir inzwischenwissen; es sind 2 000. Ich war nicht begeistert, zu sehen,dass das Bundesumweltministerium das nicht aufgelistethat, das nicht bei den Ländern abgefragt hat, sondern dasdem NDR überlassen hat. Aber immerhin, wir wissen esjetzt.Das heißt: Wir haben ein Problem. Diese Fässer – dassage ich auch in Richtung der Linken – können nichtohne Ende oberirdisch in Zwischenlagern gelagert wer-den. Sie brauchen ein Endlager. Dieses Endlager ist nachjetziger Genehmigungslage Konrad.Aber ich sage auch ganz klar: Eile und die Inbetrieb-nahme eines Endlagers passen nicht zusammen. Daswissen wir von der Asse; so haben wir die Asse bekom-men. Um bei Konrad jetzt nicht Eile an den Tag zu le-
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6738 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Sylvia Kotting-Uhl
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gen, Zeitdruck und womöglich auch Kostendruck auszu-üben, um, im Gegenteil, Bedenken auszuräumen, habenwir vorgeschlagen oder gefordert, Konrad zu überprü-fen, Konrad auf den Stand von Wissenschaft und Tech-nik zu bringen, dem dieses Endlager, dieser Standort,bisher nicht genügt.
Zum anderen geht es bei Konrad um die Müllmengen;das ist hier schon erwähnt worden. Ich finde, es gibt einezu lobende – ja, auch ich will da loben – neue Ehrlich-keit im Bundesumweltministerium. Man redet endlichvon all den Abfällen und sagt: Alle die müssen inDeutschland entsorgt werden, auch die aus der Uran-anreicherung. – Die Urananreicherungsanlage, FrauHendricks, gehört übrigens in überschaubarer Zeit ge-schlossen.
Wohin diese Müllmengen sollen – ob das Konrad seinwird, ob das ein drittes Endlager sein wird, ob wir in derKommission sie mit für das zu suchende Endlager fürhoch radioaktiven Müll vorsehen sollen –, das könnenwir heute nicht entscheiden. Aber was nicht geht – ichbin sehr froh, dass ich Sie ein bisschen in dieser Rich-tung verstanden habe; die vorherigen Botschaften ausdem BMU und dem BMWi waren andere –, ist, nach ei-ner Inbetriebnahme von Konrad diesen Müll im Zuge ei-ner Erweiterung dort einzulagern. Da braucht es in derTat ein neues Planfeststellungsverfahren. Ich habe Sie soverstanden. Da sind wir einer Meinung. Vielen Dank da-für.Vielen Dank für das Zuhören.
Nächste Rednerin ist für die Sozialdemokraten die
Kollegin Ulli Nissen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin Berichterstatterin im Baubereich. Daist mir die Städtebauförderung ein besonderes Anliegen.Wir haben dort als rot-schwarze Bundesregierung eindeutliches Zeichen gesetzt.
Bereits im letzten Jahr haben wir die Mittel erheblichaufgestockt. Das wird auch so bleiben. Für 2015 sind er-neut 700 Millionen Euro vorgesehen.Diese Mittel wecken anscheinend bei vielen Begehr-lichkeiten. Auch hier im Parlament höre ich immer wie-der: Da können wir doch die Mittel aus der Städtebauför-derung nehmen. – Aber ich sage deutlich: Das Geldgeben wir nicht frei. Wir brauchen dieses Geld unter an-derem für das Programm „Soziale Stadt“, um in Städtenund Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten wirklich et-was zu machen.
Also keine Chance, liebe Kollegen! Davon geben wirnichts heraus.
Weiteres im Haushalt ist mir wichtig. Dazu gehörenunter anderem die Mittel für den altersgerechten Umbauvon Wohnungen. Ich denke, die meisten von uns wollenmöglichst lange selbstbestimmt im gewohnten Umfeldbleiben, und es ist gut, wenn wir die Voraussetzungendafür verbessern. Es ist gelungen, schon zum 1. Oktober2014 das Zuschussprogramm wieder zu starten und10 Millionen Euro dafür einzustellen. 2015 stehen etwa12 Millionen Euro bereit, damit der altersgerechte Um-bau von Wohnungen mit Zuschüssen gefördert werdenkann. Das ist gut, das ist richtig. Gerade ältere Menschenwollen keine Darlehen mehr aufnehmen, oder Bankenverweigern wegen des Alters aus fadenscheinigen Grün-den die Kreditaufnahme.Der Bedarf an altersgerechten und barrierefreienWohnungen ist sehr hoch und steigt weiter. Prognos haterrechnet, dass altersgerechter Umbau die staatlichenSozialsysteme jährlich um 3 Milliarden Euro entlastenkann, wenn dadurch nur bei 15 Prozent der pflegebe-dürftig werdenden Personen ein Umzug ins Heim ver-mieden oder aufgeschoben werden kann. EingespartesGeld ist für viele das Argument; für mich ist aber dasEntscheidende, dass die Menschen in ihrem Umfeldbleiben können.
Die internationalen Kriege und Konflikte führendazu, dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlassenmüssen und auf der Flucht sind. Es ist eine Selbstver-ständlichkeit für uns Sozialdemokratinnen und Sozialde-mokraten, dass wir Verfolgte bei uns herzlich willkom-men heißen. Sie brauchen eine gute und adäquateUnterkunft und Versorgung, damit sie sich bei uns zuHause fühlen. Ich bedanke mich bei den vielen Bürge-rinnen und Bürgern, die die Flüchtlinge vor Ort betreuenund eine tolle Integrationsarbeit leisten. Ihnen herzlichenDank!
Flüchtlingspolitik ist aber auch eine nationale Auf-gabe, und deshalb sind wir alle gefordert. Die Unterbrin-gung von Flüchtlingen stellt viele Kommunen vor großeHerausforderungen. Gerade in Ballungsräumen wie mei-nem Frankfurter Wahlkreis ist der Wohnungsmarkt ange-spannt. Da ist die Unterbringung zum Teil sehr schwie-rig. Wir haben deshalb im Baugesetzbuch Änderungenvorgenommen, um den Kommunen die Unterbringung
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6739
Ulli Nissen
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zu erleichtern. Das ist aber nur ein erster Schritt auf ei-nem längeren Weg.Auch in diesem Zusammenhang haben sich einige ausunserem Ausschuss eine wichtige Frage gestellt: Wiekann die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, dieBImA, einbezogen werden? Dankenswerterweise habendie Kollegen des Haushaltsausschusses in der Bereini-gungssitzung einen Haushaltsvermerk eingefügt. Dieserbesagt, dass Grundstücke und Gebäude, die zur Unter-bringung von Flüchtlingen dienen, mietfrei an Länderund Gemeinden abgegeben werden können – eine großeErleichterung für die Kommunen.
Des Weiteren hat der Koalitionsausschuss an diesemDienstag festgestellt, dass der Bund die Länder undKommunen darüber hinaus unterstützen will. Ich binsehr froh, dass wir, die Sozialdemokratinnen und Sozial-demokraten, uns dafür einsetzen, dass sich der Bund anden Kosten der Kommunen infolge der Zuwanderungund Integration der Flüchtlinge mit bis zu 1 MilliardeEuro beteiligt. Darüber bin ich sehr froh.
Lieber Herr Hirte, Sie haben vorhin angedeutet, dasses sich bei der Reduzierung des Ansatzes für das Wohn-geld um 100 Millionen Euro letztlich nur um eine tech-nisch bedingte Verschiebung handelt. Deshalb fände iches doch klasse, wenn wir die 100 Millionen Euro 2016on top bekämen.Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerk-samkeit.
Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege
Volkmar Vogel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines derKernelemente vernünftiger Umweltpolitik ist die Nach-haltigkeit. Ich glaube, Nachhaltigkeit bedeutet nichtsweiter, als dass man zum Beispiel aus einem System nurdas entnimmt, was in vertretbaren Zeiträumen wiedernachwächst.
Wenn wir heute hier die Haushaltsdebatte führen, danngilt eigentlich das Gleiche. Das heißt, wir sollten tatsäch-lich nur das ausgeben, was wir auch sicher einnehmen.Das ist uns mit diesem Haushalt gelungen. Ich denke,das ist eine gute Gemeinsamkeit zwischen vernünftigerUmweltpolitik und vernünftiger Haushaltspolitik. VielenDank dafür!
Nachdem ich jetzt diese Gemeinsamkeit herausge-stellt habe, fragt man sich natürlich auch: Welche Ge-meinsamkeiten gibt es denn zwischen Umweltpolitikund Baupolitik?
Ein Jahr nachdem diese beiden Ressorts zusammenge-legt worden sind, kann ich zumindest für meine Fraktionsagen – ich glaube, unser Koalitionspartner wird uns dabestätigen –: Es ist eine Zusammenlegung, die funktio-niert; denn es gibt ein gutes Miteinander. Man bringt vielVerständnis füreinander auf und trägt dafür Sorge, dassdie Zwänge, mit denen wir im Baubereich konfrontiertsind, umweltpolitisch vernünftig begleitet werden.Machen wir uns nichts vor: Bauen müssen wir auchweiterhin.
Wir brauchen Bauland, wir brauchen Infrastruktur, undwir brauchen Hochwasserschutz. Wir brauchen für alldas vernünftige Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen,Freizeitangebote und vieles mehr. Wir müssen die Nut-zungskonkurrenz auflösen, und sie kann nirgends bessergelöst werden als in unserem Bereich, und zwar gemein-sam mit der Landwirtschaft, deren Grundlage wir nichtweiter einschränken dürfen. Die Grundlage der Land-wirtschaft – wir hatten dieses Thema in der vorherigenDebatte – sind Böden, die vernünftig bearbeitet werdenkönnen.Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen undder wir uns stellen werden. Wir werden mit intelligentenLösungen dafür sorgen, dass die Flächeninanspruch-nahme in einem vernünftigen Rahmen bleibt. Es gibt anvielen Stellen Doppel- und Mehrfachnutzungen. Hierkönnte man die entsprechenden Bereiche intelligent mit-einander verbinden, zum Beispiel den Hochwasser-schutz mit der Landwirtschaft oder auch Ersatz- undAusgleichsmaßnahmen im innerstädtischen Bereich.Ich habe von den für unseren Wohnungsbau so wich-tigen Siedlungsflächen und der Ausweisung von Bau-land gesprochen. Wohnungsbau hat nach marktwirt-schaftlichen Grundsätzen zu funktionieren. Was passiert,wenn das nicht so ist, sehen wir daran, was in 40 JahrenDDR entstanden ist.
Wohnungsbau hat aber immer auch einen sozialenAspekt. Im Zusammenhang mit sozialen Fragen redenwir immer nur über Rente oder Krankenversicherung.
Aber vernünftiger Wohnraum ist von genauso großerBedeutung. Bei all den Problemen, die wir haben, muss
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6740 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Volkmar Vogel
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ich sagen: Wir haben in Deutschland im internationalenVergleich einen verdammt gut aufgestellten Wohnungs-sektor. Das ist nicht nur unser Verdienst, sondern das istdas Verdienst aller Akteure, die hier mit am Werk sind:
Das geht bei der kommunalen Wohnungswirtschaft losüber die gewerblichen Immobilienbetreiber bis hin zuden vielen Selbstnutzern, die darauf achten, dass ihr Ei-gentum nicht an Wert verliert. Dabei müssen wir ihnenhelfen.Kurzfristig ist es wichtig, dass wir das Bündnis fürbezahlbares Wohnen und Bauen zum Erfolg führen. Ichsage ganz klar, dass wir mit dem Stand der Dinge nichtzufrieden sind. Um es zu einem Erfolg zu führen, müs-sen wir gemeinsam mehr Gas geben. Gerade in diesemBereich kommt es darauf an, den Neubau anzukurbeln,für kostengünstiges Bauland zu sorgen und die Rahmen-bedingungen zu verbessern.
Es geht auch darum, die Baukosten im Griff zu behal-ten. Bei den Baukosten kommt es vor allen Dingen da-rauf an, dass wir die Bestimmungen des Ordnungsrechtsund des Baunebenrechts überprüfen und überlegen, obman unter Umständen Vereinfachungen vornehmen oderzumindest im Rahmen eines Moratoriums zur Stabilisie-rung beitragen kann.Ebenso sind die Standards und Normen zu überprü-fen. Ich muss an dieser Stelle kritisieren, dass das fastimmer außerhalb unserer Zuständigkeit geschieht, wiraber die Festlegungen, die dort getroffen werden, hin-nehmen und in unser Regelwerk einarbeiten müssen.Das ist ein Punkt, an dem wir arbeiten müssen. Wir müs-sen uns überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, die fachli-che und auch die politische Beteiligung an diesem Pro-zess zu verstärken.Bei der Wohnungspolitik und der Baupolitik mussman auch über Geld reden. Ich möchte an dieser Stellean die Länder appellieren, die vonseiten des Bundes bis2019 jährlich 580 Millionen Euro Entflechtungsmittelerhalten. Ein Problem, warum in verschiedenen Regio-nen Wohnungsknappheit herrscht, ist, dass einige Län-der, seit sie zuständig sind, also seit 2007, ihre Hausauf-gaben nicht ordnungsgemäß gemacht haben. Sie habenden Wohnungsbau und vor allem den sozialen Woh-nungsbau vernachlässigt.
Ich appelliere an die Länder, die Zweckbindung der Mit-tel einzuhalten und die Mittel entsprechend einzusetzen.
Der Bund stellt sich seiner Verantwortung für denWohnungsbau auch mit seinen einzelnen Programmenim Rahmen der Städtebauförderung. Hier stellen wir ins-gesamt 700 Millionen Euro zur Verfügung, 50 MillionenEuro davon für das Sonderprogramm für national be-deutsame Projekte. Ich finde, es war richtig und wichtig,dass wir im engen Kontakt die Bedingungen dafür fest-gelegt und organisiert haben, in welcher Art und Weisedie Auswahl der einzelnen Projekte erfolgen soll, undfrühzeitig die Länder einbezogen und uns bestimmtenThemen gestellt haben, wie in diesem Fall jetzt demUNESCO-Weltkulturerbe.Aber ich möchte auch an Maßnahmen zur Umsetzungder „Grünen Stadt“ erinnern. Wir werden in den nächstenJahren sicherlich auch noch die Fragen der Energieeffi-zienz und der energetischen Sanierung in den Mittelpunktrücken, genauso wie die familien- und kinderfreundlicheStadt. Ich denke, das sind Themen, derer wir uns sinn-voll annehmen sollten und die auch den einzelnen Le-bensentwürfen entsprechen.Bei der Städtebauförderung ist der Schwerpunkt ein-deutig der demografische Wandel. Das betrifft auch dieFrage des altersgerechten Umbaus zu barrierearmemWohnen mit 12 Millionen Euro. Aber es ist eigentlichnur ein Teil.
Ein wesentlicher Teil sind aus unserer Sicht natürlichauch alle Dinge, die im Zusammenhang mit den notwen-digen Stadtumbaumaßnahmen stehen: dass man in denRegionen, in denen Bevölkerungsrückgang und Leer-stand zu verzeichnen sind, sinnvollerweise Wohnungenvom Markt nimmt oder umgestaltet und damit das Quar-tier als solches aufwertet.Wir haben die Stadtumbauprogramme, die mit insge-samt 200 Millionen Euro innerhalb der Städtebauförde-rung den größten Investitionsteil unserer Programmedarstellen, im Zeitraum von 2005 bis 2009 evaluiert undin der damaligen Großen Koalition bis 2016 auf denWeg gebracht. Ich denke, es ist die Aufgabe dieser Gro-ßen Koalition, diesen Stand zu evaluieren und Vor-schläge zu machen, wie man das weiterentwickeln kann.Aber wir werden es wahrscheinlich nicht mehr sein, diees beschließen. Wir können es jedoch auf den Weg brin-gen. Meiner Meinung nach kommt es darauf an, einStadtanpassungsprogramm daraus zu entwickeln, dasmehr als bisher die Innenstädte umfasst und nicht nurWohnungen im Außenbereich vom Markt nimmt undauch dafür Sorge trägt, dass die Aufwertung und dieUmgestaltung – und damit auch die Umgestaltung dersozialen Infrastruktur – mehr in den Mittelpunkt rücken.Damit bekommen wir lebenswerte Städte, in denen essich lohnt zu leben und in denen auch die sozialen Span-nungen weit weniger ausgeprägt sind, als sie es wären,wenn wir hier nicht mit den Möglichkeiten und Steue-rungselementen, die wir haben, Einfluss nehmen.Wir brauchen dazu die Länder und die Kommunen.Das können wir als Bund nicht erledigen, und wir sindauch nicht allein dafür verantwortlich. Es kommt daraufan, dass es ein gutes Zusammenwirken gibt und die an-stehende Evaluierung in den entsprechenden Lenkungs-ausschüssen unter Beteiligung aller erfolgt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, nichtsdesto-trotz: Wenn wir über demografischen Wandel sprechen,dann bedeutet das auch – das ist ein wesentlicher Teil desBündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen –, die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6741
Volkmar Vogel
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Energiewende richtig zu machen. Das heißt, dass wir dierichtigen Maßnahmen treffen, um die Energieeinsparungund damit die CO2-Minderung im Gebäudebereich zurealisieren.Wir haben dazu geeignete Mittel, die die Bundesre-gierung demnächst auf den Weg bekommt, um die wahr-scheinlich noch verbliebene Lücke zu schließen. Mitdem Aktionsprogramm Klimaschutz und dem nationalenAktionsplan Energieeffizienz wird uns das gelingen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe große Po-tenziale in diesem Bereich, vor allem auch bei der ener-getischen Stadtsanierung. Bei der Sanierung im Quartiergibt noch Potenziale, die es zu heben gilt und die wirauch nutzen müssen. Ich bin froh, dass wir dafür 50 Mil-lionen Euro im Haushalt vorgesehen haben. Ich denke,neben der Sanierung im Quartier sollte man auch be-rücksichtigen, dass viele Wohneigentumsgemeinschaf-ten derzeit noch nicht in der Lage sind, gemeinsam dienotwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Energie-effizienz durchzuführen. Ich sehe eine einfache Mög-lichkeit: dass man dieses Programm, ähnlich wie bei derenergetischen Stadtsanierung, in diesem Bereich erwei-tert.Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren,700 Millionen Euro insgesamt allein in der Städte-bauförderung, 1,5 Milliarden Euro im CO2-Gebäudesa-nierungsprogramm und 300 Millionen Euro im Zu-schussprogramm – das ist zum einen viel Geld. Dasbedeutet zum anderen Planungssicherheit, die wir allenAkteuren geben müssen. Ebenso wollen wir ihnen dieSicherheit geben, dass wir die einzelnen Bestimmungen,die diesbezüglich vorliegen – zum Beispiel die EnEV,zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz –,nicht so maßgeblich ändern werden, dass keine Pla-nungssicherheit für die nächsten Jahre besteht. Wir wol-len Planungssicherheit. Wir wollen keine Verschärfung,sondern wir wollen, dass diejenigen, die das umzusetzenhaben, sich danach richten und damit arbeiten können.Lassen Sie mich zum Schluss aber Folgendes sagen:Das sind alles Steuergelder. Es ist wichtig, auch privatesKapital zu heben, und zwar mithilfe steuerlicher An-reize.
Den Vorschlag, der bereits im Jahre 2011 einmal aufdem Tisch lag, aber damals leider von den Ländern ab-gelehnt wurde, sollten wir wieder aufgreifen. Er hilft, dieSanierungsquote weiter zu verbessern. Insbesondere istes wichtig, dass sich die Länder daran beteiligen. DieLänder, die sich selber ehrgeizige Ziele gesetzt haben,zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, sollten auch hier ih-ren Beitrag leisten.Der Bund wird das mit dem vorliegenden Haushalt2015 tun. Mit den Verpflichtungsermächtigungen istauch Planungssicherheit für die nächsten Jahre gegeben.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Groß für die
Sozialdemokraten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zwei Minuten sind tatsächlich und real weni-ger als zwölf Minuten.
Ich wollte dir schon ein Angebot machen und dich fra-gen, ob du mir etwas abgibst. Nächstes Mal können wiruns ja darüber unterhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin nach diesemJahr sehr zufrieden mit meiner Ministerin. Ich kann nursagen: Sie hat viel erreicht. Vor allen Dingen stellt sie,wie wir in ihrer Rede gehört haben, zwei Dinge in denMittelpunkt – den Menschen und die Umwelt. Dafürkann man ihr nur danken.
Das tut sie in einer Art und Weise, die sehr zielorientiertist und bei der letztendlich auch deutlich wird, dass esauf Dialoge ankommt.Das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen istfür uns ein wichtiges politisches Instrument, um dieMenschen mitzunehmen, deren Wissen zu nutzen und zuversuchen, sehr sensibel den schmalen Weg zwischenOrdnungsrecht, Förderung und demjenigen, was jederleisten kann, zu gehen. Das ist der richtige Weg. Ichdanke Ihnen, Frau Ministerin Barbara Hendricks, dafür,dass Sie diesen Weg gegangen sind.
Genauso positiv ist, dass wir das Programm „SozialeStadt“ noch einmal stabilisiert haben. Beim Programm„Nationale Projekte des Städtebaus“ handelt es sich umein ähnliches Instrument, das darauf setzt, dass wir dieMenschen überzeugen, auch beim Thema „Klima- undUmweltschutz“. Die Menschen müssen davon überzeugtsein, dass Energieeffizienz der richtige Weg ist und dassman dafür natürlich auch selbst Geld in die Hand neh-
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6742 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014
Michael Groß
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men muss. Es ist nichts umsonst. Die Umwelt muss esuns wert sein, dass wir auch dafür bezahlen.
Gestatten Sie mir noch zwei Sätze zur Vorbildfunk-tion des Bundes und zum immer wieder erfolgendenVerweis auf die Länder. Es ist äußerst wichtig, dass wirendlich aufhören, mit dem Finger auf die Länder undStädte zu zeigen. Der Bund muss Geld zur Verfügungstellen, damit Länder und Städte nicht mehr gezwungensind, die Grunderwerbsteuer und die Grundsteuer zu er-höhen.
Jetzt habe ich noch 20 Sekunden. Dann sage ich nochetwas zur BImA. Die Bundesanstalt für Immobilienauf-gaben muss Vorbild für die Wohnungswirtschaft sein.Auch wenn wir Wohnungen verkaufen wollen, müssenwir dafür sorgen, dass Städte und Gemeinden sie kaufenkönnen und den Menschen preiswert zur Verfügung stel-len können. Das ist unsere Aufgabe.
Jetzt danke ich Ihnen und wünsche Ihnen noch einenschönen Abend. Glück auf! – Genau zwei Minuten.
Herr Kollege Groß, meinen Respekt! Was die Rede-
zeit betrifft, war das eine Punktlandung. Vielen Dank. –
Abschließender Redner zum Einzelplan 16 ist der Kol-
lege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Einer muss den Sack zubinden“, sagt man in der Lau-sitz. Nach den vielen interessanten Reden, die wir heuteim Plenum zum Haushaltsplan 2015 verfolgen konnten,möchte ich zum Schluss den Begriff „Natur- und Arten-schutz“ in den Mund nehmen und mich nicht so sehr umden Klimaschutz kümmern; denn ich denke, dass unserUmweltministerium auf diesem Gebiet auch sehr viel zutun hat und sehr viel macht.
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich beider Ministerin und den Staatssekretären, aber auch beimBfN bedanken, die auf diesem Gebiet in den letzten Jah-ren – so lange, wie ich das verfolgen kann – gute Arbeitgeleistet haben.
Die leitende Überschrift des Bundeshaushalts 2015lautet: schwarze Null. Viele Redner haben gestern undauch heute darauf hingewiesen, dass das nicht nur fürdieses Jahr, also für das Haushaltsjahr 2015, gilt, son-dern dass das verstetigt werden muss. Das wird aus mei-ner Sicht schwierig genug. Ich erinnere mich, dass ichbei meiner Tätigkeit als Bürgermeister auch einmal dreiJahre lang einen ausgeglichenen Haushalt auf den Tischlegen und sogar anfangen konnte, Schulden zurückzu-zahlen. Das ging drei Jahre lang gut. Dann kam die Neu-ausrichtung der Energiepolitik in Deutschland im Jahr2011. Das führte dazu, dass ein Viertel der Steuereinnah-men innerhalb weniger Monate weggebrochen ist. Dannhatten wir doch eine ganze Reihe von Problemen. Ichhoffe nur, dass die wirtschaftliche Entwicklung, die jadie Basis dafür legt, dass wir Geld ausgeben können,auch in der Zukunft Bestand hat, damit die Ziele, diesich Bundesminister Schäuble, die Bundesregierung undwir alle uns gesetzt haben, auch erreicht werden.Der Haushalt des Umweltministeriums wächst um6 Prozent auf 3,9 Milliarden Euro. Mich freut es ganzbesonders, dass die Mittel für Maßnahmen im Rahmendes Bundesprogramms „Biologische Vielfalt“ in Höhevon 15 Millionen Euro, für Naturschutzgroßprojekte inHöhe von 14 Millionen Euro und für Forschungsaufga-ben im Bereich des Naturschutzes in Höhe von 16 Mil-lionen Euro auf hohem Niveau verstetigt werden.Dabei darf der Blick allerdings nicht nur auf denHaushalt des BMUB gerichtet werden; denn ein beacht-licher Teil der Anstrengungen Deutschlands im Bereichdes Natur- und Artenschutzes wird auf internationalerEbene auch durch das Bundesministerium für wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung geleistet. Sowerden im Einzelplan 23 im nächsten Jahr beinahe175 Millionen Euro für die entwicklungswichtige multi-laterale Hilfe zum weltweiten Umweltschutz, zur Erhal-tung der Biodiversität und zum Klimaschutz bereitge-stellt.
Überhaupt sind unsere Anstrengungen im internatio-nalen Kontext beeindruckend. Im Haushalt des BMUBist die Internationale Klimaschutzinitiative hervorzuhe-ben, die im kommenden Jahr mit fast 263 MillionenEuro gezielt Klima- und Biodiversitätsprojekte in Ent-wicklungs- und Schwellenländern sowie in den Trans-formationsstaaten fördert. Diese beinhaltet Projekte wieRenaturierung und nachhaltiges Management von Moo-ren in der Ukraine, gemeindebasierte Schutzgebiete inUrsprungsregionen des Wildkaffees in Äthiopien, Schutzund Rehabilitierung von Küstenökosystemen auf denPhilippinen und im Korallendreieck oder die Stärkungdes Nationalparksystems in Südamerika.Kurz noch etwas zum Thema Küstenökosysteme. Ichglaube, einem großen Teil unserer Bürgerinnen und Bür-ger ist nicht bewusst, wenn sie im Supermarkt im Kühl-regal ein Paket Garnelen für 1,50 Euro oder wenigerkaufen, dass wir mittlerweile 25 Prozent unserer welt-weiten Mangrovenwälder zerstört haben, um Aquakultu-ren anzulegen, damit wir hier billig Krebstiere essenkönnen. Vor 20 oder 25 Jahren war das eine Rarität, dieman sich nur zu besonderen Anlässen geleistet hat. In-zwischen kann man sich so etwas regelmäßig leisten, al-lerdings mit den genannten Folgen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6743
Dr. Klaus-Peter Schulze
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Bei der 12. Vertragsstaatenkonferenz und beim erstenTreffen der Vertragsstaaten zum Nagoya-Protokoll inPjöngjang, an denen ich gemeinsam mit meinem Kolle-gen Träger von den Sozialdemokraten teilnehmen konnte,ist uns von vielen Ländern bestätigt worden, dassDeutschland einen großen Einsatz im Bereich des Er-halts der biologischen Vielfalt leistet. Das wurde dort lo-bend erwähnt. Wir konnten uns davon überzeugen, dassunser Ministerium gemeinsam mit Nichtregierungsorga-nisationen wie dem NABU oder dem WWF hier einenguten Job macht. Das findet auch entsprechende Aner-kennung.In vielen Bereichen des Natur- und Artenschutzesgilt: Ohne Ehrenamt geht nichts. Auch bei der schon er-wähnten Tagung war es so, dass hier ein internationalesJugendnetzwerk zur Biodiversität mit 51 Organisationenaus 86 Ländern mit über 350 000 Mitgliedern seine Pro-jekte vorstellen konnte. Es freut mich ganz besonders,dass unser Umweltministerium diese Netzwerkarbeit fi-nanziell unterstützt. Ich wünsche mir, dass dieses Enga-gement in den nächsten Jahren fortgesetzt wird.
Bei der bloßen Bereitstellung der notwendigen finan-ziellen Mittel darf es nicht bleiben; die Gelder müssennicht nur verwaltet werden, sondern auch wirtschaftlicheingesetzt und in sinnvolle Projekte umgesetzt werden.Das Bundesamt für Naturschutz ist für das Gros dieserAufgaben zuständig. Ich habe im August dieses Jahresdas BfN besucht und mir ein Bild von der Arbeit vonProfessor Jessel und ihren Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern gemacht. 13 neue Planstellen gibt es im laufen-den Haushaltsjahr, und für das nächste Haushaltsjahrsind 7 neue Planstellen vorgesehen, um den größerenAufgabenbereich abdecken zu können. Ich wünsche mir,dass diese positive personelle Entwicklung in dieserwichtigen Behörde auch in den nächsten Jahren Bestandhat.
Über das Thema „Elefant und Nashorn“ hat der Kol-lege Lemme gesprochen.
In Anbetracht der Zeit verzichte ich darauf.Ich komme zum Schluss zum Zielkonflikt zwischenWirtschaft, Infrastrukturmaßnahmen, Natur- und Arten-schutz. Beim Ausbau des Bereichs der erneuerbarenEnergien gibt es eine Kehrseite der Medaille. Ich erin-nere nur an die großen Probleme mit der zunehmendenVermaisung. Als seinerzeit das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen wurde, hat niemand an mögliche ne-gative Auswirkungen des verstärkten Biomasseanbausgedacht.
So gab es keinerlei Studien zu diesem Thema. Ein ver-mehrtes Artensterben durch Monokulturen, verstärkteNitrateingänge in unseren Gewässern usw. sind heuteunübersehbare Folgen. Frau Kollegin Höhn, ich habemich schlaugemacht und mir wurde bestätigt: Das istvorneweg nicht untersucht worden, zumindest laut Aus-sage des Wissenschaftlichen Dienstes.Unter Artenschutzgesichtspunkten sind die Offshore-anlagen in der Nord- und Ostsee nicht nur Heilsbringer.Vor allem der Bau der Windkraftanlagen im Meer beein-flusst die sehr schallempfindliche Schweinswalpopula-tion nachhaltig. Das macht den Experten viel mehr Sor-gen als die derzeit von einigen Umweltaktivistenlautstark und massiv bekämpfte Stellnetzfischerei an denKüsten der Nord- und Ostsee. Auch hier gilt es, wie sooft im Leben, mehr mit Augenmaß zu handeln und keineSchwarz-Weiß-Malerei zu betreiben.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich danke Ihnen auch und schließe damit die Ausspra-
che.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung.
Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor.
Zunächst stimmen wir ab über den Änderungsantrag
auf Drucksache 18/3306. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken bei Ent-
haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt
worden.
Wir kommen jetzt zu dem Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3307. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken bei Ent-
haltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Wir stimmen nun ab über den Einzelplan 16, und
zwar in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Damit ist der Einzelplan 16 mit den
Stimmen der Großen Koalition gegen die Stimmen der
Linken und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 28. November 2014,
9 Uhr, ein.
Kommen Sie alle gut erholt wieder.
Die Sitzung ist geschlossen.