Protokoll:
18070

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 70

  • date_rangeDatum: 27. November 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:14 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/70 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 70. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 I n h a l t : Wahl des Abgeordneten Burkhard Lischka als Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses 6603 A Wahl der Abgeordneten Tabea Rößner als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6603 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6603 B Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 6603 D Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015) Drucksachen 18/2000, 18/2002 . . . . . . . . 6604 A b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Finanz- plan des Bundes 2014 bis 2018 Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826 . 6604 A I.12 Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Drucksachen 18/2809, 18/2823 . . . . . . . 6604 B Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6604 B Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6606 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6607 C Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6608 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 6611 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 6613 A Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6614 C Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6617 B Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6617 C Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6617 D Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6619 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6620 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6622 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6624 A Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6628 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6629 C Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . 6630 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6632 D Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6634 A Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6635 C Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6637 C I.13 Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung und Forschung Drucksachen 18/2823, 18/2824 . . . . . . . 6639 B Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6639 C Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6640 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6642 B Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . 6643 D Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6645 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6648 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 6650 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6652 C Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) . . . . . . . 6653 D Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6655 D Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6656 D Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6658 C Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6659 C Tagesordnungspunkt III: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verbesserung der Rechtsstel- lung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern Drucksache 18/3160 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6660 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung von Vorschriften zur Durchführung unionsrechtlicher Vor- schriften zur Durchsetzung des Ver- braucherschutzes Drucksache 18/3253 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6660 C c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Vier- ten Gesetzes zur Änderung des Fahr- personalgesetzes Drucksache 18/3254 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6660 C d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftver- kehrsabkommen vom 10. Juni 2013 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Regierung des Staates Israel anderer- seits (Vertragsgesetz Europa-Mittel- meer-Israel-Luftverkehrsabkommen – Euromed-ISR-LuftverkAbkG) Drucksache 18/3255 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6660 D e) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Anrechnung von NVA- Verletztenrente auf Grundsicherung im Alter Drucksache 18/3170 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6660 D f) Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Öko- logischen Hochwasserschutz länder- übergreifend sicherstellen und sozial verankern Drucksache 18/3277 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6661 A Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zweiten Änderung des Ge- setzes für den Ausbau erneuerbarer Energien Drucksache 18/3234 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6661 A b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/3321 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6661 A Tagesordnungspunkt IV: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Son- dervermögens „Energie- und Klima- fonds“ Drucksachen 18/2443, 18/2658, 18/3199 . 6661 B b)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 115, 116, 117, 118 und 119 zu Petitionen Drucksachen 18/3172, 18/3173, 18/3174, 18/3175, 18/3176 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6661 C Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015) Drucksachen 18/2000, 18/2002 b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Finanz- plan des Bundes 2014 bis 2018 Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826 I.14 Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales Drucksachen 18/2811, 18/2823 . . . . . . . 6662 A Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6662 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6663 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6665 C Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6666 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 III Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6668 B Ewald Schurer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6669 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6671 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6672 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6673 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6673 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6676 A Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6677 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6678 A Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6678 D Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6680 D Mark Helfrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6682 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 6683 A I.15 Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Se- nioren, Frauen und Jugend Drucksachen 18/2823, 18/2824 . . . . . . . 6684 C Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6684 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6686 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6688 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6689 A Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 6690 A Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6692 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 6693 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 6695 A Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6697 C Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6698 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6698 C Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6700 B Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6702 B I.16 Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Drucksachen 18/2810, 18/2823 . . . . . . . 6704 A Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6704 C Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . 6704 C Cajus Caesar (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6705 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6707 A Ulrich Freese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6708 C Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6710 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 6712 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6713 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6714 D Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . 6716 A Christina Jantz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6718 B Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6719 B Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6721 B Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6722 C I.17 Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Na- turschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksachen 18/2815, 18/2823 . . . . . . . 6723 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6723 D Steffen-Claudio Lemme (SPD) . . . . . . . . . . . 6725 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6726 D Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6728 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6728 C Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6730 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6733 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6734 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 6736 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6737 A Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6738 B Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . 6739 B Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6741 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . 6742 B Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6743 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6744 A Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6745 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6603 (A) (C) (D)(B) 70. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 Beginn: 9.00 Uhr
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    6744 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 Vizepräsident Johannes Singhammer (A) (C) Berichtigung 69. Sitzung, Seite 6599 D, erster Absatz, dritter Satz ist wie folgt zu lesen: „Nicht eingerechnet sind da- bei die armutsbedingten Migrationen, die nach Paul Collier zu einem Exodus führen könnten – ich empfehle jedem, das zu lesen –, nicht nur bei uns oder in den Län- dern, in die sie flüchten, sondern in ihren eigenen Hei- matländern, wo das auch zukünftig sehr starke Auswir- kungen haben wird.“ (D) (B) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2014 6745 (A) (C) (B) Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 27.11.2014 Bellmann, Veronika CDU/CSU 27.11.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 27.11.2014 Feiler, Uwe CDU/CSU 27.11.2014 Groth, Annette DIE LINKE 27.11.2014 Kermer, Marina SPD 27.11.2014 Nietan, Dietmar SPD 27.11.2014 Poß, Joachim SPD 27.11.2014 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 27.11.2014 Tempel, Frank DIE LINKE 27.11.2014 Veit, Rüdiger SPD 27.11.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.11.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 27.11.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 27.11.2014 Zech, Tobias CDU/CSU 27.11.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen (D) Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 70. Sitzung Inhaltsverzeichnis EPL 09 Wirtschaft und Energie EPL 30 Bildung und Forschung TOP III, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP IV Abschließende Beratungen ohne Aussprache EPL 11 Arbeit und Soziales EPL17 Familie, Senioren, Frauen und Jugend EPL 10 Ernährung und Landwirtschaft EPL 16 Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807000000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in die Tagesord-
nung müssen wir noch eine Wahl zur Besetzung des Ge-
meinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grund-
gesetzes durchführen und eine neue Schriftführerin
wählen.

Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Nachfolger für den
ausscheidenden Kollegen Michael Hartmann in den Ge-
meinsamen Ausschuss nach Artikel 53 a des Grund-
gesetzes den Kollegen Burkhard Lischka zu berufen.
Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist of-
fensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Lischka ge-
wählt.

Wir müssen auch eine neue Schriftführerin wählen,
bedauerlicherweise. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen schlägt vor, als Nachfolgerin für die Kollegin Irene
Mihalic die Kollegin Tabea Rößner zu wählen. – Auch
dazu kann ich keine größere Bewegung im Plenum fest-
stellen.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freude könnte aufkommen!)


– Na ja, auch die Freude hält sich in Grenzen.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Es wäre ja auch ganz schön, wenn diese Aufgaben über
einen Zeitraum wahrgenommen würden, für die die
Wahlen normalerweise durchgeführt werden. – Jeden-
falls nehmen wir damit diesen Vorschlag offenkundig
zustimmend zur Kenntnis, und damit ist die Kollegin
Tabea Rößner gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren


(Ergänzung zu TOP III)

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Oliver
Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur zweiten Änderung des Ge-
setzes für den Ausbau erneuerbarer Energien
Drucksache 18/3234
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-
Energien-Gesetzes
Drucksache 18/3321
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, wie in solchen Fällen üblich abgewi-
chen werden.

Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der am 7. November 2014 (64. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwie-
sen werden:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Luise Amtsberg, Volker Beck

(Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von
Transparenz und zum Diskriminierungs-
schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweis-
gebern (Whistleblower-Schutzgesetz)

Drucksache 18/3039





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Ich frage Sie, ob Sie sich damit einverstanden erklä-
ren können. – Das ist offenkundig der Fall. Dann haben
wir das hiermit so vereinbart.

Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt I – fort:

a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für

(Haushaltsgesetz 2015)


Drucksachen 18/2000, 18/2002

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018

Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826

Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt I.12 auf:

Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-
gie

Drucksachen 18/2809, 18/2823

Berichterstatter sind die Abgeordneten Thomas Jurk,
Andreas Mattfeldt, Roland Claus und Anja Hajduk.

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir morgen nach
der Schlussabstimmung abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 125 Minuten, also gute zwei Stunden,
vorgesehen. – Auch dazu darf ich Einvernehmen fest-
stellen.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807000100

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine

Damen und Herren! Herr Bundesminister Gabriel, wir
haben intensiv über den Wirtschafts- und Energieetat be-
raten und diskutiert. In der Tat ist in diesem Etat an eini-
gen Stellen einiges besser geworden. Das haben wir
meist sogar einvernehmlich so beschlossen. Im Ganzen
aber, muss ich Ihnen leider sagen, ist dieser Etat eine
Enttäuschung geblieben – mehr Schein als Sein.


(Beifall bei der LINKEN)

Die Hälfte Ihres Etats ist traditionell an Subventionen
gebunden, und für das vielgelobte Zentrale Innovations-
programm Mittelstand, kurz: ZIM, wird gerade einmal
ein Drittel dessen verausgabt, was an solchen Subventio-
nen in Ihren Etat eingestellt ist. Insofern muss man sa-
gen: Der Wirtschafts- und Energiehaushalt macht einiges
möglich, davon auch manches Gute, nur wirkliche Wirt-
schaftspolitik kann man damit nicht machen.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Wenn ein Staat, Herr Bundesminister, nicht in der
Lage ist, mehr als ein einziges Prozent des Gesamthaus-
halts für die Erneuerung seiner Wirtschaft einzusetzen,
ist es um diesen Staat nicht gut bestellt.


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist nicht nur ein Wirtschaftsetat!)


Herr Bundesminister, Sie haben vor zwei Tagen ein
Bündnis mit dem Titel „Zukunft der Industrie“ vorge-
stellt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gute Sache!)


Sie haben in diesem Zusammenhang die Hauptprobleme
der Wirtschaft präzise benannt. Ich will nur ein paar
Stichworte sagen: unbewältigte Energiewende, Fach-
kräftemangel, zu geringe Investitionstätigkeit, schlep-
pende Digitalisierung. Ich füge hinzu: sehr ungleiche
Standortverteilung zwischen Ost und West. Gemessen an
diesen Herausforderungen, die Sie ja selbst beschrieben
haben, ist der Wirtschaftshaushalt leider ein Beitrag zur
Verschärfung des Problems und kein Beitrag zur Lösung
des Problems. Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen
lassen, Herr Minister.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Gründungsaufruf zum Bündnis „Zukunft der In-
dustrie“ ist natürlich wieder einmal ganz gut getextet.
Die Abteilung „Überschriften“ hat geliefert. Die Wirt-
schaft und besonders der Mittelstand, Herr Minister,
brauchen aber keine neuen Losungen, sondern konkrete
Unterstützung.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Propaganda ist das!)


Diesbezüglich herrscht in Ihrem Etat aber leider Fehl-
anzeige.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Ich will ein Wort zum Aufreger dieser Woche sagen,
der Frauenquote in Aufsichtsräten großer Unternehmen.
Da muss ich ja vor allem die Union ansprechen, die sich
sehr gegen diesen Schritt gewehrt hat.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wer? Im Koalitionsausschuss sind wir uns immer einig!)


Ich glaube, bei der Union ist das Problem, dass sie im-
mer erst dann bereit ist, Frauen Verantwortung zu über-
tragen, wenn das Ganze schon voll gegen die Wand ge-





Roland Claus


(A) (C)



(D)(B)

fahren ist. Ich nehme nur einmal das Beispiel der
bayerischen Hypo-Real-Estate-Bank, wo am Ende eine
Frau den Laden sanieren musste. Ich rufe Ihnen zu: Ver-
suchen Sie doch einmal, vor dem Schaden klug zu wer-
den. Dieser Beitrag könnte hier eine Rolle spielen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])


Als Energieminister, Herr Gabriel, haben Sie natür-
lich eine Menge Großbaustellen. Ich will nur die Strom-
trassen vom windreichen Norden in den energiebedürfti-
gen Süden erwähnen, ein Projekt mit Shakespeare’scher
Ambition: Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Me-
thode. – Wir, die Linken, meinen: Besser wäre es gewe-
sen, ein gesamtstaatliches Energiekonzept aufzulegen,
das in erster Linie auf Dezentralität setzt, auf die Stär-
kung von Stadtwerken, auf die Förderung von erneuer-
baren Energien, und zwar dort, wo sie gebraucht werden,
und erst dann die Frage der großen stromintensiven In-
dustrien anzugehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie werden mit der Bundesnetzagentur jetzt natürlich
eine große Verantwortung bei der Lösung dieses Pro-
blems übernehmen.

Herr Bundesminister, Sie haben hier im Bundestag
häufig über die Verhandlungen zum sogenannten Frei-
handelsabkommen mit den USA, TTIP, informiert. Die
deutsche Übersetzung lautet ja: Transatlantische Han-
dels- und Investitionspartnerschaft. Sie haben sich dafür
starkmachen wollen, die sogenannten Schiedsverfahren,
bei denen drei Richter ohne Widerspruchsmöglichkeit
abschließend allein entscheiden können, erheblich zu
verändern. Nun haben Sie dem Bundestag und anderen
mitgeteilt: Diese Schiedsgerichte lassen sich nicht mehr
rausverhandeln. – Da müssen wir Ihnen eines sagen,
Herr Bundesminister: Wenn diese Schiedsgerichte sich
nicht rausverhandeln lassen, dann darf sich Deutschland
nicht in dieses Abkommen reinverhandeln lassen. Das
wäre die Lösung.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]: Können wir nur mit Russland!)


Herr Bundesminister, Sie sind ja jetzt im Kabinett als
Minister auch für Ostdeutschland zuständig. Ich will Sie
daran erinnern – bei der Einbringung des Etats haben Sie
gerade einmal einen Halbsatz zur Lage in Ostdeutsch-
land zustande gebracht –: Der „Jahresbericht der Bun-
desregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014“,
den wir vor kurzem beraten haben, enthält ja eine ganze
Menge an Analysen zur wirtschaftspolitischen Entwick-
lung in Ostdeutschland. Sie haben das präzise beschrie-
ben. Allerdings haben Sie bei den Schlussfolgerungen
überhaupt nicht geliefert. Sie sind, was den Osten an-
geht, so ziemlich ein „Minister folgenlos“.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben natürlich mit dem Problem zu kämpfen,
dass seit zehn Jahren, was die wichtigsten wirtschafts-
politischen Indikatoren angeht, keine Angleichung zwi-
schen Ost und West zu beobachten ist. Wir haben einen
verfestigten Niedriglohnsektor. Der Anteil der Zeitarbei-
ter ist im Osten doppelt so hoch. Wir haben Standort-
nachteile – Stichwort „Arbeitsproduktivität“ – bei gro-
ßen Unternehmen und eine hohe Arbeitslosigkeitsrate.
Das alles ist bekannt.

Für die schwarze Null haben Sie sich hinreichend
selbst abgefeiert. Irgendwann ist aber Ihr schlechtes Ge-
wissen durchgebrochen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wo haben Sie das denn entdeckt?)


Ausdruck dieses schlechten Gewissens ist die Ankündi-
gung des Bundesfinanzministers, für die Zeit ab 2016
ein 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm aufzule-
gen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Grober Unfug!)


Das war in der Tat eine Nacht-und-Nebel-Aktion, für die
es noch nicht einmal eine Deckung gibt; denn bislang ist
nicht klar, aus welchen Mitteln dieses Programm ge-
speist werden soll.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Auch wieder falsch! – Johannes Kahrs [SPD]: Erst habt ihr es gefordert, dann kriegt ihr es, und dann klagt ihr immer noch!)


Nun haben wir den Bundeswirtschaftsminister in den
Beratungen natürlich gefragt, was dieses Programm für
den Wirtschaftsetat bedeutet und wie das im Kabinett
beraten wurde. Dabei stellte sich heraus: Das angekün-
digte 10-Milliarden-Euro-Programm hat im Kabinett
überhaupt keine Rolle gespielt. Das Kabinett war damit
überhaupt noch nicht befasst. – Wenn das nicht Aus-
druck Ihres schlechten Gewissens und Ihrer Konzep-
tionslosigkeit ist, dann frage ich mich, was es dann sein
soll.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beim Kartellamt sind Sie erfreulicherweise auf die
Vorschläge der Opposition eingegangen und haben einer
besseren Ausstattung zugestimmt. „Links wirkt“, kön-
nen wir dazu nur sagen.

Wir sagen Ihnen: Wir brauchen eine zukunftsfähige
Wirtschaftspolitik in diesem Lande.


(Johannes Kahrs [SPD]: Was haben Sie denn damit zu tun?)


Die Linke will eine sozial-ökologische Gerechtigkeits-
wende in der Wirtschaft und in der ganzen Gesellschaft.
Davon sind wir weit entfernt. Da wollen wir aber hin,
und da lassen wir auch nicht locker.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807000200

Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Jurk für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Bravo! Guter Mann!)







(A) (C)



(D)(B)


Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1807000300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Lassen Sie mich an diesem schönen
Morgen mit einem Zitat beginnen, das vielen Urhebern
zugesprochen wird: Prognosen sind schwierig, beson-
ders wenn sie die Zukunft betreffen. – Damit will ich
kurz auf das jüngste Jahresgutachten des Sachverständi-
genrates eingehen.

Unzweifelhaft ist die wirtschaftliche Dynamik nicht
so hoch wie noch im Frühjahr erwartet. Ursachen hierfür
sind auch nach Ansicht des Sachverständigenrates in ers-
ter Linie die geopolitischen Risiken sowie die ungüns-
tige Entwicklung im Euro-Raum und nicht die von den
Arbeitgeberverbänden kritisierte Einführung des Min-
destlohns. Insgesamt sind die wirtschaftlichen Rahmen-
bedingungen günstig und das Wachstum robust. Die
konjunkturellen Frühindikatoren zeigen aufwärts und
der Arbeitskräftebedarf steigt. Wir haben einen stabilen
Arbeitsmarkt mit 43 Millionen Erwerbstätigen. Davon
sind 30,3 Millionen sozialversicherungspflichtig be-
schäftigt. Wir haben also allen Grund, optimistisch in die
Zukunft zu schauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das tun übrigens auch die deutschen Unternehmen, wie
der Anstieg des ifo-Geschäftsklimaindexes beweist.

Optimistisch können wir auch sein, weil der Bund mit
dem Haushalt 2015 nicht nur keine neuen Schulden
macht, sondern der Etat des Bundeswirtschaftsministe-
riums auch kräftige Impulse für Investitionen und Inno-
vationen vorsieht. Die Mittel für das wichtige und er-
folgreiche Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand
werden um 30 Millionen Euro auf nunmehr 543,5 Mil-
lionen Euro und die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ um
17 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro angehoben.
Lieber Herr Kollege Claus, auch wenn ich Sie als Kol-
lege im Haushaltsausschuss sehr schätze, muss ich doch
sagen, dass die Untergangsstimmung, die die Linke seit
wenigen Tagen hier verbreitet, völlig unangebracht ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Roland Claus [DIE LINKE]: Aufbruch, nicht Untergang! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Gut, dass ihr nichts zu sagen habt!)


– Andreas, du bist doch gleich dran. – Und wenn Sie
dann noch behaupten, die Linke „würgt“, dann muss ich
sagen: Ich möchte sie nicht an meinem Hals spüren.

Im parlamentarischen Verfahren haben wir mehr als
50 Änderungen vorgenommen und dabei insbesondere
die Innovationsförderung gestärkt, was mir sehr wichtig
ist; denn wie schon der amerikanische Informatiker Alan
Curtis Kay sagte, besteht die beste Art, die Zukunft vo-
rauszusagen, darin, sie zu erfinden. Besonders hervorhe-
ben möchte ich, dass wir im kommenden Jahr für die
Forschungsinfrastruktur 4,5 Millionen Euro mehr ausge-
ben wollen, als ursprünglich im Entwurf vorgesehen
war. Damit können die Förderung der Industriellen Ge-
meinschaftsforschung und die Forschungsförderung in
Ostdeutschland – Stichwort INNO-KOM-Ost – auf dem
bisherigen Niveau fortgeführt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daneben haben wir die Mittel für die Informations-
und Kommunikationstechnologien um 3,8 Millionen
Euro erhöht. Denn die Digitalisierung der Wirtschaft ist
eine der zentralen wirtschaftspolitischen Herausforde-
rungen für Deutschland. Von der Mittelerhöhung profi-
tieren gerade auch kleine und mittlere Unternehmen der
gewerblichen Wirtschaft einschließlich des Handwerks.
Sie sollen künftig Gutscheine für externe Beratungsleis-
tungen in den Bereichen IT-Sicherheit, Internetmarke-
ting und digitale Geschäftsprozesse in Anspruch nehmen
können. Außerdem wurden im Personalhaushalt des
Ministeriums die Grundlagen für die Errichtung eines
neuen Referates „Digitale Agenda“ geschaffen.

Darüber hinaus stellen wir – auch das ist mir sehr
wichtig – 5 Millionen Euro für ein Innovationspro-
gramm zur Verfügung, mit dem der notwendige Struk-
turwandel der Verteidigungswirtschaft unterstützt wird.
Damit sollen Innovationsvorhaben für zivile Technolo-
gien, Produkte oder technische Dienstleistungen geför-
dert werden. Im Energiebereich stocken wir mit zusätzli-
chen Mitteln den Forschungsetat zu Energieeffizienz
und erneuerbaren Energien um insgesamt 322 Millio-
nen Euro bis 2017 auf. Das sind in diesem Jahr zunächst
10 Millionen Euro, 2016 sind es 96 Millionen Euro, und
diese Mittel wachsen bis auf 216 Millionen Euro im
Jahre 2017.

Neben der Förderung aus den Einzelplänen, allen vo-
ran dem Einzelplan für Wirtschaft und Energie, fördern
wir Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende über
ein anderes Instrument: über den hier altbekannten Ener-
gie- und Klimafonds. Hier haben wir einiges getan; denn
wir stellen den Energie- und Klimafonds auf verlässliche
Beine.

Wie machen wir das? Zum einen sind die prognosti-
zierten Einnahmen aus dem europäischen Emissionszer-
tifikatehandel mittlerweile realistisch veranschlagt; das
heißt, es wird für 2015 von einem Jahresdurchschnitts-
preis von 6,27 Euro pro Tonne CO2 ausgegangen. Zum
anderen wird der 2014 erstmals gezahlte Bundeszu-
schuss an den Energie- und Klimafonds verstetigt. In
2015 sind dies maximal 781 Millionen Euro. Der Zu-
schuss wächst bis 2018 auf 836 Millionen Euro auf. Das
stärkt die Einnahmenseite. Beide Maßnahmen führen
dazu, dass die Gesamtfinanzierung des Energie- und Kli-
mafonds gesichert wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Schon in meinen vorangegangenen Reden bin ich auf
die Energieeffizienz eingegangen. Anfang Dezember
dieses Jahres möchte das Kabinett unter anderem einen
Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz verabschie-
den. Wir werden dann hier im Bundestag darüber disku-
tieren. Wichtig ist für mich, dass durch öffentliche
Förderung und ordnungspolitische Vorgaben Effizienz-
maßnahmen vorangetrieben werden. Ziel muss es sein,
die Wirtschaftlichkeit von Energieeffizienz- und Ener-





Thomas Jurk


(A) (C)



(D)(B)

giesparmaßnahmen zu erhöhen und bestehende Hürden
abzubauen.

Neben Fördern und Fordern sind aber auch Informa-
tion und Beratung, wie Energie gespart oder effizient
eingesetzt werden kann, notwendig. Hier sehe ich übri-
gens noch weiteren Handlungsbedarf. Bestehende Bera-
tungsprogramme müssen treffgenauer und miteinander
verknüpft sein. Wir verfügen bereits über gute Förder-
instrumente wie das CO2-Gebäudesanierungsprogramm
und den Energieeffizienzfonds im Energie- und Klima-
fonds oder das Marktanreizprogramm im Einzelplan des
Ministeriums. Weitere Instrumente sind erforderlich,
während die bestehenden Instrumente ihre Wirksamkeit
nachweisen müssen. Gerade bei der Weiterentwicklung
der bestehenden Programme sehen wir erwartungsvoll
der Evaluierung durch das Bundeswirtschaftsministe-
rium entgegen.

Zum Schluss noch ein kurzer Ausblick. Wir werden
in den Jahren 2016 bis 2018 insgesamt 10 Milliar-
den Euro für zusätzliche Investitionen mobilisieren. Für
den Einzelplan des Bundeswirtschaftsministeriums hat
dies zur Folge, dass wir uns ab dem Jahre 2016 nicht
mehr mit der Finanzierung des Betreuungsgeldes herum-
plagen müssen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Diese Ausgaben werden dann aus dem Gesamthaushalt
finanziert, und die freiwerdenden Mittel können so di-
rekt für weitere Investitionen genutzt werden.

Natürlich ist für unsere Wirtschaft nicht nur der sinn-
volle Einsatz von Sachkapital wichtig, sondern ebenso
die Einführung innovativer, neuer Produkte und Verfah-
ren. Nur so können wir unseren Industrie- und Produk-
tionsstandort langfristig sichern. Damit erschließen wir
weitere Potenziale für neue Arbeitsplätze im Bereich der
industriebezogenen und wissensbasierten Dienstleistun-
gen.


(Beifall des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/ CSU])


Die Erfahrung lehrt, dass grundlegende Innovationen
häufig nur deshalb realisiert werden können, weil sie
eine gezielte staatliche Förderung erhalten. Eine zentrale
Aufgabe von Wirtschaftspolitik muss es bleiben, die
Leistungsfähigkeit des deutschen Forschungs- und Inno-
vationssystems auch künftig sicherzustellen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dieser Aufgabe werde ich mich auch bei den nächsten
Haushaltsberatungen mit großer Freude stellen. Ange-
sichts des positiven Beratungsklimas mit meinen Mitbe-
richterstattern und den Mitarbeitern des Ministeriums
bin ich optimistisch, dass wir dazu einen konstruktiven
Beitrag leisten werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807000400

Das Wort erhält nun die Kollegin Anja Hajduk, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807000500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Minister Gabriel, in diesen Tagen wird viel
über Investitionen gesprochen. Die Kritik an Deutsch-
land wegen mangelnder Investitionstätigkeit ist allent-
halben sehr groß. Ich teile diese Kritik ausdrücklich,
wenngleich ich im Rahmen der Haushaltswoche hier
auch erwähnen möchte, dass ich es für ein Missverständ-
nis hielte, für höhere und intensivere Investitionen
Schulden machen zu müssen. Das müssen wir nicht, aber
wir müssen mehr investieren; ich glaube, das ist sehr
klar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund ist es natürlich beachtlich,
dass Sie, Herr Gabriel, Zweierlei getan haben: Sie haben
in diesem Sommer eine Expertenkommission eingesetzt,
die darüber beraten soll, wie wir Investitionen steigern
können – soweit ich unterrichtet bin, geht es sowohl um
die private als auch um die öffentliche Investitionstätig-
keit –, und Sie haben einen Reformplan für Deutschland
und Frankreich in Auftrag gegeben. Ich glaube, in dieser
Angelegenheit werden Sie die Öffentlichkeit heute noch
in Paris informieren – und vielleicht ja auch uns schon
hier im Parlament.

Jetzt frage ich Sie: Wie passt das eigentlich damit zu-
sammen, dass Sie in diesem Haushalt 2015 in der
Summe keine zusätzlichen Investitionen tätigen? Das ist
doch einfach nicht zu verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ab 2016 gibt es – das ist relativ kurzfristig vom Fi-
nanzminister schnell noch entschieden worden – ein zu-
sätzliches Investitionsprogramm im Umfang von
10 Milliarden Euro. Ich habe es schon gestern hier in
diesem Haus gesagt, und ich wiederhole es noch einmal:
Laut den Zahlen vom Bundesfinanzministerium selbst
bedeutet das gemäß dem Finanzplan weiterhin eine He-
rabsetzung der Investitionsquote von 10,1 Prozent auf
9,3 Prozent im Jahr 2018. Das kann also definitiv nicht
die Lösung sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bitte Sie, sich in der Großen Koalition nicht hinter
einer neuen, anderen statistischen Aussage zu verste-
cken. Damit spreche ich noch einmal den Kollegen
Kauder an. Selbst wenn wir die Investitionen etwas an-
ders berechnen, nämlich über die volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung, bedeutet das allenfalls eine Stabilisie-
rung der Investitionsquote.

Warum ich diesen Punkt hier heute noch einmal so
eingehend anspreche: Das passt auch schlicht nicht zu
dem Ergebnis, das Herr Gabriel heute, wenn ich nicht
ganz falsch unterrichtet bin, entgegennehmen muss. Der
von ihm selbst in Auftrag gegebene Reformplan enthält
nämlich die Aussage, Deutschland müsse seine Investi-
tionen in die Infrastruktur bis zum Jahr 2018 auf 20 Mil-
liarden Euro steigern. Man sieht also im Ergebnis: Ihre
eigene finanzpolitische Strategie ist nicht ausreichend.





Anja Hajduk


(A) (C)



(D)(B)

Man kann nach einem Jahr Regieren auch sagen: Sie ist
schlicht falsch und geht nicht auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zu einem zweiten Punkt, zur Energieeffi-
zienz. Es gibt hier europäische Vorgaben. Obwohl wir
häufig nachgefragt haben, gibt es bis zur heutigen Haus-
haltsdebatte keine belastbaren Aussagen der Regierung
dazu, wie wir die EU-Energieeffizienzrichtlinie umset-
zen und materiell untermauern wollen. Ich weiß, dass
Sie uns in Aussicht stellen, diese Frage möglicherweise
ab nächster Woche zu beantworten. Mit Blick auf den
Haushalt 2015 – das ist der zweite Haushalt in dieser Le-
gislaturperiode – stelle ich heute fest: Es geschieht
nichts! Das, was Sie uns hier heute vorlegen, Herr
Gabriel, ist in Bezug auf die Energiewende und auch kli-
mapolitisch wirklich ein ganz schwaches Zeugnis – man
könnte auch sagen: ein Armutszeugnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dabei könnte man die beiden von mir angesproche-
nen Punkte relativ einfach zusammenführen; denn um
die Energieeffizienz zu fördern, muss man ein wirksa-
mes Investitionsprogramm auflegen. Damit können wir
– wie sagt man im Volksmund so schön? – zwei Fliegen
mit einer Klappe schlagen. Wir können die Energieeffi-
zienz steigern, und wir können die Wertschöpfung stei-
gern. Wenn wir es schlau machen, können wir damit so-
ziale Ziele verbinden, indem wir das Wohnen in schlecht
sanierten Gebäuden günstiger machen. Ich frage mich:
Wie lange wollen Sie noch warten, um diese Vorhaben
entschlossen anzupacken?

Wir Grünen haben Ihnen dazu einen Vorschlag ge-
macht: Wir wollen die jährliche Sanierungsquote auf
3 Prozent anheben. Wir wollen das KfW-Gebäudesanie-
rungsprogramm aufstocken. Wir wollen einen Energie-
sparfonds mit einem Gesamtvolumen von 3 Milliarden
Euro auflegen. All diese Maßnahmen ließen sich im
Rahmen des 10-Milliarden-Euro-Programms von Herrn
Schäuble finanzieren. Also: Strengen Sie sich an! Geben
Sie sich einen Ruck, und setzen Sie das endlich um.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein kleiner Hinweis, weil nach mir Herr Mattfeldt als
Vertreter der Koalition sprechen wird: Sie haben in der
Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses 146 Mil-
lionen Euro für das KfW-Gebäudesanierungsprogramm
bereitgestellt. Da hatten wir kurz geglaubt, Sie wollten
jetzt wirklich etwas anpacken. Mittlerweile haben wir
festgestellt: Das ist nichts anderes als die Umsetzung al-
ter Förderzusagen. Dahinter steckt keine Zusage neuer
Mittel. Auch da ist wirklich totale Fehlanzeige!

Zum Schluss meiner Rede möchte ich Ihnen, Herr
Gabriel, eine Frage stellen; ich weiß, dass Sie hier und
heute noch Stellung nehmen. Wir haben uns in der ersten
Lesung mit der CETA-Problematik und dem Investi-
tionsschutz sehr genau auseinandergesetzt. Sie selber ha-
ben sehr präzise – das hat mich gefreut – dahin gehend
Stellung bezogen, dass es nach Ihrer persönlichen Mei-
nung bei einem Investitionsschutzabkommen nicht da-
rum gehen darf, Gesetze oder die Willensbildung in ei-
nem demokratisch gewählten Parlament auszuhebeln,
auch nicht auf indirekte Weise, also kein indirekter
Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt werden darf. Das
sind Ihre Worte.

Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund fragen: Kön-
nen Sie uns zusagen – das war Ihr damaliges Ziel –, dass
Sie sowohl bei CETA als auch bei TTIP mit Blick auf
die Investitionsschutzabkommen, verbunden mit dem
großen Risiko eines hohen Entschädigungsanspruches
– damit würde indirekt Druck auf die Gebietskörper-
schaften ausgeübt –, Fortschritte erzielt haben und wei-
tergekommen sind, damit diese Regelung aus den Frei-
handelsabkommen verschwindet, sowohl aus dem mit
Kanada als auch aus dem mit den USA? Ich bitte Sie um
eine Stellungnahme dazu, ob Sie das einhalten, was Ih-
ren eigenen Zielsetzungen und Ihren eigenen Maßstäben
entspricht.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807000600

Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1807000700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Dass Wirtschaft zu 50 Prozent
Psychologie ist, haben wir alle von Bundeskanzler
Ludwig Erhard gelernt. Dass man aber eine Rezession
auch herbeireden kann – jetzt schaue ich zu den Linken –,


(Zuruf des Abg. Roland Claus [DIE LINKE])


lernen wir in diesen Tagen, lieber Roland Claus, ganz
deutlich von Ihnen. Deshalb bin ich froh, dass Sie zwar
vielleicht in Thüringen etwas zu sagen haben werden
– zum Leidwesen der Thüringer –, dass Sie aber auf
Bundesebene davon hoffentlich noch weit entfernt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist ein Trauma für Sie, das ist klar!)


Als Kaufmann halte ich mich, was die wirtschaftliche
Lage anbelangt, lieber an Zahlen und Fakten. Die Fakten
sprechen eine ganz deutliche Sprache: Der deutsche Ar-
beitsmarkt zeigt sich weiterhin sehr stabil. Zum Glück
sind für uns in Deutschland eine niedrige Arbeitslosen-
quote und die hohe Zahl der Erwerbstätigen mittlerweile
fast schon zur Normalität geworden.

Ich sage: Es ist doch schön, dass wir uns längst an
diese Zahlen gewöhnt haben und dass die Verkündung
von neuen Arbeitsmarktzahlen am Ende eines jeden Mo-
nats heute nicht mehr die Begeisterungsstürme auslöst,
die es anfangs gab, als die Zahl der Erwerbstätigen stieg
oder – so darf ich sagen – sich die Situation in Deutsch-
land besserte. Deshalb sage ich: Ein Blick in die jüngere
Vergangenheit kann uns nicht schaden.





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Erinnern wir uns einfach an die desaströsen Arbeits-
marktzahlen, die 2005 zu verzeichnen waren, als die
erste Große Koalition unter Angela Merkels Führung
ihre Arbeit aufgenommen hat. Seinerzeit hatten wir eine
Arbeitslosenquote von 11,7 Prozent, 5,3 Millionen Ar-
beitslose, und die Zahl der Erwerbstätigen lag bei ledig-
lich 38,9 Millionen Beschäftigten. Heute haben wir mit
einer Arbeitslosenquote von 6,3 Prozent und 2,7 Millio-
nen Arbeitslosen die Zahlen gegenüber 2005 fast hal-
biert und, was das Schönste ist, wir haben mit 43 Millio-
nen Erwerbstätigen einen Rekordstand erreicht, der
zeigt, wie wirtschaftlich stark diese Bundesrepublik
Deutschland ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Man merkt, Schröders Reformen wirken!)


– Auch Schröders Reformen wirken, keine Frage. Des-
halb hat die Unionsfraktion ihnen klugerweise zuge-
stimmt. Ich würde mich freuen – diesen Wink darf ich
dem geschätzten Koalitionspartner geben –, wenn Sie
selbstbewusst zu diesen Reformen stehen würden, statt
sich peu à peu davon zu verabschieden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Tun wir doch, Andreas!)


Selbst die in diesen Tagen eher kritischen Mitglieder
des Sachverständigenrates prognostizieren einen weite-
ren Anstieg der Erwerbstätigenzahlen. Ich darf deshalb
sagen, dass diese Regierung weiterhin auf einem richti-
gen Weg ist.

Seit Mitte der 70er-Jahre in Westdeutschland und na-
türlich nach dem schwierigen Umbruch nach der deut-
schen Wiedervereinigung in Ostdeutschland ist die Be-
wältigung der Arbeitslosigkeit für jede Regierung in
Deutschland die größte Herausforderung gewesen. Es
gab unterschiedlichste Lösungsansätze, von denen ei-
nige auch wir entwickelt haben. Viele davon waren nicht
sonderlich erfolgreich.

Erst seit 2005 haben sich die Zahlen enorm verbes-
sert. Es ist eben nicht selbstverständlich – auch und ge-
rade mit Blick auf das europäische Ausland –, dass sich
die Zahlen heute so präsentieren, wie wir sie wahrneh-
men. Das war ein gemeinsamer Kraftakt von Arbeitneh-
mern, Arbeitgebern und der Politik. Diesen Erfolg haben
wir in Deutschland gemeinsam, alle Bevölkerungsgrup-
pen, erreicht.

In der Finanz- und Wirtschaftskrise haben ganz be-
sonders die Arbeitnehmer die Zähne zusammengebissen.
Sie haben auf Lohnsteigerungen verzichtet und Kurzar-
beit hingenommen. So ist es gelungen, begleitet von klu-
gen politischen Rahmenbedingungen, dass Deutschland
gestärkt aus der Krise hervorgegangen ist. Nur deshalb
stehen wir heute so gut da, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schön ist es doch, dass die Menschen in Deutschland
mit anständigen Lohnzuwächsen am wirtschaftlichen
Aufschwung partizipieren. Gute Lohnabschlüsse und
eine niedrige Inflationsrate ermöglichen Reallohnzu-
wächse, die wir lange nicht hatten. Die Menschen haben
heute wieder mehr Geld im Portemonnaie. Das zeichnet
diese soziale Marktwirtschaft aus


(Johannes Kahrs [SPD]: Sozialdemokratische Marktwirtschaft!)


und zeigt mir, dass diese soziale Marktwirtschaft in
Deutschland immer noch funktioniert.

Den absoluten Miesmachern aufseiten der Linken
hilft vielleicht der realistische Blick vom Ausland auf
Deutschland. Deutschlands wirtschaftliche Stärke wird
anerkannt, gerade auch, weil sich die konjunkturelle
Lage sowohl in der Welt als auch im Euro-Raum nach
wie vor schwierig darstellt. Ich darf in diesem Zusam-
menhang darauf hinweisen – mein Vater ist ja Fran-
zose –: Die Wirtschaftsdaten von reformbereiten Län-
dern sind erheblich optimistischer als jene in den
Ländern, die kaum Mut für Veränderungen zeigen.

Das Gutachten des Sachverständigenrates für 2015
– es ist bereits angesprochen worden – geht von einem
Wachstum von „nur“ 1 Prozent aus, wie die Gutachter
schreiben. Ich sage: Auch 1 Prozent ist doch Wachstum,
und zwar auf einem sehr hohen Niveau. Wie anfangs er-
wähnt, kann man eine Rezession auch herbeireden. Da-
vor möchte ich aber ausdrücklich warnen und unter-
stütze deshalb die Annahmen der Bundesregierung, die
von einem höheren Wachstum für 2015, nämlich von
1,3 Prozent, ausgeht.

Dass dieser Aufschwung durch die Binnenkonjunktur
getragen wird, merken wir auch. Der private Konsum ist
die wichtigste Stütze der Binnenwirtschaft, und die
Menschen haben jetzt mehr Geld im Portemonnaie. Das
Schöne ist: Sie geben dieses Geld auch aus.

Meine Damen und Herren, Sorge bereitet mir wie si-
cherlich auch dem gesamten Haus die Situation in Russ-
land und der Ukraine. Auch hierbei möchte ich mich an
Fakten orientieren. Die Fakten lassen nichts anderes zu
als die Unterstützung der Position unserer Bundeskanz-
lerin, die bei ihrer Rede in Sydney darauf hingewiesen
hat, dass die Ukraine-Krise zu einem Flächenbrand wer-
den könnte.

Putins Handeln oder – vielleicht muss man das eher
sagen – Putins Nichthandeln stellt uns in Europa in der
Tat vor nicht einfache Entscheidungen, die auch wirt-
schaftliche Auswirkungen haben. Es darf aber nicht sein,
dass wir nach so vielen positiven Erfahrungen zwischen
Russland und Deutschland wieder in eine Konfrontation
zwischen den USA und Europa auf der einen Seite und
Russland auf der anderen Seite hineinlaufen. Ein solches
Blockdenken habe ich weiß Gott lange genug erleben
müssen. Lassen Sie uns auch nicht vergessen, dass neben
allen wirtschaftlichen Beziehungen auch zwischen-
menschliche Beziehungen zwischen Russland und der
EU gewachsen sind, die von großem Vertrauen geprägt
sind, aber in diesen Tagen, übrigens auch in ganz vielen
Familien, auf eine harte Probe gestellt werden. Deshalb
mein Appell – vor allem an Russland –: Lassen Sie uns,
auch im Interesse des russischen Volkes, doch nicht das
zerstören, was wir seit 25 Jahren aufgebaut haben!





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Da kommen wir wieder zur Wirtschaft. Sie sprechen
nun heute, Herr Minister Gabriel, das zweite Mal in
dieser Funktion über Ihren Etat. Hinter uns liegen sehr
anstrengende, aber auch konstruktive Beratungen. Ich
möchte deshalb Dank sagen, Ihnen, Ihrem Haus, Ihren
Staatssekretären auf der Regierungsbank, aber natürlich
auch Dank sagen für die gute Zusammenarbeit zwischen
uns Berichterstattern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Nach den parlamentarischen Beratungen hat der Etat
des Wirtschaftsministeriums ein Gesamtvolumen von
7,3 Milliarden Euro. Das ist ein leichter Aufwuchs im
Vergleich zum Regierungsentwurf, um circa 183 Millio-
nen Euro, der sich natürlich aus der Notwendigkeit der
Anpassung der Mittel für das Gebäudesanierungspro-
gramm ergibt. Gerade dieses Programm sorgt dafür, dass
das Geld auch wirklich dorthin gelangt, wo es nach mei-
nem Dafürhalten hin soll, nämlich zu den Hausbesitzern,
die ihr Heim energetisch sanieren wollen und so einen
effizienten Beitrag zur Energieeinsparung leisten. Als
Nebeneffekt – das müssen wir auch sagen – ist dies na-
türlich auch ein gutes Konjunkturprogramm für unsere
Handwerker.

Die Energiewende ist das herausragende Projekt die-
ser Legislatur. Genau deshalb liegt ein Schwerpunkt des
2015er-Haushalts in diesem Bereich.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Aber nicht in diesem Haushalt!)


Auf Ressortebene ist das Ziel „Energiepolitik aus einer
Hand“ bereits erreicht worden: Sämtliche Energiefragen
sind im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
gebündelt worden. Jetzt müssen wir dafür sorgen, Herr
Minister Gabriel, dass dies auch auf den darunterliegen-
den Ebenen fortgesetzt wird.

Meine Damen und Herren, die Wirtschaftspolitik die-
ser Koalition ist zum großen Teil Mittelstandspolitik.
Deshalb setzen wir unsere finanzielle Förderunterstüt-
zung vor allem für den Mittelstand fort. Der Mittelstand
ist und bleibt das Rückgrat unserer Wirtschaft. Dass dies
so bleibt, das war mir und meinem Koalitionsmitbericht-
erstatter Thomas Jurk ein sehr wichtiges Anliegen. Wir
beide waren nicht damit einverstanden – das ist, glaube
ich, ein offenes Geheimnis –, dass im Haushaltsentwurf
einige Ansätze im Bereich der Mittelstandsförderung ge-
kürzt wurden. Deshalb haben wir rund 8 Millionen Euro
für diese Zwecke wieder in die Förderinstrumentarien
für den Mittelstand hereingeholt, und 1 Million Euro ha-
ben wir zusätzlich für Investitionen in Fortbildungsein-
richtungen, vor allem denjenigen für das Handwerk, zur
Verfügung gestellt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ein Thema, das vielleicht ab und an zu kurz kommt:
Auch die Deutsche Zentrale für Tourismus erhält für
2015 mehr Mittel. Wir haben den Ansatz hierfür auf ins-
gesamt 30 Millionen Euro angehoben, um im Ausland
für unsere schöne Heimat, für den Tourismus bei uns in
Deutschland zu werben. Das hatte ich bereits bei meiner
Rede zur Einbringung des Haushaltes angekündigt; das
haben wir jetzt umgesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen aber nicht nur im Bereich Tourismus mehr
machen und die mittelständische Wirtschaft dort mit
mehr Geldern unterstützen, sondern auch im Bereich der
Digitalisierung. Hier haben wir in den Haushaltsberatun-
gen knapp 4 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung
gestellt, so zum Beispiel zur Unterstützung vor allem
kleiner und mittelständischer Betriebe. Diese erhalten
zum Beispiel mit dem Modellvorhaben „go-digital“ Gut-
scheine für externe Beratungsdienstleistungen im Be-
reich IT-Sicherheit, Internetmarketing und digitale Ge-
schäftsprozesse – Themen, die in kleinen und
mittelständischen Betrieben häufig unterschätzt werden.
So unterstützt der Bund auch bei diesen wichtigen The-
men gerade kleine und mittelständische Unternehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Jetzt darf ich noch etwas sagen: Wir haben zu Beginn
dieser Legislaturperiode viel Soziales gemacht, wir ha-
ben den einen oder anderen sehr ausgabefreudigen Ent-
schluss gefasst. Jetzt müssen wir auch Haushaltskonsoli-
dierung und die Wirtschaft wieder in den Fokus unseres
Handelns rücken. Ich selbst komme aus der Wirtschaft
und weiß, welche Belastungen diese Beschlüsse für die
Wirtschaft mit sich bringen – sie bringen aber auch Gu-
tes für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes; des-
halb waren sie zu einem großen Teil richtig. Wir dürfen
aber – diese Bemerkung sei mir gestattet – genauso die
Leistungsfähigkeit der Unternehmen nicht überfordern;
denn es sind die Unternehmen, die den Menschen Arbeit
geben, ihren Lohn zahlen und vor allen Dingen Steuern
entrichten. Wir geben dann diese Steuereinnahmen hof-
fentlich klug und geschickt aus. Deshalb: Jetzt ist es an
der Zeit, auch an die Wirtschaft zu denken. Lassen Sie
uns also alle gemeinsam die noch vor uns liegenden He-
rausforderungen zum Beispiel im Bereich der Infrastruk-
tur anpacken und die dort bestehenden Probleme lösen.

Nun werden einige Kollegen sagen: Du hast gar
nichts über Fracking gesagt. – Das ist richtig.


(Heiterkeit bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807000800

Und jetzt ist es auch zu spät.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Zug ist abgefahren! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber immer an die Wirtschaft denken, Herr Kollege!)



Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1807000900

Dazu werde ich jetzt auch nichts sagen. Darüber wer-

den wir auf kluge Weise in einer der anstehenden Sitzun-
gen beraten.





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Ich darf heute dafür werben, diesem Haushalt des
Bundeswirtschaftsministeriums die Zustimmung zu ge-
ben.

Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807001000

Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1807001100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Es ist häufig die Logik von Haushaltsdebatten, ge-
rade wenn es um die Wirtschaft geht, dass man ein biss-
chen in der einen oder anderen Richtung in Extreme
verfällt. Was will ich damit sagen? Ich glaube, dass wir
uns in der Wirtschaftspolitik weder regierungsamtliche
Schönfärberei noch oppositionsmäßige Schwarzmalerei
leisten dürfen. Wir brauchen einen realistischen Blick
darauf, was wirtschaftspolitisch vor uns liegt. Wenn man
es nicht glaubt, dann sollte man vielleicht das Buch von
Marcel Fratzscher, dem DIW-Chef, lesen, der über unser
Land, wie ich finde, in bemerkenswerter Weise deutlich
macht, dass wir wirklich das sind, was wir alle miteinan-
der feststellen, nämlich die Wachstumslokomotive in
Europa, ein starker volkswirtschaftlicher Wachstumskern
in Europa, der über vernünftige Wertschöpfungsketten
verfügt. Wenn man sich daran erinnert, wie es früher, vor
etwa zehn Jahren, war, als über Deutschland als den
kranken Mann Europas gesprochen wurde, muss man sa-
gen: Dass sich das verändert hat, liegt daran, dass Vor-
gängerregierungen den Mut zu Reformen hatten, den
andere nun offensichtlich unter schwierigeren Bedin-
gungen erst aufbringen müssen. Herr Mattfeldt, ich sage
das mit Hinweis auch auf Frankreich. Wenn Jacques
Chirac und Sarkozy den gleichen Mut zu Reformen ge-
habt hätten wie beispielsweise die rot-grüne Bundesre-
gierung, würden wir nicht vor solchen Problemen ste-
hen, wie wir sie heute haben.


(Johannes Kahrs [SPD]: So ist es!)


Wir können Präsident Hollande nur den Mut und die Un-
terstützung wünschen, um zu Strukturreformen in sei-
nem Land zu kommen.


(Beifall bei der SPD – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: In Frankreich ist „Sozialdemokrat“ ein Schimpfwort bei Sozialisten!)


– Sehen Sie das doch nicht einseitig durch die parteipoli-
tische Brille, sondern versuchen Sie einfach, festzustel-
len: Ja, wir sind ein starkes Land.

Herr Fratzscher hat aber in seinem Buch auch deut-
lich gemacht, dass es keinen Grund gibt, sich selbstzu-
frieden zurückzulehnen. Oder wie der Volksmund sagt:
Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie am fal-
schen Körperteil. Tatsache ist: Bei aller Freude über die
Stärke unseres Landes haben wir auch ein paar wunde
Punkte, die es zu bearbeiten gilt. Ein wunder Punkt ist
die Investitionsquote in diesem Land, und zwar sowohl
die private als auch die öffentliche. Deshalb bin ich froh,
dass wir nicht nur mit dem Etat des Bundeswirtschafts-
ministeriums, sondern mit dem gesamten Bundeshaus-
halt dafür sorgen, dass die öffentlichen Investitionen
gestärkt werden, und zwar sowohl im Bereich der Mit-
telstandsförderung und im Bereich der Verkehrsinfra-
struktur als auch bei Bildung und Forschung. Nicht nur,
dass wir Schritt für Schritt den Haushalt konsolidieren,
wir investieren auch mehr in Zukunft. Hier sind wir auf
einem guten Weg.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird jetzt schöngeredet! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das keine Schönrederei ist, dann weiß ich nicht, was Schönrederei ist!)


Das reicht aber nicht. Deshalb ist es richtig und ver-
nünftig, dass wir gerade in der momentanen Phase
– Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat das angemahnt;
Bundesfinanzminister Schäuble hat sich nun auf den
Weg gemacht – zusätzliche Mittel, die sich aus den vor-
handenen Spielräumen ergeben, für öffentliche Investi-
tionen nutzen. Wir werden zwar über die Verteilung der
Mittel noch im Einzelnen zu diskutieren haben. Aber aus
wirtschaftspolitischer Sicht ist es wichtig, dass wir die
Mittel nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern sie tat-
sächlich für investive Maßnahmen einsetzen, beispiels-
weise für die energetische Gebäudesanierung, die Stär-
kung der Kommunen


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Umgehungsstraßen in Bayern!)


sowie für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur
und der Breitbandinfrastruktur in diesem Land. Da gehö-
ren die Mittel hin. Sie dürfen nicht mit der Gießkanne
verteilt werden.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir über Investitionsquoten reden, dann dürfen
wir nicht nur über die öffentlichen, sondern müssen auch
über die privatwirtschaftlichen Investitionen reden und
darüber, wie die Rahmenbedingungen der Wirtschaft für
Investitionen in Deutschland sind. Ja, wir haben Stand-
ortstärken, zum Beispiel die berufliche Erstausbildung in
diesem Land, eine im internationalen Vergleich noch im-
mer gute Infrastruktur, eine Forschungslandschaft, die
sich sehen lassen kann, und sozialen Frieden, der für In-
vestitionssicherheit in diesem Land sorgt. Wir sind ein
starkes Land.

Aber wir haben auch ein paar Schwachstellen. Die zu
bearbeiten, ist Aufgabe aktiver Wirtschaftspolitik. Des-
halb bin ich froh, dass Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel im Gegensatz zu manchem Vorgänger
Wirtschaftspolitik nicht nach dem Motto „Wir schauen
der Wirtschaft beim Wachsen zu“ oder – noch schlimmer –
„Wir schauen ihr beim Schrumpfen zu“ betreibt, sondern
dass er auf aktive Gestaltung der Rahmenbedingungen
setzt,


(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

beispielsweise indem er die Energiewende wieder vom
Kopf auf die Füße stellt. Das ist die wichtigste wirt-
schaftspolitische Aufgabe. Wir haben Aufräumarbeiten
zu leisten, damit die Energiewende funktioniert.


(Beifall bei der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie doch einfach einmal ein Beispiel! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Beispiel!)


– Das kann ich gerne geben, Herr Kollege Krischer. Sie
haben ja auch noch die Gelegenheit.

Wir haben binnen eines Jahres dafür gesorgt, dass mit
der EEG-Reform nicht nur Planbarkeit in den Ausbau
der erneuerbaren Energien kommt,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sie ausgebremst: Die Photovoltaik ist vorbei in Deutschland!)


sondern eben auch mehr Kosteneffizienz, damit wir
nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip das Geld ver-
schleudern. Hinzu kommt die Akzeptanz der Energie-
wende.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Abteilung Schrumpf!)


– Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie verstehen von vie-
lem etwas, aber von Wirtschaftspolitik wirklich nichts,
wenn Sie hier so etwas sagen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: So viel zum Thema Frauenquote!)


– Hören Sie doch einfach einen Moment zu. Sie haben
nachher noch die Gelegenheit.

Wir haben tatsächlich dafür gesorgt, dass die EEG-
Reform vorangekommen ist, und – was wichtig ist, da-
mit wir auch energieintensive Betriebe in Deutschland
halten können – wir haben binnen eines Jahres den Kon-
flikt mit der EU-Kommission beigelegt, damit die
Grundstoffindustrien in Deutschland bleiben. Ich weiß
nicht, was in dieser Frage passiert wäre, wenn Frau
Göring-Eckardt Wirtschaftsministerin gewesen wäre.
Ich bin froh, dass Sigmar Gabriel das geschafft hat.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man Argumente hat, dann muss man nicht so einen Quatsch sagen!)


Wir haben aber energiepolitisch noch eine ganze
Menge vor, beispielsweise für mehr Energieeffizienz zu
sorgen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hubertus Heil plaudert!)


Dafür werden am 3. Dezember entsprechende Maßnah-
men im Kabinett getroffen. Dazu gehört beispielsweise
die energetische Gebäudesanierung. Wir werden im
kommenden Jahr die Entscheidung über das zukünftige
Strommarktdesign treffen. Wir wollen, dass die Energie-
wende zum Erfolg geführt wird – für eine saubere, aber
eben auch für eine sichere und bezahlbare Energiever-
sorgung. Das sind wir der wirtschaftlichen Entwicklung
und den Menschen in diesem Land schuldig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leg doch mal eine neue Platte auf!)


– Das tut Ihnen weh. Das merke ich schon an den Zwi-
schenrufen. Aber es ist so: Wir machen uns auf den Weg.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kaudert!)


Es geht weiterhin darum, Industriepolitik in diesem
Land zu betreiben. Da ist Energiepolitik ein ganz zentra-
ler Bereich. Dazu gehört aber auch das Thema Fachkräf-
tesicherung, an dem wir arbeiten, und nicht zuletzt die
Frage der Akzeptanz von industrieller Wertschöpfung
und von Innovation in diesem Lande. Deshalb ist das an-
gesprochene Bündnis für Industrie in diesem Land, das
Sigmar Gabriel mit Wirtschaft und Gewerkschaften ge-
schlossen hat, ganz wichtig.

Die großen Herausforderungen, vor denen der Indust-
riestandort Deutschland steht, sind die demografische
Entwicklung – Stichwort: Fachkräfte –, die Frage der
Innovation – Stichwort: Digitalisierung, Industrie 4.0 –,
die Frage der Internationalisierung und die Frage der
Rohstoffknappheit und der Energiekosten. Das sind alles
Fragen, die wir nicht alleine beantworten können; viel-
mehr brauchen wir abgestimmte Maßnahmen zwischen
Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften in diesem Land.

Das sind große Herausforderungen. Deshalb finde ich
es richtig, dass Sigmar Gabriel die Initiative ergriffen
hat. Ich bin dem BDI-Präsidenten, Herrn Grillo, und
dem IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel außerordent-
lich dankbar, dass sie mitmachen; denn sie wissen: Es
gibt bei allen Interessenunterschieden, die es zwischen
Arbeitnehmern und Gewerkschaften in diesem Land
gibt, die es auch in der Politik, auch in der Großen
Koalition, gibt, die Notwendigkeit, zu einem neuen In-
dustriekonsens in diesem Land zu kommen. Das ist der
Schulterschluss, den wir für wirtschaftlichen Erfolg in
diesem Land brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schließlich müssen wir etwas für das wirtschaftliche
Rückgrat dieses Landes tun, und das ist der Mittelstand.
Aufgrund meiner begrenzten Redezeit nur ein Hinweis:
Diese Regierung redet nicht über Bürokratieabbau, sie
macht sich auf den Weg. Ich nenne zum Beispiel die
One-in- und die One-out-Regelung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das noch mal? Erklären Sie mir das noch mal!)


– Das kann ich erklären. – Wir sorgen für eine Bürokra-
tiebremse.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt für alles eine Bremse!)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

Es wird für jede neue Regelung eine alte Regelung ge-
strichen. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Ich füge
hinzu: Das meiste ist Steuerbürokratie in diesem Land.
Die werden wir uns vornehmen müssen, damit wir die-
sem Land tatsächlich Investitionsimpulse geben, die üb-
rigens nicht immer Geld kosten müssen, die aber gerade
für die mittelständische Wirtschaft wichtig sind.

Dieser Bundeswirtschaftsminister hat in einem Jahr
dafür gesorgt, dass aus einem verwaisten Haus wieder
ein gestaltendes Schlüsselressort dieser Bundesregierung
geworden ist. Wir werden ihn auf diesem Weg weiter im
Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Lan-
des unterstützen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Gut so!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807001200

Nun erhält der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion

Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807001300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lieber Hubertus Heil, ich habe vor kurzem ei-
nen sehr schönen Spruch gehört von einem Kollegen der
CDU. Dieser würde auf den Schlusssatz zutreffen, den
Sie gerade gesagt haben: Zu viel Weihrauch schwärzt
selbst den Heiligen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Heilige sitzt hier.


(Heiterkeit bei SPD)


Sigmar Gabriel, bei so viel Lob müssen wir aufpassen,
dass du dann nicht auch inhaltlich schwarz wirst – bei so
viel Weihrauch, der da kommt.


(Beifall bei der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Sozialdemokraten unter sich!)


Ich möchte auf Investitionen eingehen, meine Damen
und Herren. Überall ist zu lesen und festzustellen:
Deutschland hat viel zu wenige Investitionen und ge-
fährdet damit das Wachstum. Deshalb stellt sich die
Frage: Haben wir eigentlich auch zu wenig Geld oder
nur zu wenig Investitionen? Deshalb müssen wir
schauen, wie es um das Geld bestellt ist.

Die Frankfurter Rundschau vom 20. November
schreibt mit Verweis auf die Schweizer Bank UBS: Das
Vermögen der Superreichen in Deutschland wuchs – ich
zitiere – um 10 Prozent auf über 2,5 Billionen Dollar. –
Hierbei handelt es sich um eine Steigerung um 10 Pro-
zent innerhalb eines Jahres. Das heißt, der Vermögenszu-
wachs in einem Jahr betrug 10 Prozent. Die Frankfurter
Rundschau schreibt weiter:
Mit dieser Summe könnte man alle deutschen Ar-
beitnehmer zwei Jahre bezahlen oder sieben Jahre
die Ausgaben der Bundesregierung finanzieren.

Meine Damen und Herren, in diesem Lande fehlt es
nicht an Geld, sondern diese Bundesregierung traut sich
nicht, das für Investitionen benötigte Geld dort zu holen,
wo es eigentlich ist. Das ist unser Problem.


(Beifall bei der LINKEN)

Ein immer größerer Teil des Kuchens geht aus-

schließlich an die Eigentümer größter Vermögen. In
Deutschland gibt es einen Spruch dazu: Der Teufel
macht immer auf den größten Haufen. Genau das ist das
Problem in diesem Land.

Meine Damen und Herren, wir haben ein massives
Verteilungsproblem in der Bundesrepublik Deutschland.
Dieses Verteilungsproblem wird von dieser Regierung
ignoriert und nicht angegangen. An dieser Stelle möchte
ich die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bemühen:
Von 2000 bis 2013 haben wir eine Zunahme der Unter-
nehmens- und Gewinneinkommen von 24 Prozent zu
verzeichnen. Die realen Arbeitnehmerentgelte je Be-
schäftigten sind im selben Zeitraum um 3,1 Prozent ge-
sunken. Ja, Herr Mattfeldt, Sie haben recht: Die Arbeit-
nehmer haben die Zähne zusammengebissen. Aber das
Geld ist woanders gelandet. Andere haben das Gegenteil
von Zähnezusammenbeißen gemacht: Diese haben kräf-
tig kassiert und sich gleichzeitig privaten Investitionen
verweigert.

Meine Damen und Herren, die Renten langjährig Ver-
sicherter sind zwischen 2000 und 2012 ebenfalls gesun-
ken, real um 19 Prozent im Westen und um 23,4 Prozent
im Osten.

Während sich bei einigen das Geld offensichtlich an-
häuft, zerfällt die öffentliche Infrastruktur. Eltern strei-
chen inzwischen die Klassenzimmer ihrer Kinder selbst.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch schon gemacht!)


Jede zweite Betonbrücke in Deutschland ist inzwischen
marode. Es bilden sich Bürgerinitiativen mit dem Ziel,
öffentliche Schwimmbäder weiter zu betreiben, weil den
Kommunen das Geld fehlt. Seit 2003 – und das wissen
Sie, Herr Gabriel – reichen die Bruttoinvestitionen nicht
mehr aus, um die Abschreibungen auszugleichen – ein
Riesenproblem.

Die 10 Milliarden Euro, die noch nicht einmal sicher
sind und über die im Parlament nicht gesprochen wird,
reichen hinten und vorne nicht aus. Mit Ihrer Politik
läuft diese Republik auf der Felge.


(Beifall bei der LINKEN)

Staat und Unternehmen müssten jährlich allein

103 Milliarden Euro mehr ausgeben, um den Verschleiß
auszugleichen, so das Deutsche Institut für Wirtschafts-
forschung. Was macht diese Regierung? Wo sind die Ini-
tiativen, um das zu beheben? Wie auf einer Fronleich-
namsprozession tragen Sie die schwarze Null vor sich
her.


(Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/ CSU])






Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, Sie
warten auf eine göttliche Vorsehung in dieser Frage. Das
hat ja schon religiöse Züge, was Sie hier machen. Wenn
Sie wirklich etwas bei den Investitionen ändern wollen,
dann kommen Sie nicht darum herum, auf das Vermögen
der Superreichen zuzugreifen.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt will ich Ihnen eine Rechnung aufmachen. Allein
der Zuwachs des Vermögens der Superreichen betrug im
letzten Jahr 10 Prozent. Das ist ein Vermögenszuwachs
von 285 Milliarden Dollar – das wird in Dollar ausge-
drückt. 5 Prozent Steuern auf das Vermögen, wie wir es
vorschlagen, entsprächen 129 Milliarden Dollar; das wä-
ren ungefähr 100 Milliarden Euro. Wenn Sie also die
Forderungen der Linken realisieren würden, hätten Sie
100 Milliarden Euro mehr in Ihrem Staatshaushalt. Dann
hätten Sie die Möglichkeit, den Investitionsstau inner-
halb kurzer Zeit zu beseitigen.

Warum machen Sie das eigentlich nicht? Gleichzeitig
würde das kein Problem für die Superreichen bedeuten.
Sie hätten immer noch über 100 Milliarden Euro mehr
auf dem Konto. Glauben Sie, sie würden auf dem Zahn-
fleisch gehen, wenn sie nur noch 100 Milliarden Euro
mehr statt 200 Milliarden Euro mehr hätten? Nein. Des-
halb sage ich, meine Damen und Herren: Diese Regie-
rung ist in dieser Frage nicht nur zahm, sondern auch be-
scheiden und sogar feige. Die Möglichkeiten, Probleme
zu lösen, hätte sie nämlich; aber sie nutzt sie nicht.

Jetzt wird man mir entgegnen: Es ist vor allen Dingen
der Koalitionspartner, der sich weigert, diese Probleme
anzugehen. – Dann sage ich der CDU/CSU: Sie sind für
den Zustand, den wir in Deutschland bald haben werden,
verantwortlich. – Denn wir leben permanent über unsere
Verhältnisse, weil wir es den Reichen nicht nehmen,
Herr Fuchs. Das ist unser Problem.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Deshalb kriegen Sie den Porsche abgenommen!)


Eine letzte Bemerkung, weil ich nicht mehr viel Zeit
habe. Ich möchte noch einmal auf die geplanten Han-
delsabkommen wie das TTIP zu sprechen kommen. Wir
waren unterwegs und haben gesehen, was in der Welt los
ist. Eins möchte ich Ihnen schon noch sagen: Es gibt
neue und es gibt alte Studien. Selbst wenn man alte Stu-
dien heranzieht und berücksichtigt, was in der Grund-
wertekommission der SPD diskutiert wird – –


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Seit wann bist du denn da Mitglied?)


– Da war ich eingeladen


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Echt?)


– ja –, auf euren Vorschlag. Vielleicht warst du es, der
mich eingeladen hat; ich weiß es nicht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das war ein Irrläufer!)


Ich möchte aus einem Diskussionspapier der Grund-
wertekommission der SPD zitieren. Dort ist zu lesen:
Das durchschnittliche Wachstum pro Jahr, das man mit
den Handelsabkommen erreichen würde, würde für die
Europäische Union jährlich 0,04 Prozent und für die
USA 0,03 Prozent bedeuten. In dem Text heißt es weiter:
„weniger als jeder Witterungseffekt“.

Meine Damen und Herren, wenn man an die Wachs-
tumswirkungen der Handelsabkommen glaubt, dann
kann man auch den Regenmachern glauben. Deshalb
sollten wir diese Abkommen ablehnen.

Ich danke fürs Zuhören.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807001400

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Fuchs für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1807001500

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Worte
von Herrn Ernst hören wir eigentlich jedes Jahr fünf-,
sechs-, siebenmal.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Leider! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Und sie werden nicht besser! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das könnte er sofort einstellen, wenn Sie es machen würden!)


Lieber Herr Ernst, Sie sollten irgendwann mal irgendwas
anderes sagen. Wir haben das alles schon gehört. Ihre
gesamte Auffassung über die Vermögensteuer sollten Sie
zunächst einmal mit dem Bundesverfassungsgericht ab-
klären. Ich verweise auf den berühmten Halbteilungs-
grundsatz. Nehmen Sie ihn doch zur Kenntnis. Es hat
doch keinen Sinn, das immer wieder zu wiederholen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Machen Sie doch eine andere Politik!)


Sie wissen, dass das nicht funktioniert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wir sagen es so lange, bis Sie es ändern!)


Meine Damen und Herren, die deutsche Wirtschaft ist
in einer ausgesprochen positiven Situation, so positiv,
wie sie viele Jahre nicht gewesen ist. Trotz der schwieri-
gen Situation im Umfeld, trotz des schwierigen Aus-
landsgeschäftes für die deutschen Unternehmen, trotz
der Situation, die wir in der Ukraine, in Syrien, im Irak
und in vielen Ländern Europas haben, wächst unsere
Wirtschaft weiter, und zwar im nächsten Jahr um
1,2 Prozent.

Ich will diese Zahl verdeutlichen. Was bedeutet
1,2 Prozent Wachstum? Das sind 34 Milliarden Euro zu-
sätzliches Wachstum. Bei Griechenland wären es
10 Prozent Wachstum, bei Portugal wären es 15 Prozent
Wachstum, ja, selbst bei Österreich wären es mehr als
10 Prozent Wachstum, wenn die Wirtschaft in diesen
Ländern in der gleichen Größenordnung wachsen würde.





Dr. Michael Fuchs


(A) (C)



(D)(B)

Dass eine reife Volkswirtschaft wie die deutsche in einer
Krisensituation so wächst, ist ausgesprochen positiv.
Dies zeigt, wie robust unsere Wirtschaft ist, wie robust
die Binnenkonjunktur ist und dass wir wettbewerbsfä-
hige Unternehmen haben.

Davon profitieren wir alle: Davon profitieren die
Menschen; davon profitieren die Unternehmen. Davon
profitiert allerdings auch der Staat, und deswegen sind
wir überhaupt in der Lage, bei niedrigster Inflation einen
solch ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, wie es heute
der Fall ist. Nach 46 Jahren haben wir es endlich mal
wieder geschafft, einen Haushalt auszugleichen. Ich bin
dem Bundesfinanzminister, aber auch allen Haushältern
dankbar, die das ermöglicht haben. Das ist eine tolle
Leistung. Wenn das Gleiche in anderen europäischen
Ländern gemacht würde, würde es uns allen wesentlich
besser gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist ein Zeichen, dass das, was wir machen, funktio-
niert. Wir sollten darum kämpfen, dass das in ganz
Europa so gehandhabt wird.

Meine Damen und Herren, die Lage ist positiv. Die
Arbeitsmarktsituation ist so positiv wie seit der Wieder-
vereinigung nicht mehr. Aber das ist kein Automatismus.
Wir können uns darauf nicht ausruhen. Wir dürfen nicht
glauben, dass uns das geschenkt wird. Die Situation hat
sich wirklich verändert. Während Ende der 1990er-
Jahre, Anfang dieses Jahrtausends die Wirtschaft in aller
Regel darüber geklagt hat, dass die Löhne zu hoch sind
und dass Deutschland deswegen nicht wettbewerbsfähig
ist, so muss man jetzt feststellen, dass sich die Diskus-
sion komplett auf andere Bereiche verlagert hat.

Da geht es um die Energiepolitik; da geht es aber
auch um eine gut ausgebaute Infrastruktur. Deswegen ist
es vollkommen richtig, dass die Bundesregierung gesagt
hat: Gerade der Breitbandausbau für das Internet in ganz
Deutschland, im Land, auf der Fläche, ist dringend not-
wendig und muss vorangetrieben werden. – Dass dafür
Gelder in die Hand genommen werden müssen, weiß je-
der von uns; das ist klar. Aber das geht auch in andere
Bereiche hinein: Luftverkehr, Bahnverkehr etc. All das
muss besser ausgebaut werden; denn ein Land wie
Deutschland braucht eine vernünftige Infrastruktur. Da-
ran sollten wir weiter arbeiten.

Wir haben ein weiteres großes Problem – da liegt eine
zentrale Aufgabe für dieses Parlament –, und das ist
die demografische Entwicklung. Ich nenne nur zwei,
drei Zahlen. Im Jahr 2009 wurden in Deutschland
600 000 Ausbildungsverträge im Handwerk unterschrie-
ben. Wir werden im Jahr 2015 überhaupt nur noch
500 000 Schulabgänger haben. Das heißt, da wird es
eine gewaltige Lücke geben. In meinem Wahlkreis ha-
ben wir immerhin noch 365 offene Ausbildungsstellen
im Handwerk.

Dieser Rückgang wird zu einem Facharbeitermangel
und zu einem Wettlauf um Facharbeiter führen. Das sind
Dinge, die wir in der nächsten Zeit, Herr Minister, etwas
intensiver adressieren müssen. Wir müssen uns gemein-
sam überlegen, wie wir der Wirtschaft hierbei helfen
können; denn wir konkurrieren mit anderen Standorten
überall in der Welt. Wenn in Deutschland keine qualifi-
zierten Arbeitnehmer mehr zu bekommen sind, dann
kann es uns sehr schnell passieren, dass die Firmen da-
hin abwandern, wo die Arbeitnehmer sind.

Deswegen bin ich auch froh, dass wir uns sehr inten-
siv mit dem Außenhandel beschäftigen. Die Bundeskanz-
lerin hat gestern vollkommen zu Recht sehr nachdrücklich
zum Ausdruck gebracht, dass TTIP vorangebracht wer-
den muss. Wenn ich immer die Unkenrufe von allen
möglichen Leuten höre, wie schlimm und fürchterlich
das Ganze sein würde, kann ich nur sagen: Ich habe in
der letzten Woche auf der Asien-Pazifik-Konferenz der
deutschen Wirtschaft feststellen können, wie notwendig
die Freihandelsabkommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jeder hat uns klargemacht, dass das dringend ist.

Wenn man nur einmal die letzten fünf Jahre betrachtet –
ich bin ja so ein alter Außenhändler


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eher Außenseiter!)


und habe mich zeit meines Lebens mit Außenhandel be-
schäftigt, meine Damen und Herren –, dann hat man in
den 31 größten Nationen, mit denen wir Handel betrei-
ben, 860 neue Handelshemmnisse festzustellen. Beim
Aufbau von Handelshemmnissen liegt Russland an ers-
ter Stelle. An zweiter Stelle liegt China. An dritter Stelle
liegt Indien. Indien hat beispielsweise kurzerhand den
Pkw-Importzoll von 75 Prozent auf 100 Prozent angeho-
ben. All das ist in den letzten fünf Jahren passiert. An
vielen Stellen sind Handelshemmnisse neu aufgebaut
worden. Das schadet der deutschen Wirtschaft natürlich
ganz erheblich.

Deswegen ist es notwendig, dass wir so schnell wie
möglich daran weiterarbeiten. Die Doha-Runde ist schon
lange zum Stillstand gekommen. Seit über zehn Jahren
hat sich nichts bewegt. Ich hoffe, dass der neue Präsident
jetzt endlich mehr Schwung hineinbringt. Die Zeichen,
die dadurch gesetzt wurden, dass Froman jetzt mit In-
dien verhandelt hat, sind positiv, und es könnte sein, dass
sich da etwas bewegt. Aber noch viel mehr würde sich
bewegen, wenn es uns gelingen würde, TTIP so schnell
wie möglich abzuschließen.

Was ist eigentlich der zentrale Grund dafür, dass TTIP
für uns so wichtig ist? Meine Damen und Herren, mit
diesem Abkommen werden Normen und Standards für
den transatlantischen Raum gesetzt. Unsere Normen
werden mit denen der Amerikaner abgeglichen und
gleichgesetzt. Die Amerikaner – das hat man uns in Viet-
nam sehr nachdrücklich beigebracht, Herr Minister –
verhandeln auch sehr intensiv über TPP. Das ist das
Trans-Pacific Partnership Agreement. Wenn das zuerst
fertig ist, dann werden Normen zwischen den Pazifik-
staaten und den Amerikanern gesetzt, und dann können
wir uns darauf verlassen, dass sie diese natürlich in die
Verhandlungen mit uns über TTIP einbringen müssen,





Dr. Michael Fuchs


(A) (C)



(D)(B)

weil sie keine zwei verschiedenen Normensysteme – ei-
nes für den pazifischen und eines für den atlantischen
Raum – haben können. Wenn das passiert, dass zuerst
die transpazifischen Normen festgelegt werden, dann be-
deutet das für uns, dass wir denen sozusagen nachlaufen
müssen. Mir ist es andersherum lieber, nämlich dass die
uns nachlaufen.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Deswegen finde ich es sehr positiv, dass Frau
Malmström uns mitgeteilt hat, dass die Verhandlungen
– in großer Transparenz; dafür bin ich unbedingt – so
schnell wie möglich fortgesetzt werden sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe auch noch die Hoffnung, dass das schneller
gehen könnte, und zwar deswegen schneller gehen
könnte, weil in den USA jetzt in beiden Häusern die Re-
publikaner das Sagen haben, die traditionell deutlich
freihandelsfreudiger sind, als es die Demokraten nun
einmal sind.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird hier sogar amerikanische Innenpolitik gemacht! Meine Herren!)


Insofern sollten wir alles daransetzen – das ist eine der
wichtigsten Aufgaben, Herr Minister, der nächsten Zeit –,
dieses Abkommen weiter nach vorne zu bringen.

Gerade der Mittelstand ist auf Freihandel angewiesen.
Seine Unternehmen haben keine großen Rechtsabteilun-
gen, die sich mit nichts anderem beschäftigen, als zu
schauen, in welchem Land welche Regeln gelten; das
kann sich der normale Mittelständler nicht leisten. Wenn
wir es aber schaffen können, die Situation so darzustel-
len, dass er es kann, dann sollten wir das tun.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Bereich, in
dem es dringend notwendig ist, etwas zu tun, ist der In-
vestitionsbereich. Ich bin froh, dass der Bundesfinanz-
minister weitere 10 Milliarden Euro zur Verfügung stellt,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn nicht dieses Jahr?)


die wir in den nächsten drei Jahren investieren werden.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irgendwann mal! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irgendwas mal!)


Ich bin froh, dass im nächsten Haushalt festgelegt wird,
wohin das Geld fließt. Das ist notwendig.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn jetzt nicht? – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Eingeständnis eines Fehlers! Mehr ist es nicht!)


Je mehr Investitionen wir haben, desto größer ist die
Chance, dass Deutschland den Wachstumspfad weiter
verfolgen kann.

Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass Investitio-
nen nicht nur im öffentlichen Sektor, sondern auch im
privaten Sektor, im Unternehmenssektor, erfolgen. Dafür
müssen die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass
an den Standort Deutschland geglaubt wird und dass
möglichst viel in Deutschland investiert wird.

In Deutschland haben wir in den letzten Jahren die
höchsten Forschungsetats überhaupt; aber wir geben erst
2,94 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für For-
schung aus. Ich nenne mal die Zahlen anderer Länder:
Südkorea investiert 4 Prozent und das wachstumsschwa-
che Japan 3,4 Prozent. Wir sind da also noch nicht an der
Spitze. Das kann noch deutlich mehr werden. Wir sollten
daran arbeiten.

Wir brauchen in Deutschland gute Bedingungen für
Existenzgründer, für Risiko- und auch für Beteiligungs-
kapital. Wir haben zurzeit 4,43 Millionen Selbststän-
dige. Die Zahl klingt besonders gut; aber es ist nicht so,
als wäre Deutschland das Gründerland der Europäischen
Union oder gar der Welt – nein!

Wenn man sich einmal überlegt, welche großen Un-
ternehmen mit Weltgeltung in Deutschland vor dem
Zweiten Weltkrieg gegründet wurden und welche da-
nach, dann stellt man fest, dass es in Deutschland eigent-
lich nur ein einziges nach dem Zweiten Weltkrieg ge-
gründetes Unternehmen gibt, das Weltgeltung erlangt
hat, nämlich SAP. Wir sollten einmal darüber nachden-
ken, warum das bei uns so ist. In den USA sieht es an-
ders aus. Ich nenne einfach nur Microsoft, Apple, Cisco
Systems, Intel, Dell, Facebook, Google; all das sind Un-
ternehmen mit Weltgeltung, die nach dem Zweiten Welt-
krieg, zum Teil in den letzten 20 Jahren, entstanden sind.
Ich meine, es muss schon einen Gedanken wert sein, wa-
rum das bei uns so schleppend vorangeht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn dafür? Nicht nur nachdenken, sondern was tun! Sie regieren!)


Das Risiko- und Beteiligungskapital spielt da be-
stimmt eine Rolle. Ich zitiere jemanden:

Wenn im Silicon Valley … 15 Milliarden Euro Ven-
ture Capital … zur Verfügung gestellt werden, dann
ist das, was wir in Deutschland zu bieten haben,
eher auf der Ebene homöopathischer Dosen.

Das Zitat stammt von Herrn Gabriel; da sitzt er.

Wir sollten dafür sorgen, dass sich der Einsatz von
Venture Capital in Deutschland lohnen kann. Da kann es
nicht sein, dass Steuerbegünstigungen für Gewinne aus
der Veräußerung von Streubesitzanteilen – die Begünsti-
gungen sind im Prinzip dafür da, um eine Doppelbesteue-
rung zu vermeiden – aktuell wieder zur Diskussion ge-
stellt werden;


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, von Schwarz-Grün in Hessen!)


denn dann wird da nicht investiert. Wir brauchen aber
gerade diese Investitionen in kleine, in junge Unterneh-
men; das ist notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






Dr. Michael Fuchs


(A) (C)



(D)(B)

Lieber Kollege Mattfeldt, ich habe noch drei Minuten
Redezeit, und deswegen werde ich noch ein bisschen zur
Energiepolitik sagen. Wir brauchen eine konsistente
Energiepolitik – –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807001600

Einen Moment mal! Können wir einen Zeitabgleich

machen? Wo sollen die drei Minuten herkommen?


(Heiterkeit – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er wollte uns noch erklären, dass er für Fracking ist!)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1807001700

Wir brauchen eine konsistente Energiepolitik, die

dazu führt, dass wir sicher, zuverlässig und zu jeder Zeit
preiswert Energie zur Verfügung stellen können, die
selbstverständlich ökologisch sein sollte. – Prima, ich
kriege noch Redezeit.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807001800

Nein, nein. Nach Ablauf der Redezeit gibt es auch

keine Zwischenfragen.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Schade!)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1807001900

Dann kann ich nur sagen: Wir werden an dieser Ener-

giepolitik intensiv arbeiten.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807002000

Na also!


Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1807002100

Ich gehe davon aus, dass wir das gemeinsam schaffen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807002200

Nun hat der Kollege Schlecht um eine Kurzinterven-

tion gebeten.


Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807002300

Herr Dr. Fuchs, Sie haben am Anfang Ihrer Rede aus-

geführt, dass eine Vermögensteuer in Deutschland ver-
fassungswidrig sei. Ich will Sie darauf hinweisen, dass
das eine alte Mär ist bzw. eine Schutzbehauptung von
Leuten, die befürchten, dass sie zur Steuerzahlung he-
rangezogen werden.

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
besagt, dass zum Beispiel der sogenannte Halbteilungs-
grundsatz, mit dem jahrelang argumentiert worden ist,
nicht gilt und dass er im Grunde genommen nie als Leit-
linie für staatliches Handeln zu interpretieren war. Es
gibt also klare Vorgaben vonseiten des Bundesverfas-
sungsgerichts, dass eine Vermögensbesteuerung alleine
in den Händen der Politik liegt.
Bevor ich hier im Bundestag mein Mandat erworben
habe, war ich Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung
von Verdi


(Zuruf von der CDU/CSU: Oje! Oje!)


und habe renommierte Staatsrechtler beauftragt, Gutach-
ten zu diesem Thema anzufertigen. Aus diesen Gutach-
ten ging immer eindeutig hervor, dass die Politik die
Vermögensbesteuerung völlig frei gestalten kann. Viel-
leicht können Sie das in Zukunft einmal zur Kenntnis
nehmen und in Ihrer Argumentation berücksichtigen;
auch wenn Einzelne, möglicherweise auch Sie, eine Ver-
mögensbesteuerung befürchten.

Danke schön.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807002400

Zur Erwiderung Herr Kollege Fuchs.


Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1807002500

Erstens. Wir alle hier im Haus wissen – vielleicht die

Linke nicht; davon gehe ich aus –, dass eine Vermögens-
besteuerung von Unternehmensbesitz, automatisch, weil
es sich um eine Substanzbesteuerung handelt, dazu führt,
dass die Unternehmen weniger investieren.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Machen sie doch jetzt schon!)


Das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, das sollten
Sie aber zur Kenntnis nehmen.

Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Halbteilungsgrundsatz aufgestellt. Den müssen Sie zur
Kenntnis nehmen, ob Sie das wollen oder nicht.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Es hat gesagt: Wenn jemand 50 Prozent Steuern zahlt,
dann ist das genug.


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Er ist vor fünf Jahren kassiert worden!)


Auch ich bin der Meinung, dass damit genügend Steuer
erhoben ist. Ob Sie wollen oder nicht: Das müssen Sie
leider zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Schlecht [DIE LINKE]: Nein! Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass das nicht stimmt, was Sie sagen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807002600

Das Wort erhält nun die Kollegin Katharina Dröge für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807002700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel! Herr
Kollege Heil, ich bin noch neu im Bundestag. Deswegen
habe ich vielleicht noch die eine oder andere Illusion. So
habe ich mich tatsächlich gefragt, warum wir Grünen ei-
gentlich immer die Einzigen sind, die Frauen in wirt-





Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)

schaftspolitische Debatten schicken, auch in diese De-
batte.


(Volker Kauder [CDU/CSU], an die SPD gewandt: So viel zur Frauenquote bei der SPD!)


Durch Ihren Kommentar heute über Frau Göring-
Eckardt habe ich allerdings einiges gelernt. Ich habe ver-
standen, was für ein Problem Sie und auch Ihre Partei
mit dem Thema „Frauen und Wirtschaftspolitik“ leider
immer noch haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe verstanden, warum Sie im Koalitionsausschuss
so ein Problem mit der Frauenquote in der Wirtschaft
hatten. Ich kann Ihnen nur raten: Tauschen Sie sich mit
Frau Göring-Eckardt über Wirtschaftspolitik aus. Ange-
sichts Ihrer Rede habe ich den Eindruck: Da können Sie
noch das eine oder andere lernen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt zu Ihnen, Herr Minister Gabriel. Auch von Ihnen
bin ich ein kleines bisschen enttäuscht – nicht, dass Sie
etwas für die Ansicht von Herrn Heil in Bezug auf die
Frauenquote könnten –: Sie haben leider Ihren Platz auf
der Redeliste mit Herrn Heil getauscht. Ich hatte eigent-
lich gehofft, Sie würden vor mir reden; denn es macht
mehr Spaß, Ihnen zu antworten als Herrn Heil.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Sie haben mit Herrn Krischer getauscht! Das ist die Wahrheit!)


Sie hätten vielleicht auch die eine oder andere Frage von
Frau Hajduk beantworten können.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Kommen Sie irgendwann auch mal zur Sache?)


– Die Sache spreche ich gerade an.

Herr Gabriel, Frau Hajduk hat Ihnen die eine oder an-
dere Frage zum Freihandelsabkommen TTIP gestellt und
zu Ihrer Position in Bezug auf die Schiedsgerichte. Bei
der letzten Debatte, die wir hier zu TTIP und CETA ge-
führt haben, haben Sie dem Parlament einiges verspro-
chen. Sie lassen die Welt nun aber etwas im Unklaren
darüber, welche Position Sie vertreten. Wenn Sie vor mir
gesprochen hätten, wäre ich jetzt schlauer.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, das ist immer gut!)


– Sie wissen es auch nicht, oder? – Ich hätte gerne ge-
wusst, ob Herr Gabriel es geschafft hat, die Schiedsge-
richte aus CETA herauszustreichen. Das wäre auch für
Ihre Partei interessant; denn Sie haben ja einen entspre-
chenden Parteitagsbeschluss gefasst, in dem drinsteht:
Rote Linien bei Schiedsgerichten im CETA.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jetzt hat es Herr Gabriel anscheinend nicht geschafft,
die Schiedsgerichte aus CETA herauszuverhandeln.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Schiedsgerichte sind notwendig! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Investorenschutz im Grundgesetz ist größer als bei CETA!)


Die relevante Frage für Sie von der SPD ist doch jetzt:
Wie gehen Sie mit Ihrem Parteitagsbeschluss um? Was
machen Sie denn jetzt, wenn es doch Schiedsgerichte im
CETA gibt? Es interessiert mich, was Herr Gabriel dazu
sagen wird. Sie haben ja gleich in Ihrer Rede 20 Minuten
Zeit, um darauf zu antworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bald ist die Redezeit zu Ende!)


Jetzt aber zu Ihrem Haushalt; das ist ja das eigentliche
Thema der Debatte. Herr Gabriel, ich muss Ihnen sagen:
Bei Ihrem Haushalt habe ich ein Déjà-vu. Ich habe Ihnen
schon öfter in Debatten gesagt, dass Sie mit Ihren Analy-
sen durchaus richtig liegen. Das sehe ich auch hier bei
der Wirtschaftspolitik. Ich will durchaus anerkennen,
dass Sie sich darüber bewusst sind, dass mangelnde In-
vestitionen in Deutschland ein Problem sind und dass die
europäische Wirtschaftspolitik gerade in einer Krise
steckt. Nur, mit dem Handeln klappt das irgendwie nicht
bei Ihnen. Sie schließen Bündnisse, Sie schreiben Kon-
zepte, Sie gründen Kommissionen – das ist zwar alles
super, aber gute Analysen ersetzen eben noch keine gute
Politik. Ich muss sagen: Von guter Politik ist in Ihrem
Haushalt einfach nichts zu erkennen, trotz entsprechen-
der Analysen und Rhetorik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Jurk [SPD]: Was? Das kann nicht sein! Kennen Sie den Haushalt?)


Nun frage ich mich – das ist vielleicht für Sie nicht
schön zu hören –: Wie fühlt man sich als Wirtschafts-
minister, wenn man zwar in der Analyse immer richtig
lag, dann aber ausgerechnet der Finanzminister von der
CDU/CSU, der immer gesagt hat, für Investitionen sei
kein Geld vorhanden, auf einmal damit um die Ecke
kommt und im Haushalt 10 Milliarden Euro für Investi-
tionen zur Verfügung stellt? Wenn Sie das, was Sie ana-
lysiert haben, ernst nehmen, dann können Sie mit diesen
10 Milliarden Euro, die Herr Schäuble im Haushalt vor-
sieht, auf keinen Fall zufrieden sein. Denn diese 10 Mil-
liarden Euro gibt es erst ab dem Jahr 2016 – das heißt,
sie wirken im nächsten Jahr noch nicht –, und sie werden
außerdem auf drei Jahre verteilt. Das ist kein ernsthaftes
Konzept für die Lage, in der wir uns aktuell befinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte das nur noch einmal verdeutlichen. Wir
sprechen in Europa mittlerweile von einer ganzen verlo-
renen Generation, von jungen Erwachsenen, die seit fast
einem Jahrzehnt damit kämpfen, dass es in ihren Län-
dern keine Jobs für sie gibt, unabhängig davon, welche
Ausbildung sie gemacht haben und wie gut sie qualifi-
ziert sind. Sie finden einfach nichts. Das sind Menschen,
die so alt sind wie ich und immer noch bei ihren Eltern
wohnen müssen. Ich hoffe, meine Eltern hören das jetzt
nicht oder verstehen es zumindest nicht falsch.





Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber es ist doch nicht schön, wenn man in diesem Alter
noch bei seinen Eltern wohnen muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Situation darf es eigentlich nicht geben. Junge
Leute haben doch irgendwann auch ein Recht auf eine
eigene Wohnung und eine eigene Familie. Es klingt jetzt
vielleicht witzig, aber wir tragen dafür Verantwortung.
Auch hier in Deutschland tragen wir Verantwortung da-
für, wie die Wirtschaftspolitik in Europa aussieht. Wir
müssen etwas gegen ungesund hohe Leistungsbilanz-
überschüsse und zu geringe Investitionen unternehmen,
und die neuen Mittel für Investitionen – also die 10 Mil-
liarden Euro verteilt auf drei Jahre – können wirklich
nicht die Antwort auf die Krise sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht noch ein anderer Vergleich: 10 Milliarden
Euro, das ist etwa das Doppelte dessen, worauf uns das
Unternehmen Vattenfall gerade für den Atomausstieg
verklagt. Die Risiken, die wir mit dem Atomausstieg vor
internationalen Schiedsgerichten eingehen, betragen
nämlich 4,7 Milliarden Euro.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: EnBW klagt auch, liebe Kollegin! Das ist ja der Widerspruch!)


Das heißt, die Hälfte dessen, was wir möglicherweise für
Infrastruktur und Bildung ausgeben – wir wissen ja noch
nicht genau, wofür die Bundesregierung dieses Geld
ausgeben will –, haben wir jetzt als Risiken, weil es
diese internationalen Schiedsgerichte gibt. Aber genau
diese Schiedsgerichte wollen Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, ja unbedingt in TTIP und
CETA aufnehmen. Die Vereinbarung zu den Schiedsge-
richten bekommt Herr Gabriel anscheinend nicht aus den
Verträgen heraus.

Deshalb stellt sich schon die Frage, auch an Herrn
Schäuble als Finanzminister: Welche Risiken gehen Sie
da eigentlich ein, und das angesichts der Tatsache, dass
wir hier um jede Milliarde Euro streiten und dass Sie
kein Geld für den Breitbandausbau und für die Infra-
struktur haben? Stattdessen sagen Sie so locker: Wir
nehmen diese Schiedsgerichte jetzt in verschiedenste
Handelsverträge auf. – So riskieren Sie dann, dass uns
internationale Konzerne auf Milliardenzahlungen ver-
klagen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn Ihr Haushalt
so üppig gestrickt ist, Herr Schäuble, dann können Sie
tatsächlich noch etwas mehr Geld in die Hand nehmen,
und zwar für notwendige Investitionen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807002800

Das Wort erhält nun der Bundeswirtschaftsminister

Sigmar Gabriel.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Frau Kollegin Dröge, manchmal finden es auch Eltern
nötig, dass die Kinder endlich ausziehen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dass die Kinder noch bei den Eltern wohnen, ist nicht
nur bedauerlich für die Kinder, sondern manchmal auch
für die Eltern.

Ich wollte Ihnen, Frau Kollegin Dröge, aber noch ein-
mal sagen, warum ich mich auf der Rednerliste habe
nach hinten setzen lassen. Ich wollte Ihrem Kollegen
Krischer, der ja immer spannende Reden hält, einmal die
Möglichkeit geben, dass ich auf ihn antworten kann;
denn dies ist die Stunde des Parlaments. Nun haben Sie
aber mit Herrn Krischer getauscht


(Thomas Oppermann [SPD]: Er ist ausgewichen!)


und konnten daher nicht nach mir sprechen.

Die Haushaltsdebatte ist die Stunde des Parlaments,
und da ist es angemessen, dass Ministerinnen und Minis-
ter dem Parlament auf ihre Debatte antworten und nicht
vorweggehen. Das ist die Idee einer Haushaltsdebatte.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie los!)


Ich bin ja auch schon einige Jahre Parlamentarier, und es
ist, wie ich finde, doch ganz spannend, wenn Sie als Ab-
geordnete etwas sagen und ein Minister wie ich muss
hinterher antworten.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Frauen antworten Sie wohl nicht, oder was?)


Aber wenn man es, wie Ihr Kollege Krischer, lieber hat,
sicher zu sein, dass ihm keiner mehr antworten kann,
dann ist das kein Zeichen eines ausgesprochen großen
Selbstbewusstseins, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nun zur Beantwortung Ihrer Fragen, Frau Kollegin
Hajduk und Frau Kollegin Dröge.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre ja schön, wenn Sie antworten würden!)


– Ich dachte, ich soll Ihre Fragen beantworten. Ich ma-
che das gerne.

Frau Kollegin Dröge, die Antwort auf Ihre Frage, was
CETA angeht, habe ich Ihnen doch schon im Ausschuss
gegeben. Da haben Sie und die Kollegin Hajduk mich
doch schon einmal gefragt: Wie sieht es aus? Kriegen
Sie die Investitionsschutzklauseln aus dem Abkommen
raus? – Ich habe damals im Parlament wie auch noch
einmal im Haushaltsauschuss gesagt, dass ich davon
ausgehe, dass das mehr als schwierig ist und vermutlich
nicht klappen wird. Denn das Abkommen ist ausverhan-
delt.





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Wir bemühen uns jetzt, die Investitionsschutzklau-
seln, die in CETA, dem europäisch-kanadischen Abkom-
men, enthalten sind, noch zu verbessern. Ich habe Ihnen
übrigens nicht nur gesagt, sondern auch geschrieben,
was der Gutachter dazu sagt; diesen können Sie übrigens
einladen. Er sagt, dass der Investitionsschutz im euro-
päisch-kanadischen Abkommen so schwach sei, dass er
jedem kanadischen Unternehmen empfehlen würde, vor
der deutschen Gerichtsbarkeit zu klagen, weil die Aus-
sicht, dort Entschädigungen zugesprochen zu bekommen
– vorausgesetzt, es gab einen entsprechenden entschädi-
gungswürdigen Eingriff beispielsweise durch ein Ge-
setz –, wesentlich höher sei als vor einem Schiedsge-
richt.

Der Grund dafür ist, dass Kanada mit Schiedsge-
richtsverfahren mit den Vereinigten Staaten schlechte
Erfahrungen gemacht hat und deshalb ein Interesse Ka-
nadas bestand, diese Verfahren deutlich einzuschränken.
Das alles wissen Sie. Das alles steht im Gutachten. Es ist
überhaupt kein Problem für mich, zu wiederholen, dass
wir im Hinblick auf CETA am Ende vor der Frage ste-
hen, ob unser Unwohlsein und die Kritik an dem
„Schweizer Käse“ des Investitionsschutzes – der Gut-
achter hat es so bezeichnet; so schwach findet er es – da-
für ausreichen, dass Deutschland als alleiniges Land in
Europa den gesamten Prozess anhalten kann.

Sie werden sich als grüne Fraktion fragen müssen,
wie Sie als europäisch-orientierte Partei, die Sie ja sind,
mit Ihrer Position umgehen, wenn der Rest Europas die-
ses Abkommen will. Ich sage Ihnen: Deutschland wird
dem dann auch zustimmen. Das geht gar nicht anders.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807002900

Herr Minister, darf die Kollegin Hajduk dazu eine

Zwischenfrage stellen?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Selbstverständlich.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807003000

Herr Minister, ich möchte da einmal nachfragen. Es

ist richtig, dass wir darüber bereits mehrfach gesprochen
haben. Ich finde aber, dass es das Kapitel Investitions-
schutz aufgrund seiner Bedeutung wert ist, diskutiert zu
werden. Das hier ist also keine Schauveranstaltung, son-
dern eine sehr ernste Debatte. Sie wissen auch, welchen
Resonanzboden das in der Bevölkerung hat. Im Übrigen
ist das, was wir machen, nicht parteigebunden, sondern
es herrscht eine allgemeine Verunsicherung.

Sie haben damals im Ausschuss geantwortet, dass es
ganz schwer sei, Mitstreiter zu finden. Sie haben auch
gesagt, dass sich das besonders auf CETA bezieht. Ich
habe das so verstanden, dass es bei TTIP noch viel offe-
ner wird. Deswegen habe ich dahin gehend noch Nach-
fragen.
Sie haben im Ausschuss und öffentlich zu verstehen
gegeben, dass Sie davon überzeugt sind, dass solche Re-
gelungen gar nicht nötig sind. Da die Meinung der deut-
schen Regierung mit Blick auf die Bewertung eines sol-
chen Abkommens aber nicht unwesentlich ist, möchte
ich Sie fragen: Warum und aufgrund welcher Erkenntnis
sind Sie so sicher, dass Entschädigungsansprüche, die
sich aus mediativen Schiedsgerichtsverfahren ergeben,
definitiv keinen indirekten Druck auf Gebietskörper-
schaften ausüben können?

Es geht bei dieser Thematik nicht immer nur um die
Bundesrepublik. Es kann auch um eine Kommune ge-
hen. In dem Fall würden sich internationale Großunter-
nehmen und die Rechtsabteilung einer Kommune vor in-
ternationalen Schiedsgerichten gegenüberstehen. Warum
sind Sie so sicher, dass das, was Sie als Maßstab gesetzt
haben – kein Druck auf souveräne Entscheidungen –
nicht doch entsteht und dass sich die Schiedsgerichte
schwächer auswirken als der ordentliche Rechtsweg in
Deutschland? Da reicht mir kein gutachterliches Zitat.
Da muss doch eine Prüfung in Ihrem Haus stattgefunden
haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Antwort Nummer eins ist, dass wir in der Tat der fes-
ten Überzeugung sind, dass der Gutachter recht hat. Wir
reden jetzt über das Abkommen zwischen Kanada und
Europa und nicht über ein noch nicht existierendes Ab-
kommen mit den USA. Der dort vorgesehene Investi-
tionsschutz ist außerordentlich schwach. Der Gutachter
hat daher mit seiner Beurteilung recht.

Die Antwort Nummer zwei auf die Frage, wie die
Kommunen von CETA und dem Abkommen mit den
USA betroffen sind: Die öffentliche Daseinsvorsorge
– darauf beziehen sich ja die Sorgen der Kommunen –
ist von diesem Freihandelsabkommen ausgenommen.
Das heißt, der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge,
bei dem ja viele Sorgen haben, der Druck zur Privatisie-
rung und zu einer weiteren Liberalisierung werde stei-
gen, ist weder Bestandteil von CETA noch Bestandteil
des Abkommens mit den USA. Es ist vorgesehen, die öf-
fentliche Daseinsvorsorge von den Verhandlungen mit
den Vereinigten Staaten auszunehmen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie ganz sicher, Herr Gabriel?)


– Ich bin sicher, dass unser Begriff von öffentlicher Da-
seinsvorsorge von diesem Abkommen ausgenommen
bleibt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Antwort?)


– Der deutsche Begriff, Herr Krischer, „öffentliche Da-
seinsvorsorge“ ist in Deutschland nichts Umstrittenes.
Dazu gehören Krankenhäuser, dazu gehört die Abwas-
serbeseitigung.





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Abwasser ist in CETA drin!)


Eine Kommune darf übrigens privatisieren; aber sie wird
durch ein Freihandelsabkommen nicht dazu gezwungen,
es zu tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


In der Öffentlichkeit wird so getan – Frau Hajduk, ich
meine nicht Sie persönlich, sondern andere –, als würde
ein Freihandelsabkommen in Deutschland oder in Europa
bestehende Gesetze verändern. Das ist bei keinem Frei-
handelsabkommen der Welt der Fall. Deutschland hat
130 Investitionsschutzabkommen geschlossen – übrigens
nicht unbedingt immer mit dem besten Investitionsschutz.
In all diesen Ländern gibt es amerikanische Konzerne.
Kein einziger dieser amerikanischen Konzerne hat ver-
sucht, über ein Schiedsgericht sozusagen deutsche Ge-
setze zu verändern. Es gibt gar keine Erfahrung, die den
Eindruck rechtfertigt, das könnte passieren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie mal, was ein schwedischer Konzern macht!)


– Mit Fragen ist es so: Wenn man eine Frage gestellt be-
kommt, muss man antworten, Herr Krischer. Deswegen
möchten Sie ja lieber nach mir reden und nicht vor mir.

Frau Hajduk, bereits die alte Bundesregierung hat in
Bezug auf die Verhandlungen mit den Vereinigten Staa-
ten gesagt, dass sie ein Investitionsschutzabkommen
zwischen zwei entwickelten Rechtssystemen wie den
Vereinigten Staaten und Europa eigentlich nicht für not-
wendig hält. Die Antwort der Amerikaner ist relativ ein-
fach – die der Europäer auch –: Es geht nicht um
Deutschland, sondern um Länder wie Rumänien und
Bulgarien, mit denen es amerikanische Investoren in Eu-
ropa ebenfalls zu tun haben und bei denen auch Deutsch-
land Schwierigkeiten hat, den Investitionsschutz für
seine Unternehmen sicherzustellen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Es gibt ja durchaus Streitverfahren in erheblichem
Umfang über deutsche Investitionen in Mitgliedstaaten
der Europäischen Union, von denen wir nicht den Ein-
druck haben, dass sie mit dem Wettbewerbsrecht in der
EU oder mit den Regeln der WTO in Einklang zu brin-
gen seien. Deswegen, finde ich, müssen wir als Deutsche
aufpassen, dass wir bei diesem Thema keine nationale
Bauchnabelschau betreiben. Ich bin deshalb dafür, dass
wir das alles öffentlich und in Ruhe debattieren.

Ich habe überhaupt keine Zweifel daran, dass wir
beim kanadisch-europäischen Abkommen noch Verbes-
serungen erreichen werden. Aber der Rest Europas hält
die deutsche Debatte über das kanadisch-europäische
Abkommen für – wie soll ich das einmal freundlich aus-
drücken? – bemerkenswert. Wir werden doch am Ende
vor der Frage stehen, ob die Sorgen, die wir haben und
die von keiner Regierung, die am Ende in den europäi-
schen Räten abstimmen muss, geteilt werden, berechtigt
sind. Dabei ist es egal, ob Sozialdemokraten, ob Konser-
vative oder ob Grüne wie in Schweden in der Regierung
sind; die schwedische Regierung ist absolut dafür, das zu
machen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Niederlande haben einen Beschluss gefasst!)


– Nein, Frau Kollegin, ich habe mit der niederländischen
Kollegin gesprochen. Sie ist der Überzeugung, dass man
CETA verabschieden muss.

Die Niederländer sind, weil sie uns Deutschen entge-
genkommen wollen, so freundlich, zu sagen: Wir schauen
einmal, ob wir noch etwas verändern können. – Aber den
Glauben, wir hätten es im Kreuz, gegen den Rest Euro-
pas den Investitionsschutz komplett wieder aus den Ver-
handlungen herauszunehmen, den habe ich nicht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


– Das habe ich Ihnen schon beim letzten Mal im Parla-
ment und auch im Ausschuss gesagt. Im Gegensatz zu
Ihnen finde ich, dass man darüber eine ganz rationale
und gelassene Debatte führen kann, weil das Abkommen
ein gutes Abkommen ist und wir noch einige Verbesse-
rungen erreichen werden.

Sie als Grüne würden, wären Sie in der Regierung,
nicht auf die Idee kommen – da bin ich ganz sicher –,
Europa wegen dieses Abkommens anzuhalten. Ich
glaube nicht, dass Ihre Außen- und Europapolitiker das
machen würden. Auch wir werden es nicht machen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt also, Sie stimmen zu!)


– Nein, wir verhandeln weiter über CETA.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Herr Krischer, ich habe gar kein Problem damit, aus-
schließlich darüber zu reden. Wir reden mit unseren Kol-
legen über weitere Verbesserungen beim Investitions-
schutz, auch beim europäisch-kanadischen Abkommen.
Ihre Frage und die Frage Ihrer Kollegin war aber, ob wir
den komplett herausbekommen. Meine Antwort ist:
Nein. Das habe ich Ihnen im Ausschuss gesagt, das habe
ich hier im Parlament gesagt, und das werde ich auch
meiner Partei sagen, die in Teilen eine andere Auffas-
sung hat.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut! Dann ist das ja mal klargestellt! Dann ist ja gut!)


– Dazu brauchte man keine Klarstellung, weil ich Ihnen
das schon im Ausschuss gesagt habe. Dass Sie offen-
sichtlich selbst keinen Weg wissen, wie man es heraus-
bekommen könnte, zeigt sich daran, dass Sie ständig der
Aussage ausweichen, wie Sie sich gegenüber Ihren Part-
nern in Europa aufstellen wollen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807003100

Herr Minister, Sie hatten freundlicherweise angebo-

ten, dass Sie anstelle der vorbereiteten Rede dieses ja of-
fenkundig wichtige Thema intensiv behandeln wollen.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Der Kollege Ernst würde gerne eine Frage stellen und
die Kollegin Dröge auch.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist echt wichtig!)


Dann unternehmen wir jetzt einmal den Versuch, die Re-
gierungsbefragung in die Parlamentsdebatte zu integrie-
ren, wenn Sie damit einverstanden sind.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre ja gut, wenn er mal zur Regierungsbefragung käme!)


Darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Aber gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807003200

Bitte schön.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807003300

Drei Fragen hätte ich, Herr Minister.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


– Das sind relativ kurze Fragen.

Erstens. Sie haben gerade Rumänien angesprochen.
Dass dort ein Investorenschutz notwendig wäre, ist Ih-
nen bekannt. In Rumänien leitet ein Mineralwasserher-
steller zurzeit ein Schiedsverfahren ein, weil von der Re-
gierung zugesagte Investitionen gekürzt wurden. Diese
Investitionen wurden allerdings gekürzt, weil Rumänien
jetzt Mitglied der Europäischen Union ist und diese Sub-
ventionen nicht den Regeln der Europäischen Union ent-
sprechen. Die Politik, die wir in der Europäischen Union
betreiben, führt also dazu, dass die rumänische Regie-
rung jetzt ein Schiedsverfahren am Hals hat, von dem sie
noch nicht weiß, wie es ausgeht.

Zweitens. Sie haben gerade gesagt, dass der Rest Eu-
ropas eine andere Position vertritt. Ich glaube, man muss
überprüfen, wer das ist. Ich weiß, dass die Bürger in sehr
vielen Ländern eine ganz andere Auffassung haben als
diejenigen, mit denen Sie vielleicht sprechen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Kommunisten wahrscheinlich!)


In diesen Ländern findet dieselbe Debatte statt wie in
Deutschland. Wenn wir über den „Rest Europas“ reden,
müssen wir, glaube ich, auch die Frage klären, warum
die Europäische Union ein Bürgerbegehren ablehnt, mit
dem der Einfluss der Bürger hinsichtlich dieser Fragen
ein wenig manifestiert werden könnte. Das ist Fakt: Die
Europäische Union lehnt dieses Bürgerbegehren ab.

Drittens. Sie haben gesagt, die öffentliche Daseins-
vorsorge sei ausgenommen. Sie haben in diesem Zusam-
menhang auch vom Abwasser geredet. Das CETA-
Abkommen beinhaltet ausdrücklich – das habe ich über-
prüft – das Problem des Abwassers, das die Kommunen
betrifft, nämlich im Anhang II. Es gibt zwei verschie-
dene Anhänge: Der eine beschäftigt sich mit dem Thema
Wasser, der andere mit dem Thema Abwasser. Das Ab-
wasser ist also drin. Momentan wird die Daseinsvor-
sorge in diesen Abkommen also keinesfalls so definiert,
wie Sie das vielleicht möchten.

Ein letzter Punkt: der Parteitagsbeschluss. Ich habe
den Eindruck, dass wir zurzeit etwas Merkwürdiges erle-
ben: Wir haben einen Parteitagsbeschluss Ihrer Partei.
Den Inhalt dieses Beschlusses haben wir hier zur Ab-
stimmung gestellt. Sie haben nicht zugestimmt, sondern
gesagt: Das machen wir alles schon. – Jetzt stellen wir
aber fest, dass es offensichtlich in eine andere Richtung
geht. Offensichtlich läuft es auf eine Zustimmung zu
diesen Abkommen hinaus, obwohl man den Investoren-
schutz nicht herausbekommen hat.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dass für Sie Freihandel etwas Schlechtes ist, kann ich verstehen!)


Täuscht mich der Eindruck, oder täuscht er mich nicht?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Natürlich täuscht er Sie. – Erstens. Sie haben sich da-
mals ja gerade nicht getraut, den Antrag zur Abstim-
mung zu stellen. Das hätte ich sehr begrüßt; aber das ha-
ben Sie sich nicht getraut, weil der Antrag am Anfang
– dieser Text wurde gemeinsam mit den Gewerkschaften
verabschiedet – die Freihandelsabkommen als etwas
Richtiges bezeichnet. Sie haben sich nicht getraut, die-
sen Antrag hier zur Abstimmung zu stellen, weil er am
Anfang eine positive Beurteilung von Freihandelsab-
kommen enthält. Deswegen haben Sie sich das damals
nicht getraut. Das ist Ihr Problem, nicht meins.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


– Lesen Sie einmal Ihre Anträge nach. Ich habe halt ein
ganz gutes Gedächtnis.

Zweitens. Beim Thema Daseinsvorsorge bzw. Ab-
wasser, das Sie angesprochen haben, geht es um fol-
gende Frage: Darf es einen Marktzugang für kanadische
Unternehmen in Deutschland und umgekehrt geben?
Das wird dort geregelt. Dort wird nicht geregelt, dass es
einen irgendwie gearteten Zwang zur Privatisierung gibt.
Das Recht der Kommunen, zu sagen: „Wir wollen die
Abwasserbeseitigung oder die Wasserversorgung in un-
serer Hoheit behalten“, wird davon überhaupt nicht tan-
giert.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: So ist es! Richtig!)


Ständig wird der Versuch unternommen, Äpfel mit Bir-
nen zu vergleichen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Unsere Unternehmen, auch unsere Wasserversor-
gungsunternehmen, haben im Zweifel ein Interesse,
Marktzugangsmöglichkeiten in anderen Teilen der Welt





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

zu bekommen. Im Gegenzug sagen wir: Wenn bei uns
jemand die Abwasserbeseitigung oder Wasserversor-
gung privatisiert – das gibt es in Deutschland durchaus,
und zwar auf freiwilliger Basis, ohne Zwang –, dann
muss es auch möglich sein, dass sich Unternehmen aus
anderen Ländern darum bewerben, wie das übrigens
heute in der Europäischen Union schon der Fall ist.

Gucken Sie sich einmal an, wo in Deutschland Lyon-
naise des Eaux oder Générale des Eaux in den letzten
Jahren überall tätig waren. Ich will gar nicht bewerten,
ob das gut oder schlecht ist. Es geht lediglich darum:
Wenn sich eine Kommune das Recht herausnimmt,
selbst zu entscheiden, was sie mit ihrer Wasserversor-
gung und Abwasserentsorgung tut, dann darf keine Dis-
kriminierung ausländischer Unternehmen erfolgen. Das
ist Gegenstand von Freihandelsabkommen. Sie versu-
chen, den Eindruck zu erzeugen – vielleicht haben Sie
diesen Eindruck ja auch –, dass es einen Zwang zur Pri-
vatisierung gibt, dass Kommunen unter Druck gesetzt
werden und dass jemand klagen könnte, wenn eine
Kommune sagt: Ich privatisiere aber nicht. – Das ist ab-
soluter Unfug. Das steht da nirgendwo drin.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Mit meinem Hinweis darauf, dass die Amerikaner
nicht nur Interesse an Deutschland haben, sondern ein
Abkommen mit Europa schließen, wollte ich deutlich
machen, dass wir als Deutsche erhebliche Schwierigkei-
ten mit einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union
haben, weil diese ihre Gesetze, sagen wir einmal, in
höchst kreativer Form, wenn es zu wechselnden politi-
schen Mehrheiten kommt, so ändern, dass deutsche In-
vestoren, obwohl sie schon investiert haben, ihre Investi-
tion nicht zu Ende führen können. Das verstößt gegen
die Regeln des europäischen Binnenmarktes. Wir versu-
chen, das nicht über Schiedsgerichte zu lösen. Manch-
mal aber ist ein Schiedsgericht am Ende die einzige
Möglichkeit, sich zu vergleichen; auch das gehört dazu.
Darauf wollte ich hinweisen.

Ich bitte darum, dass wir so vorgehen, wie es die Kol-
legin Hajduk tut. Wir müssen versuchen, rational abzu-
schichten: Wo gibt es berechtigte Sorgen, und wie kön-
nen wir sie beheben? Wir dürfen aber nicht so tun, als
würden unsere gesetzlichen Standards durch Freihan-
delsabkommen mit Investitionsschutz bedroht. Seit es
Investitionsschutzabkommen gibt – Deutschland hat,
wie gesagt, schon 130 solcher Abkommen geschlossen –,
ist so etwas nicht eingetreten.

Jetzt will ich noch etwas zu der Asien-Debatte sagen.
Wissen Sie – das ist auch an den Kollegen Ernst gerich-
tet –, es geht nicht um die Frage, wie viel Prozent Wirt-
schaftswachstum dadurch entstehen. Ich halte das alles
für Voodoo-Ökonomie, sowohl die Aussagen derer, die
ein gigantisches Wirtschaftswachstum prognostizieren,
als auch derer, die sagen, dass das nur zu ganz wenig
Wachstum führen wird; denn kein Mensch kann vorher-
sagen, wie sich das entwickelt. Aber eines ist klar: Kop-
peln wir uns zum Beispiel von den asiatischen Ländern
ab, wenn diese Freihandelsabkommen schließen, auch
mit den USA, sind wir als Europäer außen vor. Dann al-
lerdings ist das für eine Exportnation wie Deutschland
eine mittlere Katastrophe. Darum geht es doch.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir waren gerade zusammen dort. Diese Länder sa-
gen: Das 21. Jahrhundert ist ein pazifisches – eigentlich
meinen sie: ein asiatisches – Jahrhundert. – Ich vermute,
da ist etwas dran. Jetzt geht es um die Frage: Haben wir
als Europäer, als Deutsche eigentlich noch Anschluss an
diese Region, oder sagen wir: „Wir sind uns selbst ge-
nug“? Das ist die eigentliche Debatte, die wir führen
müssen. Wer an sozialen, ökologischen und Nachhaltig-
keitsstandards im Welthandel interessiert ist, dem muss
doch klar sein, dass wir diese eher mit den Vereinigten
Staaten hinbekommen als mit China. Wenn die Vereinig-
ten Staaten eines Tages ein Abkommen mit China schlie-
ßen, dann werden wir uns diesen Standards anpassen
müssen.

Europa wird möglicherweise das letzte Mal die
Chance haben, in einem Abkommen zwischen den bei-
den derzeit noch größten Handelsregionen der Welt
Standards für den Welthandel zu beschließen. Sie wer-
den nicht so sein, dass Linke, Sozialdemokraten, Grüne
und vielleicht auch Konservative dann sagen: Jetzt ist al-
les in Ordnung. – Sie werden nicht optimal in unserem
politischen Sinne sein. Aber sie werden allemal besser
sein als alles, was Amerika und China aufschreiben wür-
den. Es geht um die Frage: Müssen wir uns bzw. müssen
sich unsere Kinder diesen Handelsabkommen anpassen,
oder haben wir die Chance, gemeinsam mit den Ameri-
kanern Standards zu vereinbaren, denen sich andere an-
passen müssen? Das ist die politische Frage, um die es
geht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Noch einmal: Jeder von uns, der hier sitzt, weiß doch,
dass sich Veränderungen zum Besseren Schritt für
Schritt ergeben. Wir werden keine Handelsabkommen
schließen, die für alle, die hier im Parlament sitzen, und
für die gesamte Öffentlichkeit optimal sind. Wir müssen
es aber schaffen, in unserem Land eine aufgeklärte Dis-
kussion zu führen. Monatelang hat Deutschland über ein
Chlorhuhn debattiert,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


das gar nicht Gegenstand dieses Handelsabkommens ist.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Es wird so getan, als könnten diesem Handelsabkommen
zufolge gentechnisch veränderte Nahrungsmittel nach
Europa geschickt werden, obwohl selbst EU-Kommissar
Herr De Gucht nachweisen kann, dass dies nicht Gegen-
stand des Handelsabkommens ist.

Besuchen Sie einmal Opel in Rüsselsheim. Wenn Sie
dort sind, sehen Sie: Im Eingangsbereich steht ein klei-
nes Auto. Man versucht gerade, es in die USA zu expor-
tieren. Am Beispiel dieses Autos hat Opel einmal ge-
schildert, was sie alles ändern müssen – vom Blinker
über die Scheinwerfer, die Frontlänge und die Decke bis
hin zur Heckklappe –, um dieses kleine Auto in den Ver-





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

einigten Staaten verkaufen zu können. Ich glaube, die
Veränderung der Fertigungslinie, um das möglich zu ma-
chen, kostet 150 Millionen Euro. Das ist das Thema,
über das wir reden!

Mein dringender Rat an uns alle ist, dass wir das nicht
im Klein-Klein debattieren, sondern dass wir uns da-
rüber im Klaren sind, dass, wenn wir uns von den Welt-
märkten abkoppeln, dies am Ende viele Hunderttausend
Menschen in Deutschland ihren Job kosten wird – nicht
die im öffentlichen Dienst und nicht die, die im Parla-
ment sitzen; aber Facharbeiter und Angestellte in
Deutschland werden das am Ende bezahlen müssen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807003400

Herr Minister, darf denn die Frau Dröge jetzt noch

ihre Zwischenfrage stellen?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Ja.


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807003500

Herr Minister, vielen Dank, dass Sie die Zwischen-

frage noch zulassen. – Ich hatte mich eben noch zu der
Debatte über die Schiedsgerichte gemeldet, weil auch
ich, ähnlich wie Sie, ein gutes Gedächtnis habe.

Am 25. September 2014 haben wir hier im Parlament
miteinander über CETA und die Schiedsgerichte disku-
tiert. Damals lag Ihr Gutachten schon vor; wir hatten das
gelesen. Unser Gegengutachten liegt ebenfalls vor – Sie
haben das hoffentlich auch gelesen –, weshalb wir wei-
terhin der Meinung sind, dass es hochproblematisch ist,
wenn Schiedsgerichte Teil von CETA sind.

Aber ich habe eine konkrete Frage an Sie. Darauf sind
Sie bei Ihrer Antwort auf die Zwischenfrage von Frau
Hajduk auch nicht eingegangen, sondern Sie haben nur
den Anschein erweckt, als würde das, was Sie hier im
Parlament erzählen, in einer zusammenhängenden und
logischen Reihenfolge stehen. In der angesprochenen
Debatte haben Sie aber gesagt:

Insofern sind die Dinge, die wir mit dem DGB ver-
abredet haben, für mich in der Tat verbindliche
Leitlinien …

Das haben Sie hier im Parlament gesagt: „verbindliche
Leitlinien“. Wenn man diese verbindlichen Leitlinien
liest, findet man darin:

In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren
… abzulehnen.

Auch das haben Sie am 25. September 2014 hier im Par-
lament versprochen.

Damals gab es Ihr Rechtsgutachten schon, und Sie ha-
ben nicht gesagt, dass Sie der Ansicht sind, dass nur
vielleicht noch einzelne Teile nachzuverhandeln sind,
was Sie im Moment in Brüssel tun, wie ich wahrnehme,
und nicht über das gesamte ISDS zu verhandeln ist. Sie
haben auch nicht so klar, wie Sie das jetzt getan haben,
gesagt, dass die SPD CETA am Ende zustimmen wird,
wenn ISDS Teil des Abkommens ist, sondern Sie haben
den Anschein erweckt – so muss ich Ihr Zitat verstehen –,
dass Sie CETA ablehnen werden, wenn ISDS nicht he-
rausgenommen wird.

Deswegen ist meine konkrete Frage an Sie: Ist das
jetzt verbindlich? Gilt das, was Sie uns am 25. Septem-
ber 2014 im Deutschen Bundestag gesagt haben, nicht
mehr?

Bei meiner zweiten Frage geht es um die öffentliche
Daseinsvorsorge. Sie haben jetzt gesagt, sie sei nicht
mehr Bestandteil von TTIP. Wenn man sich das TTIP-
Mandat aber durchliest, dann sieht man, dass nur die
Public Utilities aus den Verhandlungen ausgeklammert
werden. Gemäß der Definition von Public Utilities geht
es nur um die öffentliche Daseinsvorsorge, die nicht im
Wettbewerb mit Kommerziellen steht. Es geht hier also
im Kern um die Polizei, die Justiz und die öffentliche
Verwaltung.

Unsere europäische Definition von öffentlicher Da-
seinsvorsorge entspricht eben nicht dieser Definition von
Public Utilities. Im TTIP-Mandat ist diesbezüglich keine
Klarstellung vorgenommen worden, weshalb nach unse-
rer Rechtsauffassung ein großer Teil der öffentlichen Da-
seinsvorsorge nicht aus den TTIP-Verhandlungen ausge-
klammert ist.

Meine Frage an Sie ist: Wie kommen Sie zu Ihrer
Rechtsauffassung?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Erstens ging es bei der Debatte mit dem Kollegen
Ernst um das europäisch-kanadische Abkommen. Da-
rüber haben wir eben geredet.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es nicht!)


– Ich habe auf die Frage von Herrn Claus geantwortet,
Frau Kollegin.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Von Herrn Ernst! Das ist Herr Claus, und das ist Herr Ernst!)


– Ernst. Dass ich euch immer verwechsle!


(Heiterkeit – Roland Claus [DIE LINKE]: Da ist Guttenberg schon dran gescheitert!)


Ich hoffe, es ist für keinen von Ihnen ein Problem. – Ich
habe auf die Frage des Kollegen Ernst geantwortet, der
über das europäisch-kanadische Abkommen geredet hat.
Zu TTIP gibt es noch gar keine Verhandlungsergebnisse.

In der Tat bin ich der festen Überzeugung, dass es bei
TTIP um Marktzugänge gehen wird und nicht um den
Zwang zur Privatisierung im Bereich der öffentlichen
Daseinsvorsorge. Das haben uns die Verhandler, die in
Brüssel für die Europäische Union verhandeln, übrigens





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

auch mehrfach bestätigt. Deswegen sehe ich keinen
Grund, meine Auffassung dazu zu ändern.

Zweitens. Sie haben völlig korrekt zitiert, dass das
Leitlinien für mein Handeln sind. Was tue ich also? Ich
versuche, zu klären, was von den 14 Punkten, die darin
stehen, umsetzbar ist und was nicht. Am Ende muss man
sich dann entscheiden, ob die Dinge, die man nicht ge-
schafft hat, im Vergleich zu den Dingen, die man ge-
schafft hat, so schwerwiegend sind, dass man das ganze
Abkommen ablehnen muss, oder ob man glaubt, dass
das, was man durchsetzen konnte, ausreicht, um zu
rechtfertigen, dass man das Abkommen, obwohl man
vielleicht nicht alles hinbekommen hat, nicht ablehnt.
Ich glaube, dass diese Lehre in Ihrer Partei schon längst
gezogen wurde.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Von Herrn Kretschmann zumindest!)


– Ich wollte nicht auf Herrn Kretschmann abheben. Ich
glaube, dass das bei den Grünen alle so sehen. – Es ist
absolut klar: Wir versuchen, so zu verhandeln, dass die
Gefahren durch den Investitionsschutz, die Frau Hajduk
beschrieben hat, nicht eintreten. Ich glaube, dass wir das
auch schaffen. Bei den Verhandlungen zu CETA ist das
viel einfacher als bei TTIP. Bei den Verhandlungen zu
TTIP ist das noch offen. Bei CETA sind die jetzigen Re-
gelungen schon schwach. Wir werden versuchen, dieses
Abkommen noch besser zu machen: durch Regeln zu
Appellationsgerichten, durch die Frage, wie die Richter
berufen werden, durch die Entscheidung, dass man nur
den einen oder den anderen Weg gehen kann und nicht,
nachdem man auf nationaler Ebene gescheitert ist, noch
ein Schiedsgericht anrufen kann.

Mein Eindruck ist, dass in Europa schon jetzt nicht
viele bereit sind, in dieser Frage, selbst bei den Verbesse-
rungen, mitzumachen. Dann werden Sie und wir ent-
scheiden müssen – auch meine Partei wird darüber ent-
scheiden müssen –, ob Sie glauben, ein europäisch-
kanadisches Abkommen, bei dem es nicht gelungen ist,
den gesamten Investitionsschutz herauszunehmen, stop-
pen zu müssen, weil Sie der Überzeugung sind, dass
deutsche Sorgen wichtiger sind als das, was der Rest
Europas für sich und seine wirtschaftliche Entwicklung
für sinnvoll und nötig hält. Dabei rate ich zu etwas weni-
ger deutscher Nabelschau. Das ist mein Rat an uns alle.
Deswegen bin ich bei dem, was ich tue, mit mir im Rei-
nen.

Ich hätte übrigens auf die Frage Ihrer Kollegin
Hajduk viel einfacher antworten können. Sie hat mich
nämlich nur gefragt, ob ich etwas dafür tue, der Gefahr,
dass ein Parlament erpresst wird, entgegenzutreten. Ich
hätte sagen können: Natürlich tun wir das. – Ich hätte al-
len konkreten Aussagen zu CETA und TTIP aus dem
Weg gehen können. Glauben Sie mir: Ich bin sprachlich
und auch sprecherisch dazu in der Lage.

Ich habe das absichtlich nicht gemacht, weil ich dafür
bin, dass wir rational über diese Fragen reden, und weil
ich es richtig finde, dass das Parlament, Frau Hajduk, da-
rüber debattiert. Aber bitte seien Sie sachbezogen, und
halten Sie sich an Tatsachen! Wir reden über keine Klei-
nigkeit. Wenn wir das hier falsch machen, dann werden
uns unsere Kinder und Enkel aufgrund unserer ängstli-
chen und ideologischen Debatte in Deutschland verflu-
chen; das sage ich Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott!)


Frau Kollegin, Sie haben noch eine Frage gestellt. Sie
haben gefragt, warum die 10 Milliarden Euro – auch
Frau Hajduk hat das freundlich angesprochen –, die Herr
Schäuble zur Verfügung stellt, nichts bringen. Darauf
will ich Ihnen antworten: Unter anderem führt dieses
Geld dazu, dass wir am 3. Dezember dieses Jahres im
Kabinett ein Energieeffizienzprogramm beschließen
können, mit dem endlich das Thema Energieeffizienz
klar aufgegriffen wird, und dass wir allein bis 2018 für
diesen Bereich zusätzlich rund 1,2 Milliarden Euro er-
halten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn nicht jetzt? – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nehmen Sie doch unsere 3 Milliarden!)


– Für die nächsten Jahre stehen dafür im Haushalt des
Finanzministers 7 Milliarden Euro bereit. Darin steht,
wie ich glaube, eine sehr allgemeine Bemerkung dazu,
für welche Bereiche das Geld genutzt werden soll. Unter
anderem steht darin, glaube ich, das Thema Energieeffi-
zienz. Ich habe Ihrer Kollegin Hajduk im Haushaltsaus-
schuss wahrheitsgemäß gesagt, dass ich beim Tagesord-
nungspunkt Bereinigungssitzung noch nicht in der Lage
war, Ihnen dazu abschließend etwas zu sagen. Die Koali-
tion hat sich vor zwei Tagen über dieses Thema verstän-
digt. Gott sei Dank, Frau Hajduk – darüber sollten wir
uns freuen –, bietet das 10-Milliarden-Euro-Programm
die Möglichkeit, endlich mehr für Energieeffizienz zu
tun.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ein Jahr passiert wieder nichts!)


– Mensch, Herr Krischer, Sie hätten doch vor mir reden
können. Dann hätte ich Ihnen auch noch geantwortet.
Dazu hatten Sie keinen Mumm. Nun machen Sie nicht
ständig Zwischenrufe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Frau Hajduk, ich finde, Sie haben vorhin eine absolut
zutreffende Bemerkung gemacht. Sie haben gesagt: Das
ist ein klassisches Investitionsprogramm. – Genau so ist
es. Mit den Mitteln von Herrn Schäuble für die Energie-
effizienz hebeln wir erhebliche private Investitionen.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wachen langsam auf an der Stelle!)


– Was heißt, wir wachen langsam auf? Das ist nun wirk-
lich keine ganz neue Erfindung: Das am besten laufende
Programm in der Konjunkturkrise war das CO2-Gebäu-
desanierungsprogramm. Das hat damals auch die Große
Koalition gemacht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)






Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Frau Hajduk, die Wahrheit ist doch, dass die Unions-
fraktion und die FDP bereits in der letzten Legislatur-
periode versucht haben,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt’s!)


dieses CO2-Gebäudesanierungsprogramm hinzubekom-
men,


(Beifall des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])


und dass die Länder aufgrund der zu erwartenden Steu-
erausfälle erklärt haben, dass sie nicht mitmachen wür-
den. Das ist doch die Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Ich finde, es ist gar nicht so schlimm, im Parlament die
Wahrheit zu sagen, Frau Hajduk. Das kann man gefahr-
los machen.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben nur unterschiedliche Meinungen im Parlament! Das gehört auch dazu!)


– Nein. Der Punkt ist doch, dass auch die rot-grün re-
gierten Länder das damals abgelehnt haben. Auch die
Grünen haben es abgelehnt.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)


Wir machen es jetzt dadurch möglich, dass wir einen
Vorschlag haben, wie wir in diesem Fall die steuerliche
Absetzbarkeit von Gebäudesanierungsprogrammen für
die Länder und Kommunen kostenneutral gestalten kön-
nen. Darauf bezieht sich unser Vorschlag. Deswegen
hoffen wir, dass wir mit Unterstützung der Grünen und
der Sozialdemokraten im Bundesrat eine Mehrheit für
dieses Programm bekommen. Die Möglichkeit, das zu
tun, hat uns Herr Schäuble gegeben. Sie haben gesagt, es
sei schlimm, dass der für Investitionen zuständige Wirt-
schaftsminister es dem Finanzminister überlässt, das
Geld dafür aufzutreiben. Das ist aber, ehrlich gesagt,
sein Job, und ich bin ihm dafür dankbar, dass er ihn gut
erledigt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Deswegen werden wir beim Energieeffizienzprogramm
endlich etwas machen.

Das größte Investitionsprogramm ist übrigens, dass
diese Bundesregierung die Absicht hat – und wir wollen
das jetzt noch etwas verstärken –, bis zum Ende der
Wahlperiode die Städte und Gemeinden um insgesamt
10 Milliarden Euro zu entlasten. 4,5 Milliarden Euro ha-
ben wir in diesem Jahr erreicht, übrigens durch die Ver-
abredung der letzten Bundesregierung im Vermittlungs-
ausschuss. Nachts um vier, als alle müde waren – Grüne
und FDP waren schon nach Hause gegangen –, haben
Herr Kauder und ich gesagt: Jetzt machen wir es. – So ist
das im Vermittlungsausschuss: Wer zu früh müde wird,
verliert.


(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])

– Das hat ja keiner gehört, Herr Kauder. – Dadurch ha-
ben wir eine Entlastung um 4,5 Milliarden Euro erreicht.

Jetzt wollen wir bis zum Ende der Wahlperiode mit
dem Teilhabegesetz noch einmal das Gleiche schaffen.
Das ist das größte Investitionsprogramm, das man
durchführen kann. Denn mehr als 50 Prozent der öffent-
lichen Investitionen werden durch die Städte und Ge-
meinden aufgebracht, und sie können das häufig nicht
mehr, weil ihre Finanzkraft nicht ausreicht. Diese Regie-
rung verbessert die Finanzkraft der Kommunen. Das ist
ein Investitionsprogramm.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich hoffe übrigens sehr, dass sich Bund und Länder in
der Debatte über die Flüchtlingshilfe darauf einigen, die
Kommunen weiter zu unterstützen; denn ich habe Angst
davor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen sonst mit an-
deren öffentlichen Aufgaben, zum Beispiel Sanierungs-
vorhaben für Schulen, Kindergärten, Freibäder und an-
deres, in Konflikt gerät. Den politischen Sprengstoff
dürfen wir nicht zulassen. Es darf nicht sein, dass wir die
Kommunen mit den Flüchtlingsfragen alleine lassen und
es am Ende zu solchen Konstellationen kommt.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu haben wir auch einen Antrag!)


Denn wir werden in Deutschland mehr Flüchtlinge auf-
nehmen. Das tun wir bereits, und ich hoffe, dass sich
Bund und Länder in dem Punkt einigen, weil wir nicht
nach dem Motto „Den Letzten beißen die Hunde“ han-
deln dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Weil wir über viele Themen gesprochen und auch viel
über TTIP diskutiert haben, bin ich noch nicht zum
Haushalt des Wirtschaftsministeriums gekommen. Ich
will nur noch einmal bestätigen, was Herr Fuchs und an-
dere bereits gesagt haben. Wir hatten im letzten Jahr
0,1 Prozent Wachstum. Im Jahr davor waren es 0,4 Pro-
zent. Jetzt haben wir 1,2 Prozent Wachstum. Da kann
man wirklich nicht behaupten, wir seien auf dem Weg in
die Krise.

Wir haben 325 000 neue Arbeitsplätze in diesem Jahr,
übrigens fast alle sozialversicherungspflichtig. Wir ha-
ben den Höchststand bei der sozialversicherungspflichti-
gen Beschäftigung erreicht. Wir haben zum ersten Mal
seit langer Zeit – wir beide streiten immer darüber, Herr
Schlecht – steigende Reallöhne. Das hat etwas mit den
Tarifabschlüssen zu tun, aber auch mit dem Mindest-
lohn.


(Zuruf von der CDU/CSU: Na ja! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ich glaube, nicht!)


Ich finde übrigens, dass die Bundeskanzlerin gestern
einen ganz wichtigen Satz gesagt hat.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nur einen?)


– Nein, mehrere Sätze. – Sie hat zum Beispiel gesagt,
Frau Kollegin Lötzsch: Nichts rechtfertigt die Aggres-





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

sion gegenüber der Ukraine und das Annektieren der
Krim. – Aber niemand von Ihnen hat geklatscht. Ich
habe das genau gesehen. Man muss ja nicht immer klat-
schen, wenn die Regierungschefin einer anderen Frak-
tion redet, aber bei der Aussage wäre es gut gewesen,
wenn Sie mitgeklatscht hätten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie hat gestern auch gesagt: Man darf nicht Wirt-
schafts- und Sozialpolitik gegeneinander ausspielen. –
Das finde ich richtig. Der Mindestlohn ist doch kein
Wahlgeschenk, wie es manche darstellen. Wir wollen,
dass Leute, die den ganzen Tag arbeiten gehen, nicht am
Ende des Monats zum Sozialamt gehen müssen. Einer,
der arbeiten geht, muss mehr haben als einer, der nicht
arbeiten geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist der Sinn des Mindestlohns. Das ist kein Wahlge-
schenk. Das ist eine hart erarbeitete Leistung.

Auch in der Debatte über die Rente geht es nicht um
ein Wahlgeschenk. Es gibt keine Rente mit 63. Es gibt
eine Rente nach 45 Versicherungsjahren. Dann darf man
mit 63 ohne Abschläge gehen. Bei manchen von denen,
die das kritisieren, würde ich mir wünschen, sie müssten
selbst nach dieser langen Zeit der Erwerbstätigkeit mit
der Rente klarkommen, die die Menschen, die so lange
gearbeitet haben, heute im Schnitt bekommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein bisschen mehr Demut gegenüber denen, die in die-
sem Land arbeiten und dafür manchmal nicht allzu viel
Geld bekommen, würde ich mir in der Diskussion wün-
schen; denn dieses Land lebt von dem Versprechen: Wer
sich anstrengt, der hat etwas davon. – Das ist der Grund,
warum Deutschland seit 1945 diesen Aufschwung ge-
nommen hat. Das ist der Grund: Leistung soll sich nicht
nur für einige wenige, sondern für alle lohnen. „Wohl-
stand für alle“ war Erhards Credo, und das ist der Grund,
warum wir die beiden Dinge nicht auseinanderrücken
können.

Übrigens: Auch die Frauenquote ist doch keine Belas-
tung für die Wirtschaft.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht Herr Kauder aber anders! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU]: Quatsch!)


Jedes Jahr gibt es unter den jungen Frauen mehr und
bessere Schulabschlüsse, und jedes Jahr gibt es unter den
jungen Frauen mehr und bessere Studienabschlüsse.
Trotzdem tauchen diese Frauen in den Spitzenstellungen
der Wirtschaft nicht auf. Das ist nicht nur ungerecht;
selbst der größte Chauvi


(Heiterkeit des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


muss doch erkennen, dass es ökonomischer Wahnsinn
ist, auf die gut ausgebildeten Frauen in den Spitzenstel-
lungen von Staat und Gesellschaft in diesem Land zu
verzichten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Sinn der Frauenquote ist doch nicht, ein paar
Frauen in Spitzenpositionen zu bekommen, sondern der
Sinn der Frauenquote ist, dass in den Führungsetagen
der deutschen Wirtschaft die Alltags- und Lebensrealität,
die Berufswege von Frauen endlich in den Blick genom-
men werden,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


weil Männer diese anders beurteilen als Frauen und weil
Frauen möglicherweise – das ist die Hoffnung bei der
Frauenquote – dann in ihren Unternehmen dafür sorgen,
dass der Berufs- und Karriereweg von Frauen – im
Zweifel mit Kindern und Familie – eine bessere Beglei-
tung erfährt, als das unter dem Blickwinkel der Männer
der Fall ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist der Sinn der Frauenquote. Sie wird der Wirt-
schaft helfen, sie wird dem Land helfen. Wir können
doch nicht über Fachkräftemangel reden, aber nichts da-
gegen tun, dass junge, gut ausgebildete Frauen ihren Be-
rufs- und Karriereweg nicht machen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen ist die Frauenquote keine Belastung, sondern
ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung.

Ich glaube deshalb, dass wir mit all dem, was wir tun,
dem folgen sollten, was die Kanzlerin gestern in ihrer
Rede gesagt hat: Wir dürfen Wirtschaft und soziale Fra-
gen in Deutschland nicht gegeneinanderstellen, sondern
müssen sie miteinander verbinden.

Trotzdem steht Deutschland vor großen Herausforde-
rungen: in der Energiepolitik, bei den Fachkräften, in der
Investitionspolitik. Übrigens: Auch wenn wir 3 Prozent
Wirtschaftswachstum hätten, müssten wir etwas dagegen
tun, dass die energieintensive Industrie das Land verlässt
– durch Desinvestitionen –, weil wir zu hohe Energie-
kosten für diesen Bereich haben. Es darf uns aber nicht
egal sein, ob die Grundstoffindustrie in unserem Land
weiter existieren kann; denn sie ist verantwortlich für
zentrale Wertschöpfungsketten in diesem Land. Wenn
jetzt selbst angeblich aufgeklärte Magazine in Deutsch-
land von einer schützenden Hand reden, die wir über
Stahlkocher halten würden, will ich sagen: Das sind Ar-
beitsplätze, die da sind, damit wir dort das Geld verdie-
nen, das wir brauchen, um es auch in Ökologie und
Soziales investieren zu können. Darum geht es in
Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807003600

Herr Minister – –






(A) (C)



(D)(B)

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Ich komme zum Schluss. – Ich bedanke mich für Ihre
Geduld. Ich wollte wenigstens am Ende noch den Ein-
druck vermitteln, dass es nicht so ist, dass ich glaube, al-
les sei gut, sondern ich meine, dass wir eine Menge He-
rausforderungen vor uns haben und es keineswegs so ist,
dass wir die alle schon bewältigt hätten. Aber es macht
halt auch keinen Sinn, das Land irgendwie in die Krise
hineinzureden, und es macht keinen Sinn, zu glauben,
wenn man auf den deutschen Bauchnabel schaut, könnte
man sich irgendwie noch vernünftig bewegen in einer
sich völlig verändernden Welt.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1807003700

Bevor der Kollege Schlecht, der sich an der dazu vor-

gesehenen Stelle bereits aufgebaut hat, das Wort erhält,
will ich noch eine geschäftsleitende Bemerkung machen:
Ich habe natürlich gesehen, dass es zwischendurch noch
weitere Wünsche zu Zwischenfragen gab. Wir haben
aber – wie ich finde, vernünftigerweise – die Gelegen-
heit genutzt, Fragen, die uns besonders beschäftigen,
unabhängig von der Vorbereitung des Ministers in den
Mittelpunkt dieser unmittelbaren parlamentarischen
Aussprache zu stellen – mit dem Effekt, dass die Rede-
zeit des Ministers mehr als verdoppelt worden ist.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Sehr gut!)


– Ich fand das ja auch sehr vernünftig; wir haben nur
vorher einen Beschluss zur Dauer der Debatte gefasst,
der mit dieser unserer eigenen Handhabung natürlich in
einen immer stärkeren Konflikt geraten ist. Deswegen
bitte ich um Verständnis dafür, dass ich mit Rücksicht
auf andere Tagesordnungspunkte, die heute über den Tag
erledigt werden müssen, irgendwann darauf verzichtet
habe, den Minister um die Genehmigung weiterer Zwi-
schenfragen zu bitten. Ich fürchte, er hätte dem stattge-
geben,


(Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause)


was mit Blick auf unsere weitere Tagesordnung dann
schwierig geworden wäre. Das wollte ich nur zur Unter-
richtung sagen. Ich glaube, anders, als einen Mittelweg
zu suchen, können wir vernünftigerweise nicht verfah-
ren.

Herr Kollege Schlecht, jetzt haben Sie das Wort.


Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807003800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Herr Gabriel, dass Sie zum Schluss das Erhard’sche
Zitat vom Wohlstand für alle zustimmend – so habe ich
das jedenfalls verstanden – vorgetragen haben, finde ich
sehr mutig; denn gerade in den letzten zehn, zwanzig
Jahren ist diese Devise des ehemaligen Bundeskanzlers
– gerade beginnend mit der von SPD und Grünen ge-
führten Regierung – so mit Füßen getreten worden wie
noch nie zuvor in der bundesdeutschen Geschichte.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


Wir haben eine Auseinanderentwicklung zu beklagen. In
den letzten zehn, zwanzig Jahren ging es eben nicht um
Wohlstand für alle, sondern es gab die Entwicklung, dass
die Reallöhne des Einzelnen heute im Durchschnitt im-
mer noch unter dem Niveau des Jahres 2000 liegen,
während die Einkommen aus Unternehmertätigkeit, die
Gewinneinkommen um 20, 30 oder sogar 40 Prozent
nach oben geschnellt sind. Dass hier nicht Wohlstand für
alle geschaffen wurde, ist offensichtlich. Insofern ist es
schon zynisch, wenn Sie dieses Zitat hier weitertragen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die dramatische Auseinanderentwicklung bei den
Einkommensverhältnissen ist einer der Gründe, weshalb
wir in Deutschland eine labile wirtschaftliche Situation
haben.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Was? Wie bitte? Das ist doch nicht wahr!)


Viele haben hier gesagt, die wirtschaftliche Situation sei
ganz gut und es hätte viel schlimmer kommen können.
Wenn wir die Quartalswerte zur Kenntnis nehmen, kom-
men wir nicht umhin, zu konstatieren, dass wir in
Deutschland in ökonomischer Hinsicht auf Messers
Schneide stehen. Wir hatten bereits im zweiten Quartal
einen leichten Rückgang der wirtschaftlichen Entwick-
lung – minus 0,1 Prozent – zu verzeichnen. Im dritten
Quartal gab es eine leichte Korrektur nach oben, nämlich
plus 0,1 Prozent. Wie es im vierten Quartal in Anbe-
tracht verschiedenster – zum Teil kritischer, zum Teil po-
sitiver – Indikatoren laufen wird, ist in der Tat eine of-
fene Frage.

Vor diesem Hintergrund ist eine grundlegende Kor-
rektur der Wirtschaftspolitik in Deutschland notwendig.
Diese muss darin bestehen, die Binnennachfrage endlich
wieder deutlich zu stärken. Wir müssen wieder – ge-
nauso wie Erhard es zum Ausdruck gebracht hat; da
fängt es an – Wohlstand für alle schaffen. Es muss dabei
vor allen Dingen um den Wohlstand breiter Bevölke-
rungsschichten gehen. Auf diesen müssen wir wieder
viel stärker setzen.


(Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Wir Linke wollen eine massive Steigerung der Löhne.
Die Löhne sind um gut 18 Prozent hinter dem zurückge-
blieben, was in den letzten 15 Jahren möglich gewesen
wäre. Wir wollen wieder die Rahmenbedingungen für
eine offensive Tarifpolitik schaffen. Dafür müssen solche
Knüppel wie Leiharbeit, Befristung und Werkverträge,
die den Gewerkschaften zwischen die Beine geworfen
wurden, weg. Dann wird es in Tarifrunden wieder mög-
lich sein, ganz andere und viel deutlichere Lohnsteige-
rungen zu erzielen. Das ist das Hauptcredo unserer lin-
ken Wirtschaftspolitik.


(Beifall bei der LINKEN)






Michael Schlecht


(A) (C)



(D)(B)

Wenn es schon in den Tarifrunden des nächsten Jahres
möglich wäre, anständige Lohnerhöhungen von 4 oder
5 Prozent zu erzielen – das wäre aus meiner Sicht abso-
lut notwendig –, dann gäbe es allein aufgrund dieser
Lohnerhöhungen Impulse im Umfang von über 10 Mil-
liarden Euro. Wenn wir dann noch einen vernünftigen
Mindestlohn von mindestens 10 Euro einführen würden,
und zwar ohne diese Löcher, diese Ausnahmen, über die
wir hier weidlich diskutiert haben, dann würden wir ei-
nen Nachfrageeffekt in Deutschland erzielen, der noch
einmal bei annähernd 20 Milliarden Euro liegen würde.
Wenn wir darüber hinaus Hartz-IV-Beziehern 500 Euro
– das ist das Mindeste, was man sich überhaupt vorstel-
len kann – unter Wegfall diverser Sanktionen zahlen
würden, hätten wir noch einmal einen Impuls im Um-
fang von 10 Milliarden bis 15 Milliarden Euro bei der
Binnennachfrage zu verzeichnen, und zwar zum Wohle
der betreffenden Menschen als auch der ökonomischen
Entwicklung in Deutschland; denn die Menschen, die
unter solch niedrigen Einkommen leiden, geben ihr Geld
dann wirklich aus.

Wir brauchen über diese Dinge hinaus natürlich auch
– das kann ich jetzt nur kurz ausführen; es ist darüber
viel referiert worden – hier in Deutschland endlich deut-
lich mehr Investitionen. Ein Zitat des DIW-Präsidenten
Herrn Fratzscher lautet:

Seit 1999 hat Deutschland einen Investitionsrück-
stand von … einer Billion Euro aufgebaut und da-
durch erhebliche Wachstumschancen verpasst. Wir
gefährden damit die Zukunft Deutschlands als Wirt-
schaftsstandort …

usw. An diesem Zitat des DIW-Präsidenten, der hier vor-
hin schon so wohlwollend zitiert worden ist, erkennt
man, was in Deutschland zu tun ist.

Wir fordern, dass in Deutschland jährlich mindestens
50 Milliarden Euro mehr in die verschiedenen Bereiche
der Infrastruktur investiert werden. Es gäbe auch eine Fi-
nanzierungsmöglichkeit jenseits von Schulden. Man
müsste endlich Reiche und Vermögende richtig besteu-
ern. Wir sind für die Millionärsteuer, wir wollen eine
Wiedereinführung der Vermögensteuer. Alle, die mehr
als 1 Million Euro Vermögen haben – möglicherweise
Herr Fuchs, ich weiß es nicht –, sollen 5 Prozent Steuern
auf ihr Vermögen zahlen. Dann hätten wir mehr als
80 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und könnten
wirklich großdimensionierte, sinnvolle Investitionspro-
gramme auflegen, ohne uns großartig neu verschulden
zu müssen. Das ist das, was wir wollen. Aber ich weiß:
Die Regierung – Herr Gabriel ist nicht mehr da – scheut
davor zurück,


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Der hört sich so einen Quatsch nicht an!)


weil sie zu feige ist, die Reichen in Deutschland anzuge-
hen. Wer diese Feigheit weiterhin praktiziert, versündigt
sich an den Interessen dieses Landes.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807003900

Danke, Herr Kollege Schlecht. – Schönen guten Mor-

gen, liebe Kolleginnen und Kollegen im Saal und liebe
Gäste auf der Tribüne!

Nächster Redner in der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer
für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1807004000

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Den Men-
schen in Deutschland geht es gut wie lange nicht. Ich
würde sogar sagen: Den allermeisten geht es so gut, wie
es ihnen noch nie in Deutschland gegangen ist. Ich muss
schon sagen: Wenn man hört, was der Kollege Claus, die
Frau Wagenknecht, der Herr Ernst oder jetzt gerade
– nomen est omen – der Herr Schlecht hier erzählen,
dann muss ich sagen: Mit Verlaub, das ist Stuss, absolu-
ter Stuss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Manche Sachen muss man klar aussprechen!)


Es ist eine Mischung von Halbwahrheiten, von ökono-
mischem Schwachsinn und von Verdrehung von Daten
und Fakten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])


Sie haben gerade wieder mehrfach gesagt, die Rei-
chen würden zu wenig besteuert, die Armen zu viel und
es gebe Gerechtigkeitslücken. Es werden hier Stimmun-
gen gemacht und Dinge suggeriert, die hinten und vorne
nicht zusammenpassen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach ja?)


Ich sage Ihnen jetzt einmal, wer 2013 wie viel zur
größten direkten Steuer, der Einkommensteuer, beigetra-
gen hat. Das Aufkommen betrug rund 200 Milliarden
Euro. Das oberste 1 Prozent der Steuerzahler hat 19,8 Pro-
zent der 200 Milliarden bezahlt, also fast 40 Milliarden
Euro. Die oberen 10 Prozent haben 50,7 Prozent bezahlt,
die oberen 20 Prozent 67,4 Prozent und die oberen
50 Prozent 92,5 Prozent.


(Zurufe des Abg. Roland Claus [DIE LINKE])


Das heißt natürlich umgekehrt: Die untersten 50 Prozent
haben 7,5 Prozent bezahlt, und die untersten 20 Prozent
haben 0,1 Prozent der Einkommensteuer bezahlt.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807004100

Herr Kollege Pfeiffer, erlauben Sie eine Zwischen-

frage oder -bemerkung des Kollegen Schlecht?


(Zuruf von der CDU/CSU: Bemerkungen gibt es nicht!)


– Bemerkungen gibt es auch. Das sieht die Geschäfts-
ordnung vor.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1807004200

Ich erlaube es gerne.


Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807004300

Herr Pfeiffer, diese wunderbare Rechnerei der Steuer-

belastung kennt man ja sattsam, aber sie anzuführen,
zeugte schon immer von einer sehr ausgeprägten intel-
lektuellen Leistung; denn es ist doch überhaupt kein
Wunder in einem Land – ich habe es doch gerade eben
lang und breit dargelegt; Sie haben offensichtlich nicht
zugehört –, in dem seit dem Jahr 2000 die Einkommens-
entwicklung von Reich und Arm so stark auseinander-
geht: Auf der einen Seite werden die Reichen immer rei-
cher, sodass sie gar nicht mehr wissen, wo sie ihr Geld
lassen sollen. Auf der anderen Seite aber wird die Armut
immer größer. Es gibt unter denjenigen, die von Armut
betroffen sind, viele Leute, die heute 10 oder 20 Prozent
weniger als im Jahr 2000 verdienen. Dass diese Men-
schen natürlich zum Teil überhaupt keine Steuern mehr
bezahlen, ist doch nur logisch, weil sie gar kein Geld ha-
ben oder nur so wenig, dass das deutlich unter den zu
versteuernden Größen liegt. Insofern kommen dabei sol-
che wunderbaren Zahlen heraus. Dass Sie damit dem ge-
neigten Publikum quasi die Krokodilstränen in die Au-
gen treiben wollen ob der außerordentlichen Belastung
der Reichen, ist schon abenteuerlich.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1807004400

Wir können gerne noch ein wenig bei den Daten und

Fakten verweilen. Tatsache ist, dass im vergangenen
Jahr 200 Milliarden Euro Steuern auf das Einkommen
gezahlt wurden, und zwar von denjenigen, die gearbeitet
haben. – Sie können ruhig noch stehen bleiben. Ich bin
noch lange nicht fertig mit der Beantwortung Ihrer
Frage.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807004500

Ich sage, wie lange er stehen bleibt.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1807004600

Wie Sie dann dazu kommen, zu behaupten, das sei

nicht repräsentativ,


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Das ist unlogisch!)


das müssen Sie mir schon einmal erklären.

Schauen Sie sich doch einmal die Reallohnzuwächse
in diesem Jahr an. Schauen Sie sich doch einmal die
Lohnabschlüsse an. Schauen Sie sich dabei auch an, wel-
che Umverteilungs- und Ausgleichsmechanismen zum
Beispiel mit der Bemessungsgrenze wir in der Sozialver-
sicherung haben. Schauen Sie sich außerdem an, wie
zwischen den Bundesländern im Gesundheitsbereich, im
Pflegebereich, bei der Rentenversicherung und auf ande-
ren Feldern verteilt wird.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Thema der Frage!)

Dass Sie angesichts dessen behaupten, in Deutschland
würde die Schere auseinandergehen, ist wirklich abwegig.

An dieser Stelle fühle ich mich an unsere Bolivien-
Reise erinnert, Herr Schlecht – Kollege Barthel und Kol-
lege Krischer waren ja, glaube ich, dabei –, als Sie den
Bolivianern erklärt haben, dass die Mehrheit der Deut-
schen ihr Wohnzimmer auch mit Bananenkisten ein-
richte. Das war selbst dem Kollegen Barthel zu viel.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe das nicht erklärt!)


Was Sie da erzählen, das hat mit der Realität in diesem
Land wirklich nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ich nicht! Da lege ich schon Wert drauf! Das war ich nicht!)


– Doch. Du warst auch dabei.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])

Kollege Barthel hat jedenfalls gesagt, jetzt reiche es, das
sei selbst ihm zu viel. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist er
nicht verdächtig.

Den Menschen geht es also gut. Die Einkommen stei-
gen. Die Menschen sind Gott sei Dank gesund. Außer-
dem nimmt die Lebenserwartung zu. Nicht nur den Men-
schen geht es gut, sondern auch die deutsche Wirtschaft
ist in einer robusten Verfassung. 43 Millionen Menschen
sind in Lohn und Brot. Die meisten davon sind in keinen
prekären Beschäftigungsverhältnissen, sondern in so-
zialversicherungspflichtigen Verhältnissen. Im Jahr 2005
waren es 27 Millionen Menschen. Jetzt sind wir bei über
30 Millionen Menschen. In nicht einmal zehn Jahren ist
also die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter
um 4 Millionen Menschen angestiegen. Diese Entwick-
lung fand trotz der demografischen Entwicklung und den
damit verbundenen großen Herausforderungen statt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Seit Oktober vergangenen Jahres sind es rund 479 000
Menschen mehr. Es sind also fast eine halbe Million
Menschen mehr in Lohn und Brot, die Steuern und Sozi-
alversicherungsbeiträge zahlen, wie gerade diskutiert.
Deshalb können wir uns auch etwas leisten.

Gerade in den letzten Minuten wurden die aktuellen
Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben. Entgegen den Er-
wartungen ist die Arbeitslosigkeit gesunken. Die Ar-
beitslosigkeit ist ja das Gegenstück zur Beschäftigung,
wobei die Beschäftigung noch viel wichtiger ist. Wenn
verkündet würde, dass zwar die Arbeitslosigkeit zurück-
ginge, aber die Beschäftigung konstant bliebe oder gar
auch zurückginge, dann wäre das keine gute Nachricht.
Die Beschäftigung ist aber ausgeweitet worden. Und zu-
gleich ist die Arbeitslosenzahl zurückgegangen auf
2,71 Millionen Menschen. Das ist die niedrigste Arbeits-
losenzahl, die wir in Gesamtdeutschland seit 1990 hat-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Thomas Jurk [SPD])






Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Darüber hinaus haben wir – das ist nach meiner Erin-
nerung vorhin bereits von Frau Dröge angesprochen
worden – für unsere Jugend die besten Perspektiven, die
wir jemals in Deutschland hatten. Schauen Sie sich ein-
mal die Jugendarbeitslosigkeit oder die Zahl der Ausbil-
dungsplätze an. Auch da hat sich die Entwicklung völlig
umgekehrt. Während wir vor zehn Jahren in diesem
Haus noch über planwirtschaftliche Ausbildungsabga-
ben diskutiert haben, die wir Gott sei Dank nie einge-
führt haben, haben wir heute eher einen Mangel, und
zwar an Bewerbern, nicht an Ausbildungsplätzen. Im
Handwerk, im Dienstleistungsbereich und im Handel
können heute bereits viele Ausbildungsplätze nicht be-
setzt werden. Das heißt, wir haben ganz andere Pro-
bleme als die, die uns hier zum Teil suggeriert werden.

Auch der Export läuft nach wie vor hervorragend. In
diesem Jahr haben wir in mehreren Monaten Waren im
Wert von über 100 Milliarden Euro exportiert. Wir wer-
den dieses Jahr wohl einen neuen Exportrekord aufstel-
len.

Wir in Deutschland sind es doch, die weltweit das
größte Interesse daran haben, dass der Freihandel fair
und offen stattfindet. Wir in Deutschland haben deshalb
das größte Interesse an Freihandelsabkommen, die den
Handel regeln. Wir in Deutschland wollen dabei vor al-
lem den Freihandel regeln, nicht aber alle möglichen Le-
bensumstände der Menschen in den verschiedenen Län-
dern. Es geht also um Freihandel und darum, ob wir
unsere Produkte und Dienstleistungen in der Welt auch
weiterhin uneingeschränkt verkaufen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei den heutigen Haushaltsberatungen geht es um
Konsolidieren und Wachsen. Sparen, Neuverschuldung
beenden, Einstieg in den Schuldenabbau – das ist doch
das Beste, was wir für uns selber, aber vor allem auch für
unsere Kinder tun können. Bekanntlich sind ja die
Schulden von heute die Steuern von morgen. Wenn wir
es angesichts unserer demografischen Entwicklung
schaffen, keine neuen Schulden zu machen, sogar Schul-
den abzubauen, dann schaffen wir für morgen und für
übermorgen Freiräume. Und trotzdem sind wir in der
Lage, zu investieren. Auch dies ist ja vorhin angespro-
chen worden.

Die Zinsen werden sicher nicht immer so niedrig blei-
ben, wie sie im Moment sind. 0,1 Prozentpunkte mehr an
Zinsen bedeuten für den Bundeshaushalt im Moment pro
Jahr Mehrausgaben in Höhe von ungefähr 1 Milliarde
Euro. Das heißt, 1 Prozentpunkt macht 10 Milliarden
Euro aus. Wer sich das vor Augen führt, der weiß, dass
es gut ist, in Zeiten, in denen der Zins niedrig ist und die
Steuereinnahmen sprudeln, die Neuverschuldung zu be-
enden und Schulden abzubauen; denn auch dies schafft
Freiräume in der Zukunft. Sparen und Konsolidieren
sind deshalb kein Widerspruch zu Wachstum, sondern es
sind zwei Seiten derselben Medaille.

Aber selbstverständlich ist nicht alles gut. Wer nicht
immer besser wird, hört auf, gut zu sein. Deshalb inves-
tieren wir in diesem Haushalt in Forschung und Ent-
wicklung und damit in die Zukunft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land haben wir in absoluten Zahlen so viel in Forschung
und Entwicklung investiert, wie im Haushalt für das
nächste Jahr vorgesehen. Die entsprechenden Zahlen
waren noch nie so hoch, auch wenn es noch Luft nach
oben gibt; Kollege Fuchs hat es vorhin angesprochen.
Aber die 3 Prozent Steigerung, die wir uns vorgenom-
men haben, erreichen wir. Ich möchte das an drei Bei-
spielen erläutern: Wir investieren in den Mittelstand, wir
investieren in die Energieforschung, und wir investieren
in die Luft- und Raumfahrt.

Der deutsche Mittelstand ist bekanntlich Innovations-
motor und Rückgrat unserer Wirtschaft. Über 1 500
deutsche Unternehmen sind Weltmarktführer in ihrem
Segment. Neun von zehn der Spitzenunternehmer sind
Mittelständler. Jeder Mittelständler in Deutschland
bringt in aller Regel alle zwei Jahre eine Innovation auf
den Markt; in den anderen europäischen Ländern ist dies
nur alle drei oder vier Jahre der Fall. Das kommt nicht
von ungefähr. Ich glaube nicht, dass wir so viel intelli-
genter sind als der Rest Europas. Vielmehr hängt das von
den Rahmenbedingungen ab.

Wir haben Rahmenbedingungen geschaffen, die es er-
möglichen, dass gerade mittelständische Unternehmen
in Forschung und Entwicklung, in die Marktreife, in das
An-den-Markt-Bringen ihrer Produkte und Dienstleis-
tungen investieren. In diesem Zusammenhang ist zum
Beispiel das ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm
Mittelstand, zu erwähnen. Herr Jurk hat es eingangs be-
reits angesprochen: Wir erhöhen die Mittel für dieses
Programm um 30 Millionen Euro auf 543 Millionen
Euro. Das heißt, die Mittel für dieses Programm befin-
den sich auf sehr hohem Niveau; seit Jahren liegen sie
bei über 500 Millionen Euro. Wir investieren in Unter-
nehmensgründungen. Wir investieren in Wagniskapital.
Wir geben im nächsten Jahr also über 650 Millionen
Euro allein für Innovationen im deutschen Mittelstand
aus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


So schaffen wir auch zukünftig Arbeitsplätze, neue Pro-
dukte und Dienstleistungen.

Zur Energieforschung. Im Jahr 2000 haben wir in
Deutschland gerade einmal 300 Millionen Euro in die
Energieforschung investiert. Seit dem Jahr 2005, seit die
Union die Regierung führt, in wechselnden Konstella-
tionen, wurden die Energieforschungsausgaben kontinu-
ierlich erhöht. Die Energieeffizienz wurde schon an-
gesprochen. Die Forschungsausgaben im Bereich
Energieeffizienz wurden in den letzten Jahren verzehn-
facht,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nicht für die Energieeffizienz!)


im Bereich der erneuerbaren Energien verfünffacht, auch
im Bereich der Speichertechnologien. Ich nenne Ihnen





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

die Zahlen: Wir geben in 2015 über 900 Millionen Euro,
nämlich 925 Millionen Euro, für Energieforschung aus –


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden aber nicht über den Forschungsetat, sondern über den Wirtschaftsetat!)


das Dreifache dessen, was wir vor zehn Jahren ausgege-
ben haben. In der Planung haben wir für 2016 über
1 Milliarde Euro und für 2017 über 1,1 Milliarden Euro
vorgesehen. So schaffen wir auch mit Forschung und
Entwicklung Innovationen gerade in dem wichtigen Feld
der Energie, sodass wir auch dort an der Spitze bleiben.

Zum Thema Luft- und Raumfahrt. Es geht dort nicht
nur um Grundlagenforschung und Erkenntnis; nein, es
geht dort auch um sehr konkrete Dinge. Es geht quasi
vom All in den Alltag. Luft- und Raumfahrt fasziniert
auch, wie wir in den letzten Wochen im Zusammenhang
mit dem deutschen Astronauten gesehen haben, Frau
Zypries, der wirklich die Massen in Deutschland mobili-
siert hat – so kann man sagen – und deutlich gemacht
hat, was hier in Deutschland möglich ist.


(Zuruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])


– Ich weiß: Er kommt aus Künzelsau, und Christian von
Stetten ist mit ihm zur Schule gegangen. Trotzdem hat er
es ins All geschafft. Herzlichen Glückwunsch an alle
Beteiligten!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch bei der Mission „Rosetta“ beispielsweise geht
es nicht nur um reinen Erkenntnisgewinn. Nein, all diese
Aktivitäten schlagen sich ganz konkret dann auch im
Alltag nieder. Es gäbe heute keine Klimaforschung,
Waldbrände könnten nicht frühzeitig erkannt werden,
wenn wir nicht Programme wie „Copernicus“ hätten.
Auch die Ergebnisse der Versuche, die Alexander Gerst
durchgeführt hat, fließen direkt in die medizinische For-
schung zum Muskel- und Knochenabbau ein.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807004700

Herr Kollege, Sie denken an die Redezeit?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1807004800

Ich denke an die Redezeit, –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807004900

Dann ist ja gut.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1807005000

– leider schon die ganze Zeit. Wenn Sie mich nicht

aufhalten würden, wäre ich noch schneller fertig.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807005100

Moment, Moment!


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1807005200

Aber ich komme gleich zum Schluss.

Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807005300

Ihre Kollegen bekommen dann weniger Redezeit.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1807005400

Das Stichwort „Erdbeobachtung“ will ich im Zusam-

menhang von Forschung und Alltag noch nennen.

Im dritten Feld, bei der Luft- und Raumfahrt – damit
schließe ich –, werden in die Technologieforschung
160 Millionen Euro investiert. Ins nationale Weltraum-
programm werden 270 Millionen Euro und ins interna-
tionale Weltraumprogramm, sozusagen in die Zusam-
menarbeit, 630 Millionen Euro investiert. Das ist über
1 Milliarde Euro für diesen Bereich. Das ist gut angeleg-
tes Geld, damit wir auch in Zukunft an der Spitze mit-
spielen können, in Zukunft noch besser werden, als wir
es heute schon sind, und auch 2020, 2030 sagen können:
Jawohl, Deutschland spielt an der Spitze mit. – Dafür le-
gen wir mit diesem Bundeshaushalt die Grundlage. Wir
säen also, damit die Pflanzen wachsen und wir dann die
Früchte ernten können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807005500

Danke, Herr Kollege.

Ich unterbreche, wenn die Redezeit radikal über-
schritten wird. Das war der Fall. Deswegen werde ich ei-
nem Ihrer Kollegen jetzt etwas Redezeit abziehen müs-
sen; tut mir leid.


(Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE] – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das war eine Minute!)


– Das war nicht eine Minute. Ich habe die Uhr hier, Herr
Pfeiffer.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Gut, akzeptieren wir!)


– Danke, Herr Kauder.

Nächster Redner: Oliver Krischer für Bündnis 90/Die
Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807005600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesminister Gabriel, ich fand es gut, dass wir
hier einmal eine Debatte über TTIP, über CETA, über
Freihandelsabkommen geführt haben und herausgearbei-
tet haben, dass Sie – ich habe das in der Klarheit noch
nicht gehört; ich glaube, das war auch öffentlich nicht
klar – CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada,
mit Investitionsschutz zustimmen werden. Das hat sich
gelohnt; denn Sie haben das klipp und klar gesagt. Es ist
gut, dass das hier von Ihnen klargestellt worden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])






Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

Es ist kein Geheimnis, dass wir da eine andere Auffas-
sung haben.


(Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/ CSU])


Ich bin einmal gespannt darauf, was die Sozialdemo-
kratie, die dazu ja etwas Konträres beschlossen hat, in
Zukunft dazu sagen wird. Da stehen uns sicherlich noch
interessante Debatten bevor.


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Sie müssen die Dokumente des Konvents gründlich lesen!)


Wenn Sie das nicht innerhalb Ihrer Partei hinbekommen,
dann ist es ja gut, wenn wir es hier im Plenum schaffen,
die Position klarzumachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE] – Thomas Jurk [SPD]: Sie müssen sich auch positionieren! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Nur Nein zu sagen, Herr Krischer, bringt uns nicht weiter!)


Herr Gabriel, Sie haben hier 40 Minuten geredet; der
Präsident hat das bestätigt. Das ist völlig in Ordnung. Ich
würde mir wünschen, Sie kämen einmal zur Fragestunde
und beantworteten dort die Fragen, anstatt Ihre Staatsse-
kretäre vorzuschicken, die vom Blatt ablesen und die
Fragen anderweitig beantworten. Da sollten Sie sich ein-
mal stellen; den Mut sollten Sie haben. Das wäre Parla-
mentarismus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber Mut können Sie ihm nicht absprechen!)


Sie haben zwar 40 Minuten über TTIP und viele an-
dere Dinge gesprochen – Sie haben auch etwas zur Ener-
giepolitik gesagt –, aber Sie haben nicht ein einziges Mal
– Zeit dafür wäre durchaus gewesen – das Wort „Klima-
schutz“ erwähnt; das kommt bei Ihnen gar nicht vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das haben Sie überhaupt nicht im Kopf. Ich sage Ihnen
auch, warum: Sie werden das Klimaschutzziel 2020 kra-
chend verfehlen.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Reden Sie doch nicht so einen krachenden Quatsch!)


Das ist die Bilanz von mehreren Regierungen Merkel, an
denen Sie zweimal – als Umweltminister und als Wirt-
schaftsminister – beteiligt waren. Das ist Ihre Bilanz,
wenn dieses Klimaschutzziel verfehlt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Öffentlichkeit ist eines klar – es ist gut, dass das
deutlich geworden ist –: Wir kommen nicht drumherum,
etwas beim Kohlekraftwerkspark zu tun. Wir müssen
endlich die ältesten Kohlekraftwerke aus Adenauers Zei-
ten vom Netz nehmen, wenn wir das Klimaschutzziel er-
reichen wollen. Da habe ich in den letzten Wochen etwas
erlebt, was ich bei Sigmar Gabriel gar nicht kannte:
Viermal hat er in drei Wochen seine Position verändert.

Heute war vielleicht nicht die Gelegenheit, es zu er-
klären; aber draußen ist Ihre Position nicht deutlich ge-
worden, und auch ich habe es nicht verstanden, wie jetzt
22 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart wer-
den sollen – wobei das eigene Ministerium sagt, es
müsste mindestens doppelt so viel sein, und wissen-
schaftliche Gutachten besagen, es müsste dreimal so viel
sein. Dazu kommt nichts. Wird es da ein Gesetz geben?
Wird es eine freiwillige Selbstverpflichtung geben? –
All das wissen wir nicht. Dabei ist es erforderlich, dass
wir beim fossilen Kraftwerkspark endlich etwas machen.
Dazu würde ich mir – wo auch immer – eine Klarstel-
lung wünschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es mag ja sein – wahrscheinlich ist es auch so –, dass
Ihnen der Klimaschutz egal ist, dass das nicht Ihr Thema
ist, dass Sie sagen: Komm, ich bin Sozi, ich bin für qual-
mende Schlote; das ist mein Ziel, das ist das, wovon ich
erzähle. – Aber das ist nicht zukunftsfähig. Welches
Signal sendet ein Wirtschaftsminister, eine Bundesregie-
rung aus dem Energiewendeland Deutschland, wenn hier
hochmoderne Gaskraftwerke abgeschaltet werden und
Investoren ernsthaft überlegen, sie zu demontieren und
im Ausland wieder aufzubauen? – Nachdem Sie schon
die erneuerbaren Energien abgebaut und abgerissen ha-
ben, machen Sie das jetzt auch noch mit der Effizienz-
technologie. Das kann doch nicht sein. Da werden wir
alles dagegensetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch etwas. Wir reden ja heute über den Haushalt. Da
habe ich gehört: Herr Schäuble legt 2016 ein 10-Milliar-
den-Euro-Programm auf. Ich frage mich die ganze Zeit:
Warum kommt das nicht mit diesem Haushalt? Warum,
bitte schön, kommt dieses Investitionsprogramm nicht
sofort, wenn Sie es für erforderlich erachten? – Es kann
doch nicht sein, dass Sie etwas für die Zukunft ankündi-
gen, dass Sie ungedeckte Schecks liefern, an die sich
nächstes Jahr keiner mehr erinnert, und das Geld am
Ende bei der CSU in Bayern landet und in Umgehungs-
straßen investiert wird anstatt in Energieeffizienz, Ge-
bäudesanierung und Effizienztechnologien für die deut-
sche Wirtschaft. Da sollten Sie jetzt die Fakten schaffen
und nicht ungedeckte Schecks für die Zukunft ausstel-
len, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben es hier heute mehrfach von den Kollegen,
die dazu geredet haben, gehört: Da gibt es jetzt einen
Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz und ein Ak-
tionsprogramm Klimaschutz 2020. All das sind nur Wort-
hülsen; das ist nur beschriebenes Papier. Am Ende ist die
Wahrheit im Haushalt. Da muss man eines feststellen:
Sie sind auf dem gleichen Niveau wie Ihr Amtsvorgän-
ger. Sie haben die gleichen Mittel, die gleichen Pro-
gramme im Haushalt wie Philipp Rösler – nichts mehr.
Da ist die Große Koalition nach einem Jahr angekom-
men. Das ist nicht zukunftsgerecht. Das ist ein Rück-





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

schritt in die Vergangenheit. Das hilft uns beim Klima-
schutz nicht weiter.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Einmal durchschnaufen!)


Das bringt die deutsche Wirtschaft nicht voran. Das ist
an der Stelle nicht in Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807005700

Denken Sie an die Redezeit.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807005800

Letzter Satz, Frau Präsidentin.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807005900

Nein, stopp, Herr Krischer! – Erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage vom Kollegen Jurk?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, wenn die Redezeit abgelaufen ist, geht das nicht mehr! – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Die Redezeit ist abgelaufen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie ist schon längst abgelaufen, die Redezeit!)


– 20 Sekunden.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: 25! Feierabend!)


– Wir können jetzt gerne mal die Geschäftsführer nach
vorne holen, wenn Sie mögen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Hauptsache, ihr kriegt jetzt eine Minute abgezogen!)


So, Herr Jurk.


Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1807006000

Ich hoffe, Herr Krischer freut sich, wenn ich durch

meine Frage jetzt auch seine Redezeit verlängere.

Zu meiner Frage. Sie haben eben Herrn Rösler be-
müht. Ich kann mich erinnern: Als Schwarz-Gelb an der
Regierung war, bestand große Unsicherheit darüber, was
aus all den Energieprogrammen wird, die aus dem EKF
gespeist werden; denn durch die sinkenden Einnahmen
aus dem Zertifikatehandel und der fehlenden Brennele-
mentesteuer ist ja ein Teil der Basis weggebrochen. Wä-
ren Sie bereit, mir zuzustimmen, dass wir mit dem in
diesem Haushalt vorgesehenen Bundeszuschuss dafür
sorgen werden, dass eine solide Basis für die Finanzie-
rung der energetischen Programme gelegt wird? Das
kann man mit dem, was Herr Rösler gemacht hat, nun
wirklich nicht vergleichen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807006100

Herr Jurk, ich danke Ihnen für diese Frage, mit der

Sie lediglich bestätigen, dass Sie die Mittel aus dem
Bundeshaushalt nehmen. Der blödsinnige EKF hat seine
Funktion doch völlig verloren. Das haben wir als Grüne
schon damals kritisiert.


(Thomas Jurk [SPD]: Wir auch!)


Trotz des Eindrucks, den Sie durch das, was Sie er-
zählen, erwecken: Sie setzen in der Summe keinen einzi-
gen Euro mehr ein.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist falsch!)


Im Gegenteil: Die Mittel für die Programme werden re-
duziert, und das Marktanreizprogramm wird verkleinert.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, mit der Sie auf dem
Niveau von Philipp Rösler angekommen sind.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Trickserei!)


Ihre Versprechen sind lediglich ungedeckte Schecks für
die Zukunft.

Sie haben die Planungs- und Investitionssicherheit
angesprochen. Es ist doch ein Irrsinn, dass Sie Pro-
gramme ankündigen, aber niemand weiß, ob sie 2016
auch realisiert werden. Ich sage Ihnen, was das für einen
Effekt hat: Wenn ich überlege, mein Gebäude zu sanie-
ren, dann mache ich 2015 nichts, sondern ich warte auf
das Programm, das Sie für 2016 angekündigt haben. Das
heißt: Im Ergebnis wird es 2015 sogar noch einen Ab-
sturz bei den Investitionen geben. Das ist genau das Ge-
genteil von dem, was wir brauchen. Das ist das Ergebnis
Ihrer Politik. Mit Ihren folgenlosen Ankündigungen und
nicht substanziellen, ungedeckten Schecks ziehen Sie
am Ende alles runter. Sie machen die Investitionen ka-
putt. Das müssen Sie sich – tut mir leid – ins Stammbuch
schreiben lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807006200

Herr Kollege, erlauben Sie eine Rückfrage des Kolle-

gen Jurk?


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807006300

Ja, aber selbstverständlich.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807006400

Gut.


Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1807006500

Kollege Krischer, Sie sitzen nicht im Haushaltsaus-

schuss. Würden Sie mir recht geben, dass wir beispiels-
weise die Mittel für die Forschung für erneuerbare Ener-
gien und Energieeffizienz erhöht haben? Würden Sie
zugeben, dass wir im Vorausblick auf den Nationalen
Aktionsplan bereits eine Vielzahl neuer Energieeffi-
zienzmaßnahmen angekündigt


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Angekündigt!“)


haben, die wir selbstverständlich auch einpreisen wer-
den?





Thomas Jurk


(A) (C)



(D)(B)


(Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Gehen Sie davon aus, dass sich die Bundesregierung
an das hält, was das Kabinett beschließt.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Sie lachen immer darüber.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie alle drei, vier Wochen etwas anderes sagen, dann wird das schwierig!)


Ich möchte Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass
wir bei der Übertragung von Programmen des Bundes-
umweltministeriums, insbesondere beim UAP, dafür ge-
sorgt haben, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
jetzt im Bundeswirtschaftsministerium tätig sind, aus der
sachgrundlosen Befristung herausgenommen und in
feste Beschäftigungsverhältnisse übernommen wurden.
Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Haushalt.
Würden Sie wenigstens das zur Kenntnis nehmen?


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807006600

Das ist ja alles schön und gut, Herr Kollege Jurk, was

Sie hier aufzählen. Aber Sie haben selber gesagt, Sie ha-
ben „angekündigt“.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie mal die Wahrheit!)


Ich habe nichts davon gehört, dass klar ist, wie viel in
die Gebäudesanierung investiert wird. Aus der Union
werden ganz andere Vorstellungen laut: Sie will das
Geld in neue Straßen investieren. Da bin ich sehr ge-
spannt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wortverdreher!)


Ich bin auch sehr gespannt, ob das Geld am Ende über-
haupt fließen wird, ob es auch frisches Geld geben wird.
Das alles werden wir sehen. Das führt am Ende nur zu
Attentismus.

Was die Ankündigungen angeht: Der Wirtschafts-
minister hat in den letzten Wochen einen richtig schönen
Eiertanz vorgeführt. Erst hat er gesagt: Wir müssen im
Bereich Kohlekraftwerke etwas tun. Plötzlich war das
alles nicht mehr wahr, und es wurde dementiert. Dann
wurde gesagt: Wir machen ein Programm. Dann wurde
verhandelt. Jetzt hat er auf einmal alle, die überhaupt ge-
fragt haben, ob man im Bereich Kohlekraftwerke etwas
machen muss, für dumm erklärt.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807006700

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807006800

Das zeigt nur: Diese Koalition ist in einer fossilen

Endlosschleife.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mein Gott! Du bist auch eine Endlosschleife hier!)

Sie gehen die Herausforderungen nicht an. Sie investie-
ren nicht in die Zukunft. Das ist nicht zukunftsfähig. Das
bringt uns nicht nach vorne. Das ist nicht das, was unser
Land, was Europa braucht.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807006900

Vielen Dank, Herr Kollege Krischer. – Nächster Red-

ner in der Debatte, Dr. Peter Ramsauer für die CSU/
CDU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1807007000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In der vergangenen Woche hatte ich Besuch
von einer Reihe ausländischer Führungskräfte aus der
Wirtschaft. Eine der zentralen Fragen an mich war: Was
tut Deutschland gegen die verheerende Rezession, in die
es jetzt hineinschlittert? Ich dachte mir: Das ist das typi-
sche Bild, das mancherorts von der Lage in Deutschland
gezeichnet wird. Lieber Herr Krischer, Ihre Rede eben
war so ein verheerender Beitrag, eine gespenstische
Rede, die genau dieses verzerrte Bild von Deutschland
fördert.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gespenst sind Sie!)


Deswegen kann man nicht oft genug sagen: Schauen
Sie sich die Realität an. Die Zahlen sind alle genannt
worden. Auch wenn die Wachstumserwartungen nicht
ganz so hoch sind, wie wir sie nach dem Frühjahrsgut-
achten dieses Jahres noch erwartet hatten: Tatsache ist,
dass wir weiterhin Wachstum haben und Deutschland
damit Wachstums- und Wirtschaftslokomotive in Europa
bleibt und auch darüber hinaus für die weltwirtschaftli-
che Entwicklung von erheblicher Bedeutung ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])


Allerdings muss man auch sehen, dass dies gerade in
der jetzigen Lage durch einen fast ungewöhnlich günstigen
Ölpreis begünstigt wird. Manche sagen, er sei ein süßes
Gift, aber im Endeffekt wirkt der niedrige Ölpreis natürlich
als ein gewaltiges Konjunkturprogramm, wenn man sich
einmal vorstellt, dass eine Ölpreissenkung von 10 Dollar
pro Barrel eine Verschiebung von circa 0,5 Prozent des
Weltsozialprodukts von den erdölfördernden zu den erd-
ölverbrauchenden Ländern ergibt. Daran sieht man,
welch gewaltige fördernde Wirkung dies für die Kon-
junktur hat.

Wenn man sich dessen bewusst ist, dann wird auch
klar, dass wir aus eigener Kraft heraus, aus unserer origi-
nären Wirtschaftspolitik heraus alles dafür tun müssen,
dass wir wirtschaftlich stabil bleiben. Ein wesentliches
Stichwort in dieser Debatte dazu lautet: Förderung von
Investitionen. Darauf hat auch Bundeswirtschaftsminis-
ter Sigmar Gabriel eingehend hingewiesen.





Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

Noch einmal zur Erinnerung, wo wir einmal waren:
1998 hatte der Bundeshaushalt eine Investitionsquote
von 12,5 Prozent. Wir waren im vergangenen Jahr, 2013,
auf einem historischen Tiefstand von 8,1 Prozent, wer-
den in diesem Jahr bei 8,6 Prozent liegen, und in den
kommenden Jahren – positive Tendenz – steigt sie auf
8,8 Prozent.

Nun zu den 10 Milliarden Euro, von denen 7 Milliar-
den Euro in den kommenden Jahren – 2016, 2017 und
2018 – effektiv zur Verfügung stehen. Wenn man diese
Mittel dazurechnet, so kommen wir solide auf Investi-
tionsquoten von über 9 Prozent, und damit gehen wir
den entscheidenden, richtigen Weg, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich fände es auch zielführend, darüber nachzudenken,
ob man diese 7 Milliarden Euro nicht ausschließlich in
direkte Investitionen steckt, sondern sie auch zum Teil
dazu verwendet, investitions- und wachstumsfördernde
Steuererleichterungen zu gewähren. Dazu gibt es eine
Reihe von Stichpunkten. Ich bin ein entschlossener Ver-
fechter der Abschaffung der kalten Progression.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dafür gibt es viele Gründe, aber ich nenne nur mal einen
Grund dafür: Im sozialen Bereich passen wir beispiels-
weise die Grundsicherung in jedem Jahr der Entwick-
lung der Einkommen an. Im steuerlichen Bereich tun wir
genau dies nicht, und das führt zur kalten Progression.
Wenn man das Ganze einmal infinitesimal denkt, dann
wird das eines Tages dazu führen, dass wir einen direk-
ten Übergang von der Grundsicherung in den Spitzen-
steuersatz bekommen. Also: Weg mit der kalten Progres-
sion, damit sich das auch entspricht.

Von der steuerlichen Förderung der energetischen Ge-
bäudesanierung wurde bereits gesprochen. Wir hatten
damals in der schwarz-gelben Koalition ein Konzept zur
steuerlichen Förderung bereits fertig. Danke, Herr Bun-
deswirtschaftsminister, dass Sie darauf hingewiesen ha-
ben, woran es gescheitert ist. In meinen Augen ist die
steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanie-
rung etwas, was dem ganzen Projekt noch einmal einen
gewaltigen Schub geben würde, da die steuerliche För-
derung jenseits der KfW-Programme im Einzelfall viel,
viel passgenauer ist.

Eine Reihe weiterer steuerlicher Entlastungen wäre
zu überlegen. Ich persönlich halte beispielsweise die
Luftverkehrsteuer nach wie vor für ein völlig falsches
Instrument. Sie gehört abgeschafft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])


– Danke, Herr Kollege Tiefensee. Wir ziehen hier wirk-
lich an einem Strang. – Die Luftverkehrsteuer benachtei-
ligt die deutsche Luftverkehrswirtschaft einseitig gegen-
über allen anderen Wettbewerbern weltweit.

Da wir gerade bei Steuern sind: Sie ist zwar keine
Bundessteuer, aber die Erbschaftsteuer gehört regionali-
siert. Was die Ausgestaltung anbelangt, gehört sie den
Ländern anheimgestellt. Das wäre ein wirksames und
gutes Mittel für den Steuerföderalismus.

Ich möchte noch ein Wort zum Thema Exportpolitik
verlieren. Wir alle wissen, wie sehr die deutsche Wirt-
schaft vom Export abhängig ist. Die Belastungen und
Verbote, die wir der deutschen Exportwirtschaft auferle-
gen, nehmen eher zu, als dass wir sie Stück für Stück zu-
rückführen. Ich möchte dazu ein paar Beispiele aus der
allerjüngsten Zeit nennen:

Ich halte es für einen schweren Fehler, wenn wir den
Export von deutschen Kohlekraftwerksanlagen quasi un-
terbinden, indem keine Exportkreditgarantien gegeben
werden oder dem Export ähnliche Erschwernisse bereitet
werden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Subventionierung mehr!)


Gestern hatten wir im Wirtschaftsausschuss eine De-
legation von südafrikanischen Kolleginnen und Kolle-
gen zu Gast. Wir haben über die dortige Energiepolitik
und auch über die eigene gesprochen. Sie haben uns
dazu zwei Mitteilungen gemacht:

Sie haben erstens gesagt: Unsere Energieversorgung
in Südafrika beruht zu 85 Prozent auf der Basis von
Kohleverstromung. Daher müssen wir in Südafrika nach
und nach unsere 40 bis 50 Jahre alten Kohlekraftwerke
dringend erneuern. – Wenn wir die sehr guten deutschen
Kohlekraftwerke nicht mehr exportieren lassen mit der
Begründung, wir könnten damit irgendwo in der Welt
CO2-Emissionen unterbinden, dann begehen wir damit
einen schweren Denkfehler.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsche Strukturentscheidungen! Sie wollen Kohle subventionieren!)


Die Kollegen haben uns zweitens erklärt: In dem Fall
holen wir uns unsere Kohlekraftwerke von anderen Lie-
feranten außerhalb Deutschlands, obwohl wir wissen,
dass sie wesentlich schlechtere Effizienzgrade haben. –
Damit wäre eine Joint Implementation auf diesem Ge-
biet geradezu auf den Kopf gestellt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja schön, dass Sie klarstellen, dass die Bundesregierung das weitermacht!)


Wir dürfen keine Erschwernisse im Exportbereich zulas-
sen.

Sie haben uns weiterhin gesagt, dass sie in Südafrika
derzeit nur ein Kernkraftwerk haben und weitere acht
bauen werden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kritisieren Sie den Wirtschaftsminister, oder wie?)


Damit sind wir beim nächsten Thema. Ich halte es für
einen schweren Fehler der deutschen Exportpolitik,
wenn wir, weil wir bis 2022 selbst aus der Kernenergie
aussteigen, in besserwisserischer, belehrender Art und





Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

Weise keine Kernkraftwerkstechnik mehr exportieren
lassen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So geht es also! Aha! Da sieht man das wahre Gesicht der Großen Koalition!)


Denn auch wenn wir unsere Exportwirtschaft mit einem
Verbot belegen, werden Länder wie in diesem Fall Süd-
afrika zusätzliche Kernkraftwerke bauen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein Gespenst der Vergangenheit!)


Die wehrtechnische Industrie gehört auch zu diesem
Thema. Über das Freihandelsabkommen sowie über die
Wirtschaftssanktionen, unter denen auch die deutsche
Wirtschaft leidet, ist bereits eingehend gesprochen wor-
den. Nur so viel: Ich halte Wirtschaftssanktionen gegen
wen auch immer für ein völlig untaugliches Mittel der
Politik. Wirtschaftssanktionen müssen immer daran ge-
messen werden, was sie politisch und wirtschaftlich für
beide Seiten wirklich bedeuten, und das ist nichts Gutes.

Ich habe die Diskussion bezüglich des Zeitbudgets
eingehend verfolgt. Ich bedanke mich sehr für die
Gnade, dass bei mir nicht gekürzt worden ist.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807007100

Sie haben ja auch noch ein bisschen Zeit.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1807007200

Der arme Kollege Lämmel ist der Letzte, und den bei-

ßen in der Regel die Hunde.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist schon gebissen!)


Ich fasse in meinen letzten 49 Sekunden eine Reihe
von Beispielen zusammen, an denen wir trotz guter Kon-
junkturdaten weiterarbeiten müssen. Wenn man einmal
zusammenfasst, was aus allen Ecken und Enden zu hö-
ren ist, stellt man fest, dass wir in Deutschland schon
eine sehr ausgeprägte Neinsagermentalität haben: Nein
zur Kernkraft, Nein zu Kohlestrom, Nein zu Fracking,
Nein zu Windkraft in manchen Ländern,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem in Bayern! Bei der CSU vor allen Dingen!)


Nein zur CCS-Technologie, Nein zu neuen Stromtras-
sen, Nein zu Energiespeichern, Nein zu den Exporten,
von denen ich gesprochen habe, Nein zu Freihandelsab-
kommen, Nein zu Großprojekten usw. usf.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt rufen gerade die Richtigen, die personifizierten und
in Partei- und Fraktionsform gegossenen Professions-
neinsager.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser als Gespenster der Vergangenheit!)


Mit dauernder Neinsagerei machen wir in Deutsch-
land keinen Staat. Deswegen wünsche ich mir ein ge-
samtwirtschaftliches und gesamtgesellschaftliches Ja in
Deutschland, damit wir alles tun können, was der Wett-
bewerbsfähigkeit unseres Landes dient. Wir sollten alles
unterlassen, was dem entgegensteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807007300

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ramsauer. – Letzter

Redner in der Debatte, den nicht die Hunde beißen:
Andreas Lämmel für die CSU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1807007400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich vermute, es gilt noch die Regel, nach der
Haustiere hier nicht erlaubt sind.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807007500

Ja.


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1807007600

Sonst würde ich das nächste Mal meine Katze mit-

bringen.

Meine Damen und Herren, bei der heutigen Debatte
über den Haushalt bleibt mir nur noch die Funktion, alles
ein bisschen zusammenzukehren und die Diskussion
wieder darauf zu fokussieren, worum es eigentlich geht.
Immer, wenn man sich einen Haushaltsentwurf an-
schaut, muss man die Grundsatzfrage stellen: Nützt der
Haushaltsentwurf, so wie er aufgestellt worden ist, der
weiteren Entwicklung der Konjunktur, oder nützt er die-
sem Ziel nicht?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nützt er nicht! Die Frage kann man eindeutig beantworten!)


– Das ist Ihre Sicht, Herr Krischer, aber Sie werden si-
cherlich nach dieser Rede überzeugt sein, dass er doch
dem Ziel der Stützung der Konjunktur nützt.

Die Förderung von Investitionen ist im Haushalt klar
festgelegt, und sie ist sogar auf das im Koalitionsvertrag
festgelegte Niveau erhöht worden. Die Förderung von F
und E ist heute schon lange und breit dargelegt worden.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt in der Strategie der
Bundesrepublik Deutschland. Damit wird ein klares Zei-
chen für den weiteren Aufbau der Mittel bei Forschung
und Technologie gesetzt.

Die Förderung der Außenwirtschaft ist ebenfalls ein
sehr wichtiger Punkt. Deutschland ist ein exportorien-
tiertes Land. Deswegen ist natürlich freier Handel sehr
wichtig. Insofern fand ich die Diskussion um TTIP und
CETA sehr interessant und danke dem Wirtschaftsminis-





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)

ter, dass er hier noch einmal klar Position bezogen hat.
Wir stehen zu diesen Abkommen.

Herr Krischer und Frau Dröge, Sie schüren ja mit gut
gesetzten Worten immer wieder Zweifel an diesen Ab-
kommen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!)


Das eigentlich Schlimme ist das, was Sie auf der Straße
veranstalten, nicht die Diskussion hier; denn hier kann
man die Argumente austauschen. Aber das, was Sie auf
der Straße veranstalten, wenn Sie Ihre Vorfeldtrupps


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Vorfeldtrupps?)


zum Unterschriftensammeln durch die Fußgängerzonen
ziehen lassen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind nicht bei der Union! Was sind denn Vorfeldtrupps?)


gemeinsam mit den Leuten der Linken,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: In Thüringen gelernt!)


und dort die Leute nicht einmal ansatzweise über TTIP
oder CETA aufklären, sondern einfach versuchen, sie
zum Unterschreiben zu nötigen, ist genau das, was Sie
wieder einholen wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind 89 stehen geblieben!)


Die Grünen bleiben damit bei ihrer Linie, zu allem Nein
zu sagen, was die Entwicklung Deutschlands voranbrin-
gen könnte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist genau der Punkt. Es hat sich ja auch bei den
Wahlen gezeigt, dass das die Bürger einfach nicht mehr
wollen. Ich meine, Sie werden mit Ihrer tollen Koalition
in Thüringen, die Sie da jetzt anbahnen, sicherlich in der
Wählergunst weiter sinken.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Schande!)


Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Haus-
haltsentwurf im Hinblick auf das Thema Außenwirt-
schaft angeschaut hätten, dann wäre Ihnen aufgefallen:
Wir haben eine Exportinitiative Erneuerbare Energien.
Wir haben eine Exportinitiative Energieeffizienz. Wir
haben eine Exportinitiative Umwelttechnologie, und wir
haben eine Exportinitiative Gesundheitswirtschaft ge-
startet. Das alles sind Felder, auf denen wir versuchen,
dem deutschen Mittelstand Möglichkeiten zu geben, sich
Geschäftsfelder in der Welt zu erschließen. Genau das ist
der Weg. Hier müssen wir unsere Aktivitäten ausbauen.
Dazu brauchen wir freien Handel.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind öffentlich-private
Partnerschaften im Bereich der Außenwirtschaft. Ich
nenne hier als Beispiel die Büros der AHKs. Wir sind in
54 Ländern mit diesen Büros vertreten. Diese sind An-
laufpunkte für die deutsche Wirtschaft in allen Teilen der
Welt, um Geschäftsanbahnungen voranzubringen. Wir
müssen uns in den nächsten Jahren natürlich überlegen,
wie dieses Netz der Auslandsbüros erweitert und ergänzt
werden kann; denn wir müssen auf die veränderten Ge-
gebenheiten in der Welt reagieren. In 22 Ländern haben
wir außerdem Delegiertenbüros, die ein weiteres Stand-
bein der deutschen Außenwirtschaft sind.

Im Bereich der Außenwirtschaft haben wir – Kollege
Ramsauer hat in seiner Rede gerade darauf hingewie-
sen – auch selbst für Restriktionen gesorgt. Zu nennen
sind hier die Frage der Rüstungsexporte, die Frage der
Exporte von Dual-Use-Gütern und natürlich auch die
Sanktionen gegen Russland. Als sächsischer Abgeordne-
ter muss ich in diesem Zusammenhang Folgendes sagen:
Vielleicht sind die Sanktionen gegen Russland für die
deutsche Wirtschaft insgesamt kein großes Problem, für
Sachsen entwickeln sich diese Sanktionen aber zuneh-
mend zu einem wirtschaftlichen Problem. Wir brauchen
ganz einfach einen Mechanismus, um die Sanktionen
letztendlich auch zurückführen zu können, um wieder
Handelsbeziehungen mit Russland aufnehmen zu kön-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Abschließend will ich einen Bereich ansprechen, der
heute ganz entschieden zu kurz gekommen ist. Es geht
um das Thema Tourismus. Im Tourismus sind in
Deutschland 2,9 Millionen Menschen beschäftigt. Das
sind mehr Beschäftigte als in der deutschen Automobil-
industrie, im Bereich der Mikroelektronik oder in ande-
ren Branchen, die öfter im Fokus stehen. 4,4 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts werden durch den Tourismus er-
wirtschaftet. Gerade die Tourismuswirtschaft wurde in
den letzten Jahren mit vielen Regulierungen und Einen-
gungen überzogen, die sich vor allen Dingen kostenmä-
ßig niederschlagen. Die Einführung des Mindestlohns
zum 1. Januar 2015 stellt für den Tourismus eine weitere
Belastungsprobe dar.

Meine Damen und Herren, ich denke, das Thema
Tourismus kommt in unserer politischen Diskussion hier
zu wenig zur Geltung. Dieser Wirtschaftszweig ist orts-
gebunden. Er kann nicht nach China oder Amerika ab-
wandern. Meistens handelt es sich um kleine oder mittel-
ständische Unternehmer, die das touristische Leben
gestalten. Die im Tourismus Beschäftigten sind Dienst-
leister. Die Tourismusbranche ist also eine Dienstleis-
tungsbranche, und die Dienstleistungsbranchen sind die
Branchen der Zukunft. Das heißt, auch die Tourismus-
branche ist eine Zukunftsbranche.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Der Bund hat im Bereich Tourismus nicht allzu viele
Zuständigkeiten. Vor allem die Länder sind gefragt,
wenn es darum geht, die touristische Infrastruktur zu un-
terstützen bzw. die Tourismuswirtschaft insgesamt zu
unterstützen. Wir können nur über die Deutsche Zentrale
für Tourismus im Ausland Marketing für unser Land be-
treiben, damit mehr Gäste nach Deutschland kommen,
damit die Betten, die Restaurants und die Museen gefüllt
werden und die Taxifahrer die Touristen fahren können.





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)

Zur touristischen Kette gehören nämlich nicht nur Be-
herbergungsbetriebe und Gaststätten. Nach dem Hoch-
wasser 2002 konnten wir in Dresden ganz klar sehen,
wer alles am Tourismus partizipiert. Wenn keine Gäste
kommen, dann steht die Hälfte der Dienstleistungswirt-
schaft still. Das muss man sich immer vergegenwärtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen werbe ich dafür, dass die Tourismuswirt-
schaft auch in der politischen Diskussion eine höhere
Bedeutung bekommt und man sich ihrer Probleme an-
nimmt. Oftmals geht man leichtfertig über dieses Thema
hinweg. Ein Beispiel dafür ist die Internetseite, die
Berlin zu den hygienischen Zuständen in Gaststätten ge-
macht hat, ohne zu differenzieren. Manch einem Gastro-
nomiebetrieb wurde dadurch letztendlich die Existenz-
grundlage entzogen. Man muss also sensibel vorgehen.
Wir müssen uns mit den Problemen der Touristikbranche
beschäftigen.

Es ist gut, dass im Haushalt mehr Mittel für das Mar-
keting im Ausland eingestellt werden. Das wird sich in
den nächsten Jahren sicherlich niederschlagen; wir wer-
den in den nächsten Jahren sicherlich mehr Gäste in
Deutschland begrüßen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insoweit kann ich Sie alle nur animieren – das gilt vor
allem für die Grünen –, dem Haushalt zuzustimmen. Das
ist ein guter Haushalt. Es wird nicht lange dauern, bis
wir die nächsten Haushaltsdiskussionen führen, dann
über den Haushalt 2016.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807007700

Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. – Damit schließe

ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie,
in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 09 ist angenommen bei Zustimmung von CDU/
CSU und SPD und Ablehnung der Linken und des
Bündnisses 90/Die Grünen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.13 auf:

Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung

Drucksachen 18/2823, 18/2824

Berichterstatter sind die Abgeordneten Swen Schulz,
Anette Hübinger, Roland Claus und Ekin Deligöz.

Zum Einzelplan 30 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.

Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die
Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache mit Roland Claus für die
Linken.


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807007800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrte Frau Bundesministerin! Ich will zunächst das Pri-
vileg des ersten Redners nutzen, um zu versuchen, dar-
zustellen, welchen Platz dieser Haushalt im Gesamtetat
einnimmt. Wir haben es hier nämlich mit einem ganz be-
sonderen Haushalt, der eine gewisse Einzigartigkeit auf-
weist, zu tun. Bevor ich mich in die Details des Etats be-
gebe, will ich das darstellen.

Im Vergleich zu allen anderen Etats des Bundes ist
dies ein Haushalt, in dessen Programmtiteln relativ we-
nig zu verwalten und sehr, sehr viel zu verteilen ist.
Wenn man so will, ist Frau Ministerin Wanka damit eine
Art ganzjährige Weihnachtsfrau.


(Willi Brase [SPD]: Ach, Herr Claus! Sie ist die Wissenschaftsministerin!)


Aber: Genau das ist das Problem dieses Ministeriums.
Denn Sie verwechseln, und zwar regelmäßig, das Vertei-
len finanzieller Wohltaten mit den angestrebten Effekten
Ihrer Ausgaben. Da haben Sie ein erhebliches Missver-
hältnis zu beklagen.


(Beifall bei der LINKEN – Willi Brase [SPD]: Es sind gigantisch gute Effekte!)


– Ja, wir werden nachher wieder hören, dass Sie die Aus-
gabensteigerungen hervorheben. Selbstverständlich gibt
es, zumindest nach meinem Wissen, niemanden im
Deutschen Bundestag, der sich nicht dafür einsetzte,
mehr Geld für eine bessere Bildung in den Haushalt ein-
zustellen. Das ist nun einmal Konsens.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber wir machen es! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir machen es – das ist der Punkt!)


Aber das Problem dabei ist, dass Sie nicht verglei-
chen, was wirklich dabei herauskommt, wenn Sie die
Aufwendungen erhöhten. Weil diese Erkenntnis bisher
noch nicht bei Ihnen fruchtet, muss ich leider folgenden
Vergleich wiederholen, Frau Bundesministerin: Gemes-
sen wurden die Bienen nicht an ihren Flugkilometern,
sondern an dem Honig, den sie nach Hause brachten. In
dieser Hinsicht haben Sie ein Defizit zu beklagen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Seit wann diskutiert denn die Linke über den Nutzen von Ausgaben? Das ist ja etwas ganz Neues!)


Leider ist das Ergebnis Ihrer Bildungspolitik, dass die
soziale Spaltung der Gesellschaft über den ungleichen
Zugang zu Bildung und Studium regelrecht reproduziert
wird. Das belegen OECD-Studien, und das wissen wir
aus eigenen Erkenntnissen. Aber das muss uns doch zu
denken geben. Bei einem solchen Zustand kann man es
nicht belassen wollen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)






Roland Claus


(A) (C)



(D)(B)

Wenn ich mir dann noch den Zustand der frühkindli-
chen Bildung und den Zustand der Kindertagesstätten im
Westen und im Süden dieses Landes anschaue


(Willi Brase [SPD]: Wird immer besser!)


– da jammert es ja regelrecht den Hund samt Hütte –,
muss ich sagen: Es wäre ein Anspruch, zu sagen: Lassen
Sie uns doch wenigstens einmal die Kitalandschaft im
Westen auf Ostniveau bringen. Aber davon sind wir weit
entfernt.

Die Linke schlägt Ihnen eine große BAföG-Reform
vor. Sie wird eine Menge Geld kosten. Wir wollen 4 Mil-
liarden Euro mehr ins System bringen, um tatsächlich
mehr Menschen den Zugang zu einem Studium zu er-
möglichen. Dafür wollen wir gerne auf das Deutschland-
stipendium verzichten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir betonen an dieser Stelle: Markenzeichen linker
Haushaltspolitik sind nicht neue Schulden, sondern ge-
rechte Steuersätze, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Oh! Oh! Oh!)


Wir schlagen Ihnen auch eine besondere Hochschul-
förderung in strukturschwachen Regionen vor, von der
vor allem ostdeutsche Hochschulen und Universitäten
profitieren würden. Man könnte so auch wirtschaftliche
und soziale Nachteile wirklich ausgleichen.

Frau Ministerin, ich muss Sie noch auf ein ganz spe-
zielles, gravierendes Problem von vielen Problemen in
Ihrem Haushalt hinweisen: Im Bundesministerium für
Bildung und Forschung sind 18 externe Mitarbeiter vom
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt beschäftigt.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt emp-
fängt als Projektträger sehr häufig Zuwendungen des
Bundesministeriums. Wir haben es hier nach unserem
Verständnis also mit einem klassischen Interessenkon-
flikt zu tun, da die gleichen Leute, die die Mittel bekom-
men, im Ministerium möglicherweise mit darüber ent-
scheiden, wie sie vergeben werden. Diesen Zustand
wollen wir nicht hinnehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben das als Linke kritisiert; darüber sind Sie hin-
weggegangen. Inzwischen gibt es aber auch eine Ihnen
sehr bekannte kritische Sicht des Bundesrechnungsho-
fes. Wenn Sie schon die Opposition nicht ernstnehmen
wollen: Eine solche Ignoranz gegenüber dem Bundes-
rechnungshof ist beispiellos und nicht zu akzeptieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Bundesministerin, Sie haben sich nun auch zu
dem Nacht-und-Nebel-Sonderprogramm, den Investitio-
nen in Höhe von 10 Milliarden Euro, geäußert. Sie sind
von der Welt gefragt worden – das ist am 25. November
2014 erschienen –: „Für welche Investitionen plädieren
Sie?“ Ihre Antwort war:

… ich freue mich, dass neben der Infrastruktur auch
Bildung und Forschung
– jetzt kommt es –

genannt worden sind.

Was heißt denn das: „genannt worden sind“? Das heißt
doch: Ein Gönner hat das verkündet; es hat keine Kabi-
nettsberatung vor der Veröffentlichung gegeben. Das ist
doch nun wirklich Haushaltspolitik nach Gutsherrenart.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Bei dem Käse klatscht nicht einmal die eigene Fraktion!)


Es ist „genannt worden“. Sie haben an dieser Entschei-
dung also offenbar überhaupt nicht mitwirken können.
Außerdem verweisen wir Sie darauf, dass bislang noch
kein Wort zur Gegenfinanzierung dieses Programms ge-
sagt worden ist.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Als ob Sie sich schon einmal Gedanken über eine Gegenfinanzierung gemacht hätten!)


– Ja, natürlich, das habe ich Ihnen ja gerade erklärt. Oder
muss ich das wiederholen, weil Sie es noch immer nicht
verstanden haben? Markenzeichen linker Haushaltspoli-
tik sind nicht neue Schulden, sondern gerechte Steuern.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie wollten Deutschlands Zukunft gestalten. Ange-
kommen sind Sie bei der schwarzen Null. Zukunftsfä-
higkeit sieht anders aus.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807007900

Vielen Dank, Herr Kollege Claus. – Nächste Rednerin

in dieser Debatte ist Anette Hübinger für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anette Hübinger (CDU):
Rede ID: ID1807008000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin Wanka!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine verehrten Da-
men und Herren auf der Tribüne! Am Ende des vergan-
genen Monats ist mir ein Kommentar in der Presse auf-
gefallen. Der Titel lautete – ich zitiere –: „Deutschland
muss in Europa ein Vorbild sein“. In diesem Kommentar
wurde sehr überzeugend dargestellt, warum man an der
schwarzen Null, an der Konsolidierung des Haushaltes,
festhalten muss und dieses Ziel nicht einfach aufgeben
sollte, wenn es eine kleine Konjunkturdelle gibt. Ich bin
stolz, dass wir für 2015 einen ausgeglichenen Haushalt
vorlegen können und auch beschließen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sparen ist aber kein Selbstzweck. Mit dem Bundes-
haushalt 2015 treten wir deshalb auch den Beweis dafür
an, dass man finanzielle Konsolidierung und Zukunftsin-
vestitionen sehr wohl miteinander verbinden kann und
auch muss. Der Etat des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung ist dafür das beste Beispiel. Wir be-





Anette Hübinger


(A) (C)



(D)(B)

raten heute abschließend über die schwarze Null, aber
auch über einen Rekordetat dieses Ministeriums, der
2015 fast 15,3 Milliarden Euro umfassen wird. Hinzu
kommt, dass diese Rekordinvestition keine Eintagsfliege
ist. Vielmehr ist der Bildungs- und Forschungsetat in den
letzten Jahren immer maßgeblich angestiegen. Von 2005
bis heute haben wir ihn sogar verdoppelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch die Große Koalition wird diese Entwicklung wei-
terführen. Ich glaube, dass wir uns in der Großen Koali-
tion am Ende dieser Legislaturperiode sehr gerne daran
messen lassen werden, ob wir das erreicht haben oder
nicht.

Das Ministerium für Bildung und Forschung hat auch
dieses Mal einen Haushaltsentwurf vorgelegt, in dem in-
haltliche Kontinuität und neue thematische Akzentset-
zungen gleichermaßen berücksichtigt sind. An dieser
Stelle ein großes Dankeschön an Ministerin Wanka und
die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministe-
rium für diese sehr gute Arbeit in den vergangenen Jah-
ren!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die richtigen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen in
Bildung und Forschung und die finanzielle Verlässlich-
keit in diesem Bereich haben dazu geführt, dass
Deutschland in Bildungsfragen stark aufgeholt hat, für
seine duale Berufsausbildung beneidet wird und in der
Forschung zur internationalen Spitze gehört – eine Ent-
wicklung, die weltweit aufmerksam verfolgt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auf diesen Erfolgen sollten wir uns nicht ausruhen. Das
heißt aber nicht, dass wir jedes Jahr das Rad neu erfin-
den müssen.

Neu ist allerdings, dass der Bund die BAföG-Kosten
der Länder auf Dauer übernehmen wird. Das sind für die
Länder Einsparungen in einer Höhe von ungefähr
1,2 Milliarden Euro jährlich. Die Länder haben verspro-
chen, dieses Geld im Bildungsbereich zu investieren.
Darauf werden wir achten.

Neu ist auch das gemeinsame Bund-Länder-Pro-
gramm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, das der
Bund mit 45 Millionen Euro finanziert. Ziel dieses Pro-
gramms ist die nachhaltige Verbesserung der Lehreraus-
bildung, von der Profilierung und Optimierung der
Strukturen der Lehrerbildung an den Hochschulen bis
hin zur Fortentwicklung der Lehrerbildung in Bezug auf
die Anforderungen der Heterogenität und der Inklusion.

Da dies ein guter Haushaltsentwurf ist, haben wir im
Detail genau hingeschaut, wo wir nachsteuern wollen
und können. Erhöht haben wir in Zusammenarbeit mit
den Fachpolitikern der Koalition zum Beispiel die Titel
für berufliche Bildung, insbesondere für die Berufs-
orientierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir geben hierfür 12 Millionen Euro mehr und erhöhen
damit den Titel auf 77 Millionen Euro. Erhöht haben wir
aber auch den Titel für die überbetrieblichen Ausbil-
dungsstätten, weil wir dort einen Mehrbedarf für Reno-
vierungen sehen, aber auch einen Mehrbedarf, um diese
Ausbildungsstätten zu Kompetenzzentren in der berufli-
chen Ausbildung weiterzuentwickeln. 10 Millionen Euro
zusätzlich ist eine stolze Summe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Erhöhungen zeigen, dass wir in der Koalition die
berufliche duale Ausbildung genauso wertschätzen und
ihr genauso viel Aufmerksamkeit schenken wie der aka-
demischen Bildung.

Auch Themen wie Alphabetisierung, Forschung an
Fachhochschulen oder die Stärkung von Forschungsakti-
vitäten im Bereich der vernachlässigten und armutsasso-
ziierten Krankheiten finden Sie im Koalitionsvertrag.
Die Umschichtungen zugunsten dieser Bereiche zeigen,
dass die CDU/CSU, aber auch die SPD die Umsetzung
des Koalitionsvertrages sehr ernst nehmen. Er ist die
Leitlinie unseres Handelns.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Oft geht es auch gar nicht um ganz große Summen.
Ich will Ihnen dies an einem Beispiel verdeutlichen. Wir
haben für das „Haus der kleinen Forscher“ 1 Million
Euro zusätzlich bereitgestellt. Mit dem „Haus der klei-
nen Forscher“ sollen die Neugier der Kinder und das In-
teresse für naturwissenschaftliche Vorgänge geweckt
werden. Wir wollen diesen Bildungsansatz verstetigen.
Deswegen wird dieses Programm für Kinder im Grund-
schulalter fortgesetzt und mit 2 Millionen Euro jährlich
unterstützt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich schon über kleinere Veränderungen in ei-
nem Milliardenhaushalt spreche, möchte ich auch darauf
hinweisen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ein
Ministerium die Veränderungen, die die Mitglieder des
Haushaltsausschusses in Kooperation mit den Fachpoli-
tikern beschlossen haben, fortführt. Vielmehr beschlie-
ßen wir immer nur den Haushaltsplan für das kommende
Jahr. Hier muss ich das BMBF loben: Die Änderungen
sind zumeist vollumfänglich fortgeführt worden, sodass
wir nicht immer wieder von vorne anfangen müssen und
neue Akzente setzen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])


Die Änderungsanträge von 2014 bis 2015 ziehen, wenn
man sie bis zum Ende der Legislaturperiode hochrech-
net, eine Festschreibung von 370 Millionen Euro nach
sich. Ich kann mir vorstellen, dass auch in den folgenden
Jahren die Fachpolitiker oder auch die Haushaltspoliti-
ker noch einige Wünsche haben.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist das!)






Anette Hübinger


(A) (C)



(D)(B)

Jeder umgeschichtete Euro wurde durch eine seriöse
Gegenfinanzierung innerhalb des Haushalts gedeckt.
Auch da unterscheiden wir uns in unserem Anspruch et-
was von den lieben Kolleginnen und Kollegen der Oppo-
sition, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt: Die Grünen
fordern Umschichtungen in Höhe von insgesamt
1,5 Milliarden Euro; davon sind 230 Millionen Euro ge-
genfinanziert.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das war alles gedeckt, Frau Hübinger! Das wissen Sie!)


Die Linke setzt dem die Krone auf; von 6,6 Milliarden
Euro an Umschichtungen sind 810 Millionen Euro ge-
genfinanziert. Seriöse Haushaltspolitik zum Wohle von
Bildung und Forschung sieht meiner Ansicht nach etwas
anders aus.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Allein mit Fantasie an diese Sache heranzugehen ist,
denke ich, nicht der richtige Weg. Ich möchte Ihnen aber
zugestehen, dass Sie, insbesondere auf der linken Seite,
ohnehin eine ganz andere Politik wollen.

Aber zurück zur Realität. Der Blick auf den Haushalt
2015 zeigt, dass es für die Koalition immer noch oberste
Priorität hat, dass der Bereich Bildung und Forschung an
erster Stelle steht. Ich glaube, wenn wir in künftigen
Haushalten Spielräume haben, kann man für die Zukunft
unseres Landes und unserer Kinder am allerbesten in
diesen Bereich investieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zum Schluss darf ich mich noch ganz herzlich bei den
Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern bedan-
ken. Ich danke insbesondere unserem Hauptberichter-
statter Swen Schulz für das kollegiale Miteinander und
seine optimale Führung dieser Haushaltsverhandlungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Roland Claus [DIE LINKE] und Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich darf mich aber auch bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Ministeriums und in den Fraktionen be-
danken; denn es ist nicht einfach, nächtelang über einem
Haushalt zu brüten. Ich bedanke mich für die gute Zu-
sammenarbeit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807008100

Vielen Dank, Frau Kollegin Hübinger. – Nächste

Rednerin in der Debatte ist Ekin Deligöz für Bündnis 90/
Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807008200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Ministerin, am Dienstag waren wir zur Ein-
weihung des neuen Gebäudes Ihres Ministeriums einge-
laden. Ich gratuliere auch in unserem Namen zu diesem
Gebäude. Es ist sehr innovativ, zumindest in energeti-
scher Hinsicht. Darüber freue ich mich als Grüne ganz
besonders, und ich hoffe, dass sich das Innovative auch
auf Ihre Politik niederschlägt, die uns in Zukunft aus Ih-
rem Hause erwartet.

Mit Blick auf Ihren Haushalt hört das Feiern aber
wieder auf. Ich hätte mir etwas mehr gewünscht. Frau
Hübinger, Sie haben behauptet, wir hätten Forderungen
gestellt, deren Finanzierung nicht gedeckt ist. Sie wissen
es besser. Sie wissen, dass wir einen Antrag vorgelegt
haben, mit dem wir bei den ökologisch schädlichen Sub-
ventionen angesetzt haben. Wir haben damit beispielhaft
dargelegt, wo man einsparen und wo man investieren
kann. Bei uns war jeder Cent gedeckt. Ihre Behauptung
lassen wir so nicht stehen. Ich lasse das für meine Frak-
tion nicht gelten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Jahr 2014 haben Sie mit der Ankündigung von
9 Milliarden Euro Investitionen in Bildung und For-
schung begonnen. Das klingt gut. Allein mir fehlt der
Glaube; denn – damit kommen wir zum Kern – dieser
Bundeshaushalt ist auf Sand gebaut. Warum? Sie setzen
auf gute Steuereinnahmen und darauf, dass die Konjunk-
tur weiter anhält. Sie setzen auf niedrige Arbeitslosigkeit
und niedrige Zinsen. Wenn aber die Steuereinnahmen
nur um einen Hauch sinken und zum Beispiel einen hal-
ben Prozentpunkt geringer ausfallen, dann klafft in Ih-
rem Haushalt schon eine Lücke von 14 Milliarden Euro.
Sie werden sich daran messen lassen müssen, ob es Ih-
nen gelingt, in zwei Jahren endlich eine BAföG-Erhö-
hung durchzusetzen und die versprochenen 9 Milliarden
Euro auch tatsächlich in dieser Höhe zu investieren. Zur-
zeit reden wir nur von Versprechen, aber nicht von der
tatsächlichen Umsetzung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Alles Gesetze!)


Schon jetzt muss dieser Haushalt eine große Last tra-
gen. Sie haben unter den vielen Einzelplänen die größte
globale Minderausgabe mit fast einer halben Milliarde
Euro auferlegt bekommen, obwohl der Minister, die
Kanzlerin und Sie selber wahrscheinlich auch gleich
wieder immer behaupten, Bildungsinvestitionen seien
wahre Zukunftsinvestitionen. Vorne bringen Sie das
Geld zur Tür herein, aber hinten holen Sie es durchs
Fenster wieder heraus. Sie tricksen und machen leere
Versprechungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ärgerlich ist auch, dass das Bildungsministerium we-
gen des unsinnigen Betreuungsgeldes sparen muss. Sie
haben zwar den Gesamtansatz für das Betreuungsgeld in
der Bereinigungssitzung um 100 Millionen Euro ge-
senkt. Aber statt die GMA im gleichen Maße zu verrin-
gern, hat der Finanzminister die GMA im Bildungsetat
um weitere 70 Millionen Euro erhöht. Rechte Hand,
linke Hand – Sie tricksen, meine Damen und Herren. Sie
reden hier von Innovation und heraus kommen Sparmaß-
nahmen im Bildungsetat, also genau dort, wo Investitio-
nen stattfinden müssten.





Ekin Deligöz


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Thema verfehlt! Keine Ahnung!)


Was mir wirklich Bauchschmerzen macht, Frau Minis-
terin – da haben wir offensichtlich einen Dissens, den
ich hier auch benenne –, sind die Kosten für den Rück-
bau bzw. die Stilllegung atomarer Forschungsanlagen.
Als Haushälterin mache ich mir wirklich Sorgen da-
rüber, wie die explodierenden Kosten diesen Haushalt
von Jahr zu Jahr stärker belasten werden. Als Grüne bin
ich überzeugt davon, dass es richtig ist, gegen kerntech-
nische Anlagen, gegen Atomforschung anzugehen. Da
haben wir einen Dissens. Sie sagen nämlich noch immer,
die Forschung an der Kernfusion, die Forschung an der
Atomenergie sei Zukunftsforschung.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig! Gut erkannt!)


Ich sage Ihnen: Das ist rückständige Forschung, das ist
Festhalten an Dinosauriertechnologien.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Da klatscht noch nicht einmal Ihre Fraktion!)


Wir hier in Deutschland, wir können anders; Innovation
geht anders.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung will Atommüll aus dem For-
schungszentrum Jülich in die USA abschieben. Ich sehe
das kritisch und sage Ihnen auch, warum. Sie behaupten,
das sei Forschungsmüll. Das ist aber falsch. Fakt ist,
dass in diesem Reaktor jahrzehntelang kommerziell
Strom erzeugt und durch den Verkauf auch Geld verdient
wurde.


(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Daher handelt es sich nicht um Forschungsmüll. Damit
gilt das Gesetz, dass Wiederaufbereitung im Ausland
– seit 2005 – verboten ist. Damit haben wir die Verant-
wortung, eine Lösung in Deutschland zu finden, und da-
mit sind Sie dazu verpflichtet, nach dieser Lösung zu su-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Unfug!)


Wir können nicht sagen: „Aus den Augen, aus dem
Sinn“, sondern müssen uns dieser Verantwortung stellen.
Sie müssen sich dieser Verantwortung stellen. Ducken
Sie sich da bitte nicht weg!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde übrigens, dass die Stilllegung von For-
schungsreaktoren gar nicht in diesen Haushalt gehört.
Eigentlich gehören diese Aufwendungen in einen ande-
ren Haushalt, nämlich in den Haushalt eines Ressorts,
wo tatsächlich Wissen und Know-how im Umgang mit
Atommüll vorhanden sind: in das BMU. In Anbetracht
der Tatsache, was da auf uns zukommt, könnten wir auch
über das Finanzministerium direkt reden; besser wäre
meines Erachtens aber das BMU. Fakt ist doch: An ers-
ter Stelle muss die Sicherheit stehen. Ich glaube, allein
deswegen sollte das Bildungsministerium in seinem ei-
genen Interesse mit daran arbeiten, dass diese Aufgabe
nicht in diesem Haushalt verbleibt, sondern in einen an-
deren Haushalt wandert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend bedanke ich mich bei unserem Haupt-
berichterstatter Swen Schulz; er hat das sehr gut ge-
macht. Ich danke zudem allen Berichterstattern und auch
dem Ministerium, dass sie gute Ideen übernommen ha-
ben. Ich bin als Politikerin schon immer überzeugt ge-
wesen, dass sich gute Ideen durchsetzen. Als wir unsere
Anträge eingebracht haben, dass die Kürzungen im Be-
reich der beruflichen Bildung zurückgenommen werden
sollen, hat die Koalition noch dagegen gestimmt. Sie
wurden eines Besseren belehrt.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Quatsch! Das ist jetzt wirklich Trickserei!)


Gute Argumente setzen sich eben durch; am Ende zählt
das Ziel. Wenn die Ideen von den Grünen kommen,
umso besser.

Ich freue mich auch, dass wir jetzt eine Aufwertung
im Bereich der Friedensforschung und der Fachhoch-
schulen haben; auch das sind lange erhobene Forderun-
gen der Grünen. Wir bleiben zuverlässige Partner, wenn
es um Bildung und Forschung geht. Eines unterscheidet
uns von Ihnen: Wir tricksen nicht.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nur manchmal!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807008300

Vielen Dank, Frau Kollegin Deligöz. – Nächster Red-

ner in der Debatte: Swen Schulz für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1807008400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollegin
Deligöz, eigentlich hatten Sie so einen schönen Schluss
gefunden – das war so versöhnlich –; doch dann kam das
mit dem Tricksen. Wir sollten uns da gegenseitig ein
bisschen auf den Stand der Dinge bringen: Dieser Haus-
halt ist seriös ausfinanziert. Wir haben das in sehr inten-
siven Haushaltsberatungen sichergestellt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das hat eine ganze Menge Arbeit gemacht, mehr, als
man von außen erkennen kann. Darum will ich mich in
meiner Funktion als Hauptberichterstatter bei meinen Be-
richterstatterkolleginnen und -kollegen auch noch einmal
ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Vor
allem aber richtet sich mein Dank an die fleißigen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter in den Abgeordnetenbüros,





Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)

in den Fraktionen, natürlich auch im Ministerium, die
uns Berichterstatter dabei unterstützt haben. Ohne sie
wäre das alles nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank
von uns allen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Neulich habe ich hier im Plenum davon gesprochen,
dass Ministerin Wanka sicher jeden Tag dem Himmel für
die SPD dankt; denn wir haben die Ausgaben für Bil-
dung und Forschung im Vergleich zur schwarz-gelben
Finanzplanung deutlich erhöht. Heute will ich das erwei-
tern. Frau Ministerin, Sie werden sich bestimmt glück-
lich schätzen, dass Sie mit einem so engagierten Parla-
ment zusammenarbeiten; denn wir Parlamentarier haben
es geschafft, den guten Regierungsentwurf noch ein
Stück weit zu verbessern.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Insgesamt sind es 25 Änderungen geworden. Manche
wie die zusätzliche Million beim „Haus der kleinen For-
scher“, von der Frau Hübinger sprach, sind klein, aber
fein. Manche sind ein wenig größer.

Ich habe gestern die Debatte der ersten Lesung im
September dieses Jahres nachgelesen. Was damals von-
seiten der Koalitionsfraktionen an Themen angespro-
chen wurde, haben wir in den Haushaltsberatungen
Punkt für Punkt abgearbeitet. Wir können heute klar sa-
gen: Die Koalition hat Wort gehalten, und der Deutsche
Bundestag macht einen Unterschied.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Rede-
zeit kann ich nicht auf alle Bereiche eingehen, die wir
berücksichtigt haben. Lassen Sie mich daher einige he-
rausgreifen, ohne mir das als Mangel an Wertschätzung
für die anderen Themen auszulegen. Sie können sicher
sein, dass wir alle Fragen intensiv erörtert haben.

In den Beratungen sind von verschiedenen Abgeord-
neten – auch von der Opposition – Hinweise gekommen,
dass wir die berufliche Bildung noch stärker betonen
müssen. Das haben wir getan. 22 Millionen im Jahr 2015
und 55 Millionen Euro in den folgenden Jahren stellen
wir mehr zur Verfügung, um 20 000 zusätzliche Plätze
für die Berufsorientierung von Schülerinnen und Schü-
lern sowie überbetriebliche Berufsbildungsstätten zu fi-
nanzieren. Das ist ein starkes Signal in Richtung berufli-
cher Bildung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden in den nächsten Jahren noch mehr für die
berufliche Bildung tun. Dazu gehört auch das Meister-
BAföG. Beim Schüler- und Studierenden-BAföG haben
wir vorgelegt. Nun müssen wir für die beruflich Qualifi-
zierten nachlegen. Diese Fachkräfte sind uns nicht weni-
ger wichtig. Wir werden das mit einer entsprechenden fi-
nanziellen Verstärkung unterlegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir haben in den parlamentarischen Beratungen noch
etwas für die Produktions-, Arbeits- und Dienstleis-
tungsforschung draufgelegt. Das ist nicht nur für die
Wirtschaft, sondern auch für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer ein wichtiges Feld. Alle reden über die In-
dustrie 4.0. Die Wirtschaftswelt und die Arbeitsplätze
verändern sich massiv. Wir wollen die Umbrüche stärker
erforschen und die Folgen positiv gestalten. Es ist uns
wichtig, gemeinsam mit der Wissenschaft, der Wirt-
schaft und den Gewerkschaften zu Konzepten zu kom-
men, damit wir im Wettbewerb Schritt halten und gleich-
zeitig gute Arbeit schaffen. Der Wandel darf nicht
zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge-
hen.


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Schwerpunkt sind die Alphabetisierung
und die Grundbildung. Auch da haben wir den Ansatz
erhöht. Wir liegen nun beim Doppelten des Jahres 2013.
Es geht dabei nicht um Nobelpreise und Hightech. Trotz-
dem ist das sehr wichtig. Gemeinsam mit dem Staatsse-
kretär Müller habe ich neulich eine Veranstaltung zu die-
sem Thema besucht. Es ist wirklich beeindruckend, von
den erwachsenen Menschen, die alphabetisiert werden,
und den Projekten zu lernen, was Alphabetisierung für
gesellschaftliche Teilhabe und Chancen individuell be-
deutet. Mit relativ wenig Geld können wir da wirklich
eine Menge bewirken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Ministerium entwickelt gemeinsam mit den Ländern
das Konzept für eine ganze Alphabetisierungsdekade.
Der Bundestag wird das mit gutem Rat und Unterstüt-
zung begleiten. Wir wissen: Jeder Bürger, dem wir damit
auf seinem Lebensweg helfen, stellt einen großen Erfolg
für uns alle dar.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben noch viel mehr gemacht, für die digitalen
Medien in der Bildung, die Friedensforschung, die klei-
nen Fächer, die Stärkung Deutschlands im europäischen
Forschungs- und Bildungsraum, die Forschung an den
Fachhochschulen, die Gesundheitsforschung und die Ki-
tas.

Ich will nun zu dem einzigen Punkt kommen, an dem
es in der Koalition ein Stück weit gehakt hat. Ich will das
hier offen ansprechen. Das muss man nicht verschwei-
gen. Schließlich bleiben wir auch in der Koalition unter-
schiedliche Parteien; das ist gut so. Ich meine das Ganz-
tagsschulbegleitprogramm. Wir von der SPD sind der
Auffassung, dass sich der Bund trotz der Zuständigkeit
der Länder für die Schulen aus diesem erfolgreichen
Programm nicht ganz herausziehen sollte.


(Beifall bei der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann hätten Sie das im Koalitionsvertrag vereinbaren müssen!)


Die Union will nur die Forschung weiter finanzieren,
nicht aber das Beratungsnetzwerk und den bundesweiten
Ganztagsschulkongress. Obwohl die Union hier sehr
klar ist und ihre respektablen Gründe hat, ist sie uns für
das Jahr 2015 so weit entgegengekommen, dass wir eine





Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)

nochmalige und letztmalige Finanzierung vonseiten des
Bundes vorsehen. Wir setzen nun darauf, dass die Län-
der die Zeit nutzen und künftig eine andere Lösung fin-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insgesamt hat der Haushaltsausschuss, wie gesagt,
25 Änderungsanträge beschlossen. Wir mussten auch
eine Gegenfinanzierung für unsere Ausgabenwünsche
vorsehen. Nur mehr Geld zu fordern, wäre allzu leicht
gewesen. Wir haben Positionen gefunden, in denen die
Ausgaben nicht in der geplanten Höhe umsetzbar sind,
etwa beim Deutschlandstipendium, beim Haus der Zu-
kunft und bei einigen Investitionsvorhaben. Unsere
Anträge wurden auch von der Opposition im Haus-
haltsausschuss überwiegend angenommen oder mit ei-
ner freundlichen Enthaltung bedacht. Es gab nur wenige
Ablehnungen. Ganz schlecht können unsere Änderungen
also nicht gewesen sein.

Ich will noch darauf hinweisen, dass die Zusammen-
arbeit mit Frau Hübinger sehr zielführend und verläss-
lich ist.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das war immer so!)


Auch mit den beiden Oppositionsberichterstattern ist es
sehr konstruktiv und angenehm. Ich weiß jetzt zwar
nicht, ob euch das hilft, wenn ich das hier so sage;


(Roland Claus [DIE LINKE]: Keine Scheu!)


aber ihr müsst jetzt mit diesem Lob klarkommen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Da sind wir ganz anderes gewöhnt!)


Wir schauen auch über das Jahr 2015 hinaus. Die
deutsche Bildungs- und Forschungspolitik hat in den
letzten gut 15 Jahren über die verschiedenen Regierun-
gen hinweg – Rot-Grün, Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb –
lange Linien entwickelt, und wir setzen noch einmal or-
dentlich eins drauf und entwickeln diese langen Linien
weiter. Wir verlängern den Hochschulpakt, wir verlän-
gern den Pakt für Forschung und Innovation, wir über-
nehmen das BAföG komplett und stärken es, und wir
führen die Exzellenzinitiative verändert weiter. Das er-
gibt ein erhebliches Haushaltsvolumen in den nächsten
Jahren, das ich hier lieber nicht näher beziffern will;
sonst bekommen ein paar Haushälter Schweißausbrüche.

Es wird noch besser: Mit dem Investitionspaket für
2016 bis 2018 entfällt schon einmal die Umlage für das
Betreuungsgeld. Das sind über 100 Millionen Euro jähr-
lich.


(Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser wäre, das Betreuungsgeld zu streichen!)


Ich sage dazu: Endlich haben wir das erreicht. Mich hat
die ganze Zeit geärgert, dass der Bildungshaushalt mit
diesem unsinnigen Betreuungsgeld belastet wird. Damit
ist jetzt Schluss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hinzu kommen in den nächsten Jahren je über
300 Millionen Euro zusätzliche freie Mittel. Dann stellt
sich auch noch die Frage, was wir mit den weiteren Mit-
teln für Investitionen machen werden. Das werden wir in
den nächsten Monaten erörtern.

Das sind schon ordentliche Perspektiven. Ich würde
jetzt gerne noch erläutern, was wir auf Vorschlag der
SPD mit dem Geld machen wollen, aber ich darf nicht.
Die Präsidentin leuchtet schon.


(Heiterkeit)


– Sie leuchtet mir den Weg.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807008500

Auch mir tut es leid. Es ist zwar bald Weihnachten,

aber es geht nicht. Bitte kommen Sie zum Ende.


Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1807008600

Mein Fazit: Wir haben einen guten, einen Rekord-

haushalt 2015 heute hier zur Abstimmung vorliegen. Ab
der nächsten Woche machen wir uns dann an den noch
besseren Haushalt für die nächsten Jahre.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807008700

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich kann auch nichts

dafür, dass die Reden immer so kurz sind. Aber Sie wis-
sen: Wir haben noch einen langen Tag vor uns, und wir
hängen unglaublich. Bisher haben Sie sich in dieser De-
batte überpünktlich an die Redezeiten gehalten.

Ich begrüße meinen Kollegen Hintze auf der Tribüne.
Schönen guten Tag, Herr Kollege!

Ich fahre fort in der Rednerliste und erteile Frau Bun-
desministerin Professor Johanna Wanka das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren seit Dienstag in zweiter Lesung
den Haushalt für das Jahr 2015. In fast allen Redebeiträ-
gen ist von der schwarzen Null und davon, keine neuen
Schulden mehr zu machen, geredet worden. Das ist ein
Kraftakt. Seit Jahrzehnten ist das nicht mehr gelungen.
Sie können sich vorstellen, dass es natürlich nicht nur
bei uns, sondern in vielen Ressorts Wünsche gibt. Trotz
der schwarzen Null und der Tatsache, dass keine neuen
Schulden aufgenommen werden, hat der Einzelplan des
BMBF, über den wir gerade reden, eine Steigerung von
diesem Jahr auf das nächste um 8,7 Prozent erfahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das bedeutet erfolgreiche Konsolidierung und auch er-
folgreiche Schwerpunktsetzung. Frau Deligöz, Sie wis-
sen es besser, und ich habe es schon oft gesagt: Diese





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

Steigerung ist netto, also unter Abzug der globalen Min-
derausgabe. Das ist das Geld, das zusätzlich hinzu-
kommt, rund 1,2 Milliarden Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insgesamt umfasst der Haushalt des BMBF 15,3 Mil-
liarden Euro. Damit steigt er zum neunten Mal in Folge.
Seit 2005, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, sind
die Haushaltsmittel jedes Jahr gestiegen.

Nun kann man meinen, dass Bildung und Forschung
überall auf der Welt wichtig sind. Schauen Sie sich ein-
mal in Europa um. Schauen Sie sich einmal an, welche
Länder in Europa nicht gekürzt haben. Ich will jetzt gar
nicht von Griechenland reden, wo die Mittel um 40 Pro-
zent gekürzt worden sind. Ich will auch nicht von Groß-
britannien reden. Es gibt kaum Länder – in Norwegen
und in Schweden ist es noch so ähnlich –, die die Mittel
gehalten oder gar erhöht haben.

Das heißt, das ist nicht trivial. Es ist eine große Leis-
tung, diese Schwerpunktsetzung in der Bundesrepublik
Deutschland so konsequent durchgehalten zu haben. Das
muss uns erst einmal einer nachmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Jetzt stellt sich die Frage, was die Opposition macht.
Es liegen Änderungsvorschläge von Bündnis 90/Die
Grünen vor. Natürlich legt die Opposition Änderungs-
vorschläge vor. Änderungsvorschläge machen aber auch
eigene Leute.


(Willi Brase [SPD]: Ist auch richtig!)


Diese Änderungsvorschläge umfassen ein Volumen
von 1,2 Milliarden Euro. Das ist noch einmal so viel wie
die von uns vorgesehene Steigerung. Nur mal so zur
Orientierung, um das ein bisschen einzuordnen: Der Be-
trag in Höhe von 1,2 Milliarden Euro ist der Betrag, um
den Sie in Ihrer Regierungszeit auf Bundesebene in sie-
ben Jahren den BMBF-Haushalt gesteigert haben. Diese
Steigerung fordern Sie nun für ein Jahr. Ich denke, an
dieser Stelle wird sehr deutlich, wie Taten und Worte
auseinanderklaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Linke will natürlich nicht nur 2,4 Milliarden Euro
mehr. Das hätte auch niemand gedacht. Die Linke will
auch nicht 3 Milliarden Euro oder 5 Milliarden Euro,
sondern 7 Milliarden Euro mehr, die die Linke ein-
schließlich unserer Steigerungen in Höhe von 1,2 Mil-
liarden Euro mit ihren Änderungsanträgen insgesamt be-
antragt.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Gott bewahre!)


Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass Sie
in dem Bundesland, in dem Sie Einfluss haben, in dem
Sie Mitglied der Regierung sind, wenigstens dafür sor-
gen würden, wofür Sie in den vergangenen Jahren nicht
gesorgt haben, nämlich dass das Geld, das vom Bund
kommt und in dieses Land fließt, bei den Hochschulen
und den Studierenden ankommt. Das wünsche ich mir.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist klar: Oppositionsarbeit hat ihre eigenen Regeln.
Ich war selbst auch einmal in der Opposition. Das ist
völlig klar. Bei Forschung und Bildung brauchen wir
meines Erachtens aber etwas anderes. Hierbei brauchen
wir Verlässlichkeit und einen langen Atem.

Deswegen ist ein ausgeglichener Haushalt die beste
Basis dafür, dass wir auch in Zukunft Spielräume für
diesen Bereich gewinnen und darüber diskutieren, was
wir mit diesen 10 Milliarden Euro machen. Das ist der
Unterschied.

Ich glaube, Sie möchten gerne Politik für den Augen-
blick und für den Beifall. Wir wollen eine Politik der
Verantwortung. Diese muss einen langen Atem haben.
Das zeigt dieser Haushalt. Das zeigt auch die Steige-
rungsrate in dieser Legislaturperiode im BMBF-Haus-
halt in der vorliegenden Fassung. Mindestens 25 Prozent
werden in dieser Legislaturperiode hinzukommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Claus, ich kann die Bemerkung überhaupt nicht
nachvollziehen, wir seien den Nachweis schuldig geblie-
ben, was mit den dem BMBF zur Verfügung gestellten
Mitteln gemacht wurde. Sehen wir einmal von den Eva-
luationen ab, die wir zu allen unseren Programmen ma-
chen, um einen Überblick über die Auswirkungen unse-
rer Programme zu gewinnen. Der Beleg ist doch unsere
Stellung in der Wissenschafts- und Forschungsszene.
Wir sind international spitze. Bei Innovationsrankings
sind wir ganz weit vorn. Das ist der Beleg dafür, dass
das, was gemacht wurde, richtig und wichtig ist.

Es geht nicht nur darum, dass man mehr Geld ausgibt,
sondern auch darum, wie man es ausgibt. Derzeit sind
wir in der Situation, dass Studierende und Forscher aus
der ganzen Welt zu uns kommen und wir richtig gute
Spitzenforscher bekommen. Das haben wir auch durch
Strategien erreicht.

Deswegen sage ich, dass ich stolz darauf bin, dass wir
im Jahr 2014 als erstes europäisches Land eine Strategie
für den europäischen Forschungsraum entwickelt haben.
Dabei wurde auch berücksichtigt, wie Deutschland das
sieht und was Deutschland macht. Wenn heute der neue
Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation
zu mir kommt, dann werden wir darüber reden, wie man
eine Stärkung Europas insgesamt erreichen kann. Wir
sind in Deutschland gut. Das nützt uns aber nur, wenn
wir als europäischer Bereich glänzen in Konkurrenz zu
den anderen Standorten auf der Welt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Von dem Geld, das in den vergangenen Jahren in die-
sen Haushalt geflossen ist, ist ganz viel da angekommen,
wo Bildung und Forschung betrieben werden, nämlich in
den Ländern, und zwar über den Pakt für Forschung und





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

Innovation, über den Hochschulpakt und über die Exzel-
lenzinitiative.

Jetzt machen wir aber etwas, was es zuvor noch nicht
gab. Ab dem 1. Januar zahlt der Bund das BAföG kom-
plett. Wo da ein Schattenhaushalt sein soll oder wo man
da sozusagen einen Türken gebaut hat – –. Das meine
ich jetzt nicht in Richtung von Herr Mutlu. Nicht, dass
Sie gleich einen Schreck bekommen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kommen Sie auf mich? Müssen Sie an mich denken, wenn Sie an Türken denken?)


– Nein. Sie schauten so kritisch; deswegen habe ich an
Sie gedacht.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, dass wir noch viel vor uns haben!)


– Wir beide, ja. – Entschuldigung! Ich habe nach einer
Vokabel gesucht, die das, was Frau Deligöz angespro-
chen hat, ausdrückt.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Tricksen“ ist das Wort!)


– „Tricksen“, ja, tricksen. Ich kam nicht darauf.

Was ein Trick daran sein soll, dass der Bund ab 1. Ja-
nuar 2015 – das ist in etwas mehr als einem Monat –
vollständig die Mittel für das BAföG zur Verfügung
stellt, das müssen Sie mir einmal erklären. Das ist hartes
Geld.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was man mit dem zusätzlich zur Verfügung stehenden
Geld alles machen kann! Wir haben es ins Gesetz ge-
schrieben: Dieses Geld ist insbesondere für die Hoch-
schulen gedacht. Wir alle wissen, dass die Grundfinan-
zierung der Hochschulen trotz der vielen Gelder, die der
Bund gegeben hat, nicht gestiegen ist. Rein theoretisch
könnte die Grundfinanzierung aller Hochschulen – der
ganz großen in München oder in Berlin und der ganz
kleinen – ab dem 1. Januar 2015, also fast ab sofort, dau-
erhaft um 5 Prozent steigen. Es gilt, dieses Geld richtig
einzusetzen. Dieses Geld kann für die Finanzierung un-
befristeter Stellen verwendet werden. Es ist ein geeigne-
tes Instrument zur Lösung des Problems, wissenschaftli-
chen Nachwuchs zu finden. Dieses Instrument liegt auf
dem Tisch der Länder.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wieso klatscht da die SPD nicht? – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich erkläre es euch gleich!)


Meine Damen und Herren, Henry Ford sagte einmal:
Was ein Land ausmacht, entscheidet sich nicht erst in
den Forschungslaboren und in den Fabrikhallen, sondern
in den Schulen. – Wir setzen früher an: in der Kita.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das „Haus der kleinen Forscher“ gibt es seit einer Reihe
von Jahren. Wir haben uns in den Koalitionsverhandlun-
gen vorgenommen, 80 Prozent aller Kinderbetreuungs-
einrichtungen mit dieser Initiative zu erreichen. Erreicht
haben wir jetzt schon die vierten Klassen der Grund-
schulen. Außerdem unterstützen wir die Eltern der Schü-
ler, die sich für diese Initiative interessieren. Dass wir
mit einem ganzen Stab von Mitarbeitern ein wirklich gu-
tes System aufgebaut haben, ist etwas, worauf wir stolz
sein können. Das, was wir aufgebaut haben, wird ja auch
wertgeschätzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Mehr Schulklassen zu erreichen, ist unser nächster
Schritt. Dreh- und Angelpunkt in den Schulen sind na-
türlich die Lehrer, deren Qualität, deren Geschick. Wir
haben viele positive Nachrichten über die Wertschätzung
der Lehrer durch die Kinder. Der Bund gibt ab dem
nächsten Jahr ohne Kofinanzierung 500 Millionen Euro
aus – die nötigen Ausschreibungen laufen jetzt schon;
Entscheidungen werden bereits getroffen –, damit die
Lehrerbildung in den Ländern – sie tragen ja die Haupt-
last; Lehrerbildung ist ihre Aufgabe – ermöglicht, dass
Neues ausprobiert werden kann, dass die Qualität gestei-
gert werden kann, dass man sich auf die neuen Heraus-
forderungen einstellen kann.

Die Problemlage bei der beruflichen Bildung kennen
wir alle. Das Entscheidende dabei ist für mich nicht ein
neues Programm, sondern flächendeckend etwas zu-
stande zu bringen. Das heißt, präventiv, also nicht erst,
wenn jemand 35 ist und keinerlei Abschluss hat, und in-
dividuell, auf den Einzelnen und seine Fähigkeiten aus-
gerichtet, zu beraten. Das ist mit den Summen, die wir in
unserem Etat haben, nicht leistbar. Ich bin sehr froh, dass
wir, mein Ministerium, das Arbeitsministerium und die
Bundesagentur für Arbeit, uns verständigt haben und in
den nächsten Jahren über 1 Milliarde Euro für die Be-
rufseinstiegsbegleitung, für die Unterstützung der Bil-
dungsketten einsetzen. Ich freue mich auch, dass die Ti-
telansätze in unserem Haushalt über das, was Sie sich
gewünscht haben, hinaus ein Stück weit erhöht worden
sind. Das macht die ganze Sache rund.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Maßnahmen zur Alphabetisierung habe ich selbst vor
Ort ganz intensiv erlebt. Ich habe Menschen kennenge-
lernt, die sich getraut haben, daran teilzunehmen, und
Menschen, die es dann auch geschafft haben. In diesem
Zusammenhang kommt es vor allen Dingen darauf an,
die richtigen Instrumente einzusetzen. Niedersachsen
stand in diesem Bereich immer – es gab keine Hilfe vom
Bund – 1 Million Euro pro Jahr zur Verfügung. Erreicht
haben wir damit 50 bis 60 Prozent. Wir müssen mehr er-
reichen. Deswegen brauchen wir große Instrumente. Das
Ganze muss man durch entsprechende Werbemaßnah-
men begleiten, wie sie in dieser Kampagne angelegt
sind. Es geht darum, möglichst viele zu erreichen, und
vor allen Dingen darum, zu ermutigen.





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

Damit kommen wir zum Thema Bildungsgerechtig-
keit. Was heißt das für den Hochschulpakt? Ich habe
heute vermisst – Sie wissen ja alle, dass wir es geregelt
haben –, dass gefragt wird: Was ist denn mit den steigen-
den Studierendenzahlen? Eigentlich ist der Hochschul-
pakt ein Paket, in dem aufgrund der Prognose festgelegt
ist, wie viel der Bund zahlt – Schluss! In den vergange-
nen Jahren wurde die Summe, die der Bund zahlt, immer
wieder angehoben, wenn es mehr Studierende gab. Wir
haben seit gestern die neue Studierendenprognose. Wir
zahlen in 2015 200 Millionen Euro mehr, als geplant
war. Das heißt, wir reagieren darauf und zahlen für jeden
Studenten, der zusätzlich an den Hochschulen ist, den
entsprechenden Betrag. 200 Millionen Euro, das ist eine
beträchtliche Summe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ein paar letzte Bemerkungen, und zwar zu Forschung
und Entwicklung. Dass wir viel Geld für Forschung und
Entwicklung ausgegeben haben, hat auch bewirkt, und
zwar durch kluge Konstrukte, dass die Wirtschaft mehr
ausgegeben hat und wir das Ziel „3 Prozent vom Brutto-
inlandsprodukt für Forschung und Entwicklung“ fast er-
reicht haben.

Das Herzstück oder Kernstück der Forschungsförde-
rungsphilosophie des Bundes ist die Hightech-Strategie.
Dazu vielleicht zwei Einsprengsel:

Ich denke, es ist ganz klar, dass für uns alle, CDU und
CSU, Werterhaltung, nachhaltiges Wirtschaften, Klima-
schutz Herzensangelegenheiten sind. Deswegen haben
wir in diesem Jahr in einem intensiven Agendaprozess
überlegt: Wie machen wir das Forschungsprogramm für
nachhaltige Entwicklung noch stärker? Was machen wir
in den nächsten Jahren? Dieser lange Prozess unter Be-
teiligung der Zivilgesellschaft, der Verbände – wer auch
immer sich beteiligen wollte, konnte das tun – läuft im
Rahmen der Hightech-Strategie ab Januar mit neuem
Drive.

Sie haben die Bilder von der „Sonne“ gesehen. Die
startet jetzt im Dezember in den Pazifischen Ozean. Und
was macht sie dort?


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts! – Zuruf des Abg. René Röspel [SPD])


– Herr Röspel, haben Sie es nicht verstanden? Das
Schiff!


(René Röspel [SPD]: Ich wollte nur sagen, dass es nicht um die Sonne geht, sondern um das Forschungsschiff „Sonne“!)


– Ja. Wir waren damit eine Woche lang im Morgenma-
gazin. Das haben alle mitbekommen. – Was macht das
Forschungsschiff „Sonne“ im Pazifischen Ozean? Man
kümmert sich nicht darum: Wo sind vielleicht Rohstoffe,
die wir in Deutschland brauchen? Man kümmert sich um
grundlegende Fragen der Menschheit. Man kümmert
sich um Fragen des Klimawandels: Wie entsteht das
Klima da? Wie kann man Tsunamis verhindern? Wir
können mit entsprechenden Geräten jetzt in Tiefen vor-
dringen, in denen wir noch nie waren, und können sehen,
was auf dem Meeresboden passiert und welche Auswir-
kungen das hat. – Das ist ein wichtiger Punkt der High-
tech-Strategie.

Auf einen zweiten Punkt möchte ich an dieser Stelle
nur kurz eingehen. Barack Obama hat eine Analyse zu
der Frage in Auftrag gegeben: Warum sind die Deut-
schen so gut? Warum sind die im Innovationsranking vor
uns? Warum packen die das? – In der Analyse, die man
ihm vorgelegt hat, wurde deutlich herausgearbeitet, dass
Deutschland dadurch stark ist, dass Deutschland in der
Lage ist, sich in den alten Industrien durch Innovationen
immer wieder international wettbewerbsfähig zu halten.
Wir sind nicht der Weltmeister im Einreißen und darin,
alles völlig neu zu machen, sondern wir haben diese
Innovationskraft in den Industrien.

Im Bereich Produktion geht es jetzt um die Digitali-
sierung. Diesen Wettbewerbsschub schaffen wir, müssen
wir schaffen. Aber dazu braucht es auch staatliche För-
derung. Das von Herrn Schulz schon angesprochene
Programm bedeutet Forschung für Produktion, Dienst-
leistung und Arbeit von morgen. Es geht auch um die
Arbeitsbedingungen, die die Sozialpartner vereinbaren.
1 Milliarde Euro ist dafür vorgesehen. Das Programm
läuft zum Teil schon und startet, was den Bereich Arbeit
anbetrifft, im nächsten Jahr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, das waren nur wenige Bei-
spiele, die zeigen, dass es uns nicht nur gelingt, mehr
Geld in diesen Bereich zu geben, sondern dass es uns
auch gelingt, auf die großen Herausforderungen ehrliche
und tragfähige Antworten zu finden, und darauf bin ich
stolz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807008800

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächste Rednerin in

der Debatte: Dr. Rosemarie Hein für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807008900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Ministerin, in dieser Woche waren wir Gäste bei
der Eröffnung Ihres neuen Gebäudes, eines sehr schönen
Gebäudes. Nach den Reden konnten wir ein Kunstwerk
bestaunen, das an der Treppe präsentiert wurde. Aus
dem Treppengeländer stieg weißer Rauch auf. Weißer
Rauch gilt als Zeichen dafür, dass ein Problem gelöst
worden ist. Doch für weißen Rauch gibt es in diesem
Haushalt, finde ich, keinen Grund.

Ja, der Haushalt für Bildung und Forschung steigt ins-
gesamt um etwa 1,2 Milliarden Euro. Aber mehr als die
Hälfte davon entfällt auf die Übernahme der BAföG-
Ausgaben durch den Bund. Zudem enthält der Einzel-
plan 30 eine saftige globale Minderausgabe von immer-
hin 478 Millionen Euro. Globale Minderausgaben bringt
man immer dann aus, wenn man sparen muss, sich aber
nicht entscheiden kann, wo. Damit stehen wichtige Vor-
haben theoretisch auf einer potenziellen Kürzungsliste.





Dr. Rosemarie Hein


(C)



(D)(B)

Niemand weiß, wo gekürzt wird. Ich nenne das eine
Luftnummer. Nur ist noch nicht klar, wo der Ballon
platzt.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie sind ja richtig poetisch heute!)


Nun kommt es: Wenn man jetzt die zusätzlich über-
nommenen BAföG-Mittel und die globale Minderaus-
gabe addiert, dann kommt eine Summe von etwas mehr
als 1,2 Milliarden Euro heraus, also ziemlich genau das,
was Sie als Erhöhung verbuchen wollen. Ein Mehr für
Bildung sieht aber anders aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Statt kräftig in die Bildung zu investieren, haben Sie ei-
gentlich nur die globale Minderausgabe erhöht.

Nun haben wir sehr wohl zur Kenntnis genommen,
dass im Zuge der Haushaltsverhandlungen noch einmal
umverteilt wurde: 8 Millionen Euro streichen Sie beim
Deutschlandstipendium, anderswo kommen 3 Millionen
Euro dazu, dort 2 Millionen, da 6 Millionen – immer
schöne runde Summen. So richtig weiß man nicht, wie
sich die runden Summen ergeben. So fülle ich immer
meine Weihnachtstüten, wenn am Ende noch Süßigkei-
ten übrig sind.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Das hat doch nichts mit einer sinnvollen und bewussten
Prioritätensetzung zu tun. Mir erschließt sich das nicht.

Nun erwarten Sie sicher, dass die Länder das beim
BAföG eingesparte Geld in die Bildung stecken; aber
Sie können es eben nicht mehr beeinflussen, weil Sie in
vielen Bildungsfragen nichts zu melden haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, eben!)


Im Gegenzug bleiben aber wichtige Bildungsaufgaben
des Bundes auf der Strecke. So wird zum Beispiel trotz
steigender Bedarfe weniger für die Aufstiegsfortbildung
eingeplant. Das ist ein Rechtsanspruch, wird mir Kollege
Rossmann gleich wieder vorhalten.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Völlig zu Recht!)


Doch wenn man das Geld, das man hier braucht und
auch ausgeben will, gar nicht einplant, dann muss man
es erwirtschaften, und das über andere Haushaltstitel.
Das führt wiederum zu einer Erhöhung der globalen
Minderausgabe, weil das Geld ja irgendwo herkommen
muss. Es ist also eine versteckte Minderausgabe. Das ist
weder transparent noch, Frau Hübinger, seriös.


(Beifall bei der LINKEN)


Nehmen wir den Bereich der Berufsorientierung. Da
stocken Sie nun zwar die Mittel auf;


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Und zwar kräftig!)


doch die zusätzlichen 100 Euro für Schüler an Förder-
schulen mit besonderem Förderbedarf sollen gänzlich
aus einem Berufsorientierungsprogramm, das Sie zurzeit
überarbeiten, gestrichen werden. Bezeichnend ist die Be-
gründung, die ich auf meine schriftliche Einzelfrage hin

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1807009000
Künftig sollten die
Schüler mit besonderem Förderbedarf nicht mehr in För-
derschulen unterrichtet werden, sondern in Regelschu-
len, also inklusiv; da brauche man die Förderung nicht
mehr.


(Rainer Spiering [SPD]: Ja, das ist das System und die Idee der Inklusion!)


– Nein, das ist nicht die Idee der Inklusion. Da müssen
Sie sich einfach mal kundig machen. Aber wenn Sie so
über die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte
von Menschen mit Behinderung reden, dann wundert
mich nicht, dass wir bei der inklusiven Bildung nicht
weiterkommen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie meinen, dass der Koalitionsvertrag die Leitlinie
für das eigene Handeln ist. Aber was wird zum Beispiel
aus der Ausbildungsgarantie? Sie ist mit keiner einzigen
belastbaren Zahl im Haushalt verankert. Oder was ist mit
der digitalen Bildung?


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das wurde erhöht!)


Was haben Sie unternommen, um mit den Ländern ir-
gendetwas zu vereinbaren? Wie wollen Sie bei Lernmit-
telfreiheit die digitalen Lernmittel finanzieren? – Wenn
Sie etwas gemeinsam mit den Ländern machen, gehe ich
doch davon aus, dass der Bund da auch Geld reinsteckt;
aber ich finde nichts.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dann müssen Sie besser lesen! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: 2 Millionen zusätzlich!)


Also ist das alles nur heiße Luft mit Zwiebackstaub; das
hätte zumindest meine Oma dazu gesagt.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das Schwarze sind die Buchstaben! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Haben Sie Tomaten auf den Augen!)


– Ich finde, Sie sind sehr unsachlich. Vielleicht gucken
Sie sich einfach mal das an, was Sie in den letzten Mo-
naten und Wochen so intensiv ausgehandelt haben.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Gucken Sie doch mal in den Haushalt!)


– Das habe ich getan.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da haben Sie nichts gefunden zur digitalen Bildung?)

– Richtig: Dazu habe ich nichts gefunden. Sie können es
mir ja nachher zeigen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dann zeige ich Ihnen das!)


Nein, Ihr Haushalt ist wahrlich kein Grund, zu jubeln
und weißen Rauch aufsteigen zu lassen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie sollten sich mehr auf Inhalte als auf Poesie konzentrieren!)


(A)






Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

Sie müssen jetzt schauen, wo die 478 Millionen Euro
herkommen sollen. Ich will Ihnen zwei Vorschläge ma-
chen – zumindest ein bisschen könnten Sie damit einspa-
ren –: Verzichten Sie doch auf den Export der hochradio-
aktiven Brennelemente in die USA!


(Beifall bei der LINKEN – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das Hierbehalten kostet nichts?)


Nehmen Sie dazu einfach unseren Änderungsantrag an.
Streichen Sie das Deutschlandstipendium ganz!


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie könnten auch mal was für die Studenten tun oder was dafür spenden! Sie reden immer nur davon!)


Wenn man es zusammenrechnet, kommt man auf eine
Ersparnis von etwas mehr als 100 Millionen Euro. Ich
finde, das ist ein guter Anfang.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807009100

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Hein. – Nächster

Redner in der Debatte: Hubertus Heil für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1807009200

Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte

Frau Dr. Hein, ich war in der letzten Legislaturperiode,
wie Sie das jetzt sind, in der Opposition. Ich habe dabei
eines gelernt: Ein Angriff auf die Regierung ist nur dann
passend, wenn man auch die Größe hat, zuzugeben, was
die Regierung alles geleistet hat. Das macht eine souve-
räne Opposition aus.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Eben!)


Dann tritt auch das, was Sie wirklich zu sagen haben,
deutlicher hervor.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das machen wir in der vierten Lesung!)


Das haben Sie aber nicht geschafft. Der Eindruck, dass
Sie in Ihrer Rede ein Zerrbild gezeichnet haben, ist nicht
ganz von der Hand zu weisen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Viele der Fragen, die Sie gestellt haben, sind einfach
zu beantworten. Zum Thema „Digitale Bildung“ wird
die Kollegin Esken gleich etwas sagen. Ich will Sie nur
auf eines hinweisen: Diese Große Koalition – das hätten
Sie auch einmal erwähnen können – hat binnen eines
Jahres mehr bewegt als die Vorgängerregierung in vier
Jahren. Ich will Ihnen das anhand einzelner Zahlen die-
ses Haushaltes belegen.


(Beifall bei der SPD – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist die Messlatte aber nicht besonders hoch gewesen!)

Dies ist ein Rekordetat; das hat die Ministerin zu
Recht erwähnt. Das BMBF hat einen Etat von 15,3 Mil-
liarden Euro, und es wird noch mehr. Durch die Ent-
scheidungen, die diese Große Koalition im ersten Jahr
getroffen hat, mobilisieren wir für den Zeitraum von
2015 bis 2023 zusätzliche Bundesmittel in Höhe von
rund 31 Milliarden Euro.

Ich will Ihnen die Zahlen nennen bzw. aufschlüsseln.
Durch die 100-prozentige Übernahme des BAföG geben
wir – wenn Sie den Zeitraum bis 2023 hochrechnen –
10,5 Milliarden Euro zusätzlich für Hochschulen, Schu-
len und – auch das ist möglich – für frühkindliche Förde-
rung.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist nicht möglich!)


Sie als Opposition könnten zumindest anerkennen,
dass das ein Riesenschritt ist.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben wir schon in der Debatte zum BAföG gesagt!)


Dass das nicht genug ist, das können Sie immer sagen;
aber so zu tun, als würden wir im Bereich Bildung sogar
noch kürzen, das ist nicht ganz redlich, Frau Dr. Hein.


(Beifall bei der SPD)


Wir sind übereingekommen, im Rahmen des Hoch-
schulpakts bis 2023 zusätzlich 14,1 Milliarden Euro zu
mobilisieren. Auch das ist eine stramme Leistung. Ich
finde das richtig.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir stellen für die Programmpauschalen bis 2020 wei-
tere 2,03 Milliarden Euro und für den Pakt für For-
schung und Innovation 3,87 Milliarden Euro zur Verfü-
gung. Das sind zusammen rund 31 Milliarden Euro. Sie
können also nicht so tun, als würden wir in diesem Be-
reich kürzen. Sie können gerne sagen: Das ist immer
noch nicht genug – Ihnen ist an dieser Stelle ja nie etwas
genug –, aber zeichnen Sie bitte kein Zerrbild nach dem
Motto „Die kürzen bei Bildung“. Das ist nicht die Wahr-
heit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bilanz nach einem Jahr stellt sich so dar: Wie im
Koalitionsvertrag vereinbart, haben wir 6 Milliarden
Euro für Bildung und 3 Milliarden Euro für Forschung
auf den Weg gebracht. Wenn der Bundesrat und die
MPK dem Ganzen zustimmen, ist das ab 1. Januar auch
gesetzgeberisch auf der Schiene. Durch die Übernahme
des BAföG investieren wir jährlich 1,17 Milliarden Euro
in gute Bildung.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Semester Nullrunde für Studierende!)


Wir haben den Hochschulpakt und den Pakt für For-
schung und Innovation auf den Weg gebracht.





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

Worauf ich sehr stolz bin: Es ist uns in diesem einen
Jahr gelungen, Projekte auf den Weg zu bringen, die gar
nicht im Koalitionsvertrag stehen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da haben Sie das BAföG vergessen!)


Das betrifft die BAföG-Erhöhung, durch die ab 2016 im-
merhin 825 Millionen Euro jährlich mehr für Chancen-
gleichheit mobilisiert werden.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In zwei Jahren!)


Damit gibt es 110 000 zusätzliche Anspruchsberechtigte
und Geförderte im Bereich des BAföG. Herr Gehring,
man kann immer darüber streiten, ob es ein Jahr zu spät
ist.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Jahre zu spät!)


Sie wissen, ich wünsche mir, es wäre gestern gewesen;
das ist doch nicht die Frage. Wenn die Opposition ein-
mal anerkennen würde, was wir geschafft haben und
dass wir damit einen wesentlichen Schritt in Richtung
mehr Chancengleichheit gemacht haben, dann wäre das
ein Zeichen von Größe und Souveränität.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder leere Versprechen! – Zuruf von der LINKEN: Selbstbeweihräucherung!)


Wir haben in diesem Jahr – was nicht trivial ist – mit-
einander den Artikel 91 b Grundgesetz auf den Weg ge-
bracht. Das ermöglicht Formen der Kooperation, die es
– ich betone das – im Bereich Wissenschaft und For-
schung nie zuvor gegeben hat.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie versprochen?)


– Gar keine Frage, wenn wir eine absolute Mehrheit ge-
habt hätten – mit euch hätten wir die Zweidrittelmehrheit
im Parlament gehabt –, dann hätten wir das Koopera-
tionsverbot für die Schule auch noch gekippt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Willi Brase [SPD]: Hätte, hätte, Fahrradkette! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hätte, hätte, Fahrradkette!)


Das fällt aber unter das Motto „Hätte, hätte, Fahrrad-
kette“. Ihr habt uns nicht zur absoluten Mehrheit verhol-
fen und euch nicht besonders stark dafür gemacht, dass
wir eine Zweidrittelmehrheit hinbekommen. Auf gut
Deutsch: Lieber kleine Schritte, als große Worte, lieber
Kollege Mutlu.


(Beifall des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU])


Das, was wir, die Große Koalition, für die Wissenschaft
und Forschung erreicht haben, kann sich sehen lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Ministerin, für den Bereich Bildung, Wissen-
schaft und Forschung gilt das alte deutsche Sprichwort:
Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der
falschen Körperseite.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807009300

Das habe ich ja noch nie gehört.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1807009400

Ja, das ist doch so, oder?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807009500

Ja, aber ich habe es noch nie gehört.


(Heiterkeit)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1807009600

Claudia, Verzeihung, Frau Präsidentin, vorhin hat der

Kollege Schulz behauptet, Sie würden jetzt leuchten. Ich
finde: Sie leuchten immer. Das wollte ich auch noch sa-
gen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807009700

Oh!


(Heiterkeit – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Oh!)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1807009800

Ja, ist doch so. Strahlen, das ist der richtige Begriff.

Aber jenseits des Strahlens muss man auch handeln.

Wir haben dafür zu sorgen, dass wir trotz aller Er-
folge, die wir haben, in den nächsten Jahren die Weichen
richtig stellen.

Ich behaupte, das Jahr 2015/16 gibt Gelegenheit für
zentrale Weichenstellungen. Ich möchte mich in diesem
Bereich auf drei Punkte beziehen. Eines wurde bereits
gesagt: Mit diesem Haushalt mobilisieren wir mehr für
die berufliche Bildung. Aber wenn es richtig ist, dass sie
der Kern unseres Systems der beruflichen Ausbildung
und ein Erfolgsfaktor für die wirtschaftliche Entwick-
lung in diesem Land ist, ein System, das vor allem jun-
gen Menschen eine Chance gibt, zu einem selbstbe-
stimmten Leben zu finden, dann haben wir im nächsten
Jahr mindestens drei Dinge zu bewegen:

Erstens – das haben wir auf dem Schirm – die Allianz
für Aus- und Weiterbildung. Gemeinsam mit dem Bun-
desministerium für Wirtschaft sowie dem Arbeits- und
dem Bildungsministerium geht es darum, die Ausbil-
dungsgarantie von einer Überschrift zur Realität werden
zu lassen, auch die Wirtschaft für zusätzliche Ausbil-
dungsplätze in die Pflicht zu nehmen und den benachtei-
ligten jungen Menschen über assistierte Ausbildung
ebenfalls eine Chance zu geben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zweitens. Swen Schulz sprach es an: Wir brauchen
die Novelle beim Meister-BAföG. Das ist Aufstiegsför-
derung, und ich kann mir nicht verkneifen, zu sagen: Es
ist nicht sinnvoll – das ist an den Präsidenten der Hoch-





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

schulrektorenkonferenz gerichtet –, Debatten von vor-
gestern über Studiengebühren zu führen. Wenn es um
Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Aus-
bildung geht, dann finde ich es sinnvoller, einmal lang-
fristiger darüber zu sprechen, ob wir nicht die Meisterge-
bühren in diesem Land senken oder sie irgendwann ganz
streichen. Das wäre Gleichwertigkeit von beruflicher
und akademischer Bildung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Wir haben uns auch um die Qualität und die
Modernität der beruflichen Ausbildung zu kümmern.
Die Reform des Berufsbildungsgesetzes ist eine große
Aufgabe. Ich möchte an dieser Stelle einmal ganz grund-
sätzlich sagen: Ich empfinde diesen lähmenden Wider-
spruch zwischen dem Vorwurf des Akademisierungs-
wahns auf der einen Seite und einer Geringschätzung der
beruflichen Bildung auf der anderen Seite als etwas, was
uns nicht wirklich weiterhilft. Wir brauchen in Deutsch-
land beides: ordentliche Berufsausbildung, Fachkräfte,
sowie akademische Bildung. Diese dürfen wir nicht ge-
geneinander ausspielen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Durchlässigkeit ist das Gebot der Stunde.

Das heißt auch, dass wir im Hochschulbereich weiter-
gehen müssen. Vor allem müssen wir die Lage des wis-
senschaftlichen Nachwuchses und des Mittelbaus in der
Zukunft verbessern. Wir haben zu wenige Dauerstellen,
zu viel Unklarheit für junge Leute in diesem Bereich und
zu viele Befristungen.

Wir werden als Koalition – das haben wir uns vorge-
nommen – das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellie-
ren – mit Augenmaß, gar keine Frage; aber wir werden
es novellieren, um den Missbrauch von Befristungen im
akademischen Bereich zurückzudrängen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn? – Gegenruf von der SPD: Bald!)


Ich sage aber auch: Wir brauchen Mittel für eine Per-
sonaloffensive an den Hochschulen, damit junge Men-
schen, die bereits eine gute Hochschulausbildung haben,
im Wissenschaftsbetrieb Karriereperspektiven haben,
damit sie nicht alle ins Ausland gehen, sondern, im Ge-
genteil, die klügsten Köpfe der Welt auch an unsere
Hochschulen in Deutschland kommen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Außerdem werden wir die Exzellenzinitiative fortset-
zen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber wir werden
darüber in der Koalition mit den Ländern zu sprechen
haben. Last, but not least: Wir setzen einen Schwerpunkt
im Bereich Innovation und Forschung. Für uns ist es
ganz wichtig – ich denke, das trägt uns auch in der Ko-
alition –, dass wir technologischen und wissenschaftli-
chen Fortschritt befördern und nach vorne bringen, aber
immer auch dafür sorgen, dass aus technischem Fort-
schritt gesellschaftlicher Fortschritt wird.


(Beifall bei der SPD)

Das betrifft vor allem die Digitalisierung. Dabei geht
es um IT-Sicherheit und Standardisierung, es geht aber
auch um die Humanisierung der Arbeit und um die
Frage, welche Grundlage wir schaffen, damit Deutsch-
land wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreich bleibt.
Damit leisten die Bildungs-, die Wissenschafts- und die
Forschungspolitik ihren Beitrag zu wirtschaftlichem Er-
folg, aber eben auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit in
diesem Land.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807009900

Vielen Dank, Hubertus Heil. – Nächste Rednerin in

der Debatte ist Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807010000

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Hubertus Heil hat etwas zur Souveräni-
tät der Opposition gesagt. Ich will mal sagen: Zur Sou-
veränität von Regierungsfraktionen sollte gehören, auf
Lobhudeleien an Stellen zu verzichten, an denen sie
nicht angemessen sind.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das haben wir auch nicht behauptet!)


Ich finde, der Haushalt für 2015 hat viele verpasste Chan-
cen. Das betrifft insbesondere auch den Einzelplan 30;
dazu werde ich gleich kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin Wanka hat auch, wie wir es die ganze
Woche erleben durften, die „mausgraue Null“ bejubelt.
Dazu muss man sagen: Fakt ist doch, dass die schwarz-
rote Koalition ihre Schulden versteckt und das Geld
nicht mehr bei der Bank leiht, sondern sie greift in die
Rentenkasse, sie bedient sich beim Gesundheitsfonds
und fährt bei der Infrastruktur auf Verschleiß. Ihre Null,
welche Farbe man ihr auch immer geben möchte, ist
doch letztendlich nur Augenwischerei, liebe Kollegin-
nen, liebe Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Risiken und Lasten werden in die Zukunft ge-
schoben und fallen damit den Jüngeren auf die Füße,
also genau denen, deren Anliegen schon heute im Haus-
halt für das kommende Jahr und ganz besonders im Ein-
zelplan 30 – Bildung, Wissenschaft und Forschung – zu
wenig Berücksichtigung finden. Das hat nichts mit ei-
nem soliden Haushalt zu tun. Das finden wir zukunfts-
vergessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erst am Dienstag hat die OECD die Bundesregierung
vehement aufgefordert, endlich mehr zu investieren und
wachstumsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. Ganz
konkret nimmt die OECD den Bildungsbereich von der
Kita bis hin zu den Hochschulen in den Blick. Ich finde,
das sind sehr vernünftige und vorausschauende Anre-
gungen, die wir von der OECD bekommen.





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Da sind Sie aber auch die Einzigen!)


Aber man muss sich fragen: Wo findet sich die Um-
setzung dieser Anregungen im Etat von Frau Wanka für
das kommende Jahr?

Wir haben in der letzten Sitzungswoche zwei zentrale
Gesetzgebungsverfahren aus dem Zuständigkeitsbereich
dieses Ministeriums zum Abschluss gebracht: die
BAföG-Novellierung und die Grundgesetzänderung zum
Kooperationsverbot; beides ist bereits angesprochen
worden. Aus unserer Sicht wurden bei beiden ganz zen-
trale Chancen vertan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [DIE LINKE])


Wir machen nicht denselben Fehler wie die Kollegen
von Union und SPD. Wir wollen nicht, dass die Studie-
renden zwei weitere Jahre im Regen stehen und auf die
längst überfällige BAföG-Erhöhung warten müssen. Wir
haben es schon im Gesetzgebungsverfahren zur BAföG-
Novellierung deutlich gemacht, wir haben hier auch na-
mentlich darüber abstimmen lassen, und wir haben es
auch im Haushaltsverfahren ganz klar dokumentiert,
dass wir es mit der BAföG-Erhöhung zum kommenden
Semester ernst meinen und dass man das selbstverständ-
lich solide finanzieren kann. Wir wollen nicht – das be-
kräftigen wir auch hier –, dass die Studierenden die
Opfer der mausgrauen Null werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen, dass das BAföG zum Leben und Lernen
reicht. Wenn die BAföG-Erhöhung, wie angekündigt, im
Herbst 2016 endlich kommt, dann haben die Studis in
Deutschland sechs Jahre lang auf eine Erhöhung gewar-
tet. In dieser Zeit sind bekanntlich die Mieten, die Le-
benshaltungskosten, der Preis für Kaffee in der Mensa
und die Kopierkosten gestiegen. Alle Kosten sind gestie-
gen. Es muss daher doch ganz klar sein, dass die
BAföG-Erhöhung zumindest die Inflation ausgleichen
muss. Deshalb sagen wir: Wir wollen eine Erhöhung um
10 Prozent und nicht um die 7 Prozent, die jetzt geplant
sind. Wir sagen auch ganz klar: Wir wollen diese Erhö-
hung jetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Willi Brase [SPD]: Kriegt ihr aber nicht!)


Ich möchte noch zu einem Punkt kommen, der mir
besonders am Herzen liegt. Wir Grüne haben in diesen
Haushaltsverhandlungen einen Schwerpunkt auf die Un-
terstützung von Flüchtlingen gelegt. Warum das ange-
sichts der internationalen Krisen besonders notwendig
ist, liegt sicherlich auf der Hand. Wir wollen insgesamt
1 Milliarde Euro zusätzlich im Inland wie im Ausland
zur Verfügung stellen. Warum Union und SPD Flüchtlin-
gen den Weg zum BAföG unnötig schwer machen, kön-
nen wir überhaupt nicht nachvollziehen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir erleichtern den doch!)

Wir brauchen endlich eine Politik, die alle Talente
und alle Fähigkeiten fördert. Dazu gehören natürlich die
Talente von Flüchtlingen, die zu uns kommen. Deshalb
ist es für uns völlig unverständlich, dass Flüchtlinge nun
nach 3 Monaten arbeiten können sollen, aber 15 Monate
warten müssen, bis sie BAföG beantragen dürfen. Es ist
aus unserer Sicht sehr ärgerlich, dass das im Rahmen der
BAföG-Reform nicht ausgeräumt wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nicht nur das BAföG wurde in der letzten Sitzungs-
woche novelliert; auch das Grundgesetz wurde geändert.
Leider bleibt das Kooperationsverbot für die schulische
Bildung bestehen. Das ist aus unserer Sicht ein ganz gro-
ßes Übel, das uns noch auf die Füße fallen wird. Ich
habe eben schon auf die Anregungen der OECD hinge-
wiesen. Ein Ganztagsschulprogramm, wie wir es zwi-
schen 2004 und 2010 hatten, wäre doch in der jetzigen
Situation genau das Richtige für die Bildung und auch
für die Konjunktur. Wir finden: So etwas hätte auch in
den Haushalt ab 2015 gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden nicht müde, zu kritisieren, dass der Koali-
tion beim Thema Kooperationsverbot auf halber Strecke
die Luft ausgegangen ist.

Im Bereich der Wissenschaft gibt es ab dem 1. Januar
2015 einen neuen Aktionsradius für den Bund. Es gibt
aber offensichtlich keine neuen Ideen und kein Geld.
Das ist doch mehr als befremdlich. Mit großem Brimbo-
rium werden das Grundgesetz geändert und neue Koope-
rationsmöglichkeiten an der Stelle geschaffen. Was aber
macht die Große Koalition mit ihren neuen Möglichkei-
ten? Was will sie damit anfangen? Man weiß es nicht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich sage es dir später!)


Wir finden das nicht ausreichend. Das ist keine zukunfts-
taugliche Politik. Insgesamt sehen wir, dass die Haus-
haltspolitik der Großen Koalition versagt, insbesondere
da, wo es um die jüngere Generation geht, nämlich im
Einzelplan 30. Deshalb können wir dem so nicht zustim-
men.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Haben Sie das gesehen? Auf die Minute!


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807010100

Ja, das will ich ausdrücklich loben. Auf die Sekunde

genau. Gutes Beispiel! – Als nächster Redner hat
Dr. Wolfgang Stefinger das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Wolfgang Stefinger (CSU):
Rede ID: ID1807010200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Deutschlands Zukunft gestalten“, so lautet





Dr. Wolfgang Stefinger


(A) (C)



(D)(B)

der Titel des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU
und SPD. Deutschlands Zukunft gestalten: Wo wird das
deutlicher als im Bildungs- und Forschungsbereich?
Wenn wir uns die Aufgaben des Bildungs- und For-
schungsministeriums ansehen, wenn wir uns den vorlie-
genden Haushalt ansehen, wenn Sie, wie ich, viel vor
Ort unterwegs sind, Forschungseinrichtungen besuchen,
mit Unternehmensgründern sprechen, dann wird deut-
lich: Wir gestalten Deutschlands Zukunft, und es ist eine
gute Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutschland steht als Forschungs- und Innovations-
standort ganz oben. Trotz Finanz- und Wirtschaftskrise
hat Deutschland die Ausgaben für Bildung und For-
schung von Jahr zu Jahr gesteigert. Andere EU-Länder
haben die Ausgaben in diesem Bereich teilweise massiv
gekürzt.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Müssen! Leider!)


Der Haushaltsplan 2015 weist, was die Neuverschul-
dung angeht, nicht nur eine schwarze Null auf, sondern
er beinhaltet mit 15,3 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung auch die bislang höchste Summe für diesen
Bereich in der Geschichte der Bundesrepublik. Damit le-
gen wir den Grundstein für Innovationen, Wirtschafts-
wachstum, Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Anstrengungen der letzten Jahre haben sich ge-
lohnt. Das zeigt ein Blick auf zahlreiche internationale
Rankings. Von den zehn forschungsstärksten Unterneh-
men in Europa kommen fünf aus Deutschland. Die Zahl
der in Forschung und Entwicklung tätigen Menschen ist
seit 2005 trotz Wirtschafts- und Finanzkrise auf über
580 000 gestiegen. Das ist ein Plus von 114 000. Beim
Export von forschungsintensiven Gütern gehört Deutsch-
land mit einem Anteil von rund 12 Prozent am Welthan-
delsvolumen zu den Spitzenreitern. Und: Wir sind ein-
mal mehr Nobelpreisnation. Es ist ein Wissenschaftler
einer unserer großen Forschungseinrichtungen, nämlich
vom Max-Planck-Institut, der den Nobelpreis für Che-
mie erhalten hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])


Das alles zeigt, dass wir auf einem sehr guten Weg
sind, aber auch, dass wir nicht nachlassen dürfen. Daher
haben wir mit einer ganzen Reihe von strukturellen Re-
forminitiativen eine neue Dynamik in unser Wissen-
schafts- und Innovationssystem gebracht. Seit 2006 läuft
die Hightech-Strategie der Bundesregierung, die wir zu
einer umfassenden und ressortübergreifenden Innova-
tionsstrategie weiterentwickeln. Hier werden die The-
menfelder in den Blick genommen, die für unsere
Gesellschaft sowie für Wachstum und Wohlstand von
besonderer Bedeutung sind: digitale Wirtschaft und Ge-
sellschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Energie, inno-
vative Arbeitswelt, gesundes Leben, intelligente Mobili-
tät und Sicherheit.

Wir alle nutzen das Internet, sind mobil erreichbar,
sprechen über die digitale Wirtschaft und Gesellschaft,
Produktionsprozesse der Zukunft. Das stellt uns selbst-
verständlich auch vor neue Herausforderungen, was die
Sicherheit von Daten und Betriebssystemen angeht. Da-
her fördert das BMBF Kompetenzzentren auf dem Ge-
biet der IT-Sicherheit. Mit Erfolg: Drei Kompetenzzen-
tren haben vor wenigen Wochen den ersten, zweiten und
dritten Platz im Wettbewerb um den 5. Deutschen IT-Si-
cherheitspreis belegt.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hervorragend!)


Ausgezeichnet werden hier innovative Konzepte und
Lösungen zur IT-Sicherheit, zur Kryptografie, zur Sys-
tem- und Netzsicherheit sowie zur Abwehr von Cyber-
angriffen. Sie sehen also: Auch im digitalen Bereich ge-
stalten wir Deutschlands Zukunft.

Mit dem Pakt für Forschung und Innovation fördern
wir Erfindungen. So wird die außeruniversitäre For-
schung bei der Max-Planck-Gesellschaft, der Helm-
holtz-Gemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft und
der Leibniz-Gesellschaft weiter gestärkt. Für 2015 ist ein
Mittelaufwuchs von 5 Prozent und ab 2016 eine jährli-
che Etatsteigerung von 3 Prozent vorgesehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Da sind wir alle sehr glücklich darüber!)


– Darüber sind wir alle sehr glücklich. Vielen Dank,
Herr Kollege. – Diese Steigerung trägt der Bund alleine,
ohne Länder und trotz ausgeglichenem Haushalt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Weil wir gut sind!)


Wir führen außerdem die Exzellenzinitiative fort und un-
terstützen den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Bei all den wichtigen Maßnahmen für die Wissen-
schaft, für die Studenten und für die Forschung dürfen
wir die gleichwertige Säule unseres Bildungssystems,
die berufliche Bildung, nicht vergessen. Unsere duale
Berufsausbildung ist ein Erfolgsmodell und Exportschla-
ger. Für uns hat die berufliche Bildung einen hohen Stel-
lenwert. Daher wurden – das ist schon angesprochen
worden – die Haushaltstitel „Überbetriebliche Berufsbil-
dungsstätten“ und „Maßnahmen zur Verbesserung der
Berufsorientierung“ gegenüber dem ursprünglichen Haus-
haltsentwurf um 10 Millionen Euro bzw. 12 Millionen
Euro erhöht;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


denn wir sind uns bewusst, dass es Jugendliche gibt, die
durch eine unzureichende Berufsberatung eventuell ei-
nen für sie unpassenden Ausbildungsweg einschlagen,
und wir wollen einem Ausbildungs- bzw. Studienab-
bruch vorbeugen. Die ergebnisoffene Berufs- und Stu-
dienorientierung und der Ausbau von Beratungs- und





Dr. Wolfgang Stefinger


(A) (C)



(D)(B)

Berufsbildungsangeboten für Studienaussteiger und -um-
steiger leisten hierzu einen wichtigen Beitrag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])


Wir müssen junge Leute wieder zu einer dualen Aus-
bildung motivieren. Hierzu müssen wir aber auch die
Chancen und Wege aufzeigen, die es gibt, und es gibt
viele Wege. Einen Beitrag leisten Werbekampagnen,
zum Beispiel vom Handwerk und von Verbänden, aber
auch unser Paket „Chance Beruf“. In diesem Zusam-
menhang spielt natürlich auch das Thema Durchlässig-
keit eine wichtige Rolle; denn ein junger Mensch stellt
sich natürlich die Frage: Welche Chance habe ich denn
mit meiner Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt, was ver-
diene ich und habe ich die Möglichkeit, mich weiterzu-
qualifizieren? Für uns gilt: Es gibt keinen Abschluss
ohne Anschluss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich durfte letzte Woche an der Hochschule München
vor Handwerksmeistern sprechen. Dort kam vom Fri-
seur, über den Bäcker und Elektrotechniker bis zum
Goldschmied der erste Jahrgang des Bachelorstudien-
gangs Unternehmensführung zusammen. Die Jüngste
war Mitte 20, der Älteste Mitte 40, hochmotivierte
Leute, teils mit eigenem Betrieb, teils im elterlichen Be-
trieb, teils im Angestelltenverhältnis tätig. Sie wollen
sich berufsbegleitend weiterbilden, ihren Betrieb voran-
bringen und leisten damit einen wichtigen Beitrag für
unser Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daran zeigt sich: Wer sich in unserem Land ein Ziel ge-
setzt hat, fleißig ist, lernen will und sich engagiert, der
bekommt auch eine Möglichkeit und Unterstützung.

Im Handwerk eröffnen sich gerade für junge Men-
schen in unserem Land, auch für junge Menschen mit
Migrationshintergrund, sehr viele Chancen, weil das
Handwerk und die vielen anderen Ausbildungsbetriebe
jungen Menschen Chancen geben. Die Ausbildungsbe-
reitschaft unserer kleinen und mittelständischen Betriebe
ist ungebrochen hoch. Dafür von dieser Stelle ein herzli-
cher Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Handwerk ist aber auch auf unsere Unterstützung
angewiesen. Wir müssen unseren deutschen Meisterbrief
auf EU-Ebene verteidigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Er ist und bleibt ein unverkennbares Qualitätssiegel für
handwerkliche Qualität und hat eine besondere Bedeu-
tung für die duale Ausbildung. Hierfür bitte ich Sie alle
um Ihre Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU], an die LINKE und das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: „Alle“!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen
aber auch auf diejenigen schauen, die ohne Abschluss
die Schule verlassen. In diesem Bereich haben wir eini-
ges erreicht: Die Quote der Schulabbrecher liegt bei un-
ter 6 Prozent – es waren einmal 12 Prozent –, aber auch
das darf uns nicht zufriedenstellen. Einen großen Anteil
am Bildungserfolg hat natürlich der Schüler selbst,


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)


aber auch der Lehrer. Lehrerbildung ist Ländersache; das
wissen Sie. Das Programm „Qualitätsoffensive Lehrer-
bildung“, das wir uns insgesamt 500 Millionen Euro
kosten lassen – im nächsten Jahr werden es davon
45 Millionen Euro sein –, ist schon angesprochen wor-
den.

Sie sehen insgesamt: Die berufliche Bildung liegt uns
ebenso am Herzen wie die akademische Bildung und die
Forschung. Mit Verlaub, das war aber auch klar; denn für
Deutschlands Zukunft brauchen wir hervorragend quali-
fizierte Leute in allen Bereichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sehen: Wir investieren stark in Bildung und For-
schung und haben unseren Haushalt in Ordnung. In un-
serem Land gibt es viele motivierte und engagierte Men-
schen, die mit Fleiß, Ehrlichkeit und Willensstärke unser
Land weiter nach vorne bringen. Gemeinsam mit ihnen
gestalten wir Deutschlands Zukunft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807010300

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege

Willi Brase das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1807010400

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ministerin
Wanka hat dargestellt, wie stark die Innovationsfähigkeit
Deutschlands ausgeprägt ist. Dabei geht es, wenn wir
einmal den industriellen Teil nehmen, um das Zusam-
menspiel von Ingenieuren, Meistern und Facharbeitern.
Dieses Zusammenspiel zu bewahren und zu stärken, ist
eine hochlöbliche, eine wichtige Aufgabe zur Gestaltung
der Zukunft unseres Landes.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dies findet nicht im luftleeren Raum, sondern in
Abteilungen, in Forschungseinrichtungen und in Be-
triebsteilen statt. Weil die Weiterentwicklung auch mit
Digitalisierung, neuen Werkstoffen und neuen Produk-
tionsverfahren zu tun hat, war es wichtig, dass wir gesagt
haben: Wir wollen die Dienstleistungs- und Arbeitsfor-





Willi Brase


(A) (C)



(D)(B)

schung weiter voranbringen. – Ich bin unseren Haushäl-
tern dankbar, dass es gelungen ist, 6 Millionen Euro
draufzusatteln. So erreichen wir das Ziel, das Sie, Frau
Wanka, neulich formuliert haben: Bis 2020 wollen wir
für diesen Bereich 1 Milliarde Euro zur Verfügung stel-
len. Da es hier um Arbeitsbedingungen, neue Arbeitsfor-
men, neue Werkstoffe, neue Verfahren und die Humani-
sierung der Arbeit geht, glaube ich: Es ist wichtig, dass
wir hier weitere 6 Millionen Euro draufsatteln.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen, dass die Anträge zu Forschungsvorhaben,
die erarbeitet und auf den Weg gebracht werden, gründ-
lich geprüft und schnell umgesetzt werden. Es kann
nicht sein, dass das zur Verfügung stehende Geld nicht
abgerufen wird. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass
Deutschland industriell auch weiterhin so stark ist, müs-
sen wir auf diesem Pfad voranschreiten.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte – auch
er ist schon erwähnt worden –, ist die Alphabetisierung
bzw. das Problem, dass es in unserem Land Menschen
gibt, die nicht lesen und schreiben können. Dass wir auf-
grund der demografischen Entwicklung in Teilbereichen
Fachkräfte brauchen, ist allein schon ein Grund, zu sa-
gen: Ja, wir nehmen mehr Geld in die Hand, um diesen
Menschen eine Chance zu geben. – Auch in diesem Fall
stellen wir 6 Millionen Euro mehr bereit.

Es geht dabei letztendlich um die Menschen selbst.
Die Menschen müssen die Chance haben, Dinge zu er-
kennen. Es geht also nicht nur darum, dass dies für uns
als Gesellschaft und möglicherweise auch für Wirtschaft
und Industrie wichtig ist, sondern es geht auch darum,
dass die Menschen unterstützt werden. Deshalb halten
wir es für richtig, an dieser Stelle 6 Millionen Euro zur
Verfügung zu stellen. Wir sagen: Das ist ein vernünftiger
Weg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben in den Koalitionsverhandlungen entschie-
den, die berufliche Bildung weiter voranzubringen. Seit
mehreren Jahren versuchen wir, den jungen Leuten
rechtzeitig ein Stück Orientierungshilfe zu geben, im
Rahmen der Berufsorientierung, auch schon in der ach-
ten Klasse. Dies weiten wir jetzt auf alle Schulformen
und alle Schultypen aus. Das ist nicht nur der absolut
richtige Weg, sondern in gewisser Weise auch wachs-
tumsfördernd. Junge Menschen, die ein Stück weit selbst
entscheiden können – auf der Grundlage von Potenzial-
analysen in der Schule oder von Praktika in Unterneh-
men, im Dienstleistungsbereich oder im öffentlichen
Dienst –, werden wir nicht in den Übergangsmaßnahmen
finden, sondern in Ausbildung, in Ausbildung nach Lan-
desrecht und hoffentlich beim richtigen Studium an einer
Hochschule; dann gibt es auch weniger Abbrecher. Des-
halb ist es richtig, dass wir hier um 12 Millionen Euro
aufstocken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Klar ist doch auch: Wenn wir bei der Orientierung die
richtigen Weichen stellen und jedem deutlich machen,
welche Perspektiven und Fähigkeiten er oder sie hat,
dann wird der Einzelne vernünftig unterstützt. Das ist
nicht nur wachstumsfördernd, sondern damit tun wir
auch etwas sehr Sinnvolles für die jungen Menschen.

Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns fragen: Wie
ist die Situation bei den überbetrieblichen Bildungsstät-
ten des Handwerks und der Industrie- und Handelskam-
mern? Wenn wir sie zu Kompetenzzentren ausweiten, er-
höht dies die Qualität. Es stärkt auch das Ansehen von
Ingenieuren, Meistern und Facharbeitern in den Betrie-
ben, in den Handwerksbetrieben und in den Industriebe-
trieben. Es ist richtig, dass wir hier 10 Millionen Euro
draufgesattelt haben. Wenn es sein muss, müssen wir
hier auch in den nächsten Jahren etwas tun, sehr geehr-
ten Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zusammengefasst: Mein Dank gilt unseren Haushäl-
tern, dass sie diesen Weg mitgegangen sind, sodass wir
den jungen Leuten eine Chance geben können. Das ist
für die jungen Leute gut, aber es ist auch für unsere Ge-
sellschaft und für unsere Industrie gut.

Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807010500

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege

Dr. Thomas Feist das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1807010600

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute hier so
viele junge Menschen sind, die sehen, wie sehr wir uns
mit dem Thema Bildung und Forschung beschäftigen.
Das ist nicht nur unser Thema, sondern das ist vor allen
Dingen unser Thema für euch.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben wohl zu viel Redezeit!)


– Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Herr Kollege.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben wohl zu viel Redezeit!)


– Sie haben wohl zu wenig Redezeit, Herr Mutlu.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beifall des Abg. Albert Rupprecht [CDU/CSU])


Es ist eigentlich schade, dass Ihre Fraktion Sie nicht hier
vorne hinstellt, wenn Sie etwas Wichtiges zu sagen ha-
ben. Quatschen Sie aber nicht dazwischen, sondern hö-
ren Sie einfach einmal zu, so wie die jungen Menschen
das dort oben auch machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden heute zum neunten Mal in Folge einen
Haushalt mit Aufwüchsen beschließen. Mit etwas über
15 Milliarden Euro ist er der bisher größte im Bereich
Bildung und Forschung. Das ist nicht nur ein guter Tag
für Sie, Frau Ministerin, für die Haushälter und für das





Dr. Thomas Feist


(A) (C)



(D)(B)

Parlament, sondern das ist auch ein guter Tag für
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben darüber gesprochen, dass das Bild
Deutschlands in der Welt vorwiegend dadurch geprägt
wird, dass die akademische und die berufliche Bildung
bei uns Hand in Hand gehen. In diesem Bereich haben
wir die Mittel etwas erhöht, weil das wichtig ist. Das gilt
gerade für die berufliche Bildung, aber auch im akade-
mischen Bereich unternehmen wir zusätzliche großartige
Anstrengungen.

Im Rahmen des Hochschulpakts werden wir 200 Mil-
lionen Euro mehr für die zusätzlichen Studienanfänger
ausgeben, und wir werden die BAföG-Finanzierung ab
dem nächsten Jahr alleine übernehmen. Gerade die Wis-
senschaft in Deutschland profitiert von dem steigenden
Interesse von Hochleistungsnachwuchswissenschaftlern
aus der ganzen Welt. Deshalb ist es wichtig, dass wir
schauen, was bei uns in der beruflichen Bildung passiert.
Deswegen setzen wir mit diesem Haushalt ganz beson-
dere Akzente in den Bereichen Berufsorientierung und
überbetriebliche Einrichtungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Weil die besten politischen Entscheidungen durch
Gutachten gedeckt sind,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


kann ich in Bezug auf unseren Haushalt auch einmal aus
dem Gutachten der Expertenkommission Forschung und
Innovation zitieren, das aus dem Februar dieses Jahres
stammt, also sehr aktuell ist. Dort lesen wir – ich zitiere –:

Das deutsche Produktions- und Innovationsmodell
basiert vor allem im industriellen Bereich auf einer
spezifischen Verbindung von hochqualifizierten …
Absolventen aus dem Hochschulsystem mit hervor-
ragend ausgebildeten Facharbeitern aus dem dualen
Bildungssystem.
Um diese Stärke in Zukunft nicht zu gefährden, gilt
es, die Investitionen in die Erhaltung und Weiter-
entwicklung der Attraktivität der Berufsbildung
fortzuführen. … Die bildungspolitische Zielsetzung
sollte sich weniger an Akademikerquoten, sondern
mehr an einem optimalen Bildungsmix und flexi-
blen individuellen Bildungsbiografien orientieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genau das tun wir, genau das bildet sich auch in diesem
Haushalt ab.

Ich möchte noch auf eine weitere Haushaltsposition
zu sprechen kommen, die bisher noch keine wichtige
Rolle gespielt hat, aber auch von der Ministerin ange-
sprochen worden ist. Es ist wichtig, dass wir uns diesen
Bereich noch einmal anschauen. Es geht um das ver-
stärkte Engagement der BAs bei der Berufseinstiegsbe-
gleitung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales. Dies ist gut.


(Willi Brase [SPD]: Ja!)

Noch besser wäre es, wenn wir das System der Berufs-
einstiegsbegleitung in Richtung einer assistierten Aus-
bildung erweitern würden, die sich eben nicht zuerst an
den Regularien, sondern an den Bildungsbiografien und
Lebenswirklichkeiten junger Menschen orientiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ab dem nächsten Jahr werden wir die BAföG-Finan-
zierung komplett übernehmen. Das bedeutet natürlich ei-
nen zusätzlichen finanziellen Handlungsspielraum für
die Länder, die diesen nutzen müssen, um mehr in die
Bildung und in die Wissenschaft zu investieren. Es geht
um eine ganze Menge Geld. 1,2 Milliarden Euro pro
Jahr übernehmen wir als Bund dann zusätzlich – Geld,
das dann den Ländern zur Verfügung steht.

Ich will Ihnen einmal ein schönes Beispiel aus Sach-
sen nennen – nicht nur, weil ich aus Sachsen komme,
sondern auch, weil wir dort eine wirklich gute Politik
machen. Das tun wir jetzt übrigens auch in einer Großen
Koalition, und wir werden das schon ordentlich hinbe-
kommen.

In dem dortigen Koalitionsvertrag steht der Passus:
Wir werden uns für eine flächendeckende Berufs- und
Studienorientierung einsetzen, die die Gymnasien um-
fasst. – Es ist richtig, so etwas im Koalitionsvertrag zu
vereinbaren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Genauso wichtig ist es, dass wir sagen: Wenn wir
vom Bund eine flächendeckende Berufs- und Studienori-
entierung einführen wollen und dafür Geld – das haben
wir gemacht, nämlich 12 Millionen Euro mehr – zur Ver-
fügung stellen, dann sollten wir möglichst Anreize
schaffen, dass die Länder, deren ursprüngliche Aufgabe
das ist, diese Aufgabe übernehmen, während wir
schauen, wie wir sie als Bund dabei unterstützen. Dafür
werden wir uns in der nächsten Zeit einsetzen.

Es ist hier über Berufsorientierung gesprochen wor-
den. Gut, ich habe drei Kinder, aber man sollte nicht nur
von eigenen Erlebnissen reden und davon, wie schwer es
ist, aus der Unübersichtlichkeit von Berufsbildern, vor
allen Dingen auch bei Studiengängen – es gibt mehrere
Zehntausend Bachelorstudiengänge –, das Passende zu
finden. Deswegen müssen wir in diesem Bereich etwas
tun. Dazu gibt es ein aktuelles Gutachten von Allens-
bach, in dem die Vorstellungen junger Leute zur Berufs-
orientierung untersucht wurden.

Weil etwas Fachkenntnis nicht schaden kann, möchte
ich Ihnen das gerne zu Gehör bringen. 44 Prozent der
Schüler fühlen sich laut dieser Studie über berufliche
Möglichkeiten nicht ausreichend informiert. Nur knapp
ein Drittel hat konkrete Vorstellungen zur beruflichen
Zukunft, 20 Prozent haben gar keine Vorstellung.
54 Prozent der Schüler an Sekundarschulen wissen
nicht, welche Berufe gute Zukunftsaussichten haben.

Neben Defiziten in der Berufsorientierung haben
62 Prozent der Gymnasiasten einen gefühlten Mangel
– dahinter steckt meistens mehr – an Studienorientie-
rung. Nur 25 Prozent der Schüler holen sich Informatio-





Dr. Thomas Feist


(A) (C)



(D)(B)

nen bei der Agentur für Arbeit. Davon schätzt nur ein
Drittel diese Informationen als hilfreich ein. Deswegen
ist es richtig, dass wir die Berufs- und Studienorientie-
rung finanzieren. Wir haben mit diesem Haushalt den
Anfang gemacht. Das werden wir in den nächsten Jahren
fortsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Im Übrigen ist die duale berufliche Bildung ein sehr
gelungenes Beispiel für eine private und öffentliche
Partnerschaft; denn wir sollten auch die Leistungen der
Unternehmen nicht ganz vergessen. Neben dem, was wir
hier im Bund und in den Ländern für die berufliche Aus-
bildung machen, sollte auch einmal die Rolle der Unter-
nehmen gewürdigt werden. Man muss sich vorstellen:
16 000 Euro kostet ein Azubi. Dieses Geld muss man
erst einmal aufbringen. Die Investitionen der Unterneh-
men in die Ausbildung liegen momentan bei 24 Milliar-
den Euro pro Jahr. Auch das sollte uns einen großen
Dank in diese Richtung wert sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend möchte ich den Blick nach außen rich-
ten. Nur wenn wir hier in Deutschland mit einem ausge-
wogenen Mix an akademischer und beruflicher Bildung
erfolgreich sein werden, werden wir das Überzeugungs-
potenzial dafür haben, dass auch andere Länder in Eu-
ropa und in der Welt diesen Weg einschlagen. Deswegen
will ich Ihnen zum Schluss zwei Beispiele aus Ländern
nennen, in denen dieses System auf den Weg gebracht
wurde oder schon funktioniert. Das eine Beispiel bezieht
sich auf ein Land in der Nähe, das andere auf ein weiter
entferntes Land.

Das erste Beispiel ist Georgien, ein Land, das durch
ein Assoziierungsabkommen näher an die Europäische
Union rückt. Georgien geht es nicht in erster Linie um
Geld, sondern das Land will von uns lernen. Es teilt un-
sere Werte. Das heißt für dieses Land, dass ihm die duale
Bildung etwas wert sein muss. Ich weiß, dass gerade in
der Regierung gefragt wird: Wie kann man dafür die ge-
setzlichen Grundlagen schaffen? Wie können wir diese
Entwicklung durch Berufsforschung akademisch beglei-
ten? Dafür braucht das Land natürlich die Hochschulen.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit der richtigen
Unterstützung in diesen Bereichen dafür sorgen werden,
dass durch die duale berufliche Bildung in diesen euro-
päischen Ländern oder in den Ländern, die näher an uns
heranrücken wollen, die Jugendarbeitslosigkeit drastisch
verringert und die Zukunftsfähigkeit von ganz Europa
gesichert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das zweite Beispiel, das ich gerne nennen möchte, ist
ein weiter entferntes Land: Ecuador. Die Deutsche
Schule Quito mit 1 600 Schülern, eine der größten deut-
schen Auslandsschulen, hat vor einigen Jahren mit einer
dualen beruflichen Bildung angefangen, angeschlossen
an das Schulsystem. Der Leiter der Schule war mit die-
sem Modell so erfolgreich – es geht schließlich auch um
das Image von beruflicher Bildung; das müssen wir uns
klarmachen; die meisten Leute studieren, weil sie mei-
nen, die duale Bildung hat in unserem Land keinen rich-
tigen Stellenwert –, dass die Regierung diesen Lehrer
nach seiner Pensionierung als Berater beschäftigt hat.

Inzwischen hat dieses Land die gesetzlichen Voraus-
setzungen für eine duale Ausbildung nach deutschem
Vorbild geschaffen. Pro Jahr werden 120 000 junge
Menschen ausgebildet. Das ist eine nachhaltige Ent-
wicklungspolitik, die wir damit für die Welt leisten.
Wenn wir in Deutschland weiter daran festhalten, wer-
den wir sehr erfolgreich sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807010700

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Saskia

Esken das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1807010800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich auf ei-
nen kleinen, zunächst unscheinbar wirkenden Haushalts-
ansatz eingehe, über den ich mich ganz besonders
gefreut habe, möchte ich mich bei all denen bedanken,
die in den vergangenen Wochen diesen Haushalt entwor-
fen und ihn in zahlreichen Sitzungen teils bis in die
Nacht hinein beraten haben. Sie alle haben wirklich her-
vorragende Arbeit geleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Worüber ich mich gemeinsam mit meinem Berichter-
statterkollegen Sven Volmering besonders gefreut habe,
ist ein kleiner, erster Haushaltsansatz zur Förderung von
OER. Ausgesprochen heißt das: Open Educational Re-
sources; auf Deutsch sprechen wir von freien Lehr- und
Lernmaterialien. Im Haushaltsjahr 2015 sollen für ihre
Förderung 2 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Das
finde ich großartig.

„Open“ bzw. „frei“ heißen diese Lehr- und Lernmate-
rialien nicht etwa, weil sie kostenlos oder gar umsonst zu
erstellen wären – dann bräuchten wir keine Haushalts-
mittel dafür –, nein, der Begriff „Openness“ oder „Frei-
heit“ bezieht sich auf den freien Zugang, den jeder zu
den Lehr- und Lernmaterialien haben soll. Dazu kommt
eine möglichst freie Lizenzierung, die es Lernenden und
Lehrenden ermöglicht, die Materialien zu verändern und
sie weiterzugeben.

Was bedeuten solche freien Lehr- und Lernmateria-
lien für unser schulisches und außerschulisches Bil-
dungssystem, insbesondere dann, wenn sie in digitaler
Form vorliegen und entsprechend eingesetzt werden
können? Für Lehrkräfte eröffnen OER und digitale Me-
dien die Möglichkeit, Lehr- und Lernmaterialien so
auszuwählen und anzupassen, dass sie den eigenen Er-





Saskia Esken


(A) (C)



(D)(B)

fahrungen und Vorlieben, der besonderen Unterrichtssi-
tuation und den besonderen Bedürfnissen der Lernenden
entsprechen. Wenn Lehrkräfte das heute auf der Grund-
lage von geschlossen lizenzierten Materialien tun, dann
arbeiten sie in einer problematischen rechtlichen Grau-
zone und unter der ständigen Angst vor der Abmahnung.

Für Lernende in Bildungseinrichtungen bedeuten OER
und digitale Lernmedien aktivere Lernprozesse. Sie er-
lauben das Lernen nach individuellen Zugängen und Be-
dürfnissen, auch im Sinne der Inklusion. Außerdem ist
das vernetzte Lernen im Austausch mit anderen gerade
für junge Menschen besonders motivierend, weil das
Lernen damit dort stattfindet, wo sie zu Hause sind.

Für frei Lernende ist der offene und für den Endnut-
zer möglichst kostenfreie Zugang zu OER ein großer
Gewinn; denn er ermöglicht Menschen das lebensbeglei-
tende Lernen, die durch ihre familiäre Situation, durch
eingeschränkte Mobilität oder durch andere Gründe am
Besuch einer Bildungseinrichtung gehindert sind. Dies
gilt sowohl für die berufliche Weiterbildung als auch für
die Weiterbildung nach Bedarf und Interesse, nach Lust
und Laune. Dieser ungehinderte Zugang zu Bildung und
Wissen ist ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft,
nicht nur für das Bildungssystem.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Für die traditionellen Hersteller von Bildungsmateria-
lien bedeuten OER nicht etwa eine Kampfansage. Das
möchte ich sehr deutlich machen. Nach meiner Wahr-
nehmung können – anders als auf der Grundlage von ge-
schlossen lizenzierten Inhalten – gerade mit OER die
wertvolle Arbeit, die Erfahrung und die Qualität, die die
Schulbuchverlage heute in unser Bildungssystem ein-
bringen, auch in Zukunft genutzt werden. Es wird den
Verlagen, aber auch weiteren Akteuren auch weiterhin
möglich sein, aus vorhandenen Inhalten auf der einen
Seite und Bildungsstandards und Bildungsplänen auf der
anderen Seite gute, praxistaugliche Unterrichtskonzepte
zu entwickeln und zu verkaufen; denn solche Unter-
richtskonzepte werden auch weiterhin gebraucht.

Für die Qualität der Bildungsmaterialien kann die Of-
fenheit einen Quantensprung bedeuten, weil gerade die
vernetzte Erzeugung, Nutzung und Weiterentwicklung
von solchen Lernmaterialien auf offenen Plattformen die
Qualität fördert und deren Sicherung erleichtert. Schon
die Möglichkeit der stetigen Weiterentwicklung und An-
passung an die Anforderungen des Bildungsbetriebs
stellt einen großen Vorteil zum analogen gebundenen
Schulbuch dar.

Die wesentlichen Vorteile von OER liegen also auf
der einen Seite im offenen Zugang für alle und auf der
anderen Seite in der stetigen Weiterentwicklung und
Qualitätsverbesserung der Materialien. Deshalb sind die
2 Millionen Euro für OER im Bundeshaushalt 2015 viel-
leicht zunächst unscheinbar, aber ein wichtiger Schritt
für die Bildung und, wie ich finde, ein gutes Signal so-
wohl an die, die sich derzeit überwiegend ehrenamtlich
mit OER beschäftigen, als auch an die, die heute schon
mit dem Erzeugen von Bildungsmaterialien ihr Geld ver-
dienen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807010900

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Rainer

Spiering das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1807011000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist jetzt gut ein Jahr
her, dass ich das letzte Mal vor einer Berufsschulklasse
gestanden habe. Lassen Sie mich dem Ausdruck geben,
was ich in diesem Jahr hier erlebt habe. Wir Berufsschul-
lehrer hatten häufig den Eindruck, dass wir der Teil der
Bildung sind, der seinen Job macht und tapfer vor sich
hin arbeitet, aber von der Öffentlichkeit nicht wahrge-
nommen wird. Lassen Sie mich sagen, dass ich heute
sehr froh und sehr glücklich bin, weil in meiner Wahr-
nehmung in diesem Land unglaublich viel passiert. So
wie ich das in diesem Jahr erlebt habe, steht Berufsbil-
dung im Fokus der Diskussion, es bewegt sich, es be-
rührt Deutschland, und Deutschland ist berührt und be-
wegt sich. Dafür möchte ich dem Hohen Haus erst
einmal herzlich danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Wanka hat eine Studie für den Präsidenten der
Vereinigten Staaten von Amerika angesprochen, in der
gefragt wurde, worauf sich die Innovationsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft gründet: Industrie, Mittelstand,
Handwerk. Ich ergänze einmal, was Frau Ministerin ge-
sagt hat: Ja, das sind die Facharbeiter, die Ingenieure und
das dazu gehörende Umfeld; aber da drunter sind die Ba-
sics, und die Basics sind die deutsche Berufsausbildung,
sie macht es erst möglich, dass diese Innovationskraft
überhaupt vorhanden ist. Ich finde, um dieses System
lohnt es sich jeden Tag zu streiten und zu kämpfen, und
das tun wir in diesem Haus. Das finde ich vorbildlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier ist die Ausbildungsgarantie angesprochen wor-
den. Nun ist eine Garantie in einem System wie in
Deutschland, wo die Berufsausbildung Teil des Arbeits-
marktes ist, nicht Ausdruck eines staatlichen Dirigismus
– ich hoffe, dass jede und jeder das versteht; ich hoffe
auch, dass jede und jeder nicht dorthin möchte, dass wir
staatlichen Dirigismus bekommen –, vielmehr kann das
immer nur eine Frage von Angebot und Förderung sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da sind wir beim Pakt für Ausbildung auf dem absolut
richtigen Weg. Die assistierte Ausbildung ist angespro-
chen worden, die Berufsorientierung ist angesprochen





Rainer Spiering


(A) (C)



(D)(B)

worden. Lassen Sie mich an dieser Stelle den Bogen
schließen: Wir haben in diesem Hohen Hause teilweise
die etwas unselige Diskussion „Akademisierung kontra
duales System“ geführt. Welch Unsinn! Das eine bedingt
das andere, das eine ist nur mit dem anderen möglich.
Ich weise noch einmal mit großer Freude darauf hin: Es
gibt kein vergleichbares Schulsystem weltweit, wo ein
Absolvent durch das Berufsbildungssystem gleiten und,
wenn er denn fleißig ist und genügend gefördert wird,
als Hochschulprofessor enden kann. Das gibt es sonst
nirgendwo.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Beim BAföG gibt es – das ist mir aufgefallen; ich
habe aufmerksam zugehört – eigentlich nur eine Grup-
pierung – Dr. Feist ergänzt diese Gruppierung der So-
zialdemokraten –,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was? – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


die die Frage des Meister-BAföGs nach wie vor für un-
geklärt hält. Es ist wirklich fragwürdig, dass eine Gruppe
junger Menschen, die sich mit hohem Engagement fort-
bewegt, eigenes Geld in die Hand nehmen muss, vieles
in Kauf nehmen muss, während ein Großteil der Jugend-
lichen in den Genuss von BAföG kommt. Deswegen
bitte ich dieses Haus inständig, bei der Diskussion um
die Berufsbildung das Meister-BAföG mit in den Fokus
zu nehmen, damit unsere jungen Meisterinnen und
Meister eine gute Zukunft haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich abschließend sagen: Von Galileo
Galilei stammt der Ausspruch: Und sie bewegt sich
doch. – Ich sage im Hinblick auf unser Berufsbildungs-
system: Es bewegt sich immer, und das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807011100

Ganz herzlichen Dank, auch für diese klare Unter-

streichung der Bedeutung der beruflichen Bildung!

Ich schließe die Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 30 – Bundesministerium für Bildung und For-
schung – in der Ausschussfassung. Dazu liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/3308 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? – Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Koali-
tion. Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abge-
lehnt.

Ich lasse nun über den Einzelplan in der Ausschuss-
fassung abstimmen. Wer stimmt dafür? – Die Koalition.
Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Enthaltungen? –
Das ist nicht der Fall. Damit ist der Einzelplan 30 mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen worden.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III. a bis f so-
wie die Zusatzpunkte 1 a und b auf:

III. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechtsstellung von asyl-
suchenden und geduldeten Ausländern

Drucksache 18/3160
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung von Vorschriften zur Durchfüh-
rung unionsrechtlicher Vorschriften zur
Durchsetzung des Verbraucherschutzes

Drucksache 18/3253
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset-
zes zur Änderung des Fahrpersonalgeset-
zes

Drucksache 18/3254
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsab-
kommen vom 10. Juni 2013 zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitglied-
staaten einerseits und der Regierung des

(Vertragsgesetz Europa-Mittelmeer-Israel-Luftverkehrsabkommen – Euromed-ISR-LuftverkAbkG)


Drucksache 18/3255
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Auswärtiger Ausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Keine Anrechnung von NVA-Verletzten-
rente auf Grundsicherung im Alter

Drucksache 18/3170
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Ökologischen Hochwasserschutz länder-
übergreifend sicherstellen und sozial ver-
ankern
Drucksache 18/3277
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus

ZP 1 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena
Baerbock, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
zweiten Änderung des Gesetzes für den
Ausbau erneuerbarer Energien
Drucksache 18/3234
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Erneuer-
bare-Energien-Gesetzes
Drucksache 18/3321
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

Es handelt sich dabei um Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV. a bis f auf. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV. a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Er-
richtung eines Sondervermögens „Energie-
und Klimafonds“
Drucksachen 18/2443, 18/2658
Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-
haltsauschusses (8. Ausschuss)

Drucksache 18/3199
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/3199, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen
18/2443 und 18/2658 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? –
Die Opposition. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht
der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen worden.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich ent-
halten möchte? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten IV. b
bis f, zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
schusses.

Tagesordnungspunkt IV. b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 115 zu Petitionen

Drucksache 18/3172

Wer stimmt dafür? – Alle, soweit ich das sehen kann.
Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? –
Auch niemand. Dann ist die Sammelübersicht 115 ein-
stimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt IV. c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 116 zu Petitionen

Drucksache 18/3173

Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Wer stimmt dage-
gen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die
Grünen. Damit ist die Sammelübersicht 116 mit den
Stimmen der Koalition gegen Stimmen der Linken bei
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden.

Tagesordnungspunkt IV. d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 117 zu Petitionen

Drucksache 18/3174

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 117 einstim-
mig angenommen worden.





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)

Tagesordnungspunkt IV. e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 118 zu Petitionen

Drucksache 18/3175

Wer stimmt dafür? – Koalition und Linke. Wer stimmt
dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? –
Niemand. Damit ist die Sammelübersicht 118 mit den
Stimmen der Koalition und der Linken bei Gegenstim-
men von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.

Tagesordnungspunkt IV. f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 119 zu Petitionen

Drucksache 18/3176

Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Wer stimmt dage-
gen? – Die Opposition. Gibt es jemanden, der sich ent-
halten möchte? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die
Sammelübersicht 119 mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen jetzt die
Haushaltsberatungen fort. Dazu rufe ich den Tagesord-
nungspunkt I. 14 auf:

Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Drucksachen 18/2811, 18/2823

Die Berichterstattung haben die Abgeordneten Ekin
Deligöz, Axel Fischer, Ewald Schurer und Dr. Gesine
Lötzsch.

Zu dem Einzelplan 11 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor. Außerdem hat die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen einen Entschließungsantrag ein-
gebracht, über den wir morgen, nach der Schlussabstim-
mung, abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der
Aussprache hat die Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807011200

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Am
1. Januar 2015 ist das Hartz-IV-Gesetz zehn Jahre in
Kraft. Das ist wirklich kein Grund zum Feiern.


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zehn Jahre zu viel!)


Der anerkannte Armutsforscher Christoph Butterwegge
zieht den Schluss – ich darf mit Erlaubnis der Präsiden-
tin zitieren –,
dass es sich bei Hartz IV um ein zutiefst inhumanes
System … handelt, das Menschen entrechtet, er-
niedrigt und entmündigt.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Tosender Beifall des Abgeordneten Birkwald!)


Sowohl die von Hartz IV unmittelbar Betroffenen
wie auch ihre Angehörigen und die mit ihnen in
einer „Bedarfsgemeinschaft“ zusammenlebenden
Personen werden stigmatisiert …, sozial ausge-
grenzt und isoliert.

Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe in unserem
Land, die so intensiv überwacht, kontrolliert und sank-
tioniert wird wie die Bezieher von Hartz IV. Wir, die
Linke, finden: Diese Politik der Nulltoleranz gegen Ar-
beitslose muss endlich beendet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Übrigens habe ich eine interessante Veranstaltung
entdeckt. Die Evangelische und die Katholische Akade-
mie laden gemeinsam mit der Humboldt-Universität im
Januar zu einer Diskussion mit dem Titel „Doppelte
Standards in der Unternehmensführung. Ist Heuchelei
vermeidbar?“ ein. Ich schlage Ihnen vor: Ersetzen Sie
einfach das Wort „Unternehmensführung“ durch „Poli-
tik“, und stellen Sie die Frage: Doppelte Standards in der
Politik. Ist Heuchelei vermeidbar?


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will nur ein Beispiel für doppelte Standards in der
Politik benennen. Daimler Benz und die Deutsche Tele-
kom waren nicht in der Lage, vertragsgemäß die Lkw-
Maut einzuführen. Deshalb fehlen uns 6 Milliarden Euro
in der Kasse. Bis heute sind diese Schulden nicht begli-
chen. Trotzdem ist die Bundesregierung der Meinung,
dass der neue milliardenschwere Mautvertrag nicht aus-
geschrieben werden musste; vielmehr sollen diese bei-
den Unternehmen das fortführen.

Können Sie, meine Damen und Herren, sich solche
Standards in einem beliebigen Jobcenter vorstellen?
Nein, natürlich nicht. Wer dort einen Termin verpasst,
muss sofort mit Sanktionen rechnen, aber Daimler und
Telekom schulden uns 6 Milliarden Euro und werden
mit einem neuen Vertrag belohnt. Das ist nicht in Ord-
nung. Diese doppelten Standards müssen endlich been-
det werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zehn Jahre nachdem Hartz IV eingeführt wurde und
wir in Deutschland den größten Niedriglohnsektor Euro-
pas haben, gilt ab 1. Januar 2015 endlich der Mindest-
lohn. Ich sage absichtlich nicht, dass ab 1. Januar überall
der Mindestlohn gezahlt wird. Es gibt einfach zu viele
Möglichkeiten, den Mindestlohn zu umgehen. Um das
zu verhindern, brauchen wir mehr und effektive Kontrol-
len.

Doch dafür hat die Bundesregierung leider unzurei-
chend vorgesorgt.

(B)






Dr. Gesine Lötzsch


(A) (C)



(D)(B)


(Kerstin Griese [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


600 Planstellen sind bei der Finanzkontrolle Schwarzar-
beit, die auch für die Überwachung des Mindestlohns
zuständig ist, unbesetzt. Das sind 10 Prozent all dieser
Stellen. Erst 2017 soll sich die Personalausstattung ver-
bessern. Bis dahin sollen in Ausbildung befindliche
Nachwuchskräfte aushelfen. Der Bundesrechnungshof
hat schon Kritik angemeldet. Ich zitiere:

Der Nachweis der Mindestlohnunterschreitung bei
der Auftragsvergabe an (scheinselbstständige) Sub-
unternehmer gestaltet sich zunehmend schwieriger.
Um hier erfolgreich kontrollieren zu können, bedarf
es eingehender Kenntnisse der erforderlichen Prü-
fungs- und Ermittlungsmaßnahmen.

Die Konsequenz wird sein: Viele Niedriglöhner wer-
den noch lange auf ihren Mindestlohn warten müssen.
Ich frage mich: Ist die unzureichende Kontrolle nur Aus-
druck von mangelnder handwerklicher Fähigkeit, oder
ist es etwa doch ein Geschenk an die Arbeitgeber, die
keinen Mindestlohn zahlen wollen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch! Der ist unabdingbar!)


– Es ist sehr schön, dass Sie dazwischenrufen: „Quatsch!
Der ist unabdingbar!“ – Es gibt jeden Tag insbesondere
aus Ihren Reihen neue Infragestellungen und neue Vor-
stellungen dazu, wie man den Mindestlohn umgehen
kann. Ich finde, wenn Sie in einem Zwischenruf sagen:
„Der Mindestlohn ist unabdingbar“, dann sorgen Sie
verdammt noch mal dafür, dass er wirklich überall
durchgesetzt wird und alle diese Schlupflöcher endlich
geschlossen werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend will ich noch etwas zur Altersarmut sa-
gen. Das Statistische Bundesamt hat uns mitgeteilt, dass
Armut immer mehr ältere Menschen in Deutschland be-
trifft. Fast jeder siebte Ältere im Westen unseres Landes
war 2013 von Armut bedroht. Im Osten – einschließlich
Berlin – gilt zwar „nur“ jeder achte Rentner als armuts-
gefährdet. Dafür ist das Armutsrisiko bei der Gesamtbe-
völkerung wesentlich größer als im Westen. Jeder Fünfte
lebt jetzt schon an der Armutsschwelle.

Die Aussichten werden nicht besser. Im Gegenteil:
Heute gehen viele Menschen in Rente, die nach der Wie-
dervereinigung ihre Arbeit verloren hatten und sich von
einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur anderen han-
geln mussten. Entsprechend sieht die Rente aus. Die Be-
kämpfung der Altersarmut ist das Gebot der Stunde. Ich
finde, das muss man intensiv anpacken, und hier, Frau
Nahles, haben Sie noch nichts getan.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer glaubt, dass mit der Rente ab 63 und der Mütter-
rente die zunehmende Altersarmut bekämpft wird, der
hat sich geirrt. Deshalb müssen wir dieses Problem viel
ernsthafter angehen. Es ist doch dramatisch, wie viele
Rentnerinnen und Rentner Grundsicherung beantragen
müssen. Traurige Spitzenreiter bei der Beantragung der
Grundsicherung sind Städte wie Hamburg und Bremen.
Hamburg – die Stadt der Millionäre und die Stadt mit der
meisten Grundsicherung. Darin zeigt sich, wie gespalten
unsere Gesellschaft ist. Nur durch eine gerechte Besteu-
erung, durch eine Besteuerung der wirklich Superrei-
chen können wir dieses Problem endlich lösen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807011300

Als nächste Rednerin spricht die Bundesministerin

Andrea Nahles.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Einzelplan 11 ist Teil eines Haushaltes,
der ohne Neuverschuldung auskommt und – das füge ich
hinzu – ohne Sozialkürzungen. Das zu erreichen, ist
wahrlich außergewöhnlich, und wir haben es geschafft.
Darüber können wir uns freuen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nicht nur der Bundeshaushalt gibt Anlass zur Freude;
denn auch die Haushalte der Sozialversicherungen sind
solide aufgestellt. Erst letzte Woche hat das der Renten-
versicherungsbericht gezeigt. Die Deutsche Rentenversi-
cherung weist eine Rekordrücklage von 33,5 Milliar-
den Euro aus.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht mehr lange!)


Sogar bei sinkenden Beitragssätzen ist die Rücklage in
den vergangenen Jahren stetig aufgewachsen. Diese gute
Finanzlage ermöglicht uns eine Beitragssatzsenkung um
0,2 Prozentpunkte ab dem 1. Januar 2015. Das ist gut;
denn es entlastet die Wirtschaft und die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer in unserem Land. Das ist auch ein
gutes Signal in der aktuellen konjunkturellen Situation.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Zahlen zeigen auch: Das Anfang Juli in Kraft ge-
tretene Rentenpaket, von dem über 10 Millionen Men-
schen in Deutschland profitieren, ist verlässlich finan-
ziert. Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Ren-
tenversicherung danken, dass sie die Mütterrente so zü-
gig und ohne Fehler umgesetzt haben. Das war eine Her-
kulesaufgabe. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Herzlichen Dank dafür.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Trotz aller Unkenrufe wird auch die Rente mit 63 umge-
setzt. Die Kosten und auch die Zahl derjenigen, die An-
träge stellen, bewegen sich vollkommen in dem von uns
erwarteten Rahmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, grundlegend für die
gute Finanzlage der Sozialkassen ist vor allem eins: die





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

gute Beschäftigung. Wenn wir im Jahresvergleich einen
Zuwachs um rund eine halbe Million Beschäftigte aufzu-
weisen haben, bringt das Mehreinnahmen für die sozia-
len Sicherungssysteme von sage und schreibe 5 Milliar-
den Euro und, wenn man den Soli hinzurechnet,
Steuermehreinnahmen von 3 Milliarden Euro. Deswe-
gen ist unser wichtigstes Ziel für die kommenden Jahre,
das hohe Beschäftigungsniveau zu halten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das muss das zentrale Ziel unseres Aufgabenbereiches
sein.

Mit 43 Millionen Erwerbstätigen schreiben wir ein
Allzeithoch. Wir haben mittlerweile bei der Erwerbstäti-
genquote im europäischen Vergleich eine Spitzenposi-
tion; vor zehn Jahren lagen wir ganz unten. Frau
Lötzsch, das zeigen eben auch die Entwicklungen der
letzten zehn Jahre, die auch durch die Reformen, die wir
hier durchgeführt haben, mit ausgelöst und befördert
worden sind, und dazu stehen wir auch. Das ist eine
positive Entwicklung. Da wollen wir unser Licht nicht
unter den Scheffel stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt ein großes Thema in diesem Land; das ist die
Fachkräftesicherung. Wir haben in der letzten Woche zu-
sammen mit den Arbeitgeberverbänden, den Gewerk-
schaften und der Bundesagentur für Arbeit eine „Part-
nerschaft für Fachkräfte“ ins Leben gerufen. Natürlich
sind alle bereits aktiv und engagiert. Wir haben uns aber
verabredet, im nächsten Jahr eine gemeinsame Offensive
zu starten. Wir wollen alle Stränge, die da sind, zu einem
starken Tau zusammendrehen, so dass noch mehr Zug-
kraft entsteht, vor allem für folgende Gruppen:

Erstens: für Frauen. Die Beschäftigungsquote ist in
diesem Bereich ganz gut, 73 Prozent. Aber leider: Wenn
man genauer hinschaut, stellt man fest, dass über 80 Pro-
zent derer, die in Teilzeit arbeiten, Frauen sind. Das
heißt, hier geht es eher darum, die Arbeitsstundenzahl
der Frauen zu erhöhen, so wie sie es wünschen. Das wol-
len sie. Genügend Untersuchungen belegen: Frauen wol-
len mehr Stunden arbeiten, wenn sie in Arbeit sind.

Zweitens: für Ältere. Wir haben in diesem Bereich
Riesenfortschritte erreicht; das weist übrigens auch der
Rentenversicherungsbericht aus. Aber es ist immer noch
deutlich zu sehen, dass es bei den 60- bis 64-Jährigen
und den noch Älteren einen großen Knick gibt. Deswe-
gen dürfen wir unsere Anstrengungen an dieser Stelle
nicht einstellen. Im Gegenteil: Wir müssen sie weiter vo-
rantreiben.

Das wird auch Thema auf dem Integrationsgipfel
nächste Woche sein; meine Kollegin Aydan Özoğuz sehe
ich hier vorne. Es geht sowohl um die Menschen mit Mi-
grationshintergrund in unserem Land, die häufiger als
Menschen ohne Migrationshintergrund ohne Schulab-
schluss und ohne Ausbildung sind, als auch um Men-
schen, die derzeit aus dem Ausland zu uns kommen.
Viele von ihnen arbeiten gar nicht oder unterhalb ihrer
Qualifikation.
Diese beiden Punkte stellen bei der Fachkräftesiche-
rung eine ganz entscheidende Ressource dar, ein Poten-
zial, das wir heben wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden nicht nachlassen, an einer Stelle, wo viele
stolpern, Vorschläge zu machen und Initiativen zu er-
greifen: beim Übergang von Schule in Ausbildung. Hier
haben wir initiiert – das ist noch im Aufbau –, Jugendbe-
rufsagenturen aufzubauen – gute Beispiele dafür sind
bereits realisiert, zum Beispiel in Hamburg oder in
Mainz –; das muss weitergehen. Warum? Weil viele,
vielleicht durch die Schule frustriert, nicht genügend
Schwung mitnehmen, um eine duale Ausbildung durch-
zuziehen. Deswegen haben wir ein ESF-Programm zur
Berufseinstiegsbegleitung entwickelt. Wir haben es be-
reits beantragt, und es wurde genehmigt.

Hier liegen wirklich Chancen; denn bis 2019 haben
wir mit einem Gesamtvolumen von 1 Milliarde Euro die
Möglichkeit, 115 000 junge Menschen zu unterstützen
und an 2 500 Schulen mit der Betreuung der Jugendli-
chen zu beginnen und sie auch im ersten halben Jahr ih-
rer Ausbildung weiter zu begleiten. Das halte ich für ei-
nen wesentlichen Schritt, um auch für schwächere
Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland den
Übergang von Schule in Ausbildung erfolgreich zu orga-
nisieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Tatsächlich ist die gute Situation auf dem Arbeits-
markt nicht automatisch auch eine Erfolgsgeschichte für
Langzeitarbeitslose. Wir haben über viele Jahre gehofft,
dass ein Arbeitsmarkt, der gut aufnahmefähig ist, vielen,
die länger arbeitslos sind, als Chance dienen kann. Das
gab es sicherlich auch, aber insgesamt kommen wir seit
einigen Jahren von der Zahl von 1 Million Langzeitar-
beitslosen, von diesem Sockel nicht herunter. Ich habe
deswegen vor wenigen Wochen im Ausschuss für Arbeit
und Soziales ein Konzept vorgelegt. Kern sind zwei
wichtige Erkenntnisse:

Die eine Erkenntnis lautet: Es gibt nicht die Langzeit-
arbeitslosen. Es gibt verschiedene Gruppen. Es sind Al-
leinerziehende. Es sind Ältere. Es sind Leute ohne Aus-
bildung, zum Teil auch funktionale Analphabeten. Es
sind Menschen, deren Gesundheit beeinträchtigt ist. Oft
kommen auch mehrere Probleme zusammen.

Die andere Erkenntnis oder Erfahrung lautet: Am bes-
ten lassen sich Erfolge erzielen, wenn wir nah an die
Einzelnen herankommen. Man muss dabei an ein gutes
Profiling oder an ein Paket von maßgeschneiderten Hil-
fen denken. Vor allem brauchen wir eine richtige Priori-
tätensetzung in den Jobcentern. Dieses Thema muss
wirklich mit Priorität behandelt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genau an diesen Punkten setzt das Konzept an, ein-
mal über das ESF-Programm für Langzeitarbeitslose. Es
geht darum, auf der einen Seite Arbeitgeber zu akquirie-
ren und auf der anderen Seite Arbeitnehmer zu beglei-
ten, wenn sie denn in einen Job kommen. Was wir fest-





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

gestellt haben, ist, dass leider viele, die nach langer Zeit
der Arbeitslosigkeit wieder in einem Job begonnen ha-
ben, abbrechen.

Ein weiterer Teil des Konzepts ist die bessere Betreu-
ung in Aktivierungszentren; so nennen wir das. Das
meine ich mit der Priorität, und zwar überall. Ich lade
übrigens auch die Optionskommunen ausdrücklich ein,
sich an diesem Konzept der Aktivierungszentren zu be-
teiligen. Das wollen wir umsetzen.

Dann haben wir auch etwas Neues vorgeschlagen,
nämlich ein BMAS-Programm zur sozialen Teilhabe;
denn einige dieser Langzeitarbeitslosen sind sehr weit
vom ersten Arbeitsmarkt entfernt. Wir müssen auch an
dieser Stelle ganz ehrlich sein. Es braucht für diese Men-
schen andere, niedrigschwelligere Angebote. Wir haben
das Programm deswegen bewusst „soziale Teilhabe“ ge-
nannt. Es geht in diesem Zusammenhang um einen
Lohnkostenzuschuss von bis zu 100 Prozent, um diesen
Menschen über einige Jahre eine sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigung zu ermöglichen.

Ich verstehe dieses Konzept auch als Einladung zum
Dialog. Wir werden den Dialog mit den Verbänden, mit
den Kommunen, den Städten und Gemeinden, mit den
Kirchen in den nächsten Wochen vorantreiben. Es ist
aber natürlich auch eine Einladung an Sie: Lassen Sie
uns gemeinsam weiter nach den besten Wegen suchen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Fach-
kräfte; ich habe es schon angesprochen. 37 Prozent der
Unternehmen in Deutschland fürchten einen Fachkräfte-
mangel. Derweil suchen rund 180 000 Schwerbehinderte
einen Arbeitsplatz. 59 Prozent davon haben einen Hoch-
schulabschluss oder haben einen Beruf gelernt. Sie erfül-
len also sämtliche Anforderungen an die Qualifikation.
Da passt etwas nicht zusammen. Umso irritierender ist,
dass diejenigen Unternehmen, die tatsächlich Schwerbe-
hinderte beschäftigen, von guten bis sehr guten Erfah-
rungen berichten.

Es kommt am deutschen Arbeitsmarkt offensichtlich
etwas vor, was ich nicht hinnehmen möchte. Die Behin-
derung wird anscheinend wie unter einem Brennglas ge-
sehen. Vieles macht einen Menschen aus, doch wir sehen
vor allem den Aspekt der Behinderung – und den dann
ganz riesig. Dabei geraten das Können und das Poten-
zial, das die Leute mitbringen, leider völlig aus dem
Blick. Das kann so nicht bleiben.

Es muss angesichts der guten Zahlen, die wir haben,
und der Fachkräftesituation möglich sein, echte Inklu-
sion am Arbeitsmarkt zu schaffen. Es muss unser Ehr-
geiz sein, in den nächsten Jahren hier einen qualitativen
Schritt nach vorn zu machen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir werden deswegen den Nationalen Aktionsplan
weiter aktualisieren – selbstverständlich mit den Men-
schen mit Behinderung und ihren Verbänden. Wir wer-
den das Behindertengleichstellungsgesetz weiterentwi-
ckeln, um sprachliche Hürden oder auch Barrieren
baulicher Art weiter zu reduzieren. Natürlich packen wir
auch das Bundesteilhabegesetz an. Bis 2016 wird das
Gesetz vorliegen; das ist meine Planung.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Aspekt
der Selbstbestimmung aufmerksam machen. Unser gan-
zes Bemühen ist es, den Menschen mit Behinderungen
einfach mehr selbstbestimmtes Leben in diesem Land zu
garantieren und dafür die nötigen Voraussetzungen zu
schaffen. Ich bin mir sicher, dass wir uns darüber einig
sind, dass wir da weiter vorankommen wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss
möchte ich den Mitgliedern des Haushaltsausschusses,
insbesondere unseren Berichterstattern und unserer Ge-
samtberichterstatterin Ekin Deligöz, ganz herzlich für
die Zusammenarbeit danken. Das ist gut gelaufen; die
Arbeit hat sich gelohnt. In diesem Sinne wünsche ich
uns eine gute Beratung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807011400

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege

Markus Kurth das Wort.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807011500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Minister Nahles, als Sie die Gesamtbewertung Ih-
res Einzelplans vorgenommen haben, erinnerten Sie
mich doch ein wenig an die Kapelle auf der „Titanic“:
Sie trompeten laut zur Beruhigung der Menschen. Sie
wollen vergessen machen, dass gerade dem größten
Zweig der Sozialversicherung Ungemach droht. Sie wis-
sen aber schon, dass die Rentenfinanzen ab heute nur
noch in eine Richtung gehen, nämlich abwärts.

Meine Damen und Herren, heute ist ein historischer
Tag. Nie zuvor in der Geschichte der Rentenversiche-
rung – mutmaßlich nie wieder zu unseren Lebzeiten –
war die Rücklage so hoch wie am heutigen Tag. Ab mor-
gen werden die Dezemberrenten überwiesen. Und da
gönnen Sie sich von der Großen Koalition jetzt so etwas
wie einen Tanz auf dem Vulkan; ich nehme an, die nach-
folgenden Redner werden das auch noch tun. Aber ich
sage Ihnen: Der Gipfel, auf dem Sie sich wähnen, ist
gleichzeitig der Scheitelpunkt: Ab heute lassen Sie die
Reserve der Rentenversicherung gnadenlos und unerbitt-
lich leerlaufen; Monat für Monat, Jahr für Jahr schwin-
det die entbehrungsreich aufgebaute Rücklage der Versi-
cherten. Das ist das Gegenteil von nachhaltiger Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Davon müssen Sie gerade reden bei Ihrer Politik!)


Im Jahr 2018 sind laut aktuellem Rentenversiche-
rungsbericht der Bundesregierung nur noch 0,4 Monats-
ausgaben übrig. Danach wird den Steuerzahlern, den
Beitragszahlern, den Rentnerinnen und Rentnern die





Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)

Rechnung präsentiert, und diese wird heftig ausfallen:
Satte 10 Milliarden Euro sind dann Jahr für Jahr aufzu-
bringen.

Nein, es gibt kaum ein besseres Beispiel, um zu zei-
gen, dass Sie sich Ihre schwarze Null schlichtweg ergau-
nern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Sie ergaunern sie sich durch die Verschiebung von Las-
ten in die Sozialsysteme – wie bei der Mütterrente, die
Sie mit Steuermitteln hätten finanzieren müssen – und
durch die Verschiebung von Lasten in die Zukunft.

Das Politikfeld der Alterssicherung gibt aber auch ei-
nen Einblick in die unanständigen Bewegungsgesetze
der Großen Koalition. Es lässt sich sehr gut studieren,
warum eine Große Koalition – um es in Anlehnung an
Müntefering zu sagen – großer Mist ist. Das erste Bewe-
gungsgesetz ist: Gibst du mir dein Geschenk, gebe ich
dir mein Geschenk. – Das ist beim Rentenpaket zu be-
obachten gewesen.

Das zweite Bewegungsgesetz lautet – wir beobachten
es in diesen Tagen bei den Verhandlungen über die
Flexi-Rente –: Gönnst du mir nicht das Schwarze unterm
Fingernagel, gönne ich dir auch nicht das Schwarze un-
term Fingernagel. – Das Ergebnis sind Bewegungslosig-
keit und Stillstand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Nein! Saubere Fingernägel!)


Meine Damen und Herren, die Diskussion um die
Rente mit 63 – das zeigt sich jetzt – hat durchaus ver-
brannte Erde hinterlassen. Es scheint keine ehrliche Dis-
kussion über einen flexiblen Renteneintritt mehr mög-
lich zu sein. Aber es ist und bleibt doch wahr: Wer
verhindern will, dass die Rente mit 67 eine verkappte
Rentenkürzung darstellt, muss besonderen Gruppen am
Arbeitsmarkt flexible Übergänge in die Rente ermögli-
chen, und das notfalls auch vor dem 63. Lebensjahr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Karl Schiewerling [CDU/ CSU]: Aha! Mehrausgaben!)


Dies gilt insbesondere – das können Sie ruhig zur Kennt-
nis nehmen, meine Damen und Herren von der Union –
für Schwerbehinderte, Langzeitarbeitslose, Menschen
mit Erwerbsminderung und leistungsgeminderte Perso-
nen. Alle verfügbaren Zahlen zeigen – wir haben jüngst
erst eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerich-
tet –, dass es hier die größten Probleme gibt. Aber was
machen Sie, was macht das Arbeitsministerium? – Busi-
ness as usual, Augen zu und durch! Besondere, mit
Haushaltsmitteln unterlegte Anstrengungen für die Be-
schäftigung Älterer sind nicht zu erkennen. Frau Nahles,
im Prinzip setzen Sie an dieser Stelle – jedenfalls nach
meinem Dafürhalten – die Politik Ihrer Vorgängerin,
Frau von der Leyen, schlichtweg fort.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Die war ja auch gut!)


Die Rentenübergänge sind nur eine Zukunftsaufgabe,
an der diese Regierung erkennbar scheitern wird. Das
Gesamtniveau der Alterssicherung muss Anlass zur
Sorge geben. Auch hier lohnt ein Blick in den aktuellen
Rentenversicherungsbericht und in die Antworten der
Bundesregierung auf meine schriftlichen Fragen. Sie
prognostizieren ein Gesamtversorgungsniveau von
50,6 Prozent in 2030, davon wird aber ein erklecklicher
Anteil durch die Riester-Rente abgedeckt. Wenn man
sich aber ansieht, wie viele Menschen in eine vollständig
geförderte Riester-Versicherung einzahlen, dann wird ei-
nem schwummerig.

35 Millionen Versicherte werden vom sinkenden Ren-
tenniveau betroffen sein. Gerade einmal 6,4 Millionen
Versicherte, also weniger als ein Fünftel, sparen so viel,
dass sie die volle Zulage bekommen. Die übrigen sparen
entweder gar nicht, nehmen nur einen Teil der Förderung
in Anspruch oder stellen ihre Versicherungen beitrags-
frei, weil sie nicht sparen können.

Im Ergebnis heißt das: Für mehr als vier Fünftel der
Rentenversicherten trifft die Prognose der Bundesregie-
rung zum Versorgungsniveau nicht zu. Mehr noch: Auch
für das übrige Fünftel, das voll spart, wird die Zusage in
Bezug auf das Versorgungsniveau nicht zutreffen, weil
die Renditeannahmen zu optimistisch und die Verwal-
tungskosten höher sind, als angenommen.


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Kommen Sie noch mit einer Vermögensteuer, dann ist alles weg!)


Es wäre eine wichtige Aufgabe, hier für Wahrheit und
Klarheit zu sorgen; denn die gesamte Konstruktion des
Dreisäulenmodells wankt, wenn sich dieser Trend fort-
setzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit Blick auf Ihre Politik stelle ich fest: Es ist beinahe
tragisch, welche Lähmung bei der Alterssicherung droht.
Müntefering hat gesagt „Opposition ist Mist“ – das trifft
manchmal zu, aber nicht immer. Ich füge jedoch hinzu:
Eine Große Koalition ist eigentlich immer „Großer
Mist“.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807011600

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege

Axel Fischer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Lieber Kollege Kurth, Sie sollten sich hier nicht so

aufblasen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)



(A) (C)



(D)(B)

Ich kann mich noch daran erinnern: 2005 war die Ren-
tenkasse auf Notkredite angewiesen. Seitdem – die Frau
Ministerin hat darauf hingewiesen – geht es bergauf. Seit
die Grünen nicht mehr in der Bundesregierung sind,
läuft es in Deutschland. Das muss man ganz klar sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Haushalt 2015 für den Bereich Arbeit und Soziales,
den wir heute debattieren, ist ein rundum gelungenes
Werk. Die ohnehin bereits ausgewogene Vorlage der
Bundesregierung vom Sommer dieses Jahres haben wir
einerseits an veränderte Rahmenbedingungen ange-
passt, andererseits haben wir wichtige eigene Akzente
gesetzt, zum Beispiel bei der aktiven Arbeitsmarktpoli-
tik oder mit der Ausstattung der Geschäftsstelle der Min-
destlohnkommission.

Mit einem Volumen von 125,5 Milliarden Euro – das
sind fast 42 Prozent des Gesamtetats – sollen die Ausga-
ben für Arbeit und Soziales um 3,6 Milliarden Euro
– das entspricht knapp 3 Prozent – über denen des Vor-
jahres liegen. Mit diesen moderaten Steigerungen leisten
wir einen erheblichen Beitrag für einen Bundeshaushalt
ohne neue Schulden. Mit Wolfgang Schäuble als Finanz-
minister wird der Bund 2015 erstmals seit 1969 keine
Kredite zur Deckung der Ausgaben aufnehmen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damals war übrigens Franz Josef Strauß Finanzminister
einer christlich-sozialdemokratischen Koalition, also ei-
ner Koalition, wie wir sie jetzt wieder haben. Damit
schließen wir den bereits eingeschlagenen Konsolidie-
rungspfad für die Bundesfinanzen erfolgreich ab.

Die sogenannte schwarze Null erreichen wir trotz ein-
getrübter Konjunkturaussichten, trotz gestiegener Ar-
beitsmarktausgaben, trotz erheblich steigender Hilfen
des Bundes für die Kommunen und trotz erheblicher
Ausweitung der Leistungen für die Rentner. Dank einer
über die Jahre hinweg auf Wachstum durch Investitio-
nen, auf sparsames Haushalten und weniger auf Umver-
teilung ausgerichteten Politik haben wir heute eine
solide finanzielle Basis für eine zukunftsorientierte Ar-
beitsmarkt- und Sozialpolitik.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verteilen doch von unten nach oben!)


Die Wirtschaft entwickelt sich zwar etwas schwächer,
aber der Arbeitsmarkt zeigt sich – und das trotz der Er-
eignisse in der Ukraine oder im Nahen und Mittleren Os-
ten – sehr robust. Erwerbstätigkeit und sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigung sind weiter gestiegen. Mit
rund 43 Millionen Erwerbstätigen und mehr als 30 Mil-
lionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Men-
schen in Deutschland brechen wir ständig neue Rekorde.


(Zuruf des Abg. Markus Kurth NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für das neue Jahr erwarten wir eine weiter sinkende
Arbeitslosigkeit – mit dann weniger als 2,7 Millionen
Arbeitslosen.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was ist mit dem demografischen Wandel?)


Ich kann mich noch an 5 Millionen und mehr Arbeitslose
erinnern. Zwar hat sich die Anzahl der Arbeitslosen bes-
ser entwickelt, als wir es noch vor einigen Jahren erwar-
tet haben, aber diese Entwicklung hat sich bislang leider
nicht in einer entsprechend gesunkenen Anzahl an Be-
darfsgemeinschaften oder Ausgaben für Langzeitarbeits-
lose niedergeschlagen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sieht man mal, wie schlecht die Sozialpolitik ist!)


Deshalb haben wir im parlamentarischen Verfahren
die Ausgaben für Hartz IV, also das Arbeitslosengeld II,
für 2015 auf 20,1 Milliarden Euro erhöht. Zwar ist die
Zahl der Langzeitarbeitslosen von 2007 bis heute von
1,7 Millionen auf etwa 1 Million zurückgegangen, aber
wir können und wollen uns nicht damit abfinden, dass
die insgesamt positive Entwicklung am Arbeitsmarkt an
diesem Teil der Arbeitslosen heute fast spurlos vorbei-
geht. Deshalb bleiben die Ausgaben im Titel für Leistun-
gen zur Eingliederung in Arbeit und die Verwaltungs-
kosten hinsichtlich des SGB II mit 8 Milliarden Euro
unverändert hoch.

Ausgabenreste aus den letzten Haushalten in Höhe
von 350 Millionen Euro erweitern den arbeitsmarktpoli-
tischen Spielraum. Wir finanzieren hieraus unter ande-
rem anteilig das neue ESF-Langzeitarbeitslosenpro-
gramm mit einem Volumen von 224 Millionen Euro
sowie das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Ar-
beitsmarkt“ mit 75 Millionen Euro in 2015.

Darüber hinaus haben wir unsere Spielräume ge-
nutzt, um auch für langzeitarbeitslose Jugendliche wei-
tere Förderungsperspektiven zu eröffnen; der Kollege
Schiewerling wird in seiner Rede noch darauf eingehen.
Denn unabhängig vom Alter der Langzeitarbeitslosen
und vom jeweiligen Programm ist es wichtig, konkret an
den Vermittlungshemmnissen im Einzelfall anzusetzen.
Egal ob alleinerziehend, fehlender Abschluss, fehlende
Sprachkenntnisse, fehlender Arbeitswille oder Drogen-
abhängigkeit – wir wollen alle unsere Mitbürger in die
Lage versetzen, an der Arbeitswelt teilzuhaben und ein
selbstbestimmtes Leben in Arbeit zu führen, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katja Mast [SPD])


Dazu müssen wir aber neue Wege finden, neue Instru-
mente erproben und neue Strukturen schaffen. Wichtig
ist, insbesondere den Kern von rund 150 000 Schwerver-
mittelbaren anzugehen. Hierbei ist besonders Kreativität
gefragt: neue Wege erkunden und Neues ausprobieren,
um die Vermittlungshemmnisse zu beseitigen, Stich-
wort: Passiv-Aktiv-Tausch. Klar, dass hier alle an einem





Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)



(A) (C)



(D)(B)

Strang ziehen müssen: Bund, Länder, Kommunen, Un-
ternehmen und auch die Bundesagentur.

Erste Erfahrungen mit Modellprojekten wie „Per-
spektive in Betrieben“ zeigen, wie auch arbeitsmarkt-
ferne Grundsicherungsempfänger Stück für Stück Inte-
grationsfortschritte erzielen können. Wir werden hier
weitere Modellprojekte auf den Weg bringen. Aber klar
ist auch: Wir werden für spürbare Verbesserungen, ins-
besondere mit Blick auf die Vielzahl an Menschen mit
mehreren Vermittlungshemmnissen – die Frau Ministe-
rin wies bereits darauf hin –, sicherlich einen langen
Atem brauchen, und wir werden auch darauf achten
müssen, dass die Kosten für diese Programme nicht we-
gen möglicher Mitnahmeeffekte aus dem Ruder laufen.

Meine Damen und Herren, eine Grundvoraussetzung
für erfolgreiche Vermittlung in Arbeit sind motivierte
und fachlich gut ausgebildete Vermittler.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807011700

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Pothmer zu?

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Wenn sie möchte, gern. Wenn die Uhr stehen bleibt,

ist das kein Problem.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807011800

Ja, das ist jetzt schon geschehen; keine Sorge.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807011900

Herr Fischer, Sie haben gerade auf den Passiv-Aktiv-

Transfer hingewiesen und deutlich gemacht, dass alle an
einem Strang ziehen müssen. Kann ich Ihren Worten ent-
nehmen, dass sich die CDU/CSU-Fraktion zukünftig für
den Passiv-Aktiv-Transfer einsetzen wird und dass der
Fehler, den das Programm zur Bekämpfung der Lang-
zeitarbeitslosigkeit von Frau Nahles beinhaltet, nämlich
dass dieser Passiv-Aktiv-Transfer nicht vorgesehen ist,
korrigiert wird, und zwar mit Ihrer Hilfe, Herr Fischer?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Sie können davon ausgehen, dass wir, so wie ich es

beschrieben habe, verschiedene Modellprojekte auf den
Weg bringen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ausweichen!)


– Das hat mit Ausweichen überhaupt nichts zu tun. – Wir
müssen neue Wege gehen und diese selbstverständlich
innerhalb der Koalition beraten. Ich garantiere Ihnen
nicht, dass das, was Sie darunter verstehen, passieren
wird. Ich garantiere Ihnen aber, dass die Grundsätze der
Koalition in diesem Bereich zum Tragen kommen. Ob
das Ihnen dann gefällt oder nicht, wird uns im Zweifel
egal sein. Wir werden es inhaltlich beraten. Denn uns ist
wichtig, dass den Menschen geholfen wird, und nicht,
dass die Ideologie, die Sie verbreiten, unbedingt durch-
gesetzt werden muss. Bei uns stehen die Menschen im
Mittelpunkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD])


Im ersten Halbjahr 2014 haben die Kommunen in
Deutschland Überschüsse in Höhe von 5,3 Milliarden
Euro erwirtschaftet – in einem halben Jahr wohlgemerkt.
Wesentlich für diese vergleichsweise komfortable Fi-
nanzsituation ist die massive Entlastung der Kommunen
in den vergangenen Jahren durch den Bund, und zwar
insbesondere durch die Übernahme der Kosten der Un-
terkunft und der Hilfe zum Lebensunterhalt.

Bis zum Inkrafttreten des für 2018 vorgesehenen
Bundesteilhabegesetzes legen wir jährlich 1 Milliarde
Euro obendrauf. Für das Jahr 2015 beträgt die hierdurch
entstandene Entlastung 5,4 Milliarden Euro. 4,9 Milliar-
den Euro sind dafür allein im Einzelplan 11 vorgesehen.
500 Millionen Euro kommen über die Umsatzsteuerbe-
teiligung der Kommunen noch hinzu.

Mit diesen Überschüssen sind viele Kommunen wie-
der in der Lage, langfristig zu planen und notwendige In-
vestitionen zu tätigen. Das freut uns und zeigt deutlich,
wie wichtig uns die Selbstorganisation und Selbstver-
waltung der Bürger vor Ort ist und wie groß wir Subsi-
diarität schreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD])


Ich persönlich verbinde diesen großen Erfolg für die
kommunale Selbstverwaltung auch mit dem Namen un-
seres langjährigen Kollegen Peter Götz, der wie kaum
ein anderer über Jahrzehnte hinweg mit Herzblut für aus-
kömmliche Kommunalfinanzen gekämpft hat.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das stimmt!)


Mit dem Rentenpaket, also mit Mütterrente und Rente
mit 63, ist die Große Koalition fulminant in diese Legis-
laturperiode gestartet.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fulminant ins Haushaltsloch!)


Beide Rentenleistungen erfreuen sich übrigens größter
Beliebtheit. So steigen die beitragsfinanzierten Leistun-
gen der Rentenversicherung im kommenden Jahr um
etwa 10 Milliarden Euro an. Die Ausgaben im Bundes-
haushalt 2015 für die Rentenversicherung, die Grund-
sicherung im Alter und im Falle von Erwerbsminderung
steigen moderat von 88,4 auf 90,2 Milliarden Euro, also
um knapp 2 Milliarden Euro. Die Absenkung des Ren-
tenbeitrags um 0,2 Prozentpunkte auf 18,7 Prozent im
kommenden Jahr entlastet den Bundeshaushalt um rund
500 Millionen Euro. Die Rentenzuschüsse sind derzeit
solide finanziert. Der in 2018 auf rund 101 Milliarden
Euro absehbar steigende Bundeszuschuss ist in den kom-
menden Jahren finanzierbar.

Bei aller Freude über die derzeitige Finanzierbarkeit
von Mütterrente und Rente mit 63 aus den Rücklagen
der gesetzlichen Rentenversicherung dürfen wir die Be-
lastbarkeit der arbeitenden Generation und unserer Wirt-





Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)



(A) (C)



(D)(B)

schaft nicht überstrapazieren. Denn für alle sozialpoliti-
schen Maßnahmen gilt, dass sie nur in der Höhe
finanzierbar sind, wie die Leistungen vom aktiven Teil
der Bevölkerung erbracht werden.

In diesem Zusammenhang ein kleines Gedankenspiel:
1970 lag die Lebenserwartung bei durchschnittlich gut
70 Jahren. Heute liegt sie mit gut 80 Jahren mehr als
10 Jahre höher. Das bedeutet, dass die Menschen heute
10 Jahre länger leben als 1970. Für die meisten ist dies
ein Gewinn an Lebensqualität. 1970 lag das gesetzliche
Renteneintrittsalter bei 65 Jahren. Wenn Menschen heute
mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen, dann gewinnen sie
gegenüber früheren Rentnern bei kürzeren Lebensar-
beitszeiten 12 Jahre Rentnerdasein dazu. Insofern ver-
deutlicht die Einführung der abschlagsfreien Rente mit
63 für langjährig Beschäftigte auch die soziale Kompo-
nente der Rentenpolitik dieser Bundesregierung.

Aber so respektabel es ist, wenn Menschen möglichst
früh aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden wollen:
Wir dürfen die Kehrseite nicht vergessen: steigende Ren-
tenausgaben, sinkende Renteneinnahmen und vor allem
ein sinkendes Arbeitskräftepotenzial. Der demografisch
bedingte zunehmende Fachkräftemangel verschärft sich
damit weiter. Insofern darf es nicht verwundern, wenn
Unternehmen mittlerweile beginnen, gutes Personal zu
horten.

Meine Damen und Herren, während Südosteuropas
Jugend teilweise verzweifelt nach Ausbildungsplätzen
sucht, suchen Ausbildungsbetriebe bei uns händeringend
geeigneten Nachwuchs. Derzeit ringen Europas Arbeits-
vermittlungen und Arbeitsverwaltungen um eine einheit-
liche Strategie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosig-
keit. Unter Leitung von BA-Chef Weise treffen sich die
Verantwortlichen Anfang Dezember in Rom, um Erfah-
rungen auszutauschen und europaweit zu gemeinsamen,
praktikablen Lösungen zu kommen; denn die Absen-
kung der Jugendarbeitslosigkeit ist ein Anliegen von al-
len. Ich denke, Herr Weise wird uns am 3. Dezember
2014 im Haushaltsausschuss darüber berichten können.

Wir jedenfalls wollen weiterhin – auch über 2015 hi-
naus – jungen Menschen Perspektiven weisen und ihnen
die Hand reichen für einen gelungenen Einstieg in ein er-
fülltes Arbeitsleben. Denn auf ihrer Persönlichkeit und
ihrer Tatkraft fußt die Zukunft unserer Wirtschaft, unse-
rer Sozialsysteme und unserer Gesellschaft in einem al-
ternden Europa. Dabei bezieht sich „alternd“ nicht nur
auf die Demografie, sondern beschreibt auch eine Geis-
teshaltung; denn wir müssen, wie Papst Franziskus am
Dienstag vor dem Europarat in Straßburg sagte, in Eu-
ropa jene geistige Jugend wiederfinden, die „es fruchtbar
und bedeutend gemacht hat“.

Abschließend bleibt mir nur noch, allen recht herzlich
für die gute Zusammenarbeit zu danken: für das Ministe-
rium Frau Nahles, der Hauptberichterstatterin Ekin
Deligöz, Frau Lötzsch und Herrn Schurer sowie dem
Kollegen Schiewerling und der ganzen Arbeitsgruppe.
Ich glaube, wir haben einen Etat vorgelegt, dem man
ohne Probleme zustimmen kann.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807012000

Als nächster Redner hat der Kollege Ewald Schurer

das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ewald Schurer (SPD):
Rede ID: ID1807012100

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dort, wo der
Kollege aufgehört hat, möchte ich gleich weitermachen.
Die Frau Ministerin ist sicherlich bei mir, wenn ich mich
persönlich und auch im Namen der Haushälterinnen und
Haushälter bei Herrn Bald bedanke, einem exzellenten
Fachmann im BMAS,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


der über Jahre hinweg führend dazu beigetragen hat, die-
ses Haus so gut aufzustellen.

Der Dank an die Kolleginnen und Kollegen ist gerade
ausgesprochen worden. Diesen Dank möchte ich wieder-
holen. Er geht auch an die Fachpolitikerinnen und Fach-
politiker der Unionsfraktion – die Politiker der SPD-
Fraktion sind sowieso spitze; das weiß jeder –, die mit
großer Fachkenntnis diesen Haushalt mit entwickelt ha-
ben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn der
Kollege Markus Kurth eine der großen Katastrophen der
modernen Schifffahrt bemühen muss, um hier die Aus-
wirkungen der Rentenpolitik darzustellen, ist das schon
ein trauriges Beispiel und macht die fachlichen Defizite
der Grünenfraktion in diesem Bereich klar.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch billig! Billig ist das! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Die Anleihen kommen ja immer von der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft. Diese Bausätze tragen Sie ja in
jeder Debatte vor. Zu mehr reicht es bei Ihnen nicht.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Sie kennen mich doch überhaupt nicht! Erzählen Sie nicht so einen Quatsch! Ausgerechnet mir das vorzuwerfen, ist billig!)


Ich muss Ihnen dazu sagen – auch wenn Sie sich hier
bis aufs Äußerste echauffieren –: Was Sie beschrieben
haben, hat mit dem, was wir hier machen, nichts zu tun.
Wir machen berechenbare, ordnungspolitisch saubere
Haushaltspolitik im Bereich Rente und Arbeit und stem-
men einen Haushalt über 125,5 Milliarden Euro. Das ist
ganz großes Kino im Bereich des Haushaltswesens des
Bundes. Das ist der Anteil von 42 Prozent, die der Kol-
lege vor mir bereits genannt hat. Das lässt sich mit solch
einer Schiffskatastrophe nicht vergleichen. Wir machen
hier berechenbare Politik für die Menschen in Rente und
Arbeit.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie leeren die Rentenkassen! Das machen Sie!)






Ewald Schurer


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Ich muss auch noch etwas anderes sagen – Herr
Kurth, hören Sie doch einmal zu; die Nachhilfe ist bei
Ihnen gerade richtig –:


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie was Vernünftiges erzählen würden, würden wir zuhören!)


Die Finanzierung unseres Rentensystems hängt in der
Zukunft – das ist Volkswirtschaft; das ist auch für Sie
ganz wichtig –


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


vom Grad der Beschäftigung und vom Fortschritt der
Produktivität unserer Volkswirtschaft ab.


(Stephan Stracke [CDU/CSU]: So ist es!)


Wenn wir das weiterhin so gut hinbekommen wie
Schwarz-Rot zurzeit, haben wir allen Grund, sagen zu
können: In den nächsten 10, 20 Jahren halten wir unsere
Sozialsysteme sauber und berechenbar. Dann müssen
wir keinen billigen Vergleich ziehen; dann müssen wir
keinen Vergleich ziehen mit einer humanitären Katastro-
phe, bei der Tausende von Menschen ihr Leben gelassen
haben. Das war ein ganz schwacher Einstieg. Da können
Sie noch so schreien; das macht es nicht besser.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch unterirdisch, was Sie hier darbieten! Das ist doch peinlich! Das hätten Sie doch nicht nötig!)


– Jetzt hören Sie doch einmal zu.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal etwas Vernünftiges, statt mich die ganze Zeit zu beschimpfen!)


– Sie haben doch schon reden dürfen. Beim nächsten
Mal dürfen Sie wieder reden.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Mist! Das reicht mir!)


– Herr Kurth, das war inhaltlich keine gute Leistung. Sie
müssen nicht gleich total ausrasten, wenn Sie mit Fakten
konfrontiert werden. – Das ist kein gutes Benehmen,
Frau Präsidentin.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie da machen, ist kein gutes Benehmen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807012200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist eine leben-

dige Debatte. Das ist gut; deshalb habe ich bisher auch
nicht eingegriffen. Das werde ich auch nicht, solange es
eine sachliche Auseinandersetzung ist.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ewald Schurer (SPD):
Rede ID: ID1807012300

Zum Mindestlohn: Mich hat der letzte Bericht der so-

genannten Sachverständigen ein bisschen verunsichert.
Ich dachte, ich bin im falschen Film,


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind am falschen Platz!)


weil die Sachverständigen plötzlich versucht haben, mit
esoterischen Mitteln – glauben, fühlen, tasten – die Wirt-
schaftslage bei uns zu analysieren. Ich muss ehrlich sa-
gen: Das fand ich gar nicht lustig, weil ich von den Wirt-
schaftsweisen eine seriöse ökonomische Analyse
erwarte. Ich erwarte Herleitungen, die wichtig sind, da-
mit wir eine gute Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik ma-
chen können.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die schreiben immer bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ab!)


Das, was von den Sachverständigen kam, folgte mir zu
sehr dem Prinzip Glauben. Ein Appendix lautete: Ja, es
gibt Sozialreformen – Mindestlohn und Rentenpaket –,
und die machen wir automatisch verantwortlich für die
leichten Konjunktureinbrüche im zweiten und dritten
Quartal. – So ein Quatsch.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Ich will Sachverständige, die ich ernst nehmen kann,
die nach ökonomischen und handwerklich sauberen
Prinzipien etwas herleiten, mit dem wir in der Politik gut
arbeiten können. Daher war ich ein Stück weit ent-
täuscht. Hinter dieser Enttäuschung steckt die Vermu-
tung, dass das nicht nur esoterische Versatzstücke waren,
sondern dass dies die Denkweise der Wirtschaftsweisen
widerspiegelt, die noch zu sehr im Denkmuster der letz-
ten 20 Jahre – neoliberale Wirtschaftsphilosophie – ver-
harrt. Es gibt aber neue Philosophien. Auch der IWF sagt
heute: Wir müssen bei uns die Nachfrage und die Sozial-
systeme stärken, aber alles auf ökonomisch vernünftige
Weise, seriös finanziert. Ich glaube, hier besteht Nach-
holbedarf, den wir in dieser Parlamentsdebatte gegen-
über diesem doch sehr elitären Kreis, der für die deut-
sche Volkswirtschaft und damit auch für die Politik
bedeutend ist, anmahnen dürfen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mal gucken, ob von der CDU jetzt einer klatscht! – Keiner! Und von der SPD auch nicht!)


Ich will auf einen Bereich eingehen, den mein Kol-
lege schon angesprochen hat. – Danke, Axel Fischer! –
Für mich ist, bei den vielen Hundert Haushaltstiteln, die
wir ansprechen könnten, ganz wichtig, dass wir dem
Mindestlohn eine Mindestlohnkommission zur Seite
stellen, dass wir eine Geschäftsstelle mit dazugehörigem
Personal stellen und Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler finanzieren.


(Beifall der Abg. Axel E. Fischer [KarlsruheLand] [CDU/CSU] und Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Ewald Schurer


(A) (C)



(D)(B)

Diesbezüglich gilt mein ganz großer Dank den Freunden
von der Union. So sind wir in der Lage, in den nächsten
ein, zwei Jahren zu evaluieren: Welche Wirkungen wird
der Mindestlohn am Arbeitsmarkt entfalten? Wie wird er
sich auf Steuern und Sozialsysteme auswirken? Und wie
wird er sich auf die Tarifverhandlungen auswirken? Bei
den Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen geht es
um Sekundärwirkungen. Wird die Lohnuntergrenze
künftig nicht mehr unter 8,50 Euro liegen, sondern ein
Stück oder deutlich darüber? Deswegen sind für mich
die Mindestlohnkommission und die Geschäftsstelle von
sehr großer Bedeutung.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807012400

Herr Kollege Schurer, lassen Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Pothmer zu?


Ewald Schurer (SPD):
Rede ID: ID1807012500

Selbstverständlich.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807012600

Herr Kollege Schurer, Sie werden mir sicher zustim-

men, dass die Wirksamkeit des Mindestlohns entschei-
dend von der Frage abhängt, ob die Einhaltung des Min-
destlohns gut kontrolliert werden kann und gut
kontrolliert wird. Seit heute wissen wir – die Gewerk-
schaften haben dazu eine große Pressekonferenz durch-
geführt –, dass es eine neue Verordnung geben wird, der
auch die Arbeitsministerin Nahles zugestimmt hat. Diese
neue Verordnung wird dazu führen, so die Aussage der
großen Gewerkschaften, dass die Schlupflöcher deutlich
größer werden, weil die Kontrolle nicht in dem erforder-
lichen Umfang möglich sein wird. Können Sie mir ein-
mal erklären, welchen Sinn diese Verordnung hat?
Schließlich haben Sie gerade gesagt, dass der Mindest-
lohn und damit auch die Kontrolle der Einhaltung des
Mindestlohns eine große Bedeutung hat.


Ewald Schurer (SPD):
Rede ID: ID1807012700

Es ist wahr, dass über diese Verordnung aktuell debat-

tiert wird. Das ist einmal ein guter Beitrag vonseiten der
grünen Freunde.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu sage ich jetzt nichts mehr!)


Darüber, wie die Verordnung wirken wird, ist noch zu
debattieren. Diese Diskussion wird mit den Gewerk-
schaften zu führen sein.

Tatsache ist, dass das Mindestlohngesetz schon im
Koalitionsvertrag so angelegt ist, dass wir versuchen, die
Umsetzung und die Kontrolle auch durch neue Stellen
beim Zoll zu gewährleisten. Ich gebe Ihnen recht, dass
das nicht von heute auf morgen bzw. innerhalb eines Jah-
res in vollem Umfang möglich ist. Wir müssen sukzes-
sive eine Struktur schaffen, um die Umsetzung des Min-
destlohns künftig zu gewährleisten; auch da gebe ich
Ihnen recht.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Verordnung!)

Ich vermute, hier besteht zwischen uns Konsens. Auch
das ist ja mal eine schöne Geschichte.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit der Frage überhaupt nichts zu tun gehabt!)


Frau Präsidentin, ich will zur Entlastung der Kommu-
nen kommen. Ich denke, wenn wir über den Haushalt für
Arbeit und Soziales diskutieren, müssen wir auch erwäh-
nen – das ist wichtig –, dass es eine große, berechtigte
Erwartungshaltung der Kommunen gibt, im Sozialbe-
reich entlastet zu werden. Für das Bundesteilhabegesetz
reichen wir ab 2018 die vollen 5 Milliarden Euro aus, bis
dahin jeweils 1 Milliarde Euro jährlich; auch das ist
schon ein kleines Stück Entlastung. Künftig findet eine
100-prozentige Übernahme der Kosten für die Grund-
sicherung bei Erwerbsminderung und im Alter statt. Da-
durch kommt es bis 2018 zu einer Entlastung – auch da
sollten meine grünen Freunde zuhören – in Höhe von
insgesamt 25 Milliarden Euro. Das ist eine gewaltige
Entlastung, die den Kommunen wirklich weiterhelfen
wird.

Auch im Zuge der Reform des Asylbewerberleis-
tungsgesetzes werden erste Beträge fließen. Meine Frak-
tion bzw. meine Partei hat unter anderem angeregt – wir
werden darüber noch diskutieren –, weitere Entlastungen
der Kommunen auf den Weg zu bringen. Das ist in fi-
nanzieller Hinsicht nicht leicht. Aber wir wissen, dass
wir auf dem Gebiet von Migration, Flucht und Asyl noch
mehr leisten müssen, auch vonseiten des Bundes. Das
betrifft aber nicht nur den Bereich Arbeit und Soziales,
sondern von dieser Querschnittsaufgabe werden ver-
schiedene Ministerien betroffen sein.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da können Sie ja morgen gern unserem Entschließungsantrag zustimmen!)


Ich hoffe, dass wir uns innerhalb der Koalition einigen
werden. Weitere Entlastungen der Kommunen werden
sicherlich mit den im Hinblick auf den Städtebau geplan-
ten Maßnahmen verbunden sein, Stichwort „Soziale
Stadt“. Hinzu kommen 6 Milliarden Euro für Kinder-
krippen, Kitas, Schulen, Hochschulen und BAföG-Leis-
tungen. All das spielt bei der Entlastung der Kommunen
eine Rolle – nicht alles unmittelbar, aber teilweise mit-
telbar.

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass wir un-
sere Bemühungen zur Bekämpfung der Langzeitarbeits-
losen durch entsprechende Modelle verstärken wollen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Bekämpfung der Langzeitarbeitslosen“ – schöner Versprecher!)


Zu diesem Thema wird mein Kollege Ralf Kapschack
sprechen; er wird die sozialdemokratische Programmatik
insgesamt darstellen. Ich wünsche mir, dass wir auch
weiterhin sehr sachliche Dialoge führen, Herr Kurth, und
über die echten Probleme im Bereich Arbeit und Sozia-





Ewald Schurer


(A) (C)



(D)(B)

les in diesem Land sprechen, ohne Nebenkriegsschau-
plätze zu eröffnen.

Herzlichen Dank für das Zuhören.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807012800

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Sabine

Zimmermann.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807012900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Kollegin Nahles, Sie sagten vorhin,
dass Sie stolz auf die Reformen der Agenda 2010 sind
und dass Sie stolz darauf sind, mit 43 Millionen Er-
werbstätigen so viel Beschäftigung wie noch nie erreicht
zu haben. – Vielleicht, Frau Nahles, können Sie mir zu-
hören; dann wissen Sie auch, wovon ich rede.

Ich sage Ihnen einmal aus Sicht einer Gewerkschafte-
rin, wie ich diese Reformen empfinde – Sie sind ja auch
Gewerkschafterin; aber ich bin vielleicht ein bisschen
näher an der Basis als Sie –: Wir haben in den letzten
Jahren einen enormen Wandel auf dem Arbeitsmarkt er-
lebt. Es gibt 1,2 Millionen Aufstocker, 800 000 Leihar-
beiterinnen und Leiharbeiter, 2,5 Millionen Zweitjobber
– Menschen, die von ihrem ersten Job allein nicht leben
können und deshalb einen zweiten Job haben –, 5 Millio-
nen Minijobberinnen und Minijobber


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Und was wollen Sie uns damit sagen?)


– hören Sie mir zu –, 889 000 minijobbende Rentner und
Rentnerinnen, 500 000 Rentnerinnen und Rentner, die
die Grundsicherung im Alter brauchen, und fast 2 Mil-
lionen Kinder, die in Armut leben. Das ist das Ergebnis
Ihrer Reformen der Agenda 2010. Nehmen Sie das end-
lich einmal zur Kenntnis, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zurücknehmen! Das ist besser als zur Kenntnis!)


Ich habe einen Kollegen in Zwickau. Er ist Leiharbei-
ter und alleinerziehender Vater, ist in der Automobilin-
dustrie bzw. in der Zuliefererindustrie im Dreischicht-
system tätig und hat nebenbei zwei Minijobs, damit er
seine Tochter ernähren und überhaupt über die Runden
kommen kann. Wenn ich zu ihm sage: „Die Bundesre-
gierung sagt doch, es gibt 43 Millionen Jobs“, antwortet
er mir: Ja, ich allein habe drei davon. – Es kann doch
nicht sein, dass er sich nicht einmal um seine Tochter
kümmern kann, weil er rund um die Uhr arbeitet!


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Thema Langzeiterwerbslosigkeit ist zu sa-
gen: Jeder dritte Erwerbslose ist mehr als ein Jahr
lang arbeitslos. 1 Million Langzeitarbeitslose haben in
Deutschland schon lange keine Aussicht mehr auf einen
Job.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, nur die Hälfte!)


Von guter Arbeit wollen wir hier gar nicht reden. Und
was tun Sie? Sie wollen für eine bessere Arbeitsmarkt-
politik keinen zusätzlichen Cent in die Hand nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, als Sie
noch in der Opposition waren, haben Sie den arbeits-
marktpolitischen Kahlschlag der Vorgängerregierung
von Union und FDP sehr heftig kritisiert. Heute sitzen
Sie auf der Regierungsbank und heben für alles den
Arm. Ich verstehe das nicht. Wo bleiben hier Ihre sozial-
demokratischen Wurzeln?


(Beifall bei der LINKEN)


Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen:
2010 betrug der Etat für aktive Arbeitsmarktpolitik im
Bereich Hartz IV noch 6,6 Milliarden Euro. Nun soll er
bei 3,9 Milliarden Euro liegen. Das ist ein Minus von
40 Prozent bei einem Rückgang der Langzeiterwerbslo-
sigkeit um 7 Prozent. Das passt doch nicht zusammen.
Das ist die pure Ignoranz dieser Regierung. Da sagen
wir: Das ist auch unsozial.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will Ihnen einmal vorlesen – Sie werden sicher-
lich auch viele Briefe bekommen –, wie es den langzeit-
erwerbslosen Menschen in unserem Land geht – ich
zitiere eine Frau aus Berlin –: Ich sehe keine Zukunfts-
perspektive mehr für mich, und ich kann so nicht leben,
wie es jetzt für mich vorgesehen ist. Ich gleite mehr und
mehr in eine Depression, bin weit entfernt von dem
Menschen, der ich einmal war. Ich bin seelisch nicht
mehr gesund. Es ist ein Zustand, den man schwer be-
schreiben kann.

Eine Frau aus dem Vogtland schrieb: Für morgen
habe ich eine Einladung ins Jobcenter zu meiner Arbeits-
vermittlerin. Der Termin ist wichtig. Wenn ich nicht hin-
gehe, gibt’s Sanktionen. Alles wird ablaufen wie immer:
die Abfrage, wo ich mich wann beworben habe, sie wird
mit mir gemeinsam in der Jobbörse suchen, dann darf
ich wieder gehen. Ich fühle mich alleingelassen, obwohl
ich viele kenne, denen es so geht wie mir. Das sind ehe-
malige Arbeitskollegen, aber auch meine drei Studenten-
freundinnen von früher. Alle wollen arbeiten.

Meine Damen und Herren, und was tun Sie? Sie fei-
ern hier zwei Schmalspurprogramme, die Sie jetzt für
43 000 Menschen installieren wollen. „Hoffnungslos un-
terfinanziert“, hat der Paritätische Wohlfahrtsverband
dazu gesagt. Mehr gibt es dazu auch wirklich nicht zu
sagen.

Ihr Haushalt ist ein Nein zu mehr guten Weiterbil-
dungsmaßnahmen, ein Nein zu guter öffentlich geförder-
ter Beschäftigung und ein Nein zu besserer Vermittlung
von Langzeiterwerbslosen in den Jobcentern.


(Katja Mast [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Sie halten auch daran fest, dass Langzeiterwerbslose
in den ersten sechs Monaten einer Neubeschäftigung
vom Mindestlohn auszunehmen sind. Ich frage Sie: Sind





Sabine Zimmermann (Zwickau)



(A) (C)



(D)(B)

das Menschen zweiter Klasse? Hören Sie endlich auf,
die Langzeiterwerbslosen zu diskriminieren!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Linke fordern, den Etat für die Arbeitsmarktpolitik
an die tatsächliche Arbeitslosigkeit anzupassen.

Auch die Armut wollen Sie nicht bekämpfen.
Hartz IV hat Millionen von Menschen in die Armut ge-
trieben. Darunter sind 1,6 Millionen Kinder in den Be-
darfsgemeinschaften, und Sie tun nichts, um diese skan-
dalösen Auswüchse der Agenda 2010 zu überwinden.
Nicht einmal den Regelsatz wollen Sie erhöhen, obwohl
Ihnen das Bundesverfassungsgericht dies vor kurzem
erst anders gesagt hat.

Wir unterstützen das breite Bündnis von Erwerbslo-
seninitiativen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbän-
den, das eine Neuberechnung des Regelsatzes fordert.
Gemeinsam wollen wir ein menschenwürdiges Existenz-
minimum für alle.


(Beifall bei der LINKEN)


Sagen Sie jetzt nicht, meine Damen und Herren der
Großen Koalition, dafür sei kein Geld da. Die Schweizer
Bank UBS hat gerade den Reichtumsbericht vorgelegt.
Danach leben in Deutschland nach den USA die zweit-
meisten Multimillionäre. 19 000 Superreiche gibt es bei
uns, die jeweils mindestens 23 Millionen Euro besitzen.
Das ist insgesamt das Vierfache unseres Haushaltes im
Bund. Mit Ihrer Steuerpolitik schonen Sie diese Herr-
schaften aber, und Sie sehen zu, wie die Schere zwischen
Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Sie spal-
ten das Land, und das ist unverantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss, obwohl ich noch sehr viel
sagen könnte, zum Beispiel zum Mindestlohn, der jetzt
eingeführt wird. Sie nennen ihn Mindestlohn; wir sagen
Flickenteppich dazu. Kontrollieren können Sie ihn nicht,
weil Sie das dafür nötige Geld gar nicht einstellen.

Abschließend möchte ich noch unsere Ministerin
Nahles aus dem Jahr 2010 zitieren. Da war sie noch
nicht Arbeitsministerin. Sie sagten damals zum Haushalt
der schwarz-gelben Regierung: Die Maßnahmen sind
„extrem feige, weil die Verursacher der Krise geschont
und Bedürftige rasiert werden“. Leider ist der heute vor-
liegende Haushalt keinen Deut besser. Die Linke wird
ihn ablehnen, weil er unsozial ist.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807013000

Als nächster Redner spricht Karl Schiewerling.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1807013100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen des Haus-
halts der Bundesarbeitsministerin finden in – europäisch
und weltweit – wirtschaftlich spannenden Zeiten statt,
übrigens mit einem hohen Potenzial an volkswirtschaft-
lichen Fehlprognosen. Eine dieser Fehlprognosen ist,
dass sich auf dem Arbeitsmarkt schon seit langem eine
negative Entwicklung hätte bemerkbar machen müssen.
Fast hysterisch haben manche ständig auf die Arbeitslo-
senzahlen geschaut, um zu sehen, wann sie denn endlich
steigen. Tatsächlich sinken sie. Tatsächlich haben wir ei-
nen Aufwuchs an Beschäftigung: 500 000 zusätzliche
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.

Liebe Frau Zimmermann, wenn diese Beschäfti-
gungsverhältnisse alle so katastrophal wären, wie Sie sie
beschreiben, dann hätten wir nicht diesen Aufwuchs im
Bereich der Sozialversicherung. Glauben Sie denn, Mi-
nijobs machen Mehreinnahmen von 33 Milliarden Euro
in der Sozialversicherung aus?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ihre regelmäßig wiederkehrende Darstellung der angeb-
lich katastrophalen Situation in Deutschland ist durch
nichts, aber auch gar nichts gedeckt. Auch uns machen
die Langzeitarbeitslosen – dazu sage ich gleich etwas –
große Sorgen; überhaupt keine Frage. Aber hier ständig
den Eindruck zu erwecken, als herrschte in Deutschland
das nackte Elend, widerspricht völlig dem Gefühl der
Menschen und widerspricht auch völlig der Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat doch keiner gesagt!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807013200

Herr Schiewerling, lassen Sie eine Zwischenfrage von

Frau Zimmermann zu?


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1807013300

Ja, einmal.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807013400

Vielen Dank, lieber Kollege Schiewerling. – Nehmen

Sie zur Kenntnis, dass die Zahlen, die ich gebracht habe,
keine Zahlen der Linken oder von mir sind, sondern
Zahlen des Statistischen Bundesamtes? Nehmen Sie
auch zur Kenntnis, dass ich nicht gesagt habe, dass die
Lage katastrophal ist, sondern dass ich nur beschrieben
habe, wie viele Millionen Menschen im Niedriglohnbe-
reich arbeiten, wie viele Millionen Menschen auf Grund-
sicherung angewiesen sind und wie viele Millionen
Menschen bei uns in Deutschland in Armut leben?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1807013500

Erstens. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Zahlen

vom Statistischen Bundesamt sind. Zweitens. Ich nehme
allerdings auch zur Kenntnis, dass Sie diese Zahlen des
Statistischen Bundesamtes permanent so drehen und
wenden, dass der Eindruck einer flächendeckenden Ka-
tastrophe entsteht. Daran können Sie nichts ändern, auch





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

nicht durch die Art, wie Sie gerade Ihre Frage gestellt
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie machen auch nur Schönfärberei! Da muss man was entgegensetzen!)


Meine Damen und Herren, die Entwicklungen auf
dem Arbeitsmarkt sind positiv. Vor zehn Jahren war
Deutschland der kranke Mann in Europa; die Frau Bun-
desarbeitsministerin hat in ihrer Rede vorhin darauf hin-
gewiesen. Heute sind wir die Lokomotive. Daran haben
viele ihren Anteil, auch die Agenda 2010. Ohne die Fle-
xibilisierung hätten wir das nicht geschafft. Diese
Agenda wurde unter Gerhard Schröder auf den Weg ge-
bracht, und ohne die umsichtige Finanz-, Wirtschafts-
und Sozialpolitik unserer Bundeskanzlerin Angela
Merkel würden wir nicht da stehen, wo wir heute stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie von den Linken können es drehen und wenden,
wie Sie wollen, und das SGB II so oft angreifen, wie Sie
wollen.


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Zu Recht!)


Ich sage Ihnen: Das SGB II ist geschaffen worden, um
vor absoluter Armut zu bewahren. Das SGB II ist ge-
schaffen worden, um eine Grundsicherung zu schaffen,
damit die Menschen nicht ins Bodenlose fallen. Das
SGB II hat auch dazu geführt, dass wir im Bereich der
Arbeitsmarktpolitik neue Wege gehen konnten, die vor-
her nicht möglich waren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, dass Ihre Analyse falsch ist. Allerdings
– das ist richtig – haben wir schon in der letzten, christ-
lich-liberalen, Koalition und in nahtloser Fortsetzung in
der jetzigen Koalition dem Missbrauch auf dem Arbeits-
markt, wo einige glaubten, sie könnten durch die Libera-
lisierung des Arbeitsmarktes mit allem und jedem in
Wildwestmanier umgehen und Arbeitsverhältnisse nach
Belieben gestalten, einen Riegel vorgeschoben. Deswe-
gen haben wir so viele Branchen ins Entsendegesetz auf-
genommen. Das fing in der christlich-liberalen Koalition
an. Es sei übrigens in Demut erwähnt: Alle Branchen bis
auf eine einzige Ausnahme wurden unter CDU-Kanzlern
in das Entsendegesetz aufgenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen ist es richtig, dass wir sagen: Wir wollen
keine Dumpinglöhne, und wir wollen diese Verwerfun-
gen am Arbeitsmarkt nicht.


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Das sind aber immer noch Realitäten!)


Dazu gehört auch, dass wir Mitte dieses Jahres das
Tarifvertragsgesetz geändert haben und dass wir das
Mindestlohngesetz gemacht haben. Das war ein wichti-
ger und richtiger Schritt, den wir hier gegangen sind.
Wir haben einmalig einen Mindestlohn von 8,50 Euro
gesetzlich beschlossen. Danach wird die Mindestlohn-
kommission über die Höhe des Mindestlohns entschei-
den. Sie hat den Auftrag, die Gesamtentwicklung zu
beobachten und zu bewerten und entsprechende Vor-
schläge für die Zukunft zu machen. Deswegen bin ich
den Haushältern und dem Haushaltausschuss dankbar,
dass sie dazu beigetragen haben, dass die Mindestlohn-
kommission kein Gremium von Frühstücksdirektoren
wird, sondern so ausgestattet ist, dass sie tatsächlich ih-
ren Auftrag erfüllen kann. Denn die zukünftige Entwick-
lung des Mindestlohns gehört dahin, wo wir sie vorgese-
hen haben, nämlich in die Hand der Tarifpartner.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Thema, das hier des Öfteren angesprochen wurde,
ist die Kontrolle der Schwarzarbeit. Es ist zwar richtig,
dass es 600 nichtbesetzte Stellen gibt. Das liegt aber
nicht daran, dass diese Stellen nicht besetzt werden sol-
len, sondern daran, dass zukünftige Zollbeamte nicht wie
Birnen am Baum wachsen. Sie müssen zunächst einmal
ausgebildet und qualifiziert werden. Sie müssen am Ar-
beitsmarkt gewonnen und dann auch eingestellt werden.
Mit diesem Haushalt haben wir die Voraussetzungen ge-
schaffen, dass wir sie einstellen können.

Das zeigt, dass diese Bundesregierung keineswegs
Mindestlöhne unterlaufen will, wie es heute dargestellt
wurde. Sie will sie auch vernünftig kontrollieren. Aller-
dings können wir nicht für jeden Betrieb zwei Mitarbei-
ter vom Zoll abstellen, um zu gewährleisten, dass nie-
mand eine falsche Zahl in den Ordner schreibt. Dann
hätten wir uns manches andere in der Geschichte
Deutschlands sparen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen
guten Entwicklungen machen aber auch wir uns große
Sorgen um die Situation der Langzeitarbeitslosen. Inso-
fern treffen wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen
der SPD, mit denen wir gemeinsam mit der Bundesar-
beitsministerin an dieser Aufgabe arbeiten. Ich verstehe
auch die Sorgen, die die Fraktionen der Grünen und der
Linken vorbringen. Auch uns ist es nicht egal, wie es mit
der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit weitergeht.
Auch uns treibt um, dass Menschen es so schwer haben,
den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden.

Deswegen ist es gut, dass wir die arbeitsmarktpoliti-
schen Instrumente, mit denen wir helfen können, immer
wieder neu überprüfen und überarbeiten. Dazu gehört
auch, dass wir Brücken bauen und einen Hilfeweg ein-
schlagen müssen, der für einen längeren Zeitraum als auf
ein halbes Jahr Hilfe angelegt ist. Die Förderung muss
über viele Jahre gehen, um Menschen, die sich beson-
ders schwertun, treppenartig, sukzessive an den ersten
Arbeitsmarkt heranzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie mich einen Punkt aufgreifen, den Frau
Bundesarbeitsministerin vorhin mit Blick auf die Behin-
derten angesprochen hat. Ich möchte das auch auf die
Langzeitarbeitslosen beziehen. Ich glaube, es ist an der
Zeit, dass wir in den Jobcentern, in den Unternehmen
und in unserer Gesellschaft den Blick nicht länger darauf
richten, was Menschen alles nicht können, sondern da-





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

rauf, was sie alles können. Wir müssen bei ihren Stärken
und Begabungen ansetzen, um sie weiterzuentwickeln.
Denn ich glaube, dass manches, was sich als Defizit dar-
stellt, abgearbeitet, beseitigt und zu etwas Positivem ent-
wickelt werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was uns und mich besonders umtreibt, ist die Lebens-
situation der Langzeitarbeitslosen, aber vor allen Dingen
auch der jungen Menschen, die aus Haushalten kommen,
deren Eltern und Großeltern schon lange von Sozialhilfe
leben. Wir machen die Erfahrung, dass diese jungen
Menschen von niemandem erreicht werden. Sie werden
nicht von den Jobcentern erreicht. Sie tauchen in der
Schule ab. Sie sind nicht durch sozialstaatliche Institu-
tionen zu erreichen. Sie sind aber da, und sie werden,
wenn wir ihnen nicht konsequent helfen, denselben Weg
nehmen wie ihre Eltern.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Sehr richtig!)


Wir müssen dagegen angehen. Sie leben in Lebenszu-
sammenhängen, in denen sie das, was sie erleben, für die
ganze Wirklichkeit halten.

Aber, meine Damen und Herren, diese jungen Men-
schen haben genauso Begabungen und Fähigkeiten wie
die Kinder aus anderen Haushalten. Sie haben genau wie
diese Fähigkeiten, die entwickelt werden müssen. Denn
wir können auf keinen verzichten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir brauchen sie.

Es gibt genügend Initiativen, die mit großem Erfolg
daran arbeiten. Ich kenne eine Initiative, die es geschafft
hat, junge Menschen, auf die keiner einen Pfifferling ge-
geben hätte, nach zwanzig Jahren konsequenter Arbeit
zur Fachhochschulreife zu bringen. Wissen Sie, diesen
Blickwinkel zu schärfen und hier die Angebote zu entwi-
ckeln, das halten wir für einen wichtigen Teil. Deswegen
bin ich den Haushältern, insbesondere unseren beiden
Berichterstattern Axel Fischer und Ewald Schurer, mit
tatkräftiger Unterstützung vieler in manchen Einrichtun-
gen unserer Bundesregierung, dankbar, dass es gelungen
ist, in diesem Bundeshaushalt die Möglichkeit für Mo-
dellprojekte für diese jungen Menschen zu eröffnen. Ich
hoffe sehr, dass wir im kommenden Jahr damit anfangen
können. Das ist der Weg, den wir dringend benötigen,
um gerade dort, wo niemand mehr herankommt und wo
niemand mehr erreicht wird, diesen jungen Menschen zu
helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Im Mittelpunkt steht dabei, meine Damen und Her-
ren, das, was uns als Union in der Arbeitsmarktpolitik
umtreibt: Es darf keiner verloren gehen. – Das ist nicht
nur eine Frage des Geldes,


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch!)


das ist auch eine Frage des Klimas, das wir miteinander
schaffen. Ich kann nur sagen: Ich glaube, dass wir da
miteinander auf einem Weg sind oder uns auf diesen be-
geben, der deswegen erfolgreich sein kann – und ich
hoffe, auch erfolgreich ist –, weil wir zwei Rahmenbe-
dingungen haben, die uns diesen Weg erleichtern: auf
der einen Seite eine gute Wirtschafts- und Beschäfti-
gungslage, auf der anderen Seite die Nachfrage nach
Fachkräften. Ich kann die deutsche Wirtschaft und alle
anderen nur auffordern, den Blick bitte mit uns gemein-
sam auf dieses Potenzial von jungen Menschen, auf das
Potenzial derjenigen zu richten, die keine Berufsausbil-
dung haben, obwohl sie 25 Jahre und älter sind, und mit
uns gemeinsam diesen jungen Menschen eine neue be-
rufliche Perspektive zu öffnen. Wir kommen in dieser
Frage nicht weiter mit Ideologie, sondern nur, indem wir
jeden Einzelnen in den Blick nehmen und jedem Einzel-
nen eine Chance geben. Ich sage Ihnen: Das ist ein wich-
tiges Anliegen der Union, und dafür werden wir uns ge-
meinsam mit unserem Koalitionspartner und mit der
Bundesarbeitsministerin einsetzen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letz-
ten Satz sagen, zum Bereich der Rentenpolitik. – Herr
Kollege Kurth, das reizt mich doch;


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt Sie nicht auch noch!)


das ist Ihnen in herausragender Weise gelungen. – Nein,
diese Rentenpolitik ist nicht verantwortungslos, sondern
wir würdigen durch einen weiteren Rentenpunkt die Er-
ziehungsleistung von Menschen – Frauen in erster Li-
nie –, die dafür gesorgt haben, alles darangesetzt haben,
dass die Kinder geboren und erzogen wurden, die heute
dafür sorgen, dass es diese Wirtschaft überhaupt so gibt,
wie es sie gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieser Rentenpunkt, meine Damen und Herren, ist nicht
allein beitragsfinanziert, dieser Punkt ist auch steuer-
finanziert; da sind erhebliche Steuern eingeflossen.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Minimal!)


Wir haben nämlich in diesem Zusammenhang beschlos-
sen, dass wir ab 2017/2018 eigens dafür 2 Milliarden
Euro zusätzlich in die Rentenkasse fließen lassen wer-
den, weil das notwendig ist, um damit eine Gesamtfinan-
zierung auf Dauer gesehen verantwortungsvoll sicherzu-
stellen.

Meine Damen und Herren, mit uns wird es keine ver-
antwortungslose Rentenpolitik geben. Wir haben den
Blick auf die junge Generation gerichtet. Wir werden
auch weiter daran arbeiten, dass die Übergänge in die
Rente gut gestaltet werden. Wir werden mithelfen, dass
Menschen so lang wie möglich erwerbstätig sein kön-
nen, weil wir auf keinen verzichten können bei der Auf-
gabe, dieses Land gemeinsam zukunftsfähig zu machen.
Dafür steht dieser Haushalt, dafür steht diese Regierung,
und dafür werden wir uns einsetzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2018 sprechen wir uns wieder!)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1807013600

Vielen Dank. – Jetzt hat das Wort Ekin Deligöz.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807013700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Schiewerling, was Sie über die Chancen
von Kindern gesagt haben – dass wir kein Kind fallen
lassen dürfen –, hat mir, ehrlich gesagt, gut gefallen. Ich
erkenne an: Für Sie ist das wirklich ein Fortschritt. – Für
uns ist das seit zwanzig Jahren Programm.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Na ja!)


Die Frage ist allerdings, ob Sie das, was Sie hier gesagt
haben, auch wirklich verinnerlicht haben, ob das mehr
ist als warme Worte, ob Sie das in Ihrer Politik umset-
zen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da, muss ich gestehen, fehlt mir noch ein bisschen was
in Ihrer Politik.

Natürlich schließe ich mich aber zunächst hier als
Hauptberichterstatterin dem Dank an die Kollegen Be-
richterstatter, an das Haus, an Ihre Mitarbeiter, Frau
Nahles, an. Die Beratungen liefen extrem gut und auch
in einer guten Atmosphäre. Wir haben viele Stunden ge-
tagt. Nicht umsonst reden wir hier über den größten Ein-
zelhaushalt. Das heißt aber nicht, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass wir in allem einer Meinung waren. Das
darf nicht missverstanden werden.

Eines müssen wir aber alle gemeinsam wahrnehmen:
Die Belastungen in diesem Einzelplan werden in den
kommenden Jahren beträchtlich sein. Wir mussten noch
während der Haushaltsplanungen 1,2 Milliarden Euro
für ALG II und KdU draufpacken, weil die Titel schlicht
und einfach zu niedrig berechnet waren. Ähnliches gilt
auch für die Rente. Da hat mein Kollege Kurth schlicht
und einfach recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie reden davon, was 2018 kommt. Aber er spricht aus,
was wir alle wissen und worin wir ihn bestätigen müs-
sen: Die Kosten werden laut den Prognosen noch stei-
gen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Sie werden mit
Wucht an uns herangetragen. Das wird unseren Hand-
lungsspielraum in der Sozialpolitik extrem schmälern.
Das ist übrigens der Grund, warum wir von den Grünen
der Meinung sind, dass wir hier keinen Cent zu ver-
schwenden haben und uns auf die wichtigen sozialpoliti-
schen Aufgaben konzentrieren müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine der wichtigsten Aufgaben in diesem reichen
Land ist nun einmal die Bekämpfung der Armut. Wenn
es um Armut im Alter geht, warten wir noch immer auf
Antworten von Ihnen. Der Regelsatz bleibt unangemes-
sen niedrig. Zu den Regelungen betreffend die Erwerbs-
minderungsrente und die Grundsicherung im Alter hören
wir von Ihnen nichts. Die Lebensleistungsrente ist ver-
schollen. Selbst von dem Schulsozialarbeitsprogramm
zur Chancengerechtigkeit von Kindern, das einmal in
unserem Haushalt war, ist nichts mehr zu sehen und zu
hören. Herr Schiewerling, deshalb habe ich vorhin ge-
sagt, dass Sie nicht nur reden sollen, sondern auch han-
deln müssen. Das muss seinen Niederschlag auch im
Haushaltsplan finden; es reicht nicht, es in der Haus-
haltsrede zu erwähnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zur Langzeitarbeitslosigkeit. Ja, das ist
ein brennender Punkt, den wir stärker in den Fokus neh-
men müssen; das ist richtig. Aber was Sie vorgelegt ha-
ben, Frau Nahles, ist nichts anderes als Kosmetik. Sie
machen uns etwas vor. Faktisch richten Sie bestehende
Mittel einfach nur neu aus. Programme lösen Pro-
gramme ab. De facto kommen keine neuen Mittel dazu.
Wir bleiben bei dem, was sowieso schon vorhanden ist,
benennen es nur anders; so bleibt die Wirkung begrenzt:
Sie wollen 43 000 Menschen erreichen, und das bei
1 Million Langzeitarbeitslosen, von denen wiederum
rund 200 000 bis 300 000 gravierende Zugangshemm-
nisse zum regulären Arbeitsmarkt haben. Sie visieren
gerade einmal einen Bruchteil des tatsächlichen Prob-
lems an. Hier sollten Sie aber etwas ambitionierter her-
angehen. Hier geht es darum, etwas zu bewegen, was
dieses Land dringend braucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssen hier zugeben, dass Sie den Aktiv-Passiv-
Transfer nicht wollen.


(Zuruf von der CDU/CSU: „Passiv-Aktiv-Transfer“ heißt das!)


Ich weiß, dass die Kollegen von CDU/CSU und SPD
hier durchaus Sympathien zeigen.


(Katja Mast [SPD]: Die ganze Fraktion macht das!)


Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und bald
auch Hessen marschieren voraus und sagen: Das ist et-
was, was wir wirklich angehen müssen. – Aber Sie sind
nicht willens. Lassen Sie uns doch wenigstens auf Bun-
desebene ein Pilotprojekt starten, um zu schauen, ob es
funktioniert oder nicht. Seien Sie mutig! Das, was die
Bundesländer an guten Erfahrungen machen, können wir
übernehmen, und darauf können wir uns auch verlassen.
Wenn wir positive Veränderungen nicht nur für einige
wenige, sondern für viele erreichen wollen, müssen wir
an dieser Stelle mutiger voranschreiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenig Klarheit herrscht übrigens auch bei den Ein-
gliederungsmitteln und den Verwaltungskosten. Hier
verhält es sich ein wenig so wie in dem Film Und täglich
grüßt das Murmeltier. Da wird schon wieder – wie in all
den Vorjahren – Geld in Richtung Verwaltung umge-
schichtet. Das übt Druck auf die Eingliederungstitel
aus. Wir brauchen hier im Sinne von Haushaltsklarheit
und -wahrheit eine bessere Struktur, um das besser nach-
vollziehen zu können.

Noch ein Thema, das noch nicht zur Sprache kam:
Flüchtlinge. Die Arbeitsagenturen sind noch nicht darauf





Ekin Deligöz


(A) (C)



(D)(B)

vorbereitet, was da auf uns zukommt. Dabei hätten wir
jetzt die Chance, vorbereitet diese Thematik anzugehen,
statt der Entwicklung hinterherzurennen. Wir von den
Grünen haben dazu einen Antrag vorgelegt, in dem wir
ganz viele Beispiele aufgezeigt haben, wie das in diesem
Bereich durchdekliniert werden kann. Darauf können
Sie sich gerne berufen, wenn es darum geht, in diesem
Bereich aktiv zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, es ist gut, dass es die Mindestlohnkommission
samt Geschäftsstelle gibt. Es ist schade, dass es dafür
keine neuen Mittel gab. So mussten wir die Finanzierung
durch wenig überzeugende Umschichtungen ermögli-
chen, damit diese eingerichtet werden konnte. Ich wün-
sche Frau Rothe von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin gutes Gelingen dabei; denn von der
Arbeit und von den Ergebnissen wird viel Kulturwandel
in diesem Land abhängen.

Zum Schluss erlauben Sie mir, Frau Präsidentin, noch
einen Appell, den man leider schon wieder anbringen
muss. Es geht um den Fonds zur Aufarbeitung der Heim-
erziehung in Behindertenhilfe und Kinderpsychiatrien.
Ich glaube, ich spreche im Namen aller Berichterstatter
des Einzelplans 11, wenn ich die Länder eindringlich
auffordere, in diesem Bereich aktiver ihren Beitrag zu
leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei vielen Titeln können wir verstehen, dass die Länder
andere Interessen haben; hier fehlt mir jegliches Ver-
ständnis. Wir sind gemeinsam verantwortlich. Deshalb
muss jedes Land, jeder für sich einen Beitrag dazu leis-
ten. Das sind wir den Opfern schuldig. Da gibt es keine
Entschuldigung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und des Abg. Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU])


Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807013800

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Ralf

Kapschack das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1807013900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer! In Deutschland haben so viele Men-
schen einen Job wie nie zuvor. Das stimmt. Es stimmt
natürlich auch, dass die pure Zahl noch nicht so ganz
viel über die Qualität dieser Arbeitsplätze aussagt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!)


– Ja, zugegeben. – Aber man muss trotzdem zur Kennt-
nis nehmen, dass nicht nur Teilzeit- und befristete Ar-
beitsverhältnisse geschaffen worden sind, sondern auch
jede Menge sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs.
Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden mit dem gesetzlichen Mindestlohn dafür
sorgen, dass deutlich mehr Menschen von ihrer Arbeit
auch leben können.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden durch neue Regeln die Ordnung auf dem Ar-
beitsmarkt verbessern.

Ich bin gestern Abend mit der U-Bahn zu meiner
Wohnung gefahren.


(Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Lassen Sie mich den Gedanken eben zu Ende führen. –
Im U-Bahnhof war ein Werbebanner, auf dem mich ein
junger Mann anschaute. Auf seiner Brust war eine Auf-
schrift mit dem Text: „Habt ihr uns vergessen?“ Es ging
um neue Perspektiven für Langzeitarbeitslose.


(Zuruf von der LINKEN: Von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft!)


– Ja. Ich habe mit der Initiative Neue Soziale Marktwirt-
schaft relativ wenig am Hut, aber die Frage, die da ge-
stellt wird, muss man doch beantworten können. – Die
Frage kann ich gut beantworten: Nein, wir haben nie-
manden vergessen, erst recht nicht die Langzeitarbeitslo-
sen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, dieser Haushalt – auch wenn Sie anderer
Meinung sind – ist ein Beleg dafür; denn mit den Pro-
grammen, die die Ministerin ausführlich erläutert hat,
wird klar: Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit
ist für diese Regierung und insbesondere für die Sozial-
demokraten ein ganz besonderes Thema, ein zentrales
Anliegen.


(Beifall bei der SPD)


Die beiden Programme „Chancen eröffnen – soziale
Teilhabe sichern. Konzept zum Abbau der Langzeitar-
beitslosigkeit“ und „Perspektiven in Betrieben“ sind
Schritte in die richtige Richtung. Intensive Betreuung ist
das A und O bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslo-
sen.


(Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich habe Sie nicht vergessen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807014000

Herr Kollege Kapschack, gestatten Sie denn die Zwi-

schenfrage?


Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1807014100

Ja, gut.






(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807014200

Bitte schön.


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807014300

Herr Kapschack, es tut mir leid, aber die Präsidentin

hat immer nur nach rechts geschaut, nicht nach links.

Ich habe hier eine Statistik, die zu dem Thema passt,
nachdem wir schon den ganzen Tag darüber geredet ha-
ben, wie toll es ist, dass so viele Beschäftigungsverhält-
nisse geschaffen wurden. Nach dieser Statistik wurden in
den letzten zehn Jahren 1 Million neue Beschäftigungs-
verhältnisse geschaffen, aber leider ist es nicht so, dass
man sagen könnte, dass alle etwas davon gehabt haben.
Wie gesagt: 1 Million mehr insgesamt. Aber die Zahl der
normal Beschäftigten ist in dem gleichen Zeitraum um
2,4 Millionen gesunken. Das heißt, es wurden zwar
1 Million Beschäftigungsverhältnisse mehr geschaffen,
aber die Normalarbeitsverhältnisse verzeichnen ein Mi-
nus von 2,4 Millionen. Bei den atypisch Beschäftigten
gibt es ein Plus von 3,3 Millionen, bei den befristet Be-
schäftigten ein Plus von 600 000, bei den Teilzeitbe-
schäftigten ein Plus von 2,4 Millionen, bei den geringfü-
gig Beschäftigten ein Plus von 1,8 Millionen, bei den
Leiharbeitnehmern gibt es ein Plus von 700 000. Ist Ih-
nen das bekannt, und was sagen Sie dazu?


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807014400

Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. – Bitte schön,

Herr Kapschack.


Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1807014500

Natürlich ist mir das bekannt. Das ändert aber nichts

an meiner Einschätzung, dass die Zahl sozialversiche-
rungspflichtiger Vollzeitarbeitsplätze zugenommen hat.
Nichts anderes habe ich gesagt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte auf das Thema Langzeitarbeitslosigkeit
zurückkommen. Eine intensive Betreuung – ich habe es
angesprochen – ist das A und O, wenn man Langzeitar-
beitslose wieder in Beschäftigung bringen will. Gerade
in dieser Woche ist das sehr anschaulich und sehr positiv
in der Wirtschaftswoche beschrieben worden; dabei ist
die Wirtschaftswoche alles andere als ein Zentralorgan
der deutschen Sozialdemokratie.

Die Opposition sagt, das sei nicht genug. Da sind wir
gar nicht so weit auseinander. Ich komme aus dem Ruhr-
gebiet – das wissen manche –, und da fallen – das wissen
manche immer noch nicht – keine Briketts vom Himmel.
Das Ruhrgebiet ist auch nicht das Armenhaus der Na-
tion. Das wird deutlich, wenn man sich die Wirtschafts-
leistung pro Kopf anschaut. Richtig ist aber, dass es er-
hebliche Probleme am Arbeitsmarkt gibt. Diese
Probleme haben mit dem Strukturwandel zu tun. Wenn
man sich die Arbeitslosenquote unter dem Blickwinkel
des SGB II anschaut, dann stellt man fest, dass von den
15 Städten mit der höchsten Arbeitslosenquote ungefähr
fünf bis sechs Städte, also etwa ein Drittel, im Ruhrge-
biet liegen. Diese Probleme gibt es aber nicht nur im
Ruhrgebiet, sondern auch in anderen Teilen der Repu-
blik. Diese Probleme gibt es in Bremerhaven genauso
wie in Pirmasens und in Frankfurt an der Oder.

Ich werbe hier – das Thema ist schon ein paarmal an-
gesprochen worden – für einen neuen Weg, der zusätzli-
che Möglichkeiten eröffnen wird. Lassen Sie uns da, wo
wir Verantwortung tragen, parteiübergreifend dafür sor-
gen, dass stärker Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf Fachebene wird das als Passiv-Aktiv-Tausch disku-
tiert. Gelder, die bislang für passive Leistungen, also für
Hartz IV oder Kosten der Unterkunft, ausgegeben wer-
den, sollen für die Schaffung von Beschäftigung in den
Bereichen verwendet werden, in denen das sinnvoll und
notwendig ist. Dafür werbe ich vor allem bei den Kolle-
ginnen und Kollegen der CDU/CSU, weil ja bekannt ist,
dass der Bundesfinanzminister diesen Ansatz noch nicht
so richtig überzeugend findet. Deshalb, und nur deshalb
können wir diese Idee zurzeit bundesweit noch nicht um-
setzen.

Das ist eine Idee von Kommunen, Sozialverbänden
und anderen, die in den vergangenen Jahren immer wie-
der auf den Tisch gelegt worden ist, zuletzt von meinen
ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen. Es geht um ei-
nen völlig anderen Ansatz als bisher. Es geht darum, Ar-
beit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren – darum geht
es –, und darum, die begrenzten Mittel besser einzuset-
zen: im Interesse der Menschen, im Interesse der Sozial-
kassen und auch im Interesse der Kommunen.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir
zumindest ein paar Modellprojekte in den besonders be-
troffenen Regionen auf den Weg bringen. Ich bin sicher,
es lohnt sich.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807014600

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält

jetzt Stephan Stracke das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1807014700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Bundesagentur für Arbeit hat heute die Ar-
beitslosenzahlen für den Monat November auf den Tisch
gelegt. Danach ist der Arbeitsmarkt in Deutschland wei-
ter robust. Trotz der wirtschaftlichen Unsicherheiten fin-
den sich keinerlei Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt.
Wir haben derzeit fast 43 Millionen Erwerbstätige dank
der hervorragenden Wirtschaftsleistung und unserer Un-
ternehmen, die hier Treffliches leisten. Gegenüber 2005
stellt das eine Halbierung der Arbeitslosenquote dar.





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)

Bayern hat es vorgemacht. Der Arbeitsmarkt im Frei-
staat ist Monat für Monat Klassenbester in Deutschland.
Die Arbeitslosenquote in Bayern beträgt derzeit ledig-
lich 3,4 Prozent gegenüber 6,3 Prozent im Bundesdurch-
schnitt. Das kommt nicht von ungefähr. Das hat damit zu
tun, dass wir von Anfang an Wert darauf gelegt haben,
erstens keine neuen Schulden zu machen und zweitens
Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Genau das tun
wir jetzt auch auf Bundesebene beim Haushalt: Endlich
gibt es die schwarze Null. Das ist die Antwort für die
junge Generation.

Gleichzeitig richten wir den Blick nach vorn. Wir
treiben nicht nur das voran, was wir im Koalitionsver-
trag festgelegt haben, nämlich Investitionen in Höhe von
23 Milliarden Euro, sondern darüber hinaus wollen wir
in den nächsten Jahren zusätzlich 10 Milliarden Euro für
eine bessere Infrastruktur, insbesondere für Straßen und
den Breitbandausbau, ausgeben.

Wir haben in Deutschland einen starken Sozialstaat.
Das System der sozialen Sicherung in Deutschland weist
insgesamt ein Volumen von rund 800 Milliarden Euro
aus. Die Sozialleistungsquote liegt bei etwa 30 Prozent.
Ich kenne kein europäisches Land, das in diesem Be-
reich vergleichbar gut wie Deutschland aufgestellt ist.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Bayern!)


– Außer natürlich Bayern. Bayern ist bei all diesen The-
men natürlich immer vorbildlich, Frau Kollegin. Schön,
dass Sie das vonseiten der Linken anerkennen. Das mag
Ihnen auch Zuspruch geben für das, was Sie unter ande-
rem in Thüringen vorhaben.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sozial-
staat in Deutschland funktioniert. Die Menschen sind ge-
gen die zentralen Risiken gut abgesichert. Die Schwa-
chen können sich auf die Starken verlassen, und auch die
Gutsituierten helfen denen, die weniger haben. Auch das
Ausmaß der Umverteilung in Deutschland ist im interna-
tionalen Vergleich groß; das hat der Sachverständigenrat
in seinem jüngsten Jahresgutachten noch einmal glasklar
beschrieben.

Entscheidend, gerade für den kleinen Mann, ist der
Beitragssatz. Der Beitragssatz ist die Steuer des kleinen
Mannes. Deswegen war es immer Unionspolitik, den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag möglichst unter 40 Pro-
zent zu halten. In den letzten Jahren haben wir es ge-
schafft, gerade was den Rentenbeitrag angeht, eine
Entlastung von über 12 Milliarden Euro zustande zu
bringen.


(Zurufe der Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] und Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das ist eine riesige Leistung. Mehr Geld in den Taschen
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem
Land, das ist etwas, was damit zu tun hat, dass die Rah-
menbedingungen in diesem Land hervorragend sind. Da-
für hat diese Bundesregierung in den letzten neun Jahren
trefflich gesorgt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sinkende Rentenbeiträge, steigende Renten, volle
Rücklagen mit 33,5 Milliarden Euro und die Tatsache,
dass die Potenziale der älteren Beschäftigten auf dem
Arbeitsmarkt wieder deutlich mehr geschätzt werden,
das sind die Erfolge unserer schwarz-rot geführten Bun-
desregierung.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit der Bundesregierung überhaupt nichts zu tun!)


Das zeigt: Wir machen Politik für die Menschen, die bei
den Menschen auch ankommt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem
Rentenpaket haben wir zentrale Punkte beschlossen, ins-
besondere was die Mütterrente angeht. Ich möchte hier
einmal mit der Mär aufräumen, dass die Mütterrente ge-
genwärtig nicht steuermittelfinanziert sei.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird auch nicht besser, wenn Sie es wiederholen!)


Das Gegenteil ist richtig. Die derzeitigen Rentenzahlun-
gen sind, was die Kindererziehungszeiten angeht, natür-
lich zur Gänze steuermittelfinanziert. Insofern ist das
genau der richtige Ansatz. Wir haben auch in der Sach-
verständigenanhörung noch einmal herausgearbeitet,
dass seit den 90er-Jahren rund 100 Milliarden Euro mehr
an Steuermitteln aufgrund der Kindererziehungszeiten
ins System geflossen sind, als derzeit tatsächlich ge-
braucht werden.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle Sachverständigen haben gesagt, dass solle durch aktuelle Steuern finanziert werden!)


Insofern ist die Mütterrente natürlich nachhaltig finan-
ziert.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt überhaupt nicht!)


– Herr Kurth, da nutzt es auch nichts, wenn Sie dazwi-
schenrufen.

Wir müssen allerdings, was die arbeitsmarktpoliti-
schen Instrumente angeht, aufpassen, dass wir keine
neuen Anreize schaffen, gerade was die gut Qualifizier-
ten in diesem Land angeht, früher in Rente zu gehen.
Deswegen: Ich sehe nicht, dass wir weitere Anreize
schaffen sollten im Hinblick auf eine Reduzierung der
Altersgrenze von 63. Wir sind dabei, uns im Rahmen ei-
ner Arbeitsgruppe zu überlegen, wie wir flexibles Arbei-
ten bis zum Erreichen der Rentenaltersgrenze und auch
danach attraktiver machen können.

Auch hier darf ich darauf hinweisen, dass wir schon
einiges erreicht haben, insbesondere, dass heutzutage ein
Arbeitsverhältnis rechtssicher fortgesetzt werden kann,
wenn man das Renteneintrittsalter erreicht hat. Das ge-
währleistet ein viel höheres Maß an Flexibilität. Diejeni-
gen, die nach Erreichen der Rentenaltersgrenze weiterar-
beiten, stocken durch ihre Sozialversicherungsbeiträge
nicht nur ihre Rente auf, sondern sie bekommen auch
noch einen Zuschlag in Höhe von 6 Prozent. Das ist et-





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)

was, was wir deutlicher bekannt machen sollten, gerade
aufgrund der Zinslage in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
den Mindestlohn als einen Mindestschutz für Beschäf-
tigte eingeführt. Dabei ging es uns vor allem darum, eine
starke Mindestlohnkommission zu haben, die tatsächlich
darauf achtet, dass Beschäftigung in diesem Land nicht
behindert wird. Deswegen ist es gut, dass wir in diesen
Haushaltsberatungen die finanziellen und personellen
Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass wir nun
eine Geschäfts- und Informationsstelle haben, die arbei-
ten kann und genau den gesetzgeberischen Auftrag,
nämlich Evaluation vorzunehmen, erfüllen kann. Inso-
fern ein herzliches Dankeschön an die Haushälter der
Fraktionen, dass dies möglich war und dass wir den ge-
setzgeberischen Willen entsprechend umsetzen können.

Wir setzen uns gleichzeitig für eine zeitnahe Evalua-
tion des Mindestlohns ein. Deswegen haben wir das
BMAS gebeten, das Institut für Arbeitsmarkt- und Be-
rufsforschung zu beauftragen, um möglichst schnell Er-
kenntnisse zu gewinnen, wie der Mindestlohn ab dem
1. Januar 2015 tatsächlich wirkt.

Beim Mindestlohn geht es immer auch um die Frage
der Entbürokratisierung und der Kontrolle.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Ja!)


Natürlich ist Kontrolle im Rahmen des Mindestlohns un-
abdingbar. Aber wir müssen uns auch immer wieder vor
Augen führen, dass wir den administrativen Aufwand
auf ein erträgliches Maß begrenzen müssen. Deswegen
haben wir als Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass beispielsweise Dokumentationspflich-
ten im Sinne größerer Flexibilität den spezifischen Be-
dürfnissen der Praxis angepasst werden können. Deswe-
gen haben wir eine Verordnungsermächtigung an das
Arbeitsministerium und das Finanzministerium erteilt.
Hier sind schon gute Veränderungen auf den Weg ge-
bracht worden. Wir sollten die Spielräume für Entbüro-
kratisierung bei diesem Thema in der Tat nutzen.

Ein wichtiges Thema, das uns in Zukunft beschäfti-
gen wird, ist die Tarifeinheit. Hier gilt der Grundsatz: ein
Betrieb – ein Tarifvertrag. Dieser hat sich über die Jahr-
zehnte hinweg bewährt. Er verhindert auch, dass ein-
zelne Berufsgruppen ihre Schlüsselposition nutzen, um
eigene Interessen gegenüber den Interessen der Gesamt-
belegschaft vorrangig durchzusetzen. Das gefährdet
nämlich nicht nur den Betriebsfrieden, sondern belastet
insgesamt auch die Wirtschaft. Deswegen werden wir
den Grundsatz der Tarifeinheit schärfen.


(Beifall des Abg. Axel E. Fischer [KarlsruheLand] [CDU/CSU])


Dazu wollen wir eine Tarifkollisionsregelung auf den
Weg bringen.

Wir werden nicht das Streikrecht regeln – das bleibt
den Gerichten überlassen –, aber wir setzen zwei An-
haltspunkte: zum einen das Mehrheitsprinzip – das ist
am nächsten an der Verfassung – und nicht etwa das
Günstigkeits- oder Spezialitätsprinzip. Zum anderen
überlegen wir, das betriebsbezogen zu machen. So wäre
die Eingriffstiefe insgesamt am geringsten, und das führt
dazu, dass wir den verfassungsrechtlich möglichen Pfad,
der zugegebenermaßen ein schmaler ist, meines Erach-
tens einhalten können.

Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist ein
ganz zentrales Thema. Hier sind wir erfolgreich gewe-
sen. In Bayern beispielsweise ist es den Jobcentern ge-
lungen, viele marktnahe Kunden, aber auch solche mit
Vermittlungshemmnissen in Arbeit zu bringen. Dabei
muss es in erster Linie darum gehen, die Beschäfti-
gungsfähigkeit der Betroffenen aufrechtzuerhalten oder
wiederherzustellen bzw. der Entstehung von Vermitt-
lungshemmnissen entgegenzuwirken. Dazu bedarf es ei-
nes ganzheitlichen Ansatzes. Passgenaue Maßnahmen
und umfassende Betreuung setzen auch ausreichende fi-
nanzielle Mittel der Jobcenter voraus. Wir haben ge-
zeigt, was der richtige Weg ist, in Bayern beispielsweise
mit den Projekten „TANDEM“ für Nürnberg und Fürth
oder „KAJAK“. Diesen Weg sollten wir weitergehen.

Wir sind in diesem Jahr im Rahmen der Sozialpolitik
erfolgreich gewesen. Wir stehen für eine Sozialpolitik
mit Augenmaß: Belohnung der Lebensleistung der heute
Älteren, aber auch Verantwortung für die kommenden
Generationen und gleichzeitig Abkehr von der Politik
der Schuldenfinanzierung. Das zeichnet diese Bundesre-
gierung aus. In dem Sinne wollen wir auch die nächsten
Jahre gemeinsam weitermachen. Ich bitte um Unterstüt-
zung hierfür.

Herzliches Dankeschön!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807014800

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja

Mast, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1807014900

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!

Frau Präsidentin! Wir diskutieren hier den Einzelplan 11.
Der Einzelplan 11 ist der Haushalt des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Gut, dass das noch einmal einer sagt!)


und aus meiner Sicht der größte Zukunftsetat des Ge-
samthaushalts und damit auch dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD)


Haushaltspolitik ist auch immer Politik in materieller
Form. Bei den Haushaltsberatungen spielen natürlich
auch immer die politischen Schwerpunkte eine Rolle.

Wir hatten in den Haushaltsberatungen jetzt mehrere
Fragen zu Verordnungen der Bundesregierung zur Ar-
beitszeiterfassung im Rahmen der Mindestlohngesetzge-
bung. Für den Haushalt wichtig ist zuerst einmal, dass es





Katja Mast


(A) (C)



(D)(B)

den Mindestlohn gibt. Er kommt, und er gilt im Grund-
satz ab 1. Januar 2015 – und mit einer Brücke für alle an-
deren zwei Jahre später.

Zur Mindestlohnverordnung will ich etwas vorschla-
gen, nachdem es viele Nachfragen und kontroverse De-
batten hierzu im Plenum gegeben hat. Dabei ging es un-
ter anderem um die Arbeitszeiterfassung für Menschen,
die nicht im Betrieb arbeiten, sondern mobil unterwegs
sind, zum Beispiel Zeitungszusteller. In der Verordnung
ist festgehalten, dass geregelt werden soll, wie die Zei-
tung in einem Gebiet zugestellt wird und wie viel Zeit
man im Schnitt braucht. Dann ist es eigentlich nur noch
wichtig, zu sagen, an welchen Tagen man Zeitungen aus-
getragen hat. Jetzt ist aber die Frage: Was passiert ei-
gentlich, wenn einmal schlechtes Wetter ist oder Schnee
liegt? – Das Problem ist dann, dass die Arbeitszeit ein
bisschen länger sein kann. Alle, die wie ich schon einmal
in ihrem Leben Zeitungen ausgetragen haben, wissen ge-
nau, wovon ich gerade rede.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das kenne ich auch!)


Dafür gibt es ein ganz praktikables Verfahren: Wenn
man die Zeitungen erhält, wird ein Zettel mitgeliefert,
auf dem man gegebenenfalls einträgt, dass man länger
gebraucht hat. Damit ist die Arbeitszeit erfasst.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ob das funktioniert?)


Wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales sind fach-
lich hochinteressierte Kolleginnen und Kollegen aller
Fraktionen. Wir haben ja das Recht der Selbstbefassung.
Insofern schlage ich vor: Lassen Sie uns doch in der
nächsten oder übernächsten Sitzung mit dieser Verord-
nung selbst befassen und die Fachfragen klären. Dann
können wir uns immer noch politisch darüber streiten,
ob sie Missbrauch ermöglicht oder nicht.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807015000

Frau Kollegin Mast, könnten Sie jetzt im Zuge der

Selbstbefassung entscheiden, ob die Kollegin Pothmer
Ihnen eine Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbe-
merkung machen kann?


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1807015100

Eigentlich bin ich jetzt gerade nur auf die eben ge-

stellte Zwischenfrage der Kollegin Pothmer eingegan-
gen. Deshalb würde ich vorschlagen, das im Rahmen ei-
ner Kurzintervention am Ende der Rede zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will zu meinem eigentlichen Punkt zurückkom-
men: Ich will über den Zukunftsetat sprechen, den wir
hier haben. Bei diesem Zukunftsetat geht es aus meiner
Sicht um eine der zentralsten Fragen für die Bundesrepu-
blik Deutschland. Aus meiner Sicht ist die wichtigste
Frage im Hinblick auf die Sicherheit der sozialen Siche-
rungssysteme und unseren Wohlstand: Schaffen wir es,
unser Fachkräftepotenzial in Zukunft zu sichern? Ich
komme aus Baden-Württemberg; da hat man eine beson-
dere Sicht, denn es gibt dort schon viele Betriebe, die
händeringend nach Fachkräften suchen. Ich finde es
wichtig, zu schauen: Gibt es denn in diesem Haushalt
Antworten auf diese zentrale Zukunftsfrage? Wenn ich
mir den Haushalt anschaue, dann finde ich darin ziem-
lich viele Antworten.

Es gibt zum Beispiel die Antwort, dass wir für die In-
tegration junger Menschen zusätzlich 530 Millionen
Euro in die Hand nehmen, um Berufseinstiegsbegleiter
zu finanzieren. Das sind Menschen, die Jugendliche
schon in der Schule, ab Klasse sieben, begleiten und
schließlich gleichsam als Brücke noch in den ersten
sechs Monaten der Ausbildung. Das halte ich für ein
ganz wichtiges Instrument, um gerade den Jugendlichen
zu helfen, die heute bei der dualen Ausbildung vielleicht
durch den Rost fallen.


(Beifall bei der SPD)


Es ist deshalb eine wichtige Antwort auf die Frage der
Sicherung der Fachkräfte der Zukunft.

Wir diskutieren gerade im Bund ein Bündnis für Aus-
und Weiterbildung. Fast alle Maßnahmen, die da disku-
tiert werden, liegen im Verantwortungsbereich des Bun-
desarbeitsministeriums. Auch da geht es um Zukunfts-
fragen junger Menschen.

Wir diskutieren heute noch mit unserem Koalitions-
partner die Frage nach flexiblen Übergängen in die
Rente. Ich freue mich schon darauf, dass wir das nachher
diskutieren. Für uns von der SPD ist dabei nämlich eine
Frage ganz zentral: Wie schafft man es, dass Fachkräfte,
die heute oft vor dem Renteneintrittsalter aufhören, zu
arbeiten, dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung ste-
hen? Deswegen haben wir auch den Vorschlag zur Ein-
führung eines Arbeitssicherungsgeldes gemacht. Wir
wollen damit ermöglichen, dass jemand nicht Arbeitslo-
sengeld bezieht und dann direkt in Rente geht oder viel-
leicht in den Arbeitslosengeld-II-Bezug fällt. Da bauen
wir in Zukunft eine Brücke in die Erwerbstätigkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807015200

Frau Kollegin Mast, Ihre Redezeit ist jetzt entschie-

den abgelaufen.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1807015300

Für mich ist es deshalb ein wichtiger Punkt, dass uns

klar ist: Wenn wir über den Haushalt des Bundesarbeits-
ministeriums reden, dann reden wir über Zukunft, über
Fachkräftesicherung und darüber, wie wir Menschen
eine Erwerbstätigkeit ermöglichen und wie wir ihnen da-
mit Sicherheit im Alltag gewähren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807015400

Der nächste Redner ist der Kollege Mark Helfrich,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1807015500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zwölf Jah-
ren galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Vor
neun Jahren erreichte die Zahl der Arbeitslosen mit
5,2 Millionen den höchsten Stand seit 1933. Und vor
fünf Jahren erlitten wir den stärksten wirtschaftlichen
Einbruch der Nachkriegszeit. Heute hingegen wird
Deutschland als ökonomischer Superstar Europas gefei-
ert. Es ist einer Studie eines Karriereportals zufolge das
attraktivste nicht englischsprachige Land der Welt für
ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutschland wird mehr und mehr zu einer europäi-
schen Traumfabrik, und das nicht ohne Grund. Wir haben
eine stabile wirtschaftliche Lage mit fast 43 Millionen Er-
werbstätigen und über 30 Millionen sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigten. Das ist der höchste Beschäfti-
gungstand in der Geschichte der Bundesrepublik.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807015600

Herr Kollege Helfrich, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Birkwald?


Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1807015700

Das tue ich nicht. Ich bin mir sicher: Ihre Frage wird

sich im Verlauf meiner Rede erübrigen. Wenn nicht,
dann können Sie immer noch eine Kurzintervention ma-
chen, lieber Kollege Birkwald.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807015800

Wunderbar. Danke.


Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1807015900

Aktuelle Schlagzeilen wie „Der Arbeitsmarkt

brummt“, „Der Beschäftigungsmotor läuft rund“, „Die
Arbeitslosigkeit sinkt auf Rekordwert“ lassen sogar die
Herzen der Haushälter höher schlagen; denn ein stabiler
Arbeitsmarkt ist eine Grundvoraussetzung für ausgegli-
chene Haushalte und damit für nachhaltig gesunde
Staatsfinanzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales, über den wir heute beraten, hat einen Umfang
von 125,5 Milliarden Euro, das sind beachtliche 42 Pro-
zent des gesamten Bundeshaushaltes. Er wird – und man
kann es gar nicht häufig genug sagen – nach 45 Jahren
der erste Haushalt ohne neue Schulden sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die schwarze Null ist eine historische Leistung. Die
lassen wir uns nicht kaputtreden. Wir schaffen damit
mittel- und langfristig neue Handlungsspielräume für
uns und für zukünftige Generationen, ohne Lasten ein-
seitig in die Zukunft zu verlagern.

Wir stehen gegenüber kommenden Generationen in
der Pflicht. Ihre Chancen heute zu verfrühstücken, wäre
unverantwortlich. In diesem Sinne ist die schwarze Null
auch gelebte Verantwortung. Sie ist Markenzeichen der
Bundesregierung unter Angela Merkel und der von ihr
geführten Großen Koalition.

Unsere gute Wirtschafts- und Haushaltslage darf nicht
den Blick auf die vor uns liegenden politischen Heraus-
forderungen verstellen.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor den Zukunftsrisiken, die sich auftürmen!)


Die aktuellen Krisen innerhalb Europas und außerhalb
Europas machen auch der deutschen Wirtschaft zu
schaffen. Daher müssen wir darauf achten, dass wir nicht
Verunsicherung schüren und Vertrauen zerstören; denn
die Politik legt mit diesem Vertrauen die Grundlagen für
eine florierende wirtschaftliche Entwicklung.

Vertrauen ist die wichtigste Ressource unserer Volks-
wirtschaft. Schon Ludwig Erhard wusste: „Die Hälfte
der Wirtschaftspolitik ist Psychologie.“ Wir müssen Mit-
telstand und Industrie, die Herz und Rückgrat unserer
Wirtschaft sind, langfristig verlässliche Rahmenbedin-
gungen bieten. Dazu gehört eben auch, dass wir Herz
und Rückgrat mit weiteren Belastungen verschonen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei aktuelle
Ereignisse aufgreifen. Wir haben in den letzten Wochen
erlebt, wie Spartengewerkschaften Tarifkonflikte über
ein erträgliches Maß hinaus zugespitzt haben. Weite
Teile des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft waren
von Folgen dieser Arbeitskämpfe betroffen. Millionen
Bürgerinnen und Bürger waren die Leidtragenden.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist ja auch ihr gutes Recht!)


Auch dadurch geht Vertrauen in verlässliche Rahmenbe-
dingungen verloren. Das kann nicht in unserem Sinne
sein.

Klar ist und bleibt: Das Streikrecht ist unantastbar.
Aber es ist kein Freibrief. Die Unternehmen müssen sich
darauf verlassen können, dass Tarifverträge, die mit der
Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus-
gehandelt worden sind, auch Bestand haben und nicht
von kleineren Gewerkschaften umgangen werden kön-
nen. Für das von der Bundesregierung geplante Gesetz
zur Tarifeinheit gibt es also sehr gute Gründe.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir leben in einer Zeit des demografischen Wandels.
In unserer Gesellschaft wird die Zahl der Einwohner ge-
ringer und ihr Alter im Durchschnitt höher. Im Ergebnis
steigen die Rentenbezugszeiten. Bis zum Jahr 2020 wird
sich eine Fachkräftelücke von 1,3 Millionen ergeben.
Berechnungen zufolge werden bis 2030 8 Millionen Ar-
beitskräfte fehlen. Die Zahl der Arbeitskräfte wird insge-
samt um ein Viertel schrumpfen. All das sind alarmie-
rende Zahlen. Diese Entwicklung müssen wir in den
Fokus rücken.

Ein wirkliches Zeichen können wir mit der Flexi-
Rente setzen. Angesichts des kontinuierlichen Anstiegs
der Lebenserwartung muss Schluss damit sein, dass
Menschen durch Gesetz oder Tarifverträge gegen ihren
Willen in den Ruhestand geschickt werden.





Mark Helfrich


(A) (C)



(D)(B)

Wenn Menschen länger leben, verschiebt sich eben
auch der Beginn des Altseins. Man ist mit 60, 63 oder 65
nicht automatisch alt. Ganz im Gegenteil: Es ist wichtig,
dass wir die älteren Menschen in ihrem Tatendrang nicht
stoppen. Immer mehr Deutsche wollen länger arbeiten.
In kaum einem anderen Land hat die Erwerbsbeteiligung
der Älteren so sehr zugenommen; das ist kürzlich auch
noch einmal durch das Deutsche Institut für Wirtschafts-
forschung bestätigt worden.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807016000

Herr Kollege Helfrich, gestatten Sie jetzt eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Birkwald?


Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1807016100

Wer so hartnäckig bittet – sehr gerne, Herr Birkwald.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807016200

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr

Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Es ist jetzt auch
eine andere als vorhin.


(Heiterkeit – Zuruf von der CDU/CSU: Das wissen wir ja noch nicht!)


Sie haben gerade einen wichtigen Satz gesagt. Sie sag-
ten, dass Sie dagegen seien, dass Menschen gegen ihren
Willen in den Ruhestand geschickt werden. Nun haben
wir das Thema Zwangsverrentung. Das heißt, Hartz-IV-
Betroffene, die 63 Jahre alt sind, werden seit 2008 auch
gegen ihren Willen von den Jobcentern in Rente ge-
schickt und erhalten dann häufig sehr kleine Renten mit
sehr hohen Abschlägen, sodass sie gezwungen sind, So-
zialhilfe zu beantragen, weil es die Grundsicherung im
Alter ja erst ab dem 65. Geburtstag gibt.

Zwangsverrentung bedeutet, dass sie nur 2 600 Euro
Schonvermögen haben dürfen und gegebenenfalls auch
ihre Kinder in Regress genommen werden. Ich halte die
Zwangsverrentung für unwürdig. Sie gehört abgeschafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, dass in der
Arbeitsgruppe, die die Koalition derzeit zu verschiede-
nen Themen des Altersübergangs eingerichtet hat und in
der auch dieses Thema auf der Tagesordnung steht, von-
seiten der Union der Vorschlag kommen wird, dass die
Zwangsverrentung in Zukunft abgeschafft werden wird?
Das würde die Opposition sehr begrüßen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1807016300

Ich kann natürlich nicht den Ergebnissen dieser Ar-

beitsgruppe vorgreifen, Kollege Birkwald. Auch Sie
wissen, dass es sich grundsätzlich um zwei unterschied-
liche Sachverhalte handelt, auch wenn sie begrifflich
nah beieinanderliegen. Aber gerade Ihnen traue ich zu,
dass Sie das sehr genau unterscheiden können. Damit
würde ich meine Antwort an dieser Stelle beenden


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch keine Antwort! Sie wollen die Frage nicht beantworten! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


und zu meinen Ausführungen zurückkehren wollen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das war genau treffend!)


Bereits heute arbeitet rund ein Viertel der Ruheständ-
ler. Mehr als zwei Drittel dieser Menschen geben dafür
auch nichtökonomische Gründe an. Es geht darum,
Freude an der Arbeit zu haben, die eigenen geistigen Fä-
higkeiten auszubauen und zu erhalten und darum, Wis-
sen und Erfahrungen weiterzugeben. Das sind die Be-
weggründe, warum Menschen gern länger arbeiten.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt auch für Erwerbslose! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei Hartz-IVEmpfängern auch so!)


Fast 40 Prozent der 55- bis 70-Jährigen können sich
vorstellen, nach Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand
weiter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das ist
jüngst, Anfang November, auch durch den Bundesinnen-
minister und das Bundesinstitut für Bevölkerungsent-
wicklung vorgestellt worden.

Vor diesem Hintergrund bekommt die derzeit intensiv
geführte Diskussion um das Thema „weitere Renten-
reform und Einstieg in die Rente ab 60“ natürlich eine
ganz besondere Dynamik. Ich sage an dieser Stelle auch,
dass ich das vor dem Hintergrund dessen, was ich gerade
geschildert habe, nicht nachvollziehen kann. Aus meiner
Sicht und aus Sicht der CDU/CSU geht diese Diskussion
in die falsche Richtung.

Eine weitere vorsätzliche Verkleinerung unserer Ar-
beitskräftebasis kann nicht die Antwort an die Wirtschaft
auf den zunehmenden Fachkräftemangel sein. Damit
lässt sich kein Vertrauen in verlässliche Rahmenbedin-
gungen schaffen.

Meine Damen und Herren, immer weniger Menschen
in Deutschland sind ohne Arbeit. Die Zahl der Arbeitslo-
sen ist mit 2,7 Millionen auf einem Rekordtief. Im Okto-
ber waren bei der Bundesagentur für Arbeit mehr als
eine halbe Million freie Arbeitsstellen gemeldet. Damit
haben immer mehr Menschen realistische Chancen auf
einen Arbeitsplatz.

Trotz der niedrigen Arbeitslosenzahlen bleibt die Zahl
der Langzeiterwerbslosen hoch, deshalb senken wir auch
nicht die Mittel für die Betreuung und Eingliederung.
Vielmehr stellen wir pro Jahr zusätzlich 350 Millionen
Euro zur Verfügung. Nur mal ein Vergleich, den man auf
sich wirken lassen möge: Im Jahr 2006 standen für die
Betreuung und Eingliederung arbeitsloser Menschen
dieselben Finanzmittel zur Verfügung wie heute für rund
2,7 Millionen Arbeitslose. Ich denke, das spricht eine
eindeutige Sprache.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist richtig, diese Mittel nicht zu kürzen, weil es
eine besonders schwierige Aufgabe ist, die verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit, um die es jetzt geht, zu senken.





Mark Helfrich


(A) (C)



(D)(B)

Es gibt aber keinen Grund, dass wir das Lied, das die
Opposition bei diesem Thema immer wieder gerne an-
stimmt, in Moll mitsingen.

Wir stellen viel Geld für zwei neue Bundespro-
gramme zur Verfügung; darüber ist geredet worden. Wir
werden über 1,3 Milliarden Euro aus dem Eingliede-
rungstitel und aus dem Europäischen Sozialfonds bereit-
stellen. Ich gehe an dieser Stelle nicht weiter darauf ein,
weil bereits alles gesagt wurde. Es geht um Langzeit-
arbeitslose ohne Berufsschulabschluss bzw. um Lang-
zeitarbeitslose, die sehr arbeitsmarktfern sind und dann
in eine öffentlich finanzierte Beschäftigung hineinkom-
men. Das ist gut, weil diese Menschen somit soziale
Teilhabe im Erwerbsleben erfahren. Das ist eine sehr
wichtige Aufgabe funktionierender Sozialpolitik.

Das System insgesamt funktioniert; davon bin ich fest
überzeugt. Um es mit den weisen Worten des Chefs der
Bundesagentur für Arbeit zu sagen: Das Programm des
Förderns und Forderns ist das beste, das wir je hatten. –
Nichts ist so gut, dass es nicht verbessert werden kann.
Deswegen legen wir mit dem Einzelplan 11 heute bzw.
am morgigen Freitag die Grundlagen für richtige und so-
lide finanzierte Maßnahmen, damit dieses Programm
noch ein Stück besser werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in
einer nie dagewesenen widersprüchlichen Situation. In
Zeiten wirtschaftlicher Stärke und eines florierenden Ar-
beitsmarktes stehen wir vor großen arbeitsmarkt- und so-
zialpolitischen Herausforderungen. Ich behaupte, es sind
die größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte;
ich habe ausgeführt, woran ich das festmache. Lassen
Sie uns diese Herausforderung ohne Denkverbote ange-
hen und gemeinsam neue Wege beschreiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807016400

Vielen Dank, Herr Kollege Helfrich. Sie waren der

letzte Redner zum Einzelplan 11.

Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzel-
plan 11 – Bundesministerium für Arbeit und Soziales –
in der Ausschussfassung.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/3305 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich lasse jetzt über den Einzelplan 11 in der Ausschuss-
fassung abstimmen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 11 ist mit
den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.15 auf:

Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend

Drucksachen 18/2823, 18/2824

Die Berichterstattung haben die Abgeordneten
Michael Leutert, Alois Rainer, Ulrike Gottschalck und
Ekin Deligöz.

Zum Einzelplan 17 liegen zwei Entschließungs-
anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über
die wir morgen nach der Schlussabstimmung abstim-
men.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Michael Leutert, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807016500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Frau Ministerin! Zuallererst möchte ich
mich als Hauptberichterstatter natürlich bei meinen Mit-
berichterstattern Ulrike Gottschalck von der SPD, Ekin
Deligöz von den Grünen und Alois Rainer von der
Union bedanken. Ich glaube, wir haben in den letzten
Wochen eine gute, sachorientierte und faire Zusammen-
arbeit gehabt, die meines Erachtens vorbildhaft für den
politischen Raum ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte es ebenfalls nicht versäumen, darauf hin-
zuweisen, dass wir eine Sache gemeinsam geschafft ha-
ben, über die ich mich sehr freue: Wir werden alle Bil-
dungszentren des Bundes einschließlich Sondershausen
erhalten können, und zwar mit Personal. Das ist ein her-
vorragendes Ergebnis, was ich hier noch einmal unter-
streichen möchte. Wir haben das Geld. Wir haben eine
Konzeption. Das Ministerium muss das jetzt umsetzen.
Dann können wir uns im nächsten Jahr über die Ergeb-
nisse unterhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Allerdings ist das Ganze an einem anderen Punkt, den
ich jetzt ansprechen möchte, nicht so gut gelaufen. Da-
mit meine ich das Programm „Demokratie leben!“, also
das Programm, aus dem wir die Initiativen gegen
Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlich-
keit finanzieren. Der Regierungsentwurf sah dafür unge-
fähr 30 Millionen Euro vor. Wir haben diese Summe in
den Haushaltsverhandlungen auf 40 Millionen Euro er-
höht. Trotzdem reicht das Geld nicht aus. Die Linke hat
50 Millionen Euro vorgeschlagen. Das ist auch die
Summe, mit der die SPD im Wahlkampf aufgetreten ist.
Wir haben das Ziel nicht erreicht.





Michael Leutert


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus aktuellem An-
lass sage ich: Wir beschäftigen uns hier schon lange mit
den Themen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechts-
extremismus. Wir werden uns leider auch noch länger da-
mit beschäftigen müssen. Der NSU-Skandal hat gezeigt,
über welche Dimensionen, welche Ausmaße wir hier
sprechen. Die Empfehlungen der Untersuchungsaus-
schüsse sind ganz klar: Wir müssen mehr tun, damit die
Zivilgesellschaft gestärkt wird, um gegen Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit vorzugehen. Das heißt aber auch:
Wir brauchen mehr Geld dafür.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider hat sich in Deutschland seit einigen Monaten
die Stimmung dramatisch verändert. Das hat etwas mit
den steigenden Asylbewerberzahlen zu tun, mit den
Flüchtlingen, die wir aus den Bürgerkriegsländern auf-
nehmen. Der gemeinsame Aufmarsch von Hooligans
und Nazis in Köln hat das ins öffentliche Bewusstsein
gerückt. Aber nicht nur dort, sondern auch bei mir im
Wahlkreis finden immer öfter Veranstaltungen statt, bei
denen sich Bürgerinnen und Bürger in meines Erachtens
erschreckender Weise über Flüchtlinge äußern. Die Zahl
der Demonstrationen gegen Flüchtlinge nimmt zu, und
die Bürgerinnen und Bürger, ob bewusst oder unbe-
wusst, nehmen daran teil, Seite an Seite mit Nazis. Am
Montag dieser Woche waren es 6 000 Demonstranten in
Dresden. Dieser Aufmarsch erinnert sehr an die größten
Naziaufmärsche Europas, die in Dresden stattgefunden
haben. Sachsens Innenminister Ulbig hat vor drei Tagen
eine Sondereinheit der Polizei gegen kriminelle Asylbe-
werber vorgeschlagen. Damit ist uns in dieser Situation
überhaupt nicht geholfen. Damit wird noch Öl ins Feuer
gegossen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Susann Rüthrich [SPD] und Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Allerdings muss ich sagen: Dazu muss man nicht In-
nenminister sein. Ich habe gerade bei Spiegel Online ge-
lesen, dass Kollege Grass vorgeschlagen hat, man sollte
über Zwangseinquartierungen von Flüchtlingen in deut-
schen Wohnstuben nachdenken. Ich muss ganz ehrlich
sagen: Das ist eine Art der Panikmache, die niemandem
weiterhilft. Aber der Kollege Grass ist ja hin und wieder
auch für Skandale bekannt.

Schauen wir uns einmal die Zahlen an. Da Herr Ulbig
auf die Kriminalitätsrate unter Asylbewerbern hingewie-
sen hat, möchte ich auf folgende Statistik hinweisen: In
Deutschland gab es bis Ende September 7 753 politisch
motivierte Straftaten von rechts, darunter 358 Gewaltde-
likte mit 275 Verletzten. Es gab im Übrigen nur drei
Haftbefehle. Allein in diesem Jahr gab es 23 Brandan-
schläge auf Flüchtlingsheime und 194 Kundgebungen
bzw. Demonstrationen, wie ich sie gerade am Beispiel
von Dresden beschrieben habe. Da gibt es natürlich ei-
nen Zusammenhang. Dass das eine das andere irgendwie
bedingt, liegt ja auf der Hand. Zum Beispiel gab es in
Plauen allein im September dieses Jahres sieben An-
griffe gegen Flüchtlinge. Einer der Flüchtlinge erlitt so
schwere Schnitt- und Stichverletzungen, dass er zehn
Tage stationär behandelt werden musste. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, so etwas passiert in Sachsen, ei-
nem Bundesland, in dem der Anteil von Menschen mit
Migrationshintergrund nicht einmal 2,5 Prozent beträgt.
Das muss man sich einmal überlegen. Das ist nicht bloß
irre, was dort passiert, das ist einfach gefährlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man muss sich einmal fragen, was in diesem Bundes-
land passiert, wenn der Bundesdurchschnitt von 8 Pro-
zent erreicht wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt in unserer
Verantwortung, etwas zur Prävention beizutragen, und
zwar jetzt und nicht erst, wenn es für die Prävention zu
spät ist, wenn Justiz und Polizei eingreifen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sind die Projekte und Initiativen gegen Rechts-
extremismus und Rassismus – die mobilen Beratungsteams,
die Opferberatung – so wichtig für uns; sie entstehen aus
der Zivilgesellschaft heraus. Diese Projekte und Initiati-
ven brauchen eine verlässliche Finanzierungsgrundlage;
und wenn das anders nicht geht, brauchen wir notfalls
ein Gesetz dafür.


(Beifall bei der LINKEN)


Derzeit geben wir für diese Projekte und Initiativen
auf Bundesebene 40 Millionen Euro aus. Das entspricht
pro Einwohner 50 Cent im Jahr. Ich finde, diese Präven-
tionsarbeit sollte uns mehr wert sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, 1 Euro pro Einwohner kann man pro Jahr für
diese Präventionsarbeit durchaus bezahlen.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich
für eine Erhöhung auf mindestens 70 Millionen Euro
ausgesprochen.

Noch ein Satz zum Schluss: Der Verfassungsschutz,
der beim NSU-Skandal erbärmlich versagt hat, bekommt
dieses Jahr 231 Millionen Euro. Das ist ein Aufwuchs
von 21 Millionen Euro.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Wenn man wenigstens diesen Aufwuchs von 21 Millio-
nen Euro in die Präventionsarbeit gesteckt hätte, dann
wäre die Zivilgesellschaft gestärkt worden. Dort wäre
das Geld wesentlich besser angelegt als beim Verfas-
sungsschutz.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807016600

Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetzt

das Wort die Bundesministerin Manuela Schwesig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)

Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Der Haushalt 2015 ist
Basis, ist ein wichtiger Baustein einer modernen Gesell-
schaftspolitik, einer modernen Gesellschaftspolitik, wie
ich sie vor einem Jahr bei meinem Amtsantritt angekün-
digt habe. Einer modernen Gesellschaftspolitik, die auf
Solidarität basiert, auf dem Zusammenhalt der Genera-
tionen. Einer modernen Gesellschaftspolitik, die auf Frei-
heit basiert, auf der Freiheit für Frauen und Männer, in un-
serem Land ihren Lebensentwurf zu leben und dabei
unterstützt zu werden. Einer modernen Gesellschafts-
politik, die natürlich auch auf Gerechtigkeit basiert, vor
allem darauf, dass Frauen und Männer in unserem Land
gleichberechtigt sind.

Wie sieht es aus mit dieser Gerechtigkeit? Wir haben
in unserem Grundgesetz verankert – dieses Grundgesetz
haben wir in diesem Jahr gebührend gefeiert –, dass
Männer und Frauen gleichberechtigt leben; aber 75 Pro-
zent der Frauen sagen: Das ist für uns nicht Realität. Wa-
rum sagen 75 Prozent der Frauen: „Die Lebenswirklich-
keit sieht für uns anders aus, als sie im Grundgesetz
verbrieft ist“? Das liegt daran, dass die Frauen spüren,
dass sie in der Arbeitswelt benachteiligt sind. Sie erle-
ben, dass sie schlechtere Löhne bekommen als die Män-
ner, sie erleben, dass die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie immer noch schwierig ist und es oft an ihnen
hängt, und sie erleben, dass sie schlechte Aufstiegschan-
cen haben, obwohl gerade die junge Generation der
Frauen besser ausgebildet ist denn je.

Dass wir mit moderner Gesellschaftspolitik dafür sor-
gen, dass diese Solidarität, diese Freiheit und diese Ge-
rechtigkeit in unserem Land gelebt werden, ist eine
wichtige Aufgabe der Großen Koalition. Deshalb freue
ich mich darüber – das wissen Sie sicherlich –, dass wir
uns in dieser Woche im Koalitionsausschuss entschieden
haben, dass der Gesetzentwurf, den ich gemeinsam mit
Heiko Maas zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen
und Männern in Führungspositionen vorgelegt habe,
kommt. Das ist mit Blick auf diese moderne Gesell-
schaftspolitik ein wichtiger Gesetzentwurf. Ich bin froh,
dass die verbindliche Frauenquote kommt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin sehr froh, dass sich diejenigen, die für SPD
und Union an den Koalitionsverhandlungen teilgenom-
men haben, schon damals Gedanken darüber gemacht
haben, wie das gehen kann: Wir brauchen klare Vorga-
ben, damit es gelingt, dass mehr Frauen in Führungs-
positionen kommen, verbunden mit Spielräumen, die die
Unternehmen haben müssen. Deshalb ist es gut, dass der
Gesetzentwurf für die größten Unternehmen mit den
größten Gremien, mit den größten Aufsichtsräten in un-
serem Land eine klare, feste Vorgabe von mindestens
30 Prozent vorsieht – ohne Ausnahmen; das war mir im-
mer wichtig.

Liebe Abgeordnete der Grünen, Sie reden immer von
einem „Quötchen“. Wenn Sie das als „Quötchen“ anse-
hen, dann sind Ihre Vorschläge nichts; denn Ihre Vor-
schläge sehen Ausnahmen vor. Die sieht unser Gesetz-
entwurf nicht vor. Insofern, finde ich, ist das ein sehr
guter Gesetzentwurf. Aber ich will mich mit Ihnen nicht
darüber streiten, weil ich weiß, dass Sie dieses Vorhaben
im Grunde Ihres Herzens unterstützen. Ich freue mich,
dass es dafür eine so breite Unterstützung in diesem
Haus gibt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir geben einer Vielzahl von Unternehmen, über
3 000 Unternehmen, die Möglichkeit, sich auf den Weg
zu machen und sich selbst Zielvorgaben zu setzen, aller-
dings nach klaren Regeln, nämlich nach den Regeln, sich
verbindlich festzulegen, dies umzusetzen und darüber zu
berichten.

Ich freue mich sehr, dass wir uns einig sind, dass der
öffentliche Bereich der Wirtschaft nicht hinterherhinken
darf. Das sind gute Vorschläge, die wir zukünftig ge-
meinsam beraten können. Ich bin sicher, dass wir damit
einen Kulturwandel in der Arbeitswelt einleiten. Einen
Kulturwandel, den wir dringend brauchen, einen Kultur-
wandel dahin gehend, dass Frauen mehr Möglichkeiten
bekommen, ihre Potenziale zu entfalten, dass Frauen
schlicht und einfach gerecht behandelt werden und dass
sie in der Arbeitswelt die gleichen Chancen wie Männer
haben, wenn sie gut qualifiziert sind. Wir haben diese
gut qualifizierten Frauen. Das ist das Signal an die
Frauen in unserem Land: Wir machen uns auf den Weg
hin zu mehr Gerechtigkeit für die Frauen in unserem
Land.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gut ist auch, dass dieses Gesetz nicht die schwarze
Null gefährdet. Im Gegenteil, dieses Gesetz wird dazu
führen, dass Wirtschaft und öffentlicher Bereich noch er-
folgreicher werden. Damit stärken wir den wirtschaftli-
chen Erfolg unseres Landes. Diesen Erfolg brauchen wir.
Denn es sind ja nicht abstrakte Unternehmen, die dafür
Sorge tragen, dass wir hier über die Verteilung von Geld
reden, sondern es sind die Frauen und Männer in unse-
rem Land, die tagtäglich arbeiten gehen, ob als kluge,
verantwortungsvolle Unternehmerinnen oder Unterneh-
mer, ob als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer.
Diese Menschen sind die Leistungsträger in unserem
Land. Sie gehen arbeiten und sorgen mit ihren Steuern
und Sozialversicherungsbeiträgen dafür, dass unser So-
zialsystem getragen wird und wir heute einen Haushalt
vorliegen haben, mit dem wir wichtige Vorhaben in un-
serer Gesellschaft voranbringen können.

Es ist wichtig, dass wir diese Frauen und Männer un-
terstützen, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie. Im Etat des Familienministeriums sind al-
lein für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie 5,5 Milliarden Euro veranschlagt, für das
Elterngeld und das neue Elterngeld Plus. Es ist wichtig,
dass die neue Generation Vereinbarkeit ihr Lebensmo-
dell leben kann.

Viele Frauen und Männer in unserem Land sagen: Ich
will beides. Ich möchte meinen Job machen; ich möchte
dafür Zeit haben und darin gut sein. Aber ich möchte
auch Zeit für meine Familie haben. – Frauen in unserem





Bundesministerin Manuela Schwesig


(A) (C)



(D)(B)

Land haben oft das Gefühl, dass es nie für beides reicht.
Im Job wird ihnen gesagt: Du musst möglichst rund um
die Uhr präsent sein. Wenn du zu viel Zeit mit deiner Fa-
milie verbringst, dann reicht die Zeit nicht für den Job. –
Von der Familie kommt die Frage: Wann bist du eigent-
lich wieder zu Hause? – Diesen Druck spüren die
Frauen. Diesen Druck spüren aber auch die jungen Väter
in unserem Land. Sie sagen nämlich: Ich will nicht erst
zum Gute-Nacht-Kuss zu Hause sein, sondern ich will
auch Zeit für meine Familie haben. – Deshalb ist es gut,
dass die Große Koalition mit dem neuen Elterngeld Plus
das Lebensmodell unterstützt, dass Mütter und Väter
Zeit für beides, für den Job und für die Familie, haben
und sich diese Zeit partnerschaftlich teilen. Das ist mo-
derne Gesellschaftspolitik. Es ist aber auch eine Frage
der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass Mütter und Vä-
ter Chancen im Job, aber auch Zeit für die Familie ha-
ben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir denken auch an die Familien, deren Kinder viel-
leicht schon längst aus dem Haus sind, denen sich dafür
aber die Frage stellt: Wie geht es mit pflegebedürftigen
Angehörigen weiter? Viele Menschen erleben beides.
Zum einen haben sie eine Erziehungsverantwortung für
die Kinder, zum anderen stellt sich ihnen die Frage: Was
ist mit meinem pflegebedürftigen Vater? Wie bekomme
ich das unter einen Hut, wenn ich arbeiten muss? Auch
dies lastet oft auf den Schultern der Frauen. Deshalb
freue ich mich sehr, dass wir die Basis für eine bessere
Vereinbarkeit von Beruf und Familie schaffen, auch mit
pflegebedürftigen Angehörigen.

Das Elterngeld Plus, das ich eben vorgestellt habe,
wird diesen Freitag im Bundesrat verabschiedet und auf
den Weg gebracht. Den neuen Gesetzentwurf zur besse-
ren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf werden
wir in der nächsten Woche beraten. Durch die Pflegere-
form haben wir dafür die finanziellen Voraussetzungen
geschaffen. Es wird zukünftig möglich sein, im Akutfall
eine kurze Auszeit für Phasen der Pflege in der Familie
zu nehmen oder auch in eine längere Pflege- und Fami-
lienpflegezeit zu gehen, und zwar mit finanzieller Unter-
stützung. Das ist ein wichtiges Signal der Großen Ko-
alition: Wir lassen Familien mit pflegebedürftigen
Angehörigen nicht im Stich, sondern unterstützen sie.
Auch das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die moderne Gesellschaftspolitik setzt auch auf den
Zusammenhalt der Generationen, auf die Solidarität. Ein
Erfolgsprojekt für gelebte Solidarität sind die Mehrgene-
rationenhäuser in unserem Land. Jedes Mehrgeneratio-
nenhaus lebt die Idee vom Zusammenhalt der Generatio-
nen. Dort sind zum Beispiel Kitas. Dort sind auch Omas
und Opas, die vorlesen und Zeit mit Kindern verbringen,
die vielleicht nicht ihre eigenen Enkelkinder sind, aber
in ihrem Stadtteil leben und deren Eltern froh sind, dass
sie unterstützt werden, weil die eigenen Großeltern der
Kinder vielleicht 300 Kilometer weit entfernt wohnen.
Es gibt hier viele tolle Projekte, zum Beispiel auch für
Familien, die eine Entlastung brauchen, weil sie demen-
ziell erkrankte Angehörige haben.
Sie alle kennen die Mehrgenerationenhäuser und ha-
ben sich für sie starkgemacht. Deshalb sage ich ein Dan-
keschön an die Fachpolitiker, aber auch an die Haus-
haltspolitiker, die sich dafür eingesetzt haben, dass es
jetzt Planungssicherheit für diese Mehrgenerationenhäu-
ser gibt. 16 Millionen Euro sind für 2015 verankert, und
es gibt den wegweisenden Beschluss des Haushaltsaus-
schusses, diesen Ansatz zu verstetigen. Das ist ein wich-
tiges Signal an die Generationen, aber vor allem auch an
die Ehrenamtlichen in diesen Mehrgenerationenhäusern.
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, moderne Gesellschafts-
politik heißt auch Freiheit, zum Beispiel Freiheit für un-
sere Jugend, die nicht von der Schule und durch Erwar-
tungen der Gesellschaft erdrückt werden darf, sondern
Freiräume erhalten muss, wie wir alle sie als Jugendliche
hatten. Gelegentlich sehnen wir uns heute vielleicht nach
dieser Zeit zurück. Deshalb bin ich Ihnen sehr dankbar,
dass wir die Kinder- und Jugendarbeit besser unterstüt-
zen, dass wir die Mittel dafür weiter aufstocken und dass
wir vor allem die Jugendmigrationsdienste in diesem
Haushalt besserstellen, weil sie dazu beitragen, dass
Vielfalt in unserem Land gelebt wird und dass junge Mi-
grantinnen und Migranten in unserem Land gut auf-
wachsen. Das ist ein wichtiges Signal für die Jugend in
unserem Land.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin auch dankbar dafür, dass in diesem Etat wei-
terhin über 100 Millionen Euro für das wichtige Bundes-
programm „Integration und Sprache“ bereitstehen. Die
Bekämpfung von Kinderarmut ist wichtig. Dazu gehört,
dass die Eltern eine Arbeit haben und gut dafür bezahlt
werden. Dazu gehört aber auch, dass die Kinder – auch
bereits in den Kitas – unabhängig vom sozialen Status
der Eltern Chancen auf Bildung bekommen und geför-
dert werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit der
Sprachförderung in den Kitas den Grundstein dafür le-
gen, dass die Kinder in unserem Land gut aufwachsen.
Auch das ist ein Signal des Haushalts 2015, das an die
Kinder in unserem Land geht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, eine
moderne Gesellschaft braucht die Freiheit, dass Men-
schen in unser Land kommen und hier groß werden und
leben können, ohne Angst davor zu haben, dass sie dis-
kriminiert werden, angegriffen werden oder sogar Ge-
walt erleben, weil sie eine andere Hautfarbe haben, aus
einer anderen Kultur stammen, einer anderen Religion
angehören oder eine andere sexuelle Identität haben. In
den letzten Wochen und Monaten haben wir gesehen
– Herr Leutert hat darauf hingewiesen –, dass zum Bei-
spiel der Antisemitismus in unserem Land wächst, dass
wir Probleme mit dem radikalen Salafismus haben und
dass mittlerweile Familien bei der Polizei anrufen und
sagen: Ich habe die Sorge, dass mein Kind auswandert
und sich dem IS-Terror anschließt. – Das ist ganz kon-
krete Realität. Deswegen ist es richtig, dass wir neben
der Bekämpfung von Rechtsextremismus präventiv ge-





Bundesministerin Manuela Schwesig


(A) (C)



(D)(B)

gen diese neuen Formen der Radikalisierung arbeiten.
Natürlich müssen gewaltbereite Dschihadisten und Ter-
roristen von den Sicherheitsbehörden und der Justiz ver-
folgt werden.

Aber es geht um mehr. Es geht auch darum, dass alle
Demokratinnen und Demokraten durch Angriffe auf un-
sere Demokratie und unsere offene Gesellschaft heraus-
gefordert sind, Zeichen zu setzen. Deshalb brauchen wir
nicht nur eine sicherheitspolitische Antwort, sondern
auch eine präventive gesellschaftspolitische Antwort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie kann das gehen? Wir haben das Bundespro-
gramm „Demokratie leben!“, das am 1. Januar 2015 star-
tet. Mit diesem Bundesprogramm werden wir unter Be-
teiligung von Jugendlichen auf kommunaler Ebene und
auch auf Landesebene Demokratiezentren und präven-
tive Projekte fördern, die heute schon erfolgreich sind,
aber unter zwei Punkten leiden: Sie haben keine Pla-
nungssicherheit und oft keine ausreichenden finanziellen
Mittel vor Ort. Deshalb ist es gut, dass wir mit dem
neuen Bundesprogramm eine längerfristige Finanzie-
rung auf den Weg bringen und eine Verstetigung errei-
chen. Der Bundestag hat entschieden, dieses Bundespro-
gramm um 10 Millionen Euro aufzustocken. Das finde
ich richtig, weil inzwischen neue radikale Formen hinzu-
kommen, für deren Bekämpfung wir nicht Gelder aus
der Arbeit gegen Rechtsextremismus herausziehen kön-
nen. Nein, das Geld muss on top kommen, sodass wir
gegen alle radikalen Formen in unserem Land angehen
können.

Herr Leutert, Sie haben recht: Es kann immer mehr
sein. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Vor mehreren
Jahren hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dieses
Programm aufzustocken. Leider ist dann einige Zeit nichts
passiert. Umso mehr freue ich mich, dass der Deutsche
Bundestag jetzt fraktionsübergreifend sagt: Wir wollen
unseren Beschluss umsetzen und stocken dieses Bundes-
programm auf. – Ich als Ministerin stehe bereit, die
Maßnahmen dieses Programms mit meinen Leuten und
mit Vertretern der Zivilgesellschaft umzusetzen. Mehr
geht immer; gar keine Frage. Aber diese 10 Millionen
Euro sind ein wichtiges Signal für die Menschen, die vor
Ort Gesicht zeigen. Dafür bedanke ich mich ganz herz-
lich; denn ohne Freiheit ist moderne Gesellschaftspolitik
nichts.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807016700

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächste Rednerin für

Bündnis 90/Die Grünen ist Dr. Franziska Brantner.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Uns liegt der
Entwurf eines Haushalts vor, bei dem wir uns fragen
müssen: Welchen Fußabdruck hinterlassen Sie, wenn es
um Bildungsgerechtigkeit geht, wenn es um eine Stär-
kung der Alleinerziehenden geht, wenn es um die Be-
kämpfung von Kinderarmut geht? Ziehen wir einmal ein
Resümee aus den Ankündigungen und dem, was erreicht
wurde.

Wir wissen alle, dass es für Bildungsgerechtigkeit
zentral ist, dass die Qualität in der Kindertagesbetreuung
bundesweit gleichermaßen steigt. Sie bauen hier auf ein
solides schwarz-gelbes Erbe auf: 5,4 Milliarden Euro
wurden unter Schwarz-Gelb in den Ausbau investiert.
Doch jetzt, wo es an das Eingemachte geht, nämlich um
die Frage: „Wie entlasten wir die Erzieherinnen und Er-
zieher, die so gute Arbeit leisten?“, da geht Ihnen die
Luft aus. Nach großen Ankündigungen vonseiten der
Ministerin sind von dem Milliardenmärchen noch
550 Millionen Euro für drei Jahre übrig geblieben, und
das erst ab 2016. Für 2015 ist kein zusätzliches Geld
vorgesehen. Die Bertelsmann-Stiftung hat berechnet,
dass Bund, Länder und Kommunen zusammen jährlich
eigentlich 5 Milliarden Euro zusätzlich investieren
müssten, um eine angemessene Zahl von Erzieherinnen
und Erziehern für unsere Kitas zu ermöglichen. Was bie-
ten Sie den Ländern und Kommunen an? Eine Arbeits-
gruppe.


(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Und 1 Milliarde jährlich!)


In der letzten Woche sagte Frau Schwesig: 1,5 Milliar-
den Euro mehr sollen aus dem von Herrn Schäuble ange-
kündigten 10-Milliarden-Euro-Paket in den Ausbau der
Hortbetreuung an den Schulen fließen. Wir drücken Ih-
nen wirklich die Daumen und hoffen, dass wir nicht ein
Déjà-vu wie bei den Geldern zur Erhöhung der Kitaqua-
lität erleben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Sollen wir die Lehrergehälter auch noch übernehmen?)


Das Betreuungsgeld dagegen schluckt weiterhin
900 Millionen Euro im Haushalt, die woanders gut auf-
gehoben wären.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist gut investiertes Geld, Frau Brantner!)


Zum Glück ist der Ansatz etwas gekürzt worden, da die
Eltern diese Leistung nicht so annehmen, wie Sie es er-
wartet haben.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: 70 Prozent in Bayern!)


Das spricht eigentlich für sich und macht deutlich, dass
die Wahlfreiheit an dieser Stelle dazu führt, dass die El-
tern das Betreuungsgeld nicht wählen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Doch! In Bayern zu 70 Prozent!)


Zu denken gibt uns auch, was heute in der Süddeut-
schen Zeitung über Bayern zu lesen ist, Herr Lehrieder:
52 Prozent der bayerischen Kleinkinder gehen in eine





Dr. Franziska Brantner


(A) (C)



(D)(B)

Krippe; für 73 Prozent zahlt der Freistaat zugleich noch
Betreuungsgeld.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist Wahlfreiheit, Frau Kollegin! Auch wenn es schwerfällt!)


Ich weiß natürlich, dass in Bayern einer immer mehr ins
Gewicht fällt, sodass aus 100 Prozent in Bayern 125 Pro-
zent werden. Aber es ist schon seltsam, dass Sie in Bay-
ern auf mehr als 100 Prozent Kinder kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Ich rechne Ihnen das gerne vor!)


In Bayern erhält jeder zum Ende des Elterngeldbe-
zugs automatisch einen Antrag für das Betreuungsgeld
zugeschickt. Bei der Meldung zum Anspruchsende,
wenn das Kind in eine Kita geht, wird anscheinend nicht
mehr ganz so genau hingeschaut. Anders kann man sich
den Unterschied nicht erklären.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807016800

Frau Kollegin Brantner, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Lehrieder? – Bitte schön, Herr Kol-
lege.


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1807016900

Frau Kollegin, Sie haben gerade ausgeführt, dass

Bayern 125 Prozent der Kinder fördert. Das würden wir
gerne tun; aber das ist in Bayern gar nicht nötig. Stim-
men Sie mir zu, dass nach diesem Rechenmodell, wenn
50 Prozent der Kinder eine Kita besuchen und für
70 Prozent der verbleibenden 50 Prozent Betreuungs-
geld gezahlt wird, insgesamt etwa 70 bis 80 Prozent eine
Förderung erhalten? Die 70 Prozent beziehen sich näm-
lich auf die verbleibenden 50 Prozent, nur um die mathe-
matischen Grundrechenarten für Sie etwas aufzufri-
schen, Frau Kollegin. Stimmen Sie mir zu, dass das
einen Prozentsatz ergibt, der unter 100 Prozent liegen
dürfte?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es wäre schön, wenn es so wäre, Herr Lehrieder.
Dann würden wir alle uns wahrscheinlich nicht wun-
dern, und dann würde auch keine Zeitung darüber be-
richten. Es ist aber anders, nämlich dass 52 Prozent
insgesamt in die Kita gehen und für 73 Prozent der Kin-
der insgesamt Betreuungsgeld gezahlt wird. Das ergibt
125 Prozent.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wir werden da noch ein Privatissimum machen müssen, Frau Kollegin!)


– Das können wir gerne noch einmal besprechen. Aber
den Zahlen zufolge scheint es dort Überschneidungen zu
geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich bin froh – Frau Schwesig, Sie haben es gerade er-
wähnt –, dass es möglich war, dass ein Teil der frei-
gewordenen Mittel jetzt in Beratungsnetzwerke gegen
Rechtsextremismus und Modellprojekte gegen islami-
sche Radikalisierung fließt. Wir Grünen als Bundes-
tagsfraktion haben schon seit Jahren gefordert, dass
die Mittel dafür erhöht werden. Schade ist aber, dass
90 Millionen Euro aus diesem Einzelplan in Schäubles
Schatzkästchen geflossen sind und deshalb nicht für
diese Inhalte zur Verfügung stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zu einem Thema in diesem Haushalt gibt es noch
nicht einmal konkrete Ankündigungen. Das ist die be-
schämende Kinderarmut in unserem Land. Die Statisti-
ken der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Kinderarmut
nimmt wieder zu. Während die Zahl von 2007 bis 2012
gesunken ist, ist sie seit 2012 wieder gestiegen. Insge-
samt beziehen heute 15,7 Prozent der unter 15-Jährigen
Hartz-IV-Leistungen. Das betrifft 1,64 Millionen Jungen
und Mädchen, und das in einem so reichen Land wie
Deutschland.

Auch deswegen wird es Zeit, endlich Konsequenzen
aus der Gesamtevaluation der ehe- und familienbezoge-
nen Leistungen zu ziehen. Sie sind eine große Große Ko-
alition. Nehmen Sie doch diese Herausforderung an und
gehen Sie die tiefgreifenden Reformen an, die man mit
einer knappen Mehrheit vielleicht nicht hinbekommt!
Nutzen Sie diese Chance! Die Erkenntnisse sind doch
bekannt. Wir haben kein Erkenntnisproblem. Das Pro-
blem ist, dass es jetzt von Ihnen abhängt, endlich für Ge-
rechtigkeit zu sorgen. Unser Ziel muss es doch sein, dass
Kinder gefördert werden und nicht der Trauschein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Doch was machen Sie? Sie verstecken Reförmchen in
großen Steuergesetzen, statt das Thema Kinderarmut zur
Diskussion zu bringen. In Ihrem Entwurf eines Gesetzes
zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex
der Union finden sich dafür gute Ansätze, wenn man
zum Beispiel den Entlastungsbeitrag für Alleinerzie-
hende erhöhen würde. Das ist aber leider Fehlanzeige.
Was Sie in dem Gesetzentwurf regeln, ist die Freistel-
lung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die
Kinder haben oder Angehörige pflegen, für die Notfall-
betreuung, die zumindest mit bis zu 600 Euro gefördert
wird. Das begrüßen wir. Wir glauben aber, dass auch das
nur die Hälfte des Weges ist, weil Selbstständige davon
nicht profitieren. Notwendig ist eine Regelung sowohl
für Geringverdienende als auch für Selbstständige. Des-
wegen wollen wir, dass auch in Zukunft die Betreuungs-
kosten wieder als Werbungskosten geltend gemacht wer-
den können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir reden viel über Zeit für Familien und Stress der
Eltern. Deswegen begrüßen wir, dass es mit dem Eltern-
geld Plus eine neue Regelung gibt. Wir müssen aber
überprüfen, inwieweit diese Regelung auch Alleinerzie-





Dr. Franziska Brantner


(C)



(D)(B)

henden helfen wird. Allein und mit Kind wird es schwie-
rig sein, den engen Korridor von 25 bis 30 Wochenstun-
den Arbeitszeit zu erreichen, um zusätzliche vier Monate
Elterngeld zu erhalten. Es kann nicht sein, dass gerade
jenen, den Alleinerziehenden, diese vier Monate fehlen,
und jene, die eh zu zweit sind, sie zusätzlich bekommen.
Ich glaube, wir müssen wirklich genau schauen, wie sich
das Gesetz auswirkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kein Geld für die Qualität in der Kindertagesbetreu-
ung, die Beibehaltung des Betreuungsgeldes, eine Leer-
stelle bei der steigenden Kinderarmut, verpasste Chan-
cen, um Alleinerziehende zu stärken, kleine Schritte
beim Elterngeld Plus und kleine Einsichten beim Thema
Rechtsextremismus und Islamismus – unser Resümee
ist: Dieser Haushaltsentwurf ist vor allem eines: eine
rote Null.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807017000

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Herr Kollege Alois

Rainer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Da musst du einiges klarstellen, glaube ich!)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1807017100

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir blicken auf sehr konstruktive Gesprä-
che und Beratungen zum Bundeshaushalt 2015 zurück.
Gerne möchte ich mich in diesem Zusammenhang bei
meinen Mitberichterstatterkolleginnen und -kollegen,
Herrn Leutert, und auch beim Ministerium, Frau Minis-
terin, sehr herzlich für die hervorragende Zusammenar-
beit bedanken.


(Michael Leutert [DIE LINKE]: Da haben Sie jemanden vergessen!)


– Ich habe niemanden vergessen. – Dank der hervorra-
genden Arbeit unseres Bundesfinanzministers
Dr. Wolfgang Schäuble, aber auch dank der sehr guten
minutiösen Aufarbeitung in den Beratungen zum Bun-
deshaushalt ist es uns gelungen, für das kommende Jahr
einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen. Ge-
rade das ist für die jungen Menschen in unserem Land
ein richtiges und wichtiges Zeichen; denn wer ehrliche
Politik will, darf nicht ständig über seine Verhältnisse le-
ben. Unsere Politik steht für Kontinuität, Verlässlichkeit
und auch Nachhaltigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass man trotz Haushaltskonsolidierung eine gute Poli-
tik machen kann, zeigt der vorliegende Haushaltsent-
wurf für das Jahr 2015. Doch geht es nicht nur um das
Erreichen der sogenannten schwarzen Null. Diese ist für
den Moment gut, richtig und wichtig. Viel entscheiden-
der ist jedoch, dass wir daran nachhaltig festhalten.
Meine Damen und Herren, unsere Familienpolitik ist
eine Politik der Verantwortung. Dass wir diese überneh-
men, zeigen wir unverkennbar im Einzelplan 17, im
Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend. So haben wir den Etat des Einzel-
plans 17 von 7,9 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf
8,5 Milliarden Euro für 2015 angehoben. Das entspricht
einer Erhöhung gegenüber dem Vorjahr von etwa
600 Millionen Euro. Schon diese Aufstockung macht
deutlich, wie wichtig uns die Menschen und insbeson-
dere die Familien in unserem Land sind. Um vor Augen
zu führen, über welche Summen wir eigentlich sprechen,
möchte ich Ihnen den Etat aus dem letzten Jahr ins Ge-
dächtnis rufen: Im Jahr 2013 hatten wir einen Gesamt-
etat von 6,8 Milliarden Euro. Ausgehend von dieser
Summe haben wir den Familienhaushalt um 1,7 Milliar-
den Euro auf 8,5 Milliarden Euro angehoben. Das ist ein
Indiz dafür, dass hier vernünftige Politik gemacht wird,
die frei ist von übereifrigem Aktionismus und übereifri-
gem Populismus.

Den wesentlichen Anteil im Einzelplan 17 macht das
Elterngeld aus – darüber ist schon gesprochen worden –,
das wir bereits im letzten Haushalt um 470 Millionen
Euro auf 5,4 Milliarden Euro angehoben haben. Für das
Jahr 2015 haben wir den Ansatz um weitere 180 Millio-
nen Euro auf etwa 5,6 Milliarden Euro erhöht. Damit ist
und bleibt das Elterngeld das zentrale Instrument unserer
Verantwortung gegenüber den Familien in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Darüber hinaus wurde mit dem Elterngeld Plus eine zu-
sätzliche Gestaltungskomponente geschaffen, die eine
wesentliche Unterstützung für Familien nach der Geburt
eines Kindes ermöglicht. Mit der Flexibilisierung der El-
ternzeit ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Zeit für die
Familie getan. Dass das Geld gut investiert ist, belegen
die aktuellen Zahlen.

Als Vertreter der CSU ist es mir natürlich eine Her-
zensangelegenheit, das Betreuungsgeld anzusprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte gleich zum Antrag der Grünen kommen. Ich
kann nicht nachvollziehen, dass Sie so sehr darauf be-
harren, die Kinder schon im Kleinkindalter von ihren El-
tern wegzuziehen.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Die Wahrheit ist doch, dass Kinder in den ersten drei
Jahren die Bindung zu ihren Eltern brauchen. Dies bele-
gen im Übrigen viele wissenschaftliche Studien.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist ja auch richtig! Das eine schließt doch das andere nicht aus!)


Weiter sagen Sie, dass Eltern durch das Betreuungsgeld
vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Weltbild?)


(A)






Alois Rainer


(A) (C)



(D)(B)

– In Ihrem Antrag steht: Eltern werden durch das Be-
treuungsgeld vom Arbeitsmarkt ferngehalten. – Das
habe nicht ich, sondern das haben Sie geschrieben.

Wir schaffen Wahlmöglichkeiten für junge Familien.
Das ist soziale Gerechtigkeit. Wenn in Bayern 50 Pro-
zent der Kinder in die Kindertagesstätte bzw. die Krippe
gehen, ist das gut. Die Eltern dieser Kinder haben diese
Möglichkeit gewählt; das ist in Ordnung. Wir wollen das
nicht verbieten. Aber es ist genauso in Ordnung, das Be-
treuungsgeld in Anspruch zu nehmen. Dafür stehen wir,
und dafür werden wir weiterhin stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Erst kürzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, habe ich auf Ihrer Internetseite gelesen, dass Fa-
milien mehr Zeit füreinander haben sollen. Darin stimme
ich Ihnen voll und ganz zu. Familien brauchen nicht we-
niger, sondern mehr Zeit füreinander. Das Betreuungs-
geld gibt ihnen ein Stück weit mehr Zeit füreinander,
wenn sie es denn wollen. Wenn sie es nicht wollen, kön-
nen sie die andere Möglichkeit wählen. Sie widerspre-
chen sich in Ihrem Antrag. Auf der einen Seite wollen
Sie mehr Zeit für die Familien. Auf der anderen Seite
sollen die Kinder am besten ganz flott nach der Geburt
von Dritten betreut werden. Wir unterstützen die jungen
Familien. Das ist unser Verständnis von Fairness und
Gerechtigkeit.

Wie heißt es so schön: Wenn etwas gut ist, machen
wir mehr davon. – Genau das tun wir. Der Ansatz für das
Betreuungsgeld wurde von 515 Millionen auf 900 Mil-
lionen Euro angehoben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit gehen wir auf die Erhöhung der Familienleistung
von 100 auf 150 Euro im Monat ein.

Da wir schon von Betreuung sprechen, nutze ich in
diesem Zusammenhang gerne die Überleitung zum Bun-
desamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.
Nach der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011
durchlief die Behörde eine umfassende Umstrukturie-
rung. Mit den ursprünglichen Aufgaben betreffend die
Anerkennung von Kriegsdienstverweigerung und die
Durchführung des Zivildienstes administriert das Bun-
desamt mittlerweile 28 wichtige Aufgaben für die Men-
schen in unserem Land, zum Beispiel das im März 2013
gestartete Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Dieses
bietet hilfesuchenden Frauen erstmals die Möglichkeit,
sich bundesweit zu jeder Zeit, 24 Stunden, und anonym
Hilfe zu holen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Oder die vertrauliche Geburt. Hier werden aktiv Leben
gerettet. Seit der Einführung zum 1. Mai dieses Jahres
wurden 54 Geburten gemeldet. Weitere Aufgaben sind
der Bundesfreiwilligendienst mit entsprechender päda-
gogischer Begleitung, die Mehrgenerationenhäuser, zu
denen ich später noch mehr sagen werde, der Fonds für
Opfer der Heimerziehung in West und Ost, die Ge-
schäftsstelle der Conterganstiftung, die mit 155 Millio-
nen Euro ausgestattet ist, und vieles mehr. – Mit dieser
Vielfältigkeit hat sich die Behörde, die einst als Abbau-
behörde betitelt wurde, zu einer etablierten Stütze des
Bundesfamilienministeriums entwickelt. So ist es nur
folgerichtig, dass wir mit der personellen Stabilisierung
des Bundesamtes die Rahmenbedingungen dazu ge-
schaffen haben, dass die gute Arbeit auch künftig fortge-
setzt werden kann. Ich möchte mich in diesem Zusam-
menhang ganz herzlich bei meiner Kollegin Ulli
Gottschalck bedanken, die mit dafür gesorgt hat, dass
wir das geschafft haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


An dieser Stelle möchte ich auch noch die 17 Bil-
dungszentren in Deutschland ansprechen. Aufgrund ei-
nes Gutachtens der Prognos AG vom Februar 2014 wur-
den die Kapazitäten dem Bedarf angepasst. Hieraus
ergaben sich jährliche Einsparungen von 5,5 Millionen
Euro ab dem Jahr 2017. Ich bin grundsätzlich der Mei-
nung, dass man Bildung nicht nur wirtschaftlich betrach-
ten sollte; vielmehr sehe ich Bildung auch als Aufgabe
des Staates. Daher finde ich es richtig, dass wir diese
auch weiter in der Obhut des BAFzA und der staatlichen
Bildungszentren gelassen haben.

Ich finde es hervorragend, dass wir den Jugendmigra-
tionsdienst mit 1 Million Euro mehr stärken können. Die
Ministerin hat hier schon darüber gesprochen. Der Titel
wurde auf 42,6 Millionen Euro angehoben – in der jetzi-
gen Zeit eine notwendige Maßnahme.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich noch
ein Thema ansprechen, das ich bereits mehrfach an-
sprach und das ein Herzensthema von mir ist. Ich freue
mich zum einen besonders, dass wir die Finanzierung
der Mehrgenerationenhäuser nach dem Wegfall der ESF-
Mittel im Haushalt 2015 berücksichtigen konnten; zum
anderen freue ich mich darüber, dass wir mit einem
Maßgabebeschluss im Haushaltausschuss die dauerhafte
Beteiligung des Bundes an dem überaus erfolgreichen
Konzept der Mehrgenerationenhäuser sicherstellen
konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Mehrgenerationenhäuser – ich konnte mir in ver-
schiedenen Häusern der Republik ein Bild vor Ort ma-
chen – leisten durch ihre Vielzahl und Vielfalt ein gene-
rationenübergreifendes Angebot für Jung und Alt.
Dadurch werden die Potenziale aller Generationen im
Querschnitt unserer Gesellschaft gefördert. Integration
und Inklusion werden in den Mehrgenerationenhäusern
gelebt und großgeschrieben. Von daher, liebe Frau Kol-
legin Deligöz, habe ich es nicht verstanden, dass Sie und
die Fraktion der Grünen dem Maßgabebeschluss zum
Erhalt der Mehrgenerationenhäuser im Haushaltsaus-
schuss nicht zugestimmt,


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Enthalten!)


sondern sich enthalten haben. Ich gehe einfach einmal
davon aus, dass Sie noch nicht die Möglichkeit hatten,
sich eines der 447 geförderten MGHs anzuschauen; denn





Alois Rainer


(A) (C)



(D)(B)

dann hätten auch Sie mit Sicherheit wie ich gesehen,
welche hervorragende Arbeit hier geleistet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Natürlich ist die Summe der Wünsche immer größer
als die Summe an Geld, die vorhanden ist. Dennoch wol-
len die Menschen keine neuen Schulden. Sie wollen eine
Politik, wie ich schon eingangs sagte, die nachhaltig ei-
nen maßgeblichen Beitrag für die wirtschaftliche Situa-
tion in Deutschland leistet. Wir sind mit diesem Haushalt
ein Vorbild für andere Länder in Europa und der Welt;
denn dieser Haushalt ohne neue Schulden ist generatio-
nengerecht und für die Zukunft unserer Menschen gut.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807017200

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli

Gottschalck, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1807017300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Lange, manchmal auch sehr lange Haushaltsver-
handlungen liegen hinter uns. Ich muss aber sagen: Der
Einsatz hat sich gelohnt. Jedenfalls mit unserem Etat
können wir sehr zufrieden sein; denn im Gegensatz zu
dem Bild, das die Kollegin von den Grünen gezeichnet
hat, haben wir doch ordentliche Akzente zugunsten
wichtiger Gesellschaftsaufgaben gesetzt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der Einzelplan sieht einen Aufwuchs um etwas mehr
als eine halbe Milliarde Euro vor. Dies ist im Wesentli-
chen auf höhere Ausgaben beim Elterngeld zurückzu-
führen. Ja, das Elterngeld ist uns lieb, aber auch teuer.
Trotzdem muss ich sagen: Es bringt etwas, und das ist
genau das, was wir wollten. Die Trends, die sich ab-
zeichnen, nämlich dass mehr Väter Elterngeld beziehen
und Frauen besser verdienen, sind genau die von uns ge-
wollten Effekte zum Wohle der Familien. Deshalb kön-
nen wir sagen: Ja, es ist teuer, aber es ist auch sehr gut.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das neue Elterngeld Plus, welches jungen Eltern ermög-
licht, in Teilzeit zu gehen, und zwar beiden Elternteilen,
wird dies nochmals beflügeln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist wirk-
lich eine moderne Familienpolitik einer modernen
Ministerin. Dafür ein herzliches Dankeschön. Sie verste-
hen Ihr Handwerk. Danke schön, Frau Ministerin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


An dieser Stelle will ich meinen Dank und vor allen
Dingen einen herzlichen Glückwunsch aussprechen zum
großen Erfolg der Frauenquote. Gerade die Querschüsse
der vergangenen Tage haben noch einmal deutlich ge-
macht, wie wichtig die Frauenquote ist, um diese Män-
nerdominanz zu durchbrechen.


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, zurück zum
Haushalt. Ich komme auf die Bereinigungssitzung zu
sprechen, in der uns einiges gelungen ist.

Die Mehrgenerationenhäuser sind insbesondere ein
Anliegen meines Kollegen Alois Rainer. Wir sind uns da
sehr einig. Auch die Linke hat dem zugestimmt. Wir
wollen, dass die Mehrgenerationenhäuser, die ihre Auf-
gabe wirklich auf hervorragende Art und Weise erfüllen,
weiter existieren können. Deshalb ist es gut, dass wir mit
großer Mehrheit diesen Beschluss gefasst haben, zumal
die Häuser Planungssicherheit für das Jahr 2016 brau-
chen. Insofern wäre ein späterer Beschluss zu spät gewe-
sen. Deswegen ist dieser Maßgabebeschluss gefasst wor-
den.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)


Ein sehr großer Erfolg der Bereinigungssitzung sind
zusätzliche 10 Millionen Euro für Maßnahmen zur Stär-
kung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Mit
10 Millionen Euro mehr stehen nun insgesamt 40,5 Mil-
lionen Euro zur Verfügung. Ich finde, damit sind wir
schon ganz ordentlich aufgestellt, um präventiv gegen
rechtsextreme, salafistische, antisemitische oder andere
menschenfeindliche Auswüchse vorgehen zu können.

Kollege Leutert, natürlich wünsche auch ich mir im-
mer mehr. Man muss aber immer den kompletten Haus-
halt im Blick haben und darauf achten, dass nichts aus
dem Ruder läuft. Wir haben 10 Millionen Euro gefordert
und gehofft, 5 Millionen Euro zu bekommen. Letztlich
haben wir uns auf 10 Millionen Euro geeinigt. Ich
denke, das ist ein ganz guter Erfolg. Das ist auch wichtig
für die lokalen Bündnisse vor Ort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Programme müssen schnell auf den Weg gebracht
werden. Die Ministerin steht gemeinsam mit den Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses in den Startlö-
chern, um das neue Programm „Demokratie leben“ vo-
ranzutreiben. Ich bin mir sicher, dass das zügig
umgesetzt wird und dass das Geld bei den Bündnissen
ankommen wird.

Mit 1 Million Euro mehr stärken wir die Jugendmig-
rationsdienste. Auch das ist eine wichtige und gute Ent-
scheidung, mit der wir es geschafft haben, bei den Ju-
gendmigrationsdiensten draufzusatteln. Diese leisten
eine extrem wichtige Arbeit. Es gibt über 400 Jugendmi-
grationsdienste, die junge Migrantinnen und Migranten
im Alter von 12 bis 27 Jahren freundlich empfangen und
diese bei ihrem Integrationsprozess aktiv unterstützen.
Deshalb ist diese Arbeit wichtig.

Ich habe mir die Jugendmigrationsdienste in Kassel
angeschaut, die eine wirklich hervorragende Arbeit leis-
ten. Gerade in diesen Zeiten ist es besonders wichtig,
dass auch die Kommunen dabei sehr unterstützt werden,
weil sie den jungen Menschen Wege aufzeigen und auf-





Ulrike Gottschalck


(A) (C)



(D)(B)

passen, dass keiner von den jungen Menschen, die hier
ankommen, auf der Strecke verloren geht. Ich denke, das
ist gut investiertes Geld. Davon profitiert auch unsere
gesamte Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftli-
che Aufgaben – das hat Alois Rainer vorhin bereits an-
gesprochen – konnten wir die Streichung von 112 kw-
Vermerken – für Nichthaushälter möchte ich darauf hin-
weisen, dass das für „künftig wegfallend“ steht – errei-
chen. Damit haben wir eine zukunftssichere Personalpo-
litik im BAFzA gesichert.

Das BAFzA, die ehemalige Zivildienstbehörde, war
einmal als Teilabbaubehörde geplant. Deshalb sind bei
ihr so viele kw-Vermerke ausgebracht. In der Zwischen-
zeit wurde jedoch eine Aufgabe nach der anderen an das
BAFzA übertragen. Inzwischen hat das BAFzA 28 Auf-
gaben zu erfüllen. Das BAFzA ist verantwortlich für das
Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das Verfahren für
die vertrauliche Geburt und den Fonds für die Opfer der
Heimerziehung in Ost und West. Das BAFzA erfüllt also
sehr viele Aufgaben. Bisher waren 25 Prozent der dorti-
gen Arbeitsplätze befristet.

Ich denke, es ist richtig, dass wir dafür gesorgt haben,
dass wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herrscht,
konkret auf unserem eigenen Arbeitsmarkt. Deshalb bin
ich sehr froh, dass uns das gemeinsam gelungen ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle will ich mich ausdrücklich auch beim
Unionshaushälter Alois Rainer bedanken;


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!)


denn ohne die gute Zusammenarbeit hätten wir die gan-
zen Leistungsverbesserungen nicht auf den Weg ge-
bracht. Auch die Arbeit mit Ekin Deligöz und dem Kol-
legen Leutert ist sehr gut verlaufen, wenn auch nicht
immer so übereinstimmend wie vielleicht mit den Uni-
onshaushältern.

Ich habe bereits gestern in der Generaldebatte ausge-
führt, wie schwierig es für Familien ist, den ganz norma-
len Alltagswahnsinn unter einen Hut zu bekommen. Jede
Familie ist anders. Deshalb müssen wir dafür sorgen,
dass Familien die Unterstützung bekommen, die zu ihren
eigenen Vorstellungen passt. Wichtige Initiativen haben
wir schon auf den Weg gebracht. Aber zum Beispiel der
Vorschlag von Manuela Schwesig im Hinblick auf Fami-
lienarbeitszeit sollte weiter vertieft beraten werden. Wir
müssen dafür sorgen, dass der Kitaausbau nicht stoppt.
Investitionen in Verkehrswege sind sehr wichtig; aber
Investitionen für unsere Kinder sind genauso wichtig.
Deswegen kündige ich als Haushälterin schon einmal an,
dass ich schon Wert darauf lege, dass in dem 10-Milliar-
den-Euro-Investitionsprogramm, das wir beschlossen
haben, auch Gelder für den Kitaausbau, für die frühkind-
liche Bildung enthalten sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Ab-
schluss will ich sagen: Ich bedanke mich für die diesjäh-
rigen Haushaltsverhandlungen. Ich denke, wir können
sehr zufrieden sein. Ich bedanke mich für das nette Mit-
einander bei meinen Mitberichterstatterinnen und Mitbe-
richterstattern, bei Manuela Schwesig und ihrem ganzen
Haus.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807017400

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt

das Wort Norbert Müller.


Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807017500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Frau Ministerin Schwesig! Liebe Gäste
auf den Besuchertribünen, die zu dieser etwas familien-
unfreundlichen Zeit heute Nachmittag in den Deutschen
Bundestag gekommen sind!


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


– Schauen Sie einmal, wie viele Kitas in Deutschland
bereits zwischen 16 und 17 Uhr schließen. Betroffen da-
von sind die, die kleine Kinder haben.

In der ersten Beratung zum Bundeshaushalt 2015
sprach an dieser Stelle noch meine Kollegin Diana
Golze. Frau Golze ist, wie Sie wissen, inzwischen als
Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und
Familie in die rot-rote Regierung Dietmar Woidkes ein-
getreten und wird dort mit der ihr eigenen Leidenschaft
weiter gegen Armut und soziale Benachteiligung von
Kindern und Jugendlichen kämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde es bedauerlich, dass Sie, Frau Ministerin
Schwesig, und die Kolleginnen und Kollegen der SPD-
Fraktion – bei der CDU/CSU sind jugend- und familien-
politisch ohnehin kaum Fortschrittliches und auch keine
moderne Gesellschaftspolitik zu erwarten – die Kritik an
den falschen Weichenstellungen des Bundeshaushaltes
vollständig ignorieren, dass Sie zum Stichwort „Betreu-
ungsgeld“, zu der Kritik daran, die Sie selbst einmal vor-
getragen haben – ich erinnere an das SPD-Wahlpro-
gramm –, und zu moderner Gesellschaftspolitik, die Sie
im SPD-Bundestagswahlprogramm sehr präzise skiz-
ziert haben, hier gar nichts mehr sagen; vielmehr suchen
Sie sich neue Themen aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Ministerin Schwesig, wenn ich Ihren Haushalt
und das besagte SPD-Wahlprogramm nebeneinander-
lege, stellt sich mir folgende Frage: Wie ertragen Sie es
eigentlich, hier eine Politik vertreten zu müssen, Stich-
wort „Betreuungsgeld“, die Ihren Überzeugungen doch
eigentlich weitgehend widersprechen müsste, und sich
sozusagen als Sahnehäubchen von Ihrem Koalitionspart-





Norbert Müller (Potsdam)



(A) (C)



(D)(B)

ner in der Öffentlichkeit demütigen zu lassen, wie wir es
diese Woche erleben konnten?

Unabhängig vom Haushalt finde ich es ein Stück weit
enttäuschend, wie profillos sich die SPD hier trotz hoff-
nungsvoller Programmatik gibt. Ich habe als Landtags-
abgeordneter in einer rot-roten Koalition in Brandenburg
eine andere SPD-Familien-, -Jugend- und -Frauenpolitik
kennengelernt. Und ja: Eine Koalition ist immer von
Kompromissen geprägt. Aber ein Kompromiss, bei dem
man am Ende das Gegenteil dessen macht, was man
einst versprochen hat, ist eben kein Kompromiss.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre 1 Milliarde Euro – oder besser: 900 Millionen
Euro –, die Sie als Belohnungsprämie für den Verzicht
auf die Inanspruchnahme eines Rechtsanspruches hier
wieder in den Haushalt eingestellt haben, steht für den
größten familienpolitischen Sündenfall der Sozialdemo-
kratie in dieser Legislaturperiode. Es ist nicht einmal er-
kennbar, dass Sie an diesem sozial-, bildungs- und fami-
lienpolitischen Unfug namens Betreuungsgeld noch
ernsthaft Kritik vorbringen, sondern Sie machen fast das
Gegenteil.

Gerade weil Sie aber offenbar nicht bereit sind, die
babylonische Gefangenschaft der Koalition mit der
CDU/CSU hier zu verlassen, werden Sie sich auch wei-
tere Kritik gefallen lassen müssen, und zwar zu Punkten,
zu denen Sie in Ihrer Rede nichts gesagt haben, die je-
doch angeblich Schwerpunkte in dieser Wahlperiode
sein sollen.

In Ihrer Rede auf dem 15. Deutschen Kinder- und Ju-
gendhilfetag haben Sie erklärt – ich zitiere Sie, Frau
Schwesig –:

Einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit in dieser
Legislaturperiode will ich deshalb den Jugendli-
chen widmen.

Und weiter sagten Sie:

Ich will deshalb bei der Eigenständigen Jugendpoli-
tik in dieser Legislaturperiode vom Reden zum
Handeln kommen.

Da kann man jetzt auch Beifall klatschen.

Doch leider muss der Applaus verebben, wenn man
Ihre Worte, denen Sie Handlungen folgen lassen wollten,
mit dem vorliegenden Haushalt abgleicht. Diesen Rea-
litätscheck bestehen Sie mit dem vorliegenden Einzel-
plan 17 nicht.

Man kann durchaus erfreut feststellen, dass Sie im
Kinder- und Jugendplan den Posten zur Jugendpolitik
um 400 000 Euro auf nunmehr 2,5 Millionen Euro auf-
gestockt haben. Aber was steckt hinter den 2,5 Millionen
Euro? Hieraus wurde das Zentrum für die Entwicklung
einer Eigenständigen Jugendpolitik finanziert; das haben
Sie gerade wieder abgewickelt. Dabei fallen mir noch ei-
nige Dinge auf:

Erstens. Sie werden eine Koordinierungsstelle mit
dem hochtrabenden Namen „Handeln für eine jugendge-
rechte Gesellschaft“ einrichten. Das haben Sie angekün-
digt. Was soll diese Koordinierungsstelle eigentlich tun?
Sie soll die Handlungsstrategien der Eigenständigen Ju-
gendpolitik in 16 Modellprojekten – für jedes Bundes-
land eines – ausprobieren, soll Bausteine einer eigenen
Jugendpolitik umsetzen. Damit verlagern Sie die Verant-
wortung für die Eigenständige Jugendpolitik vom Bund
auf die Kommunen und auf die Länder. Das ist kein Ei-
genständiges Handeln, sondern das ist höchstens das
Kommentieren des Handelns anderer.

Zweitens. Die Eigenständige Jugendpolitik soll im
Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung
weiterentwickelt werden. Damit sie dort nicht komplett
untergeht, was zu erwarten wäre, wurde eine AG „Ju-
gend gestaltet Zukunft“ gegründet. Bis zum Frühjahr
2017 – da findet der vierte Demografiegipfel statt – wird
sich die AG mit dem Schwerpunkt „Gelingendes Auf-
wachsen von Jugendlichen in ländlichen Räumen“ be-
schäftigen. So weit, so gut. So wird die AG mit dem
hochtrabenden Namen „Jugend gestaltet Zukunft“ in den
nächsten zweieinhalb Jahren vier Kommunen besuchen
und sich vor Ort gelungene Beispiele in der Praxis an-
schauen.

Frau Ministerin Schwesig, ich bitte Sie! Beides hört
sich an wie die modifizierte Fortführung der Kampagne
für eine kindgerechte Kommune. Sie wollten in dieser
Wahlperiode bei der Eigenständigen Jugendpolitik vom
Reden zum Handeln kommen. Aber wo ist hier Ihre ei-
genständige Handlung? Ist es nicht vielmehr so, dass Sie
darauf warten, dass andere für Sie handeln?

Ich komme zu meinem letzten Beispiel. Sie haben uns
auf eine Kleine Anfrage bezüglich der Situation von
Straßenkindern geantwortet, dass Sie vier Projekte für
Straßenkinder mit jeweils 100 000 Euro fördern werden.
Ich begrüße, dass Sie die Realität zur Kenntnis nehmen,
dass es in diesem Land Tausende Kinder und Jugendli-
che gibt, die auf der Straße leben. Das sind Kinder und
Jugendliche, die auf der Straße gelandet sind, auch des-
halb, weil die Gesellschaft versagt hat.

Ich muss nun feststellen, woher die 400 000 Euro
kommen, die Sie einstellen wollen: von der Eigenständi-
gen Jugendpolitik. So spielen Sie die Eigenständige Ju-
gendpolitik gegen Straßenkinder aus. Ich erkläre Ihnen
das auch: Wenn Kinder und Jugendliche zu Straßenkin-
dern werden, dann hat dies eine Vorgeschichte; das wis-
sen Sie. Die Vorgeschichte ist das Scheitern der Gesell-
schaft an ihren sozialen Problemen. Nicht nur die
Familien, auch die örtlichen Strukturen – Schule, Ver-
einslandschaft, Kinder- und Jugendhilfe – haben an die-
sem Punkt bereits versagt. Kein Jugendlicher lebt gern
auf der Straße. Es ist die Flucht vor einer Gesellschaft, in
der es die Jugendlichen nicht mehr aushalten, wenn sie
sich mit ihrem Lebensmittelpunkt auf die Straße zurück-
ziehen.

So richtig es ist, diesen Jugendlichen Öffentlichkeit
zu geben, Frau Schwesig, so falsch ist es, an der Eigen-
ständigen Jugendpolitik zu sparen; denn eine gute Ju-
gendpolitik geht an die Wurzel des Problems und setzt
an der sozialen Infrastruktur an – das hatten Sie auch im
SPD-Wahlprogramm –, die vorbeugend wirken soll, so-
dass es gar nicht erst zu dieser Anzahl von Straßenkin-





Norbert Müller (Potsdam)



(A) (C)



(D)(B)

dern kommt. Die Eigenständige Jugendpolitik kostet
Geld, sie kostet viel Geld, Frau Schwesig, und ich kann
nicht erkennen, dass Sie in diesem Haushalt hier einen
Schwerpunkt gesetzt haben. Von daher können Sie un-
sere Zustimmung nicht erwarten.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807017600

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Marcus Weinberg, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1807017700

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich will drei Vorbemerkungen machen:

Erstens. Liebe Frau Brantner, ob die Null nun rot oder
weiß oder schwarz oder grün ist, ist relativ wurscht.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Für Familienpolitiker ist es hervorragend, dass wir diese
Null erreicht haben; denn wir sind für die kommenden
Generationen verantwortlich. Damit schützen wir die
kommenden Generationen vor Verschuldung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])


Ich bin mittlerweile – auch erkennbar – 47 Jahre.
Wenn man rückblickend feststellt, dass man 45 der
47 Jahre in Neuverschuldung erlebt hat, dann kann man
heilfroh sein, dass wir endlich dieses Ergebnis erzielt ha-
ben. Ich hatte schon die Sorge, dass eines Tages die Zahl
der Jahre mit Neuverschuldung mein Gewicht erreicht.
Das, Gott sei Dank, ist verhindert worden. Das ist ein Er-
folg auch für die Familien in diesem Land.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Man kann viel kritisieren, wie die Linke es
gern tut; man muss dann aber auch sagen, woher das
Geld kommen soll.


(Michael Leutert [DIE LINKE]: Ich habe einen Vorschlag gemacht!)


Zusammengerechnet würden Ihre Forderungen weit
mehr als 50 Milliarden Euro verschlingen. Ein Grund-
satz von uns Familienpolitikern ist: Wir tun gern etwas
aus Überzeugung; wir haben auch eine richtige Zielfunk-
tion.Wir müssen aber auch wissen: Das Geld, das wir für
gute Maßnahmen ausgeben, müssen andere erwirtschaf-
ten. Deswegen ist es ein Gebot der wirtschaftlichen Ver-
nunft, daran zu denken, Maßnahmen nicht über Neuver-
schuldung zu finanzieren, weil unsere Kinder dann dafür
zahlen müssten.

Beim dritten Punkt geht es auch um die moderne Fa-
milienpolitik. Ich stimme natürlich zu: Wir haben eine
moderne Familienpolitik. Aber es sei auch erwähnt, dass
die Themen, die die moderne Familienpolitik auszeich-
nen – Elterngeld, Kitaausbau, Familienpflege, Qualität
in der frühkindlichen Bildung, Frauenquote – bereits seit
vielen Jahren angelegt waren. Insoweit setzen wir das
fort, was wir in den Regierungsjahren vorher schon ein-
gebracht haben. Das ist ein gemeinsamer Erfolg der Gro-
ßen Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD])


Richtig ist – Frau Gottschalck und Herr Rainer haben
es angesprochen –, dass der Etat noch einmal erhöht
wurde: auf 8,54 Milliarden Euro. Das ist ein Erfolg. Es
gibt im Bundeshaushalt zwei Bereiche, die seit 2005
deutliche Zuwächse zu verzeichnen haben. Das eine ist
der Bereich Bildung, Forschung und Wissenschaft, das
andere ist der Bereich Familie. Das heißt also, dass wir
seit 2005 in Deutschland einen Paradigmenwechsel erle-
ben, dass wir in die Zukunft investieren. Da sind die
Gelder gut angelegt; mit diesen Mitteln können wir Fa-
milien stärken. Wir wollen Kindern und Jugendlichen,
Frauen und Männern gleichberechtigte gesellschaftliche
Teilhabe ermöglichen; wir wollen ihnen insgesamt
Selbstständigkeit und die Entfaltung ihrer Fähigkeiten
ermöglichen. Unsere Familienpolitik ist in der Summe
davon geprägt, dass wir den Veränderungen, den ver-
schiedenen Lebensphasen gerecht werden und die Maß-
nahmen und Leistungen den einzelnen Phasen entspre-
chend ausprägen.

Ich will das mit den veränderten Rollenbildern und
den Familienleitbildern, die sich in Deutschland entwi-
ckeln, in Verbindung setzen. Was müssen wir familien-
politisch machen? Ja, es gibt die traditionelle Familie, in
der einer der beiden Partner zu Hause bleibt und sich um
die Erziehung und Betreuung der Kinder kümmert. Des-
wegen haben wir für diese Menschen etwas zu leisten.
Es gibt auch die Alleinerziehenden – wir haben für sie
die Regelungen zum Elterngeld korrigiert –, die sich al-
leine um das Kind kümmern müssen. Es ist gut und rich-
tig, dass nun auch die Alleinerziehenden die Partner-
schaftsmonate nutzen können.

Immer mehr Menschen, immer mehr junge Eltern sa-
gen: Beide sollen für das Einkommen der Familie ver-
antwortlich sein; es sind mittlerweile 81 Prozent. Auch
für diese müssen wir entsprechende Maßnahmen entwi-
ckeln. Unsere Familienpolitik wird den verschiedenen
Rollenbildern gerecht.

Das sehen Sie auch daran, dass die Große Koalition
den drei großen Wünschen der Menschen – die Erwar-
tungen haben sich verändert – Rechnung trägt. Das eine
ist der Wunsch, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
zu erleichtern. So hat Allensbach 2013 festgestellt, dass
81 Prozent diesen Wunsch haben. Dem werden wir ge-
recht. 60 Prozent der Eltern von Kindern unter 18 Jahren
wünschen, junge Familien stärker zu fördern. Das ma-
chen wir. 55 Prozent wünschen, dass das Angebot an
Krippenplätzen ausbaut wird. Das machen wir. All das
findet sich im Dreieck aus finanzieller Sicherheit der Fa-
milie, Infrastruktur und Zeitmanagement. Es entspricht
den Grundsätzen der Union für das familienpolitische
Handeln: Wir wollen die Vielfalt anerkennen, Maßnah-
men zielgenau und bedarfsgerecht zuschneiden und so
die Familien unterstützen. Deswegen müssen die fami-
lienpolitischen Leistungen immer überprüft werden. Es
ist immer eine Aufgabe der Politik, das, was man leistet,





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

zu überprüfen, aber immer auch Vertrauen in die Fami-
lien zu haben. Familien sollen eigenverantwortlich die
für sie passenden Leistungen wählen.

Frau Brantner, deswegen verstehe ich nicht, warum
Sie bewerten müssen, ob 20, 40, 60 oder 80 Prozent der
Eltern das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen. Neh-
men Sie es doch einfach zur Kenntnis. Es ist doch gut,
wenn Menschen die Wahl haben, zwischen den Möglich-
keiten wählen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sollten wir doch nicht einschränken. Sie können
eine Maßnahme doch nicht anhand der Frage bewerten,
ob sie nur 20 Prozent oder sogar 80 Prozent in Anspruch
nehmen. Das ist doch der falsche Zugang zu dieser
Frage.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie, man kann von 150 Euro im Monat leben?)


Der Zugang muss doch sein: Es gibt das Angebot, und
wir freuen uns über jede Familie, die das Angebot wahr-
nimmt. Das gilt sowohl für den Krippenausbau als auch
für das Betreuungsgeld. Wir wollen es den Familien
nicht vorschreiben. Wir wollen die Familien in ihrer ei-
genen Entscheidung stärken, Frau Brantner; wir beide
haben sie nicht zu kommentieren.

Das bedeutet für uns, dass die Familienpolitik nicht
einseitig und verengt ökonomischen Interessen dienen
muss. Wir sagen: Wir wollen nicht die arbeitsgerechte
Familie, sondern eine familiengerechte Arbeitswelt. Da-
ran kann man auch den Erfolg der Familienpolitik be-
werten. Da sieht man, dass die großen Maßnahmen, die
wir implementiert haben, zu entsprechenden Erfolgen
geführt haben.

Ich will die großen Maßnahmen, die Leuchttürme, an-
sprechen, weil sie in Übereinstimmung zu den Wün-
schen der Eltern stehen. Das erste Thema ist der gesamte
Bereich Elterngeld, Elterngeld Plus. Noch einmal: Was
gut und richtig war und angenommen wurde, ist, das El-
terngeld zu flexibilisieren. Frau Brantner, dahinter steht
natürlich ein Gedankengang. Sie haben in Ihrer Rede die
Regelung kritisiert, dass beide, Vater und Mutter, jeweils
25 bis 30 Stunden arbeiten müssen und gefordert, diese
etwas nach oben und nach unten zu öffnen. Aber das ist
doch der entscheidende Punkt: Wir wollen doch – in An-
führungszeichen – „wegkommen“ von der Aufteilung,
dass die Mutter 20 Stunden und der Vater 40 Stunden ar-
beitet. Wir wollen eine gleichmäßigere Verteilung.

Wir wollen so auch den Männern gerecht werden, die
zu über 60 Prozent sagen, sie möchten mehr Zeit mit ih-
ren Kindern verbringen.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sollen das die Alleinerziehenden schaffen?)


Wir möchten auch den Müttern gerecht werden, die
gerne etwas mehr arbeiten möchten. Diesen Ansatz, die
Stärkung der Partnerschaftlichkeit, verfolgen wir mit
dem Partnerschaftsbonus und den Partnermonaten. Das
würden wir doch kaputtmachen, wenn wir Ihrem Vor-
schlag folgen würden.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage war, was die Alleinerziehenden davon haben!)


Ein zweites Thema ist der Ausbau der U3-Krippen-
plätze. Hierfür sind 5,4 Milliarden Euro vorgesehen. Das
ist eine große Summe. Deswegen finde ich das immer
wieder erwähnenswert. Nun sagt Frau Brantner, wir
würden die Länder und Kommunen alleine lassen. Wis-
sen Sie: Wir geben zusätzlich zu den Investitionsmitteln
845 Millionen Euro und demnächst 945 Millionen Euro
für die Betriebskosten dazu.


(Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Was die Länder streichen!)


Wenn ich dann dazurechne, was wir für den Bereich Bil-
dung und Forschung ausgeben, wenn ich dazurechne,
was wir in den nächsten Jahren den Kommunen an Ent-
lastung schenken werden, dann kann ich nur sagen: Frau
Brantner, Sie kommen doch aus Baden-Württemberg.
Gehen Sie zu Ihrer zuständigen Ministerin, und sagen
Sie ihr, sie soll Erzieherinnen einstellen. Das liegt in ih-
rer Verantwortung und nicht in unserer Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Gottschalck, wir können gerne darüber diskutie-
ren, wie wir die 10 Milliarden Euro aus dem Investi-
tionsprogramm sinnvoll für unser Land ausgeben. Aber
ich befürchte, wenn wir einmal damit anfangen, dann
kommen noch die Hortplätze oder diese oder jene Be-
treuung dazu, und irgendwann diskutieren wir in diesem
Plenum womöglich noch darüber, ob wir nicht 20 Pro-
zent der Lehrergehälter dazugeben.

Wir haben im föderativen System eine klare Ordnung,
und wir verstoßen immer stärker gegen diese Ordnung.
Deswegen bin ich heilfroh, dass wir in der Bund-Länder-
Kommission darüber reden, dass die Finanzströme end-
lich geordnet werden, damit jeder weiß, was er zu tun
hat; denn wir können nicht die originären Aufgaben der
Länder und Kommunen wahrnehmen. Das schaffen
selbst wir nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zur der Frage, wie man die Qualität verbessern kann.
Ich finde es richtig, dass die Länderminister mit der
Bundesministerin gemeinsame Gespräche führen und
überlegen: Was ist die Agenda? Ich erwarte von den
Ländern, dass sie bereit sind, ihren Betreuungsschlüssel
– Hamburg hat derzeit einen Betreuungsschlüssel von
1 zu 5,6 und Bremen einen von 1 zu 3,1 – zu verändern,
Erzieherinnen einzustellen und Qualitätsstandards fest-
zulegen. Das ist doch im Interesse der Länder, der Kom-
munen und des Bundes.

Das Kitaqualitätsgesetz, wie man es fordert, hätte
doch nur eines als Konsequenz, dass gesagt wird: Ihr
seid für die Standards verantwortlich, ihr müsst sie auch
bezahlen. Ich sage es noch einmal: Das ist nicht unsere
originäre Aufgabe. Ich verweigere mich der Diskussion
nicht, aber ich bin verärgert darüber, wenn die Mittel, die





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

wir für die Länder bereitstellen, für etwas anderes ausge-
geben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe bereits ein Beispiel genannt. Wenn einem Qua-
lität so wichtig ist, dann muss man als zuständiger Mi-
nisterpräsident, in diesem Fall Bürgermeister, die Quali-
tät auch ausbauen.

Wenn man das Geld, das man vom Bund bekommt,
aber verwendet, um die Beiträge zu streichen, dann setzt
man die Priorität anders. Dann ist es doch eher wichti-
ger, dass diejenigen mit hohen Einkommen, die auch die
entsprechenden Beiträge zahlen, entlastet werden. Dann
setzt man halt nicht auf die Qualität und das Einstellen
neuer Erzieherinnen und Erzieher. Aber das ist eine poli-
tische Frage, die in den Ländern entschieden werden
muss.

Es wurden viele einzelne Maßnahmen angesprochen,
zum Beispiel die Frühen Hilfen, die mit 51 Millionen
Euro unterstützt wurden – das wurde jetzt verstetigt –,
oder die Mehrgenerationenhäuser, mit denen der soziale
Zusammenhalt in der Gesellschaft – das ist für uns alle
parteiübergreifend ein wichtiger Punkt – gestärkt wird.
Wir werden dafür kämpfen, dass wir diese auch über
2016 hinaus sichern bzw. konzeptionell neu aufstellen;
das steht ja auch im Koalitionsvertrag. Weitere Maßnah-
men, die wir unterstützen, sind die Jugendfreiwilligen-
dienste, Entschädigung für die Opfer der Heimerziehung
Ost und Ähnliches. Familienpolitik muss konkret sein.
Familienpolitik muss für die Familie, für Mann und
Frau, für die Kinder und Jugendlichen da sein.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Diskus-
sionspunkt aufgreifen. Ich finde es richtig, dass man da-
rüber diskutiert, wie man die Rechte der Kinder stärken
kann. Ich gehöre zu denen, die immer sagen: Die Partizi-
pation von Kindern und Jugendlichen muss gestärkt wer-
den. Aber mit Blick auf die Diskussion über die Frage,
ob Kinderrechte im Grundgesetz festgeschrieben werden
sollen, sage ich ganz deutlich: Wir könnten möglicher-
weise einen gefährlichen Weg einschlagen.

Zum einen sind Kinder bereits Träger von Grundrech-
ten. Wenn ich weiter differenziere, dann mache ich einen
Riesenfehler, weil ich das sozusagen indirekt infrage
stelle. Ich möchte, dass wir Familien, Eltern und Kinder
gemeinsam stärken. Was ich aber nicht möchte, ist, dass
wir eine Diskussion führen und Wolken hin- und her-
schieben; als ob dadurch die Probleme in der Jugendhilfe
gelöst werden könnten.

Wissen Sie eigentlich, dass 10 von 16 Bundesländern
die Kinderrechte bereits in der Verfassung haben? Bre-
men, Brandenburg, Bayern und einige andere mehr. Gibt
es empirisch nachgewiesen irgendwelche Unterschiede
beim Kinderschutz, beim Kindeswohl, bei ASD oder bei
Jugendhilfestrukturen? Nein. Deshalb warne ich davor,
dass wir diese Diskussion falsch führen, weil wir dann
nur Wolken hin- und herschieben und den Menschen et-
was vormachen, was wir nicht erfüllen.

Lassen Sie uns bitte in den nächsten Monaten und
Jahren konkret darüber nachdenken, wie wir das Kindes-
wohl und die Familien sowie Eltern und Kinder gemein-
sam stärken können, und nicht zwischen beiden Seiten
differenzieren; denn ich denke, dass Eltern und Kinder
immer noch im Fokus unserer Politik stehen müssen wie
in den vergangenen Jahren.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist die Familie eigentlich so heil?)


Insofern ist es ein guter Haushalt, und ich freue mich
schon auf den Haushalt 2016, wenn wir die nächsten
Weichen stellen können.

Herzlichen Dank.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1807017800

Herzlichen Dank. – Nächste Rednerin ist Kordula

Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlau-
ben Sie mir, dass ich kurz auf zwei Punkte aus der bishe-
rigen Debatte eingehe. Ich hätte mich gefreut, wenn bei
der Lesung des Einzelplans 17, in dem es ja um Familien
und Frauen geht, auch einige der Wortführer gegen die
Frauenquote hier anwesend gewesen wären und zuge-
hört hätten – etwa der Vertreter der Pfauenquote bei der
CDU, Herr Kauder –; dann hätte das unter Umständen
auch dazu beigetragen, den Umgangston zwischen Män-
nern und Frauen in dieser Koalition zu verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber dabei sind bei Ihnen ja einige durch ein Wechsel-
bad der Gefühle gegangen. Das hätte hier vielleicht et-
was besser herausgestellt werden können.

Als zweiter Punkt wurde angesprochen, dass wir uns
bei den Mehrgenerationenhäusern enthalten, und ich sage
Ihnen: Mehrgenerationenhäuser sind auch für uns ein
ganz wesentlicher Punkt der Begegnung der Generatio-
nen vor Ort. Wir wollen dauerhaft gerade auch mehrere
Generationen, die Kontakte sowie die verschiedenen Be-
darfe und Bedürfnisse dieser Menschen zusammenbrin-
gen, und wir glauben, dass Mehrgenerationenhäuser in
den Kommunen tatsächlich die richtigen Orte dafür sind.

Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie in diesen
Bereich investieren, dann müssen Sie auch so ehrlich
sein und diesem Haus sagen, wofür Sie diese Mittel ein-
setzen wollen. Ihren Vorschlägen fehlt jedes Konzept.
Deswegen haben wir uns bei diesem Antrag enthalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die Wahrheit.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Häuser sind da!)


– Ja, da können Sie jetzt schreien, aber davon bekommen
Sie auch kein Konzept.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die arbeiten schon nach Konzept!)






Kordula Schulz-Asche


(A) (C)



(D)(B)

Ein weiterer Punkt, auf den ich eingehen möchte und
bei dem wir sogar gegen das, was Sie vorgeschlagen ha-
ben, gestimmt haben und witzigerweise auch noch die
Einzigen waren, weil es da eine ganz große Koalition in
diesem Hause gab, sind die circa 30 Millionen Euro, die
Sie in jedem Jahr für die Bildungszentren des Bundes-
amtes, für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
vorsehen. Wir haben ausdrücklich dagegen gestimmt.

Meine Damen und Herren, die Freiwilligendienste
sind hervorragende Lern- und Bildungsangebote. Sie
zeichnen sich durch Vielfalt sowohl der Angebote – vom
sozialen Jahr über das ökologische Jahr – aus, und die
vielen Freiwilligen leisten eine gute, notwendige Arbeit
für unsere Gemeinschaft. Sie unterstützen Ältere, sie en-
gagieren sich im Naturschutz, in der Entwicklungszu-
sammenarbeit und vielen anderen zusätzlichen Feldern.

Auch unsere bewährten Träger leisten eine gute Ar-
beit. Sie zeichnen sich durch Vielfalt und Pluralität in ih-
rer tagtäglichen Arbeit an vielfältigen Einsatzstellen der
Bildungsarbeit aus. Ich denke, das ist ein riesiges Danke-
schön wert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Bei den jungen Freiwilligendiensten ist es selbstver-
ständlich, dass der Freiwilligeneinsatz sowie die pädago-
gische und politische Bildung in einer Hand sind. Beim
Bundesfreiwilligendienst gibt es – aber das ist historisch
in der Entstehung begründet – eine Ausnahme. Hier sind
derzeit politische und pädagogische Bildung leider noch
getrennt.

Eine Übergangsphase wäre für uns völlig okay, aber,
meine Damen und Herren, Sie entwerfen kein Konzept,
wie diese staatliche Bildungsarbeit in Zukunft zusam-
men mit der Zivilgesellschaft gestaltet werden kann,
sondern Sie wollen ein Weiter-so, und dazu haben wir
gesagt: Das ist uns zu kurz gedacht. Wir brauchen ein
neues, modernes Konzept, deswegen stimmen wir mit
Nein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zudem hat der Bundesrechnungshof gezeigt, dass
dies durchaus auch wirtschaftlich infrage gestellt werden
kann. Ich finde, dass das eine grundsätzliche Frage auf-
wirft, nämlich welche Rolle das Subsidiaritätsprinzip
spielt, das da heißt: Wenn die Zivilgesellschaft etwas
besser machen kann als der Staat, dann soll es auch die
Zivilgesellschaft machen. Dass in diesem Bereich dage-
gen verstoßen wird, wundert mich übrigens auch, insbe-
sondere im Hinblick auf die CDU/CSU-Fraktion, die ge-
rade das Prinzip „Zivilgesellschaft vor Staat“ immer sehr
in den Vordergrund stellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, versuchen Sie deswegen
bitte, zusammen mit der Zivilgesellschaft und den freien
Trägern ein gemeinsames Konzept für eine vernünftige
Arbeit der Freiwilligendienste in Deutschland zu entwi-
ckeln, aber hören Sie auf, mit den staatlichen Angeboten
die Arbeit der freien Träger zu zerstören.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807017900

Vielen Dank, liebe Kollegin Schulz-Asche. – Schö-

nen Spätnachmittag von mir, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, liebe Gäste auf der Tribüne und liebe Damen und
Herren auf der Regierungsbank! – Nächster Redner in
der Debatte ist Sönke Rix für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1807018000

Herzlich willkommen, Frau Präsidentin! Wir haben

schon engagiert debattiert. Sie haben eine gute Debatte
erwischt, bei der Sie uns jetzt wahrscheinlich auch noch
sicher durch die letzten Minuten führen werden.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807018100

Dann kommt es jetzt auch auf Sie an.


Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1807018200

Ich werde mir Mühe geben. – Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau
Kollegin, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie die Frei-
willigendienste angesprochen haben. Dafür stellen wir
einen Riesenbatzen in unserem Haushalt zur Verfügung.
Diese Mittel investieren wir gerne und auch gut. Wir
sind gerne bereit, für das Freiwillige Soziale Jahr, das
Freiwillige Ökologische Jahr und den Bundesfreiwilli-
gendienst Geld auszugeben; denn wir sind dankbar für
die jungen Menschen, die sich für unsere Gesellschaft
engagieren. Herzlichen Dank an die jungen Menschen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich finde es auch gut, es so zu machen, wie wir es im
Koalitionsvertrag miteinander vereinbart haben. Meines
Erachtens sollten wir keine großen Strukturdebatten da-
rüber führen, ob wir einen Bundesfreiwilligendienst
brauchen oder nicht und ob die Jugendfreiwilligen-
dienste besser sind oder nicht;


(Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


denn meist bietet ein Träger sowohl die Jugendfreiwilli-
gendienste als auch den Bundesfreiwilligendienst an,
und die Menschen, die das – –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807018300

Ich wollte Sie eigentlich ausreden lassen, um Sie dann

zu fragen, lieber Kollege Rix: Erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage oder Zwischenbemerkung der Kollegin
Schulz-Asche?


(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Er wartete schon sehnsüchtig auf die Verlängerung der Redezeit!)







(A) (C)



(D)(B)


Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1807018400

Ich habe schon sehnsüchtig darauf gewartet, von mei-

ner Rede in die Antwort überzuleiten.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807018500

Ja oder nein?


Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1807018600

Ja.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807018700

Gut. – Bitte, Frau Schulz-Asche.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege, wie bewerten Sie, dass die Staatsminis-
terin an die freien Träger geschrieben hat, es sei grund-
sätzlich infrage zu stellen, ob die freien Träger überhaupt
in der Lage seien, neutrale Bildungsangebote im politi-
schen Bereich anzubieten? Das ist doch wirklich ein
Schlag ins Gesicht der vielen freien Träger, die in Frei-
willigendiensten seit Jahrzehnten sehr bewährte Arbeit
auch im Bereich der politischen Bildung leisten.


Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1807018800

Frau Kollegin, so, wie ich dieses Schreiben verstan-

den habe, macht sie nur deutlich, dass politische Bildung
genauso wie durch die freien Träger auch durch den
Staat erfolgen kann. Deshalb ist es auch gut und sinn-
voll, dass wir die staatlichen Schulen weiterhin fördern.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich wollte aber Folgendes sagen: Es ist gut, dass wir
im Moment keine Strukturdebatten führen, ob das eine
besser ist als das andere; denn große Träger wie die Ar-
beiterwohlfahrt, die Deutsche Sportjugend und andere
Organisationen behandeln die Freiwilligen vor Ort in
den Einsatzstellen gleich. Ich halte es für sehr wichtig,
dass die jungen Menschen, die sich engagieren, auch
gleiche Rahmenbedingungen vorfinden. Daran können
wir an der einen oder anderen Stelle noch arbeiten.

Ich bin auch für eine Stärkung des Trägerprinzips.
Außerdem bin ich dafür, noch stärker dafür zu sorgen,
dass die jungen Menschen, wenn sie denn vor Ort sind,
eine bessere Anerkennungskultur vorfinden. Das können
wir aber nicht gesetzlich regeln. Da müssen wir vielmehr
moderierend einwirken. Wir sollten mit der Deutschen
Bahn und mit der GIZ noch einmal über Verbesserungen
im Bereich der Anerkennungskultur für die jungen Men-
schen sprechen. Insoweit sind wir, was die Freiwilligen-
dienste angeht, auf einem sehr guten Weg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch was die Mehrgenerationenhäuser angeht, sind
wir auf einem sehr guten Weg. Für die Weiterführung
gibt es nämlich genügend Konzepte, Frau Kollegin. Sie
wollen jetzt noch abwarten und das Geld nicht bereitstel-
len, weil nach Ihrer Ansicht keine geeigneten Konzepte
vorliegen. Das sehe ich anders. Wenn Sie tatsächlich
Mehrgenerationenhäuser besucht hätten, wüssten Sie,
dass sie das Geld dringend brauchen. Es gibt gute Kon-
zepte, die unbedingt weitergeführt werden müssen. Dort
findet eine Teilhabe von Seniorinnen und Senioren so-
wie der jungen Generation statt. Daher bin ich dem
Haushaltsausschuss sehr dankbar dafür, dass er den Be-
schluss zur Weiterfinanzierung der Mehrgenerationen-
häuser gefasst hat.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Jetzt noch zu der Kollegin Golze, die leider – ich sage
ganz bewusst: leider – nicht mehr bei uns ist: Sie ist eine
fachlich sehr kompetente Kollegin gewesen, mit der man
sich gut sachlich auseinandersetzen konnte. Ich wünsche
Frau Golze – ich glaube, ich spreche damit auch im Na-
men des ganzen Hauses – für ihre neue Tätigkeit viel Er-
folg.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Rahmen ihrer neuen Tätigkeit wird sie vermutlich
auch lernen müssen, Kompromisse einzugehen und nicht
all das umsetzen zu können, was man von Anfang an in
Wahlkämpfen gefordert hat. Wir sind nämlich nicht
mehr im Wahlkampfstadium, sondern im Umsetzungs-
stadium. Insofern ist es verständlich, dass nicht von bei-
den Koalitionspartnern alles zu 100 Prozent umgesetzt
werden kann. Das ist in Brandenburg übrigens nicht an-
ders als in Berlin.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade was die Hilfe für Menschen angeht, die von
sexueller Gewalt betroffen waren, können Sie ja einmal
die Sozialministerin von Brandenburg fragen, ob das
Land Brandenburg in diesen Fonds einzahlt. Vielleicht
kann sie es, obwohl sie es will, aus gewissen Gründen
nicht. Von daher muss man sagen, dass Kompromisse
manchmal vernünftig sein können und manchmal auch
notwendig sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind froh, dass
der Koalitionsausschuss getagt hat und die Debatte zum
Thema „Frauen in Führungspositionen“ wieder auf den
Punkt zurückgebracht hat, an dem wir sie eigentlich
schon hatten. Die Quote von 30 Prozent in Aufsichtsrä-
ten von börsennotierten und voll mitbestimmungspflich-
tigen Betrieben wird kommen. Das steht so auch im Ko-
alitionsvertrag. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass
das so kommen wird. Ich glaube, es ist gut, dass wir das
an dieser Stelle noch einmal sichergestellt haben.


(Beifall bei der SPD)


Mein Dank gilt nicht nur der Ministerin, die dabei noch
einmal gegen Widerstand aus den eigenen Reihen der
Koalition gekämpft hat, sondern auch denjenigen, die
fraktionsübergreifend, gemeinsam mit anderen Frauen
an der Berliner Erklärung gearbeitet haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Es ist eine gemeinsame Grundlage, die wir hier umset-
zen. Es ist sehr wichtig, dass wir wissen, dass es nicht





Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)

ein Projekt der Koalition, sondern ein Projekt für die
Frauen ist. Es ist gut, dass die Frauenquote kommt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Josef Rief [CDU/ CSU])


Wir haben hier schon viel über das Programm „De-
mokratie leben!“ gehört und davon, dass es bei den Mit-
teln ein Plus von 10 Millionen Euro gab. Wir können na-
türlich sagen: Am liebsten wären uns da 50 Millionen,
100 Millionen Euro oder noch mehr. Aber wir haben es
geschafft, und das auch durch intensive Arbeit des Parla-
mentes. Ich finde, wir als Parlament können durchaus
einmal sagen: Ein Zuwachs von 10 Millionen Euro in ei-
nem Programm, für das bis dato nur 30 Millionen Euro
vorgesehen waren, ist ein richtiger, guter und großer
Schritt. Solch eine deutliche Steigerung wünschen sich
auch andere für ihre Programme. Es ist gut, dass das
möglich geworden ist, und dafür bedanke ich mich beim
Haushaltsausschuss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir setzen damit mehrere politische Versprechungen
um; denn das Erste, was wir hier nach dem NSU-Unter-
suchungsausschuss gemeinsam im Haus beschlossen ha-
ben, ist, dass wir auch zivilgesellschaftlich gegen Nazi-
terror angehen wollen. Das bedeutet, dass wir diese
Programme stärken müssen. Das ist der erste Beschluss,
den wir hier gefasst haben.

Der zweite Beschluss ist, dass wir auch gemeinsam
gegen Antisemitismus vorgehen wollen. Auch das set-
zen wir damit um.

Das Dritte, was wir miteinander angehen wollen, sind
die neuen Herausforderungen durch den Salafismus und
durch die Hooligans auf der Straße. Ich finde es gut, dass
wir hier die Zivilgesellschaft ganz eindeutig stärken. Ich
bedanke mich für diesen Vorschlag des Haushaltsaus-
schusses. Ich bedanke mich auch im Namen der Zivilge-
sellschaft. Wie wir das Geld verteilen, das bereden wir
gemeinsam mit der Zivilgesellschaft.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807018900

Vielen Dank, Herr Kollege Rix. – Nächste Rednerin

in der Debatte: Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1807019000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem
Hohen Hause habe ich meine erste Rede im April 2014
zum Familienetat des Bundeshaushaltes gehalten. Dort
habe ich gesagt: „Wir sind … nah am Ziel, … keine
neuen Schulden aufzunehmen.“ Jetzt ist es so weit. Der
Bund wird 2015 keine neuen Schulden machen. Dafür
danke ich den Haushälterinnen und Haushältern, die dies
in langen Nachtsitzungen erreicht haben. Wir möchten
unseren nachfolgenden Generationen, unseren Kindern
und Enkelkindern keine wachsenden Schuldenberge hin-
terlassen. Eine wichtige Voraussetzung für eine nachhal-
tige Politik sind solide Finanzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb nehmen wir seit 46 Jahren erstmals keine neuen
Kredite auf, und wir arbeiten in den nächsten Jahren an
der Tilgung.

Die Familie ist die beste Voraussetzung für eine gute
Entwicklung von Kindern. Sie prägt uns lebenslang. Un-
ser Leitmotiv war und ist, gute Rahmenbedingungen für
Familien zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb investieren wir in unsere Familien. Der Etat des
Familienministeriums wächst trotz des ausgeglichenen
Haushalts um 564 Millionen Euro auf 8,5 Milliarden
Euro an. Diese wirklich guten Rahmenbedingungen sind
nicht ideologisch geprägt und bevormundend. Nach Ar-
tikel 6 des Grundgesetzes sind Pflege und Erziehung das
natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen ob-
liegende Pflicht. Mit unserer Familienpolitik unterstüt-
zen wir Eltern bei ihren Aufgaben. Wir schaffen unter-
schiedliche Angebote und lassen sie selbst entscheiden,
welche Angebote sie nutzen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder beide, wie in Bayern!)


Mit dem Betreuungsgeld erkennen wir die Erzie-
hungsleistungen der Eltern an. Den Haushaltsansatz für
das Betreuungsgeld haben wir von 515 Millionen Euro
auf 900 Millionen Euro erhöht; der Bedarf ist sehr wohl
vorhanden. Der Haushaltsansatz für das Elterngeld
wurde noch einmal angehoben, und zwar um 180 Millio-
nen Euro auf insgesamt 5,5 Milliarden Euro. Viele Müt-
ter wollen nach einer IGES-Studie von 2014 bereits
während der Elternzeit wieder zurück in ihren alten Be-
ruf. Damit sie beim Elterngeld keine Ansprüche verlie-
ren, haben wir das Elterngeld flexibilisiert. Laut einer
forsa-Umfrage von 2014 will jeder zweite befragte Vater
in Teilzeit arbeiten, um mehr Zeit mit seinen Kindern
verbringen zu können. Das Elterngeld Plus ermöglicht es
Eltern, früher wieder in den Beruf einzusteigen. Sie kön-
nen bis zu 24 Monate Elterngeld Plus erhalten. Wenn
beide Elternteile mindestens vier Monate lang gleichzei-
tig zwischen 25 und 30 Wochenstunden arbeiten und
sich gemeinsam um das Kind kümmern, erhalten sie vier
weitere Elterngeld-Plus-Monate, die sogenannten Part-
nerschaftsmonate. Wir wollen auch die Alleinerziehen-
den bei ihrer Erziehungsarbeit unterstützen. Deshalb
können auch sie die vier Partnerschaftsmonate in An-
spruch nehmen. Mit dem Elterngeld, dem Elterngeld
Plus mit Partnerschaftsbonus und dem Betreuungsgeld
wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Sylvia Pantel


(A) (C)



(D)(B)

Diese Leistungen können flexibel genutzt und kombi-
niert werden. Wir schaffen Freiräume für Familien und
sichern die Familien finanziell ab.

Für Eltern, die ihre Kinder lieber in der Kita betreut
wissen wollen, unterstützen wir den Ausbau der Kinder-
betreuung für unter Dreijährige weiter. Der Bund hat
sich bis 2014 mit mehr als 5 Milliarden Euro an den In-
vestitions- und Betriebskosten beteiligt. Ab 2015 betei-
ligt er sich dauerhaft mit 845 Millionen Euro pro Jahr an
den Betriebskosten. Und wir unterstützen die Länder
weiter, obwohl der Kinderbetreuungsausbau ganz klar
eine Aufgabe der Länder ist. In den Jahren 2016 bis
2018 sind zusätzliche Mittel in Höhe von 550 Millionen
Euro für Investitionen geplant. Das sind enorme finan-
zielle Leistungen des Bundes.

Damit die Länder und die Kommunen ihren Aufga-
ben nachkommen können, erstattet der Bund seit Anfang
2014 alle Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung; das wird leider sehr schnell ver-
gessen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hierfür stehen über 5 Milliarden Euro zur Verfügung.

Ab 2015 wird der Bund die Finanzierung des Bun-
desausbildungsförderungsgesetzes, kurz BAföG ge-
nannt, komplett übernehmen. Das sind weitere Entlas-
tungen für die Länder um jährlich 1,17 Milliarden Euro.
Die Länder bekommen somit zusätzliche Mittel, um den
weiteren Ausbau der Kindertagesstätten vorantreiben zu
können.

Elterngeld, Elterngeld Plus mit dem Partnerschaftsbo-
nus, Betreuungsgeld und die staatliche und private Kin-
derbetreuung – so viele Wahlmöglichkeiten gab es noch
nie, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu er-
leichtern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir fördern unsere Familien dabei mit Leistungen in
Höhe von 7,4 Milliarden Euro.

Die Menschen werden erfreulicherweise immer älter
und bleiben dabei länger fit und aktiv. Doch es gibt auch
Menschen, die gepflegt werden müssen. Ein großer Teil
der Pflegebedürftigen will in der vertrauten Umgebung
bleiben, und viele betroffene Familien wünschen sich,
ihre Angehörigen zu Hause versorgen zu können. Sie
brauchen unsere Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben für die Pflegezeit und die Familienpflege-
zeit Mittel in Höhe von 2,3 Millionen Euro eingestellt.
Bei einer länger andauernden Pflegesituation können
Angehörige eine Auszeit von bis zu sechs Monaten neh-
men oder die Arbeitszeit reduzieren, um ein Familien-
mitglied zu pflegen. Das zinslose Darlehen soll den
Lohnausfall abfangen. Berufstätige werden entlastet. So
können sie schwierige Pflegesituationen flexibler meis-
tern. Dies ist ein weiterer Schritt zur besseren Vereinbar-
keit von Familie, Pflege und Beruf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Viele erwachsene Kinder wohnen aus beruflichen
oder familiären Gründen nicht mehr in der Nähe ihrer
Eltern oder Großeltern. Deshalb brauchen wir unter-
schiedliche Angebote. Mein Kollege Marcus Weinberg
und andere haben schon erklärt, wie wichtig uns die
Mehrgenerationenhäuser sind und dass wir sie mit
16,5 Milliarden Euro unterstützen.


(Roland Claus [DIE LINKE]: Oh! Die nehmen wir!)


– Ja, ist klar. Es sind Millionen.

In der letzten Woche konnte ich mich bei einer Veran-
staltung des Mehrgenerationenhauses HELL-GA in Düs-
seldorf erneut persönlich von deren engagierter Arbeit
überzeugen. Das Angebot wird von allen Altersgruppen
gut angenommen. Frau Schulz-Asche, unsere Mehrgene-
rationenhäuser haben, bevor sie Geld aus irgendeiner
Förderung bekommen haben, sehr wohl Konzepte vorle-
gen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insofern werden nur Mehrgenerationenhäuser gefördert,
die auch schlüssige Konzepte haben.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dauerhaft? – Gegenruf der Abg. Petra Crone [SPD]: Ja!)


In der Heimerziehung haben viele Kinder und Ju-
gendliche großes Leid erfahren. Wir halten unser Ver-
sprechen, ihnen zu helfen. Die Zuweisungen an den
Fonds für Opfer der Heimerziehung werden um 20 Mil-
lionen Euro auf 62,7 Millionen Euro erhöht. Damit wol-
len wir das erlittene Unrecht etwas lindern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik haben wir
ein Volumen von mehr als 380 Millionen Euro beschlos-
sen. Es gibt viele kleine Positionen, die eine wichtige
und gute Arbeit für Kinder und Jugendliche beinhalten.
Es sind – das wurde mehrfach erwähnt – auch die Mittel
für die Jugendmigrationsdienste, die die Integrations-
politik der Kommunen unterstützen, um knapp 1 Million
Euro erhöht worden.

Die Mittel für Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt,
Toleranz und Demokratie wurden um 10 Millionen Euro
auf jetzt 40,5 Millionen Euro erhöht. Damit wollen wir
insbesondere präventive Maßnahmen gegen Islamismus,
Salafismus und Antisemitismus stärken. Junge Frauen
und Männer werden nach Syrien oder in den Irak ge-
lockt. Welche Gründe treiben diese jungen Menschen an,
dass sie in diese Krisengebiete gehen, um dort mit un-
vorstellbarer Brutalität zu töten oder selbst getötet zu
werden?

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat uns die
beängstigende Situation am Dienstag geschildert. Wir
können uns das als Staat nicht gefallen lassen und dürfen
das nicht tolerieren. Wir müssen den jungen Menschen
Perspektiven aufzeigen, Grenzen setzen und ihnen Wert-
schätzung für unser freiheitliches System vermitteln.
Auch fehlt ihnen ein Gefühl für den Wert ihres eigenen





Sylvia Pantel


(A) (C)



(D)(B)

Lebens und des Lebens anderer Menschen. Wir dürfen
nicht zulassen, dass sie Fanatikern auf den Leim gehen
und deren Versprechungen und Verlockungen verfallen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In Deutschland dürfen sich keine Parallelgesellschaften
entwickeln. Wir sind eine Gesellschaft mit einer Rechts-
ordnung. Jeder hat unser Grundgesetz und die Gesetze
zu achten, unabhängig von Kultur und Religion.

Meine Damen und Herren, der Gesamthaushalt 2015
ist ein solider Haushalt mit wachstumsfördernden Maß-
nahmen und Investitionen in die Zukunft. Er setzt die
richtigen Akzente in der Familienpolitik und steht für
Kontinuität, die wir in der Familienpolitik verfolgen. Ich
möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die dazu
beigetragen haben, die Beratungen erfolgreich abzu-
schließen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807019100

Ich danke Ihnen, liebe Kollegin Pantel. – Letzter Red-

ner in dieser Debatte: Josef Rief für die CDU/CSU, –


(Beifall bei der CDU/CSU)


gebürtig aus Illertissen.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?)


– Das verstehen Sie nicht. Aber er versteht, warum ich es
sage.


Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1807019200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Besucher auf der Plenartribüne! Es ist
heute und auch früher schon viel über die Familienpoli-
tik geredet worden. Ein Bundeskanzler sprach von Ge-
döns, andere von bloßem Geldausgeben, wieder andere
von der Lufthoheit über Kinderbetten. Diese Bundesre-
gierung macht es besser. Wir haben ein wirksames Paket
geschnürt, um die Familien wirklich zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ja, die Familien halten unsere Gesellschaft zusammen.
Sie brauchen aber Rahmenbedingungen, unter denen sie
sich entfalten können. Die Arbeit dieser Bundesregie-
rung ist geprägt von Angeboten, die es den Familien er-
möglichen, ihr Leben eigenverantwortlich zu führen
und zu gestalten. Herzlichen Dank, Frau Ministerin
Schwesig, für Ihre Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Senioren, die ihr Erwerbsleben bereits hinter sich ha-
ben, finden Angebote, ihre in vielen Lebensjahren er-
worbenen Erfahrungen und Fähigkeiten auch wieder für
die Gesellschaft und für ihre eigene Familie, ihre Kinder
und Enkel, einzusetzen. So war auch die Erhöhung der
Mütterrente für die Union ein Herzensanliegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eltern – insbesondere Mütter – sollen die Chance ha-
ben, Familie und Beruf bzw. ihre Weiterentwicklung und
ihre Karriere nach ihren Wünschen zu vereinen. Kinder
und Jugendliche sollen alle Unterstützung erhalten, um
eigenverantwortlich und selbstständig ein fester Teil un-
serer Gesellschaft zu sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD])


Kinder sind unsere Zukunft. Deshalb bin ich froh und
dankbar, dass es dieser Bundesregierung endlich gelun-
gen ist, die schwarze Null – von mir aus auch eine rote
Null oder eine grüne Null –


(Michael Leutert [DIE LINKE]: Das wird Herr Schäuble aber anders sehen!)


im Bundeshaushalt zu erreichen. Ich bin froh, dass dieser
vor allen Dingen für die junge Generation wichtige
Schritt erreicht werden konnte – und dies insbesondere
ohne einen finanziellen Kahlschlag im Familienhaushalt,
den viele, auch in diesem Haus, prophezeit haben. Ich
danke allen, die dazu beigetragen haben, dass wir ge-
meinsam diese Kehrtwende in der Haushaltspolitik ein-
leiten konnten.

Der Etat für die vielen wichtigen Projekte konnte so-
gar um über eine halbe Million Euro gesteigert werden.
Das ist ein großer Erfolg für die Familienpolitik der Gro-
ßen Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal die
Mehrgenerationenhäuser nennen. Als Berichterstatter
meiner Fraktion freut es mich besonders, dass es gelun-
gen ist, die Finanzierung für 2015 auch ohne EU-Mittel
sicherzustellen. Die Bundesmittel sind ein wichtiges
Zeichen der Wertschätzung für die vielen Mitarbeiter
und die Freiwilligen in den Mehrgenerationenhäusern,
die täglich eine hervorragende und vorbildliche Arbeit
leisten. Dafür danke ich ihnen recht herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Mehr-
generationenhäusern über 2014 hinaus war lange un-
gewiss – zu lange; denn für die Mitarbeiter der Häuser
begann mit Blick auf laufende Miet- und Arbeitsverhält-
nisse eine quälende Zeit der Ungewissheit. Ich danke
deswegen den Haushältern und unserem Finanzminister
für die bereitgestellten gut 16,5 Millionen Euro.

Die Planungssicherheit bleibt für uns Familienpoliti-
ker ein wichtiger Punkt. Der Haushaltsausschuss und das
Finanzministerium haben schon grünes Licht für eine
Verstetigung gegeben, und ich bin im Gegensatz zu den
Grünen zuversichtlich, dass das Bundesfamilienministe-
rium die dafür notwendigen Konzepte bald vorlegen
wird. Ich würde mich nicht wundern, wenn es sie schon
hat.

Die Mehrgenerationenhäuser sind gelebtes bürger-
schaftliches Engagement und eigenverantwortliches Han-
deln aus der Bürgerschaft heraus. Weniger staatliche





Josef Rief


(A) (C)



(D)(B)

Vorgaben bewirken, dass die Mehrgenerationenhäuser so
vielfältig sind. Um nur einige Aufgaben zu nennen:
Pflege, Deutschkurse, Hilfe bei Behördengängen, Kin-
derbetreuung, Integration von Migranten, Lernbeglei-
tung und Berufseinstieg. Auch der aktuellen Herausfor-
derung der vielen Bürgerkriegsflüchtlinge stellen sich
zahlreiche Mehrgenerationenhäuser.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was als Projekt der damaligen CDU-Familienministerin
Ursula von der Leyen begann, bereichert nun wegen des
großen Erfolges als ständige Einrichtung überall in
Deutschland unser Miteinander. An dieser Stelle sage
ich Dank für den großen Einsatz in den Mehrgeneratio-
nenhäusern und möchte insbesondere dem Stadtteilhaus
Gaisental in Biberach, meinem Wahlkreis, danken.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weniger im öffentlichen Bewusstsein sind beispiels-
weise die Möglichkeiten der Familienerholung. Auch
hier sage ich Dank für fast 2 Millionen Euro für die Fa-
milienferienstätten, die dazu beitragen, dass auch den
Familien ein Urlaub ermöglicht wird, die sonst nicht ver-
reisen können. Wir erreichen damit Motivation und Stär-
kung für den Familienalltag.

Lassen Sie mich auch einige kritische Worte zu der
Forderung nach Einführung eines Familienwahlrechts
sagen. Wie soll die Stimmabgabe für die Kinder erfol-
gen, wenn sich die Eltern untereinander nicht einig sind?
Auch können Jugendliche schon andere politische Vor-
stellungen als ihre eigenen Eltern haben.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das kann passieren!)


Wie könnte eine geheime Wahl gewährleistet werden,
wenn sich Eltern abstimmen müssten, was sie für ihre
Kinder wählen?

Dieser Etat ist Ausdruck einer Politik, die nicht auf
staatliche Regulierung und Maßnahmen abzielt, sondern
Chancen aufzeigt. Er enthält Angebote für alle Genera-
tionen. Auch das Elterngeld Plus – das ist schon ange-
sprochen worden – ist Ausdruck dieser Politik. Es schafft
Entscheidungsspielraum und kann für junge Eltern die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.

Ich möchte an dieser Stelle auch das Betreuungsgeld
erwähnen. Wir können heute mit Recht sagen: Das Be-
treuungsgeld ist eine Erfolgsgeschichte.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kordula SchulzAsche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Bayern 125 Prozent!)


Es ist eine Anerkennung für Eltern, die die Erziehung
der Kinder zu Hause übernehmen, und es schafft einen
Übergang, wenn die Bezugszeit des Elterngeldes auf-
hört. Die Quote derjenigen, die es in Anspruch nehmen,
wächst von Quartal zu Quartal. In meiner Heimatregion
Oberschwaben beziehen über 70 Prozent der Berechtig-
ten das Betreuungsgeld. Ich weiß auch von Eltern, die
den Grünen nahestehen und froh sind, dass sie Betreu-
ungsgeld in Anspruch nehmen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Aber die müssen sich bei uns bedanken, Josef! – Michael Leutert [DIE LINKE]: Wie heißen die? – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das in Ihrer Stadt erfragt? – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind wahrscheinlich die 25 Prozent über den 100 Prozent!)


Ich bin sehr froh, dass das Betreuungsgeld zum großen
Teil von Familien mit mehreren Kindern in Anspruch
genommen wird. Dies unterstreicht, wie wichtig es ge-
wesen ist, diese echte Wahlfreiheit zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen uns darüber hinaus ernsthaft fragen: Tun
wir alles, damit wir mehr junge Menschen motivieren,
statt keinem Kind ein Kind, statt einem Kind zwei Kin-
der und statt zwei Kindern drei oder mehr Kinder bei
verantworteter Elternschaft zu bekommen? Tun wir alles
dafür, dass wir gerade Eltern von Mehrkindfamilien
nicht zu viel zumuten? Ist uns klar, dass bei vielen Fami-
lien aufgrund der hohen Belastung durch Beruf und Fa-
milie psychische Erkrankungen zunehmen?


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Eltern?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen fernab
von allen Ideologien den Willen der Eltern in den Mittel-
punkt stellen. Die Bundesregierung und die Koalitions-
fraktionen sind mit dem vorliegenden Familienetat auf
einem hervorragenden Weg, um die Lebenssituation der
Familien, Senioren, Frauen und Jugend in unserem Land
zu verbessern.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807019300

Danke schön, Herr Kollege Rief. – Ich schließe damit

die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-
für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist der Einzelplan 17 bei Zustimmung von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Linken und Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Jetzt gibt es einen kleinen Platzwechsel. In der Zwi-
schenzeit begrüße ich den Minister. Herr Schmidt, herz-
lich willkommen!

Ich bitte Sie, möglichst zügig die Plätze zu wechseln.





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Dann rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt I.16 auf:

Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft

Drucksachen 18/2810, 18/2823

Berichterstattung haben die Abgeordneten Cajus
Caesar, Ulrich Freese, Roland Claus und Sven-Christian
Kindler.

Zum Einzelplan 10 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich sehe und
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an
Karin Binder für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD])



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807019400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr

Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Da-
men und Herren auf der Besuchertribüne! Der Haushalt
des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft um-
fasst knapp 5,4 Milliarden Euro. Davon sind lediglich
200 Millionen Euro für Ernährung und den gesundheitli-
chen Verbraucherschutz vorgesehen.

Herr Minister, Sie sind mit der Aussage angetreten,
dass Ihnen gerade das Thema Ernährung besonders
wichtig sei. Aber nach diesem Haushaltsplan 2015 kann
ich das leider nicht feststellen. Statt aktive Ernährungs-
politik zu betreiben, herrscht Stillstand. Damit werden
Sie Ihrem eigenen Anspruch und Ihrer Verantwortung
als Ernährungsminister nicht gerecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Das möchte ich an drei Punkten verdeutlichen. Das
sind zum einen der Bereich Lebensmittelsicherheit, zum
anderen der Bereich Verbraucherinformation und zum
Dritten die Schul- und Kitaverpflegung.

Erstens. Die Lebensmittelsicherheit steht und fällt mit
einer effizienten und kontinuierlichen Lebensmittelüber-
wachung. Aber seit Jahren weisen Fachleute vergeblich
darauf hin, dass Tausende Lebensmittelkontrolleure feh-
len. Sie warnen vergeblich, dass weltweit zusammenge-
kaufte Rohwaren und global arbeitende Lebensmittel-
konzerne nicht von kommunalen Behörden überwacht
werden können.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807019500

Frau Kollegin Binder, erlauben Sie eine Zwischen-

frage oder Zwischenbemerkung des Kollegen von der
SPD?


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807019600

Gerne.

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1807019700

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass die gesamte

Lebensmittelüberwachung Aufgabe der Kommunen
bzw. der Länder ist


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist ja das Problem!)


und dass wir in dem Zusammenhang die Länder nicht
vollständig aus ihrer Verpflichtung entlassen können, in-
dem wir den gesamten Aufgabenbereich zu einer Bun-
desaufgabe machen?


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807019800

Lieber Kollege Priesmeier, selbstverständlich ist mir

bekannt, dass die Kommunen und Länder für diesen Be-
reich und damit auch für die Finanzierung zuständig
sind. Aber darin liegt zumindest ein Teil des Problems.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben es mit einer sehr stark veränderten Situa-
tion zu tun, in der Lebensmittel global produziert, einge-
kauft und weitervertrieben werden. Wie soll eine kom-
munale Behörde noch den Überblick bewahren?


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen den Kommunen und den Ländern die Ver-
antwortung nicht komplett abnehmen. Aber wir wollen
einen Teil der Verantwortung beim Bund angesiedelt
wissen. Immer, wenn es um internationale Konzerne, die
globale Lebensmittelproduktion und den globalen Ver-
trieb von Lebensmitteln geht, braucht es eine übergeord-
nete Stelle und vor allem eine ausreichende Zahl von Le-
bensmittelkontrolleuren, die dem Ganzen gewachsen
sind.

Es braucht auf allen drei Ebenen Lebensmittelkon-
trolleure, die jeweils für einen bestimmten Bereich zu-
ständig sind. Der Bund hat sowohl der Bevölkerung als
auch der EU gegenüber eine Verantwortung.


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, genau diesen Punkt wollte ich sowieso anmerken:
In dieser Frage wollte ich die Verantwortung des Bundes
konkretisieren. Aber wir finden nichts dazu im Haushalt
2015.

Mein zweiter Punkt war: Verbraucherinformation
wird zum Auslaufmodell. Dazu nenne ich Ihnen zwei
Beispiele, erstens das Verbraucherportal lebensmittel-
klarheit.de, das sehr erfolgreich Verbrauchertäuschungen
der Lebensmittelindustrie aufdeckt. Dieses steht Ende
2015 vor dem Aus.

Das zweite Beispiel ist das sehr gut angenommene
Projekt „Gesund ins Leben“, das Mutter und Kind in der
Zeit der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr
wichtige Unterstützung bei einer ausgewogenen gesun-
den Ernährung liefert. Auch das steht nach 2015 auf der
Kippe.

Herr Minister, diese beiden Themen dürfen nicht Op-
fer der üblichen „Projektitis“ werden.


(Beifall bei der LINKEN)






Karin Binder


(A) (C)



(D)(B)

Sie müssen in Ihrem Ministerium verankert und langfris-
tig finanziert werden.

Nun komme ich zu meinem dritten Punkt – besser:
Ausrufezeichen –: die Kita- und Schulverpflegung in
Deutschland. Vorgestern wurde von Herrn Minister
Christian Schmidt eine Studie zur Qualität des Schules-
sens in Deutschland vorgestellt, ein wichtiger Beitrag,
für den ich dem Ministerium ausdrücklich danken
möchte.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Untersuchung zeigt: Gute Schulkantinen sind in
Deutschland noch immer Mangelware. Zwar benoten
Kinder und Jugendliche, die am Essen teilnehmen, das
Angebot mit Zwei bis Drei, also befriedigend. Doch die
Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler meidet
die Schulkantine, vergibt damit also die Noten Fünf bis
Sechs, also mangelhaft oder ungenügend.

Über die Gründe, warum viele Kinder und Jugendli-
che das Angebot nicht nutzen, können wir spekulieren.
Ich behaupte: Nicht wenige Kinder aus armen Familien
verzichten, weil sie oder ihre Eltern nicht bei Behörden
oder Schulleitungen um Almosen betteln möchten. Sie
schämen sich dafür, und viele nehmen deshalb am
Schulessen nicht teil. Da hilft auch das Bildungs- und
Teilhabepaket nicht wirklich. Wir wissen, dass nicht ein-
mal ein Viertel der Familien, die Anspruch darauf hätten,
tatsächlich darauf zurückgreift. Das ist ein Armutszeug-
nis für unser reiches Land.


(Beifall bei der LINKEN)


Gemeinschaftsessen, das den sinnvollen Standards
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entspricht,
kostet mehr als 1,50 Euro und ist auch für 3,50 Euro
nicht finanzierbar. Hier kommt der Antrag der Links-
fraktion in die Debatte, mit dem ich gern den Haushalt
des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf-
stocken möchte. Die Linke fordert die Bundesregierung
auf, eine hochwertige und beitragsfreie Kita- und Schul-
verpflegung sicherzustellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sollen in diesen Bundeshaushalt 1,8 Milliarden
Euro für lernstarke Mahlzeiten ab Beginn des Schuljah-
res 2015/2016 eingeplant werden. Für die Folgejahre
sind dann jeweils 4,4 Milliarden Euro im Haushalt des
jeweiligen Jahres vorzusehen.

Der Bund hat gegenüber allen Kindern eine soziale
Fürsorgepflicht und ist für die gesundheitliche Vorsorge
verantwortlich. Wer glaubt, die Bundesregierung könne
sich hier aus der finanziellen Verantwortung stehlen, der
irrt. Wer will, dass alle Kinder gleichermaßen gesund
aufwachsen, sich entwickeln und ihre Bildungschancen
überhaupt nutzen können, der muss für diese flächende-
ckende beitragsfreie Verpflegung eintreten. Sie ist un-
verzichtbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Teilnahme am Gemeinschaftsessen darf nicht am
zu kleinen Geldbeutel von Familien scheitern. Die Al-
mosen des Bildungs- und Teilhabepakets reichen nicht
für eine gute und abwechslungsreiche Schulverpflegung,
insbesondere dann nicht, wenn verbindliche Qualitäts-
standards für die Verpflegung festgeschrieben werden
sollen, was der Minister erfreulicherweise auch schon
angekündigt hat und was ich sehr begrüße. Dass dies
hochgesteckte Ziele sind, ist uns klar. Aber gerade des-
halb müssen auch die Vernetzungsstellen für die Kita-
und Schulverpflegung dauerhaft finanziell gesichert
werden. Sie sind personell aufzustocken und ihre Ange-
bote flächendeckend auszubauen. Die Schulen brauchen
diese Beratung und diese Hilfestellungen. Die Schullei-
tungen dürfen mit der Umsetzung nicht alleingelassen
werden.

Noch eines. Ich denke, das Thema Mehrwertsteuer – –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807019900

Denken Sie auch an Ihre Redezeit!


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807020000

Ich komme zum Ende. – Herr Bundesfinanzminister

Schäuble, warum Schulessen im Gegensatz zum Futter
für Hund, Katze, Maus noch immer mit 19 Prozent be-
steuert wird, ist mir ein Rätsel; vielleicht können Sie es
mir erklären. Wir jedenfalls möchten das gern ändern.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807020100

Vielen Dank, Frau Kollegin Binder. – Nächster Red-

ner in der Debatte: Cajus Caesar für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1807020200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mein besonderer Dank gilt unserem Minister Christian
Schmidt und dem Haushaltsbeauftragten Ulrich
Kuhlmann für die gute Zusammenarbeit mit dem Minis-
terium. Hier ist schon mit dem Entwurf einiges auf den
Weg gebracht worden. Herzlichen Dank! Mein Dank gilt
natürlich auch den Mitberichterstattern Ulrich Freese,
Sven Kindler und Roland Claus. Es war eine sehr effek-
tive Arbeit. Wir haben uns sehr gut austauschen können
und im Sinne der Sache gearbeitet.

Wir können auf den Haushalt 2015 stolz sein. Insge-
samt wird nicht mehr ausgegeben, als eingenommen
wird. Das ist eine Regel, die jeder von uns auch privat
einhalten muss. Wir haben es geschafft. Darauf können
wir stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir als Union und als Koalition stehen für eine mo-
derne Landwirtschaft. Das heißt, dass es Einkommen
und Arbeitsplätze sowie Bewirtschaftung und Pflege von
Kulturfläche im ländlichen Raum gibt. Dazu gehört auch
der Naturschutz. Deshalb Dank an unsere Landwirte!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)






Cajus Caesar


(A) (C)



(D)(B)

Es ist richtig, dass wir mit dem Bundesprogramm
„Ländliche Entwicklung“, das mit zusätzlich 10 Millio-
nen Euro das Leben auf dem Land attraktiver machen
soll, Maßstäbe setzen. Wir wollen Projekte. Wir wollen
die Bürger vor Ort mitnehmen. Ein Beispiel: In meiner
Gemeinde Kalletal im Kreis Lippe finden bereits Demo-
grafieforen und Ländliche-Raum-Foren statt. Wir wollen
als Bundesregierung die Anliegen der Bürger aufnehmen
und ihre Ideen weiterentwickeln. Wir wollen die Bürger
bei der Entwicklung des ländlichen Raums nicht im
Stich lassen. Nein, wir sind an ihrer Seite.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass die Vorhaben auch personell untermauert wer-
den müssen, ist uns klar. Obwohl im Bundeshaushalt ins-
gesamt weniger Stellen vorgesehen sind, ist es gelungen,
im Rahmen des Haushalts für Ernährung und Landwirt-
schaft mehr Stellen zu schaffen. Wir haben Akzente zu-
gunsten des ländlichen Raums und des Tierwohls, aber
auch insbesondere zugunsten des Bundesamtes für Ver-
braucherschutz und Lebensmittelsicherheit gesetzt. Das
sind wesentliche Akzente. Wir wollen bei Krisen rasch
reagieren können, insbesondere im Bereich der Lebens-
mittelsicherheit. Wir wollen außerdem im Bereich der
Tierarzneimittel gut aufgestellt sein. 2015 werden
67 neue Stellen beim Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit geschaffen. Das ist eine
Leistung, das sind Akzente in den richtigen Bereichen.
Damit können wir uns sehen lassen. Der Weg dieser Ko-
alition ist richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir gehen neue Wege im Bereich des Hochwasser-
schutzes. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe haben
wir uns bislang schon sehr stark beim allgemeinen
Hochwasserschutz mit rund 100 Millionen Euro enga-
giert, genauso wie beim Küstenschutz. Als ich vor eini-
gen Wochen in Norddeutschland war, habe ich gesehen,
wie effektiv und sinnvoll diese Mittel eingesetzt werden.
Aber wir wollen in diesem Haushalt einen besonderen
Akzent auf den präventiven, den vorbeugenden Hoch-
wasserschutz setzen. Deshalb haben wir einen Maßgabe-
beschluss gefasst, der festlegt, dass wir uns insbesondere
im ländlichen Raum für den präventiven Hochwasser-
schutz starkmachen. Das ist ein Zeichen. Dieser neue
Weg ist richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen diesen Weg zunächst einmal mit einem
Neuansatz von immerhin 20 Millionen Euro gehen. Man
kann sagen: „Das reicht hinten und vorne nicht“, aber
vor dem Hintergrund, dass wir zuerst einmal starten
müssen – das habe ich mir von all denjenigen sagen las-
sen, die sich bei der Erarbeitung des Sonderprogramms
damit beschäftigt haben –, ist das richtig. 20 Millionen
Euro werden wir im Jahr 2015 effektiv einsetzen kön-
nen. Wir werden den Landwirtschaftshaushalt in den
nächsten Jahren so aufstellen, dass wir diese Aufgabe
sinnvoll und effektiv bewältigen können. Da können Sie
von der Opposition sicher sein. Auch hier ist die Koali-
tion gemeinsam auf dem richtigen Weg.

Wir wollen, dass im Rahmen des Hochwassersonder-
programms sich Bund und Länder in der Gemeinschafts-
aufgabe abstimmen und dass unter der Federführung un-
seres Ministeriums die Dinge vorangebracht werden.
Wir wollen keine Rekordpegelstände mehr, wir wollen,
dass Flutwellen nicht mehr in dieser Höhe auftreten, und
wir wollen insbesondere erreichen, dass die Schäden, die
an Häusern, an landwirtschaftlichen Flächen, aber auch
an der Infrastruktur insgesamt entstehen, nicht mehr so
groß sind wie bisher.

Sie erinnern sich an das Hochwasser 2013. Die Bun-
desregierung hat für den Flutopferhilfefonds 8 Milliar-
den Euro in Aussicht gestellt. Es werden ungefähr
6,5 Milliarden Euro verausgabt werden. Wir wollen das
Geld in Zukunft präventiv sinnvoll einsetzen, um solche
Schäden zu vermeiden. Deshalb ist unser Ansatz, an der
Donau, an der Elbe, an der Oder, am Rhein und an der
Weser entsprechende Maßnahmen länderübergreifend
durchzuführen. Wir müssen natürlich an den Oberläufen
ansetzen, damit die Maßnahmen greifen.

Dafür müssen Flächen in Anspruch genommen wer-
den, Flächen, die vielleicht derzeit nicht landwirtschaft-
lich genutzt werden. Aber wenn wir Flächen in An-
spruch nehmen, die bewirtschaftet werden, dann wollen
wir dafür sorgen, dass sie auch zukünftig bewirtschaftet
werden können. Das ist uns wichtig. Wir brauchen Le-
bens- und Nahrungsmittel. Insofern muss dafür gesorgt
werden, dass diese Flächen der Bewirtschaftung nicht
entzogen werden und dass diejenigen, die sie für Über-
flutung oder zum Aufstauen zur Verfügung stellen, ent-
schädigt werden. Das ist uns wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was die konkrete Umsetzung betrifft, ist es uns wich-
tig, dass es eine Länderbeteiligung gibt. Deshalb sind die
Mittel im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe angesetzt.
Bisher haben wir beim Hochwasserschutz eine 60/40-
Regelung, beim Küstenschutz eine 70/30-Regelung. Wir
gehen davon aus – das besagt auch unser Maßgabebe-
schluss –, dass sich die Länder bei diesen Maßnahmen
entsprechend beteiligen. Der Bund hat hier grünes Licht
gegeben, und es kann jetzt vorangehen.

Das bedeutet aber auch, dass wir insbesondere die
Bürger mitnehmen wollen, dass wir Bebauung schützen
wollen, dass wir selbstverständlich auch die landwirt-
schaftlichen Flächen schützen wollen, dass wir verhin-
dern wollen, dass wertvoller Boden verloren geht, und
dass wir damit insgesamt Ökologie und Ökonomie in be-
sonderer Weise sinnvoll miteinander vernetzen wollen.
Damit wollen wir auch auf Klimaveränderungen reagie-
ren.

Aber seien wir ehrlich: Viele Schäden sind eingetre-
ten, weil zu nahe an den Flussläufen gebaut wurde. Wir
müssen beim Planungsrecht die Kommunen mit in die
Verantwortung nehmen, sodass wir in Zukunft gemein-
sam mit ihnen, den Ländern, den Bürgern und den Land-
wirten geeignete Maßnahmen angehen. Wenn wir das in





Cajus Caesar


(A) (C)



(D)(B)

dieser Form gemeinsam tun, dann sind wir auch auf dem
richtigen Weg.

Jedenfalls uns als Union, uns als Koalition war der
präventive Hochwasserschutz ein besonderes Anliegen.
Deshalb haben wir das eingebracht. Wir müssen davon
ausgehen, dass wir die Mittel in den nächsten Jahren
noch deutlich erhöhen müssen. Es gibt ganz klare Vor-
stellungen davon, welche Maßnahmen länderübergrei-
fend stattfinden sollen, welche Maßnahmen ganz kon-
kret an welchen Wasserläufen stattfinden sollen.

Ich denke, diese Bundesregierung zeigt an dieser
Stelle, dass sie für die dort Wirtschaftenden, für die dort
Wohnenden und für all diejenigen, die für die Natur ein-
treten, den richtigen Rahmen setzt.

Deshalb ist diese Union, ist diese Koalition auf dem
richtigen Weg.

Herzlichen Dank. Alles Gute!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807020300

Vielen Dank, Herr Kollege Caesar. – Nächster Redner

in der Debatte: Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/
Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben große Herausforderungen; wir ha-
ben große Probleme in der Landwirtschaft. Um nur ei-
nige zu nennen: Wir haben das Höfesterben. Wir haben
immer neue Lebensmittelskandale. Wir haben Monokul-
turen. Wir haben die Klimaverschmutzung. Wir haben
Quälerei in der Massentierhaltung. Wir haben Gensoja
im Futter.

Mit diesem Haushalt werden diese Probleme fortge-
schrieben, muss man leider sagen. Es gibt keine Wende,
keine Antwort und keine Reaktion darauf. Dieser Haus-
halt ist gegen die Interessen der bäuerlich-ökologischen
Landwirtschaft gerichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister Schmidt, Sie sind jetzt knapp ein Jahr
im Amt; Sie sind knapp ein Jahr Landwirtschaftsminis-
ter. Zu Beginn der Legislaturperiode haben Sie selbst
nicht geglaubt, dass Sie Landwirtschaftsminister wer-
den. Die Frage ist, was Sie in diesem einen Jahr gemacht
haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gute Arbeit!)


Wir wissen jetzt: Sie haben die Gentechniklobby in
Brüssel unterstützt. Und wir wissen auch: Sie essen je-
den Tag einen Apfel, und das soll auch Herrn Putin scha-
den.


(Zuruf des Abg. Cajus Caesar [CDU/CSU])

Was war sonst? Sonst sind Sie abgetaucht. Nichts! Wo

waren die großen Gesetzesvorhaben? Welche Gesetzge-
bungsprozesse haben Sie vorangebracht? Wo war ein
neuer Anlauf für ein echtes Tierschutzgesetz? Wo war
eine Regelung zur Hofabgabeklausel? Wo ist die Erhö-
hung der GAK-Mittel? Da ist nichts, gar nichts bei Ihnen
als Minister. Als Agrarminister sollten Sie aber wissen,
Sie müssen auch arbeiten. Wer die Felder nicht bestellt,
der kann nachher auch nicht ernten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, es hat einen Grund, dass Sie im Kern

eigentlich nur die Verwaltung des Status quo machen.
Sie wollen nämlich nicht arbeiten; Sie trauen sich nicht
an Strukturen ran, weil Sie nicht den Mut haben, sich mit
mächtigen Interessen anzulegen, nämlich mit der Agrar-
industrie und der Agrarlobby. Hierfür braucht man Mut
und auch Biss, wenn man da was durchsetzen will. Ich
finde, es muss endlich Schluss damit sein, dass die CSU-
Agrarminister Minister der Großkonzerne sind. Wir brau-
chen endlich eine Agrarwende in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber nicht nur in Deutschland hat Ihre Agrarpolitik

verheerende Folgen. Das sehen wir leider auch weltweit.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der
Vereinten Nationen, die FAO, sagt ganz klar: Kleine und
familiäre bäuerliche Betriebe sind der zentrale Baustein
im Kampf gegen Hunger in Schwellen- und Entwick-
lungsländern.

Was macht nun die Bundesregierung an dieser Stelle
in diesem Etat? Sie fördern weiter Agrarexporte; Sie för-
dern weiter die Fleischindustrie. Sie fördern Lobbybüros
zum Beispiel in China. In diesem Jahr haben Sie die
German Meat GmbH in Peking eingerichtet. Sie haben
ein Reisebüro im Ministerium, um Reisen zur Förderung
von Agrarexporten zu finanzieren. Mit Steuergeldern
fördern Sie Reisen von Fleischunternehmen nach Ghana,
zur Elfenbeinküste, nach Thailand und nach Mexiko, um
so hochsubventionierte Billigfleischexporte in lokale
Märkte hineinzudrängen. Mit Dumpingkonkurrenz ma-
chen Sie lokale Bauern platt und treiben auch diese Bau-
ern in die Abhängigkeit von der Fleischindustrie. Somit
treiben Sie dort den Hunger voran.

Ich finde, ehrlich gesagt: Das ist skandalös. Diese
Agrarexporte müssen endlich gestoppt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber nicht nur weltweit, sondern auch hier in
Deutschland brauchen wir einen Paradigmenwechsel in
der Landwirtschaft. Es kann nicht sein, dass jeden Tag
20 bäuerliche Betriebe in Deutschland dichtmachen
müssen. In Deutschland gibt es ein massives Höfester-
ben. Seit 2005, seit Angela Merkel regiert, sind 27 Pro-
zent der Betriebe dichtgemacht worden.

Das hat leider auch damit zu tun, dass die Regierung
Merkel vor allen Dingen auf Masse statt auf Klasse setzt,
auf Großbetriebe statt auf kleinere und mittlere Unter-
nehmen. Nachher zahlen eben die kleinen und mittleren
Unternehmen und ihre Arbeitnehmer, die ihre Jobs ver-
lieren, die Zeche für diese Agrarlobbypolitik. Ich sage
Ihnen: Der Trend des Höfesterbens muss endlich ge-
stoppt werden. Wir brauchen Bauernhöfe statt Agrar-
fabriken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Sven-Christian Kindler


(A) (C)



(D)(B)

Dafür haben wir heute einen Änderungsantrag vorge-
legt. Wir wollen, dass die Mittel für die Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-
tenschutzes“ um 200 Millionen Euro erhöht werden;
kurz: Die GAK-Mittel müssen erhöht werden. Gemein-
sam mit den Ländern wollen wir einen Aktionsplan für
eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft erarbeiten,
um den Strukturwandel zu gestalten, um tiergerechte
Haltungsverfahren zu entwickeln – auch für den Klima-
schutz und für gute bäuerliche Chancen im ländlichen
Raum. Die Agrarministerkonferenz hat das letztes Jahr
einstimmig gefordert, Agrarminister aus allen Parteien
und aus allen Ländern. Deswegen fordere ich Sie als Ko-
alition auf – Agrarminister gehören auch Ihren Parteien
an –: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie nachher
unserem Änderungsantrag auf Erhöhung der GAK-Mit-
tel zu!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grüne wollen auch, dass endlich Ernst gemacht
wird mit dem Tierschutz. Jetzt haben Sie, Herr Minister
Schmidt, eine PR-Kampagne angekündigt, die soge-
nannte Tierwohl-Initiative. Leider ist diese Initiative nur
ein billiges Feigenblatt. Das erkennt man, wenn man es
sich ernsthaft anschaut. Sie wollen zwei Jahre in einem
sogenannten Kompetenzkreis reden, sprich: viel Zeit
verschenken und nachher nichts machen. Sie haben ge-
sagt, Sie setzen auf „verbindliche Freiwilligkeit“. Herr
Minister, ich zitiere Sie – „verbindliche Freiwilligkeit“,
ich frage mich, was das sein soll. Ich meine, entweder ist
etwas verbindlich oder es ist freiwillig. Das ist so wie or-
ganisiertes Chaos; das ist wie ein veganer Schlachthof.
Das ist ein Widerspruch in sich. Das passt einfach nicht
zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Minister, glauben Sie im Ernst, dass große
Fleischkonzerne wie Wiesenhof oder Rothkötter freiwil-
lig Tiere besser behandeln? Glauben Sie wirklich, dass
diese Konzerne freiwillig auf ihre Profitinteressen ver-
zichten werden? Ich meine, das ist doch komplett welt-
fremd.

Wir Grüne wollen, dass jetzt endlich Ernst gemacht
wird mit dem Tierschutz. Die Zeiten, wo man freiwillig
der Tierquälerei zugeschaut hat, sind jetzt vorbei. Wir
wollen klare und harte gesetzliche Standards. Die Lö-
sungen liegen auf dem Tisch. Die Probleme sind be-
kannt. Wir brauchen endlich ein echtes Tierschutzgesetz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir brauchen ein Verbandsklagerecht für anerkannte
Tierschutzverbände. Das Enthornen von Rindern, das
Abschneiden von Ringelschwänzen bei Schweinen und
das Kupieren von Schnäbeln bei Geflügel müssen end-
lich beendet werden. Die Tiere in den Ställen brauchen
genug Platz, Auslauf und Beschäftigung. Wir sagen klar:
Die Ställe müssen sich den Bedürfnissen der Tiere an-
passen und nicht umgekehrt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807020400

Denken Sie an Ihre Redezeit, bitte.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, Frau Präsidentin.

Die grünen Landwirtschaftsminister in den Ländern
machen vor, wie es geht,


(Lachen bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


wie man die Agrarwende Schritt für Schritt mit den Bau-
ern, mit den Verbrauchern gestalten kann. Das brauchen
wir auch im Bund.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807020500

Vielen Dank, Kollege Kindler. – Nächster Redner in

der Debatte: Ulrich Freese für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulrich Freese (SPD):
Rede ID: ID1807020600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kehren
wir von einer Parteitagsrede zurück in die Niederungen
des Bundestages.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Der will noch was werden!)


Wir beschäftigen uns mit dem Haushalt des Bundes-
ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Ich will
zu Beginn meinen Mitstreitern Cajus Caesar, auch Ih-
nen, Herr Kindler – im Ausschuss arbeiten Sie ganz an-
ders; da halten Sie keine Parteitagsreden –, und Herrn
Claus für die konstruktive Zusammenarbeit recht herz-
lich danken. Natürlich gebührt Dank auch dem Minister
als dem Hausherrn. Aber hinter dem Minister stehen in
diesem Fall Herren, die sehr intensiv und konstruktiv mit
uns zusammenarbeiten. Deshalb sind Herr Hahn, Herr
Kuhlmann und Herr Wulff in diesen Dank einzubezie-
hen.

Wir Sozialdemokraten haben uns nicht zu beklagen;
die Zusammenarbeit ist gut. Offenheit und Transparenz,
die wir für notwendig erachten, wachsen. Alle Anfragen
werden so beantwortet, alle Informationen werden so ge-
geben, dass wir immer besser verstehen, was hinter die-
sem Haushalt steckt und wie mit diesem Haushalt im
Sinne einer ökologischen, zukunftsorientierten Land-
wirtschaft in Deutschland gearbeitet werden kann.

Die Aufstellung des Haushaltes 2015 verfolgt das
große Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt, also einen





Ulrich Freese


(C)



(D)(B)

Haushalt ohne Schulden, auf den Weg zu bringen. Es
waren die Sozialdemokraten, die mit Finanzminister
Möller den letzten ausgeglichenen Haushalt auf den Weg
gebracht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir Sozialdemokraten sind jetzt wieder daran beteiligt,
dass es einen ausgeglichenen Haushalt in der Bundesre-
publik Deutschland gibt.


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Das war Franz Josef Strauß! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Das war Strauß!)


– Lesen Sie nach! Herr Strauß hatte noch eine Schulden-
aufnahme eingeplant. Möller hat keinen Schuldenhaus-
halt mehr abgeliefert. Das ist die ganze Wahrheit.

Wir können mit diesem Haushalt, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren, sehr wohl Politik machen, Poli-
tik im Sinne der aufgeworfenen Fragen.

Wer sich diese Haushaltsstruktur anschaut, stellt fest:
3,6 Milliarden Euro gehen in die Altersvorsorge, in die
Krankenversicherung und in die Unfallversicherung.
Von dem Rest – 1,8 Milliarden Euro – geben wir mehr
als 500 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung
aus. Die Institute – sie sind allen bekannt – will ich noch
einmal in Erinnerung rufen:

Im Julius-Kühn-Institut, das sich mit Pflanzen und zu-
künftig intensiver mit Bienenforschung beschäftigen
wird, weil wir dort eine entsprechende Stelle angesiedelt
haben, arbeiten 765 Personen; der Haushalt umfasst rund
85 Millionen Euro.

Im Friedrich-Loeffler-Institut, das sich mit Tierschutz
und Tiergesundheit, mit dem Verhältnis zwischen
Mensch und Tier, mit der Übertragung von Krankheiten
beschäftigt und Tierseuchen verhindert, arbeiten
630 Personen; der Haushalt umfasst 97 Millionen Euro.

Im Max-Rubner-Institut, bei dem es um gesundheitli-
chen Verbraucherschutz im Ernährungsbereich geht
– das ist ja reklamiert worden –, arbeiten 475 Personen;
der Haushalt umfasst 51 Millionen Euro.

Im Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut – es geht
um ländliche Räume, um Wald und Fischerei – arbeiten
605 Personen; der Haushalt umfasst 70,6 Millionen
Euro.

Im Bundesinstitut für Risikobewertung, das natürlich
etwas mit Lebensmittelsicherheit zu tun hat, arbeiten
570 Personen; der Haushalt umfasst 86,5 Millionen
Euro.

Dazu kann ich, was gerade Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit angeht, noch das Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nennen
mit einem Aufwuchs auf 450 Stellen und einem Haus-
halt von 37 Millionen Euro.

Angesichts dessen kann niemand behaupten, dass das
Bild des ökologischen, gesunden, vernünftigen Land-
wirtschaftsbetriebs in dieser Politik keine Rolle spielt.
Die Zahlen – die Bürgerinnen und Bürger draußen regis-
trieren das – sprechen eine ganz andere Sprache, meine
sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Natürlich sind nicht alle Wünsche erfüllbar gewesen
– das ist klar, wenn man die Restriktionen des Haushalts
sieht –, aber dennoch: Das, worum wir Sozialdemokra-
ten im Haushalt 2014 gerungen haben – Cajus Caesar hat
darauf verwiesen –, wird im Haushalt 2015 Realität. Wir
haben den Maßgabebeschluss zum Hochwasserschutz
durchgesetzt, weil wir wussten: Nur wenn wir 2014 be-
ginnen, werden wir 2015 Geld haben. Die 20 Millionen
Euro – das muss man sehen – werden um Länderanteile
angereichert. Wir, Cajus Caesar und ich, haben gemein-
schaftlich auch schon angemahnt, dass im Haushalt 2016
– das ist die Erwartung an die Bundesregierung – ein hö-
herer Betrag, möglicherweise aus dem Investitionspro-
gramm, in den Haushalt eingestellt wird, damit die anvi-
sierten 100 Millionen Euro sehr schnell erreicht werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Bäuerinnen und
Bauern – es geht um rund 630 000 Beschäftigte in
237 000 landwirtschaftlichen Betrieben – schulden wir
Dank. Aber verbaler Dank, Dank allein mit Worten
reicht nicht. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben,
die Rentenversorgung, die mit der Hofabgabeklausel zu-
sammenhängt, zu modifizieren. Das steht im Koalitions-
vertrag. Darauf werden wir hinarbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!)


Ich gehe davon aus, Herr Minister und meine Kolle-
ginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass wir uns
gegenseitig ernst nehmen. „Gegenseitig ernst nehmen“
heißt in diesem Fall, im ersten Halbjahr 2015 den
Rechtsrahmen zu regeln, damit Bauern und Bäuerinnen
ihren Hof nicht abgeben müssen und weiterarbeiten kön-
nen.

Ich habe gestern mit Interesse auf Spiegel Online ge-
lesen: „Junge Unionsabgeordnete machen Druck bei
Flexi-Rente“. Da wird zur Begründung Jana Schimke zi-
tiert:

„Immer mehr Menschen wollen heute länger arbei-
ten … Dies zu tun ist keine Strafe, sondern ent-
springt dem Wunsch, Wissen und Erfahrung weiter-
zugeben, aktiv zu bleiben und am Arbeitsleben
weiter teilzuhaben.“ Verbesserte Rahmenbedingun-
gen würden dazu beitragen, „dass sich längeres Ar-
beiten auch lohnt“.

Wenn wir uns ernst nehmen, meine Damen und Her-
ren von der CDU/CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dann lasst uns nach Weihnachten, im neuen Jahr, endlich
im Rahmen der vorgegebenen Linien – die Idee des
Ministers, unsere Überlegungen – einen Kompromiss für
die Bäuerinnen und Bauern im Alter von 64, 65 oder
66 Jahren auf den Weg bringen, die zum Teil darauf war-
ten, endlich auch bei Weiterbetrieb ihres Betriebes eine
Rente zu erhalten, also mit einem Teil ihrer eingezahlten

(A)






Ulrich Freese


(A) (C)



(D)(B)

Beiträge aus der Armut herauszukommen. Das sind wir
ihnen schuldig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich freue mich auf eine solidarisch geführte Diskussion.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807020700

Vielen Dank, Herr Kollege Freese. – Nächster Redner

in der Debatte ist der Bundesminister Christian Schmidt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 5,3 Milliarden Euro werden im Haushalt des
BMEL, des Landwirtschaftsministeriums, zur Verfügung
stehen. Wir haben damit zu haushalten. Dieser Etat ist
damit im Hinblick auf die Anforderungen der Agrarpoli-
tik, der Politik für ländliche Entwicklung einschließlich
des Hochwasserschutzes, der Ernährungspolitik und der
Waldpolitik sowie im Hinblick auf internationale Anfor-
derungen gut aufgestellt.

Die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses
hat ein gutes Ergebnis hervorgebracht. Lieber Kollege
Freese, lieber Cajus Caesar, lieber Kollege Kindler, lie-
ber Kollege Claus, Ihnen allen miteinander herzlichen
Dank dafür, dass wir mit 20 Millionen Euro für den vor-
beugenden Hochwasserschutz, wie der Kollege Freese
sagte, einen Einstieg geschafft und die Gemeinschafts-
aufgabe gestärkt haben.


(Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Hat der Claus das unterstützt?)


20 Millionen Euro für vorbeugenden Hochwasserschutz –
da waren sich mein Haus, das Umweltministerium und
das Finanzministerium einig. Wir werden als Bund die
Länder unterstützen. Mein Haus wird einen wichtigen
Beitrag leisten. Ich danke dem Deutschen Bundestag –
davon ausgehend, dass es vielleicht Zustimmung findet,
dass wir diese Gelder in Umsetzung des Maßgabebe-
schlusses erhalten haben.

Ich danke Ihnen auch dafür, dass wir Investitionen in
die Entwicklung ländlicher Räume tätigen können. Wir
haben das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung mit
10 Millionen Euro ausgestattet; das ist ein Anfang. Das
Bundesprogramm bündelt Modell- und Demonstrations-
vorhaben, Wettbewerbe, Initiativen. Hier will ich eine
Ideenwerkstatt entstehen lassen. Sie verarbeitet das, was
in der Fläche erfolgreich erprobt wird. Wir stellen die
Ressourcen bereit, damit mein Haus künftig der zentrale
Ansprechpartner für Fragen der ländlichen Entwicklung
sein kann. Die Bundesregierung hat hier eine Staatsse-
kretärsrunde eingerichtet – unter Führung meines Hau-
ses –, um sich bei den infrastrukturellen und strukturel-
len Aspekten dieser landwirtschaftlichen und ländlichen
Themen abzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die zusätzlichen 10 Millionen Euro, die in den beiden
anstehenden Haushaltsjahren jeweils zur Verfügung ste-
hen, machen Fortschritte möglich, zunächst viele kleine
Fortschritte vor Ort, später aber eine Bewegung zum
Besseren in der großen Fläche. Ich habe natürlich ver-
nommen, dass die Bereitstellung von 10 Millionen Euro
für das Programm als ein Einstieg verstanden wird.

Man tut sich natürlich immer schwer, Oppositionsan-
träge, in denen noch mehr Geld für den eigenen Etat ge-
fordert wird, von vornherein zurückzuweisen. Das ist für
uns ein Merkzettel. Ich danke den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD für den Merkzettel, den sie uns ei-
gentlich mit der Bereitstellung von 10 Millionen Euro
mitgegeben haben. Natürlich wird die ländliche Ent-
wicklung im Hinblick auf die demografische Struktur in
unserem Lande und auf manche strukturelle Fragen bei
zukünftigen politischen Aktivitäten einen noch höheren
Stellenwert bekommen.

Wir wollen die Arbeitsplätze und die Versorgung im
Alter sichern. Das gehört genauso dazu. Deswegen bin
ich mit Kollegen Gröhe auch im Gespräch, beispiels-
weise über die ländliche ärztliche Versorgung. Es gibt
weitere Maßnahmen, die wir – gemeinsam mit anderen
Ressorts – mit diesen zusätzlichen 10 Millionen Euro so-
zusagen andenken wollen.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas über
die Gemeinschaftsaufgabe sagen. Wir befinden uns ge-
rade in einer Diskussion über die Neuordnung der Bund-
Länder-Finanzbeziehungen. Die Gemeinschaftsaufgabe,
die nicht immer nur Zustimmung erfahren hat, hat sich
als gemeinsames Bund-Länder-Finanzierungsinstru-
ment bewährt und sollte ausgebaut werden. Sie wurde
von Franz Josef Strauß gemeinsam mit Karl Schiller ent-
wickelt und eingeführt.


(Ulrich Freese [SPD]: Dann war ja ein Guter dabei! – Gegenruf des Abg. Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Der Franz Josef! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Der Franz Josef Strauß hat das immer gut im Griff ge-
habt. Er war ja nicht dumm.


(Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!)


Er hat etwas auf den Weg gebracht, das sich bewährt hat.
Deswegen bin ich überzeugt davon, dass wir den Ausbau
dieses Instruments weiter verfolgen können.

Mein Ministerium ist ein forschungsstarkes Ministe-
rium. Wir werden auch im nächsten Jahr das eine oder
andere an Überschneidungen bzw. Verknüpfungen ha-
ben. Es werden neue Forderungen aus der Forschung
kommen, und wir werden die entsprechenden Schwer-
punkte setzen.





Bundesminister Christian Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Danke noch einmal für den Hinweis auf unsere leis-
tungsfähigen Institute. 310 Millionen Euro sind im
Haushalt für die Forschungsinstitute vorgesehen. Damit
sind wir auf dem Weg vom Acker zum Teller tatsächlich
Impulsgeber für eine Wertschöpfung, die sich an den
Kriterien von Nachhaltigkeit und Tierwohl messen las-
sen muss.

Wir tragen den Ansprüchen der Verbraucherinnen und
Verbraucher Rechnung. Ich kann vorsorglich sagen – da
muss ich Sie enttäuschen, lieber Kollege Kindler –: Das
sind nicht nur Ankündigungen. Der Kompetenzkreis tagt
sehr intensiv und diskutiert durchaus kontrovers; das soll
auch so sein.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn das Ergebnis sein?)


Aber ich möchte, dass wir das Thema Tierwohl gemein-
sam weiterentwickeln.

Ich darf meinen Dank an die freiwillig Tätigen in die-
sem Kompetenzkreis unter Leitung von Gert Lindemann
richten. Ich denke, dass uns die Zwischenergebnisse in
den nächsten Wochen vorliegen werden. Was mir berich-
tet wurde, hört sich alles sehr gut an.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die wissenschaftliche Erkenntnis ist wichtig. Wir ha-
ben gerade jetzt bei der sich aktuell abzeichnenden und
Gott sei Dank nicht in aller Schärfe aufgetretenen Geflü-
gelpest gesehen, dass sich das Ineinandergreifen der Ak-
tivitäten von Bund und Ländern bei der Bekämpfung be-
währt. Das ist nach den bereits gemachten Erfahrungen
sogar besser geworden. Ich kann nicht mehr zählen, wie
oft ich in den letzten Tagen mit Till Backhaus telefoniert
habe bzw. unsere Leute sich abgestimmt haben. Dass es
gelingt, dass durch aktives Monitoring Wildvögel abge-
schossen, in Rostock in der Landesuntersuchung über-
prüft und dass sie dann, wenn dort nicht mehr weiter ge-
testet werden kann, zum FLI auf die Insel Riems
gebracht werden, zeigt doch, dass das System funktio-
niert. Da ich jemand bin, der versucht, eine Gefahr pro-
aktiv zu bekämpfen – ich warte nicht, bis der Risikofall
eingetreten ist –, bin ich sehr dankbar, dass wir dies
nachweisen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir dürfen gerade bei der Tiergesundheit nicht nach-
lassen. H5N8 ist ein neuer Virustyp, der wohl aus Korea
stammt und jetzt nach Deutschland gelangt ist. Ich habe
mit meiner niederländischen Kollegin und auch mit mei-
ner Kollegin aus dem Vereinigten Königreich vereinbart,
dass wir bei der Ursachensuche und auch bei der Be-
kämpfung gemeinsam vorgehen. Ich würde mir wün-
schen, dass sich auch die Europäische Kommission früh-
zeitig in solche Fragen einbringt, das heißt unter
anderem, das Monitoring der Wildvögel zu unterstützen.
Dabei geht es nicht um Beträge, die den europäischen
oder unseren Haushalt umwerfen, sondern um die Er-
kenntnis, dass wir in Risikogebieten gemeinsam handeln
müssen und gemeinsam Verantwortung tragen.
Ich darf diesen Fall auch zum Anlass nehmen, über
Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit insgesamt zu
sprechen. Da müssen einige Äußerungen korrigiert wer-
den. Gott sei Dank leben wir in einer Zeit, in der die Le-
bensmittel so sicher sind wie noch nie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Eine Skandalisierung nützt niemandem. Mit Blick auf
jene, die versuchen, in ihren bäuerlichen Betrieben die
landwirtschaftliche Erzeugung möglichst nah an nicht
immer ganz realistischen Vorstellungen auszurichten,
sage ich: Wir werden den Ökolandbau gemeinsam unter-
stützen. Ich bin allerdings nicht bereit, das eine gegen
das andere auszuspielen. Nahrungsmittelversorgung
kann nur in den Gunstregionen funktionieren, wenn alle
miteinander arbeiten: die konventionelle Landwirtschaft,
die ökologische Landwirtschaft und auch jene, die da-
zwischenliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Papst Franziskus hat auf der Welternährungskonfe-
renz der FAO in der letzten Woche gesagt:

Gott kann verzeihen. Menschen verzeihen manch-
mal. Die Erde verzeiht nicht.

Was heißt das? Das heißt, dass wir das Prinzip der Nach-
haltigkeit natürlich beachten müssen. Er hat aber auch
den Appell an uns gerichtet, die Erde zu nutzen; und im
Jahr 2050 9 Milliarden Menschen zu ernähren, ist eine
Aufgabe, die machbar ist. Das Sicherstellen der Ernäh-
rung heute leidet darunter, dass wir, was die Nachhaltig-
keit angeht, die entsprechenden Organisationsstrukturen
und Bewirtschaftungsmethoden in den Entwicklungslän-
dern leider nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung
haben. Ich habe deshalb mit meinem Kollegen Gerd
Müller gemeinsam eine Initiative auf den Weg gebracht,
die gerade dies ändern soll.

Übrigens möchte ich mit einer Mär einmal aufräu-
men: Überall wird insinuiert, wir hätten heute noch Ex-
portsubventionen. Die Exportsubventionen auf europäi-
scher Ebene sind aber auf null gestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich habe mich dezidiert dagegen ausgesprochen, Obst-
und Gemüseerzeuger wegen ihrer Absatzschwierigkei-
ten zu unterstützen und das Instrument der Subvention
wieder zu verwenden. Wir können nicht auf Kosten an-
derer versuchen, unsere Überflüsse abzugeben. Nein, der
Export ist ein regulärer Vorgang, und er geht nur in die
Länder, die die Waren brauchen und bezahlen können.

Der Selbstversorgungsgrad in Russland beträgt
60 Prozent. Die Preise steigen im Augenblick in russi-
schen Supermärkten, weil sich Russland allein nicht
selbst versorgen kann. Da stehen wir zur Verfügung und
würden dies auch gern tun.

Ernährung ist ein ganz wichtiger Punkt. Sie gestatten,
dass ich dies noch kurz anspreche. Jawohl, wir haben mit
IN FORM ein, denke ich, sehr gutes Programm, einen
nationalen Aktionsplan. Aber die 1,76 Milliarden Euro,





Bundesminister Christian Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

die nötig sind, um die Schulversorgung in ganz Deutsch-
land zu finanzieren – das würde, so glaube ich, Kollege
Freese, die Bund-Länder-Finanzbeziehungen etwas auf
den Kopf stellen.


(Ulrich Freese [SPD]: Die habe ich nicht gefordert!)


– Ich habe das auch nicht behauptet.

Aber was bleibt, ist, dass wir die Schulvernetzungs-
stellen natürlich unterstützen. Ich möchte auch hier nicht
aufs Regulative, Vorschriftliche, eingehen, sondern die
Möglichkeit zur Entwicklung geben. Viele Beratungen
zeigen, dass die Kinder insbesondere Nudeln,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Tomatensoße!)


Pommes und Pfannkuchen, aber keinen Spinat wollen.
Das ist nun einmal so. Wir sollten auch nicht versuchen,
die Kinder komplett davon abzubringen. Die entspre-
chende Beratung findet besser vor Ort statt. Das wissen
die Schulleiter, die Ökotrophologen und manchmal die
Eltern etwas besser als wir. Deswegen ist hier ein Stück
Zurückhaltung geboten.

Vielen Dank dafür, dass Sie beim Haushalt keine Zu-
rückhaltung gezeigt haben, sondern mir mit 5,3 Milliar-
den Euro ein gutes Volumen zur Verfügung stellen, mit
dem ich, wie gerade auch von Ihnen eingefordert, unsere
Politik – einschließlich des Forstes – dann auch umset-
zen kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807020800

Vielen Dank, Christian Schmidt. – Nächste Rednerin

in der Debatte ist Dr. Kirsten Tackmann.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807020900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Mit 5 von 300 Milliarden Euro ist das
Agrarbudget tatsächlich ein Mini-Etat. Das liegt aber
nicht so sehr an der fehlenden Wertschätzung, sondern
hängt einfach damit zusammen, dass über die Agrarpoli-
tik und ihre Finanzierung überwiegend in Brüssel und in
den Bundesländern entschieden wird. Das ist in keinem
anderen Ressort so.

Dass stolze 70 Prozent dieses Mini-Etats in der land-
wirtschaftlichen Sozialversicherung gebunden sind, hal-
ten wir Linke zwar durchaus für richtig. Wir erhalten
aber auch unsere Kritik aufrecht, dass die landwirt-
schaftliche Alterssicherung als Teilrentensystem längst
nicht mehr vor Altersarmut schützt. Dass Betriebe in
Deutschland nach wie vor erst einmal abgegeben werden
müssen, um diese Minirente überhaupt zu bekommen,
riecht nach indirekter Enteignung und muss dringend
korrigiert werden.


(Beifall bei der LINKEN)

Ja, Junglandwirte müssen gefördert werden und müssen
auch eine Chance bekommen. Der Zwangsverkauf von
Bauernhöfen ist aber der völlig falsche Weg.

Leider wurden auch dieses Jahr alle Haushaltsanträge
der Linken abgelehnt, obwohl wir eine Gegenfinanzie-
rung vorgeschlagen haben, Herr Minister. Abgelehnt
wurde zum Beispiel unsere langjährige Forderung nach
einem Herden- und Wolfsschutzkompetenzzentrum. Da-
bei wachsen die Probleme der Weidetierhalterinnen und
Weidetierhalter in den betroffenen Regionen immer wei-
ter. Diese Betriebe sind doch schon die Verlierer der EU-
Agrarpolitik und müssen tagtäglich um ihre Existenz
kämpfen – und das, obwohl die Weidetierhaltung aktuell
die größte gesellschaftliche Akzeptanz genießt, wie eine
Umfrage gerade ergeben hat.

Es reicht eben nicht, den materiellen Schaden durch
Wolfsrisse auszugleichen. Die Weidetierhalterinnen und
-halter wollen zu Recht wissen, wie sie ihre Tiere schüt-
zen können. Ein höherer Zaun mit Untergrabungsschutz
reicht oft nicht aus, aber gut ausgebildete Herdenschutz-
hunde schon. Deshalb wird dieses Zentrum so dringend
gebraucht. Es soll sowohl Erfahrungen und Wissen bün-
deln und verbreiten – Wissen hilft nämlich auch gegen
Stammtischparolen – als auch forschen, um herauszufin-
den, wie die Koexistenz zwischen Weidetierhaltung und
Wölfen funktionieren kann.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Da der Wolf Artenschutzstatus hat, ist hier der Bund in
der Pflicht. Gern kann er das auch gemeinsam mit den
Bundesländern erledigen. Dieses Kompetenzzentrum
muss aber jetzt kommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Tierärztin sage ich auch deutlich, dass der Bund
für die Epidemiologie, also die angewandte Tierseuchen-
forschung, mehr tun muss – und zwar deswegen, weil
wir immer häufiger Bedrohungslagen haben, aktuell
zum Beispiel durch Vogelgrippe und Afrikanische
Schweinepest. Die Forderung von Minister Schmidt
nach mehr EU-Geld für Überwachungsuntersuchungen
ist zwar vollkommen richtig. Wir müssen mit diesen Er-
gebnissen aber natürlich auch etwas anfangen können.

Wir müssen besser verstehen lernen, was es konkret
bedeutet, wenn bei einer einzigen Krickente H5N8 ge-
funden wird, und was Behörden und Betriebe denn tun
müssen, um die Ausbreitung zu verhindern. Wir müssen
doch wissen, warum binnen weniger Tage eine gefährli-
che Influenzavariante aus Korea in drei verschiedenen
Betrieben in drei verschiedenen Ländern der EU bei drei
verschiedenen Geflügelarten auftaucht.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)


Wir brauchen auch eine Deckelung der Größe von
Tierbeständen am Standort und in den Regionen. Es ist
doch nicht zu verantworten, dass im Verdachtsfall vor-
sorglich Hunderttausende Hühner oder Zehntausende
Schweine getötet werden müssen, auch wenn sie gesund
sind.





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

Im Agraretat wird aber auch Geld falsch ausgegeben.
Zum Beispiel wird nach wie vor fossiler Agrardiesel mit
430 Millionen Euro jährlich gefördert. Das ist zwar eine
wichtige Unterstützung für die Betriebe. Es ist aber viel
sinnvoller, einheimische Pflanzenkraftstoffe für die
Landmaschinen zu fördern. Das bringt übrigens auch
mehr Arbeitsplätze und Geld in die ländlichen Räume.
Deswegen wollen wir 10 Prozent der Mittel aus diesem
Fördertopf verwenden, um den Wechsel von fossilen zu
pflanzlichen Kraftstoffen zu unterstützen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber selbst wenn das Geld in diesem Mini-Etat aus-
schließlich sinnvoll verwendet werden würde, wären
zwei grundsätzliche Probleme nicht gelöst: Erstens kor-
rigiert das eben nicht die falsche Agrarpolitik in der EU.
Diese macht nämlich die Agrarwirtschaft zum Zulieferer
auf einem sozial und ökologisch blinden Markt, statt sie
in ihrer eigentlichen Funktion zu stärken, nämlich die
Regionen mit Lebensmitteln und erneuerbaren Energien
sicher und bezahlbar zu beliefern. Zweitens bleiben die
ländlichen Räume auf der Strecke. Sie legen zwar ein
Bundesprogramm für die ländlichen Räume auf, aber
bundesweit 10 Millionen Euro für zwei Jahre sind ange-
sichts der Probleme, die dort existieren, ein Tröpfchen
auf einen überhitzten Stein. Einzelne Projekte machen ja
noch lange kein Konzept.

Ich selbst wohne in einem Dorf mit 60 Seelen und
kenne die dortige Situation. Ich möchte hier einmal mit
einem Missverständnis aufräumen. Wir leben dort nicht,
weil wir nicht schnell genug weggekommen sind oder
weil wir krank, alt oder doof sind. Wir leben dort, weil
wir besondere Lebensbedingungen haben wollen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir verzichten dafür auch gerne auf andere Dinge. Aber
wir brauchen dennoch eine gute Anbindung an öffentli-
che Verkehrsmittel, gute Bildung und Kultur, Internet
und Gesundheitsversorgung. Wir haben ein Recht darauf
und wollen keine Almosen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Uns fehlt, ehrlich gesagt, ein Minister, der im Kabi-
nett auch einmal mit der Faust auf den Tisch haut, wenn
nicht genug Geld zur Verfügung gestellt wird. Ihr Man-
tra von der schwarzen Null ist gerade für die ländlichen
Räume fatal. Dass Sie nicht einmal versuchen, durch
eine gerechte Steuerpolitik und durch das Unterbinden
von Steuerflucht mehr Geld für einen ausgeglichenen
Haushalt einzunehmen, ist der eigentliche Skandal. Da-
durch wird die soziale Ungerechtigkeit verschärft und
werden die Zukunftschancen in den ländlichen Räumen
verbaut.

Apropos dünn besiedelte Gebiete: Im europäischen
Maßstab ist nicht Deutschland dünn besiedelt, sondern
Lappland und Teile Estlands. Ich habe im Urlaub selbst
erlebt, dass es dort eine bessere öffentliche Daseinsvor-
sorge gibt als in Deutschland. Das zeigt doch, dass es nur
eine Frage des Willens ist, es dann auch zu realisieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen wird die Linke im Interesse der Dörfer und
der kleinen Städte auch weiter Druck machen für eine
nachhaltige Agrarpolitik.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807021000

Vielen Dank, Dr. Tackmann. – Nächster Redner in der

Debatte: Johann Saathoff für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1807021100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In den vergangenen Jahren haben wir in der
Landwirtschaft viele Entwicklungen erlebt, die wir heute
nicht länger hinnehmen wollen. Ich möchte die Gelegen-
heit nutzen, um noch einmal ganz weit zurückzudenken
an die McSharry-Reform von 1992. Diese Reform war
wegweisend und ein tiefer Einschnitt zugleich. Aber wir
haben auch nach den Reformen von Fischler und Ciolos
immer noch große Probleme in der Landwirtschaftspoli-
tik. Der Fokus in der Landwirtschaft liegt nach wie vor
nur auf Produktivität. Wir kommen einfach nicht weg
vom Motto „Wachsen oder Weichen“. Wir brauchen uns
nur einmal die aktuelle Situation auf dem Milchmarkt
anzuschauen. Es wird produziert, was das Zeug hält.
Niemals zuvor waren die Überschüsse so hoch. Unser
Heil suchen wir derweil auf neuen Märkten.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so darf es
nicht weitergehen. Das alles basiert auf externalisierten
Kosten, genau wie bei der Atomkraft. Die Auswirkun-
gen auf die Umwelt sind enorm. Menschen arbeiten un-
ter zum Teil äußerst fragwürdigen Bedingungen, und die
Zeit der Tiere vor ihrem Tod lässt sich kaum als Leben
bezeichnen. So wie wir nun endlich alle erkannt haben,
dass wir aus der Atomkraft aussteigen wollen, so müssen
wir auch erkennen, dass sich in unserer Agrarpolitik
etwas ändern muss. Wir wollen die Politik für die ländli-
chen Räume nicht länger als Teil der Landwirtschafts-
politik betrachten, sondern umgekehrt die Landwirt-
schaftspolitik als Teil der Politik für die ländlichen
Räume.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir die Landwirtschaftspolitik nur als einen
Baustein der Politik für die ländlichen Räume neben an-
deren Bausteinen wie der Umwelt, dem Tierschutz, den
Arbeitsbedingungen und der Energie betrachten, dann
stellen wir fest, dass wir andere Lösungsansätze für die
Landwirtschaft brauchen, Ansätze, die wir gemeinsam
mit den Landwirten entwickeln wollen; denn heute wird
doch mehr Geld an der Landwirtschaft als in der Land-





Johann Saathoff


(A) (C)



(D)(B)

wirtschaft verdient. Viele Landwirte, die eigentlich freie
Unternehmer sein wollen, befinden sich faktisch in Ab-
hängigkeit und sind nur noch ein kleines Rädchen in ei-
nem großen System. Das kann doch keinem Landwirt
gefallen. Deswegen denken wir schon jetzt an die Halb-
zeitbewertung der GAP. Wir sind der Meinung, dass sich
Cross Compliance nicht nur auf den Acker beziehen darf
und dass es öffentliches Geld nur für öffentliche Leistun-
gen geben darf.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In unserer Politik für die ländlichen Räume unterneh-
men wir mit dem Haushalt 2015 – nach der Eiweißpflan-
zenstrategie in diesem Jahr – mit dem Bundesprogramm
für die ländliche Entwicklung einen weiteren Schritt.
Unser nächster Schritt ist bereits in Vorbereitung: die
Grundgesetzänderung zur Weiterentwicklung der Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“. Außerdem wollen wir inner-
halb der Bundesregierung eine zentrale Stelle schaffen,
die die Politik für die ländlichen Räume koordiniert; denn
die Zuständigkeiten liegen in mehreren Ministerien – lei-
der.

Ich möchte uns allen an einem Beispiel die Situation
der ländlichen Räume aus dem praktischen Leben heraus
beschreiben: In meiner ostfriesischen Heimat gab es bis
vor zwei Jahren noch einen Einzelhändler, der seinen
Betrieb in der dritten Generation führte. Als er den La-
den schloss, weil er sich nicht mehr rechnete, gab er uns
mit auf den Weg, dass die Eltern junger Menschen auf
der Suche nach einem Ausbildungsplatz zukünftig nicht
mehr bei ihm zu klingeln brauchten. Sie müssten nun die
Klingel von Ebay oder Amazon suchen; denn er hatte ei-
nen Großteil seines Umsatzes an das Internet verloren.
Wir wollen die ländlichen Räume schnellstmöglich an
das schnelle Internet anschließen, um Unternehmen glei-
che Arbeitsbedingungen und den Menschen gleiche Le-
bensbedingungen zu bieten.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist das Geld für den Breitbandausbau im Haushalt?)


Aber das Internet bedeutet nicht nur Segen. Das Kauf-
verhalten hat sich durch das Internet enorm verändert,
und wir alle kennen die leerstehenden Ladenlokale im
ländlichen Raum. Auch in Städten gibt es ein „Wachsen
oder Weichen“ als Folge der immer gleich aussehenden
und immer größer werdenden Einkaufszentren und Ket-
ten, die um sich greifen.

Damit wir solche Auswirkungen angemessen in unse-
ren Überlegungen berücksichtigen, ist es wichtig, dass
wir eine zentrale Stelle einrichten, die die ländlichen
Räume im Blick hat. Dadurch können wir zuständig-
keitsübergreifend durch geeignete Maßnahmen an der
Reattraktivierung der ländlichen Räume arbeiten. Wir
brauchen die Geschäfte, wir brauchen ein Bewusstsein
der Menschen dafür, dass diese Geschäfte wichtig für sie
sind, und wir brauchen die Wertschöpfung vor Ort, da-
mit das Geld nicht durch das Internet in die weite Welt
verschwindet.
Noch schlimmer ist es allerdings, wenn die Menschen
verschwinden. Mobilität und die Kosten der Mobilität
sind schon jetzt für die Menschen von entscheidender
Bedeutung. Die Menschen ziehen der Arbeit hinterher.
Ein junger Mensch auf der Suche nach einem Ausbil-
dungsplatz wird vermutlich Ostfriesland verlassen müs-
sen, was die Problemlage der ländlichen Räume noch
weiter verstärkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kind mutt Naam
hebben, so sagt man in Ostfriesland.


(Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])


Ich will damit sagen, dass wir der Bedeutung der Politik
für die ländlichen Räume in Zukunft dadurch Ausdruck
verleihen sollten, dass das BMEL auch die ländlichen
Räume in seinen Namen aufnimmt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807021200

Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff. – Wie heißt das?

Sagen Sie es bitte noch einmal.


(Johann Saathoff [SPD]: Kind mutt Naam hebben! – Rainer Spiering [SPD]: Das Kind muss einen Namen haben!)


– Gut, wieder was gelernt.

Nächster Redner in der Debatte: Friedrich Ostendorff
für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Geschätzte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Warum koalieren wir eigentlich nicht, Johann
Saathoff? Das frage ich mich nach deinen Reden immer
wieder.

Die Landwirtschaft steht vor riesigen Herausforde-
rungen. Das müssen wir heute besprechen. Die Pro-
bleme liegen auf der Hand – sie sind so offensichtlich,
dass ein Schließen der Augen nicht mehr ausreicht, Herr
Minister –, sei es die Belastung von Grundwasser durch
Antibiotika, aber auch durch Nitrate, Phosphate, seien es
die gesundheitlichen Gefahren für die Verbraucher durch
antibiotikaresistente Keime, die aus der Massentierhal-
tung resultieren, oder sei es der Ausstieg von 40 Prozent
der landwirtschaftlichen Betriebe, von fast 50 Prozent
der Milchviehbetriebe und von etwa 70 Prozent der
schweinehaltenden Betriebe allein in den letzten 14 Jah-
ren. Die Veränderung der Landwirtschaft vollzieht sich
in einem Tempo und mit einem Ausmaß, dass die
Grundfesten unserer Gesellschaft berührt werden.

Die Folgen sind, wie allgemein bekannt, der Rück-
gang der Arten – inzwischen auch der Allerweltsarten
wie Spatz, Nachtigall, Kiebitz, Feldlerche; wer hätte das
gedacht? –, die Entvölkerung des ländlichen Raums, der
Verlust von ländlicher Kultur und von ländlichen Struk-
turen in einem ungeahnten Ausmaß und die zunehmende





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

Entfremdung von Bäuerinnen und Bauern von der übri-
gen Nachbarschaft. Meine Damen und Herren von der
Koalition: Wie lange wollen Sie sich das noch untätig
ansehen? Wie lange wollen Sie weiter wie das Kanin-
chen vor der Schlange kauern?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch offensichtlich: Wir müssen endlich han-
deln. Dieses Handeln ist von Ihnen, Herr Minister
Schmidt, leider wohl nicht mehr zu erwarten, ebenso we-
nig wie von den Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU. Herr Minister Schmidt, Ihre Chefin, Frau Merkel,
hat gerade gestern in ihrer Rede den zunehmenden Anti-
biotikaresistenzen, ausgelöst durch die Nutztierhaltung,
den Kampf angesagt.

Das sind gute Worte. Was tun Sie – außer weiterhin auf-
zuschreiben bzw. aufschreiben zu lassen, in welch un-
glaublichem Ausmaß medizinisch wichtige Antibiotika
als Treibstoff in der Massentierhaltung eingesetzt wer-
den? Dieses Nichtstun reicht doch nicht, Herr Minister!
Handeln ist gefordert!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu „Christian“ sagen wir Ja. Aber wir sagen: mehr
Meyer, weniger Schmidt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch die nebulöse Tierwohl-Initiative muss wohl
eher als Beruhigungspille denn als wirksame Behand-
lung bezeichnet werden, Herr Minister. Seit Jahren wer-
den die Verhältnisse in der Landwirtschaft schöngefärbt.
Im Sommer dieses Jahres erklärten Sie noch – das war
Ihr Credo –: Hohe Exporte bringen hohe Preise. – Das ist
schon jetzt überholt. Das haben Sie der Landwirtschaft
aber immer wieder erzählt. Seit Ilse Aigner setzt diese
Bundesregierung auf Export. Sie kennt nur ein Krite-
rium: Größe und Masse.

Wie aber sieht die Realität aus? Die nächste Milch-
krise ist schon da. Milchpreise von 30 Cent je Liter und
deutlich darunter bringen sehr viele bäuerliche Betriebe
in allergrößte Existenznot. Nach dem Wegfall der Quote
im nächsten Jahr wird der Ausstieg dramatisch werden –
leider. Keiner von uns hat das gewollt. Aber Sie haben es
sehenden Auges hingenommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Gleiche gilt für die Perspektive der kleinen und
mittleren Schweinehalter. Preise von 1,40 Euro und da-
runter für das Kilo Fleisch – im Januar notierte der Preis
an der Börse sogar bei 1,30 Euro – sind absolut ruinös.
Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist doch
das simpelste ökonomische Gesetz, dass eine Steigerung
der Angebotsmenge bei gleich bleibender Nachfrage
zum Preiszusammenbruch führt. Deutschland produ-
ziert heutzutage aber 115 Prozent des eigenen Bedarfs an
Milch, und wir produzieren 125 Prozent des eigenen Be-
darfs an Schweinefleisch.


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Und bei Eiern?)

Ich sage: Der Bedarf ist gedeckt. Ich glaube, das können
wir angesichts dieser Zahlen feststellen.

Aber: In diesem Jahr wird bei Milch ein abermaliger
Rekordzuwachs von 4 Prozent erwartet. Sie fördern das
noch, und zwar durch viel Steuergeld, das in den Bau
neuer Ställe fließt. Aber auch der Weltmarkt ist, was
deutsche Produkte betrifft, gesättigt. Herr Fricke – er
sitzt auf der Tribüne –, hören Sie jetzt zu; denn jetzt wird
Ihre Zeitung zitiert. „China hat keinen Hunger mehr auf
deutsches Schweinefleisch“, titelt die Vieh und Fleisch,
die Herr Fricke mitverantwortet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann schicken wir halt Rindfleisch!)


Der chinesische Milchdurst wird geringer und zuneh-
mend durch Neuseeland gedeckt. Neuseeland produ-
zierte alleine in den ersten neun Monaten 2014 12 Pro-
zent mehr Milch. Das ist ein Teufelskreis für unsere
Bäuerinnen und Bauern.

Produktionssteigerung, Konzentration der Tierhaltung
und damit verbundene Umweltfolgen, Aufgabe von klei-
nen und mittleren Betrieben, weitere Ausweitung und
Konzentration der Produktion, Sinken der Preise und
wieder Aufgabe von Betrieben: Das ist der Teufelskreis,
in dem sich unsere Betriebe befinden. Meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, es ist doch nicht zu überse-
hen: Ihre Politik zielt darauf, dass am Ende 1 bis 2 Pro-
zent der landwirtschaftlichen Betriebe übrig bleiben. Sa-
gen Sie den Betrieben dies ehrlich, damit sie wissen,
woran sie sind, und sich nicht noch in unnötige Ver-
schuldung stürzen, die sie umbringen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Krise, meine Damen und Herren, ist eine grundsätz-
liche. Sie ist eine Krise des globalen Nahrungssystems.
Sie von der CDU/CSU sind ihre Apologeten, die voller
tiefer Überzeugung das Hohelied auf die Agrarindustrie
singen.

Was muss getan werden? Wir kommen nicht darum
herum, die Probleme bei der Wurzel zu packen. Wir
brauchen eine Kehrtwende in der Agrarpolitik. Wir brau-
chen ein neues Leitbild der Landwirtschaft. Die kleinen
und mittleren bäuerlichen Betriebe müssen in ihrer Viel-
falt endlich ins Zentrum der Politik gerückt werden. Wir
brauchen die Flächenbindung in der Tierhaltung, um die
durch die Massentierhaltung ausgelösten massiven Um-
weltprobleme zu beheben. Wir brauchen Bestandsober-
grenzen und viel weniger Tiere im Stall, eine artgerechte
Tierhaltung mit Weidegang und Einstreu, einen neuen
Umgang mit dem Tier


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


und eine Honorierung der vielfältigen öffentlichen Leis-
tungen der kleinen und mittleren Betriebe. Das muss
endlich das Prinzip des Handelns, das Prinzip der Ge-
meinsamen Agrarpolitik werden. Wir brauchen gemein-
same und konzentrierte Anstrengungen, um den genann-
ten Herausforderungen zu begegnen und die Aufgaben
zu lösen. Wir brauchen auch die Aufstockung der GAK-
Mittel um 200 Millionen Euro, damit wir einen Aktions-





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

plan für die bäuerlich-ökologische Landwirtschaft auf
den Weg bringen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807021300

Vielen Dank, Kollege Ostendorff. – Nächster Redner

in der Debatte: Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1807021400

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
finde, der Einzelplan 10 unseres Bundeshaushaltes 2015
setzt richtige und wichtige Akzente für das Landleben
und auch für die Verbraucher in Deutschland. Es ist rich-
tig: Bei einem Ausgabenanteil von 70 Prozent für die
landwirtschaftliche Sozialpolitik ist der Gestaltungs-
spielraum natürlich eingeschränkt, und somit ist das
nicht ganz einfach.

Gerade wurde schon darauf hingewiesen: In dieser
Konstellation – Herr Freese und Cajus Caesar – ist es
ganz zum Schluss gelungen, 20 Millionen Euro zusätz-
lich für den präventiven Hochwasserschutz bereitzustel-
len – verbunden mit einem Maßgabebeschluss. Damit ist
der Einstieg gelungen, mehr zu tun. Das ist ein klares
und gutes Signal. Natürlich hätte das noch mehr sein
können – das hätten wir uns alle gewünscht –, aber das
Leben ist halt kein Wunschkonzert.

Wir sind fest entschlossen, den Haushalt ohne Neu-
verschuldung zu verabschieden. Die Schulden von heute
sind bekanntlich Steuern von morgen, und wir wissen,
dass viele hohe Staatsverschuldungen letztendlich die
Ursachen der Krisen der letzten Jahre waren. Deshalb ist
dieser Weg richtig.

Wir tragen mit dem Einzelplan 10 einen Anteil an der
Gesamtverantwortung und leisten unseren Beitrag. Das
heißt für uns zum einen, Maß zu halten, und zum ande-
ren, die richtigen Schwerpunkte bei den Zukunftsinvesti-
tionen zu setzen. Das ist hervorragend gelungen. Mein
Dank geht insbesondere an die beiden Haushälter Herrn
Caesar und Herrn Freese. In diesen Dank will ich gerne
auch die Grünen, Herrn Kindler, und auch Herrn Claus
miteinschließen.

Dazu aber doch noch eine Bemerkung: Hier wurde
darauf hingewiesen, man sollte sich, wenn es um den
Strukturwandel geht, mehr in Richtung der grünen Land-
wirtschaftsminister bewegen. Gucken Sie einmal nach,
wie groß der Strukturwandel zu Künasts Zeiten war!
Ernsthaft! Sie werden sich wundern, wie hoch die Zah-
len sind. Ich bin Niedersachse und in jeder sitzungs-
freien Woche in Niedersachsen unterwegs. Ich be-
fürchte, wenn es dort noch zwei, drei Jahre so
weitergeht, werden wir ein Bauernsterben erleben, wie
wir es noch nie erlebt haben. Das ist dann von den Grü-
nen zu verantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Das ist doch der CDU-Tierschutzplan, den sie umsetzen! Sie setzen doch nur den Tierschutzplan von Herrn Lindemann eins zu eins um!)


Meine Damen und Herren, wir sind ein besonderer
Ausschuss. Wir sind zuständig für das Essen und Trin-
ken von über 80 Millionen Menschen in Deutschland –
und das auch noch täglich. Wir sind zuständig für ge-
sunde, sichere, nachhaltig erzeugte und – das betone
ich – bezahlbare Lebensmittel. Wir sind aber auch zu-
ständig für knapp 300 000 landwirtschaftliche Familien-
betriebe, und wir haben auch Verantwortung für fast
5 Millionen Familien, die ihren Lohn und ihr Brot in der
Agrarwirtschaft verdienen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum macht ihr bei der Milch nichts? Warum lasst ihr das laufen? Ihr seht doch, was passiert!)


Ich will an dieser Stelle auch nicht ganz ohne Stolz
feststellen, dass es bei allen Herausforderungen, Aufga-
ben und Problemen, die niemand infrage stellt und die
wir zu bewältigen bzw. zu lösen haben, stimmt: Unsere
Lebensmittel waren noch nie so sicher und gut wie
heute. Darauf kann man stolz sein. Dafür haben unsere
Landwirtschaft und auch die Agrarwirtschaft Lob und
Anerkennung verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Uns ist das Landleben ein besonderes Anliegen.
Landleben bedeutet Naturschutzraum, bedeutet Erho-
lungsraum, aber bedeutet auch und vor allem Wirt-
schaftsraum. Das gerät leider immer wieder in Verges-
senheit. Zum Landleben kommt es nicht einfach von
alleine, wie manche hier tun, sondern es ist das Projekt
einer starken Wirtschaft im ländlichen Raum, die vor Ort
verwachsen und engagiert ist und die Menschen durch
Arbeitsplätze und eine gute Infrastruktur im Dorf hält.

Auch Natur – damit meine ich die Artenvielfalt – ent-
steht nicht einfach von alleine, wie manche tun,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stirbt!)


sondern ist ebenfalls das Produkt menschlichen Wirkens
und dabei auch maßgeblich von der Landwirtschaft ge-
prägt.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stirbt!)


Daraus leite ich ab: Die Lebensader für lebendige Dörfer
– sozusagen der Nukleus des Landlebens – ist die Land-
wirtschaft und nichts anderes.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Arten sterben!)


Deshalb wollen wir die Marktposition zumindest sta-
bilisieren. Dass wir insbesondere in manchen Regionen
die Grenzen des Wachstums erreicht haben, weiß jeder.





Franz-Josef Holzenkamp


(C)



(D)(B)

Das braucht auch niemand infrage zu stellen. Aber auch
die Exportstrategie gehört mit zur Gesamtstrategie.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hohe Exporte bringen hohe Preise! Das war euer Credo! Das habt ihr doch den Bauern immer erzählt!)


Exportsubventionen gibt es nicht mehr.

Hier wurden die Agrarexporte in Entwicklungsländer
angesprochen. Es gibt das Abkommen: „Everything but
Arms“. Was bedeutet das? Die 50 ärmsten Länder der
Welt dürfen in unser Land alles exportieren, was sie wol-
len. Sie können aber beim Import so viele Zollschranken
aufbauen, wie sie wollen. Wenn Sie etwas kritisieren,
dann bleiben Sie zumindest bei der Realität und bei der
Wahrheit. Ich glaube, darauf haben die Zuschauer ein
Anrecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wichtig ist uns ein Thema, das auch Bundesminister
Schmidt schon ansprach: das Bundesprogramm für
ländliche Entwicklung. Wir wissen, dass wir struktur-
schwache Regionen haben. Für diese sogenannten struk-
turschwachen Landstriche wollen wir exemplarisch Lö-
sungen finden. Ich bin froh, dass gerade dieses Thema,
das uns ein besonderes Anliegen ist, auch ein Herzens-
anliegen unseres Ministers ist. Herr Minister, herzlichen
Dank dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Volumen der GAK von 600 Millionen Euro ist
gesichert. Wir wollen mehr und wollen diese Gemein-
schaftsaufgabe in eine Gemeinschaftsaufgabe für ländli-
che Entwicklung umwandeln. Darin sind wir uns einig;
darauf wurde hingewiesen.

Unsere Landwirtschaft ist hochinnovativ und effizient
unterwegs. Nie war die Qualität von Lebensmitteln bes-
ser; darauf habe ich hingewiesen. Auch das will ich
deutlich sagen: Obwohl der Bauer in Deutschland ein
hohes Vertrauen genießt, besteht zunehmend ein Unbe-
hagen darüber, was und wie er etwas macht. Damit müs-
sen wir uns sehr selbstkritisch auseinandersetzen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ja! Sehr wohl!)


Leider fand bislang dieses Unbehagen keinen Wider-
hall an der Ladentheke. Leider können wir auch von
Umfragen nicht leben. Trotzdem stellen wir uns den Er-
wartungen und Veränderungen unserer Gesellschaft.
Landwirtschaft braucht Akzeptanz. Aber entscheidend
ist, wie wir das machen, wie wir wirklich zu Verbesse-
rungen kommen. Herr Schmidt hat es deutlich gemacht:
Anders als Sie machen wir das miteinander statt gegen-
einander. Pauschale Stigmatisierungen sind einfach nicht
lösungsorientiert. Vielleicht begreifen Sie das irgend-
wann im Laufe dieser Legislatur.

Durch die Stärkung gezielter Forschungsaktivitäten
erarbeiten wir praktikable Lösungen. Für die Forschung
geben wir über 500 Millionen Euro aus. Nach wie vor
muss die Wettbewerbsfähigkeit eine gewisse Rolle spie-
len, sonst kommt es zu Produktionsverlagerungen mit
dem Verlust von Arbeitsplätzen. Das wollen wir nicht.
Das beruhigt vielleicht das grüne Gewissen, aber den
Tieren ist damit definitiv nicht geholfen, und es vernich-
tet Arbeitsplätze.

Die von Minister Schmidt vorgestellte Tierwohl-Ini-
tiative ist genau der richtige Weg, tiergerechte und prak-
tikable Lösungen zu erarbeiten. Er hat deutlich gemacht:
Der Kompetenzkreis, der heute getagt hat, arbeitet unter
Hochdruck. Aktuell arbeiten wir im Übrigen an der Ent-
wicklung des Prüf- und Zulassungsverfahrens. Sie se-
hen: Wir sind inhaltlich intensiv unterwegs.

Noch ein Satz zum Thema Antibiotika. Die Änderung
des Arzneimittelgesetzes zum Einsatz von Antibiotika in
der Nutztierhaltung, das wir beschlossen haben, ist erst
in diesem Jahr in Kraft getreten. Die Vorgaben setzen in
den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben an. Damit
ermöglichen wir einen Vergleich, und damit wollen wir
die Menge der eingesetzten Antibiotika in der Nutztier-
haltung reduzieren, um Resistenzen beim Menschen vor-
zubeugen. Interessant ist auch, sich einmal die Werte des
Genfer Sees anzuschauen, in dem sich viele resistente
Keime finden, obwohl dort fast keine Tiere gehalten
werden.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Das ist eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe, weil wir auch in der Human-
medizin große Probleme haben. Wir sollten keine gegen-
seitigen Schuldzuweisungen machen, sondern sollten
das Problem annehmen, und zwar in gesellschaftlicher
Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die Kanzlerin aber etwas anderes gesagt! Das Wort der Kanzlerin gilt!)


Wir geben im kommenden Jahr über 30 Millionen
Euro für mehr Tierschutz aus: für praktikable Lösungen
statt unausgegorener Verbote. Schließlich müssen hö-
here Standards auch bezahlt werden. Eine besondere
Verantwortung kommt dabei dem Lebensmitteleinzel-
handel zu, ganz besonders in diesem Jahr. Es gab witte-
rungsbedingt eine große Ernte, weil es der Wettergott in
diesem Jahr, jedenfalls in den meisten Regionen, gut mit
uns gemeint hat. Auch andere Dinge, wie das Russland-
Embargo, spielen hier eine große Rolle. Das bedeutet
Marktdruck, was zur Folge hat, dass die Preisspirale
nach unten geht.

Von dieser Stelle mein Appell an die vier marktbe-
herrschenden Unternehmen des Lebensmitteleinzelhan-
dels: Überdenkt einmal die aggressive Preispolitik! Ich
freue mich aber auch darüber – auch das will ich konsta-
tieren –, dass der Lebensmitteleinzelhandel bei der Tier-
wohl-Initiative der Wirtschaft mitmacht und damit end-
lich auch Verantwortung übernimmt. Wir Bauern haben
damit erstmalig die Chance, höhere Standards bezahlt zu
bekommen. Das kann Ordnungspolitik nämlich nicht
leisten, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser Leitbild der deutschen Landwirtschaft – das
wurde vorhin angesprochen – ist und bleibt für die

(A)






Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)

Union eine unternehmerische, wettbewerbsorientierte
und familiengeführte bäuerliche Landwirtschaft. Sie
wird immer wieder infrage gestellt. In meiner Region
gibt es viele Tiere. In meiner Region sind über 90 Pro-
zent der gesamten Landwirtschaft in den Händen bäuer-
licher Familien. So gehört sich das, und so wollen wir
das.

Derjenige, der das infrage stellt, stellt letztlich leben-
dige Dörfer infrage. Er weiß nämlich nicht, worüber er
redet. Ob konventionell oder öko, ob groß oder klein:
Landwirtschaft auf die Zukunft auszurichten, das ist un-
ser Ziel. Deshalb lautet die Zukunftsfrage nicht „Intensiv
oder Extensiv?“ – das ist viel zu einfach –; es geht viel-
mehr darum, wie wir unabhängig von der Produktions-
form besser, effizienter und auch nachhaltiger werden.

Die reine ökologische Selbstbefriedigung hilft uns ga-
rantiert nicht weiter, meine Damen und Herren. Wir ha-
ben schon einige Parteitagsreden gehört. Wenn Sie auf
Ihrem Parteitag debattieren, ob aus dem Veggie-Day nun
eine Veggie-Steuer werden soll, dann hat das mit Frei-
heit – mit wirklicher Freiheit – überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, wovon reden Sie?)


Wir sind mit diesem Haushalt 2015 auf einem guten
Weg. Wir sollten die Aufgaben und Herausforderungen,
aber auch die Probleme als Chance begreifen. Wir sind
für 80 Millionen Menschen zuständig. Stellen wir uns
selbstbewusst und mit Freude fröhlich und begeistert den
Herausforderungen dieser schönen Berufe, und machen
wir den Akteuren vor Ort, den Bauern, durch vernünfti-
ges politisches Handeln Mut! Dazu Ihnen allen eine
herzliche Einladung!


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Helau!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807021500

Vielen herzlichen Dank, Herr Holzenkamp. Jetzt bin

ich mal fröhlich. Das bin ich aber immer. – Nächste Red-
nerin: Christina Jantz für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1807021600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem
Haushalt durchbrechen wir die Schuldenspirale. Zum
ersten Mal seit Jahrzehnten wird ein Bundeshaushalt
ohne neue Schulden verabschiedet. Das ist sozialdemo-
kratische Politik; denn wir übernehmen Verantwortung
für spätere Generationen.


(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!)


Zugleich nutzen wir Spielräume, legen neue Schwer-
punkte fest und investieren im Landwirtschaftshaushalt
ganz gezielt, Herr Minister. Wir erfüllen damit nicht nur
unsere Pflicht gegenüber den Menschen, sondern auch
gegenüber der Umwelt und den Tieren.

Meine Damen und Herren, besonders der SPD liegt
der Tierschutz am Herzen. Wir haben uns dafür starkge-
macht, dass dem Tierschutz auch im Haushalt 2015 ge-
bührend Platz eingeräumt wird. Wir haben die Diskus-
sionen in diesem Bereich in Fahrt gebracht und werden
sie weiter vorantreiben.

Nicht zuletzt ist es unser Verdienst, dass die Große
Koalition sich klar und ohne Wenn und Aber dem Wohl-
ergehen der Tiere verschrieben hat. Minister Schmidt
setzt mit der Tierwohl-Initiative unsere Forderungen um.

Lassen Sie mich nur zwei unserer Forderungen nen-
nen, die jetzt verwirklicht werden: Erstens. Wir wollen
seit Jahren, dass die Tierschutzforschung gestärkt wird.
Zweitens. Wir wollen, dass Tiere besser gehalten wer-
den, insbesondere Schweine, Hühner und Rinder. Sie
alle, meine Damen und Herren, kennen die grausamen
Bilder aus dem Fernsehen, beispielsweise von den qual-
vollen Zuständen in den Hähnchenmastställen.

Im Bereich der Forschung möchte ich das Bundes-
institut für Risikobewertung mit der Zentralstelle zur Er-
fassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungs-
methoden zum Tierversuch hervorheben. Wir stärken die
Arbeit des Instituts mit 9 Millionen Euro und leisten da-
mit unmittelbar einen Beitrag dazu, das Leiden von Ver-
suchstieren zu vermeiden.


(Beifall bei der SPD)


Im Bereich der landwirtschaftlichen Tierhaltung ha-
ben wir mit dem geplanten Prüf- und Zulassungsverfah-
ren für Stallhaltungssysteme die entsprechenden Eck-
punkte festgelegt. In den vergangenen Monaten hat sich
in meinen zahlreichen Gesprächen bestätigt, dass sowohl
die Tierhalter als auch die Hersteller solche Verfahren
begrüßen. Damit leistet dieses Verfahren nicht nur sei-
nen Beitrag für mehr Tierschutz; es bedeutet auch Inves-
titions- und Rechtssicherheit für die Hersteller und für
die Landwirte.

Diese Beispiele zeigen, dass wir uns mit Augenmaß
diesem Thema genähert haben. Wir stellen keine überzo-
genen, widersprüchlichen Forderungen. Wir wollen Lö-
sungen, die so tierfreundlich wie möglich und praktika-
bel sind.


(Beifall bei der SPD)


Wir stemmen uns zudem gegen die Auswüchse in der
Intensivtierhaltung. Wir treten für ein gesundes Gleich-
gewicht in der Landwirtschaft ein. Das bedeutet selbst-
verständlich regional verankerte Ressourcen und um-
weltschonend produzierende Betriebe, Familienbetriebe.
Dazu gehören gute Haltungsbedingungen und gesunde
Tiere.

Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfrak-
tion freue ich mich, dass die Arbeit für den Tierschutz im
Ministerium gestärkt wird. Auf unser Drängen werden
die notwendigen Stellen hierfür geschaffen.

Wir bauen zudem den Bienenschutz aus. Mit einer
Institutsleiterstelle im Julius-Kühn-Institut verbessern





Christina Jantz


(A) (C)



(D)(B)

wir das Bienenmonitoring. Das ist ebenfalls im Koali-
tionsvertrag verankert und war ein besonderes Anliegen
der SPD.


(Beifall bei der SPD)


So gehen Umweltschutz und Tierschutz Hand in Hand.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit die-
sem Haushalt ein Mehr für den Tierschutz erreicht. Ge-
meinsam werden wir das Thema in den kommenden Mo-
naten weiterentwickeln und vorantreiben. Wir wollen
uns verstärkt beispielsweise dem Problem der Qualzuch-
ten und auch des Wildtierhandels widmen.

Wir nehmen es nicht länger hin, dass beispielsweise
Hunde gezüchtet werden, die permanent entzündete Au-
gen haben, oder Vögel, die sich nicht mehr auf einer
Sitzstange halten können. Wir können nicht akzeptieren,
dass eine Riesenpython in einer 50-Quadratmeter-Woh-
nung oder die Bartagame in der Badewanne gehalten
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sicher müssen wir hierfür das Tierschutzgesetz nach-
schärfen, und wir werden auf die Umsetzung der im Ko-
alitionsvertrag vereinbarten Regelungen zu dem Um-
gang und dem Handel mit Wildtieren drängen.

Ich habe eingangs deutlich gemacht, dass die SPD die
Diskussion im Bereich des Tierschutzes in Fahrt ge-
bracht hat. Es liegt an uns, nun nicht nachzulassen. Wir
alle sind aufgefordert – und das ist nicht zuletzt eine
ethisch-moralische Frage an jeden Einzelnen von uns –,
das Beste für die Tiere zu erreichen. Ich lade Sie daher
ein, in den kommenden Monaten und Jahren mit mir ge-
meinsam sachliche Lösungen zu finden, die dem Wohl-
ergehen der Tiere auch tatsächlich nutzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807021700

Vielen Dank, Frau Kollegin Jantz. – Nächste Redne-

rin in der Debatte: Gitta Connemann für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1807021800

Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Bei uns geht über den Tisch, was bei den
Menschen in diesem Land auf dem Teller landet. So lässt
sich die Arbeit unseres Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft auf den Punkt bringen. Unsere Themen
gehen wirklich jeden in diesem Land an, denn es geht
um Ernährung, unser tägliches Brot.

Jeder muss essen, mindestens dreimal am Tag. Jeder
kann mitreden, viele wollen es, und das ist auch gut so;
denn Lebensmittel spielen eine wirklich herausragende
Rolle für das, was uns am meisten bedeutet. Was ist es?
Die Gesundheit, durchaus auch unser Aussehen. Oder
um es ebenfalls auf Platt zu sagen: Eten un Drinken holt
Liev un Seel binanner.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aber Ernährung ist inzwischen mehr als reine Nah-
rungsaufnahme. Essen ermöglicht das Bekenntnis zu ei-
nem Lebensstil, übrigens auch zu einer Abgrenzung.
Sind Sie Veganer, Flexitarier, Wurstesser? Sind Sie klas-
sischer Mittagesser oder Snacker? Das Essen bestimmt
das Sein.

Das Fernsehen hat diesen Trend im Übrigen erkannt
und darauf reagiert. Laut einer aktuellen Studie geht es
dort an 34 Stunden pro Woche um Lebensmittel, Ernäh-
rung, Kochen und Essen. Jede Zeit hat eben ihre The-
men. Jetzt ist es die gesunde und sichere Ernährung.

Um diese scheint es nicht sonderlich gut bestellt zu
sein. Jedenfalls kann man diesen Eindruck gewinnen,
wenn man die Schlagzeilen liest. Da ist die Rede von
Dioxin-Eiern, Formschinken, Neuland-Hühnern oder
Fairtrade. Es entsteht der Eindruck, dass eine Mafia aus
Betrügern und Panschern uns alle vergiften oder zumin-
dest täuschen will. Das alles wird übrigens angeheizt
von einer Angstindustrie, die von der Skandalisierung
lebt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich betone an dieser Stelle: Es ist ein Spiel mit der Angst
um höhere Quoten, höhere Spenden und manchmal auch
um höhere Wählerstimmenanteile. Ich betone auch, dass
die meisten NGOs außerordentlich wertvolle Arbeit leis-
ten. Aber nicht jede ist dem Allgemeinwohl verpflichtet.
Vielmehr gibt es inzwischen etliche, die ganz handfeste
wirtschaftliche Interessen haben.


(Zurufe der Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb warnt zum Beispiel die Stiftung Warentest vor
etlichen Tier- und Umweltschutzorganisationen – ich zi-
tiere –: „Vorsicht angebracht“. Mit der Unsicherheit der
Verbraucher wird gespielt. Dazu sage ich auch im Na-
men meiner Fraktion: Das ist aus unserer Sicht zynisch
und verantwortungslos.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir stehen für Klarheit statt Wahrheit,


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Klarheit und Wahrheit, nicht um ein Entweder-oder!)


für Aufklärung statt Empörung, für Fakten statt Vermu-
tung, übrigens auch für Wissen statt Unterstellung.

Wie ist die Situation? Wir wurden noch nie so alt wie
heute, blieben noch nie so lange gesund und aktiv. Vor
dem Ersten Weltkrieg betrug die Lebenserwartung einer
Frau noch nicht einmal 44 Jahre. Es gab keine Kühlket-
ten. Es fehlte an Wissen über Hygiene. Es wurde geges-
sen, was es gab, und das war oft zu wenig, manchmal gar





Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)

nichts. Heute wird eine Frau im Schnitt 81 Jahre alt. Die
Lebenserwartung hat sich fast verdoppelt – dank der mo-
dernen Medizin, aber auch dank besserer Ernährung. So
bestätigt uns das Bundesinstitut für Risikobewertung –
ich zitiere –, dass

Lebensmittel heutzutage im Vergleich zu früher aus
naturwissenschaftlicher Sicht signifikant sicherer
und qualitativ deutlich besser geworden sind …


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ja, noch nie wurden Lebensmittel so sicher produziert
wie heute. Noch nie wurde Nahrung so intensiv kontrol-
liert wie heute.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Noch nie war Essen so preiswert wie heute. Noch nie
gab es eine so große Auswahl wie heute. Es gibt Lebens-
mittel im Überfluss, und zwar mit dem Vierklang ge-
sund, sicher, bezahlbar, vielfältig. Übrigens dank Grup-
pierungen, die hier vorhin massiv angegriffen wurden,
dank unserer Landwirte, unserer Gärtner und unserer
Fischer, aber auch dank unserer Fleischer, Bäcker,
Hersteller und Einzelhändler. Lieber Sven-Christian
Kindler, bei allem Verständnis dafür, den Wahlkampf in
den Plenarsaal zu tragen,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht im Wahlkampf! Es geht hier ums Debattieren!)


sage ich: Ich lehne als Schwester eines Landwirts, der
tagtäglich das tut, was von ihm gefordert wird – er bringt
sich in die Gesellschaft ein; er ist da, wenn ein Mann ge-
braucht wird, sei es in der Feuerwehr oder dann, wenn es
darum geht, das Osterfeuer zusammenzuschieben; er er-
zeugt Nahrungsmittel, wie sie sein sollen –,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier nicht um die einfachen Landwirte! Es geht um die Großindustrie!)


und im Namen aller Urproduzenten sowie meiner Frak-
tion diese Stigmatisierung ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie billig ist das denn? – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gitta, du weißt es doch besser!)


Denn es sind genau diese Produzenten, die dem Verbrau-
cher die Wahl ermöglichen. Genau diese Freiheit will er
behalten. Die Bürger wollen selbst entscheiden, wann sie
was wie essen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)


Dies hat die Diskussion über den sogenannten Veggie
Day eindrucksvoll bewiesen. Wir brauchen keine staatli-
chen Volkserzieher, auch keine Bevormundung durch
Kaloriensteuern.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht denn hier Wahlkampf?)


Was wir brauchen, sind Wahrheit und Klarheit, damit
der Verbraucher wirklich selbst entscheiden kann. Das
ist schwieriger geworden, ohne Frage; denn die Verhält-
nisse haben sich verändert. Hier sind viele gefordert.

Erstens, die Wirtschaft selbst. Die Globalisierung des
Handels erhöht die Wahlfreiheit. Die Technologisierung
der Lebensmittelproduktion bringt Fortschritt. Aber bei-
des ist dem größten Teil der Bevölkerung fremd. Deswe-
gen müssten sich Branchen öffnen und auch realistisch
informieren. Ich sage sehr kritisch: Dem wird so manche
Werbung nicht gerecht. Wir sehen Bilder von der lä-
chelnden Bäuerin, die den Joghurt mit der Hand rührt.
Mit der Realität hat das wirklich nichts zu tun, und das
ist auch gut so; denn wahrscheinlich würde ein Gesund-
heitsamt diesen Joghurt nicht abnehmen, und das Früh-
stück wäre unbezahlbar. Aber die Verbraucher sind am
Ende enttäuscht. Wagen Sie Transparenz!

Zweitens. Es gibt Informationen im Überfluss. Wer
soll da eigentlich noch den Durchblick behalten? Hinzu
kommen beschönigende Abbildungen, zum Teil auch
irreführende Werbeaussagen. In der Hühnersuppe ist
kein Hühnerfleisch, im Schwarzwälder Schinken kein
Schwarzwälder Schwein. Deswegen ist es gut – da spre-
che ich Sie an, lieber Herr Minister –, dass diese Bun-
desregierung, dass auch Sie sich auf EU-Ebene dafür
eingesetzt haben, dass es klarer wird. So ab dem 13. De-
zember wird besser gekennzeichnet werden – dank die-
ser Bundesregierung. Die Lebensmittel-Informations-
verordnung wird zu mehr Transparenz beitragen; denn
damit sind Nährwertangaben zukünftig Pflicht. So kann
jeder Verbraucher sehen, wie viele Kalorien das Lebens-
mittel hat, wie viel Fett, Kohlehydrate und Eiweiß das
Lebensmittel hat – deutlich sichtbar und gut lesbar, und
das übrigens alles ohne Ampel, die inzwischen auch von
der Europäischen Kommission stark kritisiert wird. Wir
als Fraktion haben immer vor dieser Simplifizierung ge-
warnt. Trauen wir dem Verbraucher doch etwas zu!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir schützen Verbraucher, lieber Herr Minister, bes-
ser vor Täuschungen; denn ab dem 13. Dezember sind
Hersteller verpflichtet, künstlichen oder minderwertigen
Ersatz in Lebensmitteln, wie zum Beispiel Vanillin statt
echter Vanille, anzugeben, und zwar in unmittelbarer
Nähe des Produktnamens. Klebefleisch ist mit dem Hin-
weis „aus Fleischstücken zusammengefügt“ kenntlich zu
machen. Damit dienen wir Verbrauchern, aber auch den
Erzeugern und den Produzenten, die Klarheit und Wahr-
heit ernst nehmen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Placebo!)


Drittens brauchen wir Verbraucherbildung; denn wir
müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass sich der Ver-
braucher verändert hat. Das klassische Mittagessen in
der Familie ist inzwischen nicht mehr die Regel. Statt
drei Mahlzeiten am Tag gibt es gegebenenfalls zehn





Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)

Snacks. Kochkultur und Ernährungskompetenz befinden
sich auf dem Rückzug. Das Basiswissen fehlt.

Wenn die Bundesratsbank besetzt wäre, würde ich
jetzt an die Länder appellieren: Tun Sie den mutigen
Schritt, und führen Sie endlich ein Fach „Verbraucher-
bildung, Kompetenz Haus- und Ernährungswirtschaft“
ein. Damit wäre allen gedient.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das tun die Länder leider nur eingeschränkt. Deshalb ist
es wichtig, dass der Bund in Verbraucherbildung inves-
tiert. Lieber Herr Minister, das tun Sie. In Ihrem Haus-
halt sind für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Er-
nährung im nächsten Jahr über 103 Millionen Euro
vorgesehen. Sie setzen dabei einen Schwerpunkt auf die
Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Ich erinnere an „IN FORM – Deutschlands Initiative für
gesunde Ernährung und mehr Bewegung“.

Mit Projekten wie dem Ernährungsführerschein oder
„KLASSE, KOCHEN“ wird Basiswissen darüber ver-
mittelt, wo und wie Lebensmittel wirklich produziert
werden. So wird das Einmaleins der Ernährung vermit-
telt. So können auch Lebensmittelabfälle vermieden
werden; denn – darin sind wir uns einig – unser Essen ist
zu gut für die Tonne.

All dies bietet unser Haushalt. Deswegen kann ich am
Ende sagen: Bei uns geht über den Tisch, was bei den
Deutschen auf dem Teller landet, und das ist gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807021900

Vielen Dank, Frau Kollegin Connemann. – Es liegt

noch der Wunsch nach einer Zwischenfrage vor. Wird
auf die Zwischenfrage noch Wert gelegt, oder wollen Sie
eine Kurzintervention machen? – Das ist nicht der Fall.
Damit ist die Rede der Kollegin Gitta Connemann zu
Ende.

Ich rufe jetzt den Kollegen Willi Brase für die Sozial-
demokraten auf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1807022000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute
den Einzelplan „Ernährung und Landwirtschaft“. Wir
haben einiges über die Entwicklung der ländlichen Re-
gionen gehört. Ich habe einmal ein bisschen gestöbert
und geschaut, was uns eigentlich die Wissenschaft sagt,
was uns Institute sagen, wenn es um den Vergleich von
städtischen Metropolen und ländlichen Regionen geht.
Das hört sich etwas anders an als das, was wir teilweise
hier heute erfahren haben.

Auf dem Land

– so heißt es da so schön –

kommen die großen gesellschaftlichen Herausfor-
derungen wie demografischer Wandel, Fachkräfte-
mangel oder lückenhafte Infrastruktur schneller und
direkter an. Deswegen müssen Lösungen für diese
Herausforderungen hier früher entwickelt und um-
gesetzt werden. Ländliche Räume werden so zu Ex-
perimentierfeldern für neue Konzepte, die sich un-
abhängig von ihrer geografischen Lage beweisen
müssen …

Das ist die Aussage des Leiters Gesellschaftliches Enga-
gement der Deutschen Bank, die beim Fraunhofer-Insti-
tut eine entsprechende Studie im Rahmen der Standort-
initiative „Deutschland – Land der Ideen“ in Auftrag
gegeben hat.

Es wird weiter festgestellt, dass es einige Megatrends
gibt, die durchaus positiv und bekräftigend für die soge-
nannten ländlichen Regionen, für den ländlichen Raum
und für die ländliche Entwicklung sind.

1. Unternehmergeist in ländlichen Räumen:
Ländliche Regionen

– ich komme aus der industriestarken Region Südwest-
falen –

entwickeln Innovationsstrategien und neue Wirt-
schaftszweige, vor allem zur Nutzung ihrer natürli-
chen Ressourcen. … Dienstleistungen … werden
modernisiert und digitalisiert. Ziel ist es, die Stand-
ortattraktivität aufrecht zu erhalten.

Genau das stimmt. Das kann ich teilweise in vielen Re-
gionen von Baden-Württemberg bis Schleswig-Holstein
feststellen. Genau das wird im ländlichen Bereich ge-
macht. Ich finde, an dieser Stelle muss man ihn nicht he-
runterreden, sondern sagen: Das sind starke Regionen,
und das muss auch so bleiben.


(Beifall bei der SPD)

2. Ressource Natur als Wirtschaftsmotor:
… ländliche Räume … haben einen … Wettbe-
werbsvorteil gegenüber Städten und Metropolregio-
nen: für eine wirtschaftlich attraktive Energiege-
winnung …

Darüber werden wir gleich noch im Zusammenhang mit
Einzelplan 16 diskutieren; wir haben auch schon häufig
darüber diskutiert. Außerdem nutzen ländliche Regionen
die Natur bis hin zum Tourismus und sagen: Hier kannst
du nicht nur gut arbeiten. Wo andere Urlaub machen, da
arbeiten wir. – Auch das ist ein positives Merkmal.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

3. Regionen werden zur Marke.
Ländliche Regionen entwickeln zunehmend ihre ei-
genen Gesichter.

Man weist ein Stück weit mit Stolz und Zufriedenheit
auf die eigene Region hin, wo man lebt, wo man be-
stimmte Produkte hat und wo es bestimmte Entwicklun-
gen gibt. Außerdem gibt es immer mehr ländliche Re-
gionen, die sich gegen gentechnisch veränderte
Lebensmittel aussprechen und die GVO-frei bleiben
wollen. Auch das sollten wir einmal positiv bemerken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Willi Brase


(A) (C)



(D)(B)

Es gibt wieder regionaltypische Kulturangebote. Wer
heute durch die Bundesrepublik wandert – auch elektro-
nisch – und schaut, welche kommunalen und regionalen
Kulturangebote in den unterschiedlichen Jahreszeiten
gemacht werden, der kann nur sagen, dass das eine tolle
Sache ist. Das geht von der Nordsee bis zu den Alpen,
von Aachen bis Cottbus.

4. Gemeinsam für die Region.

Verantwortungsbewusstsein und Gemeinschaftsge-
fühl prägen das Miteinander und sorgen im Bereich
gesellschaftlicher und sozialer Innovationen sowie
im Kampf gegen den Fachkräftemangel für unge-
wöhnliche, aber erfolgreiche Wege …

Also, ich erlebe ländliche Regionen nicht weinerlich und
jammernd. Ich erlebe sie auch nicht so, dass nur die
Landwirtschaft im Mittelpunkt steht. Vielmehr erlebe
ich ländliche Regionen so, dass Menschen anpacken,
dass sie Visionen entwickeln, dass sie nach vorne gehen,
dass sie gut arbeiten und immer wieder bereit sind,
Neues aufzunehmen.

Ein weiterer Punkt sind vernetzte Dörfer. Das ist al-
lerdings ein Problem, das wir im Bereich der ländlichen
Regionen noch lösen müssen. Vernetzte Dörfer heißt
nichts anderes, als den Breitbandausbau und die Digitali-
sierung voranzutreiben.

Deshalb sind wir Sozialdemokraten dafür, die GAK,
sprich: die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, weiterzuent-
wickeln. Das haben wir uns vorgenommen, und das wer-
den wir auch auf den Weg bringen. Hierfür brauchen wir
eine Grundgesetzänderung, damit wir nicht nur BULE
haben, was richtig und notwendig ist, wo experimentiert
wird und Best Practice auf den Weg gebracht wird. Wir
wollen es aber grundsätzlich so verankern, dass es in ei-
nem Artikel des Grundgesetzes um die Agrarstruktur
und den Küstenschutz sowie um die regionale ländliche
Entwicklung geht.


(Beifall bei der SPD)


Im Haushalt haben wir dafür 600 Millionen Euro in
die Hand genommen. Das ist gut. Als Fachpolitiker wa-
ren wir uns aber einig, dass wir, wenn wir die GAK re-
formiert haben, Herr Minister, mehr Geld brauchen. Das
heißt, wir müssen gut und kräftig kämpfen, damit wir bei
und mit den Haushältern mehr Geld organisieren, damit
im positiven Sinne tatsächlich der richtige Weg für die
ländlichen Regionen eingeschlagen wird.

Ich fasse zusammen: Ländliche Räume sind Zukunfts-
räume. Die Beteiligungsbereitschaft der Menschen dort
ist hoch. Ländliche Räume sind partizipativ und koope-
rieren. Wir müssen etwas für die Daseinsvorsorge dort
machen. Vor diesem Hintergrund wird es Sie nicht er-
staunen, wenn wir als Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten sagen: Wir wollen langfristig die erste Säule
der Gemeinsamen Agrarpolitik in die zweite überführen.

Vielen Dank für Ihr geduldiges Zuhören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807022100

Danke schön. – Abschließender Redner zu diesem

Einzelplan ist der Kollege Rainer Spiering, SPD.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1807022200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich

habe dem Verlauf der Diskussion heute sehr aufmerksam
zugehört. Gestatten Sie mir, zu sagen, dass ich bei eini-
gen Diskussionsbeiträgen doch irritiert war.

Auf meiner Agenda steht: Postleitzahl 49… Das ist
der Wahlkreis Osnabrück-Land, also rund um Osna-
brück. Dort befindet man sich mitten im Zentrum deut-
scher Tierproduktion mit den entsprechenden Folgen.
Dort zu leben, erzeugt vielleicht eine höhere Sensibilität,
als sie der eine oder andere hat. Man erlebt bei uns zu
Hause eine ausgesprochen effiziente Landwirtschaft, die
so arbeitet, wie der Industriestaat Deutschland arbeitet.
Wie sollte sich die Landwirtschaft davon auch abkop-
peln? Das hat natürlich Folgen. Wir sind mittlerweile bei
Produktionsstandards angelangt, bei denen zumindest
ich – da gehe ich auf Johann Saathoff ein – ein Unbeha-
gen wahrnehme. Ich glaube, wir müssen dieses Unbeha-
gen sehr sensibel aufnehmen, und zwar im Sinne unserer
produktiven Landwirtschaft. Es findet in diesem Land
mittlerweile eine ausgesprochen intensive Wertediskus-
sion statt. Ich glaube, wir sollten diese Wertediskussion
begleiten.

Ich sehe auf der Regierungsbank Staatssekretärin
Frau Schwarzelühr-Sutter sitzen. Sie hat ein ganz tolles
Amt; sie ist nämlich Verwaltungsratsvorsitzende der
DBU, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Die Deut-
sche Bundesstiftung Umwelt – ich glaube, sie war an
diesem Projekt nicht ganz unbeteiligt – macht jetzt eine
ganz interessante Studie: Man untersucht landwirtschaft-
liche Höfe auf ihre ökologische Verträglichkeit beim
Einsatz von Energie. Ökobilanzen kennen wir aus indus-
trieller Tätigkeit. Im industriellen Bereich sind solche
Untersuchungen seit langem gang und gäbe.

Jetzt macht die DBU zusätzlich etwas, was ich ausge-
sprochen spannend finde, nämlich eine Ethiküberprü-
fung. Das heißt, es werden Produktionsstandards und
Energieeffizienz von 15 oder 20 sehr großen Höfen inten-
siv untersucht, und parallel dazu findet eine Ethikdebatte
über die Frage statt, wie sich unser Verbraucherverhal-
ten, unsere Produktion auf unsere Wahrnehmung auswir-
ken. Ich finde es ganz wichtig, dass wir uns dieser Dis-
kussion stellen. Nur wenn wir uns dieser Diskussion
inhaltlich gestellt haben und Ergebnisse vorliegen, kön-
nen wir auch fortschreiten – oder aber uns zurückneh-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man wie ich aus einer Region mit einem Rie-
senstahlwerk kommt, dann fällt einem der Vergleich sehr
leicht. Natürlich sind wir in der Effizienz unserer Stahl-
herstellung unglaublich gut geworden. Aber ich sage Ih-
nen: Es gibt einen Unterschied zwischen der Steigerung





Rainer Spiering


(A) (C)



(D)(B)

der Stahlproduktion und der Tieraufzucht, und dessen
müssen wir uns jederzeit bewusst sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein weiterer wichtiger Themenkreis für die Landwirt-
schaft in der Region Osnabrück ist die mit der Landwirt-
schaft einhergehende Landwirtschaftsindustrie. Ich habe
heute noch einmal nachgeschaut: Krone, Grimme, Ama-
zone, Claas haben ein Umsatzvolumen von 5 Milliarden
Euro, ungefähr 13 000 Beschäftigte und einen Exportan-
teil von knapp über 70 Prozent. Das ist natürlich auch
meiner Heimatregion geschuldet. Diese Unternehmen
sind unglaublich intensiv am Markt. Was sie natürlich
brauchen, Herr Minister – jetzt komme ich wieder zu
meinem Lieblingsthema –, ist, dass sie von der Bundes-
republik Deutschland bei unglaublich intensiven For-
schungsvorhaben begleitet werden.

Ich bin unlängst bei Claas gewesen. Ich hoffe, dass
ich das jetzt nicht falsch darstelle; denn es ist ziemlich
kompliziert: Es wird ja eine Eiweißstrategie verfolgt.
Man beschäftigt sich dabei mit der Umsetzung von Pro-
teinen. Man ist bei Claas in der Sensorik mittlerweile so
weit, dass man offensichtlich schon bei der Aufnahme
des Grases feststellen kann, wie hoch dessen Proteinge-
halt ist. Das finde ich total spektakulär. Toll finde ich
auch, dass so etwas bei uns in Deutschland stattfindet.
Ich glaube, dass wir da im Rahmen der technologischen
Fortentwicklung – ich verweise auf Düngerhersteller wie
Amazone – insgesamt Unterstützung leisten müssen.
Wenn wir den Technologiestandort Deutschland mit
seiner Riesenexportrate weiterentwickeln wollen, dann
müssen wir da mehr Forschungsmittel investieren.

Eines möchte ich, bevor meine Redezeit vorbei ist,
noch loswerden: Ich habe heute beim DIL nachgefragt:
Wie sieht es eigentlich mit der Energieintensität der Le-
bensmittelproduktion aus? Von den 500 Exajoule, die
wir an Energie pro Jahr weltweit verbrauchen, entfällt
zurzeit ungefähr ein Drittel auf die Lebensmittelherstel-
lung, und zwar deshalb, weil wir da nicht effizient genug
sind.

Wenn Sie einmal einen konzentrierten Blick auf die
Stadt Berlin und ihren Energieverbrauch werfen, dann
werden Sie eine unglaublich hohe Energiedichte bei
Edeka, Lidl, Aldi und Rewe finden. Das hängt mit der
Produktionstechnik in Deutschland zusammen: Kühlket-
ten, Produktionsketten, Logistikketten. All dies kommt
dort zusammen. Ich glaube, wir werden intensiv daran
arbeiten müssen, die Energieverluste, die wir dort erlei-
den, herunterzufahren, um eine wesentlich höhere Ener-
gieeffizienz zu bekommen. Dann, Herr Minister, sind
wir bei der Bioökonomie, und ich weiß Sie da auf mei-
ner Seite.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807022300

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 10 – Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft – in der Ausschussfassung. Hierzu liegen
zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstim-
men.

Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3303. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dieser Änderungsantrag ist damit
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ab-
gelehnt.

Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3304. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt ge-
gen diesen Änderungsantrag? – Dieser Änderungsantrag
ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge-
gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10
in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan
10? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es damit
logischerweise keine. Der Einzelplan 10 ist damit mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.17 auf:

Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit

Drucksachen 18/2815, 18/2823

Die Berichterstattung haben die Kollegen Abgeord-
nete Steffen-Claudio Lemme, Christian Hirte, Dr. André
Berghegger, Roland Claus sowie Sven-Christian
Kindler.

Zu dem Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor. Des Weiteren liegen zwei
Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor, über die wir aber erst morgen nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache, die letzte am heutigen Tag, 96 Minu-
ten vorgesehen. – Dagegen erhebt sich kein Wider-
spruch. Somit ist das beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache, sehe, dass mittlerweile
alle hier zuständigen Kolleginnen und Kollegen ihren
Platz eingenommen haben, und erteile als erstem Redner
dem Kollegen Hubertus Zdebel von den Linken das
Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807022400

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr

Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks! Sehr





Hubertus Zdebel


(A) (C)



(D)(B)

geehrte Frau Staatssekretärin und – er verschwindet lei-
der gerade ins Gespräch – sehr geehrter Herr Staatsse-
kretär! Es war keine gute Entscheidung für den Umwelt-
schutz, dass die Energiepolitik von der Großen Koalition
aus dem Umweltministerium herausgetrennt und dem
Wirtschaftsministerium zugeschlagen wurde.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das macht sich jetzt schon sehr deutlich bemerkbar,
auch im Umweltausschuss selbst, weil verschiedene
Themen, die früher immer im Umweltausschuss behan-
delt wurden – energiepolitische Fragen und sehr viele
andere Fragen des Umweltschutzes –, teilweise nicht
mal mehr im Umweltausschuss diskutiert werden, son-
dern nur noch im federführenden Ausschuss; das ist im
Regelfall der Ausschuss für Wirtschaft und Energie.

Auch die Debatte um die Klimaschutzziele macht das
sehr deutlich; denn es hängt jetzt vor allem vom Wirt-
schaftsminister ab, ob er dem Klimaschutz Vorrang gibt
oder den wirtschaftlichen Braunkohleinteressen von Vat-
tenfall und RWE. Das Umweltministerium kann nur
noch Vorschläge machen; aber hier hat das Ministerium
keine echte Handhabe mehr, um wirkungsvolle Klima-
schutzmaßnahmen auch umzusetzen. So wird der Um-
weltschutz erneut der Wirtschaftspolitik untergeordnet.
Das lässt sich an anderen signifikanten Bereichen Ihres
Ressorts, Frau Hendricks, deutlich belegen.

Stichwort Atommüll. Der Entwurf des nationalen
Entsorgungsprogramms bringt es an den Tag: Wir haben
vermutlich doppelt so viel Atommüll, wie die Bundesre-
gierung bislang zugegeben hatte. Klar ist damit auch:
Die gesamte Atommüllentsorgung wird noch viel teurer
werden als bislang gedacht. Immerhin – das rechne ich
Ihnen sehr hoch an, Frau Ministerin – hat die Bundesre-
gierung jetzt begonnen, sich der strahlenden Realität zu
stellen. Die Frage ist aber doch letztlich: Wann will die
Bundesregierung endlich die entsprechenden Konse-
quenzen aus diesen Erkenntnissen ziehen? – Davon ist
bisher nichts zu sehen.

An vielen Standorten entwickelt sich die Atommüllla-
gerung zum Desaster. In Brunsbüttel zum Beispiel quillt
der Atommüll aus verrosteten Fässern, und bundesweit
wurden bislang 2 000 Rostfässer entdeckt. Der Atom-
müll in Jülich soll sogar – in meinen Augen rechtswid-
rig – in die USA verschoben werden,


(Hiltrud Lotze [SPD]: Falsch!)


weil man die sichere Lagerung bisher nicht in den Griff
bekommen hat. Deswegen haben wir heute in der De-
batte zum Forschungsetat verlangt, die vorgesehenen Fi-
nanzmittel für dieses rechtswidrige Atommüllgescha-
chere mit den USA zu streichen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Antrag wurde aber gegen die Stimmen der Linken
und der Grünen von der Großen Koalition abgelehnt.


(Hiltrud Lotze [SPD]: Zu Recht!)


Das macht deutlich, wohin die Reise gehen soll.
Der Schacht Konrad ist als Endlager nicht geeignet;
das wissen wir alle. Der Ausbau des Lagers für leicht-
und mittelradioaktiven Atommüll verzögert sich wegen
immer neuer Probleme immer weiter. Dadurch steigen
auch die Kosten. Und jetzt muss die Regierung zugeben:
Er reicht nicht mal aus, um den gesamten Atommüll auf-
zunehmen.

Der Oberbürgermeister von Salzgitter, die IG Metall
Salzgitter-Peine, das Landvolk Braunschweiger Land
und die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad haben völ-
lig recht, wenn sie die Bundesregierung und die Nieder-
sächsische Landesregierung auffordern, bei diesen Fragen
endlich zu einem Neustart zu kommen. Meine Fraktion
hat daher für die heutige Sitzung beantragt, kein neues
Geld in den ungeeigneten Schacht Konrad zu stecken.


(Beifall bei der LINKEN)


Es macht auch wenig Sinn, weitere Haushaltsmittel in
ein mangelhaftes Standortauswahlgesetz oder gar in den
Aufbau eines völlig überflüssigen neuen Bundesamtes
für kerntechnische Entsorgung zu stecken. Die Anhö-
rung der Endlager-Kommission vor einigen Wochen,
Anfang November, hat diesen Unsinn verdeutlicht: Fast
alle Experten meldeten massive Bedenken gegen dieses
neue Bundesamt an. Wann wollen Sie, meine Damen
und Herren von der Großen Koalition, denn daraus die
Konsequenzen ziehen? – Sie haben gleich die Chance,
dem entsprechenden Änderungsantrag von uns zuzu-
stimmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Jahrzehntelang hatten die Atomkonzerne mit den
AKW die Lizenz zum Gelddrucken. Den atomaren
Dreck und die enormen Kostenrisiken sollen jetzt der
Staat und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
übernehmen. Die größte Unverschämtheit ist, dass sich
die Konzerne nun auch noch aus der Finanzierung der
Atommüllentsorgung stehlen wollen. Wir Linke sagen:
Es gibt ein Verursacherprinzip, und dieses muss die Re-
gierung durchsetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Hendricks, es wäre gut, wenn Sie endlich klar sa-
gen würden – da hört man im Moment sehr wenig von
Ihnen –, wohin die Reise bei dieser Sache, bei der soge-
nannten Bad Bank für Atom, gehen soll.

Lassen Sie mich am Schluss noch einiges zum
Fracking sagen. Für uns Linke ist klar: Fracking muss
angesichts der unvorhersehbaren Risiken für Mensch
und Umwelt ohne jegliche Ausnahmen per Gesetz ver-
boten werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sonst stehen uns die nächsten Umweltkatastrophen und
damit die nächste Kostenexplosion ins Haus. Eine Bad
Bank für Fracking – ähnliche Überlegungen gibt es auch
für den Atombereich – wäre vorprogrammiert.

Noch im Juli 2014 hatten Sie, Frau Hendricks, ge-
meinsam mit Bundeswirtschaftsminister Gabriel die
strengsten Regeln angekündigt. Jetzt haben Sie diese Re-
geln weiter aufgeweicht. Bei aller Rhetorik: Die vorge-





Hubertus Zdebel


(A) (C)



(D)(B)

schlagenen gesetzlichen Regelungen laufen in Wirklich-
keit auf ein Fracking-Erlaubnis-Gesetz hinaus.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben einen weiteren Kniefall vor den Konzernen
gemacht, und Mensch und Umwelt bleiben erneut auf
der Strecke, und das alles offensichtlich mit Ihrer Zu-
stimmung, Frau Ministerin. So stellen wir uns wirkungs-
volle Politik im Umweltbereich zum Schutz von Mensch
und Natur nicht vor. Wir werden den Einzelplan daher
ablehnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807022500

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege

Steffen-Claudio Lemme.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Steffen-Claudio Lemme (SPD):
Rede ID: ID1807022600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

den letzten Tagen, in dieser Haushaltsdebatte ist anläss-
lich des historischen Ereignisses, einen ausgeglichenen
Bundeshaushalt ohne neue Schulden aufzustellen, häufig
der Begriff „Verantwortung“ gefallen.

Ja, es ist richtig: Was wir unseren Kindern und Enkel-
kindern hinterlassen, bemisst sich nicht allein am Haus-
haltssaldo.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Angesichts zunehmender Naturkatastrophen und des
Klimawandels führt uns der Politikbereich des Bundes-
umwelt- und -bauministeriums unsere Verantwortung für
die Zukunftsfähigkeit unseres Landes besonders deutlich
vor Augen. Ich möchte daher darlegen, welche Anstren-
gungen wir in Zeiten eines ausgeglichenen Haushalts im
Bereich Umwelt-, Naturschutz-, Klima- und Baupolitik
unternehmen.

Die Hochwasserereignisse in den Jahren 2002 und
2013 haben allein im Gebiet um Donau und Elbe Schä-
den in Höhe von rund 18 Milliarden Euro verursacht.
Gemeinsam mit den Ländern steht der Bund deshalb in
der Verantwortung, dass sich solche Katastrophen nicht
wiederholen. Deshalb investieren wir nun in vorbeu-
gende Maßnahmen.

Ich freue mich, dass wir trotz der Zielsetzung eines
ausgeglichenen Bundeshaushaltes die Hochwasser-
schutzvorsorge entschlossen angehen und bereits im Jahr
2015 erste 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit werden besonders schlimm betroffene Gebiete fi-
nanzielle Hilfe für präventive Maßnahmen wie Deich-
rückverlagerungen oder Flutpolder erhalten.

Im Bereich Naturschutz konnten wir 3 Millionen
Euro für den Kampf gegen die Wilderei bereitstellen. Im
vergangenen Jahr fielen allein in Afrika mehr als
20 000 Elefanten Wilderern zum Opfer. Ähnlich drama-
tisch sieht die Lage bei Nashörnern aus. Allein in Süd-
afrika wurden im letzten Jahr über 1 000 Nashörner ille-
gal getötet. Mit den 3 Millionen Euro zur Stärkung der
internationalen Zusammenarbeit im Naturschutz möch-
ten wir stärker gegen den illegalen Handel mit Elefan-
ten- und Nashornprodukten vorgehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als weiteren Erfolg der parlamentarischen Haushalts-
beratungen konnten wir mit 30 Millionen Euro das För-
derprogramm zur Nachrüstung von Diesel-Pkw mit Ruß-
partikelfiltern wieder auflegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese erneute Unterstützung bei der Umrüstung ist sehr
sinnvoll, da nach Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes
zum Stichtag 1. Januar 2014 noch immer rund 1,5 Mil-
lionen Diesel-Pkw und 400 000 leichte Nutzfahrzeuge
für eine Umrüstung in Betracht kommen. Auch die gest-
rige Rüge der EU-Kommission, dass wir unsere verbind-
lichen Grenzwerte für Feinstaub in einigen größeren
Städten noch immer überschreiten, bestätigt den Sinn
dieser Entscheidung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verantwortung
steht gerade auch dann im Mittelpunkt unseres Han-
delns, wenn es darum geht, Flüchtlingen, die bei uns
Hilfe suchen, eine sichere und menschenwürdige Unter-
kunft bereitzustellen. Ich bin deshalb erleichtert, dass
wir in der Bereinigungssitzung beschlossen haben, dass
Grundstücke und leerstehende Gebäude im Besitz des
Bundes den Ländern und Gemeinden zur Unterbringung
von Asylsuchenden und Flüchtlingen mietfrei überlassen
werden.


(Beifall bei der SPD)


Als richtige Entscheidung hat sich auch das von uns
mit dem Haushalt 2014 neu aufgelegte Bundespro-
gramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ erwiesen.
So haben wir nicht nur eine jahrelange sozialdemokrati-
sche Forderung umgesetzt, indem wir die Städtebauför-
dermittel von 455 auf 700 Millionen Euro aufgestockt
und die „Soziale Stadt“ zum Leitprogramm innerhalb
der Städtebauförderung gemacht haben. Wir haben mit
dem Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“ ein
Programm ins Leben gerufen, das eine wichtige Lücke
in der Städtebauförderung schließt; denn es ermöglicht
die Förderung von Projekten mit besonderer nationaler
Wahrnehmbarkeit und Qualität.

Vor einer Woche wurden 21 Projekte bekannt gege-
ben, die im Programmjahr 2014 profitieren werden. Mit
der riesigen Resonanz, die dieses Programm erfahren
hat, hatte ich nicht gerechnet; denn bis zum Fristablauf
waren über 270 Projektanträge mit einem beantragten
Fördervolumen von mehr als 900 Millionen Euro einge-
gangen. Das Programm war damit nur vier Monate nach
seinem Entstehen bereits um mehr als das 18-Fache
überzeichnet. Diesen Erfolg werden wir im Haushalt





Steffen-Claudio Lemme


(A) (C)



(D)(B)

2015 mit einer zweiten Förderperiode in gleicher Höhe
fortsetzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Kurz vor dem Klimagipfel in Lima, der noch in die-
sem Jahr den Weg für ein neues internationales Klimaab-
kommen bereiten soll, wird viel über das Erreichen un-
seres Reduktionsziels diskutiert. Ich meine: zu Recht.
Angesichts der großen Relevanz möchte ich den Klima-
schutz in meiner heutigen Rede hervorheben. Meiner
Meinung nach gibt es keine Alternative dazu, unser
selbstgestecktes Ziel, bis 2020 40 Prozent CO2-Emissio-
nen gegenüber 1990 einzusparen, zu erreichen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sieht man aber nicht im Haushalt! Wo ist das im Haushalt?)


Deutschland ist der größte Treibhausgasverursacher
Europas und muss zeigen, dass Klimaschutz in einem In-
dustrieland nicht nur funktioniert, sondern auch große
Wachstumspotenziale beinhaltet.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht dein Parteichef aber anders!)


Wir müssen vor dem Klimagipfel in Lima zu unserem
Wort stehen, damit ein Abkommen für das internationale
2-Grad-Ziel beschlossen werden kann, doch dafür müs-
sen wir noch eine Lücke zwischen 5 und 8 Prozentpunk-
ten schließen. Es sind deshalb erhebliche zusätzliche
Anstrengungen in allen Sektoren und von allen Akteuren
erforderlich.

Das Bundesumweltministerium und das Bundeswirt-
schaftsministerium gehen mit ihrem Aktionsprogramm
Klimaschutz 2020 und dem Nationalen Aktionsplan
Energieeffizienz, der mit 25 bis 30 Millionen Megaton-
nen zusätzlicher Einsparung Bestandteil des Aktionspro-
gramms sein wird, den richtigen Weg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Starke Minderungspotenziale gibt es vor allem auch
in der Energiewirtschaft, der Industrie, bei den Haushal-
ten und somit insbesondere auch bei Gebäuden, im Ver-
kehr und in der Landwirtschaft. Die Verantwortung zur
Einhaltung des Ziels liegt somit nicht nur bei den beiden
SPD-Ressorts Umwelt und Wirtschaft, sondern sie wird
auch Zugeständnisse in anderen Bereichen erfordern.


(Beifall bei der SPD)


Zugegeben: Es ist einfach, unsere Ziele mit Prosa zu
umschreiben und Forderungen zu stellen. Angesichts al-
ler Interessenlagen, denen Sie gegenüberstehen, ist es
ein Kraftakt, den Sie da vor sich haben, Frau Ministerin.
Aber ich bin mir sicher, dass Sie diesen schaffen werden.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere solide Fi-
nanzpolitik mit einem ausgeglichenen Haushalt ermög-
licht es uns auch, Mehrausgaben für Investitionen zu tä-
tigen. Diese sind dringend notwendig, um nicht auf
Verschleiß zu fahren.
„Die Investitionsentscheidungen von heute werden
die Zukunft unserer Wirtschaft und unseres Klimas be-
stimmen“, möchte ich an dieser Stelle den ehemaligen
Weltbank-Chefökonomen und Co-Vorsitzenden der Glo-
balen Wirtschafts- und Klimakommission, Lord Nicho-
las Stern, zitieren. Bei den zusätzlichen 10 Milliarden
Euro für Investitionen sollten die Energieeffizienz im
Gebäudebereich und die energetische Quartiers- und
Stadtentwicklung daher eine herausragende Rolle spie-
len. Zusätzliche Investitionen ohne neue Schulden: Das
sind insbesondere für die nachfolgenden Generationen
gute Nachrichten – womit wir wieder bei der Verantwor-
tung wären.

Wir haben in diesem Jahr zwei Bundeshaushalte bera-
ten. Ich denke, dass wir im Umwelt- und Baubereich
eine gute Arbeit geleistet haben, an die wir nun anknüp-
fen können.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Beim Wohngeld gekürzt!)


Ich möchte mich bei meinen Mitberichterstattern,
auch wenn sie hier so reinquaken, für den stets guten
Austausch bedanken. Auch beim Ministerium bedanke
ich mich recht herzlich für die gute Zusammenarbeit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807022700

Danke, Herr Kollege Lemme. – Nächste Rednerin ist

für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Bärbel Höhn.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807022800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Ministerin Hendricks, Haushaltsreden sind in der
Regel auch Grundsatzreden. Gerade nach einem Jahr
Bundesregierung bietet es sich an, eine Bilanz zu ziehen.

Da will ich etwas machen, was Sie vielleicht ein biss-
chen wundert, Frau Ministerin. Zunächst einmal möchte
ich Sie nämlich in meiner Funktion als Umweltaus-
schussvorsitzende loben;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


denn Sie informieren uns Abgeordnete, nehmen uns
ernst und versuchen, uns da, wo Sie können, auch in un-
seren Anliegen zu unterstützen. Das ist keine Selbstver-
ständlichkeit. Dafür herzlichen Dank!

Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Wir ha-
ben als gesamter Umweltausschuss gefordert, dass bei
unseren Dienstreisen, sowohl den Flugreisen als auch
den Autofahrten, der CO2-Ausstoß kompensiert wird.
Damit wollen wir ein Zeichen setzen. Mit diesem Sym-
bol wollen wir deutlich machen, dass wir Klimaschutz
ernst nehmen. Der gesamte Umweltausschuss hat diesen
Beschluss gefasst. Die Ministerin hat 2 Millionen Euro
in ihren Haushalt eingestellt. Wir mussten als Abgeord-
nete nur noch den Zusatz vornehmen, dass das nicht nur
für die Bundesregierung gilt, sondern auch für den Bun-





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)

destag – ohne jeden Cent mehr. Es ist am Ende an eini-
gen Haushaltskollegen der CDU/CSU gescheitert.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich!)


Das finde ich extrem enttäuschend. Was wir da erlebt ha-
ben, ist absolut peinlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich wende mich jetzt der fachlichen Bewertung zu.
Dabei will ich meine Funktion als Umweltausschussvor-
sitzende beiseitelegen und als grüne Abgeordnete spre-
chen. Da muss ich sagen, dass ich Ihre inhaltliche Bilanz
schon sehr enttäuschend finde. Das möchte ich nicht nur
an den Punkten, bei denen Ihr Ministerium Kompeten-
zen verloren hat und Herr Gabriel Ihnen aus meiner
Sicht viel zu häufig in die Suppe spuckt, sondern auch an
ureigenen Tätigkeiten und Feldern festmachen.

Ich nehme nur einmal die Abfallpolitik. Das Duale
System steht vor einem Kollaps. Die Müllverbrennungs-
anlagen haben in vielen Regionen Überkapazitäten. Sie
saugen den Müll zu Billigstpreisen an. Das führt natür-
lich in vielen Bereichen dazu, dass die Verwertungsquo-
ten in den Keller gehen. Da haben wir ein Riesen-
problem. Das müssen Sie endlich anpacken, Frau
Ministerin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Menschen wollen recyceln. Sie wollen ihre Alt-
geräte eben nicht mehr so entsorgt sehen, wie es jetzt der
Fall ist, nämlich auf Deponien in Afrika, wo Kinder un-
ter schrecklichsten, gesundheitsschädlichen Bedingun-
gen diese Geräte auseinandernehmen. Das heißt: Sorgen
Sie dafür, dass wir eine Wertstofftonne bekommen. Sor-
gen Sie dafür, dass die Umsetzung der Altgeräte-Richtli-
nie endlich vorankommt. Das ist ein wichtiger Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eben ist dargestellt worden, dass 3 Millionen Euro für
den Kampf gegen Wilderei bereitgestellt werden. Das ist
eine gute Sache – für Nashörner und Elefanten. Es gilt
aber genauso, vor der eigenen Haustür zu kehren. Wir
haben auch einen dramatischen Verlust an Vögeln und
Reptilien zu verzeichnen. Nun betrifft das nicht alleine
Ihre Tätigkeit. Das ist nicht alles im letzten Jahr gewe-
sen. Im letzten Jahr sind aber wichtige Entscheidungen
für die intensive Landwirtschaft gefallen. Das haben wir
gerade eben bei der Debatte zur Landwirtschaft gehört.
Sie haben bei diesen Entscheidungen mitgemacht, Frau
Ministerin. Das bedeutet einen weiteren Verlust an Vö-
geln, an Reptilien, an Arten. Dies fällt in Ihr Ressort.
Das dürfen wir nicht durchgehen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein wichtiger Punkt ist auch das Fracking. Was haben
Sie dazu gesagt? Sie haben gesagt, Sie werden das ver-
hindern. Ich habe noch ein Zitat aus dem Deutschlandra-
dio. Nach der letzten Einigung, die Sie mit Gabriel er-
zielt haben, haben Sie gesagt, dass „keinerlei irgendwie
wassergefährdende Stoffe eingesetzt“ werden. Aber Tat-
sache ist etwas anderes. Tatsache ist, dass auch schwach
wassergefährdende Stoffe eingesetzt werden. Sie ermög-
lichen ab 2018 Fracking. Sie machen die Tür auf. Da
muss ich sagen: Die Bevölkerung ist dagegen. Zeigen
Sie Stärke, und stoppen Sie das Fracking. Wir brauchen
das hier nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir reden viel über internationalen Klimaschutz, über
das Klimaaktionsprogramm und über die 40 Prozent an
CO2, die wir hier in Deutschland reduzieren wollen. Sie
selbst haben an dem von Ban Ki-moon veranstalteten
Gipfel in New York teilgenommen. Sie haben dort selber
mitdemonstriert und gesagt, dass Sie die KfW-Förde-
rung von Kohlekraftwerken im Ausland stoppen wollen.
Das haben Sie am Ende nicht gemacht. Es ist nur die
Entwicklungsbank, die jetzt nicht mehr fördert. Aber die
IPEX-Bank fördert weiter. Mit 2 Milliarden Euro wird
die falsche Förderung von Kohlekraftanlagen fortge-
setzt. Das ist kein gutes Zeichen, Frau Ministerin. Auch
das hätten Sie stoppen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Wir sollten Kohlekraftwerke im Ausland nicht mehr för-
dern.

Was gilt nun hier in Deutschland? Ich erwarte hier ei-
gentlich – wie wurde das eben so schön gesagt? – Klar-
heit und Wahrheit. Das, was wir erleben, ist eine Trick-
serei mit Zahlen. Sie nützt dem Klima nicht. Was ist
denn passiert? Schauen wir uns das einmal an, anstatt
immer von einer Lücke von 5 bis 8 Prozent zu reden.
Wir wollen den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent re-
duzieren. Darin sind wir uns einig. Was haben wir bisher
gemacht? Wir haben den CO2-Ausstoß in 23 Jahren um
24 Prozent reduziert. Die Lücke beträgt also 16 Prozent
und nicht 5 oder 8 Prozent. Wir haben also den CO2-
Ausstoß in 23 Jahren um 24 Prozent reduziert. Wir müs-
sen daher den CO2-Ausstoß in den verbleibenden fünf
Jahren noch um 16 Prozent reduzieren, um diese Lücke
zu schließen.

Wenn Minister Gabriel jetzt sagt, dass die Kraftwerke
eine Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO2 erbrin-
gen sollen, was ist dann eigentlich mit dem, was von der
alten Regierung vorgegeben worden ist? Da hieß es
doch: Kraftwerke, die über 45 Jahre am Netz sind, wer-
den wohl automatisch abgeschaltet. Das entspräche ei-
nem Minus von 40 Millionen Tonnen CO2 in 2020. Gilt
das noch? Kommen die 22 Millionen Tonnen CO2 zu der
Einsparung durch die Abschaltung dieser alten Kraft-
werke hinzu, oder hat der Minister seinen Beitrag, der ei-
gentlich geleistet werden soll, gerade mal eben auf die
Hälfte reduziert?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und was ist mit der anderen Lücke, die noch bleibt?





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)

Diese Trickserei, die Sie da veranstalten, nützt kei-
nem. Sie nützt noch nicht einmal den Menschen im
Ruhrgebiet. Es wird ja immer gesagt, dass es da um Ar-
beitsplätze geht. Ich kann Ihnen sagen: Ich wohne im
Ruhrgebiet. Der Steinkohlebergbau ist viel zu lange sub-
ventioniert worden. Wir hätten das Geld besser in die
Umstrukturierung und in zukunftsfähige Arbeitsplätze
investieren sollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Geld hätten wir dafür nehmen sollen. Dann hätten
wir den Menschen mehr geholfen.

Ich komme zum letzten Punkt: Eigentlich bleibt Ihnen
noch viel in Ihrem Ministerium. Sie sind für sehr wich-
tige Dinge zuständig, nämlich für unseren Schutz: für
den Klimaschutz und den Schutz der Biodiversität. Das
sind unsere Lebensgrundlagen. Machen Sie doch endlich
etwas daraus. Machen Sie auch etwas aus den sozialen
Fragen des Ministeriums. Wenn ich jetzt einfach einmal
das Wohngeld als Beispiel nehme – es ist 2013 gekürzt
worden, dann wieder erhöht; heute, vor dem Winter, ha-
ben wir 100 Millionen Euro weniger für die Betroffenen
zu Verfügung –, dann muss ich sagen: Das ist keine So-
zialpolitik, sondern das ist eine falsche Politik ohne
Konzept und ohne Plan, Frau Ministerin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von daher: Es wäre auch in diesem verkleinerten
Ministerium viel möglich. Trauen Sie sich einfach mehr
zu. Machen Sie Umweltschutz wieder zum Thema. Wir
werden Sie bei einer guten Umweltpolitik unterstützen,
aber ansonsten werden wir Sie kritisieren.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807022900

Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege

Christian Hirte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Träger [SPD])



Christian Hirte (CDU):
Rede ID: ID1807023000

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Kolleginnen und Kollegen! „Das Budget sollte ausgegli-
chen sein, die öffentlichen Schulden sollten reduziert
werden.“ Das sagte schon Marcus Tullius Cicero vor
2000 Jahren. Relativ lange hat es gedauert, ehe sich
diese Erkenntnis in der praktischen Politik wirklich
durchgesetzt hat. Gut, dass wir heute so weit sind. Gut,
dass wir einen Haushalt haben, den wir in dieser Woche
ohne Neuverschuldung verabschieden werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Träger [SPD])


Während viele europäische Staaten mit einer Neuver-
schuldung kämpfen – gewollt oder ungewollt; aber sel-
ten ohne eigenes Zutun –, macht Deutschland in der ge-
samtstaatlichen Betrachtung sogar Überschüsse. Stellt
man Haushalts- und Handelsbilanz nebeneinander,
kommt Deutschland mit einem Plus von fast 6 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts hervorragend davon.
In diese Stärke versuchen nun aber andere Staaten
und auch einige Politiker hierzulande eine besondere
Verantwortung Deutschlands hineinzuinterpretieren.
Wer so viel Geld habe, meinen sie, solle es gefälligst
auch ausgeben. Bei nicht wenigen stößt dies auf offene
Ohren. Zum Beispiel scheint die neue rot-rot-grüne Al-
lianz in Thüringen das Geldausgeben in großem Umfang
zu planen, freilich ohne viele Worte darüber zu verlieren,
wo denn das Geld dafür herkommen soll.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das muss Ihnen aber wehtun, in Thüringen auf der Oppositionsbank zu sitzen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807023100

Herr Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Lenkert?


Christian Hirte (CDU):
Rede ID: ID1807023200

Gerne.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807023300

Kollege Hirte, die CDU hat in Thüringen 24 Jahre

lang regiert. Im Jahr 1991 lag der Schuldenstand Thürin-
gens bei null, inzwischen liegt er bei fast 17 Milliar-
den Euro. Können Sie mir sagen, wer die ganze Zeit den
Ministerpräsidenten in Thüringen gestellt hat, welche
Partei diese Schulden verursacht hat?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/ CSU)



Christian Hirte (CDU):
Rede ID: ID1807023400

Herr Kollege Lenkert, möglicherweise haben Sie ver-

kannt, woraus die hohen Investitionsausgaben und die
Schuldenaufnahme resultierten. Sie resultierten nicht aus
der Politik der vergangenen 24, 25 Jahre im neugegrün-
deten Freistaat Thüringen, sondern aus der desaströsen
Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die SED in den Jah-
ren zuvor zu verantworten hatte.


(Beifall bei der CDU/CSU – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Und der Umweltpolitik!)


Wenn Sie hier den Eindruck erwecken wollen, dass die
Schulden in Thüringen daraus resultieren, dass in den
letzten Jahren keine verantwortungsvolle Haushaltspoli-
tik betrieben wurde, sollten Sie sich daran erinnern, dass
wir in Thüringen seit Jahren ausgeglichene Haushalte
vorgelegt haben. Schon in den letzten Jahren der Regie-
rung Althaus ist es gelungen, ohne neue Schulden auszu-
kommen. In der aktuellen Legislaturperiode sind sogar
Schulden getilgt worden. Ich würde mir wünschen, dass
Thüringen diesen Kurs in den nächsten Jahren beibehält.
Leider ist das nicht zu erwarten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das muss Ihnen sehr wehtun!)


– In der Tat, das tut mir weh. Es zeichnet sich ja ab, was
wir zu erwarten haben.

Die Schuldenkrise hat verdeutlicht, wie anfällig Staa-
ten mit einer hohen Schuldenquote sind. Gerade das Bei-





Christian Hirte


(A) (C)



(D)(B)

spiel Griechenland zeigt doch, wie wichtig solides Wirt-
schaften ist. Die schwarze Null ist deswegen kein
Fetisch, keine Monstranz, die der Finanzminister vor
sich herträgt, und sie ist auch nicht seiner Eitelkeit ge-
schuldet, sondern sie steht für die Glaubwürdigkeit und
für die Stabilität unseres Gemeinwesens. Das sind ganz
wichtige Standort- und Investitionsvorteile, die – das ist
zu befürchten – künftig in Thüringen vielleicht nicht
mehr gegeben sind.

Dass Sparen und Investieren sich nicht gegenseitig
ausschließen, haben wir mit dem Haushaltsentwurf 2015
bewiesen. Dafür ganz herzlichen Dank an den Finanz-
minister. Für den Einzelplan 16 gilt der Dank insbeson-
dere Ministerin Hendricks und den Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss, die Kurs gehalten haben und dieses
historische Ereignis ermöglicht haben. Liebe aktuelle
Freunde von der SPD, dieses Ergebnis ist auch Folge
dessen, was die letzte Große Koalition mit der Schulden-
bremse auf den Weg gebracht hat. Das ist quasi die Kon-
sequenz der Schuldenbremse, die vor einigen Jahren ver-
einbart wurde und jetzt endlich greift. Auch dafür
herzlichen Dank an die Koalitionäre. Mein herzlicher
Dank gilt im Besonderen meinem Fraktionskollegen
Dr. André Berghegger, der mit mir gemeinsam im Haus-
haltsausschuss den Einzelplan 16 verantwortet, heute
aber leider nicht sprechen kann, da sich der Ältestenrat
auf eine bestimmte Höchstzahl von Rednern verständigt
hat. Deswegen darf ich heute seine Erfolge hier mit er-
läutern.

Bundesfinanzminister Schäuble hat angekündigt, in
den nächsten Jahren trotz sich eintrübender Konjunktur-
aussichten und dem damit in Zusammenhang stehenden
geringeren Anstieg der Steuereinnahmen zusätzlich
10 Milliarden Euro für investive Maßnahmen auszuge-
ben. Aber schon heute wird investiert: Mit dem Koali-
tionsvertrag haben wir beschlossen, die Haushaltsmittel
des Bundes für die Städtebauförderung zu erhöhen. Das
haben wir im Haushalt 2014 gemacht. Auf diesem hohen
Niveau setzen wir die Förderung im Haushalt 2015 fort.
Außerdem haben wir den Maßnahmenkatalog noch ein-
mal konkretisiert und deutlich gemacht, dass ab diesem
Jahr auch Grünflächen förderfähig sind. Ich denke, das
ist für die Nachhaltigkeit wichtig und hat auch etwas mit
ökologischer Verantwortung zu tun, müsste den Grünen
also gefallen.


(Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie da unserem Vorschlag gefolgt sind!)


Ich denke, das ist am Ende ein wichtiges Instrument, um
die Attraktivität von Stadtzentren und die Lebensqualität
zu steigern.

Beim Wohngeld gibt es im Vergleich zum Regie-
rungsentwurf in der Tat erhebliche Änderungen – das ist
schon angesprochen worden –, nämlich 100 Millio-
nen Euro weniger. Es sieht in der Tat etwas beherzt aus,
dass wir so viel weniger ansetzen. Aber die Bundesre-
gierung hat eine Reform des Wohngeldgesetzes ange-
kündigt. Es besteht auch überhaupt kein Zweifel daran,
dass sie im nächsten Jahr umgesetzt wird. Aber wenn
wir sie im nächsten Jahr umsetzen und berücksichtigen,
dass die Kommunen noch ein bisschen Zeit brauchen
werden, um ihre Software umzustellen und alles ver-
nünftig umzusetzen, dass also noch eine gewisse Zeit
zwischen der Verabschiedung des Gesetzentwurfes und
dem Inkrafttreten des Gesetzes benötigt wird, ist klar,
dass das neue Gesetz im nächsten Jahr noch nicht kom-
plett kassenwirksam werden kann. Wenn wir uns die
Zahlen für dieses Jahr ansehen, zum Beispiel Stand Sep-
tember 2014, stellen wir fest, dass gerade einmal
300 Millionen Euro abgeflossen sind. Das heißt, mit
dem um 100 Millionen Euro niedrigeren Ansatz kom-
men wir hervorragend zurecht, ohne dabei Aussagen da-
rüber zu treffen, wie genau die Reform inhaltlich ausse-
hen wird.

Auch Bildung und Wissenschaft sind wichtige The-
men, die wir uns als Koalition vorgenommen haben. Es
ist gut, dass wir im Rahmen des Einzelplans 16 mit dem
Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig ein wichti-
ges Projekt angehen. Aufgrund der Evaluierung war
schon vor Jahren klar, dass es gut wäre, wenn das Institut
umzieht, um Synergieeffekte zu schaffen. Es ist schön,
dass wir diese Maßnahmen im Rahmen des nächsten
Haushalts starten und damit den Wissenschaftsstandort
Deutschland stärken können.

Herr Kollege Kindler, Sie haben in Ihrem Antrag zur
energetischen Gebäudesanierung und Energieeffizienz
zu diesem Thema Stellung genommen;


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein wichtiger und guter Antrag!)


das finde ich gut. Ich hätte es noch besser gefunden,
wenn Sie schon in der letzten Legislaturperiode dafür
Sorge getragen hätten, dass die Länder über den Bundes-
rat, in dem auch die Grünen eine gewisse Mitverantwor-
tung haben, bei der steuerlichen Förderung der Gebäude-
sanierung helfen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht! Dem haben Sie aber nicht zugestimmt! Sie hätten unserem Antrag ja zustimmen können! – Gegenruf der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ach, das ist doch unglaubwürdig!)


Dann wären wir heute vielleicht ein Stück weiter. Wenn
wir dieses gemeinsame Ziel haben – in Ihrem Antrag
schildern Sie ja, wie dramatisch die Konsequenzen des
Klimawandels sein könnten –, müsste Ihnen ja daran ge-
legen sein, über alle Möglichkeiten zu diskutieren.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch auch ein guter Antrag! Sie haben ihn ja gerade selbst abgelesen!)


Zum Dialog sind Sie herzlich eingeladen.


(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


Zu den Mitteln für den Klimaschutz gehören natürlich
auch die Mittel für Maßnahmen beim internationalen





Christian Hirte


(A) (C)



(D)(B)

Klimaschutz. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Das
BMUB beteiligt sich am neuen Weltbankfonds für Kli-
maschutzprojekte in den Entwicklungsländern. Für die
Pilot Auctioning Facility sollen bis zu 15 Millionen Euro
bereitgestellt werden, um Projekte in der Abfallwirt-
schaft, vor allem in den Bereichen Deponieentgasung,
organische Abfälle und Abwasserentsorgung, zu för-
dern. Ich denke, das sind sinnvolle Maßnahmen.

Angesprochen wurde auch schon das ehrgeizige Ziel
im Hinblick auf die Verringerung der Treibhausgasemis-
sionen bis 2020. Frau Höhn, ich kann nicht bestreiten,
dass wir noch ein gutes Stück des Weges vor uns haben.
Gespräche dazu laufen momentan bereits auf Fachebene.
Ich denke, nach der Kabinettsentscheidung am 3. De-
zember dieses Jahres sind wir alle ein Stück schlauer.
Vielleicht sagt nachher ja auch die Ministerin noch etwas
dazu.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, vielleicht!)


Ganz besonders freue ich mich, dass wir mit dem För-
derprogramm zur Nachrüstung von Dieselfahrzeugen
mit Rußpartikelfiltern vorangekommen sind.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


– Ich freue mich auch über die Freude bei den SPD-Kol-
legen. – Auch manch einen in Stuttgart wird das viel-
leicht freuen.


(Zuruf von der SPD: Das glaube ich nicht!)


Der Kollege Lemme hat es gerade schon angesprochen:
Da haben sicherlich schon einige von den ungefilterten
Abgasen die Nase voll. Erst gestern hat uns die Europäi-
sche Kommission deutlich mitgeteilt, dass wir in einigen
großen Städten Probleme haben. Stuttgart war explizit
genannt. Deswegen denke ich, dass das eine sinnvolle
Maßnahme ist, um in diesem Bereich vielleicht leichte
Verbesserungen zu erzielen.

Ich freue mich natürlich auch, dass wir jetzt – nach
unserem intensiven Werben schon im letzten Jahr und im
Rahmen der Anberatung des Haushalts für 2015 – mit
der SPD einen gemeinsamen, guten Standpunkt gefun-
den haben und die Förderung wieder aufnehmen. Ich
kann mich noch gut daran erinnern, dass wir unmittelbar
nach der Haushaltsdebatte zur Anberatung des Haushalts
für 2015 quasi im Hinausgehen ein kurzes Gespräch mit
der Ministerin Hendricks geführt haben, die deutlich
machte, dass sie gesprächsbereit ist. Also: Herzlichen
Dank an die Koalitionäre, dass wir hier vorangekommen
sind!

Ein weiterer positiv herauszuhebender Aspekt der Be-
ratungen zum Einzelplan 16 – jetzt wird es ein bisschen
technisch – ist der Personalbereich. Hier haben wir – da-
für auch noch einmal ganz herzlichen Dank an meine
Kollegen Lemme und Dr. Berghegger – nach intensiven
Verhandlungen schon für den diesjährigen Haushalt eine
Vereinbarung mit dem BMUB erreicht, wonach über
200 sachgrundlos befristete Stellen innerhalb der nächs-
ten drei Jahre peu à peu abgebaut und in reguläre Anstel-
lungsverhältnisse umgewandelt werden. Ich denke, das
ist zum einen für die Qualität der Arbeit im Haus, zum
anderen aber auch für die betroffenen Mitarbeiter eine
ganz wichtige Entscheidung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe mich ein bisschen über das gewundert, was
wir vom ersten Redner der Linken zum Thema Endlage-
rung gehört haben. Nach einem Antrag der Linken sollen
die Mittel für Schacht Konrad und Gorleben abgesenkt
werden. Das widerspricht ein bisschen dem, was wir
vorhin von Ihnen gehört haben.


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Ein bisschen!)


Sie haben dargestellt, wie dramatisch alles wäre, kom-
men aber trotzdem zu erheblichen Einsparpotenzialen.
Richtig ist zwar, dass es mit dem Standortauswahlgesetz
und natürlich auch durch die Arbeit der Endlagersuch-
kommission keine Vorfestlegung gibt. Aber das heißt
nicht, dass wir in den nächsten 20 Jahren die Hände in
den Schoß legen könnten und nichts mehr tun müssten.
Wir haben schon erhebliche radioaktive Abfälle, mit de-
nen wir weiter umgehen müssen, und Sie selber haben
den Zustand von einigen Behältnissen angesprochen.
Das heißt, das Thema bleibt uns unabhängig von der
Entscheidung zum Endlager vor Augen, und wir müssen
uns als Haushälter darum kümmern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wirklich witzig finde ich den Umstand, dass Sie die
Kosten für die Infostellen für zu hoch halten. Sie betragen
100 000 Euro bei Gorleben und 200 000 Euro beim Schacht
Konrad. Bei einem Gesamthaushalt von 300 Milliarden
Euro haben Sie über den gesamten Haushalt verteilt
Ausgabenmehrbelastungen von über 50 Milliarden Euro
vorgeschlagen, und jetzt kommen Sie mit solchen Kle-
ckerbeträgen. Ich frage mich wirklich, wie Sie die Finan-
zierung der 50 Milliarden Euro sichern wollen, ohne ver-
nünftige Prioritäten zu setzen. Wenn Sie auf diesem
Niveau haushalterische Politik gestalten wollen, dann ist
mir bange um meinen Freistaat Thüringen, wenn es dort
genauso geht.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie werden es überleben!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807023500

Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesministerin

Dr. Barbara Hendricks das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundeshaushalt 2015 sendet viele richtige und wichtige
Signale vor allem an die Menschen, deren Geld wir ver-
walten und mit denen wir die Zukunft Deutschlands ge-
stalten wollen.

Nachhaltigkeit ist ein zentrales Leitprinzip dieser
Bundesregierung nicht nur in der Haushaltspolitik. Im





Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks


(A) (C)



(D)(B)

Haushalt 2015 sparen wir deshalb auch nicht bei den In-
vestitionen in die Zukunftsthemen Umweltschutz, Kli-
maschutz und Naturschutz. Im Gegenteil!


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. MarieLuise Dött [CDU/CSU])


Mit knapp 3,9 Milliarden Euro ist der Gesamtetat des
BMUB gegenüber 2014 um rund 200 Millionen Euro
gestiegen. Ein großer Teil davon, über die Hälfte, fließt
in Investitionen, sodass man beim Einzelplan 16 mit gu-
tem Grund von einem Investitionshaushalt sprechen
kann.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir investieren in die Vorsorge. Wie angekündigt, be-
ginnen wir mit dem Sonderrahmenplan einen vorbeu-
genden Hochwasserschutz. Dafür haben wir im Einzel-
plan 10 einen neuen Haushaltstitel geschaffen; Kollege
Schmidt hat eben darauf hingewiesen. Die Zunahme von
Extremwetterereignissen und die Erfahrung mit den gro-
ßen Hochwasserkatastrophen in den letzten 15 Jahren
fordern uns heraus. Mit dem Sonderrahmenplan stellen
wir uns dieser Herausforderung.

Uns beschäftigt allerdings nicht nur die Zukunft; uns
beschäftigen auch die Versäumnisse der Vergangenheit.
Das gilt vor allem für die Kosten im Bereich Endlage-
rung. Die Überlegungen dazu hätten selbstverständlich
– genauso wie die Suche nach dem Endlager – an den
Anfang und nicht an das Ende der Kernenergienutzung
gestellt werden müssen. Die jetzige Bundesregierung
stellt sich dieser Aufgabe. Wir nehmen die Sorgen der
Menschen ernst, weil sie berechtigt sind, da es um den
Einsatz von Risikotechnologie geht. Herr Kollege
Zdebel, natürlich kann man leichthin sagen: Schacht
Konrad ist ungeeignet. – Schacht Konrad wird auf Grund-
lage eines gültigen Planfeststellungsverfahrens ausge-
baut und ist zugegebenermaßen für 300 000 Kubikmeter
radioaktiven Abfall genehmigt. Mehr darf da auch nicht
untergebracht werden. Wenn es zu einer Erweiterung
käme – sehr konjunktivisch –, müsste man selbstver-
ständlich ein neues Planfeststellungsverfahren machen
mit allen planerischen Voraussetzungen, die dafür not-
wendig wären.

Wenn wir bei dem Entsorgungsplan, den wir der EU-
Kommission pflichtgemäß, aber auch gerne vorlegen
werden, jetzt weitere 300 000 Kubikmeter schwach- und
mittelradioaktiven Mülls benennen – anders als das frü-
here Bundesregierungen gemacht haben –, so ist dieser
Müll natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern war
schon da.

Rund 200 000 Tonnen werden wir haben, wenn wir
diesen strahlenden Müll aus der Asse geborgen haben,
womit aber frühestens im Jahr 2033 begonnen werden
wird. Das Bergen wird dann noch Jahrzehnte in An-
spruch nehmen. Natürlich müssen wir dafür irgendwann
ein Endlager haben. Diese Frage müssen wir aber nicht
zwingend heute beantworten,


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


sondern dann, wenn mit dem Bergen des Asse-Mülls be-
gonnen wird. Wir sind nicht sicher, was bis dahin pas-
siert. Aber solange wir mit dem Bergen noch nicht be-
gonnen haben, brauchen wir für den Müll kein Endlager.
Der Müll ist noch nicht oben, also muss er auch nicht
eingelagert werden.

Weitere 100 000 von den insgesamt zusätzlich gemel-
deten 300 000 Kubikmetern schwach- und mittelradioak-
tiven Mülls können aus der Urananreicherung kommen.
Dies ist von früheren Bundesregierungen als Wirt-
schaftsgut bezeichnet worden. Man kann sich dieser
Auffassung anschließen. Wenn man das aber nicht für
absolut sicher hält, muss man zumindest Vorsorge tref-
fen, und dann zählt auch dies zum schwach- und mittel-
radioaktiven Müll, obwohl es bislang nicht als solcher
bezeichnet und eingerechnet wurde.

Das heißt: Wir stellen uns der Verantwortung. Wir
schaffen Transparenz und werden rechtzeitig mit den
entsprechenden Schritten Vorsorge dafür treffen, dass
auch für diese zusätzlichen 300 000 Kubikmeter Müll,
die, wie gesagt, schon da waren, nur anders bezeichnet
wurden, ein vernünftiges Endlager gefunden wird. Ob
das ein erweiterter Schacht Konrad oder ein anderes
Endlager wird, weiß ich noch nicht. Diese Frage ist
heute auch nicht zwingend zu beantworten, obwohl wir
uns natürlich daranmachen, eine Antwort zu finden;
denn die Planungsvorhaben sind, wie wir wissen, relativ
langwierig.

Ihnen ist bekannt, auf welchem Stand wir bei der Su-
che nach einem Endlager für den hochradioaktiven Müll
sind. In der Zwischenzeit werden noch viele Zwischen-
lager jahrzehntelang betrieben werden müssen; auch das
ist richtig. Da müssen wir mit den Bürgerinnen und Bür-
gern voraussichtlich offen umgehen. Es wird voraus-
sichtlich frühestens zwischen 2050 und 2060 mit der
Einlagerung in ein dann aufnahmebereites Endlager
begonnen werden können. Bevor man nicht mit der Ein-
lagerung des hochradioaktiven Mülls beginnen kann,
müssen die Zwischenlager selbstverständlich aufrecht-
erhalten werden. Ich weiß, dass das viele Menschen
nicht beruhigt, weil sie sich ausrechnen können, dass sie
ihr ganzes Leben lang in der Nähe eines Zwischenlagers
wohnen werden; aber das ist nun einmal nicht zu ändern.
Wir können schließlich kein Endlager herbeizaubern. Ich
habe in diesem Zusammenhang immer wieder gesagt:
Wir haben in unserer jeweiligen Regierungszeit die Ver-
antwortung dafür, dass wir alle möglichen und notwen-
digen Schritte gehen, damit alle nach uns kommenden
Generationen überhaupt die Chance haben, Schritte zu
gehen, die möglich und notwendig sind.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht uns darum, die Sorgen der Menschen ernst zu
nehmen. Aus dem gleichen Grund haben wir ein Gesetz
zum Fracking auf den Weg gebracht, bei dem der Schutz
des Grundwassers über alle anderen Interessen gestellt
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Schutz der Umwelt steht für uns alle in Deutschland
über wirtschaftlichen Interessen. Nur dort, wo es nach





Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks


(A) (C)



(D)(B)

vielfacher Prüfung keine Bedenken gibt, kann es verein-
zelt zu unkonventionellem Fracking kommen. Das wird
nach dem Stand der Dinge aber nach meiner Einschät-
zung nur in sehr wenigen Ausnahmefällen geschehen.

Übrigens, Frau Kollegin Höhn – ich gehe davon aus,
das war keine Absicht –, was das unkonventionelle
Fracking anbelangt, ist in dem Gesetzentwurf ausdrück-
lich davon die Rede, dass auch bei Probebohrungen nur
Stoffe der Wassergefährdungsklasse 0 eingesetzt werden
dürfen


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und 1!)


– nein, was das unkonventionelle Fracking anbelangt,
sind es nur Stoffe der Wassergefährdungsklasse 0 –, dass
allerdings beim konventionellen Fracking die Frackflüs-
sigkeit die Wassergefährdungsklasse 1 haben darf. Übri-
gens – dieses Fracking findet in Niedersachsen schon
seit Jahrzehnten statt – sind die Anforderungen der Was-
sergefährdungsklasse 1 höher als das, was bisher dort
praktiziert wird, um auch das einmal deutlich zu ma-
chen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass
der Klimaschutz eine der größten globalen Herausforde-
rungen unserer Zeit ist. Wir müssen den Klimawandel
stoppen und seine Folgen so weit wie möglich begren-
zen. Ich habe schon häufiger darauf hingewiesen, dass es
gerade bei diesem Thema einen Zusammenhang von
ökologischen und sozialen Problemen gibt. Die Folgen
des Klimawandels sind schon jetzt sozial ungerecht ver-
teilt. Das gilt nicht nur für die ärmsten Regionen der
Welt und die Gruppe der kleinen Inselstaaten. Die Bun-
desregierung stellt sich dieser Verantwortung zum Bei-
spiel mit dem Klima-Aktionsprogramm, das wir nächste
Woche im Kabinett verabschieden werden. Sie werden
sehen: Es werden keine Zahlentricksereien sein. Wir
werden das alles sauber nachweisen können. Wir werden
das 40-Prozent-Ziel tatsächlich einhalten können.

Es gibt im Übrigen keine Lücke, was die fehlenden
7 Prozentpunkte angeht. Ich habe immer gesagt: Ohne
weitere Verhaltensänderungen werden uns im Jahr 2020
zwischen 5 und 8 Prozentpunkte fehlen. Das können
auch 7 Prozentpunkte sein. Diese Lücke kommt nicht
heute zustande, sondern dann, wenn man die voraus-
sichtliche Entwicklung von 2014 bis 2020 ohne Verhal-
tensänderungen mit einrechnet. Heute ist die Lücke in
der Tat noch größer.

Weil das nicht ausreicht, führen wir zusätzliche Maß-
nahmen durch. Sonst kämen wir bis 2020 auf etwa 32 bis
35 Prozent, und das reicht uns nicht aus. Der Ausstoß
des Kraftwerksparks, der sich, untechnisch ausgedrückt,
auch bis 2020 weiterentwickelt, ist schon eingerechnet.
Die 22 Millionen Tonnen, die vom Wirtschaftsminister
genannt worden sind, kommen bei der CO2-Einsparung
on top. Das ist in der Tat Sache des Bundes.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind nicht nur in diesem Zusammenhang verant-
wortlich. Auch die Erstauffüllung des Grünen Klimafonds
haben wir als einer der ersten auf den Weg gebracht. Wir
sind damit beispielhaft gewesen und geblieben. Das war
das richtige Signal an die Geberkonferenz in der vergan-
genen Woche.

Ich kann deshalb heute mit Stolz sagen: Dieser Haus-
halt ist ein Klimaschutzermöglichungshaushalt. Darauf
bin ich wirklich stolz.

Als Bundesbauministerin freue ich mich, dass wir die
Programme auf dem hohen Niveau, das wir 2014 er-
reicht haben, fortsetzen können. Aufgaben gibt es selbst-
verständlich genug. Die Wohnungsmärkte sind in Bewe-
gung. Die Nachfrage steigt; die Leerstände gehen
zurück. Viele Menschen insbesondere in den Ballungs-
räumen suchen bezahlbaren Wohnraum. Unser Bündnis
für bezahlbares Wohnen und Bauen ist auf dem Weg. Es
gibt noch keine Ergebnisse; das ist klar. Es ist ein Zu-
sammenspinnen verschiedenster Interessen. Aber wir
sind auf einem guten Weg, und wir werden selbstver-
ständlich Ergebnisse vorlegen.

Die Bautätigkeit in Deutschland nimmt zu. Erstmals
seit vielen Jahren werden wir in diesem Jahr erreichen,
dass Wohnungsneubau im erforderlichen Umfang statt-
findet. Das bedeutet rund 250 000 neue Wohnungsein-
heiten in diesem Jahr. Das werden wir in diesem Jahr
erstmals seit vielen Jahren wieder erleben. Das ist ein
gutes Zeichen, und diesen Trend wollen wir fortsetzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will noch kurz einige Stichpunkte nennen – meine
Redezeit wird knapp –, die uns wichtig sind, zum Bei-
spiel das Programm „Soziale Stadt“. Auch in der Flücht-
lingshilfe werden wir weiter aktiv sein und den Kommu-
nen hilfreich zur Seite stehen, wo es notwendig ist. Ich
bedanke mich für das Engagement der Kommunen vor
Ort.

Ich bedanke mich auch sehr herzlich bei denjenigen,
die bei der Erstellung des Haushalts mit uns zusammen-
gearbeitet haben. An dieser Stelle finde ich es wichtig,
auf eines hinzuweisen: Es hat in den vergangenen Jahren
lineare Stellenstreichungen gegeben – es ist nicht zu be-
streiten, dass das richtig war –, die aber für das Jahr
2015 nicht vorgesehen sind. Ich glaube, wir alle sind
dankbar dafür, dass wir in den Ministerien unsere quali-
fizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten kön-
nen. Auch Sie als Abgeordnete profitieren selbstver-
ständlich davon. Ein Punkt ist mir noch ganz wichtig:
Die sogenannten sachgrundlosen Befristungen kann ich
mit Unterstützung des Haushaltsausschusses – „sach-
grundlose Befristungen“ ist schon ein Wortungetüm – in
mehreren Jahrestranchen zurückführen, in zweiter
Tranche im Jahr 2015.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Insgesamt ist dies ein zukunftsweisender Haushalt,
auf den wir alle stolz sein können. Und, Frau Höhn, ma-
chen Sie sich keine Sorgen: Das Wertstoffgesetz ist auf
dem Weg.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange schon?)






Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks


(A) (C)



(D)(B)

– Ja, wie lange schon? Es ist in der letzten Legislaturpe-
riode gescheitert. – Die Elektronikschrottverordnung ist
auf dem Weg. Die Düngemittelverordnung ist auf dem
Weg. Die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit
wassergefährdenden Stoffen ist auf dem Weg. Leider ist
Kollege Schmidt nicht mehr da; wir streiten da munter
und kräftig, aber wir kommen zum Ziel.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807023600

Für die Linke spricht jetzt der Kollege Ralph Lenkert.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807023700

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Damen und

Herren! Kollege Hirte, Lesen bildet. Hätten Sie unseren
Antrag zum Haushalt komplett gelesen,


(Christian Hirte [CDU/CSU]: Das ist kein Lesestoff!)


dann hätten Sie gewusst, dass wir weit über 50 Milliar-
den Mehreinnahmen über eine Millionärsteuer, über eine
Vermögensteuer erzielen wollen. Das zu sagen, wäre
ehrlich gewesen.

Ein weiterer Punkt:


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Der nächste Punkt: Enteignung!)


Die Linke betrachtet die Atommüllendlager Schacht
Konrad und Gorleben als komplett überflüssig und
falsch.


(Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Wir wollen kein Geld in tote Pferde, in falsche Entschei-
dungen investieren. Das ist das, was die CDU in Thürin-
gen regelmäßig getan hat.


(Dr. Georg Nüßlein mal was zu Morsleben!)


Ich erinnere an die hoffnungslos überdimensionierten
Abwasseranlagen, in die Ihre Partei investiert hat und
die heute für allein 1,5 Milliarden Euro Schulden des
Freistaates verantwortlich sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber jetzt zum Umweltbereich. Ich möchte den Ab-
geordneten der Koalition danken. Bei zwei Punkten sind
Sie unseren Vorschlägen gefolgt. Beim Hochwasser-
schutz haben Sie unsere Forderungen sogar verdoppelt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber nicht Ihretwegen! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ihr habt zu wenig gefordert!)


Danke, dass Sie unseren Argumenten gefolgt sind. Vie-
len Dank auch, Frau Dött, für Ihren Einsatz für die Wie-
dereinführung der Förderung der Filternachrüstung bei
Dieselfahrzeugen. Das ist ein wichtiger kleiner Schritt.
Schade, dass Sie andere Vorschläge ignoriert haben.
Die Mieten steigen in Ballungszentren, die Betriebs-
kosten explodieren bundesweit. Allein für Warmwasser
und Heizung muss ein durchschnittlicher Haushalt heute
jährlich 3 100 Euro ausgeben. Im Jahr 2000 waren es
noch 1 500 Euro. Und was machen Sie, Frau Umweltmi-
nisterin Hendricks? In Interviews thematisieren Sie die-
ses Problem, und das Wohngeld wird um 100 Millionen
Euro gekürzt.

Wir beantragen 460 Millionen Euro mehr für die Wie-
dereinführung des Zuschlags für Heiz- und Energiekosten
für Wohngeldempfänger.


(Beifall bei der LINKEN)


Das wären durchschnittlich 40 Euro je Monat, 15 Pro-
zent der Energiekosten. Damit würden Sie fast 1 Million
Menschen helfen. Sie würden über 100 000 Rentnerin-
nen und Rentner sowie Aufstockerinnen und Aufstocker
aus Mindestsicherung und Hartz IV herausholen. Die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Argen könnten sich
dann statt mit Kosten der Unterkunft mit der Weiterbil-
dung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen befas-
sen. Ganz nebenbei würden Kommunen in struktur-
schwachen Regionen entlastet. Frau Ministerin,
Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie diesem Vor-
schlag einfach zu!


(Beifall bei der LINKEN)


Zwei Beispiele, wie es Hunderte in Deutschland gibt:
In Gera in Thüringen stehen 11 Prozent der Wohnungen
leer. Die Mittel für den Stadtumbau würden für Gera ent-
sprechend der Einwohnerzahl 700 000 Euro betragen.
Wie soll damit die Strukturanpassung gelingen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Es geht doch nicht nur nach Einwohnerzahl! Es geht nach Antragstellung!)


In Jena in Thüringen herrscht Wohnungsmangel.
800 000 Euro stellt der Bundeshaushalt für sozialen
Wohnungsbau bereit. Wie soll damit ein Wohnungspro-
blem gelöst werden? Sie kleckern, statt zu klotzen. Stim-
men Sie unseren Investitionsprogrammen zu, oder legen
Sie eigene auf! Dann könnten die Mieten in Ballungs-
zentren sowie die Betriebskosten in strukturschwachen
Regionen sinken. Ganz nebenbei wäre dies ein Konjunk-
turprogramm für die Wirtschaft und gelebter Klima-
schutz.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Hendricks, ich war überrascht, dass Sie sogar
Gelder in die Forschung zur Altlastensanierung zur Be-
seitigung von Umweltschäden investieren. 314 000 alt-
lastenverdächtige Flächen gibt es bundesweit. Bei
90 000 wurden die Gefahren inzwischen bewertet. Da-
von wurden 28 000 saniert. 4 800 werden saniert, 3 700
Altlasten müssen dauerhaft überwacht werden, und min-
destens 14 000 warten noch auf ihre Sanierung, so wie
die Deponien mit belasteten Erdölbohrschlämmen bei
Meppen und der Teersee in Rositz, der eigentlich saniert
sein sollte. 80 Millionen zahlte Thüringen. Das Ergebnis
ist – freundlich gesagt – unzureichend. Da wurde vorher
nicht genug geforscht.





Ralph Lenkert


(A) (C)



(D)(B)

Für viele Altlastenprobleme – seien es Schwermetalle
oder Phenole, Dioxine oder Polychlorierte Biphenyle,
auch PCB genannt, gibt es keine oder nur extrem teure
Sanierungsstrategien.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Woher kam der Schweinkram denn?)


Oft werden belastete Böden, belastetes Material einfach
in Sondermülldeponien weggeschlossen und bleiben ge-
fährlich. Da muss man forschen, neue Verfahren zur Sa-
nierung und Überwachung entwickeln. Das haben Sie,
Frau Hendricks, und Sie, meine Damen und Herren von
der Koalition, wohl erkannt und sagenhafte fette 2 Mil-
lionen Euro im Haushalt eingestellt. Ich sage: Sie haben
nichts begriffen. Das sind 6 Euro je Verdachtsfläche oder
150 Euro je Altlast. Damit werden Sie keine Lösung für
die Altlastenprobleme finden, weder für Rositz noch für
Meppen noch für die Sondermülldeponie Herfa-Neu-
rode.

Forschung wäre auch wichtig bei Wirkungen von
neuartigen Chemikalien. Da zwingt die EU die Pkw-
Hersteller zur Umrüstung der Kältemittel in Klimaanla-
gen. 1234yf heißt das neue Wundermittel. Verbrennt die-
ses Kältemittel, was bei über 20 000 Pkw-Bränden in
Deutschland pro Jahr sicher passieren wird, dann ent-
steht nicht nur hochgiftige Flusssäure. Es entsteht mit
20 Prozent Volumenanteil auch Dicarbonylfluorid. Das
sagt Ihnen vielleicht nichts. Dicarbonylfluorid ist che-
misch verwandt mit Phosgen, einem Kampfgas aus dem
Ersten Weltkrieg, und ist um ein Vielfaches gefährlicher
als Flusssäure. 1 ppm, also ein Teil, Dicarbonylfluorid
auf 1 Million Teile zehn Minuten eingeatmet, ist lebens-
bedrohlich. Folgt man den Angaben der Hersteller Du-
pont und Honeywell von 1234yf zur Verdünnung der bei
einem Brand entstehenden Flusssäure in den Abgasen,
dann wird bei Pkw-Bränden eine Konzentration von
13 ppm Dicarbonylfluorid auftreten. Für mich als Ma-
schinenbauer sind diese von Professor Kornath, Experte
für anorganische Fluorchemie der TU München, ermit-
telten Werte nachvollziehbar. Aber was antwortet die
Bundesregierung auf meine Frage zur Gefährlichkeit
von Dicarbonylfluorid? Ich zitiere:

Eine abschließende Bewertung kann aufgrund des
nicht abgeschlossenen Bewertungsverfahrens noch
nicht vorgenommen werden.

Die Bewertung läuft seit 2010. Wollen oder können Sie
diese nicht abschließen, oder fehlt einfach wieder einmal
das Geld für Testversuche? Falls Geld fehlt, gefährdet
Ihre schwarze Null Menschenleben.


(Beifall bei der LINKEN)


Die meisten Menschen wissen inzwischen, wie wich-
tig Umweltschutz ist. Dieser Haushalt zeigt: Sie haben
nichts begriffen. Die Qualität dieses Haushalts ist
schlechter als meine Stimme am heutigen Abend.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807023800

Lieber Kollege Lenkert, wir wünschen Ihnen, dass

sich Ihre Stimme bis morgen erholt.
Ich gebe nun dem Kollegen Dr. Georg Nüßlein für die
CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1807023900

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der

Kollege Lenkert hat hier passagenweise zu Altlasten im
Osten ausgeführt, es aber peinlich vermieden, zu sagen,
woher diese kommen, nämlich aus der ehemaligen DDR.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: BASF hat 1920 angefangen!)


Sie hätten „nostra culpa, nostra culpa“ sagen müssen. Ich
möchte mit Bezug auf die Zwischenfrage, die der Kol-
lege Lenkert vorhin gestellt hat und die der Kollege
Hirte hervorragend pariert hat, festhalten: 25 Jahre nach
dem Mauerfall können wir, die Menschen der Bundesre-
publik Deutschland, stolz darauf sein, was wir gemein-
sam bei der deutschen Einheit geleistet haben. Nicht
stolz sein kann man auf die Umweltlasten, die die DDR
hinterlassen hat.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stolz kann man sein, dass Thüringen gewählt hat!)


Die Bundesrepublik Deutschland hat durch einen klaren
Rahmen sowie durch Innovation und Technologie dafür
gesorgt, dass das der Vergangenheit angehört, im Übri-
gen – das kannten die Bürger der DDR genug – nicht
durch Verzicht und – das kannten die Bürger der DDR
ebenfalls genug – nicht durch Zwang. Freiwilligkeit und
Wirtschaftlichkeit, das sind aus meiner Sicht die Krite-
rien für eine kluge und zukunftsgerichtete Umweltpoli-
tik. Sie sind auch entscheidend für den Klimaschutz.

Der deutsche Beitrag zum weltweiten Klimaschutz ist
null und nichtig, wenn wir nicht vorleben können, dass
Wirtschaftswachstum und Klimaschutz Hand in Hand
gehen. Vorbild ist nur, wer Wohlstand steigert und CO2
reduziert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vorbild ist nicht, wer immer höhere Ziele ausgibt, sie am
Ende nicht erreicht oder sie nur durch Deindustriealisie-
rung erreicht. Deshalb formulieren wir ganz klare Anfor-
derungen an das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020,
das wir sehr begrüßen. Diese Anforderungen heißen:
Erstens. Eingriffe, die der deutschen Wirtschaft schaden,
sind unnötig und zu unterlassen. Zweitens. Markt, Wett-
bewerb und Anreiz gehen vor Regulierung und Zwang. –
Ich habe eigentlich erwartet, dass auch die Grünen das
jetzt so formulieren, nachdem sie auf dem Parteitag be-
schlossen haben, dass sie jetzt die Partei der Freiheit
werden.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren wir schon immer! Freiheit und Kennzeichnung! Wir wollen eine Ampel!)


Ich würde mir wünschen, dass das auch so kommt. –
Drittens. Bei all dem, was wir in den nächsten Wochen
und Monaten zum Klimaschutz beraten werden, müssen
wir klare Preisschilder entwerfen, eine Reihenfolge





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

aufstellen und uns Gedanken machen, wie man mit
möglichst niedrigen volkswirtschaftlichen Kosten das
40-Prozent-Ziel erreichen kann, das wir erreichen wol-
len.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Ausstieg aus der Kernenergie macht die Zielerrei-
chung hinsichtlich des CO2-Ausstoßes natürlich noch
schwieriger. Gleichzeitig aus der Kohle auszusteigen,
halte ich persönlich für kaum darstellbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verlangt ja auch niemand! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen noch nicht einmal wir! Wir wollen nur mal damit anfangen!)


Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen, gerade das Thema Versorgungssicherheit ernst zu
nehmen. Ich will noch einmal deutlich machen: Ein na-
tionaler Alleingang beim Ausstieg aus der Kohle macht
mittelfristig keinen Sinn, weil das ETS-Zertifikate frei-
setzt, die im Ausland wieder eingesetzt werden können.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kann man ja aus dem Handel herausnehmen!)


Jetzt gibt es ein paar ganz Schlaue, die sagen: Aber der
ETS-Handel liegt doch am Boden, und die Zertifikate
werden ohnehin nicht genutzt. – Nur, wenn man gleich-
zeitig sagt, man wolle den CO2-Handel europaweit stär-
ken, was wir tun wollen, dann darf man solche Effekte
nicht vernachlässigen. Deshalb macht ein nationaler
Ausstieg aus der Kohleverstromung keinen Sinn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie bei der Atomkraft auch immer gesagt!)


Das würde an das Motto erinnern: Hauptsache, die Sta-
tistik stimmt. Wie dann der Importstrom produziert wird,
steht auf einem anderen Blatt. – Das ist aus meiner Sicht
der falsche Weg.

Ich glaube, ein guter Ansatz, ein Ansatz, der uns auch
wirtschaftlich voranbringen kann, ist die Energieeffi-
zienz. Es macht Sinn, Rohstoffe zu sparen, die Technik
auf Sparen auszurichten, Weltmarktführer bei solchen
Technologien zu werden, knappe Güter sorgsam einzu-
setzen und zu berücksichtigen, dass auch deren Explora-
tion massive Umweltprobleme verursacht, die man be-
trachten muss.

Bei der Energieeffizienz steht der Wärmebereich Gott
sei Dank ganz oben auf der Agenda dieser Bundesregie-
rung. Ich verstehe, dass den Grünen alles nicht schnell
genug gehen kann. Aber man hätte – das hat auch der
Kollege Hirte vorhin angedeutet – durchaus schon früher
einen Beitrag dazu leisten können, die CO2-Gebäudesa-
nierung, die wir hier seit Jahren einfordern, auch tatsäch-
lich umzusetzen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn hier?)

Ich will gar nicht auf die Vergangenheit eingehen. Ich
würde mir nur wünschen, dass in der Zukunft nicht das-
selbe Spiel gemacht wird, das da heißt: Der Bund muss
die Zeche zahlen, und die Länder lehnen sich zurück und
schauen sich an, was passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Energieeffizienz im gewerblichen Bereich spielt na-
türlich auch eine wichtige Rolle. Da gibt es eine Menge
zu tun. Ich glaube nicht, dass man dafür immer ein Audit
braucht. Ich glaube, dass unsere Unternehmen mittler-
weile sehr genau wissen, wo sie Geld sparen können.
Wir sollten uns vielmehr miteinander Gedanken machen,
womit wir die Entwicklung von Energieeffizienz mögli-
cherweise verhindern. Ein Beispiel ist für mich die Fall-
beillösung, die im EEG steht. Da ist klar, dass derjenige,
der Energie einspart, sich einen Bärendienst erwiesen
hat, wenn er unter die 16-Prozent-Hürde fällt. Es gibt
noch eine ganze Menge ähnlicher Schwellen. Man muss
sich noch einmal im Rahmen der Effizienzoffensive Ge-
danken machen, wie man das Ganze etwas besser aufei-
nander abstimmt.

Ich habe vorhin gesagt, dass wir beim Thema ETS
Optimierungen vornehmen wollen. Das ist ein markt-
wirtschaftliches Instrument, auf das wir viel setzen soll-
ten und bei dem wir auch berücksichtigen müssen, dass
sich konjunkturelle Einflüsse auf die Preise der CO2-
Zertifikate auswirken. Das ist auch gut so; denn letztend-
lich geht es darum, wie man die Konjunktur stützt, wenn
die Nachfrage sinkt und damit dann natürlich auch die
CO2-Produktion. Es ist klar, dass der Markt darauf re-
agieren muss.

Momentan wird in der Automobilindustrie über die
Frage nachgedacht, ob es sinnvoll ist, den Verkehr zu in-
tegrieren. Mein Damen und Herren, das sollte man
durchaus diskutieren.


(Zuruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])


– Nein. Nicht, damit sie nichts machen müssen. Sie er-
kennen nämlich, dass einige in Brüssel imstande sind,
mit dem 95-Gramm-Ziel Industriepolitik gegen die deut-
schen Flotten zu betreiben. Deshalb sagen sie: Wir soll-
ten einmal überlegen, ob das für uns nicht weniger
schädlich ist.

Ich glaube, man braucht beides. Man braucht den
Handel mit CO2-Zertifikaten. Mit Maß und Ziel kann
man vielleicht auch den Verkehrssektor einbauen. Dabei
muss man aber natürlich immer bedenken, dass das Aus-
wirkungen auf den Benzinpreis hat und dass diese Art
der Mobilitätsreduzierung natürlich auch eine soziale
Komponente hat. Auf der anderen Seite muss man aber
auch maßvoll Maßstäbe dafür setzen, damit sich die
Technik nach vorne entwickelt, aber mit Maß und Ziel,
jedoch nicht, um die deutsche Wirtschaft und die Auto-
mobilindustrie zu schädigen, sondern um den techni-
schen Fortschritt anzuregen. Das sollten wir gemeinsam
tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Ich will noch auf ein Thema eingehen, das hier auch
eine Rolle gespielt hat und das durchaus sehr brisant ist,
nämlich auf das Thema Fracking. Eine Regelung zu die-
sem schwierigen Thema ist in der vergangenen Legisla-
turperiode an der Kommunikation gescheitert.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer hat da regiert?)


Viele haben damals so getan, als sei Fracking aktuell
verboten und die Mehrheit im Deutschen Bundestag
wolle Fracking erlauben. Heute sind schon wieder einige
auf dem Weg, ähnliche Kommunikationsstrategien auf-
zubauen, Frau Höhn. Mein Damen und Herren, es geht
nicht darum, Fracking zu erlauben. Das ist erlaubt, und
zwar relativ unkonditioniert. Vielmehr geht es darum,
Fracking ordentlich zu regulieren.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt einmal ehrlich! 80 Prozent der Flächen öffnen für Fracking!)


Der Vorschlag der Bundesministerin dazu ist ein guter
Vorschlag, unabhängig davon, wie Sie das sehen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fakt ist: Wer Fracking konditionieren bzw. regulieren
will, der muss an diesem Vorschlag jetzt konstruktiv mit-
arbeiten. Sonst stehen wir am Ende wieder ohne Gesetz
da, und die Industrie kann fracken und kann sich auf
dem Klageweg durchsetzen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann sie mit Ihrem Gesetz ja auch! Das ist doch kein Unterschied!)


Es wird dann keine Umweltverträglichkeitsprüfungen
geben, auch nicht für das, was wir hier als konventionel-
les Fracking beschreiben. Auch innerhalb der Union dis-
kutieren wir heftig über das Lagerstättenwasser und über
die Fragen: Was ist Stand der Technik? Was muss man
tun? Kann man das wieder in die Ursprungstiefe verpres-
sen? Muss man das aufbereiten? Meine Damen und Her-
ren, das wird man ohne Gesetz nicht regeln können. Das
wollen wir aber tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Fokus der Öffentlichkeit liegt in der Tat auf dem
sogenannten unkonventionellen Fracking. An dieser
Stelle möchte ich deutlich unterstreichen: In diesem Re-
ferentenentwurf steht ein glasklares Verbot mit Blick auf
den Schutz von Mensch, Natur und Wasser.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist das denn zu lesen?)


Das wird allerdings ergänzt durch einen Erlaubnisvorbe-
halt. Dieser Erlaubnisvorbehalt besagt – ich sage das
einmal untechnisch –:


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Verbot mit vielen Erlaubnissen!)


Wenn Forschung und Entwicklung irgendwann nach
2018 an einen Punkt kämen, bei dem gar nichts mehr da-
gegen spräche, dann kann die Wasserbehörde eine Er-
laubnis erteilen. Wenn man wie Sie der Auffassung ist,
dass das alles Teufelszeug ist und dass man das unter
keinen Umständen tun kann,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unnötig! Überflüssig!)


muss man sich keine Sorgen machen, dass diese Erlaub-
nis in diesem Land irgendwann erteilt wird.

Ich sage Ihnen aber: Ich halte es für richtig, dass der
Erlaubnisvorbehalt darin steht. Denn wenn ein Land, das
auf Hightech, auf Forschung und Entwicklung setzt, den
Anspruch erhebt, Pilotvorhaben, Spitzentechnologien
voranbringen zu wollen, dann muss man zumindest die
Chance eröffnen, dass diese Technologie auch im eige-
nen Land irgendwann einmal zum Tragen kommt.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807024000

Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie am Schluss Ihrer

Redezeit noch eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-
Schröter?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1807024100

Wenn die Frau Kollegin unbedingt will.


(Johannes Kahrs [SPD]: Nein, muss nicht!)


Eigentlich habe ich mit der Kollegin Bulling-Schröter
gar kein Problem. Sie spricht meinen Dialekt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Was zusammen trinken!)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1807024200

Danke schön. Wir beide kommen ja aus Bayern. Sie

haben es gerade gesagt. – Ich bin über Ihre Ausführun-
gen ein bisschen erstaunt; denn die bayerische Wirt-
schaftsministerin, Frau Aigner, hat erst neulich in einer
großen bayerischen Zeitung gesagt, die Bayerische
Staatsregierung, vor allem die CSU, lehne unkonventio-
nelles Fracking insgesamt ab. Sie hat gesagt: Mit uns
wird es das nicht geben. – Ich sehe also schon einen Wi-
derspruch zwischen dem, was Sie erzählen, und dem,
was in Bayern in der Zeitung steht.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1807024300

Machen Sie sich keine Sorgen über das, was die Bay-

erische Staatsregierung in großer Einheit macht. Der
bayerische Ministerpräsident hat im Rahmen seines
China-Besuchs ganz deutlich formuliert, dass der Vor-
schlag, den die Frau Hendricks auf den Tisch gelegt hat,
ein guter, ein intelligenter Kompromiss ist und dass er
das Verbot, so wie es Bayern anstrebt, natürlich so aus-
gestaltet sehen möchte, wie ich es gerade eben beschrie-
ben habe, nämlich verbunden mit dem Vorbehalt, dass
man, wenn nichts mehr dagegen spreche, auch fracken
kann.

Ich kann Ihnen auch sagen, dass das, was ich vorhin
zu Forschung und Entwicklung gesagt habe, auch hier
gilt: Wenn Fracking im eigenen Land nicht mehr an-





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

wendbar sein sollte, dann muss man sich doch zumindest
die Option offenhalten, am Standort Deutschland zu for-
schen, zu entwickeln und dafür Sorge zu tragen, dass un-
ter anderen, besseren Konditionen in Zukunft im Aus-
land gefrackt wird. Das, was wir hier machen, nämlich
zu sagen: „Wir bleiben sauber; aber aus dem Ausland
importieren wir Gas, das dort unter schlechteren Bedin-
gungen gefrackt worden ist“, ist Ökokolonialismus der
schlimmsten Sorte. Deshalb ist das abzulehnen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen erneuerbare Energien! Das ist die Alternative zu Fracking!)


Wir müssen ganz klar dafür Sorge tragen, dass auch
da die Technik vorankommt. Zumindest das sollten Sie
uns zubilligen, und Sie sollten nicht ständig weiter
Denkverbote verhängen. Das steht einer Partei der Frei-
heit nämlich gar nicht an.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Freiheit für Fracking!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807024400

Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die

Kollegin Sylvia Kotting-Uhl.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1807024500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Vorbemerkung kann ich mir jetzt doch nicht ver-
kneifen: Dieses beständige Jammern über die Bildung
einer rot-rot-grünen Regierung in Thüringen, Herr
Nüßlein, hat wirklich mehr mit Phantomschmerzen über
den Verlust einer Regierung zu tun als mit berechtigten
Vorwürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ärger über eure fehlende Scham ist das! Bündnis 90/Die Grünen mit den Linken! Das ist doch blamabel!)


Frau Ministerin, ich will mit einem Punkt beginnen,
der sich nicht in Ihrem Haushalt, sondern im Haushalt
des Forschungsministeriums wiederfindet, bei dem Sie
aber durchaus eine gewichtige Rolle spielen. Nach Mei-
nung vieler gehört dieser Punkt eigentlich in den Haus-
halt Ihres Ministeriums. Ich meine den geplanten Export
der Jülicher Brennelemente zur Wiederaufarbeitung in
die USA. Dafür sind im Haushalt 65,5 Millionen Euro
eingestellt. Am Ende werden dafür womöglich 1 Mil-
liarde Euro anfallen; denn die Amerikaner wollen sich
den Bau und die Entwicklung der Anlage, die sie für die
Behandlung der Graphitbrennelemente brauchen, natür-
lich von uns bezahlen lassen.

Dieser Export wird damit begründet, dass der Jülicher
Reaktor ein Forschungsreaktor sei. Bei der IAEA wird er
als Leistungsreaktor geführt. Diesen Streit auszubreiten,
bringt irgendwie nicht viel. Es steht Gutachten gegen
Gutachten. Ich glaube, es geht im Kern um etwas ande-
res.
Ich spreche das in dieser Debatte und nicht in der über
den Forschungshaushalt an, weil ich glaube, dass Sie,
Frau Ministerin Hendricks, dafür ansprechbarer sind.
Wir haben im Juni letzten Jahres eine Bund-Länder-
Kommission zur Lagerung hoch radioaktiver Abfall-
stoffe eingesetzt. Diese Kommission arbeitet mit viel
Unterstützung durch das Bundesumweltministerium. Sie
hat viele Mitglieder, aus der Politik, aus den Landes-
regierungen, aus der Zivilgesellschaft, aus der Wissen-
schaft. Wir arbeiten ganz kleinteilig daran, das aufzu-
bauen, was am Ende für ein Endlager für hoch
radioaktiven Müll das Wichtigste in diesem Land ist,
nämlich Vertrauen. Das, was wir für den Vertrauensauf-
bau machen, akribisch und an ganz vielen Stellen, das
reißt die Bundesregierung mit diesem geplanten Export
mit einem Körperteil, den man hier im Parlament anstän-
digerweise nicht nennt, gerade wieder ein.

Ich bitte Sie, sich dafür einzusetzen, dass von dieser
falschen Haltung Abstand genommen wird.


(Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Frau Wanka, die zuständige Ministerin, hat bei ihrem
Besuch in der Kommission keinen Zweifel daran gelas-
sen, dass sie die Sensibilität für die Metabotschaft, die
dieser Export hat, nicht hat, dass sie nicht realisiert, wo-
rum es in der Kommission im Kern geht und was dieser
Export der Arbeit der Kommission antut.

Deswegen bitte ich Sie darum. Sie haben tatsächlich
auch eine Aufgabe in dieser ganzen Gemengelage; denn
ein Atommüllexport kann nur erlaubt werden, wenn Sie
als zuständige Ministerin die Gewähr dafür geben, dass
eine schadlose Verwertung oder eine sichere Endlage-
rung im Empfängerland gewährleistet ist. Sichere Endla-
gerung: Wo in den USA soll die stattfinden? Da sind die
USA nicht mal so weit wie wir; sie sind zurückgefallen.
Eine schadlose Verwertung kann eine Wiederaufarbei-
tung oder eine ähnliche Behandlung nun wirklich nicht
sein.

Zweites Thema – ich bleibe beim Atommüll –:
Schacht Konrad. Konrad war in den letzten Tagen indi-
rekt oder direkt von zwei Aufregernachrichten betroffen.
Zum einen geht es um die rostenden Atommüllfässer. Ja,
es sind längst mehr als das eine Atommüllfass in Bruns-
büttel vor zweieinhalb Jahren oder die über 100 Atom-
müllfässer in Brunsbüttel, von denen wir inzwischen
wissen; es sind 2 000. Ich war nicht begeistert, zu sehen,
dass das Bundesumweltministerium das nicht aufgelistet
hat, das nicht bei den Ländern abgefragt hat, sondern das
dem NDR überlassen hat. Aber immerhin, wir wissen es
jetzt.

Das heißt: Wir haben ein Problem. Diese Fässer – das
sage ich auch in Richtung der Linken – können nicht
ohne Ende oberirdisch in Zwischenlagern gelagert wer-
den. Sie brauchen ein Endlager. Dieses Endlager ist nach
jetziger Genehmigungslage Konrad.

Aber ich sage auch ganz klar: Eile und die Inbetrieb-
nahme eines Endlagers passen nicht zusammen. Das
wissen wir von der Asse; so haben wir die Asse bekom-
men. Um bei Konrad jetzt nicht Eile an den Tag zu le-





Sylvia Kotting-Uhl


(A) (C)



(D)(B)

gen, Zeitdruck und womöglich auch Kostendruck auszu-
üben, um, im Gegenteil, Bedenken auszuräumen, haben
wir vorgeschlagen oder gefordert, Konrad zu überprü-
fen, Konrad auf den Stand von Wissenschaft und Tech-
nik zu bringen, dem dieses Endlager, dieser Standort,
bisher nicht genügt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum anderen geht es bei Konrad um die Müllmengen;
das ist hier schon erwähnt worden. Ich finde, es gibt eine
zu lobende – ja, auch ich will da loben – neue Ehrlich-
keit im Bundesumweltministerium. Man redet endlich
von all den Abfällen und sagt: Alle die müssen in
Deutschland entsorgt werden, auch die aus der Uran-
anreicherung. – Die Urananreicherungsanlage, Frau
Hendricks, gehört übrigens in überschaubarer Zeit ge-
schlossen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wohin diese Müllmengen sollen – ob das Konrad sein
wird, ob das ein drittes Endlager sein wird, ob wir in der
Kommission sie mit für das zu suchende Endlager für
hoch radioaktiven Müll vorsehen sollen –, das können
wir heute nicht entscheiden. Aber was nicht geht – ich
bin sehr froh, dass ich Sie ein bisschen in dieser Rich-
tung verstanden habe; die vorherigen Botschaften aus
dem BMU und dem BMWi waren andere –, ist, nach ei-
ner Inbetriebnahme von Konrad diesen Müll im Zuge ei-
ner Erweiterung dort einzulagern. Da braucht es in der
Tat ein neues Planfeststellungsverfahren. Ich habe Sie so
verstanden. Da sind wir einer Meinung. Vielen Dank da-
für.

Vielen Dank für das Zuhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807024600

Nächste Rednerin ist für die Sozialdemokraten die

Kollegin Ulli Nissen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1807024700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin Berichterstatterin im Baubereich. Da
ist mir die Städtebauförderung ein besonderes Anliegen.
Wir haben dort als rot-schwarze Bundesregierung ein
deutliches Zeichen gesetzt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Rotschwarze Bundesregierung?)


Bereits im letzten Jahr haben wir die Mittel erheblich
aufgestockt. Das wird auch so bleiben. Für 2015 sind er-
neut 700 Millionen Euro vorgesehen.

Diese Mittel wecken anscheinend bei vielen Begehr-
lichkeiten. Auch hier im Parlament höre ich immer wie-
der: Da können wir doch die Mittel aus der Städtebauför-
derung nehmen. – Aber ich sage deutlich: Das Geld
geben wir nicht frei. Wir brauchen dieses Geld unter an-
derem für das Programm „Soziale Stadt“, um in Städten
und Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten wirklich et-
was zu machen.


(Beifall bei der SPD)


Also keine Chance, liebe Kollegen! Davon geben wir
nichts heraus.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Flüchtlinge gehören dazu, oder nicht?)


Weiteres im Haushalt ist mir wichtig. Dazu gehören
unter anderem die Mittel für den altersgerechten Umbau
von Wohnungen. Ich denke, die meisten von uns wollen
möglichst lange selbstbestimmt im gewohnten Umfeld
bleiben, und es ist gut, wenn wir die Voraussetzungen
dafür verbessern. Es ist gelungen, schon zum 1. Oktober
2014 das Zuschussprogramm wieder zu starten und
10 Millionen Euro dafür einzustellen. 2015 stehen etwa
12 Millionen Euro bereit, damit der altersgerechte Um-
bau von Wohnungen mit Zuschüssen gefördert werden
kann. Das ist gut, das ist richtig. Gerade ältere Menschen
wollen keine Darlehen mehr aufnehmen, oder Banken
verweigern wegen des Alters aus fadenscheinigen Grün-
den die Kreditaufnahme.

Der Bedarf an altersgerechten und barrierefreien
Wohnungen ist sehr hoch und steigt weiter. Prognos hat
errechnet, dass altersgerechter Umbau die staatlichen
Sozialsysteme jährlich um 3 Milliarden Euro entlasten
kann, wenn dadurch nur bei 15 Prozent der pflegebe-
dürftig werdenden Personen ein Umzug ins Heim ver-
mieden oder aufgeschoben werden kann. Eingespartes
Geld ist für viele das Argument; für mich ist aber das
Entscheidende, dass die Menschen in ihrem Umfeld
bleiben können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die internationalen Kriege und Konflikte führen
dazu, dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen
müssen und auf der Flucht sind. Es ist eine Selbstver-
ständlichkeit für uns Sozialdemokratinnen und Sozialde-
mokraten, dass wir Verfolgte bei uns herzlich willkom-
men heißen. Sie brauchen eine gute und adäquate
Unterkunft und Versorgung, damit sie sich bei uns zu
Hause fühlen. Ich bedanke mich bei den vielen Bürge-
rinnen und Bürgern, die die Flüchtlinge vor Ort betreuen
und eine tolle Integrationsarbeit leisten. Ihnen herzlichen
Dank!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Karsten Möring [CDU/CSU])


Flüchtlingspolitik ist aber auch eine nationale Auf-
gabe, und deshalb sind wir alle gefordert. Die Unterbrin-
gung von Flüchtlingen stellt viele Kommunen vor große
Herausforderungen. Gerade in Ballungsräumen wie mei-
nem Frankfurter Wahlkreis ist der Wohnungsmarkt ange-
spannt. Da ist die Unterbringung zum Teil sehr schwie-
rig. Wir haben deshalb im Baugesetzbuch Änderungen
vorgenommen, um den Kommunen die Unterbringung





Ulli Nissen


(A) (C)



(D)(B)

zu erleichtern. Das ist aber nur ein erster Schritt auf ei-
nem längeren Weg.

Auch in diesem Zusammenhang haben sich einige aus
unserem Ausschuss eine wichtige Frage gestellt: Wie
kann die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die
BImA, einbezogen werden? Dankenswerterweise haben
die Kollegen des Haushaltsausschusses in der Bereini-
gungssitzung einen Haushaltsvermerk eingefügt. Dieser
besagt, dass Grundstücke und Gebäude, die zur Unter-
bringung von Flüchtlingen dienen, mietfrei an Länder
und Gemeinden abgegeben werden können – eine große
Erleichterung für die Kommunen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Des Weiteren hat der Koalitionsausschuss an diesem
Dienstag festgestellt, dass der Bund die Länder und
Kommunen darüber hinaus unterstützen will. Ich bin
sehr froh, dass wir, die Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten, uns dafür einsetzen, dass sich der Bund an
den Kosten der Kommunen infolge der Zuwanderung
und Integration der Flüchtlinge mit bis zu 1 Milliarde
Euro beteiligt. Darüber bin ich sehr froh.


(Beifall bei der SPD)


Lieber Herr Hirte, Sie haben vorhin angedeutet, dass
es sich bei der Reduzierung des Ansatzes für das Wohn-
geld um 100 Millionen Euro letztlich nur um eine tech-
nisch bedingte Verschiebung handelt. Deshalb fände ich
es doch klasse, wenn wir die 100 Millionen Euro 2016
on top bekämen.

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807024800

Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege

Volkmar Vogel.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1807024900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines der
Kernelemente vernünftiger Umweltpolitik ist die Nach-
haltigkeit. Ich glaube, Nachhaltigkeit bedeutet nichts
weiter, als dass man zum Beispiel aus einem System nur
das entnimmt, was in vertretbaren Zeiträumen wieder
nachwächst.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wächst so viel Hirnschmalz wieder nach?)


Wenn wir heute hier die Haushaltsdebatte führen, dann
gilt eigentlich das Gleiche. Das heißt, wir sollten tatsäch-
lich nur das ausgeben, was wir auch sicher einnehmen.
Das ist uns mit diesem Haushalt gelungen. Ich denke,
das ist eine gute Gemeinsamkeit zwischen vernünftiger
Umweltpolitik und vernünftiger Haushaltspolitik. Vielen
Dank dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nachdem ich jetzt diese Gemeinsamkeit herausge-
stellt habe, fragt man sich natürlich auch: Welche Ge-
meinsamkeiten gibt es denn zwischen Umweltpolitik
und Baupolitik?


(Ulli Nissen [SPD]: Das fragen wir uns manchmal auch!)


Ein Jahr nachdem diese beiden Ressorts zusammenge-
legt worden sind, kann ich zumindest für meine Fraktion
sagen – ich glaube, unser Koalitionspartner wird uns da
bestätigen –: Es ist eine Zusammenlegung, die funktio-
niert; denn es gibt ein gutes Miteinander. Man bringt viel
Verständnis füreinander auf und trägt dafür Sorge, dass
die Zwänge, mit denen wir im Baubereich konfrontiert
sind, umweltpolitisch vernünftig begleitet werden.

Machen wir uns nichts vor: Bauen müssen wir auch
weiterhin.


(Zuruf von der SPD: Vollkommen richtig!)


Wir brauchen Bauland, wir brauchen Infrastruktur, und
wir brauchen Hochwasserschutz. Wir brauchen für all
das vernünftige Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen,
Freizeitangebote und vieles mehr. Wir müssen die Nut-
zungskonkurrenz auflösen, und sie kann nirgends besser
gelöst werden als in unserem Bereich, und zwar gemein-
sam mit der Landwirtschaft, deren Grundlage wir nicht
weiter einschränken dürfen. Die Grundlage der Land-
wirtschaft – wir hatten dieses Thema in der vorherigen
Debatte – sind Böden, die vernünftig bearbeitet werden
können.

Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen und
der wir uns stellen werden. Wir werden mit intelligenten
Lösungen dafür sorgen, dass die Flächeninanspruch-
nahme in einem vernünftigen Rahmen bleibt. Es gibt an
vielen Stellen Doppel- und Mehrfachnutzungen. Hier
könnte man die entsprechenden Bereiche intelligent mit-
einander verbinden, zum Beispiel den Hochwasser-
schutz mit der Landwirtschaft oder auch Ersatz- und
Ausgleichsmaßnahmen im innerstädtischen Bereich.

Ich habe von den für unseren Wohnungsbau so wich-
tigen Siedlungsflächen und der Ausweisung von Bau-
land gesprochen. Wohnungsbau hat nach marktwirt-
schaftlichen Grundsätzen zu funktionieren. Was passiert,
wenn das nicht so ist, sehen wir daran, was in 40 Jahren
DDR entstanden ist.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Thüringen ist da schuld!)


Wohnungsbau hat aber immer auch einen sozialen
Aspekt. Im Zusammenhang mit sozialen Fragen reden
wir immer nur über Rente oder Krankenversicherung.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Thüringen ist da schuld!)


Aber vernünftiger Wohnraum ist von genauso großer
Bedeutung. Bei all den Problemen, die wir haben, muss





Volkmar Vogel (Kleinsaara)



(A) (C)



(D)(B)

ich sagen: Wir haben in Deutschland im internationalen
Vergleich einen verdammt gut aufgestellten Wohnungs-
sektor. Das ist nicht nur unser Verdienst, sondern das ist
das Verdienst aller Akteure, die hier mit am Werk sind:


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Thüringen ist da schuld! Das liegt an Thüringen!)


Das geht bei der kommunalen Wohnungswirtschaft los
über die gewerblichen Immobilienbetreiber bis hin zu
den vielen Selbstnutzern, die darauf achten, dass ihr Ei-
gentum nicht an Wert verliert. Dabei müssen wir ihnen
helfen.

Kurzfristig ist es wichtig, dass wir das Bündnis für
bezahlbares Wohnen und Bauen zum Erfolg führen. Ich
sage ganz klar, dass wir mit dem Stand der Dinge nicht
zufrieden sind. Um es zu einem Erfolg zu führen, müs-
sen wir gemeinsam mehr Gas geben. Gerade in diesem
Bereich kommt es darauf an, den Neubau anzukurbeln,
für kostengünstiges Bauland zu sorgen und die Rahmen-
bedingungen zu verbessern.


(Beifall bei der SPD)


Es geht auch darum, die Baukosten im Griff zu behal-
ten. Bei den Baukosten kommt es vor allen Dingen da-
rauf an, dass wir die Bestimmungen des Ordnungsrechts
und des Baunebenrechts überprüfen und überlegen, ob
man unter Umständen Vereinfachungen vornehmen oder
zumindest im Rahmen eines Moratoriums zur Stabilisie-
rung beitragen kann.

Ebenso sind die Standards und Normen zu überprü-
fen. Ich muss an dieser Stelle kritisieren, dass das fast
immer außerhalb unserer Zuständigkeit geschieht, wir
aber die Festlegungen, die dort getroffen werden, hin-
nehmen und in unser Regelwerk einarbeiten müssen.
Das ist ein Punkt, an dem wir arbeiten müssen. Wir müs-
sen uns überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, die fachli-
che und auch die politische Beteiligung an diesem Pro-
zess zu verstärken.

Bei der Wohnungspolitik und der Baupolitik muss
man auch über Geld reden. Ich möchte an dieser Stelle
an die Länder appellieren, die vonseiten des Bundes bis
2019 jährlich 580 Millionen Euro Entflechtungsmittel
erhalten. Ein Problem, warum in verschiedenen Regio-
nen Wohnungsknappheit herrscht, ist, dass einige Län-
der, seit sie zuständig sind, also seit 2007, ihre Hausauf-
gaben nicht ordnungsgemäß gemacht haben. Sie haben
den Wohnungsbau und vor allem den sozialen Woh-
nungsbau vernachlässigt.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Ich appelliere an die Länder, die Zweckbindung der Mit-
tel einzuhalten und die Mittel entsprechend einzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Bund stellt sich seiner Verantwortung für den
Wohnungsbau auch mit seinen einzelnen Programmen
im Rahmen der Städtebauförderung. Hier stellen wir ins-
gesamt 700 Millionen Euro zur Verfügung, 50 Millionen
Euro davon für das Sonderprogramm für national be-
deutsame Projekte. Ich finde, es war richtig und wichtig,
dass wir im engen Kontakt die Bedingungen dafür fest-
gelegt und organisiert haben, in welcher Art und Weise
die Auswahl der einzelnen Projekte erfolgen soll, und
frühzeitig die Länder einbezogen und uns bestimmten
Themen gestellt haben, wie in diesem Fall jetzt dem
UNESCO-Weltkulturerbe.

Aber ich möchte auch an Maßnahmen zur Umsetzung
der „Grünen Stadt“ erinnern. Wir werden in den nächsten
Jahren sicherlich auch noch die Fragen der Energieeffi-
zienz und der energetischen Sanierung in den Mittelpunkt
rücken, genauso wie die familien- und kinderfreundliche
Stadt. Ich denke, das sind Themen, derer wir uns sinn-
voll annehmen sollten und die auch den einzelnen Le-
bensentwürfen entsprechen.

Bei der Städtebauförderung ist der Schwerpunkt ein-
deutig der demografische Wandel. Das betrifft auch die
Frage des altersgerechten Umbaus zu barrierearmem
Wohnen mit 12 Millionen Euro. Aber es ist eigentlich
nur ein Teil.


(Ulli Nissen [SPD]: Genau! Ja! – Weiterer Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Ein wesentlicher Teil sind aus unserer Sicht natürlich
auch alle Dinge, die im Zusammenhang mit den notwen-
digen Stadtumbaumaßnahmen stehen: dass man in den
Regionen, in denen Bevölkerungsrückgang und Leer-
stand zu verzeichnen sind, sinnvollerweise Wohnungen
vom Markt nimmt oder umgestaltet und damit das Quar-
tier als solches aufwertet.

Wir haben die Stadtumbauprogramme, die mit insge-
samt 200 Millionen Euro innerhalb der Städtebauförde-
rung den größten Investitionsteil unserer Programme
darstellen, im Zeitraum von 2005 bis 2009 evaluiert und
in der damaligen Großen Koalition bis 2016 auf den
Weg gebracht. Ich denke, es ist die Aufgabe dieser Gro-
ßen Koalition, diesen Stand zu evaluieren und Vor-
schläge zu machen, wie man das weiterentwickeln kann.
Aber wir werden es wahrscheinlich nicht mehr sein, die
es beschließen. Wir können es jedoch auf den Weg brin-
gen. Meiner Meinung nach kommt es darauf an, ein
Stadtanpassungsprogramm daraus zu entwickeln, das
mehr als bisher die Innenstädte umfasst und nicht nur
Wohnungen im Außenbereich vom Markt nimmt und
auch dafür Sorge trägt, dass die Aufwertung und die
Umgestaltung – und damit auch die Umgestaltung der
sozialen Infrastruktur – mehr in den Mittelpunkt rücken.
Damit bekommen wir lebenswerte Städte, in denen es
sich lohnt zu leben und in denen auch die sozialen Span-
nungen weit weniger ausgeprägt sind, als sie es wären,
wenn wir hier nicht mit den Möglichkeiten und Steue-
rungselementen, die wir haben, Einfluss nehmen.

Wir brauchen dazu die Länder und die Kommunen.
Das können wir als Bund nicht erledigen, und wir sind
auch nicht allein dafür verantwortlich. Es kommt darauf
an, dass es ein gutes Zusammenwirken gibt und die an-
stehende Evaluierung in den entsprechenden Lenkungs-
ausschüssen unter Beteiligung aller erfolgt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nichtsdesto-
trotz: Wenn wir über demografischen Wandel sprechen,
dann bedeutet das auch – das ist ein wesentlicher Teil des
Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen –, die





Volkmar Vogel (Kleinsaara)



(A) (C)



(D)(B)

Energiewende richtig zu machen. Das heißt, dass wir die
richtigen Maßnahmen treffen, um die Energieeinsparung
und damit die CO2-Minderung im Gebäudebereich zu
realisieren.

Wir haben dazu geeignete Mittel, die die Bundesre-
gierung demnächst auf den Weg bekommt, um die wahr-
scheinlich noch verbliebene Lücke zu schließen. Mit
dem Aktionsprogramm Klimaschutz und dem nationalen
Aktionsplan Energieeffizienz wird uns das gelingen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es steht aber nichts davon im Haushalt!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe große Po-
tenziale in diesem Bereich, vor allem auch bei der ener-
getischen Stadtsanierung. Bei der Sanierung im Quartier
gibt noch Potenziale, die es zu heben gilt und die wir
auch nutzen müssen. Ich bin froh, dass wir dafür 50 Mil-
lionen Euro im Haushalt vorgesehen haben. Ich denke,
neben der Sanierung im Quartier sollte man auch be-
rücksichtigen, dass viele Wohneigentumsgemeinschaf-
ten derzeit noch nicht in der Lage sind, gemeinsam die
notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Energie-
effizienz durchzuführen. Ich sehe eine einfache Mög-
lichkeit: dass man dieses Programm, ähnlich wie bei der
energetischen Stadtsanierung, in diesem Bereich erwei-
tert.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren,
700 Millionen Euro insgesamt allein in der Städte-
bauförderung, 1,5 Milliarden Euro im CO2-Gebäudesa-
nierungsprogramm und 300 Millionen Euro im Zu-
schussprogramm – das ist zum einen viel Geld. Das
bedeutet zum anderen Planungssicherheit, die wir allen
Akteuren geben müssen. Ebenso wollen wir ihnen die
Sicherheit geben, dass wir die einzelnen Bestimmungen,
die diesbezüglich vorliegen – zum Beispiel die EnEV,
zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz –,
nicht so maßgeblich ändern werden, dass keine Pla-
nungssicherheit für die nächsten Jahre besteht. Wir wol-
len Planungssicherheit. Wir wollen keine Verschärfung,
sondern wir wollen, dass diejenigen, die das umzusetzen
haben, sich danach richten und damit arbeiten können.

Lassen Sie mich zum Schluss aber Folgendes sagen:
Das sind alles Steuergelder. Es ist wichtig, auch privates
Kapital zu heben, und zwar mithilfe steuerlicher An-
reize.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Den Vorschlag, der bereits im Jahre 2011 einmal auf
dem Tisch lag, aber damals leider von den Ländern ab-
gelehnt wurde, sollten wir wieder aufgreifen. Er hilft, die
Sanierungsquote weiter zu verbessern. Insbesondere ist
es wichtig, dass sich die Länder daran beteiligen. Die
Länder, die sich selber ehrgeizige Ziele gesetzt haben,
zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, sollten auch hier ih-
ren Beitrag leisten.
Der Bund wird das mit dem vorliegenden Haushalt
2015 tun. Mit den Verpflichtungsermächtigungen ist
auch Planungssicherheit für die nächsten Jahre gegeben.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807025000

Nächster Redner ist der Kollege Michael Groß für die

Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1807025100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zwei Minuten sind tatsächlich und real weni-
ger als zwölf Minuten.


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich wollte dir schon ein Angebot machen und dich fra-
gen, ob du mir etwas abgibst. Nächstes Mal können wir
uns ja darüber unterhalten.


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Machen wir!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin nach diesem
Jahr sehr zufrieden mit meiner Ministerin. Ich kann nur
sagen: Sie hat viel erreicht. Vor allen Dingen stellt sie,
wie wir in ihrer Rede gehört haben, zwei Dinge in den
Mittelpunkt – den Menschen und die Umwelt. Dafür
kann man ihr nur danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das tut sie in einer Art und Weise, die sehr zielorientiert
ist und bei der letztendlich auch deutlich wird, dass es
auf Dialoge ankommt.

Das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen ist
für uns ein wichtiges politisches Instrument, um die
Menschen mitzunehmen, deren Wissen zu nutzen und zu
versuchen, sehr sensibel den schmalen Weg zwischen
Ordnungsrecht, Förderung und demjenigen, was jeder
leisten kann, zu gehen. Das ist der richtige Weg. Ich
danke Ihnen, Frau Ministerin Barbara Hendricks, dafür,
dass Sie diesen Weg gegangen sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genauso positiv ist, dass wir das Programm „Soziale
Stadt“ noch einmal stabilisiert haben. Beim Programm
„Nationale Projekte des Städtebaus“ handelt es sich um
ein ähnliches Instrument, das darauf setzt, dass wir die
Menschen überzeugen, auch beim Thema „Klima- und
Umweltschutz“. Die Menschen müssen davon überzeugt
sein, dass Energieeffizienz der richtige Weg ist und dass
man dafür natürlich auch selbst Geld in die Hand neh-





Michael Groß


(A) (C)



(D)(B)

men muss. Es ist nichts umsonst. Die Umwelt muss es
uns wert sein, dass wir auch dafür bezahlen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gestatten Sie mir noch zwei Sätze zur Vorbildfunk-
tion des Bundes und zum immer wieder erfolgenden
Verweis auf die Länder. Es ist äußerst wichtig, dass wir
endlich aufhören, mit dem Finger auf die Länder und
Städte zu zeigen. Der Bund muss Geld zur Verfügung
stellen, damit Länder und Städte nicht mehr gezwungen
sind, die Grunderwerbsteuer und die Grundsteuer zu er-
höhen.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt habe ich noch 20 Sekunden. Dann sage ich noch
etwas zur BImA. Die Bundesanstalt für Immobilienauf-
gaben muss Vorbild für die Wohnungswirtschaft sein.
Auch wenn wir Wohnungen verkaufen wollen, müssen
wir dafür sorgen, dass Städte und Gemeinden sie kaufen
können und den Menschen preiswert zur Verfügung stel-
len können. Das ist unsere Aufgabe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt danke ich Ihnen und wünsche Ihnen noch einen
schönen Abend. Glück auf! – Genau zwei Minuten.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807025200

Herr Kollege Groß, meinen Respekt! Was die Rede-

zeit betrifft, war das eine Punktlandung. Vielen Dank. –
Abschließender Redner zum Einzelplan 16 ist der Kol-
lege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU):
Rede ID: ID1807025300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Einer muss den Sack zubinden“, sagt man in der Lau-
sitz. Nach den vielen interessanten Reden, die wir heute
im Plenum zum Haushaltsplan 2015 verfolgen konnten,
möchte ich zum Schluss den Begriff „Natur- und Arten-
schutz“ in den Mund nehmen und mich nicht so sehr um
den Klimaschutz kümmern; denn ich denke, dass unser
Umweltministerium auf diesem Gebiet auch sehr viel zu
tun hat und sehr viel macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei
der Ministerin und den Staatssekretären, aber auch beim
BfN bedanken, die auf diesem Gebiet in den letzten Jah-
ren – so lange, wie ich das verfolgen kann – gute Arbeit
geleistet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die leitende Überschrift des Bundeshaushalts 2015
lautet: schwarze Null. Viele Redner haben gestern und
auch heute darauf hingewiesen, dass das nicht nur für
dieses Jahr, also für das Haushaltsjahr 2015, gilt, son-
dern dass das verstetigt werden muss. Das wird aus mei-
ner Sicht schwierig genug. Ich erinnere mich, dass ich
bei meiner Tätigkeit als Bürgermeister auch einmal drei
Jahre lang einen ausgeglichenen Haushalt auf den Tisch
legen und sogar anfangen konnte, Schulden zurückzu-
zahlen. Das ging drei Jahre lang gut. Dann kam die Neu-
ausrichtung der Energiepolitik in Deutschland im Jahr
2011. Das führte dazu, dass ein Viertel der Steuereinnah-
men innerhalb weniger Monate weggebrochen ist. Dann
hatten wir doch eine ganze Reihe von Problemen. Ich
hoffe nur, dass die wirtschaftliche Entwicklung, die ja
die Basis dafür legt, dass wir Geld ausgeben können,
auch in der Zukunft Bestand hat, damit die Ziele, die
sich Bundesminister Schäuble, die Bundesregierung und
wir alle uns gesetzt haben, auch erreicht werden.

Der Haushalt des Umweltministeriums wächst um
6 Prozent auf 3,9 Milliarden Euro. Mich freut es ganz
besonders, dass die Mittel für Maßnahmen im Rahmen
des Bundesprogramms „Biologische Vielfalt“ in Höhe
von 15 Millionen Euro, für Naturschutzgroßprojekte in
Höhe von 14 Millionen Euro und für Forschungsaufga-
ben im Bereich des Naturschutzes in Höhe von 16 Mil-
lionen Euro auf hohem Niveau verstetigt werden.

Dabei darf der Blick allerdings nicht nur auf den
Haushalt des BMUB gerichtet werden; denn ein beacht-
licher Teil der Anstrengungen Deutschlands im Bereich
des Natur- und Artenschutzes wird auf internationaler
Ebene auch durch das Bundesministerium für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung geleistet. So
werden im Einzelplan 23 im nächsten Jahr beinahe
175 Millionen Euro für die entwicklungswichtige multi-
laterale Hilfe zum weltweiten Umweltschutz, zur Erhal-
tung der Biodiversität und zum Klimaschutz bereitge-
stellt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Träger [SPD])


Überhaupt sind unsere Anstrengungen im internatio-
nalen Kontext beeindruckend. Im Haushalt des BMUB
ist die Internationale Klimaschutzinitiative hervorzuhe-
ben, die im kommenden Jahr mit fast 263 Millionen
Euro gezielt Klima- und Biodiversitätsprojekte in Ent-
wicklungs- und Schwellenländern sowie in den Trans-
formationsstaaten fördert. Diese beinhaltet Projekte wie
Renaturierung und nachhaltiges Management von Moo-
ren in der Ukraine, gemeindebasierte Schutzgebiete in
Ursprungsregionen des Wildkaffees in Äthiopien, Schutz
und Rehabilitierung von Küstenökosystemen auf den
Philippinen und im Korallendreieck oder die Stärkung
des Nationalparksystems in Südamerika.

Kurz noch etwas zum Thema Küstenökosysteme. Ich
glaube, einem großen Teil unserer Bürgerinnen und Bür-
ger ist nicht bewusst, wenn sie im Supermarkt im Kühl-
regal ein Paket Garnelen für 1,50 Euro oder weniger
kaufen, dass wir mittlerweile 25 Prozent unserer welt-
weiten Mangrovenwälder zerstört haben, um Aquakultu-
ren anzulegen, damit wir hier billig Krebstiere essen
können. Vor 20 oder 25 Jahren war das eine Rarität, die
man sich nur zu besonderen Anlässen geleistet hat. In-
zwischen kann man sich so etwas regelmäßig leisten, al-
lerdings mit den genannten Folgen.





Dr. Klaus-Peter Schulze


(A) (C)



(D)(B)

Bei der 12. Vertragsstaatenkonferenz und beim ersten
Treffen der Vertragsstaaten zum Nagoya-Protokoll in
Pjöngjang, an denen ich gemeinsam mit meinem Kolle-
gen Träger von den Sozialdemokraten teilnehmen konnte,
ist uns von vielen Ländern bestätigt worden, dass
Deutschland einen großen Einsatz im Bereich des Er-
halts der biologischen Vielfalt leistet. Das wurde dort lo-
bend erwähnt. Wir konnten uns davon überzeugen, dass
unser Ministerium gemeinsam mit Nichtregierungsorga-
nisationen wie dem NABU oder dem WWF hier einen
guten Job macht. Das findet auch entsprechende Aner-
kennung.

In vielen Bereichen des Natur- und Artenschutzes
gilt: Ohne Ehrenamt geht nichts. Auch bei der schon er-
wähnten Tagung war es so, dass hier ein internationales
Jugendnetzwerk zur Biodiversität mit 51 Organisationen
aus 86 Ländern mit über 350 000 Mitgliedern seine Pro-
jekte vorstellen konnte. Es freut mich ganz besonders,
dass unser Umweltministerium diese Netzwerkarbeit fi-
nanziell unterstützt. Ich wünsche mir, dass dieses Enga-
gement in den nächsten Jahren fortgesetzt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Bei der bloßen Bereitstellung der notwendigen finan-
ziellen Mittel darf es nicht bleiben; die Gelder müssen
nicht nur verwaltet werden, sondern auch wirtschaftlich
eingesetzt und in sinnvolle Projekte umgesetzt werden.
Das Bundesamt für Naturschutz ist für das Gros dieser
Aufgaben zuständig. Ich habe im August dieses Jahres
das BfN besucht und mir ein Bild von der Arbeit von
Professor Jessel und ihren Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern gemacht. 13 neue Planstellen gibt es im laufen-
den Haushaltsjahr, und für das nächste Haushaltsjahr
sind 7 neue Planstellen vorgesehen, um den größeren
Aufgabenbereich abdecken zu können. Ich wünsche mir,
dass diese positive personelle Entwicklung in dieser
wichtigen Behörde auch in den nächsten Jahren Bestand
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Über das Thema „Elefant und Nashorn“ hat der Kol-
lege Lemme gesprochen.


(Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Das war sehr gut!)


In Anbetracht der Zeit verzichte ich darauf.

Ich komme zum Schluss zum Zielkonflikt zwischen
Wirtschaft, Infrastrukturmaßnahmen, Natur- und Arten-
schutz. Beim Ausbau des Bereichs der erneuerbaren
Energien gibt es eine Kehrseite der Medaille. Ich erin-
nere nur an die großen Probleme mit der zunehmenden
Vermaisung. Als seinerzeit das Erneuerbare-Energien-
Gesetz beschlossen wurde, hat niemand an mögliche ne-
gative Auswirkungen des verstärkten Biomasseanbaus
gedacht.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die Große Koalition!)


So gab es keinerlei Studien zu diesem Thema. Ein ver-
mehrtes Artensterben durch Monokulturen, verstärkte
Nitrateingänge in unseren Gewässern usw. sind heute
unübersehbare Folgen. Frau Kollegin Höhn, ich habe
mich schlaugemacht und mir wurde bestätigt: Das ist
vorneweg nicht untersucht worden, zumindest laut Aus-
sage des Wissenschaftlichen Dienstes.

Unter Artenschutzgesichtspunkten sind die Offshore-
anlagen in der Nord- und Ostsee nicht nur Heilsbringer.
Vor allem der Bau der Windkraftanlagen im Meer beein-
flusst die sehr schallempfindliche Schweinswalpopula-
tion nachhaltig. Das macht den Experten viel mehr Sor-
gen als die derzeit von einigen Umweltaktivisten
lautstark und massiv bekämpfte Stellnetzfischerei an den
Küsten der Nord- und Ostsee. Auch hier gilt es, wie so
oft im Leben, mehr mit Augenmaß zu handeln und keine
Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Das war ein weiser Spruch zum Ende dieses Tages!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1807025400

Ich danke Ihnen auch und schließe damit die Ausspra-

che.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung.
Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor.

Zunächst stimmen wir ab über den Änderungsantrag
auf Drucksache 18/3306. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken bei Ent-
haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt
worden.

Wir kommen jetzt zu dem Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3307. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken bei Ent-
haltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.

Wir stimmen nun ab über den Einzelplan 16, und
zwar in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Damit ist der Einzelplan 16 mit den
Stimmen der Großen Koalition gegen die Stimmen der
Linken und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 28. November 2014,
9 Uhr, ein.

Kommen Sie alle gut erholt wieder.

Die Sitzung ist geschlossen.