Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich zur Tagesordnung komme, möchte ich dem Kollegen Freimut Duve im Namen des Hauses ganz herzlich zum 60. Geburtstag gratulieren, ihm alles Gute wünschen und für seine Arbeit danken.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997
- Drucksachen 13/5200, 13/5836 -
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
Der Bundesminister der Finanzen hat mir mitgeteilt, daß er akut erkrankt ist und heute nicht anwesend sein kann. Ich denke, wir wünschen ihm von hier aus gute Genesung und hoffen, daß er möglichst bald wieder hier sein kann.
Wir kommen zu den Einzelplänen und stimmen zunächst über drei Einzelpläne ab, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Einzelplan 01 auf:
Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksachen 13/6001, 13/6025 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Dr. Wolfgang Weng Antje Hermenau
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 01 bei Enthaltungen der Stimmen der Gruppe der PDS angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 02 auf:
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 13/6002, 13/6025 - Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth
Ina Albowitz
Rudolf Purps
Antje Hermenau
Wer stimmt für den Einzelplan 02 - das betrifft uns übrigens - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 02 bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 03 auf:
Bundesrat
- Drucksachen 13/6003, 13/6025 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein
Dr. Wolfgang Weng
Antje Hermenau
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 03 mit den Stimmen von den Fraktio'nen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Gruppe der PDS angenommen.
Ich rufe die Einzelpläne 08, 32, 60 und 20 auf: Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 13/6008, 13/6025 - Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Jürgen Koppelin
Susanne Jaffke
Oswald Metzger
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 13/6022 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Oswald Metzger Michael von Schmude
Dr. Wolfgang Weng Karl Diller
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 13/6024 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dankward Buwitt Dr. Wolfgang Weng Wilfried Seibel
Karl Diller
Oswald Metzger
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 13/6018, 13/6025 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Rudolf Purps
Dr. Wolfgang Weng Wilfried Seibel
Oswald Metzger
Zum Einzelplan 08 liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie der Gruppe der PDS vor.
Zum Einzelplan 32 haben die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen je einen Änderungsantrag eingebracht.
Zum Einzelplan 60 liegen ein Änderungsantrag der SPD, zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Änderungsantrag der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzki.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte zu Beginn meiner Rede dem erkrankten Bundesfinanzminister Theo Waigel gute Wünsche für eine baldige Genesung aussprechen. Ferner gelten meine guten Wünsche dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Helmut Wieczorek, der sich nach langer schwerer Krankheit auf dem Wege der Besserung befindet.
Nun zum Bundeshaushalt 1997: Auch in diesem Jahr ist es gelungen, die Haushaltsberatungen trotz zahlreicher schwieriger Einzelfragen mit einem überzeugenden Ergebnis termingerecht abzuschließen.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, hier gibt es ein Mißverständnis. Die Opposition sagt, in der zweiten Lesung fange sie immer an. Aber mir war das anders gemeldet. Können wir jetzt so verfahren?
- Danke. "Dann bitte ich darum, daß wir jetzt zuhören.
Unsere Haushaltsund Finanzpolitik gibt die richtigen Signale. Dazu kommen günstige ökonomische Daten, niedrige Zinsen, eine stabile D-Mark, moderate Lohnabschlüsse, anhaltende Preisstabilität mit einer Inflationsrate von gerade einmal 1,5 Prozent, eine weiterhin positive Entwicklung des Welthandels und der Weltkonjunktur, aufwärtszeigende Konjunkturindikatoren, eine anziehende Produktion und weiterhin gute Auslandsgeschäfte.
Die Kombination dieser aktuellen ökonomischen Daten mit dem Haushalt 1997 und dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung wird den Aufschwung verstärken und für nachhaltiges Wachstum sorgen.
Die Forschungsinstitute und der Sachverständigenrat bestätigen unsere Prognose eines Realwachstums 1997 von 2,5 Prozent.
Allen Kassandrarufen zum Trotz: Die Eckwerte des Regierungsentwurfs sind nicht nur gehalten, sondern verbessert worden. Die Gesamtausgaben belaufen sich auf 439,9 Milliarden DM und unterschreiten mit minus 2,5 Prozent deutlich das Soll des laufenden Jahres.
Stellt man dieses Ausgabenminus dem realen Wirtschaftswachstum gegenüber, setzt der Bundeshaushalt 1997 ein deutliches Zeichen für die Rückführung der Staatsquote auf das vor der Wiedervereinigung erreichte Niveau.
Trotz der zu verkraftenden Zusatzbelastungen bei den Steuern und den Arbeitsmarktaufwendungen reduziert sich die Nettokreditaufnahme auf 53,3 Milliarden DM. Die Investitionsausgaben liegen mit rund 59,5 Milliarden DM deutlich über der Nettokreditaufnahme. Die in Art. 115 des Grundgesetzes gesetzte Obergrenze für die Neuverschuldung wird damit klar und eindeutig unterschritten. Der Bund erbringt damit seinen Teil zur Erfüllung der Maastricht-Kriterien.
Die Beratungen im Finanzplanungsrat in der letzten Woche haben gezeigt, daß nicht nur der Bund, sondern auch die Länder insgesamt bei der Konsolidierung ihrer Budgets ihre Hausaufgaben machen. Die Zahlen des Finanzplanungsrates zeigen, daß Deutschland im Referenzjahr 1997 das Staatsdefizit bei etwa 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes halten wird. Damit ist ein Sicherheitsabstand zu der 3Prozent-Grenze eingehalten.
Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki
Einzelne Länder sind allerdings weiterhin in einer schwierigen Situation, so Bremen und das Saarland. Günstig entwickeln sich die Finanzen in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen. Ein negatives Signal gibt Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen. 1996 und 1997 gönnt man sich dort ein weit überdurchschnittliches Ausgabenwachstum.
Die aktuelle Steuerschätzung hat für die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden gegenüber der letzten Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres nochmals ein Minus von 10,3 Milliarden DM für 1997 ergeben. Gegenüber der Schätzung vom Mai 1995 liegt das Steuerminus allein beim Bund bei fast 35 Milliarden DM. Insgesamt werden die Steuereinnahmen des Bundes 1997 unter Berücksichtigung der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs in etwa auf dem Niveau von 1995 liegen.
Es mußten schmerzhafte Sparentscheidungen getroffen werden, um die zusätzlichen, allerdings unvermeidbaren Mehrbelastungen in der Größenordnung von rund 12,5 Milliarden DM gegenüber dem Regierungsentwurf auszugleichen. Es waren bei den Steuern 5 Milliarden DM, bei dem Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit 4,1 Milliarden DM, bei der Arbeitslosenhilfe 2,3 Milliarden DM und beim Rentenversicherungszuschuß 1,1 Milliarden DM zu verkraften. Das alles war an anderer Stelle auszugleichen.
Die Ressorts erbringen weitere Einsparungen in Höhe von 3 Milliarden DM. Die zusätzlichen Steuerausfälle werden durch zusätzliche Einnahmen bei der Verwertung von Immobilien, bei den Rückflüssen der BvS-Liquidationsdarlehen und durch Einnahmen aus Lizenzvergaben im Telekommunikationsbereich aufgefangen. Bei Zinsen und Gewährleistungen fallen deutlich geringere Ausgaben an.
Ich möchte etwas zur Strategie der Opposition sagen: Meine Damen und Herren von der Opposition, mit Ihrer unseriösen Diskussion um vermeintliche Fehlbeträge im Haushalt
haben Sie bislang nichts zur konkreten Lösung der aktuellen finanzpolitischen Probleme beigetragen.
Im Gegenteil: Ihre Obstruktionshaltung gegenüber unseren Konsolidierungsvorschlägen erweist sich zunehmend als ernster Standortnachteil
und ist gegen die Menschen in unserem Lande gerichtet.
Meine Damen und Herren von der Opposition, das hat Ihnen jetzt auch der Sachverständigenrat in seinem neuen Jahresgutachen ins politische Stammbuch geschrieben:
Die Opposition blockiere die dringend notwendigen Maßnahmen zur Haushaltssanierung und zur Senkung von Steuern und Abgaben.
Im Bundeshaushalt 1997 sind Einsparungen in Höhe von über 5 Milliarden DM unterstellt, für die der Bundestag die entsprechenden Gesetzentwürfe bereits beschlossen hat. Ich meine vor allem das Arbeitsförderungsreformgesetz und das Asylbewerberleistungsgesetz, das - das muß man hinzufügen - auch den Ländern Ersparnisse bringt. Sollte die SPD-Mehrheit im Bundesrat diese Gesetze trotzdem ablehnen, hat der Haushaltsauschuß Vorsorge getroffen.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben auf die finanzpolitischen Herausforderungen stets rasch und angemessen reagiert und im Rahmen der mittelfristigen Strategie Baustein für Baustein konsequent umgesetzt: Anfang dieses Jahres mit der Sperre gegen die sich abzeichnenden Mehrbelastungen im Haushalt 1996, im Frühjahr dieses Jahres mit dem Wachstums- und Beschäftigungsprogramm, das in großen Teilen am 13. September durchgesetzt wurde, im Frühjahr und Sommer mit den Entwürfen zum Haushalt 1997, dem Finanzplan bis 2000, dem Jahressteuergesetz 1997 und der Fortsetzung der Unternehmensteuerreform mit ihren wachstums- und beschäftigungsfördernden Elementen und schließlich mit den ergänzenden, defizitbegrenzenden Entscheidungen zum Haushalt 1997.
Trotz der Erfolge bei der Eingrenzung des Defizits haben die Haushaltsberatungen gezeigt: Eine nachhaltige und dauerhafte Konsolidierung der Staatsfinanzen ist ohne eine Fortsetzung der strukturellen Reformen nicht möglich. Dies gilt, wie der Sachverständigenrat zutreffend ausführt, sowohl für das Steuersystem und die sozialen Sicherungssysteme als auch für die Haushalte der Gebietskörperschaften.
Wir führen diese Strukturreformen mit der Fortsetzung der Gesundheitsreform und den in Kürze kommenden Vorschlägen zur Renten- und Steuerreform zügig weiter.
Mit 154 Milliarden DM entfällt mehr als ein Drittel der Bundesausgaben, nämlich 35 Prozent, auf den Sozialbereich. 1988 waren es lediglich 91,1 Milliarden DM oder rund 33 Prozent der Bundesausgaben. Damit wird ebenfalls deutlich, daß die Panikmache und das Gerede vom Zusammenbruch des Sozialstaats nicht nur unhaltbar, sondern unverantwortlich sind.
Sie machen den Menschen in unserem Lande Angst, statt ihnen die - ich gebe zu - manchmal unangenehme Wahrheit zu sagen.
Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki
Diese Feststellung beziehe ich auf die Aussagen über die Sozialausgaben, aber insbesondere auch auf die Rentendiskussion.
Der Bundeszuschuß an die Rentenversicherung erreicht 1997 eine Rekordhöhe. 1988 lagen die Zuschüsse noch bei rund 40 Milliarden DM. 1997 muß der Bund 87 Milliarden DM bereitstellen. Vor diesem Hintergrund ist es höchst unehrlich, den Bundeshaushalt als Zeugnis für eine soziale Kahlschlagpolitik heranzuziehen. Schon Martin Luther stellte fest,
daß eine Lüge wie ein Schneeball ist: Je länger man ihn wälzt, je größer wird er.
- Wer schreit, hat nicht immer recht, sondern meistens unrecht.
Die besorgniserregende Entwicklung der Sozialausgaben macht vielmehr überdeutlich, daß es höchste Zeit für die weitere Umsteuerung im System der staatlich finanzierten Sozialtransfers ist. Aber auch im Bewußtsein der Menschen muß sich etwas tun. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, daß die Menschen sehr viel vernünftiger und einsichtiger sind als manche Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.
Die OECD, der Sachverständigenrat und viele andere Expertengremien monieren ein im internationalen Vergleich sehr großzügiges Sozialsystem und sprechen sich deutlich für Veränderungen aus. Jeder Sozialstaat muß auf einer dauerhaften Finanzierungsbasis stehen. Diese Basis liefert eine florierende Wirtschaft. Daneben müssen die sozialen Sicherungssysteme effizienter ausgestaltet werden. Subsidiarität ist das Gebot der Stunde.
Lassen Sie mich noch einen Akzent zu den neuen Ländern setzen. Der Haushalt 1997 ist ein Spar- und Konsolidierungshaushalt. Im Vordergrund stehen allerdings weiterhin die Leistungen für den Aufbau in den neuen Ländern: 81 Milliarden DM Transferzahlungen im nächsten Jahr. Es bleibt im übrigen im vollen Umfang bei allen Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit", den jährlich 6,6 Milliarden DM zur Investitionsförderung, der besonderen Förderung der ostdeutschen Forschungslandschaft und der Beteiligung des Bundes an der Sicherung der Lehrstellenversorgung.
In der Steuerpolitik sollten wir jetzt gemeinsam die Kraft finden, die richtigen Weichenstellungen für den Standort Deutschland und damit für Wachstum und Arbeitsplätze vorzunehmen.
Das Vermittlungsverfahren zum Jahressteuergesetz 1997 hat begonnen. Die vom Vermittlungsausschuß eingesetzte Arbeitsgruppe hat erstmalig am Donnerstag letzter Woche getagt. Ein Blick auf den Kalender und auf die im Jahre 1996 noch verbleibenden Arbeitstage zeigt: Jetzt kann es nur noch um sachorientierte Arbeit gehen. Politischer Theaterdonner und Emotionalisierung der Bevölkerung haben keinen Platz mehr.
Die Vermögensteuer wird zum 1. Januar 1997 vollständig wegfallen. Daran ist nicht zu rütteln. Rund 60 Prozent der Vermögensteuer entfällt auf Betriebsvermögen. Diese im internationalen Standortwettbewerb schädliche Belastung des Eigenkapitals gipfelt bei uns in der Doppelbelastung der Anteilseigner.
Vermögensteuern sind damit Arbeitsplatz- und Eigenkapitalvernichtungssteuern.
Die von der SPD geforderte Beibehaltung einer privaten Vermögensteuer ist keine verhandlungsfähige Alternative. Dies würde bedeuten: Wir müßten die verwaltungs- und kostenintensive Vermögensteuer unmittelbar in den neuen Ländern einführen. Davon haben diese Länder nichts. Die Erhebung einer privaten Vermögensteuer kostet viel Geld, Zeit und Personal. Wir müßten uns zudem mit Abgrenzungsproblemen zwischen Betriebs- und Privatvermögen auseinandersetzen, mit Umgehungskonstruktionen der Steuerpflichtigen und entsprechenden Abwehrmaßnahmen der Steuerverwaltung.
Die in Verbindung mit dem Wegfall der Vermögensteuer vom. Bundestag am 7. November 1996 beschlossene Erhöhung der Erbschaftsteuer genügt nicht nur der sozialen Gerechtigkeit. Nein, sie ist auch aus Gründen der Steuervereinfachung die eindeutig bessere Alternative.
Auch die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform muß jetzt endlich verwirklicht werden.
Die Gemeinden wollen die damit einhergehende Reform der Gemeindefinanzen und ihre Beteiligung an der Mehrwertsteuer. Auch hier gilt: Die Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern endet am 31. Dezember dieses Jahres. Deshalb muß jetzt entschieden werden.
Meine Damen und Herren, meinen besonderen Dank möchte ich den Mitgliedern des Haushaltsausschusses sagen, die einmal mehr durch ihre sachorientierte und konstruktive Arbeit einen schlüssigen Bundeshaushalt möglich gemacht haben.
Die aktuellen, aber auch die mittel- und langfristigen Herausforderungen an die Finanz-, Wirtschafts-
Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki
und Sozialpolitik erfordern mehr denn je ein gemeinsames Vorgehen der politisch Verantwortlichen. Es geht im Kern um die Frage, ob Deutschland auch weiterhin die Kraft besitzt, sich den Veränderungen in der Weltwirtschaft anzupassen, die Fortsetzung des Aufholprozesses in Ostdeutschland zu gewährleisten, die Reformfähigkeit der Sozialsysteme zu beweisen, die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft in ganz Deutschland zu sichern und damit zugleich für mehr Beschäftigung zu sorgen. Die Bürger haben einen Anspruch darauf: Die Politik muß diese zentralen Fragestellungen für das 21. Jahrhundert nicht nur kontrovers debattieren, sondern richtige Lösungsansätze entwickeln und rechtzeitig umsetzen.
Ich appelliere an die Opposition: Beenden Sie Ihren strategischen Widerstand. Unterstützen Sie uns bei unserer Arbeit mit konstruktiven Vorschlägen.
Lassen Sie uns die Entscheidungen zum Bundeshaushalt, zu den Spargesetzen im Vermittlungsausschuß und zum Jahressteuergesetz 1997 ohne weitere Verzögerung treffen.
Ich danke der rechten Seite des Hauses für die Aufmerksamkeit. Von der linken Seite hätte ich mir gewünscht, daß es ein wenig leiser gewesen wäre. Aber dennoch: Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Karl Diller.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu meinem und, wie ich annehme, zum großen Bedauern aller ist der Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel heute wegen einer schweren Grippe nicht da. Ich möchte ihm von hier aus - ich nehme an, im Namen aller - unsere besten Genesungswünsche übermitteln. Der Streit mit ihm macht einfach viel mehr Spaß, wenn er persönlich anwesend ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein derartiges Chaos, ein solches Stolpern der Regierung Kohl von Haushaltsloch zu Haushaltsloch, ein derartiges Verwirrspiel von Ankündigungen, neuen Abgabenbelastungen, heute Steuersenkungen, morgen Steuererhöhungen und zwischendurch immer wieder einschneidende Rotstiftaktionen, ein derart stümperhaftes Regieren wie unter Kanzler Kohl ist dem Bundesbürger noch zu keiner Zeit zugemutet worden.
So lautet nicht nur das Urteil der Wochenzeitung „Die Zeit" .
Mit den vernichtenden Kommentaren über das chaotische Handeln der Regierungskoalition könnte man mühelos ganze Reden bestreiten.
Die Menschen haben das Vertrauen verloren, daß die Regierung Kohl jemals Arbeit schaffen, Gerechtigkeit gewährleisten oder Fortschritt ermöglichen könnte. Auf die Frage „Ist Kohls Sparpolitik gerecht?" haben 79 Prozent geantwortet:
Nein, sie ist ungerecht. Damit haben die Leute recht.
Die Bürgerinnen und Bürger spüren, daß die Regierung die Probleme des Landes, die Debatte über den Standort, die Lohnkosten und die Globalisierung ideologisch aufrüstet zu einem brutalen Verteilungskampf, in dem der normal verdienende Mitbürger der Verlierer ist.
Die Regierung Kohl verfährt mit Versprechen, Zusagen und Gesetzen nach dem Motto: Was kümmert uns unser Gesetz von gestern! Das geht von der Steuerlüge bis zum Kindergeld, von der Kohlepolitik bis zu den Pflegeinvestitionen Ost.
Wenn sie Zukunftsinvestitionen im Forschungs- und Bildungsetat zusammenstreicht, wenn sie Ungerechtigkeit produziert, indem sie den Arbeitslosen nimmt und gleichzeitig den Reichen die Vermögensteuer schenkt,
wenn sie in einem unfairen Bündnis mit den Arbeitgebern den sozialen Frieden gefährdet, dann verspielt sie die Einsicht der Menschen, daß Haushaltskonsolidierung notwendig ist.
Da mögen CDU und CSU noch so viele Parteikongresse unter das Motto „Zukunft" stellen.
Wahr ist: Deutschland hat unter Kanzler Kohl an Zukunftsfähigkeit eingebüßt.
Sie haben dem Land eine schwere Hypothek aufgebürdet: durch eine beispiellos hohe Arbeitslosigkeit, durch eine beispiellos hohe und sozial ungerechte Steuer- und Abgabenlast und durch eine beispiellos hohe Bundesschuld.
Die Haushaltsentwürfe der Regierung Kohl sind Flickwerk, weil sie systematisch die Wirtschaftsdaten schönt, die Risiken versteckt und die Etatlöcher leug-
Karl Diller
net, bis es nicht mehr geht, um sie in allerletzter Minute angeblich zu decken. Wenn die Haushaltslöcher dann, wie dieses Jahr, erneut aufbrechen, dann sind am Ende des Jahres die Schulden höher, als jemals zuvor geplant.
Heute läßt sich rückblickend feststellen: Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung, mit Blick auf den Arbeitsmarkt, mit Blick auf die Konsequenzen für die öffentlichen Finanzen die Lage vor einem Jahr realistisch eingeschätzt.
Der Waigel-Wisch vom letzten Herbst wird in die Annalen der deutschen Finanzgeschichte als das Liederlichste eingehen, was sich ein deutscher Finanzminister je geleistet hat, meine Damen und Herren.
Nachdem Waigel über Monate hinweg ein Loch von 20 Milliarden DM im Haushaltsentwurf 1996 leugnete, hat er schließlich versucht, es mit falschen Zahlen bei den Kosten für die Arbeitslosigkeit und mit Luftbuchungen für Privatisierungseinnahmen einfach wegzurechnen. Heute muß er eingestehen, daß er mindestens 13 Milliarden DM, also über 20 Prozent mehr Schulden machen wird als vom Parlament bewilligt.
Der Bundeshaushalt 1997 läuft nach dem gleichen Muster. Vor drei Monaten brachten Sie hier einen Haushaltsentwurf ein, der ein zweistelliges Milliardenloch aufwies. Unsere Forderung nach einer Ergänzungsvorlage lehnten Sie ab.
Das Haushaltsloch von 13 Milliarden DM - die Frau Staatssekretärin hat es gerade bestätigt - wurde erst am letzten Tag der Haushaltsberatungen durch eine wundersame Geldvermehrung scheinbar gestopft. Von Tricksereien dieser Art - die Einnahmen mal eben um 8 Milliarden DM höher schätzen, die Ausgaben um 5 Milliarden DM heruntersetzen und dann mit einer „Aktion Klingelbeutel" in jedem Ministerium noch einmal eine Minderausgabe von 3 Milliarden DM einsammeln - haben nicht nur wir, sondern auch viele in Ihren eigenen Reihen die Nase gestrichen voll.
Ihre Notoperationen in letzter Stunde leisten keinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung, sondern sind ein Sammelsurium von einem arbeitsmarktpolitischen Kahlschlag, der die Haushaltslöcher nicht wirklich schließt, sondern neue aufreißen wird, von einmaligen Einnahmen ohne nachhaltige Konsolidierung, von willkürlichen Änderungen von Schätzansätzen und von Lastenverschiebungen in die Zukunft wie das Verschieben von Zinszahlungen oder das Abkassieren bei Treuhandunternehmen. Weil das alles noch nicht reicht, flüchtet die Regierung Kohl in die Verhängung einer Minderausgabe von 3 000 Millionen DM.
Weder der Sachverständigenrat noch die Forschungsinstitute trauen Ihrer Behauptung, daß Sie mit dieser konzeptionslosen Finanzpolitik die Auflagen von Maastricht für den Beitritt zur Währungsunion erfüllen werden. Beide rechnen für 1997 mit einem Staatsdefizit von bis zu 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes; und rechnen können die allemal viel besser als Theo Waigel.
Die Behauptung, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, hatte der Bundesfinanzminister schon bei seinem Haushalt 1996 aufgestellt. Doch Theo Waigel hat 1995 und 1996 die Maastricht-Kriterien nicht eingehalten. Er erlebt eine Pleite auf der ganzen Linie.
Auf dem Parteitag der CSU sagte er, mit einem nationalen Kraftakt könne man dieses Ziel erreichen. Wieso Kraftakt? Die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie hatten Ihnen doch eine gemeinsame große Anstrengung, ein „Bündnis für Arbeit", angeboten. Es war ein schwerer Fehler der Regierung Kohl, dieses Bündnis nach den Landtagswahlen im Frühjahr aufzukündigen und statt dessen ein unfaires Bündnis mit den Arbeitgebern zu schließen.
Jetzt, wo die versprochenen Arbeitsplätze nicht geschaffen werden, der soziale Frieden gefährdet ist, beschimpfen Sie die Arbeitgeber. Ich bitte Sie: Wer wie Sie den Sozialstaat ausdünnt, der darf sich nicht wundern, wenn eine „Marktwirtschaft pur" übrigbleibt, in der die menschliche Arbeit nur noch ein Kostenfaktor ist.
Wieso Kraftakt? Die Regierung Kohl hat es seit der Unterzeichnung der Maastricht-Verträge 1992 versäumt, Deutschland für den Beitritt zur Europäischen Währungsunion fit zu machen. Bei Abschluß der Verträge im Jahre 1992 betrug die Nettokreditaufnahme des Bundes 38 Milliarden DM. Heute haben wir eine neue Übersicht über das jüngste Ergebnis bekommen: Jetzt ist die Nettokreditaufnahme mehr als doppelt so hoch.
Deshalb wollen Sie jetzt einen Crash-Kurs, der aber nicht in die konjunkturpolitische Landschaft paßt, weil die von Ihnen für 1997 beschlossenen Steuer- und Abgabenerhöhungen von 20 Milliarden DM, Ihre Kürzung der Investitionen um 7 Milliarden DM und Ihre Kürzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik um 10 Milliarden DM die schleppende Investitionskonjunktur weiter belasten. Wo sollen denn bei dieser Politik noch neue Arbeitsplätze entstehen können?
Karl Diller
Beim Start des europäischen Binnenmarktes 1992 hatten wir 14 Millionen Arbeitslose in Europa. Damals haben Sie den Binnenmarkt als Konjunkturmotor gepriesen. Europaweit haben wir heute 18 Millionen Arbeitslose. Deshalb warnen wir Sie: Nähren Sie nicht die Illusion, die Währungsunion sei ein Jobmotor. Die Chance der Union besteht darin, Europa im internationalen Wettbewerb zu stärken. Das ist eine Chance, aber keine Automatik für mehr Arbeitsplätze; denn gleichzeitig werden auch die letzten nationalen Schutzzäune im Binnenmarkt eingerissen, und die Konkurrenz innerhalb Europas wird härter.
Deshalb verlangen wir Sozialdemokraten, das Krebsübel der Arbeitslosigkeit durch eine abgestimmte europaweite Beschäftigungsinitiative zu bekämpfen,
damit die Europäische Währungsunion nicht ein Produkt des politischen Willens bleibt, sondern von der Zustimmung der Menschen getragen wird.
Wir halten daran fest, daß der Bundeshaushalt 1996 verfassungswidrig ist und für 1997 die gleiche Entwicklung droht. Der Bundesfinanzminister hat uns aufgefordert, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, vermutlich, weil er dort inzwischen sowieso dauernd auf der Anklagebank sitzt.
Für uns ist der Gang vor das Gericht die Ultima ratio, weil wir die politische Klärung hier im Parlament möchten. Sie behaupten, Art. 115 Grundgesetz gelte nur an dem Tag der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes, aber nicht im Haushaltsvollzug. Lassen Sie sich gesagt sein: Das Grundgesetz gilt nicht nur an einem Tag im Jahr, sondern an allen 365 Tagen des Jahres.
Wir wollen gesetzlich ausschließen, daß der Finanzminister mehr Kredite aufnimmt, als die Kreditermächtigung im Haushaltsplan erlaubt. Sollte die Koalition unseren Antrag zum Haushaltsgesetz in dieser Woche aber ablehnen, dann müssen wir das so verstehen, daß sich die Koalition damit den gleichen Verfassungsverstoß auch für 1997 vorbehält. Vor drei Monaten noch hat die F.D.P. diese Änderungen als notwendig angesehen. Die Partei, die sogar die Neuverschuldung im Grundgesetz verbieten will, hat also am Donnerstag dieser Woche Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen.
Wenn der Bundesfinanzminister sich bei der Maastricht-Grenze für die Neuverschuldung als Stabilitätsapostel in Europa ausgibt, zu Hause aber nicht einmal die Verfassung achtet, paßt das nicht zusammen.
Aus gutem Grund wird die Entscheidung über die Einhaltung der Maastricht-Kriterien im Frühjahr 1998 auf der Basis der Ist-Zahlen von 1997 und nicht auf der Grundlage geschönter Haushaltspläne entschieden. So ist es richtig, meine Damen und Herren.
Was in Europa die Maastricht-Grenze, ist hier Art. 115 Grundgesetz. Über die Einhaltung entscheiden nicht die Wunschzahlen Ihres Haushaltsplans, sondern das Ergebnis Ihrer Verschuldungspolitik. Jahr für Jahr hat Ihnen der Bundesrechnungshof das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1989 vorgehalten und gemahnt, „zu verhindern, daß sich ein stetig wachsender Schuldensockel bildet, der schließlich die Fähigkeit des Staatshaushaltes, auf die Probleme der Gegenwart und der Zukunft zu reagieren, in Frage stellt" . Sie haben die Mahnung des Bundesrechnungshofs in den Wind geschlagen. Jetzt müssen Sie 91 000 Millionen DM nur an Zinsen zahlen. Ihr Haushalt steckt damit in der Zinsfalle.
Erstmalig gelingt Ihnen selbst auf dem Papier Ihrer Finanzplanung kein Abbau der Neuverschuldung; denn bis 1999 wollen Sie 58 Milliarden DM mehr Schulden machen als bisher geplant. Trotzdem versprechen Sie für Ihre Einkommensteuerreform eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM. Die Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit haben Sie in Ihrer Finanzplanung wirklichkeitsfremd auf Null gesetzt. Die nächste Steuerschätzung wird neue Löcher in Ihre Planung reißen.
Weil schon heute in Ihrer Finanzplanung nichts mehr stimmt, fetzen Sie sich doch gerade in der Koalition, stellen Sie doch die schon veranschlagte Absenkung des Solidaritätszuschlags um zwei Punkte ab übernächstem Jahr wieder in Frage. Lassen Sie sich gesagt sein: Eine Steuersenkung auf Pump lehnen die Sozialdemokraten ab.
Die Finanzplanungen von CDU/CSU und F.D.P. sind Makulatur, weil Sie die aktive Arbeitsmarktpolitik herunterfahren und deshalb von den Kosten der steigenden Arbeitslosigkeit ständig überholt werden. Die Arbeitslosigkeit kostet den Staat pro Jahr 160 Milliarden DM. Nur wenn aus Leistungsempfängern wieder Beitragszahler werden, gelingt die Sanierung der öffentlichen Haushalte; denn pro 100 000 Arbeitslose, die wieder in Arbeit kommen, werden die öffentlichen Kassen um 4 Milliarden DM entlastet. Das muß das ehrgeizige Ziel der Politik sein.
Ihren Finanznotstand wollen Sie mit dem Vorwurf vernebeln, die SPD betreibe Blockadepolitik. Das ist finanzpolitischer Unsinn. Ihre Hysterie erklärt sich doch daraus, daß Ihre Rechnung nicht aufgegangen ist. Die Regierung Kohl hat die Standfestigkeit der Sozialdemokraten unterschätzt, nein zu Maßnahmen zu sagen, die beschäftigungspolitisch wirkungslos, sozial ungerecht und finanzpolitisch unsolide sind.
Karl Diller
Wir sind stolz darauf, daß wir den Familien ihren verfassungsrechtlichen Anspruch auf Kindergeld gesichert haben.
Es ist wichtig und richtig, daß wir verlangen, die Millionen ungeschützter 590-DM-Jobs in die Sozialversicherungspflicht einzubeziehen, und daß wir Sie daran hindern wollen, mit der Abschaffung der privaten Vermögensteuer auf Milliarden an Einnahmen zu verzichten.
Das erste Ziel einer neuen Politik muß deshalb sein: Arbeitslosigkeit bekämpfen, Arbeit schaffen. Das Programm der Regierung Kohl, das sich „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" nennt, ist in Wirklichkeit ein Programm zur Steigerung der Arbeitslosigkeit und der Staatsverschuldung.
Wie sieht denn Ihre bisherige Bilanz aus?
Erstens: Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sie wußten, daß 80 Prozent der Arbeitnehmer durch Tarifverträge geschützt sind. Dennoch entschieden Sie sich mit den Arbeitgebern für den Weg der Konfrontation, erst in der Metallindustrie, jetzt im Bankenbereich. Dieser Bereich ist ein geradezu klassischer Fall: Die Banken haben den niedrigsten Krankenstand und vergoldete Bilanzen, und dennoch wird weiter Personal abgebaut. Diese Konfrontation hinterläßt einen Scherbenhaufen, schafft aber keine neuen Arbeitsplätze. Das geht auf das Konto der Regierung Kohl.
Sie haben zweitens den Kündigungsschutz ausgehöhlt und befristete Arbeitsverträge zugelassen. Wo sind denn die 500 000 neuen Arbeitsplätze, die der Zentralverband des Deutschen Handwerks Ihnen für den Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten versprochen hat? Jetzt wollen 22 Prozent der Betriebe im Westen weiter Personal abbauen, weil die Binnennachfrage fehlt und weil die Aufträge der öffentlichen Hand fehlen. Das ist Ihr Versagen, Herr Bundeskanzler.
Drittens. Trotz Abbau von Arbeitnehmerschutz-rechten steigt die Flut der versicherungsfreien Jobs unter der 590-DM-Grenze auf weit über 3 Millionen. Die versprochene Umwandlung in reguläre Teilzeitarbeitsplätze läßt auf sich warten. Auch das ist ein Versagen der Regierung Kohl.
Viertens. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, in der Bauwirtschaft eine dauerhaft wirksame Entsenderichtlinie durchzusetzen, damit das Lohn- und Sozialdumping ein Ende hat.
Fünftens. Sie verweigern der Bundesanstalt für Arbeit im nächsten Jahr den notwendigen Zuschuß von 9,5 Milliarden DM. Fortbildungsmaßnahmen, Umschulungsmaßnahmen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden massenhaft gestrichen werden müssen;
noch höhere Arbeitslosigkeit ist die Folge. Weigern Sie sich wenigstens nicht länger, die 590-DM-Jobs sozialversicherungspflichtig zu machen. Dann hätten Sie die Milliarden, die Sie der Bundesanstalt jetzt zusätzlich streichen.
Bei Ihrem angeblichen Beschäftigungspakt ist doch Pleite auf der ganzen Linie zu konstatieren.
Wir Sozialdemokraten wollen eine andere Ausrichtung der Finanzpolitik. Wer Arbeit schaffen und nachhaltiges Wachstum fördern will, muß die ökologische Modernisierung der Wirtschaft anpacken. Das ist die Chance zum Strukturwandel in der Krise.
Unser Ziel heißt: Runter mit den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung um ein Drittel durch Entlastung von versicherungsfremden Leistungen. Das erhöht die Arbeitseinkommen,
senkt die Lohnnebenkosten und stärkt die Unternehmen und die Investitionen. Das heißt aber auch: aufkommensneutrale Umschichtung der Abgabenlast auf den Energieverbrauch, Abschaffung umweltschädlicher Steuersubventionen und Förderung ökologisch sinnvoller Investitionen wie durch das von uns vorgeschlagene Klimaschutzprogramm.
Diese Politik schafft zukunftssichere Arbeitsplätze im Bereich alternativer Energien, der Umwelttechnologie und umweltverträglicher Verkehrssysteme.
Der Bundesfinanzminister dagegen läuft in die falsche Richtung. Erst ließ er sich dazu erpressen, den Kohlepfennig durch eine falsche Haushaltsfinanzierung statt durch eine allgemeine Energiesteuer zu ersetzen.
Die Mineralölsteuer ist für ihn nur zum Stopfen seiner Haushaltslöcher gut. Mit der Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vor zwei Wochen vergab er erneut die Chance für eine ökologische Politik, weil man sich in der Koalition nicht auf einen Gesetzentwurf zur Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer einigen konnte.
Demnächst wollen Sie den Elektrizitätsmarkt in einer Weise liberalisieren, die eine ökologisch orientierte Energiepolitik benachteiligt und den Gemeinden nebenbei Einnahmeverluste von 3 000 Millionen DM jährlich bescheren wird. Bei der ökologischen Modernisierung versagen Sie damit auf der ganzen Linie.
Karl Diller
Arbeit schaffen ist die zentrale Aufgabe, vor allem auch in den neuen Ländern. Der Boom der ersten Jahre war eine Scheinblüte. Die wirtschaftliche Entwicklung im Osten droht 1997 erstmals hinter die im Westen zurückzufallen. Ihre Fehler, wie falscher Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung", mangelhafte Sanierungskonzepte, fehlende Absatzförderung, fehlender Marktzugang, sind kaum wiedergutzumachen. Das Konzept der Regierung Kohl bestand aus falschen Versprechungen und dem Glauben an den marktwirtschaftlichen Urknall. Damit ist sie gescheitert, wie Theo Waigel jetzt selbst eingesteht. Ich zitiere ihn aus einer Pressemitteilung von letzter Woche: „Die Entwicklung in Ostdeutschland ist besorgniserregend."
Wer von den hohen Transferleistungen an den Osten herunter will, muß dafür sorgen, daß die Menschen ihr Einkommen durch eigene Arbeit selbst erwirtschaften können.
Es ist richtig, daß eines der zentralen Probleme für den Aufbau Ost die tarifpolitischen Rahmenbedingungen sind. Aber was bietet die Regierung Kohl den ostdeutschen Arbeitnehmern an, wenn sie Lohnverzicht fordert, damit die Löhne nicht der Produktivität vorauseilen? - Nichts, absolut nichts. Weshalb haben Sie nicht schon längst unsere Forderungen aufgegriffen, die Arbeitnehmer am Produktivvermögen, an Gewinn und Kapital der Unternehmen zu beteiligen? Der Scheck auf die Zukunft muß für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern gedeckt sein. Wer heute Verzicht leistet, muß wissen, wofür.
Bis eine solche Strategie greift, dürfen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Beschäftigungsgesellschaften nicht zurückgeführt werden. Die von Ihnen vorgenommenen Kürzungen werden die Arbeitslosenzahl in den neuen Bundesländern um bis zu 300 000 erhöhen. Ihre Kürzungen lassen kommunale und kulturelle Leistungen wegbrechen und zerstören den sozialen Halt.
Das zweite Ziel einer neuen Politik muß sein, Gerechtigkeit zu gewährleisten. Wer jetzt den Bundeskanzler in einem Buch als Kanzler der Einheit feiert, der sollte gefälligst auch hineinschreiben, daß diese Einheit mit seiner Steuerlüge begann.
Ich zitiere:
Keine Steuererhöhung für die deutsche Einheit - diese Garantie kann Ihnen nur die Regierung Kohl geben.
Das haben die CDU/CSU und er selbst im November 1990 gesagt.
Seitdem kassierten Sie durch Erhöhungen ab: beim Solidarzuschlag 60 Milliarden DM, bei der Mineralölsteuer 81 Milliarden DM, bei der Tabaksteuer, der Kfz-Steuer und der Versicherungsteuer 30 Milliarden DM, bei der Mehrwertsteuer 40 Milliarden DM und an Beiträgen zur Arbeitslosen- und zur Rentenversicherung 170 Milliarden DM.
Die Regierung Kohl machte einen beispiellosen Beutezug durch die Taschen der Normalverdiener, die Wohlhabenden aber ließ sie weitgehend verschont.
1997 wollen Sie das fortsetzen. Gerade haben Theo Waigel und Norbert Blüm Steuer- und Abgabenerhöhungen von fast 20 Milliarden DM für 1997 beschlossen. Die Grunderwerbsteuer wird erhöht; das macht 3,5 Milliarden DM.
Das entspricht der Familienheimförderung für ein ganzes Jahr. Die Beiträge zur Rentenversicherung erhöhen Sie auf 20,3 Prozent; das macht 15 Milliarden DM. Diese Erhöhung der Lohnnebenkosten wird Arbeitsplätze kosten.
Der Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge wird nicht verhindert, sondern zusätzlich mit der Privatisierung des Krankheitsrisikos verknüpft.
Der Solidaritätszuschlag wird nicht wie versprochen abgesenkt. Das macht 3,6 Milliarden DM. Kaufkraft und Nachfrage werden damit geschwächt.
Beim Normalverdiener abkassieren und den Wohlhabenden die private Vermögensteuer schenken - das ist eine ökonomisch unsinnige und katastrophale Umverteilungspolitik, die weitere Arbeitsplätze kosten wird.
Wir Sozialdemokraten haben den Solidarpakt von 1993 nicht vergessen, bei dem wir der Regierung Kohl die Anhebung der privaten Vermögensteuer abtrotzen mußten, um die Gerechtigkeitslücke bei der Finanzierung der deutschen Einheit wenigstens ein bißchen zu schließen. Wer wie Sie drei Jahre später nichts mehr davon wissen will, der hat jedes Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren.
Wer Ihre Steuerpolitik der letzten Jahre kennt, dem kann vor der angekündigten großen Einkommensteuerreform nur angst und bange werden.
Karl Diller
Herr Schäuble hat im Sommer die Katze aus dem Sack gelassen. Ihm geht es um die Absenkung der Spitzenbelastung. Im unteren Bereich, so Schäuble, sei mit der Erhöhung des Grundfreibetrages und der Freistellung des Existenzminimums bereits genug getan.
Theo Waigel hat auf dem CSU-Kongreß sein Motto klar benannt: 35 Prozent Maximalbelastung statt 35Stunden-Woche - ein übles Wortspiel. Es heißt im Klartext: Die Arbeitnehmer sollen gefälligst mehr schuften, damit die Regierung Kohl Geld für die Absenkung des Spitzensteuersatzes hat; denn jeder Punkt Absenkung kostet den Staat 2 000 Millionen DM.
Wir Sozialdemokraten haben eine klare Alternative. Wir wollen eine aufkommensneutrale Steuerreform, die mehr Steuergerechtigkeit durch Entlastung der Normalverdiener mit mehr Steuervereinfachung verknüpft.
Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt:
Erstens. Absenkung des Eingangssteuersatzes auf 19,5 Prozent.
Zweitens. Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages auf 14 000 DM bei Ledigen und 28 000 DM bei Verheirateten.
Drittens. Beide Maßnahmen führen zu einer deutlichen Verbesserung für Normalverdiener. Da liegt unser Schwerpunkt. Wo der Spitzensteuersatz liegen kann, das hängt davon ab, worauf wir uns mit Ihnen beim Stopfen von Steuerschlupflöchern und beim Abbau von Steuersubventionen einigen können.
Viertens. Wir wollen diese Reform zum 1. Januar 1998 und nicht so spät wie Sie.
Unsere Eckwerte sind sozial gerecht, finanzpolitisch solide, ökonomisch vernünftig, weil die Massenkaufkraft dort gestärkt wird, wo es konjunkturell notwendig ist.
Zur Steuergerechtigkeit gehört, daß endlich mit der Umsetzung des von der SPD vorgeschlagenen Aktionsprogramms gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung begonnen wird. „Mißbrauch ist rechenbar", sagte Finanzminister Waigel im Haushaltsausschuß. - Stimmt; aber nicht nur bei
den Sozialleistungen, sondern genauso bei den Steuerhinterziehern mit den Nadelstreifen.
In einem ersten Schritt ließen sich Mehreinnahmen von 10 Milliarden DM erzielen, allein 5 Milliarden DM bei einer wirksamen Kontrolle der Besteuerung von Kapitaleinkünften. Packen Sie diese allseits bekannten Mißstände doch endlich einmal an, damit nicht auch noch die Moral des ehrlichen Steuerzahlers vor die Hunde geht. Es muß damit Schluß sein, daß bei Kohls und Waigels Steuerpolitik der Ehrliche weiter der Dumme ist.
Die letzte Steuerschätzung hat im übrigen gezeigt, daß sich die Steuereinnahmen vom Wirtschaftswachstum abkoppeln, weil unter der steuerlichen Überbelastung die Schwarzarbeit blüht, weil die Milliardenverschwendung über Abschreibungsmodelle die Steuereinnahmen zum Lotteriespiel macht, weil Konzerne ihre Gewinne ins Ausland verlagern, weil die Regierung Kohl das deutsche Steuersystem in ein Steuerchaos verwandelt hat.
Ihr Steuerdschungel ist zu einem entscheidenden Hindernis für Wachstum und Beschäftigung geworden.
Keiner durchschaut mehr das Steuersystem. Auf nichts ist mehr Verlaß. Wie soll ein mittelständisches Unternehmen denn da noch planen können?
Zu den Gewinnverlagerungen ins Ausland hat der Bundespräsident kürzlich gemahnt - ich zitiere -:
Ein Unternehmen, das in Deutschland seine Produktionsstätten, seine Arbeitsplätze abbaut und fast keine Steuer bezahlt, das kann in seinem Namen noch so oft das Wort „deutsch" haben; das erkenne ich nicht mehr als deutsches Unternehmen.
Soweit der Bundespräsident.
- Recht hat er. Denn es kann nicht gutgehen, wenn einerseits die gestiegenen Unternehmensgewinne ins Ausland verlagert werden und andererseits der deutsche Steuerzahler diesen Unternehmen die hervorragende Infrastruktur Deutschlands quasi zum Nulltarif bereitstellen soll.
Der Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes hat jüngst darauf hingewiesen, daß es den Großbanken im Zuge der Globalisierung gelungen ist, ihre Ertragsteuer im Jahre 1995 auf nur noch 800 Millionen DM zu drücken.
Karl Diller
Demgegenüber hatten die ortsgebundenen Sparkassen
bei etwa gleichem Bilanzvolumen das Zehnfache an Steuern zu zahlen.
Diese Praktiken schädigen nicht nur den Staat, sondern auch die mittelständische Wirtschaft.
Wettbewerbsverzerrungen und Arbeitsplatzverluste sind die Folge. Dieses Problem ist nicht durch einen Steuersenkungswettlauf in Europa zu lösen. Wann kommt endlich die Steuerinitiative der Regierung Kohl auf europäischer Ebene?
Zur Gerechtigkeit gehört, die Lage der Familien zu verbessern. Selbst gutverdienende Familien müssen heute mit dem Geld knausern, weil ihr reales Nettoeinkommen nach 14 Jahren Kohl auf den Stand von 1980 zurückgefallen ist - 1980! Wir Sozialdemokraten haben einen finanziell gedeckten Antrag zur Aufstockung des Erziehungsgeldes um 500 Millionen DM gestellt, weil wir mit einer grundlegenden Reform des entsprechenden Gesetzes die Erziehungsleistung der Familien anerkennen, fördern und gleichzeitig etwas ökonomisch Vernünftiges tun wollen.
Daß die F.D.P. vorgeschlagen hat, ausgerechnet beim Erziehungsgeld zu streichen, aber das steuerliche Dienstmädchenprivileg ausweiten will,
ist knallharte Klientelpolitik zugunsten der Besserverdienenden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der F.D.P., zu Ihrer schamlosen Art der Klientelpolitik
sagte kürzlich jemand aus Ihren eigenen Reihen - ich zitiere -:
Das ist einfach für mich unerträglich, weil ich finde, eine politische Partei wie die F.D.P. hat eine Verantwortung für das Ganze und nicht nur für ihre eigene Position und nicht nur für den eigenen Machterhalt.
Das sagte Frau Hamm-Brücher, die Sie vor zweieinhalb Jahren noch als Bundespräsidentin vorgeschlagen haben. Wer von Ihnen noch nicht endgültig auf der „Westerwelle" schwimmt, dem muß das doch in den Ohren klingeln.
Ein weiteres Ziel der neuen Politik muß sein, Fortschritt zu ermöglichen. Unser Land braucht einen neuen Aufbruch für technischen Fortschritt und Innovation.
Nur so können wir Wohlstand und Arbeit sichern. Wenn diese Bundesregierung seit Jahren eine Standortdebatte führt und gleichzeitig den Anteil des Forschungs- und Technologiehaushalts an den Bundesausgaben um ein Drittel auf nur noch 3,4 Prozent herunterfährt, dann ist offensichtlich, daß ihr jedes Konzept für Zukunftssicherung fehlt.
Die verhängte Minderausgabe von 366 Millionen DM zwingt zu einer weiteren Kürzung der Projektförderung in Schlüsselbereichen wie Lasertechnik, erneuerbare Energien, Ökologie, Klimaforschung.
Das ist der forschungspolitische Offenbarungseid dieser Bundesregierung.
Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verlangt langfristig angelegte Strategien der Forschungspolitik, finanziell abgesichert. Deshalb verlangen wir, künftig die Einnahmen aus der Privatisierung von Bundesvermögen in einem Fonds zur Förderung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu binden, genauso wie wir es bei der Privatisierung der Salzgitter AG gemeinsam gemacht haben, deren Erlös heute das Kapital für die Bundesumweltstiftung bildet. Wir wollen, daß mit diesem Geld künftig nicht mehr Haushaltslöcher gestopft werden, sondern daß es zur Finanzierung von Innovation und Modernisierung dient.
Die Regierung Kohl hat die Förderung von Forschung und Entwicklung nicht nur zurückgefahren, sondern auch in eine Schieflage gebracht. Davon sind insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe betroffen. Wer wie die Bundesregierung steuerliche Abschreibungsmodelle für Beteiligungen - hören Sie gut zu! - an in Korea und Taiwan gebauten Containerschiffen günstiger ausgestaltet als die Beteiligung an jungen Technologieunternehmen in Deutschland, der weiß nicht, wo die Schwerpunkte in diesem Land liegen müssen, und tut zuwenig für die Bereitstellung von Risikokapital.
Ein Land ist nicht fortschrittsfähig, wenn es nicht mehr in der Lage ist, seiner Jugend eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen. Die Politik des Bundeskanzlers - Selbstverpflichtung der Wirtschaft - ist gescheitert. Sie haben diesen Mißständen lange genug tatenlos zugesehen. Wir werden Druck machen und dafür sorgen, daß endlich gehandelt wird.
Es kann nicht länger hingenommen werden, daß die kleinen und mittleren Betriebe die Hauptlast der Ausbildung tragen, während sich Großbetriebe zurückziehen. Wir brauchen ein solidarisches Aus-
Karl Diller
gleichssystem - am besten freiwillig auf Branchenebene, ansonsten auf gesetzlicher Basis -, um die finanziellen Lasten zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben gerecht zu verteilen. Es muß mit dem Skandal Schluß sein, daß alljährlich Tausende von jungen Leuten zusammen mit ihren Eltern um einen Ausbildungsplatz bangen müssen.
Die Regierung Kohl hat unser Land in eine tiefe Krise geführt. Die Chaoswochen von Bonn haben bewiesen: Diese Regierung hat abgewirtschaftet und ist zu einem politischen Neuanfang nicht in der Lage.
Der falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung Kohl stellen die Sozialdemokraten klare Alternativen entgegen. Wir wollen eine Reformpolitik, die die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft erneuert, ohne den sozialen Zusammenhalt zu zerstören. Dabei lassen wir uns von folgenden Zielen leiten: Arbeit schaffen, Gerechtigkeit gewährleisten und Fortschritt ermöglichen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Adolf Roth.
Adolf Roth (CDU/CSU) (von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zweite und dritte Lesung des Bundeshaushalts 1997 in dieser Woche bringt ein ohne Zweifel schwieliges Kapitel deutscher Etatpolitik zu einem vernünftigen parlamentarischen Abschluß.
Wenn ich meinen Eindruck von der Rede des Kollegen Diller zusammenfassen soll, dann möchte ich feststellen: Sie sind offenbar mit dem Ergebnis dieser Haushaltsberatung nicht ganz fertiggeworden. Sie hätten es lieber in der Nähe der von Ihnen immer wieder suggestiv beschriebenen Katastrophe gesehen, aber die ist nicht eingetreten.
Wenn das die gnadenlose Abrechnung gewesen sein soll, muß ich sagen: Vielleicht hat die alerte Juso-Bundeschefin Nahles mit ihrer Einschätzung beim gestrigen Sonderparteitag der SPD recht,
daß die höchste Finesse, zu der sozialdemokratische Oppositionspolitik heute fähig ist, die Anrufung des Vermittlungsausschusses ist.
Jedenfalls ist mit den Entscheidungen, die der Haushaltsausschuß in der Nacht zum 15. November getroffen hat, Klarheit geschaffen worden, und es ist ein tragfähiger Haushalt für 1997 zustande gekommen. Die überzeugende ruhige, sachorientierte Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin Karwatzki hat deutlich gemacht, was in dieser fünfwöchigen Beratungsphase im Ausschuß zustande gekommen ist. Aber ich räume freimütig ein, daß in dieser Zeit die zuweilen dissonante Begleitmusik aus den Reihen der Regierungskoalition selbst gelegentlich für mehr Zündstoff gesorgt hat als manche Attacken der SPD, die wirkungslos verpufft sind. Aber das Ganze ist nun Gott sei Dank vorbei.
Was zählt, ist das Ergebnis. Jetzt ist die Stunde einer nüchternen Bilanz, die nach meiner Einschätzung so aussieht: Erstens. Die Haushaltslage bleibt angespannt, aber die Koalition hat für 1997 die festgelegten Haushaltseckwerte vollständig eingehalten und die politischen Ziele durchgesetzt. Zweitens. Der Bund bleibt mit seiner Budgetierung klar innerhalb der verfassungsrechtlichen Kriterien. Drittens. Wir haben die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr um 11 Milliarden DM oder 2,5 Prozent abgesenkt und damit den Sparkurs unter schwierigsten Bedingungen durchgesetzt. Das hat es in dieser Größenordnung überhaupt noch nicht gegeben.
Viertens. Eine Flucht in höhere Steuern oder zusätzliche Verschuldung findet mit dieser Koalition nicht statt. Fünftens. Der Haushalt paßt in die konjunkturpolitische Landschaft. Er ist stabilitätsgerecht, und er schafft Vertrauen für mehr Wachstum und Beschäftigung. - Meine Damen und Herren, dieses Ergebnis ist weit besser, als die Krisenpropheten und Defizitastrologen der Opposition vorausgesagt haben. - Aber er ist noch lange nicht gut genug, um Entwarnung an der Sparfront zu verkünden.
Unsere politische Devise bleibt: Wir werden auf Jahre hin eine Politik der Haushaltskonsolidierung mit langem Atem betreiben müssen. Dies ist die Politik, die gleichermaßen auf wirtschaftliche Besserung und Abgabenentlastung angelegt ist.
Wir wußten, daß 1997 das schwierigste Haushaltsjahr dieser 13. Wahlperiode sein würde. Wir haben uns diesen Herausforderungen gestellt und nicht kapituliert.
Bevor ich auf Einzelheiten eingehe, möchte ich gern die Gelegenheit wahrnehmen, dem leider noch immer erkrankten, aber in der Bereinigungssitzung schon wieder frisch und motiviert anwesend gewesenen Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem sozialdemokratischen Kollegen Wieczorek, meine besten Grüße und Wünsche für weitere Genesung auszusprechen.
Adolf Roth
Ich schließe den akut erkrankten Bundesfinanzminister in diese Wünsche natürlich gern mit ein.
Meine Damen und Herren, mein Dank gilt auch dem amtierenden Ausschußvorsitzenden, dem Kollegen Kurt Rossmanith, der die Haushaltsberatungen gut geführt und souverän gemeistert hat.
Ich möchte in diesen Dank auch alle meine Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der F.D.P., insbesondere den Sprecher der F.D.P., Dr. Wolfgang Weng, einbeziehen, aber auch alle Mitarbeiter in den Fraktionen und Arbeitsgruppen und im Ministerium.
Zu unserem guten Ton gehört es natürlich auch, daß wir den Dank auf die Kolleginnen und Kollegen der Opposition ausdehnen. Sie haben uns mit ihrer Kritik wie immer beflügelt, und sparsam sind sie auch gewesen, zumindest mit eigenen Vorschlägen zur Haushaltskonsolidierung.
Wir haben unsere im September festgelegte Marschroute einhalten können, weil wir die tatsächlichen Risiken von Anfang an in Rechnung gestellt und zur Grundlage unserer Entscheidung gemacht haben. Nach dem strikten Haushaltsbewirtschaftungskurs im Jahresverlauf 1996 und dem bereits äußerst eng geschneiderten Regierungsentwurf vor der Sommerpause war es natürlich eine extreme Herausforderung, daß wir durch die Entwicklung bei den Steuern und bei den Arbeitsmarktausgaben eine zusätzliche Belastung seit September von nicht weniger als 12,5 Milliarden DM oder 3 Prozent unseres Bundeshaushaltsvolumens zu verkraften hatten. Wir haben dennoch mit der abermaligen Absenkung der Bundesausgaben, diesmal um 2,5 Prozent, unsere Entschlossenheit zur weiteren Rückführung der Staatsquote demonstrieren und unterstreichen können. Es muß immer und immer wiederholt werden: Es gibt hierzu nur einen Weg, und der lautet: sparen, sparen, sparen! Wir müssen weniger Geld ausgeben, Umschichtungen genügen nicht. Steuererhöhungen führen in die Irre. Auch die Umlagen, die die SPD gestern wieder ins Gespräch gebracht hat, sind angesichts der gegenwärtigen Haushaltssituation nicht der richtige Kurs. Wir müssen konsequent bei der Konsolidierungspolitik bleiben.
Deshalb gilt für uns: Kleine Schritte, die tatsächlich getan werden, sind allemal besser als große Schritte, die man nur diskutiert oder plant.
Diese Schritte schlagen sich in der konkreten Entwicklung des Haushalts nieder. Der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt geht 1997 auf
12 Prozent zurück. Er hat im Jahr 1995 noch 13,4 Prozent betragen und im laufenden Jahr im Haushaltssoll bei 12,7 Prozent gelegen. Also in der eingeschlagenen Richtung ein erheblicher Fortschritt!
Wir haben bei den Gesamtausgaben von 439,9 Milliarden DM und den investiven Ausgaben von 59,6 Milliarden DM eine Nettokreditaufnahme von 53,3 Milliarden DM bewilligt. Dies ist eine Unterschreitung des Regierungsansatzes um 3,2 Milliarden DM. Wir haben damit den Abstand zwischen Investitionen und Nettokreditaufnahme auf über 6 Milliarden DM ausgeweitet und sind mit Blick auf die Verfassungsnorm des Art. 115 des Grundgesetzes eindeutig auf der sicheren Seite. Der Bund hat damit gleichzeitig seinen Beitrag zur Erfüllung des Maastrichter Defizitkriteriums von höchstens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erbracht.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftlichen Erwartungen für das kommende Jahr haben sich merklich verbessert. Das erklären sowohl die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute m ihrem Herbstgutachten als auch der Sachverständigenrat. Sie erwarten gleichermaßen ein reales Wirtschaftswachstum der deutschen Volkswirtschaft von 2,5 Prozent im nächsten Jahr.
Bei allem Zweifel darf man nicht vergessen, Herr Kollege Fischer: Wir haben in Deutschland derzeit die stabilsten Preise seit Menschengedenken. Wir haben die niedrigsten Zinsen. Wir haben steigende Kapazitätsauslastungen. Wir haben die Aufwertung bei der Deutschen Mark zurückbilden können. Die Exportaussichten sind gut. Das alles sind positive Signale und Rahmenbedingungen.
Was nicht gut ist und was dieser Entwicklung noch nicht folgt, ist die Wende am Arbeitsmarkt, das heißt die Wende zu mehr Beschäftigung auf rentablen Arbeitsplätzen. Dies erzwingt einen Bundeszuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 4,1 Milliarden DM im kommenden Jahr. Wir wissen alle, daß dies in der Tat eine enge Veranschlagung ist. Aber auch hier gilt: Die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit darf und wird von den erforderlichen Einsparungen nicht ausgenommen werden. Die in der vergangenen Woche von der Selbstverwaltung mit knapper Mehrheit getroffenen Entscheidungen zum Haushalt der Bundesanstalt für 1997 werden in dieser Höhe keinen Bestand haben können,
und sie machen Genehmigungsauflagen im weiteren Haushaltsverfahren erforderlich.
An dieser Stelle möchte ich wirklich einmal in Erinnerung rufen, daß in den letzten sechs Jahren in vier Jahren der bewilligte Bundeszuschuß für die Bundes-
Adolf Roth
anstalt in Nürnberg im Ist-Ergebnis unterschritten wurde. Er wurde nicht benötigt. Nur in zwei Jahren gab es eine Abweichung nach oben.
Die sicherlich krasseste Abweichung war vor genau einem Jahr, als die damalige Vorsitzende des Vorstandes dieser Selbstverwaltungsorganisation, Frau Engelen-Kefer, eine Anforderung an den Bundeshaushalt von 14,8 Milliarden DM gestellt hatte, dieser Zuschuß aber durch die parlamentarische Bewilligung deutlich unterschritten wurde, nämlich auf 8 Milliarden DM, und am Ende nur 6,9 Milliarden DM abgerufen werden mußten. Das zeigt, daß es überhaupt keine Treffsicherheit gibt, es sei denn, eine engagierte, gute Politik für den Arbeitsmarkt, an der wir für das nächste Jahr gemeinsam arbeiten wollen.
Die Arbeitslosenhilfe und die Aufwendungen für die produktive Arbeitsförderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz werden im nächsten Jahr um insgesamt 2,3 Milliarden DM erhöht. Bei der Arbeitslosenhilfe ist damit erneut ein Ansatz von 17,8 Milliarden DM eingeplant. Auch die vom Kabinett beschlossene Erhöhung der Rentenbeiträge bedeutet für den Bundeshaushalt einen Mehraufwand von 1,1 Milliarden DM. Insgesamt erhöhen sich damit die Bundesleistungen für die Rentenversicherung - Frau Staatssekretärin hat vorhin darauf hingewiesen - in diesem Haushalt um weitere 6 Milliarden DM auf mittlerweile 87 Milliarden DM. Das sage ich all denen, die ständig danach rufen, es müßten versicherungsfremde Leistungen stärker vom Bundeshaushalt erbracht werden. Dies ist eine gewaltige Leistung, die hier haushaltspolitisch abgewickelt wird.
Wenn man die Mehraufwendungen im Haushaltsverfahren zusammenrechnet, hat der Bund 7,5 Mil-harden DM höhere Sozialausgaben zu verkraften. Von dem immer wieder behaupteten Sozialabbau oder vom sozialen Kahlschlag bleibt damit nichts übrig. Das ist eine demagogische Parole der Opposition, die vollständig in sich zusammenfällt. Auch der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten treffend bemerkt:
Völlig unangemessen wäre es, von „sozialer Demontage" oder „Aufkündigung des sozialen Konsens" zu reden.
Wahr ist, daß die Sozialausgaben des Bundes zwischen 1991 und 1995 um 60 Milliarden DM oder 34,4 Prozent angestiegen sind, während gleichzeitig die operativen Ausgaben für alle übrigen Politikbereiche um 9 Prozent zurückgegangen sind.
Wahr ist, daß das „Sparpaket" der Koalition den Bürgern nichts wegnimmt, sondern lediglich Staats- und Sozialkassen verbietet, Geld auszugeben, das überhaupt nicht verfügbar ist.
Wahr ist neben allem anderen, daß ein erheblicher gesamtwirtschaftlicher Störfaktor im permanenten Widerstand der Opposition und des von ihr mehrheitlich dominierten Bundesrates gegen nahezu alle Vorhaben der Konsolidierung und der Ausgabenkontrolle begründet liegt. Das muß sich in unserer Haushaltspolitik gesamtstaatlich ändern. Dann werden wir auch zu einer vernünftigeren Entwicklung kommen.
Das finanzielle Gesetzgebungsrisiko für 1997 bleibt in einer beträchtlichen Dimension. Bei den anstehenden Entscheidungen im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß liegt das Volumen, das hierbei für den Bund auf dem Spiel steht, bei immerhin fast 5 Milliarden DM. Es geht vor allem um das Asylbewerberleistungsgesetz , um das Arbeitsförderungs-Reformgesetz und um andere Vorhaben der Gesetzgebung, die der Deutsche Bundestag längst verabschiedet hat.
Ich fordere die SPD auf, ihren gefährlichen und unerträglichen Obstruktionsweg zu verlassen.
Regierung und Koalition haben ihren Verantwortungsrahmen im nationalen Stabilitätsprogramm rechtzeitig und vollständig ausgefüllt. Jetzt muß auch die parlamentarische Opposition in ihrem Verantwortungsbereich in den Ländern springen. Sie kann sich nicht länger den Spar- und Gestaltungsnotwendigkeiten bei den sozialen Transfergesetzen verweigern, selbst aber keinen ernsthaften Sparvorschlag auf den Tisch legen.
Ich möchte Sie eindringlich bitten, sich noch einmal das anzuschauen, was das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit kürzlich in seiner Studie „Strategien für mehr Beschäftigung" ausgeführt hat. Dort heißt es, daß die von der Regierung und der Koalition angestrebte mittelfristige Verringerung der Staatsquote sowie die angestrebte Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge für eine nachhaltige Belebung der Wirtschaftstätigkeit und einen deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit unverzichtbar bleiben.
Staatliche - schuldenfinanzierte - Ausgabenprogramme, etwa zur Ausweitung des sogenannten zweiten Arbeitsmarktes, finden in dieser Studie nicht die geringste wissenschaftliche Unterstützung. Vielmehr wird in einem „Strategiebündel" für die Jahre 1998 bis 2001 eine jährliche - kummulierende - Senkung der Sozialausgaben um 10 Milliarden DM verlangt. Dies ist ein klarer Hinweis auf die Dringlichkeit des nationalen Stabilitätspaktes, von dem Bundesfinanzminister Theo Waigel immer wieder gesprochen und den er bei der Länderseite bisher immer wieder vergeblich angemahnt hat.
Die SPD ist in ihrer heutigen Situation entscheidungs- und verantwortungsunfähig.
„Kaum einer weiß heute, wofür die SPD steht und wogegen sie ist", sagt Helmut Schmidt, der ehemalige Bundeskanzler, und fügt hinzu: „Ich bin unzufrieden mit meiner Partei. Sie führt zu viele akademische Debatten, die viel zuwenig mit der Wirklichkeit
Adolf Roth
der Menschen zu tun haben. " Ich fürchte, er hat mit dieser Feststellung recht.
Kollege Diller, Sie haben vorhin in dramatischen Worten die Höhe der Verschuldung, aber gleichzeitig auch die zu starken Kürzungen kritisiert. Ich wundere mich, wie widersprüchlich und verlogen dieser Konfrontationskurs der Opposition ist.
Der Kollege Schwanhold - er war vorhin noch im Raume - hat noch im Frühjahr massiv für eine deutliche Erhöhung der Neuverschuldung geworben. Er hat eine Neuverschuldung um 10 bis 15 Milliarden DM angemahnt.
- Ich will Ihnen einmal sagen, was seinerzeit über den Ticker lief: Ernst Schwanhold, SPD: Defizit um 15 Milliarden DM erhöhen, Sparen schadet. - Sieben Minuten später läuft über eine andere Agentur: SPD uneins über höhere Neuverschuldung. Matthäus-Maier sprach von einem „großen Fehler" und Ernst Schwanhold vom einzigen Weg aus der Krise. - Jetzt weiß ich, warum Sie so gerne vom Chaos und von Verwirrung in der Öffentlichkeit reden!
Herr Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Catenhusen?
Bitte schön.
Herr Kollege Roth, habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie unter Hinweis auf den Kollegen Schwanhold andeuten wollten, daß Ihr Haushaltsvollzug in diesem Jahr im Grunde genommen den Wünschen von Herrn Schwanhold entspricht?
Herr Kollege, Sie haben bei der Kritik, die der Kollege Diller vorhin in seiner Rede zur Höhe der Neuverschuldung angebracht hat, durchaus richtig zugehört. Aber es ist doch völlig unglaubwürdig, wenn seitens der Opposition bis in die jüngste Zeit einer höheren Neuverschuldung das Wort geredet wird, gleichzeitig aber die konjunkturabhängigen Mehraufwendungen für den Arbeitsmarkt, die wir in vollem Umfang erbracht haben, einer Kritik unterzogen werden. Wir haben in diesem Jahr rechtzeitig reagiert,
und zwar mit Ausgabensperre und mit einer strengen Bewirtschaftung auf der Ausgabenseite. Bei dieser Politik bleibt es auch in Zukunft.
Herr Kollege, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?
Nein.
Der Kollege Scharping hat kürzlich die Politik des Bundes gegenüber den Kommunen kritisiert. Er hat dabei offenbar einige wesentliche Fakten übersehen. In den letzten Jahren ist es zu einer erheblichem Verschiebung der Finanzkraft vom Bund auf die Länder gekommen. 1992 hatten die Länder erst 34 Prozent Anteil an den Steuereinnahmen. Bis zur jüngsten Steuerschätzung ist dieser Anteil auf immerhin
41 Prozent angestiegen. Umgekehrt ist er beim Bund
von gut 48 Prozent im Jahr 1992 inzwischen auf
42 Prozent abgesunken.
Es sind also die Länder, die sich ihrer gewachsenen Verantwortung im Verhältnis zu ihren Gemeinden stellen müssen. Hätten die westdeutschen Flächenländer ihre Steuerverbundleistungen entsprechend ihrem Steuerzuwachs ausgedehnt, so hätten die Kommunen im Jahr 1995 immerhin 7 Milliarden DM höhere Einnahmen zur Verfügung gehabt. Das CSU-geführte Bundesland Bayern hat seine Steuerverbundleistungen an die Gemeinden von 1992 bis 1995 um 21 Prozent ausgeweitet.
Hätten das die sozialdemokratischen Länder Niedersachsen oder das Saarland ebenfalls gemacht, wären sie heute nicht das traurige Schlußlicht in dieser Tabelle.
Im übrigen haben zahlreiche Maßnahmen mit dauerhafter Wirkung die Kommunen in Milliardenhöhe entlastet: Ausgabenentlastungen beim Föderalen Konsolidierungsprogramm, im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, Entlastungen durch die Neuregelung des Asylrechts und Entlastungen durch die Pflegeversicherung. Der Bund hat bei seiner Gesetzgebung sehr wohl immer auch das Wohl und die Finanzkraft der Kommunen in Deutschland im Auge gehabt und diesen berechtigten Bedürfnissen Rechnung getragen.
Völlig unglaubwürdig wird die Kritik der SPD, wenn sie das Asylbewerberleistungsgesetz nach wie vor blockiert. Hier haben Sie es zu verantworten, daß ein Betrag von 1 Milliarde DM Einsparungen bei den Sozialhilfeausgaben den Gemeinden durch Ihre Blockadepolitik noch nicht zugute gekommen ist.
Adolf Roth
Wir haben im Haushaltsausschuß per Saldo die Bundesausgaben um 300 Millionen DM abgesenkt. Das ist auf den ersten Blick gesehen vielleicht ein geringfügiger Betrag. Aber dahinter verbergen sich erhebliche Ausgabenveränderungen. Die Koalitionsmehrheit im Ausschuß hat die unabweisbaren Mehrausgaben im Sozialbereich, insgesamt 8,6 Milliarden DM, finanziert. Aber wir haben uns nicht in eine weichere Linie bei den Gesamtausgaben abdrängen lassen. Vielmehr ist es gelungen, durch harte, zum Teil auch schmerzhafte Einsparungen von insgesamt 8,9 Milliarden DM das Ausgabenlimit des Regierungsentwurfs strikt einzuhalten und Zusatzwünsche erfolgreich abzuwehren.
Wir haben in einer 18stündigen Schlußberatung im Ausschuß mit den Ressortministern über die pauschalen Absenkungen in ihren Einzeletats beim 3-Milliarden-Einsparprogramm diskutiert. Wir haben dabei den Eindruck gewinnen können, daß die Häuser jetzt mit Kreativität und Flexibilität an die Ausplanung dieser globalen Kürzungen in engster Abstimmung mit den Berichterstattern des Haushaltsausschusses herangehen. Wir haben beschlossen, daß neben den Ressorts auch die immerhin 400 vom Bund als Zuwendungsempfänger geförderten Institutionen einen angemessenen Beitrag bei der Erwirtschaftung erbringen müssen.
Sparen ist eine Aufgabe aller. Auch der Deutsche Bundestag und die anderen Verfassungsorgane sind dabei einbezogen. Ich stelle fest, auch der Deutsche Bundestag hat in seinem Einzelplan Gesamteinsparungen von 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr erbracht; das heißt: Wir verlangen von anderen nicht mehr, als wir selber zu erbringen bereit und in der Lage gewesen sind.
Neben den größeren Ausgabenabsenkungen haben die Berichterstatter der Koalition durch gezielte Detailkürzungen 900 Millionen DM im Haushaltsverfahren eingespart. Der Sach- und Verwaltungsaufwand wurde kompromißlos abgesenkt. Damit setzen wir unsere Politik einer konsequenten Verschlankung der Bürokratie und des Abbaus beim Staatsverbrauch fort.
Der Haushaltsausschuß hat beschlossen, die im Regierungsentwurf mit 1,5 Prozent enthaltene Absenkung des Personalbestandes beim Bund auf 2 Prozent anzuheben. Das ist eine harte und schmerzhafte Entscheidung. Mit dieser weiteren Personalreduzierung von annähernd 6 000 Stellen kommen wir aber dem selbstgesteckten Ziel, den Personalbestand des Bundes auf die Größenordnung vor der Wiedervereinigung zu verringern, immer näher. 1989 waren es gut 300 000 Menschen. Im Gefolge der Wiedervereinigung ist der Personalbestand auf fast 381 000 im Jahr 1992 angewachsen, und in diesem Jahr werden es insgesamt 321 000 sein.
Die konsequente Fortsetzung dieser Politik setzt aber auch voraus, daß die Aufgabenprofile im gleichen Zuge „schlanker" werden; das heißt: Wir müssen dem Regelungs- und Vorschriftenstaat energisch
den Kampf ansagen und die Entschlackungsprozesse voranbringen.
Auch die steuerlichen Mindereinnahmen von 5 Milliarden DM bei der jüngsten Steuerschätzung sind durch Einnahmeerhöhungen von insgesamt 4,8 Milliarden DM ausgeglichen worden: durch Telekommunikationsgebühren, durch Rückzahlungen von Liquidationsdarlehen der BvS, durch forcierten Verkauf zusätzlicher, ehemals militärisch genutzter Liegenschaften, durch EU-Eigenmittel und anderes.
Außerdem haben wir höhere Privatisierungseinnahmen eingestellt. Hierüber hat es in den letzten Wochen Diskussionen gegeben. Sie betrafen aus Sicht der Koalition aber nicht Inhalt und Ziel, sondern Veranschlagung und Realisierung der Privatisierungsschritte. Bei der Lufthansa und der Postbank sind die Hürden mittlerweile überwunden. Wir haben die zusätzlichen Privatisierungseinnahmen mit 3,1 Milliarden DM - vorsichtig, aber realistisch - eingestellt. Wir sind damit übrigens in der Größenordnung dem SPD-Antrag im Ausschuß gefolgt. Die SPD rechnet bekanntlich nach ihrer eigenen Einschätzung dort, wo sie keine Verantwortung trägt, besonders zuverlässig. Im Bereich des Verkaufs ehemals militärisch genutzter Liegenschaften drängen wir auf eine schnellere und flexiblere Auskehrung, so daß auch hier 1 Milliarde DM an zusätzlichen Einnahmen realisierbar sind.
Das Abschlußergebnis zum Bundeshaushalt 1997 hat - das zeigt die Rede des Kollegen Diller - die Opposition sichtlich auf dem falschen Fuß erwischt. Mit einer Unterschreitung der im Regierungsentwurf vorgesehenen Nettokreditaufnahme um über 3 Milliarden DM auf 53,3 Milliarden DM ist dieser Etat nicht nur konjunktur- und arbeitsmarktpolitisch, sondern auch Finanz- und europapolitisch ein wichtiges Signal.
Ich füge hinzu: Es besteht keinerlei Anlaß, nach den Erfahrungen dieses schwierigen Haushaltsjahres 1996 nun in voreilige Triumphgefühle auszubrechen. Daß wir aber den Weg konsequent gegangen sind, kann kein ernsthafter Kritiker mehr bestreiten. Die Haushalts- und Steuerpolitik muß in den nächsten Monaten und Jahren noch Beträchtliches leisten. Deutschland muß seine Reformfähigkeit jetzt unter Beweis stellen. Wir brauchen die Bereitschaft, Bestehendes zu hinterfragen, überkommene Besitzstände und Privilegien abzuschaffen, Verkrustungen aufzubrechen und Reformen mutig voranzutreiben. Das ist der Weg zu mehr Wachstum und Beschäftigung; das ist der Weg der Regierungskoalition.
Wir, die CDU/CSU, sind vorbehaltlos bereit, diesen Weg gemeinsam zu gehen und damit unsere Regierungspolitik zum Erfolg zu führen.
Als nächsten Redner rufe ich den Kollegen Oswald Metzger auf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Roth, man muß sich in der Koalition schon Mut in einem Jahr machen, wo Sie von der CDU/CSU und F.D.P. feststellen müssen: Wir haben als Regierungsfraktion den höchsten Schuldenstand seit Bestehen dieser Republik zu verantworten; wir haben in der Geschichte dieser Republik die höchste Abweichung bei der Investitionsquote in den Haushalten, und wir sind abgewichen vom Pfad der erklärten Tugend des letzten Jahres, - das haben Sie auf Ihre Fahne geschrieben - an der Senkung der Lohnnebenkosten festzuhalten.
Eine Woche, nachdem Sie ankündigen mußten, daß der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr die Schallmauer von 20 Prozent mit 20,3 Prozent durchbricht und damit im nächsten Jahr den Arbeitnehmern und Arbeitgebern fast 20 Milliarden DM zusätzlich aus der Tasche genommen werden, sagen Sie hier: Wir vertreten eine Politik der Solidität und der Glaubwürdigkeit, und die Opposition ist auf dem linken Fuß erwischt, wenn sie Ihnen Ihre Versäumnisse vorwirft. Das ist doch eine Politik, die niemand mehr nachvollziehen kann.
Schauen Sie sich die derzeitige Stimmung in der Bevölkerung an: Sie bekommen im Augenblick wegen der gesundheitspolitischen Verwerfungen einen Aufstand des Mittelstandes; Sie bekommen einen Aufstand der Beschäftigten im Krankenhaus- und Klinikbereich; Sie bekommen einen Aufstand der vielen Freiberufler im Gesundheitsbereich, die die Konsequenzen der Kürzungen der Sozialausgaben dieser Koalition am eigenen Leib spüren.
Sie spüren die Verunsicherung der Bevölkerung förmlich daran, daß das Konsumverhalten, das sich über den Sommer etwas gebessert hat, bereits wieder - so können Sie es im „Handelsblatt" von heute lesen - einknickt. Die Konjunktur ist in einer sehr labilen Verfassung, und die Auslandsnachfrage, die allein die Konjunktur derzeit stützt, steht in keinem Verhältnis zur Stagnation im Bereich der Ausrüstungsinvestitionen.
Stagnierende Ausrüstungsinvestitionen als volkswirtschaftliche Parameter, Kollegen Weng und Westerwelle von der F.D.P., sind doch der Grund dafür, warum keine weiteren Arbeitsplätze geschaffen werden und warum derzeit Arbeitgeber Gewehr bei Fuß stehen und alles tun, um ihre Investitionsplanungen
nur nicht in die Richtung zu orientieren, die eingeschlagen werden muß, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Sie sind Gefangene Ihres eigenen Systems der letzten Jahre. Zur Halbzeit der Legislaturperiode haben Sie nichts von dem erfüllt, was Sie angekündigt haben.
Sie wollten eine symmetrische Finanzpolitik betreiben. Der Finanzminister hat bereits zu Beginn der Legislaturperiode dieses Motto geprägt: Wir fahren die Ausgaben, die öffentliche Verschuldung und die Abgabequote herunter. In keinem dieser drei Felder haben Sie einen Erfolg vorzuweisen. Sie setzen nach wie vor auf das Prinzip Hoffnung und auf Gesundbeten. So geht doch eine Regierung mit der Bevölkerung angesichts der dramatischen Herausforderungen kurz vor der Jahrhundertwende nicht um!
Die Menschen verlangen Orientierungen, Herr Bundeskanzler, und nicht Ankündigungen in einer allmächtigen Weise: „Bis zum Jahre 2000 halbieren wir die Arbeitslosenquote." Diese Behauptung wurde im Januar dieses Jahres aufgestellt. Das Herbstgutachten der Sachverständigen enthält aber die Prognose, daß wir im nächsten Jahr eine zusätzliche Anzahl von Arbeitslosen bekommen werden, die jedoch noch nicht im Regierungsentwurf eingerechnet ist und die auch ein kleines, zusätzliches Haushaltsrisiko birgt.
Wir befinden uns im Bereich des Steuerrechts - Kollege Diller hat das vorhin zu Recht erwähnt - in einer Situation, daß der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V., Herr Gruger, klarstellen muß, daß die Volks- und Raiffeisenbanken in Deutschland im letzten Jahr 4,5 Milliarden DM Steuern vom Ertrag und Umsatz gezahlt haben, daß aber die Großbanken bei gleichem Geschäftsvolumen nur 800 Millionen DM Steuern in Deutschland zahlen. Was lernen Sie als Koalition daraus? Die große Litanei, die sagt: Die Steuer- und Abgabequote in Deutschland ist zu hoch. Hier in dem speziellen Fall: Die Steuerquote ist zu hoch.
Die Steuerquote führt inzwischen dazu, daß der Mittelstand bzw. die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Zahlmeister der Nation sind, daß aber die Global players, die „Schrempffs" mit ihren Shareholder values - auch Scharfmacher wie Olaf Henkel, der gestern vom BDI wiedergewählt wurde - inzwischen die Politik im Unternehmerlager bestimmen und dort die Musik spielen ohne Rücksicht auf soziale Verwerfungen, auf einen sozialen Konsens, auf eine solidarische Gesellschaft.
Oswald Metzger
Diesen Prozeß unterstützt diese Koalition. Dieser Prozeß wird diese Gesellschaft in einem Ausmaß spalten, das uns in den nächsten Jahren politische Verwerfungen bescheren wird und uns noch vieles um die Ohren fliegen lassen wird.
Kollegen Haushälter von der Koalition, es ist nicht so, daß die Opposition nicht die Zeichen der Zeit erkennt.
Die grüne Fraktion hat sich die Mühe gemacht - Sie werden es am Freitag in unserem Entschließungsantrag zur dritten Lesung nachlesen können -, das Motto „Solidarisch sparen" durchzudeklinieren. Für uns ist auch klar: Eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung kommt nicht mehr in Frage. Die Ausgaben müssen gekürzt werden, um den Haushalt zu entlasten. Dieser billige Weg zur Beschaffung von Mehreinnahmen ist uns verstellt. Außerdem bedeutet eine neue Verschuldung eine Vermögensumverteilung zugunsten der Kapitalbesitzer sowie eine Vorbelastung der nächsten Generationen. Das hat nichts mit nachhaltiger Finanzpolitik und Solidität zu tun.
Wir stellen uns dieser Herausforderung. Wir wollen beispielsweise durch ein Paket solidarischer Einsparungen kürzen. Das reicht von haushaltsbezogenen Kürzungen in den Bereichen Verkehr, Verteidigung und Rüstung bis zu Einschnitten in Leistungsgesetze in den Bereichen der Beamtenversorgung - Stichwort 13. Monatspension - und der Beamtenbesoldung durch die Halbierung des Weihnachtsgeldes für Gutsituierte - beispielsweise ab A 13 aufwärts -, durch die komplette Abschaffung des Weihnachtsgeldes für die B-Besoldungsgruppe und durch die Streichung der Ministerialzulage und der Sicherheitszulagen. Diese Maßnahmen im Personalbereich ergeben 1 Milliarde DM. Wer sich in diesem Gremium hinstellt und sagt, die Opposition mache sich nicht die Mühe, eigene Einsparvorschläge zu skizzieren, täuscht sich gewaltig. Dieser Antrag wird am Freitag präsentiert.
Wir machen darüber hinaus Aussagen in die Richtung, wo der Haushalt strukturell entlastet werden soll. Wir wollen beispielsweise auch liebgewordene Subventionen im Bereich der Landwirtschaft - Stichwort Gasölbeihilfe - begrenzen. Wir wollen dort ab 1998 durch eine Verkürzung des Subventionsbetrages 140 Millionen DM ersatzlos streichen. Wir geben - übrigens in Absprache mit unseren Freunden von der nordrhein-westfälischen Landtags- und Regierungsfraktion der Grünen - einen Weg vor, wie wir bei der Steinkohle und der Kokskohlebeihilfe einen mittelfristigen Ausstieg machen können, der für das Jahr 2005 restlich verbleibende Subventionen in Höhe von 5 Milliarden DM vorsieht.
Das ist weniger als die Hälfte dessen, was wir derzeit
bezahlen und, Kollege Westerwelle, immer noch weniger als das, was die Union für das Jahr 2008 als weitere Subventionen einplant.
Das sind Aussagen, die deutlich machen, daß wir uns hier einer gesamtstaatlichen Verantwortung stellen. Meine Herren . von der Regierung, schließlich sind wir eine Fraktion in der Opposition, die sich darauf vorbereitet, in diesem Land auf Bundesebene Verantwortung zu übernehmen. Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir jetzt als Opposition nur Obstruktion machten und nicht die Weichenstellungen vorbereiten würden, damit wir tatsächlich in Zukunft noch Gestaltungsmöglichkeiten haben.
Die jetzige Koalitionsregierung muß, wenn sie ehrlich ist, doch davor zittern, 1998 wiedergewählt zu werden, weil all das, was sie jetzt auf Grund des Druckes im Referenzjahr 1997 nach hinten auf die Jahre 1998 und folgende und mit der Haltung „Augen zu und durch" im Bereich des Arbeitsmarktes - allein dort ein Kostenrisiko von rund 9 Milliarden DM - wegdrückt, sie als Regierungspartei einholen wird. Dann sind Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, buchstäblich nicht nur so, wie Heike Göbel heute in der „FAZ" schreibt, mit ihrem „Haushälterlatein am Ende", sondern dann sind Sie womöglich auch als Regierung am Ende.
Wir als Opposition könnten uns auch so verhalten, wie es einmal Teile der Union gemacht haben. Schließlich formulierte damals Franz Josef Strauß - Gott hab ihn selig - in seiner berühmten Sonthofener Rede das Motto: Laßt doch diese sozialliberale Koalition trudeln, im eigenen Saft schmoren, das Staatsschiff wird uns wie eine reife Frucht in den Schoß fallen. So ähnlich könnte es bei Gott sein. Es könnte eine Ausputzer-Legislaturperiode für die Opposition geben.
Sie verfahren nach dem Motto: Weiter so wie bisher, keine strukturellen Weichenstellungen! Viel Getöse, viel Gerede, aber nichts dahinter!
Herr Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollege Thiele?
Aber gern.
Herr Metzger, ich habe nur eine Frage: Wo sind denn die konkreten Sparvor-
Carl-Ludwig Thiele
schläge für diesen Haushalt seitens der Grünen, die Sie sich doch bemühen, hier etwas zu bringen?
Herr Metzger ist gefragt.
Herr Kollege, ich schätze Sie als fachkompetent.
Ich habe auch angenommen, daß Sie gerade im Raum waren. Ich habe unsere Sparvorschläge skizziert; sie liegen schriftlich vor. Sie sind sehr differenziert. Wir muten der eigenen Klientel Kürzungen zu und haben auch perspektivische Aussagen zum Bereich der Subventionspolitik gemacht.
Ich möchte mich hier nicht als Oberlehrer aufspielen, würde aber sagen, daß sich diese Frage von selbst erledigt hat.
Das Grundproblem, vor dem unsere Gesellschaft steht, ist doch folgendes: Wir haben in den letzten zehn Jahren bei den Beiträgen im Bereich der Sozialversicherung ein Wachstum von fast 6,5 Prozentpunkten zu verzeichnen gehabt. Diese Last der Sozialversicherungsträger in Höhe von 6,5 Prozentpunkten, die mit der Wiedervereinigung noch an Dynamik gewonnen hat, weil es für die jetzige Koalition ein bequemer Weg war, die deutsche Einheit über die Sozialversicherungskassen zu finanzieren - fast 170 Milliarden DM an Transferleistungen sind in den letzten sechs Jahren aus den Sozialversicherungskassen in die neuen Bundesländer geflossen -, stellt doch eine Ungerechtigkeit sondergleichen dar; denn Freiberufler, Beamte, Selbständige und über 8 000 DM Verdienende, also über der Beitragsbemessungsgrenze Liegende, wurden an diesen Kosten überhaupt nicht beteiligt.
Wir sollten nicht am System der Sozialversicherung dergestalt drehen, wie es beispielsweise die F.D.P. will. Danach sollten wir einfach die Botschaft ausposaunen: Wir kürzen die Leistungen für die Leistungsempfänger, suchen auch nicht eine neue Säule im Steuersystem, um den Anstieg der Lohnnebenkosten nicht nur zu bremsen, sondern sogar zurückzudrehen. Plötzlich aber entdeckt sie eine Steuer, die die Opposition eigentlich seit Jahren in den Raum stellt, die aber immer am Widerstand des Finanzministers und der Koalition gescheitert ist, nämlich die Ökosteuer.
Wir sagen: Wir brauchen in dieser Gesellschaft eine Welle der Innovationen, die sich darauf konzentrieren, eine Technologie im Bereich regenerativer
Energien, die zukunftsfähig ist, zu fördern, die Mobilität derjenigen in unserer Gesellschaft, die Energie sparen, zu belohnen, und die dazu beitragen, daß für Raumheizung wesentlich weniger Energie aufgewendet wird.
Wir wollen also eine Steuer auf Energie und Mineralöl erheben und dieses Aufkommen zum größten Teil dafür nutzen, steuerfinanzierte Zuschüsse an die Sozialkassen zu geben und damit eine Entlastung für Beschäftigte und Arbeitgeber im Bereich der Lohnnebenkosten durchzusetzen. Das ist eine finanzpolitische Strategie, die ich mir angesichts der Schwelle ins neue Jahrhundert von einem Finanzminister wünschen würde.
- Natürlich wird das System reformiert, Kollege Westerwelle. Das Prinzip ist nämlich nicht, im Bereich der Sozialleistungen weiter wie bisher zu verfahren. Auch die Ausgabenstruktur, die Verwaltung der Sozialbürokratie muß geändert werden. Auf beiden Seiten, auf der Kosten- und auf der Beitragsschiene, muß etwas gemacht werden.
- Kollege Weng, Sie werden noch manche Überraschung erleben, wenn Sie uns Grüne unsere Konzepte tatsächlich durchexerzieren ließen. Dann würden nämlich wesentlich mehr Taten als Sprüche folgen als bei der F.D.P.
Sie haben von der Absenkung des Solidaritätszuschlags gelebt und haben sich damit im März das politische Überleben gesichert.
Die CDU hat Ihnen bis zur Grenze der Selbstverleugnung über Monate den Spielraum gelassen, hier Steuersenkungen zu versprechen, obwohl sich bereits überall im Staatshaushalt Milliardenlöcher aufgetan hatten.
Jetzt mußten Sie einknicken, was ich selbst nicht für möglich gehalten habe. Sie mit Ihrer Politik der Ankündigungen und losen Sprüche müssen gerade schwätzen.
Wer sich selbst auf diese Art und Weise als Klientelpartei verkauft, die über Jahrzehnte hinweg im Bereich der Subventionen und der Steuerpolitik alles getan hat, um das jetzige ungerechte Steuersystem in dieser Gesellschaft überhaupt zu etablieren, und
Oswald Metzger
jetzt von Steuerreform redet, hat jedes Recht verwirkt, anderen vorzuwerfen, sie seien inkonsequent.
Ich war bei der Frage nach den Grundstrukturen der Gesellschaft und hier bei der Wirtschaftspolitik: Meine Damen und Herren, lesen Sie das Sachverständigengutachten aufmerksam. Viele von Ihnen zitieren daraus immer nur die Passagen, die Ihnen in den regierungsamtlichen Kram passen.
Dieses Sachverständigengutachten, abgeschlossen am 15. November 1996, ist ein Verdikt gegen die Finanzpolitik der jetzigen Regierung.
Dort wird beispielsweise klar und deutlich das Hin und Her in der Finanzpolitik skizziert. Die nicht erkennbare Finanzstrategie ist der Grund dafür, warum die Investitionsneigung in der Wirtschaft so gering ist.
Die rein fiskalischen Parameter waren in der Tat noch nie so günstig wie zur Zeit: Die Zinsquote ist niedrig, die Inflationsrate ist niedrig. Dies wird zugestanden. Allerdings befinden wir uns in einer Situation, daß die verfügbaren Einkommen 1996 und auch 1997 um 3,5 Prozent wachsen bzw. wachsen werden, daß die verfügbaren Einkommen aber vor allem deshalb wachsen, weil die entnommenen Gewinne und Vermögenserträge überdurchschnittlich wachsen, die Nettogehaltssumme aber stagniert und die Einkommen aus sozialen Transferleistungen nur ganz geringfügig ansteigen. Wenn Sie diesen Reflex sehen, erklärt sich, warum beispielsweise die Binnennachfrage so bescheiden ist, warum sich jetzt das Konsumklima angesichts der Diskussion um Kürzungen im Gesundheitswesen, die die Leute spüren, wieder eintrübt.
In dieser ungleichen Einkommensverteilung wird natürlich auch die Ungerechtigkeit des jetzigen Systems deutlich. Es ist eben nicht so - die Philosophie der reinen Angebotsorientierung in der Wirtschaftspolitik -, daß die Gleichung „Mehr Wachstum gleich mehr Beschäftigung, mehr Beschäftigung gleich mehr Steuereinnahmen und mehr Steuereinnahmen gleich mehr Wohlstand für alle" noch stimmt. Diese Gleichung beten Sie von der Regierungskoalition seit Jahr und Tag herunter. Weil sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen inzwischen geändert haben, hat sie sich aber gewandelt. Wir haben eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Wir haben eine Entkoppelung von Steuereinnahmen und Wachstum.
Woher rührt diese Entkoppelung? Weil unsere Gesellschaft auf Grund der hohen Steuer- und Abgabenbelastung natürlich gelernt hat, mit der hohen Abgabenlast umzugehen. Viele Leute in dieser Gesellschaft, also nicht nur die Gutsituierten, wissen
sehr wohl, wie sie ihre Steuerlast reduzieren können. Sie wissen sehr wohl, was es steuerlich bedeutet, dann, wenn man zum Arbeitsplatz weit fahren muß, mit dem Auto statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu pendeln. Das Auto wird in unserem Steuerrecht privilegiert. Es können 70 Pfennig pro Entfernungskilometer steuerlich abgesetzt werden. Die Fahrkarte für öffentliche Verkehrsmittel ist mit etwa 100 bzw. 150 DM pro Monat vergleichweise preiswert. Das heißt im Klartext: Viele, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, fahren für das Finanzamt angeblich mit dem Auto dorthin, damit sie bei der Steuererklärung höhere Werbungskosten geltend machen können. Dieses Prinzip kennt jeder.
Deshalb müssen wir angesichts dessen, daß wir über eine große Einkommensteuerreform diskutieren, hier wirklich mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, mit der Abschaffung der Privilegierung des Automobils Ernst machen.
Dann werden wir aber feststellen, meine Damen und Herren, daß eine solche Einkommensteuerreform Verlierer und Gewinner in allen Einkommensgruppen mit sich bringt. Jemand, der unterdurchschnittlich viel verdient, kann auch Einbußen haben. Sie können den Eingangssteuersatz gar nicht so weit absenken, daß ein echter Ausgleich für die Einbußen durch die Nichtbenutzung des Pkw herauskommt. Das ist so, und das macht diese Diskussion so schwierig.
Diese Diskussion wird in der letzten Zeit häufig so geführt, daß viele, vor allem die F.D.P., die ich mit ihrer steuerlichen Klientelpolitik über Jahrzehnte in meinen Ausführungen schon bedacht habe, jetzt schon sagen: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage natürlich nur insoweit, als sie unserer Klientel nicht weh tut.
Wenn es dann Steuerausfälle gibt, wollen Sie eine Mehrwertsteuererhöhung für alle durchsetzen, so daß praktisch die Opfer der jetzigen Steuerpolitik ein zweites Mal die Alimentierung für Steuernachlässe der Gutsituierten bezahlen.
Zum Schluß noch ein paar Worte zur Einschätzung: Dieser Bundeshaushalt ermöglicht fast 10 Prozent weniger Investitionen als im Vorjahr, und er weist eine Kürzung der Forschungs- und Investitionsmittel um rund 4 Prozent aus. Angesichts der Herausforderungen der Zukunft, des Strukturwandels in unserer Wirtschaft und der internationalen Konkurrenzfähigkeit ist es ein Unding, einen solchen Haushalt als Haushalt des Wachstums, als Haushalt für mehr Beschäftigung und als Haushalt für mehr Chancen und für Zukunftsfähigkeit zu verkaufen.
Oswald Metzger
Dieser Haushalt decouvriert den Zukunftsminister Rüttgers komplett. Er steht hier wirklich mit heruntergelassenen Hosen,
wenn man sieht, wie sein Haushalt zerpflückt wurde, wie aber auf der anderen Seite ein vergleichsweise großer Investitionshaushalt wie der Rüstungshaushalt nach wie vor schonend behandelt wird, weil in Deutschland offensichtlich viele Rüstungslobbyisten noch nicht gemerkt haben, daß Arbeitsplätze im Bereich der Rüstung durch staatliche Zahlungen vergleichweise teuer erkauft sind, während in anderen Bereichen, beispielsweise durch ein Eigenkapitalhilfeprogramm für den Mittelstand, mit weniger Mitteln eine viel größere Beschäftigungswirkung entfaltet würde.
Schließlich noch ein versöhnliches Wort - man ist ja Haushälter -: Ich wünsche dem Finanzminister baldige Genesung, dem Haushaltsausschußvorsitzenden Helmut Wieczorek desgleichen. Ich bedanke mich bei Kurt Rossmanith und Hans Georg Wagner für ihre Interimsarbeit im Haushaltsausschuß sowie bei allen Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß für die trotz aller Kontroversen durchaus sachgerechte Arbeit.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Weng.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wissen natürlich auch aus dem Haushaltsausschuß, daß der Kollege Metzger ein geschickterer Oppositionsredner als so mancher SPD-Kollege ist, und er weiß natürlich auch, daß in der Kürze einer Plenardebatte eine detaillierte Darstellung seiner Positionen nicht möglich ist. Aber ich versichere Ihnen: Einer sorgfältigen Überprüfung hält auch die Gesamtheit seiner Vorschläge nicht stand.
Zwei aktuelle Nachrichten vom heutigen Tage machen betroffen, meine Damen und Herren: Die Tarifverhandlungen in der Metallindustrie sind vorläufig gescheitert. Es droht ein Arbeitskampf, der genau das Gegenteil dessen erreichen wird, was für Deutschland im Augenblick notwendig wäre. Statt daß es zur Sicherung und zum Neuaufbau von Arbeitsplätzen kommt, droht weitere Depression, droht höhere Arbeitslosigkeit. Deshalb geht mein dringender Appell von hier aus an die Tarifparteien, doch noch zu einem Abschluß zu kommen.
- Ich verstehe das Schreien auf der linken Seite nicht.
Die Politik gerade unserer Fraktion ist ja darauf ausgerichtet, Standortbedingungen zu verbessern, um Investitionen im Land zu belassen und um Investitionen ins Land zu bringen. Entlastungen der Wirtschaft sind mit Blick auf die Sicherung bestehender wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze das Gebot der Stunde. Ohne wirtschaftliches Wachstum wird die Bundesrepublik Deutschland ihren Bürgern mehr Lasten auferlegen müssen, als es jetzt schon der Fall ist. Deshalb müssen wir ja diese Politik machen und auf diese Entlastung hoffen. Ich rufe die Tarifparteien ausdrücklich zu Augenmaß und Vernunft auf.
Die zweite ebenso schlechte Nachricht kommt von der SPD. Sie hat gestern auf ihrem sogenannten Jugendparteitag eine Ausbildungsabgabe beschlossen.
Dies zeigt, daß die Kreativität der Sozialdemokraten ungebremst ist, wenn es um zusätzliche Belastungen der Wirtschaft, aber auch um zusätzliche Belastungen unserer Bürger geht. Anstelle öffentlicher Sparsamkeit setzt man Abkassieren, anstelle notwendiger Entlastung setzt man zusätzliche Lasten.
Blockaden beim Sparen einerseits, höherer Staatsanteil andererseits - das ist, Frau Kollegin MatthäusMaier, Zukunftsverweigerung.
Es ist schon ein Treppenwitz, wenn man ausgerechnet auf einem Jugendparteitag mit derart zukunftsfeindlichen Beschlüssen arbeitet. Denn genau die Jugend ist es, die Ihre Hinterlassenschaft, die Hinterlassenschaft der jetzigen Politikergeneration, nachher übernehmen muß.
Herr Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Ja, bitte.
Herr Kollege Weng, Sie können ja gegen unseren Vorschlag einer Ausbildungsplatzumlage sein. Würden Sie aber, anstatt hier einfach zu sagen, das sei eine höhere Belastung der Wirtschaft, bitte auf das hinweisen, was wir beschlossen haben,
nämlich daß alle diejenigen, die ausbilden - das ist insbesondere das Handwerk -, entlastet werden, also einen Zuschuß für ihre Ausbildungsanstrengungen bekommen,
und daß wir im Gegenzug diejenigen, die sich nicht
an der Ausbildung beteiligen, belasten? Es handelt
Ingrid Matthäus-Maier
sich also um eine Umlage, die gerade zu einer enormen Entlastung des Handwerks führt.
Auch das, Frau Matthäus-Maier, hält einer genauen Betrachtung nicht stand, weil Sie eine enorme Bürokratie und ähnliches aufbauen müßten.
Ich will darauf nicht im einzelnen eingehen, weil eine falsche Maßnahme, wie sie eine solche Ausbildungsplatzabgabe ist, auch nicht durch schönen Zierat besser wird. Für die F.D.P-Fraktion steht außer Zweifel, daß das zukünftige Deutschland mit liberalen und nicht mit sozialistischen Rezepten gestaltet werden muß.
Der Bundeshaushalt für das Jahr 1997, über den der Deutsche Bundestag jetzt nach dem Verhandlungsmarathon im Haushaltsausschuß in dieser Woche befinden muß, setzt eine Reihe positiver Signale - sie sind auch von den anderen Rednern der Koalition angesprochen worden -, nämlich daß wir eine Senkung der Ausgaben zustande gebracht haben, daß es uns gelungen ist, die zu hohe Schuldenlast wenigstens etwas zu senken. Das sind einige solcher positiven Signale. Es ist aber auch offenkundig, daß dieser Haushalt nur durch allergrößte Anstrengungen aufgestellt werden konnte, daß es an vielen Stellen im Getriebe knirscht und ächzt und daß sich die Beratungen, die zu diesem Etat führten, schwierig gestaltet haben.
Auch ich will dem Bundesfinanzminister, der aus gesundheitlichen Gründen nicht hier sein kann, die besten Genesungswünsche unserer Fraktion übermitteln. Wir hoffen sehr, daß er, so wie er es plant, am Freitag tatsächlich hier im Deutschen Bundestag anwesend sein kann, um wenigstens die dritte und abschließende Beratung mitzugestalten. Er hat ja an den Einsparmaßnahmen, gerade an den letzten Einsparmaßnahmen, einen großen persönlichen Anteil. Das wollen wir hier gern dankend bestätigen.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat den Zeitplan zur Verabschiedung des Haushalts eingehalten, auch wenn auf Grund notwendiger Veränderungen manchmal unter Zeitdruck gearbeitet werden mußte. Zwischen der Aufstellung des Haushalts durch die Bundesregierung und dem Kabinettsbeschluß im Juli einerseits und dem Abschluß der Beratungen im Ausschuß andererseits haben sich nachhaltige Veränderungen in der Einschätzung der Wirtschaftsentwicklung ergeben, die unser Handeln erforderten. Es ist ja bekannt, daß die Regierung ihren Etatentwurf an Hand von Rahmendaten aufstellt, die sich auf Grund der Einschätzung unabhängiger Sachverständiger ergeben. Wenn sich diese Erwartungen und die Rahmendaten innerhalb weniger Wochen verändern, dann mußte dies Konsequenzen haben. Sie haben wir von seiten der Koalition dann im Ausschuß gezogen.
Woran liegt es aber, wenn zwischen der Steuerschätzung vom Mai und der heutigen Bewertung eine Lücke von über 15 Milliarden DM klaffte, die zu schließen war? Ich sage das Folgende auch mit Blick auf die Öffentlichkeit: Es sind im wesentlichen drei Gründe, die aber durchaus miteinander zusammenhängen. Als erster dieser Gründe muß die Blockade-und Obstruktionspolitik der Opposition im Bundesrat genannt werden.
Die SPD blockiert nicht nur dort liegende Spargesetze, die Einsparungen in Höhe von rund 6 Milliarden DM bedeuten würden.
Die Folgewirkung dieser Haltung ist auch, daß bei Investoren keine Zuversicht aufkommt, daß das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr hinter den Erwartungen zurückbleibt und daß eine höhere Arbeitslosigkeit eingetreten ist, als sie geschätzt und erwartet worden war. Das hat indirekt mit dieser Blokkadepolitik zu tun, weswegen ich heute erneut an die SPD, vor allem an die SPD-Ministerpräsidenten, in Deutschland appelliere: Geben Sie diese Blockadepolitik auf. Sie schadet unserem Land. Sie schadet den Bürgern unseres Landes nachhaltig. Diese Blokkadepolitik ist Zukunftsverweigerung.
Eingeschränktes Wirtschaftswachstum und höhere Arbeitslosigkeit bedeuten einerseits hohe, unabweisbare Mehrausgaben, andererseits geringere Steuereinnahmen der öffentlichen Hände. Ich habe bereits darauf hingewiesen: Im laufenden Jahr, im Jahre 1996, brauchen wir über 15 Milliarden DM mehr für Kosten, die durch die Arbeitslosigkeit entstehen. Keiner der klagenden Oppositionsredner hat hier auch nur in einem Hauch deutlich gemacht, wie man solche Kosten von dort abgedeckt hätte, was dieses Jammern doch sehr stark relativiert.
Angesichts der großen Finanzierungslücken mußten wir darauf verzichten, den Solidaritätszuschlag im kommenden Jahr in einem ersten Schritt abzubauen.
Daß dieses Zugeständnis der F.D.P. bitter schwergefallen ist und daß die Abkehr von der Vereinbarung der Koalition insgesamt schwergefallen ist, brauche ich nicht besonders zu betonen. Daß aber wegen des Verhaltens der SPD ein solch falsches Signal an die Bürger gegeben wird, ist viel schlimmer als die parteipolitischen Schmerzen. Wir haben, um die Lücke schließen zu können, zusätzliche Einsparungen beschließen müssen, die eine Vielzahl zusätzlicher Maßnahmen beinhalten und natürlich
Dr. Wolfgang Weng
auch eine Vielzahl von Bürgern im Lande negativ betrifft.
Daß wir auf Grund der Stabilitätspolitik der Deutschen Bundesbank bei den Zinsen weniger Geld benötigen als ursprünglich kalkuliert, ist erfreulich. Erfreulich ist die Wahrscheinlichkeit, daß bei den Gewährleistungen geringere Ausfälle zu befürchten sind.
Auch das Stichwort „Privatisierung" findet hier ausdrücklich Erwähnung; denn im Bereich Privatisierung zeigt sich ja, daß der Druck auf die öffentlichen Haushalte politisch Sinnvolles auslöst. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat die Privatisierung öffentlicher Beteiligungen ebenso wie öffentlicher Dienstleistungen, die nicht unbedingt von der öffentlichen Hand ausgeführt werden müssen, jederzeit vorangetrieben. Ich will hier auf detaillierte Darstellungen verzichten. Die Bürger in unserem Lande dürfen sicher sein, daß die F.D.P. auf allen Ebenen, und zwar sowohl im kommunalen und im Länderbereich, also da, wo Sie von der SPD Verantwortung tragen und untätig sind, als auch im Bund weiterhin die treibende Kraft ist, wenn es um das Stichwort „Privatisierung" geht.
- Das ist ein Irrtum! An der Stelle hatte ich rauschenden Applaus erwartet und deswegen einen Moment gewartet. Daß ich nicht mehr weiter wüßte, werden Sie hier im Deutschen Bundestag nicht erleben.
In Folge der beschriebenen Einnahmelücke hat sich die Koalition zu einer weiteren echten Sparanstrengung entschlossen. Wir wissen natürlich, daß die Einsparungen nur noch einen relativ kleinen freien Bereich des Bundeshaushalts betreffen konnten, da gesetzliche Maßnahmen von der Opposition blockiert werden, und daß es schwierig ist, nur noch bei den Konsumausgaben zu kürzen. Das ist inzwischen fast unmöglich geworden.
Von den in der letzten Phase der Beratungen notwendig gewordenen Einsparungen in Höhe von 3 Milliarden DM sind deswegen zwangsläufig auch Bereiche betroffen, bei denen Kürzungen schmerzhaft, zum Teil auch nicht erwünscht sind. Wir wissen, wie schwierig es wird, zum Beispiel im Bereich des Verteidigungshaushalts weitere 200 Millionen DM einzusparen. Fast zwangsläufig wird es hierbei zur Verschiebung und Streckung auch von notwendigen Investitionen kommen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Haushaltssituation sind Fragen weiterer Beschaffungen, zum Beispiel einer Beteiligung Deutschlands an einem Aufklärungssatelliten oder die Produktion und Beschaffung eines neuen Jagdflugzeuges, für den Haushalt 1997 noch offengeblieben. Wir wissen auch, daß bei den Kosten für den Einsatz der Bundeswehr im früheren Jugoslawien zusätzlicher Druck auf die Ausgaben des Verteidigungsministers entsteht.
Meine Damen und Herren, unbestritten und von uns hier auch ausdrücklich erwähnt und gelobt ist, daß dieser Einsatz der deutschen Soldaten im früheren Jugoslawien von hervorragendem Wert ist.
Daß wir im Bundestag aber auch die Kosten sorgfältig kontrollieren müssen, haben wir im Haushaltsausschuß durch eine Entscheidung über eine Obergrenze deutlich gemacht. Wir wollen von seiten der zuständigen Kollegen insbesondere in diesem Zusammenhang die notwendigen Maßnahmen sehr eng flankieren, damit nicht unter einer falschen Überschrift Beschaffungen getätigt werden, die nichts mit diesem Einsatz im früheren Jugoslawien zu tun haben.
Wo unter dem Druck der Kürzungsentscheidungen, die das Bundeskabinett dem Deutschen Bundestag vorgeschlagen hat, weiterer Subventionsabbau zustande kommt - er wird zustande kommen -, da begrüßt die F.D.P.-Fraktion diesen ganz ausdrücklich. Diese sogenannten globalen Minderausgaben, die wir beschlossen haben, geben der Regierung durchaus die Möglichkeit, im Ablauf des Haushaltsjahres an den Stellen einzusparen, an denen es sich am wenigsten nachteilig auswirkt. Hier kann also ruhig ein gewisser Zeitvorlauf bleiben. Unser Wunsch geht deswegen vor allem an das Landwirtschaftswie an das Verkehrsministerium, die Globalkürzungen in möglichst geringem Umfang dort vorzunehmen, wo Investitionen betroffen sind.
Daß der Haushaltsausschuß zusätzlich eine direkte Mitwirkung im Sinne einer sehr zeitnahen Information wünscht, macht unser Beschluß hierzu deutlich. Die für die einzelnen Ressorts zuständigen Mitglieder des Ausschusses, die Berichterstatter, werden sich hiermit besonders intensiv befassen.
Die Koalition hat - in diesem Zusammenhang will ich den Kollegen Adolf Roth, den Sprecher der Union, ganz ausdrücklich hervorheben -
im Haushaltsausschuß verhindert, daß sich die Ministerien von ihren eigenen Sparvorschlägen zumindest teilweise wieder hätten verabschieden können.
Es ist ein Teil unserer häufig schwierigen parlamentarischen Arbeit, daß natürlich auch versucht wird, den getroffenen Beschluß an mancher Stelle wieder ein wenig abzuschwächen. Wir haben gemeinsam gut unter dem Vorsitz von Adolf Roth gearbeitet.
Die Opposition hat uns erwartungsgemäß bei keinen Sparmaßnahmen unterstützt. Sie hat - das muß in der öffentlichen Debatte erneut dargestellt werden - ein trauriges Bild gespaltener Argumentation geboten, was insbesondere auf die SPD zutrifft: einerseits der laute Ruf nach öffentlicher Sparsamkeit,
Dr. Wolfgang Weng
andererseits die Ablehnung praktisch aller Sparvorschläge der Koalitionsseite;
einerseits die laute Klage über die zu hohen Schulden, andererseits aber zusätzliche eigene Ausgabenwünsche in zweistelliger Milliardenhöhe. Das paßt nicht zusammen, meine Damen und Herren.
Es mag sein, daß ein solches Verhalten ein in langer Oppositionszeit eingeübtes Rollenspiel der SPD ist. Aber wenn Opposition auch die Darstellung besserer Alternativen bedeuten soll, dann haben Rot wie Grün jämmerlich versagt.
Meine Damen und Herren, die zusätzlichen Kürzungen und Einsparungen beim Personal sind uns nicht leichtgefallen, da wir wissen, daß sich ein solcher Globalbeschluß bei den Ministerien sehr unterschiedlich auswirkt. Die Erfahrung zeigt aber auch, daß notwendige strukturelle Änderungen ohne solchen Druck nicht in Gang kommen.
Der Bundesrechnungshof, der für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung zuständig ist, kann nicht allein die gesamte Organisationsstruktur der Bundesregierung vorschreiben. Auch der Haushaltsausschuß ist hierzu natürlich nicht in der Lage. Da ist auch die Eigenverantwortung der Ministerien gefragt. Mit unserem Personalabbaubeschluß unterstützen wir deswegen die Bundesregierung in ihrem Bemühen, gerade auch mit Blick auf den Umzug nach Berlin zu effektiveren Personalstrukturen zu kommen.
In der gegebenen Situation am Arbeitsmarkt muß auch die Frage der Sicherheit des Arbeitsplatzes beim öffentlichen Arbeitgeber wieder eine größere Rolle spielen. Deswegen in diesem Zusammenhang ein erneuter Appell an die Gewerkschaft ÖTV, hier nicht mit überzogenen Forderungen, insbesondere der zu schnellen Angleichung im Osten, die öffentlichen Haushalte insgesamt zu überlasten. Wir wissen, daß die Betroffenen die Rahmenbedingungen durchaus vernünftig und realistisch sehen. Gerade in den neuen Bundesländern wurde eine ganze Reihe von Beschäftigten aus dem öffentlichen Dienst übernommen, die nicht unbedingt erforderlich gewesen wären. Dies machte eine gewisse Opferbereitschaft der Kollegen erforderlich, die auch vorhanden ist. Gewerkschaftsfunktionäre sollten das nicht zerschlagen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen: Wir benötigen weiterhin einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst. Er muß aber mit Blick auf die Notwendigkeiten der Zukunft auf den Umfang reduziert werden, der unbedingt erforderlich ist.
Deutschland in Europa - das ist die Zukunft unseres Landes. Die gemeinsame europäische Währung ist ausdrücklicher Wunsch der F.D.P.-Fraktion. Denn Integration muß alle Versuche von Renationalisierung ausschließen. Eine kleiner gewordene Welt verträgt keine Kleinstaaterei, wenn die Zukunft für unser Land, für unsere Bürger gesichert werden soll.
Wir wollen eine stabile europäische Währung. Deshalb sind Kriterien und Zeitplan in gleicher Weise wichtig. Für die Zukunft unserer Bürger, vor allem unserer jungen Menschen und ihre künftigen Lebensverhältnisse in Deutschland, ist dieser große Schritt zur politischen Gemeinsamkeit in Europa nach unserer Überzeugung unverzichtbar.
Natürlich gibt es in den verschiedenen Ländern Europas ganz unterschiedliche Traditionen und auch eine ganz unterschiedliche Einstellung zum Geld. Nach den Erfahrungen zweier Inflationen ist in Deutschland die Geldwertstabilität von ganz außerordentlicher Bedeutung. Nur ein Währungssystem, das diese Stabilität sichert, ist für unsere Bürger akzeptabel.
Nur ein solches System erhält den Willen zur Sparsamkeit, der gerade die Bürger hier in Deutschland auszeichnet. Diese Sparsamkeit wiederum, die Bereitschaft zum Konsumverzicht und zur Bildung von Rücklagen im Vertrauen auf die Solidität des Staates, helfen uns entscheidend bei der Bewältigung der schwierigen nationalen Aufgaben, die wir im Augenblick vor uns haben.
Die Wiedervereinigung und ihre wirtschaftlichen Folgen hätten zu noch viel größeren Verwerfungen geführt, wenn die alte Bundesrepublik nicht solide gewirtschaftet hätte. Hier will ich insbesondere die Zeit zwischen 1983 und 1990 erwähnen.
Es sollte deswegen nicht vergessen werden, daß die Maastricht-Kriterien, die heute mancher so leichten Herzens kritisiert, auf unseren Wunsch hin als Stabilitätskriterien für Europa beschlossen worden sind. Deswegen darf trotz der augenblicklich schwierigen nationalen Situation gerade die Bundesrepublik Deutschland diese Kriterien nicht verfehlen.
Das ist ein Appell auch an alle anderen, die beteiligt sind. Denn nicht nur der Bundeshaushalt, auch die öffentlichen Haushalte der Länder und Kommunen spielen eine Rolle.
Der Hinweis vorhin, daß eine Reihe unionsgeführter Länder auf einem guten Weg ist - auch die Koalition aus Union und F.D.P. in Baden-Württemberg - und im Verhältnis hierzu gerade SPD-geführte Länder am Schluß der Tabelle rangieren, ist begründet.
Hier wären größere Anstrengungen in der Sache und nicht große Worte wünschenswert.
Meine Damen und Herren, die Maastricht-Kriterien sind wichtig. Deswegen dürfen wir sie nicht verfehlen. Mehr als alle anderen Länder in der Euro-
Dr. Wolfgang Weng
päischen Gemeinschaft ist der Wohlstand in unserem Land vom Export abhängig. Der freie Zugang zu möglichst vielen Märkten ist für uns lebensnotwendig. Wir wollen auch nicht vergessen, daß die größten Abnehmer deutscher Produkte unsere europäischen Freunde sind.
Daß die F.D.P. an vielen Etappen der europäischen Einigung wesentliche Weichen gestellt hat, rufe ich gerne in Erinnerung zurück. Auch für die Zukunft wollen wir eine europäische Entwicklung, die weiteren Ländern den Zugang ermöglicht. Aber deren Entwicklung wiederum muß gleichzeitig mit der Fortentwicklung der in „Kerneuropa" zusammengefaßten Staaten laufen. Abwarten können wir auf keinen Fall; denn Abwarten würde ja bedeuten, daß uns andere wichtige Wirtschaftsregionen der Welt uneinholbar enteilen.
Weder in Nordamerika noch im fernen Osten wird man warten, bis die Europäer ihr Haus geordnet haben. Wir müssen uns schon selbst anstrengen.
Für die F.D.P.-Fraktion gilt neben der Einhaltung der Stabilitätskriterien ganz ausdrücklich: Ein Verschieben der Einführung der gemeinsamen Währung wäre einem Scheitern gleichzusetzen. Die Diskussion über eine Verschiebung wird zum Teil leichtfertig geführt. Alle unsere Anstrengungen richten sich auf die Einhaltung von Kriterien und Zeitplan.
Die Schuldenberge der öffentlichen Hände sind in den Jahren nach der Wiedervereinigung fast unvorstellbar gewachsen. Die Grundsatzentscheidung, den notwendigen Aufbau im Osten, den das bankrotte SED-Regime verursacht hatte, aus laufenden Mitteln zu finanzieren, ist nicht revidierbar. Die schwierige Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nach der Wiedervereinigung hat zu größerer Unsicherheit auch bei der Einschätzung der öffentlichen Einnahmen geführt.
Das Rangeln um die Finanzverteilung ist - das wissen Sie alle - zu Lasten des Bundes ausgegangen. Deshalb muß nach Auffassung unserer Fraktion öffentliche Sparsamkeit dazu führen, daß die Haushalte einerseits konsolidiert werden und der Schuldenberg nicht weiter wächst und daß andererseits auch Spielräume für steuerliche Erleichterungen und Veränderungen der Steuerstruktur genutzt werden können. Dies ist ein ehrgeiziges Ziel, das die Politik allein nicht leisten kann. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen wir auch die Hilfe der Tarifparteien und der Wirtschaft.
Nach den Kraftanstrengungen der Koalition bei den Gesetzen zur Verbesserung des Standorts Deutschland müssen die Spielräume jetzt auch von der Wirtschaft genutzt werden. Gerade im Mittelstandsbereich erhoffen wir uns eine große Einstellungswelle auf Grund der neuen gesetzlichen Regelungen, die wir im Deutschen Bundestag beschlossen haben.
Ich sage ausdrücklich: Natürlich dürfen unser politischer Gestaltungswille und unser Reformeifer nicht nachlassen. Aber es dürfen auch nicht diejenigen Politiker der linken Seite dieses Hauses Motivation und Auftrieb erhalten, die die getroffenen Entscheidungen für falsch halten, diese revidieren möchten und damit einen Irrweg gehen würden, die behaupten, diese Entscheidungen brächten keine Erfolge, was nicht richtig ist.
Allein eine Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze werden auch unsere Haushaltsprobleme leichter lösbar machen. Das steht für die F.D.P.-Fraktion fest. Noch höhere Schulden, noch höhere Belastungen der Bürger können als Ausweg nicht in Frage kommen. Damit wäre der Rückschritt des Wohlstands unserer Bürger eingeleitet.
Schon der Ablauf des Haushaltsjahres 1996 zeigt, wie stark die zusätzliche Arbeitslosigkeit den Bundeshaushalt belastet. Dieses Risiko wollen wir im kommenden Jahr möglichst in Grenzen halten. Die Linie der Auseinandersetzung wird schon dadurch deutlich, daß die Bundesanstalt für Arbeit einen Etat verabschiedet hat, dem Arbeitgeber und Bundesregierung widersprochen haben.
Der Zuschußbedarf der Bundesanstalt wäre um 5 Milliarden DM höher als im Bundeshaushalt vorgesehen, wenn er so genehmigt würde. Deswegen ist es richtig gewesen, daß der Haushaltsausschuß in Erwartung bestimmter Verhaltensweisen gesagt hat, er wolle diesen Etat der Bundesanstalt selbst sehen und beurteilen und der Bundesregierung anschließend Empfehlungen für die Genehmigung geben.
Ich weiß, daß es manchem Sozialpolitiker nicht leichtfällt, sich von liebgewordener Geldverteilung zu lösen. Aber es gibt keine Spielräume mehr für zusätzliche Verteilungen. Deshalb muß mit Blick auf gesamtstaatliche Verantwortung auch im Bereich solcher Leistungen das Geld so eingesetzt werden, daß es ausreicht. Wohlfeile Wünsche nach Erhöhung von Steuern und Abgaben zeigen einen falschen Weg auf.
Meine Damen und Herren, die Koalition im Deutschen Bundestag geht mit knapper Mehrheit einen schwierigen, aber richtigen und notwendigen Weg: Reformen für den Standort Deutschland, notwendige Zukunftsentscheidungen mit Blick auf die europäische Entwicklung und ein schwieriger Haushalt, der aber den Erfordernissen öffentlicher Sparsamkeit gerecht wird. Diesen Weg beschreiten wir - trotz der Blockadehaltung der SPD.
Hierfür haben die Bürger der Koalition bei der letzten Bundestagswahl die Verantwortung gegeben.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird dem Haushalt für 1997 in zweiter Lesung in dem Bewußtsein zu-
Dr. Wolfgang Weng
stimmen, nach schwieriger Operation im Vorfeld jetzt
die notwendige, die richtige Entscheidung zu treffen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Professor Christa Luft.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, daß in dem 97er Haushalt der Wurm steckt und daß es ein sehr, sehr gefräßiger Wurm ist.
Daher sind die Eintragungen, die in dieses Schicksalsbuch der Nation gemacht werden, nur noch mit Begriffen wie „schrumpfen", „streichen", „kürzen" verbunden. Damit, meine Damen und Herren von der Koalition, werden Sie den wirtschaftlichen und den sozialen Abwärtstrend in diesem Lande nicht stoppen.
Millionen Arbeitsloser, Hunderttausende von Menschen, die gegenwärtig um ihren Arbeitsplatz zittern, übrigens solche aus allen Berufsgruppen und massenhaft Frauen und Jugendliche, wollen doch aus dieser Debatte und aus dem Zahlenwerk, das hier zur Debatte steht, erfahren, wie sich ihr Schicksal im nächsten Jahr und in den Folgejahren wohl gestalten wird.
Verehrte Frau Kollegin Karwatzki, auch die Herren Roth und Weng möchte ich ansprechen, die Arbeitslosen können sich doch nichts dafür kaufen, daß der Bund infolge seiner verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik ein ums andere Mal mit Steuermindereinnahmen konfrontiert ist. Die Menschen, im besonderen die Arbeitslosen und die, die gegenwärtig um ihre Beschäftigung fürchten, spüren doch nichts Vorteilhaftes daraus, daß die Staatsquote 1997 auf das Niveau vor der deutschen Einheit zurückgeführt wird. Alle diese Begriffe sagen den Menschen im Lande nichts. Sie wollen etwas für ihre ganz persönliche wirtschaftliche und soziale Lage spüren, und sie orientieren sich auch nicht an den Maastricht-Kriterien, die für sie etwas sind, was sie eben nicht nachvollziehen können.
Was sollen die Arbeitslosen damit anfangen, wenn die Regierung feiert, daß die Exportgeschäfte gut laufen? Weshalb sollen sie dann, auch die, die sich gegenwärtig in Tarifverhandlungen befinden, akzeptieren, daß man den Gürtel ständig enger schnallen soll?
Weshalb sollten Arbeitslose Ihnen glauben, mit weiteren Steuerentlastungen der Unternehmen würden künftig mehr Arbeitsplätze geschaffen? Das ist doch auch in den vergangenen Jahren nicht eingetreten.
Allein 1994 - Sie brauchen nur in den neuesten Bundesbankbericht zu schauen - haben die Firmengewinne um 28 Prozent zugenommen, 1995 um
9,5 Prozent. In diesem Jahr, so sagt die Bundesbank, werden sich die Renditeerwartungen wiederum verbessern. Die Beschäftigungslage aber - das wissen wir genau - hat sich im gleichen Zeitraum keineswegs gebessert. Es geht, Herr Weng, doch auch nicht damm, welches Adjektiv man den Rezepten zuordnet, ob das nun sozialistische oder kapitalistische oder, wenn Sie wollen, marktwirtschaftliche Rezepte sind.
Es müssen Rezepte sein, die den Menschen helfen, das ist das Wichtige.
Impulse für den Abbau der Massenarbeitslosigkeit gehen von diesen Haushaltsansätzen nicht aus. Im Gegenteil, sie werden kontraproduktiv wirken. Allein auf Grund der um 6 Milliarden DM gekürzten öffentlichen Investitionsausgaben muß man damit rechnen, daß an die 100 000 Arbeitsplätze verlorengehen werden. Hinzu kommt, daß wegen der globalen Minderausgabe, die verordnet worden ist, heute überhaupt nicht absehbar ist, in welchen Etats um wieviel weiter öffentliche Investitionen gestrichen werden.
Arg beschnitten wird überdies die private Nachfrage durch die massiven Einschnitte in die Sozialleistungen. Selbst Mittel für Umschulung und Fortbildung waren kein Tabu, womit Sie wiederum vielen, vielen Menschen die Hoffnung genommen haben, eine neue Chance auf dem Arbeitsmarkt zu finden.
Das Ost-West-Gefälle in Deutschland wird durch diese Ansätze zementiert, wenn nicht gar vertieft. Der Anstieg des Wirtschaftswachstums in den neuen Ländern wird nach jüngsten Prognosen unter dem in den alten Ländern liegen. Die Arbeitslosenzahlen werden hoch bleiben. Die Firmenpleiten nehmen zu. Dennoch wird die Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderung um Milliarden gedrosselt.
Was glauben Sie wohl, meine Damen und Herren von der Koalition, mit welchen Sorgen und Befürchtungen viele Menschen in den neuen Bundesländern, wenn das Gefälle zwischen Ost und West in den nächsten Jahren nicht spürbar aufgehoben wird, in die Europäische Währungsunion gehen? Es kommt ein zweiter Schock auf die Menschen zu. Sie haben den ersten Schock der Währungsunion 1990 noch nicht verkraftet.
Die Zukunft dieses Landes und der Menschen muß doch auch eine Perspektive für die Menschen im Ostteil einschließen. Anders wird sich das Klima, die Atmosphäre für eine Europäische Währungsunion in diesem Lande nicht verbessern.
Dringende Aufgaben werden im Bereich von Bildung und Forschung sowie beim ökologischen Umbau der Wirtschaft nicht angepackt. Von einem mit-
Dr. Christa Luft
teifristigen Lehrstellenprogramm gibt es überhaupt keine Spur. Sie werden wiederum den Ausbildungsnotstand der letzten Jahre für Zehntausende junger Menschen besonders in den neuen Ländern, aber zunehmend auch in den alten Ländern in die Folgejahre hinein fortschreiben.
Seit dem dramatisierenden Standortbericht der Bundesregierung folgt ein Streichpaket dem anderen. Die Abstände zwischen den Streichaktionen werden immer kürzer, die sozialen Einschnitte immer härter. Die Erfolge für mehr Beschäftigung sind aber nicht in Sicht. Das weiß die Regierung.
Ich will Ihnen ein kleines Beispiel nennen. Die Gruppe der PDS hat am 28. Oktober eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, sie möge doch einmal auflisten, welche Ergebnisse bisher bei der Realisierung des vor einem Jahr abgegebenen Versprechens, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 halbieren zu wollen, erreicht wurden. Am 20. November, also vier Wochen später, erfuhren wir vom Bundeswirtschaftsministerium, es bedürfe so umfangreicher Ermittlungen und Abstimmungen zwischen mehreren Ressorts, daß die Beantwortung der Anfrage erst bis Ende Februar 1997 erfolgen könne.
Meiner Meinung nach ist auch das schon eine Antwort; denn wenn die Erfolge sichtbar wären, müßte eine solche Antwort im Handumdrehen gegeben werden können.
Die Regierung setzt also auf Zeit, weil sie bekennen muß, daß sich alle bisher im Interesse von Unternehmen getroffenen Maßnahmen in Mehrbeschäftigung nicht niederschlagen. Die Spitzen der Wirtschaftsverbände zeigen der Regierung desavouierend die kalte Schulter und meinen, daß das, was bisher an sozialen Einschnitten - die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Lockerung des Kündigungsschutzes und die Änderung des Ladenschlußgesetzes - beschlossen wurde, Peanuts für die Chefs der Wirtschaftsverbände seien. Sie gehen jetzt in die Offensive und wollen weit mehr. Sie wollen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, den Wegfall der Vermögensteuer, die weitere Entlastung der Lohnnebenkosten, indem die abhängig Beschäftigten mit Beitragsleistungen weiter belastet werden. Sie wollen die drastische Senkung des Spitzensteuersatzes.
Meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie sich einmal Rechenschaft darüber abgelegt, weshalb im gleichen Zeitraum, in dem die Staatsschulden eskaliert sind, die privaten Vermögen in gleicher Weise gestiegen sind? Da muß doch irgendeine Art von Zusammenhang sein. Man müßte von Regierungsseite einmal dahinterleuchten.
Wer soll Ihnen denn die These glauben, Sie wollten die Steuerzahler um 30 bis 35 Milliarden DM entlasten? Wo sehen Sie denn eigentlich ein Steuerentlastungspotential? Sie konnten doch schon bisher nicht sagen, wie Sie zum Beispiel die nun wieder ins
Auge gefaßte Senkung des Solidaritätszuschlages gegenfinanzieren wollen. Sie wissen auch nicht, wie Sie den Wegfall der Vermögensteuer kompensieren wollen. Dennoch ziehen Sie durchs Land und versprechen bis zu 35 Milliarden DM an Steuerentlastungen für alle. Ich wage es zu bezweifeln, daß alle dabei sein werden.
Allein von 1992 bis 1995 ist die Zahl der Beschäftigten um 1,2 Millionen gesunken, die Zahl der Arbeitslosen um 630 000 gestiegen, und fast 700 000 Menschen erhielten vorzeitige Rente wegen vorausgegangener Arbeitslosigkeit. Im Verlaufe von nur vier Jahren haben wir also 1,2 Millionen Steuer- und Beitragszahler weniger, und parallel dazu über 1,3 Millionen Empfänger von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und Bezieher vorzeitiger Renten mehr zu verzeichnen. Kein Sparvolumen ist denkbar, das Mindereinnahmen und Mehrausgaben dieser Größenordnung ausgleichen könnte. Ich sage Ihnen: Die Möglichkeiten der Haushaltssanierung über Streichen und Kürzen sind inzwischen ausgereizt. Endlich müssen andere Wege beschritten werden.
Wir fordern, daß die Wirtschaftsförderung und die Arbeitsmarktpolitik endlich miteinander verzahnt werden, daß die Fördermittelvergabe so zu reformieren ist, daß ein größtmöglicher Beschäftigungseffekt dadurch erzielt wird.
Wir fordern, den Subventionsbetrug - nicht schlechthin Subventionen - zu bekämpfen. Überhöhte und ungerechtfertigte sowie wesentlich vom Lobbyismus bestimmte Subventionen sind zu beseitigen, Planung und Erfolgskontrolle auf diesem Gebiet zu verbessern. Auf die Anschaffung neuer Großwaffensysteme für Heer, Luftwaffe und Marine muß verzichtet werden, insbesondere auf den Eurofighter.
Was davon an Arbeitsplätzen im Verteidigungsbereich betroffen sein würde, das läßt sich durch gleich hohe Investitionen im zivilen Sektor in jedem Falle bei weitem ausgleichen.
Es dürfen nicht abermals voreilig Beschlüsse zum Abbau des Solidarzuschlages im Jahre 1998 gefaßt werden. Die weitere Finanzierung des Aufbaus Ost darf nicht dem Koalitionsfrieden geopfert werden.
Die Mittel sind zur Errichtung eines Bundesfonds zur Bezuschussung von soziokulturellen Regelaufgaben in ostdeutschen Kommunen einzusetzen; denn die sind schwach, wie man es kaum noch beschreiben kann.
Unverzüglich sind Maßnahmen zu ergreifen, um Steuerflucht und Steuerhinterziehung einzudämmen und so zusätzliche Mittel zur Finanzierung beschäftigungswirksamer öffentlicher Aufgaben einzusammeln. Wenn man den politischen Willen hätte, könnten schon 1997 von der Summe in dreistelliger Milliardenhöhe, die der Bund der Steuerzahler als
Dr. Christa Luft
Betrag der hinterzogenen Steuern angibt, garantiert 10 bis 15 Milliarden DM eingenommen werden. Mit solchen Maßnahmen müssen Sie nicht bis zu einer großen Steuerreform warten.
Ich meine, es wäre an der Zeit, daß das Parlament sich von dieser Bundesregierung ein Konzept dafür vorlegen läßt, wie mit den Goldbeständen der Bundesbank umgegangen werden soll, wenn die Bundesrepublik Mitglied der Europäischen Währungsunion wird,
und ob bzw. wie ein Teil - ich betone: ein Teil - dieses auf 50 bis 60 Milliarden DM zu beziffernden Goldbestandes zur Finanzierung der Lösung von Zukunftsproblemen im Bereich von Bildung und Forschung oder auch für beschäftigungswirksame Infrastrukturmaßnahmen eingesetzt werden könnte. Ich meine: Eine gut ausgebildete Jugend, das ist das Gold für die Zukunft.
Da brauchen wir nicht die Goldbestände im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten.
Es gibt, meine Damen und Herren von der Koalition, -
Frau Luft, kommen Sie zum Schluß!
- durchaus Alternativen zu Ihrer Politik.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg-Otto Spiller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von 100 zusätzlich verdienten Mark verbleiben heute fast drei Viertel aller erwerbstätigen Haushalte in Deutschland nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben weniger als 60 DM. Rund der Hälfte der erwerbstätigen Haushalte bleiben sogar weniger als 50 DM. Darauf wiesen die sechs führenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute kürzlich in ihrem Herbstgutachten hin. Wo extrem hohe Abzüge am häufigsten vorkommen, hat der Sachverständigenrat schon vor zwei Jahren dargelegt: bei Arbeitnehmern mit Einkommen etwas über dem Durchschnitt, aber unterhalb der Bemessungsgrenze für die Rentenversicherung.
Als Helmut Schmidt noch Kanzler war, hat sich Leistung hierzulande mehr gelohnt als heute.
Die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland ist zu hoch. Unser Steuerrecht muß wieder einfacher und gerechter werden.
Es steht allen Parteien dieses Hauses gut an, sich dieser Aufgabe nach Kräften zu widmen. Allerdings mißt die kleinste Fraktion diesem Thema unabhängig von der Sache seit etwa einem Jahr eine einmalige und herausragende Bedeutung bei. Sie hält es für das Rettungsfloß, nach dem die immer wieder schiffbruchgefährdete F.D.P. seit langem sucht. Verblüfft über den Erfolg, bei Landtagswahlen in drei Bundesländern Traumergebnisse von über 5 Prozent erhalten zu haben,
und offenbar der Meinung, keines ihrer sonstigen Argumente sei irgendwie von Belang gewesen, beschloß die F.D.P., die Quelle des unerwarteten Heils müsse ihr Versprechen gewesen sein, als standfeste Steuersenkungspartei für die baldige Absenkung des Solidaritätszuschlages zu sorgen.
Mißlich nur, daß auch andere Persönlichkeiten in der Koalition Eigenheiten aufweisen. Der Bundesfinanzminister beispielsweise wird, ähnlich, wie andere Menschen zu Sommersprossen neigen, regelmäßig von unvorhersehbaren Haushaltslöchern geplagt.
Im Oktober vertraute er engen Freunden an, es sei nun wieder einmal so weit, nicht ohne zerknirscht hinzuzufügen, er müsse sich leider vorwerfen, der schönfärberischen Konjunkturprognose des vorlauten F.D.P.-Wirtschaftsministers aufgesessen zu sein.
Um ihn aus seiner unverdienten Niedergeschlagenheit wieder aufzurichten, schlugen die Freunde vor, dann eben eins, fix, drei die Mineralölsteuer zu erhöhen. Das gehe sogar ohne den Bundesrat, allerdings leider nicht ohne die F.D.P.
Die F.D.P. kam nach kurzem Nachdenken zu der Einschätzung, jede Steuererhöhung, die sie mitmache, sei ein Flecken auf ihrem neuen Aushängeschild „Steuersenkungspartei" - es sei denn, sie hätte die Steuererhöhung selbst beantragt.
Dann könne eben 1997 der Solidaritätszuschlag nicht gesenkt werden, antwortete die Union
und mahnte im übrigen eine rasche Entscheidung an.
Am Freitag, dem 18. Oktober, lief die Koalition dann zu voller Leistung auf.
Jörg-Otto Spiller
Die abschließende Beratung des Jahressteuergesetzes im Finanzausschuß wurde kurzfristig verschoben, um eine Einigung im Koalitionsgespräch zu ermöglichen und die Koalitionsfraktionen auf Linie zu bringen. Das war auch bald geschafft. Ergebnis: Der Solidaritätszuschlag wird 1997 nicht gesenkt, und die Mineralölsteuer wird jetzt erst einmal nicht erhöht.
Die F.D.P.-Mitglieder des Finanzausschusses kehrten als letzte in den Ausschuß zurück, nunmehr nur noch als Vertreter einer Steuernichterhöhungspartei,
und votierten gemeinsam mit der Union, aber gegen die Stimmen der erneut uneinsichtigen Opposition durch Schlußabstimmung zum Jahressteuergesetz für die Erhöhung der Grunderwerbsteuer.
Hierbei handelt es sich insofern um eine begrüßenswerte Steuererhöhung, Herr Kollege Möllemann, als sie wie ein halbes Dutzend anderer Steuererhöhungen seit 1991 von F.D.P. und CDU beantragt wurde.
Was in dem Koalitionsgespräch genau beschlossen worden ist, läßt sich leider nicht mehr ermitteln; denn aus Zeitgründen sprachen am Schluß immer mehrere Personen gleichzeitig.
Deshalb konnte auch jeder nur hören, was er selbst sagte.
Ein Protokoll dieser bedeutsamen Sitzung wurde offensichtlich nicht angefertigt, weshalb es leider auch nicht in die Sammlung „Meisterleistungen der Staatskunst" aufgenommen werden kann.
Um guten Rat nie verlegen, beschloß die Koalition daraufhin, Mitte Dezember neu darüber zu verhandeln, was sie denn nun am 18. Oktober tatsächlich vereinbart hat.
Vom Ablauf her ist das eine reine Posse. Von der Sache her ist es allerdings ein Trauerspiel.
Hektische Profilierungsversuche ausgerechnet dort,
wo Klarheit, Nüchternheit, Vertrauenswürdigkeit
und Sachlichkeit in besonderem Maße erforderlich wären: bei den Finanzen des Staates.
Die meisten Steuergesetze bedürfen der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.
Das mag der Koalition lästig sein, aber das haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes so gewollt.
Herr Spiller, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Möllemann?
Bitte schön.
Herr Kollege Spiller, Sie haben gerade die Erarbeitung eines bestimmten Teils des Konzepts der Koalition glossiert und dabei gesagt, im Umgang mit den Geldern des Bürgers sei hingegen eine besondere Sorgfalt vonnöten. Könnten Sie methodisch eine Querverbindung von Ihrer Bemerkung zu meinem Erlebnis am gestrigen Abend ziehen, als ich binnen fünf Minuten hörte, daß die sozialdemokratische Partei auf dem Parteitag beschlossen habe, einer bestimmten Gruppe von Bürgern zwecks Einrichtung von Ausbildungsplätzen eine Abgabe abzuverlangen, und daß fünf Minuten später der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Clement, dringend vor der Erhebung einer solchen Abgabe abriet, weil es dem Zustandekommen von Lehrstellen schade? Könnte es sein, daß Sie gerade etwas methodisch kritisiert haben, das sich gestern in Ihrer eigenen Partei abgespielt hat?
Mir fällt bloß auf, daß es offenbar sehr schwierig ist, Ihren Gedanken zu folgen.
Es mag ja sein, daß man auf vielen Umwegen so wie Sie denken kann. Zur Klarheit in der Politik hat Ihr Beitrag eben aber nicht beigetragen.
Steuergesetze - so habe ich vorhin gesagt - bedürfen normalerweise der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat, weil die Verfassung es so will; das heißt, daß man aufeinander zugehen, Nüchternheit bewahren, auch Respekt vor den anderen wahren und sich im Zweifelsfalle überlegen muß, ob eine Änderung einer Steuergesetzgebung wirklich notwendig ist. Verläßlichkeit ist ein Qualitätsmerkmal von Steuerrecht.
Jörg-Otto Spiller
Deswegen ist es zum Beispiel beunruhigend gewesen, daß noch vor wenigen Monaten der Kompromiß, der vor einem Jahr nach einem mühsamen Entscheidungsprozeß gefunden worden ist, nämlich die Erhöhung des Kindergeldes zum 1. Januar 1997 von 200 auf 220 DM - so steht das im Gesetz -, von der Koalition plötzlich wieder in Frage gestellt wurde. Wir sind froh, daß die Koalition eingesehen hat, daß das mit der SPD nicht zu machen ist.
Es wäre allerdings noch konsequenter, wenn auch der Grundfreibetrag - wie vorgesehen - zum Anfang des neuen Jahres erhöht wird.
- Die Erhöhung des Grundfreibetrages ist ein Griff in die Tasche?
Im Finanzausschuß hat die Koalition in diesem Jahr leider nur wenig Bereitschaft gezeigt, Kompromisse einzugehen. Ein Beispiel ist das Thema hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse. Die Koalition schlägt vor, das sogenannte Dienstmädchenprivileg zu erweitern und den Sonderausgabenabzug von 12 000 auf 24 000 DM zu verdoppeln. Es wird aber nicht davon gesprochen, daß alte Menschen, beispielsweise Rentnerehepaare, von einer solchen Regelung überhaupt nichts hätten.
Es wurde kein Wort darüber verloren, daß so gut wie keine junge Familie von einer solchen Regelung profitieren könnte.
Die konkreten Alternativen, die die SPD in die Diskussion eingebracht hat und die eine sehr viel bessere Wirkung auf die Arbeitsplätze haben als ein Modell, das seit längerem von der Bundesanstalt für Arbeit erprobt wird, haben Sie abgelehnt. Schade! Sie greifen unser Angebot zum Kompromiß nicht auf.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem wichtigsten Dissens sagen, den es derzeit gibt, nämlich zu der Zukunft der Vermögensteuer. In der schönen Broschüre „Steuern von A bis Z" Ausgabe 1995 heißt es hierzu:
Die fortlaufende Erhebung einer Vermögensteuer trägt dem Gedanken Rechnung, daß Vermögen als solches eine zusätzliche Besteuerung rechtfertigt, und zwar nicht nur wegen der laufenden Vermögenserträge, sondern weil bereits das Vorhandensein von Vermögen eine eigene
zusätzliche Leistungsfähigkeit begründet. So fördert die Verfügungsgewalt über ein mittleres oder größeres Vermögen wesentlich die Möglichkeit und die Effektivität wirtschaftlicher Betätigung. Insgesamt führt dies zu einer besonderen steuerlichen Leistungsfähigkeit, deren zusätzliche Besteuerung auch aus sozial- und gesellschaftspolitischen Gründen gerechtfertigt und notwendig erscheint.
Diese Broschüre ist von Theo Waigel herausgegeben worden. Wir streiten uns zwar gelegentlich mit diesem Mann, aber wo er recht hat, hat er recht.
Das Problem der Koalition ist nur:
Sie hat eine zu schlechte Meinung von den Deutschen und insbesondere von dem deutschen Bürgertum.
Wo ist denn der große Aufschrei zur Abschaffung der Vermögensteuer? Den gibt es überhaupt nicht. Die Abschaffung wird von den Betroffenen überhaupt nicht verlangt. Das ist eine reine Erfindung der Koalition.
Wurde nicht seit Generationen selbstverständlich hingenommen, daß Besitz auch Pflichten auferlegt? Wurde nicht in den fünfziger Jahren die Sonderabgabe zum Lastenausgleich ohne Murren akzeptiert und geleistet? Hätte der Bundeskanzler 1990 den Mut zur Wahrheit gehabt und nicht so getan, als würde die Wiedervereinigung aus der Portokasse zu bezahlen sein, hätte auch er damals ohne Mühe eine ähnliche Lastenausgleichsabgabe wie in den fünfziger Jahren durchsetzen können.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag und dem Bundesrat auferlegt, daß die Vermögensteuer wegen der krassen Ungleichbehandlung von Geld- und Immobilienvermögen nicht so bleiben kann, wie sie ist. Das ist auch einsichtig. Das heißt doch aber nicht, daß die Vermögensteuer deswegen abgeschafft werden muß.
Die Koalition blockiert derzeit jede Kompromißfindung im Vermittlungsverfahren, wenn sie auf diesem unsinnigen Standpunkt beharrt.
Jörg-Otto Spitler
Ich kann nur bitten: Geben Sie Ihre Blockadepolitik auf.
Es ist nun einmal so: Wenn zwei Gremien, die politisch unterschiedlich zusammengesetzt sind,
einem Verfahren oder einem Beschluß zustimmen müssen, dann müssen sich beide bewegen und überlegen, welche Punkte für sie wichtig sind und wo sie nachgeben.
- Herr Möllemann, wenn Sie meinen, daß die Vermögensteuer für das deutsche Bürgertum und die Wählerschaft der F.D.P. ein besonders wichtiger Punkt sei, dann kennen Sie offenbar die Leute, die Sie gewählt haben, schlecht.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Berner-kung zu der Besteuerung der Unternehmen machen. Das Problem, auf das jetzt immer wieder hingewiesen wird, ist die Zukunft der Gewerbekapitalsteuer. Das ist ein Problem, über dessen Lösung man sich sicher bald verständigen kann.
Die Koalition hat aber leider ein ganzes Jahr lang nichts dazu getan, um die offenen Fragen der Lösung ein Stück näherzubringen. Für die Unternehmen insgesamt in Deutschland - auch das muß gesagt werden - ist die Besteuerung ein sehr viel geringeres Problem als die Sozialabgaben.
Herr Möllemann, ich sage Ihnen: Die zusätzlichen 1,1 Prozentpunkte zum Beitrag der Rentenversicherung, die die Bundesregierung gerade beschlossen hat,
bedeuten wesentlich mehr als 2, 3 oder 4 Prozentpunkte bei der Senkung des Solidaritätszuschlags.
Ein Problem bei der Unternehmensbesteuerung ist im übrigen, daß ein immer geringerer Anteil der von deutschen Unternehmen gezahlten Steuern tatsächlich beim deutschen Fiskus ankommt, weil sie sich aussuchen können, wo sie die Steuern zahlen. Wir erwarten, daß die Regierung hier künftig stärker als in der Vergangenheit deutsche Interessen berücksichtigt.
Ansonsten muß ich leider sagen: Die Regierung hat nach 14 Jahren im Amt nichts anderes feststellen können, als daß der Standort Deutschland nun so gut wie am Ende sei. Sie werden nicht müde, dies zu erklären.
Die Kostensenkung - dies wird immer wieder gesagt - sei der eigentliche Punkt. Kostensenkung mag hier und da wichtig sein. Der eigentliche Punkt für uns ist aber etwas anderes. Wir müssen wieder zu einem innovativen Land werden. Wir müssen wettbewerbsfähige Produkte haben,
bei denen nicht nur die Kosten, sondern die Qualität und die Leistung zählen.
Das werden wir nur schaffen, wenn wir in Deutschland einen neuen Aufbruch erreichen.
Diesen erreichen wir nur mit einer neuen Regierung.
Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Susanne Jaffke das Wort.
Liebe Kollegen, es wird etwas schwierig werden, weil ich als nüchterner Norddeutscher nicht so unbedingt den Hang zu Büttenreden habe.
Herr Kollege, ich hoffe auch, Sie haben nichts gegen Personen mit Sommersprossen.
Nicht alles, was hinkt, kann man vergleichen, sage ich einmal.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicher landauf und landab bekannt, daß wir uns in einer schwierigen haushaltspolitischen Lage befinden.
Das leugnet niemand.
Es ist sicher auch unbestritten, daß man in etwas schwierigen Zeiten einen festen Zeitplan haben muß und daß dieser dann auch einzuhalten ist. Aus diesem Grunde haben wir als Koalition natürlich Wert darauf gelegt, daß dieser Zeitplan eingehalten wird.
Susanne Jaffke
Aber gestatten Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine ganz persönliche Bemerkung: In diesem Jahr waren die Beratungen für mich ganz besonders spannend, nicht wegen der besonderen Situation in unserem Land und in Europa, sondern weil gerade zu dieser Zeit ein junger Praktikant aus Rußland im Rahmen des internationalen Austauschprogramms des Deutschen Bundestages sein Praktikum in meinem Büro absolviert. Er hat sich logischerweise auch mit der deutschen Haushaltsproblematik und den derzeitigen Schwierigkeiten beschäftigen müssen.
In Rußland, sagt er, gab es ähnliche Probleme; es gibt sie auch heute noch. Die Ausgaben überschritten die Einnahmen bei weitem, und die ganze Wirtschaft ist schiefgegangen. - Für diesen jungen Mann ist klar, daß man nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch eine sehr interessante Feststellung.
Gibt es diese Einstellung in unserem Land eigentlich nur noch bezüglich des privaten Portemonnaies? Manchmal drängt sich mir der Verdacht auf, daß sich anderer Leute Geld viel leichter ausgeben läßt als das eigene. Aber Ausgaben im Haushalt, öffentliche Ausgaben, sind immer Ausgaben anderer Leute Geld.
Da nun das Geld anderer Leute nicht so reichlich in alle unsere Staatskassen sprudelt, müssen wir uns wohl oder übel Gedanken machen, wie man das Ausgabeverhalten sinnvoll gestaltet. Dabei spielt schon eine Rolle, ob eine öffentliche Diskussion über neue Steuern oder Steuererhöhungen geführt wird oder ob man eine Diskussion darüber führt, den allmächtigen Vater Staat ein wenig aus der Überregelungs- und Verantwortungswütigkeit zu entlassen.
Dabei müssen wir wohl erkennen, daß wir unsere eigenen Anforderungen an andere und an den Staat ein wenig zurücknehmen müssen.
In diesem Zusammenhang habe ich vor kurzem mit großem Interesse die Anmerkungen des Kollegen Schwanhold zur Höhe der ABM-Gehälter Ost und die Gedanken des NRW-Wirtschaftsministers Clement zu den sogenannten Einstiegstarifen gelesen. Sie sind schon wichtig in unserer Zeit. Aber sind sie auch mehrheitsfähig?
Schauen wir doch zum Vergleich in Länder wie Schweden, Österreich, Dänemark oder die Niederlande. Auch Frankreich und Italien sind sehr ehrgeizig darin, ihre Staaten zu reformieren. In diesen Ländern werden Reformen in den Sozialversicherungen, bei Industriesubventionen und im öffentlichen Dienst nicht nur eingeleitet, sondern auch durchgeführt. Warum gestalten sich solche Reformen bei uns eigentlich so schwierig?
Nach Aussage des Chefvolkswirts der Deutschen Bank, Professor Walter, entstanden allein im letzten Jahr in den USA netto rund 3 Millionen neue Arbeitsplätze, die meisten davon von überdurchschnittlich hoher Qualität und Entlohnung. In Relation zur Größe der deutschen Wirtschaft bedeutet dies nach seiner Prognose, daß wir die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland pro Jahr um eine Million reduzieren könnten, wenn es uns gelänge, eine Dynamik vergleichbar der in den USA zu entfachen.
Deutschland braucht ein investitionsfreundliches Steuersystem, das heißt, weniger Steuern und eine niedrigere Gesamtbelastung sowohl für Unternehmen als auch für Arbeitnehmer. Dazu zählt für mich natürlich auch der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer zum 1. Januar 1997.
Der Sachverständigenrat stellt dazu in seinem jüngsten Gutachten fest - ich zitiere -:
Wenn die Gewerbekapitalsteuer nicht für die gesamte Bundesrepublik abgeschafft wird, ist aus europarechtlichen Gründen kaum zu vermeiden, daß sie vom Jahre 1997 an auch in den neuen Bundesländern erhoben wird. Das wäre ein folgenschwerer Fehler.
Und weiter:
Die Gewerbekapitalsteuer ist generell wenig förderlich für Wachstum und Beschäftigung; in der besonderen Situation der neuen Bundesländer wäre ihre Einführung geradezu widersinnig.
Der Sachverständigenrat stellt weiter fest, daß der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Bundesländern große Fortschritte gemacht hat. Er verweist aber auch auf die grundlegende Schwierigkeit, daß die Wirtschaftspolitik einerseits den Aufbauprozeß durch Transfers massiv unterstützen muß - was wir mit dem Bundeshaushalt 1997 auch weiterhin tun -, andererseits aber nicht zulassen darf, daß durch Gewöhnung an Subventionen das behindert wird, was anzustreben ist, nämlich die Entstehung starker und eigenständiger Wirtschaftsregionen. Deswegen müssen bei aller öffentlichen Förderung auch Prioritäten gesetzt werden.
Ich denke, daß der Einzelplan 08 diesem Anliegen gerecht wird. Neben den Bereichen Bundesliegenschaften, Finanzverwaltung, Monopolverwaltung, Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen sowie Kredit- und Versicherungsaufsichtswesen finden sich in ihm nun auch die Bundesbeteiligungen sowie die BvS mit ihren Wirtschaftsplänen wieder. Ich möchte hier nochmals besonders auf zwei Aspekte eingehen, zum einen auf die Liegenschaftsverwertung durch den Bund und zum anderen auf die Nachfolgeeinrichtung der Treuhandanstalt.
Seit dem 3. Oktober 1990 wurden dem allgemeinen Grundvermögen - im wesentlichen bedingt durch die Aufgabe militärischer Standorte - Liegenschaften mit einer Gesamtfläche von 385 625 Hektar zugeführt. Dies entspricht etwa der Fläche des Saarlandes und Berlins zusammen. Zu diesen Liegenschaften gehören Kasernenanlagen, Wohnliegenschaften mit rund 155 500 Wohnungen, Flugplätze,
Susanne Jaffke
Übungsplätze mit rund 217 840 Hektar sowie land-und forstwirtschaftliche Flächen. Auf Grund der Truppenreduzierungen der alliierten Streitkräfte und der Bundeswehr ist auch 1997 noch mit weiteren Grundstückszuführungen in das allgemeine Grundvermögen zu rechnen.
In den neuen Bundesländern sind knapp 141 000 Hektar unentgeltlich an Verfügungsberechtigte übertragen oder restituiert worden. Die Länder Brandenburg, Sachsen und Thüringen haben alle WGT-Liegenschaften im Komplex übernommen. Vermarktungs- und Nutzungskonzeptionen unterfallen nunmehr der Länderhoheit. Die Länder Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern haben dieses Angebot leider nicht angenommen.
Was die Verwertung bundeseigener Wohnungen in den neuen Bundesländern angeht, so läßt sich folgendes feststellen: Im Gegensatz zu den alten Bundesländern wird die Verwertung durch die TLG wahrgenommen. Auch hier hat es eine zügige Veräußerung vor allem an derzeitige Mieter gegeben. Verzögerungsgründe bei der beschleunigten Privatisierung beschreiben die Verantwortlichen hier mit schwierig zu klärenden Eigentumsverhältnissen oder mangelnder Finanzierungsbereitschaft von Banken.
Darüber hinaus leistet die Bundesvermögensverwaltung insbesondere an den Außengrenzen der EU für Angehörige des Zolls, des BGS und der Bundeswehr aktive Wohnungsfürsorge und somit einen Beitrag zur Strukturverbesserung in den Grenzregionen zu Polen und Tschechien.
Der Bund räumt auch für den Haushalt 1997 großzügig Verbilligungen ein. Dies ist eine kommunenfreundliche Veräußerungspraxis des Bundes. Die Verbilligungsrichtlinien gelten auch weiterhin - unter Voraussetzung einer Nutzungbindung von mindestens 20 Jahren - für Altenheime, Bildungseinrichtungen und Werkstätten für geistig und körperlich Behinderte, Beratungsstellen für Suchtgefährdete, Frauenhäuser, Einrichtungen für Obdachlose, Kinder- und Jugendhilfeobjekte, Hochschulen und Schulen. Außerdem können nunmehr auch bundeseigene Sportanlagen, die bisher von der Bundeswehr oder von alliierten Streitkräften genutzt wurden, an Länder, Kommunen oder gemeinnützige Sportvereine verbilligt abgegeben werden.
Gestatten Sie mir bitte noch ein Wort zum Bundeszuschuß für die Nachfolgeeinrichtungen der Treuhandanstalt. Die Aufgabenerledigung bei der BvS ist inzwischen sehr gut vorangekommen. Die Ausgaben der BvS können 1997 daher deutlich zurückgeführt werden. Ihre Ausgaben kann die BvS im wesentlichen durch eigene Einnahmen aus der Abwicklung und aus dem Vertragsmanagement finanzieren.
Der Wirtschaftsplan der BvS hat in enger Abstimmung mit dem Bundesrechnungshof eine hohe Flexibilität bei der Bewirtschaftung der einzelnen Titel. Da die Beschäftigten in diesen Unternehmen zu über 80 Prozent eine - so möchte ich fast sagen - Lebensbiographie Ost haben, möchte ich hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort des Dankes und der Anerkennung für diese erbrachten Leistungen zum
Ausdruck bringen. Bei all meinen Besuchen vor Ort konnte ich immer wieder feststellen: Dort wird wenig auf Arbeitszeit geschaut, Überstunden gehören zum Alltag, und die hohe Flexibilität aller Mitarbeiter dort verdient alle Achtung.
Zu bemerken bleibt weiterhin, daß die Unternehmen GVV - für den Unkundigen: Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgelegten Berg-werksbetrieben -, EWN - Energiewerke Nord - und LMBV - Lausitzer und Mitteldeutsche Braunkohleverwertungsgesellschaft - mit ihren Bundeszuschüssen nicht nur einen aktiven Beitrag zur Abarbeitung der aus dem Sozialismus ererbten Umweltsünden leisten, sondern auch in hohem Maße ihrer Verpflichtung nachkommen, in den Regionen für Ausbildungsplätze zu sorgen. Somit tragen sie nicht unwesentlich dazu bei, jungen Menschen in diesen strukturschwachen Regionen durch gute Ausbildung eine Chance für das spätere Erwerbsleben zu eröffnen.
Meine Damen und Herren, die Arbeit der Nachfolgeeinrichtungen der Treuhandanstalt mag häufig kritisiert werden. Wir sollten aber nicht vergessen, daß sie einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer eigenständigen Wirtschaftsregion und zur Sicherung bereits bestehender Unternehmen und damit von Arbeitsplätzen leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir zum Abschluß noch ein Wort des Dankes an den Bundesfinanzminister.
Niemand hat derzeit ein schwierigeres und unpopuläreres Amt zu leiten als er.
Für seinen Einsatz und seine Standfestigkeit möchte ich ihm von hier aus nochmals herzlich danken
und ihm die besten Genesungswünsche übermitteln.
Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß für die gute Zusammenarbeit, auch wenn wir mitunter ziemlich ruppig miteinander umgehen. Der besondere Dank geht an die immer freundlichen Mitarbeiter unseres Sekretariats sowie des Ministeriums, die es manchmal wahrlich nicht leicht haben, Gemütszustände von Abgeordneten gelassen zu tragen.
Ich danke vielmals für die Aufmerksamkeit.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt 1997, der unter der Euro-Fessel steht, ist ein wahrer Feldzug sozialer Grausamkeiten sowie bitterer Pillen für die Gemeinden. Durch dramatische Lastenverschiebungen hat der Bund die kommunale Sozialhilfe zusehends zum Ausfallbürgen für Arbeitslose gemacht.
Die rigorose Rückführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verschärft zusätzlich die ohnehin prekäre Haushaltslage der Städte, Gemeinden und Landkreise. Die Sozialhilfe, eigentlich für individuelle Notlagen gedacht, wird immer mehr für diesem Zweck widersprechende Ausgaben mißbraucht, was wir entschieden verurteilen. Inzwischen zahlen kreisfreie Städte und Landkreise bundesweit bereits etwa 10 Milliarden DM Sozialhilfe jährlich nur für Arbeitslose, zunehmend auch in Ostdeutschland. Die Entlastung der kommunalen Sozialhilfeetats durch die Pflegeversicherung erreicht nicht annähernd die von Minister Blüm früher einmal veranschlagten Größenordnungen.
Durch laufende Steuerrechtsänderungen zum Vorteil des Bundes und zu Lasten der Kommunen - Stichwort: Gewerbesteuer - hat die Bundesregierung neben den Ländern maßgeblich zur größten kommunalen Finanzkrise in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen. Auch das belegen die Analysen; Herr Roth, Sie haben andere gebracht.
Die Kreditmarktschulden ostdeutscher Kommunen beispielsweise kletterten von 17 Milliarden DM Ende 1993 innerhalb von nur drei Jahren auf nunmehr 43 Milliarden DM. Das ist ein Schuldenzuwachs von über 150 Prozent in 36 Monaten. Die große Mehrheit der deutschen Kommunen in Ost und West ist angesichts dieser Situation kaum noch in der Lage, selbst die sogenannten gesetzlichen Pflichtaufgaben der Daseinsvorsorge zu erfüllen. Aufgaben im sozialen Bereich, im Kinder- und Jugendfreizeitbereich oder in der Kultur bleiben vielerorts ganz auf der Strecke. Zugleich gingen und gehen die kommunalen Investitionen drastisch zurück, in Ostdeutschland von 28,2 Milliarden DM 1994 auf 25,5 Milliarden DM in diesem Jahr.
Die PDS-Bundestagsgruppe verlangt daher mit den beiden heute vorliegenden Änderungsanträgen die Wiederauflage einer kommunalen Investitionspauschale, die vom Bund direkt an die ostdeutschen Städte und Gemeinden weitergeleitet werden soll.
Diese Investitionspauschale, Herr Küster, soll einen Umfang von 3 Milliarden DM jährlich haben und aus der Realisierung von entsprechenden Nachforderungen des Bundes aus dem Verkauf der Banken der DDR finanziert werden. Hier gibt es nicht wenig Spielraum; Finanzierungsvorschläge von uns liegen auf dem Tisch.
Was das Gespenst der sogenannten kommunalen Altschulden anbelangt, das weiterhin durch Ostdeutschland geistert, so sage ich: Es kann hierfür nur eine sachliche und dauerhafte Lösung geben. Sie besteht darin, diese Altschulden, die keine Schulden der Gemeinden sind, vollständig in den Erblastentilgungsfonds des Bundes einzustellen und dem Bund - und nur ihm - auch die entsprechenden Zins- und Tilgungsaufwendungen zu übertragen.
Allen Tricksereien der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition - siehe den jetzigen Gesetzentwurf -, von einer hälftigen Refinanzierung des Erblastentilgungsfonds durch die ostdeutschen Länder und das Land Berlin bis hin zur Einbeziehung des Vermögens der Altparteien der DDR in derartige Zins- und Tilgungsleistungen, erteilt die PDS aus rein sachlichen Überlegungen eine eindeutige Abfuhr.
Zur Überwindung der Strukturkrise der Kommunalfinanzen, die schon heute den Bestand kommunaler Selbstverwaltung gefährdet, ist nun endlich eine umfassende Reform der Finanzierung der Gemeinde-und Kreishaushalte unabdingbar. Die von der Bundesregierung unmittelbar nach der Provokation - ich benenne es so - mit dem Jahressteuergesetz 1997, Stichwort: Abschaffung der Vermögensteuer, jetzt erneut versuchte bundesweite Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer verdient den von ihr vollmundig verwendeten Begriff einer Gemeindefinanzreform überhaupt nicht.
Indem die Bundesregierung sich vehement weigert, das dann noch verbleibende Gewerbeertragsteueraufkommen durch eine Änderung des Grundgesetzes abzusichern, will sie ganz offensichtlich das Einfallstor für die Beerdigung der Gewerbesteuer überhaupt - es geht für die Gemeinden um 30 Milliarden DM jährlich - offenhalten. Solches lehnt die PDS entschieden ab, dabei wohl wissend, daß die Gewerbekapitalsteuer durchaus ihre Probleme hat, Stichwort: Dauerschulden und Dauerschuldzinsen. Wir können uns in diesem Zusammenhang für das nächste Jahr eine Verlängerung der Nichterhebung der Gewerbekapitalsteuer in Ostdeutschland wohl vorstellen, wenn den betreffenden Gemeinden dann endlich ein Ausgleich für das auf diese Weise entgangene Steueraufkommen - immerhin 600 Millionen DM jährlich und fast 4 Milliarden DM seit 1991 - gezahlt wird und wenn - das kommt hinzu - das nächste Jahr wirklich zur Vorbereitung einer Kommunalfinanzreform, genutzt wird, die diesen Namen auch verdient und nicht bloß eine weitere Unternehmensteuerentlastung auf Kosten der Gemeinden ist. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie sind in die zweite und dritte Lesung einzubeziehen.
Danke schön.
Ich erteile dem Abgeordneten Wilfried Seibel das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei einer zu hohen, aber real existierenden Staatsquote von über 50 Prozent hat der Haushalt des Bundes unmittelbare Auswirkungen auf Konjunktur und Wirtschaft in unserem Lande.
Der jetzt zu verabschiedende Haushalt für das Jahr 1997 wird den nationalen und globalen Notwendigkeiten gerecht. Die politische Diskussion überbetont die Risiken, beklagt die Einschränkungen staatlicher Tätigkeit und sorgt mit nicht immer ganz ausgegorenen Vorschlägen und neuen Ideen für einen Teil der Verunsicherung in diesem Lande. Ich denke, in der Debatte dieser Woche sollten wir auch den Versuch unternehmen, die Stärken des Wirtschaftsstandorts Deutschland klarer herauszustellen, weniger zu jammern und mögliche Risiken mit Optimismus und nicht mit Wehklagen anzugehen.
Der Blick auf die Wechselkurse markiert die hervorragendste Stärke: die Stabilitätspolitik der Bundesregierung und der Bundesbank, den Erhalt der Geldwertstabilität auf hohem Niveau. Bei fast 5 Billionen DM Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland bedeutet jedes Prozent Inflation Vermögenseinbußen in Höhe von annähernd 50 Milliarden DM. Ich glaube, schon diese Kennziffer macht deutlich, daß wir auch weiterhin in der Pflicht stehen, Stabilität zu erhalten und Inflation zu vermeiden.
Dies ist auch aus folgendem Grund notwendig: Wenn wir stärker als bisher eine eigenverantwortliche Vermögensbildung zur Absicherung bei Krankheit und im Alter fordern, dann darf Vermögen nicht durch Inflation und eine ausufernde Steuer- und Abgabenlast wieder verzehrt werden.
Noch gestern abend hat der Vorsitzende der SPD, Herr Lafontaine, öffentlich erklärt, die strikte Stabilitätspolitik sei der wesentliche Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung.
Dem ist ganz entschieden entgegenzuhalten, daß Inflation kein geeigneter Weg für mehr Wachstum und Beschäftigung ist.
Da Deutschland auf Grund seiner wirtschaftlichen Stärke und der Stabilität seiner Währung eine unbestrittene Vorreiterrolle in Europa hat, würden Anstrengungen anderer Länder nicht nur ad absurdum geführt, sondern auch verhöhnt, wenn wir unsere Anstrengungen zurücknehmen würden.
Wenn sich der Staat höher verschuldet, übt er Druck auf die Geldmärkte aus. Die Zinsen werden steigen, und das belastet nicht nur die Investitionen und die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit, sondern auch den privaten Konsum. Mehr staatliche Tätigkeit durch höhere Steuern oder Abgaben zu finanzieren
ist Gott sei Dank ein versperrter Ausweg. Die Abgaben- und Steuerlast in unserem Lande ist zu hoch. Sie wird von allen Bürgern und der Wirtschaft als unerträglich empfunden. Sie ist Anlaß zur Leistungsverweigerung und zu Betriebsverlagerungen ins Ausland. Mehr Steuern sind nicht möglich. Steuerentlastung ist das Gebot der Stunde.
Der vom Haushaltsausschuß beschlossene Etat für 1997 hält die Staatsverschuldung in Grenzen und führt durch die Aufnahme der Daten aus dem Jahressteuergesetz zu einer nicht unmaßgeblichen Steuerentlastung in Höhe von insgesamt rund 18 Milliarden DM. In dem Etat werden die staatlichen Ausgaben zurückgefahren. Dies ist in Wahrheit der einzig mögliche Weg, Wirtschaft und Finanzen zu konsolidieren.
Die staatliche Tätigkeit muß noch weiter zurückgefahren werden; sie muß reduziert werden. Ich sage: Dies ist auch möglich. Nach meinem Verständnis ist das das Feld, auf dem sich die Kreativität konkurrierender Politikentwürfe beweisen könnte. Aber leider geschieht das nicht. Es wird gejammert. Es wird gehetzt. Es wird verunglimpft. Es wird mehr gefordert, aber ein Konkurrieren gerechterer, intelligenterer, in die Zukunft weisender Modellentwürfe der staatlichen Tätigkeit findet nicht statt.
Lassen Sie mich in bezug auf uns alle sagen: Ich denke, hier hätten wir mehr leisten sollen. Die Panikmache der letzten Wochen hat dazu beigetragen, daß auf den Märkten eine deutlich spürbare psychologische Zurückhaltung herrscht. Überspitzt formuliert: Hüten wir uns als Politiker davor, ein Stück einer möglichen Krise zu werden.
- Wunderbar, die Botschaft ist angekommen. Der Aufschrei beweist es. Danke sehr.
Ende des Jahres 1997 wird in der EU festgestellt, wer die Kriterien des Maastricht-Vertrages erfüllt und wer in die Währungsunion aufgenommen werden kann. Bürger und Finanzmärkte beurteilen Politik, aber nicht nach Absichtserklärungen und Anstrengungen, sondern nach Ergebnissen. Diese sind heute noch nicht ausreichend.
Die im Maastrichter Vertrag angelegte Rückführung der Staatsverschuldung ist damit eine unverzichtbare Grundlage für ein langfristig angelegtes Revitalisierungsprogramm für ganz Europa. Einschränkungen bei konsumtiven Staatsausgaben zur Rückführung des Staatsanteils geben Spielraum für dringend erforderliche Steuersenkungen, für private Initiativen und Investitionen.
Wenn die europäischen Regierungen es heute nicht schaffen, den Schuldentrend zu brechen und glaubwürdig umzukehren, dann werden sie diese Kraft niemals aufbringen. So gesehen ist es verfrüht,
Wilfried Seibel
einer Verschiebung des Beginns der Währungsunion das Wort zu reden.
Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß der niedersächsische Ministerpräsident Schröder täglich den Eindruck erweckt, der Maastrichter Vertrag sei nicht ausreichend formuliert, und es gebe jetzt Veranlassung, den Beitritt zur Währungsunion zu verschieben. Immer bemüht, auf der nächsthöheren Welle der Popularität zu surfen, benutzt Herr Schröder dieses Thema, um an Stelle von Oskar Lafontaine Kanzlerkandidat der SPD zu werden. Der Konkurrenzkampf dieser beiden Herren ist nicht ohne Unterhaltungswert. Aber die Frage, wer in welcher Talkshow wen zum Verzicht auffordert, kann doch wohl nicht mit den Problemen der Staaten in Europa verbunden werden.
Wer die Zügel der strikten Konsolidierungspolitik in Europa lockern will, muß dem deutschen Bürger auch deutlich sagen, welche Folgen eine Verschiebung oder möglicherweise sogar eine Aufgabe des Ziels der Europäischen Währungsunion mit sich bringen würde.
Für Deutschland wären die Folgen verheerend. An dem Tag, an dem die Aufgabe oder die Verschiebung verkündet würde, gäbe es eine exorbitante Flucht aus verschiedenen europäischen und anderen Währungen in die D-Mark. Auf die D-Mark würde ein immenser Aufwertungsdruck wirken, dem sich die Märkte nicht entziehen könnten.
Was eine so deutlich aufgewertete D-Mark für den Export und für die Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte auf den Weltmärkten bedeutet, muß ich einem so kundigen Publikum wie Ihnen sicherlich nicht im einzelnen auseinandersetzen: Wir würden noch mehr Arbeitslosigkeit bekommen; wir würden noch mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Die Probleme, die dadurch entstünden, wären so gewaltig, daß alles das, was wir schon heute intensiv diskutieren, nur ein lauer Frühlingswind gegen den Herbststurm wäre, der dadurch ausgelöst würde.
Meine Damen und Herren, auch wenn es keinen vollständigen Automatismus gibt, so wird mit dem Stabilitätspakt doch ein Zwang zu weitreichender Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Europäischen Union begründet. Eine völlige Vereinheitlichung aller Bereiche der Wirtschaftspolitik ist nicht notwendig. Ein gewisser Systemwettbewerb der Staaten ist auch in der Währungsunion möglich und wünschenswert, schon um den zentralistischen Tendenzen der Brüsseler Regulierungswut entgegenzuwirken.
Wir müssen allerdings darauf achten, daß die gemeinsame Währung und das feste Wechselkursverhältnis zwischen den „Ins" in der Währungsunion und den „Outs" sowie der Druck auf eine Vereinheitlichung der Wirtschaftspolitik nicht dazu führen, daß die Staaten in Europa nunmehr dazu übergehen, steuerpolitisch eine „beggar my neighbour policy"
zu betreiben, und daß die einzelnen Staaten der EU versuchen, die Konkurrenz, die bei Währung und Wirtschaft nicht mehr stattfinden kann, nunmehr bei Steuersystemen einzusetzen.
Es war wichtig, daß Finanzminister Waigel einen großen Erfolg bei der Absicherung einer nachhaltigen Haushaltsdisziplin und damit für die Glaubwürdigkeit der Stabilitätsorientierung der Europäischen Währungsunion erzielt hat. Es ist nun wichtig, daß wir bis zum möglichen Beginn der Währungsunion am 1. Januar 1999 eine weitgehende Harmonisierung der Steuern in Europa erreichen können.
Für uns in Deutschland und nahezu für alle Staaten in Europa ist die wichtigste Frage, wie mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können. Dieses Ziel darf aber nicht zu einer Aushöhlung der Stabilitätsorientierung führen.
Herr Kollege Seibel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier?
Ja, gern. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte.
Herr Kollege, da ich Ihren Ausführungen der letzten paar Minuten ausdrücklich zustimme, möchte ich Sie fragen, warum Sie als Union und als Koalition diese Meinung vertreten, andererseits aber unsere Vorschläge - vor allem die des Parteivorsitzenden der SPD - für eine Steuerharmonisierung in Europa, um den Abwertungswettlauf über Steuern in Europa zu verhindern, heftig angreifen. Denn es kann doch nicht sein, daß wir hohe und höchste Beiträge zahlen, während uns andere Länder durch Niedrigsteuerpolitik die Steuerzahler abwerben. Warum sagen Sie das hier so - dies unterstütze ich -, während Sie draußen unsere Position so heftig bekritteln?
Ich persönlich rede nicht hier so und draußen anders. Meine Rede ist immer die gleiche.
Ich warne aber davor, Frau Kollegin Matthäus-Maier, zu glauben, daß die Währungswirkungen durch Steuerwirkungen aufgehoben werden könnten. Wenn man offen und ehrlich diskutiert, gehört das klare Bekenntnis dazu, daß Geldmarktwirkungen eine andere Dimension, eine andere Kraft, eine andere Geschwindigkeit haben als steuerliche Wirkungen. Sich die Wirkungsweisen nüchtern bewußt zu machen gehört also dazu.
Ich denke aber, daß wir in den Beratungen des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union dieses Parlamentes auf gutem Wege sind. In dieser oder der nächsten Woche steht dieser Punkt wieder auf der Tagesordnung. Es gibt Erklärungen
Wilfried Seibel
des Finanzministeriums, die nicht weit weg sind von der Auffassung, die Sie vertreten. Insofern habe ich den Gegensatz nicht ganz gesehen. Ich hoffe, Sie können mit dieser Antwort leben.
Für uns in Deutschland und für nahezu alle Staaten in Europa ist die wichtigste Frage die, wie mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können. Dieses Ziel darf aber nicht zu einer Aushöhlung der Stabilitätsorientierung führen. Eine wirtschaftlich starke Europäische Union ist kein Selbstzweck. Anstrengungen müssen dazu führen, daß das Wachstum und die Beschäftigung in Europa verschärfter globaler Konkurrenz standhalten können.
Ich denke, die konsequenten Bemühungen für eine harmonisierte Wirtschafts- und eine einheitliche Währungspolitik müssen auch das Ergebnis haben, daß die westeuropäischen Staaten den notwendigen Aufbauprozeß in Mittel- und Osteuropa kraftvoll unterstützen können, durch Investitionen, durch Transfers von Know-how und durch Kapital. Wenn die wirtschaftliche Stärkung, die wir uns von den Einschränkungen erwarten, nicht auch dieses Ziel unterstützt, gehen wir großen Belastungen für Frieden und Stabilität in Europa entgegen. Anders ausgedrückt: Es gilt, mit unserer Konsolidierungspolitik Kurs zu halten, damit Wohlstand und Beschäftigung in Westeuropa gesichert, aber auch in Osteuropa möglich werden.
Der Haushalt 1997 dient diesem Ziel.
Eine Abkehr von dieser Politik um kurzfristiger Effekte willen darf es nicht geben. Ich denke, wir wären gut beraten, die Nerven zu behalten, richtige Ziele auch vor den Wählern konsequent zu vertreten und damit unserer Verantwortung für die nachwachsende Generation gerecht zu werden.
Ich schließe die Aussprache. - Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6214. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalition, bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS.
Dann stimmen wir ab über den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/6229. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag abgelehnt worden ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS.
Dann stimmen wir ab über den Einzelplan 08 in der Ausschußfassung. Wer dem Einzelplan 08 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 08 angenommen worden ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.
Dann kommen wir zum Einzelplan 32, Bundesschuld. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zunächst abstimmen müssen.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6215 ab. Diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 6231 ab. Diejenigen, die diesem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir stimmen über den Einzelplan 32 in der Ausschußfassung ab. Diejenigen, die dem Einzelplan 32 zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 32 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Wir kommen jetzt zum Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung. Dazu liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6228. Diejenigen, die diesem Antrag zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf. Das ist die Drucksache 13/ 6232. Diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6233 auf. Diejenigen, die diesem Antrag zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6230 auf. Diejenigen, die dem Änderungsantrag der PDS zustimmen wollen, bitte
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Wir stimmen über den Einzelplan 60 in der Ausschußfassung ab. Diejenigen, die diesem Einzelplan zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - auf. Diejenigen, die dem Einzelplan 20 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 20 mit den Stimmen des gesamten Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Ich rufe auf: Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Drucksachen 13/6017, 13/6025 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby Ina Albowitz
Siegrun Klemmer
Kristin Heyne
Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Abgeordneten Siegrun Klemmer das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die eben geführte Finanzdebatte - lassen Sie mich damit beginnen - hat, denke ich, deutlich gemacht, wie sehr die Bundesregierung in eine Gemengelage aus falschen Diagnosen und untauglichen Therapien verstrickt ist.
Ihre Haushaltspolitik hat ausnahmslos alle gesellschaftlichen Bereiche und damit auch alle Einzelpläne in eine Spirale des sozialstaatlichen Abwertungswettlaufs einbezogen. Auch der vorliegende Entwurf für den Einzelplan 17 ist eine in Zahlen gegossene Liste von Versäumnissen. Er ignoriert erstens die zentralen Stränge des gesellschaftlichen Wandels, er verkennt zweitens den dringenden Handlungsbedarf, und er vermeidet drittens die so notwendige Prioritätensetzung.
In meiner Rede anläßlich der Einbringung dieses Haushalts habe ich die durchweg zweistelligen Kürzungen an den Phrasen und an den schillernden Farben der Selbstdarstellung des sogenannten Hauses der Generationen gemessen. Es war nicht schwer, diese Phrasen als hohl und die Farbe als trübe zu entlarven. Deutliche Nachbesserungen haben wir damals gefordert. Statt dessen ist auch dieser Einzelplan nun endgültig in die Haftungsverpflichtung der zusätzlichen Minderausgaben von Herrn Waigel geraten. 50 Millionen DM müssen noch einmal in diesem Einzelplan erbracht werden. In heilloser Aufregung werden 35 Millionen DM dort abgeladen, wo eine artikulierte Gegenwehr am wenigsten zu erwarten ist, bei den Aussiedlern.
Wenn jetzt niemand die Notbremse zieht, dann treibt im nächsten Jahr die vielbeschworene Querschnittsaufgabe einer intervenierenden und einer innovativen Jugend- und Frauenpolitik in Stagnation dahin. Die Familien werden eine weitere Minusrunde für ihre Kaufkraft verbuchen müssen, und von den Senioren redet seit einer ganzen Weile selbst im Seniorenministerium schon keiner mehr - wie denn auch? In Zeiten, in denen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit beschlossen ist und die Pläne für eine Rentenbesteuerung in der Schublade liegen, nehmen sich gutgemeinte Modellprojekte in diesem Bereich schon wie Boten aus einer vergangenen Zeit aus.
Die Kritik der SPD-Fraktion ist bei Finanzminister Waigel und auch bei Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen der Koalition, auf eine Wagenburgmentalität gestoßen. In Kenntnis des kurzen Atems Ihrer eigenen Zahlen haben Sie nach dem Motto „Augen zu und durch" das parlamentarische Beratungsverfahren im Haushaltsausschuß zur Routine degradiert. Alle unsere Anträge wurden niedergestimmt, Einvernehmen wäre allenfalls über zusätzliche Kürzungen zu erzielen gewesen. Auf unsere inhaltlich gut begründeten Anträge für Aufstockungen bei - darauf lege ich großen Wert - gleichzeitigen Deckungsvorschlägen haben Sie mit pauschaler Verweigerung reagiert, und das zeugt von Ignoranz und Konzeptlosigkeit.
Daß den Berichterstattern - daß Sie das mitgemacht haben, Kolleginnen und Kollegen, ist ein schlechtes Zeichen von Kollegialität - noch 24 Stunden vor der Bereinigungssitzung kein Blick in die Karten gestattet wurde, mit denen Herr Waigel den eingestandenen Teil des neuesten Milliardenlochs auf die Ressorts verteilte, offenbart Arroganz gegenüber den anderen Berichterstattern, und es zeigt die heiße Nadel, mit denen dieser Haushalt gestrickt wurde.
Welche Signale sendet denn nun das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus? Wer
Siegrun Klemmer
nur einen oberflächlichen Blick auf die Verlautbarungen zur Familienpolitik wirft, erkennt bereits, wie sehr die Wirklichkeitsvermeidung ins zuständige Ministerium Einzug gehalten hat. Als könne nicht sein, was nicht sein darf, konstatiert Frau Nolte in ihrer Stellungnahme zum aktuellen Familien-Survey des Deutschen Jugendinstituts, Ehe und Familie seien kein Auslaufmodell. Das ist so wahr wie nichtssagend. Als gelte es, die unangenehmen Ergebnisse der Soziologie zu leugnen, werden die wichtigsten Erkenntnisse sozusagen zu Nebenaspekten stilisiert.
Festhalten läßt sich: Die Heiratsbereitschaft nimmt ab. 1972 lebten in der alten Bundesrepublik 137 000 Paare in nichtehelichen Lebensgemeinschaften; 1994 sind es fast zehnmal soviel. Die Zahl ist auf 1 300 000 Paare angestiegen. Das Heiratsalter steigt ebenso wie die Scheidungsquote. Die Zahl der nichtehelich geborenen Kinder steigt an; in Ostdeutschland beträgt sie mittlerweile 50 Prozent.
Ein typisch nordeuropäisches Familienmodell hat sich nach der Wende ausgebreitet: eine schleichende Ersetzung der alten Kernfamilie durch . andere Lebensformen. Da tut sich Reformbedarf auf, sollte man meinen. Endlich soll das angestaubte Kindschaftsrecht abgelöst werden. Aber von der Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften und gleichgeschlechtlicher Paare ebenso wie vom Ausbau der Kinderrechte ist die Familienministerin weit entfernt.
In ihrem Jahresbericht 1995 feiert Frau Nolte den kontinuierlichen Ausbau des Familienlastenausgleichs zum Familienleistungsausgleich.
Quasi im gleichen Atemzug - Sie alle sind Zeugen dieses Vorgangs gewesen - muß die SPD die Kindergelderhöhung gegen den Finanzminister und gegen sein Jahressteuergesetz 1997 durchsetzen.
Auf ein deutliches Wort von Ihnen, Frau Nolte - das habe ich schon bei der Einbringung gesagt -, warten die Familien bis heute.
Da paßt es dann zum negativen Bild unseres Gott sei Dank doch noch reichen Landes, daß dieser Tage anläßlich einer Tagung des Deutschen Kinderhilfswerks bekannt wird, daß die Zahl der Kinder, die unterhalb der Armutsgrenze leben müssen, doppelt so hoch ist wie die der Erwachsenen, die das gleiche Schicksal ereilt. Bereits 1,5 Millionen Minderjährige sind in Deutschland auf Sozialhilfe angewiesen.
Der Regierungsentwurf sieht beim Erziehungsgeld Ausgaben in Höhe von 7 Milliarden DM vor. Gegenüber dem Entwurf des Vorjahres mußte der Ansatz für diese gesetzliche Leistung - das ist ja kein Gnadenakt - mehrfach nach unten korrigiert werden. Die Ursache dafür liegt in den seit 1986 unveränderten
Einkommensgrenzen. Das bedeutet, in Zeiten sinkender realer Kaufkraft werden dadurch immer mehr Familien 'von dieser so wichtigen Hilfe bei der Kindererziehung ausgeschlossen.
In den letzten beiden Jahren haben die Familien Minderausgaben beim Erziehungsgeld in Höhe von über 1 Milliarde DM hinnehmen müssen. Dies konterkariert nicht nur jeden ernstzunehmenden Familienleistungsausgleich, sondern auch - das müßte Sie doch interessieren - volkswirtschaftlich erweist sich das natürlich als Bumerang.
Die mehrfach angemahnten Hausaufgaben der Bundesregierung zur Frauenförderung blieben unerledigt. Noch immer wird der einzige im Einzelplan 17 veranschlagte Titel von einer Vielzahl von Projekten bevölkert. In ihrer Summe ist kein frauen- oder gleichstellungspolitisches Konzept zu erkennen. Zusätzlich hat Frau Nolte die Claims einseitig abgesteckt. Diejenigen Modellprojekte, die sich wichtigen aktuellen Entwicklungen und Aufgaben stellen, sind fest in der Hand von katholischen und/oder konservativen Trägern.
Wer die Förderung von Frauen im Ehrenamt an die CDU-nahe Jakob-Kaiser-Stiftung delegiert, folgt einem Konzept von Ehrenamtlichkeit, das Frauen aus dem ersten Arbeitsmarkt zurück in ein konkurrenzfernes Hausfrauendasein verbannt.
Der Vernetzungsstelle der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten, als dreijähriges Modellprojekt intensiv genutzt und voll von breitester Anerkennung und Wertschätzung, bleibt eine weitere Bundesförderung und damit eine Zukunft versagt. Hier hätte eine politische Entscheidung vordergründige haushaltspolitische Bedenken problemlos beiseite schieben können. Daß diese unterblieb, muß auch als eine Form von Frauenpolitik verstanden werden.
Nicht besser sieht es bei der Jugendpolitik aus. Mit der Beschlußfassung über diesen Haushalt am kommenden Freitag werden Kürzungen Gesetz, die in dieser Höhe eine nie gekannte Dimension erreichen. Ganze Programme innerhalb des Kinder- und Jugendplanes - und seien sie wie die Mädchenarbeit erst vor wenigen Jahren eingerichtet worden - werden unter die Schwelle gestutzt, die eine Fortführung der bisherigen Arbeit ermöglicht hätte. Dies ignoriert den gewaltigen Handlungsbedarf der Jugendpolitik.
Nach einer erst letzte Woche veröffentlichten Studie der Universitäten Bamberg, Jena und Erlangen greifen unter west- und unter ostdeutschen Jugendlichen angesichts von Arbeitslosigkeit und finanzieller Abhängigkeit Verunsicherung und Zukunftsangst um sich. Entwicklungspsychologen konstatieren stark ausgeprägte Streßsymptome. Parallel dazu sinkt das Vertrauen der jungen Generation in Politik, Regierung und Parteien weiter. Die Folge sind Resignation oder die Zuwendung zu destruktiven und antidemokratischen Subkulturen.
Siegrun Klemmer
Für die SPD-Fraktion kann es darauf nur eine Antwort geben. Die Räume für die demokratische Artikulation und die Selbstorganisation Jugendlicher müssen ausgebaut und da, wo vorhanden, stärker als von Ihnen geschützt werden.
Den Jugendverbänden, aber auch der offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Den routinemäßigen Gleichmut - davon muß man leider schon sprechen -, mit dem Frau Nolte ihr Haus verkünden läßt, die Haushaltssituation lasse dies nicht zu, können wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Lobheischend verkündet das Jugendministerium die Bereitstellung von 2 Millionen DM für den deutschtschechischen Jugendaustausch.
- Natürlich, Frau Kollegin Albowitz, ist die Entscheidung zu begrüßen, nicht aber die etatmäßigen Begleitumstände; denn dieser Betrag wird ja nicht etwa, wie von uns im Haushaltsausschuß gefordert, zusätzlich eingestellt. Sie wissen, dieser Betrag geht zu Lasten anderer internationaler Maßnahmen und Projekte. Inklusive dieser 2 Millionen DM sollen die Ausgaben für internationale Jugendarbeit sogar sinken. In der Folge werden Jugendbegegnungen zurückgefahren; mit den Ländern Südosteuropas werden sie 1997 zum Erliegen kommen.
Den auslaufenden Fördermaßnahmen nach § 249 h AFG und den Folgen des kürzlich verabschiedeten AFRG werden die freien Träger der Jugendhilfe besonders drastisch ausgesetzt sein. Nach dem Auslaufen der unzureichenden AFT-Programme - was übersetzt heißt: Aufbau freier Träger in den neuen Ländern - konnte es auf Grund unzureichender öffentlicher Förderung nur wenigen von ihnen gelingen, eine stabile und auf lange Sicht ausgerichtete Finanzierung für die hauptamtlichen Mitarbeiter zu erreichen. Hier ist eine große Kraftanstrengung der öffentlichen Förderung der Jugendhilfe notwendig, um mühsam aufgebaute Strukturen davor zu bewahren, wie Kartenhäuser zusammenzustürzen. Wenigstens von den Koalitionskollegen aus den neuen Ländern hätten wir an dieser Stelle einen etwas deutlicheren Protest oder überhaupt Protest erwartet;
denn wie auch im Zusammenhang mit anderen Punkten - davon wird in dieser Woche ja noch die Rede sein - haben sie zu Hause in ihren Wahlkreisen zwar laut geredet, dann aber hier teilweise nur noch leise gemurmelt, und bei den entscheidenden Abstimmungen sind sie weggeknickt.
Aussiedler kommen, zumal wenn sie jung sind, in diesem Haushalt doppelt unter die Räder. Bereits im Regierungsentwurf war eine 11prozentige Kürzung gegenüber dem Vorjahr veranschlagt. Die neue Minderausgabe trifft diesen Bereich noch einmal mit 35 Millionen DM.
Schon die letzten Jahre hatten dazu geführt, daß sich die Trägerverbände, die bei der Gestaltung ihrer Personalstruktur auf Aussagen der Bundesregierung in den Jahren 1990 und 1991 vertraut hatten, getäuscht sahen. Die Vokabel muß man leider benutzen: Sie haben die Verbände getäuscht. Bis zu 50 Prozent ihres in diesem Bereich tätigen Personals mußte wieder entlassen werden. Parallel dazu hat sich der Eigenmittelanteil vervielfacht, zum Beispiel beim Diakonischen Werk in Baden-Württemberg von 5 auf 57 Prozent. Im Klartext heißt das: Wenn die Verbände den Wegbruch der staatlichen Förderung nicht mit ihren Verbandshaushalten aufgefangen hätten, wäre diese Betreuungsaufgabe zum Erliegen gekommen.
Jede weitere Kürzung für 1997 ist unverantwortlich, und sie ist vor allen Dingen auch unlogisch. Die kurzfristige Schwankung von Aussiedlerzahlen kann doch nicht die Legitimation für eine analoge Kürzung sein, wenn es um die Bereitstellung von Infrastruktur für Beratungsangebote geht.
Vor allen Dingen - das wissen doch auch Sie, weil Sie in Ihren Wahlkreisen mit den Forderungen derjenigen konfrontiert werden, die diese Arbeit leisten - die nachlassende sprachliche Kompetenz der jüngsten Aussiedlergeneration und ihre stärkere kulturelle Verwurzelung im Herkunftsland läßt doch einen eher steigenden Beratungs- und Integrationsbedarf erkennen.
Die SPD hat mehrfach deutlich gemacht, daß eine verantwortliche Aussiedlerpolitik die neuen Mitbürger nach ihrer Ankunft nicht im Regen stehenlassen darf.
- Das ist nicht richtig, Frau Kollegin Albowitz. Auch wenn Sie das hier betonen, wird es dadurch nicht richtiger. - Unterlassung von Integrationshilfen ist in diesen Zeiten mit aktiver Ausgrenzung gleichzusetzen, und aktive Ausgrenzung bedeutet all die negativen gesellschaftspolitischen Folgen, die wir kennen.
Was ist das Fazit der Beratungen über den Einzelplan 17? Dieser Haushalt ist das Ergebnis einer verfehlten Politik. Er zeitigt katastrophale Folgen für zentrale Gruppen unserer Gesellschaft. Er ist ein fatales Signal an die Bürgerinnen und Bürger, indem er gleich einem Armutszeugnis offenbart, daß mit dem
Siegrun Klemmer
Bund als einem gestaltenden und schützenden Akteur in diesem Bereich nicht mehr zu rechnen ist.
Die SPD will Familien entlasten. Darum beantragen wir die Änderung der Bemessungsgrundlagen für das Erziehungsgeld. Wir wollen Jugendliche in Ausbildung bringen, wie gestern auf dem Parteitag in Köln beschlossen. Wir wollen, daß ältere und alte Menschen ihren Lebensabend in Sicherheit verbringen können, ohne daß an ihren Renten und beim Eintritt in das Rentenalter gefummelt wird. Aus diesen Gründen werden wir der familien- und jugendpolitischen Geisterfahrt von Frau Noltes Haushalt im Zusammenspiel mit Herrn Waigel natürlich unsere Zustimmung verweigern.
Ich gebe dem Abgeordneten Peter Jacoby das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Klemmer, Sie sprechen von einer rückwärtsgewandten Perspektive und von einer unzureichenden Politik, und Sie sprechen den Jugendparteitag der SPD an. Da will ich Ihnen allen hier nur eine Meldung, die gestern abend von dpa über den Ticker lief, vortragen. In dieser dpa-Meldung heißt es wie folgt: Zahlreiche junge Redner seien mit dem Kurs der Parteiführung scharf ins Gericht gegangen. Sie habe Entwicklungen verschlafen und mit unklaren Positionen dafür gesorgt, daß sich junge Wähler in Scharen von der Partei abgewandt hätten. Juso-Chefin Nahles meinte, mit der bisherigen SPD-Oppositionspolitik in Bonn sei die Bundesregierung nicht sturmreif zu schießen. Nur eine Partei, die Visionen formuliere, könne junge Menschen begeistern; Hochglanzbroschüren, bunte Poster von Werbeagenturen und flotte Sprüche reichten nicht aus.
Wenn das die Berichterstattung der dpa vom Jugendparteitag der SPD gewesen ist, dann ist es etwas verfehlt, nunmehr mit Blick auf diesen Parteitag den Etat des Einzelplanes 17 der Bundesregierung so zu kritisieren, wie Frau Kollegin Klemmer das soeben versucht hat.
Ich möchte noch eine zweite Bemerkung machen. Es rührt einem das Herz, wenn man hört, wie Sie heute beklagen, daß wir im Zuge der Sparmaßnahmen auch mit Blick auf die Aussiedlerbetreuung gespart haben, die es in der Tat auch heute vorzunehmen gilt. Nur, als die Aussiedler zum ersten Male in unser Land gekommen sind, da war es Ihr Bundesvorsitzender, der gesagt hat, er stelle sich die Frage, ob eine Politik sinnvoll und vernünftig sei, die diesen Aussiedlern den Zugriff auf die Sicherungssysteme in Deutschland gewährleiste. Das war der Ausgangspunkt Ihrer Politik.
Wir sind dabei gelandet, daß im Garantiefonds für das Jahr 1997 trotz einer zugegebenermaßen
schmerzhaften Sparoperation 200 Millionen DM für die Betreuung junger Aussiedler, die diese Betreuung in der Tat verdient haben und auch erfahren werden, enthalten sind. Auch darauf will ich hinweisen.
Herr Kollege Jacoby, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Matthäus-Maier?
Bitte schön.
Herr Kollege, wollen Sie nicht dem Plenum oder vielmehr der Öffentlichkeit, da das Plenum es weiß, mitteilen, daß Sie gerade das Fremdrentengesetz in dem Sinne geändert haben, wie wir es gefordert haben, weil der bisherige Zustand nicht aufrechtzuerhalten und zu finanzieren war?
Wollen Sie zweitens bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir nicht die Aussiedler, die häufig mit einem schweren persönlichen Schicksal hierherkommen, sondern den Sachverhalt kritisiert haben, daß Sie sehr hohe Zahlen von Aussiedlern in dieses Land lassen
und gleichzeitig die finanziellen Möglichkeiten zur Integration stark zurückgefahren haben. Das hat zur Folge, daß in vielen Kommunen und Kreisen die Aussiedler mittlerweile an den Rand gedrückt werden und zuwenig Geld haben, um Deutsch zu lernen und sich hier integrieren zu können?
Ich will die Frage kurz und präzis beantworten. Ich bleibe bei meiner Kritik an der Maßlosigkeit der Sprache Ihres Bundesvorsitzenden in den Jahren 1989 und 1990,
als die Aussiedler hier nach Deutschland kamen und von dieser Bundesregierung sozial integriert worden sind.
Zu Ihrem zweiten Punkt: Wir bringen 200 Millionen DM im siebten Jahr nach der Wiedervereinigung und nach Fall von Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl in einer finanziell schwierigen Zeit aus, um auch in diesem Jahr junge Aussiedler bestmöglichst zu betreuen, und sind froh, daß die Zahlen auch deswegen zurückgegangen sind, weil sich durch unsere Politik die Verhältnisse in den Herkunftsländern stabilisiert haben. Sie können dann nicht hingehen und in der Art und Weise mit Kritik aufwarten, wie es Frau Kollegin Klemmer eben getan hat. Insofern bleibe ich bei meinen Formulierungen.
Peter Jacoby
Meine Damen und Herren, Frau Matthäus-Maier, eigentlich hätte ich an dieser Stelle von Ihnen einen anderen Beitrag erwartet.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß die Opposition vormittags eine Debatte im Deutschen Bundestag führt, in der sie die Höhe der Nettoneuverschuldung und die Höhe der Staatsverschuldung kritisiert, an keiner Stelle einen Einsparvorschlag macht und davon spricht, die zukünftige Generation würde mit Schulden belastet, und dann nachmittags bei der erstbesten Gelegenheit Mehranträge in der Größenordnung von 500 Millionen DM stellt - ganz abgesehen von den im Zuge der Ausschußberatungen zu Anträgen erhobenen Wechseln auf die Zukunft, die nicht gedeckt sind. Das ist widersprüchlich und doppelbödig und muß von dieser Stelle aus entsprechend zurückgewiesen werden.
Ich will nun zu dem eigentlich zentralen Thema kommen. Das wird doch auch bei Ihnen diskutiert. Ich möchte nämlich Sie, Frau Kollegin Klemmer, weil Sie eben hier mit Blick auf sozialstaatliches Engagement argumentiert haben, ganz konkret fragen: Was hat denn Ministerpräsident Schröder gemeint, als er vor wenigen Wochen auf dem Wirtschaftsforum der SPD in Bonn folgendes sagte: „Wir müssen die sozialen Leistungen in Deutschland den Realitäten der schmaleren Staatsfinanzen anpassen." Weiter hat er gesagt: „Die Teilhabe der Bedürftigen muß immer wieder neu festgesetzt werden." Schließlich sagte er: „Man kann nicht immer nur draufsatteln. "
Wenn der Ausgangspunkt lautet, man könne nicht immer nur draufsatteln, dann frage ich: Warum kommen Sie hierher und kritisieren schmerzhafte, aber mit Verantwortungsbewußtsein vorgenommene Sparmaßnahmen, die nicht linear, sondern sehr wohl auf den Einzelfall bedacht vorgenommen worden sind. Sie stellen den Kernbestand unseres sozialstaatlichen Engagements mitnichten in Frage. Diese Frage müssen Sie in den nächsten drei Tagen beantworten, in denen es um Zusammenhänge deutscher Politik und nicht um partielle Betrachtungen geht.
Ein weiteres Thema möchte ich ansprechen: Schauen Sie sich doch bitte einmal die Spardiskussionen und -entscheidungen in den Bundesländern an. Im saarländischen Landtag - ich komme aus Saarbrücken - wird gegenwärtig eine Streichung im Sozialhaushalt um 7,5 Prozent diskutiert. Dort wird die Förderung von örtlichen Beschäftigungsinitiativen und Selbsthilfegruppen um 30 Prozent gekürzt. Dort wird die Zuwendung an Erziehungs- und Familienberatungsstellen in einer Größenordnung von 50 Prozent gekürzt. Dort werden die familienpolitischen Maßnahmen, die freiwillig auszubringen sind, um 17 Prozent gekürzt.
Deshalb meine ich, Sie können als SPD nicht hierher kommen und etwas kritisieren, was Sie in der
landespolitischen Verantwortung selbst tun, wenn Sie gefordert sind.
Was bleibt in diesem Etat bestehen? Wir etatisieren im freiwilligen Bereich nach wie vor knapp 800 Millionen DM. Davon werden frauenpolitische Maßnahmen, der Garantiefonds, der Kinder- und Jugendplan, Maßnahmen der Senioren- und Familienpolitik, die Zuschüsse an die Wohlfahrtsverbände finanziert.
Man darf zum Beispiel die Seniorenpolitik - wie Sie es eben getan haben, Frau Klemmer - nicht nur pauschal mit Haushaltsansätzen angehen. Man muß vielmehr sehen: Es gab Modellmaßnahmen, die von vornherein zeitlich befristet waren. Es ist darum gegangen, die Initialzündung vom Bund aus zu geben, damit sie dann von den Kommunen, den Ländern und den freien Trägern weitergetragen wird. In vielfacher Hinsicht geschieht das schon. Wir begrüßen diese Entwicklung und beziehen weiterhin die Position, auch in anderen Bereichen solche Initialzündungen zu geben. Gott sei Dank gibt es in unserem Land so etwas wie praktizierte Ehrenamtlichkeit,
die diese staatlich freigesetzten Effekte multipliziert. Deshalb ist die Situation nicht so schwarz in schwarz, wie Sie hier versuchen, den Eindruck zu erwecken - ganz im Gegenteil.
Ich will auf folgenden Punkt hinweisen: Wenn man den Gesamtzusammenhang vor Augen hat und wenn man sieht, daß es in einer zugegebenermaßen finanziell schwierigen Zeit dennoch möglich war, Neuansätze zu bilden, dann müssen wir etwas differenzierter argumentieren und etwas differenzierter in der Bewertung sein, als das in dem Beitrag eben leider der Fall gewesen ist.
Ich will drei Maßnahmen, die wir neu in Ansatz bringen, ansprechen, um deutlich zu machen: Wir argumentieren nicht nur gegenwartsbezogen und schon gar nicht rückwärtsgewandt, sondern uns geht es um das, was vor uns liegt. Ich nenne im Bereich der Frauenpolitik die für das nächste Jahr vorgesehene Kampagne zur Umsetzung der Ergebnisse der Pekinger Weltfrauenkonferenz. Sie haben diese Kampagne im letzten Jahr gefordert; jetzt ist sie im Bundesetat für 1997 in Ansatz gebracht.
Ich nenne unsere Bemühungen beim freiwilligen, sozialen und ökologischen Jahr. Ich nenne - auch das ist eben angesprochen worden - den deutsch-tschechischen Jugendaustausch. Wenn man im Hinblick auf diesen Austausch kritisiert, 2 Millionen DM seien zuwenig, dann will ich in Erinnerung rufen: In den vergangenen Jahren hatten wir immer parteiübergreifend darauf hingewiesen und waren stolz darauf, daß sich das Deutsch-Französische Jugendwerk in einer tollen Weise entwickelt hat und daß wir die Zuwendungen auf einem hohen Niveau stabilisiert haben. Das gilt auch für das Deutsch-Polnische Jugendwerk. Insofern darf die Wahrnehmung in diesem Be-
Peter Jacoby
reich nicht so selektiv sein, wie es eben der Fall gewesen ist.
Wir dürfen auch die sozialstaatliche Debatte nicht nur auf den finanziellen Aspekt verkürzen. Was wir jenseits aller fiskalpolitischen Betrachtungen brauchen, ist die Veränderung von Strukturen, ist Flexibilität und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen.
Deshalb möchte ich noch etwas zu Ihrem Änderungsantrag in bezug auf das Erziehungsgeld sagen, den Sie heute mehr oder weniger zufällig eingebracht haben. Warum „zufällig"? In den zurückliegenden Monaten der Haushaltsplanberatungen sind wir an keiner Stelle mit diesem Antrag konfrontiert worden.
Sie haben sich aber noch etwas ganz anderes erlaubt: Eine Situation im Fachausschuß, in der die Koalition unmittelbar vor der Bereinigungssitzung keine Mehrheit hatte, haben Sie sich zunutze gemacht, indem Sie Einzelanträge gestellt hatten. Der Änderungsantrag zum Erziehungsgeld war allerdings nicht dabei. Für alle Anträge im Fachausschuß hatten Sie die Mehrheit.
Als dann aber die Schlußabstimmung über die von Ihnen veränderte Vorlage stattfand, haben Sie dagegen gestimmt. Jetzt reden Sie von einer chaotischen Politik des Hin und des Her, obwohl angesichts der verminderten Steuereingänge eine Korrektur notwendig war. Wenn etwas chaotisch war, wenn etwas nicht seriös gewesen und nicht gut vorbereitet gewesen ist, dann ist es heute Ihre Initiative im Hinblick auf das Erziehungsgeld.
Wenn wir über finanzielle Dinge reden, müssen wir gleichzeitig auch über Strukturen reden. Zum Beispiel würde ich in diesem Zusammenhang gerne diskutieren, wie man das Instrument des Erziehungsurlaubs durch Zeitkonten künftig besser und für Eltern flexibler nutzbar macht, als dies bisher geschehen ist.
Insofern kann es heute nicht darum gehen, Überraschungsanträge zu stellen, pauschal Kritik zu üben und alles in Schutt und Asche zu reden, sondern darum, das zur Kenntnis zu nehmen, was ist, nämlich die Bewältigung und Finanzierung sozialstaatlichen Engagements in einer zugegebenermaßen finanziell nicht einfachen Zeit. Die Zeichen der Zeit stehen aber nicht auf Rückbau, sondern sie stehen auf Umbau. So haben wir es als Koalition gesehen, und so wird es im vor uns liegenden Jahr geschehen.
Vielen Dank.
Auf der Tribüne haben die Vertreter einer gemeinsamen Delegation aus Israel, den palästinensischen Gebieten und dem Königreich Amman Platz genommen. Ich möchte Sie hier herzlich begrüßen. Wir freuen uns,
daß Sie gemeinsam kommen, weil wir das als ein Zeichen dafür sehen, daß der Friedensprozeß im Nahen Osten fortgeführt wird. Das ist eine glückliche Entwicklung.
Damit gebe ich dem Abgeordneten Matthias Berninger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An der Debatte, wie sie hier vor allem von meinem Vorredner geführt wurde, stört mich, daß verdeckt wird, daß die Form der Prioritätensetzung in diesem Haushalt aus meiner Sicht grundsätzlich falsch ist und daß durch die Art und Weise der gegenseitigen Beschuldigungen auch verdeckt wird, daß das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an keiner Stelle versucht hat, Akzente gegen diese grundsätzlich falsche Ausrichtung des Haushalts zu setzen.
Des weiteren stört mich, daß Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, verheimlicht werden. Deswegen will ich mit den Schwierigkeiten beginnen, vor denen wir in den neuen Ländern im Jahre 1 nach den Sparvorschlägen, die Sie gemacht haben, stehen werden.
27 Prozent aller Stellen im Bereich der sozialen Infrastruktur sind Stellen, die über Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik finanziert werden. Hier sind massive Kürzungen zu erwarten, die gerade die freien Träger, von denen Kollege Jacoby gesprochen hat, ganz massiv treffen werden und die die wenigen zarten Pflänzchen, die in der Phase der deutschen Einheit dort im Osten gewachsen sind, wieder zerstören werden. Ein Bundesland, und zwar das Bundesland, aus dem die Ministerin stammt, hat 43 Prozent aller Stellen im Bereich dieser sozialen Infrastruktur bislang über Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik finanziert. Was nach diesen Sparmaßnahmen übrigbleiben wird, sind an vielen Stellen in den neuen Ländern sozialpolitische Ruinen.
Kollege Jacoby, ich habe mir sehr vieles davon angesehen. Ich habe mit sehr vielen Leuten vor Ort gesprochen und kann Ihnen sagen: Das ist eine Sache, die mich jenseits aller parteipolitischen kleinen Fechtereien, die wir hier veranstalten, sehr besorgt. Deswegen sollte man an dieser Stelle nicht darauf verweisen, daß Eigeninitiative oder nur die Kommunen bzw. nur die Länder dieses Problem lösen können.
Die Kernfrage ist: Übernimmt der Bund weiterhin eine Sonderrolle in dieser wichtigen Phase der deutschen Einheit, oder übernimmt er sie nicht? Der Bundesfinanzminister hat entschieden, Geld zu sparen,
und hat sich dagegen entschieden, durch eine Sonderrolle - was laut Verfassung möglich wäre - Akzente zu setzen. Diese ganze Sache wird dadurch symbolisiert, daß die Sonderprogramme aus der Phase der deutschen Einheit in diesem Jahr endgültig zu einem Abschluß gekommen sind.
Matthias Berninger
Nun hat Kollegin Albowitz soeben - wie sie es öfter zu tun pflegt - dazwischengerufen, verantwortlich seien die deutschen Steuerzahler. Vorhin haben Sie im Rahmen der Finanzpolitik gesagt, man könne das Geld ja schließlich nicht drucken.
Sie haben mit beidem völlig recht. Ich glaube, unseriöse Finanzpolitik dürfen wir nicht machen, weil die zu Lasten kommender Generationen geht.
Eine Frage aber müssen Sie schon beantworten, nämlich die Frage, wie Sie eine kommende Generation in die Lage versetzen wollen, die Lasten, die wir ihnen Jahr für Jahr im Bereich des Generationenvertrages, der Staatsverschuldung und der ökologischen Zerstörung aufbürden, zu tragen.
Ein ziemlich einfacher Lehrsatz ist es, daß wir in den Jugendbereich, gerade in diesen sehr kleinen Etat, Millionen investieren, die in ihrer Wirkung junge Leute in die Lage versetzen werden, Lasten in Milliardenhöhe zu tragen. Deswegen ist 1 DM, die ich in einem Bereich nicht investiere, nicht vergleichbar mit 1 DM in einem anderen Bereich.
Was mich an diesem Punkt ärgert, ist, daß das immer verkürzt dargestellt wird. Man kann nicht das Sparen für kommende Generationen dadurch schmackhaft machen, daß man zu Lasten der kommenden Generationen spart. Ich finde, hier ist eine differenziertere Position notwendig.
Ein weiterer, sehr wichtiger Punkt, der bereits angesprochen wurde, ist die neue Prioritätensetzung im Haushalt, die ich ausdrücklich begrüße. Wir haben es nämlich trotz aller außenpolitischen Schwierigkeiten geschafft, fraktionsübergreifend den deutschtschechischen Jugendaustausch voranzubringen.
Nun gibt es bezüglich der 2 Millionen DM mehr, die wir an Prioritäten setzen, ein Problem, das mich wirklich außerordentlich ärgert. Man kann nicht sagen: „Wir setzen neue Prioritäten in Richtung Osteuropa, indem wir diesen Jugendaustausch voranbringen", aber dann in erster Linie bei den Austauschmaßnahmen mit anderen Ländern Osteuropas und im Baltikum sparen. Man kann sich nicht hinstellen und sagen: „Jugendaustausch ist eine wichtige Sache, wir bringen das voran", dann aber beim Jugendaustausch mit Israel sparen. Hier geht es nicht um Milliarden, zum Teil noch nicht einmal um Millionen, sondern um 100 000-DM-Beträge, die eine gewaltige Wirkung entfalten.
Es ärgert mich schon sehr, wenn hier mit viel Tamtam die neue Prioritätensetzung begrüßt wird, an anderer Stelle aber letzten Endes viele kleine Projekte und viele kleine Austauschmaßnahmen den Bach hinuntergehen.
Das hat nichts mit seriöser oder unseriöser Finanz- I politik zu tun, sondern aus meiner Sicht mit Mutlosigkeit. Es ist mutlos - dies kommt im Haushalt zum Ausdruck, und dies werfe ich der Ministerin vor -, daß sie für ihren Bereich nicht so eingetreten ist, wie man es in der momentanen Situation machen müßte. Die Kindergelddebatte hat das gezeigt.
Mein Gott, warum stellt sich die Ministerin nicht hierhin und sagt, daß ein Familienlasten-, ein Familienleistungsausgleich, daß mehr Geld für Familien unabdingbar ist, wenn ihr Familien so am Herzen liegen? Diesen Mut hätte ich mir gewünscht.
Warum stellt sie sich nicht als Ministerin aus Ostdeutschland hierhin und sagt, wie es ist, daß wir neue Mittel, neue Ressourcen für die neuen Länder brauchen, daß die Kommunen und Länder es allein nicht schaffen werden?
Was mich ärgert, ist, daß auf Ebene des Bundes gesagt wird, die Länder sollten das regeln, daß die Länder sagen, die Kommunen sollten das regeln, und daß die Kommunen kommen und sagen: Wir können es nicht; Länder helft uns! Die Länder aber sagen: Solange der Bund nichts tut, tun wir nichts. Am Schluß sind wir uns alle einig, daß jeweils der andere in diesem föderalistischen Theaterspiel die Probleme lösen muß. Gelöst wird überhaupt nichts. - Das Ganze geht zu Lasten der kommenden Generationen.
Eine Initiative der Ministerin hätte mich hier sehr gefreut. Auch das wäre keine Initiative gewesen, die Milliarden kostet. Auch hier geht es letzten Endes um die eine oder andere Million, die aber ein Zeichen gesetzt hätte. Das aber fehlt.
Ich glaube, daß wir mit dieser Form der Finanzpolitik, dieser Form der Sparpolitik aufpassen müssen. Sie schränkt nämlich letzen Endes die Fähigkeiten der kommenden Generation massiv ein, die Lasten, die wir ihr aufbürden, zu tragen. Als ein Beispiel ist bereits die Ausbildungsplatznot angesprochen worden.
Ich will zum Schluß noch auf einen anderen Bereich zu sprechen kommen, das ist der Bereich der Gesundheitspolitik. Neben den Renten wird dies das entscheidende Feld sein. Wir haben in Deutschland im Gesundheitsbereich ein gutes Prinzip. Dieses gute Prinzip besagt, daß, unabhängig vom Alter, alle Leute in der gesetzlichen Krankenversicherung in den Genuß von Leistungen des Gesundheitswesens kommen sollen. Es ist nicht so wie in anderen Ländern, wo ab einem bestimmten Alter gesagt wird, die eine oder andere Operation sei zu teuer.
Mit diesem Prinzip ist in diesem Jahr zum erstenmal gebrochen worden, indem gesagt wurde, der Zahnersatz für Jüngere werde nicht mehr finanziert. Auch hier wünsche ich mir von einer Ministerin, daß sie massiv eintritt, wenn solche Sparmaßnahmen der Bundesregierung, die nicht nur eine sozialpolitische Schieflage, sondern auch eine Schieflage bezüglich der Generationen aufweisen, vorgeschlagen werden. Das fehlt.
Matthias Berninger
Wie ich bereits gesagt habe: Diese Mutlosigkeit kommt in dem Haushalt zum Ausdruck. Deswegen werden wir diesen Haushalt ablehnen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Ina Albowitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Berninger, ich bin in vielen Dingen, die Sie vorgetragen haben, mit Ihnen einig. Das, was wir machen müssen, nämlich Sparen, tun wir nicht aus Selbstzweck, weil es uns soviel Freude macht. Aber das hohe Lied vom „Sparen bei dir, bloß nicht bei mir" gilt natürlich nicht. Das betrifft auch diesen Bereich.
Insofern müssen wir uns gemeinschaftlich Gedanken darüber machen, wo wir Umschichtungen vornehmen können und wo wir Prioritäten setzen müssen, und das - da wir gerade über den Jugendetat reden - natürlich auch für die jungen Menschen in diesem Land, für Kinder und Jugendliche.
Glauben Sie, einem von uns hätte es Spaß gemacht, 50 Millionen DM zusätzlich erbringen zu müssen? Am wenigsten Frau Nolte. Wir werden auch ganz sicher noch über das eine oder andere Thema reden müssen. Ich bin aber fest davon überzeugt, daß ein Teil dieser 50 Millionen DM - wir wissen das aus Haushaltserfahrungen - im Laufe des Haushaltsjahres erwirtschaftet werden kann, zum Beispiel weil die Mittel für bestimmte Maßnahmen nicht abgeflossen sind. Insoweit ist das Verfahren, auf das wir uns verständigt haben, ganz hilfreich.
Sie haben eben die Streitkultur bzw. die Diskussionskultur in diesem Hause zu diesem Thema beklagt. Ich hätte mir gewünscht, daß wir hier mit dem Thema so umgegangen wären - wir haben das nicht so begonnen -, wie wir mit dem Thema unter den Berichterstattern während der Beratungen umgegangen sind.
Wir waren uns in vielen Punkten einig. Wir haben gemeinschaftlich einen Gesprächsbedarf beim Kinder- und Jugendplan, also beim sogenannten Bundesjugendplan, gesehen, weil wir gemeinschaftlich der Auffassung sind, daß er keine weiteren Sparopfer mehr zuläßt. Wir waren uns darüber einig, wie er in Zukunft aussehen soll.
Wir waren uns auch gemeinschaftlich mit Frau Nolte darüber einig, daß wir demnächst nach der Verabschiedung alle miteinander darum ringen müssen, wie wir ihn umstrukturieren können. Ich glaube, es ist ein Gebot der Zeit, daß wir einiges umstrukturieren, weil wir uns Sorgen machen
und weil Kinder und Jugendliche natürlich einen Anspruch darauf haben, optimal gefordert, aber auch gefördert zu werden.
Ich komme jetzt nicht damit, daß wir in die Zukunft investieren müssen: Aber an diesem alten Satz ist etwas dran. Nur mit einem Alibiparteitag, wie er gestern von der SPD abgehalten worden ist, wird man sich den Jugendproblemen, die wir in diesem Land haben, nicht öffnen können.
Meine Damen und Herren, seriöse Politik - insoweit hätte ich mir gewünscht, daß gestern bei dem Parteitag ein bißchen mehr auf Herrn Clement und möglicherweise auf Herrn Schröder und andere Debattenteilnehmer gehört worden wäre -
beschäftigt sich eben auch damit, was wir den Leuten sagen.
Herr Kollege Schmidt, ich habe mich sehr intensiv mit Ihrem Parteitag beschäftigt. Ich habe hier die gesammelten Kommentare der bundesdeutschen Presse.
- „Zuviel der Ehre." Ich würde mir die Kommentare ansehen. Ich wäre rot geworden, wenn wir einen solchen Parteitag veranstaltet hätten. Das sage ich Ihnen.
- Sehr verehrte Frau Kollegin Matthäus:
Die Dichter sind der SPD schon weggelaufen, die Arbeitnehmer verkrümeln sich immer mehr, und die Jugendlichen gibt es bei der SPD auch nicht mehr.
- So die „Berliner Zeitung".
Die „Nürnberger Nachrichten" schreiben:
Wenn eine in die Jahre gekommene Dame sich grellbunt schminkt und plötzlich in den Slang der Kids verfällt, dann wirkt das eher anbiedernd.
Ich kann Ihnen diese Kommentare gerne alle zur Verfügung stellen. Meine Damen und Herren, das macht richtig Freude.
- Nein, Herr Kollege, das ist genau die Art von Politik, die wir in der Jugendpolitik nicht gebrauchen können: „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern", weil Sie sich den Problemen, die junge Leute haben, nicht ernsthaft widmen.
Ich hätte erwartet, daß Sie ihnen gestern auf dem Parteitag gesagt hätten, daß eine Ausbildungsplatz-
Ina Albowitz
abgabe die Situation erschwert und nicht erleichtert. Sie können sich heute in der Wirtschaft keine Ausbildungsplätze mit irgend etwas freikaufen.
Im übrigen appellieren Sie auch nicht an die Wirtschaft, an die Arbeitgeber, an den Mittelstand und an die Handwerker, daß sie sich der Verantwortung für die jungen Menschen in diesem Land bewußt sein sollen. Dies können wir mit keiner Ausbildungsplatzabgabe erkaufen. Dies können wir hier genausowenig wie bei der Schwerbehindertenabgabe erkaufen. Ich halte beide Dinge für einen graduellen Fehler in dieser Art von Politik.
- Wir machen es nicht.
- Lieber Herr Kollege, ich denke, wir befinden uns auf dem richtigen Wege.
Es gibt eine vernünftige Art der Arbeitsplatzteilung
in diesem Land. •
Die betrifft auf der einen Seite die Politik und auf der anderen Seite die Wirtschaft. Wir sollten beides in ein richtiges Verhältnis zueinander setzen. Dies gilt auch für die Jugendarbeitslosigkeit.
Ich hätte mir gewünscht, daß die Kollegin Klemmer ein Wort zum REAG-Programm gesagt hätte.
Frau Albowitz, ehe Sie ein anderes Thema anfangen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Niehuis?
Selbstverständlich.
Sehr verehrte Kollegin Albowitz, Sie haben gesagt, es gibt in diesem Land eine Arbeitsteilung, was die berufliche Ausbildung betrifft. Ist Ihnen das Bundesverfassungsgerichtsurteil bekannt, das sagt, daß die Unternehmen bei der beruflichen Ausbildung eine Art staatliche Aufgabe übernehmen, nämlich die, für berufliche Bildung zu sorgen? Meinen Sie, daß Sie jetzt sagen können, es gebe eine Aufgabenteilung, und wir als Staat seien damit nicht mehr für die berufliche Bildung verantwortlich?
Doch, Frau Kollegin. Erstens kenne ich das Urteil - um das ganz klar zu sagen -, und ich weiß zweitens auch, was darin steht und wie man es auslegen kann. Das war aber nicht das, was ich gemeint habe.
In der schwierigen Situation, in der wir uns in diesem Land befinden - diese ist völlig unumstritten, darüber müssen wir gar nicht diskutieren -, müssen wir zwei Punkte auseinanderhalten: Man muß jungen Menschen auf einem Parteitag auch die Möglichkeit aufzeigen und ihnen ganz klar sagen, was geht und was nicht geht. Man muß die Verantwortungsbereiche trennen. Was ich damit gemeint habe, war, daß wir in der Politik, in diesem Hause das Unsere dazutun müssen und daß Arbeitgeber auch das Ihre tun müssen. Ich appelliere von dieser Stelle an sie, damit sie das tun.
Frau Kollegin Niehuis, wenn ich mir die diesjährige Lehrstellensituation ansehe, ist die Entwicklung gar nicht so schlecht, wie wir sie hier noch vor Monaten beklagt haben.
- Die Zahlen müssen wir uns angucken, die sprechen für sich.
Darauf kommen wir hier noch einmal zu sprechen.
Meine Damen und Herren, ich hätte mir gewünscht, daß die Kollegin Klemmer auf das REAGProgramm eingegangen wäre, das während der Haushaltsberatungen, aber auch in der Vorberichterstattung und in der Berichterstattung eine große Rolle gespielt hat. Ich möchte von dieser Stelle aus die Bundesregierung und Frau Nolte ausdrücklich belobigen.
Wir reden hier von dem Programm, das der UNHCR in unserem Auftrage ausführt, um die freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina zu begleiten. Der Ansatz wurde um knapp 17 Millionen DM erhöht, um die Bereitschaft zur Rückkehr zu fördern. Die Länder wären jetzt gut beraten, ihren Anteil dazu einzubringen, wie wir es auch vereinbart haben; denn dadurch entlasten sie ihre eigenen Sozialkassen.
Daß wir keine Flüchtlinge abschieben wollen, ist selbstverständlich; darüber brauchen wir überhaupt nicht zu reden. Daß unzumutbare Härten herausgenommen werden, ist in diesem Hause ebenfalls völlig unumstritten. Aber daß wir die freiwillige Rückkehr im Rahmen des UNHCR-Programms fördern wollen, das hätte ich von Ihnen in diesem Zusammenhang auch gerne gehört.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich hätte mir gewünscht, daß wir hier wieder zu der Debattenkultur, die in dem Appell des Kollegen Berninger angeklungen ist, zurückfinden, und ich hoffe, daß uns das bei den anstehenden Gesprächen zum Einzelplan 17, Frau Kollegin Klemmer, auch wieder gelingt.
Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß auf der Tribüne eine Delegation von Innenpolitikern aus der Ukraine Platz genommen hat. Der Etat, der Sie besonders interessiert, wird zwar erst morgen gelesen werden; aber ich möchte Sie herzlich begrüßen.
Nun gebe ich der Abgeordneten Heidemarie Lüth das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erfüllt voll meine Erwartungen, weil er in keiner Weise den Anforderungen gerecht wird.
Dies wäre sicher die tragende Grundaussage, wäre der Einzelplan 17 - das ist er ja nun bei aller Liebe nicht - Gegenstand des Programms in einem politisch-satirischen Kabarett.
Hinzufügen könnte man noch: Warum soll man überhaupt für das Haus der Generationen und dessen Verantwortungsbereich finanzielle Mittel einsetzen? Nimmt man Koalitions- und Regierungsaussagen, dann sind doch gerade hier höhere Werte in der Gesellschaft, die Wahrnehmung der Verantwortung durch die doch so anonyme Gesamtgesellschaft, die moralische Verantwortung der Generationen und bei finanziellen Konsequenzen vor allem die Länder und die Kommunen gefragt; letztere entscheiden dann auch. Was darüber hinaus noch zu bewältigen ist - das haben wir heute schon mehrfach gehört -, kann ja über das Ehrenamt erfolgen.
Es überfällt mich dieser Sarkasmus, wenn ich auf der einen Seite gesellschaftlich Notwendiges und bei einer soliden Finanzpolitik auch Machbares erkenne, sich auf der anderen Seite aber die Frage stellt, wie bei aller Problematik die unverhältnismäßige Absenkung des Gesamtvolumens dieses Einzelplans um 6,7 Prozent - die Absenkung im Gesamthaushalt beträgt lediglich 2,5 Prozent - erklärt wird.
Auch wenn der Kollege Jacoby hier ausgeführt hat, daß hierbei dosiert und nicht mit dem Rasenmäher vorgegangen werden solle, bleiben dennoch eine starke Reduzierung der Ressortforschung und eine Absenkung der Aufwendungen für zentrale Maßnahmen und Organisationen der Seniorenhilfe übrig, obwohl doch alle über die demographische Entwicklung und über die Aufmerksamkeit für die ältere Generation sprechen. Aber die Forschungsmittel und insbesondere die Mittel für die Entwicklung und Erprobung von Hilfen für ältere Menschen werden radikal von 7 auf 5 Millionen DM gekürzt. Man kann angesichts dessen auch nicht mit dem Hinweis auf die Enquete-Kommission kommen; denn diese befaßt sich ja mit der Zukunft und nicht mit der Gegenwart.
Gravierende Eingriffe erfolgen - hierauf ist schon aufmerksam gemacht worden, auch im Bereich der Jugend, insbesondere in der Schul- und Berufsausbildung junger Ausländer. Auch erfolgt eine Mißachtung der Belange der Behindertenpolitik. Und das alles soll die Opposition ganz einfach, wie uns vorgeschlagen wurde, zur Kenntnis nehmen.
Für skandalös halten wir, daß von den Haushaltsansätzen keinerlei Impulse für eine notwendige gleichstellungspolitische Aufgabe der Bundesregierung ausgehen. Obwohl sich die Bundesrepublik in der Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking verpflichtet hat, die Benachteiligung der Frauen entschieden zu bekämpfen, verschärft sich die Diskriminierung der Frauen sehr erheblich und wird nahezu dramatisch.
Die durch die Bundesregierung betriebene Wirtschaftsförderpolitik reproduziert durch fehlende Bindung der Wirtschaftsförderung an konkrete Frauenförderung eine gravierende Benachteiligung von Frauen in der Privatwirtschaft. Dies ist um so verhängnisvoller, als auch im Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung keine finanziellen Zuschüsse für die Sicherung und Schaffung existenzsichernder Arbeitsplätze für Frauen bereitgestellt werden. Statt dessen werden ABM-Mittel drastisch gekürzt, wodurch wiederum insbesondere Frauen arbeitslos werden.
Auch die geplante Kürzung der Mittel für die Finanzierung von Frauenprojekten, die im Einzelplan 17 ja auch ausgewiesen sind, trifft Frauen mehrfach: einmal, weil Frauen arbeitslos werden, und andererseits, weil mit den Frauenprojekten wichtige Institutionen für die Interessenvertretung von Frauen in ihrer Existenz bedroht werden. Mit dieser Rotstiftpolitik der Bundesregierung zu Lasten der Frauenpolitik ist vorprogrammiert, daß sich die ohnehin bestehende Diskriminierung der Frauen in der Gesellschaft weiter verschärft.
Im Beratungsverfahren wäre durchaus Spielraum gewesen. Ich möchte noch einmal darauf verweisen - Herr Jacoby hat das ja schon getan -, daß der Fachausschuß bei Abwesenheit der Fraktion der CDU/ CSU und immerhin bei Enthaltung der Fraktion der F.D.P. diesen Plan abgelehnt hat.
Ich frage mich natürlich auch, wie man dann so schnell, wenn man doch energisch sparen muß, 349 000 DM Mehrbedarf bestätigen konnte, weil eine Verschiebung bei Neuvermietung oder Abmeldung von Dienstgebäuden notwendig ist. Wenn zu sparen ist, dann doch sicherlich gerade in einem solchen Falle. Das würde dann auch entsprechend zu Buche schlagen.
Ich meine, man kann eigentlich bei der Aussage bleiben, wie sie im Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schon getroffen wurde:
Die Politik der Bundesregierung für Familien, Frauen, junge und alte Menschen ist von Initiativlosigkeit sowie mangelnder Durchsetzungsfähigkeit für die Interessen der im Ressort vertretenen Personengruppen und damit von finanzieller Lähmung gekennzeichnet.
Trotzdem, Frau Kollegin, müssen Sie zum Schluß kommen, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich tue es sofort. Die PDS lehnt den Einzelplan 17 ab.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Renate Diemers.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Ausgangssituation, vor der wir den Haushalt 1997 diskutieren, ist uns, den Familien, den Seniorinnen und Senioren, den Frauen und der Jugend bekannt. Wir alle zusammen wissen: Die Verteilungsmittel sind knapper, die Verteilungsspielräume enger, und die Verteilungskämpfe sind härter geworden.
Vor diesem Hintergrund gebietet es die politische Fairneß, daß wir nicht sagen, was hätte sein können und was wünschenswert ist, sondern daß wir vielmehr sagen, was Familien, Seniorinnen und Senioren, Frauen und die Jugend vom Bundeshaushalt 1997 zu erwarten haben.
Ich stelle mit Nachdruck noch einmal fest, daß wir mit dem Haushaltsansatz 1997 für die Familienpolitik den im vergangenen Jahr vorgenommenen Umbau vom Familienlasten- zum Familienleistungsausgleich gefestigt haben. Ich freue mich darüber, daß sich offensichtlich herumgesprochen hat, daß sich der Familienleistungsausgleich nicht in der Kindergeldzahlung erschöpft. Deshalb betone ich, daß die gesetzlichen Vorgaben zur Sicherstellung der Conterganrenten, die Zuweisung an die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder", erhöht wird. Daß für diese Zuwendungen in anderen Bereichen gekürzt werden muß, ist vertretbar. Die Einlage für die Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" bleibt mit 200 Millionen DM auf dem Niveau von 1995 und 1996. Auch für die Aufklärung im Zusammenhang mit der Umsetzung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes werden wieder 10 Millionen DM in den Haushalt eingestellt.
Zu nennen ist im übrigen auch die Projektförderung im Bereich der Familienbildung sowie der Eltern- und Eheberatung für zentrale Maßnahmen. Ich nenne auch die Zuwendungen zum Bau, zur Modernisierung sowie für Sanierungsmaßnahmen und die Errichtung von Familienbildungsstätten. Denjenigen, die meinen, den Familien suggerieren zu können, für die Familienförderung geschehe zu wenig, sage ich: Wir wären mit der Familienförderung erkennbar weiter, wenn gerade die SPD-regierten Länder, statt unhaltbare Forderungen an den Bund zu richten, ihrer Bringschuld eines Landeserziehungsgelds endlich nachkommen würden.
Diese Forderung kann nicht mit der gegenwärtigen Haushaltssituation vermengt werden. Diese Forderung hat Jubiläum. Sie wird seitens meiner Fraktion und meinerseits seit zehn Jahren, also schon seit der Zeit, als ich noch nicht Bundestagsabgeordnete war, erhoben.
Ich meine, die betroffenen Familien wissen sehr wohl zwischen Lippenbekenntnissen und Taten zu unterscheiden.
Die Kürzungen im Bereich der frauenpolitischen Maßnahmen sind bestimmt nicht einfach zu verkraften. Dennoch sage ich: Die zentralen Punkte der Gleichberechtigungspolitik sind mehr als sichtbar. Ich nenne Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt, Abbau des Rollenklischees, Verbesserung der Situation der Frauen in den neuen Bundesländern. Dazu gehören auch Maßnahmen zum Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt; dazu gehört auch, daß der Deutsche Frauenrat aus Bundesmitteln mit knapp 1 Million DM gefördert wird.
Im Zusammenhang mit der Frauenpolitik darf nicht unerwähnt bleiben, daß wir alle aufgefordert sind, Vorschläge zur eigenständigen Alterssicherung von Frauen vorzulegen. Ich freue mich schon heute auf die Debatte, die wir dazu sicherlich noch führen werden.
Ich verhehle nicht, daß ich die Kürzungen von gesellschaftspolitischen Maßnahmen, die wir für die ältere Generation vornehmen müssen, mehr als bedauere. Da sich diese Kürzungen aber zu einem erheblichen Teil auf Forschungsprojekte beziehen, läßt sich, denke ich, dieses Defizit durchaus aus den Forschungsvergaben der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" kompensieren. Ich bin davon überzeugt, daß gerade die alte und ältere Generation eine Doppelvergabe von Forschungsaufträgen verneint und einer Bündelung der Forschung das Wort reden wird.
Mit aller Deutlichkeit sage ich: Die ältere und alte Generation ist nicht verunsichert über Kürzungsmaßnahmen im Forschungsbereich. Sie ist darüber verunsichert, daß ihre Alterssicherung in unverantwortlicher Weise in Frage gestellt wird.
Das Spiel mit dem wirtschaftlichen Sicherungsbedürfnis alter Menschen nenne ich verantwortungslos. Ich frage auch: Was sollen alte und ältere Menschen davon halten, wenn in der politischen Auseinandersetzung über finanzielle Mittel von Forschungsaufträgen gestritten wird, gleichzeitig aber vom „Altenberg", von der „Altenlast", von der „Dramatik des demographischen Wandels" gesprochen wird?
Ich sage: So wenig, wie sich der Familienleistungsausgleich im Kindergeld erschöpft, so wenig erschöpft sich unsere Altenpolitik in Forschungsaufträ-
Renate Diemers
gen. Ich meine, diese Deutlichkeit muß sich auch in unserer Ansprache an Jugendliche niederschlagen. Jugendliche wie alte Menschen wollen keine Betulichkeit, keine Betreuungsmentalität. und keine Bevormundung. Sie wollen Voraussetzungen für Eigenständigkeit.
Ich könnte jetzt noch vieles sagen, aber meine Redezeit ist gleich abgelaufen. Deshalb sage ich nur noch folgendes: Die beste Jugendförderung erreichen wir mit einem ausreichenden Ausbildungsplatzangebot, so wie wir die beste Frauen- und Familienförderung dadurch bekommen, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit für uns absolute Priorität hat.
Dieser Aufgabe stellen wir uns. Wir wissen: Der damit verbundene Erfolg setzt auch Spielräume für die Weiterentwicklung der Familien-, Frauen-, Seniorinnen- und Senioren- sowie der Jugendförderung frei.
Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Uwe Göllner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich, bevor ich einen Blick in den Haushalt werfe, zwei Bemerkungen zum vorher Gesagten mache.
Herr Jacoby, dieses Haus steht immer noch in Bonn und nicht in Saarbrücken.
Hier werden auch nicht Dinge des Saarlandes behandelt, sondern der Bundeshaushalt für 1997.
Wir sollten uns mit dem, was die Kolleginnen und Kollegen auf anderen staatlichen Ebenen tun, hier nur dann befassen, wenn es uns oder die jeweils andere Ebene betrifft. Darauf werde ich nachher noch zu sprechen kommen.
Frau Albowitz hat das Haus verlassen. Ich hätte ihr gern gesagt, daß es mich freut, wie sehr sie sich mit unserem Jugendpolitischen Parteitag von Köln befaßt. Daß sie sich so viel Mühe macht, Presseausschnitte zusammenzutragen, und so viel Zeit investiert, zeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind.
Ich hätte ihr ganz gern gesagt, daß in der Stadt, in der ich Bürgermeister bin und die 75 000 Einwohner
hat, der letzte Junge Liberale im Ring Politischer Jugend 1980 ausgeschieden ist.
- In der Stadt, in der ich Bürgermeister bin, gibt es davon 380. Davon sind über 50 aktiv. Ich kann mich überhaupt nicht beklagen.
Meine Damen und Herren, ich komme aus dem katholischen Rheinland. Bei uns werden die Menschen
- nach einem alten Bibelwort - an dem gemessen, was sie tun. Wenn ich diesen Maßstab an die Ankündigungen der Bundesregierung anlege, muß ich feststellen, daß zwischen dem, was angekündigt wird, und dem, was als Taten hinten rauskommt - wie das so schön heißt -, Welten liegen.
Überdies tragen Sie mit Ihrer Politik zum Ruin der Kommunen bei. Dabei hat der Herr Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung 1982 doch gesagt
- Herr Präsident, ich zitiere -:
... es entspricht dem Willen der Bundesregierung, daß Länder und Gemeinden wieder mehr zu ihrem Recht kommen.
Die negativen bis ruinösen Auswirkungen Ihrer Politik auf die Gemeinden werde ich in meine Betrachtungen mit einbeziehen. Als Bürgermeister weiß ich durchaus, wovon ich rede.
Ein Satz stand in der ersten Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, an dem sich die Politik seiner Regierung ausrichten sollte und der ausweislich des damaligen Protokolls von CDU/CSU und F.D.P. mit Beifall bedacht wurde. Er hieß:
Wir verlangen die notwendigen Opfer nicht von den Einkommensschwachen, sondern von denen, denen diese Opfer eher zugemutet werden können.
Wie weit diese Ankündigungen von Ihrer Politik entfernt sind, können Sie sich von Ihnen nahestehenden Verbänden der Kirchen erklären lassen.
Mit der Armut, die auch durch Ihre Politik erzeugt wurde, müssen die Kommunen fertig werden. Während meine Stadt 1982 ganze vier Betten für nichtseßhafte Männer vorhielt, betreibt der Sozialdienst Katholischer Männer bei uns zur Zeit zwei Häuser, in denen zunehmend auch Frauen und Jugendliche unterkommen. Diese Häuser werden natürlich von der Stadt bezahlt.
Zum zentralen Punkt seiner Politik erklärte Helmut Kohl 1982 die Familienpolitik. Er sprach wörtlich davon, „daß wir wieder ein kinderfreundliches Land werden" müssen. In seiner Regierungserklärung vom vorletzten Jahr hieß es dann:
Wir wollen, daß unsere Gesellschaft familienund kinderfreundlicher wird.
Uwe Göllner
Der unbedarfte Leser beider Regierungserklärungen wird sich wohl fragen, wer dieses Land in den zwölf dazwischenliegenden Jahren regiert hat.
Verwundern darf das aber nicht; denn nachdem Sie den Kommunen durch die Anhebung der Freibeträge bei der Gewerbeertragsteuer Millionenbeträge aus den Kassen genommen haben, haben Sie Ihre „Familienfreundlichkeit" dadurch bewiesen, daß Sie den Kommunen beispielsweise über das KJHG weitgefächerte und differenzierte Pflichtaufgaben der Familien- und Erziehungshilfe verordnet haben. Daß diese Hilfen nur nachsorgen, was soziale Benachteiligung häufig erst angerichtet hat, stört Sie dabei genausowenig wie die Tatsache, daß dies „natürlich" wieder von den Kommunen bezahlt werden muß.
Da paßt es in die politische Landschaft, wenn Sie in der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion zur Förderung der offenen Kinder- und Jugendarbeit durch die Bundesregierung lapidar erklären, daß eine Aufstockung der Mittel für diesen Bereich aus Haushaltsgründen kaum realisierbar sei.
1982 hat der Kanzler erklärt, seine Regierung wolle alles tun, um die bedrückende Jugendarbeitslosigkeit abzubauen. Es bewirke Bitterkeit - so der Kanzler damals - und oft auch Resignation, daß so viele junge Menschen den Einstieg ins Erwerbsleben mit Arbeitslosigkeit begännen. 13 bis 15 Prozent eines Jahrgangs sind heute ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Im letzten Jahr waren 178 000 von ihnen nach der betrieblichen Ausbildung arbeitslos. Unter den 18- bis 25jährigen sind 450 000 Sozialhilfeempfänger, die damit auch Leistungsempfänger der Kommunen sind.
Meine Damen und Herren, wenn ein großer deutscher Chemiekonzern vor zwei Jahren sein 150jähriges Bestehen feierte und in einer Bilanzpressekonferenz gleichzeitig sowohl das beste Betriebsergebnis seiner Geschichte verkündete als auch 6 000 Entlassungen ankündigte und wenn dieser Konzern im letzten Jahr dieses gute Ergebnis nochmals verbesserte und in der Bilanzpressekonferenz wieder 2 000 Entlassungen ankündigte, dann erzeugt das Bitterkeit und hoffentlich keine Resignation, sondern Veränderung im Wählerverhalten vieler sozial denkender Christen.
Meine Damen und Herren, 1983, in seiner zweiten Regierungserklärung, hat der Kanzler die alleinerziehenden Mütter entdeckt. Das Zitat lautet:
Wir müssen uns um die alleinstehenden Mütter kümmern, ihre Diskriminierung abbauen und ihre soziale Sicherung festigen.
In der letzten Regierungserklärung des Kanzlers hieß es:
Für Alleinerziehende sind familiengerechte Wohnungen und ein kinderfreundliches Umfeld von großer Bedeutung.
Der aufmerksame Betrachter findet die „soziale Sicherung" nicht mehr; denn sie wird ja zwischenzeitlich für viele der Betroffenen in Form von Sozialhilfe von den Gemeinden übernommen.
Gestatten Sie mir, daß ich in diesem Zusammenhang die Bemerkung von vorhin aufnehme: Auch unter solchen Aspekten war es richtig, die schon beschlossene Erhöhung des Kindergeldes gegen Ihren Willen durchzusetzen.
Eine große Herausforderung in der Jugendpolitik ist die Integration der Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Aussiedlerfamilien. Viele, ja fast die meisten von ihnen, kommen mit ihren Familien und völlig gegen ihren eigenen Willen. Sie müssen die vertraute Umgebung verlassen, sie müssen Bekannte und Freunde aufgeben. Sie kommen in eine neue, ihnen völlig fremde Welt. Sie sind in einem vollkommen anderen Werte- und Normensystem aufgewachsen und müssen sich bei uns erst einmal umorientieren. Die jungen Leute sprechen so gut wie kein Deutsch. Die Spätaussiedler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken lernen nach unseren Erfahrungen eh viel schwieriger Deutsch als jene aus Rumänien und Polen.
Die Kürzung der Mittel für die sprachliche Förderung in diesem Haushalt trifft diese Personengruppe deshalb besonders schwer. Die Erfahrung mit jungen Aussiedlern in den Jugendzentren unserer Städte macht deutlich, daß Integration ohne Sprachkenntnis schwierig, wenn nicht unmöglich ist. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in diesen Einrichtungen fühlen sich überfordert und oft allein gelassen.
Der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien waren und sind die Aus- und Übersiedler als Wählerinnen und Wähler willkommen. Sie haben dann aber auch die Pflicht, die zur Integration in unsere Gesellschaft notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Das mindeste wäre, wieder die Leistungen zu gewähren, die Sie selbst zum Zeitpunkt der Parteienvereinbarung über Asyl und Zuwanderung am 16. Dezember 1992
und dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes am 1. Januar 1993 als notwendig erachtet haben. Aber selbst dieses Minimum ist für Sie offensichtlich schon zu viel. Denn in Kapitel 17 02 dieses Haushaltes werden die Eingliederungsmittel für junge Aussiedler um mehr als 10 Prozent gekürzt, ein im wahrsten Sinne richtungsweisender Beitrag der Koalition zur Integration junger Aussiedler.
Uwe Göllner
Frau Albowitz, Sie haben in diesem Zusammenhang meinem Parteivorsitzenden vorgeworfen, etwas gegen Aussiedler gesagt zu haben. Ich finde es ungeheuerlich,
dem Vorsitzenden der einzigen wirklich internationalen Partei dieser Republik einen solchen Vorwurf zu machen. Sie haben mit Sicherheit seine Reden nachgelesen. Sie können mit Sicherheit unterscheiden zwischen dem, was er gesagt hat, und dem, was daraus in der veröffentlichten Meinung gemacht worden ist.
Meine Damen und Herren, wenn zur Erfüllung dieser von mir genannten Aufgaben weitere Opfer notwendig sind, dann müssen die vom Herrn Bundeskanzler angesprochenen Bürger, denen nach seinen Worten diese Opfer eher zugemutet werden können, eben ein wenig länger auf wünschenswerte Entlastungen warten. Wer hat Sie denn eigentlich gezwungen, die private Vermögensteuer abzuschaffen?
Wer zwingt Sie, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen und laut über die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer nachzudenken? Frau Albowitz, Sie sind wie ich häufig in der Handwerkskammer Köln. Demnach müßten Sie wissen, daß 95 Prozent aller Gewerbetreibenden keine Gewerbekapitalsteuer und 88 Prozent keine Gewerbeertragsteuer bezahlen. Als Bürgermeister frage ich Sie: Welchen Anreiz hat eigentlich ein Stadt- oder Gemeinderat, statt Wohnbauflächen Gewerbeflächen im Bebauungsplan auszuweisen, stellt er doch, wenn die Gewerbesteuer wegfällt, damit die Grundstückseigentümer um 200 DM pro Quadratmeter schlechter?
Über einen finanziellen Ausgleich ist viel geredet worden, von einem neuen Anreiz habe ich bis heute nichts gehört.
Als Bundespolitiker im Bereich Familien, Senioren, Frauen und Jugend frage ich Sie: Ist es eigentlich sinnvoll - im Sinne des Kanzlerwortes von vorhin -, die wenigen Gewerbesteuerzahler, zu denen ich übrigens selbst gehöre, weiter zu entlasten, um über die Mehrwertsteuer auch die Schwachen weiter zu belasten?
Meine Damen und Herren Sozialpolitiker und Familienpolitiker von der Union, Sie sollten nach meinem Erachten - aber ich habe Ihnen keine Ratschläge zu geben - mehr auf Ihre eigenen Kommunalpolitiker vor Ort hören, die das Ohr am Volk haben, als auf Ihren Koalitionspartner in Bonn. Dann
wäre es um die soziale Symmetrie dieses Staates besser bestellt.
Danke schön.
Nun gebe ich das Wort der Bundesministerin Claudia Nolte. - Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, daß Herr Kollege Göliner seine erste Rede in diesem Hause gehalten hat - er ist nachgerückt -; dafür haben Sie ganz ordentlich zugeschlagen.
Ich möchte Ihnen trotzdem die üblichen Wünsche des Hauses aussprechen.
Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Klemmer, lieber Herr Göllner, das, was wir hören konnten, war: Sie sind mit dem Haushalt nicht zufrieden. Ich finde allerdings, daß Sie uns die Antwort schuldig geblieben sind, wie Ihre Alternativen aussehen.
Sie haben gegenüber den Ansätzen, die wir gewählt haben, beträchtliche Forderungen offeriert, die zu Mehrausgaben führen würden, aber Sie verlieren überhaupt kein Wort darüber, wie man das finanzieren soll, woher das Geld dafür kommen soll. Frau Klemmer, die Gegenfinanzierung stimmt nicht; Sie haben dazu keine Vorschläge gemacht.
Für die Finanzierung von Mehrausgaben gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten. Die erste ist die höhere Neuverschuldung. Wir debattieren schon eine gewisse Zeit darüber und hören, Neuverschuldung heißt, auf Kosten nachfolgender Generationen zu leben.
- Nein, Frau Klemmer, darauf komme ich noch im einzelnen.
Die zweite Möglichkeit sind höhere Steuern. Das würde ganz Ihrem Prinzip Rechnung tragen, den Leuten das Geld mit der einen Hand aus der Tasche zu ziehen, um es mit der anderen großzügig zu verteilen. Das ist etwas, das wir nicht wollen und auch nicht machen.
Der dritte Weg ist Sparen. Das ist im Moment der einzig richtige Weg, und deshalb gehen wir ihn. In gewissem Sinne erfordert das Mut, denn man muß genau sagen, wo man seine Schwerpunkte setzt. Es fällt Ihnen schwer, von alten Dingen Abstand und Abschied zu nehmen, um neue politische Schwer-
Bundesministerin Claudia Nolte
punkte setzen zu können. Sie können nur draufsatteln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Familienförderung hohe Priorität für mich hat. Es ging wirklich um mehr als die Frage, ob wir das Kindergeld um 20 DM in 1997 oder 1998 erhöhen, sondern wir haben den Familienlastenausgleich zu einem Familienleistungsausgleich weiterentwickelt und ihn damit auf eine neue solide Grundlage gestellt.
Bereits in diesem Jahr haben wir die Familien mit 7 Milliarden DM mehr entlastet. Damit ist die Familienförderung im Rahmen des Familienleistungsausgleichs so hoch wie noch nie.
Ganz kurz noch ein Wort zu Ihrem Antrag zum Erziehungsgeld: Ich begrüße es, daß wir uns inzwischen so weit einig sind, daß wir die Anhebung der Einkommensgrenzen erreichen wollen. Ich hatte lange Zeit den Eindruck, daß wir uns überhaupt nicht einig sind; denn wenn man schaut, was die Länder tun, kann man nicht davon ausgehen, daß es sich um ein Herzensanliegen der SPD handelt.
Um es ganz konkret zu machen: Als wir die Zeitspanne für den Erziehungsgeldbezug ausgeweitet haben, hatte Rheinland-Pfalz nichts Eiligeres zu tun, als die Bezugsdauer für seine Bürger um denselben Zeitraum zu kürzen. Daraus kann man nun wirklich nicht schließen, daß das Erziehungsgeld ein besonderes Anliegen für Sie ist. Im übrigen gelten in Rheinland-Pfalz dieselben Einkommensgrenzen wie beim Bund.
Die Art und Weise, wie Sie den Antrag stellen, ist sehr billig. Es gehört nun einmal dazu, daß wir die Maßnahmen, die wir durchsetzen wollen, auch seriös finanzieren. In Ihrem Antrag ist nicht ein Wort dazu verloren worden, wie man die 500 Millionen DM finanzieren soll.
- Herr Diller, auch in der Summe der Anträge ist das nicht sehr seriös.
Die Politik für eine familienfreundliche Gesellschaft hängt weiß Gott nicht nur am Kindergeld, am Kinderfreibetrag und am Erziehungsgeld, sondern entscheidend ist, welche Wertschätzung die Familien erfahren und inwieweit sie in einem familienfreundlichen Umfeld leben. Für mich ist es in der Tat sehr wichtig, daß wir kinder- und familienfreundliche Gemeinden haben. Deshalb setze ich auch einen Schwerpunkt, um Gemeinden zu fördern. Dazu dient der neue Bundeswettbewerb „Kinder- und familienfreundliche Gemeinden" .
Ich bedanke mich sehr bei den kommunalen Spitzenverbänden, daß sie das so ausdrücklich mit unterstützt haben.
Auch hier wird Ihre Scheinheiligkeit deutlich. Frau Klemmer, der einzige Vorschlag für Kürzungen, den Sie in den Haushaltsausschußberatungen zum Einzelplan 17 vorgelegt haben, betraf genau den Etatbereich Förderung einer familienfreundlichen Gesellschaft und 2,4 Millionen DM. Da frage ich mich, wo Sie jetzt den Schwerpunkt für Familien setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein unbestritten gleichermaßen wichtiger Politikbereich ist für mich die Jugendpolitik. Nun gab es gestern einen Designer-Parteitag über Jugend. Ich finde es schon wichtig und begrüße es ausdrücklich, daß wir uns alle Gedanken darüber machen, wie wir es schaffen können, daß sich junge Menschen politisch engagieren und Mitwirkungsmöglichkeiten haben. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie dies dadurch erreichen, daß Sie das Wahlalter absenken. Das ist in meinen Augen nicht nur ein sehr phantasieloser Vorschlag, sondern er ist auch der falsche Weg. Wenn man sieht, daß in keiner Altersgruppe die Wahlbeteiligung so stark zurückgegangen ist wie gerade bei den Jungwählern, dann wird offensichtlich, daß man über die Herabsetzung des Wahlalters keine Politikbegeisterung erzeugen kann.
Viel entscheidender ist, daß wir Mitwirkungsmöglichkeiten schaffen, daß wir zum politischen Arbeiten befähigen. Das findet in großem Maße in den Verbänden statt. Daß mir dies ein wichtiges Anliegen ist, mache ich dadurch deutlich, indem ich im Rahmen des Kinder- und Jugendplans ganz klar Schwerpunkte zum Erhalt von Strukturen der Jugendverbandsarbeit sowohl bei den politischen Jugendverbänden als auch beim Deutschen Bundesjugendring oder bei der Deutschen Sportjugend gesetzt habe. Das sind plurale Trägerstrukturen, Frau Klemmer, bei denen Sie in keiner Weise davon reden können, daß wir einseitig jemanden bevorzugen.
Auch das, was Sie insgesamt zum Kinder- und Jugendbereich sagen, trägt absolut nicht zu einer Klarheit bei. Sie behaupten unter anderem, die Programme im Kinder- und Jugendplan werden bis zur Unkenntlichkeit zurückgestutzt. Es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß der Bund in seiner Anregungskompetenz Modellprojekte fördert. Sie sind nun einmal grundsätzlich auf eine beschränkte Zeitdauer angelegt. Wenn solche Programme auslaufen, dann kann man nun wirklich nicht davon sprechen, daß gekürzt oder irgendwo etwas zurückgestutzt wird. Dies gilt zum Beispiel für das Mädchenprojekt, das Ende 1996 ganz regulär ausläuft. Es war meine persönliche Entscheidung, zu sagen, ich verlängere die Projektphase noch einmal für einen neuen Versuch mit 3 Millionen DM.
Auch zum internationalen Jugendaustausch entbehren Ihre Vorwürfe zur Frage der Finanzierung der deutsch-tschechischen Koordinierungsstelle jeglicher Grundlage. Auch Sie müssen Entwicklungen doch einmal zur Kenntnis nehmen. Es stehen für den internationalen Jugendaustausch 1997 32 Millionen DM zur Verfügung. Darüber hinaus haben wir
Bundesministerin Claudia Nolte
das Deutsch-Französische Jugendwerk mit 40 Millionen DM, von denen wir 20 Millionen DM bezahlen. Beim Deutsch-Polnischen Jugendwerk bezahlen wir 7,5 Millionen DM von 10 Millionen DM. Das sind beträchtliche Beträge für den internationalen Jugendaustausch.
Nun haben wir Ihnen mehrfach erläutert, daß die Finanzierung der Koordinierungsstellen zum einen dadurch möglich wird, daß wir Globalmittel von 800 000 DM zur Verfügung haben und daß wir zum anderen seit 1995 das europäische Programm Jugend für Europa 3 haben. Dort fließen aus Deutschland jährlich über 13 Millionen DM hinein, und wir bekommen darüber hinaus 5 Millionen DM aus diesem Programm für unsere Maßnahmen im Bereich des internationalen Jugendaustausches mit Ländern Europas.
Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß in der Summe für diesen Bereich dadurch letztlich mehr Mittel zur Verfügung stehen und daß man nicht argumentieren kann, wir nehmen es bei anderen Austauschmitteln weg.
Ein Wort auch noch zum AFG. Ich glaube, es macht keinen Sinn, wenn wir uns jetzt noch einmal darüber verständigen müssen, daß wir ein föderaler Staat sind, in dem jede Ebene ihren eigenverantwortlichen Kompetenzbereich hat. Es ist nun einmal zwingend, daß die Aufgaben jeweils von der Ebene wahrgenommen werden, die dafür die Zuständigkeit besitzt. Das gilt für die Vernetzungsstelle der kommunalen Frauenbeauftragten ebenso wie für die Finanzierung kommunaler Projekte im Jugendbereich. Wir können kommunale Aufgaben auf Dauer nicht von der Bundesebene her finanzieren. Ich weiß, daß in den neuen Bundesländern ein Großteil der Jugendprojekte im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes durchgeführt werden. Falls Ihnen das entgangen sein sollte: Genau das war für mich ein Grund, mich sehr intensiv dafür einzusetzen, daß wir Maßnahmen gemäß § 249h auch über 1997 hinaus möglich machen. Es liegt jetzt am Bundesrat, daß die AFG-Reform entsprechend und vor allen Dingen rechtzeitig verabschiedet wird.
Ich glaube, wir sind uns alle darüber im klaren, daß gerade im jugendpolitischen Bereich wegen der notwendigen Kontinuität fest finanzierte Stellen nötig sind. Das können wir auf Dauer nicht über das AFG abdecken. Hier sind nun einmal in erster Linie die Kommunen gefordert. Die Länder haben die entsprechenden Unterstützungsleistungen zu geben.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Neunten Jugendbericht. Er hat, Herr Berninger, ganz klar deutlich gemacht, was der Bund beim Aufbau von freien Trägern der Jugendhilfe gerade in den neuen Bundesländern geleistet hat und daß jetzt die
Verantwortung bei den Ländern und den Kommunen liegt und dort wahrgenommen werden soll.
- Das ist originäre Kompetenz, Herr Kollege.
Zudem habe ich in den vergangenen Monaten neue Schwerpunkte gesetzt. Ich erinnere hier an das Programm für die Straßenkinder und auch an den Schwerpunkt Förderung eines guten Verhältnisses zwischen den Generationen, zwischen Jung und Alt. Denn es ist im Interesse der Jugend genauso wie im Interesse der Gesellschaft insgesamt, daß sich Jung und Alt verstehen. Ich wehre mich gegen jedes Separieren und Ausgrenzen. Deshalb ist die Förderung des Dialogs der Generationen für mich ein eigenständiger Schwerpunkt, der sich auch im Kinder-und Jugendplan entsprechend niederschlägt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine sehr wesentliche Veränderung im Gegensatz zur ersten Lesung ist in der Tat der Ansatz des Garantiefonds. Ich halte aber Ihre Kritik an diesem Punkt für nicht gerechtfertigt. Denn die Veränderung, die wir vornehmen, ist sehr wohl vertretbar, wenn man bedenkt, daß eindeutig weniger Aussiedler gekommen sind und dies auch in der nächsten Zeit so sein wird. Wir betreiben eine intensive Sprachoffensive durch das BMI, die dazu führen wird, daß bessere Sprachkenntnisse bei den nach Deutschland kommenden Aussiedlern vorhanden sein werden. Die Sprachförderung wird überdies von den Kürzungen nicht betroffen werden. Sie wissen, daß wir weitere Möglichkeiten von Umstrukturierungen innerhalb des Garantiefonds haben, so daß Ihre Besorgnis nicht begründet ist.
Die Mittelerhöhung beim REAG-Programm ist von der Abgeordneten Albowitz angesprochen worden. Ich glaube in der Tat, daß es gut ist, ein Volumen zur Verfügung zu stellen, das etwa 60 000 bosnischen Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht.
Damit erfüllen wir nicht nur ein Abkommen, das für Bosnien und Herzegowina getroffen worden ist,
sondern wir helfen den Menschen ganz konkret beim Aufbau ihres Landes, bei der Rückkehr in ihr Land.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich sagen, daß der Haushalt dafür steht, daß man auch in Zeiten enger finanzieller Spielräume politische Schwerpunkte setzen kann. Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bei den Kolleginnen und Kollegen sowohl im Fachausschuß als auch im Haushaltsausschuß und auch bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, die erhebliche Arbeit geleistet haben.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Abgeordneten Klemmer das Wort.
Frau Ministerin Nolte, es wäre einiges zu dem, was Sie hier soeben vorgetragen haben, zu sagen. Als Haushälterin kann ich eine Ihrer ersten Bemerkungen natürlich nicht unwidersprochen lassen. Zunächst aber möchte ich sagen: Wenn ich als junge, alleinerziehende Mutter in Deutschland gehört hätte, was Sie soeben vorgetragen haben, dann würde ich fragen: Was ist die Botschaft an die Familien, an die Mütter und ihre Kinder?
Sie sagen: Die Familie genießt eine hohe Wertschätzung. Das werden die Familien gerne hören. Aber sie werden sich dafür nichts kaufen können. Was Ihnen als verantwortlicher Ministerin auf Bundesebene dazu einfällt, ist ein Bundeswettbewerb. Genau das ist es, was wir bei Ihnen immer kritisieren: Sie machen schöne Worte, und es folgen keine Taten. Im Moment brauchen die Familien wirklich etwas anderes als Ihre Ankündigungen, die ihnen in ihrer sozialen Situation überhaupt nicht weiterhelfen.
Ich muß mich ausdrücklich gegen eine Anschuldigung verwahren. Ich schreibe Ihre Anschuldigung dem Umstand zu, daß Sie an den Haushaltsberatungen natürlich nicht immer teilnehmen. Aber dann bitten Sie doch einmal Ihre Koalitionskollegen, Ihnen zu sagen, was die Opposition im Haushaltsausschuß macht. Jedenfalls für die SPD kann ich das in Anspruch nehmen: Wir haben während der Beratungen nicht einen Antrag gestellt, für den wir nicht auch einen Deckungsvorschlag gemacht haben.
Ich denke, die Seriosität, die Sie uns hier absprechen, gebietet es, daß Sie das in Ihrem Beitrag erwähnt hätten.
Es ist richtig: Während der Haushaltsberatungen haben wir keinen Deckungsvorschlag für die Änderung der Bemessungsgrundlage beim Erziehungsgeld gemacht. Nur, in unserem Gesamtpaket - wir sehen den Bundeshaushalt als ein Gesamtpaket an - haben wir dafür natürlich eine Deckung angeboten.
Insofern lege ich großen Wert darauf, daß Sie uns keine solchen finanziellen Unredlichkeiten nachsagen. Dagegen verwahre ich mich als Haushälterin.
Frau Ministerin, Sie dürfen darauf antworten. Bitte.
Frau Kollegin, Sie haben mir keine Chance zu grundsätzlichen Ausführungen gelassen; denn es war erst einmal notwendig, viele Dinge richtigzustellen, damit sie auch für die Öffentlichkeit klar sind.
Ich kann es gerne wiederholen: In einem Haushaltsjahr wie 1996, das wirklich eng war, zu behaupten, daß 7 Milliarden DM mehr für Familienförderung kein Schwerpunkt zugunsten von Familien seien, ist nun wirklich hanebüchen.
Zum letzten: Auch dieser Ihr Antrag enthält wiederum keinen Gegenfinanzierungsvorschlag.
Insofern kann ich getrost bei meiner Aussage bleiben.
Ich schließe hiermit die Aussprache. Jede Aufregung ist überflüssig.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu denen über die Änderungsanträge.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6216 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6235 auf. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Einzelplan 17 in der Ausschußfassung auf. Wer dem Einzelplan zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich rufe auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit - Drucksachen 13/6015, 13/6025 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kristin Heyne Roland Sauer
Dr. Wolfgang Weng Gerhard Rübenkönig
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Gerhard Rübenkönig das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Gesundheitshaushalt Stellung beziehe, gestatten Sie mir vorab einige Bemerkungen zum Bundeshaushalt 1997, der durch die globale Kürzung von 3 Milliarden DM auch auf den Gesundheitshaushalt erhebliche Auswirkungen hat. Hierzu wird in einem Kommentar der „Frankfurter Rundschau" vom 14. November 1996 unter der Überschrift „Crash-Pfad" Stellung genommen. Ich zitiere wörtlich:
Wie der Hund, dem die Wurst vor die Nase gehängt wird, läuft die Bundesregierung hinter dem Defizit-Ziel des Maastrichter Vertrages her. Doch je schneller sie auf ihrem Sparkurs rennt, um so rascher reißen neue Haushaltslöcher vor ihr auf. Dabei wird ihre Politik immer kurzatmiger.
Es wird dann weiter ausgeführt:
Doch der Bonner Sparkurs produziert bereits ständig zusätzliche Arbeitslose - von den anstehenden Entlassungen in Kur-Kliniken bis zu den ausbleibenden staatlichen Bauaufträgen. Der Weg des Schuldenabbaus erweist sich zunehmend als Crash-Pfad der Konjunktur.
Ich denke, daß diesem Kommentar nichts mehr hinzuzufügen ist. Denn er zeigt deutlich, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, und die Bundesregierung unfähig sind, die millionenfache Arbeitslosigkeit mit einer wirksamen Wachstums- und Beschäftigungspolitik zu bekämpfen.
Der Bundeshaushalt 1997 ist und bleibt daher ein unseriöser Haushalt, ein Haushalt ohne Halt.
Dies gilt, Herr Minister Seehofer, auch für den Einzelplan 15, für den Gesundheitshaushalt. Er wurde um 4,8 Prozent auf 752 Millionen DM gekürzt. Hierbei ist der tatsächliche Handlungsspielraum nur noch
in der Höhe von sage und schreibe 47 Millionen DM greifbar. Gekürzt wurde insbesondere bei Modellmaßnahmen auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung, des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs, der Psychiatrie und der Versorgung chronisch Kranker.
Schon im Vorfeld des Berichterstattergesprächs waren sich alle Berichterstatter wie auch die Vertreter Ihres Hauses, Herr Seehofer, einig, daß diese Kürzungen nicht zu vertreten sind. Aus diesem Grunde konnten wir den Haushalt in den Bereichen Drogenprävention, Transplantationskampagne und Aidsaufklärung einvernehmlich um 2,7 Millionen DM aufstocken.
Aber dann kam für uns alle die große Überraschung, daß Sie, Herr Seehofer, zur Deckung des 3Milliarden-Haushaltsloches großzügigerweise bereit waren, aus Ihrem Haushalt durch eine globale Minderausgabe zusätzlich 21 Millionen DM bereitzustellen. In der Bereinigungssitzung vom 14. November 1996 waren Sie allerdings - im Gegensatz zu einigen anderen Kabinettskollegen - nicht bereit, auf meine Frage, wieviel wo gespart werden soll, einzugehen. Da Sie aber nur im disponiblen 47-Millionen-DM-Bereich kürzen können und wollen, müssen wir erneut davon ausgehen, daß Sie dies in den vorhin von mir genannten Gesundheitsbereichen tun werden. Herr Minister Seehofer, ich stelle fest, daß Sie mit dieser Haushaltspolitik die Reformen im Gesundheitswesen endgültig begraben haben.
Dazu kommt, wie jüngst in der Presse berichtet, daß seit über 20 Jahren Zehntausende von Medikamenten auf dem deutschen Markt sind, die bis heute nicht auf ihre Wirksamkeit untersucht wurden. Hierzu gibt es keine Haushaltsansätze von Ihnen, um Abhilfe zu schaffen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie verlängern noch einmal die Frist für die Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsprüfung bis zum 31. Dezember 1999. Jedes zweite Medikament auf dem deutschen Markt hat somit keine Zulassung. Kassen und Patienten bezahlen für unwirksame Präparate, die nicht einmal zugelassen sind.
Mit Ihrem 1. und 2. NOG und den damit verbundenen Leistungseinschnitten und Zuzahlungsregelungen belasten Sie erneut die Kassen und Patienten. Bei ausnahmslos allen Krankenkassen und Verbänden stoßen diese Gesetze auf vehementen Widerspruch. Der Vorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, Herbert Rebscher, faßt seine massive Kritik folgendermaßen zusammen:
Der Gesetzgeber kann keine rote Ampel gegen Risikoselektion aufstellen und gleichzeitig die ökonomischen Anreize so setzen, daß derjenige belohnt wird, der die Ampel überfährt.
Die soziale Krankenversicherung soll auf eine Grundversorgung reduziert werden. Das führt in der Konsequenz tatsächlich zur Zweiklassenmedizin, denn die Risikoselektion wird zur gesetzlich verordneten Unternehmenstrategie der Krankenkassen. Eine solche Umverteilungspolitik zu Lasten der kran-
Gerhard Rübenkönig
ken Menschen kann und wird die SPD nicht mittragen.
Nach Vorlage der Bundesregierung sollen zum Beispiel aus dem für alle Kassen verbindlichen Pflichtleistungskatalog wesentliche Leistungen gestrichen werden. Wollen die Kassen solche Leistungen weiter anbieten, müssen dies die Versicherten - ohne Beteiligung der Arbeitgeber - allein bezahlen. Darüber hinaus sollen bisherige Pflichtleistungen nur noch als Gestaltungsleistungen, also als freiwillige Satzungsleistungen, angeboten werden. Dazu zählen unter anderem die häusliche Krankenpflege, die Fahrtkostenerstattung sowie Kuren und Rehabilitation. Damit, Herr Seehofer, werden Leistungen, die vor allem chronisch Kranke, Behinderte und ältere Menschen unbedingt benötigen, aus dem bisherigen Pflichtleistungskatalog ausgegrenzt.
Das Motto der Regierungskoalition lautet: Leistungsstreichung für chronisch Kranke bringt Vorteile für den Wettbewerb - die F.D.P. läßt grüßen.
Zu dieser Ihrer Politik schrieb die „Bild am Sonntag", die ja sonst eher regierungsfreundlich ist, in einem Kommentar vom 14. November 1996 - hören Sie gut zu, ich lese es Ihnen gleich vor - unter der Überschrift „Immer auf die Kleinen" folgendes:
Schade, man hatte gedacht, er sei anders als die anderen. Mutig und aufrecht - so ging Horst Seehofer an die Gesundheitsreform heran. Furchtlos im Kampf gegen Ärzte, Pharma-Unternehmen, Krankenhäuser und Krankenkassen.
Inzwischen aber ist auch Horst Seehofer unter die Bonner Räder gekommen. Eingekreist von Interessengruppen, im Schwitzkasten von FDP und Kanzler, geht auch er jetzt den leichtesten Weg: höhere Beiträge, mehr Zuzahlung bei Medikamenten und ein Notopfer Krankenhaus.
Und das Ganze spielt sich in erster Linie auf dem Rücken derjenigen ab, die den ganzen Laden noch am Laufen halten: die Arbeiter und Angestellten, die trotz geringen und sinkenden Einkommens unverdrossen rackern und arbeiten, obwohl vielen Familien unterm Strich kaum noch mehr als Sozialhilfe bleibt. Denn Besserverdiener sind kaum und Sozialhilfeempfänger gar nicht von den neuen Beschlüssen zur Gesundheitsreform betroffen.
Zu den Seehofer-Lasten kommen noch höhere Rentenbeiträge, gleichzeitig wird der steuerfreie Grundfreibetrag nicht - wie versprochen - angehoben und der Solidaritätszuschlag nicht gesenkt. Kein Wunder also, daß sich bei einer breiten Schicht von fleißigen Deutschen immer mehr ohnmächtige Wut breitmacht: Warum sind wir eigentlich so blöd, überhaupt noch zu arbeiten?
So weit die Bild-Zeitung. Ich denke, dieses bedarf keinerlei Interpretation.
Ihre Politik zerstört die soziale Schutzfunktion der solidarischen Krankenversicherung und führt in die Zweiklassenmedizin. Dieses lehnt die SPD ohne Wenn und Aber ab.
Meine Damen und Herren, um eine Lösung zur Weiterentwicklung der Gesundheitsstrukturreform unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit anbieten zu können, ist es zunächst erforderlich, die Ursachen für die defizitäre Entwicklung in den sozialen Krankenkassen zu analysieren und darzustellen. Wir, die SPD, sind uns unserer sozialpolitischen Verantwortung bewußt und haben dem Deutschen Bundestag ein umfassendes und in sich schlüssiges Konzept zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens vorgelegt.
Lassen Sie mich zum Schluß folgendes feststellen: Sie, Herr Minister Seehofer, haben sich mit der erneuten Kürzung des Gesundheitshaushaltes von notwendigen Reformen und Innovationen in der Gesundheitspolitik verabschiedet. Mit Ihrer Politik stellen Sie die Weichen für eine Zweiklassenmedizin in unserer Gesellschaft. Im Interesse der Versicherten und der Krankenkassen werden wir Ihre unsoziale und ungerechte Politik mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen.
Ihren Haushalt 1997 lehnen wir aus den genannten Gründen ab.
Danke schön.
Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Roland Sauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorneweg möchte ich ganz klar sagen, daß der Minister Horst Seehofer unsere vollste Unterstützung auf dem schwierigen Weg hat, das deutsche Gesundheitswesen auch weiterhin auf seinem hohen Leistungsniveau zu halten und auch bezahlbar zu halten.
Lieber Kollege Rübenkönig, Ihre Rede hat mich enttäuscht. Sie hat nichts Neues gebracht.
Sie von der Opposition verharren in der Verweigerung und in der Blockade; Sie haben keine eigenen Vorschläge.
Roland Sauer
Die steigende Lebenserwartung, verbunden mit der großen Zunahme der Zahl chronisch Kranker, die demographische Entwicklung sowie der medizinisch-technische Fortschritt, der viel kostet, zwingen uns geradezu zu Reformen. Wir müssen mit diesen Reformen unser leistungsfähiges Gesundheitswesen auch für die Zukunft und - das betone ich - auf Dauer bezahlbar machen.
Wo sind Ihre Vorschläge, Herr Kollege Rübenkönig?
Ihre Politik besteht darin, selbst vernünftige Vorschläge - zum Beispiel die Beitragssatzanhebungen von einer Dreiviertelmehrheit beschließen zu lassen - einfach abzulehnen und im Bundesrat zu blockieren.
Dies ist keine verantwortungsvolle Politik. Sie trägt auch nicht zur Senkung der Lohnnebenkosten bei, die für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und auch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze so wichtig und so dringend geboten ist. Sie wollen nach wie vor möglichst viel durch den Staat regeln lassen. Dies ist das alte und überholte Rezept der SPD in der Gesundheitspolitik.
- Zu dem Thema Haschisch komme ich gleich noch.
Die finanziellen Spielräume sind jedoch eng geworden. Man kann nicht allein mit dem Prinzip staatlicher Reglementierung und Kontrolle weiterhin Politik machen. Der Staat sollte sich aus den Angelegenheiten zurückziehen, die Beteiligte vor Ort besser und fachkundiger erledigen können.
Dies ist eine subsidiäre Politik, so wie wir sie verstehen. Dies heißt im Klartext: mehr Freiheit und mehr Selbstverantwortung für die Selbstverwaltung. Wir brauchen nicht mehr Staat, sondern wir brauchen weniger Staat, so wie es der Kollege Möllemann vor kurzem sehr richtig gesagt hat.
- Wir in der Koalition halten zusammen. - Wenn wir nicht tätig werden, geht der Weg in die Rationierung notwendiger Gesundheitsleistungen: mit Wartelisten in den Krankenhäusern wie in Großbritannien oder mit dem Vertrösten alter Menschen auf den SanktNimmerleins-Tag bei kostspieligen Operationen. Wollen Sie von der Sozialdemokratie diese unsoziale und unsolidarische Politik? - Wir wollen sie auf jeden Fall nicht!
Von mehr zumutbarer Eigenverantwortung im Gesundheitswesen habe ich auch heute von Ihnen, Herr Kollege Rübenkönig, wieder nichts gehört. Die solidarische Absicherung der Lebensrisiken, die die Familie und der einzelne Bürger nicht tragen können,
ist in Zukunft und auf Dauer nur möglich, wenn wir mehr Eigenverantwortung durchsetzen -
wie auch eine maßvolle Selbstbeteiligung, die auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Menschen Rücksicht nimmt.
So sind über 20 Millionen Menschen in Deutschland, 8 Millionen Erwachsene und 13 Millionen Kinder, auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse von geltenden und zukünftigen Selbstbeteiligungen befreit.
- 21 Millionen genau. - Von seiten der Sozialdemokratie sollte man dies und die Tatsache, daß die Zahlen stimmen, auch einmal anerkennen. Für die chronisch Kranken gibt es ebenfalls eine Härtefallregelung. Auch die ist Ihnen bekannt. Sie aber tun so, als ob dies alles zutiefst unsozial sei - wider besseres Wissen.
Sie haben wieder einmal den Eindruck erweckt, als ob das deutsche Gesundheitswesen zusammenbreche. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung wurden im Jahre 1995 229 Milliarden DM ausgegeben -55 Milliarden DM mehr als im Jahre 1991. Dies ist eine Erhöhung der Ausgaben um 30 Prozent. Wie können Sie angesichts dieser Tatsache davon sprechen, daß unser deutsches Gesundheitswesen zusammenbreche?
Herr Kirschner, ich frage Sie: Weshalb übernehmen denn so viele Staaten der Erde die Prinzipien unseres deutschen Gesundheitssystems? Die Antwort ist einfach: Weil die Versorgungssicherheit unserer Bürger wie auch die Qualität unseres Gesundheitswesens beispiellos in der Welt sind. Wenn Sie dies auch nicht gerne hören wollen - im Grunde genommen müßten Sie als Sozialdemokraten genauso erfreut sein wie wir -: Kein Staat der Erde sichert im Falle der Krankheit das finanzielle Risiko so umfassend ab wie die Bundesrepublik Deutschland.
Jetzt geht es darum, durch behutsame und ausgewogene Reformen dieses hohe Niveau auch für die Zukunft zu sichern. Herr Kollege Rübenkönig, zu Reformen aber sind Sie von der Sozialdemokratie nicht fähig. Das zeigt sich in erschreckendem Maße auf vielen Feldern der Politik. Sie blockieren nahezu alles, aber auch alles im Bundesrat.
Ich komme nun zum Einzelplan 15. Im Gegensatz zu dem Eindruck nach Ihrer heutigen Rede, Herr Rübenkönig, verliefen die Etatberatungen im Ausschuß recht einvernehmlich. Der Etat umfaßt nun nach den letzten Korrekturen rund 726 Millionen DM. Davon sind - dies ist zu bedauern - 92 Prozent gebundene Mittel. Durch die globale Minderausgabe und die Kürzungen bei der Öffentlichkeitsarbeit müssen wir nun gegenüber dem Regierungsentwurf in Höhe von
Roland Sauer
752 Millionen DM nochmals rund 26 Millionen DM einsparen. Ich hoffe, dies gelingt uns und dem Haus, ohne in die großen Titelgruppen, bei denen die Spielräume sowieso schon eng geworden sind, nochmals grob einschneiden zu müssen. Nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses muß die Prioritätensetzung im Einvernehmen mit den Berichterstattern erfolgen. Ich kann Sie nur auffordern, mit uns zusammen diese Hausaufgaben zu erledigen.
Im Laufe eines Haushaltsjahres läßt sich einiges erwirtschaften, zum Beispiel durch Rückflüsse durch Zinsen und ähnliches. So werden auch in diesem Jahr im Haushaltsvollzug rund 20 Millionen DM erwirtschaftet. Dies hat die Opposition bei ihrem Katastrophengemälde übersehen. Das Bundesgesundheitsministerium und ganz besonders der Minister werden sowohl ihrer haushaltspolitischen Verantwortung für die Konsolidierung des Gesamthaushaltes wie auch ihrer gesundheitspolitischen Verantwortung durchaus gerecht. Dafür ist Horst Seehofer nicht zu kritisieren, sondern zu loben.
Lassen Sie mich noch etwas zur Kritik der Opposition an den auslaufenden Modellprogrammen sagen. Modellprogramme laufen aus, wenn die Modellphase abgeschlossen ist. Sie gehen dann planmäßig in die Regelfinanzierung über. Die Länder - auch die neuen Länder - müssen ihre Verantwortung nun übernehmen.
: So ist es!)
Dies gilt für die Modellprogramme im Bereich von Krebskrankheiten, bei chronisch Kranken und im Bereich der Psychiatrie. Der Bund hat seine Aufgaben als Finanzier der Modellmaßnahmen erfüllt. Jetzt sind die Bundesländer in der Pflicht, zumal - das haben Sie völlig übersehen - die neuen Länder seit 1995 jährlich Finanzhilfen in Höhe von 700 Millionen DM für die Krankenhausinvestitionen erhalten. Diese Hilfe läuft im Einzelplan 60 über zehn Jahre. Dies sind nach Adam Riese 7 Milliarden DM. Bei Ihrem Jammern und Wehklagen über den zu knappen Haushalt des Gesundheitsministeriums haben Sie diese großartige Leistung für die neuen Länder geflissentlich übersehen.
Die Ausgabenschwerpunkte liegen auch im Jahre 1997 in den Bereichen der Bekämpfung des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs, der Krebs- und der Aidsbekämpfung, der Sozialhilfe, der Ressortforschung und der gesundheitlichen Aufklärung. Die Mittel für den Kampf gegen die Drogen bilden dabei zu Recht den größten Posten. Angesichts des explosionsartigen Anstiegs von Ecstasy in Deutschland benötigen wir dieses Geld dringend für Aufklärung und Prävention gegen diese gefährlichen Drogen. Sie sind zu lange verharmlost worden.
Die rotgrüne Drogenpolitik treibt derzeit merkwürdige Blüten. Zwei Beispiele sollen genügen: Der wahnwitzige Plan der rot-grünen Landesregierung von Schleswig-Holstein, Haschisch in der Apotheke, also dort, wo man den Kranken helfen soll, einem Ort
der Gesundheit und der Medizin, zu verkaufen, und die verantwortungslose Verharmlosung der sogenannten „Modeerscheinung Ecstasy" oder die Forderung nach einer „Qualitätsgarantie", wie sie hier bei der ersten Lesung des Haushalts von der Sprecherin der Grünen erhoben worden ist, sind unglaubliche Vorgänge. Wir - das sage ich ganz offen - machen diese Werbekampagne für den Drogenkonsum in Deutschland nicht mit.
Diese haarsträubenden Vorschläge untergraben die Prävention für ein drogenfreies Leben. Prävention, Hilfe für die Abhängigen und eine konsequente Repression gegen die Drogenmafia stehen im Vordergrund unserer Drogenpolitik.
Herr Kollege Sauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beck?
Noch einen Satz bitte. - Wir lehnen die drogenakzeptierende Gesellschaft, die offensichtlich von großen Teilen der Linken gewollt ist, entschieden ab.
Bitte schön.
Herr Beck, bitte schön.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Zunahme des Ecstasy-Verbrauchs unter der Drogenpolitik Ihrer Bundesregierung stattgefunden hat und sich Ihre repressive Politik hierauf offensichtlich überhaupt nicht auszurichten vermag, daß unsere Forderung nach einer Garantie, daß der Stoff nicht verschmutzt ist, damit keine zusätzlichen unnötigen, gesundheitlichen Gefahren dadurch entstehen, daß vermischte Stoffe angeboten werden, nicht mit einer Verharmlosung der Droge Ecstasy gleichzusetzen ist, sondern daß es darum geht, in Anerkennung der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Verbrauchs, den es nun einmal gibt, größtmögliche Sicherheit zu schaffen und zu verhindern, daß Menschen ohne Not daran sterben, nur weil Sie an einer repressiven Politik festhalten, die in den letzten Jahren überhaupt nichts ausgerichtet hat, und daß wir zum Beispiel bei den harten Drogen - -
Herr Kollege Beck, eine Sekunde! Es gibt einen Unterschied zwischen einer Kurzintervention und einer Frage.
Ich befinde mich noch in der Frage.
Ich nehme an, Sie wollen eine Frage stellen. Dann tun Sie das bitte.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß man zum Beispiel beim Heroin feststellen konnte, daß die Zahl der Drogentoten dort am höchsten ist, wo eine rein repressive Politik betrieben wird, und daß sich die Zahl der Drogentoten zum Beispiel in Frankfurt dadurch absenken ließ, daß man versucht hat, die Repression etwas zurückzunehmen, mit den Süchtigen anständig umzugehen und die Sucht eher als Krankheit denn als kriminelle Straftat zu betrachten?
Herr Kollege Beck, wir haben noch nie eine rein repressive Drogenpolitik betrieben. Sie wissen offensichtlich nicht, wie die deutsche Drogenpolitik aussieht.
Nach dem Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan haben wir drei gleichwertige Säulen in der Drogenpolitik: Prävention
- Nichtrauchen ist ein anderes Thema; aber es gehört vielleicht auch dazu -, Therapie statt Strafe und, als drittes, eine konsequente Repression. Diese drei Säulen müssen zusammenwirken. Es geht uns nicht darum, Qualitätsmerkmale von Drogen zu verbessern, sondern wir ächten die Drogen.
Wir wollen gerade den jungen Menschen klarmachen, daß sich ein Leben mit Drogen nicht lohnt. Man muß sie in einem Lebenskompetenztraining stark machen, Drogen nicht zu nehmen, sondern den Kampf gegen die Drogen zu gewinnen.
Sie, die Rot-Grünen, bauen mit ihrer Verharmlosungspolitik die Hemmschwellen ab. Sie müssen sich einmal die Reaktionen auf den Vorschlag, Haschisch in der Apotheke zu verkaufen, ansehen. Dieser Vorschlag wird quer durch die Presse - bis auf die „Frankfurter Rundschau" - verurteilt, weil er letztlich die Verfügbarkeit der Drogen in einem unglaublichen Ausmaß vergrößert und die Hemmschwelle, die Generalprävention, gerade bei jungen Menschen abbaut. Wenn der Staat zum Dealer wird, dann frage ich mich, wie man jungen Menschen noch klarmachen soll, daß sich ein Leben mit Drogen nicht lohnt.
Wir führen eine abstinenzorientierte Drogenpolitik durch. Dies ist die beste Hilfe. Wenn Sie Drogenabhängigen die Spritze in Fixerstuben oder sonstwo reichen, holen Sie die Menschen zwar von der Straße weg, bauen Sie die Konfrontation auf der Straße ab, aber Sie lassen die Menschen in der Perspektivlosigkeit ihrer Sucht. Diesen Weg gehen wir, die CDU/ CSU und die F.D.P., nicht mit.
Herr Kollege Sauer, es gibt noch zwei weitere Zwischenfragen.
Nein, ich möchte die Zeit nicht zu weit ausdehnen.
Die Mittel für die Aidsbekämpfung bleiben in diesem Jahr mit 22,8 Millionen DM fast auf dem Vorjahresstand. Wie im letzten Jahr beschlossen, stehen auch 1997 18 Millionen DM für die Aidsaufklärung zur Verfügung. Diese Verstetigung wird auch in den nächsten Jahren fortgeführt. Die Koalition hat somit Wort gehalten. Auch in Zukunft gilt unsere besondere Aufmerksamkeit dem Kampf gegen diese Immunkrankheit.
Wir haben hier auch im Detail Erfolge erzielt. So wurde der Aidsaufklärungstitel um 500 000 DM erhöht, um die so wichtige Aids-Telefonberatung weiterhin fortsetzen zu können. Dazu werden wir die Stellen - sechs Stellen sind notwendig - auch bis zum Jahr 2000 finanzieren können.
Ich möchte noch ein Wort zur dritten Stufe der Gesundheitsreform sagen. Ich habe eingangs schon bemerkt: Unsere Gesundheitspolitik zielt auf Selbstverantwortung und Eigenverantwortung aller am Gesundheitswesen Beteiligten ab. Ziel muß es sein, das medizinisch Erforderliche mit dem volkswirtschaftlich Vertretbaren und dem sozial Zumutbaren für die Versicherten in Einklang zu bringen. Wir müssen daher auch im Gesundheitswesen alle Wirtschaftlichkeitsreserven ausschöpfen. Nur so wird es möglich sein, unser hohes Niveau der Qualität und der Versorgung auch in der Zukunft zu halten.
Beim zweiten GKV-Neuordnungsgesetz geht es uns insbesondere um die Verbesserung der Gestaltungsmöglichkeiten der Krankenkassen, um eine Begrenzung der Ausgaben für die Kliniken sowie um die Finanzierung der Instandhaltung der Krankenhäuser. Jedem Bundesbürger sollte es 20 DM wert sein, das hohe bauliche Niveau und den Standard unserer Krankenhäuser auch in Zukunft zu sichern.
Lediglich der Freistaat Bayern - um dies auch noch einmal ganz klar zu sagen - beteiligt sich an den Instandhaltungskosten zum Erhalt der Krankenhäuser. Die Länder kommen ihrer Verantwortung nicht nach. Wenn die SPD-geführten Länder ihrer Verantwortung gerecht werden würden, wäre dieser Sonderbeitrag pro Jahr nicht notwendig. Ich kann Sie nur auffordern, Druck auf Ihre SPD-Ministerpräsidenten auszuüben. Wir werden es jedenfalls bei unseren Ministerpräsidenten tun.
Noch ein letztes Wort zu den neuen Gestaltungsmöglichkeiten der Krankenkassen. Sie sollen in die Lage versetzt werden, bestimmte paritätisch finanzierte Leistungen zielgerichteter und wirtschaftlicher zu erbringen. Es muß aber eines klar sein: Wenn künftig häusliche Krankenpflege, ein Großteil der Fahrtkosten sowie bestimmte Kuren und Rehabilitationen, Krankengymnastik, Heilmittel und Auslandsbehandlungen nicht mehr im Regelkatalog der Kran-
Roland Sauer
kenkassen enthalten sind, sondern zu Gestaltungsleistungen werden, darf es keine Leistungsausgren- , zung und keine Risikoselektion geben.
In der Zwischenzeit haben die Spitzenverbände der GKV erklärt, sie würden auch künftig die Leistungen einheitlich erstatten, allerdings müßten die Leistungen auf das medizinisch notwendige Maß heruntergefahren werden.
Herr Kollege Sauer, Sie müssen zum Schluß kommen.
Diese Ansicht teilen wir voll. Eine Leistungsausgrenzung in der GKV zu Lasten kranker, behinderter und alter Menschen sowie Drogenabhängiger wird es mit uns, der CDU/CSU und, wie ich annehme, auch der F.D.P., nicht geben.
Herzlichen Dank.
Nun gebe ich zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Antje Steen das Wort.
Herr Kollege Sauer, ich möchte auf Ihre Worte zur sogenannten rot-grünen Drogenpolitik eingehen, die Sie hier wieder mit den Ihnen eigenen Worten geschildert haben. Insbesondere haben Sie darauf hingewiesen, daß der Staat nicht zum Dealer werden dürfe.
Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat diesen Weg nicht vor, Herr Sauer. Wenn Sie die Vorlage der schleswig-holsteinischen Landesregierung und die Diskussion darüber genau verfolgt hätten, wüßten Sie, daß eine Erklärung der Landesregierung vorliegt, in der ausgeschlossen wird, daß das Land selbst Cannabis anbaue oder Haushaltsmittel für diesen Zweck zur Verfügung stelle. Damit können wir mit dem Unfug aufhören, zu behaupten, hier würde eine Landesregierung oder der Staat zum Dealer oder sich an der Rauschgiftherstellung beteiligen.
Außerdem möchte ich Sie darauf hinweisen, Herr Kollege Sauer, daß das Land Schleswig-Holstein eine Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 aufgreift, in der - hier zitiere ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - die Frage gestellt wird, „ob eine Verminderung des Cannabis-Konsums eher durch die generalpräventive Wirkung des Strafrechts oder aber durch die Freigabe von Cannabis und eine davon erhoffte Trennung der Drogenmärkte erreicht wird". Dies und nichts anderes soll der Modellversuch, den das Land Schleswig-Holstein startet, herausfinden.
Im übrigen ist über Art, Form, Inhalt und Durchführung noch nichts festgelegt. Dies hängt auch davon ab, inwieweit das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Genehmigung erteilt. Erst
danach wird das Land entscheiden, in welcher Form diesem für mich immer noch sehr sinnvollen Hinweis des Bundesverfassungsgerichts Folge geleistet wird.
Herr Kollege Sauer, Sie können antworten.
Liebe Frau Kollegin, ich habe davon, daß in der Presse stand, man wolle in Schleswig-Holstein mit 2 Millionen DM Cannabis anpflanzen, überhaupt nichts gesagt.
- Ich habe das nicht gesagt; das können Sie im Protokoll nachlesen. Ich habe nur gesagt, der Staat dürfe nicht zum Dealer werden. Wenn die Abgabe von Rauschgift von Staats wegen erlaubt wird - ob nun Heroin auf Krankenschein zu beziehen oder Haschisch in der Apotheke zu kaufen ist -,
dann werden wir als Staat zum Dealer.
Sie interpretieren im übrigen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch. In diesem Urteil ist nämlich gerade dem schleswig-holsteinischen Richter Neskovic ganz ausdrücklich gesagt worden, daß es kein Recht auf Rausch gibt. Genauso ist in dem Urteil ausgeführt, daß Haschisch nicht mit Alkohol gleichgesetzt werden dürfe; denn wenn einer einen Joint raucht, hat er immer die Absicht, sich zu berauschen.
- Sie lachen sich zu Tode. Aber dann lesen Sie doch einmal die Urteilsbegründung nach, und lesen Sie auch einmal nach, was der bekannte Pharmakologe Professor Kovar von der Universität Tübingen zu dem Vergleich von Alkohol und Haschisch ausgeführt hat. Sie legen das also falsch aus.
Auch der Besitz und der Konsum von Haschisch sind ja nicht straffrei gestellt worden. Das Gegenteil ist ja in der Presse zu lesen gewesen. Es ist nur gesagt worden, es sei möglich, den Besitz geringer Mengen Haschisch zum Eigenverbrauch ohne Drittgefährdung strafrechtlich nicht zu verfolgen. Aber diese Kautelen müssen Sie sehen.
Sie haben das so dargestellt, als ob der Besitz von Haschisch in Deutschland nun straffrei wäre. Wissen Sie, was das bedeutet? Es bedeutet, daß die Drogenmafia verstärkt Haschisch auf den deutschen Markt wirft, weil sie nun meint, hier auf Grund Ihrer Ver-
Roland Sauer
harmlosungspolitik einen Einstieg für Haschisch zu finden.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Marina Steindor.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurück zum Haushalt. Das Haushaltsloch des Ministers Waigel wird ja immer größer. Unser Gesundheitsminister Seehofer steht beim Sparen in der ersten Reihe. Wenn man es an der Gesamthöhe seines Minietats mißt, spart er freiwillig prozentual mehr als alle anderen Minister in ihren Ressorts.
Seit ich in diesem Hause bin, suchen wir vergeblich nach dem, was ich und meine Fraktion eigentlich von einer Gesundheitspolitik erwarten. Das gibt es anscheinend nicht. 1994, als ich erstmals hier eine Haushaltsrede hielt, hatten wir zu beklagen, daß das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene nach der Auflösung des Bundesgesundheitsamtes an das Umweltsministerium abgegeben worden war. Dort hatte man die umweltpolitischen und umweltmedizinischen Eingriffsmöglichkeiten aufgegeben.
Im letzten Jahr habe ich mich damit auseinandergesetzt: Was macht der Minister mit seinem wenigen Geld? Ich habe dazu einige exemplarische Ausführungen über die Gesundheitsressortforschung gemacht, die ein Gemischtwarenladen an Konzeptionslosigkeit ist.
Im Laufe der Debatte bekamen wir dann zu hören: Vorfahrt für die Selbstverwaltung. Es sieht jetzt nach der Vorlage des 2. GKV-NOG so aus, daß sich der Staat zunehmend aus seiner Verantwortung zurückzieht und die Kassen den Mangel gestalten läßt. Es wird immer klarer, daß der Minister auf dem politischen Rückzug ist.
Der Haushalt besteht - das ist ausgeführt worden - weitgehend aus feststehenden Personalkosten. Im Grunde genommen ist das Ministerium schon jetzt zu einer reinen Verwaltungsstelle verkommen. Geld, mit dem man Politik gestalten und Modellprojekte anschieben könnte, gab es sowieso immer nur recht wenig. In diesem Haushalt gab es zu Beginn der Beratungen disponible Mittel in Höhe von 47 Millionen DM. Wir im Gesundheitsausschuß wurden dann von der Hiobsbotschaft überrascht, daß an Mitteln gespart werden soll, die bei der institutionellen Förderung und bei Modellprojekten an Zuwendungsempfänger gehen oder die für die Öffentlichkeitsarbeit bestimmter Projekte vorgesehen sind. Der Minister
verkündete, daß er gar nicht gezwungen worden sei; nein, er habe sich freiwillig gemeldet.
Ausgerechnet mit einer faktisch mehr als 50prozentigen Kürzung der disponiblen Mittel wollte er die riesigen Haushaltslöcher Waigels stopfen. Diese Kürzung ist prozentual höher als in allen anderen Ministerien. Während sich andere Minister öffentlich wehrten und darauf hinwiesen, daß das, was eingespart werden sollte, einen gesellschaftlichen Verlust bedeute - wie beispielsweise das Verkehrs- oder das Verteidigungsministerium; das teilen wir politisch nicht -, kann ich Minister Seehofer mit den Worten zitieren: Ich habe nichts dagegen, wenn man beim Sparen an der Spitze steht. - Ein Gesundheitsminister stellt sich hin und tut so, als ob das, was weggespart wird, ihm nichts wert ist! Er spart faktisch an kranken Menschen.
Um das sprachlich zu füllen, fehlen einem die Worte. „Zynisch" oder „Skandal" sind zuwenig. Wenn man es auf den Punkt brächte, würde man sich hier wahrscheinlich einen Ordnungsruf einhandeln. Das will ich nicht.
Nun haben wir bei der Vorlage des 2. GKV-NOG gehört, daß damit eine Richtungsentscheidung anvisiert wird,
daß die gesetzliche Krankenversicherung auf eine Mindestversorgung reduziert werden soll, daß die GKV und das Solidarsystem ausgehöhlt werden und daß die Kassen den Mangel verwalten sollen. Wenn man sich anschaut, wie ein Minister freiwillig einen Teil seiner Zuständigkeiten abgibt und in seinem Haushalt freiwillig über die Hälfte der disponiblen Mittel einspart, dann gibt einem das doch zu denken.
Man konnte - bis auf das Erleiden der gesundheitspolitischen Vorstellungen der F.D.P. - bei unserem Gesundheitsminister bislang eigentlich keine masochistische Ader entdecken. Folglich darf man annehmen, daß man sich mit derlei Sparaktionen irgendwo Meriten verdienen kann. Wir dürfen alle auf das gespannt sein, was dort an Wohlfeilem herausspringt. Was aber in bezug auf die Waigelschen Haushaltslöcher wie ein Tropfen auf den heißen Stein daherkommt, nämlich eine Einsparung im Gesundheitshaushalt, tut den zahlreichen Zuwendungsempfängern sehr weh. Dieser Gesundheitsminister zeigt, daß er überhaupt kein Gefühl mehr für Verhältnismäßigkeit hat.
In Hinblick darauf, daß in einer zweiten Sparrunde in der Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuß noch einmal Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit gespart worden sind, muß man sich doch fragen: Kann
Marina Steindor
man jede Öffentlichkeitsarbeit über einen Kamm scheren? Ist es nicht ein Unterschied, ob man Öffentlichkeitsarbeit im Bereich von Aids und Suchtprävention oder im Bereich des Verkehrsministeriums macht? Aber dieser Gesundheitsminister scheint seinen Verantwortungsbereich in letzter Zeit aus dem Auge verloren zu haben. Es regiert der Gesundheitswirtschaftsminister. Ich sage Ihnen: Das, was Sie hier mit Ihren Einsparungen veranstalten, kostet mehr Arbeitsplätze, als daß es etwas einbringt.
Es werden massenhaft Leute aus dem Bereich der Reha-Kliniken, der häuslichen Krankenpflege - Logopädinnen, Physiotherapeutinnen usw. - auf der Straße sitzen. Den Symbolwert Ihrer Sparaktion im Gesundheitshaushalt scheinen Sie voll und ganz verkannt zu haben;
denn Sie verabschieden sich mit Ihren Haushaltskürzungen aus den großen staatlichen Aufgaben der Gesundheitspolitik. Selbsthilfe bei psychisch Kranken, Projekte für chronisch Kranke - das sind keine Peanuts.
Wenn hier laut getönt wird - wieder mit der üblichen Diktion, Rot-Grün an die Wand zu stellen -, es gehe uns in der Drogenpolitik um eine Entkriminalisierungsstrategie, und wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, in Schleswig-Holstein würde der Staat zum Dealer, dann frage ich Sie: Wie ist es denn mit der Subvention von 300 Millionen DM für das Branntweinmonopol? Können Sie Ihre eigene Doppelmoral noch ertragen, was die ungleiche Behandlung von Suchtmitteln betrifft? Wo bleibt denn von Ihrer Seite die Durchsetzung eines Nichtraucherschutzgesetzes?
Die rasenmäherhafte Art, mit der im Gesundheitsetat gespart werden soll, indem über alle Bereiche eine 50prozentige Bewirtschaftungssperre verhängt wird, zeigt doch auch wieder nur gesundheitspolitische Konzeptionslosigkeit.
Wenn Sie, Herr Minister, tatsächlich der Auffassung sind, daß Ihre Gestaltungskapazitäten im gesetzlichen Bereich, die Sie in hohem Maße an die Krankenkassen abgeben, überflüssig sind und daß auch das Geld, das Sie noch ausgeben können, überflüssig ist, dann frage ich Sie: Warum haben Sie nicht den letzten Schritt getan und Ihren Sessel sowie den der Staatssekretärin zur Verfügung gestellt? Damit hätten Sie noch etwas mehr als eine halbe Million DM zur Verfügung stellen können.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluß.
Herr Minister, in diesem Land kann Ihnen kein Gesunder und kein Kranker mehr vertrauen. Das neoliberale Konzept eines gesundheitspolitischen Nachtwächterstaats ist feige. Wir lehnen es ab.
Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Dieter Thomae das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskussion über den Bundeshaushalt 1997 richtet sich wiederum an der Zielsetzung aus, die Neuverschuldung in Grenzen zu halten und damit die Manövrierfähigkeit des Staates zu bewahren. Das ist schwierig, aber es ist notwendig. Als Gesundheitspolitiker könnte ich mir sehr gut vorstellen, in dem einen oder anderen Bereich mehr zu tun. Aber in Zeiten knapper Kassen sind nicht alle wünschenswerten Projekte finanzierbar.
Der Staat hat allerdings eine entschieden größere Verantwortung im Hinblick auf die Gesamtentwicklung. Wenn wir dieser Verantwortung gerecht werden wollen, müssen wir die Anspruchsmentalität an den Staat zurückdrängen.
Wer die Währungsunion wegen der damit verbundenen Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten auch für die eigene Wirtschaft und für die Arbeitsplätze bejaht, der muß alle Anstrengungen unternehmen, die hierfür erforderlichen Kriterien zu erfüllen.
Die globalen Minderausgaben, die im Haushalt für alle Ansätze vorgesehen sind, sind deshalb unumgänglich. Dazu hat auch der Etat des Bundesgesundheitsministers seinen Beitrag zu leisten, so schwer die Kürzung bei den einzelnen Projekten auch fällt. Glauben Sie nicht, daß es mir als Gesundheitspolitiker leichtfällt, Kürzungen im Bereich der Aidsaufklärung oder der Drogenbekämpfung in Kauf zu nehmen. Ich hoffe sehr, daß diese Kürzungen nur vorübergehend gelten.
Leider gibt der Gesundheitshaushalt wegen der geringen Manövriermöglichkeiten der Mittel kurzfristig zuwenig Umgestaltungsspielräume. Zur Zeit können leider auch keine Zuwächse verteilt werden. Vielmehr muß der Weg für mehr Verantwortung, Perspektiven und Ideen durch Beschränkung der Staatsquote frei gemacht werden. Ein Umsteuern ist, unabhängig von der europäischen Komponente, notwendig. Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Subsidiarität müssen im Vordergrund stehen.
Ich würde jedem in diesem Parlament empfehlen, den Aufsatz von Dr. Schäuble in der heutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu
Dr. Dieter Thomae
lesen. Er zeigt wirklich Durchblick, wie der Staat in Zukunft Verantwortung zurücknehmen muß.
Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt spiegelt gerade in der Gesundheitspolitik nur einen geringen Teil des Gesamtgeschehens wider. Aber es wird hier immer kritisiert: Im Bundeshaushalt steht kein Geld für Forschungsprojekte zur Verfügung. Schauen Sie bitte auch einmal im Etat des Forschungsministers nach. Es werden Projekte im Gesundheitsbereich, im Drogenbereich, im Krebsbereich finanziert, um neue Erkenntnisse zu finden. Dabei handelt es sich noch um recht beachtliche Posten. Auch dies wird von Ihnen sehr häufig übersehen.
Einen entscheidenden Aspekt finden wir in der GKV wieder. Dies ist im Grunde genommen der große Bereich. Ich möchte auf sieben Punkte eingehen, die geeignet sind, die GKV nicht mit Budgetierung, sondern endlich mit anderen, mit freiheitlichen Überlegungen besser in den Griff zu bekommen.
Erstens. Wir müssen uns wirklich auf die solidarische Finanzierung in den Bereichen konzentrieren, wo existentielle Notwendigkeit dazu besteht. Dies macht die Koalition. Das ist gelebte Subsidiarität.
Zweitens. Die Krankenkassen, die in den Wettbewerb gehen, müssen die Möglichkeit haben, ihre Ideen durchzusetzen, ohne daß andere Krankenkassen davon überzeugt werden müssen. Wer gut verhandelt, der muß den Versicherten in Form von niedrigen Beiträgen, besserer Qualität, besseren Versorgungsstrukturen vernünftige Angebote machen.
Wir müssen den Krankenkassen neben der Wahlfreiheit auch Gestaltungsspielräume, auch Differenzierungsmöglichkeiten anbieten. Das heißt nicht Ausgrenzung von Leistungen; denn auch in Zukunft wird der Beitragssatz das entscheidende Kriterium für den Wettbewerb sein. Daneben sollte es aber Differenzierungsmöglichkeiten geben.
Drittens. Aber auch die Versicherten müssen die Möglichkeit erhalten, ihr Leistungspaket individueller zu gestalten.
Viertens. Nicht nur im Leistungsbereich muß Flexibilität erkennbar sein, sondern auch auf der Finanzierungsseite. Ich nenne nur die Stichworte Selbstbeteiligung, Selbstbehalt und Beitragsrückgewähr.
Hierzu können wir ebenfalls flexible Lösungen anbieten.
Fünftens. Zu den erforderlichen flexibleren Regelungen im Gesundheitsbereich gehört auch die Schaffung von mehr Raum für Kostenerstattung. Das ist ebenfalls ein Bereich, in dem Freiheitsräume geschaffen werden.
Sechstens. Wir müssen die Gesundheitsstrukturen optimieren.
Siebtens - ich denke, da sind wir uns in der Koalition einig; leider macht die Opposition hierbei nicht mit -:
Die starre Trennung zwischen den einzelnen Sektoren muß aufgehoben werden.
- Ja, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben sich bei dem letzten Gesetzentwurf verweigert.
Wir müssen die Verzahnung zwischen dem ambulanten und stationären Bereich wirklich verbessern. Das wollen wir durch unseren Gesetzentwurf, durch Modellversuche erreichen. Wir fördern die kombinierten Budgets. Wir fördern vernetzte Praxen. Wir fördern das Hausarztabo. Dann haben wir Chancen, daß zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich umgestaltet wird. Dazu gehören natürlich auch intelligente Vergütungsvereinbarungen bezüglich der Großgeräte im medizinisch-technischen Bereich. Wir müssen die Möglichkeit schaffen, daß niedergelassene Ärzte Großgeräte in OP-Räumen nutzen. Auch dies wäre eine Einsparmöglichkeit.
Die Koalition hat für das Krankenhaus Entscheidendes realisiert.
Im Gegensatz zu Ihren Budgetierungsregelungen im Krankenhausbereich werden durch die Finanzierungsregelungen, die wir auf den Weg gebracht haben, die Leistungspakete der einzelnen Krankenhäuser wieder stärker berücksichtigt. Wir gehen in Zukunft also individueller auf die Struktur der einzelnen Krankenhäuser ein. Das ist ein Vorteil und führt dazu, Gelder zu sparen und sie umlenken zu können.
Die Koalition sieht Reformbedarf. Aber die Reform im Gesundheitswesen ist ein stetiger Prozeß. Veränderung der Altersstruktur und technische Entwicklung - Herr Sauer hat schon darauf hingewiesen - führen dazu, daß wir einem permanenten Anpassungsprozeß Rechnung tragen müssen. Deshalb müssen wir folgendes festhalten:
Erstens. Wir müssen die langfristige Finanzierung innerhalb dieses Systems sichern.
Zweitens. Wir müssen das System endlich von bürokratischen Regeln befreien. Das haben wir in einem großen Komplex, beim Zahnersatz, getan. Aber auch in anderen Bereichen ist dies notwendig; ich nenne nur das Stichwort Budgetierung.
Drittens. Die Lohnzusatzkosten - deshalb führen wir die ganze Operation überhaupt durch - dürfen nicht steigen.
Viertens. Die Eigenverantwortung muß zunehmen. Wenn wir diesem Ziel Rechnung tragen wollen, hat die Koalition aber die Verpflichtung, bald eine Steuer-
Dr. Dieter Thomae
reform zu realisieren, damit die Bürger auch die finanziellen Mittel bekommen, sich über Eigenbeteiligungen besser abzusichern.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Abgeordneten Beck.
Herr Kollege Thomae, Sie haben gerade die möglichen Kürzungen im Aidsbereich angesprochen. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang an ein Versprechen erinnern, das Sie in Ihrem Wahlprogramm gegeben haben. Da steht nämlich unter anderem, daß Sie in dieser Wahlperiode keine Kürzungen der Mittel für die Aidsaufklärung mittragen werden.
Ich fordere Sie auf, sich an dieses Wahlversprechen zu erinnern und mit uns und den in dieser Frage engagierten Leuten der Koalition dafür zu sorgen, daß dieser Bereich von weiteren Kürzungen ausgenommen ist.
Die Mittel der Aidsaufklärung sind bereits von 50 Millionen DM in der Ara Süssmuth bis auf 20 Millionen DM zu Beginn dieser Wahlperiode gesenkt worden. Jetzt sind wir bei 18 Millionen DM. Wir alle wollen ja sparen; aber wir müssen es in einer intelligenten und solidarischen Art und Weise tun.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß gerade durch die Aufklärung im Aidsbereich enormes menschliches Leid denen erspart werden kann, die sich nicht infizieren. Denn durch Aufklärung können wir ihnen die Möglichkeit an die Hand geben, sich vor einer Infektion zu schützen. Aber jede auf Grund von Aufklärung vermiedene Infektion bedeutet auch finanzielle Einsparungen: Die Krankenversicherung spart Geld, die Pflegeversicherung spart Geld, die Rentenversicherung spart Geld, die Sozialhilfeträger sparen Geld.
Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß Aids heute zwar nicht heilbar ist, aber die Lebenserwartung und Lebensqualität symptomfreier HIV-Infizierter und Aidskranker durch eine Chemotherapie erheblich erhöht und die Betroffenheit von opportunistischen Infektionen erheblich gesenkt werden kann.
- Ich muß keine Frage stellen, wenn ich das Wort zu einer Kurzintervention habe. Ich bitte Sie, einmal in der Geschäftsordnung nachzulesen.
Es kostet Tausende von Mark, einen symptom-freien HIV-Infizierten zu behandeln. Hier können wir enorme Kosten durch Investitionen in die Aidsaufklärung sparen.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Neuinfektionsrate bei jungen Menschen - bei jungen Schwulen, aber auch bei heterosexuellen Jugendlichen - erheblich gestiegen ist, weil wir mit unseren Präventionsanstrengungen nachgelassen haben und diese die Diskussion nicht kennen, die wir gemeinsam in den 80er Jahren über Gesundheitspolitik und Aids geführt haben. Ich meine, auch die junge Generation hat einen Anspruch auf eine entsprechende Aufklärung und die Sicherung ihrer Gesundheit. Es ist eine völlig kurzsichtige Sparpolitik, wenn wir hier weiter zurückgehen. Ich hoffe, der Minister wird uns nachher zusichern, daß nicht daran gedacht ist, an die Substanz der Aidsaufklärung heranzugehen, weil das kurzsichtig und unverantwortlich und gegenüber den betroffenen Menschen zynisch wäre.
Herr Kollege Thomae, Sie können antworten.
Wenn Sie gerade zugehört haben, haben Sie auch gehört, daß Herr Sauer die Lösung bereits genannt hat. Ich glaube, wir sind uns einig, daß wir alle Anstrengungen unternehmen, in diesem Bereich nicht zu kürzen. Die Berichterstatter haben signalisiert, daß sie in diesem Bereich keine Kürzungen mit dem Minister vornehmen können. Ich kann das nur unterstützen.
Ich erteile der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie heute schon mehrfach erwähnt: Der Bundeshaushalt für das Jahr 1997 fügt sich nahtlos in eine Politik des immer hemmungsloser werdenden Sozialabbaus ein, die schon seit Jahren zum Markenzeichen dieser Regierung geworden ist. Im Gesundheitswesen gilt das im großen bei der gesundheitlichen Versorgung der Menschen im Lande wie auch im kleinen beim Haushalt des zuständigen Ministers.
Kürzungen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Beitragsentlastungsgesetz und offensichtlich noch stärker die gegenwärtigen Vorhaben zur Fortführung der dritten Stufe der Gesundheitsreform führen zu finanziellen Mehrbelastungen der Versicherten und Patienten, die in ihrer Massivität keine Parallelen haben und schlimmste Befürchtungen noch übertreffen werden.
Angesichts des noch gnadenloser als in früheren Jahren zusammengestrichenen Einzelplans 15 muß man dem Gesundheitsminister eines lassen: Wenn es um die Verschlechterung der sozialen Qualität der gesundheitlichen Versorgung geht, dann zeigt er wirklich Entschlossenheit und Konsequenz. Wie nützlich wäre es, wenn diese Energie und Zielstrebigkeit für den notwendigen Kampf um eine wirkliche Strukturreform im Gesundheitswesen eingesetzt würde.
Dr. Ruth Fuchs
Leider wissen wir inzwischen, daß diesbezüglich von dieser Regierung nichts mehr zu erwarten ist. Bereits bei der Aufstellung des Haushalts 1997 hat das Gesundheitsministerium mit minus 4,8 Prozent im Vergleich zu 1996 weitaus größere Kürzungen hingenommen als die meisten anderen Ressorts. Der Minister empfand dafür allerdings Dankbarkeit, wie er anläßlich der ersten Lesung des Haushalts in diesem Hause zu Protokoll gegeben hat. Das möge nachvollziehen, wer kann; ich vermag es nicht.
Als es im Verlauf der Beratungen um globale Minderausgaben ging, sah er sogar eine weitere Möglichkeit, sich auszuzeichnen. Er übernahm als Herr über einen der kleinsten Haushalte freiwillig die mit Abstand höchste relative Zusatzkürzung und hat es damit fertiggebracht, seinen Etat noch einmal um fast 26 Millionen DM zu senken.
Vor dem Gesundheitsausschuß bekannte er sich dazu nachgerade freudig
mit den Worten: „Ich stehe an der Spitze derer, die auch einen Sparbeitrag leisten wollen. " Ich habe das empört mitgeschrieben, obwohl ich mir so etwas eigentlich schon abgewöhnt hatte; denn das Verfallsdatum ministerieller Aussagen ist bekanntlich nicht mehr kalkulierbar.
Herr Minister, auch Sie wissen doch sehr genau, daß in diesem Bundeshaushalt an anderer Stelle nach wie vor Mittel vorgesehen sind, die viel eher zur Disposition gestellt werden sollten als ausgerechnet die Hilfe für Kranke und Behinderte. Ich denke, um nur ein Beispiel zu nennen, an die Beschaffung intelligenter Minensysteme, deren Bezeichnung bereits einen beachtlichen Zynismus enthält und für die durchaus mehrere 100 Millionen DM vorhanden sind.
Was den Gesundheitshaushalt betrifft, so sind nun seine mit sage und schreibe 47 Millionen DM ohnehin knappen disponiblen Mittel noch einmal um mehr als die Hälfte gefallen. Damit darf als sicher gelten, daß die, gemessen an den Vorjahren, ohnehin weitergekürzten Mittel des Ministeriums für Zwecke der Verbesserung der Betreuung chronisch kranker und psychisch kranker Menschen, der Suchtbekämpfung, der Krebsvorsorge und -behandlung nicht einmal mehr in ihrer gestutzten Variante aufrechterhalten werden können.
Zugleich vergibt sich der Gesundheitsminister damit seine letzten Möglichkeiten, Gesundheitspolitik endlich einmal als positive Gestaltungsaufgabe zu begreifen.
Sind Sie nicht, Herr Minister, gemäß Ihrem Amtseid eigentlich verpflichtet, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden? Ihr Umgang mit den gesundheitlichen Interessen der Menschen dieses Landes - im großen Maßstab der gesundheitspolitischen Grundsatzentscheidungen wie im kleinen Ihres Jahreshaushalts - kann inzwischen nicht mehr allein als leichtfertig und verantwortungslos bezeichnet werden; er hat sich mittlerweile zu einem regelrechten Skandal ausgewachsen, was Tausende von Betroffenen genauso sehen.
Die PDS lehnt den Einzelplan 15 ab. Dem vorliegenden Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen stimmen wir zu.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Martin Pfaff.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der öffentliche Haushaltsplan gilt zu Recht als ein in Zahlen gegossenes Regierungsprogramm, und er gilt auch als Schicksalsbuch der Nation. Kein Haushalt der letzten Jahre, vielleicht der letzten Jahrzehnte zusammen mit dem umliegenden Politikfeld hat jemals mehr auf fatale Weise diese Interpretation bestätigt. Denn was diese Bundesregierung den Kranken, den Familien, den Kindern, den Behinderten, all denen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, zumutet, wird auf fatale Weise ihr Schicksal zum Schlechteren wenden.
Ich kann es nicht besser als in den schlichten Worten der Bibel fassen: Dem, der hat, dem wird gegeben werden, und wer nicht hat, dem wird, was er zu haben meint, genommen werden. Für eine solche Politik, Herr Bundesminister, sind auch Sie in großem Umfang verantwortlich.
Sie, Herr Bundesminister, sind mitverantwortlich für eine falsche Diagnose und für eine falsche Therapie, die die Malaise mittel- und langfristig eher noch vergrößern und nicht mindern wird. Nicht der Sozialstaat, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer. Nicht der Mißbrauch durch Kranke, Behinderte, nicht der Mißbrauch durch Arbeitslose bringt Finanzierungsprobleme. Vielmehr führt der gezielte, kaltblütig kalkulierte Mißbrauch der Haushalte der sozialen Sicherungssysteme für gesamtgesellschaftliche Aufgaben im Zuge der deutschen Einigung durch Ihre Regierungskoalition zu Problemen der Finanzierung.
Nicht, Herr Kollege Thomae, die Anspruchsmentalität der Versicherten führt dazu, sondern die Überkapazitäten, die falschen Anreize, die mangelnde Verzahnung zwischen ambulant und stationär. Das alles ist für die Ausgabendynamik verantwortlich.
Das Schlimme an dieser Situation ist, daß Sie das eigentlich wissen, daß Sie das selber schon so analysiert haben, aber Ihre Analysen eben der Opportunität opfern.
Dr. Martin Pfaff
Haushaltspläne haben eben nicht nur eine finanzwirtschaftliche Funktion, sie haben auch eine sozialpolitische, eine wirtschaftspolitische Lenkungsfunktion, auch eine administrative Lenkungsfunktion. In der Tat, Herr Bundesminister, ich hätte noch Verständnis, wenn Sie aus Loyalität zu Ihrem Kollegen Dr. Waigel oder aus Kabinettsdisziplin erklären würden: Ich bin bereit, ein Opfer zu bringen. Aber was Sie hier opfern, ist fast die Hälfte der Gestaltungsmasse der Gesundheitspolitik, ohne daß dadurch das Haushaltsloch des Herrn Dr. Waigel merkbar verkleinert wird.
Es löst die Probleme überhaupt nicht, und es bedeutet eine Amputation der Hälfte der Beine, die diese gestaltende Politik überhaupt noch hat. Das ist das Unsinnige daran.
Deshalb frage ich: Haben nicht die chronisch Kranken, die Aidskranken, die Menschen, die in besonderer Notlage sind, einen höheren Anspruch auf Ihre Loyalität als Herr Dr. Waigel beim Stopfen von Finanzlöchern?
Sie haben in der Tat geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuhalten und seine Wohlfahrt zu mehren. Daran möchte ich erinnern. Wenn ein solcher Weg gegangen wird, dann mindert das nicht nur Sie auf der einen Seite des Hauses, die Sie eine solche Politik machen, es mindert auch uns auf der anderen Seite, die wir nicht in der Lage sind, eine so unethische, eine so unsinnige Politik zu verhindern.
Denn Ihre Politik, Herr Bundesminister, war verantwortlich, daß die Strukturelemente, die wir gemeinsam in Lahnstein beschlossen haben, ausgehebelt wurden. Sie haben über Wahlgeschenke in den verschiedenen SGB-V-Änderungsgesetzen das Signal gegeben, das zur Kostendynamik geführt hat.
Jetzt sind sich alle Fachleute über Parteien hinweg einig: Sie sind am Ende Ihres Lateins. Es bleibt Ihnen keine andere Strategie mehr als die der Privatisierung, der Ausgrenzung, der Zuzahlung, der Belastung der Versicherten, die mit der Diagnose, die Sie früher noch verkündet haben, überhaupt nicht vereinbar ist.
Ich hätte noch Verständnis, wenn dies ein Ende mit Schrecken wäre. Aber in den Ländern, in denen genau der Weg der Privatisierung, der Zuzahlung und der Leistungsausgrenzung gegangen wird, sind die Ausgaben nicht geringer. Sie wurden verschoben und sind im Endeffekt höher.
- Ich nehme einmal die Vereinigten Staaten. Ich könnte aber auch andere Länder nehmen, in denen ganz klar ist, daß dadurch, daß sie Leistungen ausgrenzen, die Belastungen der Unternehmer nicht verschwinden; denn je mehr die Zuzahlungen steigen, um so mehr sehen sich Unternehmer genötigt, für ihre Beschäftigten private Absicherungen gegen Zuzahlungen durchzuführen. Dies geschieht so in den USA und auch in anderen Ländern. In den USA zahlen die Unternehmer 80 Prozent und nicht 50 Prozent dieser Pakete. Der zweite Punkt ist: In solchen Ländern wird das Ganze viel teurer.
Deshalb bringe ich es auf den Punkt: Sozialstaatliche Absicherung vor Gesundheitsrisiken ist kosteneffektiver und verteilungsgerechter.
Ich sage noch etwas. Der Sozialstaat ist langfristig nicht nur eine Einrichtung für die Schwachen. Dies wird uns nicht wundern. Ich sage: Der Sozialstaat ist langfristig die intelligenteste Form der Absicherung der Risiken auch für die Starken in dieser Gesellschaft.
Was wir hier haben, ist wirklich eine gespenstische Konzeption einer Regierungskoalition, die eigentlich eine gemeinsame Politik gar nicht mehr formulieren kann und ihre Unfähigkeit, zu gestalten, auf dem Rücken der Schwachen entlädt.
Dabei hätten wir wirkliche Alternativen. Sie geben vor, die Selbstverwaltung der GKV stärken zu wollen. Gleichzeitig verordnen Sie per Gesetz eine Beitragssatzsenkung. Sie nehmen die Verantwortung von den Kassen für eine wichtige Gestaltung.
Wir sagen: Nein! Wir wollen ein Globalbudget, es dann aber den Kassen selbst überlassen, flexibel integrierte Versorgungsformen zu finden. Sie führen ein kassenspezifisches System der Regel- und Wahlleistungen ein. Dies muß doch unter dem Druck der Finanzierung zu einer Minderung des Leistungskatalogs, zu einer Zwei-Klassen-Versorgung, zu einer Strategie der Risikoselektion führen. Wir halten am einheitlichen und gemeinsamen Leistungskatalog fest.
Sie wollen wahlweise die Kostenerstattung einführen, obwohl Sie genau wissen, daß dies den Leistungserbringern ermöglicht, eine auf die Dicke des Portemonnaies der einzelnen zugeschnittene variable Form der Zuzahlung zu gestalten. Wir halten am Sachleistungsprinzip fest, weil es für die Menschen fairer und insgesamt kostengünstiger ist.
Sie wollen die Selbstbeteiligung ausweiten. Sie wollen Anhebungen der Selbstbeteiligung als Keule gegenüber den Kassen benutzen, die gezwungen sind, Beiträge zu erheben. Dies ist in der Tat eine infame Strategie.
- Das ist überhaupt kein Spaß. Es erhöht die Kosten. Ich sage es noch einmal. Wenn Sie sich ein bißchen an der Realität, verehrter Herr Gesundheitspolitiker, orientieren würden, würden Sie wissen, daß den Kassen sehr begrenzte Möglichkeiten zur Steuerung gegeben sind und daß die Selbstbeteiligung in dieser Form vom Ansatz her falsch ist. Wie schon die Kassenvertreter sagen: Dies ist ein groteskes und konfu-
Dr. Martin Pfaff
ses Modell, das an den falschen Punkten ansetzt und bei den Empfehlungen nicht besser ist.
Sie wollen die Beitragsermäßigung für die Starken. Wir sagen nein. Wir gehen davon aus, daß die Gesunden und Starken die Kranken und Schwachen mitfinanzieren. Sie wollen den Risikostrukturausgleich aushebeln. Wir wissen, daß dies nicht geht. Ich finde es sehr eigenartig, daß man der F.D.P. einen Rat in der Gestaltung des fairen und chancengleichen Wettbewerbs geben muß; denn nichts anderes neben der Ausweitung der Solidarität will der Risikostrukturausgleich.
Sie basteln an Gestaltungsleistungen herum. Sie führen im zahnärztlichen Bereich ein System von Regel- und Wahlleistungen pur ein. Ich könnte die Liste bzw. müßte sie fortsetzen.
Unser Fazit ist: Ein Weg über mehr Solidarität ist doch in schwierigen Zeiten eher geboten als eine Strategie der Entsolidarisierung und der Privatisierung.
Herr Bundesminister, das vernichtendste Urteil über die Politik, die Sie zu verantworten haben, kommt aus Ihrem eigenen Munde, wenn es auch ironisch gemeint ist. Sie werden das Zitat noch öfter hören müssen, ob es Ihnen nun gefällt oder nicht. Ich zitiere aus dieser berühmt-berüchtigten Bundespressekonferenz. Seehofer:
Für mich waren die letzten Monate ungeheuer einfach. Ich mußte weder denken noch arbeiten. Ich mußte nur abwarten, was die F.D.P. entwikkelt, dies übernehmen und habe mich bei der F.D.P. auch noch bedankt, weil dies ein erfreulicher Beitrag zur Harmonisierung meines Arbeitslebens war.
- Wenn ich solche Zwischenrufe höre, Herr Lohmann, denke ich an Ihren Vorgänger. Dann sage ich: Lieber Himmelvater, sorg doch dafür, daß Paul Hoffacker wieder in dieses Haus gewählt wird; denn er wird ein höheres Niveau an Redebeiträgen liefern.
Am Ende sagen Sie, Herr Minister: So können wir weitermachen; es ist eine angenehme Geschichte, als Minister bezahlt zu werden und als Vorruheständler zu arbeiten. - Herr Minister, ich fordere Sie auf, entweder das Ruder in die Hand zu nehmen und den Vorruhestand in der einen Richtung zu beenden oder, wenn Sie das nicht können, nicht wollen oder nicht dürfen, den Vorruhestand in der anderen Richtung zu verlassen, die Konsequenzen zu ziehen, die
wenigstens unter diesen Umständen angebracht wären.
Ich erteile jetzt dem Herrn Bundesminister Horst Seehofer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums wird gegenüber dem Regierungsentwurf bekanntlich durch eine globale Minderausgabe um 26 Millionen DM, das entspricht 3,4 Prozent, reduziert. Ich halte eine solche Reduzierung nicht nur für notwendig, sondern auch für gesundheitspolitisch verantwortlich.
Für notwendig halte ich sie, weil ich es kaum noch ertragen kann, wie die Opposition und auch viele Funktionäre bei uns im Lande ständig vom Sparen reden, aber dann, wenn sie selbst betroffen sind, nicht dazu stehen.
Daß sie gesundheitspolitisch verantwortlich ist, möchte ich am Beispiel der Drogenpolitik deutlich machen. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, daß für die Versorgung und Betreuung von Drogenkranken nach unserem Verfassungsprinzip die Bundesländer zuständig sind und daß sich die Zuständigkeit des Bundes - man kann sagen: leider Gottes - darauf beschränkt, mit Modellvorhaben Anstoßeffekte für neue Ideen zu geben, und zwar länderübergreif end.
Ich denke, das haben wir über 25 Jahre hinweg in vorbildlicher Weise getan. Allein in den letzten zehn Jahren wurden für Modellvorhaben, für Baumaßnahmen, für Forschung, für Aufklärungsmaßnahmen im Bereich von Drogen 340 Millionen DM aufgewandt, davon fast die Hälfte für Modellvorhaben, mit denen wir neue Ideen für die Betreuung und die Versorgung von Drogenkranken gewissermaßen länderübergreifend fördern.
Ein Problem ist, daß es nach 25 Jahren Erprobung in verschiedenen Bereichen nicht mehr so furchtbar viele neue Ideen gibt. Das größere Problem besteht darin, daß nach unserer Erkenntnis zwar diese Modellvorhaben gewöhnlich von den Ländern und Kommunen in die Regelförderung übernommen wurden, aber auch nur diese Modellvorhaben, daß es aber eine flächendeckende Anwendung der Erkenntnisse aus dem Modellvorhaben in den Bundesländern nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben hat.
Das Problem der Drogenpolitik besteht nicht darin, daß wir etwa zuwenig Geld hätten, um innovative, neue Ansätze bei der Versorgung und Betreuung von Drogenkranken zu finanzieren. Das werden wir auch künftig tun; nur deshalb habe ich mich auch mit einer Mittelreduktion in diesem Bereich einverstanden erklärt. Ich denke daran, daß wir erst vor ganz kurzer Zeit in Übereinstimmung mit den Ländern neue An-
Bundesminister Horst Seehofer
Sätze bei der nachgehenden Sozialarbeit für Drogenkranke als Modell auf den Weg gebracht haben.
Bei der Drogendiskussion ist die eigentliche Kernfrage nicht die Finanzierung neuer Modellvorhaben, sondern viel wichtiger wäre es, wenn die Erkenntnisse, die wir in den Modellvorhaben gewonnen haben, endlich flächendeckend in den Bundesländern allen Menschen zugute kämen.
Ich sage mit vollem Ernst zu den Verharmlosungen von seiten Schleswig-Holsteins in Sachen Cannabis oder auch Ecstasy bei der letzten Debatte hier im Deutschen Bundestag:
So viel Aufklärung junger Menschen, um sie vor diesem Teufelskreis zu bewahren, können wir gar nicht zusätzlich finanzieren, wie durch eine solche Diskussion wieder kaputtgemacht wird, in der Cannabis und Ecstasy verharmlost werden.
Herr Beck, ich möchte Ihnen auch als verantwortlicher Minister für die Aidsaufklärung, bei der es auf Grund der Infektionskrankheit eine Bundeszuständigkeit gibt, sagen: Wir werden die Aufklärung auf hohem Niveau beibehalten. Ich kann sie aber, wo es jetzt um das Sparen geht, nicht zum Tabu erklären. Ich werde hier eine verantwortliche Sparmaßnahme durchaus mittragen - wir werden sie mit den Berichterstattern besprechen -, weil ich meine: Wir mußten doch die Mittelansätze zu einer Zeit, in der es in der Bundesrepublik Deutschland darum ging, in der Gesellschaft, in der breiten Bevölkerung, in der Öffentlichkeit, bei Medien und bei Verantwortlichen ein Bewußtsein für die Verhütung und Vorbeugung dieser Krankheit zu schaffen - deshalb waren damals die 50 Millionen DM gerechtfertigt -, etwas anders sehen als heute, wo es darum geht, ein unzweifelhaft vorhandenes Bewußtsein in der Bevölkerung auf hohem Niveau wachzuhalten und nur für einen Teil der Bevölkerung, nämlich für die jungen Menschen - da gebe ich Ihnen recht - neu zu schaffen.
Es ist doch eine ganz andere Situation, ein Bewußtsein für eine gefährliche Krankheit herzustellen - wie kann man sie vermeiden? wie kann man Vorbeugung betreiben? -, als ein solches Bewußtsein dann, wenn man ein hohes Aufklärungsniveau erreicht hat, wachzuhalten.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Heyne?
Nein, mit der Kollegin Heyne habe ich im Ausschuß ausreichend darüber gesprochen.
Das ist ein Unterschied, und deshalb möchte ich Ihnen für meine Person sagen: Ich möchte diesen Bereich nicht zum Tabu erklären, wenn es darum geht, diese globale Minderausgabe in gesundheitspolitisch verantwortlicher Weise zustande zu bringen.
- Sie wissen, Herr Beck, daß vor einigen Jahren beabsichtigt war, diesen Ansatz auf Null zurückzufahren, und daß wir jetzt von dieser Absicht weg sind und in einer verantwortlichen Weise auch in der Zukunft Mittel zur Verfügung stellen, damit das, was an Prävention über Aufklärung erfolgen kann - das ist bei Aids der zentrale Ansatzpunkt zur Bekämpfung dieser Krankheit -, auch in der Zukunft erhalten bleibt.
Lassen Sie mich drittens noch etwas zur aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion über die gesetzliche Krankenversicherung sagen, weil der weitaus kleinere Bereich der Gesundheitspolitik im Bundeshaushalt stattfindet und für die Bevölkerung bedeutsame Dinge mit einem Volumen von annähernd 250 Milliarden DM über die gesetzliche Krankenversicherung abgewickelt werden.
Ich möchte zunächst einmal etwas zu der gespenstischen Debatte sagen, die manche in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit unter dem Stichwort führen, daß das Gesundheitswesen kaputtgespart werde; es werde auf eine Grundversorgung oder, wie ich gerade gehört habe, auf eine Mindestversorgung reduziert. Kollege Roland Sauer hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen, wie sich trotz der Sparmaßnahmen im Gesundheitsstrukturgesetz seit Anfang 1992 die Ausgaben für die medizinische Versorgung in der Bevölkerung entwickelt haben, nämlich von damals 173 Milliarden DM auf 228 Milliarden DM Ende 1995. Das ist eine Steigerung um 55 Milliarden DM oder knapp 32 Prozent trotz Sparmaßnahmen. In der gleichen Zeit sind die Bruttolöhne und -gehälter in der Bundesrepublik Deutschland nur um 15 Prozent gestiegen.
Das heißt, wir haben auch mit unserem Bekenntnis Ernst gemacht, daß das Notwendige für eine hochwertige gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung über die gesetzliche Krankenversicherung zur Verfügung gestellt werden muß. Die Ausgaben für die medizinische Versorgung unserer Bevölkerung sind in den letzten vier Jahren doppelt so stark gestiegen wie die Löhne und Gehälter, von denen die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung abhängen. Deshalb können wir guten Gewissens sagen: Nie zuvor wurde für die medizinische Versorgung der Bevölkerung mehr über die gesetzliche Krankenversicherung aufgebracht als heute.
Wer jetzt sagt: „Das war so, aber das ändert sich gerade", den möchte ich darauf hinweisen, daß sich dieser Trend im Jahre 1996 ungebrochen fortsetzt. Dieselben, die jetzt schreiben, kommentieren und senden, dieses Gesundheitswesen werde auf eine Grundversorgung reduziert und den kranken Menschen werde durch Kaputtsparen geschadet, werden in wenigen Wochen schreiben: Die Sparmaßnahmen sind viel zuwenig, viel zu lasch und viel zu zurück-
Bundesminister Horst Seehofer
haltend. Denn wir werden Ende dieser Woche oder Anfang nächster Woche die Zahlen für die ersten neun Monate des Jahres 1996 veröffentlichen. Nach allen Vorabinformationen seriöser Natur wird sich dieser Trend, den wir im ersten Halbjahr 1996 registrieren mußten, nämlich einen weit überproportionalen Ausgabenanstieg in der GKV fortsetzen.
Ich darf die beiden Bereiche in Erinnerung rufen, die uns im Moment so stark beschäftigen: Arzneien-, Heil- und Hilfsmittel. Im ersten Halbjahr 1996 ist das Ausgabenvolumen der Arzneimittel im Westen um 8,2 Prozent und im Osten um 9,7 Prozent gestiegen, das Volumen der Heil- und Hilfsmittel - gerade die Physiotherapie wird im Moment stark diskutiert - im Westen um 8,1 Prozent und im Osten um 13,7 Prozent.
Wer jetzt geglaubt hätte, daß die Diskussion der letzten Wochen und Monate dazu geführt hätte, daß die ohnehin schon sehr hohen Steigerungsraten, die wir sonst nirgendwo im sozialen oder wirtschaftlichen Bereich der Bundesrepublik Deutschland haben, sich im dritten Quartal 1996 etwa abgedämpft hätten, der wird im dritten Quartal 1996 eher noch eine Verstärkung dieses Ausgabetrends erleben.
Vor diesem Hintergrund von einer Grundversorgung oder vom Kaputtsparen zu reden ist für meine Begriffe eine Gespensterdiskussion.
Sie, Herr Beck, haben gut dargestellt, was wir heute dank des medizinischen Fortschritts - Gott sei Dank, das kritisiere ich nicht; wir können in der medizinischen Versorgung nicht genug ausgeben - bei HIV-Infizierten tun können, damit die Krankheit möglichst spät zum Ausbruch kommt, und was wir für die Lebensqualität und die Lebenserwartung eines HIV-Infizierten tun können, wenn die Aidsvollerkrankung ausbricht. Das ist doch phantastisch. Es kostet nur viel Geld. Wenn ich die Anforderungen durch den medizinischen und technischen Fortschritt, die steigende Lebenserwartung und die Erwartungshaltung der Bevölkerung auf die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens übertrage, komme ich zu dem Schluß, daß nur mit Budgetierung und Reglementierung keine Antwort für die Zukunft gegeben werden kann. Wenn wir die Beiträge nicht erhöhen und nicht durch Festschreibung der Beiträge oder der Ausgaben rationieren wollen, müssen wir der Bevölkerung sagen, daß sie in sozialverantwortlicher Weise einen Teil ihres verfügbaren Einkommens zur Finanzierung dieser Anforderungen aufbringen muß. Ist das denn so schlimm?
Ein Dauerkranker - jetzt nehme ich noch einmal den Aidserkrankten -, der über viele Jahre behandelt werden muß, wird, wenn er nicht ohnehin auf Grund von Erwerbsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit oder als Sozialhilfeempfänger befreit ist, mit maximal 1 Prozent seines Einkommens zur Finanzierung seiner hochwertigen medizinischen Versorgung herangezogen. Das ist doch, Herr Beck, eine sozial verantwortliche Politik. Wir helfen den Kranken. Das ist doch besser, als wenn eine Leistung ausgegrenzt wird und zu 100 Prozent vom Versicherten zu zahlen wäre. Dann grenzten wir ihn nämlich von der Versorgung aus.
Wir stehen, Herr Beck, wirklich vor dieser Alternative: Entweder schmeißen wir ganze Leistungsbereiche raus, dann stehen sie den Menschen überhaupt nicht mehr zur Verfügung, oder wir bieten sie weiter auf hohem Niveau an und sagen: Wir brauchen mehr Eigenverantwortung, sonst können wir sie nicht mehr anbieten.
Die Eigenverantwortung muß so gestaltet werden, daß niemand wegen der Zuzahlung von der Inanspruchnahme hochwertiger medizinischer Versorgung ausgegrenzt wird.
Frau Präsidentin, lassen Sie mich noch etwas zu dem Bereich der Arznei- und Heilmittel sagen, in dem viel Falsches behauptet wird. Die Ärzte und die Krankenkassen können seit drei Jahren im Westen und seit zwei Jahren im Osten eigenverantwortlich, unter der Berücksichtigung aller Notwendigkeiten in einer Region, zum Beispiel daß die Arzneimittelpreise gestiegen sind, daß es mehr Innovationen gibt oder daß sich die Altersstruktur der Versicherten verändert hat, das Arzneimittel- und Heilmittelvolumen, also für die physikalische Therapie, für die Ergotherapie oder Logopädie, für Krankengymnasten oder Masseure, in einer Höhe festlegen, wie es für die Versorgung der Bevölkerung notwendig ist. Sie vereinbaren es untereinander.
Seit 1994 haben sie diese Aufgabe. Es gibt kein gesetzliches Budget, wenn sie dieser Aufgabe gerecht werden. Wir haben 1995 im September als Bundesgesundheitsministerium darauf hingewiesen, dies zu machen, weil sonst im Laufe der Zeit die Versorgung der Bevölkerung in eine sehr schwierige Situation kommt.
Ich lese Ihnen nur einen Absatz vor:
Die Kassenärztlichen Vereinigungen, die ihren gesetzlichen Verpflichtungen zum Abschluß von Budgetvereinbarungen zum Teil offenbar aus politisch-taktischen Motiven nicht nachkommen, nehmen somit mögliche finanzielle Nachteile der ihnen angehörenden Vertragsärzte in Kauf.
Das haben wir als Bundesgesundheitsministerium, obwohl es nicht unsere Aufgabe ist, den Kassenärzten und den Kassen mitgeteilt. Wir als Bundesgesundheitsministerium haben aufgefordert: Schreibt diese Budgets fort, damit es nicht zu Schwierigkeiten in der Praxis kommt!
Jetzt am Ende des Jahres 1996 nimmt man plötzlich diese Aufforderung ernst. In Nordrhein, wo der KBV-Vorsitzende zu Hause ist, hat man vereinbart - so berichtet heute das „Handelsblatt" -, daß es keine Regresse gibt; man hat sie abgewendet. Auch in anderen Regionen zeichnen sich Einigungen ab.
Wenn man - so wie die deutsche Ärzteschaft - mit Recht will, daß wir weniger Reglementierung, weni-
Bundesminister Horst Seehofer
ger Staat im deutschen Gesundheitswesen und mehr Selbstverantwortung und Selbstverwaltung brauchen, muß man aber auch bereit sein, die Freiheitsspielräume, die der Gesetzgeber der Selbstverwaltung überantwortet hat, verantwortlich wahrzunehmen und nicht immer wieder nach dem Gesetzgeber zu rufen.
Eine letzte Bemerkung. Sie haben es heute wieder getan, obwohl Sie wissen, daß es anders ist. Ich sage es nicht für Sie, sondern wiederhole es für die Öffentlichkeit auch vor dem Hintergrund, daß manche Demonstrationen, die vor vielen Wochen schon vereinbart worden sind, jetzt einfach abgespult werden müssen. Was die Gestaltungsleistung in der gesetzlichen Krankenversicherung betrifft, sage ich: Dies ist kein Instrument für die Leistungsausgrenzung, sondern für eine wirtschaftliche Leistungserbringung; denn bei einer Steigerungsrate im Heilmittelbereich oder in anderen Bereichen von annähernd 10 Prozent - Sie werden es in den nächsten Tagen erleben - wird es wohl noch erlaubt sein, darüber nachzudenken, wie wir diese Steigerungsraten für die Zukunft vermeiden können, indem wir die Leistungen wirtschaftlicher erbringen.
Ich sage für die Koalition noch einmal: Es wird weder bei Logopäden, Ergotherapeuten und Krankengymnasten noch bei der häuslichen Krankenpflege und den Fahrtkosten zur Ausgrenzung dieser Leistungsbereitstellung der gesetzlichen Krankenversicherung kommen. Wir müssen uns aber gemeinsam mit den betroffenen Krankenkassen und Ärzten darüber unterhalten, wie derjenige, der unter Qualitäts-
und Sparsamkeitsanforderungen wirtschaftlich verordnet - das ist die Ärztin oder der Arzt -, und wie diejenigen, die die Leistungen erbringen, sich stärker als in der Vergangenheit an einer Qualitätssicherung orientieren. Das hat nämlich bisher gefehlt.
Der Ansatzpunkt ist die Gestaltungsleistung und nicht die Leistungsausgrenzung. Wir sagen dies nicht erst seit heute; wir sagen dies seit dem Kabinettsbeschluß am 6. November. Nichts anderes ist vorgesehen. Sie dürfen uns glauben, daß wir den Mut hätten, hier im Deutschen Bundestag zu sagen, wenn etwas ausgegrenzt werden soll, und daß wir die politische Verantwortung dafür übernehmen würden.
Ich danke den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und den Mitgliedern des Fachausschusses. Die Zeit war und ist nicht ganz einfach. Ich bin aber der tiefen Überzeugung, daß risikobereites Handeln für die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens besser ist als risikoscheues Nichthandeln.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Pfaff das Wort.
Herr Bundesminister, die Botschaft hören wir wohl, aber uns fehlt der Glaube. Wir haben schon so viele andere Botschaften von Ihnen gehört, deren Verfallszeit sehr, sehr kurz war: einmal rein in die Kartoffeln, einmal raus aus den Kartoffeln; einmal hau, dann wieder ruck. Deshalb will ich mich eher an dem orientieren, was die Fachleute sagen.
Nehmen wir doch einmal die Arzneimittel. Wenn eine Beitragssatzanhebung, die bei vielen Kassen absehbar ist, beispielsweise dazu führt, daß ein Arzneimittel, das bisher 8 Mark gekostet hat, jetzt um 10, 14 oder 15 DM angehoben wird, dann ist heute schon absehbar, daß für über die Hälfte bis zu zweidrittel aller Arzneimittel in Kleinpackungen die Zuzahlungen höher sein werden als der Arzneimittelpreis. Im Klartext: Es handelt sich um eine Ausgrenzung von Leistungen, weil die Versicherten sagen: Ich zahle gleich das Arzneimittel anstatt der Zuzahlung, weil diese noch höher ist als der Preis für das Arzneimittel. Ist das nicht so?
Zweiter Punkt. Stellen Sie sich einmal vor, daß im Wettbewerb der Kassen eine Kasse ein Angebot für chronisch Kranke, Multimorbide, also kostspielige Patientinnen und Patienten, macht. Gehen wir davon aus, daß diese auf Grund der Wahlfreiheit, die sie haben, in der Tat zu dieser Kasse gehen. Dann müssen doch die Beitragselemente, die bei dieser Kasse anfallen, steigen. Ist das das Ende der Geschichte? Nein. Was sagen sich denn dann die jungen Leute, die in dieser Kasse sind? Die sagen sich: Wenn ich zu einer anderen Kasse gehe, die keine Angebote für chronisch Kranke, multimorbide Menschen macht, kann ich mir 200 oder 300 DM im Monat sparen.
Im Klartext: Dies führt zu einer Polarisierung der Krankenkassenlandschaft zwischen Kassen für Gesunde und Kassen für Kranke. Wie lang dies gutgehen kann, sagen Ihnen doch alle - nicht nur wir, sondern auch die Kassenvertreter, alle, die in der Praxis Erfahrung haben. Deshalb sage ich, Herr Bundesminister: Dies wird notwendigerweise dazu führen - auch die Kassenvertreter haben Ihnen das schon gesagt -, daß die Kassen im Zweifelsfall solche Leistungen nicht anbieten werden.
- Wenn die Kasse das nicht ausgrenzen darf, dann frage ich Sie, Herr Dr. Geißler - Sie sind jedenfalls nach meiner Ansicht ein Sozialpolitiker mit einem guten Namen -: Warum schreiben Sie dann nicht in das Gesetz, daß dies einheitlich und gemeinsam von allen Kassen zu gewähren ist?
Warum schreiben Sie dann hinein, daß dies eine Gestaltungsleistung ist und daß für jede Beitragsanhebung um ein Zehntel eine Zuzahlung in Höhe von
Dr. Martin Pfaff
1 Prozent erfolgen muß? Wenn Sie A sagen, dann sagen Sie bitte auch B.
Deshalb, Herr Bundesminister, ist Ihre Aussage unglaubwürdig. Sie ist unglaubwürdig, weil sie den Erfahrungen widerspricht, weil Sie in der Tat einen Rosinen-picken-Wettbewerb einleiten werden, weil Sie eine Entsolidarisierung einleiten, die Sie schlicht und einfach leugnen wollen.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6234. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Wer stimmt nun für den Einzelplan 15 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 13/6010, 13/6025 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb Jürgen Koppelin
Ilse Janz
Kristin Heyne
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Ausgleich der Währungsverluste in der Europäischen Union für die deutsche Landwirtschaft
- Drucksachen 13/3656, 13/4996 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Gerald Thalheim
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Ilse Janz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß der Haushalt des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bei den erneuten rasenmäherartigen Sparmaßnahmen nicht ungeschoren bleiben würde, war uns schon klar. Daß aber nach den Kürzungen in Höhe von 433 Millionen DM in 1996 und den im Verlauf der Beratungen - -
- Ich würde gerne ein bißchen Pause machen und warten, bis die Kollegen mit ihren Diskussionen fertig sind.
Das ist richtig. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen um etwas Ruhe und, falls jemand den Saal verlassen möchte, dies etwas schneller zu tun. Ich stoppe Ihre Redezeit ein bißchen.
Danke, Frau Präsidentin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß der Haushalt des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bei den erneuten, rasenmäherartigen Sparmaßnahmen nicht ungeschoren bleiben würde, war uns schon klar. Daß aber nach den Kürzungen in Höhe von 433 Millionen DM im Jahre 1996 und den im Verlauf der Beratungen vorgenommenen Kürzungen von über 20 Millionen DM noch einmal zusätzlich 240 Millionen DM zu kürzen sind, zeigt, daß eine kontinuierliche Politik in diesem wichtigen Feld nicht vorhanden ist.
Insgesamt befindet sich die Agrarpolitik im Widerstreit: auf der einen Seite das gesteigerte gesellschaftliche Bewußtsein für Gefährdungen der Umwelt - der Naturschutz ist bei allen Entscheidungen ein wichtiger Faktor -, auf der anderen Seite der Ruf nach einer umweltschonenden, naturgerechten Landwirtschaft, verstärkt durch die unbefriedigende Verteilung öffentlicher Mittel in der Landwirtschaft und den steigenden Bedarf für die Überschußverwertung.
Der Begriff „nachhaltige Landwirtschaft" macht die Runde. Deshalb steht die europäische Agrarpolitik vor vielen großen und kleinen Entscheidungen bzw. Problemen. Es ergeben sich viele Fragen, zum Beispiel: Wie ,sollte eine europäische Agrarpolitik ausgerichtet sein? Die Landwirtschaft soll unter kostengünstigen, wirtschaftlichen Bedingungen Nahrungsmittel und Rohstoffe erzeugen. Sie soll weitere Leistungen für den Markt, wie zum Beispiel Verarbeitung, aber auch Freizeit und Erholung bringen. Sie soll entsprechend den gesellschaftlichen Bedingungen Ökologie und Ökonomie weiterentwickeln, pflegen und erhalten. Sie hat auch eine arbeitsmarktpolitische Komponente: soziale Sicherheit für die Beschäftigten. Und sie soll einen Beitrag zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der Räume und zur Bewahrung des kulturellen Erbes leisten.
Ilse Janz
Dies alles stellt an die Weiterentwicklung der EU- Agrarpolitik besondere Anforderungen, die Sie, Herr Minister Borchert, nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion in Brüssel entsprechend formulieren müssen.
Wir wissen, daß Ansätze durch das EU-Strategiepapier vorhanden sind, auch im Hinblick auf den Beitritt der MOE-Länder. Es muß aber nun endlich ein neues Konzept her. Dafür gibt es aus Sicht der Sozialdemokratie drei Schwerpunkte:
Die EU-Agrarpolitik muß, wie es 1992 entschieden wurde, nicht nur als Übergangsperiode gesehen, sondern als länger tragfähige und legitimierbare Politikstrategie entwickelt werden.
Es gehört dazu ein Konzept zur Verwirklichung einer nachhaltigen Landnutzung/Landwirtschaft analog der Agenda 21 von Rio; wir haben Sie darauf schon mehrfach hingewiesen. Das heißt: Berücksichtigung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekte sowie der dazu gehörenden politischen, aber auch organisatorischen Anforderungen für die praktische Umsetzung.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die schrittweise Gestaltung der Osterweiterung. Hierzu und zu den Bereichen GATT und WTO hatten wir als Bundestagsfraktion bereits im März eine Große Anfrage eingebracht, die allerdings erst im Juli beantwortet wurde.
Was heißt dies aus Sicht der Sozialdemokratie? Die bisherigen Ergebnisse der EU-Agrarreform stellen kein politisches Instrumentarium dar, das mehr als eine Übergangsstrategie ist. Sie hat bisher dazu gedient, Überschußproduktion und steigende Finanzlasten zu regeln. Das ist uns zu wenig.
Sie muß weiterentwickelt werden und die schon von uns skizzierten Aspekte wie ökologische, ökonomische, soziale und globale Orientierung berücksichtigen.
Es hat in bezug auf die Osterweiterung der EU schon viele Beiträge und zahlreiche Informationen über eventuell zu erwartende Probleme gegeben. Nach unserer Auffassung, Herr Minister - wir fordern Sie ebenfalls auf, in Brüssel entsprechend zu agieren -, darf es auf keinen Fall eine Übertragung des agrarpolitischen Marktordnungs- und Transferzahlungssystems heutiger Art auf die östlichen Beitrittsländer geben.
Dadurch würden Produktionsanreize ausgelöst, die alle in der EU wieder vor das Thema Überschußproduktion stellen würden. Außerdem würde eine finanzielle Belastung auf die bisherigen EU-Mitglieder zukommen, die aus unserer Sicht ebenfalls nicht hinnehmbar ist. - Dies alles macht erforderlich, daß vor einem Beitritt die EU-Agrarpolitik entsprechend geändert werden muß.
Zwischenzeitlich ist unseres Erachtens die Beratungshilfe für den Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft, die wir in dem Bundeshaushalt wiederfinden, ein richtiger nationaler Weg. Allerdings sind uns die vorgenommenen Kürzungen völlig unverständlich.
In 1996 waren 20 Millionen DM veranschlagt, die dann im Regierungsentwurf für 1997 auf 10 Millionen DM heruntergekürzt wurden. Eindeutig hat Ihr Haus, Herr Minister, in den Unterlagen der Berichterstatter auf die dadurch entstehende Problematik hingewiesen. Im Haushaltsentschluß wurden dann entsprechend noch 6 Millionen DM mehr beschlossen. Aber in der Bereinigungssitzung wurde noch einmal der Rotstift angesetzt. Die Folge ist, daß nur noch 12,8 Millionen DM zur Verfügung stehen. Dies hilft den Ländern tatsächlich nicht weiter.
Bereits bei den Beratungen zum Haushalt 1995 habe ich auf die schwierige Situation bezüglich der Milchquotenregelung hingewiesen und ein Bundeskonzept gefordert. Die Erzeugerpreisentwicklung hat sich weiterhin ständig verschlechtert. Die Zahlen des Deutschen Bauernverbandes weisen aus, daß sich von 1989 bis jetzt erneut ein Minus von 18 Prozent ergibt. Diese Zahl macht noch einmal deutlich, wie dramatisch die wirtschaftliche Entwicklung in der Milchproduktion ist. Deshalb wäre es bereits 1995 notwendig gewesen, ein Konzept für die Zukunft der Milchgarantiemenge vorzulegen.
Die von der SPD im September durchgeführte Milchkonferenz hat gezeigt, wie schwierig es sein wird, bis zum Auslaufen der jetzigen EU-Regelung im März 2000 eine neue abgestimmte Richtung zu finden. Zu groß ist die Unsicherheit darüber, wie sich der GATT- bzw. der WTO-Abschluß auswirken kann.
Von verschiedenen Seiten wird Kritik daran geübt, daß es das jetzige produktionsbegrenzende Quotensystem nicht vermocht hat, die ursprünglichen Ziele zu erreichen. So gab es bisher eine Stabilisierung weder der Erzeugereinkommen noch der Erzeugerpreise. Viele junge Unternehmer sind sogar gänzlich für die Abschaffung des Quotensystems, weil bei den jetzigen Rahmenbedingungen die Ziele nicht erreicht wurden.
Die vielen unterschiedlichen Auffassungen und die Emotionen, mit der dieses Thema zur Zeit befrachtet ist, machen die Dringlichkeit deutlich. Herr Minister, nun muß Ihre Position endlich auf den Tisch.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem leidigen Thema FELEG sagen; leidig deshalb, weil Sie und die Koalitionsfraktionen hier keinem Sachargument zugänglich sind. Das FELEG läuft bekanntlich zum 31. Dezember 1996 aus und sollte nach unseren Vorstellungen um drei Jahre verlängert werden.
Wir haben Ihnen hier mehrfach dargestellt, daß der Strukturwandel in der Landwirtschaft auch sozial abgefedert werden muß; deswegen auch unser Verlän-
Ilse Janz
gerungswille. Zur Zeit erhalten Landwirte eine sogenannte Produktionsaufgaberente von durchschnittlich 950 DM monatlich. Ein Landarbeiter erhält ein Ausgleichsgeld von zirka 1 285 DM monatlich.
Herr Borchert, die Verlängerung würde vielen Landarbeitern helfen. Das Beharren auf dem Wegfall führt viele in eine ungewisse Zukunft und bedeutet gleichzeitig, daß die Bundesanstalt für Arbeit 1997 sofort mit Leistungen eintreten muß. Aber es scheint Ihnen nichts auszumachen, daß dann das Defizit bei der BfA noch größer wird, Hauptsache ist, es wird nicht aus dem Landwirtschaftshaushalt finanziert. Richtiger wird Ihre Politik damit nicht, und Wahrheit und Klarheit bringt das für diesen Haushalt auch nicht.
Lassen Sie mich noch etwas zur Ressortforschung in Ihrem Ministerium sagen. Die Koalitionsfraktionen haben in der Bereinigungssitzung für diesen Bereich eine 3prozentige Personalkürzung vorgesehen. Wir halten die Entwicklung nach wir vor für falsch. Wir haben Sie auch bereits mehrfach darauf aufmerksam gemacht.
Mit einem globalen Wegfall von Stellen sorgen Sie für eine Vergreisung in der Ressortforschung. Aufstiegsmöglichkeiten werden nicht mehr vorhanden sein. Ich will hier die lange Debatte, die wir darüber schon geführt haben, nicht wiederholen. Aber Herr Minister, solange Sie nicht entscheiden, welche Forschung in Zukunft Ressortforschung sein soll, worauf Sie verzichten wollen, solange Sie nur mit schlichten Standortschließungen arbeiten, ohne Alternativen zu haben, solange kein Zukunftskonzept vorliegt, so lange müssen Sie mit unserem Widerstand rechnen.
Ich versichere Ihnen, daß ich die Zahlen sehr genau kontrolliere und überprüfe, inwieweit die Finanzmittel für Forschungsvorhaben außerhalb des Bundes steigen, denn Ihre Entwürfe laufen alle unter dem Motto „Einsparungen".
Bisher wurde auch immer wieder die Wichtigkeit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" betont; gerade auch von Ihnen, Herr Minister. Sie haben in der Vergangenheit auch sehr dafür geworben, die einzelbetriebliche Förderung zu stärken. Obwohl der Plafond 1996 um 40 Millionen DM gekürzt wurde, gelang es uns gemeinsam doch noch, vorab 100 Millionen DM für die einzelbetriebliche Förderung festzulegen. Jetzt aber legen Sie der GA die Daumenschrauben an.
Die Ihnen vom Finanzminister aufgedrückte globale Minderausgabe von 240 Millionen DM wollen Sie aus der Gemeinschaftsaufgabe herausholen. Dabei beklagen Ihre Mitarbeiter in den uns zur Verfügung gestellten Unterlagen seit Jahren, daß die Summen gekürzt werden und somit nur noch Projekte, die bereits begonnen wurden, durchgeführt werden können. Spielraum für Neues ist so gut wie gar nicht mehr vorhanden; da haben Sie recht. Der größte Teil der Mittel ist festgelegt. Der Planak, also der Planungsausschuß, in dem Bund und Länder gleichberechtigt vertreten sind, hat auch schon für 1997 entschieden. Woher wollen Sie also diese beträchtlichen Summen nehmen? Aus dem Küstenschutz, weil Sie hier zufällig die meisten Kosten, nämlich 70 Prozent, tragen müssen? Wer übernimmt die Verantwortung, wenn etwas passiert? Oder wollen Sie im Agrarbereich bereits begonnene Projekte stoppen?
- Komm doch nicht immer mit Deinen ollen Kamellen!
Alles in allem ist das keine ordentliche Vorlage für einen jetzt um über 264 Millionen DM gekürzten Haushalt, der nun erstmals seit langer Zeit wieder unter ein Volumen von 12 Milliarden DM rutscht.
Was ist mit der Umsatz- bzw. Vorsteuerpauschale für die Landwirte, die das Bundeskabinett - ich nehme doch an, auf Ihren Vorschlag hin - im Sommer beschlossen hat und die Sie dann als große Segnung für die Landwirte draußen verkauft haben? Sie befanden sich ja eine ganze Weile im Streit mit dem Finanzministerium über die Höhe der Mittel. Das Finanzministerium sagt 300 Millionen DM, Sie sagen 125 Millionen DM. Mir ist im Augenblick egal, um wieviel es geht. Aber dieser Betrag ist noch nicht etatisiert und muß im Haushaltsvollzug ebenfalls noch erwirtschaftet werden.
Angesichts dessen, Herr Minister Borchert, wird es Sie nicht wundern, daß bei einer so dubiosen Haushaltspolitik, wie sie uns hier für 1997 vorgeführt worden ist, die SPD-Bundestagsfraktion Ihnen nicht folgen wird. Wir lehnen den Einzelplan 10 ab.
Das Wort hat jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit vielen Jahren wird in den Haushalts-
und Agrardebatten in diesem Hohen Hause die Lage der Landwirtschaft beklagt. Angesichts der Stellung der Landwirtschaft als Teil der stark rückläufigen Urproduktion mit einer stark abnehmenden Zahl selbständiger Existenzen sowie einer damit einhergehenden abnehmenden Zahl der Beschäftigten und einem kontinuierlich sinkenden Anteil am Sozialprodukt gab und gibt es dafür auch stets guten Anlaß.
Diese durch die allgemeine Entwicklung verursachte und schier unausweichliche Situation hat sich in diesem Jahr durch die BSE-Krise - vorher ist mir schon gesagt worden, ich sollte meines Namens wegen nicht über BSE reden - insbesondere für die Rindfleisch- und Milcherzeuger in dramatischer Weise verschärft. Viele landwirtschaftliche Betriebe besonders in den von Natur aus benachteiligten,
Bartholomäus Kalb
aber landschaftlich sehr reizvollen Gebieten sind unverschuldet in eine schwierige Situation geraten.
Leider wurde dem Problem BSE von seiten der EU nicht frühzeitig genug die notwendige Bedeutung beigemessen. Ich kann mich daran erinnern, daß wir schon vor vielen Jahren - Herr Kollege Susset, ich meine, mich recht zu erinnern, daß es in der Sommerpause 1989 war - eine gemeinsame Sitzung des Agrarausschusses und des Gesundheitsausschusses zu diesem Problem hatten. Leider kam man seinerzeit zu keinen weiteren Ergebnissen. Erst als jetzt die Forschungsergebnisse über die mögliche Übertragbarkeit auf den Menschen bekannt wurden, ist es zu einer tiefgreifenden Verunsicherung der Verbraucher und zu einer dramatischen Absatzkrise gekommen.
Die EU versucht zwar derzeit, mit finanziellen Mitteln zu helfen. Wir haben auch national umgesetzt, was wir überhaupt national umsetzen konnten. Ferner wird die Intervention verstärkt, um die Märkte zu entlasten, worunter auch die Frühvermarktungsprämie zu verstehen ist. Aber damit sind natürlich die grundlegenden Probleme nicht zu bewältigen.
Entscheidend ist, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen. Wir begrüßen deshalb ganz ausdrücklich die Einführung des Herkunftsnachweises sowie alle Maßnahmen der Qualitätssicherung. Der deutsche Verbraucher sollte sich immer vor Augen halten - das gilt nicht nur für die tierischen, sondern auch für die pflanzlichen Produkte -, daß wir in Deutschland für die Erzeugung von Nahrungsmitteln nicht nur sehr strenge Vorschriften haben, sondern auch deren Einhaltung so sorgfältig wie in kaum einem anderen Land überwachen.
Der deutsche Verbraucher sollte wissen, daß er bei der Wahl einheimischer Produkte auf der sicheren Seite ist und sich höchster Qualität sicher sein kann.
Obwohl der Druck zum Sparen ungeheuer groß war und auch der Agraretat nicht unberührt bleiben konnte, haben wir bei den Beratungen zum Einzelplan 10 versucht, die besondere Situation der Landwirtschaft zu berücksichtigen. Es war bisher stets gemeinsames Bemühen von Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert und der Koalition, Einsparungen so vorzunehmen, daß davon nicht unmittelbar einkommenswirksame Maßnahmen für die Landwirtschaft berührt werden.
Ich hoffe, daß dies auch bei der Umsetzung der globalen Minderausgabe weitgehend gelingen kann. Wir Berichterstatter werden die Sache ebenfalls im Auge behalten und mit dem Minister gemeinsam nach konstruktiven und kreativen Lösungen suchen, wobei ich gerne auch an dieser Stelle zugebe, daß es nicht ganz einfach sein wird. Es wird vor allen Dingen auch darauf ankommen, daß wir, wenn es nicht zu vermeiden ist - es ist auch nach meiner
Überzeugung nicht zu vermeiden, daß Eingriffe bei der Gemeinschaftsaufgabe vorgenommen werden -, einen Schnittpunkt finden, so daß die Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete nicht besonders berührt werden und die einzelbetrieblichen Investitionen weitestgehend sichergestellt werden können. Hier müssen wir sicher eine sehr genaue Abwägung vornehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Kollege Diller, ich möchte jetzt nicht die Debatte über den „roten Brenner", der vornehmlich an der Mosel zu finden ist, aufnehmen. Das können wir unter der Rubrik „Forschungseinrichtungen" einordnen. Aber ich möchte natürlich erwähnen, daß dies dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD ein besonderes Anliegen ist. Kollegin Janz hat ja hierzu festgestellt, daß die Haushaltsberichterstatter die Neukonzeption der Agrarforschung sehr konstruktiv begleiten werden.
Ich darf auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Agrarsozialausgaben zwischenzeitlich in etwa zwei Drittel des Gesamtetats ausmachen. Nur durch diese enorme Leistung des Bundes ist es vielen bäuerlichen Familien überhaupt möglich, die Bürde der sozialen Absicherung zu tragen. Andererseits darf auch nicht übersehen werden, daß die Leistungen für die landwirtschaftliche Altershilfe in gewisser Weise auch eine Entlastung für die gesetzliche Rentenversicherung bedeuten, weil andernfalls die landwirtschaftliche Altershilfe in den Ausgleich der Rentenversicherungsträger eingebunden werden müßte. Insofern stellt auch der Zuschuß für die landwirtschaftliche Altershilfe gleichzeitig eine Entlastung für die gesetzlichen Rentenversicherungsträger dar.
Für die Landwirtschaft ist aber nicht nur die Agrarpolitik im engeren Sinne von Bedeutung, sondern in immer stärkerem Maße auch die Umweltpolitik und nicht zuletzt die Finanz- bzw. Steuerpolitik. Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz besonders Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel und der Kollegin Gerda Hasselfeldt sowie allen Kolleginnen und Kollegen des Finanzausschusses besonders danken. Bereits mit dem Jahressteuergesetz 1996 wurden wichtige Regelungen getroffen und Verbesserungen hinsichtlich der Tilgung von Altschulden, der Behandlung weichender Erben und für die Fälle der Betriebsaufgabe vorgenommen. Mit den Beschlüssen der Koalition zur Neuregelung der Erbschaftsteuer wurde, wie ich meine, den Belangen der Landwirtschaft weitestgehend Rechnung getragen.
Dies ist für die Erhaltung der Existenzen und die Fortführung der Betriebe über die Generationen hinweg von außerordentlicher Bedeutung.
Mit großem Interesse habe ich in der „Süddeutschen Zeitung" vom 7. Oktober 1996 einen Artikel mit der Überschrift „Sozialdemokraten fordern grundlegende Neuorientierung der Agrarsubven-
Bartholomäus Kalb
tionen" gelesen. Die Beihilfen an Bauern, so lese ich, sollen künftig nur noch gewährt werden, wenn sie - ich zitiere - an konkrete ökologische Leistungen gebunden sind.
Das liest sich, lieber Herr Kollege Sielaff, völlig anders als die Rede, die Sie am 12. September in diesem Hohen Hause gehalten haben und in der sie die mittelmäßige Wettbewerbsfähigkeit beklagt haben. Sie sagten wörtlich - ich zitiere aus dem Protokoll -:
Es wäre viel gerechter und zukunftsträchtiger, die zur Verfügung gestellten knappen öffentlichen Mittel zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Produktion und Vermarktung zu verwenden.
Dies sagten Sie noch ant 12. September. Aber Sie ändern Ihre Meinung ja relativ schnell.
Ich finde jedenfalls, Herr Kollege Sielaff, im ganzen Artikel keinen Hinweis darauf, welche konkreten Maßnahmen Sie darunter verstehen bzw. was Sie über die bereits bestehenden diesbezüglichen Programme, wie Extensivierungsmaßnahmen, Kulturlandschaftsprogramme und Ausgleichszahlungen in benachteiligten Gebieten hinaus tun wollen.
Statt dessen verweisen Sie laut Bericht sehr allgemein auf - ich zitiere - „viele Beihilfen, die schädliche Umweltwirkungen begünstigen" .
Als Beispiel führen Sie dann die Gasölbetriebsbeihilfe an,
wie es der Kollege Metzger heute auch schon getan hat. Sie verkennen dabei gleich mehrere Punkte:
Erstens. Die zunächst zu zahlende Mineralölsteuer in Höhe von 62 Pfennig je Liter wird nur zu etwa zwei Dritteln zurückerstattet. Dafür, Herr Kollege Sielaff und Herr Kollege Diller, fahren die Schlepper ja auch etwas weniger auf der Straße als beispielsweise Pkw.
Es verbleibt im EU-Vergleich immer noch eine relativ hohe Steuerlast.
Zweitens. Der Dieselverbrauch in der Landwirtschaft ist in den letzten Jahren stark rückläufig gewesen. Ganz offensichtlich ist der Kostendruck größer, als Sie annehmen.
Herr Kollege Kalb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sielaff?
Wenn ich den Gedanken zu Ende geführt habe, gern.
Ich dachte, Sie fingen gerade einen neuen an.
Drittens. Der Wegfall würde sich in den allermeisten Fällen unmittelbar auf die verfügbaren Einkommen der landwirtschaftlichen Familien auswirken und das Einkommen der deutschen Landwirtschaft insgesamt nach meiner Schätzung um eine Dreiviertelmilliarde DM vermindern.
Jetzt lasse ich gerne eine Zwischenfrage zu.
Herr Kollege Kalb, Sie sprechen die Gasölbeihilfe an
und vergessen zu erwähnen,
daß ich deutlich gesagt habe, daß diese Mittel für die Landwirtschaft erhalten bleiben sollen.
Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß wir deutlich gesagt haben: Sie sollen aber ökologisch sinnvoll eingesetzt werden.
Sind Sie bereit, dies zu bestätigen?
Ich nehme das gern zur Kenntnis. Zum Glück ist es Ihnen am Schluß noch gelungen, eine Frage zu formulieren.
Tatsache ist doch, Herr Kollege Sielaff, daß es sehr einfach ist, irgendwo die Streichung zu fordern
und allgemein zu fabulieren, daß ökologisch sinnvoll gefördert werden müßte, dann aber die Antwort darauf schuldig zu bleiben, wie Sie das machen wollen. Wenn ich das dann auch noch mit dem, was Sie am 12. September in diesem Hause verkündet haben, in Übereinstimmung bringen soll, dann stelle ich fest, daß das hinten und vorne einfach nicht zusammenpaßt.
Diesen Vorwurf muß ich Ihnen leider machen. Ihre
Richtung ist eine ganz andere. Ich sehe Ihre Aussage
auch im Kontext mit der Aussage der SPD-Landes-
Bartholomäus Kalb
vorsitzenden in Bayern und des dortigen Agrarsprechers,
die im Sommer ja auch so schöne Forderungen aufgestellt haben, daß man dies alles umstellen müßte, daß man Alternativen anbieten müßte, angefangen bei dem Verkauf von Schneeketten als Zuerwerbsmöglichkeit
bis hin zur Tätigkeit als Kinderbuchautor und Märchenerzähler. Alles das sind für mich keine tragfähigen Konzepte, die man der Landwirtschaft anbieten kann.
Herr Kollege Kalb, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Sielaff?
Gern, Frau Präsidentin. Aber ich möchte den Gedanken noch zu Ende führen.
Wenn Sie unsere Ausrichtung der Agrarförderung betrachten, dann werden Sie feststellen müssen, daß in den CDU-, CSU-, CDU/F.D.P.-geführten Ländern die ökologische Ausrichtung, etwa durch eine stärkere Betonung der Ausgleichszahlungen in benachteiligten Gebieten, sehr viel stärker ausgeprägt ist als in SPD-regierten Ländern wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Dort werden beispielsweise die Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe für Abwasserbeseitigung, Wasserversorgung und ähnliche Dinge eingesetzt, was in Süddeutschland überhaupt nicht mehr gemacht wird.
Gestatten Sie jetzt die zweite Zwischenfrage?
Ja.
Ich bitte Sie, mit der Beantwortung ungefähr im Zeitrahmen zu bleiben.
Herr Kollege Kalb, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es der SPD bewußt ist, daß das kein einfaches Problem ist, und daß wir aus dem Grunde auch nicht sofort die Streichung beantragt haben, was ja möglich gewesen wäre, sondern angekündigt haben, daß in diesem Zusammenhang eine Umwidmung stattfinden muß?
Ich nehme das gern zur Kenntnis und sage Ihnen nur, daß ich in dieser Situation, in der die Landwirtschaft zur Zeit steckt, für solche Anträge absolut kein Verständnis habe,
weil man der Landwirtschaft derartiges in einer solchen Situation nicht zumuten kann, auch wenn man vielleicht gute Gründe ins Feld führen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zum Abschluß kommen. Ich möchte Sie darauf hinweisen: Herr Kollege Sielaff, wenn wir der Landwirtschaft vorher jene Möglichkeiten nehmen, die notwendig sind, um ihre Existenzfähigkeit zu erhalten, können Sie nicht anschließend ökologische Leistungen einfordern oder erwarten, daß sie wie gewohnt ihre vielfältigen Leistungen, die weit über den Bereich der Nahrungsmittelproduktion hinausgehen und die wir alle so gern selbstverständlich in Anspruch nehmen, erbringt bzw. erbringen kann.
Die Agrarpolitik muß so ausgerichtet sein, daß sie wirkungsvoll Hilfestellung leisten kann, daß sie von den Betroffenen auch innerhalb der Landwirtschaft akzeptiert wird bzw. akzeptiert werden kann und daß sie auch in der Gesamtbevölkerung die erforderliche Zustimmung und Akzeptanz erfährt. Dies gilt für unsere Politik auf Bundesebene; das gilt aber auch für die Politik auf Länderebene und erst recht für die Politik auf der Ebene der Europäischen Union und auch für die künftige Ausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik.
Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention erhält jetzt das Wort der Kollege Thalheim.
Herr Kollege Kalb, man kann in der Sache unterschiedlicher Auffassung sein; nur: Man sollte beim Argumentieren seriös bleiben. Sie wissen ganz genau, daß sich der Artikel von Herrn Sielaff in der „Süddeutschen Zeitung" mit Mitteln aus der EU-Agrarreform befaßte.
In der Tat ist es so, daß Kommissar Fischler der Meinung ist: Diese Mittel müssen nach dem Auslaufen der derzeitigen Finanzierung 1999 tatsächlich stärker an ökologischen Kriterien ausgerichtet werden. Dazu verpflichtet schon die nächste WTO- Runde. Die derzeitigen Ausgleichszahlungen sind in der „blue box". Sie müßten das nächste Mal vielleicht in die „green box".
Bei der Rede von Herrn Sielaff, die Sie zitiert haben, ging es um die nationalen Mittel. Da, Herr Kollege Kalb, ist es in der Tat so, daß hier ein Gießkan-
Dr. Gerald Thalheim
nenprinzip wirkt und man sich durchaus überlegen kann, diese Mittel effizienter einzusetzen.
Wenn Sie mir das nicht glauben, dann lesen Sie bitte in der gleichen Rede nach, was Ihr Kollege Heinrich dazu gesagt hat. Genau das wurde kritisiert. Werden Sie sich also, ehe Sie uns an der Stelle kritisieren, erst mal innerhalb der Koalition einig.
Zur Antwort der Kollege Kalb.
Herr Kollege Thalheim, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich gerade widersprochen haben? Sie haben darauf verwiesen, daß sich der Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" auf die Aussage des Kollegen Sielaff zur Weiterentwicklung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik bezieht.
Wenn dem so ist: Was hat in diesem Zusammenhang die Forderung nach Abschaffung der Gasölbetriebsbeihilfe zu suchen, die für die Gegenfinanzierung einer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik, weil das die europäische Ebene ist, nicht zur Verfügung stehen kann? Wir haben es auf der einen Seite mit der nationalen Ebene zu tun und auf der anderen Seite mit der EU-Ebene. Ich darf Sie auf diesen Widerspruch hinweisen.
Jetzt hat die Kollegin Uli Höfken das Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann, um an diese Diskussion anzuschießen, nur bestätigen: Auch wir sind für den Abbau von Subventionen, sowohl auf der EU-Ebene als auch auf der Bundesebene. Denn man muß einfach das Ergebnis betrachten: Die Subventionen in der bisherigen Form haben den Bauern nun wahrhaftig nichts gebracht.
Ergebnis einer Fortsetzung dieser Politik wird sein, daß allein in Rheinland-Pfalz in zehn Jahren 30 000 landwirtschaftliche Arbeitsplätze abgebaut sein werden. Das kann man nun wirklich nicht als Erfolg verbuchen.
Der Haushalt dieses Jahres wurde uns als eine Black box präsentiert. Wir als Abgeordnete im Agrarausschuß haben nicht die Gelegenheit gehabt, über den Haushalt, so wie er nun tatsächlich vorgelegt worden ist, zu entscheiden. Das Instrument einer globalen Minderausgabe, deren Einsparvolumen konkret nicht genannt worden ist, ist im Prinzip eine Ermächtigungsgenehmigung für die Bundesregierung. Das sind italienische Verhältnisse. Wir lehnen den Haushalt in dieser Form ab.
Anforderungen an einen Haushalt stellen sich auf drei Ebenen. Erstens zur nationalen Ebene: Hier stehen wir mit Sicherheit - das geben wir gerne zu - vor der Problematik, die Kosten senken zu müssen, sowohl die volkswirtschaftlichen Kosten als auch die haushaltsrelevanten Kosten. Darüber hinaus müssen wir bestrebt sein: den Verbraucherinnen und Verbrauchern gesunde Lebensmittel zu bieten; die Umwelt so zu behandeln, daß keine weiteren Schäden entstehen bzw. Schäden reduziert werden; die Regionen so zu versehen, daß sie ihre Wirtschaftskraft stärken können; den Landwirten in Ost und West ein ausreichendes Einkommen und eine erträgliche Arbeitszeit zu bieten.
Zweitens zur EU-Ebene: Die EU stellt die Weichen neu. Reaktionen der Bundesebene darauf lassen sich nicht erkennen. Die EU richtet sich darauf ein, für den Weltmarkt zu produzieren, und zwar in Gunstlagen, eben ohne Subventionen. Die Landwirtschaft auf den restlichen Flächen wird zur Landschaftspflege. Wo die Gelder dafür herkommen, ist sehr fraglich. In dem Zusammenhang ist festzustellen - Frau Janz hat es schon angesprochen -: Die Milchquoten werden sinken. Diese Auffassung vertritt die EU-Kommission; auch dafür hat die Bundesregierung kein Konzept.
Drittens zur Weltebene: Wir haben den Welternährungskongreß in Rom miterleben können. Auch auf dieser Ebene stellen sich Anforderungen: eine bessere Verteilung von Lebensmitteln - dies hat Auswirkungen auf die Handelsorganisationen -, die Notwendigkeit einer größeren Produktion von Lebensmitteln. Kommen Sie mir da nicht wieder mit der Gentechnik; die Vertreter der chemischen Industrie glauben daran selbst nicht mehr. Diese Mehrproduktion muß nachhaltig sein. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Agrarpolitik. Eine Gestaltung in einer vernünftigen Art und Weise vermissen wir hier.
Der Haushalt orientiert sich im Prinzip am Leitmotiv von Heereman, und der sagt: Nicht jeder kann Bauer bleiben.
Das vollzieht die Bundesregierung konsequent. Dies ist das Problematische, wenn man über das Gießkannenprinzip meckert: Es wird sehr oft verwechselt - F.D.P.-Politik, Herr Heinrich -, daß Wettbewerbsfähigkeit nicht heißt, bloß einige wenige, sogenannte leistungsfähige Betriebe zu fördern. Denn das bleibt von unserem Haushalt letztlich nur noch übrig.
Gespart wird ausgerechnet an der Gemeinschaftsaufgabe, dem einzigen Bereich, der strukturverbes-
Ulrike Höfken
sernd wirken kann, der einen Ausgleich schafft für die Betriebe in den benachteiligten Gebieten.
Das ist wirklich ein Skandal.
Wir haben die Möglichkeit verpaßt, auch nach den WTO-Verhandlungen die Absatzchancen der deutschen Landwirtschaft wahrzunehmen. Dies wäre möglich gewesen, wenn wir das Potential einer verbesserten Vermarktung und Verarbeitung auf dem nationalen Markt tatsächlich ausgeschöpft hätten.
Gleichzeitig stellt sich das Problem der Bundesforschung: Die Mittel für die Forschungsaufgaben im inneren Bereich sind um mehr als 50 Prozent gekürzt worden: Auch damit werden Zukunftsaufgaben verfehlt. •
Zum Thema BSE. Auch durch Maßnahmen in diesem Zusammenhang fließen indirekt Kosten in unseren Haushalt ein. Sie haben es leider abgelehnt, die Extensivierung im Rinderbereich zu fördern.
Ich halte das für einen völlig falschen Weg. Die Ideologie der Bundesregierung hat den deutschen Landwirten die Möglichkeit verbaut, ihre Produktion auf die marktgerechten Ansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher zu reduzieren. Damit hätte Vertrauen wiederhergestellt werden können. Statt dessen gibt es die Frühvermarktungsprämie - nun gut; aber gleichzeitig werden neugeborene Kälber für die Herodesprämie nach Frankreich gekarrt.
Nun ein Wort zum Küstenschutz. Auch hier droht die Gefahr, daß an der falschen Stelle gespart wird und daß sich das Sparen nicht nur gegen die Bevölkerung an den Küsten wendet, sondern daß auch neue Kosten auf den Haushalt zukommen, wenn tatsächlich Schäden entstehen.
Zum Thema „Fischereischutzboote": Auf der einen Seite beklagen wir die dramatische Situation auf den Weltmeeren, auf der anderen Seite wollen wir die Mittel für den Schutz genau dieser Bestände nicht zur Verfügung stellen. Das betrifft Boote, die in einer ostdeutschen Werft gebaut werden sollten und jetzt nicht gebaut werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Ja.
Ich möchte auf den Küstenschutz zurückkommen. Teilen Sie meine Auffassung, daß Küstenschutz Katastrophenschutz ist? Sind Sie bereit, sich anzuschauen, was in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen von der Landesregierung plötzlich unter Küstenschutz verstanden wird? Teilen
Sie die Auffassung, daß das nichts mit Küstenschutz zu tun hat und daß sich der Bund, wenn er 70 Prozent geben muß, sehr wohl überlegen muß, ob er das, was dort teilweise als Spielwiese - so möchte ich es nennen - betrachtet wird, finanziert?
Hen Carstensen, möchten Sie vielleicht gleich dazu fragen? Dann kann ich das in einem beantworten.
- Das glaube ich nicht.
Ich kann dazu nur sagen - Frau Janz hat vorhin die ollen Kamellen von Herrn Carstensen angesprochen, und sie hat damit auf den Naturschutz angespielt -, daß es nicht angeht, immer den Naturschutz gegen den Küstenschutz auszuspielen. Die Ausgaben, die für den Naturschutz in diesem Bereich getätigt werden müssen, gehören selbstverständlich zu den Ausgaben des Küstenschutzes. Sie müssen nicht der schleswig-holsteinischen Landesregierung angelastet werden.
Ich erlaube jetzt die Zwischenfrage von Herrn Carstensen. Ich bin mir ziemlich sicher, daß sie sich auch auf den Küstenschutz bezieht.
Frau Kollegin Höfken, nein, das hat eben nichts mit Küstenschutz zu tun. Sind Sie der Meinung, daß es richtig ist, daß der grüne Umweltminister
die Hinweisschilder im Nationalpark, die 2,4 Millionen DM kosten sollen, aus Küstenschutzmitteln finanziert hat, und zwar zu 70 Prozent mit Bundesmitteln? Haben Sie das Gefühl, daß das etwas mit Küstenschutz, Umweltschutz oder Ausgleichsmaßnahmen zu tun hat?
Ich bin nicht für Kuriositäten der Landesregierungen verantwortlich. Im übrigen meine ich, daß das nicht in der Verantwortung unseres grünen Umweltministers passiert ist. Ich denke, ich habe mich eindeutig ausgedrückt: Die Maßnahmen des Naturschutzes gehören zu den Maßnahmen des Küstenschutzes. Mögliche Auswüchse, die das annimmt, sind davon ausgenommen.
Wir fordern, die Förderprogramme zur Entwicklung des ländlichen Raums und des Küstenschutzes von den Kürzungen auszunehmen, dafür das Agrarinvestitionsprogramm auf die Förderung einer umweltgerechten Produktion, Verarbeitung und Vermarktung und auf spezielle umwelt- und tierge-
Ulrike Höfken
rechte Investitionen zu konzentrieren. Wir fordern die Bundesregierung auf, durch Einsparungen auf EU-Ebene in den Bereichen Marktordnung, Exporterstattung und Lagerhaltung Milliarden einzusparen und diese Gelder für den Aufbau einer zukunftsfähigen Landwirtschaft einzusetzen, die nicht neue Schäden durch immer neue Skandale verursacht und den Landwirten und Verbrauchern eine Produktion sichert, nach der am Markt eine entsprechende Nachfrage existiert.
Ich würde noch gern etwas zur Gasölbeihilfe sagen, aber meine Redezeit ist zu Ende.
Ich werde das nachholen.
Jetzt hat der Kollege Günther Bredehorn das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die notwendige Haushaltskonsolidierung erfordert auch im Agrarhaushalt über die bereits vorgesehenen Kürzungen hinaus eine weitere globale Minderausgabe in Höhe von 240 Millionen DM. In Anbetracht der vor uns stehenden Herausforderungen halte ich eine solche Minderausgabe für verantwortbar. Solche Minderausgaben sind für uns nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance: Es ist doch zu fragen, ob wir die nicht unbeträchtlichen Mittel im Agrarhaushalt immer effektiv genug einsetzen und ob wir nicht neue Prioritäten bei knappen Haushaltsmitteln setzen müssen.
Zur Weiterentwicklung unserer Agrarpolitik müssen meines Erachtens unter anderem folgende Punkte diskutiert und entschieden werden: die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer produzierenden landwirtschaftlichen Betriebe und Vermarktungsunternehmen, die durch WTO II vorgegebene weitere Liberalisierung und Globalisierung der Agrarmärkte, die stärkere Entkopplung von Preis- und Einkommenspolitik, die gezielte Entlohnung ökologischer und landschaftspflegerischer Leistungen, die Entbürokratisierung und radikale Vereinfachung der Agrarpolitik.
Meine Damen und Herren, es sind schon alarmierende Warnzeichen, wenn die deutsche Landwirtschaft im eigenen Land ständig Marktanteile verliert und wenn die deutschen Landwirte beim Betriebsgewinn im unteren Drittel der EU-Mitgliedstaaten liegen. Eine wichtige Aufgabe unserer Agrarpolitik ist die Sicherung der Veredlungsproduktion in Deutschland. Gerade in der Schweineproduktion, einer klassischen Domäne der Familienbetriebe, sind gravierende Marktverluste eingetreten. Ein Produktionsausfall von 11 Millionen Schweinen pro anno hat seit 1990 zu jährlichen Einkommensverlusten von zirka 6 Milliarden DM im gesamten Sektor und zum Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen geführt. Von daher sind für mich die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit unter Beachtung umweltverträglicher Wirtschaftsweise, die Stärkung der Unternehmerlandwirtschaft sowie Marktorientierung die wichtigste Aufgabe unserer Agrarpolitik.
Es darf bei der einzelbetrieblichen Investitionsförderung, beim AFP, bei der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Unternehmen für den europäischen Markt keinesfalls zu einer Mittelkürzung im Haushalt kommen. Im Gegenteil: Diese „Hilfe zur Selbsthilfe" muß nach meiner Meinung in Zukunft vereinfacht und finanziell noch besser ausgestattet werden.
Die Agrarwirtschaft ist weltweit eine der dynamischsten Wachstumsbranchen. Man schätzt, daß der Getreideverbrauch in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird. Der Fleischverbrauch wächst zur Zeit jährlich um zirka 3 Prozent. Bei der Milch rechnet man weltweit in den nächsten Jahren mit einer Zunahme des Verbrauchs von 20 bis 30 Millionen Tonnen. Dieser steigende Verbrauch wird vor allem aus Regionen bedient, die durch Nutzung der Bio- und Gentechnologie, durch technisch-organisatorische Fortschritte und durch strukturelle Verbesserungen zu niedrigen Kosten und mit hoher Qualität produzieren. Deutschland ist dabei von den natürlichen Voraussetzungen her ein hervorragender Agrarstandort. Wir sollten diesen Vorteil nicht durch flächendeckende Extensivierung und Flächenstillegung selbst aufgeben.
Das von einigen Agrarpolitikern angepriesene Rezept „Mengen runter, Preise rauf" hat nicht funktioniert.
Die Strategie für erfolgreiche Betriebe muß heute eher lauten: „Kosten runter, Mengen rauf". Die 1984 eingeführte Milchquotenregelung ist ein gutes Beispiel dafür.
Nach wie vor gibt es Überschüsse, und die Erzeugerpreise sind gesunken. Noch gravierender aber ist: Ein großer Teil der Quote ist bei Landwirten, die selber nicht mehr melken. Hier wurden handelbare Besitzstände zu Lasten der noch aktiv melkenden Landwirte geschaffen.
Teilweise sieht die Rechnung dann so aus: Milchpreis minus Quotenkosten ist Weltmarktpreis.
Herr Kollege Bredehorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?
Ich möchte den Gedanken eben noch zu Ende führen, dann gerne.
Für die Zeit ab dem 1. April 2000 wird über verschiedene Lösungsvorschläge diskutiert. Ich glaube, Frau Janz hat das angesprochen. Es gab darüber zwar eine Konferenz, ich habe aber noch nicht gehört, wie sich die SPD die Weiterentwicklung vorstellt.
Wir als F.D.P. haben seit Beginn des Jahres Vorschläge gemacht. Es sind verschiedene Vorschläge im Gespräch. Sollten wir nicht den Mut haben, eine marktwirtschaftliche Lösung anzustreben? Für wen machen wir denn eigentlich Agrarpolitik? Für den auf Wachstum angewiesenen wirtschaftenden Unternehmer oder für den Boden- bzw. Quoteneigentümer?
Bitte schön, Frau Höfken.
Herr Bredehorn, ich möchte noch einmal auf die Möglichkeiten zurückkommen, durch „Menge runter" „Preise rauf" zu erzielen. Sind Sie nicht der Auffassung, daß erstens durch die Flächenstillegungen - wir sind nicht für Flächenstillegung gewesen - die Getreidepreise erhöht werden konnten und daß zweitens die Milchquoten gar nichts mit Mengenreduzierung zu tun haben, sondern daß ganz im Gegenteil die Milchquotenmenge in Europa über 11 Prozent des Bedarfs angesetzt ist und vor allem deswegen der Preisdruck zustande kommt?
Erstens. Wenn wir in einem der, wie gesagt, landwirtschaftlich interessantesten Gebiete der Welt, in Mitteleuropa, in Deutschland, leben und wirtschaften, dann sollten wir nicht die Chance aufgeben, hier auch zu produzieren.
Zweite Bemerkung: Selbstverständlich haben wir bei der Milch 1984 ganz erhebliche Quotenkürzungen durchgeführt. Das wissen Sie. Dies tat manchen sehr weh. Nun müssen wir darüber diskutieren und streiten, ob mehr notwendig ist. Wenn so ein System funktionieren soll, wird wahrscheinlich mehr notwendig sein. Sie wissen, daß das auf europäischer Ebene überhaupt nicht durchsetzbar ist.
Auch in Zukunft wird und muß sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft fortsetzen. Dieser Strukturwandel muß aber sozialverträglich ablaufen. Über 7,8 Milliarden DM - das sind 65 Prozent des Gesamtagrarhaushalts - werden für die Agrarsozialpolitik bereitgestellt. Ich meine, das ist eine großartige Leistung, auf die sich unsere Bauern bei dieser Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen auch weiterhin verlassen können.
Ich bedaure allerdings, daß die sogenannte Produktionsaufgaberente oder FELEG, die sehr positiv zu einem vernünftigen Strukturwandel beigetragen hat, wegen fehlender Haushaltsmittel nicht fortgesetzt wird.
Zum Schluß noch zwei Bemerkungen: Ich freue mich, daß es der Bundesregierung trotz erheblichen Widerstandes einiger rotgrüner Landesregierungen gelungen ist, die Bundesimmissionsschutzverordnung so zu ändern, daß die Schwellenwerte der in der EU geltenden IVU-Richtlinie angepaßt werden.
Die Schwellenwerte in der IVU-Richtlinie waren etwa dreimal so hoch wie die in der bisher geltenden Bundesimmissionsschutzverordnung. Das bedeutet zum Beispiel bei Mastschweineställen eine Anhebung von 700 auf 2 000 Plätze. Das bedeutet jetzt zum Beispiel 750 Sauenplätze statt 250 oder 20 000 Hennenplätze statt 7 000. Dieses Beispiel - deshalb bedanke ich mich dafür - zeigt, daß man mit gutem politischen Willen gravierende Wettbewerbsnachteile der deutschen Landwirtschaft in der EU heilen kann.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist vorbei.
Frau Präsidentin, mein letzter Satz.
Wir sollten diesbezüglich einmal unser Umweltrecht, Pflanzenschutzrecht, Baurecht, um nur einige zu nennen, prüfen und notwendige Korrekturen vornehmen.
Die Ausarbeitung des BML zur Wettbewerbsverzerrung innerhalb der EU könnte dabei sicher eine gute Grundlage sein.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Günther Maleuda.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Sie betrifft die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern und sicher auch das LAG. Im „Focus" vom gestrigen Tage wird, gestützt auf Experten und auf die Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität, geschrieben: „Bei der Umwandlung von rund 5 000 LPG-Betrieben entstand ein Schaden von insgesamt 20 bis 50 Milliarden DM." Man stelle sich diese Zahlen einmal im Verhältnis zum Agrarhaushalt 1997 mit 11,8 Milliarden DM vor.
Ich meine, hier wirft das LAG tatsächlich seine Schatten voraus. Die Veröffentlichung kommt zur
Dr. Günther Maleuda
rechten Zeit. Am Freitag wird der Bundesrat das LAG behandeln. Ich finde, diese Art der Veröffentlichung ist die Fortsetzung einer unverantwortlichen Stimmungsmache auf einem Gebiet der Agrarfinanzen in Deutschland, die wir absolut nicht gebrauchen.
Im Ergebnis der ersten Lesung des Agrarhaushaltes hat unsere Abgeordnetengruppe dem Agrarausschuß vier Anträge unterbreitet. Sie sind, wie das stets der Fall ist, abgelehnt worden. Allerdings berücksichtigt die jetzige Haushaltsvorlage teilweise unsere Forderung, beispielsweise die Mittel für die Beratungshilfe nicht um 50 Prozent zu kürzen.
Mißt man den Agrarhaushalt an den Problemen, vor denen die Landwirtschaft steht - sozial bestimmter Strukturwandel, ökologischer Umbau, Entwicklung der ländlichen Räume, Herkunftsnachweis der Nahrungsgüter, Anpassung der Produktion an die Nachfrage und nicht zuletzt Verbesserung der Einkommenssituation der Bauern -, dann gibt dieser Haushalt in der Tat zu wenig Antwort auf diese wichtigen Entwicklungsfragen.
Diese Politik wird verfolgt, obwohl selbst in den Reihen der Koalitionsparteien die kritischen Stimmen zunehmen.. So hat sich zum Beispiel der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, mit einem dringenden Appell an Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel gewandt. Er hat vor allem auf den schroffen Gegensatz zwischen dem gesetzlichen Auftrag der Regierung nach dem Landwirtschaftsgesetz, „die soziale Lage der in der Landwirtschaft tätigen Menschen an die vergleichbarer Berufsgruppen" anzugleichen, und dem tatsächlichen Einkommensrückstand der Landwirtschaft von fast 40 Prozent hingewiesen. Er wandte sich an seinen Parteifreund Minister Waigel:
Lassen Sie nicht zu, daß unsere Bauern nach den europäischen Torturen im Gefolge des britischen Rinderwahnsinns und des Milchpreisverfalls auch noch durch die nationale Haushaltspolitik malträtiert werden.
Offensichtlich sind die Bauern nicht im strategischen Visier der Bundesregierung. Um über eine halbe Milliarde DM sollen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe gekürzt werden. Das bedeutet eine Reduzierung gegenüber dem Plan 1996 um 22 Prozent und gegenüber 1994 gar um ein Drittel, das heißt um eine Milliarde.
Der von der Bundesregierung eingeschlagene Sparkurs engt auch rigoros die Handlungsfähigkeit der Länder und Kommunen ein. Für sie wird die Gemeinschaftsaufgabe zu einem zweischneidigen Schwert: Einerseits sind sie bestrebt, durch die geforderte Komplementärfinanzierung die Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe in Anspruch zu nehmen; andererseits stehen diese Mittel für andere dringende Finanzierungsaufgaben nicht zur Verfügung.
Die PDS hat deshalb einen Entschließungsantrag zur Senkung des Prozentsatzes der Kofinanzierung eingebracht. Dieser Vorschlag kann auch durch die aktuellen Zahlen über die Inanspruchnahme der Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe, wie sie mir auf eine Anfrage an die Regierung mitgeteilt wurden, begründet werden. Per 31. Oktober dieses Jahres waren erst 44 Prozent abgerufen, in den neuen Bundesländern sogar nur 37 Prozent.
Dem Bundeshaushalt entstehen mit der Annahme unseres Antrags keine zusätzlichen Belastungen. Der Handlungsspielraum der Länder würde jedoch erhöht werden.
Meine Damen und Herren, vollbringen Sie eine außergewöhnliche Tat: Stimmen Sie am Freitag dem Entschließungsantrag der Abgeordnetengruppe der PDS zu.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Sielaff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Trotz der Rede des Kollegen Kalb möchte ich mit einem Lob an das BML beginnen.
Denn dort geht es nicht ganz so chaotisch zu wie bei den Ministern Waigel, Blüm, Seehofer und anderen.
Aber auch in der Agrarpolitik gibt es bei dieser Bundesregierung kein Gesamtkonzept für die Zukunft.
Die Regierungskoalition sieht - das wurde bei der Rede des Kollegen Kalb deutlich - offensichtlich noch immer einen Widerspruch zwischen Ökologie und Agrarpolitik
und nicht eine Chance für die deutsche Landwirtschaft, endlich wieder Akzeptanz bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern zurückzugewinnen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung tut nichts, damit in Sachen Ökologisierung der Landwirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit die Lage besser wird. Die mittelfristige Finanzplanung sieht eine kontinuierliche Rückführung der Investitionsförderung bis zum Jahr 2000 um rund 600 Millionen DM vor. Die neuerlichen Kürzungen am Agraretat von 240 Millionen DM sollen ebenfalls weitestgehend bei
Horst Sielaff
einkommenswirksamen und investitionsfördernden Maßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" vorgenommen werden.
Herr Kollege Sielaff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?
Nein, ich möchte im Zusammenhang reden und angesichts der Zeit keine Fragen zulassen.
Herr Gröbl, bei Einbringung dieses Haushaltes haben Sie hier erklärt:
Deshalb führen wir die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe so behutsam zurück, daß es nicht zu spürbaren Einbußen beim Einkommen der Landwirte kommen muß, insbesondere nicht bei der einzelbetrieblichen Investitionsförderung. . .
Gilt das heute, wenige Tage später, nicht mehr, wie ich annehmen muß, wenn ich mir anschaue, wo diese Bundesregierung den Hebel der Kürzungen ansetzt?
Die Bundesregierung und ihre Fraktionen verunsichern die Landwirtschaft und die Menschen im ländlichen Raum. Mit der von der Koalition unterstellten qualifizierten Haushaltssperre bei der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur werden junge Landwirte keineswegs animiert, Landwirtschaft zu betreiben und ihre Betriebe weiterzuentwickeln. Dorferneuerung, Wegebau, Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung, alles wichtige infrastrukturelle Maßnahmen zur Entwicklung ländlicher Räume, werden zusätzlich in Frage gestellt. Mit dieser unterstellten Sperre sollen offensichtlich weiter entstehende Haushaltslöcher gestopft und die Länder unter Druck gesetzt werden, beim Jahressteuergesetz nachgiebig zu sein.
Wie dieser Haushalt auch von CSU-Ministern beurteilt wird, können wir in diesen Tagen nachlesen. Ich denke an Äußerungen des bayerischen Landwirtschaftsministers.
Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes ist hier bereits zitiert worden.
Die chaotische Finanzpolitik dieser Bundesregierung hat die weiterhin dringend notwendige Ökologisierung der Landwirtschaft und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe von langer Hand vereitelt. Einige Beispiele möchte ich nennen: Knappe öffentliche Mittel aus dem Währungsausgleich werden großzügig über die landwirtschaftliche Unfallversicherung verteilt. Im Anschluß an das BSE-Debakel erhalten die Landwirte jetzt ganze 14 DM pro Tier.
Wenn Sie wirklich glauben, daß dieses planlose Verregnen den tatsächlich Geschädigten helfen würde,
dann ist den Mitgliedern dieser Regierungskoalition nicht mehr zu helfen.
Zum Ausbau der ländlichen Wertschöpfung und der Beschäftigung in ländlichen Räumen tragen solche ziellosen Maßnahmen mit Sicherheit nicht bei.
Ähnlich verhält es sich mit der Politik zugunsten der benachteiligten Gebiete. Mit Übernahme des Agrarressorts durch den CSU-Minister Kiechle seinerzeit wurden die benachteiligten Gebiete ohne sachlichen Grund aus rein politischen Erwägungen auf über 50 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausgeweitet.
Damit einher ging die Ausweitung der Ausgleichszulage um das Zehnfache auf rund 1 Milliarde DM jährlich. Die Folge ist: Für die gezielte Verbesserung der Umweltverträglichkeit und der Wettbewerbsfähigkeit in der Landwirtschaft fehlen öffentliche Mittel. Der Erhalt einer flächendeckenden Landbewirtschaftung muß nicht heißen, die halbe Bundesrepublik Deutschland zum benachteiligten Gebiet zu erklären.
Die Bundesregierung ignoriert bewußt die zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen in den Rahmenbedingungen auch für die benachteiligten Gebiete. Seitdem ist zu Beginn der 80er Jahre die Milchquotenregelung eingeführt worden, sind die Ausgleichszahlungen und die Förderung durch die flankierenden Maßnahmen aus der EU-Agrarreform und die verschiedenen Brüsseler Regionalprogramme hinzugekommen.
Herr Borchert, Sie haben außerdem dem Parlament bis heute keinen Bericht über die Überprüfung dieser Förderung vorgelegt, obwohl der Ernährungsausschuß bereits im Dezember 1995 und der Planungsausschuß für Agrarstruktur und Küstenschutz im März 1995 dies beschlossen haben. Offensichtlich fehlen der Bundesregierung die Kraft und der Mut, die bisherige Förderpolitik nach den veränderten Ansprüchen, die auch seitens der Öffentlichkeit an die Landwirtschaft herangetragen werden, zu korrigieren. Statt dessen setzt man lieber eine Art Von-der-
Hand-in-den-Mund-Politik fort. Kein Wunder, daß die PLANAK-Sitzung offensichtlich ins neue Jahr verschoben werden soll. Es wird wohl auch eine eher traurige Zusammenkunft für alle werden.
Gestaltende Agrarpolitik kann man mit diesem Haushalt kaum noch betreiben. Mehr als Verwaltung des Mangels und Festhalten an Überkommenem haben Sie, meine Damen und Herren von der Regie-
Horst Sielaff
rungskoalition, aber offensichtlich auch nicht vor. Das zeigen die Reaktionen auf unsere Vorschläge, die wir an unterschiedlichen Stellen gemacht haben.
Wenn es anders wäre, würden Sie, Herr Minister, im Bundeskabinett wohl verbissener und deutlicher um die Belange der Landwirte und um den Erhalt der Mittel für die Landwirtschaft kämpfen.
Möchten Sie eine Kurzintervention machen? - Bitte.
Herr Kollege Sielaff hat keine Zwischenfrage zugelassen, aber mich persönlich angesprochen.
Herr Kollege Sielaff, Sie hatten gesagt, Sie wollten keine Zwischenfrage zulassen, Deswegen habe ich dem Kollegen Kalb abgewinkt, und deswegen läuft es jetzt so weiter.
Ich will Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen.
Sie haben mir vorgeworfen, wir hätten zu wenig Verständnis für eine ökologisch orientierte Landwirtschaft. In Ihrer Rede haben Sie dann ausgeführt, daß Sie ausdrücklich eine Ökologisierung der Landwirtschaft fordern. Ich habe hinzugefügt: eine ideologisierte Ökologisierung. Ein paar Sätze später haben Sie sich dagegen ausgesprochen, daß die Landwirtschaft in den benachteiligten Gebieten gefördert wird bzw. Ausgleichszahlungen für ihre ökologischen und landschaftskulturellen Leistungen bekommt.
Wenn Sie antworten möchten, bitte.
Herr Kollege Kalb, Ihre Einlassungen haben gezeigt, daß Sie weiterhin nicht bereit sind, in Ihrer Partei Ökologie und Landwirtschaft als eine Einheit zu sehen. Wir sind der Auffassung, daß wir den Landwirten helfen müssen, wettbewerbsfähig zu werden und zu bleiben, wenn sie ökologisch anbauen, und daß man nicht ständig versuchen sollte, ökologische Prinzipien abzubauen.
Das Zweite: Die Förderung benachteiligter Gebiete ist ja wohl in der Tat problematisch, weil es dort auch gute Flächen und nicht nur schlechte Flächen gibt. Wir wollen, daß gezielt die Flächen, auf denen es Landwirtschaft schwer hat, gefördert werden und nicht generell die halbe Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligtem Gebiet erklärt wird.
Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Borchert.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon erstaunlich, in welchem Umfeld der öffentlichen Diskussion gerade von seiten der Opposition diese Debatte stattfindet. Auf der einen Seite wurde im Vorfeld der Haushaltsdebatte ständig gefordert, die Bundesregierung müsse noch stärker sparen, das Haushaltsdefizit müsse deutlicher abgebaut werden, und es wurde beklagt, daß das Haushaltsdefizit zu hoch sei. In dieser Debatte ist jedoch auf der anderen Seite jede Einsparung im Einzelplan 10 kritisiert worden, ohne daß ein einziger Vorschlag gemacht worden ist.
Von seiten der SPD ist kein Vorschlag gemacht worden, an irgendeiner Stelle einzusparen. Es ist kritisiert worden, es sei jeweils an der falschen Stelle gespart worden. Ich glaube, dies zeigt die ganze Konzeptionslosigkeit der SPD.
Konsolidieren heißt natürlich auch, daß dies in jedem Einzelplan und auch im Einzelplan 10 erfolgen muß. Die Konsequenz ist, unbestreitbar knappe Mittel gezielt zur Stärkung einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft einzusetzen. Ich denke, Herr Kollege Sielaff, hierbei haben wir einiges bewegt. Aber gerade auch im europäischen Vergleich gibt es noch mehr zu tun. Wir müssen mehr tun, damit wir aufholen, den Anschluß behalten und in der Wettbewerbsfähigkeit gleichziehen können, um nicht noch mehr Marktanteile zu verlieren. Darauf hat ja Herr Kollege Bredehorn hingewiesen.
Vielleicht, Herr Kollege Sielaff, gelingt es Ihnen, von Ihrer Aussage, in der Sie zum erstenmal die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit anerkannt haben, auch Ihre Parteifreunde in den Ländern zu überzeugen. Ich denke, das wäre für Sie eine lohnende Aufgabe.
Daß in diesem Bereich noch Pionierarbeit notwendig ist, will ich mit einigen Stichworten für Absurdes und Kurioses erwähnen. Hier fällt mir beispielsweise die Baugenehmigung für Stacheldrahtzäune in einem Bundesland oder die Einrichtung von Feuchtbiotopen durch verstopfte Drainagen ein. Dies hat nun wirklich nichts mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun.
Bundesminister Jochen Borchert
- Wenn das Ökologisierung der Landwirtschaft ist, dann müssen wir darüber im Detail diskutieren.
Daß die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zum Wohle des Agrarstandortes möglich ist, hat der Beschluß zur Anhebung der Immissionsschutzgrenzen bewiesen. Damit haben wir einen entscheidenden Schritt zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit getan. Ich will an diese gute Zusammenarbeit mit den Ländern anknüpfen, um die knappen Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe soweit wie nur irgend möglich auf die einzelbetriebliche Investitionsförderung zu konzentrieren. Deswegen bleibt es bei der Aussage, die der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl hier in der ersten Lesung gemacht hat, daß wir die Mittel im Bereich der einzelbetrieblichen Förderung nach Möglichkeit nicht kürzen wollen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?
Aber gern.
Auf Grund des Stichworts „einzelbetriebliche Förderung" und Ihres Vorwurfs, es sei kein Einsparvorschlag gemacht worden, möchte ich auf unsere Einsparvorschläge zurückkommen.
Erstens frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir gefordert haben, die Förderprogramme zur Entwicklung des ländlichen Raumes und des Küstenschutzes von der Kürzung auszunehmen, da es ein Bestandteil des Agrarinvestitionsprogramms ist - um das geht es hier -, sich auf die Förderung einer umweltgerechten Produktion, Verarbeitung und Vermarktung und auch auf spezielle umwelt- und tiergerechte Investitionen zu konzentrieren, wie es im übrigen auch die EU-Kommission tut?
Das Stichwort „green box" ist schon einmal gefallen.
Zweitens fordern wir die Bundesregierung auf, wie schon in meiner Rede erwähnt, daß auf EU-Ebene - natürlich im europäischen Konsens - in den Bereichen Marktordnung, Lagerhaltung und Exporterstattung gespart werden soll und daß diese eingesparten Gelder für den Aufbau einer zukunftsfähigen Landwirtschaft verwendet werden sollen.
Drittens möchte ich darauf hinweisen, daß von dem Kollegen Metzger heute morgen die Gasölbetriebsbeihilfe erwähnt wurde und von ihm gefordert wurde, im Zuge von Einsparvorschlägen ein neues Konzept zur Förderung des Einsatzes von Treibstoffen in der Landwirtschaft zu gestalten, um damit die Landwirtschaft vor dem Vorwurf ungerechtfertigter Subventionen zu schützen.
Frau Kollegin, dies ist eine Zwischenfrage.
Ich habe nicht gesagt: zu streichen.
Danke.
Frau Kollegin, nun ist noch immer nicht klargeworden, wo Sie sparen wollen. Wenn ich Ihren ersten Vorschlag richtig verstanden habe, wollen Sie zugunsten einer anderen Förderung umschichten, aber nicht sparen.
Der zweite Vorschlag bezog sich auf Kürzungen auf der europäischen Ebene, aber nicht auf die Entlastung des nationalen Haushaltes. Wir diskutieren hier aber den nationalen Haushalt, und wir brauchen schon, wenn wir den Haushalt insgesamt konsolidieren wollen, Einsparvorschläge für jeden Haushalt. Ich kann nicht auf Veränderungen, die Sie zur Marktordnung auf der europäischen Ebene vorgeschlagen haben, verweisen.
Bei der Gasölbetriebsbeihilfe haben Sie ebenfalls gesagt, daß es Ihnen nicht darum geht, diese zu streichen, sondern umzugestalten.
Auch dies ist kein Beitrag, um in diesem Einzelplan Streichungen vornehmen zu können.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch sagen: Ich verstehe die Argumentation nicht, daß mit einem Streichen der Gasölbetriebsbeihilfe etwas für die Ökologie getan wird.
Dahinter muß offensichtlich die Vorstellung stehen, daß Landwirte zu ihrem Vergnügen mit dem Schlepper über den Acker fahren, nur weil es eine teilweise Rückerstattung der Mineralölsteuer gibt.
Frau Höfken, wenn Sie dafür eintreten, den ökologischen Anbau weiter auszubauen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, dann müssen Sie doch wissen, daß die mechanische Unkrautbekämpfung dazu führt, daß die Landwirte mehr über den Acker fahren müssen und daher mehr Diesel benötigen.
Das heißt, Sie treffen mit der Kürzung der Gasölbetriebsbeihilfe gerade die Betriebe, die versuchen, in Ihrem Sinne ökologischer zu wirtschaften, indem sie von einer chemischen zu einer mechanischen Unkrautbekämpfung übergehen.
Wie man die Streichung als einen Beitrag zur Ökologisierung verkaufen kann, ist mir auch nicht klargeworden. Insgesamt vermisse ich bei Ihren Vorschlägen, daß Sie sagen, wo gespart werden soll. Im großen und ganzen handelte es sich um Umschichtungsvorschläge.
Bundesminister Jochen Borchert
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Investitionsförderung zurückkommen. Es besteht natürlich die Gefahr, daß die Investitionsförderung dauerhaft in den Sand gesetzt wird, wenn den Betrieben ständig neue Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Für die Bundesregierung ist es daher beispielsweise selbstverständlich, daß besondere ökologische Auflagen und Bewirtschaftungseinschränkungen besonders honoriert werden. Denn die Landwirtschaft kann ihre vielfältigen gesellschaftlichen, sozialen, soziologischen und ökologischen Aufgaben flächendeckend nur erfüllen, wenn es für Auflagen auch einen Ausgleich gibt. Dies soll nach unserer Auffassung im Bundesnaturschutzgesetz verankert werden.
Demgegenüber wollen die Sozialdemokraten und die Grünen den Landwirten für ökologische Auflagen, die über die gute fachliche Praxis hinausgehen, keinen finanziellen Ausgleich gewähren. Die niedersächsische SPD-Umweltministerin, Frau Griefahn,
bezeichnete die Novelle zum Naturschutzgesetz sogar als ,,Ladendieb-Entschädigungsgesetz" und die Ausgleichszulagen als „untragbar". Hier wird doch deutlich, daß Sie nicht bereit sind, Auflagen, die über die gute fachliche Praxis hinausgehen, zu entschädigen und damit den Landwirten zu helfen.
Das erschwert die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern. Ich kann verstehen, daß Bauern bei solchen Kapriolen der SPD mißtrauisch werden. Dies erschwert natürlich auch die in vielen Bereichen bereits gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Deswegen ist diese Ablehnung um so bedauerlicher.
Meine Damen und Herren, wir, die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, wollen den Ausgleich für Bewirtschaftungsauflagen. Wir treten auch hier für gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa ein. Dies ist einer der entscheidenden Gründe, warum wir etwa bei der Gasölbetriebsbeihilfe mit Rücksicht auf die Kostenstruktur in anderen europäischen Ländern Kürzungen eben nicht vornehmen können.
Gleiche Wettbewerbsbedingungen - das ist auch das zentrale Argument für die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung. Wir wollen den starken Euro, weil es sonst an den europäischen Devisenmärkten immer wieder zu Veränderungen kommen kann, die gerade die Landwirtschaft in der Vergangenheit schmerzhaft gespürt hat.
Solange es in Europa nationale Währungen gibt, solange die Gefahr besteht, daß die D-Mark aufgewertet wird, und solange einige unserer europäischen Agrarhandelspartner schwächere Währungen haben,
so lange hat die deutsche Landwirtschaft mit diesem Währungsdruck zu kämpfen. Das bedeutet für die deutsche Landwirtschaft wiederum Absatzverluste, Marktverschiebungen zugunsten von Ländern mit weicheren Währungen sowie Preis- und Einkommensverluste.
Deshalb ist gerade die Landwirtschaft an einer starken, einheitlichen europäischen Währung sehr interessiert.
Die für die Währungsunion nötigen Einsparungen im Agrarhaushalt und an anderer Stelle sollten daher auch unter diesem Aspekt bewertet werden.
Frau Kollegin Janz, mir ist bei Ihrer Kritik an den Sparvorschlägen nicht ganz klargeworden, was Sie an einigen Stellen gemeint haben. Sie haben auf der einen Seite die Kürzung um 240 Millionen DM kritisiert und haben auf der anderen Seite gesagt, die Vorsteuerpauschale müsse im Haushaltsvollzug noch erwirtschaftet werden. In der globalen Minderausgabe in Höhe von 240 Millionen DM ist die Streichung der Vorsteuerpauschale mit enthalten.
Dies muß man bei dieser Kürzung mit berücksichtigen. Ich glaube, dann zeigt sich, daß wir hier mit Augenmaß gespart haben.
Sie sollten sich mit Ihrem Kollegen Sielaff zusammensetzen. Herr Sielaff hat darauf hingewiesen, daß wir die PLANAK-Sitzung auf das nächste Jahr verschoben haben. Sie haben behauptet, dies wäre für 1997 bereits entschieden. Diese Sitzung hat aber überhaupt noch nicht stattgefunden. Wir werden erst entscheiden, wenn dieser Haushalt verabschiedet ist und wenn die Mittel entsperrt sind. Das heißt, die Voraussetzungen dafür müssen durch den Haushalt erst noch geschaffen werden. Diese Kritik an Ihren Ausführungen zeigt: Wir haben hier mit Augenmaß gespart. Ich denke, es ist notwendig, daß wir mit diesen Maßnahmen dazu beitragen, den europäischen Stabilitätskurs im Interesse der Landwirtschaft abzusichern.
Meine Damen und Herren, wir haben über den Währungsausgleich hinaus in vielen Bereichen für die Landwirtschaft wichtige Forderungen durchgesetzt. Hierzu zählen die Verschiebung der Vorsteuerpauschale, die Änderung bei der Alterssicherung der Landwirte, aber auch die Markt- und Einkommensbeihilfen für Rinderhalter, um nur einige Punkte zu nennen.
Was im Bundeshaushalt gar nicht auftaucht, aber bei den Landwirten mit einem dicken Plus zu Buche schlägt, sind die Verschiebung des Abbaus der 150 000-Hektar-Grundflächen in den neuen Ländern, die Verlängerung von Sonderregelungen, die Aufstockung der ersten Prämie für Mastbullen und, Frau Kollegin Höfken, die Ablehnung der Sonderförderung einer extensiven Rindermast; denn dies hätte das Ende der intensiven Rindermast in Deutschland bedeutet.
Bundesminister Jochen Borchert
Man kann nicht wie Sie auf der einen Seite den Verlust von Arbeitsplätzen beklagen, auf der anderen Seite aber sagen, wir hätten uns für die Förderung einer extensiven Mast stark machen und damit die Aufgabe dieses Betriebszweiges für die deutsche Landwirtschaft in Kauf nehmen sollen.
Dazu gehören auch umfangreiche europäische Mittel für flankierende Maßnahmen und Sonderregelungen in Deutschland, etwa im Bereich der Kartoffelstärke und der Produktion von Trockengrünfutter.
Ich denke, dies alles sind einkommenswirksame Verhandlungserfolge der Bundesregierung für die Landwirtschaft. Sie sollten in der politischen Debatte mit auf der Haben-Seite verbucht werden.
Meine Damen und Herren, wir sind uns einig, daß es immer leichter ist, Zuwachs zu verteilen, als notwendige Sparmaßnahmen gezielt umzusetzen. Gerade deshalb möchte ich allen Berichterstattern für das Fingerspitzengefühl bei dieser schwierigen Arbeit und auch für die konstruktive Zusammenarbeit sehr herzlich danken. Wir brauchen diese Zusammenarbeit zum Wohle von Landwirten, Verbrauchern und dem gesamten ländlichen Raum. Ich denke, mit einer intensiven Zusammenarbeit werden wir diese Aufgaben auch für die Zukunft lösen können.
Vielen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 10 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen und der PDS angenommen worden.
Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Ausgleich der Währungsverluste in der Europäischen Union für die deutsche Landwirtschaft, Drucksache 13/4996. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3656 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 13
Bundesministerium für Post und Telekommunikation
- Drucksachen 13/6013, 13/6025 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein
Gerhard Rübenkönig
Jürgen Koppelin
Antje Hermenau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wenn Ruhe eingekehrt ist, die Kollegen, die das wollen, den Saal verlassen und die anderen Platz genommen haben, eröffne ich die Aussprache. - Zunächst hat der Abgeordnete Gerhard Rübenkönig das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Schluß des heutigen Tages wird über den Posthaushalt debattiert. Dies ist für uns alle ein historischer Moment, da das Postministerium Ende 1997 aufgelöst wird und es dann keinen separaten Haushalt mehr für Post und Telekommunikation geben wird.
Aus diesem Grunde möchte ich mich vorab für die insgesamt gute Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Bötsch, und Ihren Mitarbeitern herzlich bedanken. Das heißt aber nicht, daß ich Sie von der Kritik am Bundeshaushalt 1997 ausnehmen kann.
Denn der Einzelplan 13, der Posthaushalt, ist genauso zu betrachten wie der Bundeshaushalt 1997: Er ist mit vielen Risiken behaftet. Das hängt damit zusammen - das betone ich hier noch einmal -, daß diese Bundesregierung unfähig ist, die millionenfache Arbeitslosigkeit mit einer wirksamen Wachstums- und Beschäftigungspolitik zu bekämpfen. So werden Haushaltsrisiken nicht beseitigt.
Die einzige Lösung der Bundesregierung war und ist, das 3-Milliarden-Haushaltsloch über eine globale Minderausgabe in den Einzelhaushalten einzusparen. Hiervon ist auch Ihr Haushalt, Herr Minister Bötsch, mit 7 Millionen DM betroffen, wobei Sie bis heute keine Aussage darüber treffen, bei welchen Titeln Sie diese Summe einsparen wollen.
Zur großen Überraschung der Mitglieder des Haushaltsausschusses haben Sie kurz vor der Bereinigungssitzung eine zusätzliche Einnahme von 1,542 Milliarden DM durch Vergabe von Lizenzen in den Posthaushalt eingestellt. Die Höhe dieser Summe ist äußerst fragwürdig und läßt durchaus den Schluß zu, daß es sich hier - aus welchen Gründen auch immer - möglicherweise doch um finanzpolitische Spielereien handeln könnte.
Nach § 16 und § 48 des Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 entwerfen Sie, Herr Minister, im Einvernehmen mit den Ministern des Innern, der Finanzen, der Justiz und der Wirtschaft eine Lizenz- und Frequenzgebührenverordnung. Diese noch nicht verabschiedete Gebührenordnung nehmen Sie zum Anlaß, haushaltspolitisch von einer Einnahme in Höhe der oben genannten Summe auszugehen.
Erst am 13. November 1996 wird dieser Entwurf im Postausschuß vorgelegt. Die Mitglieder des Postausschusses bezeichneten diese Verordnung als mittelstandsfeindlich und baten darum, darüber auf der
Gerhard Rübenkönig
nächsten Sitzung doch noch einmal zu debattieren. Ich habe meine Zweifel, ob diese Summe so auch im Haushalt eingestellt werden kann, und setze dahinter ein großes Fragezeichen.
In Ihrem Haushaltsentwurf, Herr Minister Bötsch, gehen Sie von Einnahmen in Höhe von rund 1,065 Milliarden DM aus, wobei der größte Teil, nämlich zirka 800 Millionen DM, unter anderem auch als Reserve für die Unterstützungskassen verwendet werden soll. Auf dieses Thema komme ich gleich noch einmal zurück.
Im Berichterstattergespräch konnten wir einvernehmlich die vom Bundesrechnungshof vorgegebenen Reduzierungen vornehmen. Insbesondere die überhöhten Ansätze für Telefongebühren, Porto und Reisekostenvergütungen im In- und Ausland konnten gekürzt werden. Im Vergleich - das merke ich hier kritisch an - mit anderen Ressorts ist dieses jedoch noch sehr hoch angesetzt.
Es konnten somit zirka 7 Millionen DM eingespart werden. Dies zeigt, daß auch in Ihrem Haushalt noch sehr viel Luft vorhanden war.
Da, Herr Minister Bötsch, setzt meine Kritik in der Haushaltsführung Ihres Hauses an: Hier war kein vorsorgender und zielorientierter Einsparungswille zu erkennen, oder die Ansätze beruhten oftmals nicht auf ermittelten Größen.
Positiv zu werten ist, meine Damen und Herren, daß auf Initiative der SPD einvernehmlich beschlossen wurde, daß die Arbeit des Wissenschaftlichen Institutes für Kommunikationsdienste - Abkürzung WIK - auch noch nach 1998 weitergeht. Damit ist die Existenz dieses Instituts gesichert. Wir, die SPD, halten eine wissenschaftliche Beratung der künftigen Regulierungsbehörde für zwingend erforderlich. Außerdem konnten damit Arbeitsplätze langfristig gesichert werden. - So weit, Herr Minister Bötsch, zu den direkten finanzpolitischen Seiten Ihres Haushaltes.
Darüber hinaus gibt es aber noch zwei wichtige Problembereiche, die Ihren Haushalt betreffen: erstens den Kooperationsvertrag zwischen Post und Postbank und zweitens die zukünftige finanzielle Sicherstellung der Unterstützungskassen von Post, Postbank und Telekom.
Zu eins: Der Kooperationsvertrag zwischen der Post AG und der Postbank AG ist zwingend notwendig, um a) die Postbank AG zu privatisieren - denn Sie wissen ja, daß der Finanzminister, Ihr Kollege Waigel, 3,1 Milliarden DM als Einnahmen aus dem Verkauf schon in den Haushalt 1996 eingestellt hatte -
und b) den Infrastrukturauftrag zur Sicherung einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Postdienstleistungen zu erfüllen.
Aber nach dem von Ihnen, Herr Minister Bötsch, vorgestellten Kooperationsvertrag zwischen Post und
Postbank soll in den nächsten Jahren jede zweite posteigene Filiale geschlossen werden. Dieser Kahlschlag führt zu einem drastischen Abbau von Arbeitsplätzen bei der Post und zu einer nachhaltigen Verschlechterung der Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Postdienstleistungen. Eine solche Politik ist mit der SPD nicht zu machen.
Postgewerkschafter und Betriebsräte protestieren bundesweit gegen eine solche Politik. Als Beispiel nenne ich die Region Nord- und Osthessen, aus der ich selber komme. Nach Aussage der Postgewerkschaft liegen hier konkrete Schließungspläne vor. So sollen von 422 eigenbetriebenen Postfilialen 127 ersatzlos geschlossen werden. Das sind Schalter mit bis zu 270 Kunden pro Woche. Weitere 124 Postfilialen mit bis zu 500 Kunden pro Woche sollen in Agenturen umgewandelt oder, falls man keine Agenturnehmer findet, ebenfalls ersatzlos gestrichen werden.
Dieses Beispiel zeigt auch hier wie in allen anderen Haushalten wegen des Verlustes von Arbeitsplätzen deutlich den kontraproduktiven Ansatz Ihres sogenannten Wachstums- und Beschäftigungsprogramms. Herr Minister Bötsch, ich fordere Sie daher auf, schnellstens ein mit allen Beteiligten abgestimmtes Konzept für eine qualitativ hochwertige, flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen vorzulegen.
Zu zwei: Im Berichterstattergespräch und in der Bereinigungssitzung wurde von mir nochmals die Problematik der Unterstützungskassen von Post, Postbank und Telekom angesprochen. Presseberichten zufolge, nach zuverlässigen Berechnungen des Bundesrechnungshofes wie auch nach Erkenntnissen in Ihrem eigenen Hause werden Sie bis 1999 mit einem Defizit von zirka 7 Milliarden DM
und ab dem Jahr 2000 sogar mit mehr als 10 Milliarden DM rechnen müssen.
Laut Gesetzeslage der Postreform II müssen diese Fehlbeträge über die Bundesfinanzen ausgeglichen werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß jährlich 800 Millionen DM von der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation abgeführt werden. So wird dieses Problem nicht gelöst.
Im Berichterstattergespräch und in der Bereinigungssitzung stellten Sie, Herr Minister, Überlegungen zur Deckung der Finanzlücken der Unterstützungskassen an. Sie wollen Verhandlungen mit dem Ziel aufnehmen, die Finanzen der Unterstützungskassen durch neue Vereinbarungen und entsprechende Gesetzesänderungen sicherzustellen. Ich halte es im Interesse der Unterstützungskassen und der von dieser Problematik betroffenen Menschen für unbedingt erforderlich, daß hier umgehend eine entsprechende Vereinbarung getroffen wird.
Gerhard Rübenkönig
Herr Minister Bötsch, sowohl das Thema Kooperationsvertrag als auch die Problematik der finanziellen Sicherstellung der Unterstützungskassen sind ureigene, von Ihnen zu lösende Aufgaben. Ich fordere Sie daher auf, diese Aufgaben schnellstens zu erledigen und die entsprechenden Verträge und Vereinbarungen mit den beteiligten Unternehmen zu erarbeiten und abzuschließen. Denn eines kann ich Ihnen jetzt schon versichern: Ohne diese vorgenannten Probleme gelöst zu haben, können Sie sich als Postminister nicht so ohne weiteres verabschieden.
Zum Schluß stelle ich fest: Ihr Haushalt ist mit erheblichen Haushaltsrisiken behaftet und somit unsolide und unglaubwürdig. Der von Ihnen vorgelegte Kooperationsvertrag ist so nicht zu akzeptieren, weil er die Aufgaben des Infrastrukturauftrages nicht erfüllt. Die Unterstützungskassen sind auf Dauer nicht in der Lage, die Zahlungen an die Betroffenen zu leisten.
Aus diesem Grunde, Herr Minister Bötsch, lehnen wir Ihren Haushalt 1997 ab.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Freiherr von Hammerstein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst, glaube ich, muß ich auf Herrn Gerd Rübenkönig, aber auch auf meinen Freund Arne Börnsen antworten.
Mir liegt ein Zeitungsbericht vor, in dem steht: jetzt schon Makulatur. Ihr beide geht nämlich davon aus, daß die Annahme zusätzlicher Einnahmen in Höhe von 1,56 Milliarden DM Makulatur ist. Lieber Herr Börnsen, Sie wissen doch inzwischen genau, wo es auf dieser Welt Regulierungsbehörden gibt und wo es die Möglichkeit gibt, Lizenzgebühren zu erheben. Lizenzgebühren in vergleichbarer Höhe hat unser Postminister in den neuen Haushalt eingestellt. Wir werden uns im November 1997 noch einmal darüber unterhalten. Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß diese Summe dann auch in dem dem Bundestag vorliegenden Haushalt zu finden sein wird.
- Nein, es wird kein Defizit geben. Wir brauchen dieses Geld, um den Gesamthaushalt so zu verabschieden. Denn wir als CDU/CSU und F.D.P. können stolz
darauf sein, daß es uns gelingt, die Neuverschuldung des Haushalts auf 53,3 Milliarden DM zu reduzieren.
Es ist zuviel; das weiß auch ich. Aber schauen Sie sich einmal die Haushalte der Kommunen und der Bundesländer an.
Ein zweiter Bereich, Herr Rübenkönig. Sie sprachen davon, daß wir überall kürzen sollen, haben aber zur gleichen Zeit gesagt: Die Postagenturen, die der Minister jetzt einführt, und die Serviceleistungen, wie sie jetzt angeboten werden, seien falsch, weil Arbeitsplätze abgeschafft werden. Wenn es in irgendeinem Ort pro Woche nur noch 270 Postvorgänge gibt,
ist eine Poststation in diesem Ort nicht mehr zu vertreten.
Ich kann nur feststellen, lieber Herr Rübenkönig: Überall dort, wo inzwischen Postdienstleistungen in irgendeinem Edeka-Laden oder wo auch immer angeboten werden, funktioniert es hervorragend; die Bürger sind damit einverstanden. Deswegen, glaube ich, sind wir genau auf dem richtigen Weg, wenn wir dieses so umsetzen, wie es auch andere Länder auf dieser Welt machen. Das muß man klar und deutlich sagen.
Ich sitze nun lange im Haushaltsausschuß, aber was in diesem Jahr in der 25. Etage des Abgeordnetenhochhauses los war, habe ich noch nicht erlebt. Es war der reinste Ameisenhaufen; Leute von zehn großen Fernsehanstalten
tobten dort herum - als ob sie nicht selber auch Mittel einsparen müßten - und verstopften Wege und Fluchtwege,
so daß auch die Politiker keine Chance hatten, da herauszukommen.
Allerdings bin ich ein wenig von der SPD enttäuscht. Ich nenne auch Namen: Lafontaine, Scharping und den lieben Kollegen Karl Diller, der nun mit aller Vehemenz versuchen will, eine Verfassungsklage anzustrengen, da er der Meinung ist, daß dieser Haushalt nicht verfassungskonform sei.
Ich kann dem Karl Diller nur sagen, daß er auch damit falschliegt. Er sollte sich einmal an die Äußerun-
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
gen des Oppositionsführers im Unterhaus Großbritanniens, Tony Blair, erinnern.
Der, lieber Karl Diller, hat gesagt: Man muß sich entscheiden, ob man den Sozialstaat reformieren oder den Niedergang der Volkswirtschaft verwalten will.
- Ich kann hier nur feststellen, daß ihr anscheinend dieses Ansinnen habt.
Herr Bury, ich denke nur an euren gestrigen Parteitag der Jugend, auf dem ihr wieder zum Ausdruck gebracht habt, daß ihr die Wirtschaft mit Brachialgewalt zu knebeln versucht, indem freiwerdende oder freistehende Lehrplätze mit Gebühren belegt werden sollen.
- So ist es! Das wollt ihr!
Deswegen ist es meines Erachtens wichtig, daß wir den Einzelplan in Zukunft so behandeln, wie wir es im Augenblick machen.
- Lieber Karl Diller, Sie haben heute morgen Zeit genug gehabt, um Vorschläge zu machen. Leider haben wir überhaupt keine von Ihnen bekommen. Ich dachte zumindest, daß da von dem Sprecher der SPD-Haushaltsgruppe etwas kommen würde.
Ich bin froh darüber, daß es uns einvernehmlich gelungen ist - das hat der Berichterstatter Gerhard Rübenkönig gesagt -, den Einzelplan so hinzubekommen, daß die Kürzungen auch im Personalbereich im Einverständnis mit dem Ministerium vorgenommen worden sind. Ich darf mich ganz herzlich beim Minister, dem Staatssekretär und allen Mitarbeitern dieses Hauses dafür bedanken, daß das gelungen ist.
Man muß klar und deutlich sagen, daß zum erstenmal nach dem Kriege ein Ministerium gänzlich aufgelöst werden wird. Ich hoffe nur, daß es den dann verantwortlichen Häusern - das sind das Post- und das Wirtschaftsministerium - gelingt, die dann zu gründende Regulierungbehörde so aufzubauen, daß sie funktionsfähig ist.
- Du weißt schon, welches aufgelöst wird. Du weißt auch, welcher Einzelplan hier beraten wird. Karl Diller, du wirst mich hier nicht aus der Fassung bringen. Das wird dir jetzt nicht gelingen und auch in den nächsten zehn Jahren nicht.
Es ist uns also eine ganze Reihe von Dingen gelungen. Ich freue mich, daß die Einnahmen dieses Einzelplans das Siebenfache der Ausgaben ausmachen.
Sicherlich, Herr Rübenkönig, haben Sie recht, daß wir im Bereich der Pensionsansprüche noch große Anstrengungen machen müssen, die wir gemeinsam zu unternehmen haben. Es hat keinen Zweck, daß man auf jemandem herumhaut. Ich gehe davon aus, daß das nur gemeinsam lösbar ist.
Nach den vielen positiven Äußerungen kann ich nur feststellen, daß wir diesem Einzelplan zustimmen, Herr Minister.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manuel Kiper.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hammerstein, ich hatte eben den Eindruck, daß Ihre Konzeptionslosigkeit in der Haushaltspolitik und auch in der Postpolitik selbst dem Herrn Bundespostminister ein bißchen zu weit geht, der - das ist hier das eigentliche Thema - die Weichen in der letzten Zeit offensichtlich nicht in die richtige Richtung stellt, sondern sie eher ein bißchen verbiegt.
Herr Minister, Sie haben die Privatisierung von Post und Telekommunikation über die Bühne gebracht. Wir beraten hier ja wahrscheinlich das letzte Mal über einen Posthaushalt. Ihr eigenes Privatisieren haben Sie bereits eingefädelt. Bedauerlicherweise ist das, was Sie hinterlassen, aber nicht das, was wünschenswert gewesen wäre.
Ich möchte zunächst etwas zu dem Kooperationsvertrag sagen, der nun unter Dach und Fach ist. Der Abschluß dieses langfristigen Kooperationsvertrages war längst überfällig. Die Konditionen des Vertrags gehen eher zu Lasten der Post AG; das ist ziemlich klar. Die Postbank spricht von einem für sie akzeptablen Ergebnis.
Dr. Manuel Kiper
Es kommt sicher nicht von ungefähr, daß die Post AG nur unter Vorbehalt unterschrieben hat. Ich kann Ihnen, Herr Minister, nur wünschen, daß Sie sich im Kabinett gegen die F.D.P. durchsetzen, daß die Post AG tatsächlich 25 Prozent des Aktienkapitals bekommen wird. Das ist der Vorbehalt.
Sinnvollerweise hätten natürlich 25 Prozent des Aktienkapitals plus eine Aktie bei der Post AG landen müssen, um den Infrastrukturauftrag der Post AG besser abzusichern.
Der Bundespostminister sowie die CDU-SPD-
Mehrheit im Postregulierungsrat haben die Post AG gemeinsam zur Unterschrift unter diesen Kooperationsvertrag getrieben und gleichzeitig auch gelockt; denn die Post - das ist in Aussicht gestellt worden - darf sich durch Erhöhung der Porti in den nächsten Monaten an den Kunden schadlos halten.
Herr Minister, Ihre Postpolitik trägt damit ein Markenzeichen, nämlich: weniger Service, weitere Wege, höhere Gebühren. Ich meine: ein schlechter Abgang.
Meine Damen und Herren, der Kooperationsvertrag ist ein wichtiger, aber ungenügender Beitrag zur Absicherung des Postfilialnetzes. Die Post AG müßte auf ein modernes Dienstleistungsnetz für das 21. Jahrhundert setzen.
Wir kennen inzwischen das von der Deutschen Post AG vorgeschlagene Filialkonzept. Bis zum Jahr 2000 - das ist derzeit vorgesehen - sollen nur noch 6 000 eigenbetriebene Filialen - das ist die Mindestzahl - übrigbleiben. Längerfristig sollen möglicherweise sogar nur noch 5 000 Filialen aufrechterhalten werden. Wir kennen die Zahlen aus den 80er Jahren. Anfang der 80er Jahre waren es noch über 26 000 Filialen. Das heißt, die Ausdünnung beträgt 1: 5.
Für diese Ausdünnung spricht in der Tat, Kollege Hammerstein, eine isolierte Wirtschaftlichkeitsrechnung der Post AG. Vernichtet werden dabei allerdings 20 000 Arbeitsplätze. Der Verkehr nimmt zu und die Wege werden weiter, um eine funktionstüchtige Postfiliale mit ihren Dienstleistungen zu erreichen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, beschworen wird die Dienstleistungsgesellschaft. Die Zahl der Dienstleistungen nimmt aber ab. Die Post hätte ihr einzigartiges Filialnetz für den Aufbau von Bürgerservicebüros in der Fläche nutzen müssen. Wir haben einen Antrag hierzu in den Bundestag eingebracht. Bedauerlicherweise scheint es für ein solches Konzept schon fast zu spät zu sein.
Kollege Hammerstein und auch Kollege Rübenkönig sind auf den Verkauf der Lizenzen eingegangen. Zum Stopfen seiner Haushaltslöcher hat der Finanzminister die Lizenz- und Frequenzgebühren saftig in die Höhe getrieben. Waigel will im Posthaushalt auf diese Art und Weise insgesamt 1,8 Milliarden DM einnehmen.
Ich möchte erinnern, daß es in der Begründung zum Telekommunikationsgesetz noch hieß:
Die Sorge, daß über die Schätzung des wirtschaftlichen Wertes eine so hohe Lizenzgebühr erhoben werden könnte, daß darin faktisch eine Marktzutrittschance für potentielle Lizenznehmer geschaffen werden könnte, ist von daher unbegründet.
Wir müssen heute feststellen, daß der Finanzminister und die Haushälter der Koalition dieses Telekommunikationsgesetz in seiner Zielsetzung, Wettbewerb zu schaffen, ad absurdum führen. Die Großunternehmen, die Töchter der Energieversorger, können sich Lizenzgebühren in Höhe von 40 Millionen DM durchaus leisten; für sie sind das Peanuts. Für innovative Dienstleister sowie kleine und mittlere Unternehmen wird damit allerdings eine Marktzugangsbarriere geschaffen.
Herr Minister, aus unserer Sicht ist es zwar richtig, Lizenzgebühren zu nehmen. In der Tat muß man nicht davon ausgehen, daß Frequenzen ein freies Gut sind. Aber die Gebühren müssen gerecht sein. Sie haben die Kommunen um ihren gerechten Anteil am Gebührenkuchen betrogen.
Zum WIK nur eine Bemerkung: Der Haushaltsausschuß war der Auffassung, daß dieses Wissenschaftliche Institut für Kommunikationstechnik unbedingt gebraucht wird, um die zukünftige Regulierungsbehörde zu beraten. Ich freue mich, daß dessen Streichung weggefallen ist.
Noch eine Bemerkung zu dem Run auf die T-Aktie. Es wird sich erst noch zeigen müssen, ob mit dieser Emission dem Börsenplatz Deutschland langfristig wirklich großer Nutzen beschert wurde.
Ich möchte bezweifeln, daß die Aktienemission auf Dauer dazu beitragen wird, in Deutschland ein besseres Klima für Aktienemissionen von jungen Technologieunternehmen zu schaffen.
- Nein, ich habe das seinlassen.
Wir brauchen moderne Post- und Telekommunikationsdienstleistungen. Herr Minister, die Modernisierung mit der Brechstange der Privatisierung ist Ihnen zwar geglückt. Aus dem Blick geraten ist Ihnen aber der Auftrag flächendeckender und ausreichender Dienstleistungen. Sie hätten die anstehende Erhöhung der Briefporti überflüssig machen müssen. Sie, Herr Minister, haben nicht verhindert, daß der Finanzminister die Steuergeschenke an die F.D.P.
Dr. Manuel Kiper
durch die Hintertüre der Portoerhöhungen letztlich wieder hereinholen wird.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über die Portoerhöhung, die vielleicht ansteht, wird erst am Montag entschieden. Dann können wir uns mit diesem Thema befassen.
Obwohl wir heute zum letzten Mal einen Haushalt des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation diskutieren, gibt es doch noch sehr viel Bewegung in diesem Politikbereich.
Im Sektor Telekommunikation hat der Bundestag seine Hausaufgaben mit der Verabschiedung des TKG erledigt. Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes ist eine außerordentlich wichtige Maßnahme für den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit für Wachstum und Arbeitsplätze.
Der erfolgreiche Börsengang der Telekom beruht nach meiner Überzeugung nicht nur auf einer geschickten Werbestrategie, sondern spiegelt auch die Erwartung sowohl der institutionellen wie auch der privaten Anleger wider, daß es sich bei der Telekommunikation um einen zukunftsträchtigen Wirtschaftszweig handelt.
Unsere Zielsetzung besteht. aber nicht etwa in einer besonderen Förderung eines Monopolisten, sondern darin, daß sich unter den neuen gesetzlichen Bedingungen Wettbewerb im gesamten Telekommunikationsmarkt entwickelt. Das nützt den Verbrauchern.
Daher erwartet die F.D.P.-Fraktion vom Wirtschaftsministerium den baldigen und zügigen Aufbau der Regulierungsbehörde. Erfahrungen aus dem Ausland, etwa aus Schweden, zeigen, welch entscheidende Funktion der Regulierungsbehörde bei der Entwicklung des Wettbewerbs zukommt. Gesetzliche Rahmenbedingungen alleine reichen nach diesen Erfahrungen nämlich nicht aus, wenn sich der Regulierer anschließend noch zu sehr dem Monopolisten verpflichtet weiß. Allerdings sind in Deutschland potente Wettbewerber in den Startlöchern, so daß wir der Entwicklung eines echten Marktes mit Zuversicht entgegensehen können.
Streit besteht dagegen noch darüber, wie rasch wir die Liberalisierung im Bereich der gelben Post vorantreiben sollen. Es ist kein Geheimnis, daß die F.D.P.-Fraktion den Referentenentwurf für ein neues Postgesetz noch für diskussionsbedürftig hält.
Uns erscheint insbesondere die Frist für die Beibehaltung des geschützten Bereichs im Briefdienst bis zum Jahr 2002 als zu lang. Wir meinen, daß die Deutsche Post AG in der Lage ist, sich dem Wettbewerb auch hier schon früher zu stellen, und lassen uns dabei von unserer Grundüberzeugung leiten, daß der Wettbewerbsdruck nicht nur den Verbrauchern, sondern letztlich auch den betroffenen Unternehmen nützt.
Zu Recht verweist die Deutsche Post AG immer wieder auf das Spannungsfeld, in dem sie agieren muß. Sie kann ihre Entscheidungen nicht rein betriebswirtschaftlich ausrichten, sondern ist zugleich dem Infrastrukturauftrag verpflichtet, woran auch nicht gerüttelt werden darf.
Ob alle politischen Vorgaben, die der Post AG gemacht werden, klug sind, darf füglich bezweifelt werden. So spielt beispielsweise in jeder Postdebatte in diesem Hause die Frage nach dem Umfang das Filialnetzes eine große Rolle. Die Bürger fordern eine umfassende Präsenz der Post AG auch in der Fläche. Das ist verständlich, verursacht aber enorme Kosten.
Trotz hoher Aufwendungen sind die Kunden offenbar mit dem herkömmlichen Filialnetz nicht zufrieden, insbesondere nicht mit den Öffnungszeiten. Auf der anderen Seite ist es mittlerweile eine allgemeine Erfahrung, daß die Postagenturen wesentlich besser angenommen werden. Daher ist es aus meiner Sicht nicht recht logisch, sich ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, wie groß die Zahl der posteigenen Filialen sein muß. Entscheidend ist doch ein umfassendes Angebot an Postdienstleistungen auch in der Fläche, uninteressant ist für den Bürger dagegen die Betriebsform.
Wiederum erweitert ein Blick über die Landesgrenze den Horizont. In England gibt es gar keine politische Vorgabe über den Umfang der posteigenen Filialen, dennoch - man höre und staune - existiert dort das dichteste Postfilialnetz in ganz Europa. Dieses Beispiel sollte man vielleicht einmal näher untersuchen und überlegen, ob sich daraus nicht Konsequenzen für unsere Postpolitik ergeben müßten.
Nach allgemeiner Ansicht ist für die Präsenz der Post in der Fläche die Kooperation zwischen Postbank und Post AG von größter Bedeutung. Der vor kurzem abgeschlossene Grundlagenvertrag zwischen diesen beiden Unternehmen wird von der F.D.P. als solide Basis für eine dauerhafte Zusammenarbeit begrüßt.
Klar ist nach unserer Auffassung jedoch, daß die Absprachen zur Beteiligung der Post AG an der Postbank nicht Bestandteil des jetzt gefundenen Kompromisses sind. Vielmehr sind die im Sommer dieses Jahres hierzu getroffenen Vereinbarungen der Koalition weiterhin gültig.
Meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit zwischen Post AG und Postbank sowie die Vorlage eines Filialkonzeptes sind zwei Voraussetzungen, die im Regulierungsrat bei der Frage der Genehmigung der Portoerhöhung eine Rolle gespielt haben.
Zweifel sind aus der Sicht der F.D.P. aber noch bei einem dritten Punkt anzumelden. Wir fordern ein
Dr. Max Stadler
überzeugendes Konzept der Post AG für den Frachtbereich. Dazu gehört zum Beispiel die Erörterung der Frage, wie die offensichtlich überdimensionierten Frachtzentren gemeinsam mit Privatunternehmen genutzt werden könnten. Die Planung der Post AG, bei der Frachtpost bundesweit 300 Zustellbezirke an private Transportunternehmen zu vergeben, ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung.
Dennoch kann wegen der Probleme im Frachtbereich und wegen der augenscheinlichen Gefahr einer Quersubventionierung von der F.D.P. - jedenfalls in der heutigen Debatte - eine Zustimmung zu den Portoerhöhungen nicht zugesagt werden.
Meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, daß diese wie auch die anderen skizzierten Fragen gemeinsam einer Lösung zugeführt werden, so daß die Post- und Telekommunikationspolitik insgesamt den richtigen Weg einschlägt, nämlich Rahmenbedingungen für ein optimales Angebot an Post- und Telekommunikationsdienstleistungen für die Wirtschaft und Privatkunden zu schaffen. Daher stimmen wir dem Einzelplan 13 zu.
Das Wort hat jetzt der Kollege Gerhard Jüttemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird Sie nicht überraschen, daß die Gruppe der PDS dem Einzelplan 13 nicht zustimmen wird. Die Gründe dafür kennen Sie: Es handelt sich um einen reinen Resthaushalt, der nur noch die verbleibenden staatlichen Behörden betrifft, auf die Ausgestaltung und Möglichkeiten von Post und Telekommunikation in diesem Lande jedoch keinen Einfluß mehr haben wird.
Das ist um so bedauerlicher, als das allgemeine soziale Chaos, das Sie mit Privatisierung und Liberalisierung angerichtet haben, staatlichen Einfluß heute bitter nötig machen würde, allerdings in die entgegengesetzte als die von Ihnen bevorzugte Richtung.
Sie werden diesem Argument den Erfolg der Telekom bei der Börseneinführung ihrer Aktien gegenüberstellen. Darauf antworte ich Ihnen:
Erstens. Warten wir doch erst einmal ab, wie es um die Dauerhaftigkeit dieses Erfolgs bestellt sein wird! Immerhin ist die Aktie schon am zweiten Tag abgerutscht. Zu den Milliardenschulden, zu der sich auf 1998 vorbereitenden Konkurrenz und zu den anderen Risiken des Wirtschaftsunternehmens Telekom hat „Liebling Kreuzberg" sich bei seinen abendlichen Besuchen in den Wohnzimmern der Republik vornehm ausgeschwiegen.
Zweitens. Eine Voraussetzung dafür, daß Herr Sommer auf einen Schlag 20 Milliarden DM einsammeln konnte, ist eben das soziale Chaos, das Sie mit ihm zusammen angerichtet haben und weiter anrichten. Da sind die Gebührenerhöhungen vom Anfang dieses Jahres, die besonders die ohnehin sozial Schwachen unerträglich stark belasten, die aber dennoch niemand für korrekturbedürftig zu halten scheint.
Da ist der planmäßige Abbau von 60 000 Arbeitsplätzen in einem einzigen Unternehmen; eine im übrigen weit untertriebene Zahl, denn in Wirklichkeit werden es mindestens 90 000 vernichtete Arbeitsplätze sein.
Dies alles geschieht in einer Zeit, in der Ihr Haushalt hinten und vorne nicht mehr stimmt, eben weil Sie unentwegt damit beschäftigt sind, die Voraussetzungen für den Kahlschlag von Arbeitsplätzen zu schaffen. Öffentlich erklären Sie derweil, Sie wollten die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 halbieren. Halten Sie eigentlich die Adressaten solcher Erklärungen alle für blind und taub?
Lassen Sie uns auch über die Deutsche Post AG reden. Die haben Sie nun so lange reformiert, daß ein beträchtlicher Teil von ihr bereits verschwunden ist: 70 000 Arbeitsplätze zum Beispiel und mehr als die Hälfte aller ursprünglich existierenden Postfilialen. Gestern haben Sie die Trennung von Post und Postbank als Reform bezeichnet, heute reformieren Sie sie wieder zusammen, freilich wieder unter Bedingungen, die erneut mindestens 23 000 Arbeitsplätze kosten werden.
Außerdem werden, wie dem jüngst vorgelegten Filialkonzept der Deutschen Post AG zu entnehmen ist, bis zum Jahr 2000 von den verbliebenen 12 800 eigenbetriebenen Postfilialen weitere 8 000 verschwinden. Am Ende werden wir dann eine Menge Postagenturen, die neben Wurst und Käse auch Briefmarken verkaufen, und einige wenige posteigene Filialen haben, die neben Briefmarken vor allem Wurst und Käse verkaufen. Das Rückgrat der Infrastruktur der Post AG, das ihre eigenen Filialen heute noch bilden, wird jedenfalls gebrochen sein.
Ob die Einnahmen aus dem verbliebenen Fastfood-Geschäft ab dem Jahr 2003 dann auch noch reichen werden, einen einigermaßen akzeptablen Universaldienst anzubieten, darf eher bezweifelt werden.
Wo das Geld sonst herkommen soll, bleibt jedoch ein Rätsel, denn einen reservierten Dienst, wie ihn die Europäische Union vorsieht, soll es laut Ihrem Postgesetzentwurf nicht geben. Das Ergebnis können nur weitere Filialschließungen und ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen sein, bis die Deutsche Post nicht mehr wiederzuerkennen sein wird.
Übrigens ist in diesem Zusammenhang mehr als makaber, daß sich der Vorstand der Post AG angesichts des Massenarbeitsplatzabbaus, des Filialsterbens und der geplanten Portoerhöhungen und angesichts eines beispiellosen Sozialabbaus im ganzen Lande eine Erhöhung der eigenen Bezüge um sage und schreibe 63 Prozent bewilligt hat.
Vor 14 Tagen habe ich mich in einer Gesprächsrunde
mit Postchef Zumwinkel und Abgeordneten des Wirt-
Gerhard Jüttemann
schaftsausschusses noch darüber gewundert, daß sich Herr Zumwinkel zukünftig an den portugiesischen Löhnen orientieren wollte. Seinen Vorstand scheint er damit jedenfalls nicht gemeint zu haben.
Franz von Taxis ist vor knapp 500 Jahren für seine Verdienste als Gründer der Post mit dem rittermäßigen Reichsadel geehrt worden.
Welchen Orden werden Sie sich für deren Zerschlagung anheften?
Ich danke.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Elmar Müller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen!
Wichtigste Voraussetzung des erfolgreichen Börsengangs der Telekom ist, glaube ich, auch das Telekommunikationsgesetz. Wir danken vor allem dem Minister, daß dieses Gesetz und die wichtigen Rechtsverordnungen so zügig vorgelegt wurden. Ich glaube, daß dies dazu geführt hat, daß wir diesen erfolgreichen Börsengang erleben durften und sicherlich auch in Zukunft eine erfolgreiche Telekom-Aktie erleben werden.
Mein Dank gilt gleichfalls den Kollegen im Haushaltsausschuß, hier vor allem dem Kollegen Hammerstein, für die zügige Umsetzung der Beschlüsse, die wir im Postausschuß gefaßt haben. Das war der kw-Vermerk für das WIK, das wir für außerordentlich wichtig halten. Ich danke den Kollegen auch dafür, daß sie diesen Haushalt in eine Form gebracht haben, die dem Hause im letzten Jahr seines Bestehens ein gutes Arbeiten ermöglicht.
Das schwedische Beispiel belegt eindrucksvoll, daß die Freigabe der Märkte nicht mit einem Wettbewerb auf den Märkten der Post und der Telekommunikation gleichzusetzen ist. Ohne einen mächtigen Regulierer, der vor allem ex ante wichtige Wettbewerbsentscheidungen trifft, ist ein Wettbewerb auf diesen Märkten nicht möglich. Deshalb ist es gut, daß in der vergangenen Woche die Kollegen in Schweden waren.
Sie haben dort erlebt, daß Schweden derzeit die gleichen Erfahrungen macht wie zehn Jahre zuvor die Engländer, die in der gleichen Weise eine Regulierung vorgenommen haben, deren Schwächen wir nun erkannt haben. Deshalb haben wir ein wesentlich sinnvolleres Regulierungsgesetz - als solches wird es sich erweisen - gemacht.
Klares Ziel ist es, Wettbewerb im Bereich der Kommunikation zu schaffen. Nicht nur Wettbewerb zuzulassen, sondern Wettbewerb zu schaffen ist die Aufgabe der Regulierungsbehörde. Ich denke, das, was wir an Gesetzen geschaffen haben, hat der Plazierung der Telekom-Aktien nicht geschadet. Im Gegenteil: Die Anleger haben gemerkt, daß diese Gesetze dazu beitragen, daß wir eine schnelle Produktionssteigerung auf diesen Märkten haben werden, daß die Liberalisierung eine wichtige Voraussetzung ist, um dem zukünftigen Marktführer auch das Arbeiten auf dem amerikanischen Markt zu ermöglichen. Das gleiche gilt - das wissen Sie - für das gemeinsame Projekt Atlas mit der France Télécom.
Für die Wettbewerber war es sicherlich ein wichtiges Signal, daß die zukünftige Regulierungsbehörde für sie ein verläßlicher Partner sein wird, wenngleich ich auch sage, daß das Angebot der Wettbewerber, gemeinsam diese Regulierungsbehörde zu schaffen, sicherlich seinen Reiz hat. Aber ich glaube, es macht wenig Sinn, daß wir die, die von dieser Regulierungsbehörde künftig Entscheidungen erwarten, schon vorweg beteiligen.
Das gilt auch meinem verehrten Kollegen Stadler von der F.D.P. Nicht der Wirtschaftsminister wird diese Regulierungsbehörde errichten, sondern der Minister, der in dieser Sache Kompetenz hat, nämlich der Postminister, wird für den Aufbau dieser Regulierungsbehörde Verantwortung tragen.
Die Telekom hat nicht nur die Erwartungen, daß sie die Verhandlungen mit den Wettbewerbern unverzüglich konkretisiert, zu erfüllen. Wir erwarten, daß durch die Telekom in gemeinsamen Gesprächen alle wesentlichen Elemente des Netzzuganges und der Zusammenschaltung geklärt werden. Das muß bis zum 1. Juli des nächsten Jahres geregelt werden. Hier müssen wir vorankommen. Wir müssen der Telekom ständig auf den Fersen bleiben.
An die Wettbewerber der Telekom richte ich die Erwartung und den Wunsch, daß man weniger Energie in Auseinandersetzungen in Brüssel und vor Gerichten legt, sondern daß die Wettbewerber nun ihre zugesagten Investitionen tätigen und daß sie möglicherweise auch mit ihren Klagen aufhören. Ich habe das Gefühl, daß die Wettbewerber weniger durch die Politik gehindert sind, sondern daß sie selbst die Suche nach möglichen Partnern, Strategien und vor allem nach Märkten noch nicht abgeschlossen haben.
Ein paar Sätze zum Postgesetz. Dies ist die letzte große Aufgabe, die wir im Postausschuß zu erfüllen haben. Es wird eine schwierige Auseinandersetzung auch mit den Ländern geben; das weiß ich. Wir werden diesen Markt im übrigen nur stufenweise öffnen können. Er unterscheidet sich vom Telekommunikationsmarkt dadurch, daß er nicht durch eine dynamische Entwicklung gekennzeichnet ist, sondern hier wird es zu einem Verdrängungswettbewerb kommen. Deshalb darf vor allem nicht, wie es einige erwarten, das Telekommunikationsgesetz im Maßstab 1 : 1 in das Postgesetz umgesetzt werden. Das wäre
Elmar Müller
völlig falsch. Wir brauchen hier ein originäres, ein ganz anderes Gesetz.
Dieses Gesetz muß im übrigen auch dazu beitragen, daß wir Probleme auf dem deutschen Markt wie etwa das Remailing lösen können, die, wie wir in Brüssel bei Herrn van Miert gehört haben, mit dem europäischen Wettbewerb nicht übereinstimmen. Deshalb muß hier etwas geschehen. Wir legen Wert darauf.
Einige Bemerkungen zur Festlegung des Filialnetzes: Die Post kommt ihrem Infrastrukturauftrag voll nach. Insbesondere der SPD darf ich in diesem Zusammenhang sagen: Für das Filialnetz gelten die Vorgaben der Entscheidung des Bundestages aus dem Jahre 1981. Im Jahre 1981 waren, wenn ich das recht weiß, Sie an der Regierung. Das, was nun in den vergangenen Tagen geschehen ist - die SPD hat sich in diesen Tagen noch einmal geäußert -, stimmt exakt mit dem überein, Herr Kollege Bury, was seit der Regierung der SPD und der Entschließung 1981 in zehn, zwölf, vierzehn Jahren umgesetzt worden ist. Da kann ich nur sagen: Die SPD hatte im Jahre 1981 offensichtlich wesentlich mehr Wirtschaftsverstand als heute. Das wurde in dem deutlich, was Sie heute kritisiert haben.
Das ist im Grunde genommen schade für diesen Markt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Poststelle im Dorf muß bleiben, aber sie darf nicht überall dort erkämpft werden, wo der Bedarf weniger als fünf Stunden in der Woche ausmacht. Ich staune, daß die SPD sich inzwischen verkämpft: Sie macht sich regelrecht lächerlich dadurch, daß sie weniger um die Versorgung der Menschen im Land mit Wurst und Brot kämpft, sondern ganz offensichtlich um Briefmarken und Sonderstempel. Ich glaube, das hat der Kollege Stadler zu Recht vorgetragen. Das Konzept der Postagenturen ist nämlich ein vernünftiges Konzept.
Insofern hoffe ich, daß wir bei diesem Postgesetz und bei dem, was wir am Montag im Regulierungsrat zu verabschieden haben, vernünftig entscheiden und daß die Propaganda, die die SPD derzeit schon wieder anlaufen läßt, dem Bürger nicht das Gefühl gibt, es gehe um die notwendige Versorgung. Der Postkunde zahlt die Zeche, die Sie fordern.
Wir sind der Meinung, daß wir auch dieses große Unternehmen in einen Wettbewerb führen müssen, der ihm erlaubt, auch weit über das Jahr 2000 hinaus zu bestehen.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans Martin Bury.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Haushaltsberatung ist nicht nur die letzte, sondern auch das Letzte.
- Herr Kollege Hammerstein, ich meinte jetzt nicht ausschließlich Ihre Rede.
Weil Finanzminister Theo Waigel seine Haushaltslöcher nicht mehr zu stopfen wußte, hilft ihm sein Freund Bötsch mal eben mit kurzfristig eingestellten 1,5 Milliarden DM aus der Patsche.
Soviel will der BMPT im nächsten Jahr zusätzlich an Lizenzgebühren im Telekommunikationssektor einnehmen.
Zur Erinnerung, Herr Kollege Hammerstein: Als die Kommunen - wohl nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern auch angesichts der angespannten Finanzlage nach jahrelanger Ausplünderung durch den Bund -
ein Wegegeld in Höhe von 800 Millionen DM forderten, wurde diese Forderung von der Koalition zurückgewiesen. Die bemerkenswerte Begründung damals: Die Marktöffnung bei Übertragungswegen und Telekommunikationsdienstleistungen solle nicht nur zu höherer Qualität, sondern auch zu sinkenden Preisen führen.
Doch angesichts der schwarzen Haushaltslöcher sind dieser Koalition Bürger und Verbraucher bekanntermaßen egal.
Nun wird die interessante Erklärung nachgeschoben, der Bund dürfe knappe Ressourcen schließlich nicht einfach verschenken. Okay - aber dann müßten die Lizenzgebühren insbesondere dort ansetzen, wo wirklich Knappheit herrscht. Sie müßten zudem so differenziert werden, daß der Marktzutritt für junge Unternehmen nicht be- oder sogar verhindert wird. Der Postausschuß hat hier übereinstimmend um entsprechende Korrekturen gebeten.
Insofern ist der Haushaltsansatz für 1997 höchst fragwürdig. Selbst wenn man ihn aufrechterhält, darf das Geld nicht für Waigels Kunststopferei, sondern muß im Sinne des Telekommunikationsgesetzes ver-
Hans Martin Bury
wandt werden, das ausdrücklich die Förderung von Telekommunikationsdiensten bei öffentlichen Einrichtungen als Regulierungsziel vorschreibt. Nur wenn diese Vorgabe beachtet wird, kann die erhöhte Lizenzgebühr zum Marktöffner werden, statt als Marktzutrittsbarriere zu wirken. Nur wenn wir mit den zusätzlichen Einnahmen die Anwendung und Entwicklung innovativer Dienste in Deutschland vorantreiben, bekommt die Gebührenerhöhung der Koalition einen Sinn.
Doch das öffentliche Angebot mit modernen Telekommunikationsdienstleistungen ist dieser Regierung so unwichtig wie die flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kiper?
Aber gerne.
Herr Kollege Bury, würden Sie mir zustimmen, daß die gleiche Argumentation, die Sie uns jetzt hier vortragen, nämlich daß Sie den Lizenzerhöhungen durchaus Sinn abgewinnen könnten, wenn die Gebühren dafür benutzt würden, öffentliche Einrichtungen mit Telekommunikationsdienstleistungen zu versorgen, noch vor einem halben Jahr, bei der Verabschiedung des Telekommunikationsgesetzes, von Ihnen nicht vertreten wurde? Damals haben Sie sich immer geweigert, dafür einzutreten, daß die Kommunen genau für diese Zwecke Lizenzgebühren für die Bereitstellung von Grund und Boden bekommen sollten.
Herr Kollege Kiper, wir haben im Gegensatz zu den Grünen nicht die Erhöhung der Gebühren in diesem Bereich um diesen exorbitanten Betrag gefordert. Die Koalition ist aber den Vorstellungen der Grünen gefolgt. Aus schierer Haushaltsnot hat sie 1,5 Milliarden DM zusätzliche Einnahmen eingestellt. Wir sagen: Wenn sie dies mit ihrer Mehrheit durchsetzt, darf dieses Geld nicht zum Stopfen der Haushaltslöcher, sondern muß wirklich im Sinne der Regulierungsziele des Telekommunikationsgesetzes, also zur Förderung von Telekommunikationsdienstleistungen bei öffentlichen Einrichtungen, verwandt werden.
Wenn das Sprichwort stimmte, daß Lügen kurze Beine haben, würden wir den Bundespostminister hinter diesem Rednerpult gar nicht mehr sehen.
Von seinem Versprechen, eine mindestens fünfstellige Zahl posteigener Filialen in Deutschland zu sichern, ist er kleinlaut abgerückt. Er versucht, sich mit der Zusage von 10 000 stationären Vertriebsstellen über die nächste Woche und über sein letztes Amtsjahr zu retten. Ein Postfilialkonzept, wie vom Regulierungsrat und der SPD gefordert, ist das nicht.
Noch immer fehlt ein Konzept für die bessere Auslastung der Postfilialen durch die Aufnahme von Vertriebskooperationen mit Finanzdienstleistern. Noch immer fehlen qualitative Kriterien, die sich daraus für das Filialnetz und die Arbeitsplätze bei der Post AG ergeben. Statt die offenen Punkte zu klären und die Voraussetzungen für ein qualitativ hochwertiges, kundenorientiertes und flächendeckendes Filialnetz zu verbessern, beschließen die Post und ihr Minister willkürlich die Schließung Tausender von Postfilialen und den Abbau von Arbeitsplätzen.
Es gibt öffentliche Angebote, die Erlöse des Postfilialnetzes um Provisionseinnahmen von 300 Millionen DM jährlich zu erhöhen. Die Schlafmützigkeit der Regierungskoalition und des zuständigen Ministers kommt uns alle teuer zu stehen.
Das gilt auch für seine Weigerung, dem Remailing endlich wirksam einen Riegel vorzuschieben. Am vergangenen Freitag erklärte der Bundespostminister öffentlich, kein Remailing-Verbot ins Postgesetz aufnehmen zu wollen. Am Montag verlagerte ein großer Service-Provider 1 Million Sendungen pro Monat von einer Druckerei in Deutschland nach Holland. Das geschah nicht, weil er mit der Leistung der deutschen Druckerei oder mit deren Preisen nicht einverstanden gewesen wäre. Im Gegenteil: Der Auftraggeber bot der Druckerei ausdrücklich die Übernahme eines Betriebes in Holland an, um die Arbitrage-Vorteile eines Versands aus dem Ausland auszunutzen.
Wenn der Bundespostminister diesen Export von Arbeitsplätzen weiter zuläßt, verletzt er seinen Amtseid.
Herr Kollege Müller, Sie haben vorhin in Ihrer Rede gefordert, im Zuge der Postgesetzgebung entsprechende Maßnahmen vorzusehen. Diese Forderung weicht erfreulich von bisherigen Verlautbarungen ab. Ich setze darauf, daß die CDU/CSU-Fraktion im Gesetzgebungsverfahren entsprechende Vorschläge der SPD, die als Antrag bereits vorliegen, dann auch unterstützen wird.
- Wenn wir auf die europäische Lösung warten, Herr Kollege Müller, werden Tausende hochinnovativer Arbeitsplätze in Deutschland verlorengehen und ins Ausland verlagert werden. Es werden mittelständische Unternehmen in innovativen Bereichen des Druckgewerbes, der Direktwerbung und der Rechenzentren hier nicht mehr konkurrenzfähig arbeiten können, obwohl sie gute Leistungen zu vernünftigen Kosten anbieten, allein wegen einer Wettbe-
Hans Martin Bury
werbsverzerrung, die Sie selber und auch die EU- Kommission eingeräumt haben. Es reicht hier nicht, nach Brüssel zu zeigen. Wir müssen in Deutschland handeln und bereit sein, wenn eine europäische Regelung nicht zustande kommt, eine nationale Regelung im neuen Postgesetz vorzusehen. Exakt dieses fordert die SPD.
Wir werden auch sehr genau darauf achten, daß die Bundesregierung den Verfassungsauftrag nach Art. 87 f Grundgesetz einhält, über dessen Interpretation seit 1981 im Deutschen Bundestag Übereinstimmung besteht. Deshalb wehren wir uns gegen die Reduzierung auf eine Minimalversorgung, wie sie der Regierungsentwurf des neuen Postgesetzes vorsieht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregierung ist eine Gefahr für die Infrastruktur und für die Arbeitsplätze in Deutschland. Sie hat im Postressort - wie überall - kein Konzept für eine erfolgreiche Zukunft unseres Landes. Das Ende des Postministeriums kann deshalb nur der Anfang vom Ende dieser Bundesregierung sein.
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Bötsch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in den letzten Jahren den Posthaushalt immer etwa zur gleichen Stunde, manchmal erst um Mitternacht, verabschiedet. Es herrschte immer eine ruhige, manche meinen: vielleicht sogar langweilige Atmosphäre. Insofern schadet es dem Fortgang überhaupt nicht, wenn die Sache heute einmal etwas pfeffrig dargestellt wird. Herr Kollege Bury ist ja dafür bekannt, daß er nicht nur innerhalb seiner Partei sagt, es müssen endlich einmal die Jungen, die Mittleren, die Enkel und die Urenkel ran. Er nimmt diese Debatte zum Anlaß, das eine oder andere hier pointiert anzusprechen.
Ich will überhaupt nicht verhehlen, daß es im Augenblick einige Probleme gibt, die wir in der nächsten Zeit noch zu lösen haben werden. Das hindert mich aber nicht, mich bei all denjenigen zu bedanken, die den Börsengang der Telekom in der letzten Woche positiv qualifiziert haben. Sie haben ihn zu Recht positiv qualifiziert, denn diese Börseneinführung ist ein wichtiges unternehmensgeschichtliches Datum für die Deutsche Telekom AG.
Ich darf um der geschichtlichen Wahrheit willen die Sozialdemokraten an den 12. Dezember 1992 erinnern, als deren Fraktion - an dem Punkt habe ich das Ministerium übernommen - den einstimmigen
Beschluß gefaßt hat, daß eine Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in Aktiengesellschaften nicht in Frage komme und man allenfalls mit der Umwandlung in öffentliche Anstalten einverstanden sein könne. Daran darf ich doch einmal in aller Bescheidenheit ganz ruhig erinnern.
Sie haben sich dann, jedenfalls 123 Abgeordnete Ihrer Fraktion, eines Besseren belehrt. Ich habe einen Teil sicherlich überzeugen können, andere nur überredet. Für das Stimmergebnis war das gleichgültig, weil ja die Stimmen gezählt und nicht gewogen werden. In jedem Fall war dieser Börsengang ein Vertrauensbeweis für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Verbunden mit der Privatisierung des Unternehmens ist aber auch eine Liberalisierung der Märkte. Privatisierung und Liberalisierung sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir haben jetzt den gesetzlichen Rahmen: Das Telekommunikationsgesetz ist am 1. August in Kraft getreten.
Wir haben eine Reihe der Verordnungen bereits verabschiedet. Wir haben mit der Erteilung von Lizenzen im Bereich des Festnetzes begonnen. Es sind bereits elf Lizenzen erteilt. Inzwischen wird bereits an den Lizenzen für den Sprachtelefondienst gearbeitet.
Es ist hier die Lizenz- und Frequenzgebührenverordnung angesprochen worden, die natürlich unter Haushaltsgesichtspunkten von einer gewissen Bedeutung ist. In dieser Verordnung werden die gebührenpflichtigen Tatbestände sowie die Höhe der Gebühren bestimmt, die mit der Zuteilung einer Frequenz bzw. Lizenz fällig werden.
In der öffentlichen Diskussion sind vor allem die Gebühren für die Lizenzen der Klassen 3 und 4; das sind die Lizenzen für den Sprachtelefondienst und für die Übertragungswege. Sie bewegen sich in einem Rahmen von 2 000 DM bis zu 40 Millionen DM, je nach wirtschaftlichem Wert. Sie, Herr Kollege Kiper, haben nur die Obergrenze genannt. Diese Obergrenze orientiert sich an den im Ausland üblichen Gebühren und am Verwaltungsaufwand unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Wertes der einzelnen Lizenz.
An einer Formel zur Berechnung der konkreten Gebühren wird derzeit noch gearbeitet. Um Rechtsklarheit zu haben, soll diese Formel in die Verordnung einfließen. Jedermann soll wissen, wie hoch die Gebühren für eine bestimmte Lizenz sind.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bury?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gestatte.
Herr Minister, wie bringen Sie die geplante Verordnung in Einklang mit der EU-Richtlinie über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekom-
Hans Martin Bury
munikationsdienste, der Sie meines Wissens am 27. September 1996 grundsätzlich zugestimmt haben und in deren Art. 11 ausdrücklich geregelt ist, daß von den Unternehmen nur die Gebühren erhoben werden dürfen, die die für das Einzelgenehmigungsverfahren anfallenden Verwaltungskosten abdecken, und in dessen neuem Absatz 2 höhere Gebühren lediglich für knappe Frequenzen als zulässig angesehen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen sagen: Das ist eine Definitionsfrage.
- Ach, Herr Kollege Jüttemann, ich glaube nicht, daß Sie der Richtige sind, um mir im deutschen Verwaltungsrecht Nachhilfeunterricht geben zu können. In dem Bereich, in dem Sie die längste Zeit Ihres Lebens verbracht haben, ist auf diese rechtsstaatlichen Fragen sicher nicht so großer Wert gelegt worden, soweit ich dies noch aus der Historie weiß.
Bei der Höhe der Gebühren kann natürlich auch der wirtschaftliche Wert berücksichtigt werden. Sie können davon ausgehen, daß dies im Einklang mit den europäischen Richtlinien steht. Sie hätten allenfalls fragen können: Warum erst jetzt? Sie haben gesagt, diese Gebühren seien - das hat im Haushaltsausschuß auch eine Rolle gespielt - überraschend erhoben worden. Bei der Einbringung des Haushaltes im Sommer war noch nicht einmal das Telekommunikationsgesetz verabschiedet. Erst nach der Verabschiedung des Telekommunikationsgesetzes bestand die Möglichkeit, im Rahmen der Haushaltsberatungen diese Summe einzusetzen.
Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege Kiper und auch Herr Kollege Bury, daß wir zwischen Beiträgen und Gebühren unterscheiden müssen. Sie haben dies durcheinandergebracht. Bei der Frage, was die Kommunen bekommen, ging es darum, ob laufende Beiträge für die Nutzung von Straßen erhoben werden. Das ist etwas ganz anderes als das, was wir hier jetzt wollen, nämlich eine einmalige Lizenzgebühr festzulegen
Wir hätten die Lizenzen - wie in den Vereinigten Staaten - auch versteigern können; das wäre aber sehr viel teurer geworden.
Es ist schon der Bereich der Postpolitik, der uns in der nächsten Zeit beschäftigen wird, angesprochen worden. Das Postgesetz wird in den nächsten Monaten im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen. Ich will jetzt nicht in die Einzelheiten unserer ordnungspolitischen Vorstellungen einsteigen. Ich denke, sie sind zwischenzeitlich bekannt.
Herr Kollege Müller hat mit Recht gesagt, daß wir hier nicht „gleich und gleich" nebeneinandersetzen können und daß die Fragen der Postregulierung unter anderen Voraussetzungen zu regeln sind als beim Telekommunikationsgesetz. Wir haben uns in der Koalition noch über die Frage zu unterhalten, ob wir hier möglicherweise eine Lizenz auf Dauer für die Post in den ersten fünf Jahren haben wollen.
Was die Frage Europa anbelangt, so sehen wir am kommenden Donnerstag beim Treffen des Ministerrats weiter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf bitten, dem Haushalt zuzustimmen.
Vielen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Einzelplan 13 in der Ausschußfassung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 13 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen worden.
Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch ein paar persönliche Worte sagen. Dies ist heute ein wirklich trauriger Tag für dieses Parlament, weil wir gerade die Nachricht bekommen haben, daß der Kollege und Vizepräsident „Johnny" Klein gestorben ist. Ich glaube, daß ich im Namen von Ihnen allen sagen kann, daß „Johnny" Klein etwas ganz Besonderes war. Er war so liebenswürdig, daß er in allen Fraktionen höchste Anerkennung und Wertschätzung gefunden hat. Er war eine ganz ungewöhnlich noble Figur in diesem Parlament. Er besaß nicht nur große Bildung, sondern etwas ganz Seltenes, nämlich Herzensbildung.
Die Präsidentin wird morgen seiner gedenken. Wir werden die morgige Sitzung mit diesem traurigen Anlaß beginnen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. November 1996, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.