Rede von
Prof. Dr.
Martin
Pfaff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der öffentliche Haushaltsplan gilt zu Recht als ein in Zahlen gegossenes Regierungsprogramm, und er gilt auch als Schicksalsbuch der Nation. Kein Haushalt der letzten Jahre, vielleicht der letzten Jahrzehnte zusammen mit dem umliegenden Politikfeld hat jemals mehr auf fatale Weise diese Interpretation bestätigt. Denn was diese Bundesregierung den Kranken, den Familien, den Kindern, den Behinderten, all denen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, zumutet, wird auf fatale Weise ihr Schicksal zum Schlechteren wenden.
Ich kann es nicht besser als in den schlichten Worten der Bibel fassen: Dem, der hat, dem wird gegeben werden, und wer nicht hat, dem wird, was er zu haben meint, genommen werden. Für eine solche Politik, Herr Bundesminister, sind auch Sie in großem Umfang verantwortlich.
Sie, Herr Bundesminister, sind mitverantwortlich für eine falsche Diagnose und für eine falsche Therapie, die die Malaise mittel- und langfristig eher noch vergrößern und nicht mindern wird. Nicht der Sozialstaat, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer. Nicht der Mißbrauch durch Kranke, Behinderte, nicht der Mißbrauch durch Arbeitslose bringt Finanzierungsprobleme. Vielmehr führt der gezielte, kaltblütig kalkulierte Mißbrauch der Haushalte der sozialen Sicherungssysteme für gesamtgesellschaftliche Aufgaben im Zuge der deutschen Einigung durch Ihre Regierungskoalition zu Problemen der Finanzierung.
Nicht, Herr Kollege Thomae, die Anspruchsmentalität der Versicherten führt dazu, sondern die Überkapazitäten, die falschen Anreize, die mangelnde Verzahnung zwischen ambulant und stationär. Das alles ist für die Ausgabendynamik verantwortlich.
Das Schlimme an dieser Situation ist, daß Sie das eigentlich wissen, daß Sie das selber schon so analysiert haben, aber Ihre Analysen eben der Opportunität opfern.
Dr. Martin Pfaff
Haushaltspläne haben eben nicht nur eine finanzwirtschaftliche Funktion, sie haben auch eine sozialpolitische, eine wirtschaftspolitische Lenkungsfunktion, auch eine administrative Lenkungsfunktion. In der Tat, Herr Bundesminister, ich hätte noch Verständnis, wenn Sie aus Loyalität zu Ihrem Kollegen Dr. Waigel oder aus Kabinettsdisziplin erklären würden: Ich bin bereit, ein Opfer zu bringen. Aber was Sie hier opfern, ist fast die Hälfte der Gestaltungsmasse der Gesundheitspolitik, ohne daß dadurch das Haushaltsloch des Herrn Dr. Waigel merkbar verkleinert wird.
Es löst die Probleme überhaupt nicht, und es bedeutet eine Amputation der Hälfte der Beine, die diese gestaltende Politik überhaupt noch hat. Das ist das Unsinnige daran.
Deshalb frage ich: Haben nicht die chronisch Kranken, die Aidskranken, die Menschen, die in besonderer Notlage sind, einen höheren Anspruch auf Ihre Loyalität als Herr Dr. Waigel beim Stopfen von Finanzlöchern?
Sie haben in der Tat geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuhalten und seine Wohlfahrt zu mehren. Daran möchte ich erinnern. Wenn ein solcher Weg gegangen wird, dann mindert das nicht nur Sie auf der einen Seite des Hauses, die Sie eine solche Politik machen, es mindert auch uns auf der anderen Seite, die wir nicht in der Lage sind, eine so unethische, eine so unsinnige Politik zu verhindern.
Denn Ihre Politik, Herr Bundesminister, war verantwortlich, daß die Strukturelemente, die wir gemeinsam in Lahnstein beschlossen haben, ausgehebelt wurden. Sie haben über Wahlgeschenke in den verschiedenen SGB-V-Änderungsgesetzen das Signal gegeben, das zur Kostendynamik geführt hat.
Jetzt sind sich alle Fachleute über Parteien hinweg einig: Sie sind am Ende Ihres Lateins. Es bleibt Ihnen keine andere Strategie mehr als die der Privatisierung, der Ausgrenzung, der Zuzahlung, der Belastung der Versicherten, die mit der Diagnose, die Sie früher noch verkündet haben, überhaupt nicht vereinbar ist.
Ich hätte noch Verständnis, wenn dies ein Ende mit Schrecken wäre. Aber in den Ländern, in denen genau der Weg der Privatisierung, der Zuzahlung und der Leistungsausgrenzung gegangen wird, sind die Ausgaben nicht geringer. Sie wurden verschoben und sind im Endeffekt höher.
- Ich nehme einmal die Vereinigten Staaten. Ich könnte aber auch andere Länder nehmen, in denen ganz klar ist, daß dadurch, daß sie Leistungen ausgrenzen, die Belastungen der Unternehmer nicht verschwinden; denn je mehr die Zuzahlungen steigen, um so mehr sehen sich Unternehmer genötigt, für ihre Beschäftigten private Absicherungen gegen Zuzahlungen durchzuführen. Dies geschieht so in den USA und auch in anderen Ländern. In den USA zahlen die Unternehmer 80 Prozent und nicht 50 Prozent dieser Pakete. Der zweite Punkt ist: In solchen Ländern wird das Ganze viel teurer.
Deshalb bringe ich es auf den Punkt: Sozialstaatliche Absicherung vor Gesundheitsrisiken ist kosteneffektiver und verteilungsgerechter.
Ich sage noch etwas. Der Sozialstaat ist langfristig nicht nur eine Einrichtung für die Schwachen. Dies wird uns nicht wundern. Ich sage: Der Sozialstaat ist langfristig die intelligenteste Form der Absicherung der Risiken auch für die Starken in dieser Gesellschaft.
Was wir hier haben, ist wirklich eine gespenstische Konzeption einer Regierungskoalition, die eigentlich eine gemeinsame Politik gar nicht mehr formulieren kann und ihre Unfähigkeit, zu gestalten, auf dem Rücken der Schwachen entlädt.
Dabei hätten wir wirkliche Alternativen. Sie geben vor, die Selbstverwaltung der GKV stärken zu wollen. Gleichzeitig verordnen Sie per Gesetz eine Beitragssatzsenkung. Sie nehmen die Verantwortung von den Kassen für eine wichtige Gestaltung.
Wir sagen: Nein! Wir wollen ein Globalbudget, es dann aber den Kassen selbst überlassen, flexibel integrierte Versorgungsformen zu finden. Sie führen ein kassenspezifisches System der Regel- und Wahlleistungen ein. Dies muß doch unter dem Druck der Finanzierung zu einer Minderung des Leistungskatalogs, zu einer Zwei-Klassen-Versorgung, zu einer Strategie der Risikoselektion führen. Wir halten am einheitlichen und gemeinsamen Leistungskatalog fest.
Sie wollen wahlweise die Kostenerstattung einführen, obwohl Sie genau wissen, daß dies den Leistungserbringern ermöglicht, eine auf die Dicke des Portemonnaies der einzelnen zugeschnittene variable Form der Zuzahlung zu gestalten. Wir halten am Sachleistungsprinzip fest, weil es für die Menschen fairer und insgesamt kostengünstiger ist.
Sie wollen die Selbstbeteiligung ausweiten. Sie wollen Anhebungen der Selbstbeteiligung als Keule gegenüber den Kassen benutzen, die gezwungen sind, Beiträge zu erheben. Dies ist in der Tat eine infame Strategie.
- Das ist überhaupt kein Spaß. Es erhöht die Kosten. Ich sage es noch einmal. Wenn Sie sich ein bißchen an der Realität, verehrter Herr Gesundheitspolitiker, orientieren würden, würden Sie wissen, daß den Kassen sehr begrenzte Möglichkeiten zur Steuerung gegeben sind und daß die Selbstbeteiligung in dieser Form vom Ansatz her falsch ist. Wie schon die Kassenvertreter sagen: Dies ist ein groteskes und konfu-
Dr. Martin Pfaff
ses Modell, das an den falschen Punkten ansetzt und bei den Empfehlungen nicht besser ist.
Sie wollen die Beitragsermäßigung für die Starken. Wir sagen nein. Wir gehen davon aus, daß die Gesunden und Starken die Kranken und Schwachen mitfinanzieren. Sie wollen den Risikostrukturausgleich aushebeln. Wir wissen, daß dies nicht geht. Ich finde es sehr eigenartig, daß man der F.D.P. einen Rat in der Gestaltung des fairen und chancengleichen Wettbewerbs geben muß; denn nichts anderes neben der Ausweitung der Solidarität will der Risikostrukturausgleich.
Sie basteln an Gestaltungsleistungen herum. Sie führen im zahnärztlichen Bereich ein System von Regel- und Wahlleistungen pur ein. Ich könnte die Liste bzw. müßte sie fortsetzen.
Unser Fazit ist: Ein Weg über mehr Solidarität ist doch in schwierigen Zeiten eher geboten als eine Strategie der Entsolidarisierung und der Privatisierung.
Herr Bundesminister, das vernichtendste Urteil über die Politik, die Sie zu verantworten haben, kommt aus Ihrem eigenen Munde, wenn es auch ironisch gemeint ist. Sie werden das Zitat noch öfter hören müssen, ob es Ihnen nun gefällt oder nicht. Ich zitiere aus dieser berühmt-berüchtigten Bundespressekonferenz. Seehofer:
Für mich waren die letzten Monate ungeheuer einfach. Ich mußte weder denken noch arbeiten. Ich mußte nur abwarten, was die F.D.P. entwikkelt, dies übernehmen und habe mich bei der F.D.P. auch noch bedankt, weil dies ein erfreulicher Beitrag zur Harmonisierung meines Arbeitslebens war.
- Wenn ich solche Zwischenrufe höre, Herr Lohmann, denke ich an Ihren Vorgänger. Dann sage ich: Lieber Himmelvater, sorg doch dafür, daß Paul Hoffacker wieder in dieses Haus gewählt wird; denn er wird ein höheres Niveau an Redebeiträgen liefern.
Am Ende sagen Sie, Herr Minister: So können wir weitermachen; es ist eine angenehme Geschichte, als Minister bezahlt zu werden und als Vorruheständler zu arbeiten. - Herr Minister, ich fordere Sie auf, entweder das Ruder in die Hand zu nehmen und den Vorruhestand in der einen Richtung zu beenden oder, wenn Sie das nicht können, nicht wollen oder nicht dürfen, den Vorruhestand in der anderen Richtung zu verlassen, die Konsequenzen zu ziehen, die
wenigstens unter diesen Umständen angebracht wären.