Rede von
Oswald
Metzger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege, ich schätze Sie als fachkompetent.
Ich habe auch angenommen, daß Sie gerade im Raum waren. Ich habe unsere Sparvorschläge skizziert; sie liegen schriftlich vor. Sie sind sehr differenziert. Wir muten der eigenen Klientel Kürzungen zu und haben auch perspektivische Aussagen zum Bereich der Subventionspolitik gemacht.
Ich möchte mich hier nicht als Oberlehrer aufspielen, würde aber sagen, daß sich diese Frage von selbst erledigt hat.
Das Grundproblem, vor dem unsere Gesellschaft steht, ist doch folgendes: Wir haben in den letzten zehn Jahren bei den Beiträgen im Bereich der Sozialversicherung ein Wachstum von fast 6,5 Prozentpunkten zu verzeichnen gehabt. Diese Last der Sozialversicherungsträger in Höhe von 6,5 Prozentpunkten, die mit der Wiedervereinigung noch an Dynamik gewonnen hat, weil es für die jetzige Koalition ein bequemer Weg war, die deutsche Einheit über die Sozialversicherungskassen zu finanzieren - fast 170 Milliarden DM an Transferleistungen sind in den letzten sechs Jahren aus den Sozialversicherungskassen in die neuen Bundesländer geflossen -, stellt doch eine Ungerechtigkeit sondergleichen dar; denn Freiberufler, Beamte, Selbständige und über 8 000 DM Verdienende, also über der Beitragsbemessungsgrenze Liegende, wurden an diesen Kosten überhaupt nicht beteiligt.
Wir sollten nicht am System der Sozialversicherung dergestalt drehen, wie es beispielsweise die F.D.P. will. Danach sollten wir einfach die Botschaft ausposaunen: Wir kürzen die Leistungen für die Leistungsempfänger, suchen auch nicht eine neue Säule im Steuersystem, um den Anstieg der Lohnnebenkosten nicht nur zu bremsen, sondern sogar zurückzudrehen. Plötzlich aber entdeckt sie eine Steuer, die die Opposition eigentlich seit Jahren in den Raum stellt, die aber immer am Widerstand des Finanzministers und der Koalition gescheitert ist, nämlich die Ökosteuer.
Wir sagen: Wir brauchen in dieser Gesellschaft eine Welle der Innovationen, die sich darauf konzentrieren, eine Technologie im Bereich regenerativer
Energien, die zukunftsfähig ist, zu fördern, die Mobilität derjenigen in unserer Gesellschaft, die Energie sparen, zu belohnen, und die dazu beitragen, daß für Raumheizung wesentlich weniger Energie aufgewendet wird.
Wir wollen also eine Steuer auf Energie und Mineralöl erheben und dieses Aufkommen zum größten Teil dafür nutzen, steuerfinanzierte Zuschüsse an die Sozialkassen zu geben und damit eine Entlastung für Beschäftigte und Arbeitgeber im Bereich der Lohnnebenkosten durchzusetzen. Das ist eine finanzpolitische Strategie, die ich mir angesichts der Schwelle ins neue Jahrhundert von einem Finanzminister wünschen würde.
- Natürlich wird das System reformiert, Kollege Westerwelle. Das Prinzip ist nämlich nicht, im Bereich der Sozialleistungen weiter wie bisher zu verfahren. Auch die Ausgabenstruktur, die Verwaltung der Sozialbürokratie muß geändert werden. Auf beiden Seiten, auf der Kosten- und auf der Beitragsschiene, muß etwas gemacht werden.
- Kollege Weng, Sie werden noch manche Überraschung erleben, wenn Sie uns Grüne unsere Konzepte tatsächlich durchexerzieren ließen. Dann würden nämlich wesentlich mehr Taten als Sprüche folgen als bei der F.D.P.
Sie haben von der Absenkung des Solidaritätszuschlags gelebt und haben sich damit im März das politische Überleben gesichert.
Die CDU hat Ihnen bis zur Grenze der Selbstverleugnung über Monate den Spielraum gelassen, hier Steuersenkungen zu versprechen, obwohl sich bereits überall im Staatshaushalt Milliardenlöcher aufgetan hatten.
Jetzt mußten Sie einknicken, was ich selbst nicht für möglich gehalten habe. Sie mit Ihrer Politik der Ankündigungen und losen Sprüche müssen gerade schwätzen.
Wer sich selbst auf diese Art und Weise als Klientelpartei verkauft, die über Jahrzehnte hinweg im Bereich der Subventionen und der Steuerpolitik alles getan hat, um das jetzige ungerechte Steuersystem in dieser Gesellschaft überhaupt zu etablieren, und
Oswald Metzger
jetzt von Steuerreform redet, hat jedes Recht verwirkt, anderen vorzuwerfen, sie seien inkonsequent.
Ich war bei der Frage nach den Grundstrukturen der Gesellschaft und hier bei der Wirtschaftspolitik: Meine Damen und Herren, lesen Sie das Sachverständigengutachten aufmerksam. Viele von Ihnen zitieren daraus immer nur die Passagen, die Ihnen in den regierungsamtlichen Kram passen.
Dieses Sachverständigengutachten, abgeschlossen am 15. November 1996, ist ein Verdikt gegen die Finanzpolitik der jetzigen Regierung.
Dort wird beispielsweise klar und deutlich das Hin und Her in der Finanzpolitik skizziert. Die nicht erkennbare Finanzstrategie ist der Grund dafür, warum die Investitionsneigung in der Wirtschaft so gering ist.
Die rein fiskalischen Parameter waren in der Tat noch nie so günstig wie zur Zeit: Die Zinsquote ist niedrig, die Inflationsrate ist niedrig. Dies wird zugestanden. Allerdings befinden wir uns in einer Situation, daß die verfügbaren Einkommen 1996 und auch 1997 um 3,5 Prozent wachsen bzw. wachsen werden, daß die verfügbaren Einkommen aber vor allem deshalb wachsen, weil die entnommenen Gewinne und Vermögenserträge überdurchschnittlich wachsen, die Nettogehaltssumme aber stagniert und die Einkommen aus sozialen Transferleistungen nur ganz geringfügig ansteigen. Wenn Sie diesen Reflex sehen, erklärt sich, warum beispielsweise die Binnennachfrage so bescheiden ist, warum sich jetzt das Konsumklima angesichts der Diskussion um Kürzungen im Gesundheitswesen, die die Leute spüren, wieder eintrübt.
In dieser ungleichen Einkommensverteilung wird natürlich auch die Ungerechtigkeit des jetzigen Systems deutlich. Es ist eben nicht so - die Philosophie der reinen Angebotsorientierung in der Wirtschaftspolitik -, daß die Gleichung „Mehr Wachstum gleich mehr Beschäftigung, mehr Beschäftigung gleich mehr Steuereinnahmen und mehr Steuereinnahmen gleich mehr Wohlstand für alle" noch stimmt. Diese Gleichung beten Sie von der Regierungskoalition seit Jahr und Tag herunter. Weil sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen inzwischen geändert haben, hat sie sich aber gewandelt. Wir haben eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Wir haben eine Entkoppelung von Steuereinnahmen und Wachstum.
Woher rührt diese Entkoppelung? Weil unsere Gesellschaft auf Grund der hohen Steuer- und Abgabenbelastung natürlich gelernt hat, mit der hohen Abgabenlast umzugehen. Viele Leute in dieser Gesellschaft, also nicht nur die Gutsituierten, wissen
sehr wohl, wie sie ihre Steuerlast reduzieren können. Sie wissen sehr wohl, was es steuerlich bedeutet, dann, wenn man zum Arbeitsplatz weit fahren muß, mit dem Auto statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu pendeln. Das Auto wird in unserem Steuerrecht privilegiert. Es können 70 Pfennig pro Entfernungskilometer steuerlich abgesetzt werden. Die Fahrkarte für öffentliche Verkehrsmittel ist mit etwa 100 bzw. 150 DM pro Monat vergleichweise preiswert. Das heißt im Klartext: Viele, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, fahren für das Finanzamt angeblich mit dem Auto dorthin, damit sie bei der Steuererklärung höhere Werbungskosten geltend machen können. Dieses Prinzip kennt jeder.
Deshalb müssen wir angesichts dessen, daß wir über eine große Einkommensteuerreform diskutieren, hier wirklich mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, mit der Abschaffung der Privilegierung des Automobils Ernst machen.
Dann werden wir aber feststellen, meine Damen und Herren, daß eine solche Einkommensteuerreform Verlierer und Gewinner in allen Einkommensgruppen mit sich bringt. Jemand, der unterdurchschnittlich viel verdient, kann auch Einbußen haben. Sie können den Eingangssteuersatz gar nicht so weit absenken, daß ein echter Ausgleich für die Einbußen durch die Nichtbenutzung des Pkw herauskommt. Das ist so, und das macht diese Diskussion so schwierig.
Diese Diskussion wird in der letzten Zeit häufig so geführt, daß viele, vor allem die F.D.P., die ich mit ihrer steuerlichen Klientelpolitik über Jahrzehnte in meinen Ausführungen schon bedacht habe, jetzt schon sagen: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage natürlich nur insoweit, als sie unserer Klientel nicht weh tut.
Wenn es dann Steuerausfälle gibt, wollen Sie eine Mehrwertsteuererhöhung für alle durchsetzen, so daß praktisch die Opfer der jetzigen Steuerpolitik ein zweites Mal die Alimentierung für Steuernachlässe der Gutsituierten bezahlen.
Zum Schluß noch ein paar Worte zur Einschätzung: Dieser Bundeshaushalt ermöglicht fast 10 Prozent weniger Investitionen als im Vorjahr, und er weist eine Kürzung der Forschungs- und Investitionsmittel um rund 4 Prozent aus. Angesichts der Herausforderungen der Zukunft, des Strukturwandels in unserer Wirtschaft und der internationalen Konkurrenzfähigkeit ist es ein Unding, einen solchen Haushalt als Haushalt des Wachstums, als Haushalt für mehr Beschäftigung und als Haushalt für mehr Chancen und für Zukunftsfähigkeit zu verkaufen.
Oswald Metzger
Dieser Haushalt decouvriert den Zukunftsminister Rüttgers komplett. Er steht hier wirklich mit heruntergelassenen Hosen,
wenn man sieht, wie sein Haushalt zerpflückt wurde, wie aber auf der anderen Seite ein vergleichsweise großer Investitionshaushalt wie der Rüstungshaushalt nach wie vor schonend behandelt wird, weil in Deutschland offensichtlich viele Rüstungslobbyisten noch nicht gemerkt haben, daß Arbeitsplätze im Bereich der Rüstung durch staatliche Zahlungen vergleichweise teuer erkauft sind, während in anderen Bereichen, beispielsweise durch ein Eigenkapitalhilfeprogramm für den Mittelstand, mit weniger Mitteln eine viel größere Beschäftigungswirkung entfaltet würde.
Schließlich noch ein versöhnliches Wort - man ist ja Haushälter -: Ich wünsche dem Finanzminister baldige Genesung, dem Haushaltsausschußvorsitzenden Helmut Wieczorek desgleichen. Ich bedanke mich bei Kurt Rossmanith und Hans Georg Wagner für ihre Interimsarbeit im Haushaltsausschuß sowie bei allen Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß für die trotz aller Kontroversen durchaus sachgerechte Arbeit.
Vielen Dank.