Rede von
Jörg-Otto
Spiller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von 100 zusätzlich verdienten Mark verbleiben heute fast drei Viertel aller erwerbstätigen Haushalte in Deutschland nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben weniger als 60 DM. Rund der Hälfte der erwerbstätigen Haushalte bleiben sogar weniger als 50 DM. Darauf wiesen die sechs führenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute kürzlich in ihrem Herbstgutachten hin. Wo extrem hohe Abzüge am häufigsten vorkommen, hat der Sachverständigenrat schon vor zwei Jahren dargelegt: bei Arbeitnehmern mit Einkommen etwas über dem Durchschnitt, aber unterhalb der Bemessungsgrenze für die Rentenversicherung.
Als Helmut Schmidt noch Kanzler war, hat sich Leistung hierzulande mehr gelohnt als heute.
Die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland ist zu hoch. Unser Steuerrecht muß wieder einfacher und gerechter werden.
Es steht allen Parteien dieses Hauses gut an, sich dieser Aufgabe nach Kräften zu widmen. Allerdings mißt die kleinste Fraktion diesem Thema unabhängig von der Sache seit etwa einem Jahr eine einmalige und herausragende Bedeutung bei. Sie hält es für das Rettungsfloß, nach dem die immer wieder schiffbruchgefährdete F.D.P. seit langem sucht. Verblüfft über den Erfolg, bei Landtagswahlen in drei Bundesländern Traumergebnisse von über 5 Prozent erhalten zu haben,
und offenbar der Meinung, keines ihrer sonstigen Argumente sei irgendwie von Belang gewesen, beschloß die F.D.P., die Quelle des unerwarteten Heils müsse ihr Versprechen gewesen sein, als standfeste Steuersenkungspartei für die baldige Absenkung des Solidaritätszuschlages zu sorgen.
Mißlich nur, daß auch andere Persönlichkeiten in der Koalition Eigenheiten aufweisen. Der Bundesfinanzminister beispielsweise wird, ähnlich, wie andere Menschen zu Sommersprossen neigen, regelmäßig von unvorhersehbaren Haushaltslöchern geplagt.
Im Oktober vertraute er engen Freunden an, es sei nun wieder einmal so weit, nicht ohne zerknirscht hinzuzufügen, er müsse sich leider vorwerfen, der schönfärberischen Konjunkturprognose des vorlauten F.D.P.-Wirtschaftsministers aufgesessen zu sein.
Um ihn aus seiner unverdienten Niedergeschlagenheit wieder aufzurichten, schlugen die Freunde vor, dann eben eins, fix, drei die Mineralölsteuer zu erhöhen. Das gehe sogar ohne den Bundesrat, allerdings leider nicht ohne die F.D.P.
Die F.D.P. kam nach kurzem Nachdenken zu der Einschätzung, jede Steuererhöhung, die sie mitmache, sei ein Flecken auf ihrem neuen Aushängeschild „Steuersenkungspartei" - es sei denn, sie hätte die Steuererhöhung selbst beantragt.
Dann könne eben 1997 der Solidaritätszuschlag nicht gesenkt werden, antwortete die Union
und mahnte im übrigen eine rasche Entscheidung an.
Am Freitag, dem 18. Oktober, lief die Koalition dann zu voller Leistung auf.
Jörg-Otto Spiller
Die abschließende Beratung des Jahressteuergesetzes im Finanzausschuß wurde kurzfristig verschoben, um eine Einigung im Koalitionsgespräch zu ermöglichen und die Koalitionsfraktionen auf Linie zu bringen. Das war auch bald geschafft. Ergebnis: Der Solidaritätszuschlag wird 1997 nicht gesenkt, und die Mineralölsteuer wird jetzt erst einmal nicht erhöht.
Die F.D.P.-Mitglieder des Finanzausschusses kehrten als letzte in den Ausschuß zurück, nunmehr nur noch als Vertreter einer Steuernichterhöhungspartei,
und votierten gemeinsam mit der Union, aber gegen die Stimmen der erneut uneinsichtigen Opposition durch Schlußabstimmung zum Jahressteuergesetz für die Erhöhung der Grunderwerbsteuer.
Hierbei handelt es sich insofern um eine begrüßenswerte Steuererhöhung, Herr Kollege Möllemann, als sie wie ein halbes Dutzend anderer Steuererhöhungen seit 1991 von F.D.P. und CDU beantragt wurde.
Was in dem Koalitionsgespräch genau beschlossen worden ist, läßt sich leider nicht mehr ermitteln; denn aus Zeitgründen sprachen am Schluß immer mehrere Personen gleichzeitig.
Deshalb konnte auch jeder nur hören, was er selbst sagte.
Ein Protokoll dieser bedeutsamen Sitzung wurde offensichtlich nicht angefertigt, weshalb es leider auch nicht in die Sammlung „Meisterleistungen der Staatskunst" aufgenommen werden kann.
Um guten Rat nie verlegen, beschloß die Koalition daraufhin, Mitte Dezember neu darüber zu verhandeln, was sie denn nun am 18. Oktober tatsächlich vereinbart hat.
Vom Ablauf her ist das eine reine Posse. Von der Sache her ist es allerdings ein Trauerspiel.
Hektische Profilierungsversuche ausgerechnet dort,
wo Klarheit, Nüchternheit, Vertrauenswürdigkeit
und Sachlichkeit in besonderem Maße erforderlich wären: bei den Finanzen des Staates.
Die meisten Steuergesetze bedürfen der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.
Das mag der Koalition lästig sein, aber das haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes so gewollt.