Rede von
Karl
Diller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu meinem und, wie ich annehme, zum großen Bedauern aller ist der Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel heute wegen einer schweren Grippe nicht da. Ich möchte ihm von hier aus - ich nehme an, im Namen aller - unsere besten Genesungswünsche übermitteln. Der Streit mit ihm macht einfach viel mehr Spaß, wenn er persönlich anwesend ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein derartiges Chaos, ein solches Stolpern der Regierung Kohl von Haushaltsloch zu Haushaltsloch, ein derartiges Verwirrspiel von Ankündigungen, neuen Abgabenbelastungen, heute Steuersenkungen, morgen Steuererhöhungen und zwischendurch immer wieder einschneidende Rotstiftaktionen, ein derart stümperhaftes Regieren wie unter Kanzler Kohl ist dem Bundesbürger noch zu keiner Zeit zugemutet worden.
So lautet nicht nur das Urteil der Wochenzeitung „Die Zeit" .
Mit den vernichtenden Kommentaren über das chaotische Handeln der Regierungskoalition könnte man mühelos ganze Reden bestreiten.
Die Menschen haben das Vertrauen verloren, daß die Regierung Kohl jemals Arbeit schaffen, Gerechtigkeit gewährleisten oder Fortschritt ermöglichen könnte. Auf die Frage „Ist Kohls Sparpolitik gerecht?" haben 79 Prozent geantwortet:
Nein, sie ist ungerecht. Damit haben die Leute recht.
Die Bürgerinnen und Bürger spüren, daß die Regierung die Probleme des Landes, die Debatte über den Standort, die Lohnkosten und die Globalisierung ideologisch aufrüstet zu einem brutalen Verteilungskampf, in dem der normal verdienende Mitbürger der Verlierer ist.
Die Regierung Kohl verfährt mit Versprechen, Zusagen und Gesetzen nach dem Motto: Was kümmert uns unser Gesetz von gestern! Das geht von der Steuerlüge bis zum Kindergeld, von der Kohlepolitik bis zu den Pflegeinvestitionen Ost.
Wenn sie Zukunftsinvestitionen im Forschungs- und Bildungsetat zusammenstreicht, wenn sie Ungerechtigkeit produziert, indem sie den Arbeitslosen nimmt und gleichzeitig den Reichen die Vermögensteuer schenkt,
wenn sie in einem unfairen Bündnis mit den Arbeitgebern den sozialen Frieden gefährdet, dann verspielt sie die Einsicht der Menschen, daß Haushaltskonsolidierung notwendig ist.
Da mögen CDU und CSU noch so viele Parteikongresse unter das Motto „Zukunft" stellen.
Wahr ist: Deutschland hat unter Kanzler Kohl an Zukunftsfähigkeit eingebüßt.
Sie haben dem Land eine schwere Hypothek aufgebürdet: durch eine beispiellos hohe Arbeitslosigkeit, durch eine beispiellos hohe und sozial ungerechte Steuer- und Abgabenlast und durch eine beispiellos hohe Bundesschuld.
Die Haushaltsentwürfe der Regierung Kohl sind Flickwerk, weil sie systematisch die Wirtschaftsdaten schönt, die Risiken versteckt und die Etatlöcher leug-
Karl Diller
net, bis es nicht mehr geht, um sie in allerletzter Minute angeblich zu decken. Wenn die Haushaltslöcher dann, wie dieses Jahr, erneut aufbrechen, dann sind am Ende des Jahres die Schulden höher, als jemals zuvor geplant.
Heute läßt sich rückblickend feststellen: Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung, mit Blick auf den Arbeitsmarkt, mit Blick auf die Konsequenzen für die öffentlichen Finanzen die Lage vor einem Jahr realistisch eingeschätzt.
Der Waigel-Wisch vom letzten Herbst wird in die Annalen der deutschen Finanzgeschichte als das Liederlichste eingehen, was sich ein deutscher Finanzminister je geleistet hat, meine Damen und Herren.
Nachdem Waigel über Monate hinweg ein Loch von 20 Milliarden DM im Haushaltsentwurf 1996 leugnete, hat er schließlich versucht, es mit falschen Zahlen bei den Kosten für die Arbeitslosigkeit und mit Luftbuchungen für Privatisierungseinnahmen einfach wegzurechnen. Heute muß er eingestehen, daß er mindestens 13 Milliarden DM, also über 20 Prozent mehr Schulden machen wird als vom Parlament bewilligt.
Der Bundeshaushalt 1997 läuft nach dem gleichen Muster. Vor drei Monaten brachten Sie hier einen Haushaltsentwurf ein, der ein zweistelliges Milliardenloch aufwies. Unsere Forderung nach einer Ergänzungsvorlage lehnten Sie ab.
Das Haushaltsloch von 13 Milliarden DM - die Frau Staatssekretärin hat es gerade bestätigt - wurde erst am letzten Tag der Haushaltsberatungen durch eine wundersame Geldvermehrung scheinbar gestopft. Von Tricksereien dieser Art - die Einnahmen mal eben um 8 Milliarden DM höher schätzen, die Ausgaben um 5 Milliarden DM heruntersetzen und dann mit einer „Aktion Klingelbeutel" in jedem Ministerium noch einmal eine Minderausgabe von 3 Milliarden DM einsammeln - haben nicht nur wir, sondern auch viele in Ihren eigenen Reihen die Nase gestrichen voll.
Ihre Notoperationen in letzter Stunde leisten keinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung, sondern sind ein Sammelsurium von einem arbeitsmarktpolitischen Kahlschlag, der die Haushaltslöcher nicht wirklich schließt, sondern neue aufreißen wird, von einmaligen Einnahmen ohne nachhaltige Konsolidierung, von willkürlichen Änderungen von Schätzansätzen und von Lastenverschiebungen in die Zukunft wie das Verschieben von Zinszahlungen oder das Abkassieren bei Treuhandunternehmen. Weil das alles noch nicht reicht, flüchtet die Regierung Kohl in die Verhängung einer Minderausgabe von 3 000 Millionen DM.
Weder der Sachverständigenrat noch die Forschungsinstitute trauen Ihrer Behauptung, daß Sie mit dieser konzeptionslosen Finanzpolitik die Auflagen von Maastricht für den Beitritt zur Währungsunion erfüllen werden. Beide rechnen für 1997 mit einem Staatsdefizit von bis zu 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes; und rechnen können die allemal viel besser als Theo Waigel.
Die Behauptung, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, hatte der Bundesfinanzminister schon bei seinem Haushalt 1996 aufgestellt. Doch Theo Waigel hat 1995 und 1996 die Maastricht-Kriterien nicht eingehalten. Er erlebt eine Pleite auf der ganzen Linie.
Auf dem Parteitag der CSU sagte er, mit einem nationalen Kraftakt könne man dieses Ziel erreichen. Wieso Kraftakt? Die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie hatten Ihnen doch eine gemeinsame große Anstrengung, ein „Bündnis für Arbeit", angeboten. Es war ein schwerer Fehler der Regierung Kohl, dieses Bündnis nach den Landtagswahlen im Frühjahr aufzukündigen und statt dessen ein unfaires Bündnis mit den Arbeitgebern zu schließen.
Jetzt, wo die versprochenen Arbeitsplätze nicht geschaffen werden, der soziale Frieden gefährdet ist, beschimpfen Sie die Arbeitgeber. Ich bitte Sie: Wer wie Sie den Sozialstaat ausdünnt, der darf sich nicht wundern, wenn eine „Marktwirtschaft pur" übrigbleibt, in der die menschliche Arbeit nur noch ein Kostenfaktor ist.
Wieso Kraftakt? Die Regierung Kohl hat es seit der Unterzeichnung der Maastricht-Verträge 1992 versäumt, Deutschland für den Beitritt zur Europäischen Währungsunion fit zu machen. Bei Abschluß der Verträge im Jahre 1992 betrug die Nettokreditaufnahme des Bundes 38 Milliarden DM. Heute haben wir eine neue Übersicht über das jüngste Ergebnis bekommen: Jetzt ist die Nettokreditaufnahme mehr als doppelt so hoch.
Deshalb wollen Sie jetzt einen Crash-Kurs, der aber nicht in die konjunkturpolitische Landschaft paßt, weil die von Ihnen für 1997 beschlossenen Steuer- und Abgabenerhöhungen von 20 Milliarden DM, Ihre Kürzung der Investitionen um 7 Milliarden DM und Ihre Kürzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik um 10 Milliarden DM die schleppende Investitionskonjunktur weiter belasten. Wo sollen denn bei dieser Politik noch neue Arbeitsplätze entstehen können?
Karl Diller
Beim Start des europäischen Binnenmarktes 1992 hatten wir 14 Millionen Arbeitslose in Europa. Damals haben Sie den Binnenmarkt als Konjunkturmotor gepriesen. Europaweit haben wir heute 18 Millionen Arbeitslose. Deshalb warnen wir Sie: Nähren Sie nicht die Illusion, die Währungsunion sei ein Jobmotor. Die Chance der Union besteht darin, Europa im internationalen Wettbewerb zu stärken. Das ist eine Chance, aber keine Automatik für mehr Arbeitsplätze; denn gleichzeitig werden auch die letzten nationalen Schutzzäune im Binnenmarkt eingerissen, und die Konkurrenz innerhalb Europas wird härter.
Deshalb verlangen wir Sozialdemokraten, das Krebsübel der Arbeitslosigkeit durch eine abgestimmte europaweite Beschäftigungsinitiative zu bekämpfen,
damit die Europäische Währungsunion nicht ein Produkt des politischen Willens bleibt, sondern von der Zustimmung der Menschen getragen wird.
Wir halten daran fest, daß der Bundeshaushalt 1996 verfassungswidrig ist und für 1997 die gleiche Entwicklung droht. Der Bundesfinanzminister hat uns aufgefordert, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, vermutlich, weil er dort inzwischen sowieso dauernd auf der Anklagebank sitzt.
Für uns ist der Gang vor das Gericht die Ultima ratio, weil wir die politische Klärung hier im Parlament möchten. Sie behaupten, Art. 115 Grundgesetz gelte nur an dem Tag der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes, aber nicht im Haushaltsvollzug. Lassen Sie sich gesagt sein: Das Grundgesetz gilt nicht nur an einem Tag im Jahr, sondern an allen 365 Tagen des Jahres.
Wir wollen gesetzlich ausschließen, daß der Finanzminister mehr Kredite aufnimmt, als die Kreditermächtigung im Haushaltsplan erlaubt. Sollte die Koalition unseren Antrag zum Haushaltsgesetz in dieser Woche aber ablehnen, dann müssen wir das so verstehen, daß sich die Koalition damit den gleichen Verfassungsverstoß auch für 1997 vorbehält. Vor drei Monaten noch hat die F.D.P. diese Änderungen als notwendig angesehen. Die Partei, die sogar die Neuverschuldung im Grundgesetz verbieten will, hat also am Donnerstag dieser Woche Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen.
Wenn der Bundesfinanzminister sich bei der Maastricht-Grenze für die Neuverschuldung als Stabilitätsapostel in Europa ausgibt, zu Hause aber nicht einmal die Verfassung achtet, paßt das nicht zusammen.
Aus gutem Grund wird die Entscheidung über die Einhaltung der Maastricht-Kriterien im Frühjahr 1998 auf der Basis der Ist-Zahlen von 1997 und nicht auf der Grundlage geschönter Haushaltspläne entschieden. So ist es richtig, meine Damen und Herren.
Was in Europa die Maastricht-Grenze, ist hier Art. 115 Grundgesetz. Über die Einhaltung entscheiden nicht die Wunschzahlen Ihres Haushaltsplans, sondern das Ergebnis Ihrer Verschuldungspolitik. Jahr für Jahr hat Ihnen der Bundesrechnungshof das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1989 vorgehalten und gemahnt, „zu verhindern, daß sich ein stetig wachsender Schuldensockel bildet, der schließlich die Fähigkeit des Staatshaushaltes, auf die Probleme der Gegenwart und der Zukunft zu reagieren, in Frage stellt" . Sie haben die Mahnung des Bundesrechnungshofs in den Wind geschlagen. Jetzt müssen Sie 91 000 Millionen DM nur an Zinsen zahlen. Ihr Haushalt steckt damit in der Zinsfalle.
Erstmalig gelingt Ihnen selbst auf dem Papier Ihrer Finanzplanung kein Abbau der Neuverschuldung; denn bis 1999 wollen Sie 58 Milliarden DM mehr Schulden machen als bisher geplant. Trotzdem versprechen Sie für Ihre Einkommensteuerreform eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM. Die Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit haben Sie in Ihrer Finanzplanung wirklichkeitsfremd auf Null gesetzt. Die nächste Steuerschätzung wird neue Löcher in Ihre Planung reißen.
Weil schon heute in Ihrer Finanzplanung nichts mehr stimmt, fetzen Sie sich doch gerade in der Koalition, stellen Sie doch die schon veranschlagte Absenkung des Solidaritätszuschlags um zwei Punkte ab übernächstem Jahr wieder in Frage. Lassen Sie sich gesagt sein: Eine Steuersenkung auf Pump lehnen die Sozialdemokraten ab.
Die Finanzplanungen von CDU/CSU und F.D.P. sind Makulatur, weil Sie die aktive Arbeitsmarktpolitik herunterfahren und deshalb von den Kosten der steigenden Arbeitslosigkeit ständig überholt werden. Die Arbeitslosigkeit kostet den Staat pro Jahr 160 Milliarden DM. Nur wenn aus Leistungsempfängern wieder Beitragszahler werden, gelingt die Sanierung der öffentlichen Haushalte; denn pro 100 000 Arbeitslose, die wieder in Arbeit kommen, werden die öffentlichen Kassen um 4 Milliarden DM entlastet. Das muß das ehrgeizige Ziel der Politik sein.
Ihren Finanznotstand wollen Sie mit dem Vorwurf vernebeln, die SPD betreibe Blockadepolitik. Das ist finanzpolitischer Unsinn. Ihre Hysterie erklärt sich doch daraus, daß Ihre Rechnung nicht aufgegangen ist. Die Regierung Kohl hat die Standfestigkeit der Sozialdemokraten unterschätzt, nein zu Maßnahmen zu sagen, die beschäftigungspolitisch wirkungslos, sozial ungerecht und finanzpolitisch unsolide sind.
Karl Diller
Wir sind stolz darauf, daß wir den Familien ihren verfassungsrechtlichen Anspruch auf Kindergeld gesichert haben.
Es ist wichtig und richtig, daß wir verlangen, die Millionen ungeschützter 590-DM-Jobs in die Sozialversicherungspflicht einzubeziehen, und daß wir Sie daran hindern wollen, mit der Abschaffung der privaten Vermögensteuer auf Milliarden an Einnahmen zu verzichten.
Das erste Ziel einer neuen Politik muß deshalb sein: Arbeitslosigkeit bekämpfen, Arbeit schaffen. Das Programm der Regierung Kohl, das sich „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" nennt, ist in Wirklichkeit ein Programm zur Steigerung der Arbeitslosigkeit und der Staatsverschuldung.
Wie sieht denn Ihre bisherige Bilanz aus?
Erstens: Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sie wußten, daß 80 Prozent der Arbeitnehmer durch Tarifverträge geschützt sind. Dennoch entschieden Sie sich mit den Arbeitgebern für den Weg der Konfrontation, erst in der Metallindustrie, jetzt im Bankenbereich. Dieser Bereich ist ein geradezu klassischer Fall: Die Banken haben den niedrigsten Krankenstand und vergoldete Bilanzen, und dennoch wird weiter Personal abgebaut. Diese Konfrontation hinterläßt einen Scherbenhaufen, schafft aber keine neuen Arbeitsplätze. Das geht auf das Konto der Regierung Kohl.
Sie haben zweitens den Kündigungsschutz ausgehöhlt und befristete Arbeitsverträge zugelassen. Wo sind denn die 500 000 neuen Arbeitsplätze, die der Zentralverband des Deutschen Handwerks Ihnen für den Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten versprochen hat? Jetzt wollen 22 Prozent der Betriebe im Westen weiter Personal abbauen, weil die Binnennachfrage fehlt und weil die Aufträge der öffentlichen Hand fehlen. Das ist Ihr Versagen, Herr Bundeskanzler.
Drittens. Trotz Abbau von Arbeitnehmerschutz-rechten steigt die Flut der versicherungsfreien Jobs unter der 590-DM-Grenze auf weit über 3 Millionen. Die versprochene Umwandlung in reguläre Teilzeitarbeitsplätze läßt auf sich warten. Auch das ist ein Versagen der Regierung Kohl.
Viertens. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, in der Bauwirtschaft eine dauerhaft wirksame Entsenderichtlinie durchzusetzen, damit das Lohn- und Sozialdumping ein Ende hat.
Fünftens. Sie verweigern der Bundesanstalt für Arbeit im nächsten Jahr den notwendigen Zuschuß von 9,5 Milliarden DM. Fortbildungsmaßnahmen, Umschulungsmaßnahmen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden massenhaft gestrichen werden müssen;
noch höhere Arbeitslosigkeit ist die Folge. Weigern Sie sich wenigstens nicht länger, die 590-DM-Jobs sozialversicherungspflichtig zu machen. Dann hätten Sie die Milliarden, die Sie der Bundesanstalt jetzt zusätzlich streichen.
Bei Ihrem angeblichen Beschäftigungspakt ist doch Pleite auf der ganzen Linie zu konstatieren.
Wir Sozialdemokraten wollen eine andere Ausrichtung der Finanzpolitik. Wer Arbeit schaffen und nachhaltiges Wachstum fördern will, muß die ökologische Modernisierung der Wirtschaft anpacken. Das ist die Chance zum Strukturwandel in der Krise.
Unser Ziel heißt: Runter mit den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung um ein Drittel durch Entlastung von versicherungsfremden Leistungen. Das erhöht die Arbeitseinkommen,
senkt die Lohnnebenkosten und stärkt die Unternehmen und die Investitionen. Das heißt aber auch: aufkommensneutrale Umschichtung der Abgabenlast auf den Energieverbrauch, Abschaffung umweltschädlicher Steuersubventionen und Förderung ökologisch sinnvoller Investitionen wie durch das von uns vorgeschlagene Klimaschutzprogramm.
Diese Politik schafft zukunftssichere Arbeitsplätze im Bereich alternativer Energien, der Umwelttechnologie und umweltverträglicher Verkehrssysteme.
Der Bundesfinanzminister dagegen läuft in die falsche Richtung. Erst ließ er sich dazu erpressen, den Kohlepfennig durch eine falsche Haushaltsfinanzierung statt durch eine allgemeine Energiesteuer zu ersetzen.
Die Mineralölsteuer ist für ihn nur zum Stopfen seiner Haushaltslöcher gut. Mit der Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vor zwei Wochen vergab er erneut die Chance für eine ökologische Politik, weil man sich in der Koalition nicht auf einen Gesetzentwurf zur Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer einigen konnte.
Demnächst wollen Sie den Elektrizitätsmarkt in einer Weise liberalisieren, die eine ökologisch orientierte Energiepolitik benachteiligt und den Gemeinden nebenbei Einnahmeverluste von 3 000 Millionen DM jährlich bescheren wird. Bei der ökologischen Modernisierung versagen Sie damit auf der ganzen Linie.
Karl Diller
Arbeit schaffen ist die zentrale Aufgabe, vor allem auch in den neuen Ländern. Der Boom der ersten Jahre war eine Scheinblüte. Die wirtschaftliche Entwicklung im Osten droht 1997 erstmals hinter die im Westen zurückzufallen. Ihre Fehler, wie falscher Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung", mangelhafte Sanierungskonzepte, fehlende Absatzförderung, fehlender Marktzugang, sind kaum wiedergutzumachen. Das Konzept der Regierung Kohl bestand aus falschen Versprechungen und dem Glauben an den marktwirtschaftlichen Urknall. Damit ist sie gescheitert, wie Theo Waigel jetzt selbst eingesteht. Ich zitiere ihn aus einer Pressemitteilung von letzter Woche: „Die Entwicklung in Ostdeutschland ist besorgniserregend."
Wer von den hohen Transferleistungen an den Osten herunter will, muß dafür sorgen, daß die Menschen ihr Einkommen durch eigene Arbeit selbst erwirtschaften können.
Es ist richtig, daß eines der zentralen Probleme für den Aufbau Ost die tarifpolitischen Rahmenbedingungen sind. Aber was bietet die Regierung Kohl den ostdeutschen Arbeitnehmern an, wenn sie Lohnverzicht fordert, damit die Löhne nicht der Produktivität vorauseilen? - Nichts, absolut nichts. Weshalb haben Sie nicht schon längst unsere Forderungen aufgegriffen, die Arbeitnehmer am Produktivvermögen, an Gewinn und Kapital der Unternehmen zu beteiligen? Der Scheck auf die Zukunft muß für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern gedeckt sein. Wer heute Verzicht leistet, muß wissen, wofür.
Bis eine solche Strategie greift, dürfen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Beschäftigungsgesellschaften nicht zurückgeführt werden. Die von Ihnen vorgenommenen Kürzungen werden die Arbeitslosenzahl in den neuen Bundesländern um bis zu 300 000 erhöhen. Ihre Kürzungen lassen kommunale und kulturelle Leistungen wegbrechen und zerstören den sozialen Halt.
Das zweite Ziel einer neuen Politik muß sein, Gerechtigkeit zu gewährleisten. Wer jetzt den Bundeskanzler in einem Buch als Kanzler der Einheit feiert, der sollte gefälligst auch hineinschreiben, daß diese Einheit mit seiner Steuerlüge begann.
Ich zitiere:
Keine Steuererhöhung für die deutsche Einheit - diese Garantie kann Ihnen nur die Regierung Kohl geben.
Das haben die CDU/CSU und er selbst im November 1990 gesagt.
Seitdem kassierten Sie durch Erhöhungen ab: beim Solidarzuschlag 60 Milliarden DM, bei der Mineralölsteuer 81 Milliarden DM, bei der Tabaksteuer, der Kfz-Steuer und der Versicherungsteuer 30 Milliarden DM, bei der Mehrwertsteuer 40 Milliarden DM und an Beiträgen zur Arbeitslosen- und zur Rentenversicherung 170 Milliarden DM.
Die Regierung Kohl machte einen beispiellosen Beutezug durch die Taschen der Normalverdiener, die Wohlhabenden aber ließ sie weitgehend verschont.
1997 wollen Sie das fortsetzen. Gerade haben Theo Waigel und Norbert Blüm Steuer- und Abgabenerhöhungen von fast 20 Milliarden DM für 1997 beschlossen. Die Grunderwerbsteuer wird erhöht; das macht 3,5 Milliarden DM.
Das entspricht der Familienheimförderung für ein ganzes Jahr. Die Beiträge zur Rentenversicherung erhöhen Sie auf 20,3 Prozent; das macht 15 Milliarden DM. Diese Erhöhung der Lohnnebenkosten wird Arbeitsplätze kosten.
Der Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge wird nicht verhindert, sondern zusätzlich mit der Privatisierung des Krankheitsrisikos verknüpft.
Der Solidaritätszuschlag wird nicht wie versprochen abgesenkt. Das macht 3,6 Milliarden DM. Kaufkraft und Nachfrage werden damit geschwächt.
Beim Normalverdiener abkassieren und den Wohlhabenden die private Vermögensteuer schenken - das ist eine ökonomisch unsinnige und katastrophale Umverteilungspolitik, die weitere Arbeitsplätze kosten wird.
Wir Sozialdemokraten haben den Solidarpakt von 1993 nicht vergessen, bei dem wir der Regierung Kohl die Anhebung der privaten Vermögensteuer abtrotzen mußten, um die Gerechtigkeitslücke bei der Finanzierung der deutschen Einheit wenigstens ein bißchen zu schließen. Wer wie Sie drei Jahre später nichts mehr davon wissen will, der hat jedes Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren.
Wer Ihre Steuerpolitik der letzten Jahre kennt, dem kann vor der angekündigten großen Einkommensteuerreform nur angst und bange werden.
Karl Diller
Herr Schäuble hat im Sommer die Katze aus dem Sack gelassen. Ihm geht es um die Absenkung der Spitzenbelastung. Im unteren Bereich, so Schäuble, sei mit der Erhöhung des Grundfreibetrages und der Freistellung des Existenzminimums bereits genug getan.
Theo Waigel hat auf dem CSU-Kongreß sein Motto klar benannt: 35 Prozent Maximalbelastung statt 35Stunden-Woche - ein übles Wortspiel. Es heißt im Klartext: Die Arbeitnehmer sollen gefälligst mehr schuften, damit die Regierung Kohl Geld für die Absenkung des Spitzensteuersatzes hat; denn jeder Punkt Absenkung kostet den Staat 2 000 Millionen DM.
Wir Sozialdemokraten haben eine klare Alternative. Wir wollen eine aufkommensneutrale Steuerreform, die mehr Steuergerechtigkeit durch Entlastung der Normalverdiener mit mehr Steuervereinfachung verknüpft.
Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt:
Erstens. Absenkung des Eingangssteuersatzes auf 19,5 Prozent.
Zweitens. Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages auf 14 000 DM bei Ledigen und 28 000 DM bei Verheirateten.
Drittens. Beide Maßnahmen führen zu einer deutlichen Verbesserung für Normalverdiener. Da liegt unser Schwerpunkt. Wo der Spitzensteuersatz liegen kann, das hängt davon ab, worauf wir uns mit Ihnen beim Stopfen von Steuerschlupflöchern und beim Abbau von Steuersubventionen einigen können.
Viertens. Wir wollen diese Reform zum 1. Januar 1998 und nicht so spät wie Sie.
Unsere Eckwerte sind sozial gerecht, finanzpolitisch solide, ökonomisch vernünftig, weil die Massenkaufkraft dort gestärkt wird, wo es konjunkturell notwendig ist.
Zur Steuergerechtigkeit gehört, daß endlich mit der Umsetzung des von der SPD vorgeschlagenen Aktionsprogramms gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung begonnen wird. „Mißbrauch ist rechenbar", sagte Finanzminister Waigel im Haushaltsausschuß. - Stimmt; aber nicht nur bei
den Sozialleistungen, sondern genauso bei den Steuerhinterziehern mit den Nadelstreifen.
In einem ersten Schritt ließen sich Mehreinnahmen von 10 Milliarden DM erzielen, allein 5 Milliarden DM bei einer wirksamen Kontrolle der Besteuerung von Kapitaleinkünften. Packen Sie diese allseits bekannten Mißstände doch endlich einmal an, damit nicht auch noch die Moral des ehrlichen Steuerzahlers vor die Hunde geht. Es muß damit Schluß sein, daß bei Kohls und Waigels Steuerpolitik der Ehrliche weiter der Dumme ist.
Die letzte Steuerschätzung hat im übrigen gezeigt, daß sich die Steuereinnahmen vom Wirtschaftswachstum abkoppeln, weil unter der steuerlichen Überbelastung die Schwarzarbeit blüht, weil die Milliardenverschwendung über Abschreibungsmodelle die Steuereinnahmen zum Lotteriespiel macht, weil Konzerne ihre Gewinne ins Ausland verlagern, weil die Regierung Kohl das deutsche Steuersystem in ein Steuerchaos verwandelt hat.
Ihr Steuerdschungel ist zu einem entscheidenden Hindernis für Wachstum und Beschäftigung geworden.
Keiner durchschaut mehr das Steuersystem. Auf nichts ist mehr Verlaß. Wie soll ein mittelständisches Unternehmen denn da noch planen können?
Zu den Gewinnverlagerungen ins Ausland hat der Bundespräsident kürzlich gemahnt - ich zitiere -:
Ein Unternehmen, das in Deutschland seine Produktionsstätten, seine Arbeitsplätze abbaut und fast keine Steuer bezahlt, das kann in seinem Namen noch so oft das Wort „deutsch" haben; das erkenne ich nicht mehr als deutsches Unternehmen.
Soweit der Bundespräsident.
- Recht hat er. Denn es kann nicht gutgehen, wenn einerseits die gestiegenen Unternehmensgewinne ins Ausland verlagert werden und andererseits der deutsche Steuerzahler diesen Unternehmen die hervorragende Infrastruktur Deutschlands quasi zum Nulltarif bereitstellen soll.
Der Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes hat jüngst darauf hingewiesen, daß es den Großbanken im Zuge der Globalisierung gelungen ist, ihre Ertragsteuer im Jahre 1995 auf nur noch 800 Millionen DM zu drücken.
Karl Diller
Demgegenüber hatten die ortsgebundenen Sparkassen
bei etwa gleichem Bilanzvolumen das Zehnfache an Steuern zu zahlen.
Diese Praktiken schädigen nicht nur den Staat, sondern auch die mittelständische Wirtschaft.
Wettbewerbsverzerrungen und Arbeitsplatzverluste sind die Folge. Dieses Problem ist nicht durch einen Steuersenkungswettlauf in Europa zu lösen. Wann kommt endlich die Steuerinitiative der Regierung Kohl auf europäischer Ebene?
Zur Gerechtigkeit gehört, die Lage der Familien zu verbessern. Selbst gutverdienende Familien müssen heute mit dem Geld knausern, weil ihr reales Nettoeinkommen nach 14 Jahren Kohl auf den Stand von 1980 zurückgefallen ist - 1980! Wir Sozialdemokraten haben einen finanziell gedeckten Antrag zur Aufstockung des Erziehungsgeldes um 500 Millionen DM gestellt, weil wir mit einer grundlegenden Reform des entsprechenden Gesetzes die Erziehungsleistung der Familien anerkennen, fördern und gleichzeitig etwas ökonomisch Vernünftiges tun wollen.
Daß die F.D.P. vorgeschlagen hat, ausgerechnet beim Erziehungsgeld zu streichen, aber das steuerliche Dienstmädchenprivileg ausweiten will,
ist knallharte Klientelpolitik zugunsten der Besserverdienenden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der F.D.P., zu Ihrer schamlosen Art der Klientelpolitik
sagte kürzlich jemand aus Ihren eigenen Reihen - ich zitiere -:
Das ist einfach für mich unerträglich, weil ich finde, eine politische Partei wie die F.D.P. hat eine Verantwortung für das Ganze und nicht nur für ihre eigene Position und nicht nur für den eigenen Machterhalt.
Das sagte Frau Hamm-Brücher, die Sie vor zweieinhalb Jahren noch als Bundespräsidentin vorgeschlagen haben. Wer von Ihnen noch nicht endgültig auf der „Westerwelle" schwimmt, dem muß das doch in den Ohren klingeln.
Ein weiteres Ziel der neuen Politik muß sein, Fortschritt zu ermöglichen. Unser Land braucht einen neuen Aufbruch für technischen Fortschritt und Innovation.
Nur so können wir Wohlstand und Arbeit sichern. Wenn diese Bundesregierung seit Jahren eine Standortdebatte führt und gleichzeitig den Anteil des Forschungs- und Technologiehaushalts an den Bundesausgaben um ein Drittel auf nur noch 3,4 Prozent herunterfährt, dann ist offensichtlich, daß ihr jedes Konzept für Zukunftssicherung fehlt.
Die verhängte Minderausgabe von 366 Millionen DM zwingt zu einer weiteren Kürzung der Projektförderung in Schlüsselbereichen wie Lasertechnik, erneuerbare Energien, Ökologie, Klimaforschung.
Das ist der forschungspolitische Offenbarungseid dieser Bundesregierung.
Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verlangt langfristig angelegte Strategien der Forschungspolitik, finanziell abgesichert. Deshalb verlangen wir, künftig die Einnahmen aus der Privatisierung von Bundesvermögen in einem Fonds zur Förderung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu binden, genauso wie wir es bei der Privatisierung der Salzgitter AG gemeinsam gemacht haben, deren Erlös heute das Kapital für die Bundesumweltstiftung bildet. Wir wollen, daß mit diesem Geld künftig nicht mehr Haushaltslöcher gestopft werden, sondern daß es zur Finanzierung von Innovation und Modernisierung dient.
Die Regierung Kohl hat die Förderung von Forschung und Entwicklung nicht nur zurückgefahren, sondern auch in eine Schieflage gebracht. Davon sind insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe betroffen. Wer wie die Bundesregierung steuerliche Abschreibungsmodelle für Beteiligungen - hören Sie gut zu! - an in Korea und Taiwan gebauten Containerschiffen günstiger ausgestaltet als die Beteiligung an jungen Technologieunternehmen in Deutschland, der weiß nicht, wo die Schwerpunkte in diesem Land liegen müssen, und tut zuwenig für die Bereitstellung von Risikokapital.
Ein Land ist nicht fortschrittsfähig, wenn es nicht mehr in der Lage ist, seiner Jugend eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen. Die Politik des Bundeskanzlers - Selbstverpflichtung der Wirtschaft - ist gescheitert. Sie haben diesen Mißständen lange genug tatenlos zugesehen. Wir werden Druck machen und dafür sorgen, daß endlich gehandelt wird.
Es kann nicht länger hingenommen werden, daß die kleinen und mittleren Betriebe die Hauptlast der Ausbildung tragen, während sich Großbetriebe zurückziehen. Wir brauchen ein solidarisches Aus-
Karl Diller
gleichssystem - am besten freiwillig auf Branchenebene, ansonsten auf gesetzlicher Basis -, um die finanziellen Lasten zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben gerecht zu verteilen. Es muß mit dem Skandal Schluß sein, daß alljährlich Tausende von jungen Leuten zusammen mit ihren Eltern um einen Ausbildungsplatz bangen müssen.
Die Regierung Kohl hat unser Land in eine tiefe Krise geführt. Die Chaoswochen von Bonn haben bewiesen: Diese Regierung hat abgewirtschaftet und ist zu einem politischen Neuanfang nicht in der Lage.
Der falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung Kohl stellen die Sozialdemokraten klare Alternativen entgegen. Wir wollen eine Reformpolitik, die die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft erneuert, ohne den sozialen Zusammenhalt zu zerstören. Dabei lassen wir uns von folgenden Zielen leiten: Arbeit schaffen, Gerechtigkeit gewährleisten und Fortschritt ermöglichen.