Rede von
Prof. Dr.
Martin
Pfaff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Bundesminister, die Botschaft hören wir wohl, aber uns fehlt der Glaube. Wir haben schon so viele andere Botschaften von Ihnen gehört, deren Verfallszeit sehr, sehr kurz war: einmal rein in die Kartoffeln, einmal raus aus den Kartoffeln; einmal hau, dann wieder ruck. Deshalb will ich mich eher an dem orientieren, was die Fachleute sagen.
Nehmen wir doch einmal die Arzneimittel. Wenn eine Beitragssatzanhebung, die bei vielen Kassen absehbar ist, beispielsweise dazu führt, daß ein Arzneimittel, das bisher 8 Mark gekostet hat, jetzt um 10, 14 oder 15 DM angehoben wird, dann ist heute schon absehbar, daß für über die Hälfte bis zu zweidrittel aller Arzneimittel in Kleinpackungen die Zuzahlungen höher sein werden als der Arzneimittelpreis. Im Klartext: Es handelt sich um eine Ausgrenzung von Leistungen, weil die Versicherten sagen: Ich zahle gleich das Arzneimittel anstatt der Zuzahlung, weil diese noch höher ist als der Preis für das Arzneimittel. Ist das nicht so?
Zweiter Punkt. Stellen Sie sich einmal vor, daß im Wettbewerb der Kassen eine Kasse ein Angebot für chronisch Kranke, Multimorbide, also kostspielige Patientinnen und Patienten, macht. Gehen wir davon aus, daß diese auf Grund der Wahlfreiheit, die sie haben, in der Tat zu dieser Kasse gehen. Dann müssen doch die Beitragselemente, die bei dieser Kasse anfallen, steigen. Ist das das Ende der Geschichte? Nein. Was sagen sich denn dann die jungen Leute, die in dieser Kasse sind? Die sagen sich: Wenn ich zu einer anderen Kasse gehe, die keine Angebote für chronisch Kranke, multimorbide Menschen macht, kann ich mir 200 oder 300 DM im Monat sparen.
Im Klartext: Dies führt zu einer Polarisierung der Krankenkassenlandschaft zwischen Kassen für Gesunde und Kassen für Kranke. Wie lang dies gutgehen kann, sagen Ihnen doch alle - nicht nur wir, sondern auch die Kassenvertreter, alle, die in der Praxis Erfahrung haben. Deshalb sage ich, Herr Bundesminister: Dies wird notwendigerweise dazu führen - auch die Kassenvertreter haben Ihnen das schon gesagt -, daß die Kassen im Zweifelsfall solche Leistungen nicht anbieten werden.
- Wenn die Kasse das nicht ausgrenzen darf, dann frage ich Sie, Herr Dr. Geißler - Sie sind jedenfalls nach meiner Ansicht ein Sozialpolitiker mit einem guten Namen -: Warum schreiben Sie dann nicht in das Gesetz, daß dies einheitlich und gemeinsam von allen Kassen zu gewähren ist?
Warum schreiben Sie dann hinein, daß dies eine Gestaltungsleistung ist und daß für jede Beitragsanhebung um ein Zehntel eine Zuzahlung in Höhe von
Dr. Martin Pfaff
1 Prozent erfolgen muß? Wenn Sie A sagen, dann sagen Sie bitte auch B.
Deshalb, Herr Bundesminister, ist Ihre Aussage unglaubwürdig. Sie ist unglaubwürdig, weil sie den Erfahrungen widerspricht, weil Sie in der Tat einen Rosinen-picken-Wettbewerb einleiten werden, weil Sie eine Entsolidarisierung einleiten, die Sie schlicht und einfach leugnen wollen.