Rede von
Oswald
Metzger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Roth, man muß sich in der Koalition schon Mut in einem Jahr machen, wo Sie von der CDU/CSU und F.D.P. feststellen müssen: Wir haben als Regierungsfraktion den höchsten Schuldenstand seit Bestehen dieser Republik zu verantworten; wir haben in der Geschichte dieser Republik die höchste Abweichung bei der Investitionsquote in den Haushalten, und wir sind abgewichen vom Pfad der erklärten Tugend des letzten Jahres, - das haben Sie auf Ihre Fahne geschrieben - an der Senkung der Lohnnebenkosten festzuhalten.
Eine Woche, nachdem Sie ankündigen mußten, daß der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr die Schallmauer von 20 Prozent mit 20,3 Prozent durchbricht und damit im nächsten Jahr den Arbeitnehmern und Arbeitgebern fast 20 Milliarden DM zusätzlich aus der Tasche genommen werden, sagen Sie hier: Wir vertreten eine Politik der Solidität und der Glaubwürdigkeit, und die Opposition ist auf dem linken Fuß erwischt, wenn sie Ihnen Ihre Versäumnisse vorwirft. Das ist doch eine Politik, die niemand mehr nachvollziehen kann.
Schauen Sie sich die derzeitige Stimmung in der Bevölkerung an: Sie bekommen im Augenblick wegen der gesundheitspolitischen Verwerfungen einen Aufstand des Mittelstandes; Sie bekommen einen Aufstand der Beschäftigten im Krankenhaus- und Klinikbereich; Sie bekommen einen Aufstand der vielen Freiberufler im Gesundheitsbereich, die die Konsequenzen der Kürzungen der Sozialausgaben dieser Koalition am eigenen Leib spüren.
Sie spüren die Verunsicherung der Bevölkerung förmlich daran, daß das Konsumverhalten, das sich über den Sommer etwas gebessert hat, bereits wieder - so können Sie es im „Handelsblatt" von heute lesen - einknickt. Die Konjunktur ist in einer sehr labilen Verfassung, und die Auslandsnachfrage, die allein die Konjunktur derzeit stützt, steht in keinem Verhältnis zur Stagnation im Bereich der Ausrüstungsinvestitionen.
Stagnierende Ausrüstungsinvestitionen als volkswirtschaftliche Parameter, Kollegen Weng und Westerwelle von der F.D.P., sind doch der Grund dafür, warum keine weiteren Arbeitsplätze geschaffen werden und warum derzeit Arbeitgeber Gewehr bei Fuß stehen und alles tun, um ihre Investitionsplanungen
nur nicht in die Richtung zu orientieren, die eingeschlagen werden muß, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Sie sind Gefangene Ihres eigenen Systems der letzten Jahre. Zur Halbzeit der Legislaturperiode haben Sie nichts von dem erfüllt, was Sie angekündigt haben.
Sie wollten eine symmetrische Finanzpolitik betreiben. Der Finanzminister hat bereits zu Beginn der Legislaturperiode dieses Motto geprägt: Wir fahren die Ausgaben, die öffentliche Verschuldung und die Abgabequote herunter. In keinem dieser drei Felder haben Sie einen Erfolg vorzuweisen. Sie setzen nach wie vor auf das Prinzip Hoffnung und auf Gesundbeten. So geht doch eine Regierung mit der Bevölkerung angesichts der dramatischen Herausforderungen kurz vor der Jahrhundertwende nicht um!
Die Menschen verlangen Orientierungen, Herr Bundeskanzler, und nicht Ankündigungen in einer allmächtigen Weise: „Bis zum Jahre 2000 halbieren wir die Arbeitslosenquote." Diese Behauptung wurde im Januar dieses Jahres aufgestellt. Das Herbstgutachten der Sachverständigen enthält aber die Prognose, daß wir im nächsten Jahr eine zusätzliche Anzahl von Arbeitslosen bekommen werden, die jedoch noch nicht im Regierungsentwurf eingerechnet ist und die auch ein kleines, zusätzliches Haushaltsrisiko birgt.
Wir befinden uns im Bereich des Steuerrechts - Kollege Diller hat das vorhin zu Recht erwähnt - in einer Situation, daß der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V., Herr Gruger, klarstellen muß, daß die Volks- und Raiffeisenbanken in Deutschland im letzten Jahr 4,5 Milliarden DM Steuern vom Ertrag und Umsatz gezahlt haben, daß aber die Großbanken bei gleichem Geschäftsvolumen nur 800 Millionen DM Steuern in Deutschland zahlen. Was lernen Sie als Koalition daraus? Die große Litanei, die sagt: Die Steuer- und Abgabequote in Deutschland ist zu hoch. Hier in dem speziellen Fall: Die Steuerquote ist zu hoch.
Die Steuerquote führt inzwischen dazu, daß der Mittelstand bzw. die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Zahlmeister der Nation sind, daß aber die Global players, die „Schrempffs" mit ihren Shareholder values - auch Scharfmacher wie Olaf Henkel, der gestern vom BDI wiedergewählt wurde - inzwischen die Politik im Unternehmerlager bestimmen und dort die Musik spielen ohne Rücksicht auf soziale Verwerfungen, auf einen sozialen Konsens, auf eine solidarische Gesellschaft.
Oswald Metzger
Diesen Prozeß unterstützt diese Koalition. Dieser Prozeß wird diese Gesellschaft in einem Ausmaß spalten, das uns in den nächsten Jahren politische Verwerfungen bescheren wird und uns noch vieles um die Ohren fliegen lassen wird.
Kollegen Haushälter von der Koalition, es ist nicht so, daß die Opposition nicht die Zeichen der Zeit erkennt.
Die grüne Fraktion hat sich die Mühe gemacht - Sie werden es am Freitag in unserem Entschließungsantrag zur dritten Lesung nachlesen können -, das Motto „Solidarisch sparen" durchzudeklinieren. Für uns ist auch klar: Eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung kommt nicht mehr in Frage. Die Ausgaben müssen gekürzt werden, um den Haushalt zu entlasten. Dieser billige Weg zur Beschaffung von Mehreinnahmen ist uns verstellt. Außerdem bedeutet eine neue Verschuldung eine Vermögensumverteilung zugunsten der Kapitalbesitzer sowie eine Vorbelastung der nächsten Generationen. Das hat nichts mit nachhaltiger Finanzpolitik und Solidität zu tun.
Wir stellen uns dieser Herausforderung. Wir wollen beispielsweise durch ein Paket solidarischer Einsparungen kürzen. Das reicht von haushaltsbezogenen Kürzungen in den Bereichen Verkehr, Verteidigung und Rüstung bis zu Einschnitten in Leistungsgesetze in den Bereichen der Beamtenversorgung - Stichwort 13. Monatspension - und der Beamtenbesoldung durch die Halbierung des Weihnachtsgeldes für Gutsituierte - beispielsweise ab A 13 aufwärts -, durch die komplette Abschaffung des Weihnachtsgeldes für die B-Besoldungsgruppe und durch die Streichung der Ministerialzulage und der Sicherheitszulagen. Diese Maßnahmen im Personalbereich ergeben 1 Milliarde DM. Wer sich in diesem Gremium hinstellt und sagt, die Opposition mache sich nicht die Mühe, eigene Einsparvorschläge zu skizzieren, täuscht sich gewaltig. Dieser Antrag wird am Freitag präsentiert.
Wir machen darüber hinaus Aussagen in die Richtung, wo der Haushalt strukturell entlastet werden soll. Wir wollen beispielsweise auch liebgewordene Subventionen im Bereich der Landwirtschaft - Stichwort Gasölbeihilfe - begrenzen. Wir wollen dort ab 1998 durch eine Verkürzung des Subventionsbetrages 140 Millionen DM ersatzlos streichen. Wir geben - übrigens in Absprache mit unseren Freunden von der nordrhein-westfälischen Landtags- und Regierungsfraktion der Grünen - einen Weg vor, wie wir bei der Steinkohle und der Kokskohlebeihilfe einen mittelfristigen Ausstieg machen können, der für das Jahr 2005 restlich verbleibende Subventionen in Höhe von 5 Milliarden DM vorsieht.
Das ist weniger als die Hälfte dessen, was wir derzeit
bezahlen und, Kollege Westerwelle, immer noch weniger als das, was die Union für das Jahr 2008 als weitere Subventionen einplant.
Das sind Aussagen, die deutlich machen, daß wir uns hier einer gesamtstaatlichen Verantwortung stellen. Meine Herren . von der Regierung, schließlich sind wir eine Fraktion in der Opposition, die sich darauf vorbereitet, in diesem Land auf Bundesebene Verantwortung zu übernehmen. Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir jetzt als Opposition nur Obstruktion machten und nicht die Weichenstellungen vorbereiten würden, damit wir tatsächlich in Zukunft noch Gestaltungsmöglichkeiten haben.
Die jetzige Koalitionsregierung muß, wenn sie ehrlich ist, doch davor zittern, 1998 wiedergewählt zu werden, weil all das, was sie jetzt auf Grund des Druckes im Referenzjahr 1997 nach hinten auf die Jahre 1998 und folgende und mit der Haltung „Augen zu und durch" im Bereich des Arbeitsmarktes - allein dort ein Kostenrisiko von rund 9 Milliarden DM - wegdrückt, sie als Regierungspartei einholen wird. Dann sind Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, buchstäblich nicht nur so, wie Heike Göbel heute in der „FAZ" schreibt, mit ihrem „Haushälterlatein am Ende", sondern dann sind Sie womöglich auch als Regierung am Ende.
Wir als Opposition könnten uns auch so verhalten, wie es einmal Teile der Union gemacht haben. Schließlich formulierte damals Franz Josef Strauß - Gott hab ihn selig - in seiner berühmten Sonthofener Rede das Motto: Laßt doch diese sozialliberale Koalition trudeln, im eigenen Saft schmoren, das Staatsschiff wird uns wie eine reife Frucht in den Schoß fallen. So ähnlich könnte es bei Gott sein. Es könnte eine Ausputzer-Legislaturperiode für die Opposition geben.
Sie verfahren nach dem Motto: Weiter so wie bisher, keine strukturellen Weichenstellungen! Viel Getöse, viel Gerede, aber nichts dahinter!