Rede von
Matthias
Berninger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An der Debatte, wie sie hier vor allem von meinem Vorredner geführt wurde, stört mich, daß verdeckt wird, daß die Form der Prioritätensetzung in diesem Haushalt aus meiner Sicht grundsätzlich falsch ist und daß durch die Art und Weise der gegenseitigen Beschuldigungen auch verdeckt wird, daß das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an keiner Stelle versucht hat, Akzente gegen diese grundsätzlich falsche Ausrichtung des Haushalts zu setzen.
Des weiteren stört mich, daß Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, verheimlicht werden. Deswegen will ich mit den Schwierigkeiten beginnen, vor denen wir in den neuen Ländern im Jahre 1 nach den Sparvorschlägen, die Sie gemacht haben, stehen werden.
27 Prozent aller Stellen im Bereich der sozialen Infrastruktur sind Stellen, die über Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik finanziert werden. Hier sind massive Kürzungen zu erwarten, die gerade die freien Träger, von denen Kollege Jacoby gesprochen hat, ganz massiv treffen werden und die die wenigen zarten Pflänzchen, die in der Phase der deutschen Einheit dort im Osten gewachsen sind, wieder zerstören werden. Ein Bundesland, und zwar das Bundesland, aus dem die Ministerin stammt, hat 43 Prozent aller Stellen im Bereich dieser sozialen Infrastruktur bislang über Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik finanziert. Was nach diesen Sparmaßnahmen übrigbleiben wird, sind an vielen Stellen in den neuen Ländern sozialpolitische Ruinen.
Kollege Jacoby, ich habe mir sehr vieles davon angesehen. Ich habe mit sehr vielen Leuten vor Ort gesprochen und kann Ihnen sagen: Das ist eine Sache, die mich jenseits aller parteipolitischen kleinen Fechtereien, die wir hier veranstalten, sehr besorgt. Deswegen sollte man an dieser Stelle nicht darauf verweisen, daß Eigeninitiative oder nur die Kommunen bzw. nur die Länder dieses Problem lösen können.
Die Kernfrage ist: Übernimmt der Bund weiterhin eine Sonderrolle in dieser wichtigen Phase der deutschen Einheit, oder übernimmt er sie nicht? Der Bundesfinanzminister hat entschieden, Geld zu sparen,
und hat sich dagegen entschieden, durch eine Sonderrolle - was laut Verfassung möglich wäre - Akzente zu setzen. Diese ganze Sache wird dadurch symbolisiert, daß die Sonderprogramme aus der Phase der deutschen Einheit in diesem Jahr endgültig zu einem Abschluß gekommen sind.
Matthias Berninger
Nun hat Kollegin Albowitz soeben - wie sie es öfter zu tun pflegt - dazwischengerufen, verantwortlich seien die deutschen Steuerzahler. Vorhin haben Sie im Rahmen der Finanzpolitik gesagt, man könne das Geld ja schließlich nicht drucken.
Sie haben mit beidem völlig recht. Ich glaube, unseriöse Finanzpolitik dürfen wir nicht machen, weil die zu Lasten kommender Generationen geht.
Eine Frage aber müssen Sie schon beantworten, nämlich die Frage, wie Sie eine kommende Generation in die Lage versetzen wollen, die Lasten, die wir ihnen Jahr für Jahr im Bereich des Generationenvertrages, der Staatsverschuldung und der ökologischen Zerstörung aufbürden, zu tragen.
Ein ziemlich einfacher Lehrsatz ist es, daß wir in den Jugendbereich, gerade in diesen sehr kleinen Etat, Millionen investieren, die in ihrer Wirkung junge Leute in die Lage versetzen werden, Lasten in Milliardenhöhe zu tragen. Deswegen ist 1 DM, die ich in einem Bereich nicht investiere, nicht vergleichbar mit 1 DM in einem anderen Bereich.
Was mich an diesem Punkt ärgert, ist, daß das immer verkürzt dargestellt wird. Man kann nicht das Sparen für kommende Generationen dadurch schmackhaft machen, daß man zu Lasten der kommenden Generationen spart. Ich finde, hier ist eine differenziertere Position notwendig.
Ein weiterer, sehr wichtiger Punkt, der bereits angesprochen wurde, ist die neue Prioritätensetzung im Haushalt, die ich ausdrücklich begrüße. Wir haben es nämlich trotz aller außenpolitischen Schwierigkeiten geschafft, fraktionsübergreifend den deutschtschechischen Jugendaustausch voranzubringen.
Nun gibt es bezüglich der 2 Millionen DM mehr, die wir an Prioritäten setzen, ein Problem, das mich wirklich außerordentlich ärgert. Man kann nicht sagen: „Wir setzen neue Prioritäten in Richtung Osteuropa, indem wir diesen Jugendaustausch voranbringen", aber dann in erster Linie bei den Austauschmaßnahmen mit anderen Ländern Osteuropas und im Baltikum sparen. Man kann sich nicht hinstellen und sagen: „Jugendaustausch ist eine wichtige Sache, wir bringen das voran", dann aber beim Jugendaustausch mit Israel sparen. Hier geht es nicht um Milliarden, zum Teil noch nicht einmal um Millionen, sondern um 100 000-DM-Beträge, die eine gewaltige Wirkung entfalten.
Es ärgert mich schon sehr, wenn hier mit viel Tamtam die neue Prioritätensetzung begrüßt wird, an anderer Stelle aber letzten Endes viele kleine Projekte und viele kleine Austauschmaßnahmen den Bach hinuntergehen.
Das hat nichts mit seriöser oder unseriöser Finanz- I politik zu tun, sondern aus meiner Sicht mit Mutlosigkeit. Es ist mutlos - dies kommt im Haushalt zum Ausdruck, und dies werfe ich der Ministerin vor -, daß sie für ihren Bereich nicht so eingetreten ist, wie man es in der momentanen Situation machen müßte. Die Kindergelddebatte hat das gezeigt.
Mein Gott, warum stellt sich die Ministerin nicht hierhin und sagt, daß ein Familienlasten-, ein Familienleistungsausgleich, daß mehr Geld für Familien unabdingbar ist, wenn ihr Familien so am Herzen liegen? Diesen Mut hätte ich mir gewünscht.
Warum stellt sie sich nicht als Ministerin aus Ostdeutschland hierhin und sagt, wie es ist, daß wir neue Mittel, neue Ressourcen für die neuen Länder brauchen, daß die Kommunen und Länder es allein nicht schaffen werden?
Was mich ärgert, ist, daß auf Ebene des Bundes gesagt wird, die Länder sollten das regeln, daß die Länder sagen, die Kommunen sollten das regeln, und daß die Kommunen kommen und sagen: Wir können es nicht; Länder helft uns! Die Länder aber sagen: Solange der Bund nichts tut, tun wir nichts. Am Schluß sind wir uns alle einig, daß jeweils der andere in diesem föderalistischen Theaterspiel die Probleme lösen muß. Gelöst wird überhaupt nichts. - Das Ganze geht zu Lasten der kommenden Generationen.
Eine Initiative der Ministerin hätte mich hier sehr gefreut. Auch das wäre keine Initiative gewesen, die Milliarden kostet. Auch hier geht es letzten Endes um die eine oder andere Million, die aber ein Zeichen gesetzt hätte. Das aber fehlt.
Ich glaube, daß wir mit dieser Form der Finanzpolitik, dieser Form der Sparpolitik aufpassen müssen. Sie schränkt nämlich letzen Endes die Fähigkeiten der kommenden Generation massiv ein, die Lasten, die wir ihr aufbürden, zu tragen. Als ein Beispiel ist bereits die Ausbildungsplatznot angesprochen worden.
Ich will zum Schluß noch auf einen anderen Bereich zu sprechen kommen, das ist der Bereich der Gesundheitspolitik. Neben den Renten wird dies das entscheidende Feld sein. Wir haben in Deutschland im Gesundheitsbereich ein gutes Prinzip. Dieses gute Prinzip besagt, daß, unabhängig vom Alter, alle Leute in der gesetzlichen Krankenversicherung in den Genuß von Leistungen des Gesundheitswesens kommen sollen. Es ist nicht so wie in anderen Ländern, wo ab einem bestimmten Alter gesagt wird, die eine oder andere Operation sei zu teuer.
Mit diesem Prinzip ist in diesem Jahr zum erstenmal gebrochen worden, indem gesagt wurde, der Zahnersatz für Jüngere werde nicht mehr finanziert. Auch hier wünsche ich mir von einer Ministerin, daß sie massiv eintritt, wenn solche Sparmaßnahmen der Bundesregierung, die nicht nur eine sozialpolitische Schieflage, sondern auch eine Schieflage bezüglich der Generationen aufweisen, vorgeschlagen werden. Das fehlt.
Matthias Berninger
Wie ich bereits gesagt habe: Diese Mutlosigkeit kommt in dem Haushalt zum Ausdruck. Deswegen werden wir diesen Haushalt ablehnen.
Vielen Dank.