Rede von
Peter
Jacoby
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich will die Frage kurz und präzis beantworten. Ich bleibe bei meiner Kritik an der Maßlosigkeit der Sprache Ihres Bundesvorsitzenden in den Jahren 1989 und 1990,
als die Aussiedler hier nach Deutschland kamen und von dieser Bundesregierung sozial integriert worden sind.
Zu Ihrem zweiten Punkt: Wir bringen 200 Millionen DM im siebten Jahr nach der Wiedervereinigung und nach Fall von Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl in einer finanziell schwierigen Zeit aus, um auch in diesem Jahr junge Aussiedler bestmöglichst zu betreuen, und sind froh, daß die Zahlen auch deswegen zurückgegangen sind, weil sich durch unsere Politik die Verhältnisse in den Herkunftsländern stabilisiert haben. Sie können dann nicht hingehen und in der Art und Weise mit Kritik aufwarten, wie es Frau Kollegin Klemmer eben getan hat. Insofern bleibe ich bei meinen Formulierungen.
Peter Jacoby
Meine Damen und Herren, Frau Matthäus-Maier, eigentlich hätte ich an dieser Stelle von Ihnen einen anderen Beitrag erwartet.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß die Opposition vormittags eine Debatte im Deutschen Bundestag führt, in der sie die Höhe der Nettoneuverschuldung und die Höhe der Staatsverschuldung kritisiert, an keiner Stelle einen Einsparvorschlag macht und davon spricht, die zukünftige Generation würde mit Schulden belastet, und dann nachmittags bei der erstbesten Gelegenheit Mehranträge in der Größenordnung von 500 Millionen DM stellt - ganz abgesehen von den im Zuge der Ausschußberatungen zu Anträgen erhobenen Wechseln auf die Zukunft, die nicht gedeckt sind. Das ist widersprüchlich und doppelbödig und muß von dieser Stelle aus entsprechend zurückgewiesen werden.
Ich will nun zu dem eigentlich zentralen Thema kommen. Das wird doch auch bei Ihnen diskutiert. Ich möchte nämlich Sie, Frau Kollegin Klemmer, weil Sie eben hier mit Blick auf sozialstaatliches Engagement argumentiert haben, ganz konkret fragen: Was hat denn Ministerpräsident Schröder gemeint, als er vor wenigen Wochen auf dem Wirtschaftsforum der SPD in Bonn folgendes sagte: „Wir müssen die sozialen Leistungen in Deutschland den Realitäten der schmaleren Staatsfinanzen anpassen." Weiter hat er gesagt: „Die Teilhabe der Bedürftigen muß immer wieder neu festgesetzt werden." Schließlich sagte er: „Man kann nicht immer nur draufsatteln. "
Wenn der Ausgangspunkt lautet, man könne nicht immer nur draufsatteln, dann frage ich: Warum kommen Sie hierher und kritisieren schmerzhafte, aber mit Verantwortungsbewußtsein vorgenommene Sparmaßnahmen, die nicht linear, sondern sehr wohl auf den Einzelfall bedacht vorgenommen worden sind. Sie stellen den Kernbestand unseres sozialstaatlichen Engagements mitnichten in Frage. Diese Frage müssen Sie in den nächsten drei Tagen beantworten, in denen es um Zusammenhänge deutscher Politik und nicht um partielle Betrachtungen geht.
Ein weiteres Thema möchte ich ansprechen: Schauen Sie sich doch bitte einmal die Spardiskussionen und -entscheidungen in den Bundesländern an. Im saarländischen Landtag - ich komme aus Saarbrücken - wird gegenwärtig eine Streichung im Sozialhaushalt um 7,5 Prozent diskutiert. Dort wird die Förderung von örtlichen Beschäftigungsinitiativen und Selbsthilfegruppen um 30 Prozent gekürzt. Dort wird die Zuwendung an Erziehungs- und Familienberatungsstellen in einer Größenordnung von 50 Prozent gekürzt. Dort werden die familienpolitischen Maßnahmen, die freiwillig auszubringen sind, um 17 Prozent gekürzt.
Deshalb meine ich, Sie können als SPD nicht hierher kommen und etwas kritisieren, was Sie in der
landespolitischen Verantwortung selbst tun, wenn Sie gefordert sind.
Was bleibt in diesem Etat bestehen? Wir etatisieren im freiwilligen Bereich nach wie vor knapp 800 Millionen DM. Davon werden frauenpolitische Maßnahmen, der Garantiefonds, der Kinder- und Jugendplan, Maßnahmen der Senioren- und Familienpolitik, die Zuschüsse an die Wohlfahrtsverbände finanziert.
Man darf zum Beispiel die Seniorenpolitik - wie Sie es eben getan haben, Frau Klemmer - nicht nur pauschal mit Haushaltsansätzen angehen. Man muß vielmehr sehen: Es gab Modellmaßnahmen, die von vornherein zeitlich befristet waren. Es ist darum gegangen, die Initialzündung vom Bund aus zu geben, damit sie dann von den Kommunen, den Ländern und den freien Trägern weitergetragen wird. In vielfacher Hinsicht geschieht das schon. Wir begrüßen diese Entwicklung und beziehen weiterhin die Position, auch in anderen Bereichen solche Initialzündungen zu geben. Gott sei Dank gibt es in unserem Land so etwas wie praktizierte Ehrenamtlichkeit,
die diese staatlich freigesetzten Effekte multipliziert. Deshalb ist die Situation nicht so schwarz in schwarz, wie Sie hier versuchen, den Eindruck zu erwecken - ganz im Gegenteil.
Ich will auf folgenden Punkt hinweisen: Wenn man den Gesamtzusammenhang vor Augen hat und wenn man sieht, daß es in einer zugegebenermaßen finanziell schwierigen Zeit dennoch möglich war, Neuansätze zu bilden, dann müssen wir etwas differenzierter argumentieren und etwas differenzierter in der Bewertung sein, als das in dem Beitrag eben leider der Fall gewesen ist.
Ich will drei Maßnahmen, die wir neu in Ansatz bringen, ansprechen, um deutlich zu machen: Wir argumentieren nicht nur gegenwartsbezogen und schon gar nicht rückwärtsgewandt, sondern uns geht es um das, was vor uns liegt. Ich nenne im Bereich der Frauenpolitik die für das nächste Jahr vorgesehene Kampagne zur Umsetzung der Ergebnisse der Pekinger Weltfrauenkonferenz. Sie haben diese Kampagne im letzten Jahr gefordert; jetzt ist sie im Bundesetat für 1997 in Ansatz gebracht.
Ich nenne unsere Bemühungen beim freiwilligen, sozialen und ökologischen Jahr. Ich nenne - auch das ist eben angesprochen worden - den deutsch-tschechischen Jugendaustausch. Wenn man im Hinblick auf diesen Austausch kritisiert, 2 Millionen DM seien zuwenig, dann will ich in Erinnerung rufen: In den vergangenen Jahren hatten wir immer parteiübergreifend darauf hingewiesen und waren stolz darauf, daß sich das Deutsch-Französische Jugendwerk in einer tollen Weise entwickelt hat und daß wir die Zuwendungen auf einem hohen Niveau stabilisiert haben. Das gilt auch für das Deutsch-Polnische Jugendwerk. Insofern darf die Wahrnehmung in diesem Be-
Peter Jacoby
reich nicht so selektiv sein, wie es eben der Fall gewesen ist.
Wir dürfen auch die sozialstaatliche Debatte nicht nur auf den finanziellen Aspekt verkürzen. Was wir jenseits aller fiskalpolitischen Betrachtungen brauchen, ist die Veränderung von Strukturen, ist Flexibilität und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen.
Deshalb möchte ich noch etwas zu Ihrem Änderungsantrag in bezug auf das Erziehungsgeld sagen, den Sie heute mehr oder weniger zufällig eingebracht haben. Warum „zufällig"? In den zurückliegenden Monaten der Haushaltsplanberatungen sind wir an keiner Stelle mit diesem Antrag konfrontiert worden.
Sie haben sich aber noch etwas ganz anderes erlaubt: Eine Situation im Fachausschuß, in der die Koalition unmittelbar vor der Bereinigungssitzung keine Mehrheit hatte, haben Sie sich zunutze gemacht, indem Sie Einzelanträge gestellt hatten. Der Änderungsantrag zum Erziehungsgeld war allerdings nicht dabei. Für alle Anträge im Fachausschuß hatten Sie die Mehrheit.
Als dann aber die Schlußabstimmung über die von Ihnen veränderte Vorlage stattfand, haben Sie dagegen gestimmt. Jetzt reden Sie von einer chaotischen Politik des Hin und des Her, obwohl angesichts der verminderten Steuereingänge eine Korrektur notwendig war. Wenn etwas chaotisch war, wenn etwas nicht seriös gewesen und nicht gut vorbereitet gewesen ist, dann ist es heute Ihre Initiative im Hinblick auf das Erziehungsgeld.
Wenn wir über finanzielle Dinge reden, müssen wir gleichzeitig auch über Strukturen reden. Zum Beispiel würde ich in diesem Zusammenhang gerne diskutieren, wie man das Instrument des Erziehungsurlaubs durch Zeitkonten künftig besser und für Eltern flexibler nutzbar macht, als dies bisher geschehen ist.
Insofern kann es heute nicht darum gehen, Überraschungsanträge zu stellen, pauschal Kritik zu üben und alles in Schutt und Asche zu reden, sondern darum, das zur Kenntnis zu nehmen, was ist, nämlich die Bewältigung und Finanzierung sozialstaatlichen Engagements in einer zugegebenermaßen finanziell nicht einfachen Zeit. Die Zeichen der Zeit stehen aber nicht auf Rückbau, sondern sie stehen auf Umbau. So haben wir es als Koalition gesehen, und so wird es im vor uns liegenden Jahr geschehen.
Vielen Dank.