Rede von
Marina
Steindor
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurück zum Haushalt. Das Haushaltsloch des Ministers Waigel wird ja immer größer. Unser Gesundheitsminister Seehofer steht beim Sparen in der ersten Reihe. Wenn man es an der Gesamthöhe seines Minietats mißt, spart er freiwillig prozentual mehr als alle anderen Minister in ihren Ressorts.
Seit ich in diesem Hause bin, suchen wir vergeblich nach dem, was ich und meine Fraktion eigentlich von einer Gesundheitspolitik erwarten. Das gibt es anscheinend nicht. 1994, als ich erstmals hier eine Haushaltsrede hielt, hatten wir zu beklagen, daß das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene nach der Auflösung des Bundesgesundheitsamtes an das Umweltsministerium abgegeben worden war. Dort hatte man die umweltpolitischen und umweltmedizinischen Eingriffsmöglichkeiten aufgegeben.
Im letzten Jahr habe ich mich damit auseinandergesetzt: Was macht der Minister mit seinem wenigen Geld? Ich habe dazu einige exemplarische Ausführungen über die Gesundheitsressortforschung gemacht, die ein Gemischtwarenladen an Konzeptionslosigkeit ist.
Im Laufe der Debatte bekamen wir dann zu hören: Vorfahrt für die Selbstverwaltung. Es sieht jetzt nach der Vorlage des 2. GKV-NOG so aus, daß sich der Staat zunehmend aus seiner Verantwortung zurückzieht und die Kassen den Mangel gestalten läßt. Es wird immer klarer, daß der Minister auf dem politischen Rückzug ist.
Der Haushalt besteht - das ist ausgeführt worden - weitgehend aus feststehenden Personalkosten. Im Grunde genommen ist das Ministerium schon jetzt zu einer reinen Verwaltungsstelle verkommen. Geld, mit dem man Politik gestalten und Modellprojekte anschieben könnte, gab es sowieso immer nur recht wenig. In diesem Haushalt gab es zu Beginn der Beratungen disponible Mittel in Höhe von 47 Millionen DM. Wir im Gesundheitsausschuß wurden dann von der Hiobsbotschaft überrascht, daß an Mitteln gespart werden soll, die bei der institutionellen Förderung und bei Modellprojekten an Zuwendungsempfänger gehen oder die für die Öffentlichkeitsarbeit bestimmter Projekte vorgesehen sind. Der Minister
verkündete, daß er gar nicht gezwungen worden sei; nein, er habe sich freiwillig gemeldet.
Ausgerechnet mit einer faktisch mehr als 50prozentigen Kürzung der disponiblen Mittel wollte er die riesigen Haushaltslöcher Waigels stopfen. Diese Kürzung ist prozentual höher als in allen anderen Ministerien. Während sich andere Minister öffentlich wehrten und darauf hinwiesen, daß das, was eingespart werden sollte, einen gesellschaftlichen Verlust bedeute - wie beispielsweise das Verkehrs- oder das Verteidigungsministerium; das teilen wir politisch nicht -, kann ich Minister Seehofer mit den Worten zitieren: Ich habe nichts dagegen, wenn man beim Sparen an der Spitze steht. - Ein Gesundheitsminister stellt sich hin und tut so, als ob das, was weggespart wird, ihm nichts wert ist! Er spart faktisch an kranken Menschen.
Um das sprachlich zu füllen, fehlen einem die Worte. „Zynisch" oder „Skandal" sind zuwenig. Wenn man es auf den Punkt brächte, würde man sich hier wahrscheinlich einen Ordnungsruf einhandeln. Das will ich nicht.
Nun haben wir bei der Vorlage des 2. GKV-NOG gehört, daß damit eine Richtungsentscheidung anvisiert wird,
daß die gesetzliche Krankenversicherung auf eine Mindestversorgung reduziert werden soll, daß die GKV und das Solidarsystem ausgehöhlt werden und daß die Kassen den Mangel verwalten sollen. Wenn man sich anschaut, wie ein Minister freiwillig einen Teil seiner Zuständigkeiten abgibt und in seinem Haushalt freiwillig über die Hälfte der disponiblen Mittel einspart, dann gibt einem das doch zu denken.
Man konnte - bis auf das Erleiden der gesundheitspolitischen Vorstellungen der F.D.P. - bei unserem Gesundheitsminister bislang eigentlich keine masochistische Ader entdecken. Folglich darf man annehmen, daß man sich mit derlei Sparaktionen irgendwo Meriten verdienen kann. Wir dürfen alle auf das gespannt sein, was dort an Wohlfeilem herausspringt. Was aber in bezug auf die Waigelschen Haushaltslöcher wie ein Tropfen auf den heißen Stein daherkommt, nämlich eine Einsparung im Gesundheitshaushalt, tut den zahlreichen Zuwendungsempfängern sehr weh. Dieser Gesundheitsminister zeigt, daß er überhaupt kein Gefühl mehr für Verhältnismäßigkeit hat.
In Hinblick darauf, daß in einer zweiten Sparrunde in der Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuß noch einmal Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit gespart worden sind, muß man sich doch fragen: Kann
Marina Steindor
man jede Öffentlichkeitsarbeit über einen Kamm scheren? Ist es nicht ein Unterschied, ob man Öffentlichkeitsarbeit im Bereich von Aids und Suchtprävention oder im Bereich des Verkehrsministeriums macht? Aber dieser Gesundheitsminister scheint seinen Verantwortungsbereich in letzter Zeit aus dem Auge verloren zu haben. Es regiert der Gesundheitswirtschaftsminister. Ich sage Ihnen: Das, was Sie hier mit Ihren Einsparungen veranstalten, kostet mehr Arbeitsplätze, als daß es etwas einbringt.
Es werden massenhaft Leute aus dem Bereich der Reha-Kliniken, der häuslichen Krankenpflege - Logopädinnen, Physiotherapeutinnen usw. - auf der Straße sitzen. Den Symbolwert Ihrer Sparaktion im Gesundheitshaushalt scheinen Sie voll und ganz verkannt zu haben;
denn Sie verabschieden sich mit Ihren Haushaltskürzungen aus den großen staatlichen Aufgaben der Gesundheitspolitik. Selbsthilfe bei psychisch Kranken, Projekte für chronisch Kranke - das sind keine Peanuts.
Wenn hier laut getönt wird - wieder mit der üblichen Diktion, Rot-Grün an die Wand zu stellen -, es gehe uns in der Drogenpolitik um eine Entkriminalisierungsstrategie, und wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, in Schleswig-Holstein würde der Staat zum Dealer, dann frage ich Sie: Wie ist es denn mit der Subvention von 300 Millionen DM für das Branntweinmonopol? Können Sie Ihre eigene Doppelmoral noch ertragen, was die ungleiche Behandlung von Suchtmitteln betrifft? Wo bleibt denn von Ihrer Seite die Durchsetzung eines Nichtraucherschutzgesetzes?
Die rasenmäherhafte Art, mit der im Gesundheitsetat gespart werden soll, indem über alle Bereiche eine 50prozentige Bewirtschaftungssperre verhängt wird, zeigt doch auch wieder nur gesundheitspolitische Konzeptionslosigkeit.
Wenn Sie, Herr Minister, tatsächlich der Auffassung sind, daß Ihre Gestaltungskapazitäten im gesetzlichen Bereich, die Sie in hohem Maße an die Krankenkassen abgeben, überflüssig sind und daß auch das Geld, das Sie noch ausgeben können, überflüssig ist, dann frage ich Sie: Warum haben Sie nicht den letzten Schritt getan und Ihren Sessel sowie den der Staatssekretärin zur Verfügung gestellt? Damit hätten Sie noch etwas mehr als eine halbe Million DM zur Verfügung stellen können.