Rede von
Gerhard
Rübenkönig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Gesundheitshaushalt Stellung beziehe, gestatten Sie mir vorab einige Bemerkungen zum Bundeshaushalt 1997, der durch die globale Kürzung von 3 Milliarden DM auch auf den Gesundheitshaushalt erhebliche Auswirkungen hat. Hierzu wird in einem Kommentar der „Frankfurter Rundschau" vom 14. November 1996 unter der Überschrift „Crash-Pfad" Stellung genommen. Ich zitiere wörtlich:
Wie der Hund, dem die Wurst vor die Nase gehängt wird, läuft die Bundesregierung hinter dem Defizit-Ziel des Maastrichter Vertrages her. Doch je schneller sie auf ihrem Sparkurs rennt, um so rascher reißen neue Haushaltslöcher vor ihr auf. Dabei wird ihre Politik immer kurzatmiger.
Es wird dann weiter ausgeführt:
Doch der Bonner Sparkurs produziert bereits ständig zusätzliche Arbeitslose - von den anstehenden Entlassungen in Kur-Kliniken bis zu den ausbleibenden staatlichen Bauaufträgen. Der Weg des Schuldenabbaus erweist sich zunehmend als Crash-Pfad der Konjunktur.
Ich denke, daß diesem Kommentar nichts mehr hinzuzufügen ist. Denn er zeigt deutlich, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, und die Bundesregierung unfähig sind, die millionenfache Arbeitslosigkeit mit einer wirksamen Wachstums- und Beschäftigungspolitik zu bekämpfen.
Der Bundeshaushalt 1997 ist und bleibt daher ein unseriöser Haushalt, ein Haushalt ohne Halt.
Dies gilt, Herr Minister Seehofer, auch für den Einzelplan 15, für den Gesundheitshaushalt. Er wurde um 4,8 Prozent auf 752 Millionen DM gekürzt. Hierbei ist der tatsächliche Handlungsspielraum nur noch
in der Höhe von sage und schreibe 47 Millionen DM greifbar. Gekürzt wurde insbesondere bei Modellmaßnahmen auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung, des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs, der Psychiatrie und der Versorgung chronisch Kranker.
Schon im Vorfeld des Berichterstattergesprächs waren sich alle Berichterstatter wie auch die Vertreter Ihres Hauses, Herr Seehofer, einig, daß diese Kürzungen nicht zu vertreten sind. Aus diesem Grunde konnten wir den Haushalt in den Bereichen Drogenprävention, Transplantationskampagne und Aidsaufklärung einvernehmlich um 2,7 Millionen DM aufstocken.
Aber dann kam für uns alle die große Überraschung, daß Sie, Herr Seehofer, zur Deckung des 3Milliarden-Haushaltsloches großzügigerweise bereit waren, aus Ihrem Haushalt durch eine globale Minderausgabe zusätzlich 21 Millionen DM bereitzustellen. In der Bereinigungssitzung vom 14. November 1996 waren Sie allerdings - im Gegensatz zu einigen anderen Kabinettskollegen - nicht bereit, auf meine Frage, wieviel wo gespart werden soll, einzugehen. Da Sie aber nur im disponiblen 47-Millionen-DM-Bereich kürzen können und wollen, müssen wir erneut davon ausgehen, daß Sie dies in den vorhin von mir genannten Gesundheitsbereichen tun werden. Herr Minister Seehofer, ich stelle fest, daß Sie mit dieser Haushaltspolitik die Reformen im Gesundheitswesen endgültig begraben haben.
Dazu kommt, wie jüngst in der Presse berichtet, daß seit über 20 Jahren Zehntausende von Medikamenten auf dem deutschen Markt sind, die bis heute nicht auf ihre Wirksamkeit untersucht wurden. Hierzu gibt es keine Haushaltsansätze von Ihnen, um Abhilfe zu schaffen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie verlängern noch einmal die Frist für die Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsprüfung bis zum 31. Dezember 1999. Jedes zweite Medikament auf dem deutschen Markt hat somit keine Zulassung. Kassen und Patienten bezahlen für unwirksame Präparate, die nicht einmal zugelassen sind.
Mit Ihrem 1. und 2. NOG und den damit verbundenen Leistungseinschnitten und Zuzahlungsregelungen belasten Sie erneut die Kassen und Patienten. Bei ausnahmslos allen Krankenkassen und Verbänden stoßen diese Gesetze auf vehementen Widerspruch. Der Vorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, Herbert Rebscher, faßt seine massive Kritik folgendermaßen zusammen:
Der Gesetzgeber kann keine rote Ampel gegen Risikoselektion aufstellen und gleichzeitig die ökonomischen Anreize so setzen, daß derjenige belohnt wird, der die Ampel überfährt.
Die soziale Krankenversicherung soll auf eine Grundversorgung reduziert werden. Das führt in der Konsequenz tatsächlich zur Zweiklassenmedizin, denn die Risikoselektion wird zur gesetzlich verordneten Unternehmenstrategie der Krankenkassen. Eine solche Umverteilungspolitik zu Lasten der kran-
Gerhard Rübenkönig
ken Menschen kann und wird die SPD nicht mittragen.
Nach Vorlage der Bundesregierung sollen zum Beispiel aus dem für alle Kassen verbindlichen Pflichtleistungskatalog wesentliche Leistungen gestrichen werden. Wollen die Kassen solche Leistungen weiter anbieten, müssen dies die Versicherten - ohne Beteiligung der Arbeitgeber - allein bezahlen. Darüber hinaus sollen bisherige Pflichtleistungen nur noch als Gestaltungsleistungen, also als freiwillige Satzungsleistungen, angeboten werden. Dazu zählen unter anderem die häusliche Krankenpflege, die Fahrtkostenerstattung sowie Kuren und Rehabilitation. Damit, Herr Seehofer, werden Leistungen, die vor allem chronisch Kranke, Behinderte und ältere Menschen unbedingt benötigen, aus dem bisherigen Pflichtleistungskatalog ausgegrenzt.
Das Motto der Regierungskoalition lautet: Leistungsstreichung für chronisch Kranke bringt Vorteile für den Wettbewerb - die F.D.P. läßt grüßen.
Zu dieser Ihrer Politik schrieb die „Bild am Sonntag", die ja sonst eher regierungsfreundlich ist, in einem Kommentar vom 14. November 1996 - hören Sie gut zu, ich lese es Ihnen gleich vor - unter der Überschrift „Immer auf die Kleinen" folgendes:
Schade, man hatte gedacht, er sei anders als die anderen. Mutig und aufrecht - so ging Horst Seehofer an die Gesundheitsreform heran. Furchtlos im Kampf gegen Ärzte, Pharma-Unternehmen, Krankenhäuser und Krankenkassen.
Inzwischen aber ist auch Horst Seehofer unter die Bonner Räder gekommen. Eingekreist von Interessengruppen, im Schwitzkasten von FDP und Kanzler, geht auch er jetzt den leichtesten Weg: höhere Beiträge, mehr Zuzahlung bei Medikamenten und ein Notopfer Krankenhaus.
Und das Ganze spielt sich in erster Linie auf dem Rücken derjenigen ab, die den ganzen Laden noch am Laufen halten: die Arbeiter und Angestellten, die trotz geringen und sinkenden Einkommens unverdrossen rackern und arbeiten, obwohl vielen Familien unterm Strich kaum noch mehr als Sozialhilfe bleibt. Denn Besserverdiener sind kaum und Sozialhilfeempfänger gar nicht von den neuen Beschlüssen zur Gesundheitsreform betroffen.
Zu den Seehofer-Lasten kommen noch höhere Rentenbeiträge, gleichzeitig wird der steuerfreie Grundfreibetrag nicht - wie versprochen - angehoben und der Solidaritätszuschlag nicht gesenkt. Kein Wunder also, daß sich bei einer breiten Schicht von fleißigen Deutschen immer mehr ohnmächtige Wut breitmacht: Warum sind wir eigentlich so blöd, überhaupt noch zu arbeiten?
So weit die Bild-Zeitung. Ich denke, dieses bedarf keinerlei Interpretation.
Ihre Politik zerstört die soziale Schutzfunktion der solidarischen Krankenversicherung und führt in die Zweiklassenmedizin. Dieses lehnt die SPD ohne Wenn und Aber ab.
Meine Damen und Herren, um eine Lösung zur Weiterentwicklung der Gesundheitsstrukturreform unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit anbieten zu können, ist es zunächst erforderlich, die Ursachen für die defizitäre Entwicklung in den sozialen Krankenkassen zu analysieren und darzustellen. Wir, die SPD, sind uns unserer sozialpolitischen Verantwortung bewußt und haben dem Deutschen Bundestag ein umfassendes und in sich schlüssiges Konzept zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens vorgelegt.
Lassen Sie mich zum Schluß folgendes feststellen: Sie, Herr Minister Seehofer, haben sich mit der erneuten Kürzung des Gesundheitshaushaltes von notwendigen Reformen und Innovationen in der Gesundheitspolitik verabschiedet. Mit Ihrer Politik stellen Sie die Weichen für eine Zweiklassenmedizin in unserer Gesellschaft. Im Interesse der Versicherten und der Krankenkassen werden wir Ihre unsoziale und ungerechte Politik mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen.
Ihren Haushalt 1997 lehnen wir aus den genannten Gründen ab.
Danke schön.