Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich, bevor ich einen Blick in den Haushalt werfe, zwei Bemerkungen zum vorher Gesagten mache.
Herr Jacoby, dieses Haus steht immer noch in Bonn und nicht in Saarbrücken.
Hier werden auch nicht Dinge des Saarlandes behandelt, sondern der Bundeshaushalt für 1997.
Wir sollten uns mit dem, was die Kolleginnen und Kollegen auf anderen staatlichen Ebenen tun, hier nur dann befassen, wenn es uns oder die jeweils andere Ebene betrifft. Darauf werde ich nachher noch zu sprechen kommen.
Frau Albowitz hat das Haus verlassen. Ich hätte ihr gern gesagt, daß es mich freut, wie sehr sie sich mit unserem Jugendpolitischen Parteitag von Köln befaßt. Daß sie sich so viel Mühe macht, Presseausschnitte zusammenzutragen, und so viel Zeit investiert, zeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind.
Ich hätte ihr ganz gern gesagt, daß in der Stadt, in der ich Bürgermeister bin und die 75 000 Einwohner
hat, der letzte Junge Liberale im Ring Politischer Jugend 1980 ausgeschieden ist.
- In der Stadt, in der ich Bürgermeister bin, gibt es davon 380. Davon sind über 50 aktiv. Ich kann mich überhaupt nicht beklagen.
Meine Damen und Herren, ich komme aus dem katholischen Rheinland. Bei uns werden die Menschen
- nach einem alten Bibelwort - an dem gemessen, was sie tun. Wenn ich diesen Maßstab an die Ankündigungen der Bundesregierung anlege, muß ich feststellen, daß zwischen dem, was angekündigt wird, und dem, was als Taten hinten rauskommt - wie das so schön heißt -, Welten liegen.
Überdies tragen Sie mit Ihrer Politik zum Ruin der Kommunen bei. Dabei hat der Herr Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung 1982 doch gesagt
- Herr Präsident, ich zitiere -:
... es entspricht dem Willen der Bundesregierung, daß Länder und Gemeinden wieder mehr zu ihrem Recht kommen.
Die negativen bis ruinösen Auswirkungen Ihrer Politik auf die Gemeinden werde ich in meine Betrachtungen mit einbeziehen. Als Bürgermeister weiß ich durchaus, wovon ich rede.
Ein Satz stand in der ersten Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, an dem sich die Politik seiner Regierung ausrichten sollte und der ausweislich des damaligen Protokolls von CDU/CSU und F.D.P. mit Beifall bedacht wurde. Er hieß:
Wir verlangen die notwendigen Opfer nicht von den Einkommensschwachen, sondern von denen, denen diese Opfer eher zugemutet werden können.
Wie weit diese Ankündigungen von Ihrer Politik entfernt sind, können Sie sich von Ihnen nahestehenden Verbänden der Kirchen erklären lassen.
Mit der Armut, die auch durch Ihre Politik erzeugt wurde, müssen die Kommunen fertig werden. Während meine Stadt 1982 ganze vier Betten für nichtseßhafte Männer vorhielt, betreibt der Sozialdienst Katholischer Männer bei uns zur Zeit zwei Häuser, in denen zunehmend auch Frauen und Jugendliche unterkommen. Diese Häuser werden natürlich von der Stadt bezahlt.
Zum zentralen Punkt seiner Politik erklärte Helmut Kohl 1982 die Familienpolitik. Er sprach wörtlich davon, „daß wir wieder ein kinderfreundliches Land werden" müssen. In seiner Regierungserklärung vom vorletzten Jahr hieß es dann:
Wir wollen, daß unsere Gesellschaft familienund kinderfreundlicher wird.
Uwe Göllner
Der unbedarfte Leser beider Regierungserklärungen wird sich wohl fragen, wer dieses Land in den zwölf dazwischenliegenden Jahren regiert hat.
Verwundern darf das aber nicht; denn nachdem Sie den Kommunen durch die Anhebung der Freibeträge bei der Gewerbeertragsteuer Millionenbeträge aus den Kassen genommen haben, haben Sie Ihre „Familienfreundlichkeit" dadurch bewiesen, daß Sie den Kommunen beispielsweise über das KJHG weitgefächerte und differenzierte Pflichtaufgaben der Familien- und Erziehungshilfe verordnet haben. Daß diese Hilfen nur nachsorgen, was soziale Benachteiligung häufig erst angerichtet hat, stört Sie dabei genausowenig wie die Tatsache, daß dies „natürlich" wieder von den Kommunen bezahlt werden muß.
Da paßt es in die politische Landschaft, wenn Sie in der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion zur Förderung der offenen Kinder- und Jugendarbeit durch die Bundesregierung lapidar erklären, daß eine Aufstockung der Mittel für diesen Bereich aus Haushaltsgründen kaum realisierbar sei.
1982 hat der Kanzler erklärt, seine Regierung wolle alles tun, um die bedrückende Jugendarbeitslosigkeit abzubauen. Es bewirke Bitterkeit - so der Kanzler damals - und oft auch Resignation, daß so viele junge Menschen den Einstieg ins Erwerbsleben mit Arbeitslosigkeit begännen. 13 bis 15 Prozent eines Jahrgangs sind heute ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Im letzten Jahr waren 178 000 von ihnen nach der betrieblichen Ausbildung arbeitslos. Unter den 18- bis 25jährigen sind 450 000 Sozialhilfeempfänger, die damit auch Leistungsempfänger der Kommunen sind.
Meine Damen und Herren, wenn ein großer deutscher Chemiekonzern vor zwei Jahren sein 150jähriges Bestehen feierte und in einer Bilanzpressekonferenz gleichzeitig sowohl das beste Betriebsergebnis seiner Geschichte verkündete als auch 6 000 Entlassungen ankündigte und wenn dieser Konzern im letzten Jahr dieses gute Ergebnis nochmals verbesserte und in der Bilanzpressekonferenz wieder 2 000 Entlassungen ankündigte, dann erzeugt das Bitterkeit und hoffentlich keine Resignation, sondern Veränderung im Wählerverhalten vieler sozial denkender Christen.
Meine Damen und Herren, 1983, in seiner zweiten Regierungserklärung, hat der Kanzler die alleinerziehenden Mütter entdeckt. Das Zitat lautet:
Wir müssen uns um die alleinstehenden Mütter kümmern, ihre Diskriminierung abbauen und ihre soziale Sicherung festigen.
In der letzten Regierungserklärung des Kanzlers hieß es:
Für Alleinerziehende sind familiengerechte Wohnungen und ein kinderfreundliches Umfeld von großer Bedeutung.
Der aufmerksame Betrachter findet die „soziale Sicherung" nicht mehr; denn sie wird ja zwischenzeitlich für viele der Betroffenen in Form von Sozialhilfe von den Gemeinden übernommen.
Gestatten Sie mir, daß ich in diesem Zusammenhang die Bemerkung von vorhin aufnehme: Auch unter solchen Aspekten war es richtig, die schon beschlossene Erhöhung des Kindergeldes gegen Ihren Willen durchzusetzen.
Eine große Herausforderung in der Jugendpolitik ist die Integration der Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Aussiedlerfamilien. Viele, ja fast die meisten von ihnen, kommen mit ihren Familien und völlig gegen ihren eigenen Willen. Sie müssen die vertraute Umgebung verlassen, sie müssen Bekannte und Freunde aufgeben. Sie kommen in eine neue, ihnen völlig fremde Welt. Sie sind in einem vollkommen anderen Werte- und Normensystem aufgewachsen und müssen sich bei uns erst einmal umorientieren. Die jungen Leute sprechen so gut wie kein Deutsch. Die Spätaussiedler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken lernen nach unseren Erfahrungen eh viel schwieriger Deutsch als jene aus Rumänien und Polen.
Die Kürzung der Mittel für die sprachliche Förderung in diesem Haushalt trifft diese Personengruppe deshalb besonders schwer. Die Erfahrung mit jungen Aussiedlern in den Jugendzentren unserer Städte macht deutlich, daß Integration ohne Sprachkenntnis schwierig, wenn nicht unmöglich ist. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in diesen Einrichtungen fühlen sich überfordert und oft allein gelassen.
Der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien waren und sind die Aus- und Übersiedler als Wählerinnen und Wähler willkommen. Sie haben dann aber auch die Pflicht, die zur Integration in unsere Gesellschaft notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Das mindeste wäre, wieder die Leistungen zu gewähren, die Sie selbst zum Zeitpunkt der Parteienvereinbarung über Asyl und Zuwanderung am 16. Dezember 1992
und dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes am 1. Januar 1993 als notwendig erachtet haben. Aber selbst dieses Minimum ist für Sie offensichtlich schon zu viel. Denn in Kapitel 17 02 dieses Haushaltes werden die Eingliederungsmittel für junge Aussiedler um mehr als 10 Prozent gekürzt, ein im wahrsten Sinne richtungsweisender Beitrag der Koalition zur Integration junger Aussiedler.
Uwe Göllner
Frau Albowitz, Sie haben in diesem Zusammenhang meinem Parteivorsitzenden vorgeworfen, etwas gegen Aussiedler gesagt zu haben. Ich finde es ungeheuerlich,
dem Vorsitzenden der einzigen wirklich internationalen Partei dieser Republik einen solchen Vorwurf zu machen. Sie haben mit Sicherheit seine Reden nachgelesen. Sie können mit Sicherheit unterscheiden zwischen dem, was er gesagt hat, und dem, was daraus in der veröffentlichten Meinung gemacht worden ist.
Meine Damen und Herren, wenn zur Erfüllung dieser von mir genannten Aufgaben weitere Opfer notwendig sind, dann müssen die vom Herrn Bundeskanzler angesprochenen Bürger, denen nach seinen Worten diese Opfer eher zugemutet werden können, eben ein wenig länger auf wünschenswerte Entlastungen warten. Wer hat Sie denn eigentlich gezwungen, die private Vermögensteuer abzuschaffen?
Wer zwingt Sie, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen und laut über die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer nachzudenken? Frau Albowitz, Sie sind wie ich häufig in der Handwerkskammer Köln. Demnach müßten Sie wissen, daß 95 Prozent aller Gewerbetreibenden keine Gewerbekapitalsteuer und 88 Prozent keine Gewerbeertragsteuer bezahlen. Als Bürgermeister frage ich Sie: Welchen Anreiz hat eigentlich ein Stadt- oder Gemeinderat, statt Wohnbauflächen Gewerbeflächen im Bebauungsplan auszuweisen, stellt er doch, wenn die Gewerbesteuer wegfällt, damit die Grundstückseigentümer um 200 DM pro Quadratmeter schlechter?
Über einen finanziellen Ausgleich ist viel geredet worden, von einem neuen Anreiz habe ich bis heute nichts gehört.
Als Bundespolitiker im Bereich Familien, Senioren, Frauen und Jugend frage ich Sie: Ist es eigentlich sinnvoll - im Sinne des Kanzlerwortes von vorhin -, die wenigen Gewerbesteuerzahler, zu denen ich übrigens selbst gehöre, weiter zu entlasten, um über die Mehrwertsteuer auch die Schwachen weiter zu belasten?
Meine Damen und Herren Sozialpolitiker und Familienpolitiker von der Union, Sie sollten nach meinem Erachten - aber ich habe Ihnen keine Ratschläge zu geben - mehr auf Ihre eigenen Kommunalpolitiker vor Ort hören, die das Ohr am Volk haben, als auf Ihren Koalitionspartner in Bonn. Dann
wäre es um die soziale Symmetrie dieses Staates besser bestellt.
Danke schön.