Rede von
Dr.
Christa
Luft
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, daß in dem 97er Haushalt der Wurm steckt und daß es ein sehr, sehr gefräßiger Wurm ist.
Daher sind die Eintragungen, die in dieses Schicksalsbuch der Nation gemacht werden, nur noch mit Begriffen wie „schrumpfen", „streichen", „kürzen" verbunden. Damit, meine Damen und Herren von der Koalition, werden Sie den wirtschaftlichen und den sozialen Abwärtstrend in diesem Lande nicht stoppen.
Millionen Arbeitsloser, Hunderttausende von Menschen, die gegenwärtig um ihren Arbeitsplatz zittern, übrigens solche aus allen Berufsgruppen und massenhaft Frauen und Jugendliche, wollen doch aus dieser Debatte und aus dem Zahlenwerk, das hier zur Debatte steht, erfahren, wie sich ihr Schicksal im nächsten Jahr und in den Folgejahren wohl gestalten wird.
Verehrte Frau Kollegin Karwatzki, auch die Herren Roth und Weng möchte ich ansprechen, die Arbeitslosen können sich doch nichts dafür kaufen, daß der Bund infolge seiner verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik ein ums andere Mal mit Steuermindereinnahmen konfrontiert ist. Die Menschen, im besonderen die Arbeitslosen und die, die gegenwärtig um ihre Beschäftigung fürchten, spüren doch nichts Vorteilhaftes daraus, daß die Staatsquote 1997 auf das Niveau vor der deutschen Einheit zurückgeführt wird. Alle diese Begriffe sagen den Menschen im Lande nichts. Sie wollen etwas für ihre ganz persönliche wirtschaftliche und soziale Lage spüren, und sie orientieren sich auch nicht an den Maastricht-Kriterien, die für sie etwas sind, was sie eben nicht nachvollziehen können.
Was sollen die Arbeitslosen damit anfangen, wenn die Regierung feiert, daß die Exportgeschäfte gut laufen? Weshalb sollen sie dann, auch die, die sich gegenwärtig in Tarifverhandlungen befinden, akzeptieren, daß man den Gürtel ständig enger schnallen soll?
Weshalb sollten Arbeitslose Ihnen glauben, mit weiteren Steuerentlastungen der Unternehmen würden künftig mehr Arbeitsplätze geschaffen? Das ist doch auch in den vergangenen Jahren nicht eingetreten.
Allein 1994 - Sie brauchen nur in den neuesten Bundesbankbericht zu schauen - haben die Firmengewinne um 28 Prozent zugenommen, 1995 um
9,5 Prozent. In diesem Jahr, so sagt die Bundesbank, werden sich die Renditeerwartungen wiederum verbessern. Die Beschäftigungslage aber - das wissen wir genau - hat sich im gleichen Zeitraum keineswegs gebessert. Es geht, Herr Weng, doch auch nicht damm, welches Adjektiv man den Rezepten zuordnet, ob das nun sozialistische oder kapitalistische oder, wenn Sie wollen, marktwirtschaftliche Rezepte sind.
Es müssen Rezepte sein, die den Menschen helfen, das ist das Wichtige.
Impulse für den Abbau der Massenarbeitslosigkeit gehen von diesen Haushaltsansätzen nicht aus. Im Gegenteil, sie werden kontraproduktiv wirken. Allein auf Grund der um 6 Milliarden DM gekürzten öffentlichen Investitionsausgaben muß man damit rechnen, daß an die 100 000 Arbeitsplätze verlorengehen werden. Hinzu kommt, daß wegen der globalen Minderausgabe, die verordnet worden ist, heute überhaupt nicht absehbar ist, in welchen Etats um wieviel weiter öffentliche Investitionen gestrichen werden.
Arg beschnitten wird überdies die private Nachfrage durch die massiven Einschnitte in die Sozialleistungen. Selbst Mittel für Umschulung und Fortbildung waren kein Tabu, womit Sie wiederum vielen, vielen Menschen die Hoffnung genommen haben, eine neue Chance auf dem Arbeitsmarkt zu finden.
Das Ost-West-Gefälle in Deutschland wird durch diese Ansätze zementiert, wenn nicht gar vertieft. Der Anstieg des Wirtschaftswachstums in den neuen Ländern wird nach jüngsten Prognosen unter dem in den alten Ländern liegen. Die Arbeitslosenzahlen werden hoch bleiben. Die Firmenpleiten nehmen zu. Dennoch wird die Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderung um Milliarden gedrosselt.
Was glauben Sie wohl, meine Damen und Herren von der Koalition, mit welchen Sorgen und Befürchtungen viele Menschen in den neuen Bundesländern, wenn das Gefälle zwischen Ost und West in den nächsten Jahren nicht spürbar aufgehoben wird, in die Europäische Währungsunion gehen? Es kommt ein zweiter Schock auf die Menschen zu. Sie haben den ersten Schock der Währungsunion 1990 noch nicht verkraftet.
Die Zukunft dieses Landes und der Menschen muß doch auch eine Perspektive für die Menschen im Ostteil einschließen. Anders wird sich das Klima, die Atmosphäre für eine Europäische Währungsunion in diesem Lande nicht verbessern.
Dringende Aufgaben werden im Bereich von Bildung und Forschung sowie beim ökologischen Umbau der Wirtschaft nicht angepackt. Von einem mit-
Dr. Christa Luft
teifristigen Lehrstellenprogramm gibt es überhaupt keine Spur. Sie werden wiederum den Ausbildungsnotstand der letzten Jahre für Zehntausende junger Menschen besonders in den neuen Ländern, aber zunehmend auch in den alten Ländern in die Folgejahre hinein fortschreiben.
Seit dem dramatisierenden Standortbericht der Bundesregierung folgt ein Streichpaket dem anderen. Die Abstände zwischen den Streichaktionen werden immer kürzer, die sozialen Einschnitte immer härter. Die Erfolge für mehr Beschäftigung sind aber nicht in Sicht. Das weiß die Regierung.
Ich will Ihnen ein kleines Beispiel nennen. Die Gruppe der PDS hat am 28. Oktober eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, sie möge doch einmal auflisten, welche Ergebnisse bisher bei der Realisierung des vor einem Jahr abgegebenen Versprechens, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 halbieren zu wollen, erreicht wurden. Am 20. November, also vier Wochen später, erfuhren wir vom Bundeswirtschaftsministerium, es bedürfe so umfangreicher Ermittlungen und Abstimmungen zwischen mehreren Ressorts, daß die Beantwortung der Anfrage erst bis Ende Februar 1997 erfolgen könne.
Meiner Meinung nach ist auch das schon eine Antwort; denn wenn die Erfolge sichtbar wären, müßte eine solche Antwort im Handumdrehen gegeben werden können.
Die Regierung setzt also auf Zeit, weil sie bekennen muß, daß sich alle bisher im Interesse von Unternehmen getroffenen Maßnahmen in Mehrbeschäftigung nicht niederschlagen. Die Spitzen der Wirtschaftsverbände zeigen der Regierung desavouierend die kalte Schulter und meinen, daß das, was bisher an sozialen Einschnitten - die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Lockerung des Kündigungsschutzes und die Änderung des Ladenschlußgesetzes - beschlossen wurde, Peanuts für die Chefs der Wirtschaftsverbände seien. Sie gehen jetzt in die Offensive und wollen weit mehr. Sie wollen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, den Wegfall der Vermögensteuer, die weitere Entlastung der Lohnnebenkosten, indem die abhängig Beschäftigten mit Beitragsleistungen weiter belastet werden. Sie wollen die drastische Senkung des Spitzensteuersatzes.
Meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie sich einmal Rechenschaft darüber abgelegt, weshalb im gleichen Zeitraum, in dem die Staatsschulden eskaliert sind, die privaten Vermögen in gleicher Weise gestiegen sind? Da muß doch irgendeine Art von Zusammenhang sein. Man müßte von Regierungsseite einmal dahinterleuchten.
Wer soll Ihnen denn die These glauben, Sie wollten die Steuerzahler um 30 bis 35 Milliarden DM entlasten? Wo sehen Sie denn eigentlich ein Steuerentlastungspotential? Sie konnten doch schon bisher nicht sagen, wie Sie zum Beispiel die nun wieder ins
Auge gefaßte Senkung des Solidaritätszuschlages gegenfinanzieren wollen. Sie wissen auch nicht, wie Sie den Wegfall der Vermögensteuer kompensieren wollen. Dennoch ziehen Sie durchs Land und versprechen bis zu 35 Milliarden DM an Steuerentlastungen für alle. Ich wage es zu bezweifeln, daß alle dabei sein werden.
Allein von 1992 bis 1995 ist die Zahl der Beschäftigten um 1,2 Millionen gesunken, die Zahl der Arbeitslosen um 630 000 gestiegen, und fast 700 000 Menschen erhielten vorzeitige Rente wegen vorausgegangener Arbeitslosigkeit. Im Verlaufe von nur vier Jahren haben wir also 1,2 Millionen Steuer- und Beitragszahler weniger, und parallel dazu über 1,3 Millionen Empfänger von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und Bezieher vorzeitiger Renten mehr zu verzeichnen. Kein Sparvolumen ist denkbar, das Mindereinnahmen und Mehrausgaben dieser Größenordnung ausgleichen könnte. Ich sage Ihnen: Die Möglichkeiten der Haushaltssanierung über Streichen und Kürzen sind inzwischen ausgereizt. Endlich müssen andere Wege beschritten werden.
Wir fordern, daß die Wirtschaftsförderung und die Arbeitsmarktpolitik endlich miteinander verzahnt werden, daß die Fördermittelvergabe so zu reformieren ist, daß ein größtmöglicher Beschäftigungseffekt dadurch erzielt wird.
Wir fordern, den Subventionsbetrug - nicht schlechthin Subventionen - zu bekämpfen. Überhöhte und ungerechtfertigte sowie wesentlich vom Lobbyismus bestimmte Subventionen sind zu beseitigen, Planung und Erfolgskontrolle auf diesem Gebiet zu verbessern. Auf die Anschaffung neuer Großwaffensysteme für Heer, Luftwaffe und Marine muß verzichtet werden, insbesondere auf den Eurofighter.
Was davon an Arbeitsplätzen im Verteidigungsbereich betroffen sein würde, das läßt sich durch gleich hohe Investitionen im zivilen Sektor in jedem Falle bei weitem ausgleichen.
Es dürfen nicht abermals voreilig Beschlüsse zum Abbau des Solidarzuschlages im Jahre 1998 gefaßt werden. Die weitere Finanzierung des Aufbaus Ost darf nicht dem Koalitionsfrieden geopfert werden.
Die Mittel sind zur Errichtung eines Bundesfonds zur Bezuschussung von soziokulturellen Regelaufgaben in ostdeutschen Kommunen einzusetzen; denn die sind schwach, wie man es kaum noch beschreiben kann.
Unverzüglich sind Maßnahmen zu ergreifen, um Steuerflucht und Steuerhinterziehung einzudämmen und so zusätzliche Mittel zur Finanzierung beschäftigungswirksamer öffentlicher Aufgaben einzusammeln. Wenn man den politischen Willen hätte, könnten schon 1997 von der Summe in dreistelliger Milliardenhöhe, die der Bund der Steuerzahler als
Dr. Christa Luft
Betrag der hinterzogenen Steuern angibt, garantiert 10 bis 15 Milliarden DM eingenommen werden. Mit solchen Maßnahmen müssen Sie nicht bis zu einer großen Steuerreform warten.
Ich meine, es wäre an der Zeit, daß das Parlament sich von dieser Bundesregierung ein Konzept dafür vorlegen läßt, wie mit den Goldbeständen der Bundesbank umgegangen werden soll, wenn die Bundesrepublik Mitglied der Europäischen Währungsunion wird,
und ob bzw. wie ein Teil - ich betone: ein Teil - dieses auf 50 bis 60 Milliarden DM zu beziffernden Goldbestandes zur Finanzierung der Lösung von Zukunftsproblemen im Bereich von Bildung und Forschung oder auch für beschäftigungswirksame Infrastrukturmaßnahmen eingesetzt werden könnte. Ich meine: Eine gut ausgebildete Jugend, das ist das Gold für die Zukunft.
Da brauchen wir nicht die Goldbestände im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten.
Es gibt, meine Damen und Herren von der Koalition, -