Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich zur Haushaltswoche des Deut-schen Bundestages. Ich kann Ihnen heute weder mit Ge-burtstagen noch mit Wahlen eine besondere Freudemachen, sodass wir ohne jeden weiteren Verzug in dievereinbarte Tagesordnung eintreten können.Wenn nicht irgendjemandem noch etwas Alternativeseinfällt, rufe ich unsere Tagesordnungspunkte 1 a und1 b sowie den Tagesordnungspunkt 2 auf:1 a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes überdie Feststellung des Bundeshaushalts-
Drucksache 18/700Überweisungsvorschlag:Haushaltsauschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-desregierungFinanzplan des Bundes 2013 bis 2017Drucksache 17/14301Überweisungsvorschlag:Haushaltsauschuss2 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleit-gesetzes 2014Drucksache18/1050Überweisungsvorschlag:Haushaltsauschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für GesundheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind imRahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aus-sprache im Anschluss an die einstündige Einbringungdes Haushalts 6 Stunden und 24 Minuten – es könntenauch 25 Minuten werden – vorgesehen. Für Mittwochsind 8 Stunden und 32 Minuten, für Donnerstag 10 Stun-den und 5 Minuten sowie für Freitag 3 Stunden und41 Minuten vorgesehen.
Wir werden selbstverständlich wie immer festhalten,wie nah wir dann an diesen Vereinbarungen wirklichsind. Ich frage jedenfalls ausdrücklich, ob irgendjemandgegen diese Vereinbarung des Zeitrahmens der Ausspra-che Einwände hat. – Das ist nicht der Fall. Dann wirdsich das Präsidium darum bemühen, das auch so wie ge-rade beschlossen einzuhalten.Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bun-desminister der Finanzen, Herr Dr. Wolfgang Schäuble,das ich ihm hiermit erteile.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieFinanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 war ein Weckruffür Deutschland und für Europa. Wir haben seitdem be-gonnen, uns auf festerem Fundament neu aufzustellen.Unsere Politik der Hilfe zur Selbsthilfe zeigt Wir-kung. In der Euro-Zone haben sich die Haushaltsdefiziteseit 2009 mehr als halbiert. Die Wettbewerbsfähigkeit istgestiegen. Die Leistungsbilanzen haben sich verbessert.Die Wirtschaft der Euro-Zone – das ist entscheidend –kehrt zu Wachstum zurück. Die Spannungen in denFinanzmärkten haben sich gelegt. Irland und Spanienkonnten ihre Hilfsprogramme erfolgreich abschließen.Portugal steht kurz davor. Auch Zypern ist auf einem gu-ten Weg. Griechenland macht bei allen Problemen mehrFortschritte, als alle erwartet haben. In Spanien beginntdie Arbeitslosigkeit zu sinken. Mit Estland und Lettlandhat die Euro-Zone zwei neue Mitglieder bekommen, diefür wirtschaftlichen Erfolg durch Reformen und solideHaushalte stehen.Die Erfolge sollten uns aber nicht glauben lassen,dass wir bereits über den Berg wären. Die Arbeitslosig-keit, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, ist in zahlrei-
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chen Ländern immer noch viel zu hoch. Dringend not-wendige Strukturreformen sind in wichtigen Ländernnoch nicht ausreichend umgesetzt.Jetzt ist die Krise in der und um die Ukraine ein wei-terer Weckruf; denn sie führt uns vor Augen, dass auchim Europa des 21. Jahrhunderts Frieden und Stabilitätkeine Selbstverständlichkeit sind. Sie zwingt uns zuneuer Ernsthaftigkeit. Sie zeigt, dass wir weiter an unsarbeiten müssen, um in dieser neuen Weltunordnung zubestehen.Die Europäer wissen aus historischer Erfahrung, dassdie Anwendung militärischer Mittel keine Lösung seindarf. Also bleiben Diplomatie und wirtschaftliche Instru-mente. Wir Europäer sind in dem, was man „SoftPower“ nennt, global führend. Unser Gesellschaftsmo-dell, demokratische politische Kultur, soziale Marktwirt-schaft – all das ist weltweit attraktiv. Aber langfristigwerden wir damit nur überzeugen, wenn wir unsereHausaufgaben machen.
Genau wie während der Euro-Krise beobachtet dieWelt auch in diesen Wochen der Ukraine-Krise sehr ge-nau, ob wir Europäer in der Lage sind, unsere Überzeu-gung und unseren Kurs durchzuhalten. Und das erfordertwirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Wir müssen in dieserSituation Verlässlichkeit beweisen, wir müssen die nöti-gen Reformen wirklich durchziehen, und wir dürfennicht der Versuchung billigen Geldes erliegen; denn daswürde uns langfristig weiter schwächen. Wir müssenzeigen, dass wir zu nachhaltiger Stabilisierung in derLage sind. Es ist eine Art Stresstest für unsere „SoftPower“.Schließlich, meine Damen und Herren, sollten auchdie großen Herausforderungen, vor denen wir in Europaauch dann stehen würden, wenn wir keine Krise in derEuro-Zone und keine Krise um die Ukraine gehabt hät-ten, für uns ein Weckruf sein. Deutschland und Europa– daran muss man wieder und wieder erinnern – sindvon Besonderheiten geprägt, die im globalen Wettbe-werb nicht gerade von Vorteil sind. In der Welt heißt esoft über uns – es wird in Englisch formuliert –, wir seien„rich, ageing, risk-averse“, also wohlhabend, älter wer-dend und nicht gerade risikogeneigt. Wir haben inEuropa eine deutlich höhere Sozialleistungsquote imVerhältnis zur Wirtschaftskraft. Das liegt auch daran,dass die verheerenden Folgen unserer kriegerischen Ge-schichte in Europa ein besonders hohes politisches wiewirtschaftliches Sicherheitsbedürfnis haben entstehenlassen. Wir haben auch eine schwierigere demografischeEntwicklung. Wir haben weniger Rohstoffe und Energie-reserven als andere Länder und Kontinente. Bei neuenTechnologien sind wir in der Tat nicht besonders risi-kofreudig. Damit besteht die Gefahr, dass wir im inter-nationalen Vergleich zurückfallen.Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise warenKrisen der westlichen Industriestaaten, die zu massivenWirtschaftseinbrüchen geführt haben. Die europäischeWirtschaft hat in den vergangenen sechs Jahren, alles zu-sammen genommen, insgesamt stagniert. Im gleichenZeitraum ist etwa die indische Wirtschaft um mehr alsein Drittel, die chinesische um nahezu 70 Prozent ge-wachsen. Der Anteil Europas an den weltweiten Patent-anmeldungen ist im vergangenen Jahrzehnt um fast dieHälfte gesunken. Es leben etwas mehr als 7 Prozent derWeltbevölkerung in Europa; aber rund die Hälfte allerSozialausgaben weltweit entfällt auf uns.Im Übrigen müssen wir uns auch in Deutschlandernsten Fragen stellen. In der nächsten Generation wirddie Bevölkerung Deutschlands voraussichtlich um rund10 Millionen Einwohner schrumpfen. Wahrscheinlichwerden dann Frankreich und Großbritannien mehr Ein-wohner haben als wir, und unser Anteil an der Weltwirt-schaftsleistung wird von knapp 5 Prozent nach den Pro-gnosen auf unter 2 Prozent sinken. Auch die aktuelleProjektion zur langfristigen finanziellen Tragfähigkeitder öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern, Kommu-nen und Sozialversicherungen zusammen genommenzeigt, dass wir uns nicht zurücklehnen dürfen.
Trotz aller Erfolge durch Reformen und Haushaltssanie-rungen verbleibt langfristig – je nachdem, wie man rech-net – eine Tragfähigkeitslücke zwischen 0,6 und 3,1 Pro-zent des Bruttoinlandsprodukts. Die zentrale Ursache istdie demografische Entwicklung.Der Tragfähigkeitsbericht, den wir vor kurzem in derBundesregierung beschlossen haben, zeigt auf, dass wirdiese Herausforderungen bewältigen können, aber dasswir sie nur bewältigen können, wenn wir nicht der Illu-sion erliegen, wir könnten künftig weniger arbeiten unduns zugleich mehr leisten. Der Bericht zeigt, dass wir al-les in allem auf einem guten Weg sind und dass wir nichtradikal umsteuern müssen. Er zeigt eben auch, dass wirin unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen. Er-folge bergen immer die große Gefahr in sich, dass manin den Anstrengungen glaubt nachlassen zu dürfen.Eine aktuelle OECD-Studie hat festgestellt, dass wirin Deutschland im internationalen Vergleich eine über-durchschnittlich lange Rentenlaufzeit haben, weil wir imSchnitt schon recht früh in Rente gehen.
Wir haben ein ungünstiges Verhältnis von Erwerbsperso-nen zu Rentnern. Weil wir das Niveau der sozialen Absi-cherung nicht senken, sondern erhalten wollen,
müssen wir mit den zur Verfügung stehenden Mittelnmehr erreichen. Wir haben beispielsweise – FrauGöring-Eckardt, auch das ist noch ein Problem – höhereGesundheitsausgaben als andere. Aber der subjektivempfundene Gesundheitsstatus ist oft schlechter.
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Wir erleben ja immer wieder, dass mehr Ausgaben nichtautomatisch zu mehr Zufriedenheit führen. Wahrschein-lich beruht auch das auf dem ökonomischen Gesetz vomabnehmenden Grenznutzen.Die Antworten auf all diese Fragen werden über un-sere Rolle in der Welt des 21. Jahrhunderts entscheiden,also etwa darüber, wie lange Deutschland seine Füh-rungsrolle und seine Funktion als Stabilitätsanker inEuropa noch wahrnehmen kann, oder auch darüber, obwir Europäer von anderen Staaten wie den VereinigtenStaaten, China oder Russland in Zukunft eher als Bitt-steller oder als Partner behandelt werden. Am Ende gehtes darum, ob unsere westliche Demokratie und unserfreiheitliches Wirtschaftssystem weiterhin eine globaleVorbildrolle einnehmen können im Vergleich zu anderenStaaten, die inzwischen ökonomisch auch recht erfolg-reich sind, aber nicht unseren Anforderungen an Demo-kratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale Stabilität und ökolo-gische Nachhaltigkeit entsprechen.Wir haben in Deutschland in den letzten Wochen– wir tun es teilweise immer noch – intensiv über Ren-tenpolitik und Mindestlohn diskutiert. Manche warnenvor den Folgen unserer Politik. Wir in der Koalition ha-ben nach sorgfältiger Prüfung dieser Politik beschlossen:Wir können uns das leisten. Aber wir sollten nicht glau-ben, dass wir uns mehr leisten können. Wir können unsdiese Politik nur leisten, wenn wir unseren Standortwettbewerbsfähig halten. Deswegen ist es so wichtig,dass wir an einer sicheren Energieversorgung zu wettbe-werbsfähigen Energiepreisen arbeiten. Denn für Deutsch-land wie für Europa gilt, dass wir für unser höheresWohlfahrtsniveau besser, leistungsfähiger und solidersein müssen. Wir müssen immer erst erwirtschaften, waswir verteilen wollen.
Für das erforderliche nachhaltige Wirtschaftswachstumist eine solide Finanz- und Haushaltspolitik eine unab-dingbare Voraussetzung.Es wird ja immer wieder diskutiert, ob es Alternativengebe zu solider Finanzpolitik und nachhaltiger Wirt-schaftspolitik. Das ist Unsinn. Das eine ist die Bedin-gung des anderen: ohne solides, nachhaltiges Wachstumkeine stabilen Finanzen, aber ohne solide Finanzen keinnachhaltiges Wachstum. Internationale Vergleiche zei-gen, dass Länder mit einigermaßen soliden Finanzkenn-ziffern auch ein nachhaltiges Wachstum verzeichnen,Länder ohne solide Finanzausstattung jedoch nicht.Wir sollten wieder und wieder betonen: Nur mit einersoliden Finanz- und Haushaltspolitik schaffen wir dienotwendigen Spielräume,
um in Bildung und Forschung, in Familie und Kinder, inInfrastruktur und Technologie zu investieren. Darum,aus genau diesen Gründen, haben wir den Bundeshaus-halt in den letzten Jahren Schritt für Schritt saniert; undgenau darum ist es so wichtig, dass wir unserem Zieltreu bleiben, dauerhaft einen Haushaltsausgleich zu er-reichen. Das ist kein Wert an sich – auch nicht aus Sichtder Finanz- und Haushaltspolitiker –, sondern das ist dieVoraussetzung für nachhaltige wirtschaftliche Leistungs-fähigkeit unter den Rahmenbedingungen des 21. Jahr-hunderts.
Der Haushaltsentwurf für 2014, den ich hier einbrin-gen darf, ist auf diesem Wege ein wichtiger Schritt. Eswird in diesem Jahr erstmals seit Jahrzehnten wieder ei-nen strukturell ausgeglichenen Haushalt geben. Wir ha-ben, wenn man die letzte Rate für den Euro-Rettungs-schirm abzieht, eine Neuverschuldung von knapp über2 Milliarden Euro. Wir haben nach der statistischen Ge-samtberechnung sogar einen leichten strukturellen Über-schuss. Das ist ein wichtiger Erfolg.Ab dem nächsten Jahr macht der Bund gar keineneuen Schulden mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Null im Bundes-haushalt wird möglich durch die konsequente Haushalts-konsolidierung der letzten Jahre. Wir haben seit 2010das Ausgabenniveau im Bundeshaushalt nicht erhöht.Ich höre immer, das sei keine Kunst. Das ist auch keineKunst. Das ist einfach nur solides Arbeiten. Das ist über-haupt keine Kunst. Kunst wäre gar nicht angemessen.Das ist nur solides Arbeiten.
– Es sind nicht die sprudelnden Einnahmen. Manchmalfragt man sich ja, in welcher Welt man eigentlich lebt.Die Steuereinnahmen entwickeln sich entsprechend demnominalen Wachstum unserer Volkswirtschaft. Wir ha-ben die Steuern in den letzten Jahren nämlich nicht er-höht.
Die Zinsen sind niedriger; das ist wahr. Die Zinsausga-ben sind im Bundeshaushalt 2014 um 4 Milliarden Euroniedriger als 2010, trotzdem haben wir die Ausgaben seit2010 nicht erhöht. So haben wir die Neuverschuldungaufgrund des als Folge der Krisenbekämpfung in denJahren 2008 folgende für 2010 erwartete Rekorddefizitin Höhe von 86 Milliarden Euro Schritt für Schritt aufden Stand abbauen können, den wir jetzt erreichen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ganz von alleinist das nicht gekommen. Sonst wäre das nicht die Aus-nahme im Rückblick auf die letzten 50 Jahre.
Wir werden übrigens auch im kommenden Jahr, 2015,bei den Ausgaben unter dem Niveau von 2010 bleiben,trotz Preis- und Lohnsteigerungen und trotz zusätzlicherAusgabenschwerpunkte im Bundeshaushalt. In den
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kommenden Jahren sollen die Ausgaben dann nur soweit steigen, wie das mit einem ausgeglichenen Haushaltvereinbar ist.
– Ich komme auch noch zu den Sozialkassen.
Das ist die nächste große Legende. Vielleicht sage ichschon einmal vorweg: Fast 50 Prozent dieses Bundes-haushalts, den ich Ihnen vorlege, sind für Sozialausga-ben vorgesehen. Spätestens wenn wir 100 Prozent desBundeshaushalts für Sozialausgaben verwenden, wird esauch die Linkspartei schwer haben, weitere Investitionenzu fordern.
Jedenfalls nutzen wir die Spielräume, die wir uns mitder konsequenten Haushaltssanierung geschaffen haben,für die Umsetzung der prioritären Maßnahmen, die wirim Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Ich bleibe dabei: Unter diesen Rahmenbedingungen, dieich zu beschreiben versucht habe, müssen Bundeshaus-halte ohne Neuverschuldung – das ist wichtig – zurneuen Normalität werden.
Dann wird auch die Belastung durch die Gesamtver-schuldung, die vorhanden und sehr hoch ist, tragbar, weilsie im Verhältnis zu unserer wirtschaftlichen Gesamtleis-tung abnehmen wird.Ich werde gelegentlich von jungen Leuten gefragt:Werden wir jemals ohne Schulden sein? Dann ist meineAntwort: Hoffentlich nie, denn die Voraussetzung dafürwäre eine Währungsreform, und das ist immer einegroße Katastrophe. – Aber die Gesamtbelastung darf imVerhältnis zur Wirtschaftskraft nicht immer größer wer-den, sondern muss geringer werden. Dafür arbeiten wir.Wir haben heute Morgen im Kabinett das Stabilitätspro-gramm 2014 beschlossen. Dazu sind wir nach den euro-päischen Regeln verpflichtet. Darin melden wir der Eu-ropäischen Kommission, dass die gesamtstaatlicheSchuldenquote noch in dieser Legislaturperiode auf un-ter 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken wird.
Bei einer halbwegs normalen wirtschaftlichen Ent-wicklung ohne größere Krisen sind wir auf einem gutenWeg, innerhalb von zehn Jahren die gesamtstaatlicheSchuldenquote von heute knapp unter 80 Prozent auf 60Prozent des Bruttoinlandsprodukts senken zu können.Diese 60 Prozent entsprechen übrigens den Vorgabendes europäischen Regelwerks. Dahinter steht die Vorstel-lung – auch das macht Sinn –, dass ein solches Verschul-dungsniveau, also 60 Prozent der gesamtwirtschaftlichenLeistungskraft, bei normaler wirtschaftlicher Entwick-lung und normalem Zinsniveau alles in allem langfristigtragbar ist.Wir wollen gar keine Musterschüler sein.
Aber wir finden es nicht schlecht, wenn man sich in Eu-ropa an die Regeln hält, die man sich selbst gegeben hat.
Wir erwarten von anderen nichts, was wir nicht auch sel-ber leisten. Das würde auch keinen Sinn machen. Wirwerden kein Vertrauen in Europa finden, wenn wir unsan Regeln, die wir uns wieder und wieder gegeben ha-ben, die wir wieder und wieder feierlich bestätigen, nichthalten, wenn wir Regeln beschließen und gleichzeitigden Vorsatz haben, uns nicht daran zu halten.
Wir sind auch gar nicht die Mahner anderer, sondernkehren zunächst einmal vor der eigenen Tür und sagen,dass wir uns an die Regeln halten. Es war ein schwererFehler, dass Deutschland und Frankreich zusammen2003 als Erste den Stabilitätspakt gebrochen haben. Ge-nau daraus ziehen wir die Lehre.
Nur wenn wir in Europa Vertrauen und Verlässlich-keit schaffen, nur wenn wir uns an Vereinbarungen undRegeln halten, schaffen wir die Voraussetzungen fürweiteres stabiles Wachstum in Deutschland und in Eu-ropa. Natürlich ist der Haushaltsausgleich allein nochnicht alles. Ein Haushalt muss auch die richtigen, alsozukunftsorientierte Schwerpunkte setzen. Das Niveauvon Einnahmen und Ausgaben muss insgesamt ange-messen bleiben. Wir dürfen die Leistungsfähigkeit derBürgerinnen und Bürger nicht überfordern, übrigensauch nicht unterfordern. Anreize für Eigenverantwor-tung müssen immer bleiben, wenn das System funktio-nieren soll. Es darf nicht Aufgabe von Politik werden,Menschen zu bevormunden und damit am Ende zu de-motivieren.
Das gilt für den Arbeitsmarkt, das gilt für die Altersvor-sorge, und das gilt für das Gesundheitswesen.Wir leisten uns in Deutschland einen hohen Sozial-standard. Die Zuschüsse des Bundes zu den gesetzlichenSozialversicherungen machen mit allmählich mehr als100 Milliarden Euro rund ein Drittel aller Ausgaben desBundes aus. Insgesamt – ich sagte es schon – entfällt
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heute bereits fast die Hälfte des Bundeshaushalts auf So-zialausgaben. Die demografische Entwicklung sprichteher für einen weiteren Anstieg. Deswegen müssen wirwieder und wieder fragen, ob diese Soziallastigkeit desBundeshaushalts in unserer älter werdenden Gesellschaftzukunftsfest ist.
Wir haben uns, Frau Göring-Eckardt, aufgrund vonbefürchteten Einnahmeausfällen durch die damalige Fi-nanz- und Wirtschaftskrise in den Krisenjahren ent-schlossen, für die Zeit ab 2010 die Zuschüsse des Bun-des zur gesetzlichen Krankenversicherung zu erhöhen;wir haben sie deutlich erhöht. Durch die erfreuliche wirt-schaftliche Entwicklung der letzten Jahre wäre das rück-blickend in diesem Umfang nicht notwendig gewesen.Im Gesundheitsfonds und bei den gesetzlichen Kranken-kassen haben sich Überschüsse in Höhe von zusammenrund 30 Milliarden Euro angesammelt.
Die nun geplante, zeitlich begrenzte moderate Kürzungdes Zuschusses an den Gesundheitsfonds
gefährdet die Stabilität der Beitragssätze nicht.
Im Übrigen ist vorgesehen, den Bundeszuschuss wiederanzuheben, sobald das nötig werden wird.
Es wäre doch Unsinn, bei einem Überschuss von 30 Mil-liarden Euro durch weitere Bundeszuschüsse die Ver-schuldung des Bundes zu erhöhen.
Das macht doch keinen Sinn. Deswegen treffen wirdiese Maßnahme.
Auch die Kommunen werden von uns bessergestellt.
– Ja, natürlich.
– Man muss zunächst einmal daran erinnern, Herr Kol-lege, dass nach dem Grundgesetz – es ist immer wichtig,vom Grundgesetz auszugehen; das ist die Grundlage fürjedes Handeln –
grundsätzlich die Länder für die Kommunen zuständigsind.
Selbst die Sprecher der kommunalen Spitzenverbändehaben gesagt, dass es niemals eine so kommunenfreund-liche Politik der Bundesregierung wie in den letzten Jah-ren gegeben hat.
Diese wird fortgesetzt.
Die prioritären Maßnahmen des Koalitionsvertrages zu-gunsten der Kommunen werden, wie vereinbart und wieim Koalitionsvertrag festgehalten, ausfinanziert. DerBund entlastet die Kommunen.Hören Sie ruhig zu! Diese Art von Diffamierung,diese Art, den Kommunalpolitikern die Dinge falsch zuerzählen, ist unerträglich!
Wir haben die Kommunen in den letzten Jahren trotzgrundsätzlicher Länderzuständigkeit durch zahlreicheMaßnahmen entlastet; das muss man den Kommunalpo-litikern und den Menschen in den Städten und Gemein-den in dieser Haushaltsdebatte in Erinnerung rufen. Wirentlasten die Kommunen durch die vollständige Über-nahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter undbei Erwerbsminderung. Da Sie nun schon so oft zugeru-fen haben, will ich sagen: Es war eine rot-grüne Regie-rung, die den Kommunen die Lasten der Grundsicherungim Alter übertragen hat.
In vollständiger Höhe sind die Kommunen von dieserBelastung inzwischen entlastet; sie selber haben damitvor drei Jahren noch nicht gerechnet.
In diesem Jahr wird vereinbarungsgemäß die voll-ständige, die hundertprozentige Kostenerstattung er-reicht. Dadurch erhalten die Kommunen in diesem Jahrzusätzlich über 1 Milliarde Euro.
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Im Vorgriff auf das noch zu erarbeitende Bundesteilha-begesetz erhalten die Kommunen anschließend, in denfolgenden Jahren dieser Legislaturperiode, jeweils1 Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich. So sieht es der Ko-alitionsvertrag vor. Dies wird eingehalten und umge-setzt.
Diese grundlegende Neuordnung der Eingliederungs-leistungen ist übrigens schon 2012 überparteilich verein-bart worden. Aber es erfordert natürlich nicht nur dieBeteiligung des Bundes, sondern genauso auch die Be-teiligung aller Länder, damit die Kommunen entlastetwerden können. Darüber hinaus wird das eine sehr kom-plexe Reform werden. Es geht also nicht nur um eine fi-nanzielle Beteiligung des Bundes. Wenn die Tragfähig-keit für den öffentlichen Gesamthaushalt erhaltenwerden soll – und diese haben wir im Auge –, dann mussauch in diesem Bereich die Ausgabendynamik begrenztbleiben. Das sorgfältig zu erarbeiten wird die verant-wortliche Mitarbeit aller Beteiligten erfordern, und daswird seine Zeit brauchen.Im Übrigen hat das Statistische Bundesamt in diesenTagen bekannt gegeben, dass die Kommunen 2013 einenFinanzierungsüberschuss von insgesamt 1,7 Milliar-den Euro erzielt haben. Das hat im vergangenen Jahr üb-rigens zu einer Steigerung kommunaler Investitionenvon über 10 Prozent geführt. Das ist gut für die wirt-schaftliche Entwicklung, das ist gut für die Kommunen;aber das muss erwähnt werden in diesem Zusammen-hang. Die Kommunen haben insgesamt einen Über-schuss, der Bund hat ein Defizit. Er hat von allenGebietskörperschaften mit Abstand die schlechtesteFinanzausstattung; das kann gar nicht infrage gestelltwerden, es muss nur gelegentlich wenigstens vom Bun-desfinanzminister gesagt werden.
– Ja; aber der Bund hat 1,3 Billionen Euro Gesamtver-schuldung, Herr Kollege, Sie wissen das.
Deswegen bleibt es dabei: Der Bund hat mit weitem Ab-stand die schlechtesten Finanzkennziffern. Das heißtnicht, dass wir uns nicht unserer Verantwortung für Län-der und Kommunen bewusst bleiben; aber man muss dierichtigen Relationen gelegentlich nennen, sonst wird dieöffentliche Debatte völlig irreführend.
Im Übrigen möchte ich noch einmal in Erinnerung ru-fen: Der Bund hat die Kommunen nicht nur bei derGrundsicherung im Alter, sondern auch beim Ausbauder Kinderbetreuung und durch seine Beteiligung an denKosten für Unterkunft und Heizung in den vergangenenJahren maßgeblich entlastet. Natürlich ist wahr, dass eseine große – zu große – Spreizung zwischen finanzstar-ken und finanzschwachen Kommunen gibt, und dieSituation mancher Kommunen ist – das darf bei den Ge-samtzahlen nicht aus dem Blick geraten – wirklich ernst.Aber es ist eben auch wahr, dass nach der Ordnung desGrundgesetzes die Schwierigkeiten der kommunalenFinanzierung vor Ort – von den Ländern – gelöst werdenmüssen; sie sind laut Grundgesetz dafür verantwortlich.Der Bund hat dafür gar nicht die rechtlichen Möglichkei-ten.
Das bloße Verschieben von Finanzierungslasten zwi-schen den verschiedenen staatlichen Ebenen kann so-wieso keine Lösung sein. Wir brauchen solides Haushal-ten auf allen staatlichen Ebenen. Deswegen geht derBund mit gutem Beispiel voran. Genau darum, um soli-des Haushalten auf allen staatlichen Ebenen, muss es beider anstehenden Neuordnung der Bund-Länder-Finanz-beziehungen gehen: Die Neuordnung muss die Aufga-benverteilung zwischen den einzelnen Ebenen reflektie-ren. Ein Hin-und-her-Schieben von Verantwortung undZuständigkeiten hilft nicht weiter. Der Bund kann nichtimmer wieder Problemlagen lösen müssen, für die ernach dem Grundgesetz gar nicht zuständig ist.
Deshalb müssen die Finanzbeziehungen von Bundund Ländern so geordnet werden, dass sie langfristigtragfähig sind. Auch das wird einige Kraftanstrengungenerfordern. Aber wenn wir das schaffen, wenn wir aufdieser Grundlage solide Finanzen auf allen staatlichenEbenen sichern, dann schaffen wir eine stabile Basis fürein dauerhaft gutes Investitions- und Konsumklima. DieSanierung des Bundeshaushalts hat einen entscheiden-den Beitrag zu einem guten Investitions- und Konsum-klima geleistet. Das zahlt sich bereits heute aus.
Das zahlt sich aus in der guten wirtschaftlichen Entwick-lung, in der wir Rekordbeschäftigung und steigendeLöhne haben. Das kommt allen Menschen in unseremLand zugute. Solide Finanzpolitik sorgt für Vertrauen instabile und verlässliche Rahmenbedingungen und in dielangfristige Handlungsfähigkeit des Staates. Nur Men-schen, die Vertrauen in die Politik und Vertrauen in dieZukunft ihres Landes haben, investieren und konsumie-ren. Vertrauen ist in unserer hochentwickelten, aber res-sourcenarmen Volkswirtschaft mit unser wichtigstes Ka-pital. Deswegen müssen wir es weiter stärken; denn nurdas kann dauerhaft Wohlstand und soziale Sicherheitschaffen.Wir verdanken es unserer stabilitätsorientierten Poli-tik, dass wir die Finanz- und Wirtschaftskrisen der letz-ten Jahre so glimpflich überstanden haben, besser als diemeisten anderen in Europa. Immerhin hatten wir 2009einen gesamtwirtschaftlichen Einbruch von über 5 Pro-zent. Gerade weil wir das Vertrauen der Investoren undVerbraucher gestärkt haben, war unsere Doppelstrategievon Strukturreformen und Haushaltssanierung erfolg-reich. Das ist ein zentraler Grund dafür, dass unser Landderzeit gut dasteht.Diese Doppelstrategie ist übrigens exakt dasselbe,was auch in den Programmländern der Euro-Zone er-
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folgreich angewendet wird: Haushaltssanierung auf dereinen Seite und Strukturreformen für bessere Wettbe-werbsfähigkeit und dauerhaftes Wachstum auf der ande-ren Seite.Wir sind heute international wettbewerbsfähig. DieAussichten für die weitere gesamtwirtschaftliche Ent-wicklung sind in Deutschland positiv. Die Fundamental-daten und die Konjunkturindikatoren deuten auf einenbreiten Aufschwung hin: 1,8 Prozent Wachstum in die-sem Jahr, 2 Prozent im nächsten Jahr; das entspricht denPrognosen von nationalen und internationalen Institutio-nen. Die Bundesbank erwartet in ihrem Monatsberichtfür den Monat März 2014 für das erste Quartal sogar ein– wörtlich – „sehr starkes“ BIP-Wachstum.Anders als im Ausland immer wieder behauptet wird,ist übrigens die Binnennachfrage – vor allem der privateKonsum – die Hauptstütze des Wachstums. Hier wirkensich die robuste Lage am Arbeitsmarkt – wir haben diehöchste Zahl von Beschäftigten in der deutschen Ge-schichte und die geringste Arbeitslosigkeit seit der Wie-dervereinigung –, der anhaltende Beschäftigungsaufbauund die günstige Einkommensentwicklung aus.Wir stehen auch im internationalen Vergleich gut da.Als einziges Mitglied der Europäischen Union haben wirseit zwei Jahren einen ausgeglichenen gesamtstaatlichenHaushalt. Mit dieser Politik haben wir nicht nur Ver-trauen für ein gutes privates Investitionsklima geschaf-fen, sondern auch neue Handlungsspielräume für zielge-richtete staatliche Investitionen gewonnen. Das istlangfristig angelegte Wachstumspolitik.
Bereits in den letzten Jahren haben wir darauf geach-tet, dass die Senkung der Neuverschuldung nicht zulas-ten besonders zukunftsgerichteter Ausgaben geht. Wirhaben in Bildung und Forschung, in Familie und Infra-struktur investiert. In der letzten Legislaturperiode habenwir allein die Ausgaben für Bildung und Forschung umüber 13 Milliarden Euro erhöht, und wir werden das fort-setzen.Mit dem Bundeshaushalt 2014 beginnen wir, die prio-ritären Maßnahmen des Koalitionsvertrags umzusetzen.
Wir verstetigen die Städtebauförderung, wir verstärkendie Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, und wirentlasten die Länder und Gemeinden weiter.Der Koalitionsvertrag sieht vor, die für das Wachstumbedeutsamen Ausgaben des Bundes in dieser Legislatur-periode zu steigern: um 5 Milliarden Euro bei der Ver-kehrsinfrastruktur, um 3 Milliarden Euro bei der For-schung und um 6 Milliarden Euro bei der Bildung,
womit wir Länder und Kommunen bei ihren originärenAufgaben entlasten. Das alles ist im Haushalt 2014 undin den Eckwerten für 2015 bis 2018 finanziell unterlegt.
– Herr Kollege, da Sie ständig dazwischenrufen, machtes keinen Sinn mehr, auch nur zu versuchen, Ihre Zwi-schenrufe aufzunehmen. Das ist wirklich eine sinnloseArt von parlamentarischer Auseinandersetzung.
So ein Dauerfeuer von Zwischenrufen kann man über-haupt nicht mehr verstehen. Das erhöht nur den Lärm-pegel ein bisschen.
– Ja, gut, das ist nicht so tragisch, aber ich wollte das nureinmal gesagt haben.
Ich finde, jetzt ist es aber auch gut. Der Bundes-finanzminister hat das Wort. Mit der sich anschließendenDebatte werden wir das ja wohl gemeinsam ordentlichbewältigen können.Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,entscheidend ist jedenfalls: Deutschland kann nur dannein attraktiver Wirtschafts- und Investitionsstandort blei-ben, wenn wir eine zukunftsfähige Infrastruktur haben.Wir brauchen moderne Verkehrsnetze und leistungsfä-hige Strom- und Breitbandnetze.Immerhin – auch das muss ja gesagt werden – hat dieWeltbank Deutschland vor kurzem gerade wegen unse-rer guten Infrastruktur zum Logistikweltmeister gekürt.Es kann also nicht ganz so schlimm sein. Wir wissenaber, dass wir noch besser werden müssen.Deswegen bleibt es bei den 5 Milliarden Euro an zu-sätzlichen Mitteln, die der Bund für die Verkehrsinfra-struktur versprochen hat. Wenn die Einnahmen aus derLkw-Maut jetzt geringer als bisher angenommen ausfal-len sollten, dann werden Herr Kollege Dobrindt, derBundesverkehrsminister, und ich dafür eine Lösung fin-den müssen.
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Unabhängig vom statistischen Investitionsbegriff sindübrigens – darauf können vielleicht sogar Sie sich einlas-sen –
die Investitionen in die Köpfe entscheidend. Wir brau-chen Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtun-gen auf hohem Niveau.Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklungliegt Deutschland immerhin weltweit in der Spitzen-gruppe, und in Europa sind wir führend. Wir haben hö-here Ausgaben für Forschung und Entwicklung als fastalle anderen Länder in der Welt, auch in Europa. Um un-ser hohes Niveau zu halten, wollen wir in den nächstenJahren zusätzlich 9 Milliarden Euro in die Bereiche Bil-dung und Forschung investieren.Aber wir dürfen bei Investitionen nicht immer nurnach dem Staat rufen. Wir müssen unter Berücksichti-gung internationaler Erfahrungen immer wieder prüfen,welcher Teil der Infrastruktur durch den Staat selbst di-rekt finanziert werden muss und welcher Teil durch Nut-zer finanziert werden kann. Ich glaube, dass wir inDeutschland bei der Infrastruktur für Telekommunika-tion und Energie gute Erfahrungen mit staatlich regulier-ter privater Bereitstellung gemacht haben. Ich plädieredringend dafür, dabei zu bleiben. Wir müssen bei derEnergiewende wie auch bei neuen Aufgaben in der digi-talen Infrastruktur an diesem Prinzip der staatlich regu-lierten privaten Finanzierung festhalten.Grundsätzlich hat diese nutzungsorientierte Finanzie-rung wachstumspolitische Vorteile; das zeigen interna-tionale Untersuchungen. Generell sind nämlich Privat-investitionen langfristig für den Wohlstand entscheidend.Für diese Investitionen ist eine verlässliche, stetige undvertrauenschaffende Politik der beste Anreiz. Deswegensind eben solide, stabilitätsorientierte öffentliche Haus-halte in Wahrheit ein Investitionsprogramm für Deutsch-land und für Europa.
Wir könnten zugespitzt sagen: Indem wir auf Neuver-schuldung verzichten und damit die Altschulden im Ver-hältnis zur Wirtschaftskraft abbauen, erreichen wir amEnde für unternehmerische Investitionen mehr, als es je-der noch so gut gemeinte Ausgabenschwerpunkt imBundeshaushalt jemals erreichen könnte.Im Übrigen spiegelt der Vorwurf, wir hätten inDeutschland eine zu niedrige Investitionsquote, dieWirklichkeit schon heute nicht vollständig wider. Wirsind bei Ausrüstungen, Forschung und Entwicklung oderbei Direktinvestitionen im Ausland gut aufgestellt.
Dass es in Deutschland keine Investitionsblase imBausektor wie in den Krisenländern in Europa gab, hatzwar unsere Investitionsquote gesenkt, aber das ist si-cher kein Fehler gewesen.Wir brauchen angesichts der beschriebenen Heraus-forderungen mehr Investitionen, vor allem private Inves-titionen. Dazu ist neben einer soliden Haushaltspolitikvor allem ein international wettbewerbsfähiges Steuer-system zentrale Voraussetzung. Das haben wir inDeutschland, und wir wollen, dass es so bleibt. Deswe-gen werden die Steuern nicht erhöht werden.
Wir haben – gelegentlich zeigt die öffentliche De-batte, dass es notwendig ist, das wieder einmal zu erläu-tern – in Deutschland ein ausgeklügeltes System der Un-ternehmensbesteuerung. Natürlich kann man darüberdiskutieren, ob die Abgeltungswirkung der Kapital-ertragsteuer steuerlicher Gerechtigkeit vollständig ent-spricht;
das ist wahr. Aber solange wir noch keinen weltweitenautomatischen Informationsaustausch haben, war das einrichtiger und pragmatischer Kompromiss zur Sicherungvon Einnahmen.
Jedenfalls sind Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer, Ka-pitalertragsteuer und Spitzensteuersatz bei der Einkom-mensteuer so aufeinander abgestimmt, dass die Belas-tung für Personengesellschaften und für Inhaber vonKapitalgesellschaften gleich hoch ist.Wer den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteueranheben will, wie es mancher, etwa als Preis für den Ab-bau der kalten Progression, fordert, der fordert damitletztlich Steuererhöhungen auf breiter Front.
Damit würde er auch das wichtige Gleichgewicht bei derUnternehmensbesteuerung ins Wanken bringen. Wer daswill, soll es ehrlich sagen. Aber dann muss er den Ar-beitnehmern erklären, warum er die Investitions- undBeschäftigungsbedingungen für alle Unternehmen ver-schlechtern will. Das würde die internationale Wettbe-werbsfähigkeit unseres gesamten Steuersystems und da-mit unseren Wirtschaftsstandort selbst massiv gefährden.Deswegen machen wir das nicht.
Deutschlands Wirtschaftsstärke basiert auf seinenmittelständischen Global Players. Das sind Unterneh-men, die sehr oft noch inhabergeführt sind und es auchbleiben wollen, und das aus guten Gründen. Es ist auchgut so, dass sie es bleiben. Die Einkommensteuer ist dieUnternehmensteuer dieses starken deutschen Mittelstan-
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des. Wenn wir den Spitzensteuersatz anheben würden,dann würden wir diesen Unternehmen, unserer größtenWirtschaftsstärke, direkt schaden.
Wir würden genau die Unternehmen empfindlich treffen,die in Deutschland für Ausbildungs- und Arbeitsplätzesorgen. Davor kann ich nur warnen.
Natürlich hat der Abbau der kalten Progression weiterPriorität. Aber es ist schon sehr bedauerlich, dass der inder letzten Legislaturperiode im Bundestag verabschie-dete Gesetzentwurf im Bundesrat blockiert worden ist.
– Er war natürlich finanziert.
Das Thema bleibt in dieser Legislaturperiode aktuell,aber nicht um den Preis, um es klar zu sagen, durch eineErhöhung der Unternehmensbesteuerung die wirtschaft-liche Entwicklung massiv zu gefährden.
Wir müssen uns auf unsere wirtschaftlichen Stärken be-sinnen, statt sie zu bekämpfen, und das heißt, mehr pri-vate Investitionen zu erreichen und nicht weniger. DasSteuersystem setzt dafür wichtige Rahmenbedingungen.Wir haben ein breites, leistungsfähiges Instrumenta-rium zur Mittelstandsförderung, und wir haben gute Fi-nanzierungsbedingungen. Es ist wahr: Wir hören insbe-sondere von jungen innovativen Unternehmen öfters,dass es trotz der insgesamt guten Bedingungen Ansatz-punkte für weitere Verbesserungen gebe, die nicht zu-letzt die Finanzierungsmöglichkeiten für solche Unter-nehmen betreffen.Weil die jungen innovativen Unternehmen für unsereWirtschaft ein hohes Potenzial beinhalten, wollen wir esstärken, indem wir Wagniskapitalfinanzierungen unter-stützen, indem wir die steuerlichen und rechtlichen Rah-menbedingungen für Wagniskapital international wett-bewerbsfähig gestalten, und wir wollen Deutschland alsFondsstandort attraktiver machen.
Zur Stärkung von Börsengängen junger innovativerund wachstumsstarker Unternehmen arbeiten wir an derEinführung eines neuen Börsensegments „Markt 2.0“;man braucht solche Begriffe. Wir sind im Übrigen dabei,Möglichkeiten zu finden, wie die Verbriefung von Mit-telstandskrediten erleichtert werden kann.
Ich weiß, dass Verbriefungen in der Finanzkrise eine un-rühmliche Rolle gespielt haben. Aber das lag nicht andem Instrument der Verbriefung als solchem, sondern andem Missbrauch. Deswegen sind wir natürlich ent-schlossen, das auszuschließen. Wir können das aus-schließen, indem wir nur solche Verbriefungen berück-sichtigen, die höchsten Qualitätskriterien genügen.Wir werden im Übrigen in dieser Woche beim Treffender G-20-Finanzminister in Washington darüber beraten– ich entschuldige mich schon jetzt beim DeutschenBundestag, Herr Präsident, dass ich ab Donnerstagnach-mittag bei den Haushaltsberatungen nicht mehr anwe-send sein kann –, wie wir auf internationaler Ebene dieRahmenbedingungen für langfristige Investitionen dergroßen Kapitalsammelstellen, etwa der Versicherungen,in die Infrastruktur unserer Volkswirtschaften verbessernkönnen. Das kann auch in Deutschland zu zusätzlichenInvestitionen führen. Eine Gesellschaft im demografi-schen Wandel wie die unsere benötigt Wachstum durchInvestitionen und Innovationen genauso wie unsere glo-balisierte Welt mit bald 9 Milliarden Menschen und sogroßen Unterschieden und Spannungen. Oder um es zu-gespitzt zu sagen: Mir ist zu oft von Hochfrequenzhan-del und zu selten von langfristiger Investitionsfinanzie-rung die Rede.
Deshalb muss es uns auch weltweit besser gelingen,die riesige, nach langfristigen Anlageformen förmlichdürstende Liquidität in Investitionen zu lenken. Dazubleibt die Gesundung der Staatsfinanzen eine entschei-dende Voraussetzung. Diese wird neben staatlichen In-vestitionen auch mehr private auslösen.Digitalisierung und eine immer stärker grenzüber-schreitende Globalisierung verwandeln unsere Wirt-schaft und Arbeitswelt fundamental. In diesen Tagenwird auf der Industriemesse in Hannover unter demMotto „Industrie 4.0“ diese Entwicklung beschrieben.Wir werden diese rasante Entwicklung nicht durch staat-liche Bürokratie oder Ausgabenprogramme nach Artüberholter Industriepolitik lenken können, verehrte Kol-leginnen und Kollegen, sondern wir werden sie nurdurch Investitionen in Bildung, Forschung und Entwick-lung gestalten können.
Den Rest überlassen wir dann besser dem Markt derIdeen und der Innovationen. Hayek hat einmal – es istschon eine Zeit lang her – vor der staatlichen Anmaßungvon Wissen gewarnt. Ich glaube, das ist gerade ange-sichts dieser rasanten Veränderung noch aktueller dennje.
Aber dann müssen wir beweisen, dass wir in Deutsch-land große Infrastrukturmaßnahmen auch realisierenkönnen. Das gilt für Flughäfen, Bahnhöfe und auch fürStromtrassen. Wie wollen wir sonst auch in Zukunft flie-gen, Bahn fahren oder uns im Internet bewegen? Natür-lich ist das Prinzip der Bürgerbeteiligung für die demo-kratische Legitimierung, für die Akzeptanz und auch für
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eine sachgerechte Ausgestaltung von Großvorhaben un-abdingbar. Aber das darf nicht zu einem Missbrauch die-ses Prinzips durch kleine, professionelle Lobbygruppenführen, die die Entscheidungen von Mehrheiten amSchluss nicht akzeptieren. Eine ständige Blockadehal-tung kann uns nicht weiterführen und wird auf Dauer dieGrundlagen unseres Wohlstands aufs Spiel setzen.Wir brauchen ein positives Investitions- und Innova-tionsklima; dafür müssen wir arbeiten. Dabei kann unsauch das Transatlantische Freihandelsabkommen helfen.Wenn wir mit Amerika verhandeln, sollten wir uns ge-genseitig die Achtung der gleichen Werte unterstellen,auch was Umwelt- und Arbeitsstandards betrifft. Wennwir das tun, kann das Investitionsklima im größten Wirt-schaftsraum der Welt enorm verbessert werden.Wenn wir angesichts der demografischen Entwick-lung und des Fachkräftemangels dafür sorgen, dass wirgenügend qualifizierte Arbeitskräfte behalten, dann hel-fen uns in Europa dabei die Grundfreiheiten. Die Nieder-lassungsfreiheit in Europa müssen wir bewahren. Abersie darf natürlich nicht zu einer Art „Sozialtourismus“mit massiver Armutseinwanderung führen. Das Wohl-standsniveau in Europa ist heute so unterschiedlich, dasswir auf europäischer Ebene Lösungen finden müssen,die bei der Verrechtlichung von Ansprüchen an die so-zialen Sicherungssysteme die Realität unterschiedlicherWohlstandsniveaus nicht außer Acht lassen. Im Übrigenkönnen wir von einer Debatte über eine überzogene Ver-rechtlichung vielleicht auch in Deutschland profitieren.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,wenn wir immer wieder zur Erneuerung unserer Struktu-ren und zur Weiterentwicklung unserer Institutionen be-reit sind, dann werden wir die großen Herausforderun-gen bewältigen können, vor denen wir stehen:Herausforderungen in Deutschland, für Deutschland inEuropa und für Europa in der Welt. Der Entwurf desHaushalts 2014 wird dazu seinen Beitrag leisten.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrSchäuble, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede darauf auf-merksam gemacht, dass es für die Ukraine und die um-liegende Region nur Diplomatie als Lösung gibt. Ich willmich dem ausdrücklich anschließen und hoffe, dass wirauch darin einer Meinung sind, dass Äußerungen, diedies konterkarieren, wenig hilfreich sind.
Jetzt aber zum Bundeshaushalt. Ich habe mit Interessezur Kenntnis genommen, dass es fast Standing Ovationsgegeben hat, als von dauerhaftem Haushaltsausgleichdie Rede war.
Die schwarze Null geht durch alle Medien. Ich will zu-nächst einige Fakten nennen. In der letzten Legislaturhaben Sie und Ihre Regierung, Herr Schäuble,102,9 Milliarden Euro neue Schulden gemacht.
Frau Merkel ist seit 2005 im Amt und hat seitdem über200 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Im Rah-men des Haushalts 2014, um den es nun geht, wollen Sie6,5 Milliarden Euro neue Schulden machen; das ist Fakt.Sie sind also weit weg von den eigentlichen Zielen. Siehaben die Neuverschuldung in diesem Land in nennens-werter Größenordnung angehoben.Um es klar und deutlich zu sagen: Auch die Linke istfür Haushaltskonsolidierung. Wir sind für Schuldenredu-zierung. Da, wo wir regiert haben, in Berlin und Meck-lenburg-Vorpommern, kann man genau sehen, dass wirin diese Richtung agiert haben. Brandenburg ist in denletzten drei Jahren ohne neue Schulden ausgekommenund hat im letzten Jahr sogar einen Haushaltsüberschussin Höhe von 583 Millionen Euro ausgewiesen, von de-nen 300 Millionen Euro in die Tilgung geflossen sind.Trotzdem wurden die Mittel für den Bildungsetat in die-sem Bundesland um 10 Prozent gesteigert. Das ist solideFinanzpolitik. Dafür steht auch die Linke.
Der Preis für Ihre Art der Haushaltskonsolidierung istextrem hoch. Sie fahren mit diesem Haushalt das Landauf Verschleiß. Das ist das Gegenteil von Verantwortungfür die Zukunft. Sie haben hier in umfangreichen Wortenüber Investitionen geredet und gesagt, wie wunderbarwir uns entwickeln. Die Realität ist aber: Wir steigerndie Investitionen nur um 1 Milliarde Euro. Das ist unver-antwortlich wenig angesichts der Herausforderungen,vor denen wir in den Bereichen Bildung, Infrastrukturund Verkehrswege – schauen Sie sich die Situation vielerBrücken in Deutschland an – und bei den Krankenhäu-sern stehen. Das alles hat mit Zukunftsfähigkeit über-haupt nichts zu tun.
Schauen Sie alleine auf den Wirtschaftsetat. Er hat einVolumen von 6 Milliarden Euro. Wenn man die Subven-tionen abzieht, dann sind es nur noch 3 Milliarden Euro.1 Prozent des Gesamthaushalts steht somit für Wirt-schaftspolitik zur Verfügung. Das soll Zukunftspolitiksein? Das ist ganz weit weg davon.
Dieser Haushalt ist an vielen Stellen schlichtweg un-terfinanziert, und zwar in der ganzen Breite. Das gehtvom Steuervollzug über die Bundespolizei und die Fi-nanzierung der Energiewende bis hin zur Arbeitsmarkt-politik. Da legen Sie ein Programm für gerade einmal
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3 Prozent der Langzeitarbeitslosen auf. Den Rentenkas-sen werden zur Finanzierung Ihres Haushalts 19 Milliar-den Euro weggenommen. Das alles, den Preis Ihrerschwarzen Null, zahlen zukünftige Generationen.
Sie blenden die Haushaltsrisiken aus. Sie haben zwarüber die Zinsentwicklung geredet, aber ein Anstieg vonnur einem halben Prozentpunkt – man sieht, dass dieEntwicklung auf den Finanzmärkten in diese Richtunggeht – würde uns mit 6 Milliarden Euro mehr belasten.Ähnlich ist es mit den gesamten Schattenhaushalten. Al-lein der Soffin hat inzwischen ein Minus von 25 Milliar-den Euro angehäuft. Das alles wird zu bezahlen sein.Das hat eben nichts mit struktureller Haushaltskonsoli-dierung zu tun.Der Haushaltsentwurf bedeutet für die meisten Men-schen weniger Netto vom Brutto. Sie belasten die Men-schen und greifen ihnen tief in die Tasche. Die Renten-kassenbeiträge sollten zum 1. Januar gesenkt werden.Das haben Sie mit einem Federstrich annulliert. Es istso, dass die Zuschüsse zum Gesundheitsfonds reduziertwerden, und es stimmt eben nicht, dass die Krankenkas-senbeiträge nicht steigen werden. Natürlich werden siemittelfristig steigen, und es werden die Zuzahlungen fürviele Menschen in diesem Land steigen. Genauso stei-gen die Beiträge zur Pflegeversicherung. Das führt imErgebnis dazu, dass die Menschen weniger in ihren Ta-schen haben.Sie träumen von der schwarzen Null, aber viele Men-schen in diesem Land sehen eine schwarze Zukunft. Siehaben nicht über die über 3 Millionen Arbeitslosen indiesem Land geredet. Sie haben nicht darüber geredet,dass es Millionen Hartz-IV-Empfänger in diesem Landgibt. Sie haben nicht über die 2 Millionen Kinder undJugendlichen, die sich in Armut befinden, geredet undauch nicht über die 465 000 Rentnerinnen und Rentner,die Sozialleistungen beantragen, weil ihre Rente unter-halb der Grundsicherung liegt. Das sind die Kollate-ralschäden der Regierung auf dem Weg zur Haushalts-konsolidierung.
Ein ausgeglichener Haushalt, sehr geehrter HerrSchäuble, ist nicht automatisch Ausdruck einer gutenHaushaltspolitik; denn Haushaltspolitik muss immerauch einen Beitrag zur Gerechtigkeit leisten. Der Haus-halt 2014 leistet ein weiteres Mal keinen Beitrag, um diekatastrophale Entwicklung bei Einkommen und Vermö-gen wirklich umzudrehen. Auf gut Deutsch: Die Scherezwischen Arm und Reich in diesem Land geht immerweiter auf.Es ist eben so, dass wir mehr Mittel brauchen, sehrgeehrter Herr Schäuble. Nur so können wir die Aufga-ben wirklich erfüllen. Um Ihrem Vorwurf gleich entge-genzutreten: Nein, wir fordern nicht pauschal Steuerer-höhungen. Wir wollen mit unserem Steuerkonzept90 Prozent der Menschen entlasten oder im bisherigenZustand belassen. Aber die 10 Prozent der Vermögendenin diesem Land müssen mehr belastet werden, die Ver-mögenden und Superreichen.
Es ist doch nicht zu akzeptieren, dass in diesem Landdie Zahl der Vermögensmillionäre jedes Jahr größerwird. Wir haben inzwischen 1 015 000 Vermögensmil-lionäre. Sie haben nicht den Mut, bei denen auch nur einbisschen abzukassieren, sehr geehrter Herr Schäuble. Damuss ich den Kolleginnen und Kollegen der SPD sagen:Was ist eigentlich aus all Ihren Wahlversprechen gewor-den? Drängen Sie die CDU/CSU doch wenigstens dazu,dass sie ihr Wahlversprechen, den Abbau der kalten Pro-gression, umsetzt. Das wäre doch vernünftig.
Das müsste allerdings solide gegenfinanziert werden. Esist eine Mär, dass die Erhöhung des Spitzensteuersatzesletztlich der Untergang des Abendlandes wäre. Das istdoch völlig absurd. Zu Zeiten Helmut Kohls lag der Satzbei 53 Prozent,
und jetzt können wir nicht einmal über eine moderateAnhebung nachdenken? Das ist völlig absurd. Wir brau-chen mehr Haushaltseinnahmen.
Deswegen wäre eine Vermögensteuer notwendig.Deswegen wäre es auch notwendig, eine Veränderungbei der Erbschaftsteuer durchzusetzen. In den nächstenJahren werden 2 Billionen Euro vererbt. Angesichts des-sen nicht den Mut zu haben, davon wenigstens etwasmitzunehmen – niemand will enteignen; aber wir brau-chen für die Aufgaben, vor denen unsere Gesellschaftsteht, höhere Einnahmen, und diese Mittel müssen vondenjenigen kommen, die in der Krise ausdrücklich profi-tiert haben –, ist ein Fehler.Wir, meine Damen und Herren, sehen, dass dieserHaushalt in einer Tradition der Ungerechtigkeit steht.Wir werden in den Beratungen viele sehr vernünftigeVorschläge einbringen. Ich hoffe, dass Sie viele aufneh-men können. Dann ist die Hoffnung vielleicht noch nichtverloren, dass man wirklich einen ausgeglichenen Haus-halt der sozialen Gerechtigkeit und der Zukunftsfähig-keit schafft. Der jetzt vorgesehene Haushalt ist im Mo-ment weit davon entfernt.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege CarstenSchneider das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSPD steht für eine solide Finanzpolitik. Wir haben 2009gemeinsam mit der Union im Bundestag und im Bundes-rat dafür gesorgt, dass die Schuldenbremse im Grundge-setz verankert wird. Wir werden im Jahre 2015 – wennder Vollzug gut ist, vielleicht sogar im Jahre 2014 – ei-nen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden er-reichen. Das ist ein markanter Erfolg. Das ist ein Para-digmenwechsel nach über 40 Jahren Politik desBundestages, aber auch des Bundesrates, die davon ge-kennzeichnet war, dass permanent mehr Schulden aufge-nommen wurden, um die zu leistenden Ausgaben zu fi-nanzieren. Diesen Paradigmenwechsel einzuleiten, istdie erste große Aufgabe dieser Koalition.Die zweite große Aufgabe ist, Ordnung auf dem Fi-nanzmarkt herzustellen, insbesondere die Stabilisierungdes Euro und Europas zu erreichen. Ich glaube, dass wirdabei erst den ersten Schritt gegangen sind. Derzeit le-ben wir nämlich von der Politik des billigen Geldes derEZB, aber nicht von politischen Entscheidungen, unddas wird nicht reichen.Die dritte große Aufgabe ist die Aufrechterhaltungder Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.Eine der Kernaufgaben hierbei ist die Energiewende. Esist dafür zu sorgen, dass wir aus der Atomkraft ausstei-gen können. Es muss uns gelingen, erneuerbare Energienzu fördern, aber auch, sie bezahlbar zu halten und dieArbeitsplätze im produzierenden Bereich zu erhalten.Das ist zentral für die SPD. Ich danke Sigmar Gabrielsehr dafür, dass er sich dafür in Brüssel erfolgreich ein-gesetzt hat.
Herr Minister, Sie haben es in Ihrer Retrospektive aufdie letzten vier Jahre vorhin der Sozialdemokratie nichtso ganz einfach gemacht, zu klatschen; aber an den ent-scheidenden Stellen haben wir Beifall gespendet. Ichwill in diesem Zusammenhang nur auf einen Punkt hin-weisen – Sie haben gesagt, es ist immer wichtig, dassman sich bewegt, wenn man ein bestimmtes Wohlstands-niveau erreicht hat; man müsse konsequent dranbleiben,um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und für eingerechtes Land zu sorgen –: Ich habe nicht erkennenkönnen, dass Sie im Bundestag in den letzten vier JahrenStrukturreformen, wie Sie sie angesprochen haben, be-schlossen haben.
Ich wäre wirklich dankbar für einen Hinweis darauf,welche Strukturreformen das gewesen sein sollen.Die Früchte, die wir heute dadurch ernten, dass wir inDeutschland eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und vorallem noch Produktionsunternehmen haben – 25 Prozentdes BIP werden vom produzierenden Gewerbe erbracht;das macht uns einmalig in Europa, und wir wollen die-sen Zustand erhalten –, sind ein Ergebnis dessen, was dieSPD mit den Grünen 2004/2005 durchgesetzt hat.
Ich finde, das festzustellen, gehört zur Ehrlichkeit dazu.Von diesen Früchten leben wir heute.In den vergangenen Jahren sind an die jeweiligeKlientel Geschenke verteilt worden. Das wollen wir alsSozialdemokraten nicht. Wir wollen einen solide finan-zierten Haushalt
mit Zukunftsinvestitionen in den Bildungs- und in denVerkehrsbereich, die uns wettbewerbsfähig halten. Dafürmuss die notwendige Finanzierung vorhanden sein.
Im Hinblick auf die Finanzierung ist es eine derGrundfragen, ob es bei der Besteuerung in Deutschlandgerecht zugeht.
Sie haben den Punkt Spitzensteuersatz angesprochenund in Verbindung mit dem Unternehmensteuersatz ge-setzt. Zunächst einmal: Auch Einzelunternehmen kön-nen optieren, können ihre Rechtsgrundlage so ändern,dass sie wie normale Kapitalgesellschaften besteuertwerden. Sie wären von einer Erhöhung des Spitzensteu-ersatzes nicht zwangsläufig betroffen. Einmal abgesehendavon: Eine solche Erhöhung hat jetzt auch gar keinergefordert.Wenn wir die vom Herrn Kollegen Bartsch eben ge-nannte Frage der kalten Progression, der schleichendenSteuererhöhung aufgreifen wollen und das verändernwollen – wir wollen keine Erhöhung der Steuersätze fürden unteren und mittleren Einkommensbereich –, danngilt für uns: Wir machen das nicht auf Pump. Deswegenhaben wir als SPD den Vorschlag dazu seinerzeit imBundesrat und auch hier im Bundestag abgelehnt. Wirwollen dafür eine saubere Gegenfinanzierung.
Das heißt in dem Fall dann auch, dass man sich über denAbbau von Subventionen unterhalten muss. Dazu liegenallerdings keinerlei Vorschläge Ihrerseits vor.
Im Gegenteil: Es gibt eine totale Blockadehaltung. Ichfinde, dass man so nicht arbeiten kann. Es geht schon garnicht, sehr teure Gutachten in Auftrag zu geben, um siedanach in der Schublade verschwinden zu lassen. Dazugehört ein bisschen mehr Mut.
Wir als Sozialdemokraten sind bereit, den notwendi-gen Mut aufzubringen und der Bevölkerung zu sagen:
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Carsten Schneider
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Ja, wir schaffen die kalte Progression ab, aber wir wer-den dafür die Subventionen auf den Prüfstand stellen. –Das bringt nicht immer Freude; damit habe ich selbst someine Erfahrungen gemacht.
Aber es ist notwendig, um eine Vereinfachung des Steu-errechts hinzubekommen. Ich wünsche mir, dass wir dasin dieser Koalition in der nächsten Zeit noch schaffen.Ein weiterer Punkt. Beim Thema „gerechte Steuern“geht es auch um die Frage: Wer zahlt denn in diesemLand eigentlich Steuern? Und auf welche Einkommenzahlt er sie? Die Mehrwertsteuer muss jeder zahlen. DieLohnsteuer wird automatisch abgezogen; da hat die nor-male Arbeitnehmerin oder der normale Arbeitnehmerüberhaupt keinen Gestaltungsspielraum. Aber wer überVermögen verfügt, kann das schon in das eine oder an-dere Land in Europa transferieren. Wir haben promi-nente Fälle gehabt. Einige Betroffene geloben Besse-rung; das gilt auch für die entsprechenden Länder.Ich möchte, dass diese Koalition insbesondere die ge-rechte Besteuerung von Vermögen im Ausland durch-setzt, also erreicht, dass die Zinserträge daraus besteuertwerden. Das ist für uns als Sozialdemokraten extremwichtig, weil nicht nur Arbeit besteuert werden soll, son-dern auch höhere Einkommen und Vermögen. Deswegensind das Fallen des Bankgeheimnisses und auch derFortschritt, den wir im Bereich der Zinsbesteuerung mitdem automatischen Informationsaustausch gemacht ha-ben, extrem wichtige Punkte.
Wir werden – auch darauf haben wir uns in der Koali-tion verständigt – die Bedingungen für die Selbstanzeigebei Steuerhinterziehung verschärfen, insbesondere dieZuschläge erhöhen. Derjenige, der jahrelang Steuernhinterzogen hat, darf im Endeffekt nicht besser dastehenals derjenige, der seine Steuern ehrlich gezahlt hat. Dasist ein Grundsatz für Sozialdemokraten.
Es zeigt sich auch, dass es richtig war, dass wir dasDeutsch-Schweizer Steuerabkommen im Jahr 2012 nichthaben passieren lassen. Dadurch wären viele Leuteanonym geblieben, und sie hätten Geld gespart, und derDruck auf die entsprechenden Länder wäre entfallen,sich zu bewegen und für saubere Geschäfte zu sorgen.Deswegen war es richtig, das abzulehnen.
Es wird auf der europäischen Ebene in den nächstenJahren mit vielen Entscheidungen in diese Richtung ge-hen müssen; wir als Nationalstaat allein können dasnicht regeln. Wir brauchen die anderen europäischenLänder und das Europäische Parlament bei einer einheit-lichen Besteuerung und bei der Frage, wie Unterneh-mensgewinne transferiert werden können. Hierbei gehtes darum, dass über Lizenzgestaltungen, zum Beispiel inden Niederlanden, aber auch in anderen Ländern, einAnreiz geboten wird, die Höhe der Unternehmensteuernletztendlich zu senken. Das ist eine Form von asozialemStandortwettbewerb; wir als Sozialdemokraten machendas nicht mit.
Wir wollen, dass Unternehmen Gewinne machen – ganzklar; es sind keine Altruisten –, aber wir wollen auch,dass sie einen fairen Beitrag zum Steueraufkommen leis-ten.Sie von der CDU haben vorvorgestern auf dem Bun-desparteitag den Spitzenkandidaten der Konservativen inEuropa gekürt. Sein Name wird in Deutschland geheimgehalten, aber hier im Bundestag soll schon einmal ge-sagt werden, wer es ist: Es ist Herr Juncker.
Er war im vergangenen Jahrzehnt derjenige, der vor al-len Dingen dafür gesorgt hat, dass die Zinsbesteuerungs-richtlinie in Luxemburg nicht angewandt wurde. Er hatsie zehn Jahre lang bekämpft. Erst nachdem es einen Re-gierungswechsel gegeben hat und die Sozialdemokratenin Luxemburg einen neuen Koalitionspartner haben,wird dort nicht mehr blockiert. Ich finde, Sie sollten sichnoch einmal überlegen, wer Ihr Spitzenkandidat ist undwelche Politik er macht.
Bei den Haushaltsberatungen wird es für uns daraufankommen, die Investitionen zu steigern; hier besteht,glaube ich, Konsens. Wir werden uns sehr genau dieAusgabenseite, aber auch den Steuervollzug anschauen.Wir müssen dafür sorgen, dass die Einnahmen entspre-chend fließen und das Steuerrecht in Deutschland umge-setzt wird. Das ist die Aufgabe der Bundesländer; dennsie haben es in der Hand. Sie müssen genug Personaleinstellen, um Unternehmen und Einkommensmillionäresteuerlich prüfen zu können. Der Bundesrechnungshofhat viele Vorschläge dazu gemacht.Herr Minister Schäuble, Sie haben vorhin viel überSozialleistungen und auch über die Sozialleistungsquotegesprochen. Es stimmt, dass sie in Deutschland hoch ist,und das ist auch gut so; für uns Sozialdemokraten ist dasein wichtiger Punkt. Ich glaube, wir leben in einem so-zial sicheren Land. Der soziale Ausgleich gehört dazu.Was die Finanzierung der Hochschulen und die Fi-nanzierung des Studiums angeht, müssen wir zu Verän-derungen kommen – das war auch ein Punkt bei den Ko-alitionsverhandlungen; da haben wir noch vier JahreZeit. Es gibt viele Jugendliche und Studenten, die nichtaus reichen Elternhäusern kommen. Deshalb ist eine Re-form des BAföG – die Bedarfssätze und die Freibeträgesind seit fünf Jahren nicht mehr angepasst worden – ganzentscheidend. Wir möchten, dass junge Leute auch ausfinanziell nicht so starken Elternhäusern in Deutschlanddie Chance haben, studieren zu können.
Auch da stehen die Bundesländer gemeinsam mit uns inder Pflicht. Das wäre eine gute Ergänzung zu den Inves-
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titionen. Denn Bildungsausgaben sind Investitionen indie Zukunft.Ich danke Ihnen für den Einstieg in diese Debatte. Eswird interessant bleiben. Ich sehe den Beratungen imHaushaltsausschuss in den nächsten vier Sitzungswo-chen mit Freude entgegen.Danke.
Der Kollege Kindler ist der nächste Redner für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Schäuble, nach dieser Einbringung findeich es äußerst bemerkenswert, aber auch, wie ich sagenmuss, ziemlich dreist, wie viel Selbstlob Sie hier an denTag legen.
Ich gebe ehrlich zu: Die schwarze Null im Haushalt2015 klingt erst einmal gut, besonders für einen Haus-hälter. Aber als guter Haushälter darf man eben nicht nurdie Überschriften betrachten, sondern man muss kritischnachrechnen, genau hinsehen und fragen, wie das eigent-lich zustande kommt. Wenn man sich die Finanzplanunganschaut, dann erkennt man, dass diese schwarze Nullnur eine kurzfristige Momentaufnahme ist. Es ist keindauerhafter Zustand.
Es ist nicht nachhaltig finanziert. Herr Schäuble, IhrHaushalt ist nur ein kurzes und teures Strohfeuer.
Schauen wir uns den Haushalt und die Finanzplanungeinmal konkret am Beispiel der drei Hauptprobleme an.Sie verlassen sich auf die gute Konjunktur, Sie greifen indie Sozialkassen, und Sie investieren nicht.Erstens zur Konjunktur. Sie haben einfach Glück ge-habt, Herr Schäuble: Die Konjunktur läuft gut.
Die Zinsen sind historisch niedrig. Allein in der letztenLegislaturperiode hat der Bund wegen der Euro-Krise100 Milliarden Euro an Zinsen gespart. Herr Schäuble,das heißt, Sie sind ein Konjunktur- und Krisengewinner.Mit eigener Leistung hat das aber wenig zu tun.
Was machen Sie eigentlich, wenn mal wiederschlechtere Zeiten kommen? Darauf sind Sie nicht vor-bereitet; dafür haben Sie nicht vorgesorgt. Wenn dieKonjunktur und die Zinsen sich nur ein bisschen ver-schlechtern, dann fällt Ihr Haushalt wie ein Kartenhauszusammen. Ihr Haushalt, Herr Schäuble, ist nur einSchönwetterhaushalt.
Zweitens zu den Sozialkassen. Ihre einzige Finanzie-rungsidee ist ja der Griff in die Sozialkassen. Sie plün-dern jetzt den Gesundheitsfonds. Aber der Bundeszu-schuss für den Gesundheitsfonds ist kein Fahrstuhl, denman je nach Belieben und Kassenlage einfach hoch- undrunterfahren kann. Er orientiert sich an den versiche-rungsfremden Leistungen, und er wurde zusammen mitden Krankenkassen festgelegt, damit sie Planungssicher-heit haben. Was passiert jetzt? Mehrere Krankenkassenhaben schon angekündigt, dass sie wahrscheinlich Zu-satzbeiträge für die Versicherten erheben müssen. Dasheißt, die Hauptleidtragenden Ihrer Haushaltspolitik sinddie Versicherten, die Menschen mit kleinen und mitt-leren Einkommen. Sie zahlen die Zeche, und das istextrem ungerecht.
Das Gleiche machen Sie bei der Rentenkasse. Auchda langen Sie extrem zu. Jedem hier im Saal ist klar, dassSie die Mütterrente über Steuern hätten finanzieren müs-sen.
Aber die Union hat Steuererhöhungen, zum Beispiel fürSpitzeneinkommen oder große Vermögen, aus ideologi-schen Gründen zum Tabu erklärt. Die SPD hat das mit-getragen. Deswegen werden die Altenpflegerin und derLagerarbeiter das Rentenpaket zahlen. Die Bezieher vonhohen Einkommen und Kapitalerträgen sowie wir Abge-ordnete werden nicht zur Finanzierung herangezogen.Das, meine Damen und Herren, ist extrem ungerecht.Für uns Grüne ist klar: Gerade in der Haushalts- undFinanzpolitik müssen starke Schultern mehr tragen alsschwache.
Ich komme zum dritten Punkt: Investitionen. Ich habeschon ausgeführt, dass die Konjunktur gut ist. Gemäßdem Finanzplan sollen die Steuermehreinnahmen um42,7 Milliarden Euro steigen.
Davon nehmen Sie im nächsten Jahr 6,5 Milliarden Eurofür den Schuldenabbau. Es bleiben noch rund 36 Milliar-den Euro übrig. Die Frage, das große Rätsel ist: Wo sinddie 36 Milliarden Euro geblieben? Klar ist bisher nur:
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Sven-Christian Kindler
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Investiert werden sie nicht. Die Investitionsquote imHaushalt stagniert auf einem sehr niedrigen Niveau. Al-len ist klar, dass der Staat seit Jahren zu wenig investiert,um die bestehende Infrastruktur zu erhalten. Das heißt,unter dem Strich lebt der Staat von der Substanz. DieserHaushalt ändert daran gar nichts.
Ihr Haushalt, Herr Schäuble, hat ein krasses Investitions-defizit. Das ist zukunftsvergessen und verstößt gegen dieGenerationengerechtigkeit.
Wir Grüne sagen, Herr Schäuble: Jetzt wäre die Zeit,im Haushalt klar in die Zukunft zu investieren: in denKlimaschutz, in die Gebäudesanierung, in erneuerbareEnergien, in den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Aberauch Investitionen in Köpfe, das heißt in gute Bildungund verlässliche Betreuung, in Kinder und Jugendliche,wären notwendig. Die Große Koalition steht für die Sub-ventionierung der Vergangenheit. Jetzt wäre es aber ander Zeit, in die Zukunft zu investieren.
Wir Grüne sagen aber auch klar: Investitionen müssenkonkret und solide gegenfinanziert werden. Wir Grünewollen investieren statt subventionieren. Jedes Jahr gibtder Staat über 50 Milliarden Euro für umweltschädlicheSubventionen aus; das hat das Umweltbundesamt derBundesregierung vorgerechnet. Man kann eine Mengean Subventionen abbauen. Man kann viele MilliardenEuro sparen, zum Beispiel bei den Ausnahmen bei derÖkosteuer, bei der milliardenschweren Bevorzugung desFlugverkehrs gegenüber der Schiene, bei Subventionenfür die Atomenergie, bei schweren Dienstwagen.
– Nein, es ist sinnvoll, in die Zukunft zu investieren, undnicht sinnvoll, klimaschädliches oder umweltschädlichesVerhalten zu subventionieren. – Investieren und dafürSubventionen abzubauen, ist gut für das Klima und gutfür den Haushalt.
Die allermeisten Investitionen werden übrigens in denKommunen getätigt. Es stimmt einfach nicht, HerrSchäuble, dass Sie in der letzten Legislaturperiode fürEntlastung gesorgt haben. Das war Rot-Grün nachher imVermittlungsausschuss; es hat die Entlastung der Kom-munen bei den Kosten der Grundsicherung im Alterdurchgesetzt.
– Jetzt kann auch die SPD klatschen.
Sie haben im Koalitionsvertrag den Kommunen einedeutliche Entlastung versprochen. Wir sehen jetzt wie-der, dass sie eingesammelt wird. Die 1 Milliarde Eurozusätzlich für 2014 kommt nicht. Die versprochenen5 Milliarden Euro verschieben Sie auf 2018, also auf dieZeit nach dieser Legislaturperiode. Das Motto der GroßenKoalition ist: Kaum versprochen, schon gebrochen. – Dasist eine bittere Enttäuschung für die Kommunen. Sokann man nicht mit unseren Städten und Gemeinden inDeutschland umgehen.
Nicht nur bei den Kommunen, sondern auch bei derRente verschieben Sie die Kosten in die Zukunft.160 Milliarden Euro kostet Ihr Rentenpaket. Die in die-sem Zusammenhang notwendigen Erhöhungen vonSteuern und Beiträgen kippen Sie der nächsten Regie-rung vor die Füße. Sie werden in die Geschichte alsgroße Verschiebekoalition eingehen.
Herr Schäuble, Sie haben auch den Finanzierungs-tragfähigkeitsbericht Ihres eigenen Hauses angespro-chen. Sie haben ihn wohl gelesen, aber anscheinend nurdie schönen Seiten und nicht die schlechten. Der Berichtsagt auch, dass die deutschen Staatsfinanzen nicht zu-kunftsfest sind. Bis 2020 muss der Staat jedes Jahr bis zu15 Milliarden Euro zusätzlich sparen oder entsprechendeEinnahmen erwirtschaften, um die Finanzen zukunfts-fest zu machen. Der Bericht zeigt: Auch das machen Sienicht. Sie machen gar nichts. Das zeigt, dass Ihre Haus-haltspolitik extrem kurzsichtig und unsolide ist.Fassen wir einmal zusammen: Wir haben die riskanteWette auf die Konjunktur. Wir haben den Griff in die So-zialkassen. Wir haben das große Investitionsdefizit. Wirhaben das Verschieben von Kosten in die Zukunft. Undwie ist Ihre Reaktion darauf, Herr Schäuble? Sie be-schwichtigen, reden die Probleme offensichtlich kleinund feiern sich nur für Ihre schwarze Null.Wissen Sie, woran mich das erinnert? Das erinnertmich an das Klischee eines trickreichen Gebrauchtwa-genhändlers. Auch da soll das Schrottauto nur an denMann oder an die Frau gebracht werden – komme, waswolle. Da wird erst ein bisschen am Lack poliert. Nach-her sind aber die Bremsen kaputt. Es gibt ein Leck in derÖlwanne, und es wird auch kein Wort über den rostigenAuspuff verloren. Hauptsache, die Karre ist endlich vomHof.
Genauso ist es auch mit Ihrem Haushalt: Ihr Haushalteiert, wenn Sie großes Glück haben, bis 2017. Dann istder Ofen aus. Ich sage: So geht es nicht. Wir brauchenals Finanzminister keinen trickreichen Gebrauchtwagen-händler, sondern wir brauchen als Finanzminister einenehrlichen Kaufmann.
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2236 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Sven-Christian Kindler
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Das Problem bei einem Gebrauchtwagenhändler istauch, dass er nur das Allernötigste tut. Ich frage Sie,Herr Schäuble: Wo ist eigentlich Ihre Lust, wo ist IhreLeidenschaft, und wo ist Ihr Engagement in der Haus-haltspolitik? Wo kürzen Sie Ausgaben? Wo bauen SieSubventionen ab? Wo stärken Sie die Einnahmeseite?Nirgends! Es passiert nichts. Sie haben keinen Mut.
Haushalt heißt auch, zu entscheiden. Das heißt, Prioritä-ten zu setzen. Das heißt auch, dass man etwas macht.Diese Arbeitsverweigerung, Herr Schäuble – das istheute schon absehbar –, wird uns noch alle teuer zu ste-hen kommen.
Wir Grüne werden in den Haushaltsverhandlungenkonkrete Vorschläge für Investitionen, für eine struktu-relle Konsolidierung des Haushalts und für eine solideGegenfinanzierung über Ausgabenkürzungen, Subven-tionsabbau und Einnahmeverbesserungen machen. Bis-her ist dieser Haushalt nicht gerecht. Er ist unsolide undzukunftsvergessen. Das muss sich dringend ändern.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Wir beraten heute den zweiten Re-gierungsentwurf zum Haushalt 2014. Ich will zuallererstfeststellen: Dieser Haushalt ist tatsächlich eine histori-sche Zäsur. Erstmals legen wir nicht nur einen strukturellausgeglichenen Haushalt vor, sondern einen Haushalt,der strukturell sogar einen Überschuss von 0,07 Prozent,real 1,8 Milliarden Euro, erwirtschaftet. Das ist der Ein-stieg in eine neue Zeitrechnung der Haushalts- und Fis-kalpolitik in Deutschland. Darauf können wir alle stolzsein. Diesen Haushalt trage ich mit einem Lächeln imGesicht vor.
Wir haben während der Koalitionsverhandlungen ver-einbart, dass wir für die kommende Legislaturperiode23 Milliarden Euro mehr für dringend notwendige Maß-nahmen ausgeben wollen. Daran halten wir uns exaktund auf Punkt und Komma. Daran halten wir uns auch,indem wir keine Steuererhöhungen beschließen undkeine neuen Schulden machen.Folgendes möchte ich an meinen Vorredner und Kol-legen von der SPD richten: Wenn man vereinbart, dasses keine Steuererhöhungen geben soll, dann macht eskeinen Sinn, über den Spitzensteuersatz zu diskutieren.Wenn es um Subventionsabbau geht, dann muss manwissen, dass die Kollegen von der SPD damit niemalswirtschaftliche Subventionen wie das ZIM-Programmdes Ministeriums von Herrn Gabriel meinen.
Sie meinen damit immer steuerliche Subventionstatbe-stände, also Steuerermäßigungen. Wer aber Steuerermä-ßigungen abbaut, der erhöht Steuern. Wenn wir aber ver-einbart haben, dass es keine Steuererhöhungen gebensoll, dann ist alles Notwendige gesagt. Dabei bleibt es.Da brauchen wir gar nicht lange zu argumentieren undGründe zu suchen. Das ist verabredet; so bleibt es.
Für diesen Haushalt gilt Solidität und Kontinuität.Das sind die entscheidenden Schlagworte. Kontinuitätheißt immer: Man blickt ein Stück zurück, und manblickt auch nach vorne. Wenn ich zurückblicke, danndanke ich der nicht anwesenden FDP für die Unterstüt-zung in den vergangenen vier Jahren und dafür, dass wirso weit gekommen sind.
Ich danke vor allem aber auch den Kollegen von derSPD-Fraktion, unserem neuen Koalitionspartner, diesich diesem Ziel auch verschworen haben.
Ich finde es großartig, dass wir das miteinander angehenwollen. Wir werden das auch schaffen. Wenn es keinegroßen externen Schocks gibt, dann werden wir 2015und in den Folgejahren, also dauerhaft, einen ausgegli-chenen Haushalt haben und die schwarze Null vorlegen.Das ist ein großes Programm dieser Koalition, und wirwerden das hinkriegen.
Das ist vor allem im Sinne einer generationengerech-ten Politik. Das ist das wichtigste Signal, das man aus-senden kann. Keine neuen Schulden zu machen, ist dasBeste, was man für nachfolgende Generationen tunkann.Da muss ich mich an den Kollegen von den Linkenwenden. Herr Bartsch, Sie haben gesagt, zukünftige Ge-nerationen würden den Preis der schwarzen Null zahlen.
Meine Damen und Herren, das ist Blödsinn. Er stellt dieArgumente von den Beinen auf den Kopf. Genau dasUmgekehrte ist wahr: Das ist die beste Politik, die manfür künftige Generationen machen kann.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2237
Norbert Barthle
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Deshalb sage ich den Leuten draußen: Die Argumente,die Ihnen die Linken vortragen, muss man zunächst ein-mal auf die Beine stellen; dann werden sie richtig.
An dieser Stelle widerspreche ich, was ich selten tue,unserem Bundesfinanzminister.
Er meinte: Spätestens wenn die Sozialausgaben in unse-rem Haushalt 100 Prozent erreichen, fällt den Linkenwohl nichts mehr ein. – Falsch, Herr Dr. Schäuble!Selbst wenn sie 100 Prozent erreichten, würden die Lin-ken sagen: Jetzt müssen wir neue Schulden machen, da-mit wir noch mehr für Soziales ausgeben können. –
So tickt die linke Seite des Hauses – wir nicht.Wie machen wir das Ganze? Auch dazu ein einfachesArgument: Wer sich den Entwurf des Haushalts 2014 an-schaut und ihn mit dem Haushalt 2013 vergleicht, derwird feststellen, dass er round about 10 Milliarden Euromehr Einnahmen, aber round about 8 Milliarden Euroweniger Ausgaben ausweist. Das ist das Geheimnis un-seres Erfolges: bei steigenden Einnahmen weniger Geldausgeben. Das, meine Damen und Herren, bezeichnetauch die schwäbische Hausfrau als Sparen. Es ist dasGeheimnis unseres Erfolgs: Wir sparen dank steigenderEinnahmen und weniger Ausgaben.
Allen Unkenrufen der Opposition zum Trotz: DieserHaushaltsentwurf ist eine seriöse, verlässliche Planungs-grundlage für die weiteren Beratungen. Wir werden si-cherlich an der einen oder anderen Stelle noch Verände-rungen vornehmen – das ist bei Haushaltsberatungenimmer geboten –, aber insgesamt ist das ein hervorra-gender Entwurf, der auch die notwendige Entlastung fürdie Kommunen mit einbezieht.Dazu würde ich gerne einige Sätze sagen: Wir stehenzu den Vereinbarungen, den Kommunen zu helfen, auchwenn dies zunächst einmal Länderaufgabe ist. Wir habenschon viel getan, wir werden weiterhin viel tun. Aber alljenen, die bewusst – zumindest teilweise bewusst – denKoalitionsvertrag falsch interpretieren, sei nochmals ge-sagt: Wir halten das, was vereinbart wurde, auf Punktund Komma ein: 1 Milliarde Euro Entlastung ab 2015;das Bundesleistungsgesetz wird ab 2018 greifen unddann 5 Milliarden Euro Entlastung bringen.Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist eine ganzandere: Wir müssen bis zu diesem Zeitpunkt das Bun-desleistungsgesetz neu formulieren. Da wird es die An-strengung aller brauchen, das Gesetz so auszutarieren,dass erstens die Entlastung bei den Kommunen, dort, wodas Geld hingehört, ankommt und es zweitens gerechtabläuft. Denn, meine Damen und Herren, wenn man sichanschaut, wie es derzeit bei der Eingliederungshilfe fürBehinderte aussieht, dann stellt man fest, dass es Kom-munen und Länder gibt, in denen pro Kopf mehr als dop-pelt so viel ausgegeben wird als in anderen Kommunenund Ländern. Auch das spielt bei der Frage eine Rolle,wie wir dieses Gesetz ausgestalten, wie wir die Stan-dards so festlegen, dass bei den Kommunen tatsächlicheine Entlastung ankommt.Der Bundeshaushalt 2014 ist ein weiterer Schritt hinzu einem Ziel, das die Öffentlichkeit immer wieder beiuns anmahnt. Sie sagt nämlich: Wann baut ihr endlichSchulden ab? Der Bundesfinanzminister hat das Not-wendige dazu gesagt. Völlig übersehen wird aber auch,dass wir im Bereich unserer Sonderhaushalte, zum Bei-spiel beim Investitions- und Tilgungsfonds, bereitsRückführungen vornehmen: Der Bundesbankgewinnfließt fast zur Hälfte in den Investitions- und Tilgungs-fonds. Deshalb gelingt es uns bereits in diesem Jahr, dieDefizitquote im Bundeshaushalt von vorher 80 Prozentauf jetzt etwa 75 Prozent abzusenken. Bis zum Ende derLegislaturperiode werden wir bei rund 67 Prozent sein,und wir haben uns vorgenommen, bis 2018 sogar eineQuote von 65 Prozent zu erreichen; so hat es das Kabi-nett heute beschlossen. Ich finde, das ist ein hervorra-gendes Ziel und ein gutes Signal, auch im Hinblick aufden europäischen Raum, wenn es darum geht, die Stabi-lität des Euro zu sichern.
Da erlaube ich mir einen kleinen Vergleich: Wie siehtes international aus? Schauen wir uns die Schulden-standsquote wichtiger europäischer Länder an: Italien134 Prozent, Vereinigtes Königreich, also England,93 Prozent, Frankreich 96 Prozent. Schauen wir überEuropa hinaus: USA 106 Prozent, Japan 245 Prozent.Was folgern wir daraus? Deutschland ist nicht nureuropa-, sondern wahrscheinlich auch weltweit der Sta-bilitätsanker.Noch vor wenigen Jahren lautete eine Titelgeschichtedes Economist „Deutschland, der kranke Mann Euro-pas“.
– Das waren wir alle gemeinsam in einem langen Pro-zess. Die Reformen unter Herrn Schröder haben einengroßen Beitrag dazu geleistet – das ist gar keine Frage –,
aber auch die Konsolidierungspolitik dieser Bundesre-gierung, unterstützt vom Fraktionsvorsitzenden VolkerKauder und vom neuen Fraktionsvorsitzenden ThomasOppermann, hat einen großen Beitrag geleistet. Ich findedas sehr gut. So können wir weitermachen.
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2238 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Norbert Barthle
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In diesem Zusammenhang möchte ich meine Sorge inBezug auf die Signale aus Frankreich zum Ausdruckbringen.
Wir sind aufgerufen, Disziplin zu wahren; nicht nur wirinnerhalb Deutschlands, sondern auch außerhalb. Spa-nien, Irland, Portugal und Zypern sind auf einem gutenWeg, und auch Griechenland leistet Erstaunliches, wennauch etwas langsam. Das Haushaltsdefizit dort ist bereitssignifikant zurückgegangen.Frankreich erklärt nun, dass es zum dritten Malhintereinander einen Aufschub bei der Einhaltung des3-Prozent-Ziels erwartet. Ich erinnere mich an die Aus-sagen von Präsident Hollande von vor einem Jahr. Er hatnämlich schon 2013 um einen Aufschub von zwei Jahrengebeten. Damals haben die Europäer gesagt: Wir gewäh-ren diesen Aufschub, dafür erwarten wir aber, dassFrankreich die entsprechenden Strukturreformen in An-griff nimmt. Darauf hat Monsieur Hollande erwidert, erverbitte sich jegliche Einmischung in innerfranzösischeAngelegenheiten. Deshalb empfehle ich uns: Wir solltenuns nicht in innerfranzösische Angelegenheiten einmi-schen, sondern deutlich machen, dass wir von Frank-reich erwarten, dass die Strukturreformen auf den Weggebracht werden und nicht schon wieder um Aufschubgebeten wird.Ich finde es erfreulich, was sowohl von der Bundesre-gierung und von Olli Rehn auf europäischer Ebene alsauch vom Präsidenten unserer Deutschen Bundesbank,Jens Weidmann, dazu zu hören war. Ich finde es bedenk-lich, was man in diesem Zusammenhang von MartinSchulz hört. Ich appelliere an die Kollegen von der SPD:Fangen Sie Herrn Schulz ein. Er hat Äußerungen ge-macht, die für die Stabilität des Euro nicht produktivsind.
Ich wiederhole meine Aussage: Wir brauchen weiter-hin Disziplin, nach innen und nach außen. Nur dann wer-den wir sowohl bei uns als auch in Europa die notwen-dige Stabilisierungspolitik für unsere Haushaltefortsetzen können. Dass in dem einen oder anderen Be-reich, zum Beispiel bei der Infrastruktur, Mehrausgabenwünschenswert sein mögen, ist unbestritten.Wir geben in den kommenden Jahren 5 MilliardenEuro mehr aus. Das ist gut, könnte aber auch noch bessersein.
Deshalb haben wir Haushälter auf unserer Klausurta-gung besprochen, dass wir dann, wenn wir neue Finanz-spielräume entdecken sollten, diese gerne für die Stär-kung der Infrastruktur einsetzen wollen. Das ist eingutes, ein richtiges Ziel; denn dass es eine gewisseSchieflage unserer Haushalte gibt, das ist unbestritten.Als ich 1998 im Bundestag angefangen habe, betrugdie Investitionsquote etwa 13,5 Prozent und die Sozial-ausgabenquote 35 Prozent. Heute machen die Sozialaus-gaben 49 Prozent, also fast 50 Prozent aus und die Inves-titionen nur noch 8,6 Prozent. Das war ein jahrelangerProzess.
– Da haben auch andere regiert, auch Sie, die Grünen.Herr Kollege Kindler, das scheinen Sie vergessen zu ha-ben, dafür sind Sie wohl zu jung.
Viele haben daran mitgewirkt. Es ist sicherlich richtig,dass es an dieser Stelle noch erheblichen Nachholbedarfgibt.Lassen Sie mich abschließend auf einen Begriff ver-weisen, auf den mich die Menschen immer wieder an-sprechen, wenn ich vor Ort bin: den sogenannten Julius-turm. Die Menschen fordern uns immer wieder auf, anden Juliusturm zu denken.Der Juliusturm ist ein Festungsturm der ZitadelleSpandau aus dem 13. Jahrhundert. Er wurde 1838 res-tauriert. Damals lagerte dort der Reichskriegsschatz imWert von 120 Millionen Mark. Später war der JuliusturmGegenstand politischer Beratungen. 1952 bis 1956 hatder Bundestag unter dem damaligen Finanzminister FritzSchäffer aus der Deutschen Bundesbank und aus denKassenüberschüssen Rücklagen, einen sogenanntenSchatz, in Höhe von 7 Milliarden D-Mark angehäuft.
Die wurden dann zwischen 1957 bis 1959 vom soge-nannten Kuchenausschuss des damaligen Parlamenteswieder ausgegeben. Das unterscheidet das damalige Par-lament von unserem: Wir haben keinen Kuchenaus-schuss mehr, wir haben einen Haushaltsausschuss. Wirhaben ein anderes Bewusstsein.
Wir wollen keinen Kuchen, wir wollen eher Schwarz-brot. Deshalb halten wir uns an die Devise, die in diesenZeiten angemessen ist.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Zur Erin-nerung: Der Juliusturm ist Geschichte.
Die Zeiten haben sich geändert. – Danke.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2239
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Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich willzunächst den schwarzen Humor des Kollegen Barthleaufnehmen. Er meinte den Haushalt mit einem Lächelneinzubringen, um sich dann über die Tauglichkeit derVorschläge der Linken lustig machen zu müssen. Ichwill Ihrer Erinnerung ein bisschen auf die Sprünge hel-fen: Sie haben jetzt in Ansätzen so etwas Ähnliches wieeinen Mindestlohn etabliert. Wer hat die Debatte imDeutschen Bundestag zum Mindestlohn angestoßen?Das waren die Linken. Links wirkt, meine Damen undHerren!
Mein nächstes Stichwort: Börsengang der Bahn. Darüberreden Sie in der Großen Koalition nicht mehr.
Wer aber hat als einzige Fraktion gegen den beabsichtig-ten Börsengang der Bahn gestimmt? Das war die Frak-tion der Linken und zuvor die der PDS. Links wirkt,meine Damen und Herren!
Das sollten Sie nicht vergessen.„Deutschlands Zukunft gestalten“ haben Sie IhrenKoalitionsvertrag, Ihre Vereinbarung, genannt. Jetztmüssen Sie sich daran messen lassen, wie es Ihnen ge-lingt, Deutschlands Zukunft zu gestalten. Wir haben denEindruck – das ist hier schon gesagt worden –, dass Sieausgesprochen selbstverliebt sind, dass Sie ausgespro-chen verliebt sind in Ihre schwarze Null, und Liebemacht bekanntlich blind.
Keine neuen Schulden – das ist natürlich auch für unswichtig. Das haben wir in den Ländern, in denen wirmitregiert haben, gründlich nachgewiesen. In Berlin hatdie CDU infolge des Nicht-umgehen-Könnens mit Geldinzwischen den Status einer Nichtregierungsorganisationangenommen. Deshalb achten wir natürlich diese For-mulierung. Aber auch in diesem Jahr müssen mehr als30 Milliarden Euro für Zinsen eingestellt werden. Des-halb sagen wir Ihnen: Die schwarze Null ist für die aller-meisten Menschen in diesem Lande eine ziemlich ab-strakte Größe,
eine Größe, die in ihrem Lebensalltag nicht ankommt. Inihrem Lebensalltag kommen Fakten wie steigende Mie-ten, steigende Energiekosten und zeitlich befristete Ar-beitsverträge an. Berufseinsteigerinnen und -einsteigerim Osten werden in aller Regel mit Zehnmonatsverträ-gen und dem Hinweis: „Danach gehst du zur Agentur“,eingestellt. Junge Wissenschaftler – bis 45 Jahre gerech-net – können in ihrer Erwerbsbiografie auf eine Vielzahlbefristeter Verträge verweisen, ihnen wird aber keineZukunftsperspektive geboten.
Und Sie erfinden schöne Losungen wie die, die Sie andie Wandtafel vor dem Bundespresseamt geschriebenhaben: „Der Aufschwung ist bei den Menschen ange-kommen“. Wir aber haben im Land mit Menschen zutun, die mit einer solchen Agitation, mit einer solchenPropaganda nichts anfangen können.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben – das gehörtzur Wahrheit – bei diesem Haushalt drei gigantischeSchlupflöcher zur Verfügung. Wir haben in fast derHälfte dieses Haushaltsjahres den Zustand der vorläufi-gen Haushaltsführung. Jeder weiß: Da bleibt eine Mengean geplanten Ausgaben stehen. Ich rechne fest damit,dass Sie Ihre schwarze Null zu einem Großteil darausdecken wollen.
Über die Eingriffe in die Sozialkassen – das ist daszweite Schlupfloch – ist bereits gesprochen worden. DieSondervermögen für die Finanzmarktstabilisierung– drittes Schlupfloch – sind außerhalb des Haushalts ver-anschlagt. Wir, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler,sind Besitzer der zu 100 Prozent verstaatlichten BadBanks. Deshalb sagen wir Ihnen: Ihrem eigenen An-spruch, Deutschlands Zukunft gestalten zu wollen, wer-den Sie vor lauter Faszination über die schwarze Nullwirklich nicht gerecht. Solide Haushaltspolitik sieht an-ders aus.
Zukunftsfähig und enkeltauglich ist der Haushalt inder Tat nicht. Die Mittel der Wirtschaftsförderung, dieeinen, wie wir finden, viel zu geringen Anteil im Haus-halt ausmacht, gehen zu einem großen Teil an staatsnaheMonopolisten. Die Investitionsquote sinkt, und das Pro-blem der ausbleibenden Mauteinnahmen haben Sie hiermit dem Satz kommentiert: Der Verkehrsminister undder Finanzminister werden eine Lösung finden. – Aberdiese Lösung müssen Sie dann auch präsentieren.Wir meinen, dass Sie auch den Osten erneut ausge-blendet haben. Im Osten ist die Arbeitslosigkeit doppeltso hoch, und der Anteil von Jobs mit Niedriglöhnen istwesentlich höher. Sie verfolgen bei der Mütterrente einKonzept, bei dem erneut Erziehungsleistungen in Ostund West unterschiedlich anerkannt werden sollen. Dasist 25 Jahre nach der deutschen Einheit ein Skandal. Dawerden wir Sie nicht in Ruhe lassen.
Wir bekommen häufig zu hören, wir hätten kein Ein-nahmeproblem. Das sehen wir ausdrücklich anders.
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2240 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Roland Claus
(C)
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Auch mit dem Haushalt 2014 wird die Steuerungerech-tigkeit fortgesetzt. Das ginge auch anders. Die Linke hatein Steuerkonzept vorgelegt, bei dessen Umsetzung ge-rechte Besteuerung an den Tag gelegt würde. Das trauenSie sich nicht. Bei den Einkommensschwächsten ist– das wissen Sie – nichts zu holen, und an die Reichentrauen Sie sich nicht heran. Deshalb belasten Sie nachwie vor die Mitte dieser Gesellschaft. Das ist sozial un-gerecht. Das ginge auch anders.
Die Linke wird, wie eingangs beschrieben, zahlreicheÄnderungsvorschläge für diesen Haushalt einbringen.2014 ist ja das Jahr der zweiten Chance. Wir werden be-reits unmittelbar nach der Sommerpause über den Ent-wurf des Haushaltes 2015 reden. Ich habe den Eindruck,dass Sie die zweite Chance brauchen werden. Die Oppo-sition ist dabei. Wir werden Sie mit guten Vorschlägenbehelligen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Brinkhaus für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Schneider, ich habe mit großem Wohlwollen ver-nommen, dass die SPD für solide Finanzpolitik steht.
Angesichts der zwei verfassungswidrigen Haushalte inNordrhein-Westfalen, der Probleme in Rheinland-Pfalzund dessen, was momentan in Baden-Württemberg pas-siert, ist das, glaube ich, eher ein zartes Pflänzlein. Siekönnen froh sein, dass Sie sich zumindest hier im Bundan den starken haushaltspolitischen Stamm der Unionanlehnen können.
Ich möchte mit einem anderen Sozialdemokraten be-ginnen, und zwar mit Alex Möller. Ich möchte über KarlSchiller sprechen, ich möchte über Helmut Schmidtsprechen, ich möchte über Hans Matthöfer, über HansApel und über Manfred Lahnstein sprechen. Ich möchteüber den Christdemokraten Gerhard Stoltenberg spre-chen, natürlich über Theo Waigel, über OskarLafontaine, über Hans Eichel und über Peer Steinbrück.
Ich glaube, sie alle – die meisten von ihnen waren sehrgute Finanzminister; nicht alle, aber die überwiegendeAnzahl – wären ziemlich froh gewesen und hätten ziem-lich viel dafür gegeben, hier heute stehen und ein derarti-ges Haushaltspaket vorlegen zu können.
Man muss sich bewusst machen: Das letzte Malwurde irgendwann Ende der 60er-Jahre ein so erfolgrei-ches Paket mit einem strukturellen Überschuss im ak-tuellen Haushaltsjahr und mit einer Finanzplanung, dieeine Nettokreditaufnahme von null vorsah, vorgelegt. Dawar Franz Josef Strauß noch Finanzminister. Wenn ichhier in die Reihen schaue, stelle ich fest, dass circa einDrittel der Abgeordneten des Deutschen Bundestages,die heute hier sitzen, zu der Zeit noch gar nicht geborenwaren. So lange ist das her. Das heißt, wir haben jetzt et-was geschafft – und viele haben daran mitgewirkt –, andem sich seit 45 Jahren viele aufgerieben, es aber nichthinbekommen haben. Das ist auch ein Grund zur Freude,und für diese Freude sollte man sich etwas Zeit nehmen.Das kann man auch ein bisschen feiern.Wenn man sich einmal anschaut, unter welchen Be-dingungen wir das geleistet haben, ist das Ergebnis umsoerstaunlicher. Wir haben das geschafft, obwohl wir da-rauf verzichtet haben, Steuern zu erhöhen oder neueSteuern einzuführen. Wir haben das geschafft, obwohlwir vereinbart haben, dass wir in diesem Haushaltsjahrund in dieser Legislaturperiode ganz viel Geld zusätzlichfür Bildung, für Infrastruktur und auch für soziale Teil-habe ausgeben werden. Wir haben das erreicht, obwohlwir – beginnend mit der christlich-liberalen Koalitionund jetzt auch fortgesetzt in der Großen Koalition – einPaket geschnürt haben, in dem, je nachdem, wie man esrechnet, 45 bis 50 Milliarden Euro für die Kommunenvorgesehen sind. Was ganz besonders ist: Wir haben dasgeschafft, obwohl wir uns noch vor vier Jahren in derschlimmsten Wirtschaftskrise der deutschen Nachkriegs-geschichte befunden haben. Das ist aller Ehren wert.Es ist nicht die Aufgabe der Opposition, die Regie-rung zu loben;
funktional müssen Sie in einer Demokratie Kritik üben.Ich kann auch verstehen, dass Sie sich ungerne mit denKoalitionsfraktionen freuen. Aber die Kritik, die Sie ge-äußert haben, was die Sozialkassen und die Ausgabenfür Soziales angeht, war doch etwas dünn. Der Finanz-minister und der Kollege Barthle haben es erwähnt: Wirhaben noch nie so viel Geld für Soziales ausgegeben,wie es heute der Fall ist. Ich glaube, dafür müssen wiruns auch nicht schämen, sondern wir können stolz da-rauf sein, dass es nur wenige Länder gibt, die soziale Un-gleichheit mit einem derart massiven Staatseinsatz be-kämpfen wie Deutschland.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2241
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(B)
Meine Damen und Herren, was die Sozialkassen be-trifft, muss man sich fragen: Wie erklären Sie den Men-schen in diesem Land, dass der Staat, der Bund Schuldenaufnehmen soll, um die Rücklagen, die wir in den So-zialkassen haben, weiter zu steigern? Das ist eine Ge-schichte, die Sie auch mir einmal erklären müssen.Ich habe mit großer Freude zur Kenntnis genommen,Herr Kindler, dass Sie gesagt haben: Die Mütterrente isteigentlich gar nicht schlecht; über die Finanzierung müs-sen wir uns aber unterhalten. – Herr Kindler, Sie wissen– Sie sind Haushaltspolitiker –: Circa ein Drittel derAusgaben für die gesetzliche Rentenversicherung, circa80 Milliarden Euro, wird bereits heute vom Steuerzahlerbeglichen.
Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
Ich komme auf die Kritikpunkte, die Sie hinsichtlichder Kommunen geäußert haben, zurück. Ich glaube, dasses keine Bundesregierung gab, die so viel für die Kom-munen getan hat, wie es diese Bundesregierung tut,
und das unter Kraftanstrengungen. Wir wären mit derHaushaltskonsolidierung schon längst weiter, wenn wirden Ländern und den Kommunen nicht immer wiederunter die Arme gegriffen hätten. Auch das gehört zurWahrheit dazu.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Investitio-nen angesprochen. Investitionen sind wichtig. Auch wirwürden gerne mehr Geld für Investitionen ausgeben; dasist überhaupt keine Frage.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die rot-grüneLandesregierung in Nordrhein-Westfalen zurückkom-men.
Da gibt es eine Kultusministerin, die Ihrer Partei ange-hört, und eine Ministerpräsidentin, die durch das Landzieht und behauptet: Die beste Investition in die Zukunftist, Geld in Bildung, in Kitas und in ähnliche Geschich-ten zu investieren.
Wenn Sie sich den Koalitionsvertrag und unser finanz-politisches Programm ansehen, stellen Sie fest: Wir in-vestieren in Kitas, wir investieren in Forschung, wir in-vestieren in Bildung;
denn auch das sind Investitionen in diesem Lande. Auchdas gehört zur Wahrheit dazu, und auch das sollte manan dieser Stelle berücksichtigen.
Es ist ja nicht so, dass wir uns aufgrund der aktuellenHaushaltssituation entspannt in unserer Komfortzone zu-rücklehnen und sagen könnten: Die Messe ist gelesen;alles ist für ewige Zeiten gut. – Nein, ganz im Gegenteil– auch das hat der Bundesfinanzminister in seiner Redezur Einbringung des Haushalts angesprochen –: Wirmüssen natürlich weiterstrampeln, damit wir über Was-ser bleiben. Wir müssen eine Menge tun. Wir müssenvor allen Dingen auf eines achten: dass uns die Einnah-men in diesem Land nicht wegbrechen. Die Einnahmen,meine Damen und Herren, werden nicht durch den Staat,sondern durch unsere Wirtschaft generiert. Deswegen istdie beste Haushaltspolitik, die wir in diesem Lande ma-chen können, dafür zu sorgen, dass es der Wirtschaft gutgeht.Auch da komme ich noch einmal auf die Kritik derGrünen zu sprechen. Was tun Sie denn, damit es derWirtschaft gut geht? Ich denke, wir sollten Sie an IhrenTaten messen. Was machen Sie in Nordrhein-Westfalen?Dort gibt es ein Knebelungsprogramm, das sich „Lan-desentwicklungsplan“ nennt, Regulierung, neue Vor-schriften und Bürokratie. Das ist grüne Wirtschaftspoli-tik.
Wir werden einen anderen Weg gehen. Wir werden dafürsorgen, dass die Wirtschaft auch weiterhin gut und sicherläuft, sodass Steuereinnahmen fließen.
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2242 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
(C)
(B)
Zu einer anderen Sache. Lassen Sie uns über Investi-tionen und Einnahmen reden. Die Investitionen, die diemeisten Einnahmen mit sich bringen, sind die Investitio-nen, die eben nicht vom Staat, sondern in der Wirtschaftgetätigt werden. Dafür brauchen wir ein vernünftigesSteuersystem. Wir werden dafür sorgen, dass unser Steu-ersystem vernünftig bleibt und das Geld nicht vom Staatdurch Steuererhöhungen abgegriffen wird, sondern esfür Investitionen in der Wirtschaft verwendet werdenkann.
Jetzt könnten Sie sagen: Moment, Moment, Moment!Es gibt ja noch so viel zu tun. Lassen Sie uns einmalüber Steuererhöhungen reden. – Auch darüber ist ge-sprochen worden. Wir können die ganze Geschichte ein-mal durchspielen. Sie sagen – das war ja der großeWahlkampfschlager –: Der Staat leistet alles; er sorgt füralles. Wir finanzieren das durch höhere Steuern, aberdurch höhere Steuern, die immer die anderen zahlen.
Höhere Spitzensteuern zahlen die Reichen. Ihr Argu-ment, Herr Bartsch – „Nehmen Sie doch denjenigen, diejetzt so viel vererben, etwas weg!“ –, das sind auch dieanderen. „Nehmen Sie den Vermögenden etwas weg!“,das sind auch die anderen. „Nehmen Sie den Zockernund Spekulanten etwas weg!“, das sind auch die ande-ren.Wenn man die Steuergeschichte in diesem Land ein-mal bei Licht betrachtet, erkennt man, dass jede höhereSteuer, jede neue Steuer am Ende bei der Mittelschichtgelandet ist. Das gehört zur Wahrheit dazu. Deswegensind wir gegen höhere Steuern, gegen neue Steuern undgegen andere Steuern.
Hier blinkt der Präsident.
Der Präsident blinkt nie – gelegentlich blinkt da vorne
die entsprechende Lampe. Das ist in diesem Falle aber
fehlerhaft und wird sofort abgestellt.
Gut. – Deswegen, meine Damen und Herren, glaubeich, dass Steuererhöhungen kein Thema sein können,auch aus einem ganz anderen Grund. Wir haben sehr vielüber die demografische Entwicklung gesprochen. Diedemografische Entwicklung wird dazu führen, dass im-mer weniger immer mehr erwirtschaften müssen. Wennwir diesen immer weniger werdenden, die immer mehrerwirtschaften müssen, noch höhere Steuern auferlegen,dann wird diese ganze Sache nicht funktionieren. Des-wegen konzentrieren wir uns bei der Haushaltskonsoli-dierung eindeutig stärker auf die Ausgabenseite.
Wir müssen uns über die Ausgabenseite unterhalten.Herr Kindler hat es eben als unverdientes Glück hinge-stellt, dass sich Herr Schäuble über eine so tolle Kon-junktur und so hohe Steuereinnahmen freuen kann. ImGegensatz zu rot-grün dominierten Bundesländern
haben wir aber auch der Versuchung widerstanden, dieMehreinnahmen gleich wieder für Mehrausgaben zu nut-zen.
Auch das ist christdemokratische Politik: die Ausgabenkonstant zu halten versuchen und Mehreinnahmen dafürnutzen, um den Haushalt zu konsolidieren. Das werdenwir auch weiter machen. Ich kann Ihnen für diese Haus-haltsberatungen eines ankündigen:
Wir werden die Linie der Nettokreditaufnahme so, wiesie jetzt im Haushalt steht, zusammen mit den Kollegenvon den Sozialdemokraten halten. Wir werden uns nichtverschlechtern; das ist das Ziel der nächsten sechs Wo-chen. Wenn wir an der einen oder anderen Stelle nocheine Schippe drauflegen können, Herr Kollege Kahrs,dann haben wir auch nichts dagegen.
Im Übrigen: Wenn wir einmal über Ausgaben spre-chen, dann muss ich mich auch ein bisschen wundern,wie unintelligent die Kritikpunkte der Opposition vorge-bracht und vorgetragen worden sind.
– Ja, das mögen Sie bedauern. Stellen Sie doch einfacheinmal ein paar intelligente Fragen! Wenn ich jetzt sage:„Wir müssen Ausgaben beschneiden“, dann kommt vonIhnen reflexartig: Wenn Sie bei den Ausgaben irgendwasmachen, dann geht das zulasten der sozial Schwachen,der Infrastruktur, der Investitionen oder wer weiß was.
Wir können uns doch vielleicht einmal darüber unterhal-ten, ob wir unsere Ausgaben etwas effektiver und effi-zienter gestalten können.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2243
Ralph Brinkhaus
(C)
(B)
Der Bundesfinanzminister hat es gerade gesagt: Wir ge-ben in diesem Land sehr viel für Gesundheit aus.
Was kommt denn – subjektiv gefühlt – bei den Men-schen an?Wir können uns vielleicht auch einmal darüber unter-halten, dass es sehr viele Menschen in diesem Land gibt– das will ich auch überhaupt nicht kritisieren –, die mitsehr viel Mühe versuchen, Langzeitarbeitslose wieder indas normale Arbeitsleben hineinzubringen.
Wir werden in dieser Legislaturperiode auch mehr Gelddafür ausgeben. Aber werden wir es tatsächlich schaffen,mehr Langzeitarbeitslose aus ihrer Situation zu befreien?Oder sprechen wir von effektiven und effizientenAusgaben im Bereich der Infrastruktur.
Wenn es heute so ist, dass, wenn wir eine neue Autobahnbauen, bis zu 50 Prozent der Ausgaben in Planung, inBürgerbeteiligung und in Umweltschutz- und Aus-gleichsmaßnahmen fließen, müssen wir uns fragen: Ma-chen wir das alles richtig, oder läuft die Sache an der ei-nen oder anderen Stelle falsch?
Wir sollten uns hinsichtlich der Ausgaben vielleichtauch einmal fragen: Sind wir eigentlich als Staat – alsBund, als Land und als Kommune – in der Lage, Ausga-ben zu priorisieren? Sind wir eigentlich in der Lage, zuunterscheiden, was uns wichtiger ist? Wir gehen hin undsagen: Wir müssen etwas für die sozial Schwachen tun,wir müssen etwas für die Inklusion tun,
wir müssen etwas für die Pflege tun, wir müssen etwasfür die Bildung tun, wir müssen etwas für Investitionentun. Ich will diese Bereiche weiß Gott nicht gegeneinan-der ausspielen; aber sagen wir auch einmal, was uns amwichtigsten ist, was wir zuerst angehen wollen? Da istnoch eine Menge Luft drin.Meine Damen und Herren, ich denke, man kann überden Haushalt auch ein bisschen intelligenter kritisch dis-kutieren, als das heute hier von der Opposition getanworden ist. Ich glaube aber, wir müssen die richtigenFragen stellen, und wir müssen auch den Mut haben, un-bequeme Wahrheiten zu verkünden.
Wir müssen den Menschen in diesem Land auch einmalsagen, dass der Staat nicht für alles sorgen kann. Wirmüssen den Menschen in diesem Land sagen, dass wirpriorisieren müssen und eine Aufgabe vielleicht wichti-ger ist als eine andere. Und wir müssen den Menschen indiesem Land vielleicht auch noch einmal eines sagen– das gilt insbesondere angesichts der aktuellen Diskus-sion –:
dass wir hier als Politiker im Bund, im Land und in denKommunen nicht nur eine Verantwortung haben für dieMenschen, die heute leben, sondern auch für die nach-folgenden Generationen. Ich denke, da ist in diesemHaushalt eine Menge angelegt. Das Beste, was wir fürnachfolgende Generationen tun können, ist, dass wireine vernünftige Ausgabenpolitik machen, dass wirkeine Steuern erhöhen und dass wir konsolidierte Haus-halte hervorbringen.Ich möchte mit einer Bemerkung schließen: Konsoli-dierte Haushalte, keine Steuererhöhungen, keine neuenSteuern – das ist im besten Sinne sowohl konservativeals auch wirtschaftsliberale Politik, und das wird unsereLeitlinie sein. Wir freuen uns auf die Beratungen.Danke schön.
Johannes Kahrs erhält nun das Wort für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich wollte den Kollegen Brinkhaus geradenoch für diese koalitionsfreundliche Rede loben, aberam Ende musste ich merken, dass er nur von seinenschwarzen Brüdern und Schwestern gesprochen hat.Diese Ausfälle gegen die rot-grüne Regierung in Nord-rhein-Westfalen kann man ja damit erklären, dass Sie daherkommen, aber ich finde, da wir hier einen Haushaltder Großen Koalition vortragen, auf den wir alle stolzsind, sollte man das hier auch gemeinschaftlich loben.Das wäre eine gute Sache. Ich muss Herrn Kauder ja dieMöglichkeit geben, dass er freudig klatschen kann; daswollen wir ja tun.
– „Jetzt“ habe nicht ich gesagt, sondern Sie.Der hier vorliegende Haushalt der Großen Koalitionist ein guter Haushalt; denn, Herr Brinkhaus, er trägteine sozialdemokratische Handschrift.
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2244 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Johannes Kahrs
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– Ich muss das auch dürfen. – Wir sind auf einem gutenWeg, die gefährliche Schuldenspirale endlich zu durch-brechen. Die Nettokreditaufnahme beträgt nur noch6,5 Milliarden Euro, und wir kommen zu der schwarzenNull.Man muss das einmal anmerken: Wir Roten kämpfenfür eine schwarze Null.
Ich könnte jetzt viele Scherze über schwarze Nullen ma-chen, aber das möchte ich nicht tun.
Wir Sozialdemokraten kämpfen für eine schwarze Null,und da wir seit 1998 mit Ausnahme von vier Jahren indiesem Land regiert haben, ist der jetzige Haushalt auchdas Ergebnis guter sozialdemokratischer Regierungs-politik.
2009 hatten wir noch eine Neuverschuldung von44 Milliarden Euro, 2011 waren es 17,3 Milliarden Euro,2012 22,5 Milliarden Euro, 2013 22,1 Milliarden Euro,und jetzt sind es 6,5 Milliarden Euro. Ich glaube, manmerkt den sozialdemokratischen Anteil.
Die von der SPD durchgesetzten Investitionen in Bil-dung, Forschung und Infrastruktur stärken unser Landnachhaltig.
Für uns ist die schwarze Null – das muss man betonen –,für die wir Rote kämpfen, nicht nur eine Verpflichtung,sondern sie war auch eine zentrale Forderung der SPDim Bundestagswahlkampf, weil es beim Beenden derSchuldenspirale um Gerechtigkeit geht. Wir sparen näm-lich nicht um des Sparens willen, sondern wir sparen,weil wir mit den Schulden und den Schuldenzinsen un-sere Kinder und Enkel in eine gefährliche Lage bringen.Wir nehmen ihnen nämlich dauerhaft Spielräume. Dasist der Punkt: Wir sparen dafür, dass es zukünftigen Ge-nerationen besser geht. Das eint uns, Herr Kauder. Des-wegen glaube ich, dass dieser Haushalt in diesem Sinneein guter Haushalt ist, und das werden wir entsprechendweiterführen.Ich nenne Ihnen ein Beispiel: 2014 zahlen wir 30 Mil-liarden Euro an Zinsen für Schulden der Vergangenheit.Das ist dreimal so viel Geld, wie dem Bildungsministe-rium zur Verfügung steht. Ich glaube, das kann man denLinken und den Grünen gar nicht häufig genug sagen:Hier sparen wir für Kinder und Enkel. Das ist wichtig.Ich möchte das Geld lieber in Bildung investieren, als esden Banken zu geben, die 90 Prozent unserer Zinszah-lungen bekommen.
Diese Leistung haben wir mit diesem Haushalt hinbe-kommen, und das ist gut so.Allerdings muss man auch sagen, dass es auf demWeg, diese schwarze Null auch nach 2015 zu erreichen,auch Risiken gibt. Deswegen ist nicht gesichert, dass wirsie halten können. Wir schreiben sie aber in der mittel-fristigen Finanzplanung fort und werden damit dieSchuldenbremse einhalten. Das wird dauerhaft der Maß-stab sein, an dem der jetzige und die zukünftigen Finanz-minister gemessen werden. Keiner wird ohne Verlustseiner Reputation um diese Null herumkommen.
– Genau.Aufgrund dieser Risiken brauchen wir eine vernünf-tige Politik. Das ist für die SPD ein zentrales Verspre-chen dieser Koalition und war ein Grund, diese Koali-tion einzugehen. Deswegen müssen wir alle dafürsorgen, dass die kommenden Risiken nicht dazu führen,von diesem Kurs abzuweichen; das wollen wir nicht.Wir haben in der Euro-Krise gemerkt, wie schwierig daswerden kann. Wenn das Wirtschaftswachstum nur um ei-nen halben Prozentpunkt sinkt, fehlen uns allein beimBund 3 Milliarden Euro.
Ein geringeres Wachstum würde uns schwächen.100 000 Arbeitslose, die aufgrund dieser Entwicklunghinzukämen, kosteten uns 1,7 Milliarden Euro. Solltendie Zinsen um 1 Prozentpunkt steigen, würde uns daszwischen 4,5 und 5 Milliarden Euro kosten.Um diese Risiken wissen wir, deswegen wird uns dieschwarze Null die nächsten Jahre bei allen Haushaltsbe-ratungen leiten. Deswegen darf man nicht tricksen. Des-wegen darf es keine kreative Haushaltsführung geben.
Deswegen sind wir gegen Schattenhaushalte. Wir sinddafür, dass man ehrlich klare Ansagen macht.Dies hier ist ein ehrlicher Haushalt. Ich bin ein großerAnhänger der Kameralistik,
weil man da sehr klar erkennen kann, wo die Risikenund wo die Probleme liegen. Ein solcher Haushalt ist of-fen und transparent. Haushaltswahrheit und Haushalts-klarheit sind für uns Sozialdemokraten keine Hohlfor-mel, sondern sie sind die Grundlage für unsere Arbeit.Uns Sozialdemokraten wäre es zum Beispiel liebergewesen, die Mütterrente über Steuern zu finanzieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2245
Johannes Kahrs
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– Ja, das ist so. Da haben wir uns in den Koalitionsver-handlungen nicht durchsetzen können.
In einer Koalition muss man immer Kompromisse ma-chen. Das ist wie in jeder Ehe, wie in jeder Beziehung.
Das ist nötig, weil man ansonsten irgendwann alleine ist.Alleine etwa sind zurzeit die Grünen. Sie hätten sich jaan einer schwarz-grünen Regierung beteiligen können.Jetzt meckern Sie über das, was wir hier tun. Sie hättengestalten können, aber Sie haben sich verweigert. Des-wegen wäre ich an Ihrer Stelle relativ leise.
Bei diesem Haushalt merkt man, dass nicht nur ge-spart, sondern auch gestaltet wird. Wir als SPD habenfür uns wichtige Maßnahmen durchgesetzt, die prioritärauch schon im Haushalt 2014 umgesetzt werden. DieAufstockung der Städtebauförderung auf 700 MillionenEuro pro Jahr ist für uns ganz besonders wichtig.
Für das Programm „Soziale Stadt“ bedeutet das zumBeispiel, dass die Mittel für die kommenden Jahre von50 auf 150 Millionen Euro verdreifacht werden. Das istfür strukturschwache Kommunen ein riesiger Erfolg. Ichglaube, dass man das nicht nur feiern, sondern auch ver-stetigen und ausbauen muss.
Für die Stärkung der Mittel für Bildung, Schulen undHochschulen in Höhe von 6 Milliarden Euro und fürForschung in Höhe von 3 Milliarden Euro stehen weitereGelder zur Verfügung.
Gleichzeitig wollen wir zusätzlich für Verkehrsinfra-struktur 5 Milliarden Euro ausgeben, allein 2014 schon505 Millionen Euro.
Wenn es uns gelingt, bei den Mitteln für Infrastrukturnoch etwas draufzulegen – das wurde schon von derCDU betont –, dann wollen wir das, Norbert Barthle, ge-meinsam gerne tun.
Gleichzeitig gibt es natürlich auch Verhandlungen mitden Kommunen und den Ländern. Es wird die Frage zudiskutieren sein, wie dann die 6 Milliarden Euro, die3 Milliarden Euro und die 1 Milliarde Euro ab 2015 ver-teilt werden und was man 2017 noch machen kann. Eswäre schlau, dass man die Fragen, wie die Gelder zielge-richtet auf die Kommunen und die Länder verteilt wer-den und wie man das Geld vernünftig ausgibt, dem-nächst zusammen klärt, damit alle Planungssicherheithaben und damit wir alle wissen, woran wir sind.Das zentrale Anliegen der SPD, die Entlastung derKommunen, ist dabei ein Element. Wir als Sozialdemo-kraten haben uns im Wahlkampf dafür eingesetzt. Wirhaben dieses Thema überhaupt erst zu einem Thema aufBundesebene gemacht. Das ist einer der Punkte, die indiesem Koalitionsvertrag dominieren. Dafür stehen wirals Sozialdemokraten. Dafür werden wir uns gemeinsammit der CDU einsetzen. Ich glaube, dass es in den nächs-ten Wochen Gespräche darüber geben wird, wie dieseGelder 2015, 2016 und 2017 auf Länder und Kommunenverteilt werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir da zuvernünftigen Ergebnissen kommen.
Übrigens eine kleine Anmerkung: Dass der Bundvollständig die Kosten für die Eingliederungshilfe imAlter übernommen hat, hat Rot-Grün damals als Ergeb-nis im Vermittlungsausschuss durchgesetzt. Auch dasmuss man ab und zu einmal sagen.
Ich finde es richtig, dass die CDU/CSU das aufgenom-men hat und sich jetzt dafür lobt. Das heißt, dass auchunser Koalitionspartner lernfähig ist und dass wir das ge-meinsam hinbekommen. Das ist eine gute Grundlage fürdie Zusammenarbeit.
– Jetzt habe ich Sie einmal gelobt, und dann reicht es Ih-nen auch wieder nicht.
– Man weiß wirklich nicht, was man machen soll. Trotz-dem glaube ich, dass wir es gemeinsam hinbekommensollten.
Der vorliegende Haushalt ist ein gutes Zeugnis klugerPolitik
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2246 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Johannes Kahrs
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mit einer klaren sozialdemokratischen und einer klarenchristdemokratischen Handschrift. Ich glaube, gemein-sam werden wir es in den nächsten vier Jahren hinbe-kommen. Ich bin mir sicher, dass die Haushälter in denHaushaltsberatungen das ihrige tun werden, um diesenHaushalt noch zu verbessern. Das ist schließlich unserJob. Wir werden mit Freude sehen, was Linke und Grünean Anträgen einzubringen haben, insbesondere was dieFrage angeht, wie sie das Ganze gegenfinanzieren wol-len.
Vielleicht geht es auch ohne Luftbuchungen.Ich glaube, dass wir das gemeinschaftlich vernünftighinbekommen – im Interesse der Menschen in diesemLand wie auch im Interesse der Kommunen und der Län-der.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Tobias Lindner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Schäuble, Sie haben vorhin vom
Hausaufgabenmachen gesprochen. Ihre Schulzeit liegt
zwar länger zurück als meine, aber ich gehe davon aus:
Auch Sie erinnern sich noch daran, wie das mit den
Hausaufgaben war. Wenn man sie nicht gerne gemacht
hat, dann hat man zwar irgendwas abgegeben, sich aber
an einigen Stellen um die wahre Aufgabe herumgemo-
gelt.
So kommt mir auch der Regierungsentwurf zum Haus-
halt 2014 vor, meine Damen und Herren.
Sie mogeln sich bei diesem Regierungsentwurf an
drei Stellen an der wahren Aufgabe vorbei. Erstens
schaffen Sie in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung nicht
nur Konjunkturschwankungen und Konjunkturzyklen
ab, nein, Sie verlängern auch Niedrigzinsphasen ins Un-
endliche. Sie bauen eine mittelfristige Finanzplanung
auf Sand. Das ist alles andere als ein strukturiertes Vor-
gehen, um wirklich eine schwarze Null zu erreichen, die
dauerhaft erhalten werden kann.
Zweitens. Sie reden über das Kürzen von Zuschüssen
für die Sozialversicherungen. Sie konsolidieren über den
Griff in die Sozialkassen, statt ernsthaft und engagiert
beispielsweise über eine Bundessteuerverwaltung zu re-
den oder darüber, wie man im Wirtschaftsetat Subven-
tionen kürzen kann oder wie wir im Haushalt dort an die
Ausgaben herangehen können, wo es wehtut oder wo
wir effizienter werden können. An dieser Stelle verwei-
gern Sie die Arbeit.
Ein dritter und letzter Punkt: Sie mogeln sich an Ih-
rem eigenen Koalitionsvertrag vorbei. Es ist bemerkens-
wert, dass der Kollege Kahrs uns seinen Koalitionspart-
ner fast wie saures Bier anzudienen versucht. Groß
scheint die Freude daher nicht zu sein.
Aber ich will nur beispielhaft auf die viel zitierte Entlas-
tung der Kommunen zurückkommen, zu der Kollege
Barthle gesagt hat, der Koalitionsvertrag werde auf
Punkt und Komma eingehalten.
Lieber Norbert Barthle, in Ihrem Koalitionsvertrag steht
auf Seite 63 wörtlich:
Bereits vor der Verabschiedung des Bundesteilha-
begesetzes beginnen wir mit einer jährlichen Ent-
lastung der Kommunen in Höhe von einer Milliarde
Euro.
– Ich habe wörtlich zitiert. Eine Zahl steht auf Seite 63
Ihres Koalitionsvertrages nicht, Herr Barthle. Darin
heißt es „vor der Verabschiedung“ dieses Gesetzes. Das
sind die Jahre 2014 und 2015; es sind aber auch die
Jahre 2016 und 2017. Ich frage Sie ernsthaft: Wann ist
denn „vor“ bei Ihnen, wenn in diesem Regierungsent-
wurf nicht die 1 Milliarde Euro aufgeführt ist?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Grünen
werden in diesen Haushaltsberatungen eines unter Be-
weis stellen: Wir werden unter Beweis stellen, dass man
nicht mehr Schulden machen muss, wie Sie es tun, son-
dern dass man mit dem Geld auskommen kann und dass
es möglich ist, einen Haushaltsentwurf aufzustellen, der
Investitionen in den wichtigen Zukunftsbereichen setzt,
ökologisch schädliche Subventionen abbaut und in Bil-
dung, Teilhabe und Innovationen investiert. Dazu wer-
den wir in den nächsten Wochen Vorschläge machen.
Hieran werden wir Sie messen. Wir freuen uns, wenn Sie
unsere Anträge unterstützen werden. Wir werden sehen.
Herzlichen Dank.
Die Kollegin Antje Tillmann hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2247
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Der heute vorgelegteBundeshaushaltsentwurf 2014 ist strukturell ausgegli-chen, und die Eckwerte des Bundeshaushalts 2015 wei-sen keine neuen Schulden auf. Das kann man gar nichtoft genug sagen, weil das eine gute Stunde ist. HerrKahrs, ich gebe Ihnen völlig recht: Wir sind auf einemguten Weg mit diesem Bundeshaushalt. Deshalb will ichein großes Dankeschön an unseren Bundesfinanzminis-ter Dr. Schäuble meiner Rede voranstellen, der sichschon seit einigen Jahren – auch in der letzten Legisla-turperiode – auf den Weg gemacht hat, um heute diesesErgebnis vorlegen zu können.
Natürlich gilt mein Dank auch meinen Kolleginnenund Kollegen der CDU/CSU-Fraktion um NorbertBarthle, die seit Jahren diese Bemühungen mittragenund den Finanzminister auf seinem Weg unterstützen.Lieber Kollege Kahrs, natürlich danke ich auch euch, dieihr euch neu auf den Weg gemacht habt,
zusammen mit uns die Haushaltskonsolidierung voran-zubringen. Ich freue mich, dass ihr dabei seid. Nach derSchuldenbremse 2009 gab es einen kleinen Knick. Aberjetzt seid ihr mit dabei. Ich glaube, das ist ein guter Wegfür diese Koalition.Der Bund hält die Regeln der Schuldenbremse schonseit 2012 ein, und das vier Jahre früher, als er eigentlichmüsste. Unser Finanzminister hat uns und sich selbst zu-sätzlich das Ziel gesteckt, die Schuldenstandsquote in-nerhalb von zehn Jahren auf weniger als 60 Prozent desBruttoinlandsprodukts zu senken. Das ist die Grenze, diewir nach dem Maastricht-Vertrag eigentlich nie hättenüberschreiten dürfen. Das hätten wir leichter haben kön-nen, wenn wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt nichtgebrochen hätten und wenn die Haushaltskonsolidierungnoch früher begonnen hätte.All denjenigen, die heute den Haushalt miesmachenwollen, kann ich nur sagen: Ja, natürlich gibt es Risikenim Haushalt. Ja, natürlich gibt es Schwierigkeiten, auchin der mittelfristigen Finanzplanung. Aber all diese Risi-ken hatten Ihre Finanzminister auch. Sie haben die Ren-tenkassen geplündert. Sie haben das Gesundheitswesenalleinegelassen. Sie haben bei den Hartz-IV-Regelleis-tungen die Kinder vergessen; Geld für Schulranzen gabes nicht. Sie haben die Kommunen mit den Kosten derGrundsicherung alleinegelassen. All diese Risiken sowiezusätzlich ein hohes Haushaltsdefizit hatten Ihre Finanz-minister vorzuweisen.
Deshalb glaube ich, dass Sie bei aller Miesmachereiab und zu positiv bewerten könnten, dass wir von derGroßen Koalition mit unserem Finanzminister alles rich-tig machen und dass die Haushaltspolitik endlich wiederauf einem guten Weg ist.
Es hat keiner behauptet, dass wir fertig sind. NorbertBarthle weiß, dass er in den nächsten Jahren mit Haus-haltskonsolidierung befasst sein wird. Johannes Kahrsweiß das ebenfalls; er hat in seiner Rede darauf hinge-wiesen. Natürlich werden wir weitermachen müssen.Jeden Euro, den wir nicht für Schuldzinsen ausgebenmüssen, können wir für unsere Kinder sowie für Investi-tionen in Bildung und Infrastruktur ausgeben. Ja, derWeg wird noch hart und steinig sein, wie es in einemLied so schön heißt. Wir werden ihn zusammen gehen.Aber mit diesem Haushalt und dem Abschluss der Haus-haltsberatungen sind wir ein wesentliches Stück voran-gekommen.
Neben der Konsolidierung investieren wir aber auch.Die Behauptung der Opposition, dass wir weder in Infra-struktur noch in Bildung investieren, stimmt nicht.
– „Zu wenig“ ist immer richtig. – So geben wir im Bil-dungsbereich knapp 14 Milliarden Euro aus. Eine solcheSumme wurde hierfür nie zuvor ausgegeben. Allein fürdie Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Inno-vationssystems geben wir rund 6 Milliarden Euro aus.Einen Schwerpunkt bildet dabei der Hochschulpakt2020, für den 2014 über 2 Milliarden Euro angesetztsind. Mit 27 Milliarden Euro steigern wir die Ausgabenfür Investitionen bis zum Jahr 2017 um über 10 Prozent.Ich gebe zu: Das könnte noch besser werden; daran ar-beiten wir. Aber auch hier brauchen wir Haushaltskonso-lidierung.Unser erstes Wahlversprechen ist mit dem Haushalterfüllt. Wir haben gesagt: Wir brauchen einen generatio-nengerechten Haushalt. Da sind wir ein Stück weiter.Unsere Bemühungen um einen generationengerechtenHaushalt wurden aber auch begleitet von der Banken-und Finanzmarktkrise in den letzten Jahren, die tiefgrei-fende Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft zurFolge hatte. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten nunvon uns zu Recht, dass wir Maßnahmen ergreifen, diekünftig verhindern, dass Banken mithilfe von Steuergel-dern gerettet werden müssen. Wir wollen keine Haus-haltsberatungen mehr führen, in denen Bankenrisikenberücksichtigt werden müssen. Wir wollen, dass ein Sys-tem geschaffen wird, wonach diese Gelder nicht mehraus dem Bundeshaushalt, also nicht mehr aus Steuergel-dern, finanziert werden müssen. Auch da sind wir imletzten Jahr ein gutes Stück weitergekommen.Die europäischen Krisen rücken mehr und mehr inden Hintergrund. Irland und Spanien haben den Ret-tungsschirm bereits verlassen, Portugal ist auf einem gu-ten Weg, und auch in Griechenland mehren sich positiveZeichen. Eine Folge dieser guten Entwicklung ist die
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2248 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Antje Tillmann
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Zinsentwicklung. Der Finanzminister hat im Gegensatzzu dem, was eben Oppositionssprecher gesagt haben, na-türlich in der mittelfristigen Finanzplanung höhere Zin-sen für die Bundesschulden eingeplant.
Das ist eine weniger gute Nachricht für den Haushalt,aber eine umso bessere Nachricht für Sparerinnen undSparer. Die leiden nämlich massiv unter den niedrigenZinsen. Das, was uns beim Haushalt freut, ist für Spare-rinnen und Sparer ein echtes Problem. Auch da ist Lichtam Ende des Tunnels sichtbar.
Damit die Haushalte künftig nicht mehr durch Ban-kenprobleme belastet werden, haben wir uns auf denWeg zu einer gemeinsamen Bankenunion gemacht. Ichbin meinem Kollegen Lothar Binding sehr dankbar, dasswir gerade in den schwierigen letzten Monaten gemein-sam dafür gekämpft und den Finanzminister unterstützthaben, Regulierungsmaßnahmen für Banken – Verschär-fung der Eigenkapitalanforderungen und Liquiditätsvor-schriften, höhere Qualität bei Vorständen und Aufsichts-räten – durchzusetzen. Daneben haben wir es jetzt auchgeschafft, zumindest auf europäischer Ebene eine Eini-gung über einen Abwicklungsmechanismus zu erzielen.
Das deutsche Gesetz steht noch aus, aber wir haben esgeschafft, erstmalig in der Geschichte der europäischenBanken eine Haftungskaskade aufzubauen, bei der dereuropäische Steuerzahler der Letzte ist, der bezahlenmuss. Es haften nämlich erst die Eigentümer, dann dieGläubiger, dann ein 55 Milliarden Euro starker Abwick-lungsfonds, und ganz zum Schluss erst kann der Sitzstaataus dem ESM, der aus Steuergeldern finanziert wird,Hilfe beantragen. Wir haben die Hoffnung, dass dienächsten Generationen bei den künftigen Haushaltsbera-tungen über Bankenabwicklung nicht mehr sprechenmüssen. Wir hoffen, dass dieses System funktioniert,und auch da sind wir auf einem guten Weg.
Dazu passt, dass wir versuchen, auch Bürgerinnenund Bürger vor Schäden zu bewahren, die sie durch spe-kulative Finanzinstrumente erleiden können. Der FallProkon ist durch alle Medien gegangen und hat uns auchhier häufig beschäftigt. Im Bundeshaushalt haben wir15 Millionen Euro für den Verbraucherschutz eingestellt.Die Stiftung Warentest alleine bekommt hiervon1,5 Millionen Euro zweckgebunden für zusätzliche Auf-gaben im Bereich der Finanzprodukte. Das Thema wirduns weiter begleiten. Wir haben hier Gelder eingestellt,die der Öffentlichkeit direkt zugutekommen, weil damitdie Regulierungen, die wir als Gesetzgeber getroffen ha-ben, auch tatsächlich bei den Bürgerinnen und Bürgernankommen. Also: Regelungen auf dem Finanzmarkt un-terstützen die Konsolidierung im Haushalt. Künftige Ri-siken haben wir erheblich eingeschränkt.Das zweite Wahlversprechen, das wir im Wahlkampfabgegeben haben, war: keine Steuererhöhungen. Als ein-zige Partei haben wir im Wahlkampf deutlich gesagt,dass wir in dieser Legislaturperiode keine Steuererhö-hungen wollen. Das haben wir bestimmt nicht deshalbgemacht, weil wir nicht gewusst hätten, wohin mit demzusätzlichen Geld. Jeder von uns hätte gewusst, was wirmit zusätzlichen Steuereinnahmen hätten machen kön-nen. Aber wir sind eben anders als andere nicht der Mei-nung, dass Geld nur in den Händen des Staates gut auf-gehoben ist. Wir glauben, dass Bürgerinnen und Bürger,wenn sie mehr Geld in der Tasche haben, damit sinn-volle Dinge tun, nämlich investieren, konsumieren undWachstum fördern. Das gilt übrigens auch dann, wennsie Handwerker mit dem Geld, das wir ihnen belassen,bezahlen. Noch besser ist es, wenn sie das legal tun. Daswerden wir unterstützen. Also auch das zweite Wahlver-sprechen ist erfüllt: keine zusätzlichen Steuererhöhun-gen und trotzdem konsolidierter Haushalt.Wenn wir aber keine Steuern erhöhen, gibt es nur dreiMöglichkeiten, zu zusätzlichen Steuereinnahmen zukommen, die wir alle gut gebrauchen können. Die ersteMöglichkeit ist höheres Wachstum. Auf dem Weg sindwir. Das ist unsere Lieblingsvariante. Die zweite Mög-lichkeit ist, Steuervermeidungsstrategien einzudämmen.Auch da sind wir gemeinsam auf einem guten Weg.Beide AGs Finanzen sind da sehr gut aufgestellt. Diedritte Möglichkeit ist, Steuerhinterziehung einzudäm-men. Mit diesem Konglomerat, nämlich Wachstum zugenerieren und die Steuern einzunehmen, die dem Staattatsächlich zustehen, werden wir hoffentlich auch bei dermittelfristigen Finanzplanung die Finanzierung der Auf-gaben, die wir in Deutschland für wichtig und erforder-lich halten, bewerkstelligen.
Bei all dem haben wir aber weder Familien nochKommunen vergessen. Wir haben Familien über dasWeiterlaufen des Bildungs- und Teilhabepakets in denVordergrund gestellt. Dieses Paket wird Gott sei Dankimmer besser abgerufen. Uns freut jeder Euro, der imHaushalt dafür zusätzlich zur Verfügung gestellt wird.Wir haben die Kinderbetreuung in den Fokus gerückt:5,4 Milliarden Euro haben wir dafür schon ausgegeben.Weitere 6 Milliarden Euro werden es in dieser Legisla-turperiode für Kitas, Hochschulen und Schulen sein. Wirwerden mit dem ElterngeldPlus zulegen. Wir haben dasBetreuungsgeld weiterlaufen lassen.Wir haben ein Problem noch nicht gelöst – das sageich ganz offen –: Wir wissen noch nicht genau, wie wirmit dem Existenzminimumbericht hinsichtlich des Frei-betrags für Kinder umgehen. Wir werden noch in diesemJahr beraten, wie wir mit den zur Verfügung stehendenMitteln möglichst zielgenau Familien Mittel zur Verfü-gung stellen können. Dieser Punkt steht noch auf unsererTagesordnung.Außerdem haben wir ein letztes Problem gemeinsamzu lösen – da bin ich ganz zuversichtlich –: Das Themakalte Progression wird im September wieder auf der Ta-gesordnung stehen, wenn wir über den Bericht über dieAuswirkungen der kalten Progression sprechen. Auch da
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2249
Antje Tillmann
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danke ich Herrn Finanzminister Schäuble dafür, dass ersich dazu sehr deutlich positioniert hat. Ich bin optimis-tisch – wir haben viele andere Probleme gemeinsam ge-löst –, dass wir auch das schaffen, damit diese Haus-haltskonsolidierung und das Versprechen, keine Steuernzu erhöhen, zusammenpassen. Ich freue mich auf dieHaushaltsberatungen und gebe an die Haushälter den Ratweiter – obwohl sie ihn gar nicht brauchen –, aus denHaushaltsberatungen noch besser herauszugehen, als siehineingegangen sind. Das haben sie in der Vergangen-heit ebenfalls gemacht.
Herzlichen Dank für die guten Beratungen.
Der Kollege Lothar Binding hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte mich zu-nächst bei Antje Tillmann für das dicke Lob bedanken.Natürlich habe ich die Bankenunion nicht ganz allein zuverantworten.Hinsichtlich der guten Zusammenarbeit muss manFolgendes sagen. Wenn man sich anschaut, wie weit dieAusgangspositionen auseinanderlagen, dann erkenntman, dass man wirklich von einer guten Zusammenar-beit sprechen kann. Das Ganze ist eine ziemlich gute underfolgreiche Anstrengung gewesen.
Dietmar Bartsch hat gesagt: Den Preis für dieschwarze Null zahlt die kommende Generation. – Dassehe ich als falsch an. Was Herr Bartsch sagt, könnteman vermuten, wenn wir sonst nichts täten. Ich will ein-mal sagen, wer den Preis für die schwarze Null, für einenausgeglichenen Haushalt wirklich zahlt: Steuerhinterzie-her, Steuertrickser und Steuergestalter. Denen Einhalt zugebieten, darum wollen wir uns in dieser Legislaturpe-riode nämlich im Schwerpunkt kümmern. Es ist ein heh-res Ziel, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die ihre Steu-ern jetzt hinterziehen, künftig zur Kasse gebeten werden.
Wir machen hier ein faires Angebot.Sven Kindler hat eine ganz ähnliche Idee gehabt. Ersagte: Der ausgeglichene Haushalt ist nicht nachhaltig,er ist ein Strohfeuer. – Auch hierzu meine Antwort: Wirwollen, dass die Einnahmen künftig strukturell verbes-sert werden. Über Steuererhöhungen reden wir jetztnicht; das ist dem Koalitionsvertrag geschuldet. Wirwollen uns insbesondere darum kümmern, dass die Un-ternehmen künftig fair ihre Steuern zahlen. Auch inter-nationale Konzerne müssen sich mit ihrer Wertschöp-fung in Deutschland steuerlich engagieren. Das ist fair.So können wir diesen Haushalt finanzieren.
Es verwundert ein kleines bisschen: Wir haben in denletzten vier Jahren unter Schwarz-Gelb immer wieder„niedriges Zinsumfeld, höchste Steuereinnahmen derGeschichte, geringe Arbeitslosigkeit“ gehört. Aber es istschon interessant, dass wir damals weder einen ausgegli-chenen Haushalt noch genug Investitionen hatten. Dasgibt doch zu denken. Diese Diagnose deutet darauf hin,dass es schwarz-gelbe Strukturprobleme nicht nur inner-halb der Koalition, sondern auch in Bezug auf ihre Poli-tik gegeben hat.
Ein Schritt zurück. 2008 hatten wir eine Krise. Wiehat der damalige Finanzminister Peer Steinbrück eigent-lich darauf reagiert? Er hat ein kommunales Konjunktur-programm aufgelegt, und das in der allerschwierigstenZeit. Er hat sogar neue Schulden gemacht. Er hat einKurzarbeiterprogramm aufgelegt. Auch das war eineRiesenbelastung für den Haushalt. Was ist passiert? Eshat exzellent gewirkt.
Wir haben über die Investitionen in die kommunalenHaushalte die Nachfrage gestärkt. Wir haben Arbeit ge-schaffen. Wir haben die Arbeitslosigkeit gesenkt, undwir haben das Ganze mit einer Schuldenbremse garniert.Was hat die schwarz-gelbe Koalition danach ge-macht? Es ist nicht so, dass sie, Schwarz-Gelb, nichtsgemacht hätte. Sie hat zum Beispiel den Umsatzsteuer-satz in der Hotellerie gesenkt; das war etwas Neues. Sieist eine schöne Ausnahmeregelung – ärgerlich, aber wirhaben sie nun einmal. Sie wollte ein neues Steuersystemschaffen: einfach, niedrig und gerecht. Viele suchennoch heute danach. Außerdem wollte sie das Steuerab-kommen mit der Schweiz. Gott sei Dank konnten wir esverhindern. Wenn man ganz ehrlich ist, muss man sagen:Dieses Abkommen war ein Programm, um Steuerhinter-zieher zu schützen. Die Probleme mit der Steuerhinter-ziehung wollen wir jetzt gemeinsam überwinden.
Heute können wir an Peer Steinbrück wieder anknüp-fen. Obwohl wir weder einen ausgeglichenen Haushaltnoch genügend Investitionen vorgefunden haben, planenwir – im ersten Schritt – sowohl einen ausgeglichenenHaushalt als auch – im zweiten Schritt – Investitionenfür Schulen, Straßen, Schleusen, Schienen, Bildung undForschung. Das ist eine sehr kluge Sache, wenn die Ba-sis ein ausgeglichener Haushalt ist und das gleichzeitigmit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Trick-serei flankiert wird. Das gibt ein Gesamtbild.Wir haben ein Programm für vier Jahre; das stimmt.Wir machen nicht alles hektisch im ersten Jahr, sondern
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2250 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Lothar Binding
(C)
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wir gehen schrittweise vor. Das ist, glaube ich, ganz klugorganisiert.
Ein ausgeglichener Haushalt ist im Grunde nichtschon dann gegeben, wenn konjunkturell bedingt dieEinnahmen die Ausgaben decken. Die Frage ist viel-mehr: Wie bekommen wir strukturelle Zukunftsfähigkeithin? Herr Schäuble hat einen wichtigen Aspekt genannt:nachhaltiger Haushalt nur bei solidem Wachstum, soli-des Wachstum nur bei nachhaltigem Haushalt. – Wir sa-gen: Das stimmt. Das setzt aber voraus – diese Voraus-setzung wollen wir zusammen schaffen –, dass der Staatseine Steuergesetze effektiv durchsetzt. Das ist nationalnoch nicht ganz gelungen – große Lücken; es ist interna-tional noch nicht ganz gelungen – sehr große Lücken.Erst dann, wenn diese Voraussetzung geschaffen ist, sindInvestitionen im notwendigen Maß möglich – mit all denpositiven Folgewirkungen, die Investitionen haben.Bei dem Vorhaben, das Problem der Steuerhinterzie-hung anzupacken, haben wir einen wichtigen Bündnis-partner, nämlich die OECD. Die OECD hat entdeckt,dass es nicht reicht, bezogen auf ein einzelnes Land eineSteuer zu erheben, sondern dass es wichtig ist, interna-tional darauf zu achten, dass die Konzerne ihre Gewinnenicht dorthin verlagern, wo man keine Steuern zahlt –mit der Folge: Die privaten Konzerne, ganz wenige Ak-tionäre werden hyperreich, und alle Staaten werden nachund nach immer ärmer.Bei dem Ziel, dieses Strukturdefizit zu bekämpfen,unterstützt uns die OECD jetzt mit einem 15-Punkte-Ak-tionsplan; ich muss sagen: mit einem Plan mit 15 Über-schriften und vielen Hundert Einzelmaßnahmen, die esabzuarbeiten gilt, um Steuergestaltung und -hinterzie-hung zu bekämpfen. Das hilft letztendlich natürlichauch, die Finanzverwaltung in Deutschland zu stärken.Noch eine Nebenbemerkung: Wir waren uns über dieJahre nicht immer einig mit der Union und mit der FDP– daran kann sich jeder noch erinnern –, dass die not-wendige Voraussetzung für solche Konzepte die Durch-brechung des Bankgeheimnisses ist. Bisher war es so:Jemand hat Gewinne gemacht und sie weltweit verteilt– man könnte auch sagen: er hat die Gewinne der deut-schen Steuerhoheit entzogen, wir sprechen dann vonEntstrickung –; sie waren dann irgendwo, aber das deut-sche Finanzamt hat davon nie mehr etwas erfahren. Jetztist die Idee, einen Austausch zu organisieren, sodass dasdeutsche Finanzamt, der deutsche Fiskus weiß, was wo-anders passiert. Das geht aber nicht, wenn die Bank un-ter Verweis auf Geheimhaltungsvorschriften sozusageneinen Schleier über die Gewinne legt. Wir wollen denSchleier wegziehen: Die Bank muss die Gewinne mel-den, die Gewinne werden nach Deutschland gemeldet,und dann können wir über ein faires Steuerregime reden.Das ist eigentlich der Kern der Überlegungen in demschon erwähnten Aktionsplan. Er hat übrigens einenenglischen Namen. „BEPS“ steht für: Base Erosion andProfit Shifting. Die Bemessungsgrundlage soll durchVerlagerung von Gewinnen nicht mehr verkleinert wer-den können. Von diesem Programm versprechen wir unssehr viel.Es ist also schon etwas passiert. Wir haben nicht nurdie Aufhebung des Bankgeheimnisses durchgesetzt, son-dern wir haben auch – das ist die zweite Voraussetzung –die Telekommunikationsüberwachung bei Verdacht aufbandenmäßige Steuerhinterziehung eingeführt. Das mussman sich einmal überlegen: Wir haben erst vor wenigenJahren dieses Instrument eingeführt; dabei gibt es diesesVergehen schon sehr lange. Wir haben auch die Verjäh-rungsfristen bei schwerer Steuerhinterziehung verlän-gert. Das alles sind Maßnahmen, die im Grunde den gro-ßen Aktionsplan BEPS für diese Legislaturperiodevorbereitet haben und die grenzüberschreitende Hinter-ziehung eindämmen sollen.Ich komme noch einmal auf den Punkt zurück: Bisherfinden wir Gewinne in der ganzen Welt – das geht überstille Reserven und Lizenzen; wir wollen das transparentmachen und die Gewinne der deutschen Besteuerung un-terwerfen.Eine allerletzte Bemerkung. Es gibt Länder, die hättensich inzwischen die Kavallerie gewünscht, nämlich dieLänder, die sich auf FATCA einlassen mussten. FATCAist das US-Instrument zur Erzwingung der Aufgabe desBankgeheimnisses – auch in der Schweiz. Daran kannman ermessen, wie weit wir gekommen sind. Wir kön-nen den US-Amerikanern dankbar sein, dass sie diesesGesetz verabschiedet haben und so letztlich auch dieSchweizer motiviert haben, international fairer mit allenanderen umzugehen.Ich glaube, jetzt erkennt man, wieso dieser Haushaltein gutes Zeichen für die Haushaltspolitik in den nächs-ten vier Jahren ist. Jeder kann sehen, dass die SPD indieser Legislaturperiode ein guter Partner ist, wenn esum faire Besteuerung geht. Auf der Basis können wirweitermachen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. Hans Michelbach das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die CSU vertritt in Bayern seit Jahren das erfolgreicheKonzept einer wachstumsfreundlichen Konsolidierungs-politik ohne Neuverschuldung. Ich freue mich, dass wirnun mit dem Bundeshaushalt diese wichtige Zielmarkeerreichen. Unsere Koalition ist auf dem richtigen Kurs:ein Kurs der Verantwortung, der Konsolidierung und deraktiven Zukunftsgestaltung, ein Kurs zur Förderung vonWachstum und Investitionen, die wichtige Impulse fürunser Land und unsere Menschen auslösen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich einGrund zur Freude. Die Senkung der Neuverschuldungvon 86 Milliarden Euro auf null ist ein großer Erfolg. Ichgratuliere dem Herrn Bundesfinanzminister dazu.
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Nach 46 Jahren ist dies in der Tat eine historische Leis-tung. Dieses Verdienst darf Ihnen, Herr Minister, nie-mand streitig machen.In diesem Haushaltsentwurf wird deutlich, dass dieGroße Koalition den Konsolidierungskurs mit Blick aufden hohen Beschäftigungsstand, die gute Lohnentwick-lung und die wirtschaftliche Erholung aktiv fortsetzenwill. Es ist ein Kurs für einen langfristigen Wachstums-trend. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass dies nichteine einmalige Situation bleibt. Dieser Kurs gibt uns inDeutschland Rückenwind und führt uns gut durch dieTurbulenzen der Staatsschuldenkrise in Europa, einKurs, mit dem die Politik ihren Beitrag zur Sicherungvorhandener und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze leis-tet. In unserer Gesellschaft entsteht damit – das ist be-sonders wichtig – eine neue Vertrauensbasis; denn ohneVertrauen gibt es kein wirtschaftliches Wachstum.
Damit halten wir unser zentrales Versprechen ein,eine wachstumsfreundliche Konsolidierungspolitik ohneSteuererhöhungen fortzusetzen. Ich will deutlich sagen:Wer Steuererhöhungen will, verlässt diesen Erfolgsweg.Es ist insbesondere ein Erfolgsweg für private Investitio-nen. Wenn wir keine Anreize für private Investitionengeben und kein Geld aus dem Ausland anlocken, werdenwir diese Wachstumsentwicklung nicht erreichen. Des-wegen ist es eine zentrale Frage, dass es keine Steuerer-höhungen gibt und dass Steuererhöhungen nicht Grund-lage unserer Politik werden. Lieber Lothar Binding,diese Einsicht muss nicht dem Koalitionsvertrag mit uns,sondern der ökonomischen Vernunft geschuldet sein;
denn nur so können Wachstum und Beschäftigung ent-stehen.Wir sind natürlich bereit, Steuerdumping und die Ver-lagerung von Steuersubstrat insbesondere im Fall vongroßen internationalen Konzernen wie Amazon, Googleusw. einzudämmen. Ich freue mich, dass wir eine ge-meinsame Anhörung im Finanzausschuss haben werden.Wir nehmen die Frage von Steueroasen, Steuerdumpingund Steuerverlagerung ernst, weil es nicht sein kann,dass diese internationalen Konzerne den Wettbewerb zu-lasten der mittelständischen Unternehmen verzerren.Deswegen werden wir mit Sicherheit an dieser Schraubegemeinsam drehen.
Für die Zukunft bleibt wichtig, dass die Nettonullver-schuldung die Grundlage für die weitere Finanzplanungbleibt. In der mittelfristigen Finanzplanung von 2015 bis2018 muss diese Null stehen bleiben. Diese Taktik istnicht nur beim Fußball wichtig. Ebenso wie der FC Bay-ern haben auch wir in der Haushalts- und Finanzpolitikeine gute Offensive. Wir begrenzen mit dieser Taktik aufder einen Seite Ausgabenwachstum, und wir steigern aufder anderen Seite die Investitionen für die Zukunft. Wirsparen nicht an Ausgaben für die Zukunft, sondern wirschaffen Planungssicherheit für die Wirtschaft. Damitsind wir Vorbild für ganz Europa. Das ist eine Politik derVerlässlichkeit, der Stabilität und der Nachhaltigkeit.Es ist die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen,dass auch unsere Kommunen profitieren. Es profitiertdie Wirtschaft, es profitieren die Menschen, die Arbeit-nehmer, aber auch unsere Kommunen. Wir unterstützendie Kommunen bei der Grundsicherung im Alter, bei denKindertagesstätten, bei den Eingliederungsleistungenusw. Unterstützung haben wir besonders mit einem Ge-setz geleistet, das den Bundesanteil regelt. So konnten inden vergangenen Jahren bei den Kommunen Über-schüsse erzielt werden, natürlich nicht überall. Dort, woin den Kommunen gezielt gehandelt wird, wo die Struk-turen angepasst werden, werden Überschüsse erzielt.Dort, wo man sich zurücklehnt und sagt: „Wir sind einJammertal und wollen ein Jammertal bleiben“, ist esnicht erfolgreich. Wir müssen auch bei den KommunenAnreize schaffen, dass Leistung und Handeln belohntwerden.
Deswegen ist es richtig, dass das aus dem Bundeshaus-halt gezielt unterstützt wird. Es ist gut für die Bürgerin-nen und Bürger. Es ist auch gut für die mittelständischeWirtschaft vor Ort; denn kommunale Investitionenschlagen sich im Wesentlichen bei den Mittelstandsbe-trieben nieder.Dieser Haushalt zeigt, dass wir unsere solide Finanz-und Wirtschaftspolitik – eben ohne Steuererhöhungen –erfolgreich gestalten. Dies ist die Grundlage für die Stär-kung der privaten Investitionen. Wir im Mittelstandfreuen uns, dass Ihnen, Herr Bundesminister, die Verbes-serung des Wagniskapitals ein wichtiges Thema ist. DieFörderung von Mittelstandskrediten, die Unternehmens-finanzierung im Mittelstand ist eine der wichtigsten He-rausforderungen für neue Investitionen und neue Ar-beitsplätze. Auch für Sie bleibt das Thema „Abbau derkalten Progression“ auf der Agenda. Aber wir gestehenIhnen zu, dass die Haushaltskonsolidierung absolutenVorrang hat. Wenn es Spielräume gibt, dann kann mandiese Agenda auch angehen. Das ist der richtige Weg,wie Sie ihn heute verkündet haben. Wir stehen dazu. WerSteuererhöhungen, gerade beim Spitzensteuersatz, dasWort redet, muss wissen, dass es besonders im Mittel-stand bei den Personengesellschaften letzten Endes eineVernichtung von Zukunft, von Zukunftsgestaltung undvon Eigenkapital geben wird.
Eigenkapital kann der Unternehmer immer nur ein-mal ausgeben. Deswegen ist es ganz wichtig, dass er esfür Investitionen und für neue Arbeitsplätze ausgebenkann. Deswegen ist es wichtig, dass dies nicht nur in dengroßen Topf des Steuerstaates kommt, sondern dass wirgerade den mittelständischen Personengesellschaften die
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Chance für Wettbewerb, für neue Arbeitsplätze und neueInvestitionen eröffnen. Das ist die wichtigste Aufgabe.
Dass die Menschen das auch so sehen, merken wir da-ran, dass wir mit unserer Finanzpolitik, mit der Haus-haltspolitik in dieser Koalition weiterhin die große Zu-stimmung der Menschen in Deutschland erhalten.Vielleicht gibt es auch den Neid des einen oder andereneuropäischen Nachbarn. Aber wir wollen, dass der Stabi-litätspakt eingehalten wird, dass die Staatsschuldenkrisebekämpft wird, dass die Regulierung der Banken weitervorankommt. Das alles müssen wir auf den Weg brin-gen. Unsere Politik schafft neues Vertrauen, schafftneues Wachstum, schafft neue Arbeitsplätze. Deswegenist heute ein Tag der Freude.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Zum Tagesordnungspunkt 2 wird interfraktionell dieÜberweisung des Haushaltsbegleitgesetzes 2014 aufDrucksache 18/1050 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern, Einzelplan 06.Das Wort hat der Bundesminister des Innern,Dr. Thomas de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Bundesregierung legt in diesem Jahr einen struktu-rell ausgeglichenen Haushalt vor. Damit ist uns etwasGroßes gelungen; der Bundesfinanzminister hat das so-eben erörtert. Für alle Ressorts heißt das: strenge Ausga-bendisziplin. Wir haben uns auf wichtige Bereiche zubeschränken. Das gilt auch für den Geschäftsbereich desBundesinnenministers. Das schränkt die Spielräume ein,aber wir bleiben handlungsfähig.Lassen Sie mich einige Punkte aus meinem breitenZuständigkeitsbereich herausgreifen:Zunächst zur öffentlichen Sicherheit. Der internatio-nale Terrorismus bedroht unsere Sicherheit nach wie vor.Die organisierte Kriminalität im weiteren Sinne kommtals zusätzlicher Schwerpunkt hinzu. Wir müssen uns inganz anderer Weise, umfassender, darum kümmern. Wirmüssen den Gefahren entschlossen entgegentreten – indem Wissen, dass es einen perfekten, einen absolutenSchutz natürlich nicht gibt.Was wir brauchen, sind präzise wirkende Analysein-strumente zur Vorbeugung und Aufklärung schwerer undschwerster Straftaten. Dazu gehören auch maßvoll ge-führte Dateien über Gefährder. Wir haben heute im Ka-binett den Gesetzentwurf zur Änderung des Antiterror-dateigesetzes beschlossen. Damit werden wir die vomBundesverfassungsgericht beanstandeten Vorschriftenrechtzeitig korrigieren können.Heute hat der EuGH über die Vorratsdatenspeiche-rung geurteilt. Dieses Urteil bestätigt im Ergebnis, dass– ich zitiere – „die Vorratsdatenspeicherung ein geeigne-tes und ein nützliches Mittel zur Verhütung und Verfol-gung schwerer Straftaten darstellt und damit in ihrerZielsetzung dem Gemeinwohl dient“.
Gleichwohl hat der EuGH gesagt, dass die konkreteAusgestaltung dieser Richtlinie unverhältnismäßig ist.Er hat es deshalb für richtig gehalten, sie für ungültig zuerklären und aufzuheben.
Man hätte es auch anders machen können. Man hätteauch sagen können: Wir beanstanden die Regelung undgeben den europäischen Gremien Zeit, sie innerhalb vonzwei Jahren zu korrigieren. – Das hätte ich natürlich bes-ser gefunden. Er hat es aber nicht getan; das nehmen wirzur Kenntnis. Insoweit haben wir rechtlich und politischgesehen eine veränderte Lage.
Da muss man gar nicht drum herumreden.Interessant ist, dass die Maßstäbe des EuGH auf denersten Blick ziemlich nah an dem liegen, was das Bun-desverfassungsgericht uns aufgegeben hat und was wirselbst in unserer Koalitionsvereinbarung – ich sage esmal untechnisch – angedacht haben. Von daher kannman der Sache gelassen entgegensehen. Andererseitsbrauchen wir – das sagen alle Fachleute, das sagen allemeine Kollegen Innenminister, das sagt der Richterbund;alle Praktiker sagen das – eine Regelung über die Min-destspeicherfrist, um schwere Straftaten aufklären zukönnen.
Wir werden innerhalb der Bundesregierung das Urteilsorgfältig auswerten und prüfen. Ich werde darauf drän-gen, dass wir insgesamt in einer noch zu besprechendenWeise auf eine rasche, kluge, verfassungsgemäße undmehrheitsfähige Neuregelung zugehen. Was das im Ein-zelnen bedeutet, wird in der Bundesregierung zu bespre-chen sein.Ein weiterer Schwerpunkt im Bereich der öffentlichenSicherheit ist die Reform des Verfassungsschutzes. Wirhaben darüber auch im Zusammenhang mit der NSU-Af-färe gesprochen. Wir werden die begonnene Reformweiterführen. Das Bundesamt wird als Zentralstelle ge-stärkt. Das aber wollen wir gemeinsam mit den Län-
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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dern erreichen. Die ersten Gespräche dazu stimmenmich zuversichtlich, dass wir das ohne großen Konflikthinbekommen. Die Zusammenarbeit mit den Verfas-sungsschutzbehörden wird besser koordiniert. Informati-onsvernetzung und Analysefähigkeit werden verbessert.Wir bleiben den Empfehlungen des NSU-Untersu-chungsausschusses in vollem Umfang verpflichtet, auchbei der Reform des Verfassungsschutzes.Wenn wir über den Schutz unserer Verfassung spre-chen, sollten wir gleichzeitig aber auch früher ansetzenund über Präventionsprojekte für demokratische Teil-habe und gegen Extremismus sprechen. Das BMI fördertüber das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ seit2010 Projekte. Wir setzen dieses Programm fort undstellen dafür 6 Millionen Euro bereit.Meine Damen und Herren, der größte Teil meinesEtats steht für die Arbeit der Bundespolizei zur Verfü-gung. Darüber wird nicht oft diskutiert, weil wir da we-niger über Gesetzgebung reden; aber natürlich geht eshier um handfeste Arbeit. Die Bundespolizisten sind je-des Wochenende zu Tausenden im Einsatz, um Gewaltrund um Fußballspiele zu verhindern. Die Bundespoli-zisten stehen zwischen gewalttätigen Demonstrantenvon rechts und links, halten ihren Kopf hin für dasRecht, friedlich zu demonstrieren. Die Bundespolizistensichern den internationalen Flugverkehr gegen An-schläge. Sie bekämpfen illegale Migration an den Gren-zen, auf den Flughäfen, in den Zügen und auf den Straßen.Sie schützen gefährdete Personen, auch im Ausland.Viele Bundespolizisten sind als Verbindungsbeamte imAusland. Die Bundespolizei, meine Damen und Herren,ist inzwischen das Rückgrat für die öffentliche Sicher-heit in Deutschland geworden, jeden Tag, 365 Tage imJahr. Ihre Arbeit verdient Dank und Anerkennung.
Umso wichtiger ist es mir, dass wir uns darum kümmern,dass die Polizistinnen und Polizisten gute Arbeitsbedin-gungen und Aufstiegschancen haben. Ich bin froh, dasswir mit diesem Haushalt dazu einen Beitrag leisten.Nun zu einem anderen Thema. Wir haben in den letz-ten Tagen gehört, dass erneut die Internetzugänge undPasswörter von Millionen von Deutschen geknackt wor-den sind. Das, was wir dort erlebt haben, ist der bishergrößte bekannte Datendiebstahl mit kriminellem Hinter-grund. Das BSI tut alles, um die Millionen Betroffenenzu informieren. Meine dringende Bitte an alle Bürgerin-nen und Bürger ist: Machen Sie die Sicherheit im Netzauch zu Ihrer eigenen Sache. – Der Staat muss das Seinetun, aber ohne Umsicht der Bürger bleiben unsere Maß-nahmen nur begrenzt wirksam. Die aktuelle Situationzeigt: Wir müssen uns in Deutschland weit mehr als bis-her um Daten- und Informationssicherheit kümmern.Die Zahl der Angriffe auf das Netz steigt drastisch an. Esgeht auch um Spionage gegenüber Staat und Wirtschaftund um die Bedrohung kritischer Infrastrukturen ausdem Cyberraum.In Anbetracht dieser Lage ist insbesondere der Schutzkritischer Infrastrukturen besonders wichtig. Was ist daseigentlich? Ich definiere es immer so: Eine kritische In-frastruktur liegt dann vor, wenn es kritisch wird, wenndiese Infrastruktur ausfällt. Strom-, Wasser- und Ener-gieversorgung, Netzknoten, Backoffices von Banken,die für Überweisungen zuständig sind, Versicherungs-zentralen – all das sind kritische Infrastrukturen. Ichwerde bald einen neuen Entwurf eines IT-Sicherheitsge-setzes vorlegen. Wir wollen klare Verantwortungszuwei-sungen an die Betreiber kritischer Infrastrukturen und anTelekommunikations- und Telemedienanbieter hinsicht-lich des sicheren Betriebs ihrer Netze. Wir brauchenVorgaben zu gegebenenfalls anonymen oder offenenMeldepflichten bei schweren Sicherheitsvorfällen.
Ich möchte mit allem Ernst etwas hinzufügen; ichmöchte das jetzt nicht genauer erläutern. Nicht zuletztdie NSA-Debatte, vor allem aber auch das Verhalten an-derer Staaten und mancher Unternehmen, die nicht vonDeutschland aus gesteuert werden, uns gegenüber zeigenuns: Es gibt Bereiche, liebe Kolleginnen und Kollegen,in denen wir unsere nationalen Interessen besser schüt-zen und wahrnehmen müssen als bisher.
Das ist für mich, ehrlich gesagt, auch eine Form von auf-geklärtem Patriotismus. Das werden wir mehr als bishertun müssen, soweit es rechtlich, technisch und ökono-misch sinnvoll möglich ist. Das geht weit über den Ge-schäftsbereich des Bundesministers des Innern hinaus. –Mehr möchte ich dazu heute nicht sagen.Zu einem dritten Thema. Das Thema „Migration undIntegration“ ist für die Menschen in unserem Land eingroßes Thema. Deutschland ist für Menschen aus Eu-ropa und der ganzen Welt attraktiv. Das ist zunächst einegute Nachricht, und das ist auch gut so. Wir alle wissen,dass wir dringend auf ausländische Fachkräfte angewie-sen sind.Die Migranten, soweit sie sich hier legal aufhalten,sollen sich integrieren, arbeiten, Steuern und Beiträgezahlen – wie alle –, und sie sollen sicher bei uns lebenkönnen und keinen Vorurteilen begegnen.Wir, die aufnehmende Gesellschaft, sollen den Zu-wanderern die Hand ausstrecken, ihnen helfen, sie will-kommen heißen. Damit sie sich als Bürger in Deutsch-land heimisch fühlen, integriert werden, braucht es dasEngagement beider Seiten. Das Engagement des Bundesheißt unter anderem: Integrationskurse. Seit ihrer Ein-führung haben weit über 1 Million Menschen dieseKurse besucht, und die Nachfrage steigt. Das geht nichtohne finanzielle Anstrengungen. Aber es bleibt unserZiel, auch zukünftig allen Interessenten die Teilnahmezu ermöglichen.Das friedliche und achtungsvolle Zusammenleben al-ler ist auch eine Frage des interreligiösen Dialogs. Ich
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freue mich daher, dass wir vor zwei Wochen die guteTradition der Deutschen Islam Konferenz fortgeführtund neu ausgerichtet haben. Ich freue mich über die Zu-stimmung aller Beteiligten.Ein zentraler Punkt für eine gelingende Integration istAkzeptanz. Damit meine ich vor allem die Akzeptanzder aufnehmenden Bevölkerung. Diese Akzeptanz, liebeKolleginnen und Kollegen, setzen wir aufs Spiel, wennwir zulassen, dass zu viele Menschen als Asylbewerberzu uns kommen, die selbst wissen, dass sie nicht poli-tisch verfolgt oder echte Flüchtlinge sind, oder die dashohe Gut der Freizügigkeit in Europa missbrauchen. Wirwissen, dass eine Reihe von Kommunen und auch dieBürger vor Ort durch die Folgen selbst von innereuro-päischer Migration extrem belastet werden, und zwar ineiner Form, die nicht mehr den Grundsätzen der EU-Freizügigkeit entspricht.Der dazu eingerichtete Staatssekretärsausschuss hat,wie Sie wissen, bereits erste Maßnahmen vorgeschlagen.Frau Nahles und ich haben diese der Presse vorgestellt.In Umsetzung dieser Beschlüsse wird mein Haus dem-nächst einen Gesetzentwurf zur Änderung des Freizügig-keitsrechtes der EU vorlegen. Dieser Entwurf zielt aufeine angemessene Begrenzung des Aufenthaltsrechts zurArbeitssuche ab
und sieht, daran anknüpfend, wie im Staatssekretärsaus-schuss beschlossen, befristete Wiedereinreisesperrenvor.Ende Juni wird der Staatssekretärsausschuss seinenAbschlussbericht vorlegen. Wir brauchen praktikableLösungen. Dazu brauchen wir eine sachliche Debatte:Panikmache hilft ebenso wenig wie Unterdramatisierungoder Verharmlosung.Liebe Kollegen, ich mache mir große Sorgen wegendes erheblichen Anstiegs der Zahl der Asylbewerber,insbesondere weil darunter viele sind, die aus Staatenkommen, die sicher sind. Es ist ein Unterschied, ob manaus Syrien oder aus Serbien zu uns kommt. Wir solltenklar unterscheiden zwischen denjenigen, die unsere libe-ralen Regelungen missbrauchen, und denjenigen, die vorKrieg, Verfolgung oder Folter nach Deutschland flüch-ten. Wenn wir diesen Menschen schnell und effizienthelfen wollen, dann brauchen wir auch ein schnelles undeffizientes Bearbeitungsverfahren.
Ich habe mich daher mit Nachdruck für Maßnahmen ein-gesetzt, die das Asylverfahren beschleunigen. Wir habenbeschlossen, dass im Bundesamt für Migration undFlüchtlinge im laufenden Jahr zusätzlich 300 Beschäf-tigte eingestellt werden.Wir haben eine humanitäre Verantwortung, und wirnehmen unsere humanitäre Verantwortung ernst. Deutsch-land leistet einen großen Beitrag bei der Aufnahme vonFlüchtlingen, den größten in Europa. Das ist vorbildlich.Aber die Zustimmung dafür werden wir nur erhaltenkönnen, wenn wir beides tun: einerseits das Bleiberechtfür diejenigen verbessern, die hier lange straffrei leben,und andererseits für die Ausreise derjenigen sorgen, dienach unseren Gesetzen nicht hierhergehören. Ich glaube,beides gehört zusammen. Und noch einmal: Ich machemir die allergrößten Sorgen um die Akzeptanz für unserhumanitäres Engagement für Flüchtlinge, wenn es nichtgelingt, die Zahl der Asylbewerber aus den Staaten, diesicher sind, zu reduzieren.
Wir haben heute im Kabinett den Gesetzentwurf zurÄnderung des Staatsangehörigkeitsrechtes beschlossen;darüber wird noch ausführlich zu reden sein. Das Gesetz-gebungsverfahren beginnt jetzt. Ich glaube, dass wir mitdem Kompromiss für diejenigen Kinder, die in Deutsch-land geboren und aufgewachsen sind, einen praktika-blen, vernünftigen und bürokratiearmen Weg gefundenhaben, der eine jahrzehntelang andauernde tiefe Aus-einandersetzung in unserem Land befriedet. Ich hoffe,dass das am Ende der Beratungen so gelingen wird.Ein kurzes Wort zum Sport. Wir werden zusätzlicheMittel in die Sportförderung geben.Wir wollen die NADA strukturell dauerhaft finanzie-ren. Ich hoffe weiterhin, dass es gelingt, die Länder da-von zu überzeugen, dass sie zu ihrem Wort stehen, dassie bei der Gründung der NADA gegeben haben. Wirsind dazu im Gespräch.Auch die Spitzensportförderung wollen wir mit zu-sätzlichen Mitteln fördern; aber wir müssen alle Mög-lichkeiten nutzen, um die zur Verfügung stehenden Mit-tel effektiver einzusetzen. Das wird nicht gehen ohneStraffung und Fokussierung auf Erfolgspotenziale. Wirsind dazu mit dem DOSB im Gespräch. Der DOSB wirddazu die entsprechenden Vorschläge machen.Ich komme zum Schluss. Wir sind alle auf Menschenangewiesen, die, ohne Gegenleistung zu erwarten, fürandere Verantwortung übernehmen, die einen Beitrag fürunsere Gemeinschaft leisten: im THW, bei der Feuerwehr,im Sport, im sozialen Bereich. Im Ehrenamt werden Tagfür Tag gesellschaftliche Integration, gesellschaftlicherZusammenhalt, gesellschaftliche Werte gelebt. Wir wol-len und müssen dieses Engagement noch attraktiver ma-chen. Der Staat stößt an die Grenzen seiner Möglichkei-ten, wenn es um Zuwendungen geht, und das ist, ehrlichgesagt, auch gut so.Nichts bringt den gesellschaftlichen Zusammenhalttreffender auf den Punkt als die Feststellung: Wir sindein Volk. 2014 und 2015 feiern wir 25 Jahre deutscheEinheit. Das mutige und entschlossene Eintreten derBürgerinnen und Bürger für die Freiheit in einemDeutschland bleibt uns Vorbild. Die letzten Wochenführten uns vor Augen, dass die Einheit Deutschlands in-nen- und außenpolitisch alles andere als selbstverständ-lich war. Heute sind wir dankbar, dass wir ein Volk sind.Heute sollten wir uns fragen: Was für ein Volk sind wir,was für ein Volk wollen wir sein, und wie halten wir alsVolk zusammen?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2255
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Meine Damen und Herren, ich bringe hiermit denEinzelplan des Innenministers ein. Ich bitte um kon-struktive Beratung und im Ergebnis um Zustimmung zudiesem Etat.
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr In-nenminister, Ihre Rede hat mir gezeigt: Auf die wesentli-chen Herausforderungen der Innenpolitik haben Siekeine Antworten gefunden. Es soll im Wesentlichen soweitergehen wie bisher. Doch so darf es nicht weiterge-hen.Das hat auch das heutige Urteil des Europäischen Ge-richtshofs zur Vorratsdatenspeicherung gezeigt. DiesesUrteil ist eine kräftige Klatsche für die Überwachungs-pläne der Großen Koalition.
Die verdachtslose Speicherung von Telefon- undE-Mail-Daten beinhaltet – ich zitiere das Gericht –einen Eingriff von großem Ausmaß und besondererSchwere in die Grundrechte auf Achtung des Pri-vatlebens und auf den Schutz personenbezogenerDaten, der sich nicht auf das absolut Notwendigebeschränkt.Herr Innenminister und meine Damen und Herren vonder Koalition, ich warne Sie: Missbrauchen Sie diesesUrteil jetzt nicht, um damit Vorratsdatenspeicherung aufSparflamme zu rechtfertigen!
Jede verdachtsunabhängige Speicherung von Verbin-dungsdaten ist eine Gefahr für die Bürgerrechte,
für den journalistischen Quellenschutz und damit für diePressefreiheit. Wissenschaftliche Untersuchungen habenlängst gezeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung dieAufklärungsquote von Verbrechen um gerade einmal0,006 Prozentpunkte verbessert hat. Es ist unverantwort-lich, dafür schwere Eingriffe in die Bürgerrechte in Kaufzu nehmen.
Akzeptieren Sie endlich, dass die grundrechtswidrigeVorratsdatenspeicherung ein für alle Mal vergessen wer-den muss, dass sie nicht mehr zur Debatte steht. Begra-ben Sie in diesem Zusammenhang auch gleich EU-Vor-haben wie die Speicherung von Fluggastdaten, vonEin- und Ausreisedaten, die aus aller Welt zusammen-gefasst werden. Stoppen Sie endlich diesen Überwa-chungswahnsinn!
Herr Minister, wenn ich Sie so höre, frage ich mich:Ist Ihnen eigentlich nicht bewusst, mit was für einer Ver-trauenskrise in den Rechtsstaat und die Demokratie Siees gerade zu tun haben, einer Vertrauenskrise, die durchKürzel wie NSA und NSU gekennzeichnet ist? Schließ-lich haben es Polizeibehörden und Geheimdienste nichtvermocht, die Bürgerinnen und Bürger vor dem bislanggrößten bekannt gewordenen Angriff auf ihre Rechte zuschützen, vor der millionenfachen Spionage des US-Geheimdienstes NSA. Heribert Prantl warnte in derSüddeutschen Zeitung vor einer Aushöhlung des Grund-gesetzes durch die NSA. Er forderte Mut von der Politik– Zitat –:Wenn Grundrechte sich in einem prekären Zustandbefinden, dann ist nicht Zeit für weihräucherndeWorte, sondern für schützende Taten.Diese vermisse ich hier heute, Herr Minister.
Auch die Bundesregierung rührt hier keinen Fingerzum Schutz der Bürgerrechte. Sie bemüht lieber diedeutsch-amerikanische Freundschaft. Doch was ist dasfür eine Freundschaft, bei der selbst das Handy der Bun-deskanzlerin abgehört wird? Warum sträubt sich dieBundesregierung so energisch, Edward Snowden siche-res Geleit für eine Aussage vor dem Bundestagsuntersu-chungsausschuss in Deutschland zu garantieren? Ichsage Ihnen: Diese Regierung will gar keine Aufklärung.Sie will lieber, dass der BND weiterhin als Juniorpartnerder NSA vom Datenraub profitiert. Was Sie Freund-schaft nennen, Herr Minister, bezeichnen wir als krimi-nelle Komplizenschaft. Das muss endlich ein Ende ha-ben.
Versagt haben die Sicherheitsbehörden auch, als esdarum ging, der Nazimörderbande NSU auf die Spur zukommen – wenn es denn nur ein Versagen war. Wir ha-ben schließlich etliche Hinweise, dass insbesondere derVerfassungsschutz ganz bewusst mit den Nazis paktierthat. Die von dieser Bundesregierung gezogenen Schluss-folgerungen aus dem NSU-Skandal greifen viel zu kurz.Das BKA lässt zwar eine Reihe von ungelösten Todes-fällen aus der Vergangenheit erneut untersuchen und aufrechtsextremistische Motive hin überprüfen. Doch wiesowerden nicht auch Verbrechen neu überprüft, bei denendie Täter bekannt sind? Ich meine Dutzende Fälle, beidenen polizeibekannte Neonazis Migranten, Obdach-lose oder Linke umgebracht haben und die bis heutenicht als politische Taten gewertet werden. Auch dieseTötungsdelikte müssen erneut untersucht werden. Nazi-morde dürfen nicht mehr unter den Tisch gekehrt wer-den. Das sind wir auch den Angehörigen der Opferschuldig.
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Ulla Jelpke
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Bei so viel Schönrederei und -rechnerei des braunenTerrors erstaunt es wirklich nicht, dass die Regierungbeim Kampf gegen Rechtsextremismus weiterhin aufFlickschusterei setzt. In den Koalitionsverhandlungenwar noch von einer großzügigen Aufstockung der Gelderfür die Bundesprogramme gegen rechts die Rede; dochdabei herausgekommen ist eine eher lächerliche Mittel-erhöhung. Notwendig wäre mindestens doppelt so viel.Erst dann ließen sich das Bestehen und vor allen Dingendie Kontinuität der bürgerschaftlichen Projekte, die ge-gen Rechtsextremismus kämpfen, sichern und könntensie flächendeckend in der Republik aufgebaut werden;denn im Westen gibt es solche Projekte so gut wie garnicht. So zeigt diese Regierung, wie wenig sie zur Be-kämpfung des Rechtsextremismus tatsächlich tut.Im Vergleich zu NSA und NSU wirkt die Edathy-Affäre, die inzwischen in Wirklichkeit eine BKA-Affäreist, fast schon harmlos. Dennoch hat diese Affäre bei-nahe eine Staatskrise ausgelöst, und einen Minister hates das Amt gekostet. Wir haben es hier nicht mit irgend-einer Behörde zu tun. Gerade das Bundeskriminalamthat in den vergangenen Jahren immer mehr Befugnissezur Überwachung, zur Bespitzelung der Bürgerinnenund Bürger erhalten. Es kooperiert über verschiedeneAbwehrzentren und viele gemeinsame Dateien mit denGeheimdiensten und durchlöchert so immer mehr dievom Grundgesetz gebotene Trennlinie zwischen Polizeiund Geheimdiensten.Auch in den anderen zentralen gesellschaftlichen Be-reichen hat die Bundesregierung keine zeitgemäßen Ant-worten. Bei der doppelten Staatsangehörigkeit zum Bei-spiel hat es zwar eine Verständigung gegeben, aber keineLösung. Nur wer hier geboren und aufgewachsen ist, sollnun die deutsche Staatsangehörigkeit neben einer ande-ren erhalten dürfen. Um das zu überprüfen, werden dieBehörden mit unglaublichem bürokratischem Aufwandbelastet. Das ist einfach nicht hinzunehmen. Liebe Kol-leginnen und Kollegen von der SPD, vor der Wahl habenSie versprochen: keine Koalition ohne doppelte Staats-bürgerschaft. Dieses Wahlversprechen haben Sieschlicht und einfach gebrochen.
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelleauch die europäische Innenpolitik ansprechen. Auch siesteht vor großen Herausforderungen. Die Toten vor denGrenzen Europas und die Flüchtlingskatastrophen sindkaum noch mit anzusehen. Etwa 3,5 Millionen Syrersind derzeit außerhalb ihres Landes auf der Flucht. Dochwas ist die Antwort der Europäischen Union? Nochmehr Abschottung! Ich sage hier ganz klar: Es darf nichtsein, dass Flüchtlinge, die hierherkommen, kriminali-siert werden, weil sie illegal eingereist sind.
Kollegin Jelpke, ich muss Sie darauf aufmerksam ma-
chen, dass Sie auf Kosten der Redezeit des Kollegen
Hahn sprechen.
Ich komme gleich zum Schluss. – Die Bundesregie-
rung muss und kann hier mehr Druck machen. Mit dieser
tödlichen Abschottungspolitik muss endlich Schluss ge-
macht werden.
Sie können sich vorstellen, dass wir einem solchen
Haushalt mit Sicherheit nicht zustimmen werden.
Ich danke Ihnen.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Michael
Hartmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Natürlich wird es niemanden verwundern, dass dieLinke jetzt schon ankündigt, den Haushalt abzulehnen;das ist ja geradezu die Pflicht einer Oppositionsfraktion.Aber, liebe Ulla Jelpke: Trotz allem, was man kritischoder ablehnend sagen kann, möchte ich gerne die kolle-giale Bitte äußern, nicht damit zu beginnen, unseren Si-cherheitsbehörden oder anderen vorzuwerfen, sie befän-den sich in einer Art Kumpanei mit anderen, die unserenStaat ausspähen oder belasten. Diesen Konsens der De-mokraten muss es doch geben. Unsere Sicherheitsbehör-den tun ihre Pflicht.
Herr Minister, wir reden heute keineswegs über dengrößten Einzelhaushalt, den die Bundesregierung imPortfolio hat. Es geht um bescheidene 6 Milliarden Euro,und das bei insgesamt rund 300 Milliarden Euro. Den-noch hat Ihr Ressort, hat der Innenminister einen riesi-gen Geschäftsbereich zu verwalten, in dem es oftmalsum zentrale und fast immer um heikle Fragestellungengeht. Man denke nur an die innere Sicherheit, den Katas-trophenschutz, die Integration, den Datenschutz und– auch nicht immer ganz einfach – das Dienstrecht, daszu verwalten und zu pflegen ist; die Tarifverhandlungensind ja gerade glücklicherweise schiedlich-friedlich be-endet worden. Das sind nicht die populärsten, aber oft-mals die wichtigsten Themen.Jeder erwartet, dass vieles im Stillen funktioniert, kei-neswegs lautstark und keineswegs mit vielen Ankündi-gungen und lautem Blasen in die Trompete. Das bedeu-tet aber, dass die vielen, vielen Mitarbeiter, dieinsbesondere im nachgeordneten Bereich tätig sind – Siehaben das völlig zu Recht mit Blick auf die Bundespoli-zei erwähnt –, jeden Tag, sieben Tage die Woche, an365 Tagen im Jahr ihre Pflicht tun. Deshalb möchte ichganz ausdrücklich und besonders in Richtung der imMoment etwas arg gebeutelten Sicherheitsbehörden sa-gen: Herzlichen Dank für Ihre Arbeit und Ihre Pflichter-füllung bei Tag und bei Nacht!
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Michael Hartmann
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Der Europäische Gerichtshof hat die Richtlinie zurVorratsdatenspeicherung gekippt. Die Vorgaben, die vondort gemacht werden, sind klar. Deshalb ist auch für unsganz klar: Es kann nicht so weitergehen, als sei nichtsgeschehen. Wir müssen uns gemeinsam genau ansehen,was Luxemburg entschieden hat und wie es begründetwurde. Die Kritiker freuen sich heute; die Befürwortersind etwas leise geworden. Das ist in einem Glaubens-krieg – so wurde diese Auseinandersetzung in den letz-ten Monaten und Jahren ja oftmals geführt – nun einmalso. Entscheidend ist aber, dass jetzt rational abgewogenwird. Europa und das Bundesverfassungsgericht habenklare Vorgaben gemacht. Diese Vorgaben besagen ankeiner Stelle, dass es grundsätzlich nicht möglich odernotwendig sei, solche Regelungen einzuführen.
Sie müssen nur richtig gemacht werden. Darüber werdenwir jetzt in den nächsten Monaten gemeinsam nachden-ken, Herr Minister.
Allerdings sage ich auch: Europa hat die Richtlinie zudefinieren. In Zeiten der NSA, wo wir gar nicht so sichersind, was mit den bei uns erfassten Daten geschieht, istes vielleicht auch einmal klug, etwas Ruhe hineinzubrin-gen und auch genau zu schauen, wie die Daten, die wirerheben – auch im Bereich der Sicherheitsbehörden –,hier geschützt werden können. Das ist, glaube ich, dieMaßgabe, nach der wir jetzt weiter diskutieren und redenwerden.Wir haben im Innenbereich auch ansonsten viel Ar-beit vor uns. Der NSU wurde von Ulla Jelpke und Ihnen,Herr Minister, bereits erwähnt. Für uns sollte sehr klarsein: Wir machen weiter bei dem, was an Aufarbeitunggeschehen ist. Das gilt aber nicht nur für den Bund, son-dern mindestens im gleichen Maße auch für die Sicher-heitsbehörden der Länder. Es geht dabei nicht nur umden Verfassungsschutz. Auch die Justiz hat sich nicht ge-rade mit Ruhm bekleckert, als diese Mörderbande durchDeutschland zog. Deshalb gilt es, weiterzumachen, allesumzusetzen, was der Untersuchungsausschuss in einergroßen Geste gemeinsam beschlossen hat, es Punkt fürPunkt abzuarbeiten. Das sieht unser Koalitionsvertragvor, und davon werden wir – seien Sie dessen versichert,meine Damen und Herren – keinen Millimeter abwei-chen.Bei der anstehenden Diskussion über das Bundesver-fassungsschutzgesetz muss es, wie gemeinsam mit denLändern vereinbart, darum gehen, die Zentralstellen-funktion zu stärken. Das soll nicht die Konsequenz ha-ben, dass die Landesämter, die Landesbehörden ihrerKompetenzen beraubt werden. Aber vorhandene Daten,vorhandenes Wissen muss endlich zusammengeführtwerden, sodass wechselseitiges Nichtwissen es nichtmehr möglich machen kann, dass noch einmal Ähnlichesgeschieht. Wir müssen Daten austauschen, die Behördenmüssen sich in die Augen schauen, und auch die V-Leutemüssen viel zentraler geführt werden als bisher.Die NSA ist das nächste große Stichwort. Wir werdenbei der Spionageabwehr viel Kraft und Anstrengung auf-wenden müssen, um klarzumachen, dass niemand ohneWeiteres Daten aus Deutschland abziehen kann, ganzegal aus welcher Himmelsrichtung der Angriff auf un-sere Daten erfolgt. Es ist wurscht, ob die Lauscher imOsten oder im Westen sitzen: Es geht nicht an – da sindwir in der Tat in einer patriotischen Pflicht –, dass deut-sche Staatsbürger beliebig ausgespäht werden, dass Da-ten von Unternehmen geraubt werden oder dass wichtigeRegierungsmitglieder belauscht werden, als wären wireine Art Feindstaat, als wären wir Nordkorea. Wir wer-den deutsche Daten besser schützen. Wir werden deshalbauch unsere Spionageabwehr mit mehr Geld ausstatten.Wir werden, Herr Minister, mit dem nötigen Selbstbe-wusstsein mit unseren Partnern in den USA zu reden ha-ben.
Ich bemerke dabei eines: Wenn man unseren US-ameri-kanischen Freunden in Anerkennung der für uns weiter-hin zentralen Sicherheitspartnerschaft zugleich sagt,dass es unsere patriotische Pflicht ist, uns genauso zuschützen, wie sie sich schützen, dann kann man da eingewisses Nachdenken auslösen. Im Übrigen gilt: DieUSA und wir haben gemeinsame Werte zu verteidigen;wir haben die Freiheit zu verteidigen. Diese Freiheit darfnicht durch Maßnahmen der Nachrichtendienste mit Fü-ßen getreten werden. Deshalb muss Schluss sein mit die-ser Ausspähpraxis der NSA, und unsere Fragen müssenbeantwortet werden, Herr Minister.
Ich bin sehr froh, Herr de Maizière, dass die Bekämp-fung der organisierten Kriminalität bei Ihnen ein stärke-res Gewicht bekommt. Die SPD arbeitet da gerne Handin Hand mit Ihnen; denn für das Rechtsempfinden derBürgerinnen und Bürger ist es oftmals fatal, zu sehen,wie Banden Tageswohnungseinbrüche einfach so durch-ziehen können, wie Rocker das Sicherheitsgefühl nega-tiv beeinflussen oder wie mit Geldwäsche, Steuerhinter-ziehung und sogenannter Weiße-Kragen-Kriminalität dieeinen etwas tun und die anderen schon wegen eines klei-nen Delikts verhaftet und verurteilt werden. Wir müsseneine gemeinsame Aktion starten, die unsere Sicherheits-behörden mit dem Zoll und anderen zusammenführt, da-mit die Mafia und andere Banden in Deutschland nichtfröhliche Urständ feiern und dieses Land als Rückzugs-raum ansehen können. Ganz klar ist: null Toleranz fürorganisierte Kriminalität in Deutschland, auch wenn dasden Finanzminister vielleicht noch ein paar Euro kostenwird.Die Bundespolizei darf kein Verschiebebahnhof wer-den, auch keiner für die Länder, die selbst Polizei ab-bauen. Insofern müssen wir auch bei dieser Frage ge-meinsam im Gespräch bleiben. Jene Beamtinnen undBeamten – oftmals im mittleren Dienst –, die an den Wo-chenenden gegen ein paar Randalierer, die den schönenSport Fußball kaputtmachen wollen, agieren müssen, dieCastortransporte überwachen oder die am 1. Mai wiederin Berlin und im Hamburger Schanzenviertel aktiv seinmüssen, versehen ihren Dienst selbstverständlich und
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Michael Hartmann
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ohne zu klagen. Aber auch für sie ist ein Ende der Fah-nenstange der Belastung erreicht. Deshalb gilt: Wirmüssen die Arbeit der Bundespolizei auch durch Stel-lenhebungen anerkennen und dafür sorgen, dass bei-spielsweise in den großen Ballungsräumen die Lebens-bedingungen für die Angehörigen der Bundespolizei inZukunft noch finanzierbar bleiben. Wenn wir hier ge-meinsam vorangehen können, Herr Minister, dann reichtIhnen die SPD dazu gerne die Hand.
All das wird nur gelingen, wenn wir genügend quali-fiziertes Personal im Geschäftsbereich des Bundesminis-ters des Innern haben. Das wird nicht einfacher, weil wirangesichts des demografischen Wandels mit den Ge-haltsstrukturen der gewerblichen Wirtschaft zu konkur-rieren haben. Hier verlangt es Kreativität und gute Ideenvielleicht auch außerhalb der üblichen Besoldungsstruk-turen. Auch dieser Frage sollten wir uns intensiver wid-men, und wir sollten eine Antwort darauf finden. Daskann und wird gelingen.Lieber Stephan Mayer, sehr geehrter Herr Minister,im Bereich der Innenpolitik haben wir ganz gut angefan-gen. Das Vertrauen war nicht von Anfang an so, wie wires uns wechselseitig gewünscht haben; aber es wächstSchritt für Schritt.
Kollege Hartmann!
Ich bin mir in einem sicher: Im Unterschied zur letz-
ten Koalition wird in dieser wieder Innenpolitik gemacht
werden, an den Bürgerrechten orientiert und klar in der
Sache.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Volker Beck das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! KollegeHartmann, Sie haben gerade gesagt: „an den Bürgerrech-ten orientiert“. Ihre Worte höre ich wohl, allein mir fehltder Glaube angesichts der Agenturmeldungen, wie dieKoalition das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ver-daut.Für uns ist ganz klar: Heute ist ein Feiertag für dieGrundrechte der Bürgerinnen und Bürger in Europa.
Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist EU-rechtswidrig und nichtig, und das ist auch gut so. Heuteist kein „Feiertag für das organisierte Verbrechen“, wieMarco Wanderwitz twitterte. Ich finde, das zeugt davon,dass einige bei Ihnen ein gestörtes Verhältnis zu denGrundrechten in unserem Verfassungsstaat haben.
Mit dem heutigen Urteil zur Vorratsdatenspeiche-rung … schafft der Europäische Gerichtshof … nunendlich Klarheit: Eine verdachtsunabhängige undwahllose Vorratsdatenspeicherung ist damit vomTisch. Das ist eine wegweisende Entscheidung. InZukunft wird es deshalb – zu Recht – nicht mehrmöglich sein, die Daten der Bürgerinnen und Bür-ger ohne jeden Verdacht und ohne richterlichen Be-schluss zu speichern.Mit dem heutigen Urteil wird überzogenem Spei-cherwahn ein Riegel vorgeschoben.
Ich hätte jetzt eigentlich Applaus von Ihrer Seite erwar-tet; denn das sind nicht meine Worte, sondern die Worteder Staatssekretärin Dorothee Bär als Vorsitzende vonCSUnet. – Ich freue mich auf diese neue schwarz-grüneKoalition gegen die Vorratsdatenspeicherung.
Herr Minister, Sie haben das Urteil ja noch nicht ganzverdaut. Ich sage Ihnen: Lassen Sie ab von den Plänen,eine neue Richtlinie zu basteln! Der Europäische Ge-richtshof hat mit seinen Urteilsgründen klargemacht,dass eine Vorratsdatenspeicherung sämtlicher Daten al-ler Bürgerinnen und Bürger europa- und grundrechts-widrig ist. Deshalb in die Tonne mit diesen Überlegun-gen! Lassen Sie es einfach sein!
Wir reden hier ja über den Haushalt. Ich glaube, stattüber neue Gesetze und immer neue Ermittlungsbefug-nisse müssen wir eher einmal über die Effizienz der Ar-beit zum Beispiel beim Bundeskriminalamt reden. Sindwir überall richtig ausgestattet? Gibt es auch bei denLänderpolizeien genügend Personal, oder haben wir mitder Steuerpolitik des Bundes den Ländern nicht die nö-tige Luft zum Atmen gegeben, um hier das Notwendigezu tun und eine Überalterung der Polizei in den Ländernzu verhindern?
Darüber müssen wir nachdenken, hier müssen wir nach-legen. Ich denke, der NSU-Skandal und die Edathy-Af-färe haben gezeigt, dass das BKA und die Polizei keineneuen Befugnisse brauchen. Wenn zwei Jahre lang Ak-ten liegen bleiben, mit denen Ermittlungen gegen Bestel-ler von Kinderpornografie ermöglicht werden, dannnützt auch eine Vorratsdatenspeicherung von sechs Mo-naten nichts. Wenn so gearbeitet wird, dann müssten dieDaten jahrelang gespeichert werden. Lassen Sie uns einevernünftige Arbeit ohne Grundrechtseingriffe organisie-ren.
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Volker Beck
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Bei der NSA-Affäre hat diese Regierung wie auch dievorherige meines Erachtens nur schöngeredet und sichwirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Deshalb ist es gutund richtig, dass gestern 2 000 Bürgerinnen und Bürger,unter anderem der Verein Digitalcourage, Strafanzeigegestellt haben, damit endlich ermittelt wird: Was habendeutsche Stellen gewusst? Was haben sie unternommen,um den Angriff auf unsere Grundrechte abzuwehren?
Sie haben, Herr Minister, den Staatssekretärsaus-schuss erwähnt. Meines Erachtens ist dieser Ausschussnicht zu dem Ergebnis gekommen, dass es für seine Ar-beit einen Anlass gibt: Nirgendwo in dem Bericht findetman empirische Nachweise für massenhaften Sozial-missbrauch und ein Problem der Armutseinwanderungaus Bulgarien, wie die Union nicht müde wird, den Men-schen im Wahlkampf zu erzählen.
Sie finden in diesem Bericht aber große Worte. Da heißtes etwa, Sie wollten die Integrationskurse an den beson-deren Bedarf dieser Zielgruppe anpassen:Die Teilnehmer dieser Integrationskurse solltennicht nur durch eine Lehrkraft unterrichtet werden,sondern parallel auch durch einen Sozialpädagogen – nicht einen Sozialdemokraten, wie ich fast gesagthätte –betreut werden.
Wie Sie das in Ihrem Haushalt umsetzen wollen, istmir allerdings schleierhaft. Bei den Integrationskursensteht nicht etwa eine Erhöhung der Mittel an, damit end-lich EU-Freizügigkeitsberechtigte, Geduldete und Flücht-linge Zugang zu diesen Kursen erhalten. Nein, Sie kür-zen um 5 Millionen Euro in diesem Etat. Das zeigt docheindeutig: Sie reden zwar darüber; aber im Endeffektpassiert nichts. Es ist halt leichter, Gesetze mit EU-rechtswidrigen Freizügigkeitsbeschränkungen zu verfas-sen, wie es auch in Ihrem Bericht steht, als den Kommu-nen vor Ort tatsächlich zu helfen.Die Übernahme der Kosten für die Eingliederungs-hilfe wird auf die lange Bank geschoben. Es würde denKommunen helfen, wenn sie Geld in der Hand hätten,um die Probleme der sozialen Integration in ihren Städ-ten anzugehen. Da ist aber von der Koalition außer hei-ßer Luft nichts zu erwarten. Das wird der Problemlagevor Ort nicht gerecht. Man darf nicht nur laut tönen.Man muss Probleme erkennen, besprechen und dann lö-sen. Dieser Anforderung werden Sie nicht gerecht.
Sie haben heute im Kabinett den Entwurf eines Geset-zes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, dasOptionspflichtverlängerungsgesetz, beschlossen. FrauJelpke hat es schon angesprochen: Das ist ein klarerWortbruch, und zwar ein doppelter Wortbruch der So-zialdemokratie. Sie haben die doppelte Staatsangehörig-keit versprochen. Das haben Sie nicht geschafft. Dannhaben Sie Ihren Leuten im Zusammenhang mit dem Ko-alitionsvertrag versprochen, die Optionspflicht abzu-schaffen. Nun wird sie verlängert, verkompliziert undverbürokratisiert. Das ist keine gute Reform. Dieses Bü-rokratiemonster ist voll von sachlichen Widersprüchen.Man muss mir einmal Folgendes erklären: Warum ist eindeutscher Hauptschulabschluss bei der Anerkennung derStaatsbürgerschaft mehr wert als eine österreichischeMatura oder ein französisches Baccalauréat? DieseSchulabschlüsse führen nämlich dazu, dass die Options-pflicht weiter besteht. Die ethnische Diskriminierung imStaatsangehörigkeitsrecht, dass Kinder von Deutschenmit doppelter Staatsangehörigkeit anders behandelt wer-den als Kinder von Migranten mit doppelter Staatsange-hörigkeit, müssen wir endlich beenden. Das wäre ein Si-gnal an die junge Generation, die bei uns aufgewachsenist und deren Eltern zu uns eingewandert sind, dass siekeine Deutschen auf Probe sind, sondern von Anfang andazugehören.
Kollege Beck!
Frau Präsidentin, damit bin ich am Schluss.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es ist schon erwähntworden: Der Etat des Bundesinnenministeriums ist beiweitem nicht der größte Etat im gesamten Bundeshaus-halt, aber er ist aus meiner Sicht ein ganz entscheiden-der, wenn es darum geht, Regelungen dahin gehend zutreffen, wie wir in Deutschland miteinander umgehen,oder wenn es um Themen wie die gesellschaftliche Teil-habe oder die Stärkung des ehrenamtlichen Engage-ments und der Zivilgesellschaft insgesamt geht.Obwohl das Portfolio des Bundesinnenministers sogroß ist, zeigt der Entwurf dieses Einzeletats deutlich,dass wir einen klaren Schwerpunkt auf die innere Sicher-heit setzen. Zwei Drittel der Mittel aus dem Etat desBundesinnenministeriums entfallen auf diesen Bereich,davon mit 2,5 Milliarden Euro fast die Hälfte allein fürdie Bundespolizei und 417 Millionen Euro für das Bun-deskriminalamt. Das sind mit Sicherheit große Summen;aber ich sage ganz deutlich und durchaus auch etwas
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Stephan Mayer
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selbstkritisch: Wir müssen uns mit Blick auf die Zukunftdie Frage stellen, ob dieser Etat wirklich noch auskömm-lich ist. Ich glaube, die Etats der Sicherheitsbehördensind auf Kante genäht. Wir müssen in Zukunft mit Si-cherheit ganz intensiv prüfen, ob es nicht eines Auf-wuchses dieser Mittel bedarf.
Ich weiß zwar, dass im Koalitionsvertrag festgelegtwurde, dass der Etat des Innenministeriums nicht als pri-oritär gilt. Dennoch besteht, glaube ich, in vielerlei Hin-sicht Nachbesserungsbedarf.Ich darf deutlich machen, dass sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Verfassungsschutz und zu unse-ren Sicherheitsbehörden bekennt. Es ist ein zentralesAnliegen, den Verfassungsschutz zu stärken, statt ihn zuschwächen oder, wie es die Linken fordern, gar abzu-schaffen. Wir werden daher sehr schnell das zugrundeliegende Bundesverfassungsschutzgesetz novellieren. Esgeht insbesondere darum, im Einvernehmen und in engs-ter Absprache mit den Ländern die Zentralstellenfunk-tion des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu stärken.Das heutige Urteil des EuGH in Luxemburg zur Vor-ratsdatenspeicherung ist schon hinlänglich erwähnt wor-den. Ich sage aber an die Adresse derjenigen, die jetzt ju-bilieren, deutlich: Ich bin der festen Überzeugung, dassdurch dieses Urteil des EuGH Europa beileibe nicht si-cherer geworden ist. Ich bin der festen Überzeugung,dass eher das Gegenteil der Fall ist. Natürlich ist das Ur-teil zu akzeptieren, Herr Kollege Beck, und zu respektie-ren. Ich möchte nur noch einmal rückblickend fragen:Warum kam es überhaupt zu dieser Richtlinie im Jahr2006? Die Richtlinie wurde als Antwort auf die katastro-phalen und schwerwiegenden Terroranschläge in Ma-drid, 2004, und in London, 2005, geschaffen. Ich bin derfesten Überzeugung, dass Europa seitdem nicht sicherergeworden ist und dass die Bedrohung insbesonderedurch den islamistischen Terrorismus seit 2004 nicht ge-ringer geworden ist.
Deswegen bin ich Ihnen sehr dankbar, Herr KollegeHartmann, dass Sie auch in Ihrer Rede deutlich gemachthaben, dass Sie an der prinzipiellen Notwendigkeit derEinführung von Mindestspeicherfristen in Deutschlandfesthalten wollen.Ich möchte noch eines deutlich machen: Das Urteildes EuGH bezieht sich nicht auf die Umsetzung inDeutschland.
Wir waren von vornherein wesentlich strenger und re-striktiver, was den Umsetzungsspielraum anbelangt, denuns die Richtlinie gegeben hat. Ich bin der festen Über-zeugung, dass es im Lichte des Bundesverfassungsge-richtsurteils von 2010 und des heutigen Urteils desEuGH möglich, aber auch notwendig ist, die Vorratsda-tenspeicherung in Deutschland einzuführen.
Wir werden das Urteil daher genau analysieren. Es be-steht keinerlei Grund zu Aktionismus; aber ich bin Ih-nen, Herr Kollege Hartmann, dankbar, dass Sie deutlichgemacht haben, dass Sie einem konstruktiven Dialog be-züglich der Einführung der Vorratsdatenspeicherung inDeutschland offen gegenüberstehen.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ei-nen zentralen Bereich im Koalitionsvertrag nimmt dieMigrations- und Integrationspolitik ein. Ich sage auchganz deutlich: Deutschland muss jederzeit für Schutzbe-dürftige und politisch Verfolgte, insbesondere auch fürFlüchtlinge, offen sein. Wir werden daher – das ist einelementares Ziel der Großen Koalition – die Asylverfah-rensdauer von derzeit im Schnitt neun Monaten auf dreiMonate deutlich reduzieren. Ich glaube, dass ein durch-aus sehenswertes Signal vom Stellenplan des Bundes-innenministeriums ausgeht. So werden 300 zusätzlicheStellen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge inNürnberg geschaffen, um vor allem die Verfahrensdauerzu reduzieren.Wir wollen offen sein für Menschen, die an Leib undLeben bedroht sind. Wir müssen aber auch deutlich ma-chen, dass kein Recht auf Asyl besteht, wenn die Betref-fenden aus offenkundig sicheren Herkunftsländern kom-men. Deshalb finde ich es richtig, dass wir die Liste dersicheren Herkunftsländer zunächst um die drei LänderSerbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien erwei-tern. Wir müssen uns aber auch intensiv mit Albanienund Montenegro auseinandersetzen. Die Tatsache, dassdie Zahl der Asylbewerber aus Albanien zu Beginn die-ses Jahres deutlich gestiegen ist, während die Anerken-nungsquote marginal niedrig ist, zeigt, dass auch in die-sem Bereich Handlungsbedarf besteht.
Wenn das Asyl- und Aufenthaltsrecht im Allgemei-nen glaubhaft bleiben soll, dann bedarf es auch einer Be-schleunigung der Aufenthaltsbeendigung. Beides sindzwei Seiten einer Medaille. Wir wollen nach dem Ham-burger Modell eine stichtags- und altersunabhängigeBleiberechtsregelung für langfristig in Deutschland Ge-duldete schaffen, die zumindest zum Großteil ihre Le-benshaltungskosten selber bestreiten können und überausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Ich sage aberauch ganz offen: Angesichts der sehr geringen Abschie-bezahlen in den einzelnen Bundesländern ist es genausowichtig, dass diejenigen, die kein anerkanntes Recht aufAsyl und auch aus anderen Gründen kein Bleiberecht ha-ben, Deutschland verlassen müssen. Ich bin dem Bun-desinnenminister sehr dankbar, dass er zeitnah einen ent-sprechenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat,der nun in die Ressortabstimmung geht.Eine zentrale Herausforderung in dieser Legislaturpe-riode wird die Sicherstellung und die Wiederherstellungdes Vertrauens in die Informations- und Kommunika-tionstechnik sein. Erst vor wenigen Tagen gab es in die-sem Jahr den zweiten großen Vorfall betreffend gehack-ter E-Mail-Konten. Dieses Mal waren über 18 MillionenMenschen betroffen, darunter 3 Millionen Deutsche.Dies zeigt uns deutlich, dass wir nicht nachlassen dürfen,unsere IT-Infrastruktur insbesondere im Bereich des
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Stephan Mayer
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Bundes und hier im Bereich der Sicherheitsbehörden zuverbessern. Deswegen finde ich es gut, dass im zweitenRegierungsentwurf 12 Millionen Euro zusätzlich für dieBundespolizei und 4 Millionen Euro zusätzlich für dasBundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung gestelltwerden.Sehr wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Aufgabenund Kompetenzen des Bundesamtes für Sicherheit in derInformationstechnik gestärkt werden. Dieses Bundesamtarbeitet schon sehr gut. Es ist aber auch noch ausbaufä-hig. Ich finde es richtig, dass nun jährlich 2 MillionenEuro zusätzlich für die IT-Sicherheitsforschung zur Ver-fügung gestellt werden. Wir müssen trotz aller rechtli-chen Änderungsnotwendigkeiten die nationale Kompe-tenz in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Bereichstärken. Ich stehe deshalb auch Überlegungen, eine euro-päische Cloud bzw. ein europäisches Routing zu schaf-fen, durchaus offen gegenüber. Wir brauchen inDeutschland mehr Unabhängigkeit von amerikanischenund chinesischen Anbietern.
Zum Abschluss möchte ich noch kurz erwähnen: Esist natürlich wichtig und gut, dass wir das ehrenamtlicheEngagement insbesondere im Bevölkerungs- und Kata-strophenschutz loben. Aber auch hier gilt es – das sageich durchaus selbstkritisch –, den Worten Taten folgenzu lassen. Deswegen richte ich an uns alle den dringen-den Appell: Wir müssen den Etat des Technischen Hilfs-werks deutlich erhöhen. Wenn wir hier nicht im Bereichder Liegenschaften und der Gerätschaften bzw. der Aus-stattung Verbesserungen vornehmen, dann unterminie-ren wir mittel- und langfristig das ehrenamtliche Enga-gement. Dieses Engagement ist gar nicht hoch genug zuschätzen. Deswegen darf es nicht bei Sonntagsredenbleiben. Es gilt bei den anstehenden Verhandlungen überden Etat des Bundesinnenministeriums, hier deutlichnachzubessern und den Ansatz für das THW zu erhöhen.Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche unskonstruktive und erfolgreiche Verhandlungen, wenn esum den Haushalt des Bundesinnenministeriums geht.Danke schön.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Dr. André
Hahn das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibtim Einzelplan des Innenministeriums eine ganze Reihevon Themen, über die es sich hier zu sprechen lohnt. Ichwill mich auf drei Punkte konzentrieren.Zunächst zur Sportpolitik. Im Etat des BMI gibt es imVergleich zum Vorjahr für den Sport lediglich eine An-hebung von rund 2,7 Millionen Euro, also nicht 8 Millio-nen Euro, wie bisweilen in den Medien angekündigt.Diese geringe Erhöhung wird auch den vom DeutschenOlympischen Sportbund benannten aktuellen Aufgabennicht einmal ansatzweise gerecht. Ich nenne nur dasThema Sportstätten. Im März 2010 wurde der GoldenePlan Ost ersatzlos gestrichen. Die Linke fordert seithernachdrücklich die Neuauflage eines bundesweiten För-derprogramms.
Denn die Situation vieler Sportstätten ist katastrophal.Der Sanierungsstau wird auf 42 Milliarden Euro ge-schätzt.
Um hier gegenzusteuern, muss auch der Bund wiederseinen Beitrag leisten.Ein wichtiger Teil der Sportförderung des Bundes istdie Beschäftigung von Spitzensportlern und deren Trai-nern bei Bundeswehr, Bundespolizei, Zoll und anderenBehörden. Laut einer Antwort der Bundesregierung aufmeine Anfrage sind das derzeit 971 Stellen, darunter 76für Trainer. Davon bekommt der Behindertensport ledig-lich 1,7 Prozent, darunter ist nicht ein einziger Trainer.Das ist nicht nur mit Blick auf die Ergebnisse der Olym-pischen und Paralympischen Spiele in Sotschi völlig un-angemessen und muss sich dringend ändern.
Inakzeptabel ist auch die geplante Kürzung der Mittelfür die Programme „Jugend trainiert für Olympia“ undfür die Paralympics. Hier wird auf dem Rücken vonSchülerinnen und Schülern versucht, die Länder zur Mit-finanzierung der Nationalen Anti Doping Agentur zu be-wegen.Nun einige Anmerkungen zum Katastrophenschutz– auch Herr Mayer hat eben davon gesprochen –, kon-kret zum Technischen Hilfswerk. Das THW steht aktuellvor riesigen Herausforderungen. Einzelne Liegenschaf-ten sind wegen Brandschutz- und Baumängeln vonSchließung bedroht. 44 Prozent des Fahrzeugbestandessind älter als 25 Jahre. Der zusätzliche Finanzbedarfwird beim THW auf über 30 Millionen Euro beziffert.Ich bin Realist genug, zu erkennen, dass dieser Betragwohl nicht in voller Höhe in den Haushalt eingestelltwerden wird. Aber es gibt drei Dinge, die unbedingt um-gesetzt werden müssen.Erstens: eine Anhebung der Selbstbewirtschaftungs-mittel der Ortsverbände um 5 Millionen Euro. Hier istder Effekt am größten. Ausbildung, Helferwerbung undJugendarbeit werden davon finanziert. Es geht schlichtdarum, die Handlungsfähigkeit des THW zu erhalten;denn bei den Einsätzen geht es oft auch um den Schutzvon Menschenleben.
Zweitens. Für die dringend erforderliche Erneuerungvon Fahrzeugen und Geräten müssen aus unserer Sicht
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Dr. André Hahn
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mindestens 5 Millionen Euro zusätzlich bereitgestelltwerden.Drittens. 2 Millionen Euro zusätzlich im Bereich derüberörtlichen Ausbildung dienen der Bewältigung neuerHerausforderungen, vom Digitalfunk bis zur Sicherunggefährdeter Infrastruktur.2015 kommen noch größere Probleme auf das THWzu. Die heftigen Mietsteigerungen werden wohl nurnoch zulasten von Investitionen in Fahrzeuge und Gerätezu bewältigen sein. Deshalb ist eine Verstetigung derMittelerhöhung nötig. Nach Ihrer Rede, Herr KollegeMayer, hoffe ich sehr, dass wir hier an einem Strang zie-hen. Sie sind ja auch Präsident des Helfervereins desTHW. Ich glaube, wir müssen hier dringend etwas tun.
Abschließend noch einige Anmerkungen zum ThemaGeheimdienste. Hier sehen wir Linke durchaus erhebli-che Einsparpotenziale. Wir werden die NSA-Affäre imUntersuchungsausschuss noch detailliert aufarbeiten,aber eines kann man doch schon jetzt sagen: Die Spiona-geabwehr, für die der Verfassungsschutz zuständig ist,hat angesichts der von Edward Snowden aufgedecktenmillionenfachen Ausspähung deutscher Bürger, aberauch von Wirtschaftsunternehmen eklatant versagt. Wernicht einmal mitbekommt, dass über Jahre das Handyund der Mailverkehr der Kanzlerin abgeschöpft werden,der stellt seine Existenzberechtigung selbst infrage.
Da nun endlich auch die Überwachung der Bundes-tagsabgeordneten der Linken eingestellt worden ist,könnten die bislang damit befassten sieben Mitarbeiterdes BfV sicher anderweitig sinnvoll eingesetzt werden.
Darüber hinaus will die Linke endlich mehr Transpa-renz bei der Mittelverwendung beim Verfassungsschutz,und das fängt bei der Haushaltsaufstellung an. Sehr ge-ehrter Herr de Maizière, ich hätte nie vermutet, dass ichnach den vielen Jahren im Landtag noch einmal in dieVerlegenheit komme, die Sächsische Staatsregierung zuloben. Aber im Haushalt gibt es dort deutlich mehr öf-fentlich zugängliche Informationen. Jeder kann erfahren,wie viel Geld beim Verfassungsschutz ausgegeben wird,was man für Öffentlichkeitsarbeit aufwendet, wie vieldie technische Ausstattung kostet. Selbst der konkreteStellenplan für den Verfassungsschutz wird vom Land-tag beschlossen. Davon sind wir auf Bundesebene mei-lenweit entfernt.Deshalb meine abschließende Bitte: Lassen Sie unsdie Geheimniskrämerei endlich beenden.
Die Etats der Nachrichtendienste gehören nicht in dassogenannte Vertrauensgremium, sondern in den zustän-digen Haushaltsausschuss und müssen letztlich hier imParlament öffentlich debattiert werden.Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Dr. André Berghegger das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In unserersozialen Marktwirtschaft ist und bleibt der Staat Hüterder Ordnung. Im Mittelpunkt unseres innenpolitischenHandelns steht natürlich die innere Sicherheit. Sicherheitund Freiheit bedingen sich dabei. Wir müssen bei jederstaatlichen Maßnahme eine grundlegende Abwägungzwischen Sicherheit auf der einen Seite und der Ein-schränkung der Freiheit auf der anderen Seite bedenken.Dabei können wir selbstbewusst, aber umsichtig han-deln. Wir sollten dankbar sein, in einem sicheren und indiesem Sinne freien Land in Europa zu leben.Doch der Blick in andere Teile der Welt zeigt: Leidergibt es noch immer viele Regionen, in denen stabile Ver-hältnisse fehlen und in denen die Menschen in Angst undSchrecken leben. An demokratische Wahlen ist in sol-chen Situationen kaum zu denken. Daher bin ich derBundeskanzlerin dankbar, dass sie sich gemeinsam mitden europäischen Partnern für Stabilität und letztendlichauch für die Freiheit der Menschen in diesen Regioneneinsetzt.Der Bundesinnenminister hat kürzlich einmal gesagt,er verstehe sein Ministerium als „Bürgerministerium“,das heißt als Dienstleister für die Bürger. Dieser Einzel-plan umfasst – wir haben es schon mehrfach gehört – ei-nen Gesamtansatz von rund 5,8 Milliarden Euro, einGroßteil davon, rund zwei Drittel, entfällt auf den Be-reich der inneren Sicherheit. Das war in den Jahren zu-vor bereits so, und das halte ich auch für richtig.In diesem Einzelplan findet sich ein bunter Strauß anThemen: das THW, das Bundesinstitut für Sportwissen-schaft, die Bundeszentrale für politische Bildung. Zudiesem Bereich zählen aber auch die Fragen der Kirchenund Religionsgemeinschaften sowie die Organisationder öffentlichen Verwaltung. Die Stichworte „Bürokra-tieabbau“ und „Verwaltungsmodernisierung“ fallen unshierzu sofort ein.Zwei Felder möchte ich gerne betonen:Zum einen die Bundespolizei. Deren Etat beträgt rund2,5 Milliarden Euro. Das ist nahezu die Hälfte des ge-samten Einzelplans. Hier wird es zusätzliche Mittel ge-ben, und zwar für die IT-Infrastruktur. Denn im Zusam-menhang mit der NSA-Affäre ist deutlich geworden– auch das haben wir schon mehrfach betont –, dass un-sere Sicherheitsbehörden hier gestärkt werden müssen.Auch die von Herrn Mayer vorhin angesprochenen Vor-fälle um die zunächst rund 16 Millionen und aktuell18 Millionen geknackten E-Mail-Konten zeigen uns,
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Dr. André Berghegger
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dass wir die IT-Sicherheit unbedingt ausbauen müssen.Die Arbeit des BSI ist dabei deutlich zu unterstützen.Der Großteil der Mittel für die Bundespolizei ist na-turgemäß für das Personal erforderlich. Hier sehen wireine gute Entwicklung. Auf eine pauschale Stellenein-sparung wie in den Vorjahren wird verzichtet. Im Gegen-teil: Es gibt Stellenanhebungen. So ist ein Programmvorgesehen, mit dem in den nächsten Jahren insgesamtüber 1 300 Stellen bei der Bundespolizei angehobenwerden, in diesem Jahr die ersten 350. Das schafft Raumfür verdiente Beförderungen, motiviert die Mitarbeiterund steigert die Attraktivität des Arbeitgebers. Dennauch die Bundespolizei muss sich im Hinblick auf dendemografischen Wandel immer wieder darüber Gedan-ken machen, wie sie sich als interessanter Arbeitgeberfür Nachwuchskräfte darstellen kann. Das muss auch sobleiben.Das zweite Stichwort ist im Hinblick auf den BereichZuwanderung, Integration und nationale Minderheiten:Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Erinnern Siesich bitte an die aktuellen Diskussionen, die wir zu die-sen Themen geführt haben. Hier stellen wir zusätzlicheMittel zur Verfügung: in diesem Jahr weitere 14 Millio-nen Euro als Sachmittel. Daneben sollen, wie zitiert,300 zusätzliche Stellen geschaffen werden.Das ist richtig und notwendig; denn das Bundesamtfür Migration und Flüchtlinge ist zentral zuständig fürdie Asylfragen in Deutschland. Zuletzt gab es einen An-stieg der Asylbewerberzahlen. Denn Deutschland ist einLand, das von vielen Menschen auf der ganzen Welt alssicherer Ort angesehen wird, um Krieg und Elend in derHeimat zu entgehen. Unser christliches Verständnis ver-langt von uns, diesen Menschen in angemessener Formzu helfen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch ein zügi-ges Asylverfahren. Es ist unser erklärtes, aber ehrgeizi-ges Ziel, die Dauer der Asylverfahren auf eine regelmä-ßige Zeit von drei Monaten zu verkürzen. Das sind nurzwei Beispiele dafür, dass die Bundesregierung mit Au-genmaß auf bestehende Herausforderungen reagiert.Dies alles zeigt aber: Wir haben viele Handlungsfel-der mit großer Bedeutung für den Zusammenhalt in un-serer Gesellschaft. Manchmal fällt uns deren Bedeutungerst dann wirklich auf, wenn einmal nicht alles wie vor-gesehen funktioniert. Die Bürger akzeptieren ein Ge-meinwesen aber nur dann – das ist meine feste Überzeu-gung –, wenn es auf funktionierenden Strukturen beruht.Hierfür müssen wir Vorsorge treffen.Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle ausdrück-lich bei all denjenigen bedanken, die durch ihren vor-bildlichen Dienst einen so großen Beitrag für den Zu-sammenhalt in unserer Gesellschaft und damit für unserLand leisten.
Insbesondere möchte ich werben für die Solidarität mitunseren Polizisten, die den Rechtsstaat vertreten und da-mit unsere Freiheit schützen.In diesem Zusammenhang, Herr Minister, möchte ichauch die jüngsten Tarifverhandlungen erwähnen. Ichmöchte Ihnen danken. Es freut mich, dass die gute undwichtige Arbeit der Beschäftigten im öffentlichen Diensthonoriert wird, auch wenn das für die öffentlichen Kas-sen eine große finanzielle Kraftanstrengung darstellenwird.Wir setzen auf Kontinuität und Solidität. Bewährteswird fortgesetzt; wenn erforderlich, werden wir um-schichten. Denn bei allem wollen wir unser übergeord-netes Ziel im Blick behalten, 2014 einen strukturell aus-geglichenen Haushalt und 2015 einen Bundeshaushaltohne neue Schulden zu erreichen. Das kann man garnicht oft genug betonen. Dieser historischen Chance wa-ren wir noch nie so nahe wie jetzt. Die erfolgreicheFinanzpolitik unter der Federführung der Bundeskanzle-rin und des Finanzministers Wolfgang Schäuble ist keinSelbstzweck, sondern ist nachhaltig im Sinne von gene-rationengerecht, und sie schafft finanzielle Freiräume fürdie Zukunft, für andere Politikfelder, vielleicht auch fürdiesen Einzelplan.Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, für einen ausge-wogenen Etat des Bundesinnenministers zu sorgen.Dazu ist der Entwurf eine solide Grundlage. Ich freuemich auf die angenehmen Gespräche. Lassen Sie uns dasBeste daraus machen!Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
legin Anja Hajduk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Es ist schon darauf hingewiesen worden, wel-ches Volumen dieser Haushalt hat: knapp 5,8 MilliardenEuro, davon zwei Drittel für die innere Sicherheit – beieinem insgesamt sehr großen und breiten Aufgabenspek-trum.Sie, Herr Minister, haben gesagt: Es kommt daraufan, auch bei knappen oder zumindest nicht überreichlichvorhandenen öffentlichen Mitteln handlungsfähig zubleiben. – Ich möchte Sie zu diesem Terminus fragen, obSie als Regierung vor dem Hintergrund der Entschei-dung des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung jetzt wirk-lich handlungsfähig bleiben werden. Das ist mir noch einbisschen unklar. Ich möchte dem Minister Maas, der inder Debatte zum nächsten Einzelplan sprechen wird– wir hoffen, dass er etwas zu diesem Thema sagt –, zu-rufen: Herr Maas, Nichtstun wäre hier gute Bürgerrecht-lerpflicht!
Ich möchte jetzt natürlich auf den Etat des Ministersde Maizière eingehen und einen wichtigen Aufgabenbe-reich ansprechen, den der Integration und der Migration.Sie haben im Koalitionsvertrag einen hohen Anspruch
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2264 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Anja Hajduk
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formuliert, nämlich bei den Integrationskursen Verbesse-rungen herbeizuführen. Wir wissen aus den aktuellenGesprächen, dass es eine erhöhte Inanspruchnahme derKurse geben wird. Sie wollen die Qualität durch Ziel-gruppendifferenzierung und auch durch die Größe derKurse an sich verbessern. Weil das so ist, wissen wirmittlerweile auch, dass es einen Mehrbedarf von 45 Mil-lionen Euro in diesem Bereich gibt. Sie haben allerdingseine kleine Kürzung vorgenommen und nur 204 Millio-nen Euro eingestellt. Schon zu Beginn der Beratung wis-sen wir also: Da fehlen 45 Millionen Euro. – Vor demHintergrund Ihrer eigenen Zielsetzung aus dem Koali-tionsvertrag ist das keine solide Vorlage für die Haus-haltsberatungen – es fehlen 20 bis 25 Prozent –, und dasist ein ganz schöner Skandal.
Ich interpretiere das einmal so, dass Sie jetzt Hoff-nung in das Parlament setzen; denn es gibt im Finanz-ministerium noch eine „Wundertüte“ in Form eines Top-fes von 500 Millionen Euro, mit dem alle Ressortsglücklich gemacht werden sollen. Ich hoffe, dass Sie inder Großen Koalition die Verantwortung für die Integra-tion ernst nehmen und der mangelnden Finanzausstat-tung in diesem Zuständigkeitsbereich des Bundesinnen-ministers etwas entgegensetzen werden.
Herr de Maizière, Sie haben beim Thema Umgangmit Flüchtlingen von der humanitären Verantwortunggesprochen. Mein Vorredner hat gerade gesagt, die Re-gierung hätte hier mit Blick auf die zunehmende Anzahlvon Asylanträgen Vorsorge getroffen. Ich möchte Ihnenda erwidern: Das kann ich nach einer sorgfältigen Ana-lyse leider nicht erkennen.Sie sagen selbst, Sie gehen davon aus, dass es140 000 bis 150 000 neue Anträge und 20 000 Folge-anträge gibt. Über 100 000 Anträge ist noch nicht ent-schieden. Das BAMF, das zuständige Bundesamt, hatvor diesem Hintergrund deutlich gemacht: Wir braucheneigentlich 900 zusätzliche Mitarbeiter, um eine korrekteund gute Bearbeitung dieser Anträge sicherzustellen. Siesehen sich jetzt aber nur in der Lage, 300 neue Stellen zuschaffen. Daran sieht man schon, dass Sie auf die realeHerausforderung, die auf Deutschland zukommt, keineangemessene Antwort haben und dass Sie gar nicht da-rauf vorbereitet sind – weder haushalterisch noch perso-nell –, diesen Bereich seriös abzuarbeiten und schon garnicht das selbst gesteckte Ziel der Verfahrensverkürzunghinzubekommen. Ich kann Ihnen nur zurufen: Diese He-rausforderung bekommen Sie nicht in den Griff, indemSie den Begriff von den sogenannten sicheren Her-kunftsstaaten ausweiten. Bei dieser Frage werden Sieauch noch ein saftiges Koalitionsproblem zu lösen ha-ben.
Ich komme noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen.Es war eine überfällige Entscheidung, ein zweites Auf-nahmekontingent für syrische Flüchtlinge am 23. De-zember – endlich – zu beschließen. Es hat mich aberverärgert, dass Sie im März dieses Jahres bei der Kabi-nettsentscheidung zum Haushalt keine zusätzlichenHaushaltsmittel bereitgestellt haben. Ich frage mich, wa-rum Sie so handeln. Das ist kein ehrlicher Entwurf. Wirwerden natürlich versuchen, da nachzubessern. Im Be-reich Integration und Migration sieht es relativ traurigaus.Ich möchte zum Abschluss noch einen anderen Be-reich ansprechen, auch wenn die Dinge, die ich bisherdargelegt habe, für eine solide Etataufstellung nichts Gu-tes erahnen lassen. Herr Minister, das Innenministeriumsteht vor großen Herausforderungen im Bereich IT-Infrastruktur; wir haben da mit Blick auf zukünftigewichtige Investitionsstrategien noch vieles zu beratenund zu planen. Dazu gehören die Netze des Bundes, Fol-gen aus dem NSA-Skandal, der große Bereich der Netz-sicherheit und eine erfolgreiche Spionageabwehr.In diesem Bereich brauchen wir sicherlich eine neueInvestitionsstrategie. Dazu gehören effizientere Netz-investitionen und wahrscheinlich auch entsprechendeparlamentarische Strukturen, um diese Maßnahmen zubegleiten. Das sage ich vor dem Hintergrund, dass wirhinsichtlich der Einführung des Digitalfunks – das isteine sehr alte und lange Geschichte – heute realisierenmüssen, dass es zu wenig Flexibilität und auch vielleichtzu wenig Kontrolle gab. Jetzt müssen wir die Restinves-titionen in eine Struktur tätigen, die dem technologi-schen Fortschritt eigentlich nicht mehr gerecht wird. Ichhoffe, dass wir das bei den zukünftigen Investitionen indie IT-Infrastruktur besser machen. Dabei lassen wir unsauch in die Pflicht nehmen.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Fograscher das
Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen!Wir wollen nachhaltig ausgeglichene Haushalte.Wir werden Einnahmen und Ausgaben des Bundesso gestalten, dass der Bund ab dem Jahr 2014 einenstrukturell ausgeglichenen Haushalt und beginnendmit dem Jahr 2015 einen Haushalt ohne Nettoneu-verschuldung aufstellt.So heißt es im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSUund SPD. Der vorliegende Haushaltsentwurf für das lau-fende Jahr wird dem gerecht. Ja, wir verzichten auf Steu-ererhöhungen.Der Gesamtansatz für den Haushalt beträgt 2014 rund5,8 Milliarden Euro. Das sind etwa 1,3 Prozent wenigerals das Soll des Haushaltsjahres 2013 und gut 5 Prozentweniger als das Ist in 2013. Damit trägt der Haushalt desBMI zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes bei. Dergrößte Teil der finanziellen Mittel im Einzelplan 06 ist
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Gabriele Fograscher
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an Personalausgaben gebunden. Es bleiben daher kaumSpielräume für Veränderungen und Verschiebungen in-nerhalb des Einzelplans. Trotzdem gibt es aber einigeAufgaben, bei denen wir Schwerpunkte setzen und unsstärker engagieren müssen und wollen, als der Etat esderzeit vorsieht. Ich stimme dem Kollegen Mayer aus-drücklich zu: Es wird in Zukunft nicht ohne ein Mehr anfinanziellen Ressourcen gehen.Das gilt zum Beispiel für die personelle Ausstattungdes Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Für diezügige Bearbeitung der Asylanträge braucht das Bundes-amt in den nächsten Jahren mehr Personal. Es ist richtigund wichtig, dass wir dem Bundesamt in den nächstenJahren einen Personalaufwuchs von rund 900 Stellen,Frau Hajduk, zugesagt haben. In diesem Jahr beginnenwir mit dem ersten Schritt und planen 300 zusätzlicheStellen ein. Das Thema Integrationskurse greift meinKollege Castellucci nachher auf.Zum Thema THW. Mit dem THW verfügen wir übereine vorbildliche Organisation, die nicht nur in Deutsch-land, sondern weltweit bei Katastrophen im Einsatz ist:gerade aktuell beim Öleinsatz an den Ostseesträndenoder beim Aufbau der Wasserversorgung nach dem Tai-fun „Haiyan“ auf den Philippinen oder bei der Wieder-herstellung der Stromversorgung nach einem heftigenWinter in Slowenien.Das THW, das zu 99 Prozent aus Ehrenamtlichen be-steht, ist immer da, wo es gebraucht wird. Doch steht dasTHW nach dem Aussetzen der Wehrpflicht vor neuenHerausforderungen. Etwa jeder dritte ehrenamtlicheHelfer hat anstelle des Wehrdienstes Ersatzdienst beimTHW geleistet. Mehr als zwei Drittel blieben nach demEnde des Ersatzdienstes beim THW. Um die Einsatzfä-higkeit des THW garantieren zu können, bedarf es Men-schen, die sich dort langfristig engagieren. Deshalb ist esnotwendig, die Ortsverbände zu stärken. Die im Entwurfvorgesehene Kürzung der Mittel für die Ortsverbändewird den Herausforderungen, vor denen das THW steht,nicht gerecht. Wir sind uns einig, dass wir im Laufe desparlamentarischen Verfahrens und spätestens im Haus-halt 2015 die Mittel für die THW-Ortsverbände erhöhenmüssen.
Wir haben vor kurzem interfraktionell in diesemHause nochmals bekräftigt, die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Neben internenVeränderungen in den Sicherheitsbehörden und einerverstärkten Zusammenarbeit zwischen Bund und Län-dern, dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfas-sungsschutz, werden wir in Zukunft auch in diesem Be-reich in Personal und Ausstattung investieren müssen.Wir müssen und wollen die Kräfte im Kampf gegenRechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeind-lichkeit bündeln. Dazu bedarf es einer langfristigenFinanzierung von vorbildlichen, wirkungsvollen Präven-tionsprojekten. Wir begrüßen es, dass die sogenannteExtremismusklausel abgeschafft wurde.
Das stellt die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesell-schaft auf eine vertrauensvolle Basis.
Wichtig bleibt auch die Stärkung der interkulturellenKompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öf-fentlichen Dienstes. Nur wer sensibilisiert ist, kannrechtsextreme, antisemitische und fremdenfeindlicheMotive und Entwicklungen frühzeitig erkennen und da-gegen angehen.Wir müssen dafür sorgen, dass das Wissen, die Erfah-rung und die Kontakte zu zivilgesellschaftlichen Akteu-ren beim Kampf gegen Rechtsextremismus nicht verlo-ren gehen. Ich nenne als Beispiel die Geschäftsstelle des„Bündnisses für Demokratie und Toleranz – gegenExtremismus und Gewalt“. Sie ist inzwischen bei derBundeszentrale für politische Bildung angesiedelt. Sieverfügt über kompetente und engagierte Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter. Einige von ihnen haben leider nureinen befristeten Arbeitsvertrag. Läuft der Vertrag aus,verlieren das Bündnis und somit wir als Staat wichtigesKnow-how und unverzichtbare Kontakte. Das müssenwir dringend ändern. Das Gleiche gilt im Übrigen auchfür den öffentlichen Dienst. Hier gehen dem Bund invielen Bereichen qualifizierte Nachwuchskräfte verlo-ren, weil die Zeit bis zum Freiwerden einer entsprechen-den Planstelle oftmals nicht überbrückt werden kann.Die NSA-Affäre und der Diebstahl von Passwörternhaben uns gezeigt: Unsere Daten sind nicht sicher. Hiergibt es Handlungsbedarf. Deutschland und Europa sindin sehr vielen Bereichen der digitalen Gesellschaft, beiHard- und Software, bei Internetdiensten und – derMinister hat darauf hingewiesen – kritischen Infrastruk-turen, von Zulieferern aus den USA und Asien abhängig.Wir werden diese Abhängigkeiten überprüfen und Fä-higkeiten und Hersteller in Deutschland und Europa stär-ken. Wir brauchen eine Bestandsaufnahme der Gefahrendurch technische Manipulationen für die Nutzer der digi-talen Infrastruktur. Unsere Ziele sind dabei die Verbesse-rung der IT-Sicherheit, die auch ein positiver Standort-faktor ist, mehr Datenschutz, mehr Datensicherheit,Spionageabwehr und die Förderung des vermehrten Ein-satzes von Verschlüsselungstechniken.Diese Ziele liegen im Interesse der Bundesregierungund des Bundesinnenministeriums; denn die Moderni-sierung der Verwaltung und der Abbau von Bürokratie,zum Beispiel durch den Ausbau des E-Governments,werden nur funktionieren, wenn die Kommunikation derBürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft sicher istund die übermittelten Daten geschützt sind. Mehr Inves-titionen in diesem Bereich sind somit im Interesse derBevölkerung und der öffentlichen Hand. Das Bundesamtfür Sicherheit in der Informationstechnik, das auch imaktuellen Fall von Passwortdiebstahl den Bürgerinnenund Bürgern mit einer eigens dafür eingerichteten Inter-netseite hilft, gewinnt deshalb im digitalen Zeitalter im-mer mehr an Bedeutung und muss auch in Zukunft ge-stärkt werden.
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Gabriele Fograscher
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Mit knapp 2 Prozent Anteil am Gesamthaushalt stehtder Haushalt des Bundesministeriums des Innern vorgroßen Herausforderungen. Ich hoffe auf konstruktiveBeratungen in den Ausschüssen. Wir werden diesen He-rausforderungen gerecht werden.Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Woltmann,
CDU/CSU.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Keine Steuererhöhungen, keine Neuverschuldung undstabile Staatsfinanzen – das waren die zentralen Forde-rungen von CDU und CSU im vergangenen Bundestags-wahlkampf. Und das sind auch weiterhin unsere Kern-forderungen, an denen wir unabdingbar festhalten.
Der vorliegende Haushaltsentwurf erfüllt diese For-derungen. Er orientiert sich im Wesentlichen auch an denVereinbarungen des Koalitionsvertrages; Frau KolleginFograscher hatte daraus ja eben zitiert. Im Koalitionsver-trag haben wir festgelegt, dass in diesem Jahr ein struk-turell ausgeglichener Haushalt und ab 2015 ein Haushaltohne Nettoneuverschuldung aufzustellen ist. Mit diesenklaren finanzpolitischen Aussagen ist der Rahmen ge-setzt.Es ist natürlich immer ein Leichtes, Wünsche nachMehrausgaben zu formulieren. Da fällt sicher jedem vonuns etwas ein.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ge-bot der Stunde heißt: strukturelle Defizite abbauen, fürHaushaltskonsolidierung sorgen und das vorhandeneGeld richtig einsetzen. Darüber, wie wir das vorhandeneGeld richtig einsetzen, können wir uns dann unterhalten.Der Bürger jedoch – das sei an dieser Stelle auch ge-sagt – honoriert es keineswegs, wenn Parteien großeWahlversprechen machen und ihnen dann beim ThemaHaushaltskonsolidierung nur Steuererhöhungen einfal-len. Dass das der Bürger nicht honoriert, hat das Ergeb-nis der letzten Bundestagswahl eindrucksvoll bewiesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so leichtdürfen wir es uns auch aus einem anderen Grund nichtmachen: Wir tragen eine Verantwortung der nachfolgen-den Generation gegenüber. Ich möchte, dass Ihre undmeine Kinder auch noch über genügend finanziellenGestaltungsspielraum verfügen, um ihre eigenen Vor-stellungen, Wünsche und Erfordernisse realisieren zukönnen. In Zukunft geht daher kein Weg an diesen Haus-haltsgrundsätzen vorbei. Dieser Haushalt zeigt auf, dassdas geht; er weist in die richtige Richtung.Der Einzelplan 06 – wir haben es bereits gehört – mitseinen 5,8 Milliarden Euro ist kein ganz großer Haus-halt, und er lässt wegen vieler Fixkosten auch nicht ganzso viel Spielraum. Aber trotzdem – ich denke, da könnenwir alle sehr froh sein – gibt es einen gewissen kleinenSpielraum, sodass wir in wichtigen Bereichen – meineVorredner sind schon darauf eingegangen – doch einegewisse Entlastung erreichen können.Auch ich will hier das Bundesamt für Migration undFlüchtlinge nennen, das mehr Sachmittel und mehr Per-sonal erhält. Etwa 300 zusätzliche Stellen sind einge-plant; wir haben es bereits gehört. Es ist außerordentlichwichtig, dass die Asylverfahren kürzer werden.
Ich möchte an dieser Stelle einen Gedanken einfügen:Der Bürger möchte, dass die Asylbewerber, die keinBleiberecht erhalten, das Land wieder verlassen. Das er-höht die Akzeptanz dessen, was wir hier tun.Zusätzliche Mittel soll es auch für das Bundesamt fürVerfassungsschutz, für das BSI und für das BKA geben.Auch die Bundespolizei soll zur Festigung der IT-In-frastruktur etwas mehr Geld erhalten. Es ist ja heute hierschon erwähnt worden, dass es dringend notwendig ist,hier mehr Mittel bereitzustellen. Ich denke, es ist auchaußerordentlich wichtig, dass insbesondere der geho-bene und der mittlere Polizeivollzugsdienst bei der Bun-despolizei im Rahmen des bereits mit dem BMF verein-barten vierjährigen Programms von Stellenanhebungenprofitieren werden. Das trägt vor allen Dingen zur Stei-gerung der Attraktivität des Dienstes bei. Wir müsseninsgesamt sehr viel mehr tun, um die Attraktivität des öf-fentlichen Dienstes zu erhalten.Das THW hat sehr viele Fürsprecher; das haben wirgerade schon gehört. Auch ich konnte mich vor Ort vonder guten Arbeit vor allen Dingen auch der ehrenamtli-chen Mitarbeiter überzeugen. Vor dem Hintergrund derHinweise zur Infrastruktur und zum technischen Gerätmüssen wir schauen, was wir da noch tun können; da-rüber müssen wir noch einmal reden. Es muss zumindestnach und nach mehr investiert werden, damit es hinter-her nicht zu einem großen Investitionsstau kommt, denwir dann nicht mehr in den Griff bekommen.Ich bin froh, dass uns die Abschmelzung der globalenMinderausgabe, zu der es in den nächsten Jahren kommt,einen gewissen Spielraum geben wird.Ich möchte kurz etwas zu den prioritären Maßnahmenmit einem Volumen von 23 Milliarden Euro sagen, diewir im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Es sind imWesentlichen Maßnahmen, die unseren Kommunen di-rekt oder indirekt zugutekommen. Wir lassen uns dashier nicht schlechtreden. Es wird zwar viel kritisiert;aber man muss doch mal festhalten, dass der Bund sehrviel Geld zur Unterstützung der Kommunen in die Handnimmt, obwohl er nicht zuständig ist. Zuständig sindnämlich die Länder, wie hier auch schon erwähnt wor-den ist.
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Barbara Woltmann
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Hier seien nur die letzte Stufe der Übernahme derKosten der Grundsicherung im Alter im Umfang von1,1 Milliarden Euro und die Unterstützung bei der Ein-gliederungshilfe ab 2018 im Umfang von 5 MilliardenEuro per annum erwähnt;
bis dahin erhalten die Kommunen – 2015, 2016 und2017 – eine Unterstützung in Höhe von jeweils 1 Mil-liarde Euro.
Letzten Endes kommen auch die weiter vorgesehenenMilliarden für die Städtebauförderung und die Verkehrs-infrastruktur und die 6 Milliarden Euro zur Unterstüt-zung der Länder bei der Finanzierung von Kinderkrip-pen, Kitas, Schulen und Hochschulen den Kommunenzugute. Wir werden allerdings darauf achten, dass diesesGeld dann auch bei den Kommunen ankommt und nichtan den Fingern der Länder kleben bleibt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Ergeb-nis bleibt festzuhalten: Angesichts aller finanzpoliti-schen Rahmenbedingungen liegt uns ein sehr guterHaushaltsentwurf vor, der die Anforderungen, wie wirsie im Koalitionsvertrag formuliert haben, voll und ganzumsetzt. Wir haben nicht nur einen Entwurf mit einemstrukturell ausgeglichenen Haushalt vorliegen; nein, erbeinhaltet sogar einen strukturellen Überschuss von0,07 Prozent, was immerhin 1,81 Milliarden Euro sind.Alle im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen bis10 Millionen Euro müssen zudem in den jeweiligen Ein-zelplänen des Haushaltes erwirtschaftet werden. Dafürgibt es kein zusätzliches Geld. Wer – nur das kann dieBotschaft sein – weitere finanzielle Wünsche hat, dermuss dafür Deckungsvorschläge liefern.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin Woltmann, das war Ihre erste Rede hier
im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu und
wünsche Ihnen viele weitere Reden hier in unserem Par-
lament.
Nächster Redner ist der Kollege Lars Castellucci,
SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Innenmi-nisterium ist das Ministerium für gutes Zusammenleben.Aber es ist natürlich nicht alleine zuständig für gutes Zu-sammenleben: Alle sind vielmehr gefragt für gutes Zu-sammenleben, auch wir selbst sind gefragt. Die Basis fürgutes Zusammenleben ist Respekt. Zu Respekt gehörtfür mich, Menschen vorurteilsfrei zu begegnen. Vor die-sem Hintergrund finde ich es – seit ich diesem Gremiumangehöre, noch mehr – schwierig, dass wir, wenn wirhier über Zuwanderung reden, häufig im nächsten Satzsofort von Missbrauch und im übernächsten Satz sofortvon Kriminalität reden.
So schafft man keine gute Basis für gutes Zusammenle-ben, sondern das Gegenteil.Nun stecken vielleicht sogar gute Vorstellungen da-hinter, wenn zum Beispiel betont wird, dass es um dieAkzeptanz der Bevölkerung gehe. Selbstverständlich,um die Akzeptanz der Bevölkerung muss es uns immergehen, und zwar bei allen Politikfeldern. Wer aber Zu-wanderung, Sozialmissbrauch und Kriminalität immer ineinem Atemzug nennt, der schafft gerade keine Akzep-tanz, sondern Vorurteile.
Nebenbei bemerkt: Damit trifft man auch die Zuwande-rinnen und Zuwanderer, die man hier vielleicht lieber alsandere haben möchte, nämlich die Ingenieurin oder je-manden, der etwas von IT versteht. Willkommenskulturund Fachkräftestrategien leistet man so jedenfalls einenBärendienst.Dabei ist völlig klar – es steht ein aufrechter Protes-tant vor Ihnen –: Alle haben sich an die Spielregeln zuhalten. Das ist immer richtig. Spielregeln zeichnen sichja gerade dadurch aus, dass sie für alle gelten. Sie ma-chen ja keinen Sinn, wenn sie nur für einige gelten. Also,die Straßenverkehrsordnung gilt für alle, aber wir wis-sen, dass sich nicht alle daran halten. Die Steuergesetzegelten für alle, aber wir wissen natürlich, dass sich nichtimmer alle daran halten,
und zwar nicht nur Menschen mit Migrationshinter-grund.
Meine Damen und Herren, Zusammenleben ist niekonfliktfrei. Natürlich gibt es immer auch Probleme. Andie müssen wir ran, und das tun wir auch. Lieber Kol-lege Beck, wir stocken doch die Hilfen für die Städte, diebesonders von Zuwanderung betroffen sind, auf. Wirstocken doch das Programm „Soziale Stadt“ auf. Es wirdwahrscheinlich viele sozialdemokratische Sozialarbeite-rinnen und Sozialarbeiter geben, vielleicht sind auchnoch ein paar grüne dabei, die dadurch eine gute Arbeitmachen können.
Das Innenministerium ist das Ministerium für gutesZusammenleben. Das heißt, wir gestalten Gesellschafts-politik. Wir haben das Glück, dass die nicht immer Geld
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2268 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Dr. Lars Castellucci
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kostet, wir also die schwarze Null nicht gefährden mitdem, was wir tun. Das betrifft auch das Thema Options-pflicht. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf dieVorrednerinnen und Vorredner der Opposition eingehen.Wir alle wissen: Bisher mussten Kinder von Elternmit ausländischer Herkunft mit Erreichen der Volljährig-keit in der Regel wählen, ob sie Deutsche werden wollenoder die Nationalität der Eltern behalten möchten. In derPraxis gab es damit Probleme, und es mussten bittereEntscheidungen getroffen werden: Entscheidet man sichfür die deutsche Staatsbürgerschaft, dann kappt manseine Wurzeln, entscheidet man sich für die Staatsbür-gerschaft der Eltern, verliert man das Wahlrecht, be-kommt vielleicht Probleme auf dem Arbeitsmarkt usw.,und das, obwohl man in Deutschland geboren und aufge-wachsen ist, sich zum Beispiel in Vereinen engagierthat. – Die Große Koalition wird das nun beenden: DieOptionspflicht fällt weg.
Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt.
Herr Kollege Castellucci, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Beck?
Ja, gerne.
Wenn ich richtig informiert bin, fällt die Options-
pflicht nicht weg, sondern das Kabinett hat einen Ge-
setzentwurf beschlossen, der die Optionspflicht an neue
Bedingungen knüpft. Vor dem Hintergrund dieses Ge-
setzentwurfs möchte ich Sie fragen, ob Sie mir erklären
können, welche sachlichen Überlegungen es dafür gibt,
dass jemand, der einen deutschen Hauptschulabschluss
hat, nicht optionspflichtig wird, während jemand, der ein
französisches Abitur, also Baccalauréat, oder eine öster-
reichische Matura hat, optionspflichtig wird. Was ist der
Sinn dahinter?
– So steht es im Gesetzentwurf.
Herr Kollege Beck, erstens steht das so nicht im Ge-setzentwurf, und zweitens muss man sich im Leben ent-scheiden, ob es irgendwann einmal von einem heißt:„Ihm ist zu jeder Frage eine Maximalforderung eingefal-len“, oder ob es von einem einmal heißen soll: „Er hatetwas hingekriegt.“
Ich für meine Begriffe habe mich für die zweite Rolleentschieden. Ich bin stolz, dass wir jetzt miteinander ei-nen wichtigen Schritt hinbekommen.
Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass aus Sicht derSPD mehr drin gewesen wäre – das ist keine Frage –;trotzdem halte ich den gefundenen Kompromiss für gutund richtig. Er zeigt doch: Wir sind auf dem Weg; das istnoch nicht das Ende des Weges, aber es ist ein wichtigerMeilenstein hin zu einem modernen Staatsangehörig-keitsrecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte fortfah-ren. Die Themen Integration und Migration sind wich-tige Schwerpunkte in unserer Ausschussarbeit. Die Kol-legin Fograscher ist auf das BAMF schon eingegangen.Ich möchte noch einen Gedanken zu den Asylanträgeneinbringen. Ich glaube, Frau Hajduk, es ist richtig, jetztauf Qualität zu setzen und zu sagen: Das machen wirStück um Stück. – Die Ziele haben wir festgelegt.
Zu der Frage gehört für mich aber auch folgende Überle-gung: Wenn in diesem Bereich angeblich so viel Miss-brauch herrscht, sind das Kernproblem dann die Men-schen, oder ist das Kernproblem, dass die rechtlicheSituation nicht wirklich tragfähig ist? In diesem Zusam-menhang muss gesagt werden: Die europäische Flücht-lingspolitik hat ihre Defizite. Wir haben uns vorgenom-men, dieses Thema anzugehen. Wir müssen da ran.Ein weiteres Thema sind die Integrationskurse. Auchin diesem Bereich wollen wir die Qualität verbessern;das ist richtig. Wir wollen die Kurse näher zu den Men-schen bringen. Auch wir sind nicht damit zufrieden, dasses in diesem Bereich trotz eines Mehrbedarfs eine Ab-senkung im Haushaltsentwurf gibt. Das wird in denfachlichen Beratungen eine Rolle spielen. Ich bin mir si-cher, dass wir hier Bewegung in die Sache bringen kön-nen.Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle mitei-nander und auch dieses Land lernen erst, was es heißt,Zuwanderungsland zu sein. Der Bundestag ist ein Spie-gel der Gesellschaft, und das zeichnet ihn ja aus. Dasheißt, wir werden miteinander ringen, aber wir kommenauch miteinander voran.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2269
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Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Der heute eingebrachte Haushalt ist der Beleg dafür,dass die Große Koalition hält, was sie verspricht. Sie tutdies auch im Geschäftsbereich des Bundesministeriumsdes Innern. Auch dafür ist der Haushalt ein Beleg.
Im Geschäftsbereich des BMI ist der Rahmen derMöglichkeiten, politische Akzente zu setzen, besonderseng. Es handelt sich um einen Verwaltungshaushalt:55 Prozent der Ausgaben sind Personalkosten, 95 Pro-zent der Ausgaben sind gesetzlich oder vertraglich ge-bunden und damit nicht disponibel. Dennoch ist es ge-lungen, etwa 50 Millionen Euro entsprechend unserenpolitischen Zielsetzungen umzuschichten. Und diese ha-ben wir in unserem Koalitionsvertrag beschrieben.Ein Thema, das wir im Koalitionsvertrag beschriebenhaben und mit diesem Haushalt angehen, ist die Be-schleunigung der Asylverfahren. Das Bundesamt für Mi-gration und Flüchtlinge erhält 14 Millionen Euro fürSachausgaben mehr und zusätzlich etwa 300 neue Stel-len. Das wird kurzfristig helfen, den Antragsstau aufzu-lösen und die steigende Zahl der Anträge zu bewältigen,und es wird langfristig helfen, die Verfahrensdauer zuverkürzen. Aber Geld und Stellen sind dabei nur ein Teilder Lösung. Wir brauchen auch qualifizierte Menschen,um diese Stellen zu besetzen, und wir brauchen auch ad-äquate gesetzliche Rahmenbedingungen, nach denendiese Menschen arbeiten können. Der Minister hat dazubereits einiges ausgeführt.Der zweite wichtige Punkt aus dem Koalitionsvertragist das Thema IT-Sicherheit. Wir als Bund haben einechtes Kompetenzzentrum für dieses Thema: das Bun-desamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Wiewichtig dieses Kompetenzzentrum auch für den Bürgerist, haben wir spätestens Mitte Januar dieses Jahres gese-hen, als das BSI in hochprofessioneller Art und Weisedie Warnaktion bezüglich der gestohlenen Identitäten or-ganisiert und auf den Weg gebracht hat. Wir erinnernuns: 16 Millionen E-Mail-Adressen und die zugehörigenPasswörter wurden entwendet. Das BSI hat daraufhindie Internetseite sicherheitstest.bsi.de auf den Weg ge-bracht. Innerhalb weniger Wochen haben 30 MillionenMenschen ihre E-Mail-Adresse dort eingegeben, um he-rauszufinden, ob sie betroffen sind. Darunter waren auch1,6 Millionen E-Mail-Adressen mit gestohlenen Identi-täten.Seit letzter Woche gibt es einen neuen Fall. Diesmalsind 18 Millionen E-Mail-Adressen betroffen. Stand vonheute, 12 Uhr, ist, dass seit gestern 9 Millionen Men-schen das entsprechende Angebot des BSI in Anspruchgenommen haben. 270 000 der seit gestern überprüftenE-Mail-Adressen konnten dabei als gestohlene Identitä-ten identifiziert werden. Die Bürger wurden gewarnt.Mit ihren Daten kann nun kein Missbrauch mehr stattfin-den.Meine Damen und Herren, die Aufbereitung dieserDaten und die adäquate Warnung der Bürger, ohne dabeiselbst gegen den Datenschutz bzw. gegen Datensicher-heitsbestimmungen zu verstoßen, erfordern einen enor-men organisatorischen und logistischen Aufwand. Ichmöchte – ich glaube, dies kann ich im Namen des gan-zen Hauses tun – heute den Menschen im BSI danken,die das in hervorragender Weise organisiert haben.
Wir werden auch das BSI weiter stärken, jetzt ersteinmal mit 2 Millionen Euro jährlich mehr für die IT-Si-cherheitsforschung und 3 Millionen Euro zusätzlich fürdie Sicherung der Regierungskommunikation.Damit sind wir beim nächsten Punkt aus dem Koali-tionsvertrag: Stichworte NSA bzw. Spionageabwehr.Auch hier ist Geld für die Verbesserung der IT-Sicher-heit ein Teil der Lösung, aber nicht die ganze Lösung. Esgeht vielmehr um die Frage, wie wir in Europa und inDeutschland ein Stück weit technologische Souveränitätzurückgewinnen.
Das wird uns in den nächsten Jahren noch an vielen Stel-len beschäftigen. Auch bei der anstehenden Weiterent-wicklung der IT-Infrastruktur des Bundes werden wirüber dieses Thema reden. Das geht weit über den aktuel-len Haushalt des Bundesinnenministeriums hinaus. Aberauch in diesem Haushalt werden die entsprechenden An-sätze verstärkt. Das Bundesamt für Verfassungsschutzerhält 4 Millionen Euro mehr und die Bundespolizei er-hält 12 Millionen Euro mehr für die Stärkung der IT-Si-cherheit.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich könnte dieListe fortsetzen. Meine Vorredner sind ja bereits aufviele Punkte eingegangen. Der Haushaltsentwurf enthältStellenhebungen bei der Bundespolizei, einen Aufwuchsder Mittel bei der Spitzensportförderung, mehr Investi-tionen in E-Government und für den gesellschaftlichenZusammenhalt usw. Mir geht es aber nicht um die Voll-ständigkeit der Aufzählung, sondern mir geht es darum,Ihnen in den wenigen Minuten Redezeit, die ich habe,vor Augen zu führen, wie sich der Koalitionsvertragganz konkret in dem Haushalt des Bundesministeriumsdes Innern widerspiegelt. Ich möchte dem Bundesinnen-minister ganz herzlich für die Vorlage dieses Haushalts-entwurfs danken. Er ist eine gute Vorlage für die weite-ren Beratungen.
Verschiedene Vorredner haben es bereits angespro-chen: Es gibt auch in diesem Haushaltsentwurf Bereiche,an denen wir in den Beratungen noch weiter arbeitenmüssen. Frau Hajduk und Herr Castellucci haben zum
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Dr. Reinhard Brandl
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Beispiel das Thema Integrationskurse erwähnt. Auch dasTHW wurde angesprochen. Ich kann auch für meinenMitberichterstatter Martin Gerster von der SPD spre-chen:
In den vergangenen Wochen haben uns zahlreiche Kolle-gen aus den Wahlkreisen kontaktiert und uns deutlichgemacht, wie wichtig das THW ist. Wir wissen das.
Wir wollen die Arbeit der Ehrenamtlichen fördern. Daswird sich auch in den Haushaltsberatungen entsprechendwiderspiegeln.
Viel Zeit für die Beratungen haben wir ja nicht; wirwollen den Haushalt – es ist ja der Haushalt für 2014 –möglichst bald auf den Weg bringen, aber, meine Damenund Herren, ich kann Ihnen versichern: Wir werden dieZeit gut nutzen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Brandl. – Als abschließen-
dem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich dem Kolle-
gen Matthias Schmidt, SPD, das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrtenDamen und Herren auf den Zuschauertribünen! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Innenpolitik ist auchSportpolitik. Im Bundeshaushalt sind beide Politikfelderin einem Einzelplan vereint. Wir hier im Bundestag ha-ben uns entschieden, beides in verschiedenen Ausschüs-sen zu organisieren. Ich selbst bin Mitglied im Innen-und im Sportausschuss und möchte meinen Schwerpunktjetzt auf die Sportpolitik legen.Herr Minister, quasi als Obersatz: Sie haben einen or-dentlichen und anständigen Entwurf des Sporthaushaltsvorgelegt. Hierfür gebührt Ihnen persönlich Dank, aberselbstverständlich auch Ihren Kolleginnen und Kollegenin der Sportabteilung. Ich bitte Sie, diesen Dank von unszu übermitteln. Die Kolleginnen und Kollegen musstenja bekanntlich zwei Entwürfe vorlegen, einen unter derschwarz-gelben Regierung und jetzt aktuell einen neuen.Ihre Botschaft von den 8 Millionen Euro mehr, HerrMinister, ließ ja viele Sportlerinnen- und Sportlerherzenhöher schlagen, übrigens auch die Herzen von Funktio-nären. Aber wir sollten da etwas genauer hinschauen;denn die 8 Millionen Euro mehr bezogen sich auf dieAnsätze im ersten, dem schwarz-gelben Regierungsent-wurf.
Vergleicht man die Haushaltsansätze von 2013 und2014, ergibt sich ein Mehr von 2,7 Millionen Euro fürden Sport. Auch das ist eine gute Botschaft.
Die erste Million davon kommt der NADA und damitihrem wichtigen und engagierten Kampf gegen Dopingzugute. Die Finanzierung der NADA ist und bleibt fürmeine Fraktion ein wichtiges Anliegen. Aber – lassenSie mich auch das an dieser Stelle deutlich sagen – dieFinanzierung der NADA ist ein Gemeinschaftsprojektder sogenannten Stakeholder: des Sports, der Wirtschaft,des Bundes und der Länder.
Die Länder sollten an dieser Stelle nicht aus ihrer Ver-antwortung entlassen werden; Herr Minister, Sie habendarauf zu Recht hingewiesen. Bisher gibt es nur einLand, das an dieser Stelle seiner Verantwortung gerechtwird und mitzahlt. Dies gilt es deutlich zu kritisieren.Wir müssen schauen, welche Konsequenzen wir darausziehen.Kommen wir zu anderen Nachrichten, die dieserHaushalt zu bieten hat. Der Spitzensport lebt von seinenWettkämpfen. Hier sind natürlich an zentraler StelleOlympische und Paralympische Spiele zu nennen. Diegezielte Vorbereitung der Topteams der Spitzenathletin-nen und -athleten auf die Wettkämpfe ist in jeder Hin-sicht aufwendig und – Sie alle werden es sich denkenkönnen – kostet Geld. Dieses Geld ist gut investiert. Wirbegrüßen es, dass der Haushalt hier einen deutlichenAufwuchs vorgesehen hat.Dies gilt ebenso für die Förderung von IAT und FES,in der Langfassung Institut für Angewandte Trainings-wissenschaft bzw. Institut für Forschung und Entwick-lung von Sportgeräten.Lassen Sie mich zum FES ein paar Sätze sagen. In deröffentlichen Debatte wird das FES oftmals leider nur mitdem Bobsport verknüpft. Das greift viel zu kurz; derBob selbst wäre übrigens nach Aussage der Sportlerin-nen und Sportler in Sotschi zu Gold gefahren, wenn ernur schnell genug angeschoben worden wäre. Die Ergeb-nisse im Bobsport waren also nicht etwa die Folge einestechnischen Problems.Was FES und IAT betrifft, möchte ich Sie bitten, sichjeweils zwei Zahlen zu merken: beim FES die Zahlen10 und 14, beim IAT die Zahlen 20 und 7. Das FES un-terstützt derzeit die Tätigkeit von 10 Spitzenverbänden.14 weitere Verbände stehen Schlange; sie würden gernegefördert werden, können aber nicht gefördert werden,weil kein Geld dafür da ist. Beim IAT sind es 20 Spitzen-verbände, die gefördert werden, und 7, die außen vorbleiben, weil kein Geld da ist. Allein deswegen ist derMittelaufwuchs in diesem Bereich ein sehr gutes und einwichtiges Zeichen.
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Matthias Schmidt
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Besonders freut es mich, dass ein Teil dieses Förder-mittelzuwachses dem Deutschen Behindertensportver-band, DBS, zugutekommen soll; denn der DBS leistethervorragende Arbeit für unsere ganze Gesellschaft, erlebt den Inklusionsgedanken. Ich selbst konnte mich ge-meinsam mit dem Kollegen André Hahn bei den Para-lympischen Spielen in Sotschi von den tollen Leistungender Sportlerinnen und Sportler überzeugen. Sie sind unsein Vorbild, in sportlicher und in menschlicher Hinsicht.Darum ist es gut, dass der DBS stärker gefördert wird.
Ein wenig nachdenklich macht mich, dass die Förder-mittel für „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugendtrainiert für Paralympics“ nach dem Haushaltsentwurfum die Hälfte reduziert werden. Ich weiß nicht, wie esIhnen geht, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir warendoch alle einmal Teil von „Jugend trainiert für Olym-pia“, haben mitgefiebert. Ich selbst bin über ein Landes-finale nie hinausgekommen. Ich wäre auch gern nachBerlin gefahren und hätte da mitgemacht. Es sind dochHunderttausende von Jugendlichen, die an dieser Stelleengagiert sind. Natürlich ist diese Veranstaltung eherdem Breitensport zuzuordnen; aber allein die Bezeich-nung „Bundesfinale“ legt doch auch eine gewisse Bun-deszuständigkeit nahe. Und seit 2010 sind auch Kinderund Jugendliche mit Behinderung dabei, im Rahmen von„Jugend trainiert für Paralympics“. Der DBS hat uns imAusschuss gesagt, dass dies hervorragend ist, nicht alleinwegen der Spitze, des Bundesfinales in Berlin, sondernauch weil an den Schulen, an der Basis, gemeinsameSportveranstaltungen gelebt werden. Ich fände es einschwieriges Zeichen, wenn wir jetzt an dieser Stelle kür-zen. Ich würde mir wünschen, liebe Kolleginnen undKollegen, wir könnten im Ausschuss noch einmal inten-siv darüber diskutieren.
Herr Präsident, ich habe Ihren Blick gespürt;
ich komme jetzt auch zum Schluss.
Das ist eine ganz besondere Gabe: diesen Blick zu
spüren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, Sportpolitik ist auch Innenpolitik.
Engagieren wir uns gemeinsam weiterhin für die Men-
schen in unserem sportbegeisterten Land!
Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt.Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegennicht vor.Wir kommen deshalb jetzt zum Geschäftsbereich desBundesministeriums der Justiz.Wir warten vielleicht noch kurz, bis die entsprechen-den Wechsel auf den Sitzen stattgefunden und die Fach-kollegen Platz genommen haben. – Ich denke, dass dasjetzt weitgehend erfolgt ist, und darf das Wort dem Bun-desminister Heiko Maas erteilen.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Nachdem vorhin in der Debatte derEtat des Kollegen de Maizière schon als nicht der größtebezeichnet worden ist, kann ich Ihnen sagen:
Jetzt sind Sie beim kleinsten Etat dieser Bundesregie-rung. Aber dieser kleinste Etat ist – das werden Sie si-cherlich schon erkannt haben – der Beweis dafür, dassdie absolute Höhe der Haushaltsmittel nichts mit der Be-deutung einer Aufgabe oder eines Ressorts zu tun hat.Hinzu kommt – das sei bei einer Haushaltsdebatte ein-mal vorausgeschickt –, dass das Ministerium der Justizund für Verbraucherschutz eine Kostendeckungsquotevon 72,4 Prozent hat; das heißt, 72,4 Prozent unsererAusgaben erwirtschaften wir selber. Wenn das in der ge-samten Bundesregierung so wäre, hätten wir weitaus we-niger Probleme.Meine Damen und Herren, ich habe Ende Januar wiedie Kolleginnen und Kollegen der Regierung insgesamtdie Möglichkeit gehabt, Ihnen vorzustellen, was wir unsfür dieses Jahr, insbesondere für die ersten Monate, imMinisterium der Justiz und für Verbraucherschutz vorge-nommen haben. Ich finde, dass sich die Bilanz nach denersten 100 Tagen durchaus sehen lassen kann:Wir haben mit dem Gesetzentwurf zur Sukzessiv-adoption das Urteil des Bundesverfassungsgerichts um-gesetzt. Auch wenn die Diskussion darüber geführt wird,dass man möglicherweise noch mehr tun kann,
ist das, glaube ich, ein ganz wesentlicher Schritt zu mehrGleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Lebenspart-nerschaften in unserem Land gewesen und damit unsereGesellschaft erneut ein Stück moderner gemacht wor-den.
Wir haben den Referentenentwurf zur Mietpreisbremsemittlerweile in der Ressortabstimmung und an die Länderund Verbände verschickt. Auch das ist ein wichtiges Ge-
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Bundesminister Heiko Maas
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setzgebungsvorhaben. Ich glaube, das braucht man hier inBerlin nur wenigen zu sagen; aber auch Menschen, diein Hamburg, München, Köln, Düsseldorf oder Frankfurtzurzeit auf Wohnungssuche sind, stellen fest, dass dieMieten explodieren.Wir sind der Auffassung, dass das Wohnen, also dieTatsache, dass man eine Wohnung hat, ein wichtiges Gutist. Nur weil man zurzeit mit allerlei Finanzproduktenkeine Rendite auf den Finanzmärkten mehr erzielt, kannes nicht sein, dass die Wohnungswirtschaft sozusagendas neue Eldorado der Profitmaximierung wird. Deshalbist es richtig, die Mietpreisbremse einzuführen.
Wir haben auch – das ist mir wichtig – die Empfeh-lungen des NSU-Untersuchungsausschusses in einenGesetzentwurf gegossen und diesen hier eingebracht.Daneben haben wir mittlerweile auch die Leitlinien zurFrauenquote für Aufsichtsräte vorgestellt, die ich jetzt zu-sammen mit Bundesministerin Manuela Schwesig umset-zen werde.Last, but not least ist der Entwurf des Gesetzes zurBekämpfung von Kinderpornografie und sexuellemMissbrauch ebenfalls fertig und soll noch in dieser Wo-che in die Ressortabstimmung.Ich denke, bei dem, was wir in diesen drei Monatenalles auf den Weg gebracht haben, kann man durchaussagen: Die Rechtspolitik der Bundesregierung hat eineneue Dynamik gewonnen und besitzt ein neues Selbstbe-wusstsein, und das fußt auf Taten im Ministerium.
Meine Damen und Herren, das Ministerium ist aberauch größer geworden: Der Verbraucherschutz – die Ver-braucherpolitik in Recht und Wirtschaft sowie im So-zial- und im Gesundheitswesen – ist hinzugekommen.Alle Stellen, die es dafür im Landwirtschaftsministeriumgegeben hat, wechseln nun nach einer Absprache mitdem Kollegen im Landwirtschaftsministerium insBMJV. Zugleich werden auch die notwendigen Haus-haltsmittel in den Einzelplan überführt.Das ist, wie ich finde, eine gute Nachricht; denn dasbedeutet, dass die Verbraucherorganisationen auch inZukunft nicht nur einen starken Partner in der Bundesre-gierung haben, sondern – das bestätigen mittlerweileauch die Verbraucherorganisationen – dass das zustän-dige Ministerium neben den notwendigen Mitteln vor al-len Dingen über die Kompetenzen verfügt, den Verbrau-cherschutz in den jeweiligen Bereichen durch Gesetze zustärken. Damit kommen wir zu dem Ergebnis, dass jetztauch beim Verbraucherschutz die Zeit der Appelle vor-bei sein wird.
Wir haben uns vorgenommen – das gilt für diesenHaushalt, aber vor allen Dingen für den nächsten Haus-halt –, insbesondere zwei Dinge, die im Koalitionsver-trag verabredet worden sind, auf den Weg zu bringen:Das Erste ist, dass wir den Sachverständigenrat fürVerbraucherfragen neu aufsetzen wollen. Er wird für unsbei der Beantwortung ständig auftretender Fragen ausdem Bereich des Verbraucherschutzes mehr als nur eineHilfe sein. Es gibt nicht nur viele Organisationen, die be-reits darauf warten; eine große Fülle von Expertinnenund Experten ist bereit, sich dort zur Verfügung zu stel-len.Das zweite große Projekt im Verbraucherschutz istder Aufbau der Finanzmarktwächter und der digitalenWächter. Zusammen mit den Verbraucherzentralen wol-len wir ein Netzwerk von Organisationen und Stellenaufbauen, die nicht nur die Märkte beobachten, sondernMissstände auch sehr schnell an die Aufsichtsbehörden,die Politik und den Gesetzgeber weitergeben können.Ich glaube, dass das ganz besonders zu einer wesentli-chen Verbesserung der Qualität der Verbraucherpolitik inDeutschland führen wird.
Auch Verbraucherorganisationen wie die StiftungWarentest oder der Bundesverband der Verbraucherzen-tralen haben in unserem Ministerium nicht nur in der Sa-che starken Rückhalt. Das hat sich schon in unterschied-lichen Fällen gezeigt, etwa bei der Diskussion um dieFirma Prokon. Hier konnten wir zusammen mit derBaFin eine Lösung auf den Weg bringen. Aktuell ist hierauch die – sicherlich nicht einfache – Frage zu nennen:Wie geht es mit den Bewertungsreserven bei den Le-bensversicherungen weiter? Hier funktioniert die Zu-sammenarbeit außerordentlich gut. Ich finde, diese Or-ganisationen sollten wir stärken.Dabei will ich auf einen Punkt hinweisen: Ein nichtunerheblicher Teil der Verbraucherpolitik – das ist mitt-lerweile in vielen Bereichen so – wird auf EU-Ebene undvor allen Dingen in Brüssel gemacht. Dort ist die Indus-trie mit zahllosen Lobbyisten präsent. Wir müssen dafürsorgen, dass dort, wo mittlerweile viel Recht gesetztwird, das wir lediglich umsetzen, die Belange der Ver-braucherinnen und Verbraucher vertreten sind. Ich finde,die Verbraucherzentrale muss deshalb mit einem festenBüro dauerhaft in Brüssel präsent sein. Dieses Büro wirdim kommenden Jahr Teil unserer institutionellen Förde-rung sein. Damit werden wir den Verbraucherschutz or-ganisatorisch ganz besonders stärken.
Auch wenn wir in einer Haushaltsdebatte sind, geht esnicht nur um Geld, sondern es geht vor allen Dingen na-türlich um die richtige Politik. Ich will in der Rechtspoli-tik ein Thema aufgreifen, weil es sehr aktuell ist undweil es mir wichtig ist, darauf besonders hinzuweisen: Inden vergangenen Monaten war in der Öffentlichkeit undauch hier viel von Kinderpornografie und Pädophilie dieRede. Die öffentlich geäußerte Abscheu darüber wargroß und laut. Wo es hier Lücken im Recht gibt, werdenwir diese schließen; das habe ich eben schon angekün-
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Bundesminister Heiko Maas
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digt. Aber eines sollte uns auch klar sein: Mit Gesetzenund Empörung alleine können wir unsere Kinder nichtschützen.
Damit Kinder nicht zu Opfern werden, müssen wir indiesem Fall verhindern, dass Männer zu Tätern werden.Das erreichen wir nicht durch permanente Hysterie, son-dern vor allen Dingen durch zielgerichtete Hilfe. Des-halb fördert das Justizministerium seit 2008 ein wichti-ges Projekt an der Berliner Charité. Es hilft Männern mitpädophilen Neigungen, dass aus ihren Fantasien keineTaten werden. Die Nachfrage nach diesem Projekt istgroß. Inzwischen gibt es diese anonyme Hilfe in siebendeutschen Städten. Wir wollen in diesem Bereich nichtnur das Gesetz ändern, sondern wir wollen die Förde-rung für dieses Projekt kräftig ausweiten. Wenn Sie zu-stimmen, werden wir die Mittel für die Präventionsarbeitin diesem Jahr um 70 Prozent erhöhen. Auch das ist einHinweis auf unsere Schwerpunktsetzung.
Meine Damen und Herren, es gäbe sicherlich nochvieles anzusprechen, was in diesem Ministerium von Be-deutung ist. Wir werden uns nicht nur mit den aktuellentechnischen Fragen auseinandersetzen. Vielmehr habenwir uns zum Ziel gesetzt, grundlegende rechtspolitischeReformen anzupacken, auch wenn sie nicht im Koali-tionsvertrag erwähnt werden, etwa im Strafgesetzbuchdie Reform der Paragrafen zu Mord und Totschlag, einunter Juristen schon lange debattiertes Thema. Wir ha-ben jetzt eine Expertenrunde gegründet und wollen dieseDiskussion fachlich führen und sie in ein Gesetzge-bungsverfahren einmünden lassen.Zum Schluss ein Wort zum Urteil des EuropäischenGerichtshofes zur Vorratsdatenspeicherung. Der Euro-päische Gerichtshof hat – ich begrüße dieses Urteil – dieRichtlinien zur Vorratsdatenspeicherung komplett fürungültig erklärt. Wir gingen – zugegebenermaßen – da-von aus, dass die Richtlinie entsprechend dem Antragdes Generalanwaltes für überarbeitungsbedürftig erklärt,aber nicht komplett kassiert würde. Das Urteil geht da-mit weit über den Antrag des Generalanwaltes hinaus.Es geht auch deutlich – das ist eben schon angesprochenworden – über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsin unserem Land hinaus.
Das Gericht weist zum Beispiel darauf hin, dass es jenach Kommunikationsmittel und Datenart zu unter-schiedlichen Speicherfristen kommen kann. Das ist einvöllig neues Feld, mit dem wir uns in unserer Debattenoch nicht auseinandergesetzt haben.Ich finde, das Urteil zeigt vor allen Dingen eins: Nichtalles, was technisch machbar ist, ist mit unseren Grund-rechten vereinbar. Wenn es um Sicherheit geht, müssenauch die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürgerweiter respektiert werden.
Mit dem Urteil ist eine neue Situation eingetreten. Esgibt keine Richtlinie mehr, die wir umsetzen müssenoder können. Uns drohen auch keine Strafgelder mehr.Deshalb gibt es keinen Grund, voreilige Schlüsse ausdem Urteil zu ziehen. Wir alle werden es sicherlich sorg-fältig auswerten müssen, und wir werden uns danngemeinsam und ergebnisoffen überlegen, welcheSchlussfolgerungen im Verfahren, aber auch, welcheKonsequenzen wir in der Sache daraus ziehen. Ich wäreaußerordentlich froh, wenn dies eine Debatte würde, diewir vor allen Dingen sachlich führen könnten.
Denn das wäre aller Ehren wert.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus, Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-desminister, ich will mich in meiner Rede an das Mottohalten: Lobend beginnen, kritisch ausführen, optimis-tisch enden.
– Das ist aus dem Handbuch des sozialistischen Leiters.
Das steht aber auch in Handbüchern der evangelischenund katholischen Kirche.Wir haben bei diesem Etat die Situation, dass mit re-lativ wenig Geld viel gesellschaftliche Verantwortungübernommen wird. Man stelle sich nur einmal für Se-kunden vor, wir hätten diesen Etat nicht: Wie viel würdeuns für die Ausübung der Rechtsstaatlichkeit fehlen?Beispielsweise die meisten der obersten Gerichte.Es ist ein sogenanntes Verfassungsministerium. Einsolches ist in Zeiten Großer Koalitionen besonders wich-tig, weil so übergroße Mehrheiten im Parlament, wie wirsie zurzeit haben, zuweilen denken, die Mehrheit seischon Rechtsstaat genug.Auch und gerade die Opposition hat ein Interesse da-ran, dass die Ausübung dieser Rechtsstaatlichkeit aus-kömmlich finanziert wird. Ich will ein paar zentrale The-men aus Ihrem Ressort streifen. Wir wollen schließlichwissen, was mit dem gut angelegten Geld geschehensoll.
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Roland Claus
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Bei der Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechtssind wir der Auffassung, hier sind Sie glatt an der Zu-kunft vorbeigeschrammt. Sie haben einen Zwang zurEntscheidung zwischen Herkunft und dem, was vieleHierhergekommene als ihre neue Heimat empfinden,weiter aufrechterhalten. Das Überkommene wird ledig-lich reformiert. Damit werden wir uns nicht zufriedenge-ben und Ihnen weitergehende Vorschläge machen, meineDamen und Herren.
Das wird nötig sein. Denn Große Koalitionen liebenauch die Formulierung „Maß und Mitte“. Beim Staats-bürgerschaftsrecht ist aus Maß und Mitte bestenfallsMittelmaß geworden.
Die Stenografen sollten Maß hier aber immer mit nur ei-nem A schreiben, sonst wäre es beleidigend.
Die Lösung hieße auch hier: lieber Doppelpass als Mit-telmaß.Ich will ein Wort zur Vorratsdatenspeicherung und zudem heutigen EuGH-Urteil sagen. Dazu haben wir,glaube ich, vor wenigen Minuten neue Töne vom Bun-desminister der Justiz gehört, und wir sind durchaus inder Lage, neue Töne wahrzunehmen. Wir möchten Siedarin bestärken, Ihren Platz an der Seite all derer in derZivilgesellschaft und auch im Parlament zu sehen, diefür ihre Freiheitsrechte eintreten.
Wenn ein Innenminister so redet, wie er es getan hat,kann ich dafür noch ein gewisses Verständnis aufbrin-gen. Aber aus guten Gründen sind das Innen- und dasJustizressort in unserem Land getrennt. Wenn die Innen-minister zuweilen überziehen, dann bleiben nur zweiAkteursgruppen übrig, die sie wieder in die Schrankenverweisen können: Das ist die kritische Öffentlichkeiteinschließlich der kritischen Öffentlichkeit im Parla-ment, und das ist die Justiz.Wer Zivilcourage will, Herr Minister, der muss auchJustizcourage zeigen.
Bundesminister de Maizière hat gesagt, er bedauere einbisschen, was im EuGH entschieden wurde. Der Justiz-minister hat gesagt, er begrüße es. Wir werden sehen,was dabei herauskommt. Herr Maas hat angekündigt,keine schnelle Entscheidung zu treffen, also den Prozesszu entschleunigen. Der beste Beitrag zur Entschleuni-gung, Herr Minister, ist der Verzicht.
Herr Minister, Sie haben das Wort „Mietpreisbremse“von anderen politischen Akteuren übernommen. Wirwerden Sie daran messen, wie Sie sich des Themas an-nehmen. Bislang jedenfalls wird das, was vorliegt, dieserBezeichnung nicht wirklich gerecht. Ich will daran erin-nern, dass zuerst die Linke dieses Thema angesprochenhat.
Dann hat sich die Bundeskanzlerin entschlossen, es imWahlkampf zu übernehmen. Sie gestalten nun die Auf-gabe aus. Den Beitrag meiner Kolleginnen und Kollegenvon Bündnis 90/Die Grünen werde ich selbstverständ-lich nicht vergessen.
Eine Institution, auf die der Minister eingegangen ist,ist das Deutsche Marken- und Patentamt. Das ist natür-lich ein Mekka für Haushälter, weil diese Institution alsBundesbehörde sehr viel mehr Geld einnimmt als aus-gibt. Deshalb haben wir Ihnen schon vor Jahren vorge-schlagen – wir erneuern heute diesen Vorschlag –: Set-zen Sie sich für eine bessere personelle und sächlicheAusstattung des Patentamtes ein! Dann werden wir auchmehr Einnahmen generieren; das wäre ein vernünftigerWeg.
Ich sage das nicht, um als Haushälter die Kassen zu fül-len. Mein Hauptargument ist, dass ein Patentstau fürjunge Erfinderinnen und Erfinder Gift im Geschäft ist.Sie haben zwar ihre wissenschaftliche Erkenntnis mitder Anmeldung geschützt. Wenn der Weg bis zur Ver-marktung aber so lang ist, dann ist das in Zeiten globali-sierter und schneller Erkenntnisgewinne ein Nachteil fürsie. Dagegen können und müssen wir etwas tun. Das istschon einmal gelungen. Ich finde, dass das aller Mühenwert ist.
Das Ministerium hat sich vor einiger Zeit – wie ichfinde, leider – für einen größeren Neubau am Bundesamtfür Justiz in Bonn entschieden. Da drängen die jungenLeute, die klugen Köpfe mehr und mehr nach Berlintrotz oder wegen „Arm, aber sexy“, und Sie bauen inBonn! Sie verharren in der Bonner Republik. Wir wie-derholen unsere Forderung: Treten Sie ein für die Wie-dervereinigung der Bundesregierung in Berlin, in derBundeshauptstadt!
Ich hatte eingangs ein optimistisches Ende verspro-chen; dazu komme ich jetzt. Der Haushaltsentwurf heißtso, weil er nicht so bleiben muss, wie er ist. Was die Ko-alition möglicherweise im Frühjahr noch nicht gelernthat, kann sie im Herbst besser machen. Wir werden siedabei begleiten als eine kritische, als eine heitere, aberauch als eine optimistische Opposition.Vielen Dank.
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Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Thomas Strobl, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Rechtspolitik ist Gesellschaftspolitik.Rechtspolitik ist nicht nur Theorie, sondern gestaltet dieGesellschaft nachhaltig. Deswegen erlauben Sie mir,dass ich mit einem Blick aus der Gesellschaft auf dieRechtspolitik beginne.Ein frisch verheiratetes Ehepaar, beide berufstätig, hatsich eine neue Wohnung gekauft und sie liebevoll einge-richtet. Eines Tages kommen die beiden von der Arbeitnach Hause und finden alles verwüstet vor. Es ist einge-brochen worden: Ketchup und Mayonnaise aus demKühlschrank an den Wänden, einige Erbstücke gestoh-len, das Geschirr aus den Schränken gerissen. Laptop,Computer und selbst die Stereoanlage sind weg. „Aberdas Schlimmste“, sagt die Frau später, „ist das, was imSchlafzimmer passiert ist, wo gar nichts gestohlenwurde.“ Die Wäsche einschließlich der Unterwäschewurde durchwühlt. Die Frau hat alles weggeworfen– vielleicht irrational – und sagt, sie fürchte sich nochimmer, wenn sie ihr Schlafzimmer betritt.Bei allen erheblichen materiellen Schäden ist der ent-scheidende Punkt: Diese Frau traut sich nicht mehr al-leine nach Hause. Wenn sie früher nach Hause kommtals ihr Ehemann, geht sie lieber zu Freunden, nicht mehrin ihr Heim, wo sie vorher noch Entspannung und Wohl-gefühl hatte. Nein, sie hat Angst.Oder aber ganz praktisch: Bei uns ist vor kurzem inder Tiefgarage eingebrochen worden. Autos wurden auf-gebrochen, Dächer aufgeschlitzt.
Die Polizei hat ermittelt, die Autos sind inzwischen re-pariert, die Täter sind in diesem Fall sogar gefasst wor-den. Aber was für viele der Bewohnerinnen und Bewoh-ner der Wohnanlage bleibt, ist Angst in dieserTiefgarage.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, die Bürger unseres Landes wollen sich auf ih-ren Staat verlassen können, gerade wenn es um ihre Si-cherheit und auch wenn es um den Schutz ihres Eigen-tums geht.
Jeden Tag wird in Deutschland 420-mal eingebrochen.In den 96 Minuten, in denen wir hier den Justizhaushaltdebattieren, passiert das über 25 Menschen: 25-mal ge-schieht während dieser Debatte ein Einbruchsdiebstahlin Deutschland. Ich finde, das ist eine alarmierend hoheZahl, und alarmierend ist das vor allem vor dem Hinter-grund, dass diese Zahl ansteigt.In meiner Heimat Baden-Württemberg wurden ak-tuell 31 Prozent mehr Einbruchsdiebstähle verübt alsnoch vor einem Jahr. Täglich werden allein in Baden-Württemberg 31 Wohnungen aufgebrochen. Die Aufklä-rungsrate liegt bei gerade einmal 10 Prozent. Das heißt,nur drei von diesen 31 Einbruchsdiebstählen könnenaufgeklärt werden, 28 werden nicht aufgeklärt. Nocheinmal: Es geht gar nicht allein um die materiellen Schä-den, die angerichtet werden, sondern es geht um die tiefeVerunsicherung bei Bürgerinnen und Bürgern, bei Fami-lien, wenn der private Rückzugsbereich, der Intimbe-reich verletzt wird.Jetzt kann jeder Bürger versuchen, sich selbst durchAlarmanlagen und anderes mehr zu schützen. Natürlichkönnen wir es uns auch einfach machen und sagen, esseien vor allem die Länder, die hier tätig werden müssen.Aber ich finde, diese Art der Kriminalität, die die Bürge-rinnen und Bürger vor allem ganz praktisch betrifft unddie auch ihren Blick auf den Staat und auf die Rechts-politik vielleicht mehr als vieles andere prägt, diese All-tagskriminalität dürfen wir nicht ausblenden, sondernwir müssen sie in den Blick nehmen.
Deswegen haben wir das miteinander in den Koalitions-vertrag geschrieben. Ich bin ganz gespannt, Herr Bun-desjustizminister, welche Vorschläge uns hierzu aus demMinisterium erreichen werden.
Wir sollten im Übrigen auch nicht vergessen, beson-ders diejenigen zu schützen, die versuchen, uns zu schüt-zen. Polizistinnen und Polizisten setzen Tag für Tag undNacht für Nacht ihr Leben und ihre körperliche Unver-sehrtheit für uns ein. Sie halten den Kopf hin, wenn esbrenzlig wird, und schützen uns alle. Bereits in der letz-ten Wahlperiode haben wir zu Recht dafür gesorgt, dassder Widerstand gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibe-amte strenger bestraft werden kann.
– Herr Ströbele, dass Sie das nicht interessiert, ist be-kannt. –
Aber die Entwicklung der Gewalt gegen Polizeibeamteist weiterhin alarmierend. Bei der Demonstration für denErhalt des Kulturzentrums Rote Flora in Hamburg wur-den Ende letzten Jahres mehr als 80 Polizisten verletzt.
– Waren Sie dabei?
Metadaten/Kopzeile:
2276 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Thomas Strobl
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Die Einsatzgruppe wurde mit Steinen, Flaschen undPyrotechnik beworfen.
– Wissen Sie, wir finden das nicht so lustig, und wir fin-den es auch nicht lustig, dass inzwischen selbst Ret-tungssanitäter attackiert werden. Das ist eine Verrohungder Gesellschaft. Das machen wir nicht mit.
Diese Verrohung der Gesellschaft ist inakzeptabel, auchdann, wenn Sie von der Linken das lustig finden.Im Vergleich zum Jahr 2011 wurden im Jahr 2012bundesweit insgesamt 5 451 Polizeivollzugsbeamte Op-fer von Straftaten. Jeden Tag des Jahres 2012 wurden15 Polizistinnen und Polizisten angegriffen. Auch hiergab es ein Plus von 10 Prozent. Das ist ein hohes Niveauder Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte,gegen Einsatzkräfte. Das ist für uns inakzeptabel. Wirwollen diejenigen besser schützen, die uns jeden Tagschützen.
Ein weiteres Thema, das mir am Herzen liegt, ist derbessere Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuel-ler Ausbeutung. Als Union haben wir nun ein eigenesEckpunktepapier erarbeitet. Jetzt werden wir gemeinsammit dem Bundesminister der Justiz ein richtiges und um-fassendes Opferschutzpaket auf den Weg bringen. Dasentsprechende Gesetz wird – das hat der Bundesjustiz-minister angekündigt – noch vor Ostern innerhalb derBundesregierung in die Ressortabstimmung gehen. Dasist ein gutes Zeichen für alle Opfer. Wir werden versu-chen, das Ganze noch vor der Sommerpause ins Bundes-gesetzblatt zu bringen.Es wird künftig keinen Handel mehr mit und keinenTausch mehr von Bildern von nackten Kindern geben. InDeutschland macht man in Zukunft mit Bildern vonnackten Kindern keine Geschäfte mehr. Das werden wirbeenden.
Wir werden auch die Verjährungsfristen bei sexuel-lem Missbrauch künftig erst ab dem 30. Lebensjahr be-ginnen lassen, weil wir aus vielen Gesprächen mit Op-fern wissen, dass diese über viele Jahre, ja Jahrzehntetraumatisiert sind, sich nicht offenbaren können. Demwollen wir mit dem Hinausschieben des Beginns derVerjährung Rechnung tragen.Wir schließen auch eklatante Strafbarkeitslücken. Esist doch für jedermann klar, dass zwischen einem Vertre-tungslehrer und einem Schüler oder einer Schülerin einÜber-/Unterordnungsverhältnis, auch ein Abhängig-keitsverhältnis besteht. Deswegen stellen wir solche se-xuellen Beziehungen richtigerweise und unbestrittener-weise unter Strafe.
– Dass das nur für einen Lehrer, aber nicht für einen Ver-tretungslehrer gelten soll, das kann vielleicht der Kol-lege Ströbele erklären. Wir können das nicht erklären.Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Ströbele, wollen wir aucheine solche Strafbarkeitslücke schließen,
um die Jugendlichen zu schützen.
Klar ist: Mehr Gesetze bedeuten nicht automatischmehr Gerechtigkeit. Der 2008 verstorbene Richter undRechtspolitiker Rudolf Wassermann hat gesagt – ich zi-tiere –:Der Schutz des Bürgers vor dem Staat war dasgroße Thema der 70er und 80er Jahre. Die 90erJahre werden von dem neuen großen Thema be-herrscht werden: dem Schutz der Bürger vor Ge-walt und Verbrechen.Ich finde, dieser zweite Satz gilt heute mehr denn je.Ich glaube, das ist die große rechtspolitische Herausfor-derung zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Vor diesem Hin-tergrund, Herr Bundesjustizminister, sollten wir auch dasUrteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdaten-speicherung interpretieren. Es geht uns um den Schutzder Bürger vor Gewalt und Verbrechen.
Der Europäische Gerichtshof hat uns heute die Vor-ratsdatenspeicherung nicht verboten. Luxemburg hat unsnicht zur Tatenlosigkeit verurteilt.
Es bleibt unsere Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürgervor Gewalt und Verbrechen zu schützen, und das wollenwir tun.
Danke fürs Zuhören.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der KollegeDr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Lassen Sie mich zuerst eine Vorbemerkung zumThema des Tages machen, zum EuGH-Urteil zur Vor-ratsdatenspeicherung. Herr Minister Maas, ich bin froh,dass ich einen Erkenntnisprozess bei Ihnen wahrnehmenkann. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs – Sie
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haben es selbst erwähnt – ist klar und eindeutig. Im Na-men meiner Fraktion fordere ich Sie auf: Handeln Sieebenso klar und eindeutig, und setzen Sie sich innerhalbder Bundesregierung dafür ein, dass die Vorratsdaten-speicherung dahin kommt, wohin sie gehört: in dieSchublade der Geschichte.
Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach derBewerbungsrede des Kollegen Strobl zurück zum Haus-halt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbrau-cherschutz kommen. Schon der Titel verrät es: Es gehthier um die Debatte eines durch die Große Koalition neuzugeschnittenen Ministeriums. Das ist eine Entschei-dung, die ich persönlich mit Spannung betrachte. Ichweiß, es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wo-hin der Verbraucherschutz gehören mag. Ich glaube, mankann aus dieser Kombination spannende Dinge machen.Aber ich will ganz ehrlich sagen: Die Umsetzung die-ser Entscheidung, die Konsequenz ist misslungen. Sie,Herr Maas, sind ein Minister, der im Verbraucherschutzzu geringe Zuständigkeiten hat und noch viel geringerefinanzielle Mittel hat, um diese zu geringen Zuständig-keiten auszufüllen. Sie sind quasi ein König ohne Reich,was den Verbraucherschutz betrifft, oder – so würde manim Parlament eher sagen – ein Verbraucherschutzminis-ter ohne Verbraucherschutzetat.Ich will das nur daran deutlich machen: Es reichtnicht, wenn nur ein Drittel der Mittel des Verbraucher-schutzes aus dem Etat des ehemaligen Bundesministe-riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-schutz ins Justizministerium wandert. Es reicht nichtaus, wenn Sie Politik im Prozentbereich betreiben. Ichwill dazu nur auf den Titel „Förderung von Innovationenim Bereich des Verbraucherschutzes“ zu sprechen kom-men. Er war vormals mit 35 Millionen Euro ausgestattet.Ganze 1,5 Millionen Euro sind in Ihren Bereich gewan-dert; das sind schlappe 4 Prozent. Ich erwarte von Ihnenmehr als Verbraucherschutzpolitik im Prozentbereich.
– Den Kolleginnen und Kollegen von der SPD rufe ichzu: Wir freuen uns auf die Haushaltsberatungen mit Ih-nen bzw. mit euch
und sind dankbar für Unterstützung, wenn es darumgeht, etwas zu verändern.
Zum Thema Marktwächter – Herr Maas, Sie haben esselbst erwähnt – muss ich sagen: Marktwächter habenwir Grüne schon lange gefordert. Eigentlich hätten wiruns freuen können, dass die Große Koalition sie in ihrenVertrag übernommen hat. Es ist wichtig, dass wir imSinne der Verbraucherinnen und Verbraucher Markt-wächter haben, was Finanzprodukte, digitale Welt undneue Geschäftsmodelle betrifft. Aber leider ist es bisher– zu dem Schluss kommt man, wenn man den Etatent-wurf für 2014 betrachtet – nur bei Ankündigungen ge-blieben. Die Marktwächter sind schlichtweg nicht etati-siert. Ich bin sehr gespannt, ob wir bis 2015 wartenmüssen
oder wie lange wir warten müssen, bis dieses Projektumgesetzt werden kann. Zumindest nach dem Entwurffür 2014, wenn man den ernst nimmt, müssten wir da-rauf noch warten.Ein anderer Punkt, auf den Sie eingegangen sind, istder Sachverständigenrat für Verbraucherschutz. Das istein Projekt, das man durchaus begrüßen kann. Aber esdarf bei einem Sachverständigenrat für Verbraucher-schutz nicht bei einer netten Kaffee- oder Teerunde blei-ben. Der Rat muss angemessen ausgestattet sein, erbraucht eine Geschäftsstelle und Mitarbeiter, wenn erwirklich wissenschaftliche Beratung leisten soll, wenn erwirklich Sachverstand versammeln soll, der dann auchder Politik zugutekommt.Auch hierzu muss man sagen: Es ist im Etatentwurfdazu nichts zu finden, und wir debattieren heute nun ein-mal über den Entwurf für 2014. Mehr als eine Ankündi-gung ist das bisher also nicht. Ich habe die Hoffnung,dass wir in den Haushaltsberatungen an der einen oderanderen Stelle noch Dinge verändern können, damit esnicht bei Ankündigungen bleibt.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt aufzählen – Siehaben das selbst erwähnt –: institutionelle Zuschüsse fürden Verbraucherzentrale Bundesverband und die Stif-tung Warentest. Es ist richtig, dass man sich Brüssel zu-wendet, aber das ist beileibe nicht genug, nachdem Sieim Koalitionsvertrag angekündigt haben, diese Mittel zuerhöhen und zu verstetigen. Man darf mit dem Etatent-wurf nicht hinter diesen Ankündigungen zurückbleiben.Der Kollege Claus von den Linken hat durchaus, sodenke ich, im Namen vieler hier herausgestellt, wo Jus-tizpolitik wirklich wichtig ist und dass sich Koalitionund Opposition einig sind, dass diese Bereiche angemes-sen ausgestattet sein müssen. Ich fordere Sie deshalbauf: Wenn Sie ein Ministerium der Justiz und für Ver-braucherschutz wollen, dann müssen Sie dies in IhremHaushalt nachvollziehen und dann dürfen Sie keine hal-ben Sachen machen. Bleiben Sie nicht nur bei Ankündi-gungen, sondern sorgen Sie auch dafür, dass die Pro-jekte, die Sie im Koalitionsvertrag beschreiben und dieSie heute hier angekündigt haben, Wirklichkeit werdenkönnen und angemessen ausgestattet sind.Wir Grüne werden dazu in den Haushaltsberatungenzahlreiche Vorschläge machen. Ich freue mich da überdie Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen, diedas ähnlich sehen.Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion erteile ich jetzt das Wort
dem Kollegen Dr. Hendrik Hoppenstedt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Beim Etat des Bundesministeriums der Justiz und fürVerbraucherschutz handelt es sich – das wurde schon ge-sagt – um den kleinsten Etat aller Bundesministerien.Das ist auch nicht weiter überraschend; denn Aufgabeder Rechtspolitik und damit auch Aufgabe des BMJV istes, die grundlegenden Regeln für unser gesellschaftli-ches Zusammenleben in Gesetzentwürfe zu gießen.Mich freut es deshalb ganz besonders, dass dieRechtspolitik wieder stärker in den Fokus des öffentli-chen Interesses gerückt ist. Das liegt sicherlich auch da-ran, dass wir im Koalitionsvertrag wichtige Themen auf-gegriffen haben. In der Großen Koalition haben wir indieser Wahlperiode schon einiges auf den Weg gebracht;auch das klang schon an. Die Stichworte sind: Beste-chung von Mandatsträgern, Sukzessivadoptionen, Re-form des Insolvenzrechtes und sehr bald auch die Vor-ratsdatenspeicherung.
Weil Herr Maas heute in seiner Rede schon ein erheb-liches Maß an Aufmerksamkeit genossen hat, möchteich an dieser Stelle auch einmal Herrn StaatssekretärLange erwähnen und ihm sehr herzlich für die gute undvertrauensvolle Zusammenarbeit der letzten Monatedanken,
nicht nur im Ausschuss für Recht und Verbraucher-schutz, sondern auch ganz besonders im UnterausschussEuroparecht.Bei so viel Positivem gestatten Sie mir zwei kritischeBemerkungen:Erste Bemerkung. Auch wir laufen in der an sich sehrsachgeprägten Rechtspolitik gelegentlich Gefahr, in Ak-tionismus zu verfallen. Das betrifft nach meinem Dafür-halten insbesondere die viel diskutierte Mietpreisbremse.Die Mietpreisbremse allein löst das Problem zu wenigerWohnungen nicht.
Der Wohnungsbau muss angekurbelt werden.
Wir wollen, dass Wohnraum insbesondere in Städten mitangespannten Wohnungsmärkten bezahlbar bleibt.
Ich glaube, das ist Konsens in diesem Hohen Hause.Deshalb bekommen die Länder das Instrument der Miet-preisbremse an die Hand. Die Mietpreisbremse ist fürGebiete mit nachgewiesenermaßen angespannten Woh-nungsmärkten gedacht. Hier sollen die Mieterhöhungenbei Wiedervermietung auf maximal 10 Prozent über derortsüblichen Vergleichsmiete begrenzt werden können.Teilweise wird der Eindruck erweckt, dass die Miet-preisbremse alle Probleme des Wohnungsmarktes löst,wenn sie nur flächendeckend genug eingesetzt wird. Tat-sache ist aber, dass die Mietpreisbremse überhaupt keineProbleme löst, sondern bestenfalls Symptome lindert.
Sollten wir es in den nächsten fünf Jahren nicht schaffen,zu mehr Wohnraum zu gelangen, dann ist die Mietpreis-bremse vor allen Dingen eines: ein Instrument, das ge-eignet ist, Politikverdrossenheit zu schüren, weil diePolitik den Eindruck erweckt, Probleme zu lösen, die aufdiese Art und Weise überhaupt nicht gelöst werden kön-nen.Mit der Erhöhung der Mittel für Städtebauförderung,die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, wird derBund deshalb seinen Beitrag leisten, um der Wohnungs-knappheit zu begegnen. Auch die Länder, insbesondereaber die Kommunen stehen hier in der Pflicht. DurchBauleitplanungen oder auch durch die kommunalenWohnungsbaugesellschaften werden überhaupt erst dieRahmenbedingungen gesetzt, um mehr Wohnungen zuschaffen.Weil die Mietpreisbremse eben nur Symptome lindertund zudem einen schweren Eingriff in die Eigentums-rechte von Vermieterinnen und Vermietern darstellt,möchten wir von Unionsseite sie vorsichtig und restrik-tiv einsetzen. Wir möchten sie zeitlich auf fünf Jahre be-grenzen. Wir möchten sie auf diejenigen Gebiete begren-zen, in denen die Wohnungsknappheit nachweislichbesonders hoch ist. Außerdem müssen die Länder paral-lel dazu Maßnahmenpläne erarbeiten, die beinhalten müs-sen, wie die Wohnungsknappheit innerhalb der nächstenfünf Jahre bekämpft werden soll. Und schließlich mussauch zwingend über die Erstellung von Mietspiegeln ge-redet werden; denn sie sind erforderlich, um ein realisti-sches Bild der Miethöhen in den jeweiligen Quartierenzu bekommen.
Meine Damen und Herren, meine zweite kritische Be-merkung zielt ab auf die Prioritäten, die wir manchmalin der Rechtspolitik setzen. Was ich damit meine,möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen: HerrMinister Maas, Sie haben eine Debatte über die Straftat-bestände Mord und Totschlag – §§ 211 und 212 StGB –angestoßen, mit dem richtigen Hinweis, diese stammtennoch aus der NS-Zeit. Damit wir uns nicht missverste-hen: Wir als Union werden selbstverständlich an diesemThema mitarbeiten und gegebenenfalls zu Verbesserun-
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gen gelangen. Da diese Paragrafen aber schon seit vielenJahrzehnten in der Praxis existieren, ist im Umkehr-schluss die Vermutung naheliegend, dass dieses Gesetzim Großen und Ganzen halbwegs funktioniert.Gleichzeitig höre ich aus Ihrem Hause, dass die Ein-führung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Angehö-rigenschmerzensgeldes noch mindestens zwei Jahre aufsich warten lassen wird. Meine Damen und Herren, wirgehören zu den letzten Ländern Europas, derenRechtsordnung ein Angehörigenschmerzensgeld nichtkennt. Wir wissen, dass Eltern, die beispielsweise ihrKind bei einem Verkehrsunfall durch das Verschuldeneines Dritten verlieren, über diesen furchtbaren Ver-lust wahrscheinlich wohl nie wieder in ihrem Lebenhinwegkommen. Wir wissen auch, dass ein Angehöri-genschmerzensgeld dieses Kind nicht zurückholt. Aberich denke, es ist wichtig, dass wir diesen Eltern als Zei-chen der Solidarität einen solchen Anspruch zugestehen.
Deswegen werden wir als Union sehr bald Vorschlägeunterbreiten, wie ein Anspruch von Angehörigen aufSchmerzensgeld im BGB verortet und geregelt werdenkann.Ein zweites Beispiel möchte ich nennen. In vielen Re-den von Vertretern fast aller Fraktionen in diesem Hausewird immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig derMittelstand für unsere deutsche Wirtschaft im Allgemei-nen und für die Schaffung von Arbeitsplätzen im Beson-deren sei. Dies gilt in erster Linie für das Handwerk. Wirhaben deshalb im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dassHandwerker nicht pauschal auf den Folgekosten vonProduktmängeln sitzen bleiben sollen, die ein Lieferantoder Hersteller zu verantworten hat. Kauft ein Handwer-ker, ohne dies zu wissen, mangelhaftes Material, das erbei seinem Kunden einbaut, zum Beispiel Parkettstäbe,hat der Kunde einen Nachbesserungsanspruch. DerHandwerker muss die fehlerhaften Parkettstäbe auf seineKosten ausbauen und fehlerfreie wieder einbauen. DerHandwerker seinerseits hat gegen seinen Verkäufer abernur einen Anspruch auf Lieferung mangelfreier Parkett-stäbe. Den wegen der hohen Lohnkosten zumeist vielteureren Ausbau und den anschließenden Einbau muss eraber selber bezahlen. Der Handwerker muss also zwei-mal arbeiten, bekommt aber nur einmal sein Geld.Diese Rechtsprechung hat der BGH erst in der letztenWoche bestätigt. Wir halten das für ungerecht, und des-halb wollen wir lieber das Gewährleistungsrecht schnelländern, als rechtsdogmatische Debatten über das Ver-hältnis der Mord- und Totschlagparagrafen zu führen.Die praktische Relevanz des Gewährleistungsrechts istmeines Erachtens viel höher.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss eine persönliche Anmerkung machen. Bis vorwenigen Monaten war ich Bürgermeister der Stadt Burg-wedel – das liegt in Niedersachsen –, einer der schönstenStädte, wie ich finde, die wir in Deutschland haben.
– Das war klar.
– Es freut mich zu hören, Frau Künast, dass Sie auchüber dieses Maß an Bildung verfügen.
Mich hat an der Kommunalpolitik immer die Tatsa-che begeistert, dass man parteiübergreifend für das Wohleiner Stadt arbeiten kann. Der Grundtenor in der Kom-munalpolitik ist immer sachorientiert. Deswegen bin ichsehr dankbar und froh, dass ich jetzt im Rechtsausschussmitarbeiten darf. Auch dort ist der Ton im Großen undGanzen sachorientiert.Deswegen möchte ich an dieser Stelle allen Kollegen,nicht nur jenen meiner eigenen Fraktion und des Koali-tionspartners, sondern auch jenen der Oppositionsfrak-tionen ein herzliches Dankeschön für die gute Zusam-menarbeit sagen, verbunden mit der Freude auf eineweiterhin gute Zusammenarbeit.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerk-samkeit.
Herr Kollege Hoppenstedt, ich gratuliere Ihnen zu Ih-
rer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche
Ihnen viele weitere Debattenbeiträge im deutschen Par-
lament.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-
gin Caren Lay, die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es könnte Ih-nen vielleicht entgangen sein, dass heute eigentlich derHaushaltsplan auf der Tagesordnung steht. Es wurde vielüber ideelle Werte, über angekündigte Gesetze und überWünsche gesprochen.
Nur wenige Redner haben bisher über den Haushalt ge-sprochen. Ich kann mich meinem Vorredner von denGrünen, Herrn Lindner, anschließen: Darüber sollten wiran dieser Stelle wirklich sprechen. Es mag in der Rechts-politik nicht entscheidend sein; aber für die Verbraucher-politik gilt in der Tat, dass es nicht völlig egal ist, wieviel Geld im Haushalt steht.
Schauen wir doch mal in diesen Haushalt hinein. Fürden Bereich „Wirtschaftlicher Verbraucherschutz“ stehen
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gerade einmal 26 Millionen Euro zur Verfügung. Dashört sich jetzt vielleicht für die Zuhörerinnen und Zuhö-rer nach viel Geld an. Aber ziehen wir doch einmal einenVergleich mit anderen Ministerien: 26 Millionen Eurofür den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucherauf den Märkten stehen 7,4 Milliarden Euro für denBundeswirtschaftsminister gegenüber. Allein 270 Mil-lionen Euro, also mehr als zehnmal so viel, wie wir hierzu verteilen haben, stehen für die Förderung der deut-schen Wirtschaft im Ausland zur Verfügung. Das magalles gut und schön sein. Fakt ist aber: Für wirtschaftli-chen Verbraucherschutz gibt es zu wenig Geld. Die ge-nannten Haushaltsposten stehen wirklich in keinem Ver-hältnis zueinander.
– Ich höre hier gerade einen wirklich unseriösen Zwi-schenruf aus den Reihen der CDU/CSU.
Das muss mich nicht wundern. Aber ich denke, ich kannes ganz gut beurteilen. Ich arbeite schon seit vielen Jah-ren im Bereich der Verbraucherpolitik. Sie sind mir danoch nicht untergekommen.
Aber das muss einer zukünftigen Zusammenarbeit nichtim Wege stehen.Ich kann nur sagen, dass es mich wundert, dass derBundeslandwirtschaftsminister viermal so viel Geld fürdie Verbraucherpolitik zur Verfügung hat wie der Ver-braucherminister.
Hier – das muss ich sagen – ist nicht gut verhandelt wor-den; auch hier muss deutlich nachgebessert werden.
Das Schlimmste ist – auch hier kann ich an HerrnLindner von den Grünen anknüpfen –: Ich sehe über-haupt keine Umsetzung des Koalitionsvertrages. Ichmuss ganz ehrlich sagen: Dinge, die Sie, Herr Maas, hierangekündigt haben und die wir zum Teil unterstützen,beispielsweise die Einführung eines Marktwächters „Fi-nanzmarkt“ und eines Marktwächters „Digitale Welt“,sehe ich bisher nur auf Ihrer Wunschliste, Herr Minister,nicht aber im vorliegenden Haushaltsentwurf. Das musssich ändern.
Es wäre höchste Zeit, beispielsweise einen Finanz-marktwächter einzuführen oder, wie wir Linke es schonseit vielen Jahren fordern, endlich dafür zu sorgen, dasses mehr unabhängige Finanzberatung und Schuldnerbe-ratung gibt. Es bleibt dabei: Wenn jeder Haushalt eineunabhängige Finanzberatung in Anspruch nehmenwollte, dann müsste man ungefähr 30 Jahre auf dennächsten Termin bei der Verbraucherzentrale warten. Vordem Hintergrund, dass Verbraucherinnen und Verbrau-cher über 50 Milliarden Euro im Jahr aufgrund falscherFinanzberatung verlieren – das sind die konservativenSchätzungen –, müssen wir hier dringend nachbessern.
Meine Damen und Herren, die Grundpfeiler der deut-schen Verbraucherpolitik, Stiftung Warentest und vzbv,erhalten im Rahmen der institutionellen Förderung nichtmehr Geld. Nun kennen wir die Inflationsrate und denTarifabschluss im öffentlichen Dienst. Dann muss manso ehrlich sein, festzustellen: Wenn die Summe gleichbleibt, dann ist dies faktisch eine Kürzung. Das könnenwir so nicht akzeptieren.
Auch ich will es mir natürlich nicht entgehen lassen,noch zu Themen zu sprechen, die nicht unmittelbarhaushaltsrelevant sind, aber zu den großen verbraucher-politischen Themen gehören, über die wir sprechen soll-ten.Die Mietpreisbremse ist schon angesprochen worden.Da sind wir als Linke in einer absurden Situation: Wirmüssen als Oppositionsfraktion die Idee der Mietpreis-bremse gegen einen der Koalitionspartner verteidigen.Wir haben schon gehört, dass hier von „Aktionismus“gesprochen wurde, dass immer wieder darauf hingewie-sen wurde, dass die Mietpreisbremse die Gefahr birgt,dass Vermieterinnen und Vermieter – so darf ich es über-setzen – nicht mehr eine so hohe Rendite machen kön-nen.Wir von der Linken sind prinzipiell für eine Miet-preisbremse, aber wir sagen: Das, was bisher vorgelegtwurde, muss wirklich kein Vermieter fürchten. Erstenssoll es nur dann gelten, wenn die Länder bereit sind, esumzusetzen. Wir hören in der Debatte heraus, dass dieCDU/CSU alles daransetzen wird, es auszusetzen bzw.nicht umzusetzen. Das heißt übersetzt: In München, inBamberg, in Frankfurt am Main oder auch in Dresden,also in Städten, die in den letzten Jahren enorme Miet-preissteigerungen erleben mussten, wird die Mietpreis-bremse überhaupt nicht wirken. Insofern muss ich sagen:Das ist eine Mietpreisbremse, die ihren Namen nichtverdient hat.
Bei Wiedervermietung einer Wohnung soll eineMiete, die 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichs-miete liegt, weiterhin erlaubt sein. Wenn beispielsweisehier in Berlin-Mitte ein alter Mietvertrag gekündigt wirdund an einen Nachmieter vermietet wird, dann ist zu-nächst einmal die ortsübliche Vergleichsmiete der Maß-stab. Das kann locker doppelt so viel sein. Dann darfman noch 10 Prozent drauflegen. Der geltende Miet-preisspiegel wird als Grundlage herangezogen. Aber derMechanismus des Mietspiegels ist völlig falsch. So, wieer bisher berechnet wird, ist er ein Mieterhöhungsspie-gel. Die Mietpreisbremse ist bestenfalls ein Tempomat.Den Namen „Bremse“ hat sie definitiv nicht verdient.
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Zum Schluss möchte ich ein Thema ansprechen, dasheute noch keine Rolle gespielt hat; der Minister hat esoffensichtlich gar nicht auf dem Plan, was ich sehrschade finde. Ihr Kabinettskollege und Parteivorsitzen-der, Sigmar Gabriel, hat heute die Eckpunkte für dieÖkostromreform vorgelegt. Er ist fast wöchentlich nachBrüssel gereist und hat sich mit seinem gesamten Ge-wicht für die Interessen der deutschen Großindustrie ein-gesetzt. Schön und gut, aber die Verbraucherinnen undVerbraucher sind am Ende die Gelackmeierten.Es bleibt dabei: Die Stromkundinnen und Stromkun-den werden weiterhin den Strom für die deutsche Groß-industrie mitbezahlen. Wir als Linke können das nichtakzeptieren. Es wäre gut gewesen, wenn der Minister fürVerbraucherschutz wenigstens einmal das Wort im Inte-resse der Verbraucherinnen und Verbraucher ergriffenhätte.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Burkhard
Lischka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mietpreis-bremse, Maklerrecht, Frauenquote in Aufsichtsräten,Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung, Sukzessiv-adoption für homosexuelle Paare, Anti-Doping-Gesetz,Verbraucherrechte – wer die ersten gut 100 Tage dieserGroßen Koalition Revue passieren lässt, der wird fest-stellen: Es tut sich endlich wieder etwas in der Rechts-und Verbraucherpolitik. Politik wird wieder gestaltet.Die drängendsten Probleme werden angepackt. Das istauch gut so. Man kann sagen: Stillstand ist wahrlichnicht das Markenzeichen dieser Bundesregierung.
Beispiel Mietpreisbremse. Wehe dem, der im Augen-blick hier in Berlin, in Hamburg oder in München eineWohnung sucht. Steht der Umzugswagen erst einmal vorder Tür, sind Mietpreisexplosionen von 20, 30 oder so-gar 40 Prozent vorprogrammiert. In vielen Innenstadtla-gen wird es für ganz normale Menschen mit ganz norma-len Einkommen immer schwieriger, eine bezahlbareWohnung zu finden. Herr Kollege Hoppenstedt, ichfinde, darauf musste die Politik endlich reagieren.
Allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zuvertrauen, hieße doch, die Augen vor der Realität zu ver-schließen. Wir, Union und SPD, wollen gemeinsam, dassunsere Städte auch in Zukunft Heimat für Millionen vonNormalverdienern bleiben. Dem Polizisten, der Kran-kenschwester, der Erzieherin, dem Rentner, der jungenFamilie muss es auch in Zukunft möglich sein, in Stutt-gart, Frankfurt, Düsseldorf oder Köln zu wohnen, unddeshalb werden wir Mieterhöhungen deckeln. Davonwerden Hunderttausende Normalverdiener profitieren.Die Reichen in die City und die Normalverdiener in dieAußenbezirke – das kann nicht die Zukunft unsererStädte sein.
Wir werden – das ist in der heutigen Debatte nochnicht angesprochen worden, das wundert mich – mit ei-ner weiteren Unsitte Schluss machen. Wer bisher in einerlangen Schlange stand und auf die Besichtigung einerfreigewordenen Mietwohnung wartete, der hat dort vorallen Dingen eine Berufsgruppe kennengelernt, nämlichdie des Maklers. Bei dem musste der Wohnungssu-chende zwar nur seinen Namen und seinen Gehaltszettelabgeben – das war es dann schon mit dem Makler –, da-für war hinterher die Rechnung, die man bekommen hat,wenn man das Glück hatte, die Wohnung zu bekommen,umso heftiger: 1 000 Euro, 2 000 Euro sind hier der re-gelmäßige Standard.Wofür eigentlich? Dafür, dass man über zwei Stundenim Hausflur gestanden und auf den Besichtigungstermingewartet hat? Warum muss eigentlich ausgerechnet der-jenige den Makler bezahlen, der ihn gar nicht beauftragthat? Mit dieser Absurdität, die es seit Jahren und Jahr-zehnten gibt, machen wir jetzt Schluss. Wer als Vermie-ter künftig einen Makler beauftragt, der muss ihn auchbezahlen. Auch das kommt Hunderttausenden Mieterin-nen und Mietern in unserem Land zugute.
Wir sorgen auch endlich für Bewegung beim Thema„Frauenquote in Aufsichtsräten“. Es war ein langer Weghin zu einer gesetzlichen Frauenquote. Jetzt wird siekommen. Viel zu viele Konzernspitzen hier in Deutsch-land sind nach wie vor Männerrunden mit verkrustetenStrukturen. Daran haben alle Selbstverpflichtungserklä-rungen der letzten zwölf Jahre überhaupt nichts geän-dert. Offensichtlich gibt kein Mann freiwillig etwas ab.
Deswegen werden wir mit einer gesetzlichen Frauen-quote endlich ein Stück weit die Chancengleichheit her-stellen, die sich von allein eben nicht einstellen würde.
Ein beliebtes Argument von so manchem Mann gegendie Frauenquote in den vergangenen Jahren war beson-ders dumm. Es lautete in etwa so: Eine Frau in einerFührungsposition könne sich doch gar nicht wohlfühlen,wenn sie diese Position nur wegen der Quote bekommenhabe. Diesen Schlipsträgern sagen wir jetzt sehr deut-lich: Es war in der Vergangenheit viel schlimmer. Da hatso manche männliche Niete in Nadelstreifen wegen ir-gendwelcher Männernetzwerke eine Position bekom-men. Künftig werden Topfrauen mit der Rückendeckungdes Gesetzgebers endlich die faire Chance erhalten, Top-positionen in ihrem Unternehmen zu bekommen.
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Burkhard Lischka
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Ich finde, in Zukunft muss keine Frau in einem Unter-nehmen ein schlechtes Gewissen haben. Nicht die gutqualifizierten Frauen in unserem Land, sondern mancherdumm daherredende Mann hat eine Quote bitter nötig.Schließlich werden wir auch bei der Verbraucherpoli-tik neue Maßstäbe setzen. Damit, dass beispielsweise so-genannte Finanzberater skrupellos selbst 84-Jährigenwindige Schiffsbeteiligungen als sichere Altersvorsorgeandrehen, nur um sich eine fette Provision einzustrei-chen, werden wir Schluss machen.
Für uns ist Verbraucherschutz weit mehr als nur Kri-senbewältigung bei irgendwelchen Lebensmittelskanda-len und Anlagebetrügereien. Wir wollen, dass sich mün-dige Verbraucher mit der Wirtschaft auf Augenhöhebegegnen können. Auch diesbezüglich haben wir vielesvor – das ist schon angesprochen worden –: Marktwäch-ter in der digitalen Welt und auf den Finanzmärkten,Einrichtung eines Sachverständigenrates und vieles an-dere mehr.Diese Regierung hat in der Verbraucher- und Rechts-politik noch viel vor. Daran werden wir auch in denkommenden gut drei Jahren hart arbeiten.Danke schön.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst aufdie EuGH-Entscheidung von heute eingehen.
Der EuGH hat heute quasi eine Zeitenwende eingeleitet.Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wiesich die Rechtspolitik in den letzten Jahrzehnten in denBereichen Datenschutz und Grundrechte entwickelt hat– das ist schon beeindruckend –: Vor Jahrzehnten hat dasBundesverfassungsgericht gesagt: Es gibt ein Grund-recht auf informationelle Selbstbestimmung. Viele Jahrespäter hat es in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherungkritisch entschieden. Heute hat der Europäische Ge-richtshof glasklar entschieden – und weg ist die Richt-linie. Herr de Maizière hat vor einigen Stunden hiergesagt, lieber wäre ihm gewesen, der EuGH hätte bean-standet und man hätte zwei Jahre Zeit bekommen, dieRichtlinie zu überarbeiten. Ich sage Ihnen ganz ehrlich:Wir sind froh darüber, dass sie sogar rückwirkend für un-gültig erklärt wurde. Das ist wirklich ein Meilenstein.
Das wird mehr bringen, als zwei Jahre an diesem Teilherumzufummeln.Ich möchte aus der Entscheidung zitieren. Es wird ge-sagt, dass das Eingriffe „von großem Ausmaß und be-sonderer Schwere in die Grundrechte“ sind, und zwargegen alle und bei jeder Kommunikationsform. Das Ge-richt hat kritisiert, dass es keine Differenzierung gibt,sondern eine große Streubreite. Es hat kritisiert, dassohne Anlass gespeichert wird, egal ob eine schwereStraftat vorliegt oder gar keine. Es hat kritisiert, dass eskeine Beschränkung auf das absolut Notwendige gibt.Deshalb lautet das Ergebnis – das ist Fakt –: Die Zeiten-wende beginnt mit dieser Entscheidung heute, weil jetztklar ist, dass die Sicherheit definitiv nicht jedes anlass-lose Eingreifen in unsere Grund- und Menschenrechterechtfertigt.
Ich will an dieser Stelle durchaus auch Folgendes sa-gen: Herr Maas, es ist wohltuend, wie Sie sich in der De-batte verhalten haben, klar und auch mal abwartend, wasdas Gericht uns aufgibt. Ich finde es auch wohltuend,wie Sie sich heute äußern.
Ich muss allerdings anfügen, dass die Bundesdaten-schutzbeauftragte, wie ich gerade gelesen habe, sagt:Einmal abwarten, ob der europäische Gesetzgeber eineneue Richtlinie macht oder nicht, und dann schauen wirweiter. – Das löst bei mir die Frage aus: Wozu brauchenwir eigentlich eine Bundesdatenschutzbeauftragte? Indieser Hinsicht ist es ein Tag zum Zweifeln.Jetzt habe ich genug gelobt. Herr Maas, Sie und auchHerr Lischka haben gerade gesagt: Die Rechtspolitikund die Verbraucherpolitik haben einen neuen, einen ho-hen Stellenwert. Alles ist ganz toll. – Ich muss ehrlichsagen: Auch hier finde ich wieder nur jede Menge An-kündigungen. Bei der Rede von Herrn Lischka hatte ichschon das Gefühl, dass er, wenn er hier nur wiederholt,was in 100 Tagen angekündigt wurde, schon Lob fürgroße politische Errungenschaften bekommt. So dummsind wir nicht, Herr Lischka. Wir können sehr wohl zwi-schen Ankündigungen und einem Gesetz im Bundesge-setzblatt unterscheiden.
Schauen wir uns einmal an, was alles angekündigtwurde: Frauenquote, Mietpreisbremse, Adoptionsrecht,Anlegerschutz, Kinderschutz im Strafrecht, Antidoping-gesetz, Modernisierung des Mordparagrafen, Verbesse-rung des Datenschutzes, No-Spy-Abkommen, Einrich-tung eines Sachverständigenrats für Verbraucherfragenund Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernissedes digitalen Zeitalters. Meine Redezeit reicht nicht aus,jetzt bei jedem dieser Punkte zu schauen, was von denAnkündigungen umgesetzt wurde.
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Renate Künast
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Nehmen wir als ein Beispiel das Adoptionsrecht. Diesist einer der Punkte, für den Sie sich hier loben. Sie lo-ben sich für etwas, was durch das Bundesverfassungsge-richt ab 30. Juni dieses Jahres zwingend vorgeschriebenist. Sie haben es immerhin geschafft, eine Vorlage zumachen, die null Gestaltungsspielraum bietet. Sie schrei-ben nur das Allernötigste, was das Gericht vorschreibt,ins Gesetz. Dafür sollen wir Ihnen noch Applaus geben?Nein, das können Sie nicht von uns erwarten. Ich kannallenfalls sagen: Applaus für die Bürger, die Betroffe-nen, die dafür gekämpft haben, dass es eines Tages dieseGerichtsentscheidung gibt, die dieses Parlament zumHandeln zwingt.
Ein weiteres Beispiel ist die Mietpreisbremse. Eswurde groß gelobt, was jetzt alles passieren wird. Ichmuss Sie einmal bitten: Noch ist dieser Gesetzentwurfnicht verabschiedet. Das Erste, was ich gehört habe, alsdieser Gesetzentwurf vorgestellt wurde, war Kritik vonHerrn Luczak, der als Zuständiger der CDU/CSU-Frak-tion sagte: So haben wir uns das nicht gedacht. Dadurchweiß ich zumindest, dass dieser Entwurf in der aktuellenFassung offensichtlich nicht in oder durch den Deut-schen Bundestag kommt.
Angesichts all der Lorbeerkränze, die sich manche hierschon selber aufsetzen, muss ich sagen: Wissen Sie, bisIhr Gesetzentwurf verabschiedet ist, sind die Mieten si-cherheitshalber zwei- bis dreimal erhöht worden, wasauch zu einer Erhöhung des Mietspiegels führt.
Ich habe noch eine Frage: Warum gehen Sie nichtgleich die Modernisierungsumlage mit an und machendazu einen Vorschlag? Denn die Modernisierungsum-lage – 11 Prozent der Modernisierungsaufwendungenkönnen auf die Miete umgelegt werden – und die Maß-nahmen, die man dulden muss, bedeuten eine große Be-lastung für die Mieterinnen und Mieter. Sie sind alsonoch gar nicht richtig losgesprungen, wieso sollen wirdann applaudieren?
Ich komme zur Frauenquote. Wenn Ekin Deligöz jetzthier wäre, würde sie seufzen. Die Frauenquote war janicht gerade das Lieblingsthema der SPD-Fraktion in derletzten Legislaturperiode.
– Das kann man so nicht sagen. Einige schauen dabeiweg. – Man musste Sie zum Jagen tragen.
Ich glaube, Dagmar Ziegler weiß, wie schwer es war.Man soll ja klüger werden, weiterkommen und positivdenken. Aber statt der eigentlich 3 300 Betriebe, auf dieman dabei setzen müsste, sind von der von Ihnen geplan-ten Quote ungefähr 100 Betriebe betroffen.Ich könnte noch weitermachen. Wo ist eine Vorlagezum Kundendatenschutz? Wo sagen Sie etwas zu den18 Millionen gestohlenen Passwörtern? Wo sagen Sie et-was zum Urteil des BGH zur Schufa und ändern dasBundesdatenschutzgesetz? Wo ist das Geld für die Ein-richtung einer Geschäftsstelle für den Sachverständigen-rat? Zu all diesen Dingen findet man am Ende gar nichts.Ein weiteres Beispiel. Ende April jährt sich der Tag, andem das Rana Plaza in Bangladesch, in dem sich mehrereTextilfabriken befanden, zusammenbrach und regelrechtzertrümmert wurde. Dabei starben 1 200 Menschen. Woist jetzt eine Initiative von Ihnen? Herr Müller, Ihr Kol-lege, erklärt uns gerade, dass er einen Runden Tisch fürdie deutsche Textilindustrie einsetzen wird. Ich rufeHerrn Müller zu: Es gibt eine internationale, eine globaleTextilindustrie. Also lassen Sie uns dafür Maßnahmenergreifen. Was hat eigentlich der Bundesverbrauchermi-nister zum Beispiel zu einer möglichen Transparenz-richtlinie für die Textilindustrie auf europäischer Ebenegesagt?Herr Maas, Sie haben sich bei der Vorratsdatenspei-cherung klug verhalten. Trotz alledem sage ich Ihnen:Minister werden nicht an Interviews gemessen, sondernan Taten.
Für die CDU/CSU erteile ich jetzt dem Kollegen
Sebastian Steineke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsprechen heute – das ist bereits mehrfach angeklungen –über den Einzelplan mit dem niedrigsten Volumen. Esgeht in der Debatte deswegen in erster Linie um die In-halte. Diesen sollten wir uns auch widmen. Einigerechtspolitische Aspekte möchte ich näher betrachten.Kollege Lischka hat angesprochen, was wir auf denWeg gebracht haben. Es gibt Referentenentwürfe, und esgibt Vorlagen, die wir zum Teil sogar schon in erster Le-sung behandelt haben. Von bloßen Ankündigungen kannalso keine Rede sein. Wir haben in den ersten 100 Tagenextrem viele Vorhaben auf den Weg gebracht.
Ein besonderes Thema möchte ich ansprechen. Mitder Neuregelung des Straftatbestandes der Abgeordne-tenbestechung haben wir schon im Februar dieses Jahreseines der größten Streitthemen der letzten zwei, drei Le-gislaturperioden abgeräumt.
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Sebastian Steineke
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Nach langen Diskussionen, vielen Debatten und einerMenge Anhörungen, die es dazu gegeben hat,
konnten wir eine ausgewogene Regelung finden,
die sowohl der Korruptionsbekämpfung als auch der Si-cherung des freien Abgeordnetenmandats Rechnungträgt. Es haben alle Fraktionen im Bundestag zuge-stimmt, Herr Ströbele; auch das sollte man erwähnen.
Wir Abgeordnete werden gewählt, um die Interessender Bürger und Bürgerinnen zu vertreten. Wir sind imbesten Sinne des Wortes Interessenvertreter. Das darfnicht zum Risiko für die Mandatsausübung werden. Unswar daher wichtig, dass das vom Grundgesetz geschütztefreie Mandat, aber vor allen Dingen auch die TätigkeitZehntausender ehrenamtlich tätiger Kommunalvertreter– auch sie sind uns wichtig – durch diese Neuregelungnicht beeinträchtigt werden. Hierbei galt es zu bedenken,dass ein Ermittlungsverfahren für jeden Bürger eine Be-lastung ist, dass es für einen Politiker aber in der Regeldas Ende der Laufbahn bedeutet.In den kommenden Monaten wird der Bundestag diebisher geltenden Verhaltensregeln überarbeiten müssen.Wir sind uns einig, dass wir klare, transparente Regelnbrauchen, dass diese aber auch praxisgerecht und um-setzbar sein müssen. In diesem Zusammenhang gehörtsicherlich auch das Immunitätsrecht auf den Prüfstand.Es erfüllt schon lange nicht mehr den Zweck, für den esursprünglich gedacht war.
Es schützt den Abgeordneten nicht,
sondern führt vielfach zu Vorverurteilungen und schadetdaher viel mehr.
Wir haben uns in der Koalition für die nächsten drei-einhalb Jahre auch im Bereich des Zivilrechts Ziele ge-setzt. Die Justiz soll bürgernäher und effizienter werden;wir wollen eine moderne Justiz. Dazu sollen die Länderunter anderem die Möglichkeit erhalten, spezialisierteSpruchkörper einzurichten, beispielsweise für Baupro-zesse; so wollen wir das Fachwissen in Bezug auf diesekomplexe Materie erhöhen. Zu einer modernen Justizgehört insbesondere die Fortentwicklung des elektroni-schen Rechtsverkehrs. Dies darf aber kein reiner Selbst-zweck sein, sondern muss den Bürgerinnen und Bürgerneinen echten Mehrwert bieten.Der Anteil der Internetnutzer in Deutschland liegt ak-tuell bei 76, 77 Prozent. Für die allermeisten Menschensind E-Mail- und Internetnutzung eine absolute Selbst-verständlichkeit. Die Kommunikation zwischen Anwäl-ten und Justiz erfolgt trotzdem fast ausschließlich in Pa-pierform. Bereits in der letzten Legislaturperiode wurdedeswegen das Gesetz zur Förderung des elektronischenRechtsverkehrs mit den Gerichten verabschiedet. Mitden entsprechenden Neuregelungen in Zivilprozessord-nung und Verfahrensordnung sollen die elektronischenZugangswege zur Justiz in den nächsten Jahren verbes-sert werden.Mit der Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrsbietet sich der Justiz die Chance auf eine zeitgemäße undunkomplizierte Kommunikation mit Bürgern, Anwältenund Unternehmen.
Die Anwaltschaft ist hier, vertreten durch die Bundes-rechtsanwaltskammer, in Vorleistung gegangen, sowohlfinanziell als auch organisatorisch; das wissen Sie. Be-reits ab Anfang 2016 stehen allen Rechtsanwälten inDeutschland elektronische Anwaltspostfächer zur Verfü-gung. Um auch wirklich Synergieeffekte erzielen zukönnen, ist es wichtig, dass mittelfristig auch die Ge-richte verpflichtet werden, Schriftstücke elektronisch zu-zustellen, und dass die elektronische Akte in deutschenGerichten zum Alltag wird, um Medienbrüche sinnvollzu verhindern.Es stellen sich dabei aber auch im Prozessrecht einigeFragen, die beantwortet werden müssen: Wie ist zumBeispiel mit dem Risiko von Fehlern und Ausfällen beielektronischer Kommunikation umzugehen? Kann mandies tatsächlich ausschließlich dem Wiedereinsetzungs-recht überantworten? Ich denke, nicht. Darüber müssenwir sicherlich noch nachdenken.Wir stehen jedoch hinsichtlich der dafür notwendigenAusstattung zweifellos vor einer enormen finanziellenHerausforderung; das gilt sowohl für die Länderhaus-halte als auch für den Bundeshaushalt. Der elektronischeRechtsverkehr ist ein Modernisierungs- und kein Spar-programm. Er wird sich nicht automatisch kurz- odermittelfristig durch Effektivitätsgewinne refinanzieren.Die bloße Umsetzung darf deswegen nicht zu einemweiteren Personalabbau im Bereich der Justiz führen.
Bezüglich des Personals gilt dies im Übrigen auch aneiner anderen Stelle: Die starke Zunahme im Bereich derNichtzulassungsbeschwerden bei den Zivilsenaten desBGH muss uns Sorgen machen. Ihre Zahl hat sich bei-spielsweise im Jahr 2012 gegenüber dem Vorjahr um
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Sebastian Steineke
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41 Prozent erhöht. Diese Steigerung bei den Nichtzulas-sungsbeschwerden beruht maßgeblich auf der hier imHaus verabschiedeten Änderung des § 522 ZPO. MitEinführung des Abs. 3 können seither auch Beschlüsse,mit denen das Berufungsgericht die Berufung zurückge-wiesen hat, angegriffen werden. Die hohe personelle Be-lastung aufgrund des vermehrten Eingangs von Nichtzu-lassungsbeschwerden ist offensichtlich und auf Dauer sonicht mehr tragbar.
Hier müssen ebenfalls entsprechende Mittel bereitge-stellt werden.Als Rechtspolitiker wird man von Zeit zu Zeit auchmit nicht so sinnvollen Gesetzesvorschlägen konfron-tiert. Vor kurzem ist ein Vorschlag der EuropäischenKommission zur Änderung der Verordnung über das eu-ropäische Verfahren für geringfügige Forderungen inZivil- und Handelssachen, die sogenannte Small-Claims-Verordnung, auf unseren Tischen gelandet.Diese Verordnung gibt es bereits seit 2009. Mit ihrerHilfe sollen grenzüberschreitende Forderungen bis2 000 Euro leichter geltend gemacht werden können.Dabei kann man mittels eines kleinen Formblatts Klageerheben. Eine mündliche Verhandlung oder die Vertre-tung durch einen Rechtsanwalt ist nicht vorgesehen, undes gelten sehr kurze Fristen.In meiner praktischen Arbeit als Rechtsanwalt bin ichmit dieser Verordnung bisher nicht in Berührung gekom-men. Anscheinend bin ich damit nicht ganz allein; denndas Small-Claims-Verfahren wird auch fünf Jahre nachseiner Einführung nur äußerst spärlich genutzt.Um dies zu ändern, soll nun der Anwendungsbereichder Verordnung massiv ausgeweitet werden. Bei der Be-gründung des Vorschlags zur Änderung geht die Kom-mission davon aus, dass die Ursache im Wesentlichen imfehlenden Bekanntheitsgrad und zum Teil in Mängelnbei der Ausgestaltung der Verordnung liegt. Sie möchtenun unter anderem die Streitwertgrenze von 2 000 auf10 000 Euro anheben und die Begriffsbestimmung fürgrenzüberschreitenden Rechtsverkehr deutlich erwei-tern.Dieser Vorschlag stößt auf erhebliche Bedenken: Erlässt nicht nur die Schutzbedürftigkeit der Prozesspar-teien völlig außer Acht, sondern eröffnet zusätzlich eineBandbreite an Missbrauchsmöglichkeiten. Die auf dasFünffache angehobene Streitwertgrenze ist für die Bür-ger und die meisten Unternehmen beim besten Willenkeine Bagatelle mehr. Die Geringfügigkeitsgrenze derZPO liegt bekanntlich bei lediglich 600 Euro, und diehinter einem hohen Streitwert stehenden Rechtsstreitig-keiten sind in der Regel auch keine einfachen Verfahren.Ebenso fragwürdig ist, dass der Vorschlag auch keineVertretung durch einen Rechtsanwalt vorsieht; allein da-von verspricht man sich, billiger und schneller zu sein.Dadurch wird jedoch weder die Attraktivität des Verfah-rens erhöht, noch ist den Verbraucherinnen und Verbrau-chern in Deutschland mit der Einführung solch einer, ichwill einmal sagen, europäischen ZPO durch die Hinter-tür geholfen.Anstatt den Anwendungsbereich dieser Verordnungin solch einer Art und Weise zu erweitern, sollten wirhier darüber nachdenken, wie wir die Attraktivität derbestehenden Regelung deutlich erhöhen können, schondadurch, dass wir sie bekannter machen. Dafür könntenwir uns im Bundestag am besten gemeinsam einsetzen.Vielen Dank.
Herr Kollege Steineke, zu Ihrer ersten Rede hier im
Deutschen Bundestag gratuliere ich Ihnen herzlich und
wünsche Ihnen viele weitere Debattenbeiträge hier in
unserem Parlament.
Nächster Redner für die Sozialdemokraten ist der
Kollege Dennis Rohde.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr BundesministerMaas! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rechts-politik hat den Anspruch, die Regeln des Zusammenle-bens in unserer Gesellschaft zu gestalten. Es geht dabeinicht nur darum, bestehende Rechte zu wahren, sondernauch darum, die Rahmenbedingungen für ein solidari-sches Miteinander zu schützen, zu entwickeln und dort,wo es nottut, sie auch zu verändern. Darum braucht einegute Rechtspolitik den Mut, aktiv zu handeln und nichtnur zu blockieren, was verbriefte Rechte bedroht. DiesenMut hatte die vorige Leitung des Hauses leider nicht.Hier weht jetzt ein frischer Wind, und darüber freuen wiruns.
Besonders freuen wir uns darüber, dass im Ministe-rium jetzt auch der wirtschaftliche Verbraucherschutzangesiedelt ist; denn klar ist: Wir müssen die Verbrau-cherinnen und Verbraucher stärken und ihre Interessen inhöherem Maße berücksichtigen, als dies bisher der Fallwar. Wir wollen sie informieren und ausrüsten, damit sieauf Augenhöhe und selbstbestimmt am Marktgeschehenteilnehmen können, statt immer wieder zum Spielballder wirtschaftlichen Kräfte zu werden. Darum brauchenwir transparente Regeln und eine Gesetzgebung, diebeim Verbraucher ansetzt, und zwar beim Verbraucher,wie er wirklich ist, und nicht bei einem idealisierten Ge-bilde irgendwelcher Theoretiker.
Ich bin überzeugt: Die stärkere Einbindung des Verbrau-cherschutzes ist gut für die Rechtspolitik dieser Bundes-regierung. Sie erinnert uns daran, dass die realen Le-bensbedingungen der Bevölkerung Richtschnur allenHandelns sein müssen. Nicht nur thematisch, sondern
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2286 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Dennis Rohde
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auch finanzpolitisch ist die Zusammenführung sinnvollund bringt mehr Transparenz und Überschaubarkeit überKosten und Einnahmen mit sich.Der nun vorliegende Haushaltsentwurf hat das Zieleines ausgeglichenen Haushalts fest im Blick. Mit einerQuote von 73 Prozent wird erneut die höchste Eigende-ckung aller Einzelpläne ausgewiesen – und das trotz derEingliederung des Bereichs Verbraucherschutz mit sei-ner ganz eigenen Einnahmen- und Kostenstruktur.Es ist im Übrigen erneut das Patent- und Markenamt,das zur guten Einnahmesituation des Haushaltes bei-trägt. Deutschland ist also unverändert das Land der Er-finder und der Innovationen. Das begrüßen wir, und dasgilt es zu schützen.
Dabei ist die Maxime der gestaltenden Haushaltsfüh-rung, die wir anstreben, auch im engen Korsett der Vor-gaben unserer Verfassung und der Maastricht-Kriterienschon heute erkennbar. Wir Sozialdemokratinnen undSozialdemokraten im Haushaltsausschuss werden denProzess des Gestaltens und des gleichzeitigen Konsoli-dierens gerne und konstruktiv begleiten.Lassen Sie mich auch das noch ganz ausdrücklich sa-gen: Die bisherigen Gespräche zum Einzelplan 07 habeich – und zwar auch mit den Vertreterinnen und Vertre-tern der Opposition – als ausgesprochen angenehm, pro-grammatisch und weitsichtig empfunden. Wenn alle wis-sen, was auf dem Spiel steht, und alle an einem Strangziehen, dann kann man zum guten Schluss meist mitdem besten Ergebnis rechnen.Diese interfraktionelle Übereinstimmung freut michauch angesichts der richtigen und wichtigen Projekte,die der Bundesminister bereits angestoßen hat. DasMinisterium hat schon mit Hochdruck an Neuregelungengearbeitet. Weitere werden mit Sicherheit folgen. Ichwill kurz auf einige Punkte eingehen, die ich dabei alsbesonders wichtig empfinde:Wir erleben, dass in vielen städtischen Räumen Men-schen mit niedrigem Einkommen durch Mietexplosionenin Vororte und in Randgebiete gedrängt werden – oft-mals weit weg von ihrem Arbeitsplatz und von derSchule der Kinder; sie sind damit raus aus dem Viertel,in dem sie aufgewachsen sind. Das entspricht nicht unse-rer Vorstellung von einer Gesellschaft, an der jedergleichberechtigt teilhaben kann, egal aus welcher gesell-schaftlichen Schicht er kommt.
Darum begrüßen wir es besonders, dass die Große Ko-alition mit der Mietpreisbremse endlich WuchermietenEinhalt gebietet. Es wurde auch Zeit!
Die Wohnungsnot in unseren Städten ist jedoch nurein Thema, das die Arbeit des Ministeriums und unsererFraktion bestimmt. Weil Gerechtigkeit für uns Leitwertist, begrüßen wir Sozialdemokraten auch ausdrücklichdie Frauenquote in Aufsichtsräten, die die SPD-Bundes-minister Maas und Schwesig gemeinsam umsetzen;
denn dass es in einem modernen Industrieland noch im-mer viel zu wenig Frauen in Führungspositionen gibt, istdoch peinlich und nicht länger hinzunehmen.Wie oft hat man uns erzählt, dass die Unternehmendas schon von alleine regeln werden? Wie oft hat manuns erzählt, dass es überhaupt keiner gesetzlichen Hand-habe bedarf? Würden wir diesem Rat folgen, müsstenwir wohl noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten.So viel Geduld wäre keine Tugend, sondern ein Zeichenvon Gleichgültigkeit, eine Gleichgültigkeit, die es mituns Sozialdemokraten nicht mehr geben wird.
30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten: Das ist ein Ver-dienst dieser Großen Koalition, einer Koalition, die Un-gerechtigkeiten eben nicht nur beklagt, sondern ihnenauch entschieden entgegentritt.Aus dem Haushalt des Bundesministeriums der Justizund für Verbraucherschutz fördern wir deswegen erneutdie Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
Damit tragen wir dazu bei, die Akzeptanz von Schwulen,Lesben und Transgendern in der Gesellschaft zu fördernund, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, Diskriminie-rung zu bekämpfen.Wir wollen einen gesellschaftlichen Konsens schaf-fen, um die Weichen für die vollendete Gleichberechti-gung zu stellen. Wir Sozialdemokraten wissen aberauch: Hier sind auch gegen Widerstände im Hause nochviele weitere Schritte notwendig.
Wir werden ferner den Bericht des NSU-Untersu-chungsausschusses ernst nehmen. Das sind wir zualler-erst den Opfern und ihren Angehörigen schuldig, die solange auf Gerechtigkeit gewartet haben und viel zu langevon unserem Staat im Stich gelassen wurden; denn dassRechtsextreme in Deutschland jahrelang morden, ohnegefasst zu werden, darf es in diesem Land nie wieder ge-ben. Hier müssen wir handeln, und hier werden wir han-deln.
Eingangs habe ich gesagt, gute Rechtspolitik müssedas Recht nicht nur bewahren, sondern auch gestalten.Ich glaube, wir haben jetzt ein Ministerium, das sich ge-nau das auf die Fahne geschrieben hat. Ich bin davonüberzeugt: Das Ministerium der Justiz und für Verbrau-cherschutz ist gut aufgestellt, um unser aller Zusammen-leben gerechter und solidarischer zu gestalten.
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Dennis Rohde
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Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht der Kol-
lege Michael Frieser, CDU/CSU.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Ich bin fast etwasüberrascht, wie viele Punkte in dieser doch sehr inhalt-lich getragenen Debatte mit großer Ernsthaftigkeit imTonfall genannt wurden. Das mag uns auf unserem Weg,Herr Minister, weiterbringen, auch was die Zusammen-arbeit in diesem Haus betrifft.Ich war schon etwas überrascht, dass keiner die jüngs-ten Veröffentlichungen des EU-Justizbarometers er-wähnt hat: Die Zahlen sind beachtlich. Unser Justiz-wesen kann sich sehen lassen, was die Qualität, dieUnabhängigkeit und die Effizienz anbetrifft. Deutsch-land spielt mit seinem Justizwesen in dieser Frage immerin der obersten Liga. Ich glaube, dass wir angesichts die-ser Kategorien durchaus sagen können, dass der Rechts-staat in diesem Land eine Vorbildfunktion in Europa hat.Allerdings waren wir in einem Punkt nur im Mittelfeld,nämlich in der entscheidenden Frage: Wie sieht es beiden Richterinnen und Richtern in der Frage der Fortbil-dung aus? Insbesondere im Hinblick auf die Fortbildungim Bereich der europarechtlichen Fragestellungen befin-den wir uns in einem guten Mittelfeld. Da kann man sa-gen: Richterinnen und Richter sind auch nur ganz nor-male Menschen. Man lernt eben nicht unbedingt gerne,wenn es nicht unbedingt sein muss.Wir wissen aber, dass gerade die Zahl der Vorlagever-fahren – das sehen wir anhand der Tagesordnungen desRechtausschusses – beim Europäischen Gerichtshof ei-nen Aufwuchs von immerhin 10 Prozent aufweist. Ganzaktuell ist es so: Es vergeht nahezu keine Ausschuss-sitzung, in der wir es nicht mit europäischem Recht zutun haben und in der wir Europa nicht im Blick haben.Deshalb muss man ganz deutlich sagen: Vielleicht wärees ganz gut, ein erhöhtes Augenmerk auf die Fortbildungin europarechtlichen Belangen zu legen, vielleicht auchverstärkt den Eventcharakter von Fortbildungen zu deninteressanten Urteilen des Europäischen Gerichtshofeszu betonen.Damit sind wir ganz aktuell bei der Frage der Min-destspeicherfristen. Ich will mich da beschränken, weilwir zu dieser europarechtlichen Fragestellung schon sehrviel gehört haben. Mehrfach hieß es: Man hätte sich eineandere europäische Haltung dazu gewünscht. Man hättesich gewünscht, dass es eine Übergangsfrist gibt. Ichkann deutlich sagen, dass das auch mein Wunsch gewe-sen wäre. Deutlich ist auch: Das Instrument der Vorrats-datenspeicherung als solches wurde anerkannt. Sogarseine Durchschlagskraft wurde in diesem Urteil hervor-gehoben. Nur lediglich die Art und Weise der Speiche-rung muss anders werden. Man kann fast sagen: Die Do-sis macht das Gift.Wir dürfen allerdings nicht so tun, als ob es beimThema Vorratsdatenspeicherung jetzt gelte, eine Denk-pause einzulegen. Ich hatte manchmal das Gefühl, dassdiese Auffassung hier um sich greift. Ich glaube schon,dass Deutschland auch in dieser Frage Standards setzenmuss. Immerhin ist es doch so: Wir haben ein Ministe-rium für Verbraucherschutz und nicht für Straftäter-schutz. Deshalb braucht es an dieser Stelle unser aktives,unser mutiges Vorgehen, ohne dabei die Rechte der Bür-ger zu verletzen. Trotzdem müssen wir sagen: Wir brau-chen die Möglichkeit der Mindestspeicherfrist alsschlagkräftiges Instrument gegen Straftaten, vor allembei schweren Straftaten.
Gesellschaftsrechtliche Fragestellungen sind heute invielfacher Weise angeklungen. Wir haben verschiedeneFragestellungen vor allem beim Thema Straftaten gegendie sexuelle Selbstbestimmung, beim Thema Zwangs-prostitution und auch beim Menschenhandel gehört. Indiesen Fragen sind die Erwartungen, Herr Minister, anIhr Haus sehr hoch. Man kann durchaus sagen: Die letzteLegislatur war von großen Diskussionen geprägt, und indieser Legislatur müssen wir miteinander Ergebnisse er-arbeiten. Ich habe den Eindruck, das ist machbar. Das,was wir bisher vorgelegt haben, lässt diesen Schluss zu.Es geht darum, dass wir hier einen ausreichenden Schutzbieten müssen. Manchmal hat man in der öffentlichenDiskussion das Gefühl, dieses Thema hat die Menschennoch gar nicht richtig erreicht.Die Erwartungen sind auch deshalb so hoch, weil wiraus aktuellem Anlass deutlich sagen müssen: Wir dürfenes nicht zulassen, dass Kinder und Jugendliche in der ih-rem Alter entsprechenden Unerfahrenheit und Unbefan-genheit zu Opfern von Ausbeutung und Missbrauch wer-den. Wenn wir in diesem Haus dazu irgendetwasbeitragen können, dann sind wir sogar dazu verpflichtet,das in dieser Legislatur schnell auf den Weg zu bringen.Ich bin dem Kollegen Staatsminister Bausback, demJustizminister Bayerns, dafür dankbar, dass er über denBundesrat eine diesbezügliche Initiative auf den Wegbringt. Die Umsetzung der dazugehörigen EU-Richtlinietut ein Übriges dazu. Ich bin auch dankbar, dass der HerrMinister angekündigt hat, bei dem Thema Kinderporno-grafie und beim Schutz des Persönlichkeitsrechtes dasSeinige dazu beizutragen, und zwar nicht irgendwann,sondern jeweils mit einem Vorlagedatum versehen. Ichglaube, damit handeln wir richtig.
Beim Thema Zwangsprostitution und Menschenhan-del – Kollege Strobl hat es schon gesagt – hat die Unionihre Eckpfeiler eingerammt. Ich glaube, auch hier be-steht kein grundsätzlicher Dissens, schon gar nicht in derÖffentlichkeit, aber auch in diesem Hohen Hause nicht.Wer sich mit diesem Thema beschäftigen muss – man tutdas nicht immer freiwillig –, arbeitet an einer wichtigenStelle; denn gerade beim Thema Zwangsprostitution undMenschenhandel haben wir in diesem Land etwas aufzu-arbeiten, und ich meine, dass wir das in Kürze tun kön-nen und auch tun sollten.
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2288 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Michael Frieser
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Ich darf noch einen Punkt hinzufügen, der heute nichtangesprochen worden ist. Dabei geht es um den Verbrau-cherschutz und das Insolvenzrecht. Wir haben in der In-solvenzrechtsänderung durchaus eine Möglichkeit gese-hen, auch in der Frage der Rechtssicherheit einenBeitrag zu leisten. Die vielfältige Rechtsprechung desBundesgerichtshofes hat das Ihrige dazu beigetragen.Wir haben uns immer als mittelstandsfreundlich be-zeichnet. Manchmal weiß der eine oder andere Mittel-ständler in dieser Frage nicht so genau, woran er ist. Mitdem Willen, Rechtssicherheit zu schaffen, müssen wirdas Ganze allerdings auch praktikabel und umsetzbarmachen. Interessant ist nämlich: Wenn der groß ange-legte Kampf gegen das kollusive Zusammenwirken inein kollektives Unverständnis umschlägt, weil der ein-zelne Mittelständler nicht mehr genau weiß, was er ma-chen soll, dann kommt auch das Verbraucherschutz-ministerium meines Erachtens an den Rand seinerBelastbarkeit.Man darf als CSUler den Wechsel des Verbraucher-schutzes ins Justizressort mit einem weinenden Auge be-trachten. Aber ich meine, über gute Synergieeffekte hi-naus gibt es noch andere inhaltliche Gründe dafür, dassder Verbraucherschutz zum Recht gezogen wird. Damitkann er bei den vielen Punkten, die es dort inhaltlich auf-einander abzustimmen gilt, und auch in der Größenord-nung des Haushaltes eine ganz wesentliche Rolle spie-len. Sie haben die Punkte genannt, Herr Minister. Esgeht um die Stiftung Warentest, um Prokon und um dieKontrolle des grauen Marktes. Das sind die Stichwortein diesem Zusammenhang. Ich habe keinerlei Anlass, zuglauben, dass der Verbraucherschutz in diesem Lande inirgendeiner Weise einen Nachteil erfährt.
Es geht vor allem darum, dass wir die Bezüge herstellenkönnen, die sich in der Frage der Rechtspolitik ergeben.Wir können uns diese Form der Mittelstandsförde-rung auf die Fahne schreiben, die wir zum Beispiel mitder Bekämpfung des Zahlungsverzugs betreiben können.Zahlungsverzug ist in diesem Land zum Volkssport ge-worden. Wir können deutlich machen: So kann man,quasi zur Refinanzierung des eigenen Unternehmens,nicht miteinander umgehen.Kollege Hoppenstedt hat Staatssekretär Lange mitseinem Lob fast etwas verunsichert. Jetzt könnte der Par-
„Und was ist
mit mir?“ In meiner fränkischen Heimat heißt es: Nicht
kritisiert ist schon gelobt genug. – Nehmen Sie das zum
Anlass, sich das Lob zukünftig noch etwas mehr zu ver-
dienen! Wir sind auf jeden Fall dabei, daran tätig mitzu-
wirken.
Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. Das war jetzt wirklich
ziemlich gelobt. – Schönen Nachmittag von mir, und als
Nächste die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für die
SPD.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribü-nen! Wenn sich der Verbraucherschutz an der Anzeigeta-fel wiederfindet, wenn der Einzelplan 07 diskutiert wird,werde auch ich zufrieden sein: das vielleicht als kleinerHinweis an die Bundestagsverwaltung. Vielen Dank.
Verbraucherpolitik für echte Verbraucher: Das klingtbanal, doch war das bisher nicht selbstverständlich. Dieverbraucherpolitischen Maßnahmen – verschiedene sindschon genannt worden – sollen in Zukunft den wirkli-chen, den real existierenden Verbraucherinnen und Ver-brauchern nutzen. Das hat mein Kollege Dennis Rohdeschon angedeutet.Die Grundlagen dafür haben wir gelegt. Denn unterder alten Bundesregierung herrschte noch die Vorstel-lung vom mündigen Verbraucher vor. Den gibt es abernicht. Das haben wir jetzt auf den Boden der Realität ge-holt. Denn das Leben ist anders, verehrte Kolleginnenund Kollegen. Kein Mensch ist immer und überall in derLage, informierte und rationale Konsumentscheidungenzu treffen. Wenn Sie Menschen danach fragen, werdensie Ihnen das bestätigen.Die neue verbraucherpolitische Basis, das sind die re-alen Menschen mit ihren verschiedenen Interessen undProblemen. Gute Verbraucherpolitik muss ihre unter-schiedlichen Voraussetzungen und vor allen Dingen Ver-haltensweisen berücksichtigen. Zum Beispiel bei derEntwicklung von geeigneten Instrumenten sollen künftigdie Erkenntnisse der Verbraucherforschung einfließenund dafür sorgen, dass die getroffenen Maßnahmen tat-sächlich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern an-kommen.
Ein weiteres Beispiel. Bestehende Regelungen sollen da-raufhin überprüft werden, ob sie den Verbraucherinnenund Verbrauchern nutzen. Damit wird die Verbraucher-politik auf neue Füße gestellt. Das heißt, sie bekommtdamit Bodenhaftung.Einen wichtigen Beitrag dazu wird der Sachverständi-genrat für Verbraucherfragen leisten können, dessen Ein-richtung wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. DerEinstieg in das Marktwächtermodell – schon verschie-dentlich genannt – und die Einrichtung eines Sachverstän-digenrats für Verbraucherfragen werden Maßnahmensein, die die Verbraucherpolitik grundlegend verändernwerden. Wichtig ist uns, dass sich der Rat aus unabhän-gigen Experten und Wissenschaftlern über die verschie-denen Disziplinen hinweg zusammensetzt und dass – Siegestatten mir diese Äußerung, werte Kolleginnen undKollegen Juristen – die juristische Perspektive um Er-kenntnisse etwa aus der Soziologie, der Politologie und
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Elvira Drobinski-Weiß
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vor allen Dingen aus der Verhaltensforschung ergänztwird. Das heißt, der Sachverständigenrat soll zu wichti-gen Verbraucherfragen und Teilmärkten Gutachten abge-ben und Vorschläge zur Forschungsförderung erarbeiten.Durch die Nutzung der Ergebnisse der Verbraucher-forschung zur Entwicklung von effektiveren und effi-zienteren Politikinstrumenten wird die Verbraucherpoli-tik besser werden. Sie ist zwar schon ganz gut, kann abernoch besser werden. Nur wer die realen Verbraucher mitihren unterschiedlichen Voraussetzungen, Interessen undProblemen im Blick hat, kann eine Verbraucherpolitikgestalten, die bei den Menschen ankommt und ihren All-tag erleichtert, eine Verbraucherpolitik mit dem Ziel, ers-tens dort für Schutz zu sorgen, wo sich Verbrauchernicht selbst schützen können – es sind verschiedene Bei-spiele gerade aus dem Finanzdienstmarkt genannt wor-den –, zweitens Verbraucher zu unterstützen durch ge-zielte und umfassende Information, die auch sprachlichverstanden wird, sowie durch Beratung und Bildung,drittens Transparenz zu schaffen durch Vergleichbarkeitund Offenlegung beim Angebot an unterschiedlichenProdukten und viertens die Möglichkeit zu schaffen– das klang schon verschiedentlich an – für eine effek-tive Rechtsdurchsetzung.Wir wollen also einen verbraucherfreundlichen, trans-parenten Markt, auf dem sichere und gute Produkte unterfairen und nachhaltigen Bedingungen hergestellt und an-geboten werden.
Das zeichnet für mich gute Verbraucherpolitik aus. Ichbin davon überzeugt, dass das mit diesem Minister gelin-gen wird.Herzlichen Dank.
Danke, Frau Kollegin. – Letzter Redner zu diesem
Bereich ist Klaus-Dieter Gröhler für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Auch Ihnen einen schönen Nach-
mittag, genauso wie Ihnen, meine Damen und Herren
Kollegen, und den Zuhörerinnen und Zuhörern auf der
Tribüne! Ich bin der letzte Redner zum Einzelplan 07.
Vielleicht sollte ich lieber „abschließender Redner“ sa-
gen, weil sonst die Opposition den Ausdruck „letzter
Redner“ falsch verstehen könnte.
Dann hätte ich gesagt „allerletzter Redner“.
Danke schön.Ich will mich ein bisschen an dem orientieren, wasder Kollege Claus als erster Redner in dieser Debatte alsLeitfaden ausgegeben hat, wenngleich ich mich als an-ständiger Christdemokrat sonst nicht am Handbuch dessozialistischen Leiters orientiere. Aber mir gefiel ganzgut sein Slogan „Lobend beginnen, kritisch fortsetzenund optimistisch enden“. Ich glaube, so war das. Daranwill ich mich entlanghangeln.Bitte erlauben Sie mir, dass ich als Mitglied des Haus-haltsausschusses ein bisschen mehr auf die Zahlenschaue. Der Einzelplan, über den wir jetzt gerade spre-chen, hat einen Anteil am ganzen Bundeshaushalt von0,2 Prozent bei den Ausgaben und von 0,16 Prozent beiden Einnahmen. Der eine oder andere Banker hättewahrscheinlich früher gesagt: 641 Millionen Euro Aus-gaben sind Peanuts. – Als Mitglied des Haushaltsaus-schusses sehe ich das natürlich ein bisschen anders; dennwann immer wir 1 Euro Steuergeld ausgeben, lohnt essich, genau hinzuschauen, wofür wir das tun.Der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen, dassdie Deckungsquote bei 73 Prozent liegt. Herr MinisterMaas, ich darf Sie darauf hinweisen, dass die Deckungs-quote früher bei 80 Prozent lag. Ihr Vorgänger hatte imJahr 2012 eine Deckungsquote von 87 Prozent. Aber Siehaben bis zum Jahr 2017 noch ein bisschen Zeit, sich zusteigern.Lassen Sie mich ganz kurz auf den allgemeinen Haus-halt zurückkommen. Ich will mich an der Stelle ganzherzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ei-nerseits des Bundesfinanzministeriums, andererseitsaber auch des Bundesministeriums für Justiz und Ver-braucherschutz bedanken. Als Berichterstatter haben wirin den nächsten Tagen häufig viele Fragen und viele In-formationswünsche und hatten sie auch schon in denletzten Wochen gehabt. Die werden, wie ich finde, im-mer sehr anständig bedient. Ein Haushaltsplan fällt nichtvom Himmel, auch der Minister schreibt ihn nicht selbstherunter, sondern dafür gibt es viele fleißige Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter. Die kommen manchmal viel-leicht ein bisschen zu kurz bei unserer Diskussion. HerrMinister, ich bitte Sie ganz herzlich, einen Dank an IhreMitarbeiterinnen und Mitarbeiter von uns zu übermit-teln.
Mein ganz besonderer Dank gilt aber dem Bundes-finanzminister. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ichbin Jahrgang 1966. Seitdem ich auf der Welt bin, sind inder Bundesrepublik Deutschland fast immer Schuldengemacht worden, nur die ersten drei Jahre nicht. Dashängt nicht an mir, hoffe ich. Ich fand es heute schonganz beeindruckend, als um 11.16 Uhr – ich habe es mirextra aufgeschrieben – Wolfgang Schäuble von diesemPodium aus gesagt hat: Ab 2015 wird der Bund keineneuen Schulden mehr machen.Ich finde, diesen Satz kann man gar nicht oft genugwiederholen. Ich bin sehr zufrieden, dass bei der erstenHaushaltsberatung, an der ich hier teilnehme, dieser Satzgefallen ist. Ich werde meinem Sohn sagen: Wir leben abjetzt nicht mehr über unsere Verhältnisse. Wir sorgen mit
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Klaus-Dieter Gröhler
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dafür, dass dir nicht ein Schuldenberg übergeben wird,der so groß ist, dass sich deine Generation nicht mehrbewegen kann. Ich werde ihm sagen: Wir haben ange-fangen, Nachhaltigkeit auch in die Haushaltspolitikeinfließen zu lassen. Wir schaffen neue Gestaltungs-spielräume, statt nur die Schulden zu bedienen und Zins-zahlungen an Banken zu leisten.Lassen Sie mich auch auf Folgendes hinweisen: Nochnie in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein Haus-halt gegenüber dem Vorjahreshaushalt so stark abge-senkt worden, nämlich um 3 Prozentpunkte. Das heißt,gegenüber 307,8 Milliarden Euro werden wir in diesemJahr nur 298,5 Milliarden Euro ausgeben. Der Staat hatendlich begriffen, dass er nicht mehr der Staubsaugersein kann, der den Bürgerinnen und Bürgern das Geldaus der Tasche zieht und es anschließend wie ein Füll-horn wieder über ihnen ausschüttet, sondern wir habenuns dafür entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Ichfinde, das ist auch gut so.Aber zurück zum Etat des Ministeriums der Justizund für Verbraucherschutz. In der Tat ist der Etat viel-leicht nicht der politischste in diesem Bundeshaushalt.Zwei Drittel der Ausgaben sind für Personal vorgesehen.Aber – auch darauf hat der Minister hingewiesen – es istein Etat, der wichtig ist. Im Justizbereich stellen wir da-mit die Rechtsstaatlichkeit sicher. Wir in Deutschlandwissen aus dem 20. Jahrhundert – wir haben es zweimalleidvoll erfahren –, was es bedeutet, wenn Rechtsstaat-lichkeit nicht gegeben ist, welche Konsequenzen das fürdie Bürgerinnen und Bürger tatsächlich hat.Die finanzielle Ausstattung unserer Gerichte ist auchdie Gewähr für effektiven Rechtsschutz, insbesonderedann, wenn der Staat als Monopolist dieses Angebotmacht. Die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung durchdie finanziell ordentlich ausgestatteten Bundesgerichteist auch ein Standortvorteil, mit dem wir uns sehen las-sen können.Das Stichwort „Standortvorteil“ bringt mich auf einThema, bei dem sozusagen ein bisschen Wasser im Weinist. Erstaunlicherweise stimme ich jetzt schon wieder mitdem Kollegen Claus überein. Darüber sollte ich einmalnachdenken.
– Übereinstimmung habe ich aber nur in diesem Punkt. –Es geht dabei um die Patentämter. Dort haben wir dasProblem, dass die Bearbeitungszeiten zu lang sind. Daist der Schutz des geistigen Eigentums aus meiner Sichtnicht ausreichend gewährleistet.
Für ein Erfinderland wie Deutschland, das sich Export-nation nennt, ist es einfach wichtig, spätestens beimHaushaltsentwurf 2015 – er steht ja an – dort für einebessere Ausstattung zu sorgen.Der Minister hat darauf hingewiesen: Das Netzwerkgegen Kindesmissbrauch ist eine wichtige Einrichtung.Aber auch hier meine ich, dass sechs bis neun MonateWartezeit bis zur Betreuung vielleicht zu lang sind. Wirwerden genauer hinsehen müssen, ob wir dieses Netz-werk verstärken sollten. Denn in einem Dreivierteljahrkann viel passieren, und wir wollen nicht, dass unserenKindern etwas passiert. Deshalb werden wir dieses Netz-werk finanziell besser ausstatten müssen.
Beim Verbraucherschutz hatte ich den Eindruck, dassder eine oder andere Oppositionspolitiker meint, diesesThema sei ganz neu erfunden worden. Dem ist mitnich-ten so. Bei meinem Besuch bei der Stiftung Warentestanlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums – insofern gibt eseine lange Tradition des Verbraucherschutzes – konnteich feststellen, wie effizient so eine Einrichtung auch mitrelativ wenig Geld arbeiten kann. Ich war als Haushälterbaff, als mir die Vertreter der Stiftung Warentest aufmeine Frage „Brauchen Sie denn mehr Geld?“ antworte-ten: Wir kommen gut klar. Das war eine Antwort, die icheinmal erfrischend fand und die auch zeigt, dass es garnicht immer auf das Geld ankommt.
Ich komme zum Schluss; ich sollte ja positiv enden.Wie war noch gleich das Struck’sche Gesetz? Kein Ge-setzentwurf verlässt das Hohe Haus so, wie er einge-bracht worden ist. – Das gilt selbstverständlich auch fürden Haushaltsentwurf. Wir werden noch an der einenoder anderen Schraube drehen müssen. Aber eins sageich als Haushälter auch gleich: Wir haben den Ehrgeiz,dass diese geringe Nettoneuverschuldung, die wir mitdiesem Haushalt vornehmen, nicht wieder gesteigertwird; sie soll die letzte Nettoneuverschuldung sein. Inso-fern werden alle Vorschläge für mehr Geld in den einzel-nen Etats immer ausgeglichen sein müssen.Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen lie-gen mir nicht vor.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft,Einzelplan 10. – Ich bitte diejenigen, die an der Debattenicht teilnehmen wollen, zügig den Saal zu verlassen.Diejenigen, die hierbleiben, darf ich bitten, ihre Plätzeeinzunehmen.Das Wort hat zunächst der Bundesminister ChristianSchmidt.
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Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Ich hatte an Ihrefreundliche Aufforderung die kleine Hoffnung geknüpft,dass der eine oder andere nicht allein seinem Fachthemazugewandte Kollege auch hier sein würde. Ich denke, ei-nige, für die das zutrifft, sind dageblieben. HerzlichenDank! In dem Marathon einer Haushaltsdebatte, in derein Etat den anderen jagt, ist das keine Selbstverständ-lichkeit. Es liegt viel Arbeit vor dem Hohen Haus. –Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichdarf mich sehr herzlich dafür bedanken, dass ich schonim Vorfeld dieses Etats spüren durfte, welche gute undkonstruktive Arbeit sich im Bereich Ernährung undLandwirtschaft hier im Haus widerspiegelt.Ich habe nun seit knapp zwei Monaten die Ehre unddie Freude, das Bundesministerium für Ernährung undLandwirtschaft zu führen. Ich verstehe diese Aufgabe alseine gute Möglichkeit, auf der Basis guter tradierter Er-fahrungen heute notwendige Anpassungen an ökonomi-sche und soziale Veränderungen in Landwirtschaft undErnährung zu begleiten und zu steuern und für die Zu-kunft an einer in die nächste Generation hineinreichen-den tragfesten Struktur zu bauen.Mein Ressort hat viel mit Wurzeln zu tun, nicht nurweil der volkswirtschaftliche Primärsektor, die Urpro-duktion, hier zu Hause ist, sondern auch, weil Ernährungund Leben im ländlichen Raum primäre Lebensbedürf-nisse sind, die wir sichern wollen.Nachhaltigkeit und Naturbewusstsein gehören genausodazu. Es ist geradezu ein Lebensministerium.
Dies verbindet sich für mich auch mit den Primärwer-ten. Der Respekt vor der Schöpfung Gottes und das Ge-bot, sich die Erde untertan zu machen, gehören hierher.Im gesamten ländlichen Raum steht die Wertschöpfungauf solch einem ethischen Fundament.Ich sehe unsere Aufgabe darin, den so lange gewach-senen Erfahrungen in der Land- und Forstwirtschaft, inder Fischerei oder auch in der Energiewirtschaft einengesicherten Platz in einer heute von einer digitalenDienstleistungsmentalität und -struktur geprägten Ge-sellschaft zu erhalten und sie dort einzupassen. So siehtder Entwurf für den Haushalt 2014 auch aus. Er ist in al-lererster Linie ein sozialer und zukunftsorientierterAgrarhaushalt. Auch 2014 ist die landwirtschaftliche So-zialpolitik der Kernbestandteil des Einzelplans. Das sollso bleiben, und das hat seine Berechtigung.Von den 5,3 Milliarden Euro des Gesamtetats sind fürdie Sozialpolitik immerhin 3,7 Milliarden Euro vorgese-hen. 70 Prozent des Geldes, das uns zur Verfügung steht,fließen also in die Alterssicherung, in die Krankenversi-cherung und in die Unfallversicherung unserer Bauern.Wir sichern damit Grundlagen, die die Wertschöpfungdurch unsere Landwirtschaft erst möglich machen. Ichdenke, wir machen hier auch deutlich, dass sich die Bau-ernfamilien, die verschiedenen Generationen auf unsverlassen können.
Wir sorgen nicht nur für Kontinuität, sondern wir set-zen Akzente auch in Zeiten strikter Haushaltsdisziplin –in einer Abwägung mit dem, was wir denen, die einge-zahlt haben und die Leistungen erhalten, sozusagen einStück weit schuldig sind.62 Millionen Euro wollen wir in den Jahren 2014 und2015 für die landwirtschaftliche Krankenversicherungzur Verfügung stellen. Wieso? Wir federn damit die Son-derbelastungen infolge des geringeren Bundeszuschus-ses an den Gesundheitsfonds ab, die in unserem Bereichnicht wie in der GKV durch Rückflüsse kompensiertwerden können. Für mich ist das eine Gerechtigkeits-frage. Würden wir das nicht tun, wären unsere Landwirtedie einzige Bevölkerungsgruppe, die nur wegen einesSystemunterschieds höhere Kassenbeiträge zahlenmüsste. Das will ich nicht zulassen.
Neben der Krankenversicherung behalten wir auchdie Altersvorsorge im Auge. Nicht nur die allgemeine de-mografische Entwicklung, sondern auch die Strukturan-passung in der Landwirtschaft erfordert dies. Deswegenhaben wir besprochen, dass wir bis zur SommerpauseVorschläge für die Anpassung der Hofabgabeklausel er-arbeiten wollen.
– Kollege Priesmeier, ich hatte schon darauf gehofft,dass ich von Ihnen hier Zustimmung bekomme. Wir ha-ben das in den Koalitionsverhandlungen bereits bespro-chen. Deswegen wollen wir daran arbeiten. Ich bitte beidiesem Thema um die konstruktive Mitarbeit der Frak-tionen des Hohen Hauses, aber auch der Versichertenge-nerationen, der Älteren und der Jüngeren, die unmittel-bar davon betroffen sind.Der Haushaltsentwurf 2014 verbindet soziale, ökono-mische, ökologische und gesellschaftliche Ansätze. Ge-rade hat eine Debatte über einen anderen Etat stattgefun-den. Darin wurde, nachdem das vormalige BMELV desV verlustig gegangen ist, über Themen gesprochen, diebisher bei uns besprochen worden sind. Aber keineSorge: Nicht die Buchstabenverschiebereien, sonderndie Zuständigkeiten sind das, was die Arbeit eines Hau-ses definiert. Es bleibt dabei: Die Ressortzuständigkeitfür den gesundheitlichen Verbraucherschutz und für dasVerbraucherinformationsgesetz liegt bei uns. Mit über100 Millionen Euro, die in diesem Bereich investiertwerden, hat der Bereich auch zukünftig eine große Be-deutung. Wir wollen nicht die Bevormundung, sondernden Schutz und die Selbstbestimmung der Verbrauche-rinnen und Verbraucher in Deutschland. Der gesundheit-liche Verbraucherschutz wird im Zuge der weiteren Glo-balisierung eine immer größere und wichtigere Rollespielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen Wert-schöpfung im ländlichen Raum mit einer starken Land-wirtschaft. Diese Koalition wird also den Bauernfami-lien und den Erzeugern weiter verlässlich zur Seite
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Bundesminister Christian Schmidt
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stehen: mit stabilen Direktzahlungen, mit einem Gree-ning, das praktikabel ist und eine flächendeckende Be-wirtschaftung zulässt – der Deutsche Bundestag beschäf-tigt sich diese Woche in einer Anhörung intensiv mitdieser Frage –, und mit neuen Förderelementen fürkleine und mittlere Betriebe sowie für unsere Jungland-wirte.Wir schaffen dem Prinzip der Nachhaltigkeit mehrRaum. Wir wollen die biologische Vielfalt bewahren,unsere Böden schützen und für mehr Tierwohl sorgen.Wertschöpfung im ländlichen Raum heißt, Verantwor-tung zu übernehmen.Gestatten Sie mir einen kleinen Exkurs. Ich war be-eindruckt, dass wir bei der Agrarministerkonferenz, dievor ein paar Tagen in Cottbus stattgefunden hat, überalle Parteigrenzen hinweg zu einer vernünftigen Diskus-sion über diese Fragen gekommen sind. Ich habe zu er-kennen gegeben, dass ich in den Wochen, in denen ich indieser Funktion tätig bin, schon manches gelernt habe,dass mir aber die Kampfbegriffe noch nicht vertrautsind. Ich bin mir auch noch gar nicht sicher, ob ich ideo-logische Kampfbegriffe überhaupt lernen möchte. Ehermöchte ich pragmatisch, vernünftig und am Ziel orien-tiert über diese Fragen reden. – Siehe da, wir konntengut miteinander reden.
Wir wollen darüber hinaus natürlich diejenigen Leis-tungsträger in der Fläche, die sich um den Naturschutzkümmern müssen – dazu zählen insbesondere die Bau-ern –, unterstützen. Nach Vorlage der delegiertenRechtsakte durch die Europäische Kommission zu derGAP-Reform gab es ein wenig Gegrummel. Das Parla-ment hat sich stärker zu Wort gemeldet als vermutet.Dank an die Kommission und auch Dank an das Parla-ment – wir sind doch eigentlich für die Stärkung der Par-lamentsrechte – dafür, dass Nachbesserungen erfolgtsind. Der Rat sieht das mit Interesse und Freude. Ichwerde das am Montag zum Ausdruck bringen.
Die Gelder stehen zur Verfügung. Sie werden recht-zeitig ausbezahlt werden, wenn der Deutsche Bundestagden entsprechenden Beschluss gefasst hat und die Ver-ordnungen vorbereitet sind. Ich denke, das ist für diedeutsche Landwirtschaft ein Zeichen von Verlässlich-keit.Vor dem Hintergrund der Wertschöpfung im ländli-chen Raum, die wir alle gestärkt sehen wollen, gehörendie Leistungen unserer Landwirte als Energiewirte ge-würdigt. Wir wollen weg vom Risiko der Kernenergie.Wenn wir saubere, grundlastfähige und speicherbareEnergie gewinnen wollen – das liegt im gesamtgesell-schaftlichen Interesse –, dann führt an der Biomasse keinWeg vorbei.Heute hatten wir den Neuentwurf des EEG im Kabi-nett zur Beratung. Wir haben den Bestands- und Vertrau-ensschutz für die bestehenden Anlagen im neuen EEGverankert. Wir haben den Luftreinhaltebonus für die Be-standsanlagen erhalten. Wir haben die bestehende Flexi-bilitätsprämie für Bestandsanlagen gesichert. Eine Teil-stilllegung muss nicht mehr erfolgen, wenn manflexibilisieren möchte. Das heißt, wir haben den Vorteilder Biomasse, der darin liegt, dass sie steuerbar und re-gelbar ist, erhalten.
Ich bin froh, dass uns das gelungen ist. Die Biomassebleibt eine tragende Säule der Energiewende. Ich darfmich an dieser Stelle bei dem Kollegen Gabriel, bei dergesamten Bundesregierung und bei den Ministerpräsi-denten sehr bedanken, die dieser Lösung ihre Zustim-mung gegeben haben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum ländlichenRaum gehört auch eine Waldpolitik, die sich an den Inte-ressen von Natur und Nutzern ausrichtet. Ich danke fürdie konstruktive Begleitung gerade in diesem Bereich.Kollege Caesar, ich habe schon viel über die Funktiondes Waldes als Klimastabilisator gelernt.
– Ja. Ich oute mich hier: Ich bin ja selbst Waldbesitzer.
Allerdings gehöre ich eher zu den kleinen Waldbesit-zern, die sich nur einen Christbaum zu Weihnachten ausdem Wald holen. Lieber Kollege Caesar, vielleicht sollteich dich einmal zu mir einladen und dir zeigen, wie manauch kleine Waldflächen bewirtschaften kann. Das istsehr wichtig. Den Geräuschen im Saale folgend, spüreich, dass man in der ersten Rede als Minister nicht allseine guten Ideen und Vorhaben gleichermaßen deutlichdarstellen, sondern auch Platz für die weiteren Beratun-gen lassen sollte. Ich freue mich, dass wir diesen Haus-halt in einem sehr konstruktiven Klima mit Blick bereitsauf 2015 beraten – 2014 ist ja schon fast zur Hälfte vor-bei –, und dann müssen wir Akzente bei der Gemein-schaftsaufgabe GAK und bei GAL setzen. Spätestens2015 sollten wir zu diesen Themen zurückkommen.Ich bedanke mich, Frau Präsidentin. – HerzlichenDank.
Vielen Dank, Herr Kollege, lieber Christian Schmidt. –
Die nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Kirsten
Tackmann für die Linke.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Liebe Gäste! Herr Minister Schmidt, Siehaben zwei Schwerpunkte Ihrer Politik genannt: Agrar-exporte und ländliche Räume. Aus Sicht der Linken istder erste agrarpolitisch falsch, und der zweite findet sich
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Dr. Kirsten Tackmann
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leider im Haushaltsentwurf nicht wieder. Aber es gibteben keine richtige Politik mit falschem Haushaltsplan.Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Sie die richtigenSchwerpunkte setzen. Laut dem Fachmagazin Agra-Europe wollen Sie sich persönlich einbringen und ver-suchen, den Export in kaufkräftige Märkte voranzu-bringen. Aus Sicht der Linken lösen aber Agrar-exportstrategien überhaupt keine Probleme, wedersoziale noch ökologische – im Gegenteil: Es werden so-gar neue geschaffen.
Das hilft weder den Empfängerländern noch den ein-heimischen Betrieben, zum Beispiel weil Dumping-preise auf dem Weltagrarmarkt zum Dumpingeinkom-men führen. Wir haben doch schon jetzt die Situation,dass landwirtschaftliche Einkommen gerade einmal60 Prozent des Industrieniveaus erreichen, und das, ob-wohl – rechnerisch – 30 Prozent öffentliches Geld dazubeitragen. Das ist inakzeptabel. Wochenmärkte, Land-fleischereien, regionale Molkereien oder Bäckereien vonnebenan können doch im internationalen Dumpingwett-bewerb nicht mithalten. Herr Minister, das können Sienicht auch noch unterstützen.
Die gesellschaftliche Akzeptanz der Landwirtschaftsinkt doch auch, wenn Milchkühe oder Schweine nichtmehr für die Versorgung in der Heimatregion gehaltenwerden, sondern für den Export nach China. Es ist einMärchen, mit Agrarexporten würde der Welthunger be-kämpft. Der Weltagrarbericht sagt eindeutig: Unser Bei-trag gegen den Welthunger kann nur die Unterstützungder Landwirtschaft im globalen Süden sein – und nichtsanderes.
Agrarexporte gehen außerdem auf Kosten der Um-welt und des Klimas, nicht nur wegen der Transporte.Wer mehr produziert, als er braucht, übernutzt Äckerund natürliche Ressourcen wie Wasser und Phosphor-dünger – völlig unnötig. Agrarkulturen wie Kartoffelnoder Rüben verschwinden von den Äckern, nicht weilsie nicht gebraucht werden, sondern weil sie nicht billiggenug produziert werden können. Erkauft werdenHöchsternten durch Höchstverbrauche von Pflanzen-schutzmitteln. Auch das geht auf Kosten von Bienen undPflanzenvielfalt. Also: Es gibt kein öffentliches Interessean Agrarexporten. Deswegen darf es dafür auch kein öf-fentliches Geld geben,
und zwar weder direkt noch versteckt hinter den Gehäl-tern von Staatssekretären oder Beamten, die weltweitnach Absatzmärkten suchen.Weil ich gerade dabei bin: Beim Freihandelsabkom-men mit den USA, TTIP, muss sofort die Notbremse ge-zogen werden. Wir können doch nicht zulassen, dassKonzerne wie Vattenfall souveräne Staaten vor Schieds-gerichte zerren, um sie zum Beispiel wegen möglicherGewinneinbußen durch verbesserte soziale oder ökologi-sche Standards zu verklagen. Das wäre doch die absoluteKapitulation der Politik. Und deswegen macht die Linkeda nicht mit.
Wir bleiben auch an anderen Stellen bei unseren For-derungen. Warum werden Gesetze nicht so verschärft,dass Bodenerwerb durch nichtlandwirtschaftliche Inves-toren zumindest erschwert wird? Warum wird noch im-mer ehemals volkseigener Boden in Ostdeutschlandmeistbietend zum Wohle des Bundeshaushaltes zumSchaden der vor Ort verankerten Betriebe verkauft? Wa-rum bringen Sie nicht endlich die steuerfreie Risikorück-lage auf den Weg? Das wäre Hilfe zur Selbsthilfe für dieLandwirtschaft. Und: Warum gibt es nicht endlich einenNotfallfonds für tierhaltende Betriebe? Er hätte uns zumBeispiel im Falle des Blutschwitzens bei Kälbern oderder Blauzungenerkrankung bei Schafen geholfen.Warum wird nicht endlich verlässlich Geld für dieUmstellung der Landmaschinenflotte von fossilen aufselbstproduzierte pflanzliche Kraftstoffe zur Verfügunggestellt? Das wäre doch mal ein Beitrag zur Unabhän-gigkeit von Energiekonzernen.Warum wird nicht endlich unser Vorschlag der Ein-richtung eines Wolf- und Herdenschutzkompetenzzent-rums aufgegriffen? Die Weidetierhalter wollen nicht nurfür getötete Tiere entschädigt werden; sie wollen wissen,wie man Tierverluste verhindern kann.
Aber dabei brauchen sie Unterstützung. Das wäre rich-tig, gerade weil es gesellschaftlich gewollt ist, dass Ise-grim zurückkommt, gerade weil Weidetierhaltung, wiewir gestern in der Anhörung gehört haben, der besteGrünlandschutz ist. Aber ausgerechnet diese Betriebesind bisher die Verlierer Ihrer Agrarpolitik. Hier wirddringend Hilfe benötigt. Stattdessen werden diese Be-triebe zusätzlich belastet, weil zum Beispiel die Beiträgezu ihrer Unfallversicherung extrem steigen – wie übri-gens auch bei den Kleinwaldbesitzern.Was hat das mit Haushaltspolitik zu tun? Stolze70 Prozent des gesamten Bundesagrarhaushaltes gehenin die landwirtschaftliche Sozialversicherung; der Minis-ter hat es schon erwähnt. Auch hier müssen die öffentli-chen Mittel im öffentlichen Interesse verwendet werden.Es ist doch eine Binsenweisheit, dass die ländlichenRäume ohne eine starke regionale Landwirtschaft verlie-ren – und umgekehrt. Aber nach Ihrem Schwerpunkt„ländliche Räume“, Minister Schmidt, muss man imHaushalt leider mit der Lupe suchen.Die Koalition will die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zueiner Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Räume“ fort-entwickeln. Nun gut! Aber das versprochene Plus von200 Millionen Euro hat nicht einmal die Koalitionsver-handlungen überlebt. Nun sollen auch noch zusätzlichHochwasserschutzmaßnahmen aus diesem Etat bezahltwerden, sagt die Umweltministerin. Also mehr Aufga-ben mit weniger Geld? Offensichtlich ist das nicht wirk-
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Dr. Kirsten Tackmann
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lich ernst gemeint. Ich ärgere mich weiterhin, dass wirals Parlament zwar das Geld für diesen Fördertopf be-schließen und zur Verfügung stellen, aber keinerlei Ein-fluss darauf haben, wofür das Geld ausgegeben wird,weil dies nur zwischen Länderregierungen und der Bun-desregierung ausgehandelt wird. Diese parlamentsfreieZone muss endlich abgeschafft werden.
Mein Fazit: Dem ersten Bundesagrarhaushalt derGroKo kann man eigentlich gar nicht ansehen, dass dieFDP nicht mehr dabei ist. Ich denke, die SPD hat da ei-niges zu tun.Vielen Dank.
Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner: Ulrich
Freese für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin derhaushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion für denHaushalt der Landwirte. Zu fachlichen, inhaltlichen Fra-gen werden gleich meine Kolleginnen Christina Jantzund Ute Vogt und mein Kollege Rainer Spiering Stellungnehmen.Der Haushalt des Landwirtschafts- und Ernährungs-ministeriums ist ein kleiner, feiner Haushalt – er macht1,7 Prozent des gesamten Haushaltes der Bundesrepu-blik Deutschland aus –, aber er ist ein bedeutsamerHaushalt. Denn Ernährung, ob in fester oder flüssigerForm, geht uns alle an. Deshalb sind uns die in der Land-wirtschaft tätigen Unternehmerinnen und Unternehmer,Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gleich in welcherSparte, sehr wichtig. Minister Schmidt hat sehr deutlichherausgearbeitet, dass 70 Prozent der Haushaltsmittel,ein hoher Anteil, für Sozialpolitik gebunden sind. Daranhat sich auch nichts dadurch geändert, dass der ersteHaushalt der Großen Koalition in dieser Wahlperiodeschon durch drei Ministerhände gegangen ist. ObAigner, Friedrich oder Schmidt – es bleibt bei dem gro-ßen Anteil der Sozialpolitik. Das wird von uns Sozialde-mokraten nicht infrage gestellt. Aber dennoch wird man– darauf werden wir zu achten haben – die Kosteneffi-zienz und Wirksamkeit der Maßnahmen, ob in der Kran-ken-, ob in der Renten- oder in der Unfallversicherung,sehr genau überprüfen.Einer der wichtigen Punkte, die hier beleuchtet wer-den müssen, sind die Verwaltungskosten der landwirt-schaftlichen Sozialversicherung. Sie sind deutlich höherals bei anderen Sozialversicherungsträgern. Mit etwa340 Millionen Euro liegen sie weit über dem Benchmarkvergleichbarer Sozialversicherungssysteme. Wir werdengemeinsam im Zuge der Haushaltsberatungen in diesemund im nächsten Jahr dazu beitragen müssen, dass in die-sem Bereich Einsparpotenziale gehoben werden.
Herr Minister Schmidt, wir Sozialdemokraten habenja in den Koalitionsverhandlungen sehr intensiv eine indie Sozialpolitik nicht mehr hineinpassende Regelunginfrage gestellt. Worum geht es? Während andere Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Abschläge inRente gehen können, wenn sie das 65. Lebensjahr – oderein paar Monate darüber hinaus – erreicht haben, werdendie Bauern immer noch, sofern sie weiterarbeiten und ih-ren eigenen Hof bewirtschaften, benachteiligt, und zwarnicht nur der Bauer, sondern auch seine Frau, die Bäue-rin. Dies ist heute sozial- und rentenpolitisch nicht mehrvertretbar.Wir werden Sie im Zuge der Haushaltsberatungenbeim Wort nehmen. Bevor wir den Haushalt beschlie-ßen, werden wir darauf achten, dass das auch in die Tatumgesetzt worden ist. Wir sehen dort gute Möglichkei-ten: Die Rente soll gewährt werden. Wer seinen Hofnicht abgibt, muss einen Abschlag von 10 Prozent hin-nehmen. Ich denke, das ist eine faire Regelung. Da ge-hen wir Sozialdemokraten mit Ihnen gemeinsam denWeg in die Zukunft.
Zu einem zweiten Punkt, der uns wichtig ist. Leiderwurden die Mittel für den Waldklimafonds von26,8 Millionen auf 13,7 Millionen Euro gesenkt. Das istkontraproduktiv; denn die natürlichste CO2-Senke ist derWald. Bei all dem, was in der Energiepolitik kritisch dis-kutiert werden kann, kann von Deutschland ein wir-kungsvolles Signal ausgehen: Der Wald wird gebraucht,wir wollen ihn erhalten und aufforsten. Von daher ist un-ser Ziel, in den Haushaltsberatungen zu erreichen, dassder Waldklimafonds mindestens auf 20 Millionen Euro– davon sind 10 Millionen Euro für dieses Ministerium –erhöht wird.
Ein dritter Punkt ist die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“.Wir haben dafür bereits 600 Millionen Euro in denHaushalt eingestellt. Weil auch die ländliche Region Zu-gang zur digitalen Welt erhalten soll, sind im Haushalt10 Millionen Euro für die Breitbandverkabelung imländlichen Raum vorgesehen.Einen wichtigen Punkt, den wir auch im Koalitions-vertrag vereinbart haben, nämlich ein nationales Hoch-wasserschutzprogramm, haben wir haushalterisch imKalenderjahr 2014 allerdings nicht abgebildet. Aber dasnächste Hochwasser – über die Ursachen können wirstreiten – kommt bestimmt, und zwar in immer kürzerenIntervallen. Deshalb muss mit dem Haushalt 2014 klarsignalisiert werden, dass wir es mit dem Hochwasser-schutz ernst meinen.Die Landschaften vieler Bundesländer – Bayern,Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsenund möglicherweise Hamburg und Mecklenburg-Vor-
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Ulrich Freese
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pommern – sind von der Problematik betroffen. Da Prä-vention besser ist als Nachsorge, wollen wir, dass da-rüber nachgedacht wird, ob die Mittel aus demHilfsfonds für die Flutopfer, der noch nicht gänzlich aus-geschöpft ist, zusätzlich für die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes“ bereitgestellt werden können.
Des Weiteren liegen uns Forschung und Entwicklungim landwirtschaftlichen Bereich sehr am Herzen. Für au-ßeruniversitäre Forschung und Entwicklung sind 3 Mil-liarden Euro vorgesehen. Über alle ministeriellen Berei-che hinweg gilt es nun, gemeinschaftliche Aktivitäten zuentwickeln, weil gute Landwirtschaft, gute Tierhaltung,Tierwohl, Eiweißstrategie usw. wichtige Aufgaben sind,und zwar nicht nur in Bezug auf Ernährung, sondernauch in Bezug auf den Verbraucherschutz. Deshalb wol-len wir einen gesicherten Anteil aus diesem Topf für dasMinisterium für Ernährung und Landwirtschaft für For-schung und Entwicklung im ländlichen Bereich rekla-mieren.
Ich freue mich sehr auf unsere haushalterischen Dis-kussionen und hoffe, dass wir einen Haushalt auf denWeg bringen, der, wie ich sagte, allen Menschen dient;denn Nahrung in fester und flüssiger Form hält uns allebei guter Laune, erhält unsere Schaffenskraft und Wir-kungskraft.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner: FriedrichOstendorff für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „… inden ländlichen Räumen schlägt das Herz Europas“, ver-kündete Minister Horst Seehofer 2007, damals Bundes-landwirtschaftsminister.
Durchaus folgerichtig verkündete Horst Seehofer in Ab-sprache mit den Länderministern im Herbst 2013, dieGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“ werde um 200 Millionen Euroaufgestockt, um die Verluste bei den Programmen zurländlichen Entwicklung im mehrjährigen Finanzrahmender EU auszugleichen. Im aktuellen Haushalt ist von die-sen versprochenen 200 Millionen Euro aber keine Redemehr. CSU-Minister Schmidt sieht leider keine Möglich-keit, die versprochenen 200 Millionen Euro aufzubrin-gen. Das ist ziemlich herzlos gegenüber dem „HerzenEuropas“ und ziemlich verlogen gegenüber den Wähle-rinnen und Wählern.
Erstens. Dieses Geld ist ohnehin da, weil Deutschlandim mehrjährigen Finanzrahmen Geld einspart. Genaudaher wollte es Herr Seehofer ja auch nehmen. Warumbesteht diese Möglichkeit plötzlich nicht mehr?Zweitens. 360 Millionen Euro kostet uns heute dieteilweise Erstattung von Steuern auf Diesel in der Land-wirtschaft, die Sie als Wahlgeschenk an den DeutschenBauernverband 2009 nochmals um 280 Millionen Euroaufgestockt haben.
Wir Grünen wollen dieses Geld nehmen, um die Land-wirtschaft umzubauen und sie zukunftsfähig zu machen.Drittens. 15 Prozent, rund 750 Millionen Euro, könn-ten Sie von den Direktzahlungen aus der ersten Säule indie zweite Säule umschichten, das heißt in ländliche Ent-wicklung, das heißt in Agrarumweltmaßnahmen und dasheißt in die Förderung des Ökolandbaus.
Auch diese Möglichkeit besteht. Aber das Bundesminis-terium hat dafür gesorgt, dass es nur 4,5 Prozent werden.Übrigens – das sei hier auch gesagt –: Die Hälfte dieserGelder geht nach Bayern. Von daher versteht man nichtimmer das Agieren der bayerischen Kolleginnen undKollegen.
Diese Möglichkeiten bestehen, aber man muss ländli-che Entwicklung, Tierschutz und Biodiversität auch wol-len, meine Damen und Herren von CDU und CSU. Siewollen es nicht, Sie tun es nicht, und das ist hier zu kriti-sieren.
„Unsere Dörfer sind die Seele des ländlichen Rau-mes“, sagte Minister Schmidt am 13. März 2014 dazu,nachdem er einen Tag zuvor ebendiesen Haushalt im Ka-binett abgesegnet hatte, der für die Dörfer und den länd-lichen Raum so wenig zu bieten hat. Dieser Haushaltsollte Antwort geben auf die Versprechen und Absichts-erklärungen, die auch Sie, Herr Minister, schon so oftgemacht haben. Tut er aber nicht.Ein Beispiel. Wieder einmal sieht ein CSU-Ministerdas Heil der deutschen Landwirtschaft im Export. Siewollen die Exportkompetenz stärken. Das wird morgenAbend gegenüber, in der Parlamentarischen Gesell-schaft, zu erleben sein. Dabei übersehen Sie offenbar,dass gerade die Exportmärkte für die deutschen Erzeugerzunehmend riskant werden. Wirft nicht der russischeMarkt mit dem in den letzten Monaten gepflegten Um-gang, aber auch die politische Entwicklung in Russlandsehr große Fragen für uns alle auf? Und China? Chinageht wie immer sehr stark den Weg der Entwicklung dereigenen Erzeugung. Täglich gibt es neue Meldungen vonden internationalen Handelsbörsen. Seit Februar brechendie Preise für Milchprodukte permanent ein. Die Märkte,auf die Sie setzen, sind extrem volatil; die Bundesregie-rung tut aber nichts, Herr Minister, um das Risiko einer
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Friedrich Ostendorff
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erneuten Milchkrise zu minimieren. In Brüssel bremstdie Bundesregierung alle Initiativen für Krisen- undSteuerungsinstrumente wie die Marktmonitoringstelleaus. Im Bundeshaushalt findet sich wieder einmal keinEuro, um den Zusammenschluss von Milcherzeugern zufördern und damit die Marktmacht der Bäuerinnen undBauern zu verbessern, wie wir Grünen es seit Jahren for-dern und unterstützen.
Herr Minister, was ist denn das für eine Politik, dievoll auf Export setzt, ohne eine Antwort auf die Fragenach den damit verbundenen Risiken für die eigenen Er-zeuger geben zu können? Nicht einmal die von uns Grü-nen immer wieder geforderten 5 Millionen Euro für eineBündelungsoffensive Milch haben Sie in den Haushalteingestellt.Ein anderes Beispiel. Sie behaupten, Herr Minister,den Ökolandbau voranzubringen. Aber offenbar wollenSie dafür keinen einzigen zusätzlichen Euro in die Handnehmen. Das Bundesprogramm Ökologischer Landbaubleibt finanziell genauso schlecht ausgestattet wie zuvorund wird zudem weiterhin von Ihnen geplündert, um dif-fuse Nachhaltigkeitsprojekte zu fördern. Auch der Erfül-lung der Forderung des Nachhaltigkeitsrates der Bundes-regierung, 20 Prozent der Agrarforschungsgelder in dieÖkolandbauforschung zu stecken, kommen Sie keinenSchritt näher.Nicht besser sieht es beim Megathema Tierschutz aus,nicht besser sieht es bei der Ernährung und im Verbrau-cherschutz aus.Dieser Haushalt setzt keine Prioritäten. Er enthältkeine wegweisenden Projekte, und er bleibt bei den gro-ßen Herausforderungen sprach- und konzeptlos. DieserAgrarhaushalt eignet sich zur Verwaltung des Statusquo, zur Gestaltung der Zukunft der Landwirtschaft undattraktiver ländlicher Räume trägt er jedoch nichts, aberauch gar nichts bei.
Dieser Haushalt ist visions- und antriebslos.
Danke, Herr Kollege. Ich bin erstaunt; denn Ihre Re-
dezeit war noch gar nicht um. – Dr. Franz Josef Jung ist
der nächste Redner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltdes Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaftfür 2014 fällt in ein besonderes Jahr. Wir gedenken nichtnur des Beginns des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren.Vielmehr begann zu dieser Zeit auch eine Phase vonstarkem Hunger in Deutschland. Der Winter 1916/1917,der sogenannte Steckrübenwinter, wurde ein Symbol desHungers. Fast niemand nimmt heute noch zur Kenntnis,dass in der Zeit von 1914 bis 1918 800 000 Deutsche anden Folgen des Hungers gestorben sind.Wir feiern in diesem Jahr auch 65 Jahre Grundgesetz.Noch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgeset-zes wurden an unsere Bevölkerung Lebensmittelkartenverteilt. Die Menschen waren froh über jedes Stück Brot,Schmalz oder Butter. Die meisten von uns kennen die Si-tuation des Hungers und Lebensmittelmarken nur ausErzählungen. Ich denke, dies zeigt eines: Ein vielfälti-ges, hochwertiges und erschwingliches Angebot an Le-bensmitteln ist nicht selbstverständlich. Die Bauernfami-lien in Deutschland arbeiten hart für unsere gesundeErnährung. Dafür haben sie unsere Unterstützung undWertschätzung verdient.
Mit diesem Haushalt gewähren wir diese Unterstüt-zung. Die Vereinten Nationen haben dieses Jahr als dasInternationale Jahr der familienbetriebenen Landwirt-schaft ausgerufen. Dies ist ein Signal für Politik und Ge-sellschaft. Aber ich denke, unsere Bauernfamilien brau-chen nicht nur derartige Signale – diese sind auchwichtig –, sondern auch Perspektiven und Planungssi-cherheit. Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingun-gen, und sie brauchen Mittel und Möglichkeiten für not-wendige Investitionen in ihre Betriebe. Diesen Kriterienentspricht der hier vorgelegte Haushalt von Bundes-minister Schmidt.
Ich will vier Punkte hervorheben.Erstens. Wir stellen für die agrarsoziale Sicherung– es ist gerade erwähnt worden – einen zusätzlichen Be-trag von 62 Millionen Euro bereit und halten so die Bei-träge zur Krankenversicherung stabil.Zweitens. Mit der nationalen Umsetzung der Gemein-samen Agrarpolitik schaffen wir die Voraussetzungenfür die Direktzahlungen an unsere Landwirte.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Direkt-zahlungen sind Risikoabsicherungen für kleinere undmittlere Betriebe. Sie sind aber auch ein Ausgleich fürgesellschaftliche Leistungen; denn unsere Landwirteleisten einen erheblichen Beitrag zur Pflege unserer Kul-turlandschaft. Auch das ist finanziell entsprechend abzu-sichern.
Kernpunkt in diesem Zusammenhang ist das Gree-ning. Ich denke, Greening muss mit Augenmaß und ohnepauschale Flächenstilllegungen erfolgen. Ich füge hinzu:Ich denke, dass in entsprechenden Gebieten auch in Zu-kunft Pflegeumbruch ermöglicht werden muss. Denn wirwollen keine Verwahrlosung der Landschaft, sondern
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Dr. Franz Josef Jung
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wir wollen auch in Zukunft die Pflege unserer Land-schaft durch unsere Landwirte.
Der dritte Punkt ist die Förderung kleinerer und mitt-lerer Betriebe. Für die ersten 30 Hektar werden zusätzli-che Zahlungen von 50 Euro pro Hektar erfolgen, für dienächsten 16 Hektar dann noch 30 Euro pro Hektar. Diesist ein wichtiger Beitrag zu einer vielfältigen Agrarstruk-tur mit kleineren und mittleren Betrieben. Ich denke, ge-rade die Familienbetriebe und die kleineren und mittle-ren Betriebe sind auch ein Stück Lebenselixier für denländlichen Raum. Deshalb haben sie die entsprechendeUnterstützung verdient.
Viertens nenne ich die nachhaltige und tiergerechteProduktion. Wir wollen die Agrarforschung besser ver-zahnen. Das gilt auch und gerade mit Blick auf den Tier-schutz. Wir haben in diesem Haushalt für den BereichNachhaltigkeit, Forschung und Innovation insgesamt510 Millionen Euro veranschlagt. Dies dient auch dazu,neue Tierschutzmaßnahmen in der betrieblichen Praxisumzusetzen.
Aber, meine Damen und Herren, ich sage auch: Tierge-rechte Aufzucht und Haltung gibt es nicht zum Nulltarif.Die Initiative „Tierwohl“ darf nicht durch Preisdumpinguntergraben werden.
Wir wollen – so haben wir es auch im Koalitionsver-trag vereinbart – die Vermarktung regionaler Produkteausbauen. Ich glaube, dass gerade die Einführung einesRegionalfensters – der Startschuss war ja anlässlich derGrünen Woche hier in Berlin – einen wichtigen Beitraghierzu leistet. Eine Regionalkennzeichnung mit klarenKriterien – die Hauptzutat muss zu 100 Prozent aus derRegion stammen – stärkt, wie ich finde, das Vertrauender Verbraucherinnen und Verbraucher in die regionaleHerkunft. Wir stärken damit auch die Wertschöpfungs-ketten auf dem Land. Dies ist ein wichtiger Beitrag zurUnterstützung auch und gerade unserer regionalen Land-wirtschaft in der Zukunft.
Was in dieser Debatte oft nicht erwähnt wird – ichwill es heute aber mit Genehmigung der Frau Präsidentintun –:
Es kommt darauf an, was Sie sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu diesem Bereich, Frau Präsidentin, gehört auch der
Weinbau.
Ja, selbstverständlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Deshalb finde ich es erwähnenswert, dass wir die
Qualität des Weinbaus durch ein Stützungsprogramm für
Wein weiter fördern, und zwar mit rund 39 Millio-
nen Euro im Jahr. Dies dient insbesondere der Steilla-
genförderung. Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wer einmal in den entsprechenden Gebieten gewesen ist
– sei es an der Mosel, sei es am Rhein oder in anderen
Regionen – und gesehen hat, wie die Winzerinnen und
Winzer gerade in den Steillagen durch sehr harte Arbeit
mit die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere
Kulturlandschaft auch in diesen Regionen in Zukunft er-
halten bleibt und weiterentwickelt wird, der kann, glaube
ich, nachvollziehen, dass die Steillagenförderung für die
Winzerinnen und Winzer auch in Zukunft notwendig ist.
Das Qualitätsprodukt Wein ist aus meiner Sicht ein Kul-
turgut. Ich finde, wir müssen nur noch einen Beitrag leis-
ten, dass dies noch mehr in das breite Bewusstsein unse-
rer Bevölkerung eindringt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Perspektiven, Pla-
nungssicherheit, Qualität und Produktinnovationen, das
sind die Voraussetzungen für eine zukunftsfeste Land-
wirtschaft. Wir legen mit diesem Haushalt das finan-
zielle Fundament für eine positive Entwicklung unserer
Landwirtschaft, für eine positive Entwicklung im Be-
reich der Ernährung. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Un-
terstützung für diesen Haushalt.
Besten Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Nächste Rednerin
ist Karin Binder für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! WerteGäste auf den Tribünen! Herr Finanzminister Schäublefreute sich heute Morgen über die schwarze Null in sei-nem Haushalt und dass er seit 2010 keine Ausgabener-höhungen mehr zugelassen habe. Liebe Kolleginnen undKollegen, das mag für einen schwäbischen Häuslebauerdurchaus erstrebenswert sein; aber ich sage Ihnen: EinFinanzminister muss die Zukunft im Blick haben, dieZukunft des Landes, der Menschen und künftiger Gene-rationen, und Zukunft braucht Entwicklung und deshalbInvestitionen. Die schwarze Null aber bedeutet Stagna-tion.
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2298 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Karin Binder
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Besonders deutlich wird das am Haushalt des Minis-teriums für Ernährung und Landwirtschaft. ZusätzlicheMittel gibt es nur für überfällige Gebäudesanierungenoder notwendige bauliche Erweiterungen. Wo, frage ichSie, bleiben die Investitionen, die notwendig sind, umdie im Koalitionsvertrag versprochenen Maßnahmenumzusetzen? Wo schlagen sich diese Investitionen imHaushaltsplan nieder? Ich nenne nur wenige Beispiele.Erstens: Nanotechnologie. Der Koalitionsvertrag ver-spricht staatliche Begleitforschung zum Thema Nano-materialien, im Bereich des gesundheitlichen Verbrau-cherschutzes eines der brennendsten Themen überhaupt.Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs wer-den mittels Nanotechnologie hergestellt oder mit Nano-partikeln besser verkaufbar gemacht; da sind die Unter-nehmen sehr kreativ und sehr erfinderisch. Das Problemist nur: Wer kümmert sich um die gesundheitlichen Risi-ken, wer kümmert sich um die Einschätzung der Folgen,die diese Technologie nach sich ziehen kann? Diese Ein-schätzung muss uns Politikerinnen und Politikern amHerzen liegen.
Wir müssen dafür sorgen, dass solche Produkte nichteinfach auf den Markt geworfen werden und man sicherst in 20 Jahren dafür interessiert, was alles an Krank-heiten, Allergien oder Ähnlichem zutage tritt. Wir müs-sen Mittel einstellen, damit diese wichtige Forschung– Risikoabschätzung, Technikfolgenabschätzung, Be-gleitforschung zu all diesen Produkten, die hier beden-kenlos auf den Markt kommen – stattfinden kann.
Zweitens: Ökolandbau; dieses Thema wurde schonangesprochen. Die Verbraucherinnen greifen aus gutenGründen immer häufiger zu Ökoprodukten. Diese kom-men aber immer öfter aus weit entfernten Ländern. Dafrage ich mich: Wo bleibt dann der Nutzen für die Um-welt? Das Problem ist: Bei uns wächst der Ökolandbaunicht mit der Nachfrage nach diesen Produkten. Immermehr Ökobauern geben auf, weil die Rahmenbedingun-gen einfach nicht stimmen, nicht ausreichen, um ihrenBetrieb zu erhalten. Das heißt, der Bund muss dringendden regionalen Anbau und die Vermarktung hier imLand fördern, damit der Umwelt tatsächlich gedient ist.
Die Mittel zu verstetigen, reicht nicht aus; verstetigenbedeutet nämlich: einfrieren. Sie haben im Koalitions-vertrag aber versprochen, den Ökolandbau zu fördern.Drittens: Verbraucherschutz. Unter der Überschrift„Verbraucherschutz“ versprechen Sie im Koalitionsver-trag:Wo Verbraucher sich nicht selbst schützen könnenoder überfordert sind, muss der Staat Schutz undVorsorge bieten.Aber wo haben Sie das denn einkalkuliert? Ich finde dasim Haushaltsplan nicht. Ungleichgewichte im Markt,also die Benachteiligung von Verbraucherinnen und Ver-brauchern, beseitigen Sie nicht mit freiwilligen Selbst-verpflichtungen der Unternehmen.
Wir brauchen verbindliche gesetzliche Regelungen, umden Verbraucherinnen und Verbrauchern ihr Recht zuverschaffen. Hier ist politischer Wille gefordert. KlareVerbraucherinformationen gibt es nur mit einer gesetz-lich geregelten Kennzeichnung. Deshalb fordert dieLinke: Nicht nur Inhalts- und Zusatzstoffe, sondern auchdie Herkunft und die Lieferwege wesentlicher Bestand-teile industriell hergestellter Lebensmittel müssen ver-ständlich und nachvollziehbar ausgewiesen werden.
Nur mit solchen Nachweisen haben die Lebensmittel-kontrolleure bei globalisierten Märkten und einer welt-weit arbeitenden Lebensmittelindustrie eine Chance,möglichst frühzeitig Probleme zu erkennen und damitder Politik die Möglichkeit zum raschen Handeln zu ge-ben.Damit sind wir bei der Lebensmittelsicherheit. Di-oxine, EHEC und andere gefährliche Krankheitserregerin Lebensmitteln, Gammelfleisch oder Pferdefleisch imEssen sind Beispiele für die Notwendigkeit einer kompe-tenten und schlagkräftigen Lebensmittelkontrolle. Le-bensmittelskandale verunsichern die Verbraucherinnenund Verbraucher, und mit jedem weiteren Vorfall brö-ckelt das Vertrauen in die Lebensmittelbranche und indie Politik weiter. Deshalb müssen die Ursachen ange-gangen werden:
Durch weltweite Lieferketten und den zunehmendenHandel von Lebensmitteln im Internet ist die Herkunftder zusammengekauften Zutaten kaum noch zu ermit-teln. Wenige Handelskonzerne kontrollieren die Preise.Als Folge von Dumpingpreisen bleiben Qualität und Si-cherheit auf der Strecke. Der Anteil an Fertiglebensmit-teln nimmt ständig zu. Bei jedem Verarbeitungsschrittsteigt aber das Risiko einer Verunreinigung. Gleichzeitigleidet die amtliche Lebensmittelüberwachung unter er-heblichem Personal- und Ausstattungsmangel; es fehlencirca 3 000 Fachleute. Das Absurde ist: Gemeinden undKommunen sind für die Kontrollen globaler Lebensmit-telkonzerne zuständig. Das kann nicht funktionieren.
Wir brauchen diese Kontrolle auf Bundesebene. Auf die-ser Ebene muss auch die Stelle eingerichtet werden, dieüber die Länder hinweg koordiniert.Ich komme zu einem letzten Punkt, der mir ganzwichtig ist, zum Thema „Schulverpflegung und Kinder-ernährung“. Ich wünsche mir wirklich, dass wir in diesenHaushalt noch sehr viele Dinge aufnehmen können. DieErnährung der Kinder ist die wesentliche Grundlage da-für, wie sich ihre Entwicklung vollzieht, ob sie in derLage sind, einen vernünftigen Schulabschluss zustandezu bringen. Deshalb ist eine flächendeckende bundes-weite Schulverpflegung aus meiner Sicht unumgänglich.
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Karin Binder
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Hier ist der Bund in der Pflicht. Der Bund ist für Da-seinsvorsorge und Fürsorge zuständig. Deshalb mussauch das bestehende Kooperationsverbot weg. Stattdes-sen brauchen wir ein Verbot der Kooperation mit der Le-bensmittelindustrie, –
Frau Kollegin!
– damit die Kinder nicht von vornherein mit viel Zu-
cker, Salz und Fett verdorben werden.
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Danke, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist
Christina Jantz für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es vollziehtsich ein Wandel in der Gesellschaft. Lebensmodelle undKonsumgewohnheiten ändern sich, und vor allem ver-bessert sich unsere Wertschätzung gegenüber anderenLebewesen. Dem hat der Gesetzgeber, wir alle hier,Rechnung getragen, indem der Tierschutz in das Grund-gesetz aufgenommen wurde.
Dieser aus meiner Sicht richtige, sich veränderndeStellenwert des Tierschutzes schlägt sich auch im vorlie-genden Haushaltsentwurf nieder. Der Schutz der Tieremacht zu Recht einen guten Teil des Etats des Bundes-ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus. DerTierschutz ist als übergreifendes Thema Teil vieler wich-tiger Einzelposten in diesem Haushaltsentwurf. Er be-trifft erstens sowohl die Forschung als auch die Praxis,zweitens sowohl die Privatpersonen als auch die Wirt-schaft, und drittens ist er lokal und auch global relevant.Als Tierschutzbeauftragte meiner Fraktion freue ichmich deshalb, dass mit diesem Haushalt natürlich auchaufgrund unserer SPD-Forderung trotz umfassenderSparbemühungen dem Schutz der Tiere viel Raum zuge-standen wird.
Der Koalitionsvertrag gibt dabei die Richtung der Be-mühungen der kommenden Jahre vor. So haben wir da-rin unter anderem eine nationale Tierwohloffensive ver-einbart. Wir wollen eine sichtbare Verbesserung beimTierwohl. Die Nutztierhaltung muss tiergerechter wer-den. Sie passt sich damit auch den veränderten Wün-schen in der Gesellschaft an. Hierbei müssen selbstver-ständlich die Tiergesundheit, die Möglichkeit zumnatürlichen Verhalten der Tiere und das Tierwohl imVordergrund stehen,
dies alles vor dem Hintergrund, dass gute Haltungsbe-dingungen weniger kranke Tiere bedeuten und damitauch der Medikamenteneinsatz insgesamt zurückgefah-ren wird. Daran schließt sich an, dass wir ein bundesein-heitliches Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhal-tungssysteme einführen werden.
Die SPD hat schon früh einen Tierschutz-TÜV gefor-dert. Das bedeutet, dass es zukünftig für serienmäßighergestellte Stallsysteme einheitliche Prüfrichtlinien ge-ben wird. Daher finde ich es richtig, dass die Zuschüssezur Förderung von Modell- und Demonstrationsverfah-ren in diesem Jahr auf 16 Millionen Euro erhöht werden.
7 Millionen Euro hiervon sind alleine für Projekte imBereich des Tierschutzes vorgesehen. Mit diesen Mittelnwerden wir unter anderem Forschungsvorhaben finan-zieren, mit deren Hilfe der Antibiotikaeinsatz reduziertund die Hygiene in den Ställen verbessert wird. Wir wer-den mit diesen Mitteln auch den Praxistransfer von For-schungsergebnissen voranbringen, und die Landwirt-schaft wird hiervon profitieren.
Der gesellschaftliche Diskurs über die Größe tierge-rechter Haltung hat bereits begonnen. So befürchten bei-spielsweise die Bürgerinnen und Bürger sicher nicht nurin meinem Wahlkreis mit der Errichtung eines großenSchweinemaststalls Belastungen für Umwelt und An-wohner. Die Auswirkungen dieser Intensivtierhaltungwie Belastungen des Grundwassers und der Nährstoff-überschuss sind vielerorts bereits spürbar. Eine solcheEntwicklung kann auf Dauer nicht gesund sein.
Tiergerecht ist sie auf keinen Fall. Daher brauchen wireine flächengebundene Tierhaltung. Wir müssen bei die-sem Prozess vor allem die Bauern mitnehmen.
Die Forschung kann und muss uns dabei unterstützen.Die Förderung unterschiedlicher Forschungsinstitute,-projekte und -cluster in den kommenden Jahren ist da-her aus meiner Sicht genau der richtige Ansatz. Stellver-tretend erwähnt sei hier nur das Friedrich-Loeffler-Insti-tut, das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, daswir mit rund 120 Millionen Euro unterstützen werden.Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Im Vordergrundsteht natürlich das Tier und seine Lebensbedingungen.Aber wir brauchen Qualitätsstandards auch, um mit un-
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Christina Jantz
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seren landwirtschaftlichen Produkten international be-stehen zu können.
Es gilt hier, was für nahezu alle deutschen Wirtschafts-zweige gilt: Wir können nicht anders, als uns bei denStandards an die Spitze zu setzen. Nur so können wir aufden globalisierten Märkten bestehen. Dass dies der rich-tige Weg ist, sehen wir auch daran, dass eine tiergerechteNahrungsmittelproduktion vom Verbraucher zunehmendhonoriert wird. Grundvoraussetzung hierfür ist jedoch,dass wir diese hohen Standards sichtbar machen. Nurdurch eine klare, transparente Kennzeichnung mit Tier-schutzsiegel hat der Verbraucher eine echte Wahl.
Auch in der Forschung ganz allgemein muss es Ver-änderungen hin zu mehr Tierschutz geben. Ziel muss essein, die Zahl der Tierversuche auf ein absolutes Mini-mum zu reduzieren.
Der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Er-satz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch, kurzZEBET, kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Kern die-ser Forderung ist das aus meiner Sicht wichtige Ziel,Tierversuche komplett zu vermeiden. Ich begrüße daherausdrücklich, dass wir diese Einrichtung über den Etatdes Bundesinstituts für Risikobewertung fördern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mirabschließend eine persönliche Anmerkung: Der sorg-same Umgang mit Tieren ist für mich nicht nur als Tier-schutzbeauftragte, sondern auch ganz persönlich dort einAnliegen, wo kein unmittelbarer Nutzen für die Men-schen daraus folgt. Er ist für mich eine ethische Ver-pflichtung. Insgesamt sehe ich den Tierschutz zudem ineinem größeren Zusammenhang. Aus ihm ergibt sich dieNotwendigkeit einer nachhaltigen bäuerlichen Landwirt-schaft, des Erhalts und der Entwicklung lebenswerterländlicher Räume und des Naturschutzes im Allgemei-nen.
Deutschland muss im Tierschutz weltweit eine Vorreiter-rolle einnehmen. Wir rücken das Tierwohl in den Vor-dergrund und vergessen zugleich die Landwirtschaftnicht. Mit diesem Haushalt begeben wir uns auf denrichtigen Weg für den Tierschutz.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Das ganze Haus gratu-
liert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundes-
tag.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Einsatz nicht
nur, aber auch für die Rechte der Tiere.
Darf ich Sie bitten, die Gratulationstour etwas zu be-
schleunigen. Sie können ja hinterher noch etwas trinken.
Ihr Vorredner hat ja gesagt, das sei gut für die Stimmung. –
Dann kommt Harald Ebner als nächster Redner für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Gut Ding will Weile haben, könnte manbeim späten Einbringen dieses Haushalts meinen – wennes denn so wäre. Beim Blick auf den Einzelplan 10 frageich mich aber: Was haben Sie eigentlich die ganze Zeitgemacht?
Der Plan ist ein einziges Weiter-so, KollegeHolzenkamp. Vom Regierungswechsel merke ich nichts.Doch auch wenn sich offenbar drinnen trotz neuerKoalition nichts geändert hat: Draußen in der Welt hatsich doch einiges von Relevanz für Landwirtschaft undErnährung getan. Lassen Sie mich drei Punkte heraus-greifen: den Bericht des Weltklimarates, den Bericht zurLage der Natur und, last, but not least, die Gentechnik.
Eines zur Klarstellung vorneweg: Wir Grünen sagenausdrücklich Ja zur bäuerlichen Landwirtschaft und zuunseren wunderschönen Kulturlandschaften in Deutsch-land. Das gehört untrennbar zusammen. Gerade deshalbwollen wir, dass unsere Bauern und Bäuerinnen auf dieHerausforderungen der Zukunft vorbereitet werden. Dasist Ihre Aufgabe, Herr Minister, als Bundesregierung.
Wo liegen die Herausforderungen? Erstens. Der neueBericht des Weltklimarates zeigt: Es geht nicht mehr umWandel. Es droht eine Klimakatastrophe, und das auchbei uns. Wenn künftig immer häufiger extreme Starkre-genereignisse auf ausgetrocknete vegetationsarme Bö-den treffen, dann ist die Existenzgrundlage unserer Bau-ern, nämlich der Boden, akut gefährdet.Wenn Sie schon nicht die Ursachen der Klimakata-strophe angehen wollen, weil Ihnen die Kohle wichtigerist als das Klima, dann müssen Sie doch wenigstens dieAnpassung unserer Landwirtschaft an die Folgen unter-stützen. Das geht aber nicht mit einem Haushalt desWeiter-so. Dafür brauchen wir gezielte Investitionen ineine klimagerechte Landwirtschaft.
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Harald Ebner
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Da lassen Sie die Landwirte aber im ausbleibenden Re-gen stehen. Immerhin, Sie fördern die Züchtung klima-angepasster Kulturpflanzen mit 1 Million Euro; aber denPosten haben Sie im Vergleich zum Vorjahr um dieHälfte gekürzt. Gleichzeitig geben Sie allein für die Ver-besserung der Fleischqualität das Dreifache aus. Ja, beimKlima geht es um die Wurst, aber da haben Sie, glaubeich, doch etwas falsch verstanden.Das, was Sie anpacken, passt nicht zu Ihrer Politik inanderen Feldern, meine Damen und Herren. Sie stockendie Mittel für die Biomasseforschung weiter auf. Gleich-zeitig kürzen Sie beim EEG und gehen den erneuerbarenEnergien an den Kragen. Das ergibt doch keinen Sinn.Ich habe den Eindruck: Hier weiß die linke Hälfte derRegierung nicht, was die rechte Hälfte der Regierung tut.
Machen Sie hier doch etwas für die Ökologisierung derBiomasse und für das Biogas!Zweitens. Der aktuelle Bericht zur Lage der Naturvon Umweltministerin Hendricks ist ein Offenbarungs-eid. Gerade in unseren Agrarökosystemen müssen wirein dramatisches Artensterben beklagen. Aber statt indie Forschung und die Förderung von Bewirtschaftungs-alternativen zu investieren, will die Bundesregierungjetzt auch Pestizide auf den ökologischen Vorrangflä-chen zulassen. Staatssekretärin Flachsbarth schiebt dieVerantwortung ab und ruft die Bundesländer zu größerenAnstrengungen bei den Agrarumweltmaßnahmen auf.Dabei hat Bundeskanzlerin Merkel die dafür nötigenEU-Gelder in der zweiten Säule zusammenstreichen las-sen. Von Horst Seehofers Versprechen, die Mittel für dieGAK aufzustocken, hört man nach der Wahl nichtsmehr. Sie wollen mit weniger Geld mehr Natur- undUmweltschutz betreiben und dann noch eine nachhaltigePolitik für den ländlichen Raum. Das funktioniert nicht.
Dabei wäre es doch so einfach. Der von der Bundes-regierung eingesetzte Rat für Nachhaltige Entwicklunghat den Ökolandbau als Goldstandard der Nachhaltigkeitbezeichnet. Aber ausgerechnet das BundesprogrammÖkologischer Landbau dümpelt auch in diesem Haushaltweiter vor sich hin. Bei Ihnen ist das Bundesprogrammzur Resterampe verkommen, mit der alles Mögliche fi-nanziert wird, nur möglichst kein Ökolandbau. Wermehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft will, mussgenau hier investieren. Genau das werden wir einfor-dern.
Sie versenken lieber 4 Millionen Euro für ein verbes-sertes Düngemanagement in viehstarken und wassersen-siblen Gebieten und geben damit Steuergelder aus, umein Problem zu lösen, an dessen Schaffung andere Geldverdienen. Verursacherprinzip sieht anders aus.
Dabei liegen im Forschungsministerium – wenn Sie dadenn ran wollen – satte 135 Millionen Euro für den Be-reich Bioökonomie bereit. Dieses Geld gehört aus mei-ner Sicht zumindest in wesentlichen Teilen in den Agrar-haushalt, Herr Minister. Sie können doch nicht ernsthaftfür Ihr Haus die Federführung bei der Entwicklung derBioökonomiestrategie reklamieren und sich dann jedenGestaltungsspielraum im Haushalt aus der Hand nehmenlassen. Da müssen Sie ran, wenn Sie nicht König ohneLand sein wollen.Drittens und Letztens. In der Agrogentechnik verfol-gen Sie gerade die Linie bei der Genmaiszulassung: erstdie Katze aus dem Sack lassen und dann mit Schmackesauf den Sack draufhauen und mit Opt-out Scheinlösun-gen vorgaukeln. Das muss man erst einmal hinbekom-men. Wenn es nun eine Scheineinigkeit in der Gentech-nik gibt – alle sagen, dass wir die Gentechnik nichtbrauchen –, dann frage ich mich: Wo finde ich das imHaushalt? Ich finde es nicht. Es gibt kein Geld für eineKampagne für das Qualitätssiegel „Ohne Gentechnik“.Es gibt zudem keine gezielte Förderung der gentechnik-freien Pflanzenzüchtung. Da herrscht im Haushalt Fehl-anzeige. Das muss sich ändern.
Noch eine allerletzte Bemerkung. Im Europawahlpro-gramm der CDU ist zu lesen:Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit wollen wirden Züchtern die Möglichkeit einräumen, auf demGebiet der Nutzung grüner Gentechnik wissen-schaftlich tätig zu sein.Was, glauben Sie denn, kommt dabei heraus, wenn sichZüchter mit Grüner Gentechnik befassen?
Dabei kommt Gentechniksaatgut für den Anbau heraus.Das werden wir bekommen, wenn Sie mit dem Haushaltso weitermachen. Das muss sich ändern. Dafür setzenwir uns ein.Danke schön.
Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist Marlene
Mortler für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin froh, in dieser Zeit und in einem Landzu leben, wo Lebensmittel noch nie so sicher waren wieheute, ob biologisch oder konventionell hergestellt.
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2302 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Marlene Mortler
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Ich darf aus einem Interview mit unserem MinisterSchmidt in der heutigen Ausgabe des Tagesspiegelszitieren. Als er in zwei Sätzen erklären sollte, was er alsseine wichtigste Aufgabe ansieht, hat er geantwortet:„Die Landwirtschaft und die Bedeutung des ländlichenRaums allen Menschen näherzubringen.“ Das wünscheich mir auch von der Opposition. Des Weiteren sagte er:„Unsere Lebensmittel sicherhalten und für den Respektvor der Schöpfung arbeiten.“
Für diese wichtigen Aufgaben geben wir ihm heuteden nötigen Agrarhaushalt an die Hand. Mit 5,31 Mil-liarden Euro halten wir den Agrarhaushalt, wie ichmeine, auf einem hohen Niveau, und das zu Recht; dennLandwirtschaft ist eine Zukunftsbranche. Nur mit derLandwirtschaft wird es gelingen, die Herausforderungenangesichts der wachsenden Weltbevölkerung zu meis-tern. Ich denke, Deutschland hat hier als Gunst- undWissensstandort national und international eine beson-dere Verantwortung.
Wir setzen also in diesem Haushalt nicht nur auf Konti-nuität, sondern wollen auch eine Landwirtschaft, dienachhaltig wirtschaftet und leistungs- und wettbewerbs-fähig bleibt.Lassen Sie mich aus meiner Sicht noch drei Punkteaus dem Haushalt herausgreifen. Erstens. Den größtenPosten – das wurde schon mehrfach genannt –, nämlich70 Prozent des Haushalts, bildet der Agrarsozialbereich.Als zuständige Berichterstatterin sind mir folgendePunkte wichtig: In der landwirtschaftlichen Bevölkerungwerden zwar mehr Kinder geboren als in der übrigen Be-völkerung; aber es zahlen nur diejenigen Beiträge in daslandwirtschaftliche Sicherungssystem, die einen Hof be-wirtschaften bzw. dort arbeiten. Das ist leider die abso-lute Minderheit. Das heißt auch, dass das Verhältnis vonBeitragszahlern zu Leistungsempfängern in der land-wirtschaftlichen Sozialversicherung viel schlechter istals in der allgemeinen gesetzlichen Sozialversicherung.Das hat gravierende Auswirkungen.Dem tragen wir durch angepasste Haushalte übrigensimmer wieder Rechnung. Bereits im Jahr 1957, als dielandwirtschaftliche Alterssicherung eingeführt wurde,hat man von einem Teilsicherungssystem gesprochen.Seit 1995 trägt nun der Bund die finanziellen Folgen ei-nes leider beschleunigten Strukturwandels. Das ist nichtselbstverständlich. Daher an alle Akteure, die im Haus-haltsbereich tätig sind, ein großes, dickes Danke.
Lieber Kollege Priesmeier, ich freue mich aufrichtig,dass du schon fast wieder der Alte bist.
Damit es dir gleich noch viel besser geht, spreche ich dieHofabgabeklausel an, die ebenfalls auf unserer Agendableibt.
Auch in der landwirtschaftlichen Krankenversiche-rung können die aktiven Mitglieder nicht alle Ausgabenfür ihre eigenen Rentner bzw. Altenteiler stemmen. Siewären finanziell schlichtweg überfordert. Danke deshalbauch dem Bundesminister und den Haushältern für diezusätzlichen, heute schon mehrfach genannten Kompen-sationsmittel von 37 Millionen bzw. 25 Millionen Euro.All dieses Geld ist gut investiert. Es hilft im Alter, unter-stützt bei Krankheit und sichert bei Unfällen ab.Mein zweiter Punkt ist der gesundheitliche Verbrau-cherschutz. Auch wenn das V im BML verschwundenist, bleibt Verbraucheraufklärung Daueraufgabe. Geradedie Arbeit des Bundesinstituts für Risikobewertung hatsich bewährt. Deshalb begrüße ich auch hier die Mittel-aufstockung sehr.
Denn das BfR zeigt Missstände auf, und es steuert auchdann mit Fakten dagegen, wenn Verunsicherung oder be-wusste Panikmache den Blick für Sachargumente ver-schließen. Je mehr sich die Menschen von der Lebens-wirklichkeit auf dem Land und der Erzeugung vonLebensmitteln entfremden, umso wichtiger wird dieseArbeit bzw. diese Aufgabe.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, als Landfraufreue ich mich außerdem, dass wir weiter auf eine ge-sunde Ernährungsweise setzen, auf transparente Lebens-mittelkennzeichnung und auf die Vermeidung von Le-bensmittelabfällen.Dritter Bereich: unsere Investitionen in Forschungund Innovationen. Kollege Jung hat darauf intensiv hin-gewiesen: Immerhin sind dafür im Etat 510 MillionenEuro veranschlagt. Ich möchte das Kind gerne einmal beimNamen nennen: Egal ob Tiergesundheit – Friedrich-Loeffler-Institut –, Kulturpflanzen – Julius-Kühn-Institut –,leistungsfähige Pflanzensorten – Bundessortenamt –, Er-nährung und Lebensmittel – Max-Rubner-Institut –, Le-bensmittelsicherheit – Bundesamt für Verbraucherschutzund Lebensmittelsicherheit – oder Ressourcennutzung– Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut –: Hier liegt dieForschung in unserem Land in guten Händen.
Wer aufgepasst hat, hat bemerkt: Die BLE, die Bun-desanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, habe ichnicht erwähnt. Ich nenne sie jetzt ganz bewusst noch.Die BLE richtet nämlich alle zwei Jahre – das ist denmeisten hier unbekannt – eine internationale Tagung füralle Führungskräfte im Bereich der Landjugend aus– diese Tagung ist einmalig –, und zwar in Herrsching inBayern; darüber freue ich mich als Bayerin natürlich.Dorthin kommen junge Leute, um sich – das ist weltweiteinmalig – auszutauschen, um sich fit zu machen für dieAnliegen der Landwirtschaft und der ländlichen Räume.Auch dieser Austausch wird durch unseren Haushalt ge-stützt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden unse-rem Minister mit diesem Etat ein solides Fundament be-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2303
Marlene Mortler
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reiten. Wir wünschen ihm eine glückliche Hand imSinne von Respekt und Bewahrung unserer Schöpfung.Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich habe das, was ichdas letzte Mal überzogen hatte, heute wiedergutgemacht.Ich bin vor Ablauf meiner Redezeit fertig.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und allesGute bei den weiteren Beratungen.
Vielen Dank, Marlene Mortler. Bei Ihnen wäre ich
heute auch ganz besonders gnädig gewesen. – Rainer
Spiering ist der nächste Redner für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Verehrte Gäste! Liebe Schülerinnen undSchüler! Im aktuellen Haushalt nehmen die BereicheNachhaltigkeit, Forschung und Innovation einen hohenStellenwert ein. Wir hören, das Gesamtbudget umfasst5,3 Milliarden Euro. Hiervon entfallen, wie bekannt,3,6 Milliarden Euro auf die landwirtschaftliche Sozial-politik und 600 Millionen Euro auf die GAK-Mittel. FürForschung und die vier Ressortforschungseinrichtungensind insgesamt 510 Millionen Euro – eine halbe Mil-liarde Euro, Kolleginnen und Kollegen! – veranschlagt;damit ist dies der drittgrößte Posten in diesem Einzel-plan.Schwerpunkte der Forschungsinvestitionen sind einenachhaltige landwirtschaftliche Produktion, Klima- undRessourcenschutz, Sicherheit von Lebensmitteln, Tier-wohl – die Kollegin Christina Jantz hat es gerade gesagtund, wie ich finde, sehr anschaulich deutlich gemacht –
und gesunde Ernährung.Es ist richtig, den Mittelzufluss für die großen For-schungseinrichtungen konsequent zu steigern und ihnenPlanungssicherheit zu geben. Die Langzeit- und Groß-forschung ist mit einer Haushaltssteigerung von 4 Pro-zent gut berücksichtigt. Glückwunsch, Herr Minister!
Forschung im Landwirtschafts- und Ernährungsbe-reich hat nicht nur etwas mit Saatgut und Seuchenprä-vention zu tun, nein, es geht hierbei auch um zentraleFragen unserer zukünftigen Ernährung. Diese wirddurch die Landwirtschaft und die nachgelagerte Lebens-mittelproduktion gesichert. Sie wissen, unsere Erde undihre Ressourcen gibt es nur einmal.Phosphor zum Beispiel als Bestandteil von Düngerwird in naher Zukunft ein knappes Gut sein. Die welt-weiten Phosphorvorräte werden, wenn nicht massiv um-gesteuert wird, in nicht einmal einer Generation aufge-braucht sein. Ich habe gelernt, nur 0,09 Prozent derErdrinde geben Phosphor her. Es heißt, Alternativen aufzu-zeigen. Hier sind wir in Deutschland mit unseren großenInstituten Julius Kühn, Friedrich Loeffler, Max Rubner,Johann Heinrich von Thünen und anderen sehr gut auf-gestellt.Herr Minister, ich möchte jetzt auf eine besondereFörderung des ländlichen Raums kommen: Wichtig ist,auch kleinere Institute in den Blick zu nehmen. LassenSie mich an dieser Stelle einen kurzen Augenblick beieiner Stadt im nördlichen Landkreis Osnabrück verwei-len. Ich gebe zu: Jetzt kommt der Werbeblock Heimat.Quakenbrück ist ein kleines Mittelzentrum mit circa13 000 Einwohnern im Grenzbereich der LandkreiseCloppenburg und Vechta, die wiederum allgemein be-kannt sein dürften. Wir befinden uns in einer Region, diemaßgeblich an der Fleischproduktion der Bundesrepu-blik Deutschland beteiligt ist.Ende der 80er-Jahre erlebte diese kleine Stadt wieviele andere auch eine tiefgreifende Strukturkrise, ver-bunden mit dem Rückgang der Zahl hochwertiger Ar-beitsplätze. Heute beheimatet die Stadt Quakenbrück dasDeutsche Institut für Lebensmitteltechnik, kurz: DIL.Eingebettet in eines der Zentren der Fleisch- und Le-bensmittelproduktion hat sich hier ein Hochleistungs-zentrum für Forschung und Anlagentechnik entwickelt.Eine kleine Randbemerkung. Dem einen oder anderenSportbegeisterten wird Quakenbrück bekannt sein.
Die Basketballmannschaft Artland Dragons spielt in der1. Bundesliga.
– Ja, ein Spitzenteam im ländlichen Raum. – Herr Minis-ter, wir brauchen auch Spitzenteams in Forschung undInnovation im ländlichen Raum.
Wenn wir diesen Raum stärken wollen, haben wir dieMöglichkeit dazu, durch vermehrte Projektförderungvon kleineren Forschungseinrichtungen, auch fernab derBallungszentren, gerade auch, verehrte Kolleginnen undKollegen, in den Bereichen der Technikfolgenabschät-zung und der Nanotechnologie. Lassen Sie uns die For-schung dort fördern, wo auch die Produktion stattfindet:im ländlichen Raum.
Dann ist die Kette zwischen Forschung und Umsetzungin der Praxis auch geschlossen.Warum brauchen wir diese Forschung? In unsererhochmodernen Gesellschaft vergessen wir mitunter, wasdie Basis unseres Daseins ist. Wir benötigen täglich ge-sunde Nahrungsmittel, am besten nachhaltig und res-sourcenschonend produziert. Der erste Sektor, also dieUrproduktion, sichert unsere Ernährung und bildet dieGrundlage für alles, was danach kommt, für den Sektor
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Rainer Spiering
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der Industrie und die Dienstleistungsbranche. Man mussimmer wissen, wo es anfängt und wo es aufhört.Ernährung ist in hohem Maße eine Frage des Vertrau-ens. Wir haben in der Vergangenheit häufig erlebt, dassdurch Lebensmittelskandale dieses Vertrauen erschüttertwurde. Es ist unsere Aufgabe, durch Forschung und Ent-wicklung dafür zu sorgen, dass das Grundvertrauen derVerbraucher langfristig wiederhergestellt wird und dassdie Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie ihreProdukte, die gut hergestellt sind, auch ordentlich aufden Markt bringen können.Aber es geht auch darum, die Ernährung generell si-cherzustellen. Wir finden heute im Supermarkt ein An-gebot im Überfluss. Aber ist es sicher, dass das langfris-tig so bleibt? Stichworte in einer sich veränderndenUmwelt sind „Klimawandel“, „Rückgang der Ressour-cen“, als kleines Beispiel: „massenhaftes Bienenster-ben“, und zwar durch Einflüsse, die wir erzeugt haben.Schon heute gibt es eine Eiweißlücke in Europa. Wirbenötigen mehr pflanzliches Eiweiß, als auf den Acker-flächen unseres gesamten Kontinents angebaut werdenkönnte. Diese Eiweiße werden für Futtermittel benötigt,um die Tiere zu mästen, die später unseren Fleischbedarfstillen sollen. Was uns an pflanzlichem Eiweiß fehlt,stammt von Soja-Monokulturanbauflächen in Nordame-rika oder aus abgeholzten Regenwäldern in Südamerika.Ist das nachhaltig? Nein.
Ist das ressourcenschonend oder wirtschaftlich effizient?Nein. Ist das ethisch vertretbar? Ein ganz großes Frage-zeichen!Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, warumForschung im Bereich der Ernährung und Landwirt-schaft wichtig ist. Das ist übrigens auch ein Bereich, indem das vorhin von mir genannte DIL forscht.Forschung allein reicht aber nicht. Die Forschungs-ergebnisse müssen auch in die Praxis gelangen und dortangewendet werden. Deshalb begrüßt die SPD-Fraktiondie konsequente Förderung des Bundesprogramms„Ökologischer Landbau“ und anderer Formen nachhalti-ger Landwirtschaft.
Das Bundesprogramm richtet sich auf die nachhaltigeBeseitigung von Wachstumshemmnissen entlang der ge-samten Wertschöpfungskette. Rund 10 Millionen Eurosollen für die Förderung des Wissenstransfers zwischenForschung und Praxis verwendet werden. Das ist derrichtige Weg.Der Etat des Bundesministeriums für Ernährung undLandwirtschaft benötigt Kontinuität und Flexibilität unddarf nicht Streichreserve für das Gesamtbudget werden.
Unsere Maximen sind: Planungssicherheit für die großenInstitute, die hervorragende Arbeit leisten, aber auchFörderung kleinerer Einrichtungen als regionale Leucht-türme, die eine Perspektive für den ländlichen Raumdarstellen.Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Danke schön, Herr Kollege. – Nächster Redner: Alois
Gerig für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Schade, dass ich heutekeinen Geburtstag habe.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damenund Herren! Von den nüchternen Zahlen her gesehen istder Einzelplan 10 mit seinen 5,31 Milliarden Euro in un-serem 300 Milliarden Euro umfassenden Gesamthaus-halt eher unbedeutend. Deshalb ist es besonders wichtig,dass wir bei dieser Debatte sowohl die Zahlen als auchdie Bedeutung unseres Ressorts ins rechte Licht rücken.
Die Landwirtschaft ist durch einen immensen Struk-turwandel zu einer in der Tat eher kleinen Branche ge-schrumpft. Gleichwohl ist ihre volkswirtschaftliche Be-deutung für die Menschen in Deutschland von ganzbesonderer Wichtigkeit. Immerhin hängt jeder neunteArbeitsplatz mit allen vor- und nachgelagerten Gewer-ken direkt oder indirekt mit der Land- und der Ernäh-rungswirtschaft zusammen.Unsere Bäuerinnen und Bauern versorgen die Bürgermit guten und preiswerten Lebensmitteln. Nirgendwoauf dieser Erde sind dabei die Standards für Pflanzenpro-duktion und Tierhaltung höher und damit die behördli-chen Auflagen strenger als bei uns.
Auch deshalb müssen wir eine vernünftige und ausge-wogene Politik der Wertschätzung für die Land- undForstwirtschaft sowie für die ländlichen Räume insge-samt machen – mit Verlässlichkeit und Perspektive fürdie Branche.Gewiss, die Einkommen der Landwirte sind sehr breitgestreut, mit Bilanzen von hochrot bis schwarz. Im Mit-tel liegen sie aber weit hinter dem gewerblichen Ver-gleichslohn. Lieber Kollege Ostendorff, auch deshalbkönnen wir auf den Agrardiesel nicht verzichten.
Wir müssen deshalb mit einer möglichst ausbalancier-ten Agrarpolitik dafür Sorge tragen, dass der Agrarsek-tor positive wirtschaftliche Rahmenbedingungen vorfin-
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Alois Gerig
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det, die bürokratischen Hürden nicht unüberwindbarwerden und so bei unseren Bäuerinnen und Bauern – dasist mir ganz wichtig – die Freude an einem der ältesten,aber schönsten Berufe dieser Welt erhalten bleibt.
Insbesondere liegen mir dabei die bäuerlichen, fami-liengeführten Betriebe am Herzen. Dort wird mit Liebezur Natur und Liebe zu den Tieren über das ganze Jahr inharter Arbeit dafür gesorgt, dass genügend gute Lebens-mittel bereitstehen und dass unsere Kulturlandschaft inder gebotenen Vielfalt und Schönheit gepflegt und erhal-ten bleibt. Anfeinden und diffamieren, liebe Kollegenvon der Opposition, ist hier nicht nur fehl am Platz, son-dern beschleunigt den Strukturwandel zusehends.Wir sind gefordert, mit einer klugen Agrarpolitikmöglichst dazu beizutragen, die Balance und so dasfriedliche Miteinander zwischen konventionellen undBiobetrieben, zwischen kleineren Nebenerwerbsbetrie-ben und flächenstarken Großbetrieben herzustellen. Daszunehmende Landgrabbing durch außerlandwirtschaftli-che Investoren stellt hierbei ohne Zweifel ein zunehmen-des Problem dar, welchem wir uns nach meiner Ein-schätzung politisch noch mehr widmen müssen alsbisher.
Meine Damen und Herren, Bescheidenheit ist eineTugend der Landwirtschaft, und so freue ich mich, dassunser kleiner, feiner Haushaltsplan 10 immerhin um41 Millionen Euro anwachsen soll, obwohl ein Teil un-serer Zuständigkeiten im Verbraucherschutz in das Jus-tizressort abgewandert ist.Dass rund zwei Drittel der zur Verfügung stehendenMittel in die agrarsoziale Sicherung gegeben werden, istrichtig und wichtig, um insbesondere Härten bei demvon mir schon angesprochenen Strukturwandel abfedernzu können.Mit der GAP-Reform und damit der möglichst ge-rechten Verteilung der Finanzmittel der EU kommen wirjetzt hoffentlich gut voran. Bei der Feinplanung müssenwir dafür Sorge tragen, dass sie möglichst gerecht ausge-staltet wird.Ich finde es ein bisschen schade, dass die Mittel fürdie Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar-struktur und des Küstenschutzes“ nicht aufgestockt wer-den. Wir alle wollen selbstverständlich zum Ziel einesausgeglichenen Haushalts beitragen. Gleichwohl bleibtdie GAK ein wichtiges Förderinstrument. Mit rund600 Millionen Euro werden Infrastrukturmaßnahmen inländlichen Räumen sowie Investitionen in der Landwirt-schaft und dem Ökolandbau unterstützt.Mit dem finanziellen Spielraum des Bundesministe-riums für Ernährung und Landwirtschaft wollen wirWirtschaftsministerium und Anwalt für den ländlichenRaum sein. Da geht es sehr wohl um eine gezielte Politikfür die ländlichen Räume in ganz vielen Bereichen destäglichen Lebens. Es geht um unser Bestreben für einemaßvolle Umsetzung der EEG-Novelle und um einenachhaltige Forstwirtschaft. Ebenso wollen wir unserenTeil zum Verbraucherschutz mit oder ohne „V“ im Na-men des Ministeriums sehr ernst nehmen.Mein Dank geht hier und heute besonders an unserenneuen Bundesminister Christian Schmidt mit seinenStaatssekretären und Mitarbeitern für die Ausarbeitungdieser Vorlage. Vorab auch einen Dank an unserenebenso neuen Fachhaushälter Cajus Caesar, der sich inunserem Sinne bei den Verhandlungen – da bin ich ganzsicher – in die Riemen schmeißen wird.
Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, dass wirzum Abschluss des heute beginnenden parlamentari-schen Verfahrens einen guten Haushalt beschließen wer-den. Es gibt allerdings viel zu tun. Lassen Sie es uns ge-meinsam angehen.Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist
Ute Vogt für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dem Dank an das Ministerium, dem Minister sowie denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern, schließe ich michgerne an.Ich möchte Ihren Blick auf die Zahlen lenken; denndie zeigen uns, wie stark die Europäische Union unsereLandwirtschaftspolitik auch in Deutschland prägt. Diegesamten Ausgaben unseres Ministeriums liegen bei5,31 Milliarden Euro. Die Direktzahlungen der Europäi-schen Union betragen 5,1 Milliarden Euro, kaum weni-ger als das gesamte Budget, das dem Landwirtschafts-ministerium zur Verfügung steht.Ich will diese Debatte nutzen, um auch denen zu dan-ken, die in rund 300 000 landwirtschaftlichen Betriebenin Deutschland dazu beitragen, dass wir eine qualitativhochwertige Versorgung mit Lebensmitteln haben unddass unsere Kulturlandschaft geprägt und erhalten wird.
Ohne Zweifel ist die Vielfalt unserer Landschaft auchein Erfolg des europäischen Modells. Es hat zumindestdazu beigetragen, diese Vielfalt bei uns in Deutschlandzu erhalten. Trotzdem haben wir großen Bedarf an einerNeuausrichtung. Wir müssen die Weichen stellen, umnach 2020 die Mittel zielgenauer einzusetzen. Für unsereFraktion – ich denke, auch für die Regierung – stehendabei nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften sowietiergerechte Landwirtschaft als wichtige Punkte ganzvorne an.
Die Kollegin Christina Jantz hat eindrucksvoll da-rüber gesprochen: Tiere dürfen nicht zum Industriepro-
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Ute Vogt
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dukt degradiert werden. Sie sind Teil der Schöpfung.Man muss sie als solches ansehen und auch entspre-chend behandeln. Ich freue mich ausdrücklich, dass wirmit dem neuen Herrn Minister einen Landwirtschafts-minister haben, dem solche Ansätze nicht fremd sind.Ich hoffe deshalb, dass wir hier in dieser Legislatur-periode richtige Fortschritte machen werden.
Im vorliegenden Haushalt spielen auch die For-schungsmittel eine große Rolle. Uns ist wichtig, dass wirdie Agrarforschung, wie im Koalitionsvertrag verein-bart, besser verzahnen. Kollege Spiering hat darauf hin-gewiesen: Es ist auch ein wichtiger Ansatz, dass wir– nicht nur bei ihm vor Ort, sondern überall im ländli-chen Raum – darauf achten, das Geld nicht nur an diegroßen Institute zu vergeben, sondern gerade auch klei-nen Instituten eine Chance zu geben, mit ihrem speziel-len Fachwissen dazu beizutragen, die Forschungsland-schaft vielfältiger zu machen.
Es ist uns von der SPD weiterhin ein großes Anliegen,den ökologischen Landbau entsprechend zu würdigen.Für uns ist der ökologische Landbau Goldstandard. DerMarkt ist nicht einfacher geworden; davon war schonmehrfach die Rede. Ich hätte einen Vorschlag, wie dasBundesprogramm Ökologischer Landbau stärker auf dasThema „Ökologischer Landbau“ fixiert werden könnte;wir haben uns schon öfter darüber unterhalten. Wir sindder Meinung, dass es wichtig wäre, ein eigenes Förder-programm für den Bereich der Eiweißpflanzen aufzule-gen und sich beim Bundesprogramm ÖkologischerLandbau tatsächlich auf den Ökolandbau zu konzentrie-ren. Das wäre ein wichtiges Anliegen, Herr Minister.Wir würden uns freuen, wenn wir das gemeinsam errei-chen könnten.
Schließlich will ich etwas zur Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes“ sagen. In der Tat ist sie mit Mitteln in Höhe von600 Millionen Euro nicht so gut ausgestattet, wie wir unsdas gewünscht haben und wie es der Kollege Seehofer– das darf ich sagen – eigentlich schon fast versprochenhatte, zwar nicht uns, aber der Agrarministerkonferenz.Vielleicht gelingt es, dafür zu sorgen, dass in der nächs-ten Legislaturperiode eine Schippe draufgelegt wird.Unabhängig davon denke ich, dass wir diese Gemein-schaftsaufgabe verändern sollten, um die Mittel zu erhö-hen. Europäische Förderprogramme eröffnen neue Spiel-räume bei der Stärkung der ländlichen Räume. Es gehtjetzt darum, dass wir die Daseinsvorsorge, aber auch diewirtschaftliche Entwicklung im ländlichen Raum si-chern.
Da geht es nicht allein um landwirtschaftliche Betriebe,sondern auch um kleine und mittlere Unternehmen, diees eben auch braucht, um die Landwirtschaft im ländli-chen Raum am Leben zu erhalten. Insofern sind wir derMeinung, dass wir die für einen besseren Mitteleinsatznotwendige Grundgesetzänderung vornehmen und dieGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“ tatsächlich in eine Gemein-schaftsaufgabe zur Förderung der ländlichen Räume um-wandeln müssen. Das bringt uns mehr Mittel, die wir fürden ländlichen Raum einsetzen können.
Ich habe noch zwei Wünsche, insbesondere an dieHaushälter. Der Kollege Uli Freese hat schon den Wald-klimafonds erwähnt. Die Erhöhung der Mittel für diesenFonds ist ein Anliegen, dem wir uns anschließen. Es isteine wunderbare Sache, dass es wenigstens gelungen ist,dass beide Ministerien, nämlich das Umwelt- und dasLandwirtschaftsministerium, zu gleichen Teilen in die-sen Fonds einzahlen. Aber wir wünschen uns, dass er soausgestattet wird, dass wir den Beitrag, den der Waldzum Erreichen der Klimaschutzziele leisten kann, effek-tiv nutzen. – Die Erhöhung der Mittel für den Waldkli-mafonds ist also ein wichtiges Anliegen unserer Frak-tion.Der zweite Punkt ist das Thema Hochwasserschutz-programm. Wir haben uns im Koalitionsvertrag daraufverständigt, das nationale Hochwasserschutzprogrammweiterzuführen. Unzählige Kolleginnen und Kollegen indiesem Haus haben es im vergangenen Jahr erlebt: Eskostet uns ungeheure Summen von Geld – weit mehr alsdas, was wir zur Vorbeugung investieren müssten –,wenn ein Schaden eintritt. Ein Hochwasser bringt nichtnur einen materiellen Schaden – 8 Milliarden Euro wur-den im letzten Jahr für die Schadensbekämpfung ge-braucht –, sondern auch großes Leid für die Menschen,die die Hochwasserschäden zu verkraften haben. Inso-fern brauchen wir die Unterstützung des ganzen Hausesfür die Erhöhung der Mittel in diesem Bereich. Ichwürde mich über lebendige Beratungen freuen. LassenSie uns am Ende einen Haushaltsentwurf verabschieden,der sichtbar die Handschrift unseres Parlamentes, derAbgeordneten dieses Hohen Hauses trägt.Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Zum Abschluss der
Debatte hat das Wort Cajus Caesar für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Meine ersten Worte möchte ich an unseren MinisterChristian Schmidt richten. In den ersten Wochen seinerAmtszeit hat er gezeigt, wie wichtig ihm der Bereich Er-nährung und Landwirtschaft ist. Mit Elan ist er dieDinge angegangen, aber nicht nur das. Mein Dank gilt
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Cajus Caesar
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ihm auch, weil er uns Politikern stets das Wort gönnt. Soschaffen wir es gemeinsam, im Bereich Ernährung,Landwirtschaft und – ich darf hinzufügen – Forsten et-was zu erreichen. Herr Minister, herzlichen Dank fürdiesen Elan!
Ich darf mich auch bei meinen Mitberichterstattern be-danken. Die ersten Gespräche haben gezeigt: Wir sindauf einem guten gemeinsamen Weg für die Landwirt-schaft.Ein zentrales Anliegen der Union ist der ländlicheRaum. Betrachten wir die Zahlen: Der ländliche Raumhat über 44 Millionen Einwohner und 322 000 Quadrat-kilometer Fläche. 300 000 Familien arbeiten in derLandwirtschaft und sorgen so für die volkswirtschaftli-che Bedeutung des ländlichen Raumes. Davon hängenwiederum 4 Millionen Arbeitsplätze ab, die mit derLandwirtschaft und den damit zusammenhängenden Be-reichen verbunden sind. Man sieht: Es ist ein Bereich,für den es sich lohnt, sich einzusetzen. Wir als Unionwollen das in besonderer Art und Weise tun.
Wichtig ist uns natürlich auch die Kulturlandschaft.Diese einzigartige Kulturlandschaft in Deutschland hät-ten wir nicht, wenn Bäuerinnen und Bauern nicht daranmitgewirkt hätten, sie zu gestalten. Mein Dank gilt all je-nen, die im ländlichen Raum arbeiten, leben und ihn ge-stalten.
Ein zentraler Bereich – das ist schon mehrfach ange-klungen – umfasst die Themen Nachhaltigkeit, For-schung und Innovation. In diesem zentralen Haushalts-bereich werden die Mittel um 33 Millionen Euro erhöht.Das ist uns wichtig. Es gibt vier Ressortforschungsein-richtungen des BMEL: das Julius-Kühn-Institut, dasFriedrich-Loeffler-Institut, das Max-Rubner-Institut unddas Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut. Ich darf sa-gen: Diese Namen stehen für Zukunftsforschung.
Wir sind sehr dankbar, dass dort die dafür nötige Arbeitgeleistet wird. Deshalb sind die 510 Millionen Euro, diein den Bereich Forschung und Innovation insgesamt in-vestiert werden, gut angelegtes Geld. Auch das ist unswichtig.Wir wollen Tiergesundheit, wir wollen Lebensmittel-sicherheit, und wir wollen auch den Bereich der Fische-reiforschung – das mag zunächst wie ein Randbereichklingen, er ist aber dennoch wichtig – fördern. Wir set-zen uns dafür ein, dass die Mittel für diesen Bereich er-höht werden. Wir als Koalition setzen mit diesem Haus-halt das Signal, dass wir diesen Bereich voranbringenwollen.Es ist uns wichtig, dass wir im Bereich der Fischerei-forschung, der nicht so oft genannt wird, vorankommen,beispielsweise durch den Ersatzbau des Fischereifor-schungsschiffes „Walther Herwig III“, für den insgesamtimmerhin 100 Millionen Euro veranschlagt wurden.Aber auch das ist gut angelegtes Geld. Die Fischer inDeutschland tragen dazu bei, dass wir weltweit als Vor-bild gelten. Nachhaltigkeit spielt in diesem Bereichebenso eine wichtige Rolle. Hier schließt sich der Kreis.Ein weiterer wichtiger Bereich ist der demografi-sche Wandel. Wir haben das Projekt „ModellvorhabenLandZukunft“ auf den Weg gebracht. Wir stellen uns derHerausforderung. Wir wollen, dass geeignete Strategienzur Bewältigung des Bevölkerungsrückgangs im ländli-chen Bereich angegangen werden. Deswegen haben wirdas Projekt „Modellvorhaben LandZukunft“ auf denWeg gebracht und mit den entsprechenden finanziellenRessourcen ausgestattet. Ich denke, dieses Projekt zeigt,dass uns, der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD,dieser Bereich wichtig ist.
Wir wollen gemeinsam mit den Landwirten auch dasTierwohl angehen. Das wird oft als Gegensatz darge-stellt. Nein, unsere Sprecher, unsere Obleute haben ge-sagt: Das ist für uns ein wichtiger Bereich. Franz-JosefHolzenkamp, Alois Gerig, Johannes Röring, alle, mit de-nen wir uns stetig austauschen, haben gesagt: Wir wollendas Projekt Tierwohl gemeinsam auf den Weg bringenund ausstatten; uns ist daran gelegen, dass wir dabei er-folgreich sind.Das gilt im Übrigen auch für andere Projekte. Esmacht doch keinen Sinn, wenn wir sagen: ÖkologischerLandbau ist gut, konventioneller Landbau ist schlecht.Wir müssen die Ideologien beiseitelassen und uns für dieLandwirtschaft einsetzen. Dann sind wir auf dem richti-gen, auf einem guten Weg.
Ich möchte an dieser Stelle das BiomasseForschungs-Zentrum ansprechen, das mit immerhin 10,7 MillionenEuro ausgestattet werden soll, aber auch die FachagenturNachwachsende Rohstoffe. Der gesamte Bereich Nach-wachsende Rohstoffe soll laut Entwurf mit 60 MillionenEuro ausgestattet werden. Die Fachagentur zeigte in derVergangenheit, dass sie Projekte in hervorragender Artund Weise bürokratiefrei meistert. Deshalb ist es uns eingroßes Anliegen, dass die Fachagentur weiterhin dieDinge aktiv begleitet und den positiven Weg weiterhinbeschreitet. Deshalb diese Mittelausstattung für Nach-wachsende Rohstoffe, die zwar nicht erhöht werdenkonnte, aber in diesem Umfang gut angelegtes Geld ist.
Zum Bereich des Waldes: Wir wollen – das habenmeine Kollegen bereits angesprochen – einerseits dieMittel für den Waldklimafonds auf 20 Millionen Euroerhöhen. Auch das ist gut angelegtes Geld. Dieses Geldträgt zum Klimaschutz bei, und so werden Ökologie undÖkonomie sehr gut verbunden. Waldschutz ist anderer-seits auch international wichtig. Internationaler Wald-schutz bedeutet, Wald zu sichern und etwas dagegen zutun, dass jedes Jahr 13 Millionen Hektar verloren gehen.Damit könnten 20 Prozent des jährlichen CO2-Ausstoßes
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Cajus Caesar
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vermieden werden, da diese allein durch den Waldver-lust verursacht werden. Es geht darum, nicht nachherteuer zu reparieren, sondern vorher präventiv zu han-deln. Mit dem Minister und in der Großen Koalition sindwir uns einig, dass wir auch beim Waldschutz etwas tunwollen.
Als Große Koalition wollen wir den Strukturwandelbegleiten. Das haben wir durch eine entsprechend hö-here Mittelausstattung der Sozialversicherung deutlichgemacht. Wir wollen den ländlichen Raum stärken. Wirwollen qualitativ hochwertige Ernährung, und wir wol-len insbesondere die Arbeitsplätze von morgen im länd-lichen Raum sichern. Wir werden die Herausforderun-gen angehen und damit auf Zukunft setzen. Wir alsGroße Koalition aus Union und SPD setzen uns für eineleistungsfähige und wettbewerbsfähige Landwirtschaft,Forstwirtschaft und Fischerei ein.Danke schön.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegennicht vor.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungEntsendung bewaffneter deutscher Streit-kräfte zur Beteiligung an der EuropäischenÜberbrückungsmission in der Zentralafrika-nischen Republik auf Grund-lage der Beschlüsse 2014/73/GASP sowie2014/183/GASP des Rates der EuropäischenUnion vom 10. Februar 2014 und vom 1. Ap-ril 2014 in Verbindung mit den Resolutionen2127 und 2134 (2014) des Sicherheits-rates der Vereinten Nationen vom 5. Dezem-ber 2013 und vom 28. Januar 2014Drucksache 18/1081Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsauschuss gemäß § 96 der GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wenn die allfälligen Verabschiedungen ihren ord-nungsgemäßen Abschluss gefunden haben, können wirin die Debatte einsteigen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er-teile ich das Wort Frau Bundesministerin Dr. Ursula vonder Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin derVerteidigung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Voreiner Woche sind die drei Religionsführer aus Zentral-afrika bei uns hier in Berlin gewesen: der katholischeErzbischof von Bangui, der Präsident der EvangelischenAllianz und der oberste Imam des Islamischen Rates.Alle drei werben zusammen in einer Friedensmission inEuropa und in den USA um Hilfe für ihr Land. Zentral-afrika versinkt im Augenblick in blutigen Auseinander-setzungen zwischen muslimischen Séléka-Milizen undchristlichen Anti-Balaka-Milizen. Die drei Religionsfüh-rer sagten mir, dies sei kein Religionskrieg. Vielmehrwerde die Religion durch die Politik für blutige Kon-flikte instrumentalisiert.Die drei Religionsführer haben sich aufgemacht, ei-nen Versöhnungsprozess in ihrem geschundenen Landzu beginnen. Sie haben mir geschildert, dass Kinder ausSchulen herausgeprügelt werden, weil sie entwederchristlichen oder muslimischen Glaubens sind. Sie ha-ben mir geschildert, wie in Krankenhäusern krankeMenschen sprichwörtlich aus den Betten gerissen wer-den, weil sie muslimischen oder christlichen Glaubenssind. Sie haben mir erzählt, dass sie, alle drei zusammen,sich vorstellen können, Gemeinschaftsschulen und Ge-meinschaftskrankenhäuser auf den Weg zu bringen.Sie haben aber auch unmissverständlich klargemacht,dass sie unsere Hilfe brauchen, um die Bevölkerung zuschützen, um Tötungen, Vergewaltigungen und Plünde-rungen zu unterbinden. Sie haben unmissverständlichklargemacht, dass sie ein robustes Mandat möchten, da-mit die Friedenswilligen das Gespräch wieder aufneh-men können. Ja, meine Damen und Herren, dabei wollenwir ihnen helfen, und dabei müssen wir ihnen helfen.
Die Afrikanische Union baut seit Juli 2013 eine Stabi-lisierungsmission mit 6 000 Soldaten und Polizisten auf.Frankreich engagiert sich seit Dezember mit 2 000 Sol-daten in der Zentralafrikanischen Republik. Vor wenigenTagen hat auch der Europäische Rat eine Mission fürZentralafrika beschlossen, die für sechs Monate die Mis-sion der Afrikanischen Union bei ihrem Aufwuchs un-terstützen soll, um letztlich die Voraussetzungen für eineUN-Friedensmission zu schaffen. Ende Mai sollen rund1 100 Soldaten aus bisher 22 beteiligten Nationen ein-satzbereit sein.Es war nicht leicht, diese europäische Mission auf denWeg zu bringen. Es hat allein fünf Truppenstellerkonfe-renzen bedurft, bis die Mission so weit war. Die Missiondrohte nicht nur daran zu scheitern, dass zu wenig Trup-pen aufgestellt wurden – das war nicht das Nadelöhr –,sondern vor allem daran, dass weder Truppen noch Ma-terial noch Nachschub per Lufttransport nach Zentral-afrika gebracht werden konnten und dass der Verwunde-tentransport nicht gesichert war.
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Wir wollen uns deshalb mit dem beteiligen, was ammeisten und am häufigsten von uns nachgefragt wird. Esgeht um den strategischen Lufttransport. Dabei wollenwir uns mit zivilen Transportgroßflugzeugen beteiligen.Großbritannien und Schweden stellen ebenfalls strategi-sche Luftkapazitäten. Wir wollen auch den luftgestütztenVerwundetentransport anbieten, unsere fliegende Inten-sivstation, für die die Bundeswehr hochgeschätzt wird.Zusätzlich werden wir Einzelpersonal in den beidenHauptquartieren anbieten, sowohl in Bangui als auch inGriechenland. Das alles umfasst das Mandat.Meine Damen und Herren, die Lage in Zentralafrikaist dramatisch. Navi Pillay, die Menschenrechtskommis-sarin der Vereinten Nationen, hat es nach ihrem Besuchin Bangui mit ausgesprochen drastischen Worten um-schrieben, indem sie gefragt hat:Wie viele Kinder müssen noch geköpft werden, wieviele Frauen und Mädchen noch vergewaltigt, be-vor wir … unsere Aufmerksamkeit darauf richten?Hunderttausende sind auf der Flucht vor der täglichenGewalt. Gut jeder Zweite in Zentralafrika ist auf huma-nitäre Hilfe angewiesen. Das sind 2,5 Millionen Men-schen; die Gesamtbevölkerung beträgt 4,6 MillionenMenschen.Wir alle wissen, dass die Militärmission allein nichtdie Probleme lösen kann. Aber sie kann ein Fenster öff-nen, sie kann zumindest einen Schutzraum ermöglichen,der dann für humanitäre Hilfe, für wirtschaftliche Ent-wicklung und vor allem für den Versöhnungsprozess,von dem die drei Religionsführer sprechen, genutzt wer-den kann. Dafür bitten wir Sie um ein Mandat.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Niema Movassat, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Frauvon der Leyen, die Lage der Bevölkerung in der Zentral-afrikanischen Republik ist dramatisch. BewaffneteGruppen bekämpfen sich und ermorden unschuldige Zi-vilisten. Die Opferzahlen gehen in die Tausende. DieHälfte der Einwohner ist auf Nahrungsmittelhilfe ange-wiesen. Die Menschen in Zentralafrika brauchen Hilfe;das ist klar, und da ist auch Deutschland gefragt.
Zur Vorgeschichte: Im März 2013 putschten dieSéléka-Rebellen den Präsidenten der Zentralafrikani-schen Republik Bozizé aus dem Amt. Truppen ausFrankreich und dem Tschad waren im Land, griffen abernicht ein, als die Rebellen in die Hauptstadt einmar-schierten. Sie ließen Bozizé plötzlich fallen, nachdem sieihn jahrelang unterstützt hatten.Es gibt viele Hinweise, dass die Séléka-Rebellen auchvom Nachbarland Tschad unterstützt wurden. Sie kamenaus den Grenzprovinzen zum Tschad. Bis heute ist nichtgeklärt, wie die Rebellen so schnell an die vielen Waffenkamen. Der Tschad wiederum ist einer der engsten Ver-bündeten Frankreichs in Afrika und wird kaum ohneRücksprache mit Paris agiert haben.In der Geschichte der Zentralafrikanischen Republikhat es seit der Unabhängigkeit 1960 keinen einzigen Re-gierungswechsel gegeben, an dem der ehemalige Kolo-nialherr Frankreich nicht irgendwie beteiligt war. So istes auch dieses Mal kaum vorstellbar, dass Paris diesenPutsch nicht zumindest geduldet hat. Was da seit Jahr-zehnten stattfindet, ist nichts anderes als Neokolonialis-mus und entschieden abzulehnen.
Derzeit befinden sich 2 000 französische und6 000 afrikanische Soldaten im Land. Mit der heute dis-kutierten EU-Militärmission sollen weitere 1 000 Solda-ten nach Zentralafrika geschickt werden. Dabei ist dieLage vor Ort völlig unübersichtlich. Die verfeindetenGruppen Séléka und Anti-Balaka sind in sich gespalten.Es herrscht Bürgerkrieg. Frankreich und die afrikani-schen Truppen gehen bei den Entwaffnungen der ver-schiedenen Gruppen laut Berichten einseitig vor. Wennman aber tendenziell nur eine Gruppe entwaffnet, kanndas das Morden sogar erst recht anheizen.Obwohl der Übergangsregierung in Zentralafrika jedeLegitimation fehlt, will die EU-Mission mit ihr zusam-menarbeiten. Die Führung der EU-Soldaten soll ausge-rechnet bei Frankreich liegen. Es ist doch so: Frankreichsieht seinen Einfluss in Afrika schwinden. Weil es dortauch finanziell nicht mehr alleine zurechtkommt, sollendie EU und Deutschland jetzt einspringen – erst in Mali,nun in der Zentralafrikanischen Republik. Ich sage Ih-nen: Frankreich ist nicht Teil der Lösung, sondern Teildes Problems. Dessen Truppen müssen raus aus Zentral-afrika. Das wäre ein Beitrag zur Deeskalation.
– Darauf komme ich noch.
Der deutsche Beitrag zur EU-Mission ist eher symbo-lisch: bis zu 80 Soldaten, zwei Transportflugzeuge, einSanitätsflugzeug. Deutschland führt unmittelbar keinenKrieg, wird aber im Führungsstab der EU-Militärmis-sion vertreten sein und damit auch Kampfentscheidun-gen mitbestimmen. Im Mandatstext steht ja, dass dieEU-Soldaten kämpfen sollen. Deutschland leistet mitseiner Unterstützung letztlich Beihilfe zum Krieg.
Deshalb sagt die Linke selbstverständlich Nein dazu.
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2310 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Niema Movassat
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Der tiefere Sinn der deutschen Beteiligung ergibt sichaus dem offenen Kurswechsel in der deutschen Außen-politik. Besonders in Afrika will man „mehr Verantwor-tung“ übernehmen. Das heißt offenbar auch, überall da-bei zu sein. Es vergeht keine Woche, in der imBundestag nicht über einen neuen Auslandseinsatz derBundeswehr diskutiert wird.
Da liegt die Vermutung nahe, dass diese Einsätze dieBundeswehr auch für künftige Kampfeinsätze fit ma-chen sollen.
Zudem soll die deutsche Bevölkerung, die nach einerUmfrage zu drei Vierteln militärische Einsätze ablehnt,weiter an die Normalität von Auslandseinsätzen ge-wöhnt werden.Deutschland hat eine Verantwortung und sollte dieserdurch humanitäre Hilfe gerecht werden.
Die mindestens 12 Millionen Euro, die Deutschland fürdiesen Einsatz allein 2014 ausgeben wird, wären im Be-reich der Nahrungs- und Gesundheitsversorgung für dieMenschen Zentralafrikas besser aufgehoben.
Oft wird ja behauptet, dass Entwicklungshilfe in Kri-sengebieten ohne Militär nicht möglich sei. Aber auch inZentralafrika verzichten Ärzte ohne Grenzen und dieRotkreuz- und Rothalbmondbewegung freiwillig auf mi-litärische Begleitung ihrer Arbeit, weil sie das ihren neu-tralen Status kostet und sie damit Angriffsziel werden.
Sie ignorieren dieses Problem in Afghanistan seit Jah-ren, nun auch beim EU-Einsatz in Zentralafrika. DieLinke lehnt die fatale Logik der zivil-militärischen Zu-sammenarbeit entschieden ab. Es muss endlich Schlussdamit sein!
Deutschland muss zudem endlich aufhören, drittgröß-ter Waffenexporteur der Welt zu sein. Niemand würde eswundern, wenn die Séléka-Rebellen auch mit deutschenKleinwaffen ausgerüstet waren, als sie das Land insChaos stürzten.
Auf seiner Reise in die Zentralafrikanische Republiksagte Herr Entwicklungsminister Müller, er habe keinen„Ruf nach Soldaten gehört, sondern den Schrei nachHilfe“ vernommen. – Das wäre ein Ansatzpunkt für diedeutsche Außenpolitik.Danke für die Aufmerksamkeit.
Als Nächstem erteile ich das Wort Herrn Staatsminis-
ter Michael Roth.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Als ich in meiner letzten afrikapolitischen Redevom Kontinent der Chancen sprach, hatte ich den Ein-druck, dass dieser positive Ansatz von sehr vielen Kolle-ginnen und Kollegen hier im Hause geteilt wird.
Es ist sicherlich ein bitterer Moment, heute wieder da-ran zu erinnern, dass furchtbare Gewalt in Teilen Afrikasvorherrscht. Auch hier sind wir wieder zur Solidaritätverpflichtet.Am vergangenen Freitag haben wir uns hier im Deut-schen Bundestag der Opfer des Völkermords in Ruandaerinnert, der sich in diesen Tagen zum 20. Mal jährt.Gestern fand in Ruanda selbst eine Gedenkveranstaltungstatt. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat dieSituation treffend auf den Punkt gebracht – ich darf ihnhier zitieren –: Auch eine Generation nach den Ereignis-sen währt die Schande fort. Wir hätten mehr tun können.Wir hätten mehr tun müssen. Der Völkermord in Ruandaist eines der finstersten Kapitel in der Geschichte derMenschheit. Wenn Sie Menschen sehen, die der Gefahrvon Gräueltaten ausgesetzt sind, warten Sie nicht aufAnweisungen aus der Ferne! Sprechen Sie, auch wenn esverletzend sein mag! Handeln Sie!Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir hier im Hause ei-nig sind: Ein zweites Ruanda darf es nicht geben.
Das bedeutet aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen,dass es nicht genug ist, nur lautstark „Nie wieder!“ zurufen; denn erst wenn den besorgten Worten auch ent-schiedenes Handeln folgt, werden wir unserer außen-politischen Verantwortung wirklich gerecht. Ich will hierüberhaupt keine Vergleiche ziehen, die zu kurz greifenoder krumm sind; aber es treibt uns sicherlich alle dieFrage um: Hat die internationale Gemeinschaft in Zen-tralafrika bislang genug und das Richtige getan, um wei-teres sinnloses Blutvergießen zu verhindern?Catherine Samba-Panza ist seit Januar dieses JahresÜbergangspräsidentin der Zentralafrikanischen Repu-blik. Die Sicherheitslage in der Hauptstadt Bangui hatsich leicht beruhigt; aber insgesamt bleibt das, was wirin der Zentralafrikanischen Republik erleben, katastro-phal. Die Vereinten Nationen und zahlreiche Hilfsorga-
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Staatsminister Michael Roth
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nisationen zeichnen das Bild eines Landes im freien Fall.Brutale Gewalt gegen die Zivilbevölkerung prägt denAlltag, schwerste Menschenrechtsverletzungen sind ander Tagesordnung: Morde, Vergewaltigungen, Brand-schatzungen, Plünderungen und die Rekrutierung vonKindersoldaten. Die Lage ist desaströs: 2,5 MillionenMenschen sind mittlerweile auf humanitäre Hilfsleistun-gen angewiesen, allein 1,6 Millionen Menschen aufakute Nahrungsmittelhilfe. Über 600 000 Menschen sindgeflüchtet, sind vertrieben worden, haben ihre Heimatverloren. Allein in der Hauptstadt Bangui befinden sich200 000 Flüchtlinge. Doch solange das Land weiterhinvon gewaltsamen Unruhen erschüttert wird, haben dieinternationalen Hilfsorganisationen kaum eine Chance,dorthin zu gelangen, wo ihre Hilfe am dringendsten ge-braucht wird.Die zentralafrikanischen Sicherheitskräfte – die Poli-zei, das Militär, die Gendarmerie –, auch wenn sie offiziellwieder ihren Dienst aufgenommen haben, sind derzeit au-ßerstande, der Gewalt irgendetwas entgegenzusetzen: Esfehlt an Personal, es fehlt an Finanzierung, es fehlt an In-frastruktur, es fehlt an Ausrüstung und Ausbildung. Esist nicht damit zu rechnen, dass die zentralafrikanischenSicherheitskräfte mittelfristig einsatzfähig sein werden.Frau Bundesministerin von der Leyen hat es ebenschon ausgeführt: MISCA, das heißt, die multinationaleFriedenstruppe der Afrikanischen Union, ist mit6 000 Soldaten engagiert, darüber hinaus die Franzosenmit der Operation Sangaris mit abermals 2 000 Soldaten.Jetzt geht es darum, ob wir eine weitere Mission auf denWeg bringen. Diese Mission der Europäischen Union istaber eine Überbrückungsmission. Für uns steht eineMission der Vereinten Nationen im Mittelpunkt, und wirhoffen, dass es in Kürze einen Einsetzungsbeschluss desUN-Sicherheitsrates geben wird, damit die UN-Mission– hoffentlich im Herbst – ihre Arbeit aufnehmen kann.Wir sind uns bewusst, dass eine nachhaltige Stabili-sierung der Zentralafrikanischen Republik nur von innenmöglich ist. Angesichts der dramatischen Lage, in dersich das Land nun seit mehr als einem Jahr befindet, dür-fen wir aber keine schnellen Erfolge erwarten. Wir wis-sen, dass wir einen ziemlich langen Atem brauchen. Wirin der Bundesregierung sind aber einem umfassendenund vorausschauenden Ansatz in der Außenpolitik ver-pflichtet. Dazu gehören für uns nicht zuletzt die zivileKrisenprävention, humanitäre Hilfe und ein entwick-lungspolitischer Ansatz. Dazu haben wir uns im Rahmender EU und der Vereinten Nationen auch bilateral ver-pflichtet. Die Bundesregierung hat bislang 6 MillionenEuro zur Verfügung gestellt, die EU hat 45 MillionenEuro zugesagt, und es gibt weitere konkrete Zusagen.Die Übergangsregierung in der ZentralafrikanischenRepublik ist angetreten, um endlich wieder Stabilität undSicherheit herzustellen. Es war gut, dass dieses Themaauch auf dem EU-Afrika-Gipfel in der vergangenen Wo-che noch einmal angesprochen wurde und dass Wegeaufgezeigt wurden, die mehr Verantwortung auch derEuropäerinnen und Europäer zum Ziel haben. PräsidentBarroso brachte es auf den Punkt: „Euer Frieden ist auchunser Frieden, euer Wohlstand ist auch unser Wohl-stand.“ Das sind erste zaghafte Bemühungen um mehrStabilität und Sicherheit in der Zentralafrikanischen Re-publik. Wir sollten sie wirklich nach Kräften unterstüt-zen; denn die beunruhigenden Nachrichten, die uns tag-täglich aus Bangui erreichen, zeigen uns: Das Land istdringend auf internationale Hilfe angewiesen. Dem soll-ten wir uns nicht verschließen.Daher wollen wir gemeinsam mit unseren euro-päischen Partnern im Rahmen der EU-MissionEUFOR RCA einen begrenzten, aber wichtigen Beitragin Zentralafrika leisten, um das Leben der Zivilbevölke-rung in der Zentralafrikanischen Republik zu schützen.Ich bitte Sie dafür im Namen der Bundesregierung umIhre Unterstützung.Vielen Dank.
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Dr. TobiasLindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir führen hier heute Abend eine schwierige De-batte über ein Land in einer bitteren, in einer katastro-phalen Situation, und wir stehen vor der Entscheidung,ob wir einen begrenzten, überschaubaren Beitrag leistenwollen, der die Chance bieten kann, diese katastrophaleSituation abzumildern, oder ob wir das angesichts vieleroffener Fragen nicht wollen. Dies ist keine einfache undmuss eine sehr verantwortungsbewusste Entscheidungsein.Es ist von der Vorrednerin und den Vorrednern viel-fach angesprochen worden: Wir reden bei der Zentral-afrikanischen Republik über ein Land, in dem nur nochrudimentäre staatliche Strukturen vorhanden sind. Eineerste Aufgabe muss von daher lauten, so etwas wie einGewaltmonopol wiederherzustellen und Voraussetzun-gen für mehr humanitäre Hilfe – darin sind wir alle unsja einig – zu schaffen.Wir reden über ein Land mit katastrophalen Zustän-den, in dem Gewalt aus unterschiedlichen Richtungenherrscht: angefangen bei kriminellen Banden bis hin zu– so will ich sie nennen – religiös getriebenen Gruppen.Wir reden über eine Bevölkerung, die auf der Flucht istund von der mehr als die Hälfte humanitärer Hilfe be-darf. In dieser Situation ist Hilfe bitter notwendig, aberHilfe zu leisten ist auch schwierig.Wir alle müssen uns fragen, was wir überhaupt tunkönnen, wie groß unser Beitrag zur Lösung der Pro-bleme sein kann und auf welche Fragen wir in der jetzi-gen Situation überhaupt keine Antworten geben können.Natürlich müssen wir heute an diesem Abend innehaltenund uns selbstkritisch fragen, was wir in der Vergangen-heit nicht getan haben und warum es zu dieser Situationgekommen ist.Aber wir müssen uns auch fragen, was passiert, wennwir diese Hilfe nicht geben würden, wenn Deutschlanddiesen Beitrag nicht leisten würde. Dieser Beitrag, meine
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2312 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Dr. Tobias Lindner
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lieben Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion,ist aus meiner Sicht mehr als ein symbolischer Beitrag:Wir reden von Unterstützung in Form eines strategi-schen Lufttransports, über einen strategischen Verwun-detentransport und über Hilfe bei der Erstellung einesLagebilds. Aber dieser Beitrag ist im positiven wie imnegativen Sinne ein überschaubarer Beitrag. Er wirdnicht ausreichen, um alle Probleme wirklich in den Griffzu bekommen. Er wird – das haben Sie, Herr Staats-minister, eben herausgestellt – vor allem dann nicht aus-reichen, wenn er isoliert von uns geleistet wird. Wirmüssen also dringend über mehr humanitäre Hilfe reden.Wenn es darum geht, die Situation vor Ort zu verbessern,wenn es um mehr humanitäre und zivile Hilfe geht, ha-ben Sie unsere Unterstützung.
Dieser Beitrag ist mit einer Menge offener Fragenverbunden: Was ist, wenn diese Überbrückungsmissionnicht reicht? Was ist, wenn am Ende der sechs Monatedie Vereinten Nationen nicht in der Lage sind, mit einereigenen Mission vollständig Verantwortung zu überneh-men? Was ist, wenn nicht ausreichende zivile Hilfekommt oder wenn es nicht gelingt, eine von allen Seitenakzeptierte Regierung zu finden und das Gewaltmonopolwiederherstellen? In welche Richtung wird sich dasLand entwickeln? Eine weitere offene Frage lautet: Wasist denn der große Gesamtplan, um das Ganze anzuge-hen?Aber so überschaubar dieser Beitrag ist, muss mandoch sagen: Ein überschaubarer Beitrag ist am Ende im-mer noch besser als kein Beitrag, als ein hilfloses Zuse-hen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir inunserer Fraktion zwischen der Lage in der Zentralafrika-nischen Republik, den offenen Fragen und den bei dieserMission bestehenden Risiken sehr ernsthaft abgewogen.Ich kann Ihnen heute sagen, dass – vorbehaltlich der Be-ratungen im Ausschuss – die überwiegende Mehrheit un-serer Fraktion zu dem Ergebnis gekommen ist, diesemMandat zustimmen zu wollen.Ich kann nur wiederholen: Dieses Mandat öffnet einFenster und schafft eine Chance. Es ist nicht an sich dieLösung, um die Probleme in den Griff zu bekommen.Deswegen sind wir alle gerade in dieser Stunde angehal-ten, das zu tun, was noch darüber hinaus notwendig ist,und ernsthaft zivile Hilfe zu leisten. Auch dafür werdenSie unsere Unterstützung haben.Ich danke Ihnen.
Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin
Dagmar Freitag, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Indiesen Tagen – darauf ist bereits hingewiesen worden –blickt die Welt auf den schrecklichen Völkermord inRuanda vor genau 20 Jahren zurück. Auch hier im Hausehaben wir Ende vergangener Woche dazu eine intensive,nachdenkliche und – das möchte ich hinzufügen – in An-sätzen durchaus selbstkritische Debatte geführt; Staats-minister Roth hat bereits darauf hingewiesen.Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatauch von einer sich für uns aus Ruanda ergebenden Ver-pflichtung gesprochen – Herr Präsident, ich darf zitieren –:Wir schulden ihnen– also den Menschen Ruandas –,dass wir uns nicht dem Gefühl der Ohnmacht undschon gar nicht der Gleichgültigkeit hingeben, dasswir nicht nur anprangern, sondern das uns Mögli-che tun, das in unserer Macht steht, um Völkermordzu verhindern. Das ist unsere Verpflichtung, unddieser Verpflichtung müssen wir gerecht werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, UN-Generalsekre-tär Ban Ki-moon hat am Wochenende in Bangui, derHauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, seinerBefürchtung Ausdruck verliehen, dass in dem Land einVölkermord unmittelbar bevorsteht.Einige Fakten untermauern diese Einschätzung. DieSicherheitslage und natürlich auch die humanitäre Situa-tion im Land sind dramatisch. Die Menschen durchlebenfür uns unvorstellbare Situationen. Massaker und brutaleVertreibungen bestimmen die aktuelle Lage. Die Verein-ten Nationen gehen mittlerweile von mehreren TausendToten beider Konfessionen seit Beginn der Krise aus.Ein Viertel der knapp 5 Millionen Einwohner befindetsich auf der Flucht. 2,5 Millionen Menschen sind ganzdringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. 1,5 Millio-nen Menschen hungern jeden Tag. Für Experten vonAmnesty International hat die Gesamtsituation längstden Charakter einer „ethnischen Säuberung“ angenom-men, wie es in einem Bericht heißt.Hinzu kommt – ich denke, das darf nicht unterschätztwerden – die prekäre Sicherheitslage, die den Zugangfür humanitäre Hilfe unendlich erschwert und teilweisesogar unmöglich macht. Ich denke, auch das muss jederim Hinterkopf haben, der ausschließlich humanitäreHilfe fordert. Sie muss erst ankommen können, liebeKolleginnen und Kollegen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2313
Dagmar Freitag
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Unter den geschilderten Bedingungen steht die sichseit Januar im Amt befindliche Übergangsregierung vorder Herkulesaufgabe, einen Neubau dieses Landes zu or-ganisieren. Angesichts der auch schon von den Vorred-nern und Vorrednerinnen geschilderten Lage darf sichaus unserer Sicht die internationale Gemeinschaft derUnterstützung nicht verweigern. UN-GeneralsekretärBan Ki-moon fordert deshalb eine 12 000 Mann starkeUN-Friedenstruppe, die ihre Arbeit bis Ende des Jahresaufnehmen soll. Wir erwarten einen entsprechenden Be-schluss des UN-Sicherheitsrates in diesen Tagen. Füreine wirkungsvolle internationale Unterstützung ist esnach unserer Einschätzung allerdings notwendig, dasseine UN-Mission in dieser Größenordnung ihre Arbeit inder Zentralafrikanischen Republik zeitnah aufnehmenkann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Kontextdiskutieren wir heute den deutschen Beitrag zur UN-Friedensmission. Diese Überbrückungsmission hat vor-rangig zum Ziel, gemeinsam mit der AfrikanischenUnion und den Vereinten Nationen die Rückkehr desLandes zu einer verfassungsmäßigen Ordnung zu unter-stützen – im Übrigen auch als Voraussetzung für die für2015 geplanten Wahlen – sowie die von den bewaffnetenTruppen ausgehende Bedrohung für die Bevölkerungeinzudämmen. Damit wäre dann auch gewährleistet, dendringend erforderlichen Zugang für die humanitärenMaßnahmen zu ermöglichen.Das geplante Einsatzgebiet liegt in der Region Ban-gui. Von deutscher Seite – wir haben es gehört – könnenbis zu 80 Soldatinnen und Soldaten in der Mission ein-gesetzt werden. Sie sollen in Planung und Führung derMission tätig werden und – auch das wurde bereits er-wähnt – die strategischen luftgestützten Verwundeten-transporte übernehmen.Nach heutigem Stand sollen innerhalb von sechs Mo-naten nach Erreichen der vollen Einsatzbereitschaft dieVoraussetzungen für die dann geplante UN-Friedensmis-sion geschaffen sein, und entsprechend ist das Mandatbis Ende Februar 2015 befristet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der KollegeLindner hat darauf hingewiesen: Niemand macht sichsolch eine Entscheidung leicht. Sie haben zu Recht da-rauf hingewiesen, dass in den Fraktionen sicherlich un-terschiedliche, aber bestimmt intensive Diskussionenstattfinden.Wir halten die Beteiligung Deutschlands an der Mis-sion für sinnvoll und werden diesem Mandat zustimmen,auch um dazu beizutragen, ein Massaker wie vor 20 Jah-ren in Ruanda zu verhindern. Die Lehren aus Ruandasollten uns Leitlinien für unser heutiges Handeln aufzei-gen. Eine davon muss sein, nicht nur mit Betroffenheitzurückzublicken, sondern auch mit der gebotenen Ver-antwortung nach vorne zu schauen, in diesem Fall aufdie Zentralafrikanische Republik, die Zukunft des Lan-des und die Menschen.Vielen Dank.
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Florian Hahn,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-gen! Auch ich möchte an die Debatte anknüpfen, die wiram letzten Freitag zum 20. Jahrestag des Völkermords inRuanda geführt haben. Diese Debatte war angemessen,differenziert und hat uns, glaube ich, alle zum Nachden-ken angeregt. Zum einen war sie wichtig, um der Hun-dertausenden Opfer zu gedenken, die unter den Augender Weltgemeinschaft massakriert wurden. Zum anderenwar sie wichtig, weil wir uns dabei immer wieder dieFrage stellen mussten: Wie konnte das passieren? Warumhaben wir keine Maßnahmen – welche auch immer – er-griffen, um diese Katastrophe zu verhindern bzw. zustoppen und zu helfen? Dabei waren alle Debattenbei-träge – das möchte ich ausdrücklich sagen – sehr wert-voll, auch die Beiträge der Linken. Allerdings ließbeispielsweise der Kollege Liebich in seinem Beitrag amletzten Freitag – wahrscheinlich mit Blick auf die De-batte, die wir heute führen – ein Hintertürchen offen, alser sagte:Bitte legitimieren Sie keine neuen Militäreinsätzein Situationen, die mit Ruandas Völkermord mitHundertausenden Toten nicht zu vergleichen sind!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ichglaube schon, dass sich hier einiges vergleichen lässt.Natürlich lässt sich nichts hundertprozentig miteinandervergleichen, weil sich nichts hundertprozentig wieder-holt. Aber wir müssen aus der Vergangenheit und derGeschichte lernen, um in der Gegenwart die richtigenEntscheidungen zu treffen und richtig zu handeln.
Ich glaube, die Lage in der Zentralafrikanischen Re-publik ist gerade unter humanitären Aspekten desaströs:Tausende Tote, Hundertausende auf der Flucht, allein inBangui 200 000 Flüchtlinge, Terror und Chaos durchmarodierende Banden. Es fehlt an staatlichen Strukturen.Religiöse Unterschiede werden als Vorwand für Mordund Totschlag verwendet. So ist die Lage. Ban Ki-moonhat vor wenigen Tagen dazu gesagt: Die staatliche Si-cherheit wurde durch einen Zustand der Anarchie er-setzt. Die internationale Gemeinschaft hat die Menschenin Ruanda vor 20 Jahren im Stich gelassen. Heute riskie-ren wir, nicht genug für die Menschen in der Zentralafri-kanischen Republik zu tun.Wir stehen also wieder vor der Frage: Handeln odernicht handeln? Wenn die Staatengemeinschaft nicht han-delt, laufen wir Gefahr, dass wir uns später die Antwortauf die Frage „Wo wart ihr?“ wieder überlegen müssen.
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2314 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Florian Hahn
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Deshalb ist es richtig, dass in der ZentralafrikanischenRepublik international gehandelt wird. Da der Einsatzder französischen Soldaten im Rahmen von Sangaris undAfrikanischer Union sowie MISCA zwar wertvoll, abernoch nicht ausreichend ist, wird es eine kompaktere VN-Friedensmission im Herbst geben. Um diese vorzuberei-ten, wollen wir heute die EU-Mission EUFOR RCA aufden Weg bringen. Wir sollten uns als großer europäi-scher Player daran beteiligen. Auch wenn wir damitkeine originären nationalen Interessen verfolgen, wollenund dürfen wir uns angesichts der dramatischen Lage indiesem Land nicht verweigern. Es ist daher angemessen,dass wir keine Kampftruppen zur Verfügung stellen,wohl aber Fähigkeiten, die kaum ein anderer hat undohne die eine solche Mission wahrscheinlich scheiternwürde. Damit zeigt sich Deutschland auch bei dieserMission mit den europäischen und afrikanischen Part-nern solidarisch.Auch wenn es beim heutigen Mandat im Wesentli-chen um Sicherheitsaspekte geht, sollten wir nicht ver-gessen, dass in der Zentralafrikanischen Republik – ganzim Sinne eines vernetzten Ansatzes – viel mehr Hilfeund Unterstützung zur Verbesserung der Lage vonnötensein werden. So braucht es den Aufbau von medizini-scher Versorgung, von Infrastruktur im Allgemeinen, ei-ner Wasserversorgung, von staatlichen Strukturen etc.Ich bin daher dankbar, dass Deutschland auch hierVerantwortung zeigt. Entwicklungshilfeminister Müllerhat erst kürzlich bei seinem Besuch vor Ort zusätzlich10 Millionen Euro vor allem für den Ausbau der medi-zinischen Versorgung zugesagt. Damit dieser zivileAufbau möglich ist, brauchen wir eine erfolgreiche eu-ropäische Aufbaumission und eine Friedensmission derVereinten Nationen.Herzlichen Dank.
Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich das
Wort der Kollegin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist von allen Seiten darauf hingewiesen worden: Die
Sicherheitslage und die humanitäre Lage in der Zentral-
afrikanischen Republik haben sich seit dem Putsch ge-
gen die Rebellenkoalition im letzten Jahr drastisch ver-
schlechtert. Die Sicherheitslage und die humanitäre
Lage gehören untrennbar zusammen. Sie sind zwei Sei-
ten einer Medaille. Wer, wie die Linken, diesen Zusam-
menhang nicht sieht oder nicht sehen will, handelt un-
verantwortlich, Herr Movassat.
Es geht nicht, dass Sie hier sagen, dass wir Beihilfe
zum Krieg leisten. Wo sind wir denn? Wir organisieren
Verwundetentransporte.
Ich kann nur sagen: Gehen Sie in sich! Ich hoffe, dass
Sie irgendwann zu der Erkenntnis kommen, dass Sie hier
komplett falsch gelegen haben.
2,8 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe.
Das sind 54 Prozent der Gesamtbevölkerung oder die
Einwohnerzahl von Schleswig-Holstein. 1,3 Millionen
bis 1,6 Millionen Menschen – da gibt es unterschiedliche
Zahlen – sind akut auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.
Das sind 28 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ent-
spricht der Bevölkerungszahl einer Großstadt in unserem
Land. 625 000 Menschen sind im Land auf der Flucht.
Das sind 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ent-
spricht der Zahl der Bevölkerung des Bundeslandes, aus
dem ich komme, Bremen-Bremerhaven.
Das sind Zahlen, aber was bedeuten sie eigentlich?
Christliche und muslimische Milizen – darauf wurde
hingewiesen – ziehen abwechselnd durch das Land. Sie
morden nicht nur die direkten Gegner, sondern greifen
fast wahllos die Zivilbevölkerung an. Mord, Plünderung,
Sterben, Tod, auch von Kindern, Hunger, Mangelernäh-
rung, Vergewaltigungen, Kinder ohne Schulunterricht –
all das gehört zum Alltag in diesem Land. Unsere Minis-
terin hat gesagt: Es versinkt im Chaos.
Als ich journalistisch tätig war, bin ich in vielen
Elendsgebieten auf verschiedenen Kontinenten gewesen,
auch in Afrika. Ich kann Ihnen sagen: Die Bilder, das,
was man da sieht, vergisst man nie im Leben. Dieses
Elend, dieser Schrecken – ich wünsche Ihnen, Herr
Movassat, nicht, dass Sie das sehen oder erleben müs-
sen; aber ich wünsche Ihnen schon mehr Nachdenklich-
keit in Bezug auf das, was Sie hier gesagt haben, näm-
lich dass Sie nicht helfen wollen. Das kann ganz
bestimmt nicht unser Auftrag sein.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Movassat zu?
Am Ende. Dann gerne.
– Nein, ich scheue keine Diskussionen.Ich habe auf der Reise mit BundesaußenministerFrank-Walter Steinmeier vor zwei Wochen drei afrikani-sche Länder besucht, in denen man sehen konnte, welchePotenziale Afrika hat, wie es gehen kann, wenn Sicher-heit herrscht, wenn nicht jeden Tag der Kampf ums
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014 2315
Elisabeth Motschmann
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Überleben stattfindet. Wir müssen sehen, dass das einKontinent ist, der sich entwickeln kann und der vor-wärtskommen kann, wenn Stabilität herrscht.
Immer ist es natürlich auch der Bildungsstand in ei-nem Land, der Auskunft darüber gibt, wie sich ein Landentwickelt. Die Alphabetisierungsrate bei den Männernin Zentralafrika liegt unter 70 Prozent, die der Frauennoch unter 45 Prozent.Ohne Bildung fehlt natürlich die Kraft zur Abwehrvon Gewalt und Hass. Insofern ist Bildung immer aucheine wesentliche Grundlage dafür, dass Stabilitätherrscht. Deshalb müssen wir hier helfen und unterstüt-zen; mehr ist es ja nicht. 80 Soldaten sind dort im Rah-men eines begrenzten Auftrages und eines begrenztenZeitraumes im Einsatz. Es ist gut, dass dieser Einsatz imSchulterschluss mit der Europäischen Union, den Ver-einten Nationen und der Afrikanischen Union geschehensoll. Man agiert also nicht isoliert, sondern in diesemZusammenschluss.Es geht darum, die Stabilität des Landes, die Stabilitätder Regierung, die Stabilität der gesamten staatlichenAutorität herzustellen. Das ist die Grundvoraussetzungdafür, dass überhaupt Entwicklungshilfe stattfinden undgreifen kann. Der Einsatz der Bundeswehr ist eine Über-gangsmission und keine Langzeitmission. Es ist gut,dass wir diesen Auftrag ausführen, damit im Anschlusseine Friedensmission stattfinden kann.Ich bin eindeutig der Meinung, dass – wie die Bun-desregierung es klar dargestellt hat – eine dauerhafte Lö-sung des Konflikts nur durch einen politischen Prozesszustande kommen kann. Militärische Unterstützung er-setzt niemals politische Prozesse. Wenn wir dem Antragam kommenden Donnerstag zustimmen, dann entsendenwir Soldatinnen und Soldaten wieder in eine Krisenre-gion. Dies tun wir aber nur, um Stabilität und humanitäreHilfe möglich zu machen. Ich hoffe und wünsche denSoldatinnen und Soldaten eine erfolgreiche Mission undeine gute und sichere Heimkehr.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Niema Movassat, Fraktion Die Linke.
Danke, Herr Präsident. – Ich möchte, liebe Frau Kol-
legin Motschmann, zwei Punkte richtigstellen. Ich finde,
man kann unterschiedlicher Auffassung sein; aber man
sollte zumindest in der Wiedergabe dessen, was gesagt
wurde, bei den Tatsachen bleiben.
Erste Richtigstellung, und zwar zur Frage der Hilfe.
Sie haben gesagt: Die Linke will nicht helfen. – Ich habe
hier deutlich gemacht, dass die Linke dafür ist, humani-
täre Hilfe zu leisten und auszuweiten.
Ich habe Ihnen auch deutlich gemacht, dass es verschie-
dene Nichtregierungsorganisationen gibt, die derzeit in
der Zentralafrikanischen Republik ohne militärische Be-
gleitung aktiv sind, unter anderem Ärzte ohne Grenzen.
Zweite Richtigstellung. Sie haben kritisiert, dass ich
den Einsatz als Beihilfe zum Krieg bezeichnet habe.
Ich möchte gerne aus dem Mandatstext vorlesen. Da
steht:
EUFOR RCA ist nach Maßgabe der Resolution
2134 ermächtigt, alle erforderlichen Maß-
nahmen einschließlich der Anwendung militäri-
scher Gewalt zur Erfüllung dieses Mandats zu er-
greifen.
Ich habe hier deutlich gesagt, dass Deutschland durch
seinen Einsatz an dieser militärischen Gewaltanwendung
nicht unmittelbar beteiligt ist, dass die deutschen Solda-
ten aber natürlich einen wesentlichen Beitrag dazu leis-
ten, dass diese Mission stattfinden kann und dass die an-
deren Mitgliedstaaten der EU, die mit ihrer Infanterie
auf dem Feld militärische Gewalt ausüben werden, Un-
terstützung in ihrem Einsatz erhalten. Insofern trifft die
Formulierung „Beihilfe zum Krieg“ durchaus zu.
Danke.
Frau Kollegin Motschmann, wollen Sie erwidern? Sie
dürfen, Sie müssen aber nicht. – Bitte schön.
Herr Movassat, ich bin dankbar, dass Sie noch einmalklar und deutlich formuliert haben: Es ist „Beihilfe zumKrieg“. Genau das ist es eben nicht, und genau das habeich kritisiert. Genau das ist unverantwortlich: dass Siedas so bezeichnen.Vielmehr geht es darum – das kann man Ihnen nurimmer wieder sagen –, Menschen zu helfen und dasElend in diesem Land dadurch zu lindern, dass manHilfe überhaupt möglich macht. Das lehnen Sie ab. Siesagen zwar, auch Sie wollen humanitäre Hilfe, aber in
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2316 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 28. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. April 2014
Elisabeth Motschmann
(C)
Wahrheit verhindern Sie humanitäre Hilfe; denn wenn eskeine Sicherheit gibt, gibt es auch keine humanitäreHilfe. Den Zusammenhang müssen Sie kapieren.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1081 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Mittwoch, den 9. April 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.