Protokoll:
15141

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 141

  • date_rangeDatum: 24. November 2004

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:23 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/141 Tagesordnungspunkt I.13: Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 15/4304, 15/4323) . . . . . . . . . . Michael Glos (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . Michael Glos (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Hans Eichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I.14: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 15/4305, 15/4323) . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Fälschungen der ukrainischen Präsidentschaftswahlen (Drucksache 15/4265) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 13007 B 13007 D 13014 D 13023 A 13024 B 13024 C 13026 C 13029 C 13035 B 13066 D 13067 A Deutscher B Stenografisc 141. Si Berlin, Mittwoch, den I n h a Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I: a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haushaltsgesetz 2005) (Drucksachen 15/3660, 15/3844) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bun- des 2004 bis 2008 (Drucksachen 15/3661, 15/3844, 15/4326) 13066 B 13007 A 13007 B Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . 13042 D 13044 A 13048 D undestag her Bericht tzung 24. November 2004 l t : Gerhard Rübenkönig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Petra-Evelyne Merkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13050 B 13052 C 13054 D 13056 B 13057 C 13059 C 13061 C 13062 B 13064 A 13064 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . 13067 A 13070 B 13071 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . Kurt Bodewig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I.15: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 15/4312, 15/4323) . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt I.16: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (Soldatin- nen- und Soldatengleichstellungsdurch- setzungsgesetz – SDGleiG) (Drucksachen 15/3918, 15/4255) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, Christian Schmidt (Fürth), Annette Widmann-Mauz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurch- setzungsgesetz zügig umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, Anita Schäfer (Saal- stadt), Christa Reichard (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Frauen und Fa- milien in der Bundeswehr stärken und fördern – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Helga Daub, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bundeswehr stärken – Be- schäftigungsbedingungen für Solda- tinnen und Soldaten verbessern (Drucksachen 15/3717, 15/3049, 15/3960, 15/4255) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13073 C 13075 D 13078 A 13081 D 13082 D 13086 A 13087 B 13088 A 13089 C 13091 B 13091 C 13091 D Dietrich Austermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Günther Friedrich Nolting (FDP) . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Merten (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Austermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Merten (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I.17: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 15/4318, 15/4323) . . . . . . . . . . Jochen Borchert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Karl Diller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU) . . . . . . . . 13092 A 13094 B 13097 C 13098 B 13100 A 13101 B 13103 B 13103 C 13104 C 13105 D 13107 D 13109 A 13109 C 13111 A 13113 A 13113 C 13113 D 13115 A 13115 A 13116 B 13116 D 13117 A 13118 D 13120 C 13121 B 13122 A 13122 D 13124 A 13125 B 13125 D 13127 C 13128 C 13130 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 III Karin Kortmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes über die Feststellung des Bundeshaus- haltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haus- haltsgesetz 2005), hier: Einzelplan 04 (Tagesordnungspunkt I.13) . . . . . . . . . . . . . . 13131 A 13132 D 13133 A 13133 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13007 (A) (C) (B) (D) 141. Si Berlin, Mittwoch, den Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13133 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten wurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haushaltsgesetz 2005), hier: Einzel- plan 04 (Tagesordnungspunkt I.13) Die Stiftung für das sorbische Volk, die mit Zuwen- dungen durch den Bund, den Freistaat Sachsen und das Land Brandenburg die materiellen Grundlagen für den Erhalt, die Bewahrung und Fortentwicklung der sorbi- schen Sprache und Kultur pflegt, organisiert und in enger Abstimmung mit dem Bund Lausitzer Sorben und der Sprache, dem Brauchtum und der Kultur verpflichteten Vereine durchführt, hat in den zurückliegenden Jahren ei- nen permanenten Umstrukturierungsprozess gestaltet. Die Einsparmöglichkeiten sind so voll ausgeschöpft wor- den. Auch für die Zukunft arbeiten die Gremien an Effi- zienzsteigerungen. Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Ferlemann, Enak CDU/CSU 24.11.2004 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 24.11.2004 Fritz, Erich G. CDU/CSU 24.11.2004 Haupt, Klaus FDP 24.11.2004 Irber, Brunhilde SPD 24.11.2004 Jonas, Klaus Werner SPD 24.11.2004 Dr. Leonhard, Elke SPD 24.11.2004 Lintner, Eduard CDU/CSU 24.11.2004* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- Nolte, Claudia CDU/CSU 24.11.2004 Raab, Daniela CDU/CSU 24.11.2004 Scharping, Rudolf SPD 24.11.2004 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 24.11.2004 Dr. Stinner, Rainer FDP 24.11.2004 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 24.11.2004 Wester, Hildegard SPD 24.11.2004 Die von der Bundesregierung im Bundeshaushalts- planentwurf für 2005 vorgesehene Kürzung des Bundes- zuschusses an die Stiftung für das sorbische Volk in Höhe von 775 000 Euro stellt das sorbische Volk jedoch vor die Situation, dass nur durch Reduzierung von Angeboten bzw. Schließung von Kultureinrichtungen die geforderte Einsparsumme erbracht werden kann. Diese Situation haben die Berichterstatter des Haushaltsausschusses aller Fraktionen durch intensiven Kontakt mit den Vertretern in der Lausitz erkannt und sie haben die Aufstockung bei Effizienzsteigerung in Höhe von 500 000 Euro empfoh- len, was der Haushaltsausschuss beschlossen hat. Dafür möchte ich mich als Sorbin ausdrücklich bedanken. Der Antrag der PDS greift noch einmal die bereits ge- führte Diskussion auf. Die intensive Beratung hat deut- lich gemacht, dass die Aufstockung auf 8 Millionen Euro Gesamtzuschuss des Bundes keine Mehrheit im Deut- schen Bundestag findet. Deshalb ist der Antrag populis- tisch. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. 141. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514100000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Punkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2005

(Haushaltsgesetz 2005)

– Drucksachen 15/3660, 15/3844 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)


b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008
– Drucksachen 15/3661, 15/3844, 15/4326 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Walter Schöler
Anja Hajduk
Dr. Andreas Pinkwart

Rede
Ich rufe dazu Punkt I.13 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
– Drucksachen 15/4304, 15/4323 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig
Bernhard Kaster
Steffen Kampeter
Gerhard Rübenkönig
Bartholomäus Kalb
Petra-Evelyne Merkel
Alexander Bonde
Jürgen Koppelin

Es liegt ein Änderungsantrag der A
Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Über den Ände-
tzung

24. November 2004

.00 Uhr

rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 15/4340, der sich auch auf den Einzelplan 04 be-
zieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt worden.

Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an die
Aussprache über den Einzelplan namentlich abstimmen
werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache vier Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1514100100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Haushaltsdebatte gibt traditionell Gelegen-
heit, eine Bestandsaufnahme zu machen. Die Bilanz von
Rot-Grün ist verheerend. Deutschland hat die höchste
Staatsverschuldung und die geringste Investitionsquote
der letzten 50 Jahre. In Europa sind wir Deutschen
Wachstumsschlusslicht mit weiter fallender Tendenz.

Auf Deutschland lastet ein ganz gewaltiger Schulden-

text
berg, der vor allen Dingen die Zukunft unserer Kinder
belastet: 1,4 Billionen Euro Gesamtschulden, 100 Mil-
lionen Euro Zinsen jeden Tag. Die Hälfte des Bundes-
haushalts wird durch die Bedienung der Schulden und
die Unterstützung der Rentenkassen aufgefressen. Für
Investitionen in die Zukunft steht immer weniger Geld
zur Verfügung. Diese Entwicklung ist so dramatisch,
dass in der vergangenen Woche sogar der Bundesrech-
nungshof zum ersten Mal in seiner Geschichte weit über
die Kritik an Misswirtschaft oder Verschwendung in
Einzelfällen hinausgegangen ist. Ich zitiere den Präsi-
denten des Bundesrechnungshofs: „Die Schieflage ist so
extrem, dass es einem den Atem verschlägt.“


(Zurufe von der SPD: Oh!)

ensichtlich auch noch verantwortungsvolle
err Bundeskanzler, die sich nicht nur um
bgeordneten

Es gibt off
Genossen, H

ihre Karriere, sondern um Deutschland Sorgen machen.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)

Ich kann nur feststellen: Engels hat kein Vertrauen mehr
zu den Marxisten, die heute regieren.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Der Haushalt ist Murks. Das Vertrauen ist verspielt. Das
Kapital ist vernichtet.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schöne Bilder, aber alles falsch!)


Deutschland sitzt in einer Schuldenfalle. Immer hö-
here Schulden bringen immer höhere Zinsbelastungen,
die wieder über zusätzliche Kreditaufnahmen finanziert
werden müssen. Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer
Regierungserklärung am 14. März 2003 gesagt:

Die Bundesregierung hält an dem Ziel fest, bis
2006 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu er-
reichen.

Wer soll Ihnen nach dem Zahlenwerk, das inzwischen
vorliegt, und den Abschlüssen, die immer wieder auf den
Tisch gelegt worden sind, noch glauben?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das gesamtstaatliche Defizit ist in nur vier Jahren
um 200 Milliarden Euro gewachsen. Mit über
17 000 Euro belasten die Schulden von Bund, Ländern
und Kommunen jeden Bürger, ob alt oder jung.

Allein im kommenden Jahr plant der Bund eine Brut-
tokreditaufnahme von 218 Milliarden Euro, wovon al-
lerdings 195 Milliarden Euro zur Tilgung fälliger Schul-
den verwendet werden. Die sich aus dieser Rechnung
ergebende Neuverschuldung beträgt rund 22 Milliarden
Euro. Das sind weniger als die 40 Milliarden Euro, die
als Zinsbelastung im Haushalt enthalten sind.

Es müssen gigantische Summen am Kapitalmarkt ge-
wälzt werden, um diese Belastung zu finanzieren. Sollte
es in absehbarer Zeit zu einer spürbaren Erhöhung des
Zinsniveaus kommen, wird sich der Bund bei einer
durchschnittlichen Laufzeit seiner Kredite von nur vier
Jahren – das ist vollkommen neu – einer nicht überseh-
baren zusätzlichen Zinsbelastung aussetzen.

Bei dem erwähnten gesamtstaatlichen Schuldenstand
von 1,4 Billionen Euro sind die Verbindlichkeiten der
gesetzlichen Rentenversicherung und der Pensions-
kassen nicht mitgerechnet. Sie betragen nach Berech-
nungen von Professor Sinn 270 Prozent unseres Brutto-
inlandsproduktes. Dieter Rampel, der Chef der Hypo-
Vereinsbank, berechnete diese Renten- und Pensionsver-
pflichtungen unlängst. Er hat gesagt: Betriebswirtschaft-
lich sauber bilanziert, stünden aus diesen Schulden pro
Kopf der Bevölkerung 65 000 Euro in den Büchern.
Wenn ich zu diesen 65 000 Euro die vorhin erwähnten
17 000 Euro hinzurechne, Herr Bundeskanzler, sind es
82 000 Euro Schulden pro Bundesbürger, die wir jedem
neugeborenen Kind in die Wiege legen.

(Zuruf von der SPD: Das ist auch das Erbe von Ihnen! – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Von Ihnen sind auch viele Schulden dabei!)


– Herr Benneter, für meine Enkel bedeutet das eine Be-
lastung von 246 000 Euro, für die sie überhaupt nichts
können.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie viel davon sind aus der Ära Kohl? – Weitere Zurufe von der SPD)


Die werden mich fragen: Du warst damals im Bundes-
tag, warum habt ihr das getan? Herr Bundeskanzler,
auch Ihre beiden Kinder werden Sie fragen, wenn es so
weit ist. Das ist für mich eine unverantwortliche Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Genau richtig! Nennen Sie mal den Anteil von Kohl!)


Ich kann nur sagen: Rot und Grün verschlechtern jeden
Tag die Zukunftschancen unserer Kinder und unserer
Enkel.

Ich zitiere weiter aus Ihrer Regierungserklärung, Herr
Bundeskanzler:

Wir brauchen Zukunftsinvestitionen statt Zinszah-
lungen.

Das ist richtig. Das kann ich nur unterstreichen. Bloß:
Worte allein reichen nicht. Heute muss der Bund – ich
erwähne es noch einmal – Tag um Tag 100 Millionen
Euro Zinsen zahlen. Diese Gelder stehen für Bildung
und für Forschung und Technologie nicht zur Verfügung.
Darunter leiden wir schmerzlich.

Die Investitionsquote im Haushalt 2005 ist mit
9 Prozent geringer als je zuvor. So weit ist es mit der viel
gepriesenen Nachhaltigkeit gekommen. Deutschland ist
auf einem Irrweg. Wir erleben eine Art Argentinisierung
unseres Landes. Argentinien war früher ein reiches
Land.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn hoch drei!)


Heute trauen seine Eliten ihrem eigenen Land nicht mehr
und haben mit dem eigenen Land wenig am Hut.

Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungszeit hat sich
die Kluft zwischen sehr reich und ganz arm ungeheuer
ausgeweitet. Der Mittelstand geht vor die Hunde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch das ist Realität: Unter Rot-Grün ist Deutschland
ein Stück zu einer Bananenrepublik geworden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo leben Sie eigentlich?)


In neun Bundesministerien wird wegen Korruption er-
mittelt. Im Verkehrsministerium geben sich die Staatsan-
wälte die Klinke in die Hand. 100 Verdachtsfälle auf
Korruption hat die Regierung in einer Aufstellung für






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

den Haushaltsausschuss selbst zugegeben. Das ist Tatsa-
che unter Schröder und Fischer in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sind ja nicht einmal mehr bereit, unsere Verfas-

sung zu beachten, obwohl Ihnen Ihr Amtseid das vor-
schreibt. Der Nachtragshaushalt 2004 und auch der
Haushalt 2005 verstoßen klar gegen das Grundgesetz,
weil die Summe der Investitionen geringer ist als die
Neukreditaufnahme. Wir werden dies – der Kollege
Merz hat es gestern hier angekündigt – vor dem Bundes-
verfassungsgericht überprüfen lassen.

Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung verspielt
unser aller Zukunft. Schulden anzuhäufen ist zutiefst un-
moralisch gegenüber künftigen Generationen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


An die Adresse der Grünen, die Nachhaltigkeit zum Ziel
erkoren haben, kann ich nur sagen: Nachhaltigkeit er-
zeugt man nicht dadurch, dass man ein paar Schafe im
Vorgarten hält und vielleicht noch Wolle spinnt, um da-
raus Socken selbst zu stricken


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– so ging es bei den Grünen doch los; auf ihren Parteita-
gen war doch ständig das Geklapper von Stricknadeln zu
hören –,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


sondern Nachhaltigkeit besteht darin, dass man künftige
Generationen nicht so stark belastet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wissen, dass auf Deutschland ein gewaltiger

Wettbewerbsdruck lastet. Die Ursachen sind die EU-Ost-
erweiterung, der europäische Binnenmarkt und die Glo-
balisierung. Deutschland fällt im globalen Wettbewerb
immer weiter zurück, statt die Herausforderungen anzu-
nehmen.

Im industriellen Kern unserer Wirtschaft gehen jeden
Tag Hunderte von Arbeitsplätzen verloren. Die durch
den sich vollziehenden Wandel bedingten Arbeitsplatz-
verluste seit 1991 sind dramatisch. So sind im Textilge-
werbe 180 000, im Baugewerbe mehr als 1,1 Millionen,
in der Metall erzeugenden Industrie 230 000 und in der
Maschinenbaubranche fast 700 000 Arbeitsplätze verlo-
ren gegangen. Insolvenzen, Massenentlassungen und
Abwanderung in Niedriglohnländer – egal wann man die
Zeitungen aufschlägt, man liest ständig neue Hiobsbot-
schaften. Ich nenne Ihnen die Stichworte Opel, VW und
Karstadt. Das sind aktuell nur die bekanntesten Fälle.
Aber, Herr Bundeskanzler, Sie beantworten die damit
verbundenen Fragen nicht, wenn Sie sich in Unterneh-
merbeschimpfungen flüchten und nur vom Versagen des
Managements reden.

Schon jetzt werden Arbeitsplätze auch nach Bulga-
rien und Rumänien verlagert, weil die Aufnahme ja
quasi vor der Tür steht. Das gilt ebenfalls für die Türkei:
Sobald klar ist, dass der Beitritt dieses Landes unum-
kehrbar ist, wird es eine gewaltige Verlagerung von Ar-
beitsplätzen aus Deutschland in die Türkei geben; denn
es gibt einen Wettlauf der Industrie um die billigsten Ar-
beitsplätze. Wenn ich manche Wirtschaftsführer reden
höre – auch das macht mir Angst –, dann habe ich den
Eindruck, dass sie erst zufrieden sind, wenn die Lohnne-
benkosten und die Löhne bei null sind. Das wollen wir
ganz bestimmt nicht; das will niemand von uns.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Am Horizont sind aber sehr große Gefahren zu erken-

nen. Nach einer Studie der TU München werden in den
nächsten zehn Jahren 150 000 Arbeitsplätze jährlich in
allererster Linie nach Osteuropa verlagert. Wir brauchen
deswegen Reformen und eine Rückbesinnung auf öko-
nomische Grundwahrheiten. Viele haben geglaubt, dass
der Weg, mit immer weniger Arbeit immer reicher zu
werden, für die Deutschen quasi geschichtlich vorpro-
grammiert ist und dass die westlichen Industrieländer
– wie von Zauberhand geleitet – den Weg in die Spaßge-
sellschaft und in ein Freizeitparadies gehen. Vergessen
wurde dabei: Niemand kann die Gesetze der Ökonomie
außer Kraft setzen. Das heißt, Wohlstand und soziale Si-
cherung gibt es nur als Ergebnis von Arbeit und Leis-
tung. Das Wohlstandsniveau hängt vom Können des
Einzelnen und natürlich auch von der Leistungsfähigkeit
der Gesamtwirtschaft sowie von der vorhandenen Infra-
struktur ab. In diesen Bereichen ist in Deutschland noch
fast alles in Ordnung. Aber PISA lässt grüßen und zeigt,
dass wir auch hier abfallen.

Wir alle bekennen uns zum Sozialstaat und möchten
ihn erhalten. Aber wir müssen ihn natürlich mit den ge-
samtwirtschaftlichen Möglichkeiten in Einklang brin-
gen. Ich kann nur sagen: Sozial ist alles, was Arbeits-
plätze schafft bzw. erhält. Mit kurzen Arbeitszeiten sind
wir nicht wettbewerbsfähig. Ich möchte nicht alle statis-
tischen Daten auflisten, die verdeutlichen, wie lange in
den einzelnen Ländern gearbeitet wird. Nur so viel: In
den USA arbeitet man – bezogen auf die tarifliche Ar-
beitszeit – im Durchschnitt circa 400 Stunden mehr als
in Deutschland. Deutschland kann nicht mit immer we-
niger Arbeit immer wohlhabender werden. Die 35-Stun-
den-Woche war ein gewaltiger Irrweg. Es waren DGB
und SPD, die diese Entwicklung vollkommen kritiklos
vorangetrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Trittin, Sie sowie Ihre Freundinnen und Freunde

sind wesentlich daran schuld, dass sich unser Land in die
falsche Richtung entwickelt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Früher hieß es bei Ihnen in den kurzen Pausen während
des Strickens, der Strom komme aus der Steckdose. Sie
haben sich inzwischen ein ganzes Stück durchgesetzt.
Sie sind dabei, die sichersten Kernkraftwerke der Welt
abzuschalten.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch gut so!)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

Sie vertreiben die energieintensiven Industrien. Dafür
erfindet man immer neue Öko- und Windradsteuern. Mit
dem so genannten EEG und Ähnlichem sind im Grunde
Steuern für Spinnereien verbunden, die Ihrer Ideologie
entsprechen, die aber an der wirtschaftlichen Wirklich-
keit der Welt ein ganzes Stück vorbeigehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommen Sie wirklich ins Fantasieren!)


– Frau Göring-Eckardt, inzwischen braucht man keine
Wissenschaftler, keine Soziologen mehr, um zu sehen,
dass der Weg der 68er ein Irrweg war. Selbst die Schla-
gersänger amüsieren sich heute darüber. Es gab einen,
der hat das Lied „Barfuß im Regen“ gesungen. Dieses
Lied trifft jetzt eigentlich auf Rot-Grün zu. Der Sänger
dieses Liedes hieß Michael Holm. Er kommt jetzt wie-
der. Er sagt über die 68er:

Ökonomisch war 1968 ein Desaster, weil vergessen
wurde, was die Basis dieses Landes war: dass wir
Deutsche schneller, fleißiger und kreativer waren,
dass wir uns viel mehr plagten als die anderen.
Heute gilt das alles nicht mehr, der Speck der guten
Jahre ist aufgebraucht.

(Zuruf von der SPD: Wie hieß doch gleich der Künstler? Ich habe den Namen vergessen!)


Das ist das wirtschaftliche Erbe.
Wie sieht das geistige Erbe der 68er aus? Traditio-

nelle Werte wurden verachtet. Oskar Lafontaine – es gibt
ihn noch immer – diskriminierte Disziplin, Fleiß und
Leistungsbereitschaft als Tugenden, mit denen man auch
ein KZ führen kann.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch alles ziemlich aus der Mottenkiste!)


– Herr Schmidt, das war die Diskriminierung von Arbeit
und Leistung. Ich sage das, auch wenn Sie es heute nicht
mehr hören können, weil Sie von diesen saudummen
Sprüchen, die es gegeben hat, inzwischen eingeholt wor-
den sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie mehr leisten könnten, würden Sie jetzt nicht in der Opposition sitzen!)


Sie haben dem nicht widersprochen. Ihr alle habt vor
„Lafo“ gekuscht.

Ich meine, das Gegenteil ist richtig: Traditionelle
Werte, nationale Identität, Zusammenarbeit und Bin-
dung machen ein Volk stabiler, selbstbewusster und da-
mit leistungsfähiger.


(Joachim Poß [SPD]: Aber nicht Ihre Verlogenheit!)


– Man hört Zwischenrufe bei der Übertragung leider
nicht. Herr Poß, deswegen will ich das wiederholen: Sie
haben von „Verlogenheit“ gesprochen.

(Joachim Poß [SPD]: Ja! – Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das fällt auf Sie zurück. Wenn Sie sagen, dass die Werte,
die die Deutschen groß gemacht haben, Verlogenheit
und Ähnliches sind,


(Zurufe von der SPD: Nein!)

dann ist das eine Schande.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Ihre Rede ist die pure Verlogenheit!)


Trotz Ihres Geschreis, Herr Poß, kann ich nur sagen:
Die Menschen spüren im rauen Wind der Globalisierung
und der Bedrohung durch Terror sowie religiösen Fana-
tismus, dass wir in Deutschland wieder Orientierung, ein
Wertefundament brauchen; sonst funktioniert es auch im
Ökonomischen nicht.

Unser Volk ist, wie ich meine, eine Schicksalsgemein-
schaft. Es war sein Schicksal, dass es sich politisch ein-
mal eine Zeit lang falsch entschieden hat. Aber diese
Schicksalsgemeinschaft entsteht natürlich aus einer ge-
meinsamen Geschichte – selbstverständlich im Schlech-
ten wie im Guten –, aus einer gemeinsamen Sprache, aus
einer gemeinsamen Kultur, aus einer gemeinsamen Tra-
dition und auch aus unserer gemeinsamen christlichen
Religion, die zumindest die Basis unseres Landes gelegt
hat. Wir, die CDU/CSU, bekennen uns zu dieser
nationalen Identität und zu einem selbstverständlichen
Patriotismus, das heißt zur Liebe zu unserem Land.
Ohne Liebe zu unserem Land können wir auch seine
Probleme nicht lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])


Eine Regierung ohne Vaterlandsliebe – sie stolpern
nicht zuletzt deswegen von Problem zu Problem, weil
Ihnen diese Liebe fehlt – ist nicht in der Lage, die Pro-
bleme dieses Landes zu lösen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Müntefering, ich habe irgendwo gesagt, dass

diejenigen, die Deutschland heute führen, mit Deutsch-
land nichts am Hut haben. Sie haben sich daraufhin be-
troffen gefühlt. Ich habe überhaupt nicht nur an Sie ge-
dacht; Sie führen Deutschland nicht allein. Das hat sich
an viele so genannte Intellektuelle, Journalisten, Kom-
mentatoren, aber natürlich auch ein Stück an Rot-Grün
gerichtet. Sie haben dann Frau Merkel aufgefordert, sich
für diese – ich zitiere Sie – Unverschämtheit, die auf die
deutsche Sozialdemokratie gezielt sei, zu entschuldigen.


(Beifall bei der SPD)

Ich habe es aber überhaupt nicht auf die deutsche Sozial-
demokratie bezogen.


(Widerspruch bei der SPD)

Jetzt muss ich mich auch einfach einmal bedanken;

das gehört, finde ich, dazu. Zwei Wochen später haben
Sie den Beweis dafür geliefert, dass sich die deutsche
Sozialdemokratie zu Recht hat angesprochen fühlen






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

müssen, als Sie nämlich den 3. Oktober, unseren Natio-
nalfeiertag, abschaffen wollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das zeigt, dass Ihr Protest – vielleicht haben Sie es da-
mals schon gewusst – blanke Heuchelei gewesen ist,
Herr Müntefering.


(Monika Griefahn [SPD]: 84 hat Stoiber das vorgeschlagen! – Gegenruf des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: 1884? – Lachen bei der CDU/CSU)


– Auf Ihr Geschrei, gnädige Frau, habe ich schon gewar-
tet. Es war kalkulierbar, dass das kommt. Deswegen
habe ich die Geschichte extra noch einmal mitgebracht.

Es ging um Folgendes: Da gab es kluge und weniger
kluge Ratgeber. Einer der weniger klugen war Geißler.
Er hat gesagt, man solle in Bayern Feiertage abschaffen.
Aber da sind wir in Bayern ganz allergisch, weil das un-
sere Sache ist.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Die anderen sollen mehr arbeiten und Sie haben mehr Feiertage! So stellen Sie sich Gerechtigkeit in der Welt vor!)


Wir sind trotz unserer Feiertage und unserer Traditionen
immer noch sehr viel leistungsfähiger als andere Bun-
desländer.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann hat Edmund Stoiber gesagt: Wenn Heiner

Geißler so sehr daran gelegen ist, dann stelle ich ihm an-
heim, als Bundestagsabgeordneter den Antrag zu stellen,
den Tag der Deutschen Einheit als Feiertag aufzugeben
oder ihn auf einen Sonntag zu verlegen.


(Walter Schöler [SPD]: Das war ein guter Ratschlag!)


Stoiber hat das nicht gefordert; er hat nur gesagt, dass er
es Herrn Geißler anheim stellt.


(Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Entschuldigung! Hören Sie doch zu! Er hat einen klug-
scheißerischen Ratschlag mit einer entsprechenden Ant-
wort zurückgewiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist seinerzeit auf Herrn Geißler und auf diejenigen,
die das in Bayern gefordert haben, zurückgefallen. Das
ist ein rhetorischer Kniff gewesen. Den wird man doch
noch machen dürfen.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Obwohl wir Bayern am meisten natürlich von uns

selbst überzeugt sind – das gilt selbst für uns Franken,
die von den Bayern erobert worden sind –, haben wir nie
etwas gegen Deutschland und gegen die deutsche Nation
getan.

(Franz Müntefering [SPD]: Können Sie das noch einmal vorlesen, Herr Glos? Lesen Sie die Sache doch noch einmal vor!)


Herr Müntefering, es war Bayern mit Franz Josef Strauß,
das gegen den Grundlagenvertrag geklagt hat, als Ihre
Partei die Präambel des Grundgesetzes mit dem Wieder-
vereinigungsgebot ändern wollte. Auch das ist eine ge-
schichtliche Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sollten sich schämen, vor allem für den Fraktions-

vorsitzenden oder stellvertretenden Fraktionsvorsitzen-
den der Grünen; ich weiß gar nicht, wie viele ihr habt
und wie das alles so funktioniert.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so viele wie Sie! Es sind immer dieselben!)


Jeder spricht für sich und alle sprechen gegeneinander.
Jedenfalls will dieser famose Herr Ströbele – Herr Trittin
will es, glaube ich, auch – den Feiertag am 3. Oktober
durch einen islamischen Feiertag ersetzen. Mit Patrio-
tismus hat das überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])


Dieser gescheiterte Anschlag auf unseren nationalen
Feiertag wirft ein grelles Licht auf Rot und Grün. Ich be-
danke mich beim Bundespräsidenten herzlich dafür, dass
er ein klares Wort gesagt hat. Herr Bundeskanzler, ich
hoffe nicht, dass Sie noch einmal auf die Idee kommen,
diesen Feiertag abschaffen zu wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unser Land braucht – auch das ist eine Lehre aus der

Geschichte – Partner und Vertrauen in aller Welt. Wir
dürfen dieses Vertrauen nicht gedankenlos aufs Spiel set-
zen. Ich stimme Volker Rühe zu, der heute in einem In-
terview im „Handelsblatt“ sagt: Die deutschen Offiziere
dürfen nicht aus den NATO-Stäben zurückgezogen wer-
den, wenn es Planungen im Irak gibt. Das wäre höchst
verheerend, wenn wir hier einen Sonderweg gehen.

Unser Verhältnis zu den USA ist ungeheuer sensibel,
etwas, was Sie umtreiben muss, etwas, was die Kraft von
Fischer überfordert. Er ist heute ein Super-Genscher ge-
worden. Damals gab es die Story: Zwei Flugzeuge sto-
ßen über dem Atlantik zusammen; in beiden saß Gen-
scher. – Genscher flog wenigstens noch immer über den
Atlantik, während Fischer heute in der Welt umherreist,
von Entwicklungsland zu Entwicklungsland, und um
eine Schimäre kämpft.


(Joachim Poß [SPD]: Was soll das heißen?)

Er sammelt Stimmen für einen Sitz im UN-Sicherheits-
rat, obwohl er da nichts zu gebenedeien hat. Dazu kann
ich nur sagen: Er hat auch nicht das nötige Geld und
nicht die nötigen Mittel, um dort entsprechend mitwir-
ken zu können.

Weil wir schon über Werte reden, denke ich auch an
die überzeugende Wiederwahl von Präsident Bush.
Wir können uns den Präsidenten der Amerikaner nicht






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

selbst aussuchen; das macht immer das amerikanische
Volk. Die Amerikaner können sich unsere Regierung
auch nicht aussuchen; wahrscheinlich hätten wir sonst
eine andere. Aber das ist nun einmal so. Neben dem Re-
kordergebnis für den Präsidenten sollte uns auch die
deutliche Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses
bei stark gestiegener Wahlbeteiligung zu denken geben.
Wenn das die Kommentatoren der öffentlich-rechtlichen
Medien in Deutschland hätten verhindern können, hätten
sie es getan.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe das alles von China aus verfolgt. Die Chinesen
und auch Putin, der Freund von Herrn Schröder, hatten
schon längst gratuliert,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Also waren auch Sie nicht in den USA!)


als in den öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland
immer noch davon gesprochen wurde, dass die Anwälte
aufmarschierten, Ohio kippen werde und was weiß ich
noch alles. Die Bundesregierung wird wahrscheinlich
nach Burkina Faso irgendwann als Allerletzter gratuliert
haben, weil man sich auf die Öffentlich-rechtlichen ver-
lassen hat. Die deutschen Diplomaten, die die Bundesre-
gierung in die Welt geschickt hat, sind ja teilweise auch
nicht viel besser in Bezug auf ihre Einschätzung in die-
ser Frage.


(Widerspruch bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unglaublich!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ob Sie es
hören wollen oder nicht:


(Jörg Tauss [SPD]: Wir wollen nicht!)

In Amerika wäre es unvorstellbar, dass die Kandidatur
eines gläubigen Katholiken für ein öffentliches Amt in
der Form abgelehnt wird, wie es bei Rocco Buttiglione
durch das Europäische Parlament geschehen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch das ist eine Tatsache, die zeigt, wie sich bei uns
das Koordinatensystem immer mehr verschiebt. All das
ist nicht zum Vorteil unseres Landes. Ich meine, Ver-
trauen kann nur aus festen Wertevorstellungen erwach-
sen.

Die Außenpolitik dieser Bundesregierung ist deswe-
gen so schlimm, weil sie mit zweierlei Maß misst. Wäh-
rend Sie, Herr Bundeskanzler, gegenüber unserem Ver-
bündeten USA immer mehr auf Distanz gehen, biedern
Sie sich kritiklos bei Putin an. Als lupenreinen Demo-
kraten, wie Sie es bei „Beckmann“ formuliert haben,
sieht sich nicht einmal Putin selber. Eine solche Aussage
würde ihn beleidigen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das stimmt! Da hat er Recht! Das hat er auch nie von sich behauptet!)


Da sind Sie zu weit gegangen.
Deswegen war es auch ein ganz grober Fehler – jetzt

wird es ernst –, dass sich Deutschland, das nun einmal
sehr nah an der Ukraine liegt, und die Europäische
Union überhaupt nicht um die Ukraine gekümmert ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie, Herr Fischer, hätten bei Ihren Flügen rund um die
Welt dort wenigstens ab und zu einmal eine Zwischen-
landung machen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD)


Es geht ja darum, ob die Ukraine eine West- oder eine
Ostausrichtung wählt. Eine Westausrichtung der Ukraine
liegt in ganz hohem Maß im deutschen Interesse. Eine
starke ukrainische Demokratie mit einem westlich orien-
tierten Präsidenten wollte die Mehrheit der Wähler in der
Ukraine und diese liegt auch – ich sage das noch ein-
mal – im Interesse Deutschlands. Wiktor Juschtschenko
wird offensichtlich um seinen Wahlsieg betrogen.

Ich finde es gut, dass es seit gestern endlich eine Er-
klärung von Herrn Fischer dazu gibt. Gestern ist es ihm
eingefallen. Ich weiß nicht, ob seine Diplomaten ge-
schlafen haben oder ob sie immer noch mit der Erteilung
ungerechtfertigter Visa beschäftigt sind. Man löst die
Probleme eines Landes nicht dadurch, dass man in ganz
großem Stil rechtswidrig Visa erteilt. Ich komme noch
zu diesem Thema. Herr Bundeskanzler, ich erwarte von
Ihnen, dass Sie heute etwas zur Ukraine und zu dem, was
dort abläuft, sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn man den Blick einseitig nur auf die Vollmit-

gliedschaft der Türkei richtet, weil man auf die Wähler-
stimmen der türkischstämmigen Deutschen schielt,


(Lachen bei Abgeordneten vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


also allein dies zum Maßstab für die Interessenvertre-
tung eines Volkes macht, dann liegt man in der Außen-
politik immer falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, die Vollmitgliedschaft der Türkei liegt nicht
im Interesse unseres Landes; eine gute Partnerschaft
liegt im Interesse unseres Landes. Eine aktuelle Studie
des Osteuropa-Instituts München besagt, die angebli-
chen Vorteile einer Mitgliedschaft werden übertrieben
und Risiken heruntergespielt. Wenn Sie den Aussagen
des Osteuropa-Instituts nicht glauben, dann vertrauen
Sie wenigstens Helmut Schmidt. Er hat gestern gesagt:

Die europäischen Diplomaten lassen sich täuschen
– er hat damit auch die deutschen gemeint –,

weil sie nur Istanbul, Izmir oder Ankara kennen.
Sie kennen aber Anatolien nicht.


(Zurufe von der SPD)

– Man wird doch bei der SPD, verdammt noch mal, noch
Helmut Schmidt zitieren dürfen!


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos

Ich zitiere weiter Helmut Schmidt:
Die Menschen werden kommen und bei der deut-
schen Sozialfürsorge um eine Wohnung nachsu-
chen, um einen Fernseher und ein Telefon.

Er sagt auch, die Vorbereitungen für die Beitrittsver-
handlungen würden zu eifrig betrieben. Der Hunderte
Jahre alte Obrigkeitsstaat werde nicht in zwei Jahren
eine Demokratie werden.


(Widerspruch bei der SPD)

Außerdem bringt er zum Ausdruck: ökonomische Unter-
stützung ja, aber Freizügigkeit – das heißt Vollmitglied-
schaft – nein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brau-
chen die Integration der hier lebenden ausländischen
Mitbürger, insbesondere der türkischstämmigen,


(Jörg Tauss [SPD]: Heuchler!)

die den größten Anteil ausmachen, Herr Tauss. Aber
diese Integration wird doch nicht geschehen, wenn im-
mer mehr nachwandern, wenn sich immer mehr eine Pa-
rallelgesellschaft bildet, wie es jetzt auch von Ihnen
beim Namen genannt wird. Wir sollten hier äußerst vor-
sichtig sein.

Herr Bundeskanzler, ich habe heute mit großer Be-
friedigung registriert, dass Ihr Freund Präsident Chirac
dabei ist, einen Meinungswandel zu vollziehen. Er sagt,
die privilegierte Partnerschaft der Türken müsse ein
Verhandlungsziel sein. Er äußert das natürlich auf Druck
von Sarkozy, der sich jetzt aufmacht, Vorsitzender der
UMP zu werden. Die Franzosen wissen, dass man nichts
gegen die Mehrheit eines Volkes machen kann. Aber Sie
wollen die Vollmitgliedschaft der Türkei gegen den er-
klärten Mehrheitswillen des deutschen Volkes erreichen,
Herr Bundeskanzler. Das ist abzulehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Werben Sie rechtzeitig vor dem 17. Dezember für die

privilegierte Partnerschaft! Schaffen Sie keine Enttäu-
schungen bei unseren türkischen Freunden,


(Lachen bei der SPD – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich, dass Sie so was jetzt sagen!)


indem Sie Dinge versprechen, die Sie nicht halten kön-
nen, und handeln Sie im deutschen und europäischen In-
teresse!


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig weltfremd! – Jörg Tauss [SPD]: Ich glaube, die Redezeit ist um!)


– Die Redezeit ist zu Ihrer Freude

(Lachen und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

leider nicht um, sondern ich darf weiterreden, auch wenn
es Ihnen nicht gefällt.

Wer zu uns ins Land kommt, der soll, wie ich meine,
mit uns leben und nicht neben uns. Wir brauchen mehr
Integration, wir brauchen mehr Gemeinsamkeit. Es ist
ganz klar: Die Basis für die Verständigung muss die
deutsche Sprache sein.

Das haben wir im Juli 1998 vor der Bundestagswahl
auf unserer Klausurtagung in Banz gefordert. Damals
war es sensationell, so etwas zu äußern. Alle Schmutz-
kübel der Linken, von Rot und Grün, sind über uns aus-
geschüttet worden, weil wir gesagt haben, wer in
Deutschland lebt, soll Deutsch sprechen. Der Einzige,
dessen Einstellung ein bisschen anders war, war Herr
Schily. Er hat nach der Regierungsübernahme einen an-
deren Weg eingeschlagen. Er hat es richtig gemacht. Als
es darum ging, ein moderneres Zuwanderungsrecht zu
schaffen, hat er gesagt: Raus mit den Grünen aus den
Verhandlungen! Dadurch ist der Kompromiss letztend-
lich möglich geworden.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das war der richtige Weg, Herr Bundesminister Schily.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Kraft hätten, zu sa-

gen: „Raus mit den Grünen aus dieser Regierung“, dann
würde möglicherweise wieder eine ökonomische Basis
für das Vorwärtskommen dieses Landes geschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich komme noch einmal zu dem Zuwanderungskom-
promiss. Schleuser, Terrorunterstützer und Hassprediger
können jetzt endlich ausgewiesen werden. Sie sollten die
Instrumente auch nutzen. Für Ausländer, die nach
Deutschland kommen, werden Integrationskurse Pflicht,
obwohl die Grünen lange dagegen waren. Ihr Traum von
der multikulturellen Gesellschaft ist geplatzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, dass Verstöße gegen die Integrationspflicht

Folgen haben müssen. Wie schwer sich die Grünen mit
unserem Land und seinen Traditionen tun, hat Herr
Ströbele mit seiner Forderung nach einem islamischen
Feiertag bewiesen. Das kann man gar nicht oft genug
wiederholen.

Der Prozess gegen den Chef einer ukrainischen
Schleuserbande in Köln hat allerdings einen Skandal im
Auswärtigen Amt an die Öffentlichkeit gebracht.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Während verhandelt worden ist, die Einwanderung nach
Deutschland legal zu reduzieren, haben Sie, Herr Bun-
desminister Fischer, illegal die Schleusen aufgemacht;
unter Ihrer Verantwortung, Herr Fischer, ist das gesche-
hen. Sie können nur der beliebteste Minister sein, weil
die Leute das nicht wissen.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber wir werden mit dem Untersuchungsausschuss da-
für sorgen, Herr Bundesminister Fischer, dass die Leute
das erfahren. Ich freue mich schon, wenn Sie einmal so
vorgeführt werden, wie Sie immer versuchen, andere
vorzuführen.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Glos


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das scheint der einzige Maßstab bei Ihnen zu sein!)


2000 wurden die Konsulate angewiesen, Ausländern
Einreisevisa zu erteilen, ohne alle gesetzlichen Voraus-
setzungen zu überprüfen. Das Kölner Gericht spricht
von einem „Putsch gegen unsere Rechtsordnung“. Rund
5 Millionen Menschen sind mithilfe dieses Rechtsbru-
ches nach Deutschland und in die europäischen Partner-
staaten eingeschleust worden, halten sich illegal in den
europäischen Ländern auf und fördern dort Schwarzar-
beit, Prostitution, Menschenhandel und andere krimi-
nelle Machenschaften. Sie sind dafür der Zuhälter
– wenn man so will –, Herr Bundesminister Fischer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit!)


– Ich habe gesagt: wenn man so will.

(Zurufe von der SPD: Unglaublich! – Unver schämt!)

– Ich weiß gar nicht, warum es diese große Aufregung
gibt. Dieser Skandal und seine Hintergründe werden von
einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt. Wir werden
Sie zur Ehrlichkeit zwingen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Pfui!)


Ein allerletzter Punkt. Herr Bundeskanzler, Sie haben
das letzte Mal zu Beginn Ihrer Rede versucht, mich zu
diskriminieren. Die Presse hat darüber geschrieben;
meine Heimatzeitung hat es nachgedruckt. Deswegen
habe ich Sie gestern gefragt: Wie wollen Sie es denn?
Sie haben mir gesagt: Sie waren sonst immer lustig, nie
peinlich.

Da wir gerade bei „lustig“ und „peinlich“ sind,

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich ist Ihre Rede!)

will ich ein Bild präsentieren, das der Wirklichkeit ent-
spricht. Ob es lustig oder peinlich ist, das überlasse ich
dem Urteil aller geneigten Zuschauer und Zuhörer. Zu
Beginn Ihrer Amtszeit, Herr Bundeskanzler, haben Sie
noch persönlich für Armani und Brioni Modell gestan-
den.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

– Das ist doch richtig, oder? – Wenn ich die „Bild“-Zei-
tung richtig gelesen habe, dann ist es so, dass jetzt Ihr
Hund für Rossmann wirbt.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich weiß nun nicht, ob es lustig oder peinlich ist. Ich
kann es nicht beurteilen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)

Ich kann nur sagen, meine sehr verehrten Damen und
Herren: Wir haben es mit einer Bundesregierung zu tun,
die nirgends durchgängig glaubhaft ist und die das Ver-
trauen, das man in schwieriger Zeit in der Bevölkerung
braucht, verspielt hat. Deutschland ist besser als diese
Bundesregierung. Das gibt mir Hoffnung für die Zu-
kunft.

Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall bei Abgeordneten der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514100200

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine Be-

merkung. Herr Kollege Poß, Sie haben den Redner der
Verlogenheit geziehen. Herr Glos, Sie haben es für rich-
tig gehalten, einen Minister als Zuhälter zu bezeichnen.


(Zurufe von der SPD: Pfui! – Michael Glos [CDU/CSU]: Ich bitte um das Wortprotokoll, Herr Präsident!)


– Der kleine Nachtrag „wenn man so will“ macht es
nicht besser. –


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich erteile Ihnen beiden einen Ordnungsruf und bitte
sehr darum, dass wir uns in der weiteren Debatte mäßi-
gen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun erteile ich das Wort dem Bundeskanzler der Bun-

desrepublik Deutschland, Gerhard Schröder.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1514100300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Unser Zwiegespräch war anders. Michael Glos,
Sie hatten mir versprochen, heute friedlich und sachlich
zu sein.


(Michael Glos [CDU/CSU]: War ich doch bis zuletzt!)


– Nach seiner Auffassung war er es.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Aber ich glaube, da wird es unterschiedliche Auffassun-
gen in Ihrer eigenen Fraktion geben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)

– Nein? Das ist ja noch bedauerlicher.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zeigt, dass das Differenzierungsvermögen in Ihrer
gesamten Fraktion außerordentlich unterentwickelt ist.
Das wird sich heute noch zeigen.

Ich möchte gerne zwei Punkte vorab richtig stellen,
Herr Glos. Ich finde es zum einen nicht richtig, wie Sie






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Herrn Stoiber zitiert haben und dass Sie dann auch noch
meinen, er habe nicht gemeint, was er gesagt habe.


(Heiterkeit bei der SPD)

Es ist ein typischer „Stoiber“ gewesen, nach dem Motto
„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Das
kennen wir von ihm.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum 3. Oktober würde ich Ihnen gern ein paar Dinge
sagen, die andere betreffen; ich hoffe, ich zerstöre nicht
deren Karrieren. Ich habe mir das herausgesucht und
will es Ihnen mitteilen. Da gab es einen Sozialexperten,
der sich in der „BZ“ vom 10. März 1994 zum 3. Oktober
geäußert hat. Peter Ramsauer,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)


CSU-Sozialexperte:

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die alte Ka melle! X-mal dementiert!)

Selbstverständlich müssen wir auch bereit sein, Fei-
ertage zu streichen, beispielsweise den 1. Mai. Der
3. Oktober könnte auf einen Sonntag gelegt wer-
den. Es darf keine Tabus geben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Übrigens, Herr Singhammer, Sie wollen ja einen Kar-

rieresprung machen. Ich will Ihnen deswegen auf dem
Weg dorthin mitgeben, was Sie zu diesem Thema gesagt
haben:

Singhammer würde für die Mehrarbeit Feiertage
opfern, keine kirchlichen zwar, aber weltliche wie
den Tag der Arbeit oder den Tag der Deutschen
Einheit. Über den 1. Mai und den 3. Oktober gibt es
tatsächlich eine Diskussion, sagte der CSU-Abge-
ordnete. An die könnte man rangehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich erwähne das nicht, um

diese Debatte weiterzuführen,

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Haben Sie sonst noch etwas zu sagen?)

sondern ich erwähne das, damit Sie mit dem Patriotis-
musvorwurf etwas vorsichtiger umgehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diejenigen, die derart im Glashaus sitzen, sollten nun
wahrlich nicht mit Steinen werfen. Das geht, wie ge-
zeigt, immer nach hinten los.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Falsch! Xmal dementiert! Es ist doch zu billig für Sie, Herr Bundeskanzler, alte Kamellen herauszuziehen!)


Ich komme zum zweiten Thema. Dies betrifft den
sachlichen Gehalt – sofern einer vorhanden war – des-
sen, was Herr Glos zur Ökonomie gesagt hat. Wie ur-
teilsfähig er in diesen Fragen ist, will ich gern mit Rück-
griff auf eine andere Begebenheit erläutern. In einer der
letzten Debatten über ökonomische Fragen, Herr Glos,
haben Sie sich in ganz bestimmter Weise mit dem
Außenwert des Euro beschäftigt. Sie werden sich erin-
nern: Er stand damals im Verhältnis zum Dollar bei
84 Cent. Da hat Herr Glos gesagt – das beweist seine Ur-
teilsfähigkeit in ökonomischen Dingen –:

Ich will jetzt gar nicht im Einzelnen darlegen, wie
sich der Euro entwickelt hat. Gegenüber dem viet-
namesischen Dong beträgt die Abwertung
21 Prozent, gegenüber dem dominikanischen
Peso – es fliegen ja ungeheuer viele Leute in die
Karibik – beträgt die Abwertung 19 Prozent.

(Joachim Poß [SPD]: Der Herr Glos ist viel auf Reisen! Der kennt sich da aus!)

Ich könnte Ihnen eine lange Liste nennen.

Weiter sagte er:
Ausschlaggebend ist also der Marktwert des Euro.
Der Marktwert des Euro könnte besser sein, wenn
wir in Deutschland, im wirtschaftlichen Herzland
Europas, eine bessere Regierung hätten.


(Heiterkeit bei der SPD)

So viel zu Ihrer ökonomischen Urteilsfähigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Abg. Michael Glos [CDU/ CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich will das jetzt im Zusammenhang vortragen; ich bin
gerade so gut dabei. Sie werden das verstehen, Herr
Glos.

Der Euro – das macht mich wegen unseres Exportes
durchaus besorgt – liegt jetzt im Verhältnis zum Dollar
bei etwa 1,30. Worauf ist das entlang Ihrer ökonomi-
schen Einsichten zurückzuführen?


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Offenkundig darauf, dass die Regierung so ungeheuer
gut ist, dass der Außenwert des Euro ständig steigt. Ich
sage Ihnen aber: Das hat doch mehr mit der Situation auf
den internationalen Finanzmärkten – übrigens in der ei-
nen wie in der anderen Richtung – zu tun als mit dem,
was Sie prognostiziert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich erwähne das hier nur, um das Publikum davon zu un-
terrichten, wie weit her es mit Ihrer ökonomischen
Urteilsfähigkeit ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist viel zu billig! So billig sind Sie doch gar nicht! Entlassen Sie den Redenschreiber! Das alles ist viel zu billig!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Ich würde angesichts dessen doch raten, sich damit zu

begnügen, was der Sachverständigenrat der Bundesre-
gierung zu diesen Fragen gesagt hat. Der Sachverständi-
genrat der Bundesregierung – auch das sollte Thema die-
ser Debatte sein – hat sein Jahresgutachten unter das
Motto „Erfolge im Ausland – Herausforderungen im In-
land“ gestellt. Ich finde, dass das – darüber haben wir in
dieser Debatte heute zu diskutieren – eine sehr gute, sehr
zutreffende und solide Kennzeichnung der Lage der Na-
tion sowohl im Hinblick auf das Ökonomische als auch
das Politische ist.

Die Frage, die wir hier zu debattieren haben – wir
dürfen keinen Klamauk machen, wie Sie ihn eben vorge-
führt haben –, ist doch wohl: Welche Beiträge können
die Politik und die Gesellschaft schlechthin – dazu gehö-
ren sowohl Wirtschaft als auch Gewerkschaften – erbrin-
gen, um die Herausforderungen zu meistern, um die
Chancen zu nutzen, um Erfolge zu haben? Das sollte der
Kern der Debatte sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Anstatt diese Diskussion zu führen, haben wir von Ih-
nen vorhin nur das gehört – von Herrn Merz brillant, von
Ihnen, Herr Glos, eher holzschnittartig vorgetragen –,
was wir von Ihnen schon kennen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Vielen Dank, Herr Oberlehrer!)


In jedem Fall zeichnen Sie das Bild eines Deutschlands
im Jammertal. Sie zeichnen ein Zerrbild des Landes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für Sie ist das Teil einer Machtauseinandersetzung in
unserem Land. Das ist nachvollziehbar, Sie müssen aber
bedenken, dass Sie mit der Zeichnung von Zerrbildern
Deutschlands nicht nur erlaubte Machtauseinanderset-
zung betreiben, sondern Deutschland diskreditieren. In-
dem Sie Deutschland nach innen diskreditieren, tun Sie
es naturgemäß auch nach außen. Das freut niemanden in
Deutschland, das freut nur unsere Wettbewerber überall
in der Welt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sage ich vor dem Hintergrund der so genannten
Patriotismusdebatte; denn wenn eines unpatriotisch ist,
dann das eigene Land so schlecht zu reden, wie Sie es
gegenwärtig tun, nur um Machtauseinandersetzung zu
betreiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Lesen Sie doch die Zahlen!)


Auch insoweit halte ich es mit dem Sachverständi-
genrat, der zur Situation unter Textziffer 484 gesagt hat
– ich zitiere –:

Gegenwärtig besteht in Deutschland eine gewisse
Tendenz zur Schwarzmalerei. Selbst das Positive,
wie beispielsweise die verbesserte preisliche Wett-
bewerbsfähigkeit und die Ausfuhrerfolge, werden
unter dem Menetekel vermeintlich drastischer und
negativer Folgen für die heimischen Arbeitsplätze
in düsteren Farben gemalt. Hierzu besteht alles in
allem kein Grund. Wer alles nur noch schwarz
sieht, verliert auch den Blick dafür, welche Wege zu
beschreiten notwendig und lohnenswert sind.


(Beifall bei der SPD)

Natürlich gibt es Licht- und Schattenseiten. Wir soll-

ten aber auch über das reden, was gut gewesen ist und
weiterhin gut ist. Wiederum zitiere ich den Sachverstän-
digenrat:

Mit einem Anteil von rund 10 v. H. wurde im
Jahr 2003 fast wieder das Niveau erreicht, das zu
Beginn der neunziger Jahre vorgelegen hatte.

Es geht um den Export. Dies zeigt aber auch, was wir
im Laufe der 90er-Jahre verloren haben. Wir haben das
wieder aufgeholt. Das drückt aus, dass wir es in der
Phase der Stagnation geschafft haben, Marktanteile in
der Welt zu gewinnen und nicht zu verlieren. Dieser Pro-
zess geht weiter. Die Exporterfolge dieses Jahres und die
für das nächste Jahr erwarteten Erfolge werden wieder
dazu führen, dass wir im Export Rekordernten einfahren
können.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wer hat etwas davon?!)


Das erwähne ich nicht, um in Anspruch zu nehmen,
dass das allein auf die Politik der Bundesregierung zu-
rückzuführen ist. Niemand wird das sagen können. Es
muss aber erwähnt werden, weil dahinter eine Kraft der
Volkswirtschaft steht und nicht eine Schwäche, wie Sie
sie an die Wand malen. Was denn anderes als Kraft?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im ersten Halbjahr 2004 ist der Export, bezogen auf das
Rekordjahr 2003, noch einmal um 10 Prozent gestiegen.

Das zeigt doch, dass wir, jedenfalls was unsere außen-
wirtschaftlichen Möglichkeiten angeht, auf dem richti-
gen Weg sind. Das muss und soll doch denjenigen Mut
machen, die diese Leistungen in Deutschland erbracht
haben. Für diese Leistungen sind doch nicht wir, sondern
die Menschen draußen verantwortlich. Denen kann und
muss man auch einmal sagen, dass wir auf diese Leis-
tungskraft stolz sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Niemand wird angesichts dessen die Tatsache leugnen
wollen, dass wir bei der Binnenkonjunktur leider noch
nicht so weit sind, wie wir sein wollten und sein müss-
ten. Das hat aber doch nichts damit zu tun, dass man das
andere kleinschreibt. Bei der Binnenkonjunktur können
Sie das an den steigenden Ausrüstungsinvestitionen se-
hen. Darüber hinaus können Sie das an der Tatsache er-
kennen, dass der private Konsum nicht mehr sinkt. Ich
weiß zwar, dass er noch stagniert; das reicht mir auch
noch nicht. Aber es ist die Basis für eine Verbesserung.






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Wenn Sie sich die Oktoberzahlen der Automobilin-

dustrie anschauen und sich über die Orders, die dort ein-
gehen, informieren, werden Sie feststellen können, dass
wir den Trend nach oben stützen sollten, statt ständig das
Gegenteil zu tun. Das geht doch nicht. Ein solches Vor-
gehen ist auch nicht patriotisch.


(Beifall bei der SPD)

Vor diesem Hintergrund müssen und sollen wir auch

über die Schattenseiten reden. Wir müssen uns dabei
aber bemühen, sie zu überwinden. Natürlich ist die Ar-
beitslosigkeit zu hoch und natürlich gibt es noch zu we-
nig Ausbildungsplätze. Natürlich gibt es Strukturpro-
bleme in den Unternehmen, die Sie genannt haben.
Natürlich beunruhigt uns das, was bei Opel an Arbeits-
platzsicherung von den Beschäftigten erkämpft werden
muss, und natürlich beschäftigt uns alle in Deutschland
die Karstadt-Frage. Aber natürlich weiß auch jeder
– niemand wird diskreditiert, wenn man das ausspricht –,
dass es hier massives Missmanagement gegeben hat.
Politik kann eben nicht alles richten, sondern kann nur
und muss vernünftige Rahmenbedingungen setzen.

Wir haben auf die Herausforderungen, die ich ge-
nannt habe, sehr wohl reagiert. Wir sind doch die Ersten
gewesen, die mit der Agenda 2010 ein umfassendes
Strukturprogramm vorgelegt haben, das die notwendigen
Reformen eingeleitet hat, um die Schattenseiten in unse-
rem Land, die es natürlich auch gibt – ich sage aber noch
einmal: Es gibt sie nicht ausschließlich –, Schritt für
Schritt zu überwinden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es war richtig, dass der Finanzminister gestern darauf
hingewiesen hat, dass es diese Regierung, diese Koali-
tion gewesen ist, die mit ihrer Steuerpolitik dafür gesorgt
hat, dass – jedenfalls potenziell – mehr Konsummöglich-
keiten vorhanden sind. Es werden 56 Milliarden Euro
mehr für die Unternehmer und die Konsumenten zur
Verfügung stehen, wenn die letzte Stufe der Steuer-
reform zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt. Das
ist doch kein Pappenstiel, meine Damen und Herren, das
ist eine Chance, die Wirtschaft nach vorn zu bringen.
Diese Tatsache muss man einfach zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Über die ökonomisch vernünftige, aber auch sozial
gerechte Ausgewogenheit dieses Steuerprogramms muss
sich doch niemand, aber auch wirklich niemand Gedan-
ken machen. Diese Koalition ist es gewesen, die den
Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent zu Ihrer Zeit auf
15 Prozent – ab 1. Januar 2005 – gesenkt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind es gewesen – ich weiß, dass wir dafür von den
Gewerkschaften und gelegentlich auch aus den eigenen
Reihen stark kritisiert wurden –, die den Spitzensteuer-
satz von 53 Prozent auf 42 Prozent – ab 1. Januar 2005 –
gesenkt haben. Unsere Steuerquote gehört zu den nied-
rigsten in Europa. Ich halte das für richtig. Aber wenn es
richtig ist, dann muss man auch darüber reden und darf
nicht das Gegenteil davon fordern.

Wir haben dafür gesorgt, dass die Rentenbeiträge,
die in Gefahr waren, auf über 21 Prozent zu steigen, bei
19,5 Prozent festgeschrieben werden konnten. Natürlich
hat das schmerzhafte Einschnitte erfordert; das ist doch
gar keine Frage. Natürlich hat das auch dazu geführt,
dass Belastungen unvermeidlich gewesen sind. Diese
Belastungen haben es uns im abgelaufenen Jahr politisch
nicht einfach gemacht. Wir haben das aber durchgesetzt,
weil es für die Zukunft Deutschlands notwendig ist und
weil es patriotisch ist, das Land voranzubringen und es
auf die neuen Gegebenheiten einzustellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind es doch gewesen – Walter Riester, mit des-
sen Namen diese Reform verbunden ist, sitzt ja dort –


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– ja, meine Damen und Herren, auch nach jahrzehntelan-
gem Gezerre war niemand dazu in der Lage –, die neben
der Umlagefinanzierung – die zwar wichtig bleibt, die
die Finanzierung aber angesichts unterschiedlicher und
differenzierter Erwerbsbiografien in Schwierigkeiten
bringt – das System der Kapitaldeckung aufgebaut ha-
ben. Mehr als 4 Millionen Privatpersonen haben bisher
davon Gebrauch gemacht. Mehr als 50 Prozent der aktiv
Beschäftigten bekommen Betriebsrenten. Das sind Er-
folge, die man nicht kleinreden darf; man muss sie deut-
lich machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind es doch gewesen, die die beklagenswerte
Tatsache, dass die Menschen in der Vergangenheit zu
früh in Rente geschickt worden sind – woran wir alle be-
teiligt waren –, geändert haben. Wir haben deutlich ge-
macht, dass wir das wollen – weil wir die Älteren unter
uns aus materiellen Gründen, um der Menschen selbst
willen länger in Beschäftigung halten müssen, als es je-
mals zuvor der Fall gewesen ist.

Es macht wenig Sinn, über die Altersgrenze bei der
Rente unter nominalen Gesichtspunkten zu reden. Nomi-
nal liegt sie bei 65 Jahren; das wissen wir alle. Real liegt
diese Grenze aber bei 60 Jahren. Wenn wir es schaffen,
die reale der nominalen Grenze um ein paar Jahre anzu-
nähern, dann haben wir, was die Nachhaltigkeit des Ren-
tensystems angeht, Erhebliches geleistet. Damit sollten
wir uns in unseren Debatten beschäftigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun zur Gesundheitspolitik. Ich finde, dass die
Maßnahmen, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht
haben, wirklich ein Erfolg sind. Wir werden, was die As-
pekte Transparenz und Markt angeht, zum Beispiel bei
den Apotheken aktiv werden. Dazu wird die FDP sicher-
lich noch etwas sagen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir machen das überall auf Gegenseitigkeit!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Wir wären gerne etwas weiter gegangen, was die Markt-
orientierung der Leistungserbringer angeht,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Machen Sie das auch bei der GKV!)


die – das glauben jedenfalls Sie – im Wesentlichen Ihre
Klientel ist


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir machen das auch auf Ihrer Seite!)


und die Sie deshalb immer vor dem Markt zu schützen
bereit sind; das ist ja das Problem, das wir haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das machen wir auch bei der Bürgerversicherung!)


Dieses Thema haben wir angepackt und unsere Maß-
nahmen wirken. Im ersten Halbjahr 2003 hatten die Kas-
sen ein Defizit von 2 Milliarden Euro. Im ersten
Halbjahr 2004 war von einem Überschuss in Höhe von
fast 2,5 Milliarden Euro die Rede. Dieser Turnaround
hat also eine Größenordnung von 4,5 Milliarden Euro.
Das würde sich manches Unternehmen wünschen. Ich
finde, dass die Gesundheitspolitik von Frau Schmidt er-
folgreich ist. Sie ist standhaft geblieben und hat sie ge-
genüber den Interessengruppen durchgesetzt. Ich jeden-
falls bin ihr dafür sehr dankbar. Das will ich Ihnen ganz
deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben den Men-
schen sagen müssen, dass wir eine neue Balance zwi-
schen der solidarischen Absicherung bei Krankengeld
und Zahnersatz und der Eigenvorsorge brauchen. Wir
werden auch das durchsetzen. Ich bin mir ziemlich si-
cher, dass das wieder zu Unmut führen wird – darauf
werde ich auch bei einem anderen Thema noch zu spre-
chen kommen –, aber vor diesem Unmut darf man nicht
weglaufen. Man muss geduldig erklären, warum diese
Maßnahmen im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres
Landes sind und warum wir das, was wir machen, ma-
chen müssen. Wir müssen das tun, auch wenn es für die-
jenigen, die betroffen sind, manchmal bitter ist.

Auch in der Arbeitsmarktpolitik gab es jahrelang Dis-
kussionen. Aber diese Koalition ist es doch gewesen, die
mit Hartz IV und den anderen Arbeitsmarktreformen
für mehr Flexibilität gesorgt hat, was sie auch weiterhin
tun wird. Diese Regierung sagt: Diejenigen, die heute
Sozialhilfe bekommen, aber arbeitsfähig sind, erhalten
das Arbeitslosengeld II – nicht nur, weil sie dadurch ver-
sorgt sind, sondern auch, weil sie nur dann die Leistun-
gen der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch nehmen
und in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden kön-
nen. Das ist der Zusammenhang. Wir wollen niemanden
in ein anderes Versorgungssystem verschieben, sondern
wir wollen durch diese Reform dafür sorgen, dass dieje-
nigen, die arbeitsfähig sind, Arbeit bekommen

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und die Arbeit, die zumutbar ist, auch annehmen müs-
sen. Darum geht es uns.

Eines ist klar: Wir werden noch harte Diskussionen
über diese Reform, die Millionen von Menschen betrifft,
durchzustehen haben. Das sage ich insbesondere denje-
nigen, die sich nicht in die Büsche schlagen können:
meiner eigenen Fraktion und der Koalition. Natürlich
wird das nicht einfach werden, es steht noch bevor, aber
ich bin ziemlich sicher, dass wir das leisten können –
weil wir es leisten müssen. Die Einsicht, dass Reformen
notwendig sind, wächst. Die Kluft, die bei Reformmaß-
nahmen in doppelter Hinsicht besteht, beginnt sich zu
schließen: die Kluft zwischen der abstrakten Bereit-
schaft, Veränderungen mit zu tragen, und der abnehmen-
den Bereitschaft, wenn es konkret wird, wenn man sel-
ber betroffen ist; die Kluft auch zwischen den manchmal
schmerzhaften Entscheidungen, die jetzt sein müssen,
und den Erfolgen, die erst später eintreten werden. Diese
Kluft schließt sich. Das ist der Grund dafür, dass die
Menschen in Deutschland beginnen, den Reformprozess
auch dort, wo er konkret wird und wo sie selber betrof-
fen sind, nachhaltig zu unterstützen. Das ist eine Per-
spektive, die Mut macht, auf diesem notwendigen Weg
weiter voranzugehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann mir natürlich nicht verkneifen, insoweit auch
einmal darauf einzugehen, was von der anderen Seite
des Hauses zu erwarten ist, und zwar in punkto Steuern
und in punkto Gesundheit.


(Jörg Tauss [SPD]: Der Bierdeckel ist tot!)

Wir haben ja eine Idee geschildert bekommen, die die
Menschen in weiten Bereichen durchaus fasziniert hat,
eine Idee, die mit dem Namen von Herrn Merz verbun-
den ist: die Steuererklärung gleichsam auf einem Bier-
deckel aufschreiben zu können. Ich finde, die Frage der
Vereinfachung hat natürlich etwas Faszinierendes in ei-
nem komplexen System, das für viele schwer durch-
schaubar ist und häufig nur noch von Experten wirklich
in vollem Umfang durchschaut wird. Diese Idee ist na-
türlich faszinierend. Aber was ist aus der Idee – ich
unterstelle ihm durchaus, dass er das ernsthaft verfolgt
hat – geworden?


(Zuruf von der CDU/CSU: Immer noch! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Er hat sich bemüht!)


– Ist ja gut, das zu hören.
Ich will doch einmal feststellen, dass in dem Gezerre

um das andere Thema das, was Sie sich vorgestellt ha-
ben, Herr Merz, zerredet und wegverhandelt worden ist.
Anders ausgedrückt: Man hat Ihnen die Bierdeckel, die
Sie gebraucht hätten, schlicht weggenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Das ist das Problem, unabhängig von der Frage, ob das
wirklich geht. An die Stelle des Konzeptes „Bierdeckel“
ist der Abgang von Herrn Merz getreten.

Es geht bei der Union noch weiter: Da haben Sie eine
gewaltige Gesundheitsreform groß angekündigt. Was
ist daraus geworden?


(Zuruf von der SPD: Gar nichts!)

Sie haben wirklich ein bürokratisches Monstrum zu-
stande gebracht, wie man es schlechter kaum machen
kann!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Angela Merkel [CDU/ CSU]: Mein Gott! – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Man muss es auch lesen!)


Ich will Ihnen gar keine darüber hinausgehende eigene
Bewertung zumuten, sondern nur sagen, was der Sach-
verständigenrat zu Ihrem Modell gesagt hat; darin sitzt ja
einer der Erfinder der von Ihnen vertretenen Grundidee
– die ich im Übrigen für falsch halte –:

Insgesamt werden die Nachteile des gegenwärtigen
Systems kaum beseitigt und die Vorteile eines Pau-
schalbeitragssystems kommen kaum zur Geltung.
Das System wird äußerst kompliziert und noch un-
durchsichtiger als das gegenwärtige. Kurzum: Die-
ses Modell ist ein Kompromiss, von dessen Umset-
zung abzuraten ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Wenn man vor diesem Hintergrund die Regierungsfä-
higkeit der Opposition prüft, dann kann man nur sagen:
Sie haben in beiden Bereichen bewiesen, dass Sie kon-
zeptionell zu nichts in der Lage sind. Sie haben aber
nachhaltig bewiesen, dass Sie in der Lage sind, Ihre bes-
ten Leute gehen zu lassen. Das ist das eigentliche Pro-
blem, das die Opposition hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was die Innenpolitik angeht, noch ein paar Bemer-
kungen zur aktuellen Diskussion um die Integration.
Ich warne vor einem: davor, die Debatte über die Frage
– ich komme darauf noch zurück –, ob man Beitrittsver-
handlungen mit der Türkei – denn nur um die geht es
ja – aufnehmen soll,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Mit welchem Ziel?)


mit der Integrationsdebatte im Inneren unseres Landes
zu verquicken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich warne davor, weil das in keinem Fall im deutschen
Interesse sein kann: nicht was die Friedlichkeit im Inne-
ren unserer Gesellschaft angeht und schon gar nicht, was
die deutschen außerpolitischen Interessen angeht. Also
lassen Sie uns das trennen.
Vor diesem Hintergrund noch ein paar Bemerkungen,
die das unterstützen, was der Parteivorsitzende der SPD
neulich den Mitgliedern meiner Partei geschrieben hat:
Worum geht es dabei? Es geht dabei zunächst einmal da-
rum, deutlich zu machen, dass wir, von Ausnahmen ab-
gesehen, die wir alle kennen, bei der Integration jener
fast 3 Millionen Türken, die bei uns leben, im Grunde
mehr Glück als Pech gehabt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht auch darum, einmal festzustellen, dass sich die
große Masse unserer ausländischen Mitbürgerinnen und
Mitbürger – welcher Nationalität auch immer – zwar
nicht in jeder Frage so verhält, wie wir uns das vielleicht
im Einzelnen wünschen – das ist aber nicht das Pro-
blem –, dass sie sich aber gesetzestreu verhält und sich
an die Leitlinien unserer Verfassung hält. Das ist das,
was wir verlangen müssen und verlangen sollten, aber
auch nur verlangen dürfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jenseits dessen geht es um Respekt davor, wie wir
hier leben – das ist gar keine Frage –, aber auch um Res-
pekt vor dem, was andere Kulturen zu einem Leben in
einer Gesellschaft wie der unseren beizutragen haben.
Ich denke, wir sollten unsere Integrationsbemühungen
immer auch mit dem Hinweis darauf verbinden, dass
wir, von ärgerlichen Erscheinungen abgesehen – ich
sage es noch einmal –, bezogen auf die bisherigen Inte-
grationsleistungen im Großen und Ganzen zwar noch
nicht zufrieden, aber doch froh darüber sein können,
dass es in Deutschland nicht zu Eruptionen wie in be-
stimmten Vorstädten in manchen anderen großen Gesell-
schaften gekommen ist. Ich bin fest davon überzeugt,
dass wir das beibehalten müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jenseits dessen sollten wir klar machen – das kann
man durchaus auch einmal selbstkritisch sagen –, dass es
wahrscheinlich ein Fehler gewesen ist, nicht sehr viel
früher darauf hinzuweisen


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ah, ja!)

– Sie haben das ja auch nicht getan –,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh doch!)

dass die wichtigste Voraussetzung für die Integration in
eine Gesellschaft, in die man hineingeht, die Sprache
ist.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wir haben das immer gesagt! Das ist unglaublich! – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)


Deswegen ist es unerhört wichtig, einzusehen, dass die
Sprache gelernt werden muss. Das sollten wir als Gesell-
schaft auch abverlangen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Interessant ist nun, dass wir das mit dem von der

Union lange bekämpften Zuwanderungsrecht zum ers-
ten Mal tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube, wir müssen dieses modernste aller Zuwande-
rungsrechte, die es in Europa und weit darüber hinaus
gibt, jetzt offensiv nutzen. Das gilt für die Regelungen
zur Sprache in ganz besonderer Weise.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Ja, hoffentlich!)

Es geht bei dieser Frage immer um eine vernünftige Ba-
lance zwischen dem, was wir von anderen Kulturen ler-
nen können, und dem, was wir vor dem Hintergrund der
Werte unserer Verfassung abverlangen können und müs-
sen. Für jede Art innen- oder außenpolitischen Kreuzzug
eignet sich dieses Thema zuallerletzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben nun angekündigt, Sie wollten eine Werte-
debatte führen. Gerne! Ich habe mir einmal die Erörte-
rungen auf dem CSU-Parteitag in Bayern angeschaut.
Das war wahrlich keine reine Freude. Ich gebe aber zu,
dass das auf allen Parteitagen so ist.


(Franz Müntefering [SPD]: Na! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Dort ist ein ganz interessanter Versuch gemacht worden,
über den wir, da bin ich mir ziemlich sicher, auch in Be-
zug auf die Entscheidungen für 2006 sehr intensiv mit-
einander diskutieren werden. Es wurde versucht, eine
neue Dimension in der Wertediskussion zu erreichen.
Wenn man sich die Reden angehört hat, in denen Konse-
quenzen formuliert wurden, die angeblich oder tatsäch-
lich aus bestimmten Menschenbildern folgen, und diese
mit den Beschlüssen des Parteitages, bei denen es um die
harte Wirklichkeit ging, vergleicht, dann stellt man fest,
dass – das sage ich Ihnen voraus –, diese Wertedebatte
sehr interessant wird. Sie reden abstrakt über Solidarität
und über die Würde des Menschen – damit meinen Sie
ja wohl auch die arbeitenden Menschen –, wenn es dann
aber konkret wird, reden Sie über die Abschaffung des
Kündigungsschutzes und über die Abschaffung der
Mitbestimmung. Diese Art einer verqueren und unehr-
lichen Wertedebatte werden wir Ihnen nicht durchgehen
lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Zu dieser Diskussion werden wir die bei
Ihnen auftauchenden Differenzen zwischen den Werten
im Himmel einerseits und der brutalen Wirklichkeit auf
der Erde andererseits genau abklopfen. Das wird eine
sehr interessante Debatte werden, damit wir uns da völ-
lig richtig verstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur an-
deren Seite dessen machen, was wir als Reformpolitik
für dieses Land vorschlagen und zu großen Teilen durch-
gesetzt haben. Es geht nicht nur darum, die sozialen
Sicherungssysteme, die wir Gott sei Dank in Deutsch-
land und in Europa haben, hier und in Europa zu erhalten
und zukunftsfest zu machen. Nein, es geht zugleich da-
rum, Ressourcen für wichtigste Zukunftsaufgaben frei-
zusetzen, die wir, so glaube ich, miteinander teilen. Es
geht um Forschung und Entwicklung. Wir haben die
Ausgaben in diesem Bereich seit 1998 um mehr als ein
Drittel steigern können. Das ist nicht wenig, aber das ist
auch nicht genug; das gebe ich zu. Zurzeit liegen die
Ausgaben bei 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Das ist mehr, als die anderen großen europäischen Län-
der bereitstellen, aber weniger als in den skandina-
vischen Ländern. Wir müssen in dieser Dekade auf
3 Prozent des Bruttoinlandproduktes kommen und das
wollen wir auch.

Es gibt einen Weg, wie wir das schaffen können. Des-
wegen mein Appell: Blockieren Sie diesen Weg nicht
länger! Wir müssen die rückwärtsgewandte Eigenheim-
zulage abschaffen, damit wir diese Mittel in Forschung,
Entwicklung und Bildung investieren können. Bis 2010
sind das 15 Milliarden Euro. Wie denn sonst, wenn nicht
auf diese Weise, sollen wir das schaffen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen in Betreuung von Kindern investieren,
und zwar nicht nur um Gerechtigkeit zwischen den Ge-
schlechtern zu realisieren, auch wenn das allemal ein
wichtiges Ziel ist. Vielmehr müssen wir auch dafür sor-
gen, dass die Kreativität und die Leistungsbereitschaft
von Frauen ökonomisch genutzt werden können. Ich
sage es noch einmal: Wer glaubt, Fehler in diesem Be-
reich allein durch Zuwanderung ausgleichen zu können
und so für die in der Wirtschaft fehlenden Arbeitskräfte
zu sorgen, irrt, weil das die Integrationsfähigkeit unserer
Gesellschaft bei weitem übersteigen würde. Das brau-
chen wir auch, aber nicht nur.

Deswegen halte ich es für außerordentlich wichtig,
dass das, was wir gegenwärtig vorbereiten, von den
Kommunen umgesetzt wird,


(Beifall bei den Abgeordneten der SPD)

nämlich dass die 1,5 Milliarden Euro von den 2,5 Mil-
liarden Euro, die wir den Kommunen im Zuge der Hartz-
IV-Reformen zur Verfügung stellen, wirklich für die Be-
treuung der unter Dreijährigen eingesetzt werden. Das
ist wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Polemik gegen den Bund, der in dieser Legislaturperiode
für die Betreuung in den Schulen 4 Milliarden Euro
lockermacht, aber dafür angeblich nicht zuständig ist,
nutzt doch überhaupt nichts. Stattdessen sollte das Geld
sinnvoll investiert werden. Darum geht es, und das wäre
besser, als hier Polemik zu betreiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Ich finde, die Debatten über die Frage, welchen Wert

Ausbildung für die jungen Menschen hat, haben genutzt.
Der Ausbildungspakt, den wir geschlossen haben, be-
ginnt zu greifen, auch wenn er noch nicht idealtypisch
ist; das ist gar keine Frage. Aber die Zahl der in den Be-
trieben angebotenen Ausbildungsplätze steigt. Das ist
ein großer Erfolg, den wir miteinander erzielt haben, wo-
mit ich unsere Seite dieses Hauses zusammen mit der
Wirtschaft meine.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir klar machen, dass all das, was wir den
Menschen in Deutschland an schmerzlichen Entschei-
dungen und Zumutungen auferlegen müssen, damit ver-
bunden ist, dass wir Zukunftsfähigkeit durch Investi-
tionen in den Bereichen Forschung und Entwicklung,
Bildung und Betreuung schaffen müssen und wollen,
dann werden sich – da bin ich sicher – die Bewusstseins-
lagen für die Notwendigkeit von Reformprozessen in
immer noch reichen Gesellschaften weiter positiv verän-
dern. Davon bin ich überzeugt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu dieser Generaldebatte möchte ich auch ein paar
Bemerkungen zur internationalen Politik machen. Es
ist wahrlich kein leichtes internationales Umfeld, in dem
wir unsere Position zu finden und zu behaupten haben.
Ich stimme all denjenigen zu, die sagen – deswegen hat
es von uns darüber kein einziges Wort gegeben –, es sei
Sache des amerikanischen Volkes, seinen Präsidenten zu
wählen. Ich habe immer hinzugefügt: Wir werden mit je-
dem, der dort gewählt wird, gut zusammenarbeiten. Das
gilt ausdrücklich auch für den wiedergewählten amerika-
nischen Präsidenten. Die Diskussionen auf allen Ebenen
über diese Zusammenarbeit laufen besser, als Sie sich
das vorstellen können. Das werden Sie auch erleben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht dabei um einige Entwicklungen in der inter-

nationalen Politik, die noch in diesem, erst recht aber im
kommenden Jahr auf uns zukommen werden. Die wer-
den nicht unerheblich sein. Wir sind im Irak noch nicht
so weit, dass man auch nur in Ansätzen von einer friedli-
chen Entwicklung reden könnte. Trotzdem hoffen wir
auf die Wahlen und wir unterstützen alles – der Außen-
minister hat das gerade auf der Konferenz in Scharm al-
Scheich getan –, damit die Wahlen im Januar des nächs-
ten Jahres stattfinden können. Das wäre doch wichtig.

Wir sind daran interessiert – unabhängig von der
Frage, wie wir zum Krieg standen, und unabhängig von
der Frage, wie wir zum Einsatz deutscher Soldaten ste-
hen –, dass es eine vernünftige, friedliche Entwicklung
im Irak gibt. Wir tun auch etwas dafür, aber eben nicht
mit Soldaten. Ich habe festzustellen – ich habe das in der
letzten außenpolitischen Rede von Herrn Schäuble schon
gemerkt; jetzt ist es auch wieder bei Herrn Glos deutlich
geworden –, dass wir uns unterscheiden: Sie wollen,
dass deutsche Soldaten in den Irak kommen, zwar nur in
Stäben, aber in den Irak, und wir wollen das nicht. Da-
rüber werden wir eine faire Auseinandersetzung führen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich scheue sie nicht. Ich weiß, warum wir Nein gesagt
haben und warum wir das in aller Fairness und Offenheit
unseren Partnern vermittelt haben.

Ich habe in diesen Fragen immer wieder darauf hinge-
wiesen – dabei bleibe ich auch –, dass niemand
Deutschlands Beitrag zur friedlichen Entwicklung in
der Welt gering schätzen sollte.

Wir sind diejenigen, ohne die die Wahlen in Afgha-
nistan nicht so hätten ablaufen können, wie sie abgelau-
fen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage das sehr selbstbewusst, ohne jeden Anflug von
Überheblichkeit. Ohne uns, ohne unsere Bundeswehr
wäre das nicht so gelaufen. Das weiß man in Amerika
und anderswo. Ohne uns, ohne unsere 4 000 Soldaten
auf dem Balkan, hätten wir dort Konflikte ganz anderer
Art. Deshalb bin ich stolz auf diejenigen, die das dort
leisten, auf die Soldaten der Bundeswehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen hoffe ich, dass anerkannt wird – von un-
seren Partnern wird das auch anerkannt –, was wir tun.
Wir waren die Ersten, die in den Emiraten angefangen
haben, und zwar erfolgreich, irakische Polizei und iraki-
sches Militär auszubilden. Wenn Sie nicht nur die Be-
richte der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, son-
dern auch die der anderen lesen, werden Sie merken,
dass diese Zusammenarbeit mit den Vereinigten Ara-
bischen Emiraten für einen friedlichen, einen sicheren
Irak von höchster Qualität ist und in der internationalen
Staatengemeinschaft in höchstem Maß anerkannt wird.
Darauf können wir mit Fug und Recht stolz sein. Darauf
können wir verweisen und wir sollten es tun.

Wir sind es doch gewesen, die dem Drängen nachge-
geben und gesagt haben: Müssen wir nicht einem poten-
ziell wohlhabenden Land wie dem Irak, das seinen Öl-
reichtum aber auf absehbare Zeit nur schwer wird nutzen
können, dadurch helfen, dass wir Schulden stunden
bzw. erlassen, schlicht deshalb, damit das Geld, das er-
lassen ist, nicht für Zahlungen an Gläubiger verbraucht
werden muss, sondern für den Wiederaufbau des Landes
verwendet werden kann?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Grunde gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entwe-
der man macht es auf diese Weise oder die internationale
Staatengemeinschaft zahlt auf Geberkonferenzen Bei-
träge, die sie zusagt. Wir haben das zusammen mit unse-
ren Partnern in der Welt, mit den Amerikanern, mit den
Franzosen, mit den Briten, mit den Russen im Pariser
Club getan. Ich glaube, das ist ein Beitrag, den wir deut-
lich machen sollten, ein Beitrag, der dem Wiederaufbau
eines friedlichen Irak dient und der von Deutschland
im Rahmen seiner Möglichkeiten geleistet worden ist.






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Ich hoffe und erwarte auch, dass wir jetzt in eine

Phase kommen, in der im Nahen Osten jener Konflikt,
der sehr häufig nicht Ursache für internationalen Terro-
rismus ist, diesem aber viel Zulauf ermöglicht, gelöst
werden kann. Ich meine den Konflikt zwischen Paläs-
tina und Israel.

Ich denke, wir alle sind uns darin einig, dass es jetzt
auf der palästinensischen Seite Hoffnung gibt. Ich hoffe,
dass dies auch auf der israelischen Seite der Fall ist;
auch dafür gibt es Signale. Vor allen Dingen gibt es
Signale vom amerikanischen Präsidenten, dass man sich
dieses Themas intensiv annehmen will. Ohne die Ameri-
kaner wird es nicht gehen. Das Quartett ist wichtig. Das
gilt auch für die anderen in diesem Quartett: die Euro-
päer, die Russen und die Vereinten Nationen; aber ohne
einen entschiedenen Beitrag der Vereinigten Staaten von
Amerika wird der israelisch-palästinensische Konflikt
nicht zu lösen sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen können wir alle nur hoffen, dass es gelingt,

die neue amerikanische Administration, die die alte ist,
dazu zu bewegen, diesen Konflikt als ein zentrales Auf-
gabenfeld anzunehmen. Denn nur sie kann es leisten; an-
dere können es nicht alleine schaffen. In dem Maße, wie
dies geschieht, werden wir es nach meiner Überzeugung
schaffen, den Zulauf verarmter und auch fehlgeleiteter
Massen zu Terroristen zu unterbinden. Der Konflikt, der
bisher nicht gelöst werden konnte, bietet Terroristen im-
mer wieder Möglichkeiten, ihn zu nutzen. Deswegen ist
die Lösung dieses Konflikts so außerordentlich wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin außerordentlich dankbar und halte es für eine
sehr große Leistung nicht zuletzt unseres eigenen Au-
ßenministers, dass es im Verein mit den Franzosen und
den Briten gelungen ist – jedenfalls sieht es so aus –, den
Konflikt über den Iran, der sich abzeichnete, zu deeska-
lieren und dafür zu sorgen, dass die Iraner aus freien Stü-
cken den Brennstoffkreislauf nicht schließen. Die Euro-
päer haben auch mit Angeboten einer entwickelten
Zusammenarbeit dafür gesorgt, dass in dieser so gebeu-
telten Region kein neuer Krisenherd entsteht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich – damit das nicht falsch aufgefasst
wird – etwas dazu anmerken, was ich an unserem Ver-
hältnis zu Russland für wichtig halte. Ich habe die Äu-
ßerungen von Herrn Schäuble in Moskau zu diesem
Thema zur Kenntnis genommen. Ich habe auch zur
Kenntnis genommen, dass in diesem Hause bis auf Ein-
zelheiten, die Sie kritisiert haben – ich habe das verfol-
gen können –, möglicherweise Übereinstimmung da-
rüber besteht, dass wir gut daran tun, geduldig eine
strategische Partnerschaft zwischen der EU – das
bedeutet allemal, wenn nicht sogar zuallererst Deutsch-
land – und der Russischen Föderation aufzubauen. Ich
glaube, es muss nicht nur aus ökonomischen Gründen
und längst nicht nur aus energiepolitischen Gründen
nicht zuletzt in dem Jahr, in dem der 60. Jahrestag des
Endes des Zweiten Weltkriegs begangen wird, deutlich
gemacht werden, dass es notwendig ist und in unserem
ureigensten Interesse liegt, eine solche Partnerschaft
zwischen der Russischen Föderation und Europa bzw.
zwischen Russland und Deutschland zuwege zu bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist viel von den tatsächlichen oder vermeintlichen
freundschaftlichen Beziehungen die Rede. Es sind tat-
sächlich freundschaftliche Beziehungen. Ich bin erstens
fest davon überzeugt, dass der russische Präsident Russ-
land zu einer Demokratie entwickeln will und dass er
das aus innerer Überzeugung tut.


(Unruhe bei der CDU/CSU)

– Das können Sie zwar anzweifeln, aber es ist meine
Überzeugung.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Lupenreine Demokratie!)


– Mit dem Begriff „lupenrein“ ist das so eine Sache. Wer
ist das schon außer Ihnen? Da wäre ich etwas zurückhal-
tend.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Sie haben es doch gesagt!)


Er ist nach meiner Auffassung fest davon überzeugt,
dass dies die Perspektive für sein Land ist, für ein gewiss
nicht einfach zu regierendes Land, das im Übrigen
– wenn Sie sich die Landkarte vor Augen führen – in den
letzten Jahren bzw. im letzten Jahrzehnt nicht unerhebli-
che Anstrengungen unternommen hat, etwas für die
Partnerschaft mit dem Westen zu tun. Ich denke dabei an
die Partnerschaften, die wir in der NATO mit Russland
eingegangen sind und die auch – weil sie richtig waren –
akzeptiert worden sind.

Zweitens bin ich fest davon überzeugt, dass er und ich
das gemeinsame Ziel haben, das, was im letzten Jahr-
hundert geschehen ist, den Blutzoll, der wegen einer ver-
kehrten Politik und wegen der Aggression, die von
Deutschland ausgegangen ist, von beiden Völkern gefor-
dert wurde, ein für allemal zu beenden und es zu schaf-
fen, durch eine so strategisch gemeinte Beziehung dau-
erhaft den Frieden zwischen Deutschland und Russland
zu sichern. Das ist meine Vision, von der ich nicht abge-
hen und die ich weiter strikt verfolgen werde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt doch nicht – das sei nicht nur deshalb ge-
sagt, weil Michael Glos es erwartet –, dass man nicht in
aller Deutlichkeit kritisieren könnte und müsste, was in
der Ukraine passiert ist. Ich habe doch nichts abzustrei-
chen von dem, was die OSZE-Beobachter mitgeteilt ha-
ben, wonach es zu massiven Wahlfälschungen gekom-
men ist. Dass die Europäische Union genauso wie der
Bundesaußenminister für die Bundesregierung deswe-
gen in aller Deutlichkeit reagiert hat, kann ich gern un-
terstreichen. Das hat er auch in meinem Namen getan.
Damit habe ich nicht das geringste Problem.






(A) (C)



(B)


Bundeskanzler Gerhard Schröder


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


Lassen Sie uns dabei mithelfen, dass die dort ohne un-
ser Zutun entstandene Situation – wo die Demokraten
stehen, kann ja nicht zweifelhaft sein – nicht außer Kon-
trolle gerät. Ich will im Rahmen meiner Möglichkeiten
gern meinen Beitrag dazu leisten, dass die Situation
friedlich gelöst wird und dass all diejenigen, die daran
ein Interesse haben, unterstützt werden. Das ist für mich
gar keine Frage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber bei aller Klarheit in der Kritik an Wahltäuschungen
und Wahlmanipulationen haben wir alle ein Interesse da-
ran, dass die Situation nicht gewaltsam eskaliert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Neben der Kritik an den dortigen Vorgängen muss das
jetzt auch ein Teil unserer Aufgabe sein.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514100400

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Schäuble?

Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1514100500

Bitte schön, natürlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1514100600

Ich frage Sie, ob, in Bezug auf die Ukraine die von

uns gemeinsam für richtig gehaltene Zusammenarbeit
zwischen der Europäischen Union und der Russischen
Föderation sich jetzt nicht darin bewähren könnte, dass
man gemeinsam mit der Russischen Föderation für eine
Achtung der Prinzipien einer demokratischen Wahl
eintritt. Ich glaube, darin besteht eine Chance, die
Ukraine zu stabilisieren und es nicht zu einer neuen
Konfrontation im Ringen um Einflusssphären zwischen
West und Ost kommen zu lassen. Wenn Präsident Putin,
wie Sie sagen, ein überzeugter Demokrat ist, sollte er
von Ihnen gewonnen werden können, für die Einhaltung
demokratischer Grundsätze in der Ukraine einzutreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1514100700

Ich finde, dass die Bemerkungen und die Feststellun-

gen, die in Ihrer Frage liegen, erstens richtig sind

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

und zweitens verfolgt werden müssen und auch verfolgt
werden; dessen können Sie sicher sein. Die Antwort auf
die Frage, ob das zu dem Ergebnis führen wird, das Sie
wie ich gern hätten, bleibt offen.

Sie haben interessanterweise etwas angesprochen,
was vielleicht in der außenpolitischen Debatte noch ein-
mal zum Ausdruck kommen wird: Es geht hier nicht nur
um die Ukraine, sondern auch um Einflusssphären. Ich
gehöre zu denjenigen, die immer sagen würden: Wenn
Einfluss dauerhaft sein soll – dass aus realpolitischen
Gegebenheiten darum gekämpft wird, kann man kaum
vermeiden –, kann er nur gegründet werden auf diejeni-
gen, die auf dem richtigen Weg sind, nicht auf diejeni-
gen, die offenkundig auf dem falschen Weg sind. Da bin
ich ganz bei Ihnen.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte ein paar ab-

schließende Bemerkungen zu den europäischen Fragen
machen. Die zentrale Frage ist: Wie gehen wir mit der
EU-Verfassung um? Ich bin froh darüber, dass es im
Gegensatz zu anderen Ländern in diesem Haus, von ge-
ringen Ausnahmen abgesehen, über die Notwendigkeit,
den Verfassungsprozess auch in Deutschland zu einem
guten und schnellen Ende zu bringen, keine unterschied-
lichen Meinungen gibt. Ich kenne die Debatten über ple-
biszitäre Instrumente. Wir werden über die europäische
Verfassung vermutlich im parlamentarischen Verfahren
hier wie im Bundesrat beraten und beschließen und soll-
ten auch so verfahren. Es wäre gut, wenn Deutschland
schon früh im nächsten Jahr sagen könnte: Wir gehören
zu den Ersten, die im Einklang mit unserer Integrations-
politik, die von allen getragen wird, die Verfassung ra-
tifiziert haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben sich wiederum kritisch zur Erweiterung
der EU geäußert, Herr Glos. Ich nehme an – das wäre
keine Überraschung –, dass Frau Merkel das auch tun
wird. Ich will nur noch einmal klar meine Meinung
sagen. Die Türkei braucht eine Perspektive, nicht nur
weil wir 40 Jahre gesagt haben, dass wir ihr eine eröff-
nen werden, wenn die Kopenhagen-Kriterien erfüllt sind
– das ist sicherlich wichtig –, sondern auch weil es um
unsere ureigenen Interessen – ökonomische sowie politi-
sche – geht. Schauen Sie sich die Lage in der dortigen
Region an! Ich habe über den Iran geredet. Ich hätte
auch über den südlichen Kaukasus reden können. Ich
musste über den Irak reden. Niemand von uns weiß,
wann der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst ist.
Es gibt also Schwierigkeiten in dieser Region. Vor die-
sem Hintergrund ist es von ungeheuer großer Bedeutung
für die nationalen Interessen Deutschlands, dafür zu sor-
gen, dass die Türkei ein prowestlich ausgerichteter Fak-
tor der Stabilität wird und bleibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist der eigentliche Grund – machen Sie sich keine
anderen Hoffnungen –, warum wir im Dezember dieses
Jahres zusammen mit allen unseren Freunden aus Eu-
ropa für die Aufnahme von Verhandlungen mit einer
zehn- bis fünfzehnjährigen Perspektive streiten und da-
rüber entscheiden werden.

Lieber Herr Glos, machen Sie nicht wieder den glei-
chen Fehler wie bei der letzten Erweiterungsrunde, als es
um die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen
Staaten ging. Auch damals haben Sie – längs der bayeri-
schen Grenzen – vor Wanderungsbewegungen gewarnt.
Wir haben dagegen mit vernünftig ausgestalteten

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzler Gerhard Schröder

Übergangsregelungen reagiert. Das war damals so und
ist problemlos verlaufen und das wird wieder so sein.
Machen Sie nicht wieder den gleichen Fehler, die Men-
schen mit falschen Informationen und Prognosen auf die
Bäume zu treiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke, dass inzwischen jeder weiß, wie wichtig
unser Verhältnis zu Frankreich ist und wie bedeutsam es
ist, dass wir uns eng abstimmen, was gegen niemanden
gerichtet ist. Häufig kommen noch andere Staaten hinzu,
zum Beispiel Spanien und Großbritannien. Das wird
auch angesichts eines Europas der 25 ein richtiges und
vernünftiges Konzept sein. Sie sehen doch, dass die
Bundesregierung, der Außenminister ebenso wie ich,
sensibel mit dem Verhältnis Deutschlands zu Polen um-
geht und gelegentlich die Sensibilität – ich füge hinzu:
gegen Einzelne aus Ihren Reihen – verteidigen muss,
was wir auch tun. Wir würden uns freuen, wenn Sie, die
Opposition als Ganzes und insbesondere ihre Führung,
gelegentlich mitmacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hatte meine Rede mit dem Hinweis auf das Jah-
resgutachten des Sachverständigenrates begonnen.
Dort ist die Rede von Erfolgen, die wir nicht nur nach
außen haben, und von Herausforderungen, die wir im In-
nern haben. Herausforderungen sind sicherlich vorhan-
den und werden auch bestehen bleiben. Aber die rot-
grüne Koalition ist die Konstellation – seien Sie sich
dessen sicher –, die für die Erfolge nach außen, in der in-
ternationalen und insbesondere in der europäischen Poli-
tik, verantwortlich ist und die die einzige Kraft ist, die
mit den Herausforderungen, die der Sachverständigenrat
genannt hat, fertig werden kann. Das ist unsere Gewiss-
heit. Das sollte der Kern der Debatte über unseren Haus-
halt sein.

Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514100800

Ich erteile dem Kollegen Michael Glos das Wort zu

einer Zwischenbemerkung. Bitte sprechen Sie vom Platz
aus.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jeder blamiert sich so gut er kann!)



Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1514100900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe leider noch nicht das amtliche Proto-
koll. Nach einer Agenturmeldung habe ich in der De-
batte vorhin harte Vorwürfe gebraucht, als es um die Tat-
sache ging, dass der so genannte Fischer/Volmer-Erlass
so viel illegale Zuwanderung in die Europäische Union
nach sich gezogen hat. Dabei ist auch das Wort „Zuhäl-
ter“ gefallen. Es tut mir sehr Leid. Wenn sich dadurch je-
mand beleidigt gefühlt hat,

(Zustimmung bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dann möchte ich mich dafür ausdrücklich entschuldigen.
Es war sicherlich nicht sehr geschickt von mir, dieses
Bild zu wählen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schäbig war es!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514101000

Danke schön.
Ich erteile nun dem Kollegen Guido Westerwelle,

FDP-Fraktion, das Wort.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1514101100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundes-
kanzler, ich möchte gerne mit einigen Vorbemerkungen
beginnen. Ganz am Anfang haben Sie etwas gemacht,
was aus unserer Sicht, aus Sicht der Opposition, kaum
akzeptabel ist: Sie fordern die Opposition auf, unser
Land nicht schlechtzureden. Niemand in der Opposition
redet unser Land schlecht. Wenn jemand die deutsche
Bundesregierung für ihre schlechte Politik kritisiert,
dann wird nicht das Land schlechtgeredet, sondern be-
rechtigte Kritik an ihrer Politik geübt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie offenbaren an dieser Stelle ein bemerkenswertes

Selbstverständnis. Es erinnert ein wenig an den Absolu-
tismus. Ludwig XIV. hat gerufen: „L’état c’est moi.“ Das
bedeutet: Der Staat bin ich. Ich warte darauf, dass Sie
sich jetzt eine gepuderte Perücke aufsetzen. Herr Bun-
deskanzler, Sie werden kritisiert. Wir lieben unser Land
– das ist übrigens ein Satz, der keinem Mitglied dieser
Regierung über die Lippen gehen würde – und wir wol-
len eine bessere Regierung für Deutschland, gerade weil
es eine bessere Regierung verdient hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben etwas zur Außenpolitik gesagt, was sehr

bemerkenswert ist. Auch darauf will ich eingehen. Sie
haben über Russland und die USA gesprochen. Niemand
aus den Reihen der Opposition kritisiert, dass der deut-
sche Bundeskanzler und die Bundesregierung an einer
guten Beziehung zu Moskau arbeiten. Wir kritisieren,
dass es aus unserer Sicht eine Achsenbildung
Paris–Berlin–Moskau gibt, die wir außenpolitisch für
falsch halten. Wir sagen: Es kann nicht richtig sein, dass
diese Bundesregierung an den Vereinigten Staaten von
Amerika alles kritisiert – davon vieles zu Recht –, aber
beim Thema Menschenrechte gegenüber Moskau
schweigt. Diese Einseitigkeit halten wir für falsch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auch die Auseinandersetzung in diesem Hause zeigt:

Durch die Entwicklungen in den letzten zwei, drei
Jahren, aber auch durch manches, was Sie früher vertre-
ten haben, steht Ihnen in Wahrheit Moskau politisch-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

inhaltlich und auch menschlich mittlerweile näher als
Washington. Wir sind der Überzeugung: Wer die
europäische Integration befördern will, der darf das trans-
atlantische Band nicht durchschneiden. Wir wollen Euro-
pa einigen, aber nicht in Gegnerschaft zu, sondern in
Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Deswegen sind wir gegen Ihre Achsenbildung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bundeskanzler folgt jetzt dort hinten dem ersten
Redner der Opposition, der auf ihn antwortet. Vielen
Dank, Herr Kollege!


(Zuruf von der SPD: Der kann das nicht ertragen so dicht dabei!)


Ihr Verhalten ist bemerkenswert. An dieser Stelle kön-
nen wir auch einmal über Stilfragen reden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Sie machen hier Mätzchen: Der Bundeskanzler hält in
einer Generalaussprache eine Rede. Der erste Redner der
Opposition geht ans Pult. Die Reihe lichtet sich. Der
Vizekanzler geht ein bisschen scharwenzeln. Der Bun-
deskanzler setzt sich erst mal gemütlich hinten ins Ple-
num. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir mer-
ken uns das. Das ist eine Stilfrage. Wir sagen Ihnen
schon jetzt zu: Wir werden der scheidenden Regierung
diese Stillosigkeiten gleichwohl nicht mit gleicher
Münze zurückzahlen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Weil Sie sich dahinten jetzt so freuen, Herr Abgeord-
neter Schröder, wollen wir einmal über die Dinge reden,
die Sie uns hier vorgeworfen haben. Sie haben das Ver-
hältnis der Freien Demokraten zu den Apotheken ange-
sprochen. So ist das, Herr Abgeordneter Schröder: Die
einen kümmern sich um die Apotheken und die anderen
um die Drogerien.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist das denn für ein Unsinn?)


Herr Bundeskanzler, was Sie jetzt hier machen, ist ein
bemerkenswerter Vorgang. Es wird eine bleibende Leis-
tung von Ihnen sein, dass Sie den First Dog in der deut-
schen Politik etabliert haben. Was Béla Anda nicht ge-
schafft hat, schafft jetzt Holly. Sehr stark!


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht eben was von Mätzchen gesagt?)


Wenn ein Bundeskanzler schon sein Haustier einsetzen
muss, dann ist dessen Regierung wirklich auf den Hund
gekommen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sonst haben Sie nichts zu bieten, Herr Westerwelle! – Peter Dreßen [SPD]: Sie sind nicht mal mehr Leichtmatrose, nur noch Smutje!)

Herr Abgeordneter Schröder, jetzt will ich einmal das
wiedergeben, was der Sachverständigenrat gesagt hat,
weil es mir besonders viel Freude gemacht hat, dass aus-
gerechnet Sie, Herr Kollege Schröder, den Sachverstän-
digenrat als Kronzeugen für Ihre Politik angeführt ha-
ben. Ich zitiere einmal etwas vom Sachverständigenrat,
wozu Sie nichts gesagt haben; interessanterweise haben
Sie das verschwiegen. Der Sachverständigenrat rät uns:
Erstens. Unabhängig davon ist mehr Flexibilität insbe-
sondere auf Teilbereichen des Arbeitsmarktes gefordert.
Angesprochen werden zweitens die dringliche Rückfüh-
rung der Defizite in den öffentlichen Haushalten und
Schaffung eines die Wachstums- und Investitionsanreize
stärkenden Steuersystems, vor allem drittens eine Re-
form der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversi-
cherung und der Pflegeversicherung, viertens eine Be-
seitigung der erkennbaren Mängel auf allen Ebenen des
deutschen Bildungssystems und fünftens eine teilweise
Neuausrichtung des Aufbaus Ost.

Wir hätten vom Bundeskanzler der Bundesrepublik
Deutschland erwartet, dass er hier nicht im Wesentlichen
erklärt: Hartz IV, Agenda 2010 – ich habe meine Arbeit
getan. – Herr Bundeskanzler, Sie wollen sich auf dem,
was Sie gemacht haben, ausruhen. Wir hätten von Ihnen
erwartet, dass Sie uns sagen, wie Sie die Probleme, die
der Sachverständigenrat zu Recht analysiert hat, lösen
wollen. Was sind Ihre Vorstellungen zur Liberalisierung
des Arbeitsmarktes?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)


Können wir weiter zusehen, dass ein Kündigungsschutz-
gesetz in Wahrheit Neueinstellungen verhindert? Was ist
mit dem komplizierten Steuersystem? Können wir zuse-
hen, dass Investitionen deswegen in unsere Nachbarlän-
der abwandern? Was ist mit dem Bildungssystem? Ist es
akzeptabel, dass wir bei PISA immer schlechtere Noten
bekommen? Was ist mit dem Thema „Aufbau Ost“?
Nicht ein Satz vom deutschen Bundeskanzler zum
Thema „Aufbau Ost“!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Schämen Sie sich für eine solche rein westorientierte
Sicht der Dinge, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren!


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aufgeplustert!)


Der Abgeordnete Schröder hat hier nichts anderes als
eine Stillstandserklärung abgegeben. Herr Schröder, Sie
haben gesagt: Ich habe meine Arbeit getan und jetzt re-
den wir in Wahrheit nur noch über den Wahlkampf. So
war es ja. Sie haben sich mit dem auseinander gesetzt,
was die Opposition an Ihnen kritisiert, nicht der Sache,
sondern nur der Form nach; manchmal auch zu Recht.
Aber das ist, wie wir als Opposition finden, zu wenig.

Ihre Politik wird immer schlechter, aber die Ausga-
ben für die Werbung Ihrer Regierung werden immer
höher.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist logisch!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

Das ist ein interessantes Phänomen. Mittlerweile hat die
Bundesregierung eine halbe Milliarde Euro nur für Wer-
bung ausgegeben; das war mal 1 Milliarde DM.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade Sie müssen über Werbung reden!)


Der Finanzminister, der angeblich ein Sparminister sein
will, verdoppelt den Etat für Werbung und Öffentlich-
keitsarbeit seines eigenen Hauses. Das ist die Lage. Wir
halten das für einen völlig falschen Weg. Wir sind der
Überzeugung, dass Sie sich, wenn Sie eine bessere Poli-
tik machen und damit die entsprechenden Wirkungen er-
zielen würden, diese Hunderte von Millionen Euro spa-
ren könnten, die Sie für Werbung zum Fenster
hinauswerfen. In Wahrheit greifen Sie mit Steuergeldern
in Wahlkämpfe ein. Diese Art der Auseinandersetzung
ist aus unserer Sicht falsch. Wer sparen will, darf nicht
seinen eigenen Propagandaetat immer weiter aufblähen.
Er muss dafür sorgen, dass er gute Ergebnisse erzielt, die
für seine Politik sprechen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Ergebnisse von sechs Jahren und zwei Monaten
Rot-Grün sind beträchtlich. Das ist wahr; das müssen
wir feststellen. Sie sagen, Deutschland sei auf einem gu-
ten Weg. Wir können angesichts der Tatsache, dass die
Bundesagentur für Arbeit für diesen Winter 5 Millionen
Arbeitslose voraussagt, nicht erkennen, dass sich
Deutschland auf einem guten Weg befindet.


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Was soll das denn?)


Im September hatte die Arbeitslosigkeit den höchsten
Stand seit der deutschen Einheit erreicht. Wir erleben die
größte Pleitewelle seit Gründung der Bundesrepublik
Deutschland. Mit Ihren gestrigen Beschlüssen ist die
Staatsverschuldung auf den höchsten Stand seit Grün-
dung der Republik gestiegen. Wer in Anbetracht von sol-
chen Zahlen allen Ernstes glaubt, seine Politik sei rich-
tig, der leidet unter Realitätsverlust.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben abgewirtschaftet. Sie verletzen in Wahrheit
auch die wirtschaftliche und politische Autorität
Deutschlands in Europa und in der Welt. Die internatio-
nale Stärke Deutschlands hängt ganz entscheidend da-
von ab, dass wir wirtschaftlich stark sind. Sie haben
überall Rekordergebnisse vorzuweisen – bei Arbeitslo-
sigkeit, bei Schulden, bei Pleiten; die Stimmung ist auf
dem Tiefpunkt. Das ist deswegen so bedenklich, weil
man sich wirklich Sorgen machen muss, wenn eine Bun-
desregierung angesichts dessen meint, es sei schon ge-
nug getan, eigentlich könne man jetzt mit Reformieren
aufhören. Sie haben hier eine Rede des Stillstandes ge-
halten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514101200

Herr Kollege Westerwelle, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Abgeordneten Eichel?

(Lachen des Abg. Dietrich Austermann [CDU/ CSU])


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1514101300

Aber selbstverständlich. Ich freue mich, dass der Ab-

geordnete Eichel eine Zwischenfrage stellt. Das beweist
zumindest, dass der Abgeordnete Eichel anders als an-
dere


(Zuruf von der SPD: Gestatten Sie die Zwischenfrage – ja oder nein?)


noch peripher dieser Diskussion folgt. Das ist ja schon
einmal ein Ergebnis.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bitte, Herr Abgeordneter Eichel. – Herr Abgeordneter
Schröder, der Abgeordnete Eichel spricht. Jetzt können
Sie wieder zuhören.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch von der SPD)



Hans Eichel (SPD):
Rede ID: ID1514101400

Herr Abgeordneter Westerwelle, Sie haben eben be-

hauptet, die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit seien ge-
genüber denen der CDU/CSU-FDP-Regierung um ein
Vielfaches gestiegen. Der Iststand der Ausgaben der Re-
gierung des Jahres 1998 – ich rechne nicht die Ausgaben
des Bundespräsidenten, des Bundestages, des Bundesra-
tes, des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundes-
rechnungshofes ein – betrug 85,726 Milliarden Euro, das
Soll des Jahres 2004 beträgt 86,774 Milliarden Euro.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Millionen!)


– Schön, es sind Millionen. Damit haben Sie Recht. Das
ändert aber gar nichts.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Milliarden, Millionen – alles ganz durcheinander! – Lachen bei der CDU/CSU)


Auch bei Ihnen hatte ich ja versehentlich Milliarden ge-
sagt. Am Verhältnis ändert das ja nichts.

Im Haushalt 2005 sind 90,194 Millionen Euro vorge-
sehen. In meinem Haushalt sinkt der Etat dieses Jahr im
Vergleich zum vorigen Jahr. Das hat damit zu tun – das
wird in diesem und im nächsten Jahr noch eine große
Rolle spielen –,


(Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)

dass wir unsere Maßnahmen zur Bekämpfung von
Schwarzarbeit verdeutlichen müssen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)

Ich frage Sie: Werden diese Zahlen von Ihnen bestritten,
Herr Abgeordneter Westerwelle?

Zweite Frage. Sie haben behauptet, wir seien für die
größte Verschuldung verantwortlich.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja!)

Im Jahre 1996 hat der Bundeshaushalt knapp 40 Milliar-
den Euro neue Schulden gemacht; das waren 2,2 Prozent
des Bruttoinlandsproduktes. Wenn der Bundeshaushalt,






(A) (C)



(B) (D)


Hans Eichel

wie in diesem Jahr mit dem Nachtragshaushalt vorgese-
hen, 43,5 Milliarden Euro Schulden machen sollte, sind
das 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit genü-
gen wir dem Maastricht-Kriterium, das Sie immer so
hochhalten, im Übrigen zu Recht. Frage also: Ist es rich-
tig, dass im Jahre 1996 nach volkswirtschaftlicher Be-
trachtung die Verschuldung des Bundes höher war als im
Jahre 2004?


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1514101500

Herr Abgeordneter Eichel, ich danke Ihnen außeror-

dentlich für diese erhellenden Zahlen, die Sie wiederge-
geben haben, weil sie all das bestätigen, was ich gesagt
habe.


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wahrnehmungsprobleme!)


Ich fange einmal mit dem letzten Punkt an, den Sie
genannt haben, den 43,5 Milliarden Euro Neuverschul-
dung. Entschuldigen Sie bitte, aber als Finanzminister
haben Sie genau diese 43,5 Milliarden Euro erstens nicht
vorhergesehen und zweitens niemals eingeplant. Deswe-
gen hat dieses Haus gestern mit der Mehrheit von SPD
und Grünen jeden Bürger, der uns jetzt zusieht, jedes
Kind, jeden Greis, jeden, der in Deutschland lebt, um
530 Euro mehr verschuldet. Dafür sind Sie persönlich
verantwortlich. Diese Zahlen können Sie erstens nicht
bestreiten


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Antworten Sie doch mal auf die Frage!)


und zweitens sprechen sie gegen Ihre Politik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was ist denn von Ihrer Nachhaltigkeit beim Thema
Staatsfinanzen übrig geblieben? Sie vergewaltigen die
Zukunftschancen der jungen Generation. Das ist unan-
ständig und wir als Opposition kritisieren das.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Was haben Sie denn im Bundesrat gemacht?)


Zu der ersten Frage, die Sie gestellt haben. Das ist
eine ganz bemerkenswerte Sache. Erstens haben die
Zahlen, die Sie genannt haben, bestätigt, was ich gesagt
habe. Zweitens wollen wir einmal über das reden, was
Sie in diese Zahlen in Wahrheit gar nicht mehr hinein-
rechnen. Das Spannende ist ja – das können unsere Bür-
gerinnen und Bürger nicht so genau nachvollziehen, weil
das von Ihnen immer sehr schön verschleiert wird – –


(Abg. Hans Eichel [SPD] nimmt wieder Platz)

– Ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig. Ich darf
Sie bitten, stehen zu bleiben.


(Joachim Poß [SPD]: Sie antworten doch gar nicht auf die Frage! – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Frage beantworten!)


Herr Präsident, es war eine lange Frage; es waren
zwei Fragen. Ich möchte darauf anständig antworten.


(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Hans Eichel [SPD] erhebt sich wieder)

– Jetzt geht es wieder.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ein unangemessener Umgang! Das ist nicht in Ordnung!)


Herr Kollege Eichel, ich will Ihnen auch auf Ihre erste
Frage antworten. Sie haben eine Frage zum Thema
Öffentlichkeitsarbeit gestellt und die entsprechenden
Zahlen vorgetragen.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Er hat von Verdopplung gesprochen!)


Deswegen wollen wir einmal über das reden, was Sie in
Wahrheit überhaupt nicht mehr einbeziehen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch nicht die Antwort! – Joachim Poß [SPD]: Dann braucht er doch nicht stehen zu bleiben!)


Sie verstecken in Wahrheit wesentliche Ausgaben für
Öffentlichkeitsarbeit, die Sie in die Zahlen nicht hinein-
rechnen, die wir als Opposition aber selbstverständlich
hineinrechnen.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Wo ist die Verdopplung?)


Wir sehen das am Beispiel unserer Kollegin Künast, der
Bundesministerin. Sie gibt 1,5 Millionen Euro für „nach-
haltiges Waschen“ aus. 20 Millionen Euro werden in an-
deren Titeln in diesem Haushalt versteckt. Es hat über-
haupt nichts mit ökologischem Landbau zu tun, wenn
Broschüren gedruckt werden. Das ist Öffentlichkeitsar-
beit und von uns selbstverständlich in diese Position hin-
eingerechnet worden, meine sehr geehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Eichel, für Ihre Fragen an

dieser Stelle. Es ist PR, aber nicht substanzielle Politik,
was Sie hier machen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514101600

Herr Kollege Westerwelle, der Kollege Eichel möchte

noch einmal fragen und Ihnen die Chance geben, noch
einmal zu antworten.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1514101700

Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür. Wenn

Ihre dritte Frage so ist wie die beiden ersten, herzlich
gerne!


(Heiterkeit bei der FDP)



Hans Eichel (SPD):
Rede ID: ID1514101800

Herr Kollege Westerwelle, ich hatte eine ganz einfa-

che Frage gestellt: Sind 2,2 Prozent Verschuldung, ge-
messen am Bruttoinlandsprodukt, mehr als 2,0 Prozent?
Ich habe auf die Frage keine Antwort bekommen. Viel-
leicht bekomme ich jetzt eine.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1514101900

Ich würde darauf philosophisch antworten: Drei ist

mehr als zwei.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Keine Antwort ist auch eine Antwort!)

Das sind doch, mit Verlaub gesagt, Albernheiten. Es hat
niemals einen Finanzminister gegeben, der in einem Jahr
so viel neue Schulden machen musste wie Sie. Dass Sie
hier vor lauter Verzweiflung auch noch versuchen, Ihre
Bilanzen schönzurechnen, ist in meinen Augen und ver-
mutlich auch in den Augen der Öffentlichkeit eine Gro-
teske, eine Peinlichkeit. Sie sind kein Sparminister. Sie
sind der größte Schuldenmacher, den Deutschland je-
mals gesehen hat. Das ist Ihre Rolle in diesem Hause.


(Anhaltender Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Setzen! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Wie ein begossener Pudel!)


Ich möchte an dieser Stelle ganz konkret sagen, was
aus unserer Sicht noch zu tun ist


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glaube ich nicht, dass Sie jetzt konkret werden!)


und was vor allen Dingen in den nächsten beiden Jahren
getan werden sollte.

Erstens. Die Bundesregierung sagt, sie habe keinen
weiteren Spielraum für eine Steuerreform. Das halten
wir für falsch. Wir sagen: Steuersenkungs- und Steuer-
vereinfachungspolitik sind das beste Beschäftigungspro-
gramm. Es kann nur Steuern zahlen, wer Arbeit hat.
Deswegen müssen wir mithilfe eines einfacheren, niedri-
geren und gerechteren Steuersystems, das internationa-
len Vergleichen standhält, Investitionen nach Deutsch-
land holen und Arbeitsplätze schaffen. Nur so können
die Staatsfinanzen wieder gesunden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu liegt diesem Hause ein Gesetzentwurf der Fraktion
der Freien Demokratischen Partei vor.

Wir haben auch ganz konkret gesagt, wo gespart wer-
den sollte. Sie können nicht behaupten, dass die Opposi-
tion in der Deckung bliebe und keine Vorschläge machen
würde. In dem Buch, das ich mitgebracht habe, sind auf
über 400 Seiten mehr als 400 Anträge der Fraktion der
Freien Demokratischen Partei in diesem Hause abge-
druckt. Sie sind der Beweis, dass wir konkrete Einspar-
vorschläge, die ein Volumen von 12,5 Milliarden Euro
haben, gemacht haben. Wenn Sie von den Regierungs-
fraktionen allerdings jeden dieser Anträge, die großen
wie die kleinen, aus reiner Parteipolitik ablehnen, dann
dienen Sie nicht, sondern dann schaden Sie Deutschland.

Wer Sparanträge der Opposition in so großer Anzahl
ablehnt, der kann nicht verlangen, dass die Opposition
mit weiteren Sparanträgen in diesem Hause aufwartet.
Wir haben gesagt, wo gespart werden soll. Wir kommen
aus der Deckung heraus. Das ist übrigens der Unter-
schied zu Ihrer Oppositionszeit.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Wir erinnern uns noch sehr genau daran, wie Schröder,
Lafontaine und Eichel als Ministerpräsidenten alles ver-
hindert haben, was Deutschland hätte nützen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Wir sind der Überzeugung, dass die Lohn-
zusatzkosten von über 40 Prozent im internationalen
Wettbewerb wie eine gigantische Sondersteuer auf Ar-
beitsplätze wirken. Deswegen haben wir nicht unver-
bindliche, sondern konkrete Vorschläge gemacht, wie
das Gesundheitssystem reformiert werden kann. Wir
sind der Überzeugung, dass die Gesundheitskosten von
den Arbeitskosten abgekoppelt werden müssen, damit
dieser Wachstumsmarkt nicht Arbeitslosigkeit aufgrund
höherer Lohnzusatzkosten produziert, sondern neue Ar-
beitsplätze schafft. Von uns wurde in diesem Hause ein
präzises Konzept vorgelegt.

Drittens. Die Probleme bei der Pflegeversicherung
sind bekannt, aber sie werden verschwiegen. Wir wissen,
dass im Jahre 2006, also ungefähr zehn Jahre nach Ein-
führung der Pflegeversicherung, die vorgeschriebenen
gesetzlichen Reserven unterschritten werden. Deshalb
werben wir dafür, dass die Finanzierung der Pflegever-
sicherung – das geht bei ihr leichter als bei der Renten-
und Krankenversicherung, weil sie erst zehn Jahre exis-
tiert – auf ein Kapitaldeckungsverfahren umgestellt
wird. Von uns wurde in diesem Hause ein entsprechen-
der Vorschlag eingebracht. Wir alle wissen, dass es so
kommen wird.


(Beifall bei der FDP)

Viertens. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist not-

wendig. Dazu haben wir für diesen Haushalt konkrete
Änderungsanträge eingebracht. Wir haben darüber hi-
naus in diesem Hause Anträge eingebracht, die aufzei-
gen, wie man Subventionen abbauen kann. Herr Bundes-
kanzler, wenn Sie beispielsweise über die Abschaffung
der Eigenheimzulage sprechen, dann wollen Sie in
Wahrheit nicht Subventionen kürzen, sondern Steuern
erhöhen. Denn wer steuerliche Vergünstigungen streicht,
ohne gleichzeitig auf eine Entlastung der Bürgerinnen
und Bürger durch niedrigere Steuersätze hinzuwirken,
der erhöht die Steuern, senkt sie aber nicht. Aber höhere
Steuern sind Gift für die Volkswirtschaft. Wir machen
das nicht mit. Auch wenn Sie das dann als Subventions-
kürzung verkleistern, bleibt es eine Steuererhöhungs-
politik, der wir uns entgegenstellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fünftens. Reformen auf dem Arbeitsmarkt anzuge-
hen ist mehr als notwendig. Dazu zählt auch eine Aus-
einandersetzung mit dem Tarifrecht und der betrieb-
lichen Mitbestimmung. Dazu kam von Ihnen kein Ton,
obwohl die Sachverständigen, die Sie selber zitieren, Ih-
nen ausdrücklich Änderungen in diesem Bereich mit auf
den Weg geben.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

Wir sind der Überzeugung: Wir brauchen mehr Be-

triebsnähe bei den Vereinbarungen und weniger Funktio-
närsherrschaft. Auch dazu haben wir Anträge im Deut-
schen Bundestag eingebracht. Wenn sich 75 Prozent
einer Belegschaft in geheimer Abstimmung mit der Un-
ternehmensführung auf etwas verständigen wollen, dann
soll das gelten dürfen, ohne dass ein Gewerkschaftsfunk-
tionär ein Veto einlegen kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sechstens, Bildung und Ausbildung. Wir haben
nicht nur vorgemacht, wie man den Bereichen Bildung
und Ausbildung mehr Geld zur Verfügung stellen kann.
Wir haben auch neue Strukturen empfohlen: von der Ab-
schaffung der Kultusministerkonferenz bis hin zu Ange-
legenheiten, welche die Bundesregierung selber etwas
angehen. Dass Sie der Überzeugung sind, man müsse al-
len Ländern und allen Hochschulen die Einführung von
Studiengebühren zur Finanzierung besserer Studienbe-
dingungen verbieten, zeigt doch, dass Sie sich in Wahr-
heit noch nicht einmal ansatzweise den Strukturverände-
rungen genähert haben. Anfang dieses Jahres haben Sie
gesagt, das Jahr 2004 müsse das Jahr der Eliteuniversitä-
ten werden, gleichzeitig wehren Sie sich aber dagegen,
dass Universitäten, die es wollen, Studiengebühren ein-
führen können, um vor Ort für bessere Studienbedingun-
gen zu sorgen. Das ist von gestern; das ist Ihre Politik,
Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Siebtens, Forschung und Wissenschaft. Darüber re-
den Sie gar nicht mehr. Sie reden nicht einmal mehr da-
rüber, wo noch Arbeitsplätze entstehen könnten. Wir
halten es für einen großen Fehler, dass die Mehrheit die-
ses Hauses und die Bundesregierung die Bio- und Gen-
technologie außer Landes schicken. Wir sind der Über-
zeugung: Schlüsseltechnologien mit neuen und guten
deutschen Patenten sollten auch bei uns im Inland eine
Chance haben, und zwar aus ethischen und moralischen
Gründen, um Krankheiten zu bekämpfen, aber auch aus
ökonomischen Gründen, damit hier die Arbeitsplätze der
Zukunft entstehen und nicht im Ausland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Achtens. Das Thema Bürokratie wird von Ihnen
nicht einmal mehr angesprochen. Wir haben vorgelegt,
wie man, gerade damit neue Arbeitsplätze im Mittel-
stand entstehen können, Bürokratie abbaut. Nichts davon
kommt mehr in Ihren Reden vor, weil Sie es aufgegeben
haben.

Das entscheidende Problem ist: Sie verwalten sich
selber. Sie sind der Überzeugung, Sie könnten nur mit
ein bisschen PR und Show den Wahlkampf einläuten.
Substanzielle Politik haben Sie heute nicht geboten. Das
war eine Rede des Stillstandes und das ist das Letzte,
was dieses Land in Anbetracht einer Massenarbeitslosig-
keit braucht. Wir wollen einen Politikwechsel; der ist für
Deutschland fällig. Weil er mit Ihnen nicht hinzubekom-
men ist, muss Rot-Grün weg.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514102000

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen erhält

nun die Kollegin Krista Sager das Wort.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514102100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Westerwelle, ich finde es schon merkwürdig, dass
Sie nach Ihrem Schuhsohlenwahlkampf und Ihren
Guidomobilauftritten hier vor allem über Mätzchen re-
den müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/ CSU]: Schlechter Einstieg! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Ich glaube, dazu sind Sie hier der falsche Kandidat.

(Joachim Poß [SPD]: Der hat es gerade nötig, der Lackaffe!)

Warum Sie sich an unserer Regierung stören, ist mir

klar. Im Gegensatz zur CDU/CSU weiß man bei Ihnen
wenigstens, was Sie vorhaben: Sie wollen den Kündi-
gungsschutz und die Tarifautonomie schleifen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dafür müssten eigentlich auch die Grünen sein!)


Sie wollen die Mitbestimmung abschaffen. Sie wollen
flächendeckend Subotnik, kostenlose Mehrarbeit der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einführen. Dann
wollen Sie noch die solidarische Absicherung der
Lebensrisiken abschaffen und stattdessen die Lebensrisi-
ken privatisieren. Da sage ich Ihnen ganz klar: Das wol-
len wir nicht. Und weil das auch nicht im Interesse der
Bürgerinnen und Bürger ist, wird Rot-Grün weiter regie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch das, was Sie über Ihre Steuerpolitik gesagt ha-
ben,


(Joachim Poß [SPD]: Der weiß nicht, worüber er redet!)


liegt letztendlich auf der gleichen Linie. Wir haben in
Deutschland mit 20,3 Prozent eine radikal niedrige Steu-
erquote; das ist europaweit wirklich am unteren Ende.
Auch das ist ein Verdienst dieser Regierung, die dafür
gesorgt hat, dass gerade für die Bezieher niedriger Ein-
kommen die Steuersätze gesenkt worden sind und der
Grundfreibetrag erhöht worden ist. Wenn Sie jetzt ver-
langen: „Noch weiter herunter mit den Steuern“, dann
lässt sich das nicht damit vereinbaren, hier eine vernünf-
tige, seriöse Haushaltspolitik einzufordern. Beides zu-
sammen geht nicht.

Was ferner nicht zusammen passt, ist, auf der einen
Seite die Ruinierung der Staatsfinanzen durch eine unse-
riöse Steuerpolitik immer weiter voranzutreiben und auf
der anderen Seite zu fordern, dass in diesem Land mehr
für die Bildung getan werden soll. Auch das geht nicht
zusammen.






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was ist denn unser Problem bei der Bildung? Die Ergeb-
nisse der PISA-Studie haben das bestätigt und die neue
PISA-Studie wird das erneut bestätigen: Wir haben ein
Schulsystem, das Menschen aus sozial schwächeren Fa-
milien im Vergleich zu anderen Industrienationen die
schlechtesten Bildungschancen gibt. Das ist ein unge-
heurer Skandal und das kann so nicht bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Ursache liegt darin, dass wir an einem Schulsystem
festhalten, mit dem wir inzwischen weltweit isoliert
sind. Deswegen kann unser Schulsystem auch kaum
noch mit einem anderen Schulsystem auf der Welt ver-
glichen werden. Unser System einer dreigliedrigen Se-
lektion, bei dem ein Lehrer darüber entscheidet, ob der
Daumen für ein zehn Jahre altes Kind gesenkt oder ge-
hoben wird, ist gescheitert. Dieses Schulsystem hat ver-
sagt, es taugt nicht für eine Gesellschaft, die vor großen
Integrationsherausforderungen, aber auch vor einem
großen demographischen Wandel steht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Westerwelle, die einzige Antwort, die Sie auf
diese Frage gegeben haben, bestand in einem Vorschlag
zur weiteren Privatisierung der Bildungskosten. Das
kann im Ernst nicht die Antwort auf die Herausforderun-
gen sein, vor denen wir im Bildungssystem stehen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie wissen doch wie wir, dass das so kommen wird! Sie können doch den Universitäten nicht verbieten, Gebühren zu erheben! Das kommt doch so!)


Herr Glos, jetzt ein Wort zu Ihnen. Ihre Rede war ja
nun wirklich ein Beispiel dafür, dass der Werte- und
Leistungsverfall inzwischen im konservativen Lager an-
gekommen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Oberlehrerin!)


Das war wirklich ein Griff in die Mottenkiste der Res-
sentiments, der Zerrbilder, der Peinlichkeiten, der per-
sönlichen Beleidigungen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie bleiben eine Lehrerin!)


Ich frage mich manchmal, wenn Sie hier Ihre Kalauer
über strickende Grüne und leistungsunwillige 68er brin-
gen,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Was ist denn daran Kalauer?)


ob Sie gar nicht mehr hören, wie die Bartwickelma-
schine vor Überforderung schon zu knirschen beginnt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Entschuldigung, ich habe alle erlebt! Ich habe den Herrn Fischer erlebt! Ich habe sie alle erlebt, als Sie noch gar nicht wussten, was der Deutsche Bundestag ist!)


Aber an der Stelle, wo es eigentlich darum hätte ge-
hen sollen, eigene Alternativen vorzustellen, haben Sie
sich ins Wolkige verloren oder geflüchtet. Ich habe er-
wartet, dass Sie den Versuch machen, uns Ihr Gesund-
heitsmodell zu erklären.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Aber das können Sie wahrscheinlich gar nicht erklären.
Davon habe ich in Ihrer Rede nichts gehört.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist zu kompliziert für Herrn Glos! – Joachim Poß [SPD]: Das macht gleich Frau Merkel!)


Stattdessen hören wir etwas über die Werte unserer Ge-
sellschaft. Hoch interessant wurde es allerdings, als Sie,
Herr Glos, sich auf Ihrer Kalauerstrecke zu dem Thema
erneuerbare Energien vorgearbeitet hatten: Da wurde
Ihr Kollege Ramsauer blass und blässer.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Da haben Sie sich getäuscht! Sie sind doch farbenblind!)


Er hat natürlich Angst gehabt, dass Sie ihm sozusagen
die Wassermühle abstellen wollen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Grüne sind farbenblind!)


Herr Glos, ich kann Ihnen eines verraten – das gilt be-
sonders für den Fall, dass Sie demnächst einmal wieder
Wahlkampf in Bayern machen müssen –: Zahlreiche
Bauern, von Schleswig-Holstein bis Bayern, setzen in-
zwischen auf erneuerbare Energien, und zwar zu Recht,
weil sie Entwicklungschancen für die ländlichen Räume,
gerade auch in Ostdeutschland, bieten. Das haben Sie
verschlafen, das muss man leider sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Schlafen Sie weiter!)


Falls Sie ein bisschen Nachhilfeunterricht brauchen:

(Michael Glos [CDU/CSU]: Bitte nicht!)


Ihr Ministerpräsident, Herr Stoiber, hatte neulich Besuch
von einer chinesischen Delegation. Was hat Herr Stoiber
dem chinesischen Ministerpräsidenten mit seiner Dele-
gation vorgeführt? Bayerische Biogasanlagen, die von
der Bundesregierung großzügig gefördert wurden. Herr
Glos, peinlich für Sie, dass Herr Stoiber diese für Fort-
schritt hält, während es für Sie offenbar eine Wollso-
ckennummer ist!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es wäre interessant, einmal die Alternativen der Op-
position zu hören. Davon haben wir nämlich bisher noch
nichts gehört. Es wäre aber gerade deshalb interessant,
weil bei Ihnen in dieser Woche vieles in Bewegung gera-
ten ist. Die Lage bei den Fraktionsvorsitzenden ist bei






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

Ihnen inzwischen unübersichtlicher als bei uns. Sie
zeichnet sich bei uns durch hohe Kontinuität aus, wäh-
rend bei Ihnen ein Stafettenlauf stattfindet.

Diese Woche ist die Woche der Abschiedsreden in der
Union. Ich sehe schon, dass Herr Schäuble und Herr
Merz auf der Dissidentenbank ein bisschen zusammen-
rücken müssen, damit auch Herr Seehofer dort noch
Platz findet. Ich muss leider zugeben, dass ich im letzten
Jahr einen Fehler gemacht habe, den ich jetzt korrigieren
muss. Ich hatte Herrn Seehofer ein freundliches Angebot
gemacht, weil wir Grüne viele Erfahrungen mit querköp-
figen Herren haben, und zwar nicht nur mit den älteren,
sondern auch mit denen im besten Alter. Mein Angebot
war ein echter Fehler, weil Herr Seehofer seinen wirk-
lich hohen Unterhaltungswert in der Union im letzten
Jahr besser zur Geltung bringen konnte, als das bei uns
möglich gewesen wäre. Ich denke, das wird auch so blei-
ben; denn er hat versprochen, kein Blatt vor den Mund
zu nehmen. Wir sind voller Hoffnung, wir betrachten das
nicht als Drohung, sondern als Versprechen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Joachim Poß [SPD])


Ihrer Fraktionsvorsitzenden möchte ich sagen: Die
Lebenserfahrung zeigt, dass es nicht immer ein Unglück
ist, wenn einem ein Mann davonläuft.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Reichlich Erfahrung?)


Wenn es allerdings in sehr kurzer Zeit zwei Männer sind,
sollte einem das vielleicht ein bisschen zu denken geben.
Da ich nicht nur eine lebenserfahrene Frau bin, sondern
auch Mitglied eines berühmten Fußballvereins, kann ich
noch einen weiteren Rat geben: Wenn die Leistungsträ-
ger einer Mannschaft anfangen, gegen den Trainer zu
spielen, und nur noch Dienst nach Vorschrift machen,
dann muss am Ende meist der Trainer gehen, Frau
Merkel. Das sollten Sie sich vielleicht merken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Trainerwechsel!)


Herr Merz und Herr Seehofer wollten meist in völlig
unterschiedliche Richtungen, das war erkennbar. Man
hatte den Eindruck, sie würden sich am liebsten gegen-
seitig ins Steuerrad greifen. Eines konnte man ihnen aber
nicht absprechen: Sie wussten jeder für sich wenigstens,
wohin sie wollten. Nachdem sie sich nun zurückgezogen
haben, fragt man sich natürlich, wohin geht es eigentlich
mit der Unionsfregatte. Sie dümpelt erkennbar im trüben
Fahrwasser der Orientierungslosigkeit und des konzepti-
onellen Niemandslandes.

Ihre Gesundheitsreform steht geradezu für das, was
Sie als Union im Moment programmatisch verkörpern.
Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es auf den Begriff „we-
der Fisch noch Fleisch“ gebracht. Eine Zeit lang hatte
ich die Befürchtung, Sie würden uns am Ende Ihrer
Suche zwischen Fisch und Fleisch einen Hering mit Ka-
ninchenohren servieren.


(Zurufe von der CDU/CSU: Ha! Ha! Ha!)

Das Resultat des Zusammenwirkens von Frau Merkel
und Herrn Stoiber habe ich in der Tat noch unterschätzt.
Es ist schon ein ausgewachsener bayerischer Wolpertin-
ger, den Sie uns präsentiert haben,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wie heißt der?)


in dem sich bekanntlich acht verschiedene Tierarten ver-
einen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wie heißt der? Das können Sie nicht aussprechen!)


– Ich sprach von dem berühmten bayerischen Wolpi.
Den kennen vielleicht auch Sie. In ihm stecken acht ver-
schiedene Tierarten.

So verhält es sich auch mit Ihrem Gesundheitsmodell.
Auf der einen Seite sagen Sie Ja zu Steuererhöhungen,
zur Pauschale und zu prozentualen Arbeitgeberbeiträ-
gen. Auf der anderen Seite machen Sie die sozial Schwä-
cheren zu Bittstellern. Dieses Modell ist unterfinanziert
und nicht seriös gegengerechnet. Den Solidarausgleich
für Kinder sollen auch die Privatversicherten bekom-
men. Es ist vollkommen richtig, wenn Herr Seehofer
sagt, dass dieses Modell eine Totgeburt ist und dass da-
raus niemals etwas werden wird.

Eines ist auch klar: Dass die Bürgerversicherung
das Modell von Rot-Grün ist,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, ja! Wegen des Wettbewerbs!)


liegt nicht nur daran, dass sie einen besseren Namen hat,
sondern auch daran, dass sie vom Prinzip her einfach
und gerecht ist.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist einfach ein Monopol! Gerecht ist sie nicht!)


Wir können den Bürgerinnen und Bürgern versichern:
Wir werden die sozialen Sicherungssysteme im Bereich
der Krankenversicherung, die für 90 Prozent der Bevöl-
kerung Sicherheit gewährleisten,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Eine Zwangsveranstaltung!)


nicht zerschlagen, sondern sie auf eine breitere und ge-
rechtere Grundlage stellen,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Eine reine Zwangsveranstaltung!)


und zwar dadurch, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger
einbeziehen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Darauf freuen sich die Menschen schon jetzt!)


Sie wollen das auf keinen Fall tun, obwohl das sogar
vom Sachverständigenrat empfohlen wurde. Wir werden
allerdings keine Pauschale einführen; denn wir wollen
nicht, dass Millionen Menschen in unserem Land zu






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

Bittstellern werden. Wir werden die Einkunftsarten ge-
rechter einbeziehen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und nicht nur die Arbeitnehmereinkommen belasten.
Dieses System ist einfach, klar und gerecht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie müssen nur aufpassen, dass die SPD am Ende bei der Stange bleibt! Ich habe nämlich den Eindruck, die SPD will das gar nicht!)


Das ist das Gegenteil von dem, was Sie auf den Weg ge-
bracht haben. Aus dem, was Sie wollen, wird nichts. Das
ist ein hoffnungsloses Kuddelmuddel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, die
derzeitige wirtschaftliche Situation schlecht zu reden.
Im Moment stehen wir allerdings noch am Anfang der
konjunkturellen Erholung.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ja ein völliges Durcheinander!)


Der Sachverständigenrat hat gesagt, dass wir mit unse-
ren Arbeitsmarkt- und Sozialreformen auf dem richtigen
Weg sind. Wir wissen, dass sich die Wirkungen dieser
Reformen erst mittel- und langfristig zeigen werden.
Ebenso wissen wir, dass die Reaktion vieler Menschen
auf diese Reformen Verunsicherung war. Auch das ist
ein Grund für die schwache Binnennachfrage. Daher
darf man die Menschen jetzt nicht weiter verunsichern.

Ich fand es schäbig, wie Sie von der Opposition die
Diskussion über den 3. Oktober ausgenutzt haben: In
dieser Debatte haben Sie so getan, als gehe es mit
Deutschland so sehr bergab, dass nur noch flächende-
ckendes Subotnik helfen könne. Dabei übertreffen Sie
sich ununterbrochen selbst: Herr Stoiber will flächende-
ckend die 40-Stunden-Woche, Herr Merz die 42-Stun-
den-Woche einführen. Letztes Jahr ist von Ihrem desi-
gnierten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sogar
die 48-Stunden-Woche ins Gespräch gebracht worden.
Das kann nicht der Weg sein, den wir gehen müssen, da-
mit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt bzw. wird. Wir
müssen auf Qualität, Produktivität, Innovation und Bil-
dung setzen. Für die Bildung müssen wir den Weg frei-
machen.

Nun komme ich zum Haushalt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Endlich!)


Natürlich ist die Haushaltslage schwierig. Aber der
Sachverständigenrat hat der Bundesregierung bestätigt,
dass wir eine restriktive Haushaltspolitik betreiben.
Gestern ist Ihnen deutlich gemacht worden, dass es sich
bei Ihren Einsparvorschlägen im Wesentlichen um Luft-
nummern und falsche Veranschlagungen handelt, die
nicht seriös sind. An den Stellen, an denen Ihre Vor-
schläge überhaupt belastbar sind, führen sie zu weiteren
Einschränkungen: im Verteidigungsbereich in einer Grö-
ßenordnung von 700 Millionen Euro und bei der inneren
Sicherheit in Höhe von 260 Millionen Euro. Sie trauen
sich nicht einmal, öffentlich laut zu sagen, welche Kon-
sequenzen die Umsetzung Ihrer Sparvorschläge hätte.

Jetzt müssen wir unsere restriktive Haushaltspolitik
mit der konjunkturellen Entwicklung abstimmen, um zu
einer weiteren Belebung der Wirtschaft beizutragen.
Ebenso müssen wir beim Subventionsabbau vorankom-
men. Hier haben wir durch Ihre Blockade im Bundesrat
eine Lücke in der Größenordnung von über 17 Milliar-
den Euro; das wären über 9 Milliarden Euro für die Län-
der und über 4 Milliarden Euro für die Kommunen. Dass
Sie hier im Bundesrat über Ihre Unionsländer blockie-
ren, ist nicht verantwortlich gegenüber den Bürgerinnen
und Bürgern. Sie fahren in Ihren Bundesländern harte
Sparprogramme, gerade auch in der Bildungspolitik und
in der Hochschulpolitik. Etliche Ihrer Bundesländer sind
nicht mehr in der Lage, einen verfassungskonformen
Haushalt aufzustellen – allen voran Hessen, aber auch
das Saarland und Niedersachsen haben ihre Probleme.

Gleichzeitig blockieren Sie, dass wir endlich an die
Eigenheimzulage herangehen. Ich weiß, Sie können
dieses Wort nicht mehr hören,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jäger 90!)

aber wir werden es Ihnen immer wieder vorhalten, und
zwar so lange, bis Sie mit uns allein schon deshalb an die
Eigenheimzulage herangehen, weil Sie das Wort nicht
mehr hören können. Wir müssen in diesem Land wirk-
lich Prioritäten setzen: für die Kinderbetreuung, für die
Bildung, für die Forschung, für die Entwicklung. Das
können wir nicht schaffen, wenn wir uns weiter an
Dinge klammern, die einfach nicht mehr in die Zeit pas-
sen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir reden dann auch über die Steinkohle, Frau Kollegin!)


– Ja, Herr Gerhardt, wir fahren die Steinkohleförderung
herunter: von einem Fördervolumen von 28 Millionen Ton-
nen auf 16 Millionen Tonnen; wir Grünen wären da si-
cher noch ein bisschen ehrgeiziger. Aber eines sollten
Sie den Leuten ganz offen sagen: Die Vorschläge, die Sie
in den Haushaltsrunden gemacht haben, würden unmit-
telbar, jetzt und heute, zu Massenentlassungen im Ruhr-
gebiet führen. Das verschweigen Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten
Tagen eine aus meiner Sicht von falschen Tönen ge-
prägte Debatte über Fragen der Integration und über Fra-
gen der Haltung gegenüber unseren islamischen Mitbür-
gern gehabt. Meine Fraktion – ich sage das gerne noch
einmal ganz deutlich, falls es irgendwelche Zweifel
gibt – hat ganz klar gemacht, dass wir den Vorschlag, in
Deutschland einen muslimischen Feiertag einzufüh-
ren, für falsch halten.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Bravo!)







(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

Damit ist der falsche Eindruck erweckt worden, hier
solle eine Mehrheit dazu gebracht werden, sich einer
Minderheit anzupassen. Darum kann es nicht gehen.

Ich will aber auch etwas anderes ganz deutlich sagen:
Ich glaube, dass es richtig ist und dem Zusammenleben
in diesem Land dient, wenn sich Kinder in der Schule
zum Beispiel damit auseinander setzen, wie in der einen
Familie Weihnachten und in der anderen Familie das
Bairamfest gefeiert wird. Denn die Hintergründe vieler
Traditionen, die wir selber pflegen, sind vielen Kindern
sicher nicht bekannt. Ich bin auch dafür, dass Unterneh-
mer und Arbeitgeber großzügig sind, wenn es darum
geht, zu solchen Festen Urlaubstage zu genehmigen.

Ich will den Blick auf die Art und Weise, wie auf
diese Debatte und die furchtbaren Ereignisse in den Nie-
derlanden reagiert worden ist, lenken: Das waren ent-
schieden zu schrille Töne, das war falsch und teilweise
gefährlich. Da müssen wir, verdammt noch mal, aufpas-
sen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In den Niederlanden gab es einen furchtbaren, grau-
samen Mord an einem Journalisten. Es gab aber auch
Übergriffe auf Moscheen und Gewalttaten an islami-
schen Bürgern. Beide Seiten gehören zum ganzen Bild.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Wir tragen eine
riesengroße gemeinsame Verantwortung. Wenn ich von
„gemeinsamer Verantwortung“ spreche, dann meine ich
damit die Muslime, dann meine ich die Christen, dann
meine ich die Nichtchristen, dann meine ich die
Deutschstämmigen, dann meine ich die Migranten. Des-
halb sollten wir miteinander und übereinander so spre-
chen, dass nicht die gewaltbereiten Ränder – bei den
Deutschen: Rassisten und Faschisten; auf der anderen
Seite: religiöse Fundamentalisten – am Ende das Gefühl
haben, sie würden von gewichtigen Teilen dieser Gesell-
schaft in irgendeiner Weise mit Sympathie betrachtet
oder auch nur geduldet. Das heißt nicht, Probleme aus-
zugrenzen; das heißt nicht, Auseinandersetzungen nicht
zu führen. So etwas darf wirklich nicht passieren. In den
letzten Tagen ist das zum Teil sträflich missachtet wor-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir dürfen uns nicht in eine Weltreligionskriegshys-
terie hineintreiben lassen. Seit dem 11. September gibt
es zweifelsohne eine veränderte Sicherheitslage in der
Welt. Freie und offene Gesellschaften müssen sich dem
stellen und beweisen, dass sie in der Lage sind, sich die-
ser neuen asymmetrischen Gefahren zu erwehren – auch
mit Mitteln der Polizei, des Verfassungsschutzes, der
Gerichte, der Ermittlungsinstanzen und mit repressiven
Maßnahmen.

Die Gefährdung der freien und offenen Gesellschaf-
ten hat aber auch eine andere Seite. Der Angriff des in-
ternationalen Terrorismus auf die offenen und freien Ge-
sellschaften ist eben auch ein Angriff auf unsere
Freiheitsrechte und auf unsere pluralistischen Gesell-
schaften. Wenn wir damit anfangen, das Zusammenle-
ben mit Menschen unterschiedlicher Religion, Herkunft
und Kultur in unseren pluralistischen Gesellschaften
infrage zu stellen oder infrage stellen zu lassen, dann hat
der internationale Terrorismus schon seinen ersten Tri-
umph. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Das darf
nicht passieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt niemanden, der behauptet, dass das Zusammen-
leben von Menschen mit verschiedener Religion, Kultur
und Herkunft ohne Konflikte und Probleme verläuft. Es
ist anstrengend, Fremdheit und Anderssein zu ertragen
und sich damit auseinander zu setzen.

Frau Merkel, ich hätte Verständnis dafür gehabt,
wenn Sie gesagt hätten: Lassen Sie uns offen über die
Probleme reden.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie hat doch noch gar nicht geredet!)


Sie haben aber etwas anderes gesagt. Sie haben gesagt:
Diese Form des Zusammenlebens, die multikulturelle
Gesellschaft, ist gescheitert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer behauptet, dass diese Art des Pluralismus in unserer
Gesellschaft gescheitert ist, der liefert den Gewalttätern
eine Steilvorlage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Unsinn! Unsägerlich! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!)


– Herr Kauder, Sie können hier gerne kauderwelschen,
sogar auf Kosten meines Namens,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)

aber auch Sie müssen erkennen: Die Auseinanderset-
zung mit dem internationalen Terrorismus und mit den
Gewalttätern erfordert es, dass wir uns gerade machen
und für unsere pluralistische Gesellschaft sowie die da-
mit verbundenen Freiheitsrechte – dazu gehört auch die
Religionsfreiheit – einsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Deshalb kann es nicht sein, dass man einen Generalver-
dacht gegen diese Menschen aufkommen lässt, nur weil
sie den muslimischen Glauben haben. Das ist in diesen
Tagen nicht beachtet worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind gescheitert!)


– Wenn Sie sagen, die multikulturelle Gesellschaft ist
gescheitert,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind gescheitert!)


dann kapitulieren Sie vor der Gestaltungsaufgabe.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

Integration muss gestaltet werden. Sie kapitulieren vor
dieser Aufgabe und deswegen ist es gut, dass Sie in der
Opposition sitzen.

Lange genug haben Sie vor dieser Gestaltungsauf-
gabe den Kopf in den Sand gesteckt. Lange genug haben
wir uns in diesem Land von den konservativen Kräften
immer wieder die Lebenslüge vorhalten lassen müssen,
dass wir kein Zuwanderungsland sind. An dieser Le-
benslüge wollen Sie jetzt offensichtlich wieder anknüp-
fen. Ich sage Ihnen: Das ist hochgefährlich. Sie können
diese Gesellschaft mit den Menschen, die eine unter-
schiedliche Herkunft sowie unterschiedliche Religionen
und Kulturen haben, nicht ab- und anstellen, wie es Ih-
nen gerade passt. Wir müssen diese Gesellschaft gestal-
ten. Sie können hier im Lande die Diskussion nicht so
führen, als könnte man von dem Mitbürgerstatus wieder
zu einem Gaststatus zurückkehren. Die Stichworte, die
Sie hier gegeben haben, sind wirklich verheerend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass viele Probleme gegenwärtig ein solches Ausmaß
angenommen haben, lag doch nur daran, dass wir den
Kopf in den Sand gesteckt haben und dass wir die Ge-
staltung der Einwanderungsgesellschaft nicht aktiv an-
gegangen sind. Eingewandert sind vor allem jene Tür-
ken, die der ländlichen Unterschicht angehörten. Das ist
keine politische Entscheidung von Rot-Grün gewesen.
Das ist die Entscheidung von deutschen Unternehmen
gewesen, die billige Arbeitskräfte für billige Jobs haben
wollten und diese Menschen nur als Arbeitskräfte gese-
hen haben, die dann natürlich in die billigen Stadtteile
gezogen sind, wo die Deutschen zum Teil gar nicht mehr
leben wollten. Vor diesen Problemen stehen wir jetzt.

Das Problem ist nun, dass diese Jobs, die die erste Ge-
neration der Einwanderer noch gemacht hat, durch die
Produktivitätssteigerung in diesem Land zum großen
Teil verschwunden sind. Die Menschen der zweiten,
dritten und vierten Generation brauchen wir angesichts
des demographischen Wandels in unserem Land drin-
gend. Aber dann müssen wir sie gerade durch Bildung
integrieren. Das ist die Hauptaufgabe. Das muss bei der
frühkindlichen Förderung anfangen, sonst wird es nichts
mit dem „Bitte lernen Sie Deutsch“, wie Herr Beckstein
zu Recht gefordert hat. Aber dann müssen dafür auch die
Chancen gegeben werden. Das fängt eben bei der Kin-
derbetreuung und der frühkindlichen Förderung an.

Es macht die Sache doch nicht einfacher, Frau
Merkel, Migrantenkinder in unserem Land zu integrie-
ren, wenn es insgesamt zu wenig Kinderbetreuungs-
möglichkeiten gibt. Es gibt auch deswegen viel zu we-
nig Möglichkeiten der Kinderbetreuung, weil wir zu
lange einer konservativen Familienpolitik angehangen
haben, die diese Kinderbetreuung nicht wollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will etwas zu dem Thema Leitkultur sagen. Wir,
Migranten, Deutschstämmige, Christen und Muslime,
brauchen eine gemeinsame Grundlage in dieser Gesell-
schaft. Diese gemeinsame Grundlage sind unsere Grund-
rechte, unsere Verfassung, unsere Rechtsstaatlichkeit
und unsere Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Grundrechte sind nicht banal. Jeder, der be-
hauptet, dass sie durch etwas anderes ersetzt werden
müssten, der irrt sich ganz gewaltig. Die Würde des
Menschen und der Gleichheitsgrundsatz von Männern
und Frauen sind eine sehr tragfähige Grundlage. Ich ver-
traue dieser Grundlage. Viele Muslime in Deutschland,
die an unserer Zivilgesellschaft in Vereinen, Gewerk-
schaften und Schulinitiativen aktiv teilnehmen, ver-
trauen dieser Grundlage viel mehr als irgendeiner Form
von christlicher Leitkultur.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich will hier niemandem seinen christlichen Glauben
streitig machen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Vielen Dank!)


Ich begegne ihm mit großem Respekt. Ich habe vor der
Religion eines jeden Menschen großen Respekt. Ich bin
der Ansicht, dass ein überzeugter Glaube einer Gesell-
schaft etwas Wertvolles geben kann, wenn er auf der Ba-
sis unserer Grundrechte gelebt wird. Aber wir sollten
nicht unkritisch sein.

Das fängt schon bei unserer eigenen Geschichte an.
Dafür brauchen wir gar nicht bis ins Mittelalter zurück-
zugehen. Schauen wir uns doch einmal die Toleranz-
konflikte in unserer deutschen Nachkriegsgeschichte an:
die Auseinandersetzungen über die Stellung unehelicher
Kinder, lediger Mütter, unverheirateter Paare, Homose-
xueller und auch Mischehen in dieser Gesellschaft. Da-
bei waren Mischehen keine Ehen zwischen Schwarzen
und Weißen, sondern zwischen Protestanten und Katho-
liken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Vergewaltigung in der Ehe wurde doch erst Ende der
90er-Jahre unter Strafe gestellt. Wer hat denn dagegen so
lange Widerstand geleistet?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein anderes Stichwort ist das Ansehen geschiedener
Frauen. All das sind Toleranzkonflikte gewesen, die wir
hinter uns gelassen haben.

Ich bin froh, dass wir heute sagen können: Nein, un-
sere Grundrechte, insbesondere die Würde des Men-
schen, gelten für alle: für ledige Mütter, unverheiratete
Paare, für Homosexuelle, für Christen und Muslime. Ich
glaube, dass dies eine gute Grundlage für unsere Gesell-
schaft ist.

Bei der Diskussion über Beliebigkeit in unserer Ge-
sellschaft wünsche ich mir mehr Respekt und Anerken-
nung von denen, die uns diese Diskussion zum Teil auf-
drängen. In der „Welt“ hat Herr Döpfner uns diese






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager

Woche einiges über das Ende der Appeasementpolitik
mitgegeben. Herr Döpfner hat uns einiges über Kreuz-
züge, die angeblich schon im Gange sind, mitgegeben.
In derselben Woche musste eine mutige junge Schau-
spielerin,


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Kommen Sie doch mal zum Haushalt!)


die in dem Film „Gegen die Wand“ die Hauptrolle ge-
spielt hat, unter Tränen darum bitten und betteln, dass
die „Bild“-Zeitung endlich damit aufhört, sie mit einer
dreckigen Hetzkampagne zu überziehen. Man kann nicht
auf der einen Seite Krokodilstränen über die Situation
von muslimischen Frauen in traditionellen, rückständi-
gen muslimischen Familien vergießen, auf der anderen
Seite aber eine Frau mit einer solchen Hetzkampagne
überziehen. Das passt nicht zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will Ihnen einmal sagen, was mich als deutsche
Frau – zugegeben mit einem sehr gemischten Hinter-
grund, aber auch als deutsche Frau – wirklich empört
hat. In derselben Woche, in der wir uns anhören muss-
ten, die multikulturelle Gesellschaft sei am Ende, der
Islam sei mit unseren Werten nicht kompatibel und es
müsse die Auseinandersetzung über die Leitkultur ge-
führt werden, konnte man in der „Bild“-Zeitung ein Foto
von einer Frau sehen, die einem Hund die Brust gibt. Ich
würde mir von den Menschen, die uns hier die Leitkultur
predigen, wünschen, dass sie deutlich machen, dass auch
für uns in diesem Lande Würde und Respekt noch etwas
wert sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514102200

Das Wort hat nun die Vorsitzende der CDU/CSU-

Fraktion, Dr. Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1514102300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-

deskanzler, die Worte zu Beginn Ihrer Rede mögen amü-
sant gemeint und nett gewesen sein, sie waren sicherlich
auch nicht ohne jeden Unterhaltungswert; aber ich frage
Sie in diesem Saal: Was glauben Sie eigentlich, was die
Menschen, die uns draußen zuhören – der Arbeiter bei
Opel, die Verkäuferin bei Karstadt, die Rentnerin, die
nächstes Jahr real eine niedrigere Rente haben wird, die-
jenigen, die in einem mittelständischen Betrieb arbeiten
und von Insolvenz bedroht sind –, von uns hören wol-
len?


(Joachim Poß [SPD]: Hören wollen! – Weitere Zurufe von der SPD)


Was glauben Sie, was diese Menschen ganz speziell von
Ihnen, Herr Bundeskanzler, hören wollen? Ich bin mir
ganz sicher: Sie wollen auf gar keinen Fall amüsante,
nette Geschichtchen von vorgestern hören, sondern sie
wollen eine Aussage über ihre eigene Lebensperspek-
tive, über die Zukunft dieses Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Die kommt ja jetzt!)


Sie haben beschwörend über das, was gemacht
wurde, gesprochen. Sie haben plumpe Angriffe auf die
Opposition gemacht. Sie haben den Blick zurückgewor-
fen – aber Zukunft, Herr Bundeskanzler, Fehlanzeige.
Irgendeine Idee für die nächsten zwei Jahre? Völlige
Fehlanzeige.


(Widerspruch bei der SPD)

Deshalb sage ich – ich sage das ganz ruhig, weil dies der
Ort ist, an dem wir uns auseinander setzen –: Diese Ihre
Rede war der eines Bundeskanzlers nicht würdig.


(Widerspruch bei der SPD)

Das Allerschlimmste ist: Sie war unter der Würde unse-
res Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Was für ein Niveau! – Weiterer Zuruf von der SPD: In welcher Welt leben Sie eigentlich?)


Das Problem ist nicht, dass dieses Land schlechtgeredet
wird. Im Übrigen, Herr Bundeskanzler, passen Sie auf,
dass Sie nicht dauernd Menschen, die an Ihnen und Ihrer
Regierung Kritik üben, gleich noch mit beleidigen. Das
Problem dieses Landes ist, dass es unter Wert regiert
wird. Das muss man immer und immer wieder deutlich
sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das wird sich ändern bei Ihnen als Bundeskanzlerin mit Herrn Westerwelle!)


Das Ganze beginnt mit einer grandiosen Realitätsver-
weigerung. Herr Eichel, Sie haben am 18. Juni 2002 in
Ihrem Haushaltsaufstellungsschreiben für 2005 eine
Verschuldung von 5,5 Milliarden Euro prognostiziert,
aber stolz hinzugefügt, dass man in der Summe zu einem
ausgeglichenen Haushalt käme, weil gleichzeitig die
sozialen Sicherungssysteme Überschüsse aufweisen
würden.

Ich bitte Sie, sich vor Augen zu führen, was seitdem
geschehen ist.


(Joachim Poß [SPD]: Wir haben drei Jahre lang Stagnation gehabt! Das ist geschehen!)


Was die sozialen Sicherungssysteme angeht, ist die Ren-
tenversicherung am Anschlag. Sie werden sogar noch
Kredite aufnehmen müssen. Die Pflegeversicherung ist
völlig auf den Hund gekommen. Im Gesundheitssystem
– ich trage das mit, Herr Bundeskanzler; wir haben den
Maßnahmen zugestimmt – sind inzwischen in dem Maße
Überschüsse erwirtschaftet worden, dass wenigstens frü-
here Schulden zum Teil getilgt werden können. Aber
insgesamt sind wir von einem ausgeglichenen Haushalt
so weit entfernt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das hat
niemand anders zu verantworten als Sie. Das ist Ihr
Werk.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Das glaubst du doch selbst nicht!)


In diesem Hause gibt es eine lange gepflegte und auch
zu Recht vereinbarte Aufgabenteilung zwischen der Re-
gierung, die handeln kann, und den sie tragenden Frak-
tionen einerseits und der Opposition andererseits, der die
Aufgabe eines Wächters über das, was Sie tun, zu-
kommt.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Nachtwächter!)

Deswegen werden wir – ob es Ihnen passt oder nicht –
Ihren Nachtragshaushalt für dieses Jahr dem Bundes-
verfassungsgericht vorlegen, weil wir der Meinung
sind, dass die jetzt eingetretene Erhöhung der Neuver-
schuldung von 29 Milliarden Euro auf über 44 Milliar-
den Euro voraussehbar war, und weil Sie wie schon in
vielen anderen Jahren dieses Parlament und die Men-
schen in diesem Lande bewusst getäuscht und instru-
mentalisiert haben. Dem muss ein Ende gemacht wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, Sie können davon ausgehen,

dass kein vernünftiger Mensch irgendein Interesse daran
hat, etwas schlechter zu reden, als es ist.


(Zuruf von der SPD: Ach! – Joachim Poß [SPD]: Das tun Sie doch jeden Tag! Sie tun doch nichts anderes! Schwarzrednerin des Jahres! – Weitere Zurufe von der SPD)


Wir kennen doch sicherlich alle die von der Bertels-
mann-Stiftung und vom Weltwirtschaftsforum erstellten
Rankings der Industrienationen. Sie können zwar
feststellen, dass einiges passiert sei, das in die richtige
Richtung weise, das Dumme ist aber, dass wir weiterhin
ganz hinten liegen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

Der auch von Ihnen geschätzte Wim Kok, der beauf-

tragt ist, den Lissabon-Prozess – also den Wachstums-
prozess der Europäischen Union – zu bewerten, hat den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich ins
Stammbuch geschrieben: Vorraussetzung für die Ver-
wirklichung ist eine starke, entschlossene und überzeu-
gende politische Führung. Er hat gleich hinzugefügt:
Sicherlich waren die Ereignisse außerhalb Europas seit
dem Jahr 2000 nicht förderlich. Doch es liegt eindeutig
an der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten
selbst, wenn sich Fortschritte nur langsam einstellen.
Denn in vielen Bereichen wurde es versäumt, die Refor-
men mit dem erforderlichen Nachdruck voranzutreiben.

Herr Bundeskanzler, ich frage Sie: Wen mag Wim
Kok gemeint haben, wenn wir im Ranking der Industrie-
nationen an hinterer Stelle liegen?


(Joachim Poß [SPD]: Was sagt denn der Sachverständigenrat dazu?)


Ich glaube, dass sich Deutschland angesprochen fühlen
muss. Es fehlt an einer entschlossenen Führung dieses
Landes. Das ist das Problem, über das wir sprechen müs-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es ist interessant, neben dem Wim-Kok-Bericht für
die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch einen
Blick in den Bericht der Bundesregierung zur Bewertung
des Lissabon-Prozesses zu werfen. Darin heißt es, die
Strategie von Lissabon, dass Europa der dynamischste
Kontinent der Welt werden wolle, sei in der Euphorie
der New Economy geboren. Dann sei es zu einer speku-
lativen Blase gekommen.


(Joachim Poß [SPD]: Es ist nicht zu leugnen, dass die Blase im Frühjahr 2001 geplatzt ist!)


Hinzu seien externe Schocks gekommen: der
11. September, Bilanzskandale, der Krieg im Irak, der
Anstieg der Ölpreise und eine dreijährige Stagnation.
Damit ist aber immer noch nicht die Frage beantwortet,
warum wir ganz hinten liegen, Herr Bundeskanzler, und
zwar hinter anderen, die ebenfalls unter diesen Belastun-
gen gelitten haben. Diese Frage müssen wir beantwor-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich glaube, dass wir an dieser Stelle wieder auf ein

von Ihnen bereits bekanntes Strickmuster stoßen: Schuld
sind immer die anderen – die Welt, die Bundesländer, die
Kommunen, die Blockade im Bundesrat. Alles kommt
recht, wenn es erklären kann, dass Ihnen irgendetwas
nicht gelingt.

Schon der frühere amerikanische Präsident Eisenhower
hat gesagt: Die Suche nach Sündenböcken ist von allen
Jagdarten die einfachste. Aber, lieber Herr Bundeskanz-
ler, damit können wir uns nicht zufrieden geben.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie Jägerin!)

Wir wollen danach jagen, beim Wachstum vorne mit da-
bei zu sein und uns nicht mit einem Platz ganz hinten ab-
speisen zu lassen. Das ist unser Anspruch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Die Frau guckt doch in den Gewehrlauf, um zu sehen, ob der Schuss auch losgegangen ist!)


Der Sachverständigenrat hat schon Recht mit seiner
Aussage, die wir alle begrüßen, dass der Export sich
prima entwickelt und wir auf dem Gebiet Erfolge haben.
Das sichert Arbeitsplätze. Auch wenn diese nicht alle in
Deutschland liegen, freuen wir uns immerhin darüber.
Aber für die 80 Millionen Menschen im Lande zählt na-
türlich nicht nur – das werden doch auch Sie wohl nicht
bestreiten –, ob sich der Export ordentlich entwickelt,


(Joachim Poß [SPD]: Das wissen wir doch auch!)


sondern für die Menschen zählt, was zum Schluss bei ih-
nen in der Tasche ankommt, welche Möglichkeiten und
Chancen sie haben, Arbeit zu behalten oder zu bekom-
men. Deshalb hat der Sachverständigenrat das eine ge-
lobt – darüber haben Sie ausführlich gesprochen – und






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

gleichzeitig auf Herausforderungen im Inland hinge-
wiesen. Über diese Herausforderungen haben Sie in Ih-
rer Rede geschwiegen.

Herr Bundeskanzler, der Sachverständigenrat sieht
darin sogar noch – diese Meinung teile ich im Übrigen –
etwas Positives. Er sagt nämlich, tatsächlich sei die
Wachstumsschwäche auf inländische Bestimmungs-
gründe zurückzuführen und wir könnten ganz beruhigt
sein. Sie hängt also nicht von außen, von der Welt oder
von sonstwem ab,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist es! Wir könnten es regeln! Wir hätten es in der Hand!)


sondern es sind inländische Bestimmungsgründe. Und
was außer inländischen Bestimmungsgründen können
wir hier ändern? Das ist doch unsere Aufgabe. Deshalb
können wir happy sein mit einer solchen Situation, weil
wir jetzt nur noch die Binnenkonjunktur ankurbeln müs-
sen, und zwar mit Maßnahmen, über die wir hier mitei-
nander diskutieren müssen. Das hat der Sachverständi-
genrat prima gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt muss man fragen: Was passiert?


(Joachim Poß [SPD]: Ja, und jetzt?)

Ich habe heute hier nichts gehört. Ich bin aber überzeugt
– und das sage ich für unsere Fraktion insgesamt –: Wir
haben die Kraft und die Möglichkeiten, aus diesem Land
wieder das zu machen, was in diesem Land steckt.


(Zuruf von der SPD: Herr Seehofer nicht!)

Dazu brauchten wir jedoch Ihr Einverständnis und das
haben wir nicht.

Wir sind am Anfang von Reformen und nicht am
Ende.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! – Joachim Poß [SPD]: Welche Reformen denn? À la Seehofer oder à la Merz? Sie sind wahrlich schon am Ende!)


Die Umsetzung von beschlossenen Reformen allein ist
nicht genug, sondern wir müssen darüber sprechen, wie
wir nach den schon umgesetzten Maßnahmen weiterma-
chen, damit wir aus dieser Inlandsmisere herauskom-
men, Herr Bundeskanzler. Das ist die Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Welche Reformen meinen Sie denn jetzt? – Joachim Poß [SPD]: In dieser Woche sind Sie zum Ende gekommen!)


– Herr Poß, hören Sie auf zu schreien. Es ist wirklich
lästig.


(Joachim Poß [SPD]: Die CDU ist am Ende!)

Dazu sagt der Sachverständigenrat – nicht wir, nicht die
FDP und nicht Ihre Gegner – ganz klar: Ein schlüssiges
Konzept für eine wachstumsfördernde Politik ist von der
Bundesregierung nicht vorgelegt worden. Vielmehr
bleibt der Eindruck, es handele sich um Einzelmaßnah-
men, die zum Teil auch nur ergriffen wurden, weil sich
die Haushaltslage immer weiter zugespitzt hat.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Die haben halt Sachverstand!)


Herr Bundeskanzler, deshalb müssen wir alle uns fra-
gen: Was muss jetzt geschehen? Beginnen wir doch mit
dem Haushalt selbst, der die Zukunftsfähigkeit dieses
Landes definiert. Dazu hat sich der Präsident des Bun-
desrechnungshofes doch in wirklich atemberaubender
Weise – um den Begriff noch einmal aufzunehmen –
deutlich geäußert: Die Schieflage ist so extrem, dass es
einem den Atem verschlägt. Eine solche Aussage eines
Parteifreundes über einen Bundeshaushalt hat es noch
nie gegeben, Herr Bundeskanzler. Damit müssen Sie
sich auseinander setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Sachverständigenrat sagt in seinem Bericht wei-

ter: Die ohnehin bescheidenen Schritte zur Konsolidie-
rung des Staatshaushaltes gehen zulasten der öffentli-
chen Investitionen und damit genau jenes Teils der
Staatsausgaben, von dem am ehesten noch positive Wir-
kungen für das Wachstum ausgehen könnten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Die reden alle Deutschland schlecht!)


Herr Bundeskanzler, der nächste Haushalt enthält
Privatisierungserlöse in einem Umfang von 15 Milliar-
den Euro. Vor ungefähr einem Jahr hatten wir das Ver-
gnügen, miteinander im Vermittlungsausschuss zu dis-
kutieren, und Sie haben aufs Ehrenwort versichert, mehr
als 3 Milliarden Euro Privatisierungserlöse würden in
diesen Haushalt nicht eingestellt. Ich glaube, Sie haben
damals die Wahrheit gesprochen und Sie lügen sich jetzt
in die Tasche.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie verscherbeln nicht nur alles, was heute vorhanden
ist, sondern auch alles, was notwendigerweise für die
Zukunft zurückgelegt wurde. Dabei waren die Rückla-
gen ohnehin schon knapp. Der Sachverständigenrat
nennt das Desinvestition. Merken Sie sich dieses Wort!
Das ist das Gegenteil von dem, was notwendig ist. Das
tun Sie im festen Wissen darum, dass Sie damit den Kin-
dern und Enkeln dieses Landes eine Bürde aufhalsen, die
kaum zu schultern ist. Das ist das Gegenteil von Nach-
haltigkeit, für die Sie in diesem Lande – Frau Roth, da
Sie gerade so interessiert schauen, sage ich Ihnen, dass
Sie mit diesem Anspruch einmal angetreten sind – ei-
gentlich sorgen wollten. Das muss man den Menschen
sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, Sie haben Anfang 2004 das

Jahr der Innovation ausgerufen. Dass man davon
– rückblickend auf die letzten elf Monate – gar nichts
mehr gehört hat, erstaunt und überrascht mich, obwohl
es eigentlich klar ist. Schauen Sie sich nur den Zustand
des Gentechnikgesetzes an! Das ist ein völlig klares
Eingeständnis – weil Herr Clement und Frau Künast
nicht zueinander kommen –, dass in Deutschland der






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

Wachstumsbereich Grüne Gentechnologie nicht existie-
ren wird. Herr Bundeskanzler, Sie haben zusammen mit
Tony Blair und dem französischen Präsidenten Chirac
eine bemerkenswerte Initiative gestartet. Sie haben ge-
sagt: Lasst uns über die Chemiepolitik in Europa, insbe-
sondere über die REACH-Richtlinie, reden! Als dann
endlich im Wettbewerbsrat, in den alle anderen EU-Mit-
gliedstaaten ihre Wirtschaftsminister entsandt hatten,
über diese Richtlinie beraten wurde, ist zum Erstaunen
des gesamten europäischen Publikums und insbesondere
zu unserer Überraschung Herr Trittin dort wieder er-
schienen und hat die gleichen Anträge wie im Umwelt-
ministerrat gestellt. Herr Bundeskanzler, Sie führen eine
Regierung, in der Sie noch nicht einmal durchsetzen
können, dass die vernünftigen Kräfte auf europäischer
Ebene das Schlimmste für die chemische Industrie in
Deutschland verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sind vom Europäischen Gerichtshof verklagt wor-

den, weil Sie die Biopatentrichtlinie nicht umgesetzt ha-
ben. Außerdem liegen Sie mit der pharmazeutischen In-
dustrie – diese hat Recht – im Clinch, weil Sie eine Art
der Umsetzung des Gesundheitsmodernisierungsgeset-
zes bezüglich der Pharmabranche gewählt haben, die mit
Sicherheit die forschende Arzneimittelindustrie in
Deutschland schwächt. Sie liefern damit einen kontra-
produktiven Beitrag zum Jahr der Innovation. Es nutzt
jetzt auch nichts, auf bestimmte Medikamentenhersteller
zu schimpfen, weil diese Anzeigenkampagnen machen.
Nehmen Sie besser die falsche Eingruppierung zurück
und schützen Sie die forschende Arzneimittelindustrie
mit ihren lizenzierten Medikamenten! Schon wären alle
Anzeigenkampagnen beendet. Aber Sie haben dazu
nicht die Kraft. Deshalb haben Sie auch an dieser Stelle
versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, ich möchte heute einmal nicht

über die Kernenergie, sondern darüber reden, dass die
Energiepreise in Deutschland bis zu 50 Prozent – bei-
spielsweise die Gaspreise mit 25 Prozent – über dem
EU-Durchschnitt liegen, wenn auch nicht über den Welt-
marktpreisen. Das ist in einem Binnenmarkt eine ziem-
lich komplizierte Sache. Die Internationale Energieagen-
tur hat das völlig zu Recht moniert und die deutsche
Regierung aufgefordert, ihre Energiepolitik mehr auf
Fakten zu gründen. Genau das ist das Thema. Sie sollten
Ihre Energiepolitik nicht auf Ideologien, sondern auf
Fakten gründen. Dann wären wir in Deutschland schon
ein ganzes Stück weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe schon gesagt, dass das Verbot der Studien-

gebühren aufgehoben werden muss. Nur noch so viel
dazu: Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat zum
baden-württembergischen Ministerpräsidenten gesagt:
Wäre das Verbot doch schon aufgehoben! Er kann sich
aber auf keinem Parteitag durchsetzen. Man wird sich
vor dem Bundesverfassungsgericht wieder treffen, das
gerade Ihre Regelungen betreffend die Juniorprofessur
gekippt hat.
Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz
müsste eigentlich deutlich verlängert werden. Aber zu
welchem Schluss ist die Bundesregierung – Herr
Clement, Bürokratieabbau! – gekommen? Sie verlängert
das Gesetz gerade einmal um ein Jahr. Nächstes Jahr um
diese Zeit werden wir also wieder darüber entscheiden
müssen. Man hätte es doch mindestens bis 2019, also bis
zum Ende der Laufzeit des Solidarpaktes II, verlängern
müssen. Das hätte doch die menschliche Vernunft gebo-
ten. Aber die gibt es in Ihrem Kabinett wohl nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir brauchen neue Stärken. Ich bin der festen Über-

zeugung, dass wir unseren Wohlstand nur mit der Pro-
duktion von Hochleistungsprodukten, die andere auf
der Welt nicht herstellen können, halten können. Wir
müssen wettbewerbsfähig sein. Das heißt, wir müssen
Dinge können, die andere nicht können.

Um das aber zu schaffen, bedarf es bestimmter Bedin-
gungen. Darüber diskutiere ich mit Ihnen, Herr Bundes-
kanzler, gerne. Sie haben gesagt: Schauen wir doch ein-
mal in Ihre Programme, Stichwort Kündigungsschutz.
Sie selbst haben eingesehen, dass das Kündigungs-
schutzrecht in Deutschland dafür sorgt, dass Ältere nicht
mehr eingestellt werden. Sie selbst haben es geändert.
Wir haben gemeinsam für die Anhebung des Schwellen-
werts für Kündigungsschutz von fünf auf zehn Arbeit-
nehmer gesorgt. Falls in Deutschland nun jemand auf die
Idee kommt, den Schwellenwert für Kündigungsschutz
von zehn auf 20 Arbeitnehmer anzuheben: Bitte, erken-
nen Sie darin kein Verhetzungspotenzial. So kommt un-
ser Land mit Sicherheit nicht weiter. Das ist Ihrer und Ih-
res Anspruchs einfach nicht würdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe heute kein Wort zur Fortentwicklung der so-

zialen Sicherungssysteme gehört.

(Karsten Schönfeld [SPD]: Jetzt sind wir gespannt!)

Ich kann verstehen, dass Sie zu dem Thema Pflege ge-
schwiegen haben; denn der Malus für diejenigen, die
keine Kinder haben, ist nun wirklich das Ungeschick-
teste gewesen, was Sie bei der Umsetzung des Verfas-
sungsgerichtsurteils machen konnten. Sie haben darauf
verwiesen, dass sich mittlerweile 4 Millionen Menschen
für die Riesterrente entschieden haben. Wir freuen uns,
dass es so viele Menschen sind. Wir sagen aber: Wenn
das Verfahren etwas unbürokratischer wäre, dann könn-
ten es 12 Millionen Menschen sein. Denken Sie noch
einmal darüber nach! Wir wollen das gemeinsam.

Jetzt reden wir einmal über die Gesundheitspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt kommen wir zum amüsanten Teil! – Weitere Zurufe von der SPD: Bravo! – Wo ist Herr Seehofer?)


Da beobachte ich Sie mittlerweile seit vielen Wochen
und Monaten. Herr Bundeskanzler, die leuchtende
Freude, mit der Ihnen das Wort „Bürgerversicherung“
über die Lippen kommt, vermisse ich beständig. Ich






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

verfolge alle Ihre Reden. Herr Müntefering redet gerne
über die Bürgerversicherung; Frau Nahles redet noch lie-
ber darüber. Wir nennen das Ganze „Bürgerzwangsversi-
cherung“, weil es uns die Einheitskasse bringen wird.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist das!)

Sie haben sich entschieden, zu diesem Thema gar

nichts zu sagen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Seehofer ist aus dem Telefonbuch von Frau Merkel gestrichen!)


Mangels eigener Konzepte – Sie können keine Alterna-
tive anbieten – haben Sie sich heute dazu entschlossen –
ich glaube, das ist in Deutschland einmalig –, sich ledig-
lich mit den Konzepten der Opposition auseinander zu
setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Herr Bundeskanzler, entschuldigen Sie einmal: Da es Ih-
rerseits so viel Kritik an unserem Kompromiss gibt,
wäre heute doch die Gelegenheit gewesen, die Bürger-
versicherung einmal in ihrer vollen Breite und Blüte dar-
zustellen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Das wäre doch eine schöne Sache gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben geschwiegen.

Sie ärgern sich – das verstehe ich ja –, dass wir uns
geeinigt haben. Das würde ich auch machen.


(Lachen bei der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Seehofer soll zur Bürgerversicherung reden!)


Herr Bundeskanzler – das sage ich auch in Richtung der
Arbeitgeber –, wir haben, übrigens schon in Leipzig,
festgelegt, dass Arbeitgeberbeiträge in Deutschland auf
6,5 Prozent eingefroren werden sollen. Weder unter ei-
ner unionsgeführten noch unter einer SPD-geführten Re-
gierung hat es in den letzten 20, 30 Jahren für die Arbeit-
geber eine derartige Planungssicherheit in Bezug auf
ihre Sozialversicherungsbeiträge gegeben. Nach unserer
Vorstellung gehört es zur völligen Autonomie der Tarif-
partner – so schreibt es das Grundgesetz vor –, wie die
Abschlüsse gestaltet werden. Wir wollen auf der Arbeit-
geberseite Berechenbarkeit der Gesundheitskosten er-
zeugen. Das ist ein richtiger und notwendiger Schritt,
weil die Lohnzusatzkosten in Deutschland zu hoch sind.
Davon werden wir uns auch durch Ihre komische Kritik,
Herr Bundeskanzler, nicht abbringen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt ist sie beleidigt!)


Wir plädieren für eine unumkehrbare Weichenstel-
lung. Wir müssen heraus aus dem heutigen System. Sie
sollten sich von der Bürgerversicherung abwenden und
einem Prämienmodell zuwenden. Ich sage Ihnen: Darauf
sind wir stolz. Der Weg in ein neues System soll unum-
kehrbar sein.
Herr Bundeskanzler, wir beide wissen: Sachverstän-
dige gehen von idealen ordnungspolitischen Vorausset-
zungen aus. Ich kann die Kritik eines Sachverständigen,
der für das Prämienmodell in Reinkultur kämpft – mög-
lichst für genau das, das er sich ausgedacht hat –, gut
verstehen. Aber der Unterschied zwischen uns beiden
ist, dass Sie das Prämienmodell ablehnen, obwohl die
Sachverständigen es Ihnen nahe legen, während wir da-
für eintreten und damit auf dem richtigen Weg sind. Den
damit verbundenen Konflikt müssen wir austragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Friedrich Merz und das Steuerkonzept.


(Joachim Poß [SPD]: Die Steuererhöhung!)

Da sind Sie ganz unruhig geworden, weil Sie natürlich
wissen, dass das Merz/Faltlhauser-Konzept um Größen-
ordnungen einfacher ist als alles, was Herr Eichel Ihnen
jemals als denkbaren Vorschlag auf den Tisch gelegt hat,


(Beifall bei der CDU/CSU)

dass auch das ein Schritt in die richtige Richtung ist,
nämlich hin zu mehr Transparenz, zu mehr Klarheit im
Steuersystem.

Herr Bundeskanzler, ich freue mich ja für die Men-
schen im Lande darüber, dass die Steuersätze gesunken
sind. Nur, Sie hätten alles das schon 1996 haben können:


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Petersberger Beschlüsse.


(Joachim Poß [SPD]: Nicht finanziert!)

Ich habe es mir extra noch einmal sagen lassen:
15 Prozent Eingangssteuersatz und 39 Prozent Spitzen-
steuersatz.


(Joachim Poß [SPD]: Da hätten Sie die Mehrwertsteuer erhöhen müssen!)


Meine Damen und Herren, Sie haben das damals aus
rein parteitaktischen Gründen verhindert,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie und der Ministerpräsident Lafontaine und der Minis-
terpräsident Eichel. Wir waren damals auf dem richtigen
Weg. Gott sei Dank wurde ein Stück dieses richtigen
Weges gegangen. Aber Sie haben es damals blockiert;
das müssen wir festhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein weiterer Punkt – es ist schön, dass wir uns darüber

auseinander setzen können, Frau Sager –: PISA-Studien.
Wie kommt man zu besseren Ergebnissen? Wir sind der
ganz festen Überzeugung: mit der Einheitsschule nicht


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

– diese Überzeugung werden wir auch weiter vor uns
hertragen – und – das füge ich noch hinzu – dadurch,
dass der Bund auch dafür noch die Kompetenz be-
kommt, was Sie am liebsten hätten,


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt gar nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

mit Sicherheit auch nicht. Deshalb wird in der Föderalis-
muskommission eines nicht gelingen: Sie werden die
Kompetenz des Bundes für die Bildung in der Schule
nicht bekommen, so sehr Sie das auch wollen.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir gar nicht!)


Wir werden auch den ganzen Mischmasch beenden – das
ist die Aufgabe –, bei dem Sie dauernd mit anderer Leute
Geld versuchen, sich in Sachen einzumischen, die Sie
nichts angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Herr Bundeskanzler, bei all den einzelnen Maßnah-
men fehlt – das moniert auch der Sachverständigenrat –
das schlüssige Konzept. Ich glaube, das schlüssige Kon-
zept


(Hubertus Heil [SPD]: Sie glauben, ja?)

braucht eine bestimmte innere Haltung. Diese innere
Haltung – auch darüber müssen wir sprechen – speist
sich aus der Antwort auf die Frage: Was sind die Einzel-
maßnahmen und gibt es etwas, was mehr ist als die
Summe aller Einzelmaßnahmen?

Wenn wir uns um Generationengerechtigkeit küm-
mern, dann – ich glaube, damit sind wir alle miteinander
einverstanden – geht es um mehr als nur um die Frage:
Was kommt beim kleinen Kind an? Was kommt beim äl-
teren Menschen an? Wenn wir einen Solidarpakt zwi-
schen Ost und West haben, dann gibt es doch das ge-
meinsame Verantwortungsgefühl, das Gefühl dafür, dass
wir zusammengehören. Wenn wir über Nachhaltigkeit
reden, dann reden wir doch eigentlich darüber, dass wir
uns für zukünftige Generationen genauso verantwortlich
fühlen wie für die Bewahrung unserer Traditionen. Ein
Bund/Länder-Finanzausgleich, eine Kultusministerkon-
ferenz, eine Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das alles
gibt es doch nur, weil wir etwas Gemeinsames haben.
Ich glaube, dass das durch die deutsche Einheit eine
wunderbare Vollendung insofern gefunden hat, als der
3. Oktober ein Tag der Freiheit ist, ein Tag, an dem in
Deutschland die Freiheit gesiegt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass ich hier

heute stehen kann, dass viele Kollegen aus den neuen
Bundesländern hier sitzen, dass Frau Göring-Eckardt aus
den neuen Bundesländern Vorsitzende der Fraktion der
Grünen ist, haben wir denen zu verdanken, die den Ge-
danken an die deutsche Einheit nicht als Lebenslüge der
Nation bezeichnet haben, wie Sie es getan haben, son-
dern die durchgehalten haben, die sich zu Einheit in
Freiheit bekannt haben, obwohl nicht klar war, ob man
es durchsetzt.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb ist es doch nichts anderes als Erbsenzählerei,
wenn man mit irgendwelchen alten Zitaten ankommt.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Die eigentliche Frage ist doch – davon sprechen ja auch
Sie immer wieder –: In welcher Lage sind wir heute?
Heute wissen wir, vor welchen Herausforderungen wir
stehen und was wir zu bewältigen haben. Genau in einer
solchen Lage – deshalb hat dieser Vorschlag eine solche
Empörung hervorgerufen – braucht man verbindende ge-
meinschaftsstiftende Gedenktage, an denen einem be-
wusst wird: Das Ganze ist mehr als die Summe der Ein-
zelnen. Deshalb waren wir so empört, dass Sie den
3. Oktober für ein einmaliges Wachstum in Höhe von
0,1 Prozentpunkten abschaffen wollten. Das war absurd
und verfehlt. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen
lassen, Herr Bundeskanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind ja für jedes Eingeständnis eines historischen

Irrtums dankbar. Die Sache mit der Rente hatten Sie zu-
gegeben; heute haben wir uns mit der Sprache befasst.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kopfpauschale war auch ein historischer Irrtum, Frau Merkel! Werden Sie das als Irrtum eingestehen?)


Damit die Geschichte nicht völlig verdreht wird, indem
behauptet wird, dass bisher keiner von uns der Überzeu-
gung war, dass das Erlernen der deutschen Sprache die
Grundvoraussetzung dafür ist, dass Integration stattfin-
det, möchte ich Sie an unseren Integrationsantrag aus
dem Jahr 1999 erinnern:

Die Beherrschung der deutschen Sprache ist Vo-
raussetzung für Kommunikation und somit wich-
tigstes Mittel zur Integration. Wer dauerhaft in
Deutschland leben will, muß die Bereitschaft ha-
ben, die deutsche Sprache zu erlernen.

Dann wurden all die Maßnahmen aufgeführt, die wir
jetzt im Zuwanderungsgesetz durchgesetzt haben. Be-
dauerlich ist nur, Herr Bundeskanzler, dass Sie, da Sie
damals ausschließlich mit der Frage der doppelten
Staatsbürgerschaft beschäftigt waren, diesen Antrag ab-
gelehnt haben. Das ist die historische Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Lesen Sie einmal den Antrag ganz vor! Was noch drinstand!)


Ich bin deshalb doch zufrieden, dass wir dies jetzt ge-
meinsam erreicht haben.

Frau Sager, ich werde aber nicht davon abgehen, dass
die Idee von Multikulti grandios gescheitert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bezüglich der Idee von Multikulti waren wir unter-
schiedlicher Meinung, auch wenn Sie sich die Sache im
Nachhinein noch zurechtbiegen.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe von der multikulturellen Gesellschaft gesprochen, nicht von Multikulti!)


Ich kann nur sagen, dass wir alle miteinander, jetzt wie-
der auf die Zukunft bezogen, uns so verhalten sollten,
wie Günther Beckstein es auf der Demonstration der






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

Muslime, die sich zu Werten wie Freiheit und Toleranz
bekannt haben, gemacht hat, indem wir sagen: Bitte,
lernt Deutsch.


(Zuruf von der SPD: Was hat der Stoiber gesagt?)


Natürlich dürfen wir niemals diejenigen, die die Werte
unseres Landes ausdrücklich anerkennen, in irgendeiner
Weise mit denen in einen Topf werfen, die dies nicht tun.
Das sage ich ganz klar. Ebenso wie wir in Deutschland
nicht Bürgerinnen und Bürger pauschal mit denen, die
Gesetze unseres Landes übertreten, gleichsetzen, so dür-
fen wir so etwas auch nicht mit Personen ausländischer
Herkunft machen. Es führt uns aber auch nicht weiter,
wenn wir die Augen vor bestimmten Tendenzen ver-
schließen.

Deshalb ist es gut und richtig, dass unsere Fraktion ei-
nen Antrag zum Islam und Islamismus eingebracht hat,
um genau über diese Frage eine Diskussion anzustoßen.
In dieser müssen wir uns mit sehr konkreten Punkten
auseinander setzen. So geht es zum Beispiel darum, ob
wir es gutheißen, wenn für ein Jahr oder für zwei Jahre
Imame aus der Türkei nach Deutschland kommen, oder
ob wir wollen, dass sie hier in Deutschland ausgebildet
werden. Da müssen Sie sich ganz klar entscheiden. Die
in der CDU engagierten Mitglieder türkischer Herkunft
sagen dies ganz klar.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon längst gesagt!)


– Wenn Sie das auch so sehen, freut mich das. Aber die
Menschen draußen haben das noch nicht mitbekommen.
Deshalb müssen wir doch darüber reden. Man darf sich
deshalb nicht dauernd, wie Sie es heute hier wieder ge-
tan haben, in Kleinkram verzetteln,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

sondern man muss die Gemeinsamkeiten herausstellen,
indem man sagt: Ihr seid willkommen, wenn ihr unsere
Gesetze akzeptiert. Wir wollen euch Chancen eröffnen.
Das ist aber nur möglich, wenn ihr Deutsch lernt, euch
integriert und keine Parallelgesellschaften errichtet. Da-
für werden wir kämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin sehr dafür, mit alten Lebenslügen aufzuräu-

men,

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Fröhlicher Anfang!)


zugleich sollten wir aber auch dafür Sorge tragen, dass
wir uns nicht in neue Lebenslügen verstricken.


(Zurufe von der SPD: Wohl wahr! – Sehr richtig!)


Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Es stehen
noch eine ganze Reihe von Aufgaben vor uns, auch im
Sicherheitsbereich und im außenpolitischen Bereich. Da
steht zum Beispiel die Frage der Zukunft der Bundeswehr
im Raum. Ich stimme zu, dass es zugunsten der Erhö-
hung der internationalen Handlungsfähigkeit nötig ist,
bestimmte Standorte zu schließen. Wir alle machen aber
nicht mehr mit, wenn Sie als ausschließliche Aufgabe
der Bundeswehr die internationale Handlungsfähigkeit
definieren, die Aufgabe des Heimatschutzes aber wegen
finanzieller Schieflagen bis zur Unkenntlichkeit verwi-
schen. Damit vernachlässigen Sie die zweite Säule der
Bundeswehr, die wir auch in Zukunft brauchen, nämlich
den Heimatschutz.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Darüber müssen wir miteinander streiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Lebenslüge Ihres Verteidigungsministers besteht

darin, dass er so tut, als ob er mit den begrenzten Mitteln
und seiner Strukturpolitik, die im internationalen Be-
reich in die richtige Richtung geht, die Wehrpflicht auf-
rechterhalten könnte. Das kann er nicht. Entweder wir
schaffen es, ein ordentliches Heimatschutzkonzept, wie
es von Wolfgang Schäuble und anderen entwickelt
wurde, danebenzustellen; dann kann die Wehrpflicht er-
halten bleiben, was ich und wir durchaus möchten. Wenn
man das aber nicht schafft, darf man sich nicht in eine
neue Lebenslüge verstricken, sondern muss den Leuten
die Wahrheit sagen. Das ist das, was wir anmahnen, Herr
Bundeskanzler. Wir haben hier klare Vorstellungen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer würde denn infrage stellen, dass wir eine strate-

gische Partnerschaft mit Russland brauchen? Schauen
Sie, ohne Michail Gorbatschow wäre die deutsche Ein-
heit doch gar nicht zustande gekommen. Dass es natür-
lich auch von russischer Seite in Bezug auf die eigene
Bevölkerung eine Riesenleistung und Anstrengung war,
dass die baltischen Staaten heute Mitglied der Europäi-
schen Union und der NATO sind, stellt doch niemand in-
frage. Ebenso stellt niemand infrage, dass es nicht ganz
einfach ist, ein Land wie Russland zu regieren. Aber es
kann wirklich nicht sein, auch nicht mit Blick auf die
Geschichte – ich würdige die Situation 60 Jahre nach
dem Zweiten Weltkrieg; ich habe mich auch in meiner
Jugend hinreichend mit diesen Themen auseinander ge-
setzt und habe hohen Respekt vor dem russischen
Volk –, Herr Bundeskanzler, dass Amerika kritisiert wird
und Russland nicht. Nichts weiter mahnen wir an, als
dass wir fair und ehrlich miteinander umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Thema Türkei ist ein wichtiges und relevantes

Thema. Da sind viele Versprechungen gemacht und viele
Dinge gesagt worden. Der ehemalige Bundeskanzler
Schmidt zum Beispiel sagt, wir hätten das alles nicht
machen sollen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Recht hat er!)

Vieles ist in Gang gekommen. Deshalb muss natürlich
alles daran gesetzt werden, dass bei der Türkei nicht der
Eindruck entsteht, wir wollten ihr die Tür vor der Nase
zumachen und Europa wolle sie verstoßen.


(Zuruf von der SPD: Dann tun Sie das doch nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angela Merkel

– Wir sagen nicht einfach Nein. – Aber, Herr Bundes-
kanzler, es muss doch möglich sein, festzustellen, dass
es der falsche Weg wäre, jetzt Verhandlungen, angeblich
ergebnisoffene Verhandlungen, aufzunehmen, die nur
zwei Optionen kennen, nämlich Vollmitgliedschaft und
Scheitern. Die Option Scheitern gibt es realpolitisch gar
nicht. Denn Scheitern würde bedeuten, dass der Türkei
die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Deshalb sagen
wir: Lasst uns eine – die von uns präferierte – Option mit
aufnehmen, nämlich die privilegierte Partnerschaft!
Schritt für Schritt kommen viele in Europa genau zu die-
ser Einsicht. Ich verstehe nicht, warum Sie sich dieser
Einsicht verweigern. Sie hätten die Möglichkeit, mit
Herrn Erdogan als Ministerpräsidenten vernünftig da-
rüber zu sprechen. Dann hätten wir ein Problem gelöst,
das vielen Menschen Sorgen bereitet, das viele bedrückt
und uns alle noch bedrücken wird.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514102400
Die Euro-
päische Union der 25, bald 27 oder 28, ist heute in sich
institutionell noch gar nicht gefestigt und von daher noch
nicht handlungsfähig. Deshalb ist es wichtig, dass wir
nicht einfach – nach der Humboldt-Rede des Bundesau-
ßenministers, in der er fast noch einen Bundesstaat sui
generis gefordert hat – Europa in dieser Form erweitern,
ohne uns Gedanken zu machen, ob das Integrationswerk
von 50 Jahren dabei Schaden nehmen könnte. Auch das
ist ein Beitrag der Kopenhagener Kriterien. Wir wollen
nicht mehr und nicht weniger, als darüber reden. Unsere
Option an dieser Stelle ist klar. Ich finde, sie ist vernünf-
tig und bewahrt uns vor einer neuen Lebenslüge, Herr
Bundeskanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Angesichts der gesamten Aufgabenpalette – der He-

rausforderungen im Inneren und Deutschlands Rolle,
die, wie ich finde, eine Rolle von Maß und Mitte sein
sollte, wie es uns durch unsere kontinentale Lage vorge-
geben ist, wobei wir uns im Übrigen nicht immer nur um
Spanien, Großbritannien und Frankreich kümmern soll-
ten, sondern auch einmal um die kleineren Mitgliedslän-
der der Europäischen Union;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


das ist eine ganz wichtige Sache, die von Helmut Kohl
immer beherzigt wurde – könnten wir zu etwas zurück-
kehren, was Sie im August 2002, zur Zeit der Flut, ge-
sagt haben:

Der Gemeinsinn, der hier deutlich geworden ist, ist
ein Schatz, den wir zu hüten und zu mehren haben.
Dieser Schatz an Gemeinsinn ist unbezahlbar. Denn
er macht das Land gerade in Krisen stark und er
macht damit uns und die Menschen im Land fähig,
nicht nur Krisen und Katastrophen zu bewältigen,
sondern auch die anderen Probleme zu lösen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das war vor der Wahl!)

Nun, lieber Herr Bundeskanzler, frage ich Sie: Was

wollen Sie hüten, wenn Sie sich mit dem Gedanken tra-
gen, den Tag der Deutschen Einheit abzuschaffen? Herr
Bundeskanzler, welchen Schatz wollen Sie mehren,
wenn Sie so viel Schulden machen wie noch nie in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland?

Herr Eichel, hören Sie auf zwischen 2,0 und
2,2 Prozent zu unterscheiden. Da lachen doch die Hüh-
ner!


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Damals war es die Zeit kurz nach der deutschen Einheit.
Auf diese Weise können Sie doch nicht in die Geschichte
eingehen! Ich sage Ihnen: Der Schatz wird versilbert; er
wird sozusagen verfressen und verkloppt. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Welchen Gemeinsinn wollen Sie fördern, wenn Sie

heute den Arbeitslosen in diesem Land kein einziges
neues, konkretes Angebot machen konnten und wenn
viele Menschen, die heute Angst und Sorge haben, weil
sie nicht wissen, wie es weitergeht, nicht mehr das Ge-
fühl haben, dass es jeder in diesem Land schaffen kann?
Wir wollen, dass sie wieder dieses Gefühl bekommen.
Wir wollen keinen beiseite schieben. Wir wollen die Vo-
raussetzungen dafür schaffen, dass wir diejenigen, die
leistungsstark sind, wieder in Freiheit leistungsstark sein
lassen können, wie es der Impetus der sozialen Markt-
wirtschaft war, damit wir denen, die schwach sind, eine
Chance geben und ihnen helfen können. Das ist unser
Ziel.

Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen voraus: Dafür
werden wir uns die Mehrheiten erarbeiten. Dafür haben
wir die Konzepte vorgelegt.


(Joachim Poß [SPD]: Welche denn? Wie ist das mit der Finanzierung der Pauschale?)


Zwei Jahre weiter sitzen Sie da, wo Sie bei der
Westerwelle-Rede gesessen haben, nämlich hinten im
Plenum, also genau da, wo diese Bundesregierung hin-
gehört.

Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Anhaltender Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Dünne Suppe!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514102500

Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Frak-

tion, Franz Müntefering.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Abfall!)



Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514102600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was CDU
und CSU nie gewagt haben, nämlich eine Agenda 2010,
hat diese Koalition begonnen. Darauf sind wir stolz. Wir
sind damit auf einem guten Weg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

Unser Kurs für Deutschland ist anstrengend; aber er

ist richtig. Mehr und mehr wird deutlich, dass die Er-
folge kommen. Bei der Krankenversicherung ist klar ge-
worden, dass die Einnahmen in diesem Jahr deutlich hö-
her liegen, als es im vergangenen Jahr der Fall war. Wir
haben 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen und Ganz-
tagseinrichtungen zur Verfügung stellen können.

Bei den Ausbildungsplätzen haben wir Ergebnisse,
die deutlich besser sind, als sie zu Beginn dieses Jahres
noch schienen. Denn es haben mehr junge Menschen die
Schule verlassen. Ich will an Herrn Braun vom DIHK
und Herrn Philipp vom Zentralverband des Deutschen
Handwerks ein ausdrückliches Dankeschön richten. Was
in Teilen der Wirtschaft und auch im Handwerk in den
letzten Wochen und Monaten in dieser Hinsicht geleistet
worden ist, ist aller Ehre wert. Das ist ein gutes Ergeb-
nis.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber das haben wir gemacht und nicht Sie. Das haben
wir organisiert.

Wir holen durch die Zusammenlegung von Arbeitslo-
senhilfe und Sozialhilfe 1 Million Menschen aus der
Sackgasse der Sozialhilfe. Ich hätte mir gewünscht, dass
das auf einigen der Plakate, die es bei den Demonstratio-
nen dazu gab, gestanden hätte. Es werden nämlich
1 Million erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger – mit
Kindern sind es 1,3 bzw. 1,4 Millionen –, die überwie-
gend in der Sackgasse der Sozialhilfe stecken, wieder an
Beschäftigung herangeführt. Somit bekommen sie wie-
der eine Lebensperspektive. Das ist das Ergebnis unserer
Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Beschäftigtenzahl steigt. Die Nachfrage nach Ar-
beit ist größer geworden. Das heißt, beides ist gestiegen:
die Zahl der Arbeitslosen, aber auch die Zahl der Be-
schäftigten. Auch das müssen wir messen und können
wir als Ergebnis unserer Politik zur Kenntnis nehmen.

Die Zahl der Überstunden wird wieder zunehmen.
Am Rande des Arbeitsmarktes ist Bewegung. Das, was
wir jetzt erleben, ist bei solchen Konjunkturentwicklun-
gen, wie wir sie jetzt haben, üblich. Das Plus von 1,8
oder 1,7 Prozent in diesem Jahr wirkt sich noch nicht in
diesem Jahr deutlich auf den Arbeitsmarkt und die Steu-
erkassen aus. Aber es hat seine Wirkung und wird im
nächsten Jahr deutlicher als jetzt erkennbar sein.

Diese 1,7 oder 1,8 Prozent sind nicht das, was wir uns
wünschen. Aber sie sind auf der Basis des Wohlstandes,
über den dieses Land verfügt, eine gute Sache. Ein Plus
von 1,8 Prozent bei uns sind mehr als 5 Prozent in Portu-
gal; das bleibt richtig. Deshalb sind wir stolz auf diese
1,8 Prozent.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden im nächsten Jahr vergleichbare Höhen ha-
ben.
Zu dem richtigen Weg gehören die 34 Prozent, die wir
im Haushalt des Ministeriums für Forschung und Ent-
wicklung draufgelegt haben. Auch da gibt es den
Wunsch, es möge mehr sein. Aber auch hier sei der Hin-
weis erwähnt, dass es Bedingungen gibt, die zeigen, dass
es mehr werden kann. Dass wir dafür das Geld, das heute
im Rahmen der Eigenheimzulage für andere Zwecke
eingesetzt wird, brauchen, ist gesagt worden.

Es wird immer deutlicher: Die Anstrengungen lohnen
sich für alle – und dies heute und morgen. Es wächst
neues Vertrauen. Die Situation, in der wir waren und in
der wir noch sind, ist zu begreifen: Wenn man einen
Wandel von erheblichem Umfang anstrebt und auslöst,
dann verunsichert das die Menschen. Aber die Wahrheit
ist – das müssen wir in unserem politischen Handeln er-
kennbar machen –: Sicherheit, soweit dies überhaupt
möglich ist, wird man nur durch einen deutlichen Wan-
del erreichen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist die Aufgabe, in der wir stecken, wobei wir versu-
chen, Dinge in Bewegung zu bringen.

Frau Merkel hat eben nachgefragt, weshalb auf dem
Binnenmarkt relativ wenig Entwicklung sei bzw. weni-
ger Bewegung, als man sich das wünschen würde, und
weshalb die Menschen weiter sparen. Eines kann man
sagen: Diskussionen über die Sozialsysteme, so wie sie
im Moment in der Union mit einem Durcheinander, was
die Perspektive angeht, und einer Ziellosigkeit, die die
Menschen sich fragen lässt, wohin es in diesem Land ge-
hen soll, geführt werden und geführt worden sind, sind
Gift für den Binnenmarkt. Denn sie sind Gift für die
Selbstgewissheit der Menschen in diesem Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Landes
wächst wieder, auch das Vertrauen in die politische Linie
der Koalition.


(Lachen des Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU])


Die Zeit, in der sich die CDU/CSU, weil wir mit der Sa-
che zu tun hatten, sicher fühlen und Pöstchen verteilen
konnte, ist vorbei.
Gestern ein Merz ohne Pfiff und ohne Biss,


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


heute eine Parteivorsitzende ohne Merz und ohne
Seehofer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das C in dem Namen Ihrer Partei, Frau Merkel, erinnert
immer mehr an Chaos.

Zu Herrn Glos, der heute Morgen auch schon gespro-
chen hat, doch noch ein Wort. Ich habe mir überlegt, ob
man sich damit länger beschäftigen sollte. Ich will mich






(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

darauf beschränken, ihn einmal selbst zu zitieren. Er hat
jetzt einen netten Artikel in der „Zeit“ veröffentlicht und
darin gibt es ein schönes Zitat von ihm, das, glaube ich,
alles sagt. Glos in der „Zeit“:

Ich hoffe, dass es meinem Land nie so dreckig geht,
dass es auf Leute wie mich zurückgreifen muss.

Das finde auch ich, und dann stimmen wir wieder über-
ein.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ist damit Müntefering gemeint?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514102700

Herr Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des angesprochenen Kollegen Glos?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514102800

Ja, bitte schön.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1514102900

Herr Müntefering, wären Sie zu so viel Selbstironie in

der Lage?

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so wie bei Abgeordneten der FDP)



Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514103000

Wenn das Selbstironie ist, dann ist das ja in Ordnung;

das habe ich ja genau so aufgefasst. Denn Sie haben iro-
nisch beschrieben, wie es sich tatsächlich verhält. Sie ha-
ben gesagt, Sie hoffen, dass es dem Land nie so dreckig
geht, dass es auf Leute wie Sie angewiesen ist. Das ist
eine schöne Ironie; dazu kann ich Sie nur beglückwün-
schen. Das ist wirklich gut.


(Beifall bei der SPD)

In den vergangenen Monaten ist in der deutschen Po-

litik einiges klarer geworden. Wir setzen uns mit unserer
Politik durch und das ist gut. Das ist wie im Irakkonflikt,
als die CDU/CSU überwiegend meinungslos laviert hat.
Heute verhält sie sich in der Innenpolitik genauso wie
damals beim Irakkonflikt.

Zu den Fragen der Innenpolitik gehört auch die Bildung.
Auch Frau Merkel hat eben wieder betont: Die Bildung
ist sehr wichtig. Darüber können wir uns schnell einigen.
Wenn wir uns die Meldungen über die neue PISA-Studie
anschauen, dann ist eines klar – ohne dass wir die Ergeb-
nisse, die erst Anfang Dezember veröffentlicht werden,
genauer kennen –: Drei Dinge müssen in diesem Land in
Angriff genommen werden. Die frühkindliche Bildung
muss ein größeres Gewicht bekommen, als sie es bisher
hat. Dafür treten wir ein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Die hat bei Ihnen gefehlt, Herr Müntefering!)

– Bei Ihnen hat sie offensichtlich nicht funktioniert, Herr
Glos; sonst würden Sie nicht immer dazwischen-
schreien. Hören Sie einmal genau zu!


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr primitiv! Schämen Sie sich!)


„Frühkindlich“ heißt auch: bei den unter Dreijährigen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie haben wenig dazugelernt!)

Den Begriff „Krippe“ kennen Sie doch in Bayern gar
nicht. Sie glauben, das hätte etwas mit Weihnachten zu
tun; es hat aber auch noch etwas mit den unter Dreijähri-
gen zu tun, Herr Glos.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Das hat auch was damit zu tun, wo man dransitzt und sich mästet!)


Wir wissen alle, wie wichtig die ersten Jahre im Leben
eines Menschen sind.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Da ist bei Ihnen etwas versäumt worden!)


Also fangen wir dort an. Der Bund gibt den Städten und
Gemeinden freiwillig Geld, damit sie sich in diesem Be-
reich besser engagieren können als bisher. Das ist rich-
tig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Nein! Das ist falsch! Da bleibt nichts übrig!)


Das zweite, was ich zum Thema Bildung sagen will,
betrifft die Selektion, die Feststellung, für welche wei-
terführende Schule jemand mit neun oder zehn Jahren
geeignet ist. Wir machen auf der Bundesebene keine
Vorschläge und treffen keine Festlegungen darüber, wel-
che Strukturen eine Schule haben soll. Ob man das nach
acht, zehn oder zwölf Jahren in der Schule entscheiden
muss, das weiß ich nicht und will es auch nicht festle-
gen. Das muss in den Ländern entschieden werden. Ei-
nes allerdings ist klar – davor kann niemand mehr weg-
laufen, auch nicht mit waghalsigen Begriffen, die
agitatorisch dagegengesetzt werden –: In einem Alter
von neun oder zehn Jahren zu entscheiden, welche wei-
terführende Schule ein Mensch besuchen kann – das ist
zu früh, das ist falsch; das muss korrigiert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben in Deutschland festzustellen, dass
75 Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien eine
Universität besuchen, dass es aber bei Arbeiterfamilien
oder solchen mit den untersten Einkommen nur
20 Prozent sind. Das ist nicht in Ordnung. Darauf gibt es
keine schnelle Antwort. Anfangen müssen wir bei den
Kindern selbst. Wir müssen die Eltern ansprechen; wir
müssen die Schulen ansprechen, aber wir müssen auch
die Kinder ansprechen. Deshalb sage ich im Hinblick auf
den von mir angesprochenen Sachverhalt, aber auch im
Hinblick auf den Sachverhalt der Migration:






(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

Wir müssen uns in Deutschland darauf verständigen, ei-
nen Sprachtest für die Vier- bis Fünfjährigen einzufüh-
ren. Kinder, deren Sprachkompetenz deutliche Mängel
aufweist, müssen einen obligatorischen Sprachkurs be-
suchen, sodass sie die Möglichkeit erhalten, in der
Schule zu bestehen. So praktisch und einfach ist das zu
regeln, aber es kostet auch Geld.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass manches in diesem Bereich in Deutschland im
Argen liegt, ist wahr, aber nicht Schuld des Bundes.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Am ärgsten ist es dort, wo die SPD am längsten regiert hat!)


Es ist nicht Ihre und nicht unsere Schuld. Da Frau
Merkel soeben betont hat, in der Föderalismuskommis-
sion müsse klar sein, dass sich der Bund nicht in das
Schulwesen einmischen dürfe, möchte ich noch einmal
klarstellen, dass das niemand von uns gefordert hat. Ich
weiß nicht, wer Sie darüber informiert hat, ich möchte es
hier nur noch einmal klarstellen. Wir kennen diese Ein-
stellung und respektieren sie. Die Verantwortung für die
Schulen liegt bei den Ländern.

Hochmut ist an dieser Stelle jedoch nicht nötig; denn
das, was in den letzten 20 Jahren von der KMK geleistet
worden ist, ist so gut offensichtlich auch wieder nicht
gewesen; denn sonst hätte es Weltspitze zutage geför-
dert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das muss man unter Freunden aus Bund und Ländern
auch sagen dürfen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Macht er unser Land schlecht?)


Sie klagen über Löcher im Haushalt und verhindern
gleichzeitig den Abbau von Steuervergünstigungen.
Das ist eine Geschichte, die Sie offensichtlich völlig ver-
drängen. Im März oder April des letzten Jahres gab es
die Möglichkeit, im Bundesrat zu stehen. Wenn diejeni-
gen, die im Bundesrat in der Mehrheit sind – hier sind
sie in der Opposition –, mitgestimmt hätten, hätten die
Kommunen 4,4 Milliarden Euro, die Länder 8 bis 9 Mil-
liarden Euro mehr gehabt und auch der Bund stünde in
dieser Legislaturperiode besser da.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Völlig falsch!)


Die Spitze der Heuchelei ist, wenn CDU-Bürgermeis-
ter oder -Ministerpräsidenten durchs Land marschieren
und sich darüber beschweren, dass sie kein Geld haben,
aber dann, wenn es bei der Abstimmung darauf an-
kommt, kneifen. Das geht nicht und das lassen wir Ihnen
auch nicht durchgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Das ist auch nicht gemacht worden!)

Sie sprechen über den Schuldenstand. Herr Merz hat
gestern damit begonnen und Frau Merkel hat es heute
fortgesetzt. Damit Sie wissen, wie es zu diesem Stand
kam, möchte ich ganz nüchtern die Zahlen nennen: Im
Jahr 1982 lag die Verschuldung pro Kopf bei
2 750 Euro. In den 16 Jahren Helmut Kohl kamen
11 220 Euro pro Kopf dazu. Das macht 68 Prozent des
heutigen Schuldenstands aus. Bei uns sind noch einmal
2 530 Euro hinzugekommen. Während Ihrer Regie-
rungszeit – ich sage es noch einmal – wuchs die Ver-
schuldung um 11 220 Euro. Das zu dem Thema, wie viel
Schulden in jedem Kinderwagen oder jedem Kinderbett-
chen liegen. Sie haben uns weiß Gott nichts vorzurech-
nen. Erinnern Sie sich einmal daran, was Sie in der Re-
gierungszeit von Helmut Kohl aufgehäuft haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Rot-grüner Schuldenrekord!)


Bei Hartz IV waren Sie halbherzig dabei: hinter ver-
schlossenen Türen knallhart, beim leichtesten Gegen-
wind aber butterweich. Herr Milbradt hat seine Quittung
dafür schon bekommen. Er hat die Mehrheit verloren
und im Sächsischen Landtag Schwierigkeiten gehabt,
gewählt zu werden. Auch der Generalrevisor Rüttgers in
Nordrhein-Westfalen sackt mittlerweile durch. Sein Vor-
sprung ist hin.

Dies ist überhaupt ein interessantes Thema. Im Fe-
bruar wird in Schleswig-Holstein und im Mai in Nord-
rhein-Westfalen gewählt. Heide Simonis und Peer
Steinbrück haben gut aufgeholt. Sicher geglaubte Wahl-
siege der CDU geraten ins Wanken.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Warten Sie ab!)


Es stellt sich heraus: Rot-Grün ist eben doch das Beste,
was es zurzeit als Koalition in Deutschland gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Entscheidungen sind offen. Wir können es schaffen.
Es macht wieder Spaß. Für einen Wahlsieg von Heide
Simonis nehme ich sogar in Kauf, dass auch in den kom-
menden Jahren hier in der ersten Reihe Herr Austermann
sitzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte zu Hartz IV zurückkommen. Es ist interes-
sant zu sehen, wie unterschiedlich die Einführung an-
läuft. Wenn man sich beispielsweise in Lübeck in Schles-
wig-Holstein umsieht und mit den Verantwortlichen der
Arbeitsgemeinschaft spricht, weiß man, dass sie funktio-
nieren wird. Rund 80 Prozent der Anträge sind bereits
eingegangen, die meisten auch schon bearbeitet. Mitte
Dezember soll die Vorbereitungsphase abgeschlossen
sein. Dass es so gut läuft, ist auch darauf zurückzuführen,
dass sich die Ministerpräsidentin persönlich darum küm-
mert und dafür sorgt, dass es vorangeht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Um jeden Antrag?)







(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

Aus anderen Regionen, beispielsweise aus Hessen,

hört man anderes. Ich kann nur davor warnen, durch
schleppende Einführung zu versuchen, das ganze Sys-
tem infrage zu stellen. Das geht auf Kosten der Men-
schen.

Wundern würde eine solche Taktik der Hessischen
Landesregierung allerdings nicht; denn vergleichbar ver-
hält sie sich auch beim Projekt der Ganztagsschulen. Die
Behauptung von Herrn Koch, dass es nichts nütze, für
die Ganztagsschulen für die Dauer von vier Jahren je-
weils 1 Milliarde Euro pro Jahr zur Verfügung zu stellen,
und dass diese Maßnahme zu nichts außer zu Cafeteria-
programmen führe, steht in erheblichen Widerspruch zu
den Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht wur-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Ministerpräsidenten von CDU und CSU, die der
Koalition bei diesem Thema keinen Erfolg wünschen,
versuchen, dieses Projekt schlechtzureden, dann ist das
gegenüber den Menschen in ihrem eigenen Land nicht in
Ordnung.

Diese seltsame Art und Weise, mit der Innenpolitik
umzugehen, hat sich auch bei den Beratungen des Haus-
haltes, über den wir im Augenblick sprechen, gezeigt.
Ich will nur ein paar Ihrer unglaublichsten Änderungs-
vorschläge vortragen: Für die Sozialhilfe wollen Sie im
nächsten Jahr 1 Milliarde Euro weniger zur Verfügung
stellen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!)

– Das ist Quatsch; das ist richtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Kürzung hätte natürlich Konsequenzen für dieje-
nigen, für die dieses Geld eingeplant war. Sie wollen,
dass die Mittel für die Bundesagentur für Arbeit um
1 Milliarde Euro gekürzt werden.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Fragen Sie doch mal den, der das beantragt hat!)


Das passt zu dem, was ich eben angesprochen habe. Sie
wollen ihr das Geld wegnehmen, das sie braucht, um die
vernünftige Umsetzung von Hartz IV gewährleisten zu
können. An dieser Stelle wollen Sie also 1 Milliarde
Euro streichen; so ist das.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bei den Ich-AGs!)


Besonders peinlich ist: Sie wollen die Mittel für die Pro-
gramme gegen Rechtsextremismus um 5 Millionen
Euro kürzen.


(Zurufe von der SPD: Ja! – Genau!)

Sie haben sich geweigert zuzustimmen, diese Mittel bei
ihrer bisherigen Höhe zu belassen.

Vor diesem Hintergrund habe ich mir die Haushalte
der letzten Jahre angesehen und festgestellt, dass die
CDU/CSU-Fraktion im Jahre 2003 die Mittel für die
Programme gegen Rechtsextremismus und die damit zu-
sammenhängenden Probleme um 20 Millionen Euro
kürzen wollte. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie über
die Verwerfungen in diesem Lande sprechen und sagen,
worum man sich kümmern muss, dann sollten Sie an
dieser Stelle ganz vorsichtig sein. In diesem Bereich pas-
siert nämlich Folgendes: Hier engagieren sich junge wie
ältere Leute in kleinen und größeren Organisationen. Sie
haben nur relativ wenig Geld zur Verfügung. Sie machen
den Menschen Mut, die von Rechten bzw. – um es kon-
kret zu sagen – von Neonazis verfolgt sind. Das ist eine
sehr ehrenwerte Sache, die wir würdigen sollten, statt die
Mittel für diesen Bereich zu kürzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Einer Ihrer Vorschläge ist, alle Steinkohlezechen in
Deutschland sofort stillzulegen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!)

Hier sollen 1,6 Milliarden Euro gestrichen werden. Wer
sich ein bisschen mit den Zusammenhängen in diesem
Bereich auskennt, der weiß: Wenn man die Vereinbarung
bricht und kein Geld mehr zahlt, dann ist das zu Ende.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Kennen Sie die Liquidität der Unternehmen? – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie pumpen sich doch zurzeit Geld bei der Steinkohle!)


Wenn Sie, Herr Austermann und Herr Westerwelle, an
dieser Stelle 1,6 Milliarden Euro streichen, dann bedeu-
tet das, dass alle Steinkohlezechen, die es in unserem
Land gibt, im nächsten Jahr stillgelegt werden müssen.
Das ist unverantwortlich und widerspricht allen Verein-
barungen, Herr Austermann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist völliger Quatsch! Sie pumpen sich Geld bei der Kohle!)


Der interessanteste Kürzungsvorschlag der FDP ist,
die Zuschüsse zur gesetzlichen Krankenversicherung
um 1 Milliarde Euro zu kürzen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Das sagt die Fraktion, die immer so viel über Lohnne-
benkosten redet. 1 Milliarde Euro weniger für die ge-
setzliche Krankenversicherung bedeutet, dass die Lohn-
nebenkosten steigen bzw. weniger gesenkt werden
können. Etwas anderes kann das nicht sein.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was ist denn mit der Tabaksteuer? – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wer hat das unsinnige Tabaksteuergesetz gemacht?)


Logisch und konsequent finde ich das alles nicht. Sie
wollen nur zeigen, dass Sie etwas anders als wir machen
wollen.

Weil all das mit der Frage zu tun hat, wer eigentlich
für dieses Land kämpft und sorgt, sprechen Sie gerne






(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

von Patriotismus. Sie versuchen dabei, das Land
schlechtzureden und klein zu machen. Frau Merkel, Ih-
nen fehlt die Souveränität, auch als Opposition unserem
Land zu dienen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihnen fehlen Augenmaß und Verantwortung. Deshalb
sage ich: Wer Patriot ist, der sorgt dafür, dass Sie dieses
Land nicht regieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Legende von der Kopfpauschale zeigt Ihre Unfä-
higkeit, ein vernünftiges Ziel zu beschreiben und den
Weg dahin zu markieren. Das Problem, das Sie haben,
ist: Sie glauben, je rigoroser eine Reform ist, desto bes-
ser ist sie. Dem ist aber nicht so. Reformen sind kein
Selbstzweck. Sie dienen einem Ziel. Dieses Ziel muss
man beschreiben. Wenn man dieses Ziel nicht klar vor
Augen hat, kann man die Reformen, die man durchführt,
nicht auf dieses Ziel ausrichten.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Jetzt kritisieren Sie den Bundeskanzler!)


Das ist Ihr Problem.
An dieser Stelle sind wir entschieden und sagen ganz

klar: Wir werden unser Sozialwesen stärker als bisher
mit einem vernünftigen Mix von Sozialversicherungs-
systemen bisheriger Art, Steuern und Zuzahlungen zu
organisieren haben.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Jetzt kritisiert er den Bundeskanzler aber ganz gewaltig!)


Aber der Kern bleibt auf jeden Fall solidarisch finan-
ziert. Denn trotz allem, was man sich sonst vorstellen
kann, ist eines ganz sicher: Die beste Sicherung der exis-
tenziellen Risiken des Lebens besteht darin, dass Men-
schen für Menschen, Generationen für Generationen,
Gesunde für Kranke und Junge für Alte eintreten. Das ist
der Grundgedanke unserer Sozialsysteme. Das wollen
wir auch in Zukunft so halten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie reden von Prinzipien, halten sich aber nicht an sie.
Das gilt auch für den Bereich der Demokratie. Hier wen-
den Sie sich zum Beispiel gegen die Möglichkeiten, die
die Einführung von Plebisziten und Referenden bieten
würde. CDU und CSU tun dies übrigens unterschiedlich
stark. Die FDP sieht das Gott sei Dank anders. Ich hoffe,
dass wir darüber in einem vernünftigen Ton sprechen
können. Aber Sie wenden sich auch gegen das, was De-
mokratie in unserer Wirtschaft ausmacht: Mitbestim-
mung und Betriebsverfassung, Kündigungsschutz. Sie
sagen: Kleinigkeit, es macht doch nichts, wenn der Kün-
digungsschutz erst für Betriebe ab 20 Mitarbeitern gilt.
Das hieße aber, in 90 Prozent aller Betriebe gäbe es
überhaupt keinen Kündigungsschutz mehr. Das wäre das
Ergebnis dessen, was Sie fordern – mit den Konsequen-
zen für den Arbeitsmarkt, die Sie kennen.
Die Mitbestimmung ist ein Teil der Kultur unseres
Landes, sie hat uns allen genutzt. Deshalb werden wir sie
nicht aufgeben. Das gilt für die Betriebsverfassung in
gleicher Weise und auch für die Tarifautonomie. Wir
wissen, dass Betriebe erfolgreich sein müssen, dass sie
schwarze Zahlen schreiben müssen, aber wir wissen
auch, dass die Menschen in den Betrieben – die Gewerk-
schafter, die Betriebsräte, die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer – bereit und willens sind und tausendmal
bewiesen haben, dass sie nicht die fünfte Kolonne im
Betrieb sind, sondern dass sie mithelfen, dass der Betrieb
einen guten und erfolgreichen Weg einschlagen kann.
Dass wir Mitbestimmung haben, tut unserer Wirtschaft
gut und nicht umgekehrt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein paar Worte zu der Diskussion der letzten Tage
über Fragen der Migration in diesem Lande; sie ist in
erheblichem Maße von Herrn Stoiber und anderen aus-
gelöst worden. Frau Sager hat dazu einiges gesagt. Ich
will das ausdrücklich unterstreichen und mich dafür be-
danken; auch für das, was der Bundeskanzler dazu ge-
sagt hat. Heute lese ich, dass 65 Prozent der Menschen
bei uns im Lande sagen, dass Ausländer und Deutsche in
ihrer Gegend ein normales, nachbarschaftliches Verhält-
nis pflegten. 22 Prozent sagen, es gibt ein sehr gutes Ver-
hältnis zueinander. Deshalb sage ich: Wir müssen in
Deutschland aufpassen, dass wir nicht leichtfertig eine
Debatte beginnen und sich ausweiten lassen, die so nicht
geführt werden sollte. Alles in allem ist das Zusammen-
leben zwischen Deutschen und Nichtdeutschen in Ord-
nung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat etwas damit zu tun, dass viele bereit sind, sich
einzubringen und sich gemäß unserem Grundgesetz zu
verhalten. Da das Wort so oft auf die Kultur des Landes
kommt, soll noch einmal an das Grundgesetz erinnert
werden. Darin steht das, was die gemeinsame Basis für
uns alle in diesem Land sein kann:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-
lichen Gewalt.
Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unver-
letzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten
als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft,
des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer
verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige
Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.







(A) (C)



(B) (D)


Franz Müntefering

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner
Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner
Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner reli-
giösen oder politischen Anschauungen benachtei-
ligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden.

Wenn wir uns fragen, was die Grundlage dafür ist,
wie wir gemeinsam in diesem Land leben wollen – die,
die einen deutschen Pass haben, und die, die einen ande-
ren Pass haben –, dann ist es dieses.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir leben in diesem Land und auch in diesem Haus
mit sehr unterschiedlichen eigenen Erfahrungen, was
Religion angeht. Wie in der gesamten Republik gibt es
auch hier Christen, Agnostiker und Atheisten. Viele von
uns wissen gar nicht, wie der andere an dieser Stelle
letztlich denkt. Das ist auch nicht schlimm,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ist alles egal!)


weil die Politik, die Gesellschaft und der Staat nicht die
Aufgabe haben, die letzten Sinnfragen des Lebens zu lö-
sen. Das ist die Sache jedes Einzelnen. Die gemeinsame
Basis, die durch dieses Grundgesetz gelegt wurde, kann
uns alle miteinander tragen. Das muss auch für diejeni-
gen gelten, die mit einem anderen Ausweis hier bei uns
im Lande leben.

Ich glaube, dass wir hier nicht mutlos sein dürfen. Wir
selbst haben in unserem Land über viele Jahre, Jahrzehnte
und Jahrhunderte hinweg eine Erfahrung gemacht, die
wir nicht beiseite schieben dürfen. Leute meiner Alters-
klasse sind noch in eine katholische oder – zwei Straßen
weiter – evangelische Grundschule gegangen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sie sind in die Schule gegangen? – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Davon merkt man aber nichts mehr!)


In der politischen Landschaft dieses Landes wurde da-
rüber gestritten, ob Katholiken und Evangelen zusam-
men in eine Schule gehen können. Danach wurde da-
rüber gestritten, ob Jungen und Mädchen gemeinsam in
eine Schule gehen können. Das alles geschah während
meines Lebens und wir feixen jetzt herum, wenn Men-
schen, die aus anderen Kulturen kommen, heute noch
solche Vorstellungen haben und sich erst an das gewöh-
nen müssen, was wir längst gelernt haben. Warum haben
wir nicht den Mut, die große Idee der Freiheit und des
sozialen Fortschritts, die mit diesem Grundgesetz und
mit dieser Republik verbunden ist, auch ihnen nahe zu
bringen? Ich sage euch: Das werden wir miteinander
doch schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weshalb sind Sie an dieser Stelle so defensiv?
Abschließend bitte ich darum, sich gegenseitig ernst

zu nehmen und Menschen nicht zu demütigen. Das
scheint mir beim Umgang mit den Menschen anderen
Glaubens, anderer Religion und anderer Herkunft das
Wichtigste zu sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Manchmal ist das bei uns nicht so. Wir begegnen ihnen
und sagen ihnen etwas mit der Geste eines Besserwis-
sers. Ich weiß, dass dies leicht geschieht. Selbst das, was
ich eben gesagt habe, strahlte aus, dass wir Recht haben
und dass sie sich unserem Grundgesetz unterordnen sol-
len; das ist so und das meine ich auch so. Deshalb ist es
wichtig, dass man dies in einer Art und Weise tut, durch
die die Menschen nicht gedemütigt werden. Das ist mir
ganz wichtig. Manchmal klingt das aber durch.

Wir müssen auch aufpassen, dass sich diese Debatte
um die Integration nicht auf unselige Weise mit Terro-
rismus und Extremismus vermischt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Integration und
die Entwicklung dieses Landes mit 3,3 Millionen musli-
misch geprägten Menschen sind etwas anderes als die
Unterstützung des Extremismus und des Terrorismus in
dieser Welt. Das dürfen wir nicht miteinander vermi-
schen.

Ich glaube, dass wir die Debatte, die im Augenblick
geführt wird, nutzen können, um daraus etwas Gutes zu
machen. Ich bin mir sicher, dass wir das können, wenn
wir uns darüber bewusst sind, dass wir nicht unfehlbar
sind – weiß Gott nicht – und dass dieses Land mit die-
sem Grundgesetz und aufgrund der Praxis, in der wir
miteinander leben, eine Grundlage dafür hat, das zu
schaffen. Wir werden die, die hinzukommen, davon
überzeugen, dass dieses Grundgesetz und die Grund-
werte unserer Politik auch für sie den Weg in eine ge-
meinsame gute Zukunft zeigen.

In diesem Sinne vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514103100

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto

Solms für die FDP-Fraktion, dem ich im Namen des
ganzen Hauses zu seinem heutigen Geburtstag herzlich
gratulieren möchte.


(Beifall)

Leider hat ihm seine Fraktion nur eine so schäbig kurze
Redezeit eingeräumt, dass sie gerade zum Dank für die
Glückwünsche reicht.


(Heiterkeit)

Ich setze Ihr Einverständnis damit voraus, dass der Prä-
sident die angemeldete Redezeit noch liberaler interpre-
tiert als seine eigene Fraktion.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514103200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

bedanke mich bei Ihnen für die Glückwünsche. – Die






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms

kurze Redezeit zwingt mich dazu, mich auf Wesentliches
zu konzentrieren. Das will ich auch tun.

Herr Müntefering hat durchaus Recht: Unsere Auf-
gabe als Politiker, aber auch die der Bundesregierung ist
es, alles dafür zu tun, dass die Lebensverhältnisse der
Menschen in Deutschland verbessert werden und sie
neue Lebenschancen bekommen. Wo drückt sich das
besser aus als in der Arbeitslosen- und Beschäftigungs-
statistik? Da muss ich Ihnen nun Folgendes vorhalten:
Im Oktober 1998 waren es 3,893 Millionen Arbeitslose.
Im Oktober dieses Jahres waren es 4,2 Millionen Ar-
beitslose. Eine Verbesserung ist dort beim besten Willen
nicht festzustellen. Es ist immer gut, sich an die Fakten
zu halten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine leichte Verbesserung gibt es ausschließlich bei den
geringfügig Beschäftigten oder den in Ich-AGs Beschäf-
tigten,


(Franz Müntefering [SPD]: Was heißt denn „ausschließlich“?)


von denen wir wissen, dass sie aus dem Wettbewerb
weitgehend wieder ausscheiden werden. Es gibt also
keine nachhaltige Verbesserung.

Ich habe den Reden des Herrn Bundeskanzler und des
Bundesfinanzministers sehr aufmerksam zugehört und
habe überhaupt keine neuen strategischen Vorschläge er-
kennen können.

Die Schlacht um die Agenda 2010 hat die rot-grüne
Truppe so erschöpft, dass sie jetzt für anderthalb Jahre in
die Reha geschickt werden muss. Es soll nichts mehr ge-
schehen – das habe ich aus den Reden herausgehört.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei hat Rot-Grün einige vernünftige Ansätze gehabt
– darauf will ich noch einmal hinweisen –, aber durch
eine schlechte Ausführung den Ansatz von vornherein
zunichte gemacht.

Der erste Ansatz, Herr Bundesfinanzminister, war
Ihre Steuerreform. Sie war halbherzig und ist auf halbem
Wege stecken geblieben, von Vereinfachung konnte
keine Rede sein. Aber sie hatte auch vernünftige An-
sätze. Warum hat sie keine ökonomische Wirkung er-
zielt? Durch Steuererhöhungen an anderer Stelle und
durch Erhöhung der Beiträge für die sozialen Siche-
rungssysteme haben Sie den Effekt wieder zunichte ge-
macht.

Die Bürger und Unternehmen wurden nicht entlastet.
Deswegen ist es kein Wunder, dass wir im vierten Jahr in
Folge einen Rückgang der Investitionstätigkeit in
Deutschland verspüren. Das hat zur Steigerung der Ar-
beitslosigkeit beigetragen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir, die FDP, legen einen konkret ausformulierten
Vorschlag für eine Steuerreform vor, der zu einer drama-
tischen Vereinfachung des Steuerrechtes führen würde
und in der Lage wäre, das Vertrauen von Sparern und In-
vestoren in Deutschland zurückzugewinnen. Darauf
kommt es an. Das muss angegangen werden; denn wenn
wir nicht zu Entlastungen kommen, dann wird es keinen
Investitionsprozess, keine neuen Arbeitsplätze und auch
nicht mehr Steuer- und Beitragszahler geben. Das heißt,
dass dann die Haushalte und die sozialen Kassen in noch
größere Not geraten werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der zweite richtige Ansatz der Regierung war, der
Rentenversicherung eine kapitalgedeckte private Alters-
vorsorge zur Seite zu stellen, Stichwort: Riester-Rente.
Wir, die FDP, haben damals Walter Riester bei seinem
Vorhaben klar unterstützt. Warum ist die Riester-Rente
ein Flop geworden?


(Joachim Poß [SPD]: 4 Millionen Verträge sind kein Flop!)


Sie haben überreguliert, bürokratisiert und bestimmte
Kriterien eingezogen – ich nenne hier beispielsweise das
Verbot der Vererbbarkeit –, sodass die Bürger die
Riester-Rente nicht in der notwendigen Weise angenom-
men haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Schlimme dabei ist, dass Sie ein gutes Vorhaben da-
durch, dass Sie es schlecht ausgeführt haben, in den Au-
gen der Öffentlichkeit diskreditiert haben. Das Ergebnis
ist, dass ein neuer Anlauf schwerlich auf Akzeptanz sto-
ßen wird.

Der dritte Ansatz ist Hartz IV. Es ist richtig, arbeits-
fähige Menschen ohne Beschäftigung wieder in Lohn
und Brot bringen zu wollen und dabei auch Druck auszu-
üben. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die
andere Seite der Medaille ist, dass Sie den Arbeitsmarkt
zwingend öffnen und liberalisieren müssen, damit die
Menschen überhaupt eine Chance auf Beschäftigung be-
kommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genau das haben Sie nicht getan, weil die Gewerk-
schaftsmitglieder in Ihren eigenen Reihen das verhindert
haben. Es ist zwingend notwendig, den Arbeitsmarkt zu
öffnen, das Kündigungsschutzrecht zu liberalisieren, die
Tarifautonomie durch betriebliche Bündnisse für Arbeit
zu ergänzen und ähnliche Maßnahmen zu ergreifen, da-
mit diejenigen, die jetzt weniger Geld erhalten, die
Chance haben, durch eigene Arbeit ihr Einkommen zu
verbessern. All das ist nicht geschehen. Auch dazu hat
die FDP ganz konkrete, vernünftige und sofort umsetz-
bare Vorschläge gemacht. Das wird alles in das Wahlpro-
gramm einfließen, wenn Sie nicht bereit sind, freiwillig
den Weg der Erkenntnis zu gehen.


(Beifall bei der FDP)

Schließlich noch ein Wort zur Gesundheitspolitik: Mit

Ihrer Bürgerversicherung haben Sie sich völlig






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms

verrannt. Das einzig Gute daran ist der Name. Sie reden
schon gar nicht mehr über die Inhalte,


(Peter Dreßen [SPD]: Die Inhalte sind gut!)

weil Sie wissen, dass das so nichts wird. Alle Berech-
nungen gehen daneben. Das Kanzleramt dämpft die Er-
wartungen und sagt, man solle nicht weiter darüber re-
den. Deswegen wird vor der Wahl auch nichts passieren.
Die CDU hat sich leider Gottes auch verrannt. Wir sind
bereit, beiden auf die Sprünge zu helfen, um zu einem
richtigen, wettbewerbsorientierten und bürgerorientier-
ten Gesundheitssystem, selbstverständlich mit sozialer
Flankierung, zu kommen.


(Beifall bei der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Solidarität wird bei Ihnen in der Krankenversicherung abgeschafft!)


Das wird uns auch hier aus der Not heraushelfen und ins-
besondere die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten
trennen, damit die Arbeit in Deutschland wieder wettbe-
werbsfähig wird.


(Beifall bei der FDP)

Wenn wir insgesamt im Ergebnis nicht zu mehr Wettbe-
werbsfähigkeit der Arbeit in Deutschland kommen, dann
sind alle anderen Versuche vergebens.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da sind wir uns einig!)


Deswegen müssen wir uns darauf konzentrieren. Dazu
machen wir konkrete Vorschläge, die auch angegriffen
werden können; aber das ist wenigstens eine ehrliche Po-
litik. Wir sind bereit, von heute ab sofort mit jedem zu-
sammenzuarbeiten, der uns hilft, so schnell wie möglich
Verbesserungen zu erzielen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514103300

Das Wort hat nun der Kollege Gerhard Rübenkönig,

SPD-Fraktion.


Gerhard Rübenkönig (SPD):
Rede ID: ID1514103400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir beraten heute Morgen den Haushalt des Bun-
deskanzlers. Seit jeher ist es parlamentarischer Brauch,
diese Beratung zur Generalaussprache über die Politik
der Bundesregierung zu nutzen. Das ist auch gut so,
doch leider habe ich heute Morgen von den Rednern der
Opposition keine inhaltliche Auseinandersetzung gehört.
Das tut mir sehr Leid.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Er hat es an den Ohren!)


Ich hätte Ihnen jetzt in meinem Redebeitrag inhaltlich
viel besser antworten können.

Der Haushalt des Bundeskanzlers ist ein reiner Sach-
und Personalhaushalt. Die Ausgaben sind mit
1,5 Milliarden Euro veranschlagt. Ich möchte zwei
Punkte nennen, die, wie ich denke, erwähnenswert sind.
Der eine ist das Gästehaus in Meseberg, das der Bun-
desregierung im nächsten Jahr zur Verfügung steht. Ich
möchte an dieser Stelle der Messerschmitt-Stiftung für
die großzügige Bereitstellung des komplett sanierten Ge-
bäudes danken. Ich sage das deshalb, weil ich von der
Opposition teilweise andere Verlautbarungen gehört
habe.

Der zweite Punkt ist: Wir haben die Stiftung Wissen-
schaft und Politik wiederum mit demselben Betrag wie
im vorigen Jahr versehen können. Wenn ich die vielen
Briefe, die ich bekommen habe, betrachte, dann kann ich
feststellen, dass das der Wunsch des gesamten Hauses
war.

Ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern und den Kolleginnen und Kollegen ganz
herzlich für die faire und sachliche Auseinandersetzung
über diesen Haushalt danken. Ich glaube, das ist ein gu-
ter Brauch.

Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle – ich habe die
Rede extra noch einmal nachgelesen – zur Agenda 2010
einige Bemerkungen gemacht und gesagt:

Meine Damen und Herren, durch die Umsetzung
der Agenda 2010 kann das Jahr 2003 in die Ge-
schichte eingehen, und zwar als das Jahr, in dem es
Politik und Gesellschaft gelungen ist, sich ein Stück
weit vom Besitzstands- und Anspruchsdenken zu
lösen und sich auf wirklich Wichtiges zu konzen-
trieren.

Heute stelle ich fest: Genau das ist geschehen.
Zwar haben Sie, meine Damen und Herren von der

Opposition, in den Verhandlungen des Vermittlungsaus-
schusses im Dezember 2003 einige Vorhaben, darunter
stärkere Steuersenkungen bereits zum 1. Januar 2004,
verhindert und sich gegen einen weiter gehenden Sub-
ventionsabbau – das ist gestern und heute in den Debat-
ten bereits angesprochen worden – gestemmt. Aber wir
haben die Phase der konjunkturellen Stagnation der letz-
ten Jahre überwunden und die Weichen für eine bessere
Zukunft des Landes gestellt.

Aus diesem Grunde können wir heute selbstbewusst
feststellen: Wenn das Jahr 2003 das Jahr der Entschei-
dung und der Einleitung der Erneuerungsbewegung ge-
wesen ist, so ist das Jahr 2004 das erste Reformjahr mit
konkreten Ergebnissen. Es ist ein Jahr, in dem zum ers-
ten Mal seit vier Jahren das Wirtschaftswachstum die
Prognosen vom Jahresbeginn übertroffen hat und durch
die Gesundheitsreform die Krankenkassenbeiträge sin-
ken. Bislang haben in diesem Jahr 28 Millionen Versi-
cherte von Beitragssenkungen profitiert.


(Peter Dreßen [SPD]: Hört! Hört!)

Es ist ein Jahr, in dem wir die wichtigsten Zukunfts-

aufgaben angepackt haben: Familie, Bildung und Inno-
vation. Es ist auch ein Jahr, in dem sich die ersten Anzei-
chen eines mentalen Wandels, eines neuen Optimismus
andeuten.






(A) (C)



(B) (D)


Gerhard Rübenkönig

Zwar waren einige Reformen teilweise unpopulär; der

Kanzler hat davon gesprochen. Insbesondere die Ar-
beitsmarktreformen haben zunächst Sorge und Verunsi-
cherung ausgelöst. Aber die Wahlergebnisse des Som-
mers – vor allem auch in Ostdeutschland – haben eines
deutlich gemacht: Wenn Politiker mit klarer Überzeu-
gung für den Reformprozess einstehen, dann können sie
die Wählerinnen und Wähler überzeugen. Ich denke,
dies hat Matthias Platzeck in Brandenburg eindrucksvoll
bewiesen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: 32 Prozent!)



(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Das sollte Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der

Opposition, eigentlich eine Lehre sein. Denn wie es
Herrn Milbradt in Sachsen ergangen ist, ist eindrucks-
voll aufgezeigt worden.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie viel Prozent hatte er mehr? – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wie viel Prozent hat Herr Platzeck? Wie viel hat die SPD in Sachsen?)


Deutschland ist auf Erneuerungs- und Wachstums-
kurs. Wer allerdings den Leitantrag des CSU-Partei-
vorstands für den Parteitag am vergangenen Wochen-
ende liest, gewinnt den Eindruck, Deutschland falle
zurück, das Wirtschaftswachstum lasse weiter nach und
Deutschland verliere im internationalen Wettbewerb.
Diese Schwarzmalerei wird durch die heutigen Beiträge,
aber auch durch öffentlichkeitswirksame Stimmen aus
Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt, die gerne in
sonntäglichen Talkshows Deutschlands Abstieg in teil-
weise düsteren Farben an die Wand malen. Hier sind die
Miesmacher vom Dienst am Werk, die unserem Land
und den hier lebenden Menschen nichts mehr zutrauen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was?)

In Wahrheit sieht es aber in Deutschland ganz anders

aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die letzten internationalen Untersuchungen zeigen uns
doch deutlich die Stärken des Standorts Deutschland.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Beispiel Transrapid mit den Grünen!)


Lassen Sie mich einige Faktoren nennen.
Erstens. Der Wettbewerbsbericht 2004/2005 des

World Economic Forum vom Oktober 2004 zeigt, dass
Deutschland unter den größeren europäischen Industrie-
nationen mit Abstand den ersten Platz belegt. Der Fi-
nanzminister hat in seiner gestrigen Rede deutlich darauf
hingewiesen. Er hat feststellen können, dass demselben
Bericht zufolge die deutschen Unternehmen weltweit am
leistungsfähigsten sind.

Deutschland war 2003 Exportweltmeister und hat
gute Chancen, auch 2004 diesen Titel zu verteidigen.


(Beifall des Abg. Franz Müntefering [SPD])

Die Zuwächse beim Export von über 15 Prozent im Jah-
resvergleich trotz des starken Euros, höherer Ölpreise
und harter Konkurrenz auf dem Weltmarkt unterstrei-
chen die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

Schließlich deutet sich auf dem Arbeitsmarkt eine
Wende für 2005 an. Die Zahl der Erwerbstätigen hat in
diesem Jahr bereits stetig um insgesamt 110 000 zuge-
nommen. Insbesondere die Zahl von Minijobs und Ich-
AGs ist stark angestiegen. Im Verlauf des nächsten Jah-
res ist ein – wenn auch langsamer – Rückgang der Ar-
beitslosigkeit möglich. Auch der Sachverständigenrat
hat in seinem Jahresgutachten unsere Arbeitsmarktrefor-
men ausdrücklich gewürdigt. Angesichts dieser Lage
sollten wir mit Stolz auf die Leistungen der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer und der Unternehmen in
Deutschland schauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat – das
bestätigt auch das Sachverständigengutachten – die Sta-
gnationsphase überwunden. Dazu haben die Strukturre-
formen und die Steuersenkungen einen wichtigen Teil
beigetragen. Mit der dritten Stufe der Steuerreform wer-
den private Haushalte und Unternehmen ab dem
1. Januar 2005 um weitere rund 7 Milliarden Euro ent-
lastet. Dabei kommt ein großer Teil der Entlastung den
Beziehern niedriger Einkommen zugute. Der Ein-
gangssteuersatz sinkt auf den historisch niedrigsten Wert
von 15 Prozent; bei Ihnen waren es noch 25,9 Prozent.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: An den Tankstellen werden die das schnell wieder los! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die dürfen bloß kein Auto haben!)


Ich nenne als Beispiel eine Familie mit zwei Kindern mit
einem Bruttoeinkommen von bis zu 37 000 Euro, die in
Zukunft keine Steuern mehr zu zahlen hat. So viel Ent-
lastung hat es vorher nie gegeben.


(Beifall bei der SPD)

Durch Ihre unverantwortliche Blockadehaltung im

Bundesrat

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was?)


konnten wir in der Konsolidierungspolitik noch keine
vergleichbaren Erfolge erzielen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie müssen sehen, wie sich die verfügbaren Einkommen entwickelt haben! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die Einkommen entsprechen denen von 1998!)


Als Beispiel nenne ich die Eigenheimzulage, über die
wir gestern und heute mehrfach gesprochen haben.
Diese 15 Milliarden Euro wollen wir für Forschung und
Bildung und für eine bessere Betreuung von Kindern
einsetzen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So wie bei der Maut! Da hat es auch „zusätzlich“ geheißen!)


Gerade vor dem Hintergrund der Zahlen aus der neuen
PISA-Studie müsste sich auch bei Ihnen, meine






(A) (C)



(B) (D)


Gerhard Rübenkönig

Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Er-
kenntnis durchsetzen, dass wir höhere Bildungsausgaben
brauchen und eine zukunftsgerechtere Politik machen
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden unseren Erneuerungskurs für Deutsch-
land fortsetzen. Die Kombination aus langfristig wirken-
den Strukturreformen und Wachstumsimpulsen hat sich
bewährt. Wir wollen und werden unser Land durch In-
vestitionen in Bildung, Betreuung und Familienpolitik
sowie in Forschung und Innovation neu aufstellen.

Weil der Kollege Kalb einige Bemerkungen zum
Transrapid gemacht hat, gestatten Sie auch mir zum
Schluss ein paar Ausführungen dazu. Innovation ist ge-
nau das richtige Stichwort für dieses Projekt. Wie Sie
alle wissen, liegt mir und natürlich auch vielen anderen
dieser Transrapid, ein hoch innovatives Verkehrssystem
made in Germany, sehr am Herzen. Deshalb freut es
mich, dass die Koalition im Haushalt 75 Millionen Euro
für die Jahre 2005 und 2006 für das Programm zur Wei-
terentwicklung des Transrapid zur Verfügung gestellt
hat. Das ist ein Signal dafür, dass diese Bundesregierung
und diese Koalition auch zum Transrapid in Bayern ste-
hen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wollen wir es gemeinsam hoffen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514103500

Das war doch ein schöner Schlusssatz, Herr Kollege.

Sie sind schon sehr weit über die Zeit.


Gerhard Rübenkönig (SPD):
Rede ID: ID1514103600

Ich komme zum Schluss. – Der Einzelplan 04 ist, wie

der gesamte Bundeshaushalt 2005, solide und verfas-
sungskonform aufgestellt. Daher bitte ich Sie, Kollegin-
nen und Kollegen, um Ihre Zustimmung.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie werden ja nicht einmal rot, Herr Kollege! – Gegenruf von der SPD: Rot ist er schon! – Otto Fricke [FDP]: Aber Sie können sich verabschieden!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514103700

Ich habe aus einem früheren Debattenverlauf noch ei-

nen Ordnungsruf für den Kollegen Tauss zu erteilen, der
den Kollegen Glos einen Heuchler genannt hat. Das ist
bei uns nicht üblich.

Als nächsten Debattenredner rufe ich den Abgeordne-
ten Peter Harry Carstensen auf.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1514103800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich habe nichts anderes erwartet: Die Regierung
ergeht sich in Selbstlob und Allgemeinplätzen. Diese
Regierung macht schöne Worte und geht an der Wirk-
lichkeit im Lande vorbei.


(Peter Dreßen [SPD]: Wo sie Lob verdient hat, muss es auch kommen!)


Lieber Herr Müntefering,

(Franz Müntefering [SPD]: Sagen Sie nicht „lieber“!)

ich frage mich: Wer von den Menschen draußen – ich
denke an die 4,2 Millionen Arbeitslosen, an die Rentner
und an die mittelständischen Unternehmer, die Angst um
ihre Betriebe haben – war bei Ihrer Rede oder bei der
Rede des Bundeskanzlers eigentlich angesprochen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sind an den Wirklichkeiten im Lande vorbeigegan-
gen. Die Regierung ist nicht in der Lage, das Land zu er-
neuern. Das haben Sie heute wieder gezeigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie ruhen sich aus und machen Pause. Manche sagen,

das sei gut so, weil Sie dann keine Fehler mehr machen
könnten. Ich bin aber der Meinung, dass eine Regierung
keine Pause machen darf, sondern dass sie die Lage
draußen im Land zu analysieren und entsprechend zu
handeln hat. Aber der Bundeskanzler redet stattdessen
über die Weltwirtschaft, die Ölpreise und die Euro-Dol-
lar-Relation. Der Bundesfinanzminister stellt hier als
Abgeordneter wirre Zwischenfragen. Sie haben keinen
Blick mehr für die konkreten Auswirkungen Ihrer Politik
im Lande und insbesondere in den Regionen, in denen
die Menschen leben und ganz persönliche Sorgen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, die Menschen draußen sind viel klüger,

als Sie denken.

(Franz Müntefering [SPD]: Auch hier drin!)


– Herr Müntefering, einige, nicht alle. – Wenn die Ent-
wicklung der Weltwirtschaft und insbesondere der Öl-
preis ständig als Begründung dafür angeführt werden,
dass es in unserer Wirtschaft nicht läuft und dass wir
Schwierigkeiten mit den Finanzen haben, dann fragen
sich die Menschen draußen doch, warum es in Großbri-
tannien, in Irland, in Dänemark und Schweden besser
läuft als bei uns, obwohl dort die gleichen außenwirt-
schaftlichen Bedingungen gelten. Als Antwort bleibt nur
übrig, dass Sie schuld sind. Sie vergessen, dass Arbeits-
plätze noch immer vor Ort geschaffen werden. Die
Standortentscheidungen der Unternehmen sind konkret
und spezifisch. Angesichts dessen hilft es auch nichts,
darauf zu verweisen, dass sich bei den makroökonomi-
schen Wirtschaftsdaten der Durchschnitt an dieser oder
jener Kommastelle verbessert hat. Wir brauchen keine
Kommastellenpolitik, sondern eine Politik mit Boden-
haftung.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Peter H. Carstensen (Nordstrand)


Es ist eine haushälterische Tugend, sich auch über

Einsparvorschläge Gedanken zu machen.

(Franz Müntefering [SPD]: Aber in Schles wig-Holstein läuft es gut!)

– Tatsächlich? Warum haben Sie dann bei Ihrem Besuch
in Lübeck die Genossen gewarnt und ihnen gesagt:
„Bleibt ganz ruhig und macht euch keine Sorgen, wenn
sich die Arbeitslosenzahlen Anfang nächstes Jahres in
Schleswig-Holstein dramatisch verschlechtern wer-
den!“? Herr Müntefering, ich hätte mir gewünscht, dass
Sie bei Ihrem Besuch in Lübeck mit der Betriebsführung
von Dräger Medical darüber gesprochen hätten, ob es
nicht möglich ist, Einvernehmen mit den Betriebsräten
und der IG Metall zu erzielen, damit dort die Arbeits-
plätze erhalten werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514103900

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten

Müntefering?

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1514104000

Nein.
Herr Müntefering, Sie sollten zur Kenntnis nehmen

– das gilt auch für andere Bundesländer –, dass Schles-
wig-Holstein jeden Tag einen Verlust an sozialversiche-
rungspflichtigen Arbeitsplätzen zu beklagen hat.


(Franz Müntefering [SPD]: Schleswig-Holstein steht an zweiter Stelle in der Positivliste, Herr Carstensen!)


Angesichts dessen sollten Sie nicht behaupten, dass es
mehr Arbeitsplätze im Land gibt. Tatsächlich verlieren
wir in der Bundesrepublik Deutschland jede Woche
10 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Sie
sollten auch erwähnen, dass dadurch aus Beitragszahlern
Leistungsempfänger werden. Aber Sie vergessen das
ständig und gehen an den Problemen der Menschen vor-
bei.


(Beifall bei der CDU/CSU – Franz Müntefering [SPD]: In Schleswig-Holstein läuft es besser als anderswo: ja oder nein?)


– In Schleswig-Holstein soll es besser laufen als an-
derswo? Ich glaube, ich bin im falschen Film!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Schleswig-Holstein ist das Bundesland mit der höchs-

ten Verschuldung, das Land, das jeden Tag
60 Arbeitsplätze verliert, das Land, aus dem Betriebe ab-
wandern,


(Franz Müntefering [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Schleswig-Holstein liegt an zweiter Stelle! Reden Sie doch das Land nicht schlecht! Was soll das denn?)


das Land, in dessen Landtag darüber debattiert wird, ob
man 2 Millionen Euro mehr für Kindergärten ausgeben
kann, dabei aber gar nicht mehr darüber geredet wird,
dass jedes Jahr 950 Millionen Euro an Zinsen gezahlt
werden müssen. Das ist also ein Spitzenland für Sie? Ich
glaube, ich bin im Wald!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Sparkommissarin, die Sie dorthin gesetzt haben, hat
alles andere gemacht, aber nicht gespart.


(Franz Müntefering [SPD]: Wie reden Sie denn über Ihr Land?)


– Ich rede nicht schlecht über mein Land Schleswig-Hol-
stein. Ich liebe mein Land. Jeder weiß, wie sehr ich mich
mit diesem Land verbunden fühle. Aber ich rede darü-
ber, dass die Schleswig-Holsteiner genauso wenig eine
solche schlechte Politik verdient haben wie alle anderen
Deutschen Ihre Politik, Herr Müntefering.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In Schleswig-Holstein gibt es kaum Globalplayer, bei

denen man sagen kann, sie seien von der Weltwirtschaft
abhängig und die Entwicklung der Weltkonjunktur be-
reite den Unternehmen dort Probleme.


(Franz Müntefering [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Unternehmen wie Dräger Medical in Lübeck sind ein
klassisches Beispiel für Vorgänge, die sich überall in der
Republik abspielen. Dieses medizintechnische Unter-
nehmen, ein Hightechunternehmen auf dem Wachstums-
markt Medizintechnik mit weltweit über 5 000 Mitarbei-
tern und Produktionsstätten auf drei Kontinenten, sieht
sich aus Kostengründen und um den Betrieb zu sichern
ganz konkret vor die Frage der Produktionsverlagerung
nach Tschechien gestellt; denn dort sind die Lohnkosten
über 17 Prozent niedriger. Obwohl die Firmenleitung die
Arbeitsplätze in Lübeck halten möchte, sorgt die IG-Me-
tall-Zentrale bisher dafür, dass kein betriebliches Bünd-
nis für Arbeit zustande kommt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!)

Allen schönen Sprüchen von den Exporterfolgen der

deutschen Wirtschaft zum Trotz sind auf ähnliche Weise
viele Arbeitsplätze in Deutschland akut gefährdet. Was
ist aus der Ankündigung des Kanzlers von März 2003,
betriebliche Bündnisse durchzusetzen, geworden?


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Fehlanzeige!)


Angesichts dessen kann ich es nicht akzeptieren, dass
sich die Bundesregierung anhaltend weigert, im Arbeits-
recht die notwendigen tarifpolitischen Freiräume für die
kleinen Einheiten vor Ort zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie machen sich zu politischen Mittätern beim Heraus-
drängen von Tausenden von Arbeitsplätzen aus unserem
Land.

Der Bundeskanzler hat zu Recht angemahnt – Sie ha-
ben das eben aufgegriffen –, das Land nicht schlechtzu-
reden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)







(A) (C)



(B) (D)


Peter H. Carstensen (Nordstrand)


Aber es gilt auch, sich nicht in Betriebs- und Betriebslei-
terbeschimpfungen zu ergehen, lieber Herr Müntefering.


(Franz Müntefering [SPD]: Sagen Sie nicht immer „lieber“ zu mir!)


– Warum soll ich nicht „lieber“ zu Ihnen sagen? Sind Sie
kein „lieber“? Dass das so ist, haben mir auch schon an-
dere gesagt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich nehme das „lieber“ mit großem Bedauern zurück.

Es ist für mich ein unerhörter Vorgang, dass die Mi-
nisterpräsidentin von Schleswig-Holstein – vielleicht,
weil sie falsch informiert war –


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie weiß es nicht besser!)


auf dem Parteitag der SPD die Firmenleitung beschimpft
hat – ich zitiere –:

Das ist nicht mehr die ehrbare Kaufmannsfamilie
Dräger. Das ist der dahinterstehende Großkonzern
Siemens, der seine Arme wie eine Krake ausstreckt.
Dagegen müssen wir uns wehren.

Mit Blick auf die Forderungen an die Belegschaft hat sie
sogar von einer „Schreckensliste aus der kältesten Fol-
terkammer des Kapitalismus“ gesprochen. Das ist die
verräterische Sprache der ehemaligen Stamokapvertre-
ter.

Herr Müntefering – ich sage nicht „lieber“ –, Sie wä-
ren gut beraten gewesen, sich dort einmal mit dem Be-
triebsrat zusammenzusetzen und bei der Familie Dräger
ein Wort der Entschuldigung für Ihre Ministerpräsiden-
tin zu finden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In Lübeck haben Sie sicherlich gemerkt, dass

Deutschland ein Transitland im Herzen Europas ist, so
wie Schleswig-Holstein ein echtes Transitland zwischen
Skandinavien, dem Ostseeraum und Mitteleuropa ist.
Durch die meisten Bundesländer laufen übrigens mehr
europäische Verkehrsachsen als durch jeden durch-
schnittlichen EU-Mitgliedstaat. Unser Wohlstand und
unsere Zukunft hängen im Wesentlichen von Mobilität
und wirtschaftlichem Austausch ab.


(Franz Müntefering [SPD]: Schleswig-Holstein ist gut!)


– Ich sage Ihnen: Sie sind nicht lange genug da gewesen;
sonst wären Sie noch zwei Stunden in Mecklenburg-Vor-
pommern auf der Autobahn gefahren, um anschließend
anderthalb Stunden in Lübeck im Stau zu stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

So ist unsere Situation dort. Rot-Grün verwirklicht dort
nicht die notwendigen Verkehrsinfrastrukturprojekte.
Hier in Berlin stellt sich einer der Grünen hin und zeigt
nicht klammheimlich, sondern unheimlich Freude, dass
die A 20 nicht gebaut wird. Gleichzeitig stellen Sie sich
hierhin und sagen: Wir wollen uns auf die Osterweite-
rung und auf die wirtschaftliche Entwicklung vorberei-
ten.

Die rot-grüne Verschuldungspolitik raubt den Men-
schen die Freiheit. Sie verkleinert Stück für Stück den
Gestaltungsspielraum unserer Generation und zerstört
den Handlungsspielraum der zukünftigen Generation. Es
ist nicht gerecht und es hat nichts mit einer nachhaltigen
Politik zu tun, dass unsere Nachkommen die Suppe aus-
löffeln müssen, die Rot-Grün ihnen einbrockt.

Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Dieter
Engels – er ist heute schon ein paar Mal zitiert worden –,
bringt es auf den Punkt, wenn er zur Haushaltssituation
des Bundes sagt:

Die Schieflage ist so extrem, dass es einem den
Atem verschlägt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

Ich glaube nicht, dass Sie Dieter Engels vorwerfen kön-
nen, dieses Land schlechtreden zu wollen; er redet viel-
mehr über die Situation, die Sie hier verschuldet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Bundeskanzler hat 1998 zu dem damals eintre-

tenden Aufschwung gesagt:
Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Auf-
schwung.

Jetzt haben wir mehr als 4,2 Millionen Arbeitslose.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind auch seine!)

Wir haben Stagnation in der Wirtschaft. Wir haben eine
Rekordverschuldung. Wenn das damals sein Auf-
schwung gewesen ist, dann ist auch die jetzige Krise auf
dem Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft und im Haushalt
seine Krise.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dieser Bundeskanzler trägt die Verantwortung. Rot-
Grün kann es nicht, weder in Berlin noch in Kiel. Des-
wegen gehören sie abgewählt, meine Damen und Her-
ren.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514104100

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.


(Unruhe)

– Meine Damen und Herren, hören Sie bitte der nächsten
Rednerin zu. – Bitte.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1514104200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die PDS wird den Haushaltsplan 2005 ablehnen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Oh!)


Der Grund ist plausibel: Wir halten die hinter diesem
Haushaltsplan stehende Politik für falsch.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])

Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Agenda 2010

werde der Sozialstaat gestärkt. Das Gegenteil ist aber der
Fall. Der Staat und das Soziale werden geschwächt. Die
Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Außenpolitik werde
der Friede gesichert. Tatsächlich werden aber Kriege ge-
führt und wird aufgerüstet.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Innenpolitik
werde Sicherheit geschaffen. Tatsächlich werden aber
Bürgerrechte und Demokratie blockiert.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Diese rot-grüne Generallinie haben wir stets kritisiert.
Wir als linke Opposition werden das auch weiterhin tun.


(Zuruf von der SPD: Oh!)

Die Opposition zur Rechten bietet allerdings eben-

falls nichts Besseres. Der aktuelle Gesundheitskompro-
miss von CDU und CSU belegt es. Er ist ein Bazillus
und kein Heilmittel. Er belastet die Beladenen. Er passt
weder auf den Bierdeckel von Friedrich Merz noch auf
den Rezeptblock von Horst Seehofer. Aber auch das sei
nicht vergessen: Ihre Partei, Frau Merkel, hat die De-
batte über weltweite Präventionskriege in den Bundesrat
getragen. Hätten Sie das Sagen gehabt, wäre Deutsch-
land unmittelbar an dem völkerrechtswidrigen Krieg der
USA im Irak beteiligt.

Inzwischen haben sich CDU und CSU auch noch dem
Feldzug der FDP gegen die Gewerkschaften angeschlos-
sen.


(Jörg van Essen [FDP]: Gegen die Funktionäre! – Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Gegen die Funktionäre!)


Ihr Angebot für das 21. Jahrhundert heißt: mehr arbeiten
für weniger Lohn oder, wie es in einem alten Arbeiter-
lied heißt, „Unmündig nennt man uns und Knechte“. –
Deshalb wiederhole ich: Die Konzepte von CDU und
CSU wären nur der schwarze Punkt auf dem rot-
grünen i. Davor mögen uns das Herz und auch der Ver-
stand bewahren.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Zurück zum Haushalt der Bundesregierung. Der
Haushalt basiert auf einer Steuerreform, die den Sozial-
staat verarmen lässt, die Wohlhabenden belohnt und die
Armen immer mehr belastet. Sie verkaufen das Ganze
als sozial gerecht und wundern sich, wenn immer weni-
ger das glauben – zu Recht; denn die rot-grüne Steuerre-
form ist weder sozial noch gerecht. Sie setzt die Umver-
teilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach
oben fort.

Wir wollen mit dem Steuerkonzept der PDS das Ge-
genteil. Auch deshalb haben wir beantragt, den Spitzen-
steuersatz nicht zu senken und die Vermögensteuer wie-
der zu erheben.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Ein zentraler Punkt Ihrer Agenda 2010 heißt
Hartz IV. Sie verkaufen es als Reform gegen die Mas-
senarbeitslosigkeit – zu Unrecht. Ich habe Ihnen hier
schon mehrfach vorgerechnet, warum Hartz IV schlecht
für den Westen und Gift für den Osten ist. Meine Argu-
mente wurden auch in dieser Haushaltsdebatte nicht wi-
derlegt. Die Zahlen zeigen: Die Arbeitslosigkeit steigt
und steigt und steigt. Deshalb wiederhole ich hier meine
Generalkritik: Die Agenda 2010 ist ein Gegenentwurf zu
einem modernen demokratischen Sozialstaat. Deshalb
lehnen wir als PDS im Bundestag sie auch so grundsätz-
lich ab.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Die PDS bleibt dabei, Solidarität und Gerechtigkeit
sind unverzichtbare und übersichtliche Werte, da ja gilt:
Die Reichen helfen den Armen, die Gesunden helfen den
Kranken, Junge helfen den Alten usw. Genau diese Prin-
zipien aber werden mit der Agenda 2010 aufgegeben.
Viele Grünen bejubeln die Abkehr vom solidarischen
Sozialstaat sogar noch als Zukunftsmodell, manche so-
gar so laut, dass sie das Grummeln in den Arbeits- und
Sozialämtern gar nicht mehr hören können. Ich gebe zu,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, als ge-
lernte DDR-Bürgerin habe ich in den letzten Jahren ver-
sucht, von den Grünen zu lernen. Aber es bringt nichts
mehr.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Zu viele Grüne haben sich inzwischen von Bürgerrech-
ten, von der Solidarität und übrigens auch von der Frie-
denspflicht verabschiedet. Denn auch das gehört zum
Thema: Verlierer des Hartz-IV-Gesetzes und der Ar-
beitslosengeld-II-Regelungen sind vor allem Frauen.
Nach über 100 Jahren Frauenbewegung und Emanzipa-
tionsstreben hat ausgerechnet Rot-Grün ein Stoppzei-
chen für die Frauen gesetzt. So wird durch Sie Ge-
schichte entsorgt.

Solidarität als Zukunftsmodell ist auch vor einem an-
deren Hintergrund wichtig. Ich vernehme mit großer
Sorge, wie CDU und CSU die unsägliche Debatte über
eine vermeintliche deutsche Leitkultur wieder aufwär-
men. Die Diskussion dreht sich um ein gefährliches
Phantom: Sie spaltet, sie macht arm – intellektuell und
kulturell – und sie macht blind. Auf der Kölner Kundge-
bung am Wochenende für ein friedliches Miteinander
meinte Bayerns Innenminister, er wolle nirgendwo in der
Bundesrepublik zweisprachige Ortsschilder sehen; das
widerspreche seinem deutschen Leitbild. Liebe Bayern
unter unseren Kollegen, es gibt zweisprachige Ortsschil-
der: in Sachsen und in Brandenburg, überall dort, wo
von alters her Sorbinnen und Sorben mit ihrer slawi-
schen Sprache und Kultur leben.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau

Weil das so bleiben soll, appelliere ich an Rot-Grün:
Nehmen Sie die Kürzungen für die Stiftung für das sor-
bische Volk zurück! Sie gefährden sonst eine Kultur, die
genauso zum multikulturellen Deutschland gehört wie
das Boßeln in Bremen oder der Kirchgang im Allgäu.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Was ist das? Waren Sie nicht dabei?)


– Nein, nur wenn Sie unserem Antrag zustimmen, wird
das Förderniveau des vergangenen Jahres wieder er-
reicht. Ansonsten stimmt meine Aussage, dass es Kür-
zungen geben wird, Frau Kollegin Merkel.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wir können in München ja niederbayerisch schreiben! Das können Sie nicht lesen!)


Noch ganz wenige Bemerkungen zum Verteidi-
gungshaushalt: Schon der Name ist falsch; denn es geht
um vieles, aber nicht mehr um Landesverteidigung. Es
geht um die Fähigkeit zu weltweiten Interventionen, die
das Grundgesetz bekanntlich nicht vorsieht. Wir haben
einmal hochgerechnet: Würde die Bundesregierung nur
auf die Umrüstung der Bundeswehr zur Interventionsar-
mee verzichten, dann würden allein im nächsten Jahr
circa 600 Millionen Euro für Besseres frei, zum Beispiel
für Entwicklungshilfe. Auch dazu liegt ein Antrag von
uns vor. Sie müssen nur noch zustimmen.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Abschließend: Die Koalitionsfraktionen und die Re-
gierung haben erneut versucht, ihren Haushalt und ihre
Politik als alternativlos schönzureden. Das ist falsch und
langweilig. Es gibt immer Alternativen. Die PDS setzt
dem Ganzen eine gerechte, eine soziale, eine moderne
und vor allen Dingen eine demokratische „Agenda so-
zial“ entgegen.


(Anhaltender Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] – Jörg Tauss [SPD]: Für das Protokoll: lang anhaltender Beifall!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514104300

Der Weg ist ja auch lang.
Das Wort hat jetzt die Staatsministerin Christina

Weiss für die Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)


D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514104400


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! „Das Richtige“, sagt Bert Brecht, „braucht den
kleinsten Fingerzeig noch!“ Das ist ein Satz, der den
Kern unserer heutigen Debatte durchaus trifft; denn die
Frage, ob Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert
werden sollte, hat in den letzten Monaten, Wochen und
Tagen an Aktualität gewonnen. Die Enquete-Kommis-
sion „Kultur in Deutschland“ dieses Hauses hat dazu ei-
nen sehr würdigen Vorschlag unterbreitet. Auch ich bin
sehr dafür, dass wir der Kultur in unserem Grundgesetz
den ihr gebührenden Platz einräumen, und zwar in einem
Art. 20 b mit dem Satz: Der Staat schützt und fördert die
Kultur. So hat es die Enquete-Kommission vorgeschla-
gen.


(Beifall bei der SPD)

Eine Kulturnation wie Deutschland kann und darf es sich
nicht leisten, diesen essenziellen Bereich in ihrer Verfas-
sung unerwähnt zu lassen. Vielleicht darf ich Sie daran
erinnern: Sie teilen diese Meinung.

Kultur ist eine der lebensnotwendigen Grundlagen
unseres Zusammenlebens. Wir können nicht einerseits
den Werteverlust in unserer Gesellschaft beklagen und
andererseits die Kultur mit ihrer prägenden Kraft im
Grundgesetz unerwähnt lassen.


(Beifall bei der SPD)

Natürlich darf man sich von einer Staatszielbestimmung
nicht zu viel versprechen. Niemand könnte daraus ablei-
ten, dass der Gesetzgeber oder die Exekutive ganz be-
stimmte Maßnahmen der Förderung treffen muss. Den-
noch würde die Aufnahme in das Grundgesetz das
Selbstverständnis unseres Landes berühren. Es wäre ein
Fingerzeig auf das Richtige, ohne das das Notwendige
gar nicht bestehen kann.


(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche

identitätsstiftende Kraft von der Kultur ausgeht, konnten
wir nach dem schrecklichen Brand in der Anna-
Amalia-Bibliothek beobachten. Eine gewaltige Welle
der Hilfsbereitschaft erreichte Weimar und brachte fast
4 Millionen Euro an Spenden zusammen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Uwe Schummer [CDU/ CSU])


Hunderte von freiwilligen Helfern haben während und
nach dem Brand Bücher gerettet, Trümmer beseitigt und
mit ihrem Einsatz bewiesen, wie sehr sich die Menschen
mit ihrem kulturellen Erbe identifizieren. Das klassische
Weimar ist das Herz und der schicksalsschwere Knoten-
punkt unserer Kulturnation, die Anna-Amalia-Biblio-
thek ist ihr Gedächtnis. Mit dem Brand wurde nicht nur
der Rokokosaal beschädigt, sondern auch ein geistiger
Schaden angerichtet. Es gilt, diese Wunden so schnell
wie möglich zu heilen und finanzielle Anstrengungen
zum Wiederaufbau und zur Wiederbeschaffung der Bü-
cher zu unternehmen. Ich freue mich, dass auch hierüber
ein umfassender Konsens besteht – in Thüringen, aber
vor allem hier in diesem Hause.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte das zum Anlass nehmen, allen Fraktionen
dieses Parlaments für die konstruktive und kritische Zu-
sammenarbeit bei den Haushaltsberatungen zu danken.
Es ist uns gemeinsam gelungen, wirklich wichtige
Akzente zu setzen. Die Anna-Amalia-Bibliothek ist da-
für nur das beste Beispiel.






(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Dr. Christina Weiss


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Der Schutz des Weltkulturerbes in Weimar verlangt
jedoch noch mehr. Es muss sichergestellt werden, dass
sich ein solcher Verlust von Kulturgütern nicht wieder-
holt. Die Schutzmaßnahmen in allen Objekten der Stif-
tung können mit den zusätzlichen Bundesmitteln über-
prüft und dort, wo es notwendig ist, verbessert werden.
Auch hierfür Dank!


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Der Schutz herausragender Kulturgüter, allen voran der-
jenigen des Weltkulturerbes, wozu auch die Bibliothek
gehört, wird in den nächsten Jahren unser vordringlich-
stes politisches Ziel bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Berliner Akademie der Künste steht im nächsten
Jahr vor einem strukturellen Neubeginn. Die Akademie
ist eine Institution, die das geistige Leben Deutschlands
mitgeprägt hat. Sie blickt auf eine große, eine 300-jäh-
rige Tradition zurück. Als unabhängige Künstlersozietät
ist sie nach den vergleichbaren Institutionen in Rom und
Paris die älteste Einrichtung ihrer Art in Europa. Sie
spiegelt in ihrer Geschichte und in ihrer Gegenwart die
Entwicklung und den Reichtum von Kunst und Kultur in
Deutschland. Sie ist damit nicht nur ein Kernelement der
Hauptstadtkultur, sondern entfaltet ihren Glanz, ihre
Wirkung weit über die regionalen und nationalen Gren-
zen hinaus.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [FDP])


In der finanziellen und rechtlichen Verantwortung des
Bundes – im völligen Einvernehmen übrigens mit dem
Senat von Berlin und der Regierung des Landes Bran-
denburg – wird die Akademie als autonome Kulturein-
richtung auch künftig die Sache der Künste fördern und
in die Gesellschaft vermitteln.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch ein
Wort zur Medienpolitik. Deutschlands bester Botschafter
im Ausland kann in seiner Arbeit ab 1. Januar 2005 auf
ein neues Fundament bauen. Mit dem geänderten Deut-
sche-Welle-Gesetz hat der Auslandssender eines der mo-
dernsten Mediengesetze Europas.


(Beifall bei der SPD)

Dieses Gesetz gibt Auskunft über das Selbstbewusstsein,
mit dem wir in der Bundesrepublik Deutschland Rund-
funk organisieren, und über die Leitideen, die wir damit
verfolgen. Die Deutsche Welle hat den Auftrag,
Deutschland als „europäisch gewachsene Kulturnation
sowie als freiheitlich verfassten demokratischen Rechts-
staat“ darzustellen. Auch das ist ein kulturpolitisches
Novum von Tragweite: Ein Bundesgesetz, das einstim-
mig verabschiedet wurde, definiert unser Land als Kul-
turnation.

(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist wirklich zu loben!)


Am 9. Mai 2005 jährt sich zum 200. Mal der Todestag
Friedrich Schillers. An jenem Tag werden wir auf der
Brücke zwischen Frankfurt/Oder und Slubice das
deutsch-polnische Kulturjahr eröffnen. Ganz im Geiste
des Dichters wollen wir uns dann – populär und mo-
dern – an die Ideale erinnern, die jede Kulturnation auf
diesem Kontinent auszeichnen: Freiheit, Toleranz und
Menschlichkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind vor allem auch kulturelle Errungenschaften. Es
ist Kultur. Das ist die Basis unseres Zusammenlebens
und die Grundlage unserer Demokratie. Deshalb gehört
die Kultur ins Grundgesetz.
Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514104500

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Kaster.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])



Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1514104600

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Unser Bundeshaushalt weist die denkbar simpelste
Form der Buchführung auf, nämlich eine einfache Ge-
genüberstellung von Einnahmen und Ausgaben. Ich
möchte an dieser Stelle noch nicht darauf eingehen, ob
dieses Haushaltsrecht noch zeitgemäß ist – das ist es
nach meiner Auffassung nicht –, aber es ist bemerkens-
wert, dass diese Bundesregierung mit dieser simplen
Buchführung offensichtlich schon überfordert ist.


(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/ CSU] – Zurufe von der SPD: Oh!)


Seit der letzten Wahl hat es Rot-Grün nicht ein einzi-
ges Mal geschafft, mit dem Haushalt wenigstens den
Grundrahmen unserer Verfassung oder unserer gemein-
samen europäischen Währung einzuhalten. Im Wahljahr
2002 lief der Haushalt mit neuen Schulden in Höhe von
32 Milliarden Euro aus dem Ruder. Das waren 50 Pro-
zent mehr als eingeplant. Prädikat: verfassungswidrig.
2003 machte Finanzminister Hans Eichel fast
39 Milliarden Euro neue Schulden, mehr als doppelt so
viel wie ursprünglich geplant, also plus 100 Prozent.
Prädikat: verfassungswidrig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Jahr braucht unser Bundesschuldenminister
43,5 Milliarden Euro neue Schulden. Das sind wieder
50 Prozent mehr als geplant. Prädikat: verfassungswid-
rig.


(Peter Dreßen [SPD]: Was hat Theo Waigel gemacht? – Weiterer Zuruf von der SPD: Die Zinsen für eure Schulden!)







(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Kaster

In gerade einmal drei Jahren ergaben sich
114,2 Milliarden Euro neue Schulden, obwohl es einen
massiven Verkauf von Tafelsilber gegeben hat.

Für den Haushalt 2005 stellt sich daher die berech-
tigte Frage: Ist eine solche unverantwortliche Schulden-
politik zulasten künftiger Generationen überhaupt noch
steigerungsfähig? Ein Blick in den Haushalt offenbart
die erschreckende Antwort: Ja. Die Hilflosigkeit dieser
Regierung macht sogar vor den Einnahmen der Zukunft,
dem endgültig letzten Tafelsilber, nicht mehr Halt.

Mit dem Haushalt 2005 hat es diese Bundesregierung
geschafft, die Gesamtverschuldung des Bundes über die
Zeitspanne von 50 Jahren in nur vier Jahren um
20 Prozent zu erhöhen. Aus der Devise „Ist der Ruf erst
ruiniert, handle frei und ungeniert“ wird unter dem jetzi-
gen Bundeskanzler für 2005 das Motto: „Nach uns die
Sintflut!“


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Was hier passiert, wie unser Land in den Ruin gewirt-
schaftet wird, wie die Zukunft der Kinder leichtfertig
und egoistisch schon heute verfrühstückt wird,


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Unglaublich!)

all dies hat eine Dimension erreicht, angesichts derer die
Frage gestellt werden muss: Wo bleibt in dieser Situation
das Eingreifen, die Richtlinienkompetenz und die Ver-
antwortung des Bundeskanzlers? Ein Bundeskanzler, der
den Eid geleistet hat, das Grundgesetz zu wahren und
Schaden vom deutschen Volke zu wenden,


(Peter Dreßen [SPD]: Das macht er!)

ist zum Handeln verpflichtet, wenn Verfassungsbruch
zur Routine wird – ich erinnere an Art. 115 des Grund-
gesetzes – und wenn Art. 110 des Grundgesetzes, also
Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit des Haushalts,
mit Tricksen, Tarnen und Täuschen umgangen wird.


(Jörg Tauss [SPD]: Der Austermann hat dasselbe Blech geredet! – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Muss der Bundeskanzler nicht auch handeln und Scha-
den vom deutschen Volke abwenden, wenn beispiels-
weise alle Skrupel fallen und den Kindern nicht nur
gigantische Schuldenberge hinterlassen werden, sondern
zwischenzeitlich schon die Perversion um sich greift und
nun schon heute die Einnahmen der Zukunft, das heißt
die Einnahmen der jungen Generation verhökert wer-
den? Mit dem unwirtschaftlichen Verkauf der Auslands-
forderungen gegenüber Russland oder dem unseriösen
Postpensionsdeal wird jetzt vor lauter Hilflosigkeit der
schnelle Euro gemacht. Die Rechnung kommt später.
Beim Postdeal warten ab 2007 Milliarden zusätzlicher
Kosten auf uns. Der Bundesrechnungshof hat dies ge-
stern in einem Brief sehr deutlich kritisiert.

Statt aber im eigenen Etat ein Zeichen des Sparens zu
setzen, geschieht beim Bundespresseamt im Kanzleretat
genau das Gegenteil. Beim Thema Öffentlichkeits-
arbeit sind seit langem alle Dämme gebrochen. Wir alle
freuen uns auf die Fußballweltmeisterschaft 2006. Aber
es ist eine Frechheit, dass die Weltmeisterschaft schon
im Haushalt 2005 als Begründung für überhöhte PR-
Mittel der Bundesregierung herhalten muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin daher sehr froh, dass der Bundesrechnungshof

in der letzten Woche aus seiner objektiven Sichtweise
eindeutige Feststellungen getroffen hat:


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Na, na!)

zum Beispiel, wie diese Bundesregierung trotz leerer
Kassen 250 Millionen Euro für Werbung und Öffentlich-
keitsarbeit verprasst. Eine viertel Milliarde nur für An-
zeigen und Plakate! Das ist nichts anderes als eine steu-
erfinanzierte Parteiwerbung und Imagepflege.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Griefahn [SPD]: Ihr sagt doch immer, dass wir die Leute über Hartz IV aufklären müssen! Also, bitte schön!)


Wir haben schon vor Monaten darauf aufmerksam ge-
macht, dass vor allem die von den Grünen geführten
Ministerien rechtswidrig Millionenbeträge im Haushalt
für ihre Imagewerbung geradezu veruntreuen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Reine Propaganda!)


Wie stellt jetzt der Bundesrechnungshof unter Punkt 15
seiner „Bemerkungen 2004“ fest – ich zitiere –:

Das Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft … hat aus dem
Bundesprogramm Ökologischer Landbau … in
weitem Umfang Maßnahmen der Öffentlichkeits-
arbeit finanziert, um die politische Grundausrich-
tung der Bundesregierung darzustellen. Damit hat
es gegen Haushaltsrecht verstoßen.

So der Bundesrechnungshof.

(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider wieder wahr!)

Ich darf hinzufügen: bewusst verstoßen. Denn seit

mehr als einem Jahr kritisieren wir an dieser Stelle im-
mer wieder die PR-Ausgaben, ohne dass es Ihnen in den
Sinn kommt, hier irgendwelche Veränderungen vorzu-
nehmen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schamlos!)

Allein bei der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung
mit den vielen im Haushalt versteckten Millionenbeträ-
gen ließen sich jedes Jahr 200 Millionen Euro einsparen.

Lassen Sie mich das noch sagen: Angesichts des Auf-
tritts des Finanzministers eben und seiner Einlassung
zum Thema Öffentlichkeitsarbeit muss man die Frage
stellen: Kennt sich noch nicht einmal der Finanzminister
mit den Etats der Kollegen von den Grünen aus, in denen
die Millionen für die Öffentlichkeitsarbeit in verschiede-
nen Posten versteckt sind?


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist das! – Zuruf von der CDU/CSU: Der versteht doch gar nichts! – Jörg Tauss [SPD]: Tibetanische Gebetsmühle! – Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Und jetzt?)







(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Kaster

Vor dieser Bundesregierung müssen wir uns und müs-

sen sich vor allen Dingen nachfolgende Generationen
besser schützen. Dafür müssen wir uns ernsthaft Gedan-
ken über engere Grenzen auch in unserer Verfassung ma-
chen. Der Investitionsbegriff im Grundgesetz muss als
eingeengter Nettobegriff definiert werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Meinen Sie die von den CDUund CSU-regierten Länder? Mein lieber Mann!)


Der Sinn des Art. 115 Grundgesetz wird doch geradezu
auf den Kopf gestellt, wenn die Regierung die Begren-
zung der Schuldenaufnahme in Höhe der Investitionen
einfach durch Vermögensverkauf und beispielsweise
durch den unseriösen Postpensionsdeal umgehen kann.


(Jörg Tauss [SPD]: Baden-Württemberg! Oh, oh!)


Wir brauchen beim Investitionsbegriff zwingend eine
Anrechnung von Vermögensveräußerungen – das macht
ja auch Sinn –, sprich: von Privatisierungserlösen. Kein
betriebswirtschaftlich denkender Mensch versteht, dass
beispielsweise Abschreibungen vollkommen außen vor
bleiben. Wir brauchen betriebswirtschaftliche Elemente
im Haushaltsrecht. Viele Kommunen und Bundesländer
machen es vor. Ich verweise auf das Bundesland Hessen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


das auf dem Weg ist, die Doppik einzuführen.
Theo Waigel und die damalige Koalition haben schon

1997 bzw. 1998 den Startschuss gegeben, die Kosten-
leistungsrechnung und Produkthaushalte einzuführen.
Seit dem Regierungswechsel herrscht hier Stillstand.
Über die Experimentierphase ist diese Bundesregierung
bis heute nicht hinausgekommen. Weder Ziele noch
Fortschritte sind hier auch nur im Ansatz erkennbar. Das
ist aber dringend notwendig. Es wird höchste Zeit, dass
künftige Etats mit erkennbaren Vermögensbilanzen und
sichtbarem Werteverzehr – Stichwort nochmals: Ab-
schreibungen – sowie transparent dargestellten Zu-
kunftsbelastungen, etwa Zinsen oder Versorgungsleis-
tungen, beraten werden können. Die simple Form der
Buchführung im Haushalt mit der einfachen Gegenüber-
stellung von Einnahmen und Ausgaben reicht nicht mehr
aus.

Lassen Sie mich zum Schluss ein Zitat bringen, das
wir sehr gern in der Umweltpolitik verwenden. Es lautet:
„Wir haben die Erde nur von unseren Kindern
geliehen.“ – Im Interesse der jungen Generation muss
der Geist dieses Zitates auch auf unsere Staatsfinanzen
Anwendung finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gerhard Rübenkönig [SPD]: Ihr habt uns 1,5 Billionen DM Schulden hinterlassen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514104700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Petra Merkel (SPD):
Rede ID: ID1514104800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kaster, ein Erbe hat so seine Folgen. Denn man erbt
nicht nur von seinen Vätern und Müttern, sondern auch
von den Großvätern und Großmüttern. Es ist vorhin ja
schon hervorragend ausgeführt worden, welches Erbe
wir in Gestalt von Schulden pro Kopf den Kindern hin-
terlassen. Es sind das pro Kopf 11 200 Euro aus der
Kohlzeit und die 2 531 Euro aus der rot-grünen Zeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Beides zusammen macht das Erbe aus. Diese Klarstel-
lung trägt sicherlich ein wenig zur Sachlichkeit bei.


(Beifall bei der SPD)

Ich komme jetzt zu einem Bereich, bei dem es erheb-

lich friedlicher wird. Denn ich habe den Eindruck, für
Kultur setzen sich erheblich mehr Personen im Parla-
ment ein, als es den Anschein hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vieles in Deutschland wäre farb- und freudloser, gäbe es
nicht die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien,
Frau Dr. Christina Weiss,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

mit ihrem Etat von 950 Millionen Euro. Übrigens ist die-
ser Etat, wie der Bildungsetat, im Rahmen der parlamen-
tarischen Arbeit etwas aufgestockt worden.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wir haben es ja!)


– Richtig, wir haben es an der Stelle, weil Kultur und
Bildung zusammengehören, Herr Austermann.

Als Erstes komme ich zu einer wichtigen Grundlage
für diesen Etat. Über die Austarierung der Zuständigkei-
ten zwischen Bund und Ländern wird ja gerade verhan-
delt und ich hoffe sehr – ich denke, das ist dringend not-
wendig –, dass die Föderalismuskommission die
Kulturtätigkeit des Bundes stärkt.


(Beifall bei der SPD)

Dieser Haushalt zeigt, dass das weiterhin unabdingbar ist,
dass es eine Zuständigkeit des Bundes für die Kultur
gibt. Wenn wir uns darüber im Grundsatz einig sind,
dann werden wir auch einsehen, dass wir da unbürokrati-
sche Regelungen brauchen. Ich unterstütze natürlich,
dass Kultur als Staatszielbestimmung im Grundgesetz
verankert wird.


(Beifall bei der SPD)

Vieles wird mit den 950 Millionen Euro aus dem Kul-

turetat bewegt: die Bundeskulturstiftung – 35,7 Mil-
lionen Euro – mit vielen lebendigen und anregenden
Projekten, der neue Schwerpunkt „Filmförderung“, die
großen Investitionen wie zum Beispiel auf der Muse-
umsinsel, etwa für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
– auf sie komme ich gleich noch einmal zu sprechen –,
für die Deutsche Welle – 280 Millionen Euro – mit dem
neuen Standort Bonn und dem TV-Standort Berlin.






(A) (C)



(B) (D)


Petra-Evelyne Merkel

Wichtig sind meiner Fraktion und mir folgende Pro-

jekte für 2005. Die Anna-Amalia-Bibliothek ist eben
schon von Frau Dr. Christina Weiss angesprochen wor-
den. Als Mitglied des Haushaltsausschusses bin ich sehr
froh, dass wir in diesem Jahr die Gelegenheit hatten, uns
die Anna-Amalia-Bibliothek anzusehen und die große
Sammlung und den Rokokosaal auf uns wirken zu las-
sen. Es ist wirklich ein unvergleichbarer Schatz, der dort
zu finden ist und der jetzt nach dem Brand saniert wer-
den muss.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])


Deswegen bin ich auch sehr dankbar dafür, dass
Christina Weiss sehr schnell mit 4 Millionen Euro die
erste finanzielle Not gelindert hat. Ebenso haben das
Land und die vielen Spender, die dazu bereit waren und
weiterhin sind, dabei geholfen, dass die Sammlung wei-
ter ergänzt werden kann. Ich bin aber ebenso froh da-
rüber, dass es uns gelungen ist, im Haushalt für das
Jahr 2005 die Sanierungsmittel bereitzustellen, sodass
die Sanierung, die für 2006 geplant war, vorgezogen
werden kann und die Arbeiten zügig weitergehen kön-
nen. Das ist wichtig.

Wir haben sogar noch 1 Million Euro für die Stiftung
Weimarer Klassik eingestellt, damit trotz der extremen
Haushaltsnotlage weiterhin Brandschutzmaßnahmen
vorgenommen werden können.


(Beifall bei der SPD)

Denn es kann niemand ein Interesse daran haben, dass
uns ein solches Unglück noch einmal passiert. Es han-
delt sich um Schätze, die die europäische Kultur ausma-
chen. Sie müssen gehütet und bewahrt werden, egal
– das sage ich für mich persönlich – wer dafür zuständig
ist, ob Bund oder Land. Wir müssen gemeinsam dafür
sorgen, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])


Unserer Fraktion, aber auch den Grünen ist es wichtig
gewesen, dass die Volksgruppe der Sorben noch ein-
mal finanziell Luft bekommt, um Strukturveränderungen
in ihren Organisationen umsetzen zu können. Gemein-
sam mit allen Fraktionen – das zeichnet diesen Etat aus –
haben wir den ursprünglichen Betrag von 7,225 Millio-
nen Euro um 500 000 Euro aufgestockt; teilweise gegen-
finanziert, teilweise werden die Mittel noch fließen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Einvernehmlich!)


Wir haben die Summe allerdings gesperrt, Herr
Kampeter, weil wir wollen, dass uns darüber Bericht er-
stattet wird, wie die Strukturveränderungen angepackt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im kommenden Jahr wird es historische Gedenktage

geben; sie sind teilweise bereits angesprochen worden.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges jährt sich zum
60. Mal und wird mit Veranstaltungen nicht nur, aber
auch in Deutschland begleitet. Im kommenden Jahr wird
auch der 60. Jahrestag der Befreiung der Konzentrati-
onslager mit einer zentralen Veranstaltung in der Ge-
denkstätte Buchenwald begangen werden. Wir haben
neben einem Zuschuss zur Veranstaltung die finanziellen
Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Opfer einge-
laden werden können. Das sind wir diesen schuldig und
das ist uns wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Auch einvernehmlich!)


– Sie haben Recht, Herr Kampeter, auch das haben wir
einvernehmlich getan.

Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die als Zeit-
zeugen ihre schrecklichen persönlichen Erlebnisse im
hohen Alter Kindern und Jugendlichen erzählen, mit ih-
nen reden und so zur Aufklärung beitragen. Allen muss
klar sein, dass sich so schreckliches Leid nicht wieder-
holen darf.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn auch Sie die Wahlergebnisse der rechtsradika-
len Parteien nicht ruhen lassen, wenn Sie Möglichkeiten
haben, mit Jugendlichen zu arbeiten, ob in Schulen, Ju-
gendeinrichtungen oder Vereinen, bitte ich Sie: Laden
Sie Zeitzeugen ein und eröffnen Sie durch die persönli-
che Begegnung, durch authentische Lebensberichte die
Chance, dass Jugendliche wachsamer werden. Das ist
ein Beitrag gegen die Rechtsradikalen und Neonazis.
Zusammen mit den Programmen „CIVITAS“ und „enti-
mon“, deren Mittel wir Ihren Anträgen entsprechend
nicht gesenkt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


sondern aufgestockt haben, ist das eine gute Möglich-
keit, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht uns um das richtige Ausgeben von Geld,
wenn wir über den Haushalt reden. Darüber wachen
viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltun-
gen, meine Kolleginnen und Kollegen Politiker und der
Rechnungshof. Ich habe in den Berichterstattergesprä-
chen zur Vorbereitung des Haushalts 2005 beantragt,
dass wir uns künftig stärker mit der Museumsinsel be-
schäftigen und jährlich ein besonderes Berichterstatter-
gespräch vor Ort durchführen, und zwar bevor der Rech-
nungshof seinen Bericht abliefert.

Ich meine allerdings, dass die fiskalische Kontrolle
Aufgabe des Rechnungshofs ist. Er sollte jedoch nicht
die politischen Zielsetzungen formulieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU])


Dazu ist die Politik da, dazu sind meine Kolleginnen und
Kollegen und ich da. Wir werden weiterhin über Ent-
scheidungen wie die über eine archäologische Prome-






(A) (C)



(B) (D)


Petra-Evelyne Merkel

nade oder ein Eingangsgebäude auf der Museumsinsel in
Berlin-Mitte verantwortlich diskutieren.

Unser Stand bisher: Die archäologische Promenade
wird zurzeit nicht gebaut, aber durch notwendige Vor-
sorgemaßnahmen innerhalb der Häuser wollen wir uns
die spätere Entscheidung auch nicht verbauen. Ein Ein-
gangsgebäude wird notwendig sein. Wie es gestaltet
werden wird, steht noch nicht fest. Dieses gigantische
Projekt – das Juwel vor unserer Tür – lebt von den Mu-
seen, die vordringlich saniert werden müssen. Museen
sind aber auch Lebensraum und dieser muss gestaltet
werden. Ich sage das in vollem Ernst, weil ich die Arbeit
des Rechnungshofs sehr schätze, auch als Mitglied des
Rechnungsprüfungsausschusses. Die politische Zustän-
digkeit liegt bei uns.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU])


Ich möchte jetzt kurz auf einen Punkt eingehen, der
mir sehr wichtig ist. Im vergangenen Jahr wurde immer
wieder der Vorwurf erhoben, das Geld versickere in den
neuen Ländern. Ich habe angeregt, dass wir vier Be-
richterstatter für den Kulturbereich uns vor Ort ansehen,
was mit den Steuermitteln passiert. Wir haben im Früh-
jahr eine kurze Fahrt gemacht: nach Halberstadt, Qued-
linburg, Wittenberg, Halle und zum Abschluss in den
Wörlitzer Park.

Wir vier Berichterstatterinnen und Berichterstatter
– Frau Hajduk, Herr Kampeter, an den letzten beiden Ta-
gen war auch Herr Dr. Rexrodt dabei, der leider kurz
darauf unerwartet verstarb, und ich – haben die hervorra-
genden Kulturangebote gesehen, die aus Steuermitteln
entstanden und mit der Kraft vieler Menschen aus dem
Boden gestampft worden sind. Wir haben gespürt, wie
wichtig diese Anker sind, um die sich viel Engagement,
aber auch der Stolz und die Zuversicht der Menschen
ranken. Ich bin sicher, wir werden uns auch im kommen-
den Jahr über verschiedene Projekte vor Ort informieren.

Ich finde, die Bundesregierung hat für den Bereich
Kultur trotz der Zwänge und extremen Nöte einen ver-
antwortungsvollen Haushalt vorgelegt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So weit würden wir doch nicht gehen!)


Wir haben ihn verantwortungsvoll beraten. Ich danke al-
len, auch der Opposition, dafür, dass wir die Anträge,
mit denen wir Mittel erhöht haben, in breiter Überein-
stimmung verabschiedet haben. Ich denke, dass die Kul-
turpolitik immer wieder dazu geeignet ist, Brücken zu
bauen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514104900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gerade darü-

ber informiert worden, dass die Klingelanlage, auch die
optische, in einigen Teilen des Hauses nicht funktioniert.
Deswegen sage ich Ihnen allen: Die namentliche Ab-
stimmung findet in zehn Minuten statt.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Krings.

(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir erwarten ein wahres Feuerwerk!)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1514105000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Der Herr Bundesfinanzminister und
der Herr Bundeskanzler, der noch abwesend ist und bis-
her wohl auch noch nicht das Klingelzeichen in Deutsch-
land gehört hat, haben zu Beginn ihrer Amtszeit einen
Amtseid abgelegt. In diesem Amtseid heißt es zum
Schluss, dass sie sich verpflichten, „Gerechtigkeit gegen
jedermann“ zu üben.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Hier ist nicht die Stunde, auf die vielen großen und

kleinen Ungerechtigkeiten Ihrer Politik hinzuweisen, die
die Wählerinnen und Wähler von heute aktuell betreffen.
Ich bin überzeugt, dass nach der Verabschiedung dieses
Bundeshaushalts für jedermann in diesem Lande endgül-
tig klar ist, dass diese Regierung ihren finanzpolitischen
Offenbarungseid abgelegt hat. Ich bin mir sicher, dass
die Wählerinnen und Wähler ihre Chance wahrnehmen
werden, Ihnen das bei der nächsten Bundestagswahl zu
zeigen, und dass es Ihnen nicht gelingen wird, noch ein-
mal, wie Sie es im Jahre 2002 getan haben, Sand in die
Augen der Wählerinnen und Wähler zu streuen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Während sich die heutigen Wählerinnen und Wähler

in diesem Lande an der Wahlurne selbst gegen Ihre Poli-
tik zur Wehr setzen können, können dies die jungen
Menschen in diesem Lande und die nachfolgenden Ge-
nerationen nicht tun. Sie haben keine Chance, heute da-
rauf hinzuweisen, dass ihre Zukunftschancen verfrüh-
stückt werden. Sie sind die Opfer Ihrer ungerechten
Politik, können sich dagegen aber nicht wehren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Was der SPD die Jugend bzw. der Nachwuchs wert
ist, haben wir in dieser Woche gesehen;


(Jörg Tauss [SPD]: Betreuung!)

denn die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Woche
die Wahl ihres Fraktionsvorstandes durchgeführt. Das
einzige Mitglied des engeren Fraktionsvorstandes, das
jünger als 40 Jahre ist, ist aus Ihrem Fraktionsvorstand
rausgefallen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, Sie haben in Ihrer engeren Fraktionsfüh-
rung niemanden, der jünger als 40 Jahre ist.

Das ist bei Ihren jüngeren Kollegen nicht ohne Kom-
mentar geblieben. Ich zitiere die Kollegin Kerstin
Griese, die hierzu wörtlich im „Tagesspiegel“ von heute
meint: „Das war ein Angriff gegen die junge Genera-
tion.“






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Oh!)

Leider war das nicht der einzige Angriff, der diese

Woche von Ihrer Seite des Hauses gegen die junge Ge-
neration gefahren wurde.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So kann man sich selbst täuschen! – Monika Griefahn [SPD]: Und was ist mit der Eigenheimzulage?)


Ein weiterer Angriff erfolgt mit dem Bundeshaushalt 2005.
Daher sage ich insbesondere den jüngeren Kolleginnen
und Kollegen in Ihrer Fraktion bzw. in den Regierungs-
fraktionen, beherzigen Sie das: Lasst euch nicht verar-
schen!


(Beifall des Abg. Dietrich Austermann [CDU/ CSU] – Otto Schily, Bundesminister: Das ist aber kein parlamentarischer Ausdruck!)


Demjenigen, der in den letzten Tagen gelegentlich Wer-
bung gehört bzw. gesehen hat, ist dieser Spruch wahr-
scheinlich halbwegs bekannt. Wenn Sie die „Tages-
schau“ schon abschalten, dann schalten Sie zumindest
die Werbung ein; dann kennen Sie das auch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jungen
Menschen erlegt dieser ungebremste Marsch in den
Verschuldungsstaat unzumutbare Lasten auf. Jedes
Kind, das in diesem Lande geboren wird, bekommt so-
zusagen als Begrüßung des Staates nicht nur eine Ge-
burtsurkunde mit auf den Weg, es bekommt bei der Ge-
burt gewissermaßen auch ein virtuelles Girokonto
angelegt – nur leider mit Schulden von 16 500 Euro.


(Jörg Tauss [SPD]: Und Sie wollen noch die Studiengebühren dazulegen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514105100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Hagedorn?


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1514105200

Gerne.


Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1514105300

Herr Kollege, da Sie gerade die Pro-Kopf-Verschul-

dung von 16 500 Euro, auch für jedes Baby, das heute in
Deutschland geboren wird, ansprechen, würden Sie be-
stätigen, dass von diesen 16 500 Euro 11 220 Euro in
der Zeit von 1982 bis 1998 entstanden sind


(Zuruf von der FDP: Nein!)

und 2 531 Euro seit 1998?


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie das bestätigen – und das können Sie eigentlich
nicht abstreiten, denn das ist eine Tatsache –, würden Sie
mir dann bitte die Frage beantworten, ob ein Subven-
tionsabbau nicht ein geeignetes Mittel wäre, dem entge-
genzuwirken?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1514105400

Sehr verehrte Kollegin, es ist schön, dass Sie den Mut

haben, auch bei dieser Geräuschkulisse vor der nament-
lichen Abstimmung noch eine Zwischenfrage zu stellen.
Ich beantworte sie Ihnen sehr gerne.


(Ute Kumpf [SPD]: Frauen sind immer mutig, Herr Krings!)


Wenn Sie auch nur im Entferntesten mit den Effekten
von Zins und Zinseszins vertraut sind, dann wissen Sie,
dass der Damm in den 70er-Jahren gebrochen war – un-
ter den Regierungen Brandt und Schmidt. Damals sind
die Schulden auf das Sechsfache gestiegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


– Sie können sich offenbar nur noch mit gezwungenem
Lachen dagegen wehren.

Wir haben dann in den 80er-Jahren eine Konsolidie-
rungspolitik unter Finanzministern der Union erlebt und
wir hatten 1990 die deutsche Einheit. Ich vermisse bis
zum heutigen Tag Ihre Vorschläge zur Finanzierung die-
ser Einheit. Ich frage mich auch, welche deutsche Ein-
heit Sie zwischen 1998 und 2004 finanzieren mussten.
Womit erklären Sie Ihre Schulden? Ich glaube, dass Ihr
Vergleich etwas albern ist, wenn man die deutsche Ein-
heit bedenkt und sieht, dass die Regierungen Brandt und
Schmidt in diesem Lande den Marsch in die Schulden-
falle begonnen haben,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und dieser ist immer schneller fortgesetzt worden.

Aber es bleibt ja gar nicht bei den Staatsschulden von
1,4 Billionen Euro, die wir heute haben. Nehmen wir an,
dass wir so weitermachen wie heute, dass wir mit einer
Finanzpolitik wie der, die dieser Finanzminister zu ver-
antworten hat, bis zum Jahre 2025 fortfahren. Dieses
Jahr werden die meisten von Ihnen noch erleben.


(Zustimmung des Abg. Jörg Tauss [SPD])

– Nicht in dieser Funktion, aber sie werden es physisch
erleben. – Dann werden wir Staatsschulden von über
7 Billionen Euro haben. Das Defizit der öffentlichen
Haushalte wird bei etwa 480 Milliarden Euro liegen –
schier unvorstellbare Zahlen.

Auch dieser Bundeshaushalt setzt seine Schwerpunkte
wieder ausschließlich rückwärts gewandt. Wir geben für
die Alterssicherung in diesem Lande – dabei kommt es
gar nicht darauf an, ob es Zuschüsse an die Rentenkasse
sind oder Pensionszahlungen – etwa 100 Milliarden Euro
aus. Wenn wir die Zinsen und Zinseszinsen hinzuneh-
men, ist das deutlich über die Hälfte des Bundesetats für
Aufgaben zur Bewältigung von vergangenen Ansprü-
chen und Lasten. Wir befriedigen Ansprüche von gestern
mit Schulden von heute zulasten der Generationen von
morgen. Das ist eine zutiefst unmoralische und unge-
rechte Politik, weil sie generationenungerecht ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aus lauter Scham erlauben wir uns ja gar nicht, das

wahre Ausmaß der Schuldenlast für die nachrückenden
Generationen offen zu legen. Die 1,4 Billionen Euro






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings

sind ja nur der kleinere Teil der Wahrheit. Wenn wir alles
dazuzählen, was an Ansprüchen an die sozialen Siche-
rungssysteme täglich neu entsteht, sind wir nach sehr
konservativen Berechnungen bei weiteren Staatsschul-
den von mindestens 3,5 Billionen Euro, Schulden, die
jeder Einzelne in Deutschland mit abzahlen muss. Das
gibt nach zurückhaltenden Berechnungen summa sum-
marum Staatsschulden von 5 Billionen Euro. Nur zur
Verdeutlichung: Das ist eine Fünf mit zwölf Nullen,
etwa so viele, wie dort gerade auf der Regierungsbank in
den ersten beiden Reihen sitzen.


(Widerspruch des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Umgerechnet auf das einzelne neugeborene Kind wären
das dann mindestens 60 000 Euro.

Diese Entwicklung wird noch dadurch dramatischer,
dass wir ebenfalls seit den 70er-Jahren auch bei der
Geburtenrate hinterherhinken. Pro Jahr werden
30 Prozent zu wenige Kinder geboren, um unsere Bevöl-
kerung demographisch in der Balance halten zu können.
Sie stellen sich also vor, dass die immer weniger Wer-
denden von morgen die immer größeren Schulden der
vielen von heute abzahlen sollen. Wie das funktionieren
kann, ist bis heute schleierhaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Raubbau an den künftigen Generationen geht

dabei von Bundeshaushalt zu Bundeshaushalt immer
schamloser vonstatten. Es wird von Jahr zu Jahr schlim-
mer. In den vergangenen sechs Jahren haben Sie
150 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, gleichzei-
tig haben Sie etwa 100 Milliarden Euro an Bundesver-
mögen veräußert. Um Ihren Haushalt kurzfristig über
Wasser zu halten, haben Sie keine Hemmungen, die Ver-
mögenssubstanz dieses Landes zu zerschlagen. Eine
Kuh kann man entweder melken oder schlachten. Sie ha-
ben sich offenbar für das Schlachten entschieden. Sie
müssen den Steuerzahlern in diesem Land dann aber
auch sagen, dass jeder Euro, der nicht mehr herein-
kommt – zum Beispiel als Unternehmensgewinn –, in
den nächsten Jahren durch Steuern oder neue Schulden
finanziert werden muss.

Ich nenne nur die Postpensionen. Ihnen reicht es
nicht mehr, nur die Aktienanteile zu verkaufen – darüber
könnte man ja reden –, sondern jetzt soll der Bund die
Postpensionen indirekt übernehmen. Das bringt einmal
Bares in den Etat und wird die Steuerzahler in diesem
Land jahrzehntelang belasten. Das ist das Gegenteil ei-
ner nachhaltigen Politik.

Der Finanzminister hatte eine weitere geniale Idee. Er
will 2 Milliarden Euro aus dem ERP-Fonds, den ehe-
maligen Mitteln des Marshallplans, der Kreditanstalt für
Wiederaufbau zuschieben. Abgesehen davon, dass Sie
damit eine wirkliche Gefährdung der einzigen noch
funktionierenden Mittelstandsförderung dieser Bundes-
regierung herbeiführen, missachten Sie zugleich vertrag-
liche Bindungen mit den USA. Aber auch das hat ja
Konsequenz und Methode: Wem schon die Maastricht-
Kriterien egal sind, der schert sich auch nicht um völker-
rechtliche Verpflichtungen gegenüber den Vereinigten
Staaten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Ganze erinnert etwas an die letzten Jahre der

DDR. Um sich kurzfristig eben über Wasser zu halten,
hat man dort versucht, alles Mögliche auszunutzen und
zu verscherbeln. Man hat versucht, die ökonomischen
Reserven bis an die Belastungsgrenze auszunutzen – nur
um über den Winter zu kommen. Man hat nicht darüber
nachgedacht, ob in zwei, drei Jahren noch etwas übrig
bleibt. So, wie in den 80er-Jahren in einem Teil Deutsch-
lands Politik betrieben wurde, sieht auch Ihre Politik aus.

Es gibt aber einen erheblichen Unterschied zur dama-
ligen Situation in der DDR: Anders als vor 20 Jahren
steht jetzt kein Partner im Westen mehr bereit, der uns
wieder auf die Füße helfen kann. Wir müssen mit eige-
ner Wirtschaftskraft aus diesem Sumpf herauskommen.
Wir müssen uns anstrengen und die Verschuldungsstruk-
turen dieses Landes aufbrechen, wenn wir wieder in eine
wirtschaftliche Erfolgsspur kommen wollen. Mit diesem
Bundeshaushalt erreichen Sie das Gegenteil.

Die Zeit drängt. Wir haben jetzt das Glück, dass wir
uns in einer Niedrigzinsphase befinden. Wenn die Zinsen
auf den Weltmärkten um einen einzigen Prozentpunkt
steigen, dann haben wir pro Jahr 8 Milliarden Euro mehr
Schulden. Ich glaube, es ist deutlich, dass wir hier immer
tiefer in eine ganz katastrophale Situation hineinschlit-
tern.

Diese Bundesregierung redet sehr oft und sehr gerne
von Nachhaltigkeit. „Nachhaltigkeit“ klingt wunderbar.
Es wird von Nachhaltigkeit gesprochen, gehandelt wird
aber nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Herr Bun-
deskanzler, Herr Finanzminister, hören Sie im Interesse
der künftigen Generationen endlich damit auf, die Staats-
verschuldung nur in wohlfeilen Reden zu bekämpfen. Be-
kämpfen Sie sie endlich auch in der Wirklichkeit und be-
herzigen Sie einen alten Satz von William Shakespeare:
„Worte zahlen keine Schulden“!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514105500

Herr Kollege Krings, ich bitte für einen Moment um

Ihre Aufmerksamkeit. Ich rufe Sie wegen eines Aus-
drucks, den Sie gebraucht haben, zur Ordnung. Zu den
minimalen Voraussetzungen, insbesondere für Parlamen-
tarier, aber ebenso für alle Demokraten gehört der Re-
spekt vor Institutionen und ihren Repräsentanten.


(Zuruf von der FDP: Was hat er denn gesagt?)

Deswegen kann ich es nicht hinnehmen, dass Sie ge-
wählte Vertreter dieses Hauses als „Nullen“ bezeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Ich glaube, dass ich dies im Interesse aller gesagt habe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Ja Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller

Michael Hartmann

(Wackernheim)


Karin Kortmann
Rolf Kramer
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann

Peter Dreßen
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Martina Eickhoff
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper

Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Christine Lehder
Waltraud Lehn
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
SPD Martin Dörmann Nina Hauer Anette Kramme
Ich schließe damit die Aus
Wir kommen zur Abstimm

in der Ausschussfassung. Hie
trag der Abgeordneten Dr. Ge
vor, über den wir zuerst absti
Änderungsantrag auf Drucksa
men? – Enthaltungen? – De
den Stimmen von SPD, Bü
FDP bei wesentlicher Enthal
die Stimmen der beiden Abg
abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt über de
schussfassung ab. Die Frak
Bündnisses 90/Die Grünen v
stimmung. Ich bitte die Schr
führer, die vorgesehenen Plä
sichtlich ist nicht nur die
Ordnung an den Urnen zus
ein oppositioneller Schriftfüh
her kann ich leider noch nich
ginnen. – Wie ich sehe, sin
Dann eröffne ich die Abstimm

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 579;
davon

ja: 298
nein: 281
sprache.
ung über den Einzelplan 04
rzu liegt ein Änderungsan-
sine Lötzsch und Petra Pau
mmen. Wer stimmt für den
che 15/4342? – Gegenstim-
r Änderungsantrag ist mit
ndnis 90/Die Grünen und
tung der CDU/CSU gegen
eordneten Lötzsch und Pau

n Einzelplan 04 in der Aus-
tionen der SPD und des
erlangen namentliche Ab-
iftführerinnen und Schrift-
tze einzunehmen. – Offen-
Klingel, sondern auch die
ammengebrochen. Es fehlt
rer an einer der Urnen. Da-
t mit der Abstimmung be-
d nun alle Plätze besetzt.
ung.

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Ist noch ein Mitglied des H
Stimmkarte nicht abgegeben
Fall zu sein.

Ich schließe damit die A
Schriftführerinnen und Schr
lung zu beginnen.

Bis zum Vorliegen des Er
Abstimmung unterbreche ich


(Unterbrechung von 1 Vizepräsidentin Dr. Ant Die unterbrochene Sitzung Ich gebe das von den Sch führern ermittelte Ergebnis mung über den Einzelplan Bundeskanzleramt, in der A chen 15/4304 und 15/4323, b men 579. Mit Ja haben gest gestimmt 281. Der Einzelpl men.1)


1) Erklärung zur Abstimmung, Anl

Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
auses anwesend, das seine
hat? – Das scheint nicht der

bstimmung und bitte die
iftführer, mit der Auszäh-

gebnisses der namentlichen
die Sitzung.
4.15 bis 14.25 Uhr)

je Vollmer:
ist wieder eröffnet.
riftführerinnen und Schrift-
der namentlichen Abstim-
04, Bundeskanzler und
usschussfassung, Drucksa-
ekannt. Abgegebene Stim-
immt 298, mit Nein haben
an 04 ist damit angenom-

age 2

Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann (Bramsche)

Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-
Hanewinckel

Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Swen Schulz (Spandau)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt (Pforzheim)

Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis (Stendal)

Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Jutta Krüger-Jacob
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Ingolstadt)

Werner Schulz (Berlin)

Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke von Stokar von
Neuforn

Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)


Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Julius Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg

Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster

(Bad Dürrheim)


Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)


Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner

Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn (Zingst)

Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Stephan Mayer (Altötting)



(Beifall bei Abgeordne BÜNDNISSES 90 Interfraktionell ist vereinb nung um die Beratung des in den ukrainischen Präsident sache 15/4265 zu erweitern u punkt 2 zusammen mit dem E Ich sehe, Sie sind damit einv schlossen. Bernd Neumann Henry Nitzsche Michaela Noll Günter Nooke Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard Katherina Reiche Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Volker Rühe Albert Rupprecht Peter Rzepka ten der SPD und des /DIE GRÜNEN)

art, die heutige Tagesord-
terfraktionellen Antrags zu
schaftswahlen auf Druck-
nd diesen jetzt als Zusatz-
inzelplan 05 aufzurufen. –
erstanden. Dann ist so be-
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

Ich rufe Tagesordnungspu
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
– Drucksachen 15/430
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexand
Lothar Mark
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Eberhard Otto (Godern)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Fraktionslose Abgeordnete
Martin Hohmann
Dr. Gesine Lötzsch
Petra Pau

nkt I.14 auf:

5, 15/4323 –

er Bonde
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter

Dr. Conny Mayer (Freiburg)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Doris Meyer (Tapfheim)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Angela Schmid
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder

FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)

Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Herbert Frankenhauser
Jürgen Koppelin

Über den Änderungsantrag der Fraktion von CDU/
CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auf den Einzel-
plan 05 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt
worden.

Außerdem rufe ich den soeben aufgesetzten Zusatz-
punkt 2 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen von SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
FDP
Fälschungen der ukrainischen Präsident-
schaftswahlen
– Drucksache 15/4265 –

Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Friedbert Pflüger.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1514105600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Hunderttausende, ja 1 Million Menschen de-
monstrieren derzeit in Kiew bei klirrender Kälte gegen
massiv gefälschte Wahlen. Ich finde es gut, dass wir im
Deutschen Bundestag unter allen Fraktionen Verständi-
gung über einen gemeinsamen Antrag erzielt haben, über
den wir heute abstimmen, in dem wir unsere Solidarität
mit den Demonstranten bekunden, Respekt vor dem
Mut und dem Engagement der ukrainischen Zivilgesell-
schaft klar machen und die Überprüfung der Wählerlis-
ten und die Neuauszählung fordern.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


In dieser Resolution fordern wir den Deutschen Bundes-
tag und auch die Bundesregierung auf, auf allen Ebenen
jede Möglichkeit zu nutzen, dem tatsächlichen Wähler-
willen zum Durchbruch zu verhelfen.

Für uns ist heute die Kollegin Claudia Nolte nach
Kiew gefahren. Sie ist inzwischen dort angekommen.
Sie berichtet von einer sich zuspitzenden Lage unter den
Demonstranten. Außerdem berichtet sie, dass ihre bishe-
rigen Gesprächspartner übereinstimmend gesagt haben,
man erwarte eine deutliche Präsenz der Europäischen
Union vor Ort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, Frau Nolte hat Recht mit dieser Bemer-
kung. Die EU muss sich nicht nur klar und deutlich äu-
ßern, sondern dort auch präsent sein. Es muss klar sein:
Der tatsächliche Wählerwille muss zum Durchbruch
kommen und ohne diesen tatsächlichen Wählerwillen
kann es keine Anerkennung der Regierung in der
Ukraine geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Morgen findet der EU-Russland-Gipfel statt. Ich
glaube, es wäre in der Tat sehr klug, dort auch das
Thema Ukraine, das bisher nicht auf der Tagesordnung
steht, zu behandeln. Es wäre sehr klug, nicht einen kon-
frontativen, sondern einen konstruktiven Versuch zu un-
ternehmen, Putin und die Russen einzubinden in eine
Forderungsallianz gegenüber der Ukraine, um dem
Wählerwillen zum Durchbruch zu verhelfen, und Putin
zu bitten, seine vielleicht etwas vorschnelle Gratulation
für den durch Manipulationen ausgerufenen Wahlsieger
zurückzunehmen.


(Zustimmung des Abg. Volker Rühe [CDU/CSU])


Wenn das gelingen würde, wäre das ein gutes, sichtbares
und wichtiges Zeichen für die Entwicklung einer ge-
meinsamen Politik, so wie es Wolfgang Schäuble heute
Morgen angesprochen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Gestern war Richard Lugar, einer der führenden ame-
rikanischen Senatoren und Vorsitzender des Auswärti-
gen Ausschusses, bei uns. Er war gerade in der Ukraine.
In den Gesprächen zwischen ihm und mehreren meiner
Kollegen haben wir festgestellt, dass wir in den hier zur
Diskussion stehenden Punkten eigentlich sehr ähnlich
denken. Es ist zu überlegen, ob wir jetzt nicht zusammen
mit den Amerikanern und den anderen Europäern einen
Versuch unternehmen sollten, eine gemeinsame Linie zu
finden, eine gemeinsame Politik zu entwickeln, die deut-
lich macht, wie wir mit den Verwerfungen, die in den
nächsten Tagen in der Ukraine zu erwarten sind, umge-
hen werden. Wir sollten dabei auf unsere polnischen
Freunde hören – schließlich wissen sie am meisten über
die Ukraine – und mit ihnen sowie den Vereinigten Staa-
ten von Amerika versuchen, zusammen mit Putin, also
nicht auf die Weise einer Konfrontation zwischen Ost
und West, einen Weg zu finden, der die Ukraine, dieses
wichtige Land im Herzen Europas, stabilisiert und ihre
Unabhängigkeit garantiert. Darauf kommt es in diesen
Stunden an.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich hoffe sehr, dass die Appelle an den Bundeskanz-
ler, die nicht nur aus unserer Fraktion, sondern auch aus
den Reihen der Regierungskoalition ständig zu verneh-
men waren, endlich Früchte tragen. Er muss generell
sehr viel klarer Stellung zu dem nehmen, was russische
Politik heute leider in vielen Fällen ausmacht. Er sollte
dabei deutlich machen, dass sich das nicht gegen eine
von uns allen gewünschte russisch-europäische Part-
nerschaft – diese ist weiterhin ein zentrales Ziel unserer
Außenpolitik – richtet. Wir wollen auch mit Putin gut
zusammenarbeiten – eine Alternative dazu sieht ja kei-
ner von uns – und Russland im Kampf gegen den isla-
mistischen Terror in Tschetschenien zur Seite stehen.
Aber es ist nicht in Putins Interesse, dass wir sozusagen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Friedbert Pflüger

jede Kritik außen vor lassen, wenn wir uns mit ihm tref-
fen. Er hat schließlich genügend Jasager um sich herum.
Es ist doch der Bundeskanzler, der ständig sagt, unter
Freunden müsse ein offenes Wort möglich sein. Dann
soll er nun auch in wesentlichen außen- und innenpoliti-
schen Fragen ein offenes Wort mit Putin sprechen. Das
erwarten wir jedenfalls von ihm.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Bundeskanzler hat aber das Gegenteil gemacht.
Das beklagen wir, nicht sein gutes Verhältnis zu Putin.
Es ist richtig und wichtig, das anzustreben. Schließlich
hatte auch Bundeskanzler Kohl ein gutes Verhältnis zu
Gorbatschow und Jelzin. Aber ich glaube, dass es eben-
falls wichtig ist, klar Stellung zu beziehen, wenn solche
Wahlfarcen wie in Tschetschenien geschehen. Claudia
Roth von den Grünen hat zu Recht gesagt: Das war
keine demokratische Wahl. Frau Sager, Fraktionsvorsit-
zende der Grünen, hat gesagt: Wir haben eine andere
Einschätzung als der Kanzler und finden die Wahlen
nicht akzeptabel. Auch die Europäische Union hat die
Wahlen in Tschetschenien kritisiert. Aber der Bundes-
kanzler hat öffentlich gesagt: Das sind akzeptable Wah-
len gewesen. Was soll man glauben? Welches Bild ver-
mittelt die Regierungskoalition nach außen, zum
Beispiel der Zivilgesellschaft in Russland, wenn mit so
völlig unterschiedlichen Zungen gesprochen wird?

Das Gleiche gilt, wenn es um die inneren Probleme
Russlands geht. Putin hat angeordnet, dass die Gouver-
neure künftig nicht mehr gewählt, sondern von ihm er-
nannt werden. Man stelle sich einmal vor, dass in
Deutschland die Ministerpräsidenten nicht mehr von den
Bürgern gewählt, sondern vom Bundeskanzler ernannt
werden sollten. Das wäre ein Verfassungsbruch. Herr
Fischer, Sie fänden das sicherlich gut. Aber die Mehrheit
der Deutschen würde das nicht gut finden; denn sie
möchte nicht so regiert werden wie in den rot-grün ge-
führten Bundesländern. Sie möchte beispielsweise bes-
sere Bildungssysteme haben. Glauben Sie es mir!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber unabhängig von diesem Einwurf: Die Absicht, die
Gouverneure in Zukunft zu ernennen, ist eine Revolu-
tion. Das ist ein Verfassungsbruch, wie unser Kollege
Ryschkow in der Duma gesagt hat.

Bei „Beckmann“ sagte der Bundeskanzler, Putin sei
ein Musterdemokrat, ein lupenreiner Demokrat. Frau
Göring-Eckardt von den Grünen sagt, für die strategi-
sche Partnerschaft mit Russland fehle es im Moment am
Wertekonsens, die gelenkte Demokratie erinnere an sow-
jetische Verhältnisse. Was denn nun? Sowjetische Ver-
hältnisse oder ein lupenreiner Demokrat? Zwischen die-
sen beiden Einschätzungen klaffen Welten. Wir lassen
Ihnen nicht durchgehen, dass Herr Schröder den Staats-
mann gibt und mit Herrn Putin große Politik macht,
während Sie zur Befriedigung einer bestimmten, ande-
ren Klientel erklären, Sie hätten mit dieser Politik gar
nichts zu tun. Sie müssen sich schon einigen, wie die Po-
litik der Regierungskoalition gegenüber Russland ausse-
hen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Am letzten Wochenende war Herr Kotscharjan, der

Präsident von Armenien, in Berlin, um an einer Tagung
der Quandt-Stiftung teilzunehmen. Wir alle wissen, dass
Armenien besonders gute Beziehungen zu Moskau
pflegt. Trotzdem ist Kotscharjan – das wissen wir – über
die russische Politik im Südkaukasus nicht begeistert.


(Markus Löning [FDP]: Mit Recht!)

Er sagt: Russland verhindert eine regionale Zusammen-
arbeit. Die georgische Außenministerin Surabischwili
sagt: Moskau spielt im Südkaukasus mit dem Feuer. Ali-
jew, der Präsident von Aserbaidschan, sagt: Russland in-
spiriert ethnische Konflikte in der Region, auch in Na-
gornij Karabach, und Russland hält diese Konflikte am
Köcheln.

Ich finde, das muss unter Freunden ein Thema sein.
Darüber müssen wir mit den Russen sprechen. Dazu
kann der Bundeskanzler nicht einfach schweigen. Er
sollte sich nicht darauf beschränken, zu sagen: Ich
glaube an Putin. Das reicht uns in diesem Parlament
nicht; das reicht nicht nur der Opposition nicht, sondern,
wie ich weiß, auch großen Teilen der Grünen nicht. Es
ist gut, dass der Bundeskanzler diese klare Botschaft er-
hält. Er soll seine Freundschaft pflegen. Wir wollen ein
gutes Verhältnis zu Russland. Aber wir wollen auch sa-
gen dürfen, was wir denken. Wenn wir das nicht mehr
tun, dann ist das ein Zeichen von Schwäche. Das wird
uns im deutsch-russischen Dialog nicht helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514105700

Herr Kollege Pflüger, ich darf Sie einen Moment un-

terbrechen. – Ich sehe, dass vor den Kameras auf der Tri-
büne Interviews gegeben werden. Das ist in diesem
Raum nicht üblich. Hier wird nur das gefilmt, was an
diesem Pult gesagt wird. Ich bitte Sie, das zu lassen.


(Beifall)



Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1514105800

Von Russland zu China: Bei China ist Bild das ziem-

lich ähnlich. Der Bundeskanzler ist nach China gefah-
ren. Auch dazu muss man sagen: Es ist wichtig, mit
China, einer aufstrebenden Weltmacht, ein gutes Ver-
hältnis zu haben. Natürlich ist das ein großer Markt.
Keine Frage, wir wollen dort Geschäfte machen. An die-
ses Thema kann man nicht mit einem „Westminsterrigo-
rismus“ herangehen und sagen: In China muss übermor-
gen alles so sein, wie wir es uns vorstellen. Aber man
wird doch wohl fragen dürfen, ob es richtig war, in
China einseitig die Aufhebung des Waffenembargos an-
zukündigen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war bestimmt nicht richtig!)


Auch dazu kann ich sagen: Das kritisieren nicht nur
die Kollegen aus der CDU/CSU, sondern auch – das






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Friedbert Pflüger

haben wir in den zuständigen Ausschüssen gesehen –
Abgeordnete der Regierungskoalition. Eine Abstim-
mung im zuständigen Ausschuss hatte zum Ergebnis,
dass eine Mehrheit gegen diese Position des Bundes-
kanzlers ist.


(Jörg van Essen [FDP]: Man sollte einmal nachlesen, was Herr Fischer dazu früher gesagt hat!)


Anschließend stellte sich der Bundeskanzler mit seinem
Regierungssprecher hin und sagte, er nehme diese Posi-
tion des Parlamentes zur Kenntnis, aber er bleibe bei sei-
ner Linie. Gilt denn das Wort des Parlamentes, das wir
auch hier in einer Debatte vor kurzem zum Ausdruck ge-
bracht haben, so wenig? Das Waffenembargo hat seinen
guten Grund, gerade vor dem Hintergrund der Zuspit-
zung an der Straße von Taiwan. Für die Bundesrepublik
Deutschland muss doch klar sein, dass sie das tut, was
auch die übrigen EU-Partner tun und was auch in diesem
Hause Konsens ist, und dass sie den Chinesen nicht ein-
fach nach dem Mund redet. Dass der Bundeskanzler das
getan hat, ist ein Fehler gewesen. Herr Außenminister,
sagen Sie doch bitte, wie Sie dazu stehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das liegt in der Ackerfurche!)


Herr Bundesaußenminister, Sie haben 1996, als Sie
noch Oppositionspolitiker waren, im Bundestag gesagt,
und zwar völlig zu Recht:

Wir werden eine friedliche Entwicklung Chinas
nicht bekommen, wenn wir vor allen Dingen auf
das Geschäft setzen … deswegen müssen wir mit
den Chinesen unnachgiebig über Menschenrechte,
über tibetische Kultur und über den Schutz von
Minderheiten in China sprechen. Wenn das Auf-
träge kostet, dann kostet es eben Aufträge.

Ich will überhaupt nicht, dass das Aufträge kostet. Ich
glaube auch nicht, dass das im Interesse der Wirtschaft
ist, die langfristig und in unser aller Interesse gute Ge-
schäfte in China machen möchte. Nur, wenn man nicht
auch auf Menschenrechte und Demokratie in China ach-
tet – nicht in dem Sinne, dass übermorgen alles erreicht
sein muss, aber im Sinne einer kontinuierlichen
Entwicklung –, dann wird man in China keinen langfris-
tig stabilen Partner haben. Deswegen schließt es sich
überhaupt nicht aus, glaube ich, auf der einen Seite für
Menschenrechte einzutreten und auf der anderen Seite
mit diesem aufstrebenden und wichtigen Land Geschäfte
zu machen.

Ein Punkt zum Thema Türkei. Auch dabei sehen wir
immer wieder Widersprüche. Der Kollege Nachtwei von
den Grünen, verteidigungspolitischer Sprecher, hat in
der „taz“ am 20. November erklärt, er sei gegen die von
Bundesminister Struck gewünschte Lieferung von ge-
brauchten Leopard-2-Panzern an die Türkei. Die Türkei
sei dafür nicht reif, die Lage der Menschenrechte müsse
sich erst „unumkehrbar stabilisiert“ haben.

Herr Kollege Nachtwei, erklären Sie mir doch einmal,
wie das zusammenpassen soll! Sie sagen, die Türkei, un-
ser NATO-Partner, sei nicht reif genug, gebrauchte Pan-
zer zu bekommen. Aber offenbar ist sie reif genug, dass
Verhandlungen über die Vollmitgliedschaft in der EU
aufgenommen werden. Das passt doch hinten und vorn
nicht zusammen. Wie wollen Sie das eigentlich den
Menschen draußen erklären?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Machen Sie es doch so, wie es jetzt Präsident Chirac

macht. Wenn man der heutigen Ausgabe des „Handels-
blattes“ glauben darf – ich tue das –, dann bemühen sich
die Franzosen darum, das zu tun, was Frau Merkel vor-
hin in Ihrer Rede gesagt hat, nämlich einen Weg zwi-
schen Vollmitgliedschaft und Scheitern der Verhandlun-
gen zu finden, eine besondere Form der Anbindung; wir
nennen das „privilegierte Partnerschaft“. Machen Sie
das doch! Schreiben Sie es doch mit hinein und lassen
Sie die Ergebnisse offen! Lehnen Sie diese vernünftige
Politik, die noch einmal eine wichtige Sicherung im Ver-
hältnis zur Türkei sein kann, nicht aus dem einzigen
Grund ab, dass der Vorschlag von der CDU/CSU
kommt!

Meine Damen und Herren, auch auf einem anderen
Gebiet sollten Sie noch einmal überprüfen, ob wir nicht
doch die richtige Linie vertreten.


(Jörg Tauss [SPD]: Rumgeeier!)

Ich finde es richtig, Herr Bundesminister, dass Sie in
Scharm al-Scheich waren. Ich finde gut, was in Scharm
al-Scheich beschlossen worden ist. Das entspricht unse-
rer Forderung, die unmittelbaren Nachbarn des Irak in
den Prozess einzubinden. Ich finde auch völlig richtig,
dass wir Polizei- und Soldatenausbildung im Irak betrei-
ben und dass wir jetzt endlich beginnen, deutlich zu ma-
chen, auf welcher Seite wir wirklich stehen, nämlich
nicht auf der Seite der feigen Terroristen, die dort mor-
den, sondern auf der Seite der irakischen Regierung, die
von der UNO unterstützt wird, der Regierung, die jetzt
Wahlen vorbereitet. Es ist ganz wichtig, dass wir uns mit
diesem Prozess ganz eindeutig identifizieren. Nur wenn
dieses klare Signal des ganzen Westens im Irak an-
kommt, haben wir eine kleine Chance, den Irak wirklich
zu befrieden.

Dass wir jetzt auf diesem Weg Fortschritte machen,
auch in der Entschuldungsfrage – darüber ist heute schon
geredet worden –, finden wir gut und richtig, aber ich
würde Sie bitten, in einem Punkt – da hat der Bundes-
kanzler gleich wieder versucht, hier eine Konfrontation
aufzubauen, so als wollten die einen Kampftruppen hin-
schicken und die anderen nicht – noch einmal nachzu-
denken. Die NATO hat beschlossen, eine Ausbildungs-
mission für Offiziere im Irak durchzuführen. Sie
kommt damit dem Wunsch der Iraker nach, die nämlich
sagen: Wir wollen keine weiteren ausländischen Solda-
ten. Wir wollen auch keine deutschen Soldaten. Wir wol-
len unsere eigenen Leute ausbilden. – Dann hat die Bun-
desregierung in den Verhandlungen bei der NATO
richtigerweise sehr sorgfältig darauf geachtet, dass man
zwischen dieser Ausbildungsmission und den Koali-
tionstruppen klar trennt, dass man nur höhere Offiziere
ausbildet und nicht sozusagen in die Breite geht. Sie hat






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Friedbert Pflüger

das Mandat der NATO genau bestimmt. Sie stellt auch
Geld zur Verfügung. Sie stimmt diesem Einsatz letztlich
zu, sagt aber dann: Die wenigen deutschen Soldaten, die
in dem NATO-Stab, der die Ausbildung durchführen
soll, sitzen, müssen draußen bleiben. Die Frage ist, ob
das eine kluge Politik ist, oder ob es angesichts der Tat-
sache, dass man multilateral tätig sein und seine Bünd-
nisverpflichtungen wahrnehmen will und den Amerika-
nern immer wieder sagt, dass sie die NATO nicht wie
eine Toolbox, also wie einen Werkzeugkasten, benutzen
sollen, indem sie sich nur das herausgreifen, was sie
wollen –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514105900

Herr Kollege Pflüger, achten Sie bitte auf die Zeit.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1514106000

– ich komme zum Schluss –, nicht klüger wäre,

NATO-Stäbe nicht auseinander zu reißen. Das ist, wie
ich glaube, dringend erforderlich. Der NATO-Generalse-
kretär hat ja vor wenigen Tagen klipp und klar gesagt:


(Jörg Tauss [SPD]: Der Kanzler auch!)

Die Deutschen können nicht ständig fordern, in allen Stä-
ben vertreten zu sein, aber dann, wenn es ernst wird, sa-
gen, sie ließen ihre Soldaten außen vor. Es besteht völliger
Konsens darüber, dass keine Kampftruppen in den Irak
geschickt werden sollen. Aber wenn ein NATO-Stab zu
Ausbildungszwecken dort hingeschickt werden soll – –


(Zurufe von der SPD: Seit wann das denn?)

– Darüber bestand immer und besteht Konsens.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514106100

Herr Kollege Pflüger, Sie können darüber nicht weiter

debattieren. Ihre Redezeit ist überschritten.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1514106200

Meine Redezeit ist zu Ende.
Ich sage abschließend: Wir sollten den Versuch ma-

chen, einen wirklichen Neuanfang im transatlantischen
Verhältnis zu unternehmen, im Iran nicht Fehler der Ver-
gangenheit wiederholen und gegenüber dem Irak einen
Kurs fahren, der dem jetzt in Scharm al-Scheich verkün-
deten Kompromiss entspricht. Dann gäbe es mehr Kon-
sens in der Außenpolitik als in der Vergangenheit. Das
täte unserem Land gut.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514106300

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Weisskirchen.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1514106400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Dr. Pflüger, ich finde, dass es nicht ganz an-
gemessen war, wie Sie in Ihrer Rede die Würdigung des-
sen, was in der Ukraine an Richtigem geschieht, mit par-
teipolitischen Zielen vermengt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen, lieber Kollege Pflüger, auch sagen, wa-
rum das nicht angemessen war. In der Ukraine kämpfen
in diesen Stunden Demokraten darum, dass sich die
Werte der Demokratie durchsetzen. Sie verbinden damit
die Hoffnung auf einen tief greifenden Wandel. Das ist
ein historischer Moment, in dem sich die Ukraine gegen-
wärtig befindet. Dieser historische Moment wird davon
bestimmt, dass es in zwei oder drei Stunden passieren
könnte, dass die nationale Zählkommission an die Öf-
fentlichkeit tritt und das Wahlergebnis, das sie sich
wünscht und durch Manipulationen herbeigeführt hat,
verkündet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann von uns
nicht hingenommen werden, dass jemand aufgrund von
Wahlfälschung bzw. -manipulationen zum Präsidenten
ausgerufen wird, der nicht vom Volk getragen ist. Das
können wir nicht akzeptieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade darum geht es. Es sind Hunderttausende von
Menschen, die gegenwärtig in Eiseskälte auf den Stra-
ßen Farbe bekennen, übrigens nicht nur in Kiew, sondern
– man höre und staune – auch in Charkiw. Dort gab es
gestern Demonstrationen mit Zehntausenden von Men-
schen. Diese gab es in Lwiw, sie gibt es in Sumy und
Tscherkassy. Das heißt, die ganze Ukraine ist in Aufruhr
und die Bevölkerung will sich die Demokratie friedlich
auf den Straßen erkämpfen. Das unterstützen wir ganz
klar in einer gemeinsamen Erklärung des Deutschen
Bundestages.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor diesen Hunderttausenden hat Wiktor
Juschtschenko letzten Montag – Jelena Hoffmann war
dabei – Folgendes gesagt: Der Wille des Volkes kann
nicht gebrochen werden und seine Stimmen können
nicht gestohlen werden. Das hat der vom Volk gewählte
Präsident gesagt. Wenn ein anderer ausgerufen wird, der
zugleich anderswo, nämlich in Moskau, zum Gewinner
der Wahl erklärt wird – jetzt denken wir eine Sekunde
darüber nach, er würde nicht nur ausgerufen, sondern
wirklich die Bürde des Präsidentenamtes übernehmen –,
stellt sich die Frage, was er für ein Präsident wäre. Er
wäre ein Präsident von Moskaus Gnaden. Er wäre ein
Präsident, der keine legitime Grundlage für sein Handeln
hat. Er wäre ein Präsident, dessen Autorität auf Wahlfäl-
schungen beruhen würde. Er wäre ein Präsident, der in-
ternational keinen Kredit für die Ukraine gewinnen
könnte. Was wäre das für ein Präsident, der dann die
Ukraine anführen und repräsentieren würde? Das ist eine
schreckliche Vorstellung.






(A) (C)



(B) (D)


Gert Weisskirchen (Wiesloch)


Wir, der Deutsche Bundestag, wollen, dass der poli-

tische Wille des ukrainischen Volkes, der sich bei den
Wahlen am letzten Sonntag so überzeugend und deutlich
gezeigt hat und der gegenwärtig zum Ausdruck gebracht
wird durch Zehntausende, Hunderttausende Menschen,
die friedlich, zurückhaltend und ohne Gewalt anzuwen-
den auf den Straßen sind, ungehindert, ungeschmälert
und unverfälscht anerkannt wird. Das ist unsere Forde-
rung an die Behörden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unser Ziel – auch das muss klar sein – muss dabei un-
verändert sein: Wir wollen eine freie, unabhängige, sou-
veräne, rechtsstaatliche, demokratische Ukraine. Auch
die anderen Ziele, die wir bislang – dankenswerterweise
durch den Bundeskanzler und den Bundesaußenminister
vertreten – deutlich gemacht haben, bleiben unverändert.
Deutschland und Europa haben ein ungebrochenes ge-
meinsames Interesse daran, dass die Ukraine und Russ-
land gute Nachbarn sind. Wir können kein anderes Inte-
resse haben.

Wir befinden uns in der Tat in einem historisch ent-
scheidenden Moment. Weil wir alle gemeinsam dieses
Interesse haben und auch Moskau dieses Interesse haben
muss, darf die Ukraine nicht zum Spielball irgendwel-
cher Interessengruppen, wo auch immer diese sind, wer-
den. Dieses Schicksal hat die Ukraine schon sehr viele
Jahre erleiden und erdulden müssen. Es ist erst 13 Jahre
her, dass die junge, neue Ukraine überhaupt ins politi-
sche Leben getreten ist. Das ist eine kurze Phase in der
Geschichte der Ukraine. Sie knüpft an eine frühere
Epoche an. Anfang der 20er-Jahre gab es einmal eine
ganz kurze Phase der Selbstständigkeit in ihrer Ge-
schichte. Damals hat sie so etwas wie die erste Vorstufe
der Demokratie erfahren können.

Was gegenwärtig auf den Straßen von Kiew, Sumy,
Tscherkassy und anderen Orten geschieht, stellt einen
historischen Moment dar. Es hat noch nie ein solch uner-
hörtes Ereignis in der Geschichte der Ukraine gegeben,
dass die Menschen selbst sagen: Wir wollen unser politi-
sches Schicksal in die eigene Hand nehmen.

Das strategische Ziel, eine bessere, kooperativere Be-
ziehung der Ukraine zu Moskau als zu Europa herzustel-
len, weil die Beziehung zu Moskau wichtiger sei, ist
grundfalsch. Wir müssen überall in Europa dafür sorgen,
dass wir alle miteinander gute Nachbarn sind; denn wir
brauchen unser gemeinsames Europa nicht wegen eines
hegemonialen Gefälles, sondern damit alle Menschen in
Europa die Chance haben, als gute Nachbarn und in glei-
cher Weise unabhängig, frei und demokratisch leben zu
können. Deswegen unterstützen wir heute den gemeinsa-
men Antrag des Deutschen Bundestages.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte gerne jemanden zitieren, der für die junge,
neue Ukraine steht. Es gibt einen Schriftsteller, Juri
Andruchowytsch, der gemeinsam mit Andrzej Stasiuk
ein wunderbares Buch mit dem Titel „Mein Europa“ ge-
schrieben hat. Damit bahnt sich etwas an, über die Gren-
zen hinweg, zwischen der polnischen Ostgrenze und der
westlichen Grenze der Ukraine. Es erinnert an die Beski-
den, Galizien und die Bukowina des Manès Sperber, des
Paul Celan und der Rose Ausländer, literarische Regio-
nen. Die Republik macht schon seit Jahrzehnten deut-
lich, dass sie zu Europa gehören will. Diese Tradition
lebt noch immer.

Es ist die Aufgabe des Deutschen Bundestages, die
Ängste in dieser Region zu beachten. Was geschieht mit den
Ukrainern – so fragt beispielsweise Andruchowytsch –,
wenn die Ungarn, Slowaken und Polen im „eigentlichen
Europa“ verschwinden? Die Angst in dieser Region ist,
eingegrenzt und verbarrikadiert zu sein, weil es keinen
neuen Zugang zu Europa gibt.

Wir müssen deutlich machen, dass wir auf die oran-
gene Revolution neugierig sind. Wir wollen mit den
Menschen kooperieren. Wir wünschen, dass dieser fried-
liche und demokratische Prozess dazu führt – dafür hat
sich das Volk am letzten Sonntag in freier Selbstbestim-
mung entschieden –, dass die Ukraine einen Platz in der
europäischen Familie der Demokratien findet. Darum
geht es und dafür streiten wir.

Wir hoffen sehr, dass auch in diesen Stunden dieser
Weg ein Weg ohne Gewalt ist, dass er zum Frieden führt
und der Ukraine einen festen Platz innerhalb der Familie
der europäischen Demokratien sichert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514106500

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der Libe-

ralen, Wolfgang Gerhardt.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1514106600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kollege Weisskirchen, was Sie zu den Wünschen in Be-
zug auf die Ukraine vorgetragen haben, ist hier völlig
unstreitig.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Ja!)

Ich führe doch diese Debatte nicht, um Sie zu Ihrem
überzeugenden Beitrag über die Demokratie in der
Ukraine zu beglückwünschen. Unter uns müssen wir
darüber nicht reden. Wir müssen aber mit der Bundesre-
gierung darüber reden, was sie zu tun gedenkt, um dem
russischen Präsidenten klar zu machen, dass er aufhö-
ren soll, sich dort einzumischen. Darum geht es.


(Beifall bei der FDP und der CDU/ CSU – Peter Hintze [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir wollen gute Beziehungen zu dem russischen Prä-
sidenten unterhalten. Wir müssen ihm aber auch sagen,
wie wir die Lage sehen, damit er unsere Einschätzung
von den Ereignissen um uns herum kennt. Er hat keine
Kultur des Rechtsstaates in Russland entwickelt. Er hat
vielmehr staatlich interveniert, um einen Mann mithilfe
der Staatsanwaltschaft, der Justiz und der Polizei verhaf-
ten zu lassen.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Jawohl!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Gerhardt

Nun wird gegen diesen Mann ein Prozess geführt, der
rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn spricht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der russische Präsident hat Fernsehanstalten aufkau-
fen lassen, um die Meinungsvielfalt zu unterdrücken. Er
hat die Opposition im Wahlkampf praktisch beiseite ge-
drängt. Er hat zwar die Menschenrechtsverletzungen in
Tschetschenien zur Kenntnis genommen, aber nur zöger-
lich diejenigen Angehörigen seines Militärs zur Rechen-
schaft gezogen, die dazu beigetragen haben, dass diese
Menschenrechte verletzt worden sind.


(Zuruf von der FDP: Der Außenminister schweigt!)


Das alles ergibt kein Bild eines lupenreinen Demokra-
ten. Das ist vielmehr das Bild eines Mannes, der zwar
um die Schwierigkeiten weiß, die ihm ein Land mit acht
Zeitzonen bereitet, der aber gegenwärtig einen Weg ein-
schlägt, von dem wir gewünscht hätten, dass er ihn nicht
gehen würde. Wir hatten uns einen anderen, nämlich ei-
nen offeneren und internationaleren, Weg Russlands vor-
gestellt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Unsere Vorstellungen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, müssen ihm mitgeteilt werden.

Als Joschka Fischer noch nicht Außenminister war,
hat er in einer Debatte einmal zu Helmut Kohl gesagt,
dass man zu dem Tschetschenienkonflikt und zu der
Lage der Demokratie in Russland keine geduckte Hal-
tung einnehmen könne. Damals waren Kohl und Jelzin
die Akteure. Tauschen Sie Jelzin durch Putin und Kohl
durch Schröder aus.

Wer in der Sendung „Beckmann“ für die Weltöffent-
lichkeit das Testat abgibt, es handele sich bei dem russi-
schen Präsidenten um einen lupenreinen Demokraten
– es handelt sich im Falle des Bundeskanzlers um eine
hochkarätige Meinung –, der verhält sich nicht so, wie
das die Stellungnahmen der EU, der OSZE, des amerika-
nischen Präsidenten, vieler Wahlbeobachter und Nichtre-
gierungsorganisationen sowie der oppositionellen Kräfte
in Kiew erforderlich machen. Warum hat der Bundes-
kanzler das getan? Das dient doch nicht dazu – auch wir
wünschen gute Beziehungen –, die Beziehungen zu
Russland zu verbessern. Das dient doch eher dazu, je-
manden im Unklaren darüber zu lassen, was unsere Vor-
stellung über seine Herrschaftsausübung ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, wer mit uns umgeht, sollte unsere Vorstellung
kennen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Ich könnte jetzt mühelos ein Zitat zu China von Ih-
nen, Herr Außenminister Fischer, aus Ihrer Nichtaußen-
ministerzeit hinzufügen. Das könnten Sie dem Bundes-
kanzler auf die Reise nach China mitgeben. Wenn Sie
Courage haben, machen Sie es. Sie haben schon reich-
lich zum Waffenembargo geschwiegen, als es damals
ausgesprochen wurde.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit will ich auf Folgendes hinaus: Wir haben in der
Außenpolitik viele große Linien der Gemeinsamkeiten.
Aber allmählich ist es für die Bundestagsfraktion der
Freien Demokraten nicht mehr hinnehmbar, dass im Ge-
gensatz zu allen früheren Äußerungen gegenüber der
Vorgängerregierung jetzt bei denen, die man sich als nä-
here Partner ausgesucht hat und mit denen man rechnen
muss, stillschweigend über die großen Fragen wie die
der Menschenrechte und der Menschenwürde hinwegge-
gangen wird und auf die Milde der Opposition gebaut
wird, dass wir das nicht zur Aussprache bringen. Die
Kollegen aus Koalitionskreisen behaupten dazu, wir hät-
ten nicht den nötigen internationalen Respekt und das
nötige Feingefühl.

Für eine erwachsene Demokratie, für ein Land, das in
die EU eingebettet ist und nach dem Willen der Regie-
rung einen Sicherheitsratssitz in den Vereinten Nationen
anstrebt, ist eine gepflegte offene Aussprache mit denje-
nigen, die wir als Partner betrachten, wichtig. Das muss
im deutschen Parlament einmal ausgesprochen werden.
Das ist heute notwendiger denn je.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Ukraine ist unser Nachbar. Mitglieder der EU
grenzen an dieses riesengroße Land. Der russische Präsi-
dent kann doch nicht annehmen, dass wir zu all den Ein-
flussnahmeversuchen, die er schon früher unternommen
hat, schweigen. Die Ukraine ist ein Land, in das wir im
Interesse Russlands und der Europäischen Union nach-
barschaftlich mit Hilfen an das Land bei seinen Demo-
kratisierungsanstrengungen hineinblicken sollten. Wenn
die Europäische Union jetzt ein Treffen mit Russland ab-
hält, sollte Russland klar vermittelt werden, dass die
Werte, zu denen sich im Übrigen auch der russische Prä-
sident in internationalen Abkommen verpflichtet hat,
für beide Seiten gelten sollten. Wenn ein Land anders
wählt, als sich das eines der anderen Länder vorgestellt
hat, gilt es, das Ergebnis zu respektieren. Offenheit in
der Aussprache sollte doch unter lupenreinen Demokra-
ten üblich sein. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.

Das gilt auch für die Aussprache mit dem chinesi-
schen Regierungschef. Es ist immer gut, wenn die ande-
ren wissen, wie wir denken. Sie können ja andere Vor-
stellungen haben; aber sie können nicht verlangen, dass
wir ruhig sind, wenn es um Demokratie, Menschen-
würde, Transparenz, Rechtsstaat und die Kultur des
Rechtsstaats geht. Das muss man wissen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das wollte ich zu diesem Punkt sagen.

Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt heute:
Die ukrainische Krise ist eine Bewährungsprobe für
das neue Europa und es ist ein Lackmustest für die
viel gepriesenen guten deutsch-russischen Bezie-
hungen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Gerhardt

Das ist es. Vor dieser Aufgabe steht jetzt die Bundesre-
gierung. Die muss sie wahrnehmen.

Wir haben in der Außenpolitik – das will ich im Tele-
grammstil sagen – immer Problemlagen. Das ist jetzt so
eine. Wir haben Chancen im Iran, in Israel und in Paläs-
tina und Wiederanknüpfungspunkte zu besseren Bezie-
hungen zu den Vereinigten Staaten. Diese Chancen kön-
nen wir jetzt wahrnehmen, wenn auch Skepsis dahin
gehend besteht, ob im Iran die Erwartung, die dort schon
einmal geäußert worden war, eingehalten wird. Es fragt
sich, ob wir wirklich dieses Window of Opportunity öff-
nen können, das sich zwischen Israel und den Palästi-
nensern jetzt auftun könnte. Es muss von unserer Seite
aus darauf gedrängt werden. Das tut der Außenminister;
ich bestätige das hier gerne. Aber auch die zweite Bush-
Administration muss von der Europäischen Union ge-
drängt werden. Wenn jetzt nicht mit allem Engagement
darauf hingearbeitet wird, dass es dort zu einer Lösung
kommt, verlieren wir unendlich viel Zeit.

Ich komme gleich zum Schluss, möchte aber noch
fragen: Hat sich eigentlich in Afghanistan ein neues
Provincial Reconstruktion Team eingefunden?


(Dr. Peter Struck, Bundesminister: Ja!)

Eines?


(Dr. Peter Struck, Bundesminister: Ja!)

– Das ist aber viel.


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten keines! Sie waren immer für null!)


Ich frage immer wieder in Abständen nach, weil das
Land groß ist, immer noch vor Problemen steht und es
nur millimeterweise vorangeht.


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen Afghanistan sich selbst überlassen, ganz liberal das Chaos ausbrechen lassen! Liberalität gleich Anarchie! – Kurt Bodewig [SPD]: Was wollten Sie mit Ihrer Frage jetzt bezwecken?)


Wie ist die Lage im Kosovo nach den Wahlen? Wie
schätzt die Bundesregierung das weitere Vorgehen im
Rahmen des Balkanstabilitätspaktes ein? Was wird dort
politisch weiterbewegt?

Eine weitere Frage im Telegrammstil: Glaubt die
Bundesregierung, dass sie die Haltung, im Irak selbst
keine Ausbildung der Sicherheitskräfte vornehmen zu
können, durchhalten kann, wenn es dereinst eine legiti-
mierte, gewählte irakische Regierung geben sollte?

Zu diesen Fragen könnte im Rahmen der Debatte
noch einmal Stellung genommen werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514106700

Das Wort hat der Kollege Ludger Volmer, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514106800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die au-

ßenpolitische Diskussion der letzten Wochen wird ge-
prägt durch drei personelle Entscheidungen bzw. Bestä-
tigungen: die in Washington, die in Kiew und die in
Ramallah.

Die Entscheidung in Washington ist für uns völlig
eindeutig: Präsident Bush ist mit einer klaren Mehrheit
wieder gewählt worden; daran gibt es nichts zu deuteln.
Noch ist offen, was er mit diesem politischen Kapital an-
zufangen gedenkt. Wir sind mehr als bereit, die transat-
lantischen Spannungen der letzten Jahre zu überwinden.
Dazu bedarf es aber jetzt in erster Linie klarer Signale
aus Washington selbst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die ersten Entscheidungen sind widersprüchlich. Zu
begrüßen ist das Bekenntnis zur Implementierung der
Konfliktregelung für den Nahen Osten auf der Basis der
Roadmap. Skeptisch stimmt uns hingegen eine andere
Entscheidung. Wir hoffen, dass der zum Justizminister
berufene ehemalige Rechtsberater des Weißen Hauses,
Gonzales, seine in Gutachten für den Präsidenten geäu-
ßerte Auffassung, dass die Funktion des Oberbefehlsha-
bers diesen von allen völkerrechtlichen Restriktionen
entbinde, nicht zur Maxime seiner Amtsführung machen
wird. Ebenso hoffen wir, dass die designierte Außenmi-
nisterin die angekündigte Politik der Entspannung ge-
genüber Europa durchsetzen kann. Die Welt braucht die
Vereinigten Staaten, die in kooperativem Geist mit der
internationalen Staatengemeinschaft zusammenarbeiten
und nicht unilateralen und isolationistischen Tendenzen
folgen. In diesem Sinne sind wir bereit für einen „fresh
start“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


– Ich glaube, unter diesem Begriff wird das Programm in
den USA diskutiert; das war ein Zitat.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Weißt du es oder weißt du es nicht? – Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Nehmen Sie dafür auch ein Visum?)


Die Beziehungen zu Russland verkomplizieren sich
in der Tat. Wir führen die Diskussion über die russische
Innenpolitik und die russische Regionalpolitik seit den
grauenhaften Terroranschlägen in Beslan wieder in ver-
schärfter Form. Wir sind uns hier einig, dass die Terror-
anschläge in Beslan durch nichts, aber auch überhaupt
nichts zu rechtfertigen sind. Sie sind auch nicht durch
eine falsche Politik Moskaus in Tschetschenien zu recht-
fertigen. Dennoch hat diese Katastrophe den Blick auf
die russische Tschetschenienpolitik gelenkt und auch
darauf, welche innenpolitischen Konsequenzen aus dem
– notwendigen – Programm, sich an der Bekämpfung
des internationalen Terrorismus zu beteiligen, gezogen
wurden. Wir sehen schon mit einer gewissen Sorge, dass
zahlreiche Errungenschaften der Ära Gorbatschow,
Glasnost und Perestroika, wieder zurückgenommen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ludger Volmer

werden. Wir hoffen, dass sie nicht gegen null zurückge-
führt werden.


(Markus Löning [FDP]: Sieht das der Bundeskanzler auch mit Sorge?)


Ebenfalls mit einigem Stirnrunzeln sehen wir, dass
Präsident Putin im Vorfeld der Wahlen in der Ukraine
nicht nur aufgetreten ist, sondern auch stark Einfluss ge-
nommen hat, und zwar zugunsten des Kandidaten, dem
nun massive Wahlfälschungen vorgehalten werden müs-
sen. Das sehen wir mit Stirnrunzeln und Argwohn.

Der Deutsche Bundestag, der Auswärtige Ausschuss
in seiner gestrigen Sitzung wie auch die Bundesregie-
rung haben eindeutige Erklärungen zu den Wahlen in
der Ukraine abgegeben. Ich kann mich dem flammen-
den Appell zur Durchsetzung der Demokratie und zur
Solidarisierung mit den Demokraten in der Ukraine, den
Kollege Weisskirchen gerade an uns gerichtet hat, nur
anschließen. Wir werden selbstverständlich dem ge-
meinsamen Antrag der vier Fraktionen im Bundestag zu-
stimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man muss sich aber auch einmal den Standpunkt der
russischen Politik selber zu Eigen machen. Schauen Sie
sich die Welt aus Moskauer Sicht an! Sie sehen eine
wachsende, sich erweiternde, sich vertiefende Europäi-
sche Union. Als prominenter Politiker in Moskau wissen
Sie, dass sowohl Russland wie auch Weißrussland wie
auch die Ukraine oder andere GUS-Staaten in absehba-
rer Zeit nicht einmal in Diskussionen über eine Erweite-
rung der Europäischen Union einbezogen werden kön-
nen. Keiner kann sich im Moment vorstellen, dass auch
diese Länder dazugehören könnten. Deshalb ist es aus
deren Perspektive nahe liegend, Anstrengungen zu un-
ternehmen, sich zusammenzuschließen und zu formie-
ren. Wir haben ein Interesse daran, dass die Nachbar-
schaft zwischen diesen Ländern gut bleibt. Wir haben
darüber hinaus ein Interesse daran, dass sie dort einen
starken Bund oder ein Bündnis, wie locker auch immer,
bilden. Wir haben aber auch ein Interesse daran, dass
dies auf der Basis des formulierten Volkswillens in den
beteiligten Ländern geschieht, also auf der Basis von
Demokratie.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Deshalb muss auch mit Präsident Putin darüber ge-
sprochen werden, welche Kräfte er in den Nachbarstaa-
ten unterstützt und welchen Einfluss dies auf das im
Prinzip von uns gewünschte nachbarschaftliche Verhält-
nis hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das hat im Übrigen der Bundeskanzler heute Morgen
nicht anders gesagt; vielleicht haben Sie nur nicht richtig
hingehört. Der Bundeskanzler hat auf die Frage, wie er
es sich vorstellt, geantwortet: Selbstverständlich muss
sich Präsident Putin auf die richtigen Kräfte stützen. Da-
mit können doch nur die demokratischen gemeint gewe-
sen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie meinen, Sie müssten den Bundeskanzler zu
einer öffentlichen Stellungnahme gegen Putin provozie-
ren, dann müssen Sie sich auch genau überlegen, ob Sie
die Konsequenz daraus wirklich wollen. Der Bundes-
kanzler ist im Moment die Person mit dem besten Zu-
gang zu Putin. Ich weiß aus eigenem Erleben, dass in
den Gesprächen, die der Bundeskanzler mit Putin führt,
alle diese schwierigen Fragen – Tschetschenien, die
Ukraine und viele andere strittige Dinge – in größter
Offenheit angesprochen werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Der offene Dialog, den Sie einfordern, findet längst
statt. Der Bundeskanzler würde wahrscheinlich einen
großen Fehler machen, wenn er auf Ihre Provokation
einginge und sich durch eine falsche öffentliche Tonlage
den guten Gesprächsfaden nach Moskau abschneiden
ließe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: Das ist doch deren Absicht!)


– Das ist deren Absicht.
Frau Merkel fragte heute Morgen, warum der Bun-

deskanzler, wenn er doch in Moskau so offen redet, nicht
genauso offen mit Bush in der Irakfrage geredet habe.
Damit wären wir bei dem Punkt – Herr Pflüger, auch Sie
haben ihn gerade aufgegriffen –, über den wir im letzten
Jahr diskutiert haben. Der Unterschied ist folgender: In
Moskau sind die Dinge im Fluss und eine gute und ge-
zielte Gesprächsführung kann beeinflussend wirken. In
Washington war damals nichts im Fluss. Es gab auf der
einen Seite die gute Kooperation, die keiner weiteren
Gespräche bedurfte. Sie lief während des gesamten Irak-
konflikts und läuft heute noch weiter. Auf der anderen
Seite hatte es bezüglich des Iraks längst den finsteren
Entschluss gegeben, den Krieg auf jeden Fall zu führen,
auch wenn es für ihn keine Grundlage gab. Was hätte in
dem Moment das Gespräch der Europäer genutzt?


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wann haben es die Europäer geführt?)


Wären die Amerikaner von ihrem Plan zur Kriegsfüh-
rung abgerückt? Hätten sie nur einen halben Krieg ge-
führt? Vielleicht, auf jeden Fall aber hätten sie die Euro-
päer in den Krieg hineingezogen. Das Ergebnis wäre
gewesen – dazu haben Sie sich als CDU/CSU immer be-
kannt –, dass nicht nur die Europäer, sondern dass auch
die Bundesrepublik Deutschland, die Bundeswehr an
diesem Kampfeinsatz teilgenommen hätte. Dagegen wa-
ren wir und einen solchen Gesprächsinhalt haben wir im-
mer abgelehnt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ludger Volmer

Um es ganz deutlich zu Ende zu deklinieren: Das Er-

gebnis Ihrer Politik wäre, dass heute auch unsere Söhne
und Töchter im Irak von Granaten in einem Krieg zer-
fetzt würden,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nein!)

für den es nicht die geringste Rechtfertigung gibt. Das
wäre die Konsequenz Ihrer Politik, wenn die CDU/CSU
damals die Außenpolitik hätte bestimmen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zum Glück haben der Bundeskanzler, der Außenminis-
ter und die rot-grüne Koalition eine solch fatale Ent-
wicklung verhindert.

Wir sind bereit, zusammen mit den USA an einer
neuen Sicherheitsstrategie, an einer Strategie, die insbe-
sondere auf die Einbeziehung der Türkei in die Euro-
päische Union setzt, zu arbeiten. Es gibt viele gute
Gründe für die Aufnahme der Türkei in die Europäische
Union, die historisch gewachsen sind, und es gibt das si-
cherheitspolitische Argument, über das wir schon mehr-
fach diskutiert haben.

Wenn ich die Haltung der Union betrachte, habe ich
den Eindruck: Es ist nicht Europa, welches überdehnt
wird, es ist nicht die Europäische Union, die durch den
Beitritt der Türkei überdehnt wird, es ist die Christlich
Demokratische Union Deutschlands, die durch einen
Beitritt der Türkei überdehnt wird. Während sich auf der
einen Seite die CSU noch am letzten Wochenende ein-
stimmig, wie ich vernommen habe, dafür ausgesprochen
hat, dass die Türkei der Europäischen Union nicht bei-
treten darf – wenn dieses Ergebnis ohnehin feststeht,
frage ich mich allerdings, warum Sie so tun, als würden
Sie noch verhandeln –, gibt es auf der anderen Seite
namhafte Außenpolitiker in der CDU/CSU-Fraktion, die
durchaus für einen Beitritt der Türkei bzw. zumindest für
die Aufnahme von Verhandlungen sind und in diesem
Sinne Regierungspositionen vertreten.

Diese Überdehnung des christlich-sozialen Spek-
trums drückt sich im Moment auch darin aus, dass die
Flügelkräfte Merz und Seehofer abbröckeln. Diese
Überdehnung können Sie nicht auf Dauer durchhalten.
Wenn Sie einen internen Formelkompromiss finden, der
nur Ihrem eigenen Kohärenzproblem geschuldet ist,
dann sollten Sie Europa damit nicht belästigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Über den Irak kommt er zu Seehofers Gesundheitspolitik! Da ist jemand im Irrflug unterwegs!)


Meine Damen und Herren, nach unserer letzten au-
ßenpolitischen Diskussion kam es zum Ableben von
Jassir Arafat. Die Palästinenser empfinden dies als gro-
ßen Verlust, sind aber dabei, die entstandene Lücke auf
dem Wege demokratischer Wahlen – so hoffe ich doch –
zu füllen. Wenn es in der internationalen Gemeinschaft
Kräfte gab, die Arafat immer als Hindernis angesehen
haben – mag dies ein tatsächlicher Grund oder nur ein
Vorwand gewesen sein –, so sind diese Kräfte, wie auch
die palästinensische Seite selbst, nun aufgefordert, einen
Neubeginn zu wagen und alles in ihrer Kraft Stehende zu
unternehmen, um auf der Basis der Roadmap die
Lösung des Konflikts mit der Perspektive der Zweistaat-
lichkeit herbeizuführen.

Damit bin ich am Beginn meiner Ausführungen zur
Kooperation mit den USA. Wir wissen, dass die USA in
diesem Kontext die wichtigste Kraft sind. Wir hoffen,
dass die USA ihre Interessen erkennen und einsehen,
dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus
nur dann erfolgreich geführt werden kann, wenn dieser
zentrale Konflikt in der arabisch-islamischen Welt gelöst
wird. Wir hoffen, dass es in Washington zu einer Um-
orientierung kommt. Es gibt Anzeichen dafür, dass dies
der Fall sein könnte.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514106900

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514107000

Wir Europäer wären auf jeden Fall dabei, und die

Bundesregierung, die viele Initiativen in dieser Richtung
ergriffen hat, sowieso. Die Bundesregierung hat die
Grundlinien der deutschen Außenpolitik in den letzten
Jahren exzellent umgesetzt. Das wird sie auch weiterhin
exzellent tun. Deshalb werden wir diesen Haushalt
selbstverständlich bewilligen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514107100

Das Wort hat der Kollege Peter Hintze, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1514107200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Mit dem Beitrag des Kollegen Volmer wurde
das ganze Drama der Grünen


(Lachen des Abg. Gernot Erler [SPD])

im Hinblick auf die deutsche Außenpolitik dokumen-
tiert. Herr Volmer hat uns, was die Beziehungen zu den
USA betrifft, einen „fresh start“ versprochen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was er geliefert hat, war eine ziemlich gequälte Reak-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein politischer Squaredance war das!)


Ich finde, wir sollten hier vor dem Parlament eines
klarstellen: Für Deutschland und Europa ist ein gutes
Verhältnis zu Russland wichtig. Aber es wäre in hohem
Maße geschichtsvergessen, wenn wir nicht sagen
würden, dass das Bündnis zwischen Europa und den
Vereinigten Staaten von Amerika aufgrund unserer
Werte, unserer geschichtlichen Erfahrung, unserer
politischen Verantwortung und der Befreiung von der






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hintze

nationalsozialistischen Diktatur Priorität hat und dass
das transatlantische Band für uns ein wichtiges und fes-
tes Band ist, zu dem wir stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP] – Gernot Erler [SPD]: Was ist denn jetzt das Drama, Herr Hintze?)


– Verehrter Herr Kollege Erler, das Drama besteht darin,

(Ute Kumpf [SPD]: Dass Sie sich geirrt haben!)

dass Sie sich damit schwer tun, dass sich Herr Volmer
damit sehr schwer tut und dass das immer wieder sehr
stark zum Ausdruck kommt.

Es ist auch wirklich ein Drama, dass wir im Moment
einen Bundeskanzler haben, der, was Äußerungen zur
Frage der Menschenrechte in der Ukraine betrifft
– hierzu haben wir einen sehr bewegenden Beitrag des
Kollegen Weisskirchen gehört –, im Fernsehen klägliche
Auftritte hatte; Kollege Gerhardt hat das wunderbar do-
kumentiert. Solche Grundwahrheiten müssen hier gesagt
werden. Im Grunde müsste der Antrag zur Ukraine, der
hier heute von den Fraktionen vereinbart wurde, dem
Kanzler einmal zur Lektüre empfohlen werden, damit
sich solche Auftritte im Fernsehen, wie er sie uns gelie-
fert hat, nicht wiederholen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun haben wir heute in gewissem Sinne eine Pre-

miere: Der Haushalt ist ausdrücklich überschrieben mit
„Auswärtige Angelegenheiten und Europa“. Wenn wir
über Europa sprechen, dann müssen wir uns auch über
das Bild verständigen, das wir von Europa haben. Wol-
len wir nur eine Freihandelszone oder wollen wir eine
Politische Union? Wollen wir nur eine künstliche
Zweckgemeinschaft oder wollen wir eine Wertegemein-
schaft? Wollen wir ein Europa gegen die Bürger oder
wollen wir ein Europa, das vom Wir-Gefühl der Bürger
getragen ist?

Die Bundesregierung und insbesondere der Bundes-
außenminister überraschen uns ja immer mit sich wider-
sprechenden Konzeptionen: In der Humboldt-Universi-
tät zeichnete Herr Fischer mit spitzer Feder Kerneuropa,
um später mit breitem Pinsel das Gemälde eines gren-
zenlos ausufernden Europas dagegenzusetzen. Die deut-
sche Europapolitik leidet unter der Geschichtslosigkeit
und Kulturferne dieser Bundesregierung, die ein völlig
unklares Europabild hat. Daran scheitert vieles: Was
Deutschland früher für Europa leisten konnte, wird heute
nicht mehr geleistet. Unser Bild von Europa ist das einer
festen Politischen Union, die auf gemeinsamen Werten
aufbaut und auf dem Wir-Gefühl unserer Bürger.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir stehen vor schicksalhaften Fragen: Es geht um

die Ratifizierung der Verfassung, es geht um Europas
Rolle bei globalen Konflikten, es geht um den Stabili-
tätspakt und es geht um die Türkeifrage.


(Gernot Erler [SPD]: Der Außenminister geht!)

– Jetzt geht auch noch der Außenminister; das zeigt die
ganze Dramatik. Nun kommt er wieder zurück – ich be-
grüße Sie herzlich.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Er ist ein bisschen zappelig!)


Ich will ein gemeinsames Projekt ansprechen. Das
wichtigste Projekt der Europäischen Union ist die Euro-
päische Verfassung. Wir haben ein gemeinsames Inte-
resse an ihrem Erfolg. Das setzt allerdings voraus, dass
die Bundesregierung bereit ist, sich mit uns an einen
Tisch zu setzen, um über die Mitwirkung des Bundesta-
ges an der europäischen Gesetzgebung und an zentralen
europäischen Weichenstellungen zu sprechen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Da sagt Herr Fischer Nein!)


Der Bundeskanzler und sein Außenminister verren-
nen sich; sie wollen mit dem Kopf durch die Wand. Wir
schlagen Ihnen vor, wählen Sie die Tür eines vernünfti-
gen Kompromisses! Wir wollen, dass der Bundestag an
zentralen europapolitischen Entscheidungen beteiligt
wird. Wir wollen, dass der Bundestag vor der Aufnahme
von Beitrittsverhandlungen darüber entscheidet. Wir
wollen, dass der Bundestag unterrichtet wird, wenn die
Regierung ein europäisches Gesetzgebungsverfahren bei
der Kommission anregt. Es kann ja nicht angehen, dass
wir innenpolitisch diskutieren und hier Vorlagen ableh-
nen, uns dann aber ein Minister oder eine Ministerin der
Regierung über Brüssel ein Gesetzgebungsverfahren
präsentiert und wir darüber noch nicht einmal unterrich-
tet sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen als Parlament besser in das Gesetzge-

bungshandeln der deutschen Regierung in Brüssel einge-
bunden sein. Wenn die Regierung glaubt, sie könne die
berechtigten Wünsche des Parlamentes nach Beteiligung
ignorieren, dann wird sie in arge Schwierigkeiten gera-
ten. Wir haben ihr das gesagt und ich hoffe, dass die auf
der Regierungsbank verbliebenen Staatssekretäre den
Herrn Bundesaußenminister davon in Kenntnis setzen.
Denn diese EU-Verfassung ist uns wichtig. Aber uns ist
auch wichtig, dass der Deutsche Bundestag an zentralen
europäischen Weichenstellungen mitwirken kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Am Freitag entscheidet der Bundestag über die deut-

sche Beteiligung an der EU-geführten Operation Althea
zur Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und
Herzegowina. Die CDU/CSU-Fraktion wird dem An-
trag der Bundesregierung zustimmen.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
ist ein Feld, auf dem die Regierung unsere Unterstützung
hat – und sehr häufig auch dringend braucht, weil sie in
ihren eigenen Reihen Schwierigkeiten hat.


(Kurt Bodewig [SPD]: Das sind Mythen, die Sie wiederbeleben wollen!)







(A) (C)



(B) (D)


Peter Hintze

Stellen wir uns bitte einmal vor, eine Bundesregierung
aus Union und FDP wäre im Amt


(Kurt Bodewig [SPD]: Nach dem Drama kommt jetzt die Theatervorstellung!)


– das ist für Sie vielleicht keine so schöne Vorstellung,
aber Sie müssen sich schon einmal langsam daran ge-
wöhnen – und Herr Fischer wäre hier Oppositionsredner.
Ich könnte mir vorstellen, dass er das Geschrei von einer
Militarisierung der EU anstimmen würde. Bei all dem
Kummer, den wir mit dieser Regierung haben, ist es
vielleicht ein Gutes, dass wenigstens diese Entscheidung
auf diese Weise zustande kommt und wir es schaffen, ei-
nen europäischen Beitrag auf dem Balkan zu leisten.


(Gernot Erler [SPD]: Machen wir!)

Die Operation Althea trägt den Namen der griechischen
Göttin der Heilung. Ich hoffe, dass der Einsatz der EU
dazu beiträgt, die immer noch offene Wunde Balkan tat-
sächlich zu schließen.


(Ute Kumpf [SPD]: Die CDU braucht auch ein bisschen Heilung! Ein wenig Althea wäre für Sie nicht schlecht!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland
hat in Europa ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.


(Lothar Mark [SPD]: Na!)

Das Problem heißt Stabilitätspakt.


(Lothar Mark [SPD]: Nein, auch da nicht!)

Ich bin von einer Kollegin aufgefordert worden, auch
einmal zum Haushalt zu sprechen, weil die Außen- und
Europapolitiker das nie tun würden. Ich will das an die-
ser Stelle machen. Jedes Jahr aufs Neue gaukelt uns
diese Bundesregierung vor, sie werde die Vorschriften
des Stabilitätspaktes nicht brechen. Sie nennt uns die
entsprechenden Zahlen und jedes Jahr stellt sich wieder
heraus, dass er gebrochen wird. Im Jahre 2005 droht der
vierte Bruch des Stabilitätspaktes in Folge. Das ist nicht
nur unter haushaltspolitischen und unter verfassungs-
rechtlichen Gesichtspunkten problematisch,


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal!)


es ist auch unter europapolitischen Gesichtspunkten ein
Drama, dass Deutschland, der Hüter und Wahrer des Sta-
bilitätspaktes, diesen in unverschämter Weise bricht. Das
muss sich dringend ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man sagt jetzt: Wenn wir den Pakt nicht einhalten

können, dann ändern wir einfach den Pakt, erhöhen die
Verschuldung, definieren unsere Schulden um und ver-
frühstücken das, was zukünftige Generationen brauchen.
Ich empfehle der Bundesregierung eindringlich, den
Monatsbericht November der Deutschen Bundesbank
zur Kenntnis zu nehmen und zu studieren; denn in ihm
heißt es in der nüchternen Sprache der Bundesbank klar:

Abzulehnen ist eine Aufweichung des Referenz-
wertes für die Defizitquote durch ausgeweitete
Ausnahmeklauseln oder längere Korrekturfristen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nicht nur die Bundesbank warnt!)


– Ich will den Zwischenruf des Kollegen Gerhardt auf-
greifen: Alle Institutionen, die sich für die Stabilität un-
seres Geldes noch einen Rest verantwortlich fühlen,
warnen vor diesem Kurs der Bundesregierung. Ich hoffe
sehr, dass hier im letzten Moment noch Einsicht ein-
kehrt. Im Notfall muss das Bundesverfassungsgericht
das herstellen, wozu die parlamentarische Mehrheit in
diesem Hause offensichtlich nicht in der Lage ist.


(Kurt Bodewig [SPD]: Herr Hintze, Herr Hintze! – Gernot Erler [SPD]: Schon wieder ein Drama!)


Nun komme ich zur Türkeifrage, die der Kollege
Volmer hier angesprochen hat.


(Gernot Erler [SPD]: Das ist ja das vierte Drama! – Weiterer Zuruf von der SPD: Nur Dramen!)


Ich glaube, dass Sie hier einen verhängnisvollen Fehler
begehen. Sie sollten mehr auf die kritischen Stimmen
hören, die sagen, dass das, was im Dezember durchge-
peitscht werden soll, verhängnisvoll für Europa und für
Deutschland ist. Angela Merkel hat bereits auf ihrer
Reise in die Türkei sowohl der türkischen Regierung als
auch der europäischen Öffentlichkeit den Vorschlag der
privilegierten Partnerschaft erläutert.


(Gernot Erler [SPD]: Sie weiß aber selbst nicht, was das ist! Mehr und mehr Stimmen unterstützen diesen Vorschlag. Der Kollege Pflüger hat vorhin auf die Diskussion in Frankreich hingewiesen. (Gernot Erler [SPD]: Keiner weiß, was es ist! – Lothar Mark [SPD]: Nur innerhalb der CDU!)


– Herr Mark, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Bischof
Huber – er war früher in der SPD aktiv und ist heute
Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutsch-
land – auf der Synode zu diesem Thema gesprochen hat.
In seinem Bericht hat er aufgeführt, welche massiven
Probleme es gibt: das Frauenbild in der Türkei, die Un-
terdrückung der nicht muslimischen Religionen, die Fol-
ter usw. Er schließt seinen Bericht auf der EKD-Synode
mit den Worten:

Die Frage, ob eine privilegierte Beziehung der Tür-
kei zur Europäischen Union nicht der bessere Weg
ist, wird sich auch beim weiteren Umgang mit die-
sem Thema immer wieder stellen.

Wenn Sie nicht auf uns hören, wenn Sie nicht auf un-
sere Freunde in Frankreich hören, wenn Sie auch nicht
auf die Wissenschaft hören, dann hören Sie vielleicht auf
eine solche Stimme aus unserer Evangelischen Kirche,
die sagt: Nehmt die Realitäten zur Kenntnis und legt
euch jetzt nicht in einer Frage fest, die sich schicksalhaft
negativ für Deutschland und Europa auswirken kann.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514107300

Das Wort hat der Kollege Lothar Mark, SPD-Frak-

tion.


Lothar Mark (SPD):
Rede ID: ID1514107400

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Wir haben uns nun offiziell seit 59 Minuten
über den Haushalt des Auswärtigen Amtes unterhalten;
denn das ist das Thema dieses Tagesordnungspunktes.
Das Wort Haushalt ist einmal vom Kollegen Dr. Volmer


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin im Schlusssatz!)


und einmal von Herrn Hintze im Zusammenhang mit
dem Stabilitätspakt erwähnt worden, der aber eher bei
einem anderen Einzelplan angesiedelt ist.


(Gernot Erler [SPD]: Aber viermal „Drama“!)

– Bei den Begriffen „Drama“ und „Tragödie“ möchte ich
darauf hinweisen, dass die Differenzierung nicht ganz
klar erkannt worden ist.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Jetzt kommt noch einmal die Kulturbeauftragte! Dazu spricht gleich Frau Weiss!)


Deutschland hat in den letzten Jahren international er-
heblich an Gewicht gewonnen. Vor dem Hintergrund der
neuen Herausforderungen unserer Zeit durch terroristi-
sche Anschläge, notwendige humanitäre Hilfe an alten
und neuen Krisenherden sowie die gemeinsame Bewälti-
gung der Folgen des Irakkriegs sind die Erwartungen an
die Bundesregierung und den auswärtigen Dienst stetig
gewachsen. Deutschland bewirbt sich zu Recht um einen
Sitz im UN-Sicherheitsrat, was unsere internationale
Verantwortung nicht mindert, sondern erhöht. Gefordert
ist eine schnelle Krisenreaktionsfähigkeit durch welt-
weite Präsenz und Entsendung von Personal zu interna-
tionalen Organisationen für friedenserhaltende bzw.
Frieden stiftende Missionen.

Ich weise aber auch auf die besondere Bedeutung der
Außenrepräsentanz als rentierliche Zukunftsinvestition
hin. Die Aufgabe, Deutschland für das ausländische Pu-
blikum verständlich darzustellen und auf Deutschland
neugierig zu machen, obliegt den Mitarbeitern der jewei-
ligen Auslandsvertretung. Gerade die Kulturarbeit und
die Arbeit der Wirtschaftsabteilung prägen das Deutsch-
landbild im Ausland und müssen als kohärente Strategie
einer Auslandsvertretung im Rahmen der so genannten
Public Diplomacy vermittelt werden. Diese will langfris-
tig Sympathie und Verständnis für und Neugier auf
Deutschland wecken. Die grundsätzlich positive Wahr-
nehmung Deutschlands im Ausland als traditionelles
Kultur- und Exportland soll um die Elemente des moder-
nen Deutschlands ergänzt werden.

Deswegen sind solche destruktiven Reden wie die des
CSU-Kollegen Glos am heutigen Vormittag kontrapro-
duktiv und für Deutschland schädlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: Herr Glos hat eine sehr schöne Rede gehalten!)


Bundeskanzler Schröder sprach in diesem Zusammen-
hang vom „Zerrbild Deutschland“, das von der CDU/
CSU immer wieder in düsteren Farben gemalt wird. Für
mich, lieber Kollege Glos, ist nicht nachvollziehbar, wie
Sie sich als Christ so unchristlich äußern können.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen den Dreck in Ihr Manuskript geschrieben?)


„Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen
Nächsten“ heißt das achte Gebot, Herr Müller.

Seit der Reforminitiative von Bundesaußenminister
Fischer im Jahr 2002 bemüht sich das Auswärtige Amt,
alle Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, um mit
weniger Ressourcen wesentlich mehr Effizienz zu erzie-
len. Dabei stößt es an Grenzen. So hatte ich mich bereits
in den Haushaltsberatungen 2004 dafür ausgesprochen,
den Einzelplan 05 künftig so weit wie möglich von wei-
teren Kürzungen auszunehmen. Tatsächlich wird das
Auswärtige Amt wie auch alle anderen Ressorts im
Jahr 2005 mit 22,3 Millionen Euro zur globalen Minder-
ausgabe beitragen und hat darüber hinaus wie die ande-
ren Ministerien eine Absenkung in der Finanzplanung zu
verkraften.

In den Beratungen ist es aber gelungen, wichtige Prio-
ritäten deutscher Außenpolitik auch finanziell abzusi-
chern. So wird es Erhöhungen der Ansätze im Regie-
rungsentwurf für die Unterstützung von internationalen
Maßnahmen auf dem Gebiet der Krisenprävention sowie
für humanitäre Demokratisierungs- und Ausstattungs-
hilfe geben. Vor dem Hintergrund der zugesagten konti-
nuierlichen Erhöhung der ODA-Quote, der Official
Development Aid, auf 0,33 Prozent des Bruttosozialpro-
dukts bis 2006 wurden bei den wichtigsten Titeln für die
öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bescheidene
Aufwüchse vorgenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die ODA-Quote war in der Zeit der Regierung Kohl von
0,48 Prozent 1982 auf 0,26 Prozent 1998 deutlich zu-
rückgefahren worden.

Der Haushaltsausschuss sah sich auch in einer beson-
deren Obhutspflicht für die Sicherheit der Bediensteten
an den Auslandsvertretungen. Umschichtungen und
eine Verstärkung der Titel zur Erhöhung der materiellen
Sicherheit an gefährdeten Dienstorten waren die Folge.

Da die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine
weitere wichtige tragende Säule der deutschen Außenpo-
litik darstellt, habe ich mich gemeinsam mit meinem Ko-
alitionskollegen Alexander Bonde dafür eingesetzt, auch
hier bei einigen Titeln Umschichtungen zu ihren Guns-
ten vorzunehmen. Im Regierungsentwurf war ein Ansatz
in Höhe von 2,1 Milliarden Euro für den Haushalt des
Auswärtigen Amtes vorgesehen, was ungefähr 0,84 Pro-
zent des Gesamthaushaltes entspricht. Als Ergebnis der
schwierigen Beratungen im Haushaltsausschuss wurde
der Ansatz jedoch durch Aufwüchse bei ODA-relevanten






(A) (C)



(B) (D)


Lothar Mark

Titeln und zur Kompensation der GMA um rund
56 Millionen Euro auf 2,2 Milliarden Euro erhöht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerundet bedeutet dies für die einzelnen Kapitel:
10 Prozent für das Auswärtige Amt, 37 Prozent für All-
gemeine Bewilligungen, 28 Prozent für die Vertretungen
des Bundes im Ausland und 25 Prozent für die Pflege
kultureller Beziehungen mit dem Ausland.

Ich will hier nur einige wichtige Veränderungen nen-
nen.

Deutschlands Pflichtbeiträge zum Haushalt der
Vereinten Nationen, insbesondere für Friedensmissio-
nen in verschiedenen Brennpunkten der Welt, sind in den
letzten Jahren deutlich angestiegen. Sie werden künftig
weiter wachsen. Insbesondere vor dem Hintergrund der
Krise im Sudan, die eine kostspielige Mission mit rund
200 Soldaten aus Deutschland erforderlich macht, aber
auch für friedenserhaltende und Frieden stiftende Maß-
nahmen im Kongo, in Sierra Leone, Haiti, Burundi usw.
wurde der Ansatz „Beitrag an die Vereinten Nationen“ in
den Haushaltsberatungen um über 20 Millionen Euro er-
höht. Damit kann Deutschland den internationalen Er-
wartungen gerecht werden. Der Anteil für internationale
Beiträge im Haushalt des Auswärtigen Amtes beträgt
circa 28 Prozent.

Beim Titel „Unterstützung von internationalen Maß-
nahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenser-
haltung und Konfliktbewältigung durch das Auswärtige
Amt“ wurde der bisherige Ansatz zur Stärkung des deut-
schen Engagements in der öffentlichen Entwicklungszu-
sammenarbeit für Darfur, für die UN-Schutztruppe im
Irak – natürlich nur Beteiligung am Wiederaufbau –, für
den Internationalen Strafgerichtshof sowie für verschie-
dene Maßnahmen an internationalen Krisenherden um
14 Millionen Euro erhöht.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einige kurze Worte
zum deutschen Beitrag für den Wiederaufbau des Irak.
Ich richte sie insbesondere an den Kollegen Schäuble
und beziehe mich auf seine am 8. September in der ers-
ten Lesung des Gesetzentwurfs geäußerte Kritik. Die Po-
sition der Bundesregierung, Truppen zum VN-Schutz
nur zu finanzieren, aber keine eigenen Truppen zu ent-
senden, ist nicht inkonsequent, wie er behauptete. Die
USA und die Vereinten Nationen haben für die VN-
Schutztruppe insbesondere muslimische Staaten wegen
der kulturellen und sprachlichen Affinität zum Irak an-
gesprochen. Es bleibt dabei: Wir werden keine Soldaten
in den Irak entsenden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung unterstützt die VN, soweit per-
sonelle Kapazitäten und finanzielle Möglichkeiten dies
zulassen. Im Übrigen ist Deutschland inzwischen einer
der größten Truppensteller weltweit, so zum Beispiel in
Afghanistan und im Kosovo.

Der Titel „Für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Aus-
land außerhalb der Entwicklungshilfe“

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was ist damit?)


wurde für Soforthilfe, Flüchtlingshilfe und vorbeugen-
den Katastrophenschutz insbesondere in Afrika, Afgha-
nistan, Bangladesch und der Karibik um circa 13 Millio-
nen Euro erhöht.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD] und des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Beim Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungs-
hilfe“ – und hier geht es insbesondere um Minenbeseiti-
gungsprogramme – sprachen sich die Berichterstatter der
Regierungskoalition für eine Erhöhung des Ansatzes im
Regierungsentwurf um 2,5 Millionen Euro aus. Für die
Haushaltsjahre 2007 und 2008 sind zusätzlich zu den be-
reits eingebrachten Verpflichtungsermächtigungen je-
weils 3 Millionen Euro hinzugekommen.

Jedes Jahr werden zwischen 15 000 und 20 000 Men-
schen durch Antipersonenminen und Blindgänger ver-
letzt und getötet, vor allem in Afghanistan, Angola,
Kambodscha und Vietnam, aber auch in anderen Län-
dern. Am 28. November beginnt in Nairobi die Überprü-
fungskonferenz zur Ottawa-Konvention über die Besei-
tigung von Antipersonenminen. Die Bundesregierung
wird dort ihre fortbestehende Bereitschaft zur wirksa-
men Hilfe bei der Vernichtung dieser heimtückischen
Waffen unterstreichen, was wir sehr begrüßen. Auch
deshalb wurde in den Haushaltsberatungen entschieden,
zusätzliche Mittel für Minenbeseitigungsprogramme be-
reitzustellen.

Mein Appell, hier aktiv zu werden, richtet sich aber
insbesondere an die Länder, die diese mörderischen
Waffen herstellen, verkaufen und bis heute das Ottawa-
Übereinkommen nicht unterzeichnet haben, so die Verei-
nigten Staaten, Russland, Indien, China und viele an-
dere. Sie sollten meiner Meinung nach die Hauptkosten
für die Beseitigung dieser Mordinstrumente tragen.

Wir unterstützen ohne Vorbehalt die wichtigsten Be-
stimmungen des Ottawa-Übereinkommens. Ich denke,
dass wir gut beraten sind, wenn wir unsere Freunde in
den anderen Ländern mit davon überzeugen können,
dass wir dieses Abkommen vorbehaltlos unterzeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um den Haushalt des Auswärtigen Amtes nicht zu-
sätzlich zu belasten, haben sich die Haushaltsberichter-
statter darauf verständigt, die für die Fortführung des
Deutsche-Welle-Programms in Dari und Pashtu und
damit zum Aufbau der Zivilgesellschaft in Afghanistan
benötigten 1,2 Millionen Euro nicht mehr aus Förder-
mitteln, sondern aus dem Stabilitätspakt Afghanistan
aufzubringen. Die entsprechenden Gespräche zur Vorbe-
reitung von Projektanträgen haben bereits stattgefunden,
sodass sich die Sache auf einem guten Weg befindet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Lothar Mark

Zum Thema Deutsche Welle will ich nur noch hinzu-

fügen, dass wir mit der geplanten Einstellung bzw. Re-
duktion des Spanischprogramms nicht einverstanden
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Hier muss sich – das sage ich mit allem Nachdruck – die
Deutsche Welle konstruktiv bewegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Fortführung der bisherigen Streitschlichtungsak-
tivitäten von Bundesminister a. D. Dr. Schwarz-
Schilling in Bosnien-Herzegowina, für die ich im Na-
men meiner Fraktion hier ausdrücklich meine Anerken-
nung aussprechen will,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der FDP)


und ihre Ausweitung auf Mazedonien und den Kosovo
konnte über die Mittel des Stabilitätspakts Südosteuropa
ebenfalls gesichert werden, ohne den Ansatz des Regie-
rungsentwurfs zu erhöhen. Auch hierzu haben bereits
konstruktive Gespräche zwischen den Beteiligten statt-
gefunden. Ein Projektantrag über rund 350 000 Euro für
das Haushaltsjahr 2005 ist in Arbeit. Seiner Bewilligung
steht im Grunde genommen nichts mehr im Wege.

Vor dem Hintergrund des Terroranschlags vom
11. September 2001, der Anschläge in Istanbul und
Madrid sowie des Überfalls auf den BGS-Konvoi in Fal-
ludscha, aber auch vor dem Hintergrund des nötigen
Schutzes vor Erdbeben in besonders gefährdeten
Dienstorten wie zum Beispiel Almaty, Izmir, Tiflis,
Lima, San Francisco und Teheran waren bereits im Re-
gierungsentwurf zusätzliche Mittel für die Verbesserung
der materiellen Sicherheit bei Bau- und sonstigen Maß-
nahmen in den Auslandsvertretungen vorgesehen.

In den Haushaltsberatungen sprachen sich die Be-
richterstatter dafür aus, den beim Titel „Kleine Neu-,
Um- und Erweiterungsbauten“ vorgesehenen Ansatz
nochmals um mehr als 5 Millionen Euro zu erhöhen.
Beim Titel „Erwerb von Fahrzeugen“ wurde der bishe-
rige Ansatz ebenfalls aufgrund der Sicherheitsanforde-
rungen um weitere 500 000 Euro erhöht.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo hast du denn das alles weggenommen?)


Wie die Bundesregierung sehen auch wir uns in beson-
derer Weise der Sicherheit des Personals verpflichtet.

Eine weitere wichtige Säule der deutschen Außenpo-
litik stellt die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
dar. Aufwendungen für Bildung und Forschung sind
auch und gerade im Bereich des Auswärtigen Amtes loh-
nende Investitionen in die Zukunft. Die Haushaltsbe-
richterstatter der Regierungskoalition haben sich deshalb
darauf verständigt, im Titel „Stipendien, Austauschmaß-
nahmen und Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler“
den Ansatz für den DAAD und die Alexander-von-
Humboldt-Stiftung zu erhöhen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weitere Erhöhungen wurden bei den Auslandsschulen
vorgenommen. Dieses Thema muss jedoch einmal sepa-
rat behandelt werden; hier besteht Diskussionsbedarf.
Zum anderen haben wir positive Veränderungen bei den
Mitteln für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige
Politik, bei dem Topf für den deutsch-britischen Jugend-
austausch und bei den Kirchen vorgenommen sowie zu-
sätzliche Mittel für die Tempelanlage Angkor Wat in
Kambodscha bewilligt.

Bei den Berichterstattern der Regierungskoalition be-
stand Einvernehmen darüber, den Ansatz für das Deut-
sche Archäologische Institut um 400 000 Euro zu erhö-
hen.


(Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Das ist aber zu wenig!)


Der Einsatz des DAI für die Rettung und Bewahrung des
Weltkulturerbes wird international hoch geschätzt und
trägt deshalb zu Deutschlands Ansehen in der Welt bei.


(Beifall bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Herbert Frankenhauser [CDU/CSU])


Die Mittel sind ausschließlich für den Projektmitteletat
vorgesehen. Aus diesem Titel werden unter anderem
Grabungen in Syrien, in Saudi-Arabien, im Sudan, in
Jordanien, in Afghanistan und in Marokko finanziert und
sie dienen damit auch der Stärkung des Dialogs mit isla-
mischen Ländern und sind kulturhistorisch von großer
Bedeutung.


(Markus Löning [FDP]: Und was ist mit dem Irak?)


Wenn man sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, die
ernsthaften und erfolgreichen Bemühungen der Koali-
tionshaushälter vergegenwärtigt, jeweils zu den best-
möglichen Lösungen zu kommen, dann ist es umso un-
verständlicher, dass die CDU/CSU Personalkürzungen
bei den flexibilisierten Mitteln um 10 Prozent vorge-
schlagen hat. Das würde zum Beispiel für den Haushalt
des Auswärtigen Amtes bedeuten, dass 600 bis 650 Stel-
len nicht finanziert


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Hört! Hört!)


sowie im Sachmittelbereich Kürzungen von fast
14 Millionen Euro zu verkraften wären.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Also so was! Was macht denn ihr?)


Dass dies aus personalrechtlichen und faktischen Grün-
den nicht möglich ist, dürfte allen bekannt sein. Trotz-
dem wird von der Opposition versucht, in der Öffent-
lichkeit den Eindruck zu erwecken, man würde sinnvolle
Sparvorschläge unterbreiten.


(Markus Löning [FDP]: Aber die Neuverschuldung ist kein Problem, oder was?)


Wer so querbeet kürzen will, macht letztlich alles kaputt
und hat jedes Maß an Seriosität verwirkt.






(A) (C)



(B) (D)


Lothar Mark


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Ich bin jetzt beleidigt!)


Angesichts der schwierigen Haushaltslage, die alle
Ressorts aufgrund der globalen Minderausgabe zu Redu-
zierungen und Abstrichen zwingt, haben wir Deckungs-
vorschläge erarbeitet, die schmerzlich sind, den Koali-
tionsberichterstattern für den Einzelplan 05 aber als für
das Auswärtige Amt verkraftbar erschienen. Hilfreich
war der Nichtabfluss von Mitteln beim Titel „Deutscher
Beitrag im Rahmen der G-8-Initiative zur Abrüstungs-
und Nichtverbreitungszusammenarbeit“ und beim An-
satz „Beitrag an Organisationen und Einrichtungen im
internationalen Bereich“, Erweiterung des NATO-
Hauptquartiers in Brüssel.

Im Sinne der 2002 begonnenen Reforminitiative
konnten auch bei der Budgetierung und gegenseitigen
Deckungsfähigkeit einzelner Titel Fortschritte erzielt
werden.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das ist gut!)


Ich begrüße deshalb das seit 2003 in Vorbereitung be-
findliche und jetzt im Haushaltsentwurf festgeschriebene
Pilotprojekt Italien des Goethe-Instituts, der größten
nicht staatlichen Mittlerorganisation, die im Auftrag der
Bundesrepublik Deutschland mit der Wahrnehmung kul-
turpolitischer Aufgaben im Ausland betraut ist.

Beschränkte Deckungsfähigkeit von einzelnen Titeln
– dies sage ich ausdrücklich an die Adresse des Bundes-
finanzministeriums – kann allerdings nur ein erster
Schritt zur Aufgabe der althergebrachten Titelstruktur
hin zur Schaffung von Budgetierung sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb habe ich in den Haushaltsberatungen angeregt,
nicht erst im Jahr 2006, sondern bereits ab Mitte 2005
mit der externen Evaluierung des Goethe-Instituts in
Italien zu beginnen, damit schnellstmöglich die Budge-
tierung weiterer Mittlerorganisationen der auswärtigen
Kulturpolitik ins Auge gefasst werden kann.


(Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Und der Botschaften!)


Ich bin der festen Überzeugung, dass die neuen Steue-
rungsinstrumente Budgetierung und die damit verbun-
dene strategische Zielvereinbarung dazu beitragen
werden, eine effizientere Steuerung der Auslandskultur-
arbeit durch das Auswärtige Amt zu ermöglichen.

Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage
sollten schon jetzt im Rahmen der Kameralistik alle
Möglichkeiten einer betriebswirtschaftlichen Haushalts-
führung genutzt werden, sofern dies haushaltsrechtlich
möglich ist. Die Einrichtung eines ausgelagerten Eigen-
betriebs zur Verwaltung der Auslandsliegenschaften
des Auswärtigen Amtes als Facility Management ist ein
Schritt in die richtige Richtung.

Zum Abschluss der Beratungen möchte ich auch dies-
mal allen Berichterstatterkollegen für den Einzelplan 05,
insbesondere dem Kollegen Alexander Bonde, sowie al-
len Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition
im Haushaltsausschuss, aber auch der Opposition, dem
Ausschussvorsitzenden der SPD-Arbeitsgruppe „Haus-
halt“ mit unserem Obmann Walter Schöler an der Spitze
sowie Gerhard Küntzle, Jürgen Morhard und
Dr. Joachim Rücker vom Haushaltsreferat des Auswärti-
gen Amtes für die ausgezeichnete Zusammenarbeit in
den vergangenen Wochen und Monaten danken.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Den Kollegen Frankenhauser haben sie vergessen!)


– Der Herr Kollege Frankenhauser gehört zur Opposi-
tion, die ich in meiner Aufzählung ausdrücklich erwähnt
habe. Wenn es aber gewünscht ist, hebe ich hervor, dass
die Zusammenarbeit mit ihm besonders gut war.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514107500

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.


Lothar Mark (SPD):
Rede ID: ID1514107600

Ich bitte um Zustimmung zum Haushalt des Auswär-

tigen Amtes.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514107700

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,

FDP-Fraktion.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1514107800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Da ich nicht 20 Minuten, sondern nur knapp vier Minu-
ten Zeit habe, kann ich leider nicht alle Haushaltstitel
einzeln kommentieren. Ich möchte aber den Haushältern
ausdrücklich dafür danken, dass es ihnen gelungen ist,
den Regierungsentwurf im Bereich der auswärtigen Kul-
turpolitik erheblich zu verbessern. Das betrifft nicht zu-
letzt den Bereich Alexander-von-Humboldt-Stiftung,
den DAAD und die Auslandsschulen. Das ist ganz be-
sonders wichtig und dies erkenne ich ausdrücklich an.
Das ist die erste kurze Vorbemerkung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweite Vorbemerkung: Ich finde es wichtig, dass das
Thema „Sicherheit unserer Auslandsvertretungen“ ins-
besondere in Erdbebengebieten ernsthaft weiterverfolgt
wird. Ich mache mir nämlich ausgesprochen große Sor-
gen über die Mitarbeiter in einigen Regionen.

Wolfgang Gerhardt hat bereits das Thema Nahost an-
gesprochen. Soeben ist die Meldung über den Ticker ge-
kommen, dass der UN-Beauftragte für den Nahen Osten,
Terje Roed-Larsen, nach seinen Gesprächen in Damas-
kus ausdrücklich bestätigt, dass Syrien bereit ist, die
Friedensverhandlungen mit Israel ohne Vorbedingungen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Werner Hoyer

wieder aufzunehmen. Ich denke, das ist eine sehr gute
Nachricht. In der Tat gibt es jetzt ein Fenster der Gele-
genheiten. Wir müssen alles tun, um es zu nutzen.


(Beifall im ganzen Hause)

Lassen Sie mich vier Bemerkungen zur Europapoli-

tik machen. Erstens. Wir Liberale gratulieren unseren
Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament
zu ihrem Erfolg bei der Entscheidung über die Zusam-
mensetzung der Kommission. Sie sind in den letzten
Wochen nicht als Tiger gestartet, um dann als Bettvorle-
ger zu landen. Sie haben vielmehr eine hervorragende
Leistung erbracht und damit das Parlament, aber auch
die Kommission gestärkt. Nur wenn man diese beiden
Organe im Zusammenhang sieht, kann man von einer
Stärkung Europas sprechen.


(Beifall bei der FDP)

Ich finde, dass es völlig verfehlt ist, dieses Thema auf

die Frage zu reduzieren, welcher Konfession bzw. reli-
giösen Überzeugung ein EU-Kommissar anhängt. Das
muss selbstverständlich jedem Kommissar überlassen
bleiben. Das müssen wir respektieren.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Aber muss ausgerechnet jemand, der von bestimmten
Überzeugungen geprägt ist und sich getrieben fühlt, das
Initiativmonopol der Kommission in Fragen der Innen-
und Rechtspolitik bzw. der Gleichberechtigung haben?
Der ursprüngliche Besetzungsvorschlag der Kommis-
sion lässt auf ein schlechtes Urteilsvermögen schließen.
Ihre Ablehnung hatte nach meiner Auffassung mit den
religiösen Überzeugungen der einzelnen Kommissare
nichts zu tun.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Der Europäische Rat wird wichtige Wei-
chenstellungen bezüglich der Erweiterung der Europäi-
schen Union, insbesondere in Sachen Türkei, vorneh-
men. Ich will die Türkeidebatte nicht fortführen, sondern
lediglich darauf hinweisen, dass es zwei Extrempositio-
nen gibt. Es gibt Politikerinnen und Politiker, die die
Türkei niemals, selbst bei Erfüllung aller Voraussetzun-
gen, in die EU aufnehmen würden. Es gibt andere, die
die Türkei jederzeit ohne alle Vorbehalte und mit gro-
ßem Rabatt in die EU aufnehmen wollen.


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn?)


Zwischen diesen Extrempositionen müssen wir unseren
Weg finden. Wir müssen präzise Kriterien aufstellen,
wie wir das in der letzten Debatte über dieses Thema ge-
tan haben. Daran sollte man sich orientieren.

Auch wenn heute schon sehr viel Richtiges über die
Ukraine gesagt worden ist, ist es wichtig, nicht zu ver-
gessen: Die Europäische Union ist kein Endzustand,
sondern ein Prozess. Jeder, der der EU beitreten will,
muss bereit sein, sich an diesem Prozess nach dem Bei-
tritt zu beteiligen und – bei Wahrung des Subsidiaritäts-
prinzips – Souveränitätsrechte auf den Gebieten abzuge-
ben, auf denen die Union nur gemeinschaftlich
erfolgreich sein kann, und muss sich gefallen lassen,
dass wir uns von außen einmischen, wenn zum Beispiel
Menschenrechtsfragen berührt sind. Das gehört zur
Logik der Europäischen Union und das muss sich jeder
überlegen, der der Europäischen Union beitreten will.


(Beifall bei der FDP)

Drittens. Es muss klar sein, dass die Mitgliedschaft in

der Europäischen Union kein Vehikel zur Lösung inter-
ner Probleme von Beitrittsaspiranten sein darf. Sowohl
der Beitrittsaspirant als auch die Europäische Union
müssen ein Interesse an dieser Mitgliedschaft haben.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

Sonst würden wir uns übernehmen. Das mögen manche
– vielleicht jenseits des Atlantiks – bisweilen durchaus
ganz gern sehen; aber dadurch würde die Grundidee der
europäischen Integration sicherlich ruiniert. An einer
solchen Überlegung dürfen wir uns nicht beteiligen.

Letzte Bemerkung. Vor 15 Jahren ist die Mauer gefal-
len. Europa ist geeint, frei und trotzdem gespalten. Die
Hauptaufgabe dieser Bundesregierung besteht darin, da-
für zu sorgen, dass diese Spaltung Europas überwunden
wird und dass wir an die besten Traditionen deutscher
Europapolitik anknüpfen: Man sollte bei allen, die sich
an diesem Prozess beteiligen – auch bei den Kleinen –,
um Vertrauen werben und dabei darauf achten, dass auch
durch bilaterale Außenpolitik innerhalb der Europäi-
schen Union die Voraussetzungen dafür geschaffen wer-
den, dass Deutschland seine Rolle als Mittler im europäi-
schen Integrationsprozess erfolgreich spielen kann.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514107900

Das Wort hat der Bundesaußenminister Joschka

Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514108000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

man die internationale Lage betrachtet, dann – ich
glaube, diesen Eindruck haben die meisten Menschen im
In-, aber auch im Ausland – wird man sich des Ein-
drucks schwer erwehren können, dass die Welt nicht nur
komplexer geworden ist, sondern dass auch die Anzahl
der Krisen und der Konflikte zugenommen hat. Insofern
sehen wir hier mit Sorge die Entwicklung in der
Ukraine. Alles spricht dafür, dass die Wahlen dort nicht
den Standards entsprochen haben, die freie und geheime
Wahlen kennzeichnen, und dass es zu erheblichen Ver-
fälschungen gekommen ist. Die Bundesregierung hält es
für unbedingt notwendig, dass sich der Wille der Mehr-
heit der ukrainischen Bevölkerung nach freien und ge-
heimen Wahlen im Wahlergebnis ausdrückt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Das ist das Wesen der Demokratie.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

Es sollte alles getan werden, um dort zu einer Über-

prüfung zu kommen. Zugleich sollte alles getan werden,
um zu vermeiden, dass es eine Konfrontation gibt, die zu
Entgleisungen führen könnte. Das heißt, der friedliche
Charakter dieses Prozesses ist ebenfalls von entschei-
dender Bedeutung.

Ich habe intensiv zugehört, auch heute Morgen. Ich
glaube, manche machen es sich zu einfach. In dieser au-
ßenpolitischen Situation gibt es unterschiedliche Interes-
sen: Einerseits gibt es die prinzipien- und grundsatzorien-
tierte Haltung – wir teilen sie –, die Menschenrechte,
Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung, marktwirt-
schaftliche Reformen, soziale Gerechtigkeit und Armuts-
bekämpfung im Auge hat; andererseits gibt es Machtver-
hältnisse, die von uns nur bedingt beeinflussbar sind.
Angesichts dessen steht man vor der schwierigen Frage,
wie weit man an Grundsätzen und Prinzipien festhält und
wie man die Chance nicht aus der Hand gibt, am Ende
doch noch etwas zu erreichen.


(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


– Das ist der entscheidende Punkt, mit dem es die Bun-
desregierung zu tun hat, Herr Gerhardt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich habe Sie nur einmal an Ihre frühere Zeit erinnert!)


– Bitte! Auch ich halte mich daran. Bei meiner letzten
Reise nach China wurde Klartext geredet. Das ist doch
überhaupt keine Frage. Dasselbe war beim Gespräch mit
Präsident Putin im Kreml der Fall. Ich weiß das vom
Bundeskanzler. Er hat am heutigen Tag mit dem russi-
schen Präsidenten telefoniert und nochmals über die
Lage in der Ukraine gesprochen.


(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Was hat er gesagt?)


– Er hat das gesagt, was er auch hier im Bundestag ge-
sagt hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Das ist doch überhaupt keine Frage.
Dasselbe galt für mein Gespräch mit dem russischen

Außenminister am Rande der Scharm-al-Scheich-Konfe-
renz. Die russische Seite hatte eine andere Auffassung.
Der Deutsche Bundestag wird eine Resolution beschlie-
ßen, die völlig anders ist als die, die die Duma zu dem-
selben Thema beschlossen hat. Die Frage, mit der wir
uns auseinander setzen müssen, lautet, wie wir hierbei
dann in der Tat auch parallel vorgehen. Da ist keine
Frage, ob wir uns etwa bei den Menschenrechten wegdu-
cken. Nein, das tun wir nicht.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Natürlich tun Sie es!)


– Bitte wo?

(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Weltweit tun Sie es!)

– Weltweit tun wir es? Überall da, wohin wir gehen,
schweigen wir dazu? – Ich will Ihnen dazu Folgendes sa-
gen: Ihr Ministerpräsident war damals Kanzlerkandidat.
Er ist nach Moskau gefahren und – ich bekomme das
doch mit – hat mit keinem Wort – das wissen Sie auch –
die Situation im Kaukasus oder die Situation bei der in-
neren demokratischen Entwicklung erwähnt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: Waren Sie dabei? – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Wir haben das erlebt, als Präsident Putin hier war. Ich
habe immer zugehört und gewartet, bis es soweit ist.
Meine Damen und Herren, an diesem Punkt kann ich Ih-
nen nur sagen: Da verfolgen wir eine Politik, die prinzi-
pienorientiert ist, die an den Menschenrechten und der
Demokratieentwicklung festhält, die sich an unserer ei-
genen Verfassung orientiert.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das sind nur noch Floskeln!)


Auf der anderen Seite gibt es natürlich Interessen, die
wir hier zu vertreten haben.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sie haben die Seele der grünen Partei verkauft!)


– Ich setze mich damit jetzt nicht auseinander.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das ist Glos für Arme!)

Da könnte man sagen: Da war immerhin noch eine
Seele. Bei Ihnen – – Na ja. Herr Dr. Müller, voll daneben
gegriffen hat heute schon Ihr Kollege Glos. Er hat sich
entschuldigt. Damit haken wir das ab. Der Rest ist besser
Schweigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für mich ist der entscheidende Punkt, dass wir die
europäisch-russischen Beziehungen fortentwickeln
müssen. Herr Kollege Gerhardt, das werden ganz
schwierige Gespräche werden.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, klar!)

Selbstverständlich ist das auf der Tagesordnung – ein
Kollege hatte danach gefragt –; Barroso hat es heute ange-
kündigt. Die Präsidentschaft wird das genauso ansprechen
wie Solana auch. Selbstverständlich ist das auf der Tages-
ordnung, so wie es am Rande von Scharm el-Scheich
auch schon angesprochen wurde.

Die Frage lautet: Ist die strategische Westöffnung
Russlands aufrechtzuerhalten?


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist die Frage!)


Wenn dies entgleiten würde, wären wir in einer unter
vielen Gesichtspunkten sehr veränderten Welt.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

Auf der anderen Seite ist aber auch klar anzusprechen,
wo wir anderer Meinung sind und was nach unserer Mei-
nung geht und nicht geht. Das gehört für die Bundesre-
gierung, für den Bundeskanzler, für mich, für die Koali-
tion selbstverständlich zusammen.

In diesem Zusammenhang kommt auch immer der
Hinweis: Und mit Amerika ist Schweigen. – Dazu kann
ich nur sagen: Offensichtlich sind Sie da im völlig fal-
schen Film. Wir haben die Debatte über den Kampf ge-
gen den Terrorismus seit dem 11. September 2001 – ich
persönlich seit dem 18./19. September 2001 – mit der
amerikanischen Seite geführt. Ich war bei Gesprächen
dabei, die der Bundeskanzler und der Präsident geführt
haben. Wir haben von Anfang an klar gemacht, dass wir
in der Frage des Irak eher der Analyse des Vaters des
Präsidenten und dessen Mitarbeitern, von Scowcroft und
Powell, zuneigen als dem, was sich in Washington ent-
wickelt.

Wenn es hier eine Tragödie gibt, dann ist es doch die,
dass die Union am traditionellen Transatlantismus fest-
gehalten hat, aus guten Gründen – das war nun einmal
ein prägendes Element ihrer Parteigeschichte und des-
sen, was sie für unser Land geleistet hat, was ich nicht
für gering halte –, im Fall des Irak aber völlig unter-
schätzt hat, dass hierbei offensichtlich andere Elemente
eine Rolle gespielt haben, die mittlerweile offen zutage
liegen.


(Zuruf des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])


– Das Problem bei Ihnen ist, dass Sie sich immer davon-
machen. Zuerst riskieren Sie aber eine dicke Lippe. Erst
hätten wir dabei sein sollen, um die VN zu schützen.
Dann hätten wir bei der NATO dabei sein sollen. Wir ha-
ben der NATO von Anfang an gesagt: Wir arbeiten an ei-
nem Kompromiss, aber ihr wisst genau: Wir werden uns
im Irak nicht mit Soldaten beteiligen. – Wir waren die
Ersten, die Ausbildung betrieben haben. Zu dem Zeit-
punkt, zu dem die NATO noch gar nicht daran gedacht
hat, waren wir bereits an der Polizeiausbildung beteiligt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe meinem Freund, dem NATO-Generalsekre-
tär, aber auch dem Oberkommandierenden der NATO
von Anfang an gesagt: Wir sind nicht bereit, da durch ein
Türchen zu gehen – sei es auch noch so klein – und uns
damit auf eine abschüssige Strecke zu begeben, und
zwar deswegen, weil wir es nicht richtig finden; würden
wir es richtig finden, würden wir anders entscheiden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben jetzt die große Chance im Nahen Osten,
wobei klar sein muss, dass schwierige und grundsätzli-
che Entscheidungen anstehen, wenn sie denn genutzt
werden soll. An erster Stelle ist zu sagen: Es geht nicht
ohne Amerika – ohne jeden Zweifel. Aqaba hat gezeigt:
So mutig und so wichtig es damals vom amerikanischen

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514108100
Was wäre gewesen,
wenn Abu Masen damals den Rückzug von Gaza und
dazu noch die Freilassung einiger Gefangener erreicht
hätte? Dann wären wir heute in einer völlig anderen
Lage. Aber bitte: Tempi passati.

Um zu einem Erfolg zu kommen, müssen jetzt – ich
glaube, beide Seiten begreifen das – richtungsweisende
Entscheidungen getroffen werden. Es wird nicht Frieden
und Land geben. Das wird nicht funktionieren, sage ich
der israelischen Seite.


(Dirk Niebel [FDP]: Erst einmal muss der Terror aufhören!)


Es wird aber auch keinen Staat geben, solange es Terror
gibt. Das sage ich der palästinensischen Seite. Wenn der
Mut zu entsprechenden Grundsatzentscheidungen auf
beiden Seite nicht da ist, wird die sich jetzt bietende
Chance, die so schnell nicht wiederkommen wird, ver-
tan.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist es!)

Deswegen appelliere ich noch einmal dafür, jetzt nicht in
kleinen Schritten zu denken, sondern den Mut zu großen
Grundsatzentscheidungen aufzubringen. Damit könnte
wieder Vertrauen aufgebaut werden. Die Palästinenser
müssen eine Entscheidung für Nation Building und ge-
gen den Terror treffen. Israel muss sich im Gegenzug da-
für entscheiden, einen wirklich lebensfähigen palästi-
nensischen Staat zuzulassen. Dabei müssen manche
Träume, die man bezüglich der besetzten Territorien
noch hegt, hintangestellt werden. Wenn man sich dessen
bewusst ist, kann es funktionieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, dass das auch sehr positive Wirkungen auf
die Gesamtregion hätte. Der wichtigste Ansatzpunkt ist
doch, dass wir den Dschihad-Terrorismus, diesen neuen
Totalitarismus, isolieren und dass wir ihm – nicht wil-
lentlich – durch falsche politische Entscheidungen nicht
etwa Unterstützung zukommen lassen. Wir müssen die
richtigen politischen Entscheidungen treffen. In diesem
Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach Möglich-
keiten der Stabilisierung des Iraks. Ich bin der festen
Überzeugung, dass es sich dabei nicht um eine militäri-
sche, sondern letztendlich um eine politische Frage han-
delt. Die Verbreiterung der politischen Basis jenseits der
Saddamisten und Dschihadisten ist die Aufgabe, damit
der Prozess dort von einer breiten Mehrheit getragen
wird. Dazu gehört regionaler und internationaler Kon-
sens.

Damit der Irak nicht zu einem Ersatzschlachtfeld in
einer möglichen iranisch-amerikanischen Konfrontation
wird, ist der Verständigungsprozess zwischen dem Iran
und Europa bei allen Schwierigkeiten fortzusetzen. Bis-
her haben sich nur die Fingerspitzen berührt, aber die
Hände hat man gegenseitig noch nicht ergriffen. Doch
wir sind dabei, das zu erreichen. Wenn Sie bedenken,
welche Alternativen es gibt, dann werden Sie verstehen,
dass eine auf Realismus gründende Politik, die die Ge-
samtlage im Auge hat, alles versuchen muss, um eine
solche, an der Nuklearisierung sich festmachende Kon-
frontation zu verhindern






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)

und eine Tür zu öffnen, durch die man gemeinsam in
eine friedlichere Zukunft gehen kann.

Vor diesem Hintergrund glaube ich – ich kann das nur
im Telegrammstil machen, weil meine Redezeit zu Ende
ist –, dass Sie im Rahmen der Türkeidebatte einen Feh-
ler machen. Ich möchte Sie nicht überzeugen. Sie kön-
nen in der Türkeifrage eine andere Meinung vertreten; es
gibt ja Gründe dafür. Diese Haltung teile ich nicht, aber
ich akzeptiere sie. Nach meinem Gefühl wird nicht Eu-
ropa durch einen Beitritt der Türkei überfordert, sondern
eher die Köpfe der Menschen. Angesichts der Realitäten
unterfordern wir uns sogar. Denken wir an die Diskussio-
nen um die Ukraine, an unsere Bemühungen im südli-
chen Kaukasus und auf dem Balkan sowie an die Aufga-
ben, die wir im Nahen Osten bis hin nach Afghanistan zu
bewältigen haben – trotz aller Schwierigkeiten zeichnet
sich hier eine Erfolgsgeschichte ab. Vergleichen Sie das
Erreichte einmal mit dem, was im Irak abläuft. Betrach-
ten Sie auch die Rolle der Europäer in der Iranfrage und
nehmen Sie Afrika hinzu.

Aus zwei Gründen können wir uns nicht unter Beru-
fung auf die alte Frage „Was haben wir mit Afrika zu
tun“? zurückziehen. Der erste ist: Dieser riesige Konti-
nent ist über das Mittelmeer ein direkter Nachbar von
uns. Der zweite ist: Wir müssen die geschichtliche Lek-
tion annehmen, dass eine Europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik nur dann funktionieren wird, wenn
die Großen mitmachen. Wir sind einer von den drei Gro-
ßen. Insofern geht es hier nicht mehr um traditionelle
Fragen deutscher Politik, sondern um die europäische
Einbindung. Auch hier müssen wir neu denken.

Die Lagebeschreibung, die ich Ihnen skizziert habe,
stammt nicht von jemandem, der gerne Weltpolitik wider
sein eigenes Land machen will. Es handelt sich um reale
Krisen und Herausforderungen,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


auf die Europa – nicht Deutschland allein, aber als ein
wesentlicher Teil Europas eben auch – Antworten geben
muss. Deswegen leiden wir in der Türkeifrage aus mei-
ner Sicht eher an Unterforderung als Überforderung. Na-
türlich sehe auch ich, dass in den Köpfen noch ein ganz
anderes Denken vorherrscht.

Das also ist ein Teil der Agenda, die von uns zu bewäl-
tigen ist. Hinzu kommt die Erneuerung der Vereinten
Nationen. Ich könnte mir eine Welt mit erneuerten trans-
atlantischen Beziehungen vorstellen, in der die USA viel
schneller als die Europäer eine europäische Einigung
wollen, weil sie nur so einen Partner für die Gestaltung
der Welt hätten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Su-
permacht sagt: Wir wollen erneuerte, stärkere VN, die
die Realität des 21. Jahrhunderts repräsentieren; denn
diese VN werden uns entlasten, genauso wie ein einiges
Europa uns entlasten wird. Wer sonst? Ich könnte mir
vorstellen, dass wir Ernst machen mit einem neuen Kon-
sens in der Welthandelsorganisation, die den Realitäten
Rechnung trägt. Ich könnte mir vorstellen, dass neue in-
ternationale Institutionen geschaffen werden. Wenn dort
die Entscheidungen getroffen würden, inklusive der Ent-
scheidungen in Bezug auf die friedliche Transformation,
die Modernisierung des Nahen und Mittleren Ostens so-
wie die Lösung der regionalen Konflikte, dann wäre die
Welt eine bessere.

Wenn wir allerdings hauptsächlich auf die militärische
Stärke schauen, wenn wir die Softpower vergessen,
wenn wir falsche Entscheidungen treffen, dann, glaube
ich, werden die Krisen und Konflikte eskalieren. Dann
werden wir vor Herausforderungen stehen, von denen
sich die meisten Menschen heute noch keine Vorstellung
machen. Wer hätte die Ereignisse am 11. September
2001 für möglich gehalten? Wer hätte die dann folgen-
den Entwicklungen für möglich gehalten? Aber es ist so
eingetreten. Die Welt verändert sich radikal. Früher fan-
den Revolutionen auf den Barrikaden statt, heute finden
sie im konservativen Gewande statt. Wir haben erlebt,
welche dramatischen Veränderungen das Ende des Sow-
jetblocks und der Fall der Mauer für uns bedeutet haben.
Das gilt für die gesamte Weltordnung.

Hier muss sich Deutschland, eingebettet in das sich
integrierende Europa, bewähren. Deswegen brauchen
wir die Verfassung und deswegen brauchen wir auch
den Mut zu einer gemeinsamen Sicherheits-, Verteidi-
gungs- und Außenpolitik. Wir müssen alles tun, dass wir
– ich sage es noch einmal – die Verfassung bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lieber Lothar Mark, ich hätte gerne viel länger das
Weihrauchfass vor den Haushältern geschwungen. Als
Ministrant habe ich damit einige Erfahrung; was man
einmal gelernt hat, vergisst man nie.


(Zuruf des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU])

– Damals ging es mit der Kirche noch nicht bergab. Erst
als solche Helden wie Müller kamen, war es vorbei; das
ist klar. Zu unserer Zeit war das noch schwer in Ord-
nung.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich meine es ernst. Ich möchte mich in aller Kürze im
Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im In- und
Ausland für das bedanken, was die beiden Berichterstat-
ter, Abgeordneter Bonde und Abgeordneter Mark, aber
auch die Haushälterinnen und Haushälter der Koalitions-
fraktionen und der Opposition, so sie zugestimmt haben,
geleistet haben,


(Heiterkeit)

ganz besonders Herr Frankenhauser. Ich verwende mich
im Ausland von offizieller Seite ja auch für das deutsche
Bier. Es ist schließlich nicht so, dass wir nur Kontrover-
sen hätten.

Nein, ich möchte mich auch bei Ihnen – das ist ernst
gemeint; ich war lange genug in der Opposition – trotz
aller Kritik recht herzlich bedanken. Wir stehen im Aus-
wärtigen Dienst vor zusätzlichen Herausforderungen.
Die Last, die uns aufgebürdet wird, sollten wir nicht nur






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

als Last, sondern auch als Verantwortung begreifen. Die
Aufgaben hängen mit der Größe und Leistungsfähigkeit
unseres Landes zusammen, ebenso mit der Fähigkeit,
dass wir aus der Geschichte gelernt haben, und mit unse-
rer Rolle in Europa und zunehmend in der Welt. Dafür,
dass wir zwar nicht all das, was wir wollen, aber diesmal
doch schon viel erreicht haben, möchte ich mich recht
herzlich bedanken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514108200

Das Wort hat der Kollege Herbert Frankenhauser,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Herbert Frankenhauser (CSU):
Rede ID: ID1514108300

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Für ei-

nen Haushälter ist es bei so einer Debatte immer schwie-
rig, weil man zunächst den Eindruck hat, man hätte sich,
was den Sitzungssaal angeht, verlaufen. Es war wie im
letzten Jahr: Der Herr Außenminister konnte die letzten
drei Sätze doch noch in Richtung Haushalt verwenden.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber was für Blumen haben Sie gekriegt!)


– Das war aber sehr eingeschränkt; das waren vielleicht
Stängel, aber sonst nichts.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier gilt das Leistungsprinzip! – Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie im richtigen Leben, Herr Frankenhauser!)


Aber das gehört dazu. Möglicherweise sind Sie jetzt so
zurückhaltend, um den Äußerungen Ihres Finanzminis-
ters zu folgen, der einmal gesagt hat, es gebe dauernd
Missverständnisse, wenn sich ein Außenpolitiker zu
Wirtschafts- und Finanzfragen äußere. Damit waren Sie
gemeint. Aber ich weiß natürlich Ihre vielfältigen Bemü-
hungen zu schätzen, mit dem deutschen Bier und dem
Reinheitsgebot im Ausland zu punkten. Deshalb habe
ich es als außerordentlich unangemessen empfunden,
dass die „SZ“ geschrieben hat, Sie seien lediglich der
amtierende Minister für auswärtige Beileidsbekundun-
gen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Das stimmt natürlich nicht.

Sie werden mir nachsehen, dass ich ein paar Zahlen in
die Debatte einbringe. Sie haben von der notwendigen
Mittelausstattung des Auswärtigen Amtes gesprochen.
Wenn der Vizekanzler bereit ist, über einen gewissen
Zeitraum 1 100 Millionen Euro für den Umzug des
BND nach Berlin auszugeben, dann muss ich sagen:
Dies ist ein Betrag, mit dem Sie fast 20 Jahre lang die
humanitäre Hilfe in der jetzigen Größenordnung oder
über zehn Jahre Auslandsschulen und Stipendien finan-
zieren könnten. Die Bundesregierung sollte noch einmal
über diesen Posten nachdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister, nachdem der Kollege Mark in nicht zu
übertreffender Präzision schon über die Details des
Einzelplans 05 gesprochen hat, erlaube ich mir, Sie in
dem folgenden Punkt um Unterstützung zu bitten. Wenn
Sie zuweilen in Deutschland sind, können auch Sie beo-
bachten, dass die Menschen schon ein gewisses Ver-
ständnis dafür haben, dass aufgrund der bekannten Um-
stände Sparen angesagt ist und der Gürtel enger
geschnallt werden muss. Gerade in solchen Zeiten legen
die Mitbürger aber größten Wert darauf, dass die knapper
werdenden Mittel ordnungsgemäß eingesetzt werden.

Die Menschen sehen – so auch der Herr Bundesfi-
nanzminister –, dass wir im Zuge der nächsten EU-
Haushaltsplanung in eine schwierige Lage kommen
könnten. Denn: Selbst wenn es gelänge, den Beitrag der
Bundesrepublik Deutschland auf 1 Prozent festzuschrei-
ben, würden unsere Nettolasten in den nächsten Jahren
von jetzt 7,7 Milliarden Euro auf etwa 15 Milliarden bis
16 Milliarden Euro mehr als verdoppelt werden. Das
muss erst einmal verkraftet werden.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist es!)

Dabei sind die finanziellen Auswirkungen – dass es sie
gibt, ist völlig unbestritten – eines möglichen Beitritts
der Türkei völlig unberücksichtigt.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: 25 Milliarden!)

Außerdem ist noch nicht sicher, ob es gelingt, den Bei-
trag auf 1 Prozent zu begrenzen.

Es ist den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, durch Vor-
kommnisse in jüngster Zeit besonders sensibilisiert,
auch nur schwer vermittelbar, dass die Griechen pro Jahr
950 Millionen Euro für den Tabakanbau, finanziert aus
unseren Steuergeldern, erhalten, aber parallel dazu
29 Millionen Euro für Anti-Rauch-Kampagnen ausgege-
ben werden.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass den sich ex-

plosionsartig vermehrenden Betrugsfällen in der Europäi-
schen Union Einhalt geboten wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Schadenssumme im Jahre 2001 in Höhe von 1,2 Mil-
liarden Euro hat sich bis jetzt fast verdoppelt.

Es muss auch einmal nachgefragt werden – dieses ist
ein problematisches Thema –, was aus den mehr als
6,5 Milliarden US-Dollar geworden ist – der größte Teil
kommt aus der EU –, die seit 2003 an die Palästinensi-
sche Autonomiebehörde geflossen sind. Es kann natür-
lich nicht sein, dass der Internationale Währungsfonds
feststellen muss, dass 898 Millionen US-Dollar aus dem
palästinensischen Haushalt verschwunden sind und bis
heute nicht wieder aufgefunden werden konnten. Es
kann auch nicht angehen, dass das europäische Amt für
Betrugsbekämpfung, OLAF, nach eintägiger Prüfung zu
dem Ergebnis kommt, dass man nicht feststellen könne,
wohin das Geld geflossen sei. Hier bitte ich, einmal
nachzuhaken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Herbert Frankenhauser

Der mit EU-Geldern finanzierte Fernsehsender PA-

TV, also der Fernsehsender der Palästinensischen Auto-
nomiebehörde, hat aus einer Predigt in der Sheikh-Ijlin-
Moschee unter anderem übertragen – ich darf zitieren,
Frau Präsidentin –:

Oh Allah, bring einen rabenschwarzen Tag über die
Juden! Oh Allah, lösche die Juden aus und auch
ihre Förderer!

Ich denke, dass ein Sender, der fast schließlich aus EU-
Geldern finanziert wird, dies nicht tun darf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Wenn dann auch noch die Sendeanlagen – wenn auch
durch Fremdeinwirkung, das heißt durch die Israelis –
zerstört werden, die palästinensische Behörde in Brüssel
anruft und quasi wie bei einer Hausratversicherung mel-
det, die Sendeanlagen seien defekt, und zulasten des EU-
Haushaltes neue angeliefert werden, dann halte ich das
für nicht vertretbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Letztes, das möglicherweise nicht sehr einfach zu

bewältigen ist – aber Sie lieben ja schwierige Aufga-
ben –:


(Joseph Fischer, Bundesminister: Ja!)

Der im Hinblick auf das Programm „Öl für Lebensmit-
tel“ bestehende Korruptionsausschuss, geleitet von Paul
Volcker, hat im amerikanischen Kongress einen Schluss-
bericht abgeliefert, der noch immer nicht veröffentlicht
worden ist, offensichtlich aus gutem Grund. Wenn diese
Kommission darin ausdrücklich feststellt, dass bei dem
Programm „Öl für Lebensmittel“ – wir haben dies zu ei-
nem großen Teil mitfinanziert – unter überwiegender
Beteiligung französischer und russischer Firmen und un-
ter ausschließlicher Finanzierung durch eine französi-
sche Bank Gewinne gemacht worden, aber auch etwa
12 Milliarden US-Dollar an Saddam Hussein zurückge-
flossen sind, dann muss das hier im Parlament deutlich
angesprochen und bewertet werden, auch wenn derje-
nige, der dieses Hilfsprogramm federführend geleitet
hat, der amtierende Generalsekretär Kofi Annan ist.
Auch hier ist es dringend notwendig, dass die Fakten auf
den Tisch kommen und dieser Bericht dem Deutschen
Bundestag zur Kenntnis gebracht wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514108400

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1514108500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Der Außenminister erklärte zum deutsch-amerikani-
schen Verhältnis:

Die Zusammenarbeit ist so eng, dass sich die Frage
des Aufeinanderzugehens gar nicht stellt.
Wenn das so ist, dann verstehe ich nicht, dass die
deutsche Außenpolitik nicht mehr Wirkung entfaltet.
Der Krieg gegen die irakische Zivilbevölkerung nimmt
kein Ende. 1 000 Zivilisten wurden und werden immer
noch im Irak von US-amerikanischen Soldaten getötet.
Die viel beschworenen guten Beziehungen des deut-
schen Außenministers zu seinem amerikanischen Amts-
kollegen haben bisher nichts zur Lösung dieses Kon-
flikts beigetragen. In dieser Frage wünschte ich mir von
Ihnen, Herr Fischer, mehr Zivilcourage.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

„Zivil“ ist gleich mein nächstes Stichwort. Zivil ist

die Außenpolitik der rot-grünen Bundesregierung wirk-
lich nicht mehr zu nennen. Noch nie nach dem Zweiten
Weltkrieg war die deutsche Außenpolitik so militärisch
wie unter dem grünen Außenminister Fischer. Abstim-
mungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr sind
im Bundestag zu einer fast alltäglichen Routine gewor-
den. An diesem Freitag werden wir das 41. und 42. Mal
über Auslandseinsätze der Bundeswehr abstimmen.

Nach dem SPD-Prinzip „Kanonen statt Butter“, wie
es Herr Dauderstädt von der Friedrich-Ebert-Stiftung
proklamiert hat, macht die Bundesregierung mit der
Rüstung ein paar gute Geschäfte. Herr Bundesminister
Struck will 250 Leopard-Panzer an die Türkei verkau-
fen. Was die Türkei damit machen will, scheint der Bun-
desregierung relativ gleichgültig zu sein. Vielleicht er-
fahren wir von Herrn Struck in der anschließenden
Debatte Genaueres dazu. Wieso fragen Sie nicht, ob die
Türkei damit vielleicht einen Blitzvorstoß in die nord-
irakische Ölstadt Kirkut unternehmen will? Vor ein paar
Jahren hätten solche schmutzigen Geschäfte die Grünen
noch aus dem Gleichgewicht gebracht.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Sie müssen sich fragen lassen, was diese kostspieli-

gen militärischen Einsätze der Bundeswehr und die Waf-
fenexporte außenpolitisch bewirkt haben. Ist die Welt
durch die deutsche Außenpolitik sicherer geworden?
Nehmen wir den Einsatz der Bundeswehr in Afghanis-
tan! Ziel war, mit der Bush-Regierung in uneinge-
schränkter Solidarität einen Schlag gegen den internati-
onalen Terrorismus zu führen. Wir wissen: Es gab noch
nie so viel Terrorismus in dieser Welt wie heute und je-
den Tag kommen neue Opfer hinzu. Die Bush-Regie-
rung ist mit ihrem Krieg gegen den Terrorismus geschei-
tert. Die deutsche Regierung hat den Krieg gegen den
Terrorismus glücklicherweise nicht bis zum bitteren
Ende begleitet, aber – das darf nicht verschwiegen wer-
den – immer logistisch unterstützt, auch den Irakkrieg.


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Propagandarede im Geist der NVA!)


Wir müssen uns jetzt gegen eine neue Logik des Wett-
rüstens wehren. Es ist aus der Sicht der PDS der falsche
Weg, die Europäische Union militärisch aufzurüsten,
wie es auch der Entwurf der europäischen Verfassung
vorsieht. Wir wollen kein Wettrüsten gegen die USA und
wir wollen auch kein Wettrüsten gegen Terroristen. Das
ist der falsche Weg!


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch

Wie verhängnisvoll der Krieg gegen den Terrorismus

ist, spüren wir auch hier in Europa in unserem persönli-
chen Leben. Wenn jetzt überall über die islamistische
Radikalisierung diskutiert wird, dann müssen wir uns
über eines im Klaren sein: Es ist der Krieg gegen den
Terrorismus mit seinen vielen unschuldigen Opfern, der
viele Menschen radikalisiert. Es hat wohl niemand damit
gerechnet, dass der Krieg gegen den Terrorismus – wie
wir das jetzt in den Niederlanden erleben mussten – so
schnell auf das Leben in Europa zurückschlagen würde.


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Anschläge von Madrid wohl gar nicht wahrgenommen, oder?)


Uns von der PDS ist die Außenpolitik der Bundesre-
gierung zu militaristisch. Darum haben wir für den
Einzelplan 14, der gleich besprochen wird, eine Reihe
von Änderungsvorschlägen eingebracht. Das Geld für
Auslandseinsätze der Bundeswehr und für die Beschaf-
fung neuer Waffen wäre für humanitäre Arbeit wesent-
lich besser angelegt. Vor einigen Jahren haben auch die
Grünen diese Auffassung noch dezidiert vertreten.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514108600

Das Wort hat der Kollege Kurt Bodewig, SPD-Frak-

tion.

Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1514108700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Frau Lötzsch, ich würde Ihren Beitrag ernst neh-
men, wenn nicht Ihr damaliger Vormann in einer Situa-
tion, die mit dem, was wir zurzeit in der Ukraine erleben,
vergleichbar ist, zu Milosevic gepilgert wäre.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ja, genau!)


Milosevic sitzt jetzt in Den Haag. Er wird wegen seiner
verbrecherischen Politik angeklagt. Ich glaube, unter der
verbrecherischen Politik des damaligen Gesprächspart-
ners leidet die Balkanregion noch heute. – Das war die
erste Vorbemerkung.

Die zweite Vorbemerkung richtet sich an Herrn
Pflüger. Ich finde, Herr Pflüger, Sie haben heute eine rie-
sige Chance verpasst. Anstatt Johannes Raus Prinzip
„Versöhnen statt Spalten“ in solch einer kritischen Situa-
tion zu praktizieren, haben Sie mit Ihren Ausführungen
zur Ukraine versucht, eine Spaltung der Politik hier in
Deutschland zu betreiben, indem Sie dem Bundeskanz-
ler Dinge unterstellen, die er in seiner Rede heute Mor-
gen anders formuliert hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde, das ist kein guter Stil, und ich glaube, dass es
falsch ist.

Ich will ausdrücklich auf die Rede von Gert
Weisskirchen eingehen. Gert Weisskirchen hat in einer
besonders guten Weise auf die derzeitige historische Si-
tuation in der Ukraine hingewiesen, eine Situation, die
klare Signale erfordert. Meine Kollegen von der Opposi-
tion, ich habe es bedauert, dass es Ihnen nicht gegeben
war, diesen Ausführungen Applaus zu spenden, denn ich
finde, es wäre notwendig gewesen. Wir müssen ein Si-
gnal setzen. Ich glaube, die gemeinsame Erklärung ist
dafür der richtige Weg.

Für mich ist Punkt 5 – er betrifft die Anerkennung ei-
ner Zivilgesellschaft, die um Demokratie ringt und eine
Wahlverfälschung nicht zulässt – besonders wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Ukraine ein Grenzland ist – das scheint die
wörtliche Übersetzung zu sein –, dann geht es dabei
wohl um die Grenze zur EU. Die Ukraine darf aber nicht
an der Grenze zur Demokratie liegen. Ich glaube, des-
halb ist dieses Signal, diese Entschließung, zu diesem
Zeitpunkt genau das Richtige.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auch auf die Europapolitik eingehen. Ich
glaube, wir sollten die Europapolitik vor dem Hinter-
grund betrachten, dass wir uns in einer Zeit befinden, in
der es gelungen ist, eine große Erweiterung zu erreichen,
und in der durch die neue Verfassung eine Vertiefung be-
vorsteht. Es ist klar: Mit den Regeln von Nizza kann
man ein Europa der 25 nicht gestalten. Wir brauchen die-
sen Verfassungsvertrag. Es ist wichtig, dass wir alle uns
dafür einsetzen, dass er realisiert wird.

Ich habe noch die Ausführungen der CSU im Ohr – es
stand Ende Oktober in der „FAZ“ –, denen zufolge es
der CSU wohl nicht möglich war, der Verfassung zuzu-
stimmen. Das sollten Sie noch einmal überdenken. Sie
sollten das, was Sie proklamieren, Europa ernst zu neh-
men, auch praktizieren. Hier haben Sie noch einen Lern-
prozess vor sich. Aber der ist ja nicht ausgeschlossen.

Mir ist noch ein anderes Thema wichtig, nämlich die
Lissabonstrategie. Der Wim-Kok-Bericht ist ehrlich,
treffend und zeigt, dass die Vereinbarung der Staatschefs
von vor vier Jahren in der Euphorie der damaligen Situa-
tion der Entwicklung des Internets und einer Aktienent-
wicklung, die damals zu großen Hoffnungen führten,
aber nicht eingetroffen sind, korrigiert werden muss. Ich
glaube, dass das Ziel von Lissabon nach wie vor richtig
ist. Wir müssen uns global als wissensbasierten Wirt-
schaftsraum verstehen und diesen fortsetzen. Der Kok-
Bericht schlägt vor: Verbesserung der Wissensgesell-
schaft, Vollendung des Binnenmarktes, Schaffung eines
besseren Unternehmensklimas, schnellere Unterneh-
mensgründungen, Anpassungsfähigkeit der Arbeits-
märkte und schließlich auch Investitionen und Ökoin-
vestitionen. Dies ist ein richtiger und erfolgreicher Weg.

Thomas Mirow, der deutsche Vertreter in der Kom-
mission von Wim Kok, meinte, dass die grundlegende
Ratio von Lissabon gültiger ist denn je: Keine europäi-
sche Nation kann auf sich allein gestellt im weltweiten
Wettbewerb erfolgreich agieren. Jeder Schritt eines EU-






(A) (C)



(B) (D)


Kurt Bodewig

Mitgliedstaates zu mehr Wachstum und Wettbewerbs-
stärke gewinnt an Durchschlagskraft, wenn er mit ande-
ren Mitgliedstaaten abgestimmt ist. – Das ist richtig und
gilt nach wie vor.

Wir müssen auch unsere eigenen Hausaufgaben ma-
chen. In diesem Bereich ist fast anderthalb Dekaden
nichts geschehen. Wir realisieren jetzt die Agenda 2010.
Diese Agenda 2010 versteht sich in der Logik des Be-
richts von Wim Kok. Wir müssen dies den Bürgern ver-
mitteln. Aber wir sollten den Bürgern auch vermitteln,
dass wir auf europäischer Ebene Probleme überwiegend
nicht durch Mehrausgaben lösen können, während wir
hier nach den Kriterien des Wachstums- und Stabilitäts-
paktes eine klare Sparpolitik betreiben. Ich glaube, das
geht nicht überein. Wir sollten sehr deutlich machen,
dass wir eine Entwicklung brauchen, die Europa in Ge-
samtheit versteht, und dass wir diesen Stabilitäts- und
Wachstumspakt in beiden Teilen ernst nehmen.

Nachdem ich gerade die Kritik von Herrn Hintze ge-
hört habe, frage ich mich, warum damals in den Wachs-
tumspakt nicht die große Leistung der deutschen Einheit
eingearbeitet worden ist. Wir würden heute anders daste-
hen, wenn man dies zur Grundlage hätte. Einige Ihrer
Vorwürfe sind mehr als unzutreffend. Deswegen glaube
ich, dass wir die Lissabonstrategie als europäisches Mo-
dell weiterentwickeln sollten. Es ist notwendig, dass wir
in diesem Bereich vorankommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auf einen Punkt der Lissabonstrategie ein-
gehen: die Herstellung eines einheitlichen Binnenmark-
tes. Wir werden uns bei der Dienstleistungsrichtlinie
entscheiden müssen, ob wir Entbürokratisierung – die ist
dort auch angelegt – oder einen ausschließlichen Ab-
bruch von Regeln und damit Deregulierung wollen. Das
Herkunftslandprinzip und seine Dominanz in dieser
Richtlinie sagt nichts anderes, als dass wir faktisch eine
Inländerdiskriminierung erhalten werden und dass wir
faktisch einen – unzulässigen – Druck auf soziale, öko-
logische und ökonomische Standards erhalten werden.
Dies ist ein desintegrierender Weg, weg von einer Har-
monisierung in Europa, hin zu einem Europa der Her-
kunftsländer,


(Beifall bei der SPD)

deren Bedingungen dann in dem jeweils anzuwendenden
Land nicht kontrolliert werden können.

Hier sollten wir uns entscheiden. Das ist eine Diskus-
sion, die wir in diesem Parlament gemeinsam führen
müssen. Aber in einem bin ich mir sicher: Dieses Europa
ist stark, genauso stark wie die Bundesrepublik Deutsch-
land.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bitte die Damen und Herren von der Opposition: Ma-
chen Sie bei Europa nicht den gleichen Fehler, den Sie
mit diesem Land machen. Reden Sie Europa nicht ka-
putt, sondern lassen Sie uns Europa gemeinsam entwi-
ckeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Sinne ist eine solche Debatte unter europäi-
scher Sichtweise eine sinnvolle.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514108800

Das Wort hat der Kollege Dr. Gerd Müller, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1514108900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Sorge um die Entwicklungen in der Ukraine berührt uns
alle. Wir haben das Bemühen des Außenministers zur
Kenntnis genommen. Aber wir sind der Meinung, dass
der Bundeskanzler hier Farbe bekennen muss.


(Gernot Erler [SPD]: Das hat er heute getan!)

Morgen ist dazu Gelegenheit. Beim EU-Russland-Gipfel
muss dieses Thema auf die Tagesordnung. Das Ziel
muss eine gemeinsame Erklärung zur Überprüfung der
Wahl und zum Weg zur Demokratie in der Ukraine sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich kann mir vorstellen, warum der Bundesaußenmi-
nister so emotional reagiert, wenn ich beim Thema Men-
schenrechte von den Seelenverkäufern bei den Grünen
rede.


(Zuruf von der SPD: Was soll denn dieser Ausdruck?)


Der Punkt ist: Dieser Bundeskanzler fällt Gaddafi im
Wüstenzelt um den Hals. Er fordert die Aufhebung des
Waffenembargos gegenüber China. Bei „Beckmann“
sagte Schröder vor zwei Tagen, Putin sei ein „lupenrei-
ner Demokrat“ – und das angesichts der Entwicklungen
in Russland!


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das stimmt auf keinen Fall!)


Meine Damen und Herren, hier würde auch ich, wenn
ich Ihr grüner Koalitionspartner wäre und an das in Ihrer
Partei früher so hoch gehaltene Thema Menschenrechte
denke würde, Bauchschmerzen bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird heute noch hoch gehalten!)


Lassen Sie mich zur Außenpolitik zurückkommen;
denn am Ende dieser außenpolitischen Debatte sollte
auch Bilanz über Erfolge und Misserfolge gezogen wer-
den. Herr Außenminister Fischer, wir sind der Meinung,
dass Ihre Amtszeit in der Vergangenheit von drei ent-
scheidenden politischen Fehlern geprägt wurde: Erstens.
Sie tragen die Verantwortung für eine nachhaltige Be-
schädigung der transatlantischen Beziehungen. Zwei-
tens. Sie haben durch Ihre Politik NATO und EU gespal-
ten.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerd Müller


(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Herr Fischer ist ja gar nicht mehr da!)

Drittens. Herr Bundesverteidigungsminister, Deutsch-
land ist nicht mehr abwehrbereit; darauf werden wir in
der nachfolgenden Debatte noch eingehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Sie sollten auswandern, Herr Müller!)


Nun komme ich zur Störung der transatlantischen
Partnerschaft. Diese Bundesregierung hat es geschafft,
unsere Freundschaft mit Amerika zu gefährden. Es ge-
nügt nicht ein Telefonanruf, um dies wieder in Ordnung
zu bringen. Neben der nachhaltigen Störung des transat-
lantischen Verhältnisses ist der zweite gravierende Feh-
ler Ihrer politischen Amtszeit die von Ihnen aktiv betrie-
bene Spaltung der Europäischen Union und der
NATO.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo lebt der Mann?)


In der Irakfrage sind Sie einen deutschen Sonderweg
gegangen. Sie haben einen Pralinengipfel einberufen.
Wenn ich an die Bildung der Achse Paris–Berlin–Mos-
kau denke, dann sage ich Ihnen: Das ist nicht der ge-
meinsame Weg in die Zukunft zur Lösung der großen
Herausforderungen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt eine Grundübereinkunft zur Lösung dieser

großen Probleme im internationalen Bereich. Die euro-
päische Einheit und die transatlantische Partnerschaft
sind keine sich ausschließenden Alternativen.


(Kurt Bodewig [SPD]: Stimmt!)

Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe des deutschen Au-
ßenministers und des deutschen Bundeskanzlers, außen-
politisch die Balance zwischen europäischer Einheit,
transatlantischer Partnerschaft und internationaler Zu-
sammenarbeit zu finden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neuen
und großen sicherheitspolitischen Herausforderungen
sind ohne die USA nicht zu bewältigen; in der verteidi-
gungspolitischen Debatte wird darauf eingegangen wer-
den. Nachdem die Bundeswehrreform durchgeführt
wurde, ist Deutschland, was beispielsweise die Abwehr
terroristischer Angriffe im eigenen Land betrifft, nur
noch bedingt abwehrbereit und abwehrfähig. Ich gebe
den Stimmen von Rot und Grün Recht, die sagen: Sie
haben die Bundeswehr in immer neue Auslandseinsätze
geschickt sowie die Truppenstärke und die zur Verfü-
gung stehenden Haushaltsmittel gekürzt. Jetzt machen
Sie sich an die Abschaffung der Wehrpflicht und ver-
nachlässigen die Landesverteidigung. Das ist ein unver-
antwortlicher Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Thema Verfassungsvertrag an

den Kollegen Hintze anknüpfen. Wir werden Anfang
kommenden Jahres den Prozess der Ratifikation des Ver-
fassungsvertrages einleiten.


(Kurt Bodewig [SPD]: Stimmen Sie zu?)

Diesen Prozess haben wir vor uns. Dieser Verfassungs-
vertrag ist eine große Herausforderung für die Zukunft
der Europäischen Union.


(Kurt Bodewig [SPD]: Was macht die CSU?)

Im Zusammenhang mit seiner Ratifizierung stellen sich
neue Fragen, was die Zusammenarbeit von Parlament
und Regierung betrifft.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Die ist nicht anwesend!)


Die Unionsfraktion bringt in den Ratifikationsprozess
die Forderung ein, dem Deutschen Bundestag bei der
europäischen Rechtsetzung in Zukunft ein maßgebliches
Mitwirkungsrecht einzuräumen, wie es die Bundeslän-
der bereits heute in ihren eigenen Angelegenheiten ha-
ben. Wir wollen in der europäischen Gesetzgebung die
Gleichstellung des Bundestages mit dem Bundesrat.
Dazu bedarf es einer Grundgesetzänderung, zumindest
einer Änderung einfacher Gesetze. Dies müssen wir im
Zusammenhang mit dem Ratifikationsprozess miteinan-
der besprechen. Wir wollen mehr Rechte für die Parla-
mente, nicht für die Bürokratie. Wir wollen mehr Rechte
für das Volk und nicht für die Bürokraten in Europa,
nicht von oben nach unten.


(Kurt Bodewig [SPD]: Stimmen Sie denn zu?)

Der Bundesaußenminister hat unser Gesprächsangebot
dazu bisher abgelehnt, er hat es nicht angenommen. Das
kann nicht der Weg nach vorne sein.


(Kurt Bodewig [SPD]: Stimmen Sie denn zu?)

Ich möchte zum Thema Türkei nur ein paar wenige

Sätze anfügen; unsere Position ist klar. Aber in wenigen
Tagen steht der europäische Gipfel an. Dabei steht eine
Entscheidung an, die uns über zehn oder 20 Jahre, viel-
leicht darüber hinaus, binden wird; eine unumkehrbare
Entscheidung. Herr Außenminister Fischer, Sie haben
einmal in einer Diskussion gesagt: Das ist eine 51 : 49-
Entscheidung. Sie waren argumentativ einmal auf der
anderen Seite. Aber eines ist klar: Die Mitgliedschaft der
Türkei in der Europäischen Union ist der Abschied von
der Vision der Politischen Union in Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen dies wissen. Deshalb sagt die Union Nein
zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Tür-
kei. Wir sagen Ja zur Freundschaft, zur Partnerschaft,
zum Ausbau unserer wirtschaftlichen, kulturellen und
Sicherheitspartnerschaft. Die Türkei ist ein Freund und
sie wird ein Freund bleiben. Aber wir müssen mit unse-
ren Freunden aufrichtig umgehen: Die Türkei gehört we-
der geographisch noch kulturell zur Europäischen
Union. Die Türkei ist doppelt so groß wie Deutschland.
Eine Vollmitgliedschaft bedeutet Freizügigkeit. Freizü-
gigkeit heißt nach Aussagen der EU-Kommission: 2 bis
3 Millionen Menschen, die der Armut Anatoliens ent-
fliehen und in die Europäische Union einwandern
werden. Migration – Kosten – Integration. Wir leisten






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerd Müller

die große Aufgabe der Integration in Deutschland schon
heute nicht befriedigend. 80 Prozent der in Berlin einge-
schulten sechsjährigen türkischen Kinder sprechen kein
Wort Deutsch. Daran wird deutlich, dass wir schon heute
bei der Integration der türkischen Mitbürger scheitern.
Wir müssen zunächst einmal diese dringenden Probleme
angehen, bevor wir die Türen aufmachen und den EU-
Beitritt propagieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sehr gut und sehr treffend hat Klaus-Dieter

Frankenberger den Kurs deutscher Außen- und Verteidi-
gungspolitik in der „FAZ“ umschrieben, Herr Fischer
– ich möchte ihn hier zitieren; die Überschrift lautet
„Hakenschlagen ohne Ziel“ –:

Die Bundesregierung ist dabei, die wichtigste Platt-
form, auf der sie steht und auf der sie weltpolitisch
spielen kann, die Europäische Union, zu beschädi-
gen. Sie träumt von Multipolarität und gelegentlich
von Gegenmachtbildung. Aber das ist ein Albtraum
gefährlicher Selbstüberschätzung. Daß auf
Schröders Prioritätenliste China, Indien und Russ-
land ganz oben stehen, ist ein außenpolitischer
Schwenk, ein Traditionsbruch. Der ist riskant, wenn
nicht geschichtsblind, weil er die Bedeutung, die
Amerika nach wie vor für Deutschland hat, unter-
schätzt und die Zentralität einer festgefügten Union
für die deutschen Interessen ignoriert.

Ich kann Klaus-Dieter Frankenberger hier nur zustim-
men.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514109000

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-

plan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung.
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der
PDS angenommen.

Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf
Drucksache 15/4265 mit dem Titel „Fälschungen der
ukrainischen Präsidentschaftswahlen“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an-
genommen.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe Tagesordnungspunkt I.15 auf:

Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
– Drucksachen 15/4312, 15/4323 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Bartholomäus Kalb
Dr. Elke Leonhard
Alexander Bonde
Jürgen Koppelin

Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU sowie ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Über den Ände-
rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/4340, der sich auch auf den Einzelplan 14
bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt wor-
den.

Weiterhin liegt je ein Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor, über
die wir am Freitag im Anschluss an die Schlussabstim-
mung abstimmen werden.

Außerdem rufe ich Tagesordnungspunkte I.16 a und b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchsetzung der Gleichstellung von Sol-

(Soldatinnenund Soldatengleichstellungsdurchsetzungsgesetz – SDGleiG)

– Drucksache 15/3918 –

(Erste Beratung 132. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (11. Ausschuss)

– Drucksache 15/4255 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Mogg
Ursula Lietz

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz,
Christian Schmidt (Fürth), Annette Widmann-
Mauz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Soldatinnen- und Soldatengleichstellungs-
durchsetzungsgesetz zügig umsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz,
Anita Schäfer (Saalstadt), Christa Reichard

(Dresden), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der CDU/CSU
Frauen und Familien in der Bundeswehr
stärken und fördern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Klaus Haupt, Helga Daub, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP
Bundeswehr stärken – Beschäftigungsbedin-
gungen für Soldatinnen und Soldaten ver-
bessern

– Drucksachen 15/3717, 15/3049, 15/3960,15/4255 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Mogg
Karin Evers-Meyer
Ursula Lietz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1514109100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei

Haushaltsberatungen geht es in erster Linie um Geld und
bei der Diskussion über die Frage, wer es am besten mit
der Bundeswehr meint, muss ganz klar gesagt werden, in
welcher Situation wir uns konkret befinden.

Der Haushalt hatte im Juni dieses Jahres auf dem Pa-
pier ein Volumen von etwas über 24 Milliarden Euro. Er
wurde dann zwischen Staatssekretär Wagner und dem Fi-
nanzminister noch einmal besprochen und um eine
Viertel Milliarde Euro gekürzt. Auf dem Papier hat er jetzt
ein Volumen von 23,9 Milliarden Euro. Eine weitere Kür-
zung ist durch die globale Minderausgabe vorgenommen
worden. Das bedeutet, dass der Etat jetzt um etwa
750 Millionen Euro unter dem Ansatz des Jahres 2003
liegt.

Es gab dann eine Ressortvereinbarung zwischen dem
Verteidigungsminister und dem Finanzminister, mit der
festgelegt werden sollte, in welchem Volumen dem Ver-
teidigungsministerium für die Bundeswehr und all das,
was mit der Bundeswehr zusammenhängt, mittelfristig
Geld zur Verfügung steht. Von diesem gemeinsam be-
schlossenen Plafond ist man dann in einer solchen Grö-
ßenordnung abgewichen, dass im Verteidigungsetat
2004 und im nächsten Jahr exakt 1,35 Milliarden Euro
weniger zur Verfügung stehen als versprochen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Pfui!)

Ich erwähne den Betrag deshalb, weil hier eine De-

batte darüber entstanden ist, was Kürzungsanträge der
Opposition für den Verteidigungsetat möglicherweise
bedeuten würden. Um es deutlich zu sagen: Aufgrund
der Verantwortung von CDU/CSU für den Gesamtetat
haben wir für alle Etats Kürzungsvorschläge gemacht.
Die Kürzungsvorschläge für das Verteidigungsministe-
rium wurden uns so ausgelegt, als würden wir all das,
was zur Bundeswehr gehört, um 580 Millionen Euro re-
duzieren wollen. Das ist deshalb falsch, weil nur der
nichtmilitärische, flexibilisierte Teil der Verwaltungsaus-
gaben betroffen sein sollte. Dieser Betrag umfasst ein
Drittel der Kürzungen, die das Finanzministerium und
das Verteidigungsministerium für den Verteidigungsetat
jetzt noch gemeinsam vorsehen.

Was das bedeutet, kann sich jeder ausrechnen. Ein wei-
teres Mal ist der Verteidigungsetat unverhältnismäßig
stark zur Erwirtschaftung einer globalen Minderausgabe
herangezogen worden. Ich sage es allen Anwesenden,
weil die nächste Sparaktion bevorsteht: Die globale Min-
derausgabe in allen Einzelplänen hat immer noch ein Vo-
lumen von alles in allem 1,5 Milliarden Euro. Das bedeu-
tet, der Verteidigungsetat wird weiter heruntergefahren. Er
liegt dann um etwa 1 Milliarde Euro unter dem des Vor-
jahres. Das ist die konkrete Situation. Dass diese Mittel
nicht ausreichen, um Verteidigungspolitik in und außer-
halb Deutschlands zu betreiben, ist, so glaube ich, jeder-
mann klar.

Es ist bedauerlich, dass der Verteidigungsetat, der nur
etwa 9 Prozent des Gesamtetats ausmacht, mit fast
30 Prozent bei den Kürzungen berücksichtigt wird. Hier
hat sich der Verteidigungsminister offensichtlich nicht
durchgesetzt. Vielleicht ist das ja auch der Grund, wes-
halb er heute wieder einmal nicht selber reden wird.
Vielleicht ist das aber auch nur der übliche Firlefanz.
Einmal darf der eine, dann darf mal der andere reden.
Der eine wird angekündigt und der andere redet schließ-
lich. Wir werden uns das anschauen.

Neben dieser maßlosen Zusammenstreichung des
Verteidigungsetats möchte ich einen zweiten Punkt an-
sprechen, nämlich die so genannte Transformation der
Bundeswehr. Mit der Transformation bzw. Weiterent-
wicklung der Bundeswehr sollte durch die Verkleine-
rung, durch das Schließen von Standorten und durch
eine andere Aufgabengestaltung Geld gewonnen wer-
den, um so künftige Aufgaben besser erledigen zu kön-
nen.

Schauen Sie sich einmal die Zahl der Soldaten an. Sie
werden feststellen, dass die Bundeswehr schon heute
fast die Zahl erreicht, die sie erst im Jahr 2010 haben
sollte. Der Grund ist, dass in diesem Jahr etwa
25 000 Wehrpflichtige – im nächsten Jahr werden es
noch mehr sein – einfach nicht eingezogen werden. Die
Herabsetzung des Tauglichkeitsgrades T3 auf T2 – das
heißt, alles, was „schlechter“ als T2 ist, wird nicht mehr
eingezogen – bedeutet, dass in Deutschland von Wehrge-
rechtigkeit praktisch überhaupt keine Rede mehr sein
kann. Die Situation ist eben nicht mehr so, dass für junge
Damen und junge Herren die faire Chance besteht, zum
Wehrdienst herangezogen zu werden. Die Bundeswehr
hat inzwischen die Größenordnung von etwa
250 000 Soldaten fast erreicht. Das heißt, all das, was
durch die „Transformation“ erwirtschaftet werden soll,
ist schon jetzt verbraucht.

Die nächste Sparaktion, die bevorsteht, wird sich
zwangsläufig auf die Beschaffung auswirken. Wir wer-
den in diesem Jahr nur einen Teil der ursprünglich ge-
planten Beschaffung realisieren können. Zu einem Teil
der ursprünglichen Beschaffung gehören zu meiner
Freude der Schützenpanzer Puma, die Kampfausstattung
für die Infanteristen und ein Heeresinformationssystem.
Aber wir werden vieles, was in diesem Jahr geplant ist,
nicht realisieren können, weil einfach das Geld nicht
reicht.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass im Verteidi-
gungsministerium nicht wirklich gespart wird. Der Bun-
desrechnungshof hat dies immer wieder dargestellt.
Erst vor kurzem wurde in einem umfangreichen Bericht
am häufigsten das Verteidigungsministerium in Verbin-
dung mit Schlamperei verzeichnet. Dazu wurden noch






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

nicht einmal die Beraterverträge und andere Ereignisse
gezählt. Elf neue Vorfälle werden dem Verteidigungsmi-
nisterium zugerechnet. Wenn man mit dem Geld anders
umgegangen wäre und umgehen würde, stünde mit Si-
cherheit mehr Geld für Ausrüstung, Ausstattung, Übun-
gen und unsere Soldaten zur Verfügung.

Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, das so ge-
nannte Stationierungskonzept. Dies ist Ausdruck der
Umsteuerung der Bundeswehr – der so genannten Trans-
formation – von einer Verteidigungsarmee mit Wehr-
pflicht, die für Heimatschutz, Katastrophenschutz und
Landesverteidigung zuständig ist, wie sie im Grundge-
setz steht, hin zu einer Armee, die sich in erster Linie
darauf konzentriert, internationale Einsätze zu begleiten.
Diese Aufgabe steht nicht im Grundgesetz. Da steht
zwar auch etwas von internationalen Verpflichtungen,
aber an vielen Stellen ist von Verteidigungsarmee, Ver-
teidigungsauftrag und auch der Wehrpflicht die Rede.

All dies wird durch das ignoriert, was mit den Stand-
ortentscheidungen gemacht wird. Die Bundeswehr wird
fast ausschließlich auf internationale Einsätze getrimmt.
Sie zieht sich zum Teil in unverantwortlicher Weise aus
der Fläche zurück und wird damit Aufgaben wie bei-
spielsweise Heimatschutz, Katastrophenschutz und Ter-
rorismusbekämpfung vor Ort, an der Küste in dem vor-
gesehenen Umfang nicht mehr leisten können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es muss deutlich gemacht werden, welche Wirkung

dies in Zukunft haben wird, was Sie natürlich bestreiten
werden. Klar ist aber: Wenn ABC-Abwehr zur Terroris-
musbekämpfung nicht mehr vorhanden ist, der Minen-
schutz in bestimmten Bereichen nicht mehr möglich ist
oder an anderer Stelle kein schweres Gerät mehr zur Ver-
fügung steht, dann hat das eindeutig Auswirkungen auf
die Situation im Inland.

Ich darf noch etwas zu der konkreten Ausgestaltung
bei der Reduzierung der Truppen sagen. Ich habe der
Lokalpresse bei mir gesagt, ich habe den Eindruck, das,
was der Verteidigungsminister macht, ist ein Rachefeld-
zug gegenüber denjenigen, die sich kritisch zu seiner Ar-
beit äußern, bei der Kritik durchaus angebracht ist. Ich
darf einmal auf meinen Wahlkreis bezogen sagen


(Jürgen Koppelin [FDP]: Auf unseren Wahlkreis!)


– ich weiß, es ist unser Wahlkreis, Jürgen –: 1998 gab es
dort zusammen mit einem Kreiswehrersatzamt und einer
Standortverwaltung noch sieben Standorte. Von diesen
sieben Standorten wird in absehbarer Zeit keiner mehr
übrig sein, obwohl einer der Standorte die ABC-Abwehr
enthält, die auch noch in Zukunft gebraucht wird.

An einem anderen Standort sind die Sanitäter. An die-
sem Standort waren früher auch einmal Hubschrauber.
Aber der frühere Verteidigungsminister Scharping – die
Älteren werden sich noch an ihn erinnern – hat gesagt,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

diese müssen in den Wahlkreis meines Fraktionsvorsit-
zenden Struck. Also musste man 180 Millionen DM in-
vestieren, damit im Wahlkreis von Herrn Struck die
Hubschrauber konzentriert werden. Dadurch wurde bei
mir eine Kaserne frei. Ich habe damals erklärt, in diese
sehr ordentliche Kaserne können die Sanitäter einziehen,
die bisher in einer unzureichenden Kaserne unterge-
bracht sind. Dann aber hat man ausgerechnet, dass auf
einmal die Sanitäter wesentlich teurer wären als vorher
die Heeresflieger, die vorher wesentlich teurer als die
Sanitäter waren. Man legt sich das zurecht.

Herr Struck, Sie wischen sich ständig über die Stirn.
Ich deute diese Geste als Schwächezustand. Einen ande-
ren Grund dafür kann ich mir nicht denken, es sei denn,
Sie wollten damit etwas Unparlamentarisches ausdrü-
cken.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit!)


Bei einzelnen Standortentscheidungen sind sachliche
Kriterien nicht zu erkennen. Das kann ich für den Wahl-
kreis der Kollegin Jaffke an der polnischen Grenze sa-
gen, aber auch für viele andere Standorte in Deutsch-
land. Die Entscheidungen sind nicht nachzuvollziehen,
sie sind nicht logisch und nicht vernünftig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundesfinanzminister hat angekündigt, dass er

weiter sparen muss. Es gibt in der Tat weitere Anlässe
zum Sparen. Ich gehe davon aus, dass der Bundesrech-
nungshof in absehbarer Zeit zwei Berichte vorlegen
wird, in denen er sich mit der GEBB auseinander setzt.
Die GEBB ist eine Einrichtung, die den Verteidigungs-
minister beraten und bei dem, was er zu tun hat, unter-
stützen soll. Die GEBB hat ein Flottenmanagement, ein
Fuhrparkmanagement und ein Bekleidungsmanagement
eingerichtet. Das Ganze sollte gemacht werden, um Per-
sonal und Geld zu sparen. Inzwischen hat die GEBB
5 000 Mitarbeiter. Von den 5 000 Mitarbeitern sind ei-
nige Tausend vom Verteidigungsministerium ausgelie-
hen. Sie erscheinen nicht dort als Dienstposten, sondern
sie erscheinen bei der GEBB. Die GEBB sagt: Wir ha-
ben jetzt einen gewaltigen Apparat aufgebaut. Ist das
nicht toll? – Diese vielen Mitarbeiter sollen also jetzt
Fahrzeuge, Verpflegung, Liegenschaften und vieles an-
dere mehr managen. Ich kann Ihnen jetzt schon vorher-
sagen, dass der Bundesrechnungshof in den nächsten Ta-
gen zwei Berichte vorlegen wird, in denen er deutlich
machen wird, dass die GEBB überhaupt nicht wirt-
schaftlich arbeitet und das, was dort gemacht wird, kei-
nen einzigen zusätzlichen Cent einspart, sondern es sich
dabei um Geldverschleuderung handelt, insbesondere
wenn man sich die Gehälter der führenden Leute in der
GEBB anschaut, die zum Teil mehr als doppelt so viel
wie der Bundeskanzler verdienen. Es gibt also an vielen
Stellen die Möglichkeit, zu sparen und das Geld für die
Einsätze, die Ausstattung und die Ausrüstung der Bun-
deswehr zu verwenden. Darüber sollte einmal informiert
werden.


(Beifall des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU])







(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, den ich in

der Tat bemerkenswert finde. Wir haben miteinander im-
mer die Auffassung vertreten, dass die Bundeswehr eine
Armee des ganzen Parlaments ist, die von allen unter-
stützt wird, die hier im Hause sitzen. Dazu gehört auch,
dass man über das informiert wird, was in der Bundes-
wehr passiert, und dass das Parlament an Entscheidun-
gen beteiligt wird. Bisher hat es das noch nicht gegeben,
dass ein Minister Entscheidungen wie die jetzigen
Standortentscheidungen ohne eine vorherige Debatte mit
Vertretern der Länder oder mit dem Parlament trifft.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wissen auch, wie die vorherigen Standortentscheidungen gelaufen sind!)


– Bei Stoltenberg, bei Rühe und auch bei Scharping ha-
ben wir vorher einen Entwurf gesehen und darüber dis-
kutiert. Dann gab es die Entscheidung. Hier ist das genau
umgekehrt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514109200

Herr Kollege, Sie wissen, dass Sie auf Kosten Ihrer

Kollegen sprechen.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1514109300

Ja, ich bin fertig. Ein letzter Satz.
Wir müssen feststellen, dass wir unter diesem Minis-

ter nicht nur an Entscheidungen nicht beteiligt werden,
sondern noch nicht einmal darüber informiert werden.
Ich habe sogar manchmal den Eindruck, dass er selber
über das, was in der Bundeswehr und außerhalb der
Bundeswehr geschieht, gar nicht Bescheid weiß. Ich
brauche bloß das Stichwort Coesfeld zu erwähnen. Wenn
das stimmt, was ich im „Spiegel“ über das gelesen habe,
was sich vor drei Monaten zugetragen hat, dann kann ich
nur sagen: Es ist einiges in dieser Armee nicht in Ord-
nung. Auch deswegen unterstützen wir den Verteidi-
gungsetat nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514109400

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1514109500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als erstes wünsche ich von dieser Stelle – ich
hoffe, auch im Namen des ganzen Hauses – meiner er-
krankten lieben Kollegin Dr. Elke Leonhard, für die ich
hier reden soll, gute Besserung und ich hoffe, dass sie
bald zurückkommt.


(Beifall im ganzen Hause)

Normalerweise wäre ich jetzt sachlich eingestiegen,

wie Haushälter das so machen, und wäre die Zahlen für
diesen Etat durchgegangen. Nachdem ich aber den Kol-
legen Austermann gehört habe,

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Guter Mann!)


glaube ich, dass man einen Vergleich wagen kann. Er
wirkt ein bisschen so wie die Tante, von der Alexander
Moszkowski vor fast 100 Jahren schrieb: „Die sitzt auf
dem Sofa und nimmt übel.“


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich die Rede anschaut, wird man dies auch
feststellen. Jenseits der Sachebene, mit viel Polemik und
ohne Kenntnis im Detail stellt er sich hier hin und be-
treibt Wahlkampf für Schleswig-Holstein. Das ist gut,
das hat die CDU dort auch nötig, denn sie wird die Wahl
verlieren. Trotzdem ist es nicht sachgerecht.


(Beifall bei der SPD)

Führen wir uns kurz vor Augen, was der Kollege von
sich gegeben hat.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Keine persönlichen Angriffe hier!)


Er hat gesagt, dass der Etat, also das Geld, das verfügbar
ist, im kommenden Jahr um 1 Milliarde Euro niedriger
als in diesem Jahr sein werde. Wir alle wissen, dass das
so nicht richtig ist. Dass sich insbesondere diejenigen
hervortun, die keine Verteidigungspolitiker sind, bedeu-
tet, dass bar jeder Kenntnis Stimmung gemacht wird.
Ihre wissenden Kollegen sitzen dort und schweigen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Trotz der Einsparungen aufgrund anderer Maßnah-

men werden in diesem Jahr 23,8 Milliarden Euro verfüg-
bar sein.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was ist mit der globalen Minderausgabe?)


Das entspricht nicht 1 Milliarde Euro weniger, sondern
100 Millionen Euro. Dies bedeutet kein maßloses Zu-
sammenstreichen bei der Bundeswehr. Sie wissen es
besser, Herr Austermann. Man sollte auf einer sachli-
chen Ebene bleiben.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Dass die Transformation dazu führt, dass wir nicht
mehr in der Lage sind, die Landesverteidigung aufrecht-
zuerhalten oder Bundeswehreinsätze durchzuführen,
wenn es die Not gebietet wie bei der Oderflut oder Ähn-
lichem, ist schlichtweg falsch. Vielleicht sollte man sich
beispielsweise an Charles de Gaulle orientieren, Herr
Austermann, der gesagt hat, man dürfe nicht die Armee
erhalten, die man gewohnt sei, sondern man müsse die
Armee aufstellen, die benötigt werde. Das heißt Trans-
formation. Es bedeutet, sich nicht nur an Liebgewonne-
nes zu klammern, sondern das zu machen, was notwen-
dig ist. Denn mit dem Geld der Steuerzahler sollte man
verantwortungsbewusst umgehen.

Zu der GEBB haben Sie eine Menge Märchen erzählt.
Der Bundesrechnungshof hat eine Prüfung der ersten
Jahre durchgeführt, als die Lage durch die bestehenden






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Kahrs

Anfangsschwierigkeiten geprägt war. Wir alle wissen
aber, dass sich in den Jahren 2003 und 2004 die Lage an-
ders darstellt. Zeigen Sie mir ein Unternehmen, das
heute anfängt und gleich auf 100 Prozent hochschnellt!
Ein solches Unternehmen gibt es nicht. Es handelt sich,
wie gesagt, um billige Polemik und Panikmache.

Die Anmerkung zu dem Rachefeldzug gegen Kritiker
ist ärmlich. Als Hanseat bzw. Hamburger könnte ich
auch davon reden, was alles in den 80er- und 90er-Jah-
ren in der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen
wurde. Es gilt der Grundsatz, die Armee aufzustellen,
die wir benötigen, und nicht die, die wir gewohnt sind.
Das heißt auch, dass man sich nicht an jeden Standort
klammern kann, sondern sich bemühen muss, das vor-
handene Geld vernünftig und sinnstiftend so auszuge-
ben, wie es die Soldaten benötigen. Deswegen ist es
schade, dass Sie Ihre schöne Redezeit so vertan und so
wenige Inhalte geliefert haben, Herr Austermann.

Nach Abschluss der Beratungen im Haushaltsaus-
schuss liegt jetzt der Haushaltsentwurf des Verteidi-
gungsressorts vor. Die konzeptionellen und operativen
Vorgaben des Transformationsprozesses werden in die-
sem Haushalt in aller Klarheit und Deutlichkeit abgebil-
det.

Der Plafond des Einzelplans 14 beträgt 23,9 Milliar-
den Euro und entspricht damit dem Regierungsentwurf,
wie er vom Kabinett beschlossen wurde. Das Verteidi-
gungsressort trägt zur Konsolidierung des Bundes-
haushalts bei, und zwar mit einem Betrag in Höhe von
328 Millionen Euro. Wir haben also unseren Beitrag ge-
leistet. Trotz der Einsparungen werden, wie gesagt, in
diesem Jahr 23,9 Milliarden Euro verfügbar sein.

Nach Bekanntgabe der Ergebnisse der letzten Steuer-
schätzung ist klar, dass auch der Einzelplan 14 einen
Beitrag zur weiteren Konsolidierung leisten muss. Des-
halb werden wir in diesem Jahr weitere 248 Millio-
nen Euro einsparen.

Herr Austermann, Sie haben davon gesprochen, dass
1 Milliarde Euro fehlt. Ich verweise Sie daher hocher-
freut auf Ihre Forderung, die flexibilisierten Ausgaben
des Einzelplans 14 um 10 Prozent zu kürzen. Diese For-
derung ist von der Union erhoben worden. Für den Ver-
teidigungshaushalt macht das 582 Millionen Euro aus.
Das ist völlig unrealistisch und unsinnig.

Gleichzeitig hat der Ministerpräsident von Bayern ge-
fordert, dass der Bund die Bundesausgaben in allen Etats
um 5 Prozent kürzen solle. Das wären für den Verteidi-
gungshaushalt 1,2 Milliarden Euro. Diese Forderung ist
vonseiten der Union erhoben worden.

Jetzt werfen Sie uns vor, dass 1 Milliarde Euro fehlt,
obwohl das gar nicht stimmt. Es geht um 100 Millio-
nen Euro. Gleichzeitig fordert Ihre eigene Partei viel
weiter gehende Kürzungen. Was ist das für ein finanzpo-
litisches Chaos in der Union? Sie sind dafür verantwort-
lich und das ist peinlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Etat stehen gesicherte Einnahmemöglichkeiten
aus dem Verkauf von Wehrmaterial in einer Größenord-
nung von 100 Millionen Euro zur Verfügung. Außerdem
gibt es eine Vorleistung auf die Veräußerung von Bun-
deswehrliegenschaften in Höhe von 40 Millionen Euro,
die entsprechend eingestellt werden können. Das heißt,
dem Verteidigungshaushalt stehen für das Jahr 2005
Haushaltsmittel in Höhe von 23,8 Milliarden Euro zur
Verfügung. Das entspricht ungefähr der gleichen Grö-
ßenordnung wie in diesem Jahr. Von der von Ihnen kriti-
sierten fehlenden Milliarde kann nicht die Rede sein, ab-
gesehen davon, dass Sie Kürzungen in Höhe von
1,2 Milliarden Euro gefordert haben.

Der Einzelplan 14 ist zwar knapp bemessen, dennoch
ermöglicht er der Bundeswehr, die Ausstattung in dem
benötigten Umfang anzuschaffen. Er bietet eine solide
Basis, um die Transformation der Bundeswehr wie ge-
plant fortzusetzen. Dieser Haushalt ist reell und solide
und nicht so schwammig wie die Forderungen der
Union.

Im Hinblick auf den reibungslosen Ablauf des Trans-
formationsprozesses, den Verteidigungsminister Struck
eingeleitet hat – dafür ist ihm zu danken; denn er muss
all das wiedergutmachen, was in den Jahren vorher die
Union verbockt hat –, ist dieses Einsparvolumen gerade
noch vertretbar.


(Dirk Niebel [FDP]: Herr Scharping!)

– Bei Herrn Scharping wissen Sie es doch besser. Er hat
die ersten notwendigen Maßnahmen eingeleitet, das wis-
sen wir doch alle.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Ja, aber falsch! – Dirk Niebel [FDP]: Tosender Applaus bei den Regierungsfraktionen!)


Durch restriktive Steuerungsmaßnahmen im Betrieb
wird die Erwirtschaftung der zusätzlichen Einsparaufla-
gen im Haushalt der Beschaffungsplanung nicht entge-
genstehen.

Die Betriebsausgaben werden zugunsten der investi-
ven Ausgaben gesenkt. Insbesondere die Reduzierung
der militärischen und zivilen Personalumfänge, Maßnah-
men zur Optimierung des Betriebes und Betreiberlösun-
gen schlagen hier zu Buche. Die Betriebsausgaben sin-
ken insgesamt von mehr als 18 Milliarden Euro um rund
500 Millionen Euro auf 17,5 Milliarden Euro. Die Aus-
wirkungen der von Bundesminister Struck kürzlich be-
kannt gegebenen Stationierungsentscheidung tragen ih-
ren Teil dazu bei. Herr Austermann, da müssen Sie nicht
beleidigt sein, sondern Sie können mir einfach zuhören.
Dann lernen Sie dazu und erzählen künftig nicht so einen
Unsinn.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Besonders hervorheben möchte ich dabei die Absen-
kung der Personalausgaben. Diese sinken von 12,3 Mil-
liarden Euro im Jahre 2004 auf rund 12 Milliarden Euro.
Wir berücksichtigen in diesem Fall die Absenkung der
Veranschlagungsstärke der Soldaten um 25 000 bis zum
Jahr 2010 und einen um rund 3 700 Mitarbeiter






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Kahrs

verringerten zivilen Personalumfang im nächsten Jahr.
Dazu muss allerdings gesagt werden, dass der Perso-
nalabbau im zivilen Bereich langsamer verläuft, als wir
uns das gewünscht haben. Hier besteht deutlicher Hand-
lungsbedarf.

Der Transformationsprozess hat aber auch Auswir-
kungen auf die Optimierung im Betrieb. Dadurch kön-
nen die Ausgaben für Materialerhaltung und die Ausga-
ben für den sonstigen Betrieb deutlich reduziert werden.
Die Ausgaben für Materialerhaltung konnten gegenüber
dem Vorjahr um rund 140 Millionen Euro im Wesentli-
chen aufgrund der Erwartungen weiterer Außerdienst-
stellung von Material gesenkt werden. Die Bundeswehr
muss in diesem Bereich jedoch keine unerwünschten
operativen Einschnitte hinnehmen.

Um eine sichere Durchführung und eine gesicherte
Fortsetzung internationaler Einsätze der Bundeswehr ge-
währleisten zu können, haben die zuständigen Berichter-
statter für den Einzelplan 14 im Haushaltsausschuss Vor-
sorge getroffen. Für einsatzbedingten Sofortbedarf sind
die Mittel gegenüber dem Regierungsentwurf um rund
64 Millionen Euro auf nunmehr 700 Millionen Euro an-
gehoben worden. Die anstehenden Ausgaben für einen
Einsatz im Sudan werden daraus erwirtschaftet.

Die Veranschlagung der Betreiberlösungen – hier
handelt es sich um funktionierende Kooperationen mit
der Wirtschaft – ist von rund 245 Millionen Euro im
Vorjahr auf nunmehr rund 300 Millionen Euro gestiegen.
Solche Betreiberlösungen, übrigens zu Unionszeiten un-
denkbar, ermöglichen eine Verbesserung der Ausstattung
der Bundeswehr ohne eine Bindung von Investitionsmit-
teln. So kann das Parlament heute wegen des vorgesehe-
nen Betreibermodells für den Simulator beim NH 90 im
Haushalt 2005 eine Erhöhung des Ansatzes für wehr-
technische Forschung und Technologie um 30 Millio-
nen Euro beschließen.

Mit der Bw Fuhrpark Service GmbH wurde durch die
Bereitstellung von mehr als 14 000 Neufahrzeugen mit
einem hypothetischen Beschaffungswert von circa
260 Millionen Euro begonnen, den Investitionsstau bei
den Fahrzeugen der Bundeswehr abzubauen.

Durch die genannten Einsparungen bei den Be-
triebsausgaben konnten die verteidigungsintensiven
Ausgaben deutlich erhöht werden. So sparen wir
580 Millionen Euro ein und können die Investitionen
von 5,92 Milliarden Euro auf nunmehr rund 6,15 Mil-
liarden Euro anheben. Wir gehen den Weg, die tatsäch-
lich verfügbaren Haushaltsmittel für die Verteidigung
zukunftsorientiert und aufgabenbezogen zu nutzen, und
zwar für unsere Streitkräfte und die davon abhängige
wehrtechnische Industrie in Deutschland.

Die jetzt vorgesehene Finanzausstattung erlaubt die
Realisierung wichtiger Vorhaben für den Transforma-
tionsprozess der Bundeswehr. Das gilt insbesondere für
die aus bündnispolitischer Sicht bedeutsamen Projekte
wie die erste Ausbaustufe des streifkräftegemeinsamen
Führunginformationssystems, das Satellitenkommunika-
tionssystem der Bundeswehr, Stufe 2, und die Kampf-
ausstattung „Infanterist der Zukunft“ im Rahmen der
vernetzten Operationsführung. Dies gilt für die einsatz-
wichtigen Heeresneuvorhaben DINGO 2, DURO,
ESK MUNGO sowie insbesondere den Schützenpanzer
Puma.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Lesen Sie doch nicht alles ab, was Ihnen das Verteidigungsministerium aufgeschrieben hat!)


Die Beschaffung des Puma ist nicht nur für die Panzer-
grenadiertruppe von großer Bedeutung. Das sollten Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen, aus eigener Kenntnis
wissen, dann müsste ich als Major der Panzergrenadier-
truppe Ihnen das nicht erzählen. Sie soll zusätzlich die
Konsolidierung der Landsystemindustrie befördern. Der
heute bekannt gewordene Verkauf von 42,1 Prozent der
Aktien an der Firma Rheinmetall an institutionelle Anle-
ger ist aus derzeitiger Sicht von allen Alternativen noch
die beste. Ich hoffe, dass dies zu einer Konsolidierung
der deutschen Landsystemindustrie beiträgt bzw. diese
zumindest nicht beeinträchtigt. Auf jeden Fall zeigt sich
hier, dass sich das geänderte Außenwirtschaftsgesetz,
das der Regierung ein Mitspracherecht bei der Über-
nahme deutscher Rüstungsunternehmen einräumt, be-
währt hat.


(Unruhe)

– Kollegen, hören Sie doch einfach zu und sabbeln Sie
nicht laufend dazwischen! Sie können hier ernsthaft et-
was dazulernen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ein Verkauf des Gesamtpaketes an ausländische Kon-
kurrenten, wie zum Beispiel General Dynamics, kann
nun ebenso verhindert werden wie ein Verkauf gestü-
ckelter Aktienpakete an ausländische Investoren. Dies
gilt für die geplante Beschaffung von vier Fregatten der
125er-Klasse und zwei U-Booten der 212er-Klasse, die
der Marine eine langfristige Perspektive gibt und gleich-
zeitig die Konsolidierung des Marineschiffbaus im
Werftenverbund von Blohm + Voss, HDW und Emden
Nordseewerke unterstützt. Dies gilt ebenso für das
zweite Los Eurofighter, das sowohl für die Luftwaffe als
auch für die Unterstützung der erfolgten Konsolidierung
in der Luft- und Raumfahrtindustrie unverzichtbar ist
und insbesondere den deutschen Anteil an EADS unter-
stützt.

Mit dem vorliegenden Haushalt wird also die Trans-
formation der Bundeswehr unterstützt und gleichzeitig
der Einstieg in eine langfristige Politik für die wehrtech-
nische Industrie – sowohl für die großen Systemhäuser
als auch für den wichtigen, besonders zu fördernden in-
novativen Mittelstand – mit dem Ziel betrieben, deut-
sche Kernkompetenzen zu halten und zu sichern; denn
zur Bundeswehr gehört auch die wehrtechnische Indus-
trie. Allerdings dürfen wir nicht darüber hinwegsehen,
dass wegen des zu erbringenden Beitrags zur Konsoli-
dierung nur ein kleiner Teil der bei den Betriebsausga-
ben eingesparten Mittel tatsächlich zur Aufstockung der
Verteidigungsinvestitionen genutzt werden kann. Das
Verhältnis der Betriebsausgaben zu den Investitionsaus-
gaben liegt in einem gerade noch vertretbaren Rahmen.






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Kahrs

Das Ende der Belastbarkeit ist aber erreicht. Weitere
Einschnitte im kommenden Haushaltsjahr sind nicht
mehr verkraftbar, ohne in die Investitionen einzugreifen,
die für die Schließung der erkannten Fähigkeitslücken
notwendig sind.

Eine dauerhaft gesicherte Finanzplanung auf Basis
des 37. Finanzplans ist unabdingbare Voraussetzung, um
die Transformation der Bundeswehr erfolgreich zu been-
den und die Einhaltung der von der Bundesregierung den
Bündnispartnern zugesagten internationalen Verpflich-
tungen sicherzustellen. Ich glaube, wir Sozialdemokra-
ten haben es zusammen mit den Grünen geschafft, einen
Haushalt aufzustellen, der in sachlicher und fachlicher
Hinsicht solide ist,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Günther Friedrich Nolting [FDP])


der der Bundeswehr sowie insbesondere den Soldaten im
Einsatz eine Zukunft bietet und der die Bundeswehr mit
dem notwendigen Material ausstattet. Herr Austermann,
das haben Sie sehr häufig nicht geschafft. Das kann ich,
der ich jahrelang mit dem Marder gefahren bin, bezeu-
gen. Während Ihrer Regierungszeit war dieses Fahrzeug
nie so funktionstüchtig, dass es die Soldaten richtig nut-
zen konnten. Ihnen ist doch bekannt, dass alle vorhande-
nen großen Waffensysteme damals unter Apel, Helmut
Schmidt und Leber angeschafft worden sind. Sie haben
es 16 Jahre lang verschlafen, etwas zu tun, und haben
uns nichts hinterlassen. Wir sind nun dabei, die Bundes-
wehr wieder so aufzubauen, wie es notwendig ist.


(Zuruf von der SPD)

– Jawohl, das ist richtig. Meine Damen und Herren von
der Opposition, Sie sollten meinem Kollegen ruhig er-
lauben, dazwischenzurufen. Dann lernen Sie noch mehr
dazu.

Wir Sozialdemokraten haben es gemeinsam mit Mi-
nister Struck und seiner fähigen Riege von Staatssekretä-
ren geschafft,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

die Bundeswehr einen großen Schritt voranzubringen.

Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kollegen so-
wohl von der Regierungskoalition als auch von der Op-
position für das große Engagement und die gute Zusam-
menarbeit im Verteidigungsausschuss bedanken. – Der
Kollege Austermann scheint das alles nicht mehr mitzu-
bekommen.

Auch im Haushaltsausschuss haben wir vernünftig
zusammengearbeitet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bedanke mich insbesondere bei all den Kollegen, die
daran mitgewirkt haben. Rainer Arnold mit seinen Ver-
teidigungspolitikern ist uns auch im Haushaltsausschuss
ständig eine große Stütze. Ich danke insbesondere mei-
ner Kollegin Elke Leonhard, die das alles möglich ge-
macht hat. Ich wünsche Ihnen allen weiterhin eine
schöne Debatte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514109600

Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Nolting von

der FDP-Fraktion.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1514109700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Kahrs, als Sie gerade dieses Lob ausgesprochen und
auch die Mitglieder des Verteidigungsausschusses er-
wähnt haben, habe ich mich gleich gefragt, was wir ei-
gentlich falsch gemacht haben. Dazu, dass Sie hier die
Opposition angegriffen haben, kann ich nur sagen: Sie
haben genau die Probleme, die Sie 16 Jahre lang haben
wollten. Also beschweren Sie sich hier nicht!

Herr Kollege Kahrs, Sie wissen ganz genau, dass die
Entscheidungen und die Maßnahmen von Minister
Scharping grundlegend falsch waren. Sie haben uns Mil-
liarden gekostet. Deswegen ist der Verteidigungsminis-
ter heute in dieser schwierigen Situation und deswegen
muss jetzt, sechs Jahre nach der Regierungsübernahme
durch Rot-Grün, umstrukturiert werden. Auch wir stehen
zu dieser Umstrukturierung. Aber tun Sie doch nicht
so, als wären Sie dafür nicht verantwortlich. Sie sind
jetzt sechs Jahre an der Regierung. Stehen Sie zu Ihrer
Verantwortung!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie wissen ganz genau, dass die Finanzmittel für eine gut
ausgestattete Bundeswehr hinten und vorne nicht ausrei-
chen.

Herr Minister, Sie müssen die Bundeswehr schlag-
kräftiger und bündnisfähiger machen. Sie müssen die
Attraktivität des Dienstes steigern, um guten Nachwuchs
rekrutieren zu können. Dies ist mit Ihrem Spagat zwi-
schen Beibehaltung der Wehrpflicht auf der einen Seite
und Unterfinanzierung der gewählten Struktur auf der
anderen Seite aber nicht möglich. Auch das wissen Sie.

Herr Minister, ich frage Sie – vielleicht wird Staatsse-
kretär Wagner auf diese Fragen gleich eingehen –: Han-
deln Sie, was Ihre Untergebenen angeht, fürsorglich,
wenn Sie den Angehörigen der Bundeswehr immer mehr
Lasten aufbürden? Handeln Sie fürsorglich, wenn Sie
der Bundeswehr die zwingend notwendigen Mittel ver-
sagen, weil Sie sich gegenüber Ihren Kollegen in den
Haushaltsplanberatungen nicht durchsetzen können?
Was sagen Sie zu der anstehenden zusätzlichen globalen
Minderausgabe von 250 Millionen Euro? Ich würde
mich freuen, wenn diese Fragen heute hier beantwortet
werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Günther Friedrich Nolting

Herr Minister Struck, wenn Außenminister Fischer

von der Grünenfraktion immer mehr Einsätze der Bun-
deswehr im Ausland fordert, dann müssen Sie ihn, Au-
ßenminister Fischer, und seine Fraktion im Zuge der
Haushaltsberatungen auch bei der Mittelvergabe beim
Wort nehmen, nach dem Motto: Wer bestellt, muss
schließlich auch bezahlen. Sie wissen, was ich zu dieser
Rollenteilung schon einmal gesagt habe.


(Beifall bei der FDP)

Der Haushalt von 24 Milliarden Euro könnte für eine

gut ausgerüstete und professionelle Bundeswehr viel-
leicht knapp ausreichen, aber eben nur für eine Bundes-
wehr, in der den Betroffenen, zum Beispiel im Rahmen
der flexiblen Budgetierung vor Ort, mehr Eigenverant-
wortlichkeit in Bezug auf Investitionen und Ausgaben
gelassen wird. Meiner festen Überzeugung nach sind die
Kommandeure und Dienststellenleiter sehr kreativ und
innovativ. Man muss sie nur lassen. Mit anderen Worten:
Es muss ihnen auch möglich sein.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514109800

Herr Kollege Nolting, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Bonde von den Grünen?


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1514109900

Ja, selbstverständlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514110000

Bitte schön.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514110100

Kollege Nolting, Sie haben auf die dringende Not-

wendigkeit zusätzlicher Ausgaben hingewiesen. Sie ha-
ben betont, der Minister habe sich gegenüber dem Kabi-
nett nicht durchgesetzt. Daher möchte ich Sie gerne
fragen, wie Ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit in Ihrer
Haushaltsgruppe in den Haushaltsverhandlungen war.
Im Haushaltsausschuss sind mir keine besonderen „Auf-
wuchsanträge“ der FDP-Fraktion aufgefallen. Vielleicht
können Sie mir da auf die Sprünge helfen.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1514110200

Herr Kollege Bonde, vielleicht schauen Sie einmal in

unser Programm von vor vier Jahren.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

– Wir waren etwas schneller als Sie. Im Gegensatz zu Ih-
nen waren wir unserer Zeit voraus. – In diesem Pro-
gramm haben wir aufgezeigt, wie wir uns die Bundes-
wehr der Zukunft und die effektive Verwendung von
Geldern vorstellen. Heute sage ich Ihnen: Mir – viel-
leicht auch Ihnen als Haushälter – fallen viele Möglich-
keiten ein, wie Gelder effektiver eingesetzt werden kön-
nen. Ich denke allein daran, dass wir heute noch immer
eine Aufwuchsfähigkeit von 500 000 Soldaten haben.
Für diese Soldaten müssen die entsprechenden Geräte,
die entsprechende Ausrüstung und die entsprechenden
Depots vorgehalten werden. Als Haushälter wissen Sie
ebenso gut wie ich, wie viel Geld das kostet. Wir erwar-
ten hier mehr Flexibilität. Dazu haben wir Vorschläge
gemacht. Das wissen Sie zwar; allerdings verschweigen
Sie es heute.


(Beifall bei der FDP)

Ich komme auf die 24 Milliarden Euro zurück. Sie

reichen eben nicht für eine Bundeswehr aus, die in über-
holter Wehrstruktur und in von oben verordneter alter
Denkweise verharren muss.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie ist nicht überholt! Sie ist aktuell!)


Attraktivität, Flexibilität, Einsparungen und weniger Bü-
rokratie werden abgelehnt. Man bleibt bei der Wahrung
vieler überholter Strukturen und Denkweisen und gau-
kelt den Steuerzahlern soziale Kompetenz vor.

Herr Minister, noch ein Wort zur Wehrpflicht. Selbst
wenn ich Ihnen persönlich, Herr Minister Struck, noch
eine gute Absicht bezüglich der Wehrpflicht unterstelle
– auch wenn ich mit Ihnen in dieser Frage nicht einer
Meinung bin –, bin ich der festen Überzeugung, dass die
Strategien zur Vermarktung des Endes der Wehrpflicht
bereits in den Schreibtischschubladen Ihres Parteivorsit-
zenden Müntefering und des Bundeskanzlers liegen.

Was der SPD und dem Kanzler im Wahljahr 2002 der
Irak und das Hochwasser war, wird ihnen im Wahljahr
2006 die Wehrpflicht sein. Skrupellos – davon bin ich
felsenfest überzeugt – wird die Bundeswehr von Rot-
Grün im Wahlkampf missbraucht werden. Die Union
wird von ihnen im Wahlkampf in dieser Frage vorge-
führt werden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wir stehen zur Wehrpflicht!)


Warum sollten genau die Personen, die zwecks Machter-
halt 2002 nicht davor zurückschreckten, das transatlanti-
sche Verhältnis massiv zu beschädigen,


(Johannes Kahrs [SPD]: Das war eine gute Entscheidung! Wollen Sie, dass die Bundeswehr in den Irak geht?)


Skrupel haben, jetzt die Wehrpflichtfrage zum Wahl-
kampfthema zu machen? Hauptsache, die Wahl wird ge-
wonnen!


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Ich kann hier heute ankündigen, dass wir erneut einen
Antrag zur Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht ein-
bringen werden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Unglaublich!)

Die Wehrpflicht ist sicherheitspolitisch nicht mehr zu le-
gitimieren. Wir wollen die Entscheidung jetzt haben.


(Beifall bei der FDP – Bernd Siebert [CDU/ CSU]: Das muss nicht unbedingt sein!)


Rot-Grün, vor allem Grün, wird in dieser Frage Farbe
bekennen müssen.






(A) (C)



(B) (D)


Günther Friedrich Nolting


(Johannes Kahrs [SPD]: Das heißt aber nichts! Die SPD steht zur Wehrpflicht!)

Ich will den Verteidigungsminister an dieser Stelle lo-

ben; ich hoffe, das schadet nicht. In enger Zusammenar-
beit zwischen Ihnen, Herr Minister Struck, Ihrem Haus
und dem Parlament ist es gelungen, endlich die Beschaf-
fung des Schützenpanzers Puma in die Wege zu leiten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist gut – ich bekräftige dies ausdrücklich –; ich stehe
auch dazu. Unsere Soldatinnen und Soldaten – ich
denke, darin stimmen wir überein – brauchen diesen
Schutz. Ich hoffe, Herr Kollege Kahrs, dass der Zeitplan
eingehalten wird und die Beschaffungsvorlage rechtzei-
tig zugeleitet wird, sodass wir noch in diesem Jahr da-
rüber entscheiden können.

Herr Minister Struck, weniger gut ist allerdings, dass
Sie bei den Kasernenschließungen die betroffenen Kom-
munen im Regen stehen lassen. Sie sind nicht der Infra-
strukturminister der Bundesregierung – das ist richtig –,
aber es ist falsch, dass die Bundesregierung die Gemein-
den im Stich lässt,


(Johannes Kahrs [SPD]: Die Länder haben doch Geld bekommen!)


weil man sich in der Bundesregierung offensichtlich
nicht einig ist und sich andere Ressorts diesen Proble-
men verschließen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ursula Lietz [CDU/CSU])


Die Entwicklung der Bundeswehr zu einer unterfi-
nanzierten und schlecht ausgestatteten Armee ist besorg-
niserregend. Falsche Beschlüsse, zum Beispiel – ich
habe darauf hingewiesen – die Aufblähung von Stäben
und des Ministeriums, sowie die verfassungswidrigen
Methoden, zum Beispiel die Einberufung von nur rund
10 Prozent aller geeigneten jungen Männer, sorgen da-
für, dass alle Erfolge, die durch die Soldaten selbst er-
zielt wurden, zunichte gemacht werden.


(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Austermann, Sie haben hier die Vor-

fälle von Coesfeld angesprochen. Ich will die wahrlich
nicht verniedlichen. Wir werden im Ausschuss über die
Vorfälle beraten und sie gemeinsam mit dem Verteidi-
gungsministerium klären. Aber ich bin nicht bereit, die
Bundeswehr in Gänze unter Generalverdacht zu stellen.
Es waren Einzelfälle; wir sollten das nicht verallgemei-
nern.


(Beifall bei der FDP, der SPD und der CDU/ CSU sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hervorra-
gende Arbeit, teilweise unter schwierigen Bedingungen.
Wir danken ihnen dafür. Der Bundeskanzler hat hier
heute Morgen die Bundeswehr gelobt. Da hat er Recht.


(Gernot Erler [SPD]: Er hat sowieso immer Recht!)

Aber den Worten müssen auch Taten folgen. Wir werden
ihn an seinen Taten messen.


(Beifall bei der FDP)

Bei den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland

kann das rot-grüne Verhalten nur auf Unverständnis sto-
ßen. Nicht die Aussetzung der Wehrpflicht und die Ver-
kleinerung der Bundeswehr bergen die Gefahr der Ent-
fernung der Bundeswehr von der Gesellschaft in sich;
Ihre Regierungsarbeit stellt diese Gefahr dar. Wir haben
versucht – ich habe schon darauf hingewiesen –, im Rah-
men der Haushaltsdebatte die Situation zu verbessern.
Die rot-grüne Regierungsmehrheit hat dies abgelehnt.
Rot-Grün ist beratungsresistent.

Lassen Sie mich auf die Vorlagen zur Gleichstellung
von Soldatinnen und Soldaten eingehen, die die Frau
Präsidentin – Ihre Vorgängerin bei der Leitung der Sit-
zung, Herr Präsident – vorhin aufgerufen hat. Liberale
Linie ist die Ablehnung von Quotenregelungen. Der
Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung aber
sieht vor, dass Frauen beim beruflichen Aufstieg bevor-
zugt berücksichtigt werden müssen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wer hat denn das gesagt?)


Die Soldatinnen selbst wollen aber keine Quotenfrauen
sein.


(Beifall bei der FDP)

Die FDP-Bundestagsfraktion hat deshalb einen eige-

nen Antrag eingebracht, mit dem wir von der FDP die
Beschäftigungsbedingungen für Soldatinnen und Solda-
ten deutlich verbessern wollen. Wir wollen unter ande-
rem erreichen, dass die Anstrengungen im Bereich der
Personalwerbung vergrößert werden und bei Auswahl-
entscheidungen und sonstigen personalen Maßnahmen
Frauen im objektiven Qualitätswettbewerb mit den
männlichen Kameraden angemessen berücksichtigt wer-
den.

Wir sagen nämlich dazu: Eine höhere Anzahl von
weiblichem Führungspersonal wäre aufgrund der Vor-
bildfunktion ein Vorteil bei der Gewinnung qualifizierter
und interessierter Frauen für den Dienst in der Bundes-
wehr. Die FDP fordert auch, dass Soldatinnen gemäß der
Laufbahnverordnung bei entsprechender Leistung, Eig-
nung und Befähigung – das sind die zentralen Entschei-
dungskriterien – in gleicher Weise wie Soldaten bis in
die Spitzendienstgrade befördert werden. Ich hoffe, dass
Sie unserem Antrag zustimmen werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514110300

Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei

vom Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514110400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Heute diskutieren und
entscheiden wir über die finanzielle Ausstattung der
Bundeswehr. In den letzten Wochen haben wir über die
Schließung etlicher Standorte diskutiert sowie über die
Wehrform in der Öffentlichkeit gestritten. Heute steht
aufgrund aktueller Ereignisse ein Themenkomplex ganz
oben auf der Tagesordnung, das für die Bundeswehr sehr
zentral ist, aber in der Regel nicht im Blickpunkt der Öf-
fentlichkeit steht, nämlich die Fragen nach Ausbildung
und Klima innerhalb der Bundeswehr sowie nach der In-
neren Führung. Sie gestatten, dass ich darauf zuerst ein-
gehe.

Was aus der Ausbildungskompanie eines Instandset-
zungsbataillons in Coesfeld bekannt wurde, ist in mehr-
facher Hinsicht bestürzend: einmal im Hinblick auf die
Art der Verstöße, bei denen eindeutig die Grenze von rea-
litätsnaher Ausbildung überschritten und Menschen-
würde beeinträchtigt und verletzt wurde, dann im Hin-
blick auf die Zahl der aktiv Verwickelten und der passiv
Verwickelten und schließlich – das ist beunruhigend und
auch rätselhaft – im Hinblick auf die Tatsache, dass so
viele in der Kompanie und in der Kaserne davon wuss-
ten, aber keiner es meldete.

Wir wissen noch nicht genau, woran das liegt, aber es
drängen sich bestimmte Erklärungen doch zumindest
auf. Offenkundig fehlte es an einem entsprechenden
Pflicht- bzw. Unrechtsbewusstsein, an Unterscheidungs-
vermögen zwischen harter Ausbildung und einer Ausbil-
dung, bei der Menschenrechte verletzt werden. Offen-
kundig steckte der Wurm in der ganzen Kompanie. Es
handelt sich also doch um mehr als um das Fehlverhalten
einzelner Personen. Die bruchstückhaften Darstellungen
haben Assoziationen an Abu Ghureib geweckt. Das
schlug sich ja auch in manchen Überschriften nieder.
Dazu müssen wir aber eindeutig klarstellen, dass Paral-
lelisierungen zu den schlimmen Folterexzessen in Abu
Ghureib völlig unangebracht und falsch sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesen Tagen sind aber auch Stimmen zu hören, die
behaupten, diese Misshandlungen in der Ausbildungs-
kompanie seien die Spitze eines Eisbergs in der Bundes-
wehr und ergäben sich konsequent aus dem Wandel der
Bundeswehr von einer Abschreckungsarmee hin zu ei-
ner Einsatzarmee. In einer Berliner Tageszeitung wurde
sogar die Behauptung aufgestellt, die Bundeswehr sei in-
zwischen für Rambos attraktiver, weil „unter Landesver-
teidigung auch Angriffskriege verstanden werden“.
Auch wenn diese Behauptungen für alle hier anwesen-
den Außen- und Sicherheitspolitiker abwegig sind,


(Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD])

möchte ich hier dieses doch noch einmal klarstellen,
denn draußen finden solche Positionen manchmal etwas
mehr Echo.

Der Auftrag der Bundeswehr ist ganz eindeutig durch
das Grundgesetz und das Völkerrecht eingegrenzt. Dem-
nach kann und darf die Bundeswehr neben der Landes-
verteidigung nur im Rahmen eines Systems kollektiver
Sicherheit zur Wahrung des Friedens eingesetzt werden.
So lauten die Formulierungen im Grundgesetz. Negativ
ausgedrückt: Friedensstörungen, insbesondere Vorberei-
tung von Angriffskriegen, sind verfassungswidrig. Das
ist unsere Verfassungsrealität. Sie gilt selbstverständlich
für die Bundeswehr.

Für die Teilnahme an multilateraler Krisenbewälti-
gung sind neue Fähigkeiten unabdingbar, die auch über
große Distanzen wirksam sind. Damit entsteht unzwei-
felhaft eine Interventionsfähigkeit. Aber ich sage aus-
drücklich: Damit wollen wir die Bundeswehr keines-
wegs zu einer Interventionsarmee machen. Das ist ein
riesiger Unterschied.

Für die Bundeswehr gilt kategorisch: Sie wird nur für
die Ziele der Vereinten Nationen und nach den Regeln
des Völkerrechts eingesetzt. Ich konnte bisher immer da-
von ausgehen, dass über diesen Rahmen im Deutschen
Bundestag eindeutig Konsens besteht. Auch deshalb ha-
ben wir uns nicht am Irakkrieg beteiligt; ein anderer
Grund waren die absehbaren Folgen. Dies war ein deut-
licher Beleg für unsere Haltung.

Die Vorfälle von Coesfeld sind weder die Spitze ei-
nes Eisbergs – hierauf haben ich und auch die anderen
Kollegen bisher keinerlei Hinweise – noch die kausale
Konsequenz aus Auslandseinsätzen. Stattdessen gilt: Die
neuen Aufgaben, die Friedenseinsätze erfordern ein viel
breiteres Spektrum an Fähigkeiten und eine besondere
Verhaltenssicherheit der Soldaten sowie militärische,
technische und soziale Kompetenz und ein ganz anderes
Rechtsbewusstsein in einer Gesellschaft, in der Wertvor-
stellungen immer mehr ins Rutschen geraten.

Die Notwendigkeit solch umfassender Kompetenzen
zeigen negativ der Irakkrieg und positiv die bisher er-
folgreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Aus die-
sen Gründen, Herr Minister, sind Ihre Bewertungen und
Schlussfolgerungen bezüglich der Vorfälle in Coesfeld
voll zu unterstützen. Sie haben den Kommandeur des
Zentrums Innere Führung beauftragt, diese Dinge ge-
nauer zu untersuchen. Damit werden die Vorfälle in den
Kontext bisheriger Ausbildung und Innerer Führung ge-
stellt. Dadurch wird ermöglicht, dass über die Kompanie
hinaus schnell angemessene Konsequenzen gezogen
werden können.

Nun aber endlich doch noch zum Verteidigungshaus-
halt. Durch die allgemeine Haushaltslage ist der Rahmen
eng, aber noch ausreichend. Hervorzuheben sind einige
Eckwerte, die für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr
von entscheidender Bedeutung sind: Die Investitions-
quote kann zumindest wiederum 1 Prozent angehoben
werden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass ver-
schiedene vorrangig wichtige Anschaffungen möglich
sind und dass im Bereich Entwicklung und Erprobung
eine vorgesehene erhebliche Reduzierung weitgehend
wieder rückgängig gemacht werden konnte. Außerdem
können die Betriebsausgaben weiter gesenkt werden, vor
allem die Personalausgaben. Eine besondere Ironie da-
bei ist allerdings, dass die Senkung der Personalausga-
ben vor allem darüber erfolgt, dass die Veranschlagungs-






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei

stärke für Grundwehrdienstleistende enorm gesenkt
wird, nämlich von 62 000 in diesem Jahr auf 38 000 im
kommenden Jahr.

Eine Grunderfahrung aus vielen Jahren internationa-
len Engagements der Bundesrepublik und Friedensein-
sätzen der Bundeswehr ist: Sie sind nur mit ausgewoge-
nen Fähigkeiten erfolgversprechend. Deshalb, war es im
ureigenen Interesse der Bundeswehr und ihrer Soldaten,
ursprünglich beabsichtigte UN-einsatzrelevante Ein-
schnitte in Nachbarressorts, also beim Auswärtigen Amt
und bei der Entwicklungszusammenarbeit, nicht nur
rückgängig zu machen, sondern auch gewisse, wenn
auch begrenzte Aufstockungen zu ermöglichen.

Insgesamt bleibt aber die Einsicht, dass in einer Bun-
desrepublik, die vermehrt internationale Verantwortung
trägt, gegenüber der die Erwartungen der Staatenge-
meinschaft deutlich zunehmen und die insgesamt vor
größeren Anforderungen an internationaler Krisenbe-
wältigung steht, verbesserte Fähigkeiten unabdingbar
sind. Deshalb muss ich am Ende deutlich feststellen:
Dieses Mehr an verbesserten Fähigkeiten wird mittelfris-
tig nicht ohne ein Mehr an entsprechenden Ressourcen
für die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik
insgesamt erreicht. Daran arbeiten wir.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514110500

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1514110600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die Bundeswehr hat in den letzten Tagen
für keine guten Schlagzeilen gesorgt: Proteste gegen
Standortschließungen, Kritik vom Bundesrechnungshof,
Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Kosovo-
einsatz – genauer: die ungeklärte Rolle des BND – sowie
die nicht enden wollende und jetzt wieder in der SPD
hochkochende Wehrpflichtdebatte.

Außerdem gibt es überproportionale Haushalts-
kürzungen, die weit weg von dem veranschlagten Pla-
fond führen. Wir waren von einem Plafond in Höhe von
24,4 Milliarden Euro im Jahre 2003 ausgegangen. Wenn
man richtig rechnet, dann stellt man fest, dass jetzt die
Grenze bei 23,6 Milliarden Euro liegt. Außerdem besteht
die Gefahr, dass es aufgrund einer globalen Minderaus-
gabe noch eine weitere Absenkung gibt. Generalinspek-
teur Schneiderhan hat in diesem Zusammenhang von ei-
ner Makulaturmasse gesprochen. Denn sein Projekt
„Bundeswehrreform“ würde zur Makulatur werden,
wenn der Etat noch weiter heruntergefahren werden
würde. Wenn man doppelt kürzt, dann kommt sehr
schnell ein Betrag in Höhe von 1 Milliarde Euro zu-
stande, von dem der Kollege Austermann gesprochen
hat.

(Johannes Kahrs [SPD]: 23,8 Milliarden sind es!)


Negative Schlagzeilen machen auch die stockenden
Rüstungsprojekte und nicht zuletzt die von der Staatsan-
waltschaft aufgegriffenen Vorwürfe hinsichtlich der
Ereignisse in Coesfeld, über die bereits gesprochen
worden ist. Die einhelligen Reaktionen zeigen, dass es
für uns nicht vorstellbar ist, dass diese Misshandlungen
in der Bundeswehr keine schlimmen Einzelfälle sind.
Diese Einzelfälle gehören in die Hände der Staatsanwalt-
schaft. Aber man muss sagen, dass die Bundeswehr ins-
gesamt nicht betroffen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Günther Friedrich Nolting [FDP] – Johannes Kahrs [SPD]: Müder Beifall!)


Anders als Sie sich im Untersuchungsausschuss der
sich mit Rechtsradikalismus in der Bundeswehr befasst
hat, verhalten haben, konstruieren wir aus einem Einzel-
fall nicht einen flächendeckenden Missstand,


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ist es!)

um daraus politisches Kapital zum Schaden der Bundes-
wehr zu schlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dass die Vorfälle so schnell wie möglich aufgeklärt

werden müssen – auch um weiteren Schaden in der Öf-
fentlichkeit von der Bundeswehr abzuwenden – versteht
sich von selbst. Insofern unterstützen wir ausdrücklich
das Vorgehen, die Vorkommnisse vollständig aufzuklä-
ren und politische Konsequenzen zu ziehen, die unab-
hängig von den Ergebnissen der staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungen sind.

Der Verteidigungsminister hat sich heute ins Wort be-
geben. Ich bin sehr interessiert daran, zu erfahren, wie in
den nächsten Wochen die notwendigen Änderungen bei-
spielsweise in der Kette der Dienstaufsicht aussehen
werden. Auf jeden Fall sollten wir dieses Thema intensiv
diskutieren und die notwendigen Schlüsse ziehen, damit
die Bundeswehr als eine Armee im Einsatz auch mental
gut gerüstet ist.

Auch mit Blick auf andere Bereiche kann ich mir
nicht so recht vorstellen, dass der Job des Ministers – ich
nenne ihn immer noch Minister, obwohl ich heute ge-
lernt habe, dass er nach den Vorstellungen des Bundes-
ministeriums der Justiz eigentlich Ministerium heißen
müsste; ich halte aber trotzdem an der Anrede Minister
fest – im Moment vergnügungssteuerpflichtig ist. Vor
lauter Krisenmanagement dürfte er kaum noch Zeit ha-
ben, die konzeptionelle Transformation der Bundeswehr
voranzutreiben.


(Johannes Kahrs [SPD]: Trotzdem geht es voran!)


Überhaupt wäre es interessant, zu erfahren, wie es an-
gesichts der Haushaltslage mit der Transformation wei-
tergehen soll.

Man kann in der nächsten Zeit nicht einfach sagen,
dass man aufgrund der schlechten Haushaltssituation






(A) (C)



(B) (D)


Christian Schmidt (Fürth)


nichts machen könne. Wenn einer zum Insolvenzrichter
gehen und den Zylinder aufsetzen muss, dann wird nach-
gefragt, wer dafür verantwortlich ist, dass der Betrieb in
die roten Zahlen kommen konnte. In einem solchen Fall
muss zunächst der Geschäftsführer ausgewechselt wer-
den; hier ist es der Bundeskanzler.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch absurd!)

Danach muss man sanieren und die Ziele festlegen,

die man erreichen will.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das machen wir! Seit 1998 wird saniert!)

Deswegen wird man in der nächsten Zeit nicht darum

herumkommen, bei den Aufgaben des Staates über Prio-
ritäten zu diskutieren. Eine der Kernaufgaben des Staa-
tes ist, Sicherheit für seine Bürger im Sozialen, aber
auch unmittelbare Unversehrtheit unseres Landes und
des Einzelnen im Hinblick auf die innere und äußere Si-
cherheit zu gewähren. Das ist die Priorität Nummer eins,
die sich auch im Haushalt widerspiegeln muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen vermisse ich, dass sich die in diesem Zu-

sammenhang gemachten zaghaften Ansätze, die sich
nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien in der
Konzeption der Bundeswehr hätten wiederfinden müs-
sen, dort nicht wiederfinden. Es fehlen ein nationales
Sicherheitskonzept und eine Verschränkung der Aufga-
ben mit einer entsprechenden rechtlichen Absicherung
dort, wo es sinnvoll ist, was ja bereits angekündigt bzw.
angedacht war. Das war ein Thema, das wir bereits ges-
tern beim Haushalt des Bundesinnenministers angespro-
chen haben. Hier ist wenig zu sehen.

Wir hatten vor kurzem die Ehre, im Verteidigungs-
ministerium von Feuerwehrleuten informiert zu werden.
Ihnen wurde auf die Frage, mit was sie im Zusammen-
hang mit dem, was man zivil-militärische Zusammenar-
beit nennt, rechnen können, geantwortet: Das wird wohl
weniger werden. Gerade das müsste mehr werden! Das
ist ein konzeptioneller Punkt, den wir nicht ruhen lassen
und an dem wir weiterarbeiten werden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Dann dürfen Sie nicht solche Streichungen bei der Bundeswehr fordern! Stoiber hat bei der Bundeswehr Streichungen von 1,2 Milliarden gefordert! Sie kommen doch aus Bayern!)


Zur Wehrpflichtdebatte. Es gibt hier Pro und Kontra.
Mit dem Kollegen Nolting bin ich vom Ergebnis her im
Widerspruch, aber nur in diesem Punkt. Über die Frage,
dass wir eine anständige Bundeswehr brauchen, sind wir
uns eigentlich einig.


(Johannes Kahrs [SPD]: Dann dürfen Sie aber nicht streichen!)


Dass man sich darüber im Klaren sein muss, dass erst
entschieden werden muss, wie die Bundeswehr aussieht,
ob sie also eine Wehrpflicht- oder Mischarmee oder ob
sie eine Berufsarmee sein soll, und man dann den Haus-
halt in den Griff bekommen und die Umsetzung der
Standortschließungen durchsetzen sollte, müsste doch
eigentlich logisch sein. Eine Berufsarmee im Umfang
der jetzigen Bundeswehr wird mindestens 3 Milliarden
Euro mehr kosten.


(Johannes Kahrs [SPD]: Deswegen will sie ja keiner!)


Wo, bitte schön, jonglieren Sie solche Beträge her? Es ist
doch klüger, einen Transformationsschritt erst dann zu
machen, wenn ich weiß, mit welcher Bundeswehr ich ei-
nen solchen Schritt tun kann. Ich vermisse hier Logik in
der Abfolge der Schritte.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wir bleiben halt bei der Wehrpflicht!)


– Wenn Sie das durchsetzen können. Die Zweifel, die im
Hinblick auf eine Berufsarmee geäußert worden sind,
teile ich.


(Johannes Kahrs [SPD]: Teilen Sie nicht nur Zweifel! Fröhlich kämpfen für die Wehrpflicht!)


Da sind wir einer Meinung. Das Kunststück möchte ich
sehen.

Der Bundesverteidigungsminister hat sich bereits ver-
bal von dem Ziel einer alleinigen Berufsarmee distan-
ziert. Er hat zwar sinngemäß gesagt, dass er auch eine
Berufsarmee steuern könne.


(Johannes Kahrs [SPD]: Er will sie aber nicht!)


Aber dazu braucht er das nötige Geld. Das hat er doch
schon jetzt nicht für die Wehrpflichtarmee.

Was das Thema, wohin sich die Bundeswehr im
Äußeren entwickelt und welche Aufgaben sie wahrneh-
men soll, betrifft, müssen wir feststellen – wir haben ei-
nen Antrag dazu entsprechend korrigiert –, dass das Pa-
pier für das Weißbuch – so habe ich mich belehren
lassen –, das seit Jahren gedruckt werden soll, bereits an-
geschafft ist. Papier ist bekanntermaßen geduldig. Inso-
fern wird die Geduld dieser Papierstapel im Verteidi-
gungsministerium wohl noch einige Zeit anhalten
müssen.

Man ist nicht in der Lage, dem deutschen Volk zu
sagen, wie die sicherheitspolitische Konzeption
aussieht. Gehört der Sudan dazu? Wird nach dem Zu-
fallsgenerator entschieden oder danach, dass es dem
Herrn Außenminister gerade passt, weil er noch jeman-
den gefunden hat, der eine Stimme für einen Sitz
Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
abgibt? Das ist Sprunghaftigkeit, aber keine Politik.

In diesem Zusammenhang ein Wort zur NATO. Heute
hat der Bundeskanzler beredt den Unterschied zwischen
Wolfgang Schäubles Position und seiner klaren und
deutlichen dargestellt, nämlich dass niemals jemand in
den Irak geschickt werde. Hat der Herr Bundeskanzler
denn jemals darüber nachgedacht, was die NATO be-
deutet, dass die NATO ein Bündnis ist und dass dies
heißt, dass gemeinsame Entscheidungen gemeinsam um-
gesetzt werden? Niemand in der NATO will sich militä-
risch im Irak – auch der Herr Bundeskanzler wird nicht






(A) (C)



(B) (D)


Christian Schmidt (Fürth)


so vermessen sein, etwas anderes sagen zu wollen – im
Sinne von irgendwelchen Kampfeinsätzen engagieren.
Es geht dort um Ausbildung und um einen Ausbildungs-
stab. Es geht um die Frage, ob man bereit ist, zu einem
Bündnis Ja zu sagen. Das würde dann allerdings auch
heißen, dass man Politik mitgestalten muss und dass
man nicht einmal hü und einmal hott sagen kann.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie wären auch in den Irak gegangen, oder was?)


Man kann allerdings sehen, wie die Bedeutung der
Bundeswehr im Hinblick auf die Posten bei der NATO
zurückgeht: Wir haben mit Herrn Kujat bisher den Vor-
sitzenden des Militärausschusses gestellt. Den werden
wir bald nicht mehr stellen. Wir haben mit Admiral Feist
den stellvertretenden Oberbefehlshaber der NATO-
Streitkräfte in Europa gestellt. Den werden wir nicht
mehr stellen. Die Frage ist: Was ist dieser Regierung die
Bundeswehr in der NATO wert? Diese Frage wird die
Debatten in den nächsten Monaten ganz entscheidend
bestimmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514110700

Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie noch eine Zwi-

schenfrage – sozusagen eine Abschlussfrage – des Kol-
legen Arnold?


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1514110800

Ja, gerne.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Er darf heute nicht reden, deswegen muss er eine Frage stellen!)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1514110900

Herr Kollege Schmidt, Sie haben wiederholt über die

Option gesprochen, deutsche Soldaten in den Stäben im
Irak arbeiten zu lassen. Ich frage Sie: Sind Sie wirklich
der Meinung, dass es im Irak ein sicheres Umfeld gibt,
in dem Soldaten ausbilden können, ohne von der drama-
tischen Entwicklung im Irak betroffen zu sein? Ergän-
zend dazu frage ich Sie: Haben auch Sie festgestellt,
dass bei dieser Mission für den Schutz von
100 Ausbildern 1 600 Soldaten notwendig sind?


(Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Den Bundesgrenzschutz konnten Sie dahin schicken! Das war doch kein Problem! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Beim BGS ging das!)



Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1514111000

Herr Kollege Arnold, es stellt sich in der Tat die Frage

der Sicherheit. Wir haben bereits die sehr tragische Er-
mordung von zwei BGS-Beamten erlebt, die auf dem
Weg zum Schutze der Deutschen Botschaft nach Bagdad
unterwegs waren. Sie kennen den Fall. Es geht um die
Frage, ob die NATO nach langer Diskussion eine Aus-
bildungsfazilität schaffen will, wie das übrigens auch
viele Zivilorganisationen in ihren Bereichen gemacht ha-
ben. Der Kollege Bindig und ich gehören dem Vorstand
einer Organisation an, die mit einer Reihe von Helfern in
Bagdad vertreten war. Sie hat die Helfer jetzt abgezogen,
ist aber bereit, wieder Helfer dorthin zu schicken. Man
wird die politische Frage beantworten müssen: Ist die
NATO als Bündnis aktiv, engagiert, bereit, etwas zu tun,
oder ist sie das nicht?

Der Bundeskanzler tut so – ich halte das für absolut
daneben –, als ob die Deutschen die Wahren, die Schö-
nen, die Guten sind, die nicht mal in den Stäben – es geht
nicht um größere Zahlen von Soldaten, sondern um zehn
bis 15 Soldaten – Soldaten einsetzen wollen. Er tut so,
als ob diejenigen, die dort Soldaten einsetzen wollen, ei-
gentlich schief gewickelt sind.


(Gernot Erler [SPD]: Das hat er doch gar nicht gesagt!)


So kann man im Bündnis nicht miteinander agieren. Die
Frage des Einsatzes in den Stäben muss – wie auch im-
mer es sich im Einzelfall darstellt – beantwortet werden.
Der Bundeskanzler ist dabei auf dem Wege, dafür zu sor-
gen, dass sich Deutschland aus der Solidarität der NATO
verabschiedet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch billiges Nachkarten! Sie wollten doch damals am Irakkrieg teilnehmen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514111100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-

Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
verabschieden heute nicht nur den Verteidigungshaus-
halt, sondern auch – ein wunderbarer Titel – das
Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungs-
gesetz. Die Bundeswehr stellt sich damit den Herausfor-
derungen der Integration von Frauen in den noch beste-
henden Männerbund. Die Soldatinnen bekommen jetzt
durch das Gesetz die volle Unterstützung. Aber auch die
Soldaten profitieren, nicht zuletzt von der Verbesserung
der Vereinbarkeit von Familie und Dienst und der Ein-
führung von Teilzeitarbeit. Das wir die Regelungen für
die Bundeswehr nicht schon 2001 in das Gleichstel-
lungsgesetz für den öffentlichen Dienst aufgenommen
haben, war der Tatsache geschuldet, dass es bei den
Streitkräften besondere Bedingungen gibt.

Dieser Gesetzentwurf sieht nun eine Verpflichtung
zur Förderung von Frauen mit einer Quote von 15 Pro-
zent bei der Truppe und einer Quote von 50 Prozent
beim Sanitätsdienst mithilfe von Gleichstellungsplänen
und Gleichstellungsbeauftragten vor.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ein Quatsch!)


– Herr Nolting, zu Ihnen komme ich gleich. – Meine Da-
men und Herren von der Opposition, wir haben schon im
Oktober über die Quote debattiert. Aufgrund meiner Er-
fahrung ist sie leider oft das einzige Mittel, um fähige
Frauen nach vorn zu bringen, aber eben nur – das haben
Sie falsch verstanden – bei gleicher Eignung, Leistung






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk

und Befähigung. Wer glaubt, dass nun gar keine Männer
mehr befördert werden, muss eigentlich davon ausgehen,
dass es keine qualifizierteren Männer als Frauen gibt.
Ich kann diese negative Sichtweise über Männer über-
haupt nicht teilen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Nolting, Ihre Kollegin Lenke muss of-

fensichtlich in Ihrer Fraktion noch viel Überzeugungsar-
beit leisten. Während die Bundesvereinigung der Libera-
len Frauen einstimmig gefordert hat, dass jetzt auch die
FDP der Quote zustimmen soll, weil sich ohne Quote
nichts bewegt, lehnt die FDP den Gesetzentwurf aus die-
sem Grunde ab. Ich finde, da machen Sie etwas falsch,


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Wenn Sie das sagen, dann machen wir es schon richtig!)


– Das glaube ich nicht. Warten Sie auf die Abstimmung.
Aus meiner Sicht sind die 15 Prozent zu niedrig, aber

ich bin gern bereit, der besonderen Situation in den
Streitkräften Rechnung zu tragen. Die von der CDU/
CSU vorgeschlagene Jahrgangsquote ist nicht nur ver-
fassungsrechtlich problematisch, da sie von den Zufäl-
ligkeiten des Frauenanteils an den Geburtsjahrgängen
abhängig wäre, sondern so würde man auch gerade bei
den älteren Jahrgängen nur den Status quo festschreiben.
Das kann nicht gewollt sein.

Trotzdem freue ich mich, Frau Kollegin Lietz, dass
Sie diesem Gesetzentwurf, wie wir ihn vorschlagen,
gleich zustimmen werden.

Bei zwei anderen Punkten, die ich in der ersten Le-
sung kritisiert habe, hat es Änderungen gegeben.

Zum einen handelt es sich um die Geltung des Geset-
zes bei Auslandseinsätzen. Der Gesetzentwurf sah eine
generelle Nichtgeltung vor. Es mag sicherlich Situatio-
nen geben, in denen das Gleichstellungsgesetz zurück-
stehen muss. Aber eine Generalklausel ist meiner Mei-
nung nach hier nicht angebracht. Nach den Änderungen
wird das Gesetz nun auch bei Auslandsverwendungen
Gültigkeit haben, es sei denn, der Verteidigungsminister
erklärt es im Einzelfall für nicht anwendbar. Das ist eine
gute Lösung.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Haben Sie schon einmal mit Soldatinnen gesprochen?)


– Ja natürlich, ich kann Ihnen einige Namen nennen.
Zum anderen haben wir die im Gesetzentwurf vorge-

sehenen Berichtszeiträume verkürzt. Über die Überprü-
fung der Quotenregelung, aber auch die Umsetzung des
Gesetzes überhaupt muss nicht erst nach fünf, sondern
schon nach zwei Jahren berichtet werden. Ich finde, auch
das ist richtig. Denn die Bundeswehr ist nun einmal auf-
grund ihrer Geschichte und Struktur ein anderer Arbeit-
geber als der öffentliche Dienst. Wir im Parlament haben
die Pflicht, die Entwicklung genau zu prüfen.

Mein Vorschlag, dass auch die Dienstgradbezeich-
nungen die Gleichstellung zum Ausdruck bringen müs-
sen, wurde leider nicht umgesetzt, da diese Bezeichnun-
gen vom Bundespräsidenten festgelegt werden. Auch
wenn man dem Bundespräsidenten keine Vorschriften
machen sollte, bin ich ziemlich sicher, dass Bundespräsi-
dent Köhler hierfür ein offenes Ohr hat.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir
mit diesem Gesetz dem Gebot des Art. 3 des Grundge-
setzes und seiner Ergänzung nachkommen, die gerade
letzte Woche ihren zehnten Jahrestag hatte. Wir haben
umgesetzt, dass der Staat auf die Gleichberechtigung
von Männern und Frauen hinwirkt und Nachteile besei-
tigt. Der Umsetzung des hier formulierten Staatsziels
sind wir mit diesem Gleichstellungsgesetz für die Bun-
deswehr ein Stück näher gekommen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514111200

Das Wort hat die Kollegin Ursula Lietz von der CDU/

CSU-Fraktion,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1514111300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Der Gesetzent-
wurf zur Gleichstellung von Soldaten und Soldatinnen
ist zwar nicht von besonders hoher Relevanz für den
Haushalt, aber für die Praxis der Bundeswehr durchaus
von Bedeutung. Deswegen behandeln wir ihn heute mit.

Wir waren am 21. Oktober dieses Jahres zur ersten
Lesung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungs-
durchsetzungsgesetzes – das ist ein echter Zungenbre-
cher – noch alle der Meinung, dass dieses Gesetz mit ei-
ner möglichst breiten Mehrheit in diesem Hause
verabschiedet werden sollte, um den mittlerweile fast
10 000 Soldatinnen in der Bundeswehr gleiche Chancen
wie ihren männlichen Kollegen zu geben. Das sind vier
Jahre, nachdem Frauen generell in die Bundeswehr auf-
genommen wurden, und 30 Jahre, nachdem sie bereits
im Sanitätswesen tätig sind.

Die Grünen und gerade Frau Schewe-Gerigk haben
sich besonders dafür ausgesprochen, dass wir das ge-
meinsam machen sollten. Sie haben sogar bei einigen
Passagen meiner Rede damals geklatscht. Da hatte ich
das Gefühl, ich hätte etwas falsch gemacht. Aber wie
dem auch sei: Vor den Beratungen und der Beschlussfas-
sung im Verteidigungsausschuss sah die Sache etwas an-
ders aus.

Interfraktionelle Vorberatungen sollten lediglich auf
der Basis des Gesetzentwurfs der Bundesregierung statt-
finden. Die Anträge der CDU/CSU und der FDP wurden
gar nicht erst zu den Beratungen zugelassen. Das ist ein
etwas fragwürdiges Demokratieverständnis, das ich
nicht zum ersten Mal bei Ihnen feststelle.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Geblieben ist zum einen eine ziemlich starre Quoten-

regelung, die weder von den Soldatinnen noch vom






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Lietz

Bundeswehrverband gewünscht ist. Auch die Opposi-
tionsfraktionen wünschen diese Regelung nicht.

Frau Schewe-Gerigk, die Änderung der Bezeichnung
der Dienstgrade wird von den Soldatinnen ausdrücklich
nicht gewünscht. Unterhalten Sie sich einmal mit ihnen!
Dann werden Sie feststellen, dass dem so ist. Ich habe
das getan.

In diesem Gesetzentwurf fehlen sinnvolle Ergänzun-
gen und Beurteilungen zur besseren und klareren Diffe-
renzierung nach Eignung, Leistung und Befähigung. Wir
könnten angesichts der zurzeit großen Anzahl anstehen-
der Stellenbesetzungen und Beförderungen bei den Un-
teroffiziersdienstposten Probleme bekommen, nämlich
dann, wenn – wovon ich ausgehe – eine Vielzahl von
Bewerberinnen und Bewerbern mit vergleichbarer Qua-
lifikation und Beurteilung zur Auswahl steht.

Ich kann nur hoffen, dass es bei Beförderungen in Zu-
kunft nicht zu zahlreichen Konflikten und zu Missgunst
zwischen Männern und Frauen in der Bundeswehr kom-
men wird. Denn das wäre in Anbetracht der Belastungen
durch Auslandseinsätze und durch die jetzt einsetzende
Reform der Bundeswehr in einer Zeit von ohnehin ziem-
lich angespannter Stimmung ein sehr kritischer Faktor.
Zur Inneren Führung und zu den heutigen Ausschussdis-
kussionen ist schon einiges gesagt worden.

Erstens. Durch diese Quotenregelung wird die Akzep-
tanz dieses Gesetzes in der Bundeswehr nicht erhöht.
Davor habe ich gewarnt. Ich habe gesagt, dass eine starre
Quotierung dort zähneknirschend zur Kenntnis genom-
men werden wird; denn die Bundeswehr ist ganz einfach
kein kommunales Rathaus. Es gibt Unterschiede, die in
einem solchen Gesetzentwurf berücksichtigt werden
müssen.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Berichtszeit-
räume für eine eventuelle Änderung der Quotenrege-
lung von vier auf zwei Jahre bzw. von zehn auf fünf
Jahre reduziert wurden. Das war in der Tat unser Vor-
schlag. Sie haben ihn übernommen; aber sonst hätten wir
diesem Gesetzentwurf auch nicht zustimmen können.
Denn wir sind sicher, dass eine Überprüfung der Wirk-
samkeit dieses Gesetzes in kürzeren Abständen dringend
nötig ist.

Zweitens. Ich finde es besonders bedauerlich, dass die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf in diesem Ge-
setzentwurf so gut wie keine Rolle spielt. Wie sieht es
denn mit der Fürsorgepflicht aus, wenn Soldaten als El-
tern kleiner Kinder gemeinsam in den Einsatz geschickt
werden? Zu diesem Thema findet sich kein einziger
Satz, obwohl dieses Thema die Familien bewegt. Wir
alle müssen ein Interesse daran haben, dass die Bundes-
wehr auch für Männer und Frauen mit Familien ein at-
traktiver Arbeitgeber wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland wäre der

Grundsatz der Freiwilligkeit eines der beiden Familien-
partner möglich. Wenn Sie der Meinung sind, dass das
nicht Thema dieses Gesetzes sein kann, werden wir dazu
einen gesonderten Antrag einbringen.
Drittens. Da wir wollen, dass dieses Gesetz auch bei
Einsätzen im Ausland Anwendung findet, müssen ein-
satzbedingte Gründe für seine Aussetzung, wenn sie not-
wendig ist, sehr viel präziser formuliert sein. Der Herr
Wehrbeauftragte hat dankenswerterweise darauf hinge-
wiesen, dass über die Aussetzung eines Gesetzes nicht
von irgendjemandem im Verteidigungsministerium ent-
schieden werden kann, sondern dass darüber vom Vertei-
digungsminister persönlich oder aber – hören Sie jetzt
gut zu – von seinem Stellvertreter im Kabinett – also
nicht von seinem Stellvertreter im Verteidigungsministe-
rium; denn dort sitzt nur sein administrativer Vertreter –
entschieden werden muss. Dass Verteidigungsministerium
und Verteidigungsminister nicht immer dasselbe sind, das
wissen wir spätestens seit den Vorfällen im Kosovo.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Dieser Gesetzentwurf ist nicht der ganz große Wurf.
Er ist Neuland für die Bundeswehr. Ich betone noch ein-
mal: Der Beruf des Soldaten bzw. der Soldatin ist kein
Beruf wie jeder andere. Bei denjenigen, die ihr Leben
riskieren, um unser Leben zu schützen, müssen andere
Maßstäbe angelegt werden. Daher sind Regelungen des
öffentlichen Dienstes nicht eins zu eins übertragbar. Wir
werden im Laufe der Zeit feststellen, dass das so ist und
dass dieser Gesetzentwurf Geburtsfehler hat, die wir
hoffentlich alle gemeinsam und aufgrund neuer Einsich-
ten aller hier vertretenen Fraktionen ausmerzen werden.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu – das habe ich
schon einmal gesagt – allerdings mit Bauchschmerzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514111400

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär

Hans Georg Wagner.

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1514111500


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Da ich schon über ein Jahrzehnt die Haushalts-
beratungen sehr intensiv verfolge, wäre ich heute über-
rascht gewesen, wenn Herr Austermann einen Beitrag
geleistet hätte, der sachlich gewesen wäre und von
Kenntnis des Haushalts gezeugt hätte.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Zur Sache!)


– Jetzt zur Sache, Herr Kollege Nolting, natürlich.
Da wird beklagt – Frau Merkel hat das heute Morgen

getan –, der Heimatschutz und der Katastrophenschutz
seien aufgrund der Transformation der Bundeswehr
nicht gewährleistet.


(Hans Raidel [CDU/CSU]: Stimmt doch!)

Wenn man sich alles und auch die Broschüre, die wir

Ihnen allen ins Fach gelegt haben, anschaut, dann wird
man unschwer feststellen, dass gerade diese Dinge in be-
sonderer Weise beachtet worden sind. Schweres Gerät






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Hans Georg Wagner

wird in Lagern vorgehalten und wenn es eine Katastro-
phe gibt, kann durch Reservisten oder Soldaten sofort
eingegriffen werden. Das ist ein Festhalten an dem, was
gewesen ist. Deshalb bin ich der Meinung, man sollte
das nicht immer wieder erwähnen.

Da heißt es – auch von Herrn Austermann wieder –,
die Bekämpfung des Terrorismus findet nicht mehr statt.
Ja glauben Sie denn, wenn irgendein Terrorist oder eine
Terroristengruppe etwa die EZB in Frankfurt angreifen
würde, dass die Bundeswehr dann erst fragen würde, ob
sie eingreifen dürfte? Nein, die Bundeswehr wird han-
deln! Die Bundeswehr würde Katastrophenschutz leis-
ten, wie wir das gewohnt sind.

Übrigens, Herr Kollege Schmidt: Natürlich sind wie-
der gemeinsame Übungen mit dem THW und der Feuer-
wehr geplant, damit eine gute Zusammenarbeit im Kata-
strophenfall gewährleistet werden kann. Das ist ja die
Lehre aus dem Oderbruch, wo wirklich Defizite vorhan-
den waren. Gott sei Dank war die Bundeswehr vor Ort
und konnte mit dem THW, dem Roten Kreuz und der
Feuerwehr zusammenarbeiten.

Eines begreife ich allerdings nicht in der ganzen Dis-
kussion: Die Opposition weint darüber, dass die Bundes-
wehr wegen der globalen Minderausgabe 248,2 Millio-
nen Euro weniger bekommen soll. Natürlich ist der
Minister mit dem Kabinett und der Koalition solidarisch
und leistet seinen Beitrag. Wir tun das auch. 248,2 Mil-
lionen Euro sind sehr viel Geld, das schmerzt sehr. Aber
wenn ich mir Ihre Anträge anschaue, die heute zur Ab-
stimmung stehen, Herr Kollege Austermann, dann bin
ich völlig überrascht, und das aus mehreren Gründen.
Der erste Grund ist, dass Sie etwa beim neuen Hub-
schrauber NH 90 50 Millionen Euro sparen wollen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Hört! Hört!)

Beim Eurofighter wollen Sie 250 Millionen Euro sparen.
Wenn ich das zusammenrechne, komme ich auf eine Ab-
senkung des Einzelplanes 14 um 300 Millionen Euro;
auch die FDP ist dieser Meinung.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das Gerät wird nicht fertig! Da kommt doch nichts voran!)


Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, Herr Kollege
Austermann. Ich glaube, der Kollege Raidel hat gewusst,
warum er jetzt nicht mehr da ist; denn er belagert mich
permanent wegen des Hubschraubers.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Da ist er doch!)


– Er ist doch da. Dass er schon auf der Regierungsbank
Platz nimmt,


(Zuruf von der CDU/CSU: Er flüstert der Regierung gerade etwas ins Ohr! – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Er übt schon einmal!)


konnte ich nicht ahnen – ich habe doch hinten keine Au-
gen, Hans, entschuldige bitte.
Der Kollege Raidel erinnert mich permanent, man
sollte für neue Hubschrauberentwicklungen For-
schungsgelder einstellen. Wenn Sie sich den Haushalts-
plan ansehen, wie er heute vorliegt, werden Sie feststel-
len, dass das enthalten ist: 32 Millionen allein zugunsten
der Entwicklung neuer Hubschrauber!


(Beifall bei der SPD)

Nur, Herr Kollege Raidel, was ich nicht begreife, ist,

dass Sie einem Antrag der CDU/CSU-Arbeitsgruppe
„Haushalt“ zustimmen können, der vorzieht, die Mittel
für den neuen Hubschrauber NH 90 um 50 Millionen
Euro zu senken.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Der wird doch nicht fertig!)


Das heißt, Sie greifen direkt in die Produktion dieses
neuen Hubschraubers ein. Noch schlimmer ist es beim
Eurofighter.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Auch nicht fertig!)


Die Kollegin Aigner ist nicht da. Auch sie belagert mich
permanent, wir sollten beim Eurofighter voranmachen.
Jetzt schlägt sie vor, 250 Millionen Euro beim Euro-
fighter zu kürzen. Da frage ich mich: Welche Auswir-
kungen hat das? Und was steckt eigentlich dahinter? Die
Auswirkungen, Herr Kollege Austermann, will ich Ihnen
nennen; denn Sie sind ja derjenige, der permanent he-
rumerzählt, dass der Eurofighter nicht fliegt, am Boden
steht, nicht funktioniert.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie viele sind denn da? Wie viele sind denn jetzt fertig?)


– Das sagen Sie immer, Herr Kollege Austermann. Das
Ergebnis ist: Ihr konservativer Kollege, der griechische
Verteidigungsminister, hat gestern entschieden, die
60 Eurofighter, die Griechenland bestellt hat, abzube-
stellen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Weil die Dinger nicht fertig sind und nicht fliegen!)


Was Sie sagen, hat also Auswirkungen beispielsweise
auf die Produktionsstätten des Eurofighters. Das nehmen
Sie billigend in Kauf. Es wundert mich vor allem, dass
die CSU-Leute, dass Sie, Herr Kollege Kalb, dabei über-
haupt mitmachen: bei einem solchen Antrag, der Ar-
beitsplätze in Bayern gefährdet.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Was sagt denn die CSU dazu? – Johannes Kahrs [SPD]: Austermann kommt aus Schleswig-Holstein! Das merkt man doch!)


Ich weiß nicht, was der Herr Ministerpräsident über Ihre
Tätigkeit hier in Berlin denkt, wenn Sie solche Dinge
vernachlässigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er denkt das Gleiche, was wir denken!)







(A) (C)



(B) (D)


Parl
Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1514111600
Er kommt mit einem
uralten Rechnungshofbericht bezüglich der GEBB.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Es gibt einen neuen!)


Gerade in seinem Heimatland – das hat er nicht gemerkt,
weil er permanent über die GEBB in Berlin schimpfen
muss – haben die GEBB, die Stadt Schleswig und das
Land Schleswig-Holstein einen Vertrag zur Finanzierung
einer Entwicklungsmaßnahme aus den vorhandenen
Mitteln abgeschlossen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Absichtserklärungen! – Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ein Vertrag! Herr Austermann hat keine Ahnung!)


Die Länder müssen dabei mitmachen. Es wird eine wun-
derbare Sache, die mustergültig für ganz Deutschland
ist. Seien Sie doch froh, dass das in Ihrem Heimatland
geschieht! Sie sehen, dass wir keinen Rachefeldzug ge-
gen Schleswig-Holstein oder gar gegen Sie führen. Es
tut mir Leid: Sie sind leider Gottes zu unwichtig, als dass
man einen Rachefeldzug nur gegen Sie als Person führen
würde.


(Beifall bei der SPD)

Sofern die Länder und Gemeinden das wollen, arbeiten
wir konstruktiv und kreativ mit ihnen zusammen. Dabei
wird es auch bleiben. Daran wird sich in Zukunft nichts
ändern.

Sie haben freundlicherweise die Flexibilisierung an-
gesprochen.


(Abg. Jürgen Koppelin [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Einen Satz noch, Herr Kollege Koppelin. – Das hätte
uns im Einzelplan 14 die Kleinigkeit von 528 Millionen
Euro gekostet.


(Johannes Kahrs [SPD]: Unglaublich!)

Das heißt, Sie fordern uns wie beim Eurofighter dazu
auf, Vertragsbruch zu begehen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wenn nicht geliefert wird, brauche ich auch nicht zu bezahlen!)


Wenn man die Dinge nicht abnimmt, die man vertraglich
mit den Partnerländern vereinbart hat, dann gibt es Scha-
densersatzklagen; das haben wir alles diskutiert. Sie
wollen wohl eine Schadensersatzklage provozieren, in-
dem Sie solche Forderungen wie beim Eurofighter auf-
stellen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Genau! Unerhört! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nur wer liefert, bekommt Geld!)


Die von Ihnen vorgeschlagene Absenkung könnten
Sie nur erreichen, wenn Sie Personal entlassen, und nicht
dadurch, dass Sie es über einen längeren Zeitraum ab-
bauen. Erklären Sie mir einmal, wie Sie bei Beamten
und bei Angestellten im öffentlichen Dienst, die nach
15 Jahren unkündbar sind, zu Entlassungen kommen
wollen! Auch hier wollen Sie uns also einen verfas-
sungswidrigen Auftrag geben. Damit das vollkommen
klar ist: Den lehnen wir ab.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514111700

Herr Kollege Wagner, ich entnehme Ihren Worten,

dass Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin zu-
lassen wollen.

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1514111800


Ja, natürlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514111900

Bitte schön, Herr Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1514112000

Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich höre ihrer

Rede gerne zu.

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1514112100


Das habe ich gewusst.

(Heiterkeit bei der SPD)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1514112200

Ja, natürlich, in alter Freundschaft zwischen uns bei-

den.
Ich möchte aber einen anderen Punkt ansprechen, der

mich ebenfalls erfreut und zu dem ich Ihre Meinung hö-
ren möchte. Können Sie verstehen, dass meine Freude
sehr groß ist, dass sich der Verteidigungsminister auf sei-
nen alten Platz als SPD-Fraktionsvorsitzender gesetzt
hat, und dass er mir dort lieber ist als der jetzige Frak-
tionsvorsitzende der SPD?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1514112300


Das mag Ihre Ansicht sein. Ich bin froh, dass sich der
Minister auf diesen Platz gesetzt hat, weil er mir von
dort aus Beifall klatschen kann. Von der Regierungsbank
aus könnte er das nicht; das ist der Unterschied. Dies
freut mich daran.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gab natürlich auch noch die Empfehlung Ihres ver-
hinderten Kanzlerkandidaten.


(Johannes Kahrs [SPD]: Der aus Bayern!)

– Ja, der aus Bayern.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hat Herr Struck die Blätter vertauscht?)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Hans Georg Wagner

Andere Verhinderte gibt es ja erst in der Zukunft. Er hat
gefordert, man müsse eine weitere Kürzung von pau-
schal 5 Prozent vornehmen. Er will also um weitere
1,2 Milliarden Euro kürzen. Jetzt frage ich Sie: Weshalb
jammern Sie eigentlich über die Absenkung im Rahmen
der Plafondierung? Da Herr Stoiber noch viel mehr will,
als diese Regierung tut, müssten Sie eigentlich zuerst mit
ihm darüber reden. Sie haben den Antrag nicht wieder-
holt, weil Sie ihn wahrscheinlich nicht für wichtig genug
angesehen haben. Das hat aber mit Ihrer Einschätzung
des Herrn Stoiber und nichts mit dem Haushalt zu tun.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Herrn Eichel legt die Mannschaft jedenfalls einen verfassungsmäßigen Haushalt vor! – Gegenruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]: Sie wollen die Bundeswehr also zusammenstreichen, Herr Schmidt! Das ist schlecht!)


– Einen solchen haben wir vorgelegt und ich bin auch
froh darüber, dass dies geschehen ist.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er liegt zwar beim Bundesverfassungsgericht, aber er tritt vorher in Kraft!)


Ein weiterer Punkt, den man ansprechen muss, ist das
Anheben des Anteils der Investitionen. Meine Herren
auf der rechten Seite des Hauses, wir haben von Ihnen
eine katastrophale Investitionsrate im Einzelplan 14
übernommen.


(Johannes Kahrs [SPD]: So ist es!)

Im Jahre 2005 werden wir wieder bei 25,4 Prozent lie-
gen. Im Jahre 2008, in der 38. Finanzplanung, werden
wir bei 29 Prozent liegen. Ich bin mir sicher, dass wir im
Jahre 2010, wenn Peter Struck diese Reform abgeschlos-
sen haben wird, bei einem Anteil der Investitionskosten
in Höhe von 30 Prozent liegen werden. Das ist unser er-
klärtes Ziel und das werden wir auch gegen den von Ih-
nen eben erklärten Widerstand erreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Dann seid ihr doch gar nicht mehr im Amt! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wovon träumen Sie nachts? – Johannes Kahrs [SPD], zu Abg. Georg Schirmbeck [CDU/ CSU] gewandt: Vom nächsten Wahlsieg, Herr Kollege!)


Wir haben diese Steigerung gegen Ihren Widerstand vor-
genommen; denn schließlich haben Sie den Verteidi-
gungshaushalt in jedem Jahr abgelehnt. Sie musste also
gegen Ihren Widerstand durchgesetzt werden. Ich bin
froh, dass das endlich gelungen ist.

Ein abschließendes Wort noch zur Stationierung, da
mir die Zeit wegläuft.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie sieht es im Saarland mit der Stationierung aus?)


Herr Kollege Austermann, das Merkwürdige ist, dass bei
der Bundeswehr auch eine ganze Menge Ein-Mann- bis
Drei-Mann-Stützpunkte als Standorte vorgesehen ist.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Im Saarland sind es 600 mehr! Der Gewinner ist das Saarland!)


Darüber jetzt eine Standortschließungsdiskussion zu
führen, halte ich wirklich für abenteuerlich. Das muss
man nicht tun. In der Klausurtagung des Kollegiums
sind wir jeden einzelnen Standort durchgegangen. Ich
kann Ihnen sagen, dass das eine mühselige Arbeit war,
zumal wir alle regionalen Besonderheiten vorher von Ih-
nen freundlicherweise schriftlich erhalten hatten. Das
mussten wir durch unsere Argumentation ja abwehren
können. Wir sind in der Lage, zu jedem Standort eine
ausreichende Begründung dafür zu liefern, warum wir
die Schließung dieses Standortes vorgeschlagen haben.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das stimmt nicht!)

Der letzte Punkt betrifft die Sicherheit der Gemein-

den. Der Minister wird im März eine Konferenz der be-
troffenen Bürgermeister einberufen, um mit ihnen über
diese Dinge zu reden.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Im März?)

– Im März wird die Feinausplanung der Schließungsab-
schnitte vermutlich vorliegen. Die Konferenz wird daher
im Frühjahr stattfinden. Bei dieser Konferenz geht es da-
rum, wie wir die Konversion bezahlen. Wir werden das
Argument anführen, das vorhin schon genannt worden
ist: 1993 haben die Länder zu Zwecken der Konversion
2 Prozent Umsatzsteuerpunkte mehr bekommen. Zwei
der wenigen Länder, die sich an die Absprache gehalten
haben, waren Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.
Das waren aber auch schon alle. Man hat in den anderen
Ländern munter und fidel versucht, mit den Einnahmen
die Landeshaushalte zu konsolidieren. Das ist die Wahr-
heit.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514112400

Herr Kollege Wagner, bevor Ihre Redezeit völlig ab-

gelaufen ist – eigentlich ist sie schon zu Ende –: Erlau-
ben Sie dem Herrn Kollegen Schirmbeck eine Frage?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1514112500


Herr Präsident, ich will Sie nicht kritisieren, aber ich
habe noch 20 Sekunden Redezeit.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514112600

Nein, Sie sind 20 Sekunden über Ihrer Redezeit.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Es wird ja zurückgerechnet!)


Aber ich lasse die Frage noch zu.

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1514112700


Ich auch.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514112800

Bitte schön, Herr Schirmbeck.






(A) (C)



(B) (D)



Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1514112900

Herr Staatssekretär, es ist Aufgabe der Bundesregie-

rung, mit den Mitteln des Staates sparsam umzugehen.
Jetzt haben Sie ein Standortkonzept vorgelegt, das uns
nicht überzeugt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber uns!)

Einer der betroffenen Standorte ist Fürstenau. Der

Standort soll stillgelegt werden; einige Einheiten werden
verlegt und andere ersatzlos aufgelöst. Auf dem
300 Hektar großen Bundeswehrgelände gibt es diverse
Gebäude in hervorragendem Zustand, Stichwort: Ka-
serne 2000. Dort können zum Beispiel Panzer mit Re-
genwasser gewaschen werden. Außerdem wurden noch
andere ökologische Konzepte umgesetzt.


(Zurufe von der SPD: Frage!)

Die Bundesregierung erklärte vor drei Wochen, dass

der Standort geschlossen werden soll. Dienstag vor einer
Woche kamen Dachdecker, um auf dem Fahrschulge-
bäude einer Einheit, die ebenfalls aufgelöst werden soll,
ein neues Aluminiumdach anzubringen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514113000

Herr Kollege Schirmbeck, bitte kommen Sie zu Ihrer

Frage.


Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1514113100

Weiß die eine Hand nicht, was die andere tut? Ist das

ein sparsamer Umgang mit Steuermitteln? Wie läuft das
in Ihrem Haus?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1514113200


Die Frage, ob die rechte Hand weiß, was die linke tut,
kann ich mit Ja beantworten. Zudem muss ich sagen,
dass Aufträge, die vergeben worden sind, ausgeführt
werden müssen. Wir können es ja nicht durch das Dach
hineinregnen lassen, weil wir den Standort irgendwann
schließen. Dadurch würde das Gebäude an Wert verlie-
ren; das kann keiner wollen. Wir wollen versuchen, ei-
nen möglichst hohen Preis zu erzielen. Sie dagegen ha-
ben einen Entschließungsantrag gestellt, dass wir
möglichst alles kostenlos abgeben sollen. Wir aber wol-
len auch über die Konditionen reden können. Das ist un-
sere Überlegung.

Natürlich sind in den letzten Jahren auch für die Un-
terbringung unserer Soldatinnen und Soldaten Investitio-
nen notwendig gewesen. Wenn man eine Fürsorgepflicht
hat, dann macht man das eben so. Deshalb bitte ich um
Verständnis dafür, dass auch Standorte geschlossen wer-
den, an denen vor kurzem noch Investitionen getätigt
worden sind.

Wir haben auf der Grundlage von Vorschlägen unter
militär-funktionalen Gesichtspunkten zu entscheiden.
Zudem haben wir betriebswirtschaftliche Überlegungen
angestellt. Dadurch kamen die vorliegenden Standortent-
scheidungen zustande. Das ist auch in jedem Einzelfall
zu begründen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident das war es. Vielen Dank fürs Zuhören.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514113300

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Bernd

Siebert von der CDU/CSU-Fraktion.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist der Beste der Union!)



Bernd Siebert (CDU):
Rede ID: ID1514113400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Wagner, Herr Fraktionsvorsitzender
Struck,


(Heiterkeit)

Sie waren bei der Einbringung des Haushaltes 2005 noch
stolz, darauf hinweisen zu können, dass sich der Vertei-
digungshaushalt auf 24,04 Milliarden Euro beläuft. Un-
ser Kollege Arnold sprach sogar davon, dass in diesem
Jahr im Verteidigungshaushalt 200 Millionen Euro mehr
eingestellt worden seien. Noch viele solcher oder ähn-
licher Äußerungen aus den Koalitionsfraktionen könnte
ich zitieren; die politische Halbwertszeit all Ihrer Aussa-
gen wird dabei leider immer kürzer. Zwischen dem, was
der Verteidigungsminister zunächst vom Bundesfinanz-
minister an Mitteln für seinen Haushalt haben wollte und
er eigentlich auch dringend braucht, und dem, was er
letztendlich erhalten hat, liegen 328 Millionen Euro.
Beim Finanzplan des Bundes wird bis zum Jahr 2008
etwa 1 Milliarde Euro gekürzt werden. Wir wissen alle,
dass eigentlich das genaue Gegenteil notwendig wäre.
Diese Form der Finanzpolitik hat für die Bundeswehr
schwere Folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Neuvorhaben im Bereich der militärischen Beschaf-

fungen können nur noch durch haushaltspolitische
Tricks begonnen werden. Dies beklagen Sie sogar selbst
in Ihren eigenen Unterlagen, die Sie den Koalitionsfrak-
tionen zur Beratung des Einzelplans 14 zur Verfügung
gestellt haben. Leider müssen wir wieder feststellen,
dass nicht fachliche und sachliche Notwendigkeiten für
die Finanzausstattung des Bundesministers der Verteidi-
gung maßgeblich sind, dass vielmehr der Etat nur die
Handschrift des Bundesfinanzministers trägt, der eine
reine buchhalterische Sparnotwendigkeit sieht.

Herr Staatssekretär Wagner, Sie haben eben die fal-
sche Gruppe angegriffen. Sie müssten wegen der Spar-
maßnahmen, die ich hier vorgetragen habe und die der
Finanzminister verordnet hat, den Finanzminister kriti-
sieren und nicht uns. Diese Kritik war vollkommen un-
korrekt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Günther Friedrich Nolting [FDP])







(A) (C)



(B) (D)


Bernd Siebert

Die Kollegin Leonhard – wir haben vorhin gehört, dass
sie heute krank ist – hat am 8. September darauf hinge-
wiesen, dass der Verteidigungsetat auch in diesem Jahr
einen substanziellen Beitrag zur Konsolidierung des
Bundeshaushalts leistet. Allerdings, so Leonhard, ist der
Einsparungsbeitrag an der Grenze des Tolerierbaren. Das
war eigentlich schon am 8. September der Offenba-
rungseid. Aber dann kam die globale Minderausgabe
für das Jahr 2005. Wir wurden mit weiteren 250 Millio-
nen Euro belastet und unterschreiten damit deutlich die
24-Milliarden-Euro-Grenze. Das ist eine Entwicklung,
die Sie vor einem Jahr noch intensiv bestritten hätten.

Aber es kommt noch dicker: Eine weitere globale
Minderausgabe von zusätzlichen 250 Millionen Euro
schwebt als Damoklesschwert über dem Verteidigungs-
haushalt 2005.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist schon abgewehrt! Das gibt es nicht! Das ist geregelt!)


– Warten wir es ab.
Die finanzielle Basis, auf der Ihre Reformen zur Wei-

terentwicklung der Bundeswehr erstellt wurden, war der
vorgelegte Haushaltsentwurf. Wie Sie, Herr Minister
Struck, diese Etatkürzung verkraften und gleichzeitig
den laufenden und neuen Verpflichtungen nachkommen
wollen, wissen nur die Götter. Von Ihnen habe ich hierzu
bislang noch nichts Konkretes gehört. Die bisher vor-
handenen Mittel reichen gerade einmal für das Allernö-
tigste. Wir waren uns immer einig – das glaubten wir je-
denfalls –, dass es das Ziel ist, eine Investitionsquote
von 30 Prozent zu erreichen


(Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie nie geschafft!)


und so die auftrags- und bedarfsgerechte Ausstattung un-
serer Soldaten zu gewährleisten. Dieses Ziel wird sicher-
lich nicht erreicht werden. Sie werden im Investitionsbe-
reich wieder mit Kürzungen arbeiten müssen, Sie
werden wieder strecken und zeitlich verschieben müs-
sen.

Da hilft das Wehklagen der Kollegin Leonhard in der
„Welt“ vom 10. November gar nichts mehr. Ich zitiere,
was dort über die Kollegin Leonhard gesagt wird:

Die Einsparungen dürften auch nicht zu Lasten der
Investitionen und des Personals gehen. „Sonst ist
das Ende der Fahnenstange erreicht“, sagte Frau
Leonhard der WELT.

Herr Minister, Sie haben das Ende der Fahnenstange
schon längst verlassen. Sie sind schon längst im Schwe-
bezustand.

Nun haben Sie als eine Maßnahme gegen die Finanz-
not zumindest für die nächsten Jahre der Bundeswehr
eine neue Reform verordnet. Standorte werden geschlos-
sen, es werden neue, deutlich verringerte Personalziel-
vorgaben gemacht. Nur noch 75 000 Zivilbeschäftigte
und nur noch 252 500 Soldaten sollen als deutscher Bei-
trag für die Sicherheit Deutschlands und Europas ausrei-
chen. Das, was in diesem Zusammenhang zum Heimat-
schutz zu sagen ist, haben meine Vorredner schon
deutlich gemacht. So schnell wie möglich, wie Sie for-
mulieren, sollen 105 Standorte der Bundeswehr ge-
schlossen werden. Betriebsausgaben sollen gesenkt wer-
den. Aber ohne Rücksicht auf die strukturschwachen
Regionen zu nehmen, ist ein außerordentlich großer
volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet worden.

Nun wird das Ziel angestrebt, durch die Senkung der
Betriebsausgaben nach der Schließung der 105 Standorte
Finanzmittel freizubekommen. Diese stehen aber durch
die globale Minderausgabe schon längst nicht mehr zur
Verfügung.

Herr Minister, Sie haben mehrfach darauf hingewie-
sen, dass die Standortschließungen ohne Rücksicht auf
die regionalen Gegebenheiten umgesetzt werden sollen.
Mag sein, dass Sie sich nicht als Infrastrukturminister
verstehen. Aber heißt das auch, dass sich die gesamte
Bundesregierung nicht um diese Fragen zu kümmern
braucht?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie nicht dafür zuständig sind, Herr Minister
Struck, dann muss es der Bundeskanzler sein. Deshalb
habe ich ihm einen entsprechenden Brief geschrieben
und ihn an seine Zuständigkeit und seine Pflicht, zu hel-
fen, erinnert.

Herr Minister, die globale Minderausgabe bringt Ih-
ren Haushalt ins Wanken. Das Reduzieren des Personals
wird nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen. Die von
Ihnen geplanten Privatisierungserlöse werden sich wie in
den vergangenen Jahren als Luftnummern erweisen. Das
heißt, Sie müssen sich sicherlich schon jetzt Gedanken
über die nächste Reform der Reform der Reform ma-
chen. In diesem Zustand befinden wir uns schon seit ei-
nigen Jahren.

Ein großer Teil Ihrer Parteifreunde arbeitet bereits
heute innerparteilich daran, eine Mehrheit für die Ab-
schaffung der Wehrpflicht zu organisieren, lieber
Johannes Kahrs.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wer sagt das?)

Diese Entwicklung werden wir – vielleicht mit deiner
Hilfe – nicht zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Wir auch nicht!)


Wir halten die Wehrpflicht aus sicherheits- und gesell-
schaftspolitischen Gründen für notwendig, wie wir es
kürzlich in der Debatte zu diesem Thema vorgetragen
haben.

Angesichts all dieser Entwicklungen in den vergange-
nen sechs Jahren muss ich den Eindruck gewinnen, dass
Sie dabei sind, Ihre und die ideologische Zielsetzung der
Grünen durch das Kaputtsparen der Bundeswehr umzu-
setzen. Diese Entwicklung erfolgt parallel zu einer Ent-
wicklung in umgekehrter Richtung bei den Einsätzen der
Bundeswehr im Ausland, die deutlich zunehmen. Wir
werden in dieser Woche noch über einen weiteren Ein-
satz der Bundeswehr im Ausland zu entscheiden haben.
Immer mehr Einsätze deutscher Soldaten weltweit und
immer mehr sicherheitspolitische Zusagen an die Euro-






(A) (C)



(B) (D)


Bernd Siebert

päische Union, die NATO und die Vereinten Nationen –
das steht im krassen Widerspruch zu den von Ihnen zur
Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister, uns allen ist klar, dass in den letzten

Jahren eine schwierige, eher krisenhafte Finanzlage ent-
standen ist. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Uns ist
auch klar, dass der Verteidigungsetat seinen Beitrag zur
Konsolidierung der Staatsfinanzen beisteuern muss.
Aber die Kürzungen müssen verantwortbar sein und es
muss wieder eine Perspektive für den Verteidigungsetat
gefunden werden, die unsere Sicherheitsinteressen wi-
derspiegelt. Ich fürchte, dass die Bundeswehr mit Ihrem
Zahlenwerk nicht zukunftsfähig ist, Herr Minister.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514113500

Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat die Kol-

legin Ulrike Merten von der SPD das Wort.

(Beifall bei der SPD)



Ulrike Merten (SPD):
Rede ID: ID1514113600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na-

turgemäß sind Haushaltsdebatten, wenn sie gut laufen,
die Stunde der Opposition. Das ist keine Frage. Wenn
man aber aufmerksam zugehört und die Themen verfolgt
hat, die von Herrn Austermann bis zu Herrn Siebert an-
gesprochen worden sind, dann muss man sich wundern.
Die Beiträge erinnern weniger an eine realistische Haus-
haltsdiskussion als an eine Märchenstunde und den Ver-
such, das, was im Transformationsprozess durch die
Bundeswehr erfolgreich fortgesetzt werden soll, kleinzu-
reden und in Misskredit zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin dem Kollegen Nolting außerordentlich dank-
bar dafür, dass er in seinen Ausführungen den Kollegen
Austermann darauf hingewiesen hat, dass sich das, was
wir heute Morgen im Verteidigungsausschuss nach einer
ausführlichen Information durch den Minister sehr ernst-
haft diskutiert haben, in keiner Weise dazu eignet, in die-
ser Debatte instrumentalisiert zu werden.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hat doch keiner gemacht! Das ist doch völliger Quatsch! Es ging lediglich um die Frage der Information!)


Ich glaube, ich muss an dieser Stelle nicht noch ein-
mal darauf hinweisen – das haben meine Vorredner be-
reits getan –, dass wir selbstverständlich mit großer Be-
sorgnis auf das schauen, was vorgefallen ist. Wir haben
allen Anlass, genau auf die Motive zu schauen, die jene
bewogen haben könnten, so zu handeln. Wir müssen
aber auch die Motive derer genau untersuchen, die ganz
offensichtlich kein Gefühl dafür hatten, dass ihnen gro-
bes Unrecht angetan worden ist. Das sind die Fragen, die
uns bewegen. Eines sollten wir nicht tun: Wir sollten
nicht die Bundeswehr generell unter einen Verdacht stel-
len.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das tut niemand!)


Ich glaube, wir Verteidigungspolitiker tun gut daran, sol-
che Vorwürfe zurückzuweisen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514113700

Frau Kollegin Merten, erlauben Sie eine Zwischen-

frage?


Ulrike Merten (SPD):
Rede ID: ID1514113800

Nein. Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen,

sondern meine Ausführungen fortsetzen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Bravo!)


Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen, der hier
immer wieder eine Rolle gespielt hat: die Wehrpflicht.
Ich kann gut verstehen, dass man, wenn man die derzei-
tige Diskussion in meiner Partei verfolgt – auf die wir im
Übrigen zu Recht stolz sein können, weil wir diese Frage
nämlich wirklich offensiv aufnehmen und diskutieren –,
den Versuch unternehmen könnte, der SPD respektive
den Verteidigungspolitikern zu unterstellen, sie seien da-
bei, die Wehrpflicht infrage zu stellen. Das ist nicht so.


(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Bravo!)


Wir halten die Wehrpflicht nach wie vor für die bessere
und die modernere Wehrform, auch unter Berücksichti-
gung all der Fragen, die in dem Zusammenhang beant-
wortet werden müssen. Natürlich stellt sich die Frage
nach der Wehrgerechtigkeit und nach der Ausbildung.
Natürlich gehört die Frage, welchen Stellenwert Wehr-
pflichtige bei Auslandseinsätzen haben, ebenso dazu wie
die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Einsatzes nach
ihrer Ausbildung. Diese Fragen werden wir in aller Ruhe
in den nächsten Monaten miteinander diskutieren und
beantworten.

Ich will aber an dieser Stelle all jenen, die hier jetzt
immer beklagen, das Konzept der so genannten Trans-
formation – davon spricht Herr Austermann immer –,
lasse die Erfordernisse der Verteidigung unseres eigenen
Landes völlig außer Acht, sagen: Wahr ist doch, dass die
Einsätze heute und in der Zukunft sehr wahrscheinlich
Einsätze zur Krisenbewältigung und zum Konfliktma-
nagement sind und sein werden. Sich daran vorbei zu
mogeln hieße, den Realitäten nicht ins Auge zu sehen.
Auch Beiträge der Bundeswehr zum Kampf gegen den
internationalen Terrorismus gehören dazu. Auf diese
Anforderungen richten wir Struktur, Organisation und
Ausrüstung der Bundeswehr aus.

Im Haushaltsentwurf 2005 werden die konzeptionel-
len und operativen Vorgaben im Transformationsprozess
der Bundeswehr klar und deutlich abgebildet. Die Zeit,






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Merten

in der der Einzelplan 14 ein Brückenhaushalt war, ist
endgültig vorbei und das ist gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir setzen Prioritäten auf der Basis des finanziell Mach-
baren. Natürlich könnten wir auch ähnliche Luftnum-
mern machen, wie wir sie noch aus Ihrer Regierungszeit
kennen,


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Die Sie als Opposition selbst bestellt haben! Das ist wohl wahr!)


aber damit würden wir weder der Verteidigungs- und Si-
cherheitspolitik unseres Landes noch den Soldatinnen
und Soldaten dienen.

Zu den aktuellen Schwerpunkten gehören eine solide
Ausbildung und Einsatzbefähigung unserer Streitkräfte
auf hohem Niveau sowie eine gute allgemeine Ausrüs-
tung. Wer in diesem Zusammenhang immer darauf hin-
weist, das Material, das wir zur Verfügung stellen, sei alt
und verbraucht, der muss sich wirklich noch einmal ein
paar Jahre zurückerinnern und an das Geraffel denken,
mit dem die Bundeswehr ausgerüstet war, als Sie die
Verantwortung für diese Streitkräfte hatten.


(Beifall bei der SPD)

Zu den Schwerpunkten gehören weiter zivilberuflich
nutzbare Qualifikationen für unsere Frauen und Männer
in den Streitkräften und eine einsatzfähige Technik.

Alle im Gesamtspektrum denkbaren Waffen und Ge-
räte zu beschaffen, ermöglicht dieser Haushalt nicht. Das
wissen wir und das will auch ich überhaupt nicht leugnen;
das hat im Übrigen niemand getan. Der vorliegende
Haushalt schließt auch nicht alle Lücken zu den Fähigkei-
ten, zu denen wir uns in der NATO und in der EU ver-
pflichtet haben. Aber er markiert einen wichtigen Meilen-
stein zur notwendigen Modernisierung der Streitkräfte.
Wir haben heute Morgen im Verteidigungsausschuss da-
rüber gesprochen und werden in dieser Woche auch hier
im Bundestag noch darüber sprechen.

Der Haushalt ist ein wichtiger Meilenstein auf dem
Weg zur Modernisierung der Streitkräfte. Mit ihm kön-
nen wir außerdem unsere laufenden multinationalen Ein-
sätze finanzieren. Wir werden in Zukunft noch genauer
darauf achten, ob das, was wir beschließen, verantwort-
bar ist. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hin-
weisen, dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der
Opposition, heute Morgen im Verteidigungsausschuss
die Finanzierbarkeit eines denkbaren Einsatzes im Su-
dan nicht infrage gestellt haben.

Ich möchte noch einen anderen Punkt aufgreifen. An-
gesichts der Tatsache, dass Sie zwar bei jeder Gelegen-
heit über den – angeblich – drastisch unterfinanzierten
Verteidigungshaushalt lamentieren, dass Sie sich aber
nicht scheuen, an der einen oder anderen Stelle Kürzun-
gen zu fordern, frage ich mich, was Sie eigentlich wol-
len. Ich möchte nicht noch einmal die Vorschläge des
bayerischen Ministerpräsidenten oder von Herrn
Austermann, der glaubt, dass eine Kürzung sämtlicher
Bundesausgaben um 3 statt um 5 Prozent ausreichend
ist, als Beispiele bemühen.

Herr Kollege Austermann, da Sie in Ihrer Rede unser
Stationierungskonzept infrage gestellt haben, frage ich
Sie, wie das alles, was Sie fordern, zusammenpassen
soll. Auf der einen Seite wollen Sie, dass die Bundes-
wehr den Weg zu mehr Wirtschaftlichkeit einschlägt, um
größere Spielräume für Investitionen zu bekommen, und
dass sie als Arbeitgeber ihren Beschäftigten eine attrak-
tive Besoldungsstruktur bietet. Auf der anderen Seite
fordern Sie, an allen Standorten festzuhalten, und tun so,
als ob die Entscheidungen im Zusammenhang mit unse-
rem Stationierungskonzept nach dem Gusto von Duo-
dezfürsten und nicht nach sachlichen Erwägungen ge-
troffen worden wären. Dies ist einfach unseriös.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei aller Ernsthaftigkeit, die die Kolleginnen und
Kollegen der Opposition durchaus an der einen oder an-
deren Stelle gezeigt haben, ist wieder deutlich geworden,
dass Sie die Sicherheit unseres Landes allein über die
Verteidigungsausgaben definieren. Angesichts unserer
heutigen gesellschaftlichen Probleme – das zeigt doch
die Diskussion über Hartz IV in den letzten Monaten –
ist Ihr Ansatz aus meiner Sicht völlig unrealistisch. Un-
ser Verständnis von Sicherheit bindet auch die Aspekte
von sozialer Zufriedenheit und Wirtschaftskraft ein.
Das Gesamtwohl unseres Landes ist ein tragender Pfeiler
unserer Interessen und somit der Sicherheit unseres Lan-
des. Deshalb ist es unrealistisch, mehr Geld für die Ver-
teidigung zu fordern, wenn man weiß, dass dies zu gra-
vierenden Einschnitten in anderen gesellschafts- und
sozialpolitischen Bereichen führen wird.

Wir gehen einen anderen Weg. Wir nutzen die tat-
sächlich verfügbaren Haushaltsmittel für die Verteidi-
gung zukunftsorientiert und aufgabenbezogen, und zwar
für unsere Streitkräfte und die davon abhängige wehr-
technische Industrie. Es wird nur noch das beschafft,
was die Bundeswehr tatsächlich braucht. In der Ausrüs-
tungsplanung sind nur noch die Beschaffungsvorhaben,
die auch realisiert werden. Dadurch bekommen wir mit-
telfristig Gestaltungsspielraum für neue Rüstungsvorha-
ben und Waffensysteme, die im Streitkräfteverbund not-
wendig sind.

Mit dem Haushaltsentwurf 2005 für den Einzelplan 14
werden die konzeptionellen und operativen Vorgaben im
Transformationsprozess klar und deutlich abgebildet.
Der Einzelplan 14 ist zwar knapp bemessen, keine
Frage. Er ermöglicht aber, die Bundeswehr mit dem aus-
zustatten, was sie tatsächlich benötigt. Er bietet eine so-
lide Basis, um die Transformation fortzusetzen, und
Deutschland die Möglichkeit, weiterhin als verlässlicher
Partner in der internationalen Gemeinschaft anerkannt
zu werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514113900

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Dietrich Austermann.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1514114000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ver-

stehe, dass man angesichts der Verteidigungspolitik, die
Rot-Grün macht, einen Baum sucht, an dem man sich
reiben kann, und immer wieder deutlich machen will,
dass Positionen vertreten werden – der Verteidigungsmi-
nister läuft schon wieder in der Gegend herum –, die mit
der Realität angeblich nichts zu tun haben.

Erstens. Ich habe den Vorgang in Coesfeld nicht als
symptomatisch für die Situation in der Bundeswehr dar-
gestellt. Ich habe mich zu diesem Thema inhaltlich über-
haupt nicht geäußert. Ich habe beklagt, dass der Verteidi-
gungsminister hier – wie bei vielen anderen Punkten –
nicht bereit und in der Lage ist, das Parlament an Ent-
scheidungen zu beteiligen und es zu informieren. Dieser
Vorfall hat sich im Sommer zugetragen und wurde vor
wenigen Tagen über die Illustrierten bekannt. Diese Me-
thode ist nicht geeignet, um das Parlament zu informie-
ren. So geht man mit dem Parlament nicht um. Das war
der einzige Vorwurf, den ich gemacht habe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Es ist über die Frage gesprochen worden,

wer es mit der Bundeswehr mehr und wer es mit ihr we-
niger gut meint. Unsere Kürzungsvorschläge haben
sich zum Teil auf einen Bereich bezogen, in dem die
Leistung von der Industrie einfach nicht erbracht wird.
Es macht keinen Sinn, Geld für den Eurofighter bereit-
zustellen, wenn die Flugzeuge nicht rechtzeitig geliefert
werden. Das gilt für den NH 90 und für vieles andere.


(Johannes Kahrs [SPD]: 1,2 Milliarden wollte Stoiber sparen!)


– Man kann an dieser Stelle die Ausgaben kürzen. Wir
haben vorgeschlagen, dafür an anderer Stelle, bei For-
schung und Entwicklung, mehr Geld bereitzustellen.

Drittens. Frau Kollegin Merten, Sie haben das Statio-
nierungskonzept angesprochen. Wenn das von Herrn
Struck vorgestellte Konzept


(Johannes Kahrs [SPD]: Es ist richtig und gut!)


umgesetzt wird, müssen 30 000 Soldaten umziehen. Das
ist ohne Geld nicht zu machen. Das bedeutet, dass an
vielen Standorten zusätzlich Geld investiert werden
muss, um sie erst einmal herzurichten, damit die künf-
tige Aufgabe wahrgenommen werden kann. Den Ein-
druck zu vermitteln, das Ganze trage sich von selbst und
stehe mit der Finanzplanung im Einklang, ist völliger
Unfug.

Mein letzter Punkt. Wer meint es denn nun wirklich
gut?


(Johannes Kahrs [SPD]: Die Regierung!)

Unsere Vorschläge sehen Kürzungen in einer Größen-
ordnung von netto weniger als einer viertel Milliarde
Euro vor. Die jetzt vorliegende Finanzplanung unter-
scheidet sich von den Versprechungen des bisherigen,
also des 37. Finanzplans um 1 Milliarde Euro jährlich.
Das heißt, Sie nehmen der Bundeswehr jährlich 1 Milli-
arde Euro weg.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

Dennoch zeigen Sie mit dem Finger auf andere und wer-
fen ihnen vor, dass sie es mit der Bundeswehr nicht gut
meinen. Dieser Versuch ist völlig in die Hose gegangen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Heuchlerei! Das ist doch falsch! Das wissen Sie doch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514114100

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich das

Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin. Frau Merten kann
im Anschluss im Zusammenhang antworten.

Herr Koppelin, bitte schön.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1514114200

Herr Präsident! Die Darstellung der Kollegin Merten

über den Verteidigungsetat in der Zeit der CDU/CSU-
FDP-Koalition muss ich zurückweisen. Frau Kollegin,
ich habe den Eindruck, Ihnen fehlen die Kenntnisse. Was
Sie gesagt haben, kann ich so nicht stehen lassen.

Ich darf Sie daran erinnern – das können Sie in den
Protokollen nachlesen –, dass Ihre Fraktion, als sie in der
Opposition war, bei den Haushaltsberatungen so viele
Anträge auf Kürzung des Verteidigungsetats gestellt
hat, dass sich die Verteidigungspolitiker der SPD gewei-
gert haben, an der Abstimmung über den Verteidi-
gungsetat teilzunehmen.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ist es!)

Das ist die Wahrheit. Schauen Sie sich die Anträge an,
die Sie damals gestellt haben! Von den Grünen will ich
überhaupt nicht reden. Sie wollten die ganze Bundes-
wehr abschaffen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Ich sage nur Frau Matthäus-Maier! Das kann man in den Protokollen nachlesen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514114300

Zur Erwiderung hat Frau Merten das Wort.


Ulrike Merten (SPD):
Rede ID: ID1514114400

Ich will dem Kollegen Koppelin zuerst antworten.

Herr Kollege Koppelin, ich kann gut verstehen, dass Sie
nicht an eine Situation erinnert werden möchten, die Sie
gerne vergessen machen wollen. Ich habe mich im Zu-
sammenhang mit Ihrer ständigen Anklage, wir seien
nicht in der Lage, die Bundeswehr angemessen und mit
dem notwendigen Gerät auszustatten, geäußert. Ich habe
Sie in diesem Kontext an das erinnert, was wir in diesem
Zeitraum angeschafft haben, wie wir die Bundeswehr
ausgestattet haben und wie es zu Ihrer Zeit gewesen ist.






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Merten

Herr Kollege Austermann, ich wiederhole, was ich

gesagt habe: Sie versuchen jetzt, es so darzustellen, als
habe uns der Minister im Zusammenhang mit Coesfeld
nicht zeitnah und hinreichend informiert.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Genau das war der Fall!)


Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn das so war,
dann muss ich heute Morgen in einer ganz falschen Vor-
stellung gewesen sein.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das soll wohl so sein!)


Ich hatte heute Morgen den Eindruck, dass die Kollegen
und Kolleginnen des Verteidigungsausschusses das
Gefühl hatten, vom Verteidigungsminister angemessen
und rechtzeitig – so gehört es sich und so können wir es
erwarten – informiert worden zu sein.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Jetzt hat er informiert!)


Was den letzten Punkt, den sie angesprochen haben,
angeht: Der Kollege Kahrs hat mit der ihm eigenen Aus-
führlichkeit und Sachlichkeit die Zahlen genannt, um die
es hier de facto geht. Er hat genau dieses Gespinst von
Fantasie und Wunschdenken, was es letztlich ist, ausein-
ander genommen. Da gibt es nichts hinzuzufügen. Inso-
fern handelt es sich jetzt eher um eine Verlängerung der
Debatte. Wir tun vielleicht gut daran, sie an dieser Stelle
zu beenden. Dann machen wir uns auch bei den Kolle-
gen und Kolleginnen beliebt, die noch nach uns reden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514114500

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14

– Bundesministerium der Verteidigung – in der Aus-
schussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor,
über die wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/4344? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/4345? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion sowie
der beiden fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeord-
neten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Druck-
sache l5/4346? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Fraktionen gegen die Stimmen der Antragstellerinnen
abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 14 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-
plan 14 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP sowie der
beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen.

Tagesordnungspunkt I.16 a: Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Durchsetzung der Gleichstellung von
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf Drucksa-
che 15/3918. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
15/4255, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-
Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.

Tagesordnungspunkt I.16 b: Beschlussempfehlung
des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 15/4255.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/3717 mit dem Titel „Sol-
datinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsge-
setz zügig umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich?
– Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU-
und FDP-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/3049 mit dem Titel
„Frauen und Familien in der Bundeswehr stärken und
fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3960 mit dem
Titel „Bundeswehr stärken – Beschäftigungsbedingun-
gen für Soldatinnen und Soldaten verbessern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-
Fraktion angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:

Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
– Drucksachen 15/4318, 15/4323 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Schulte (Hameln)

Jochen Borchert
Alexander Bonde
Jürgen Koppelin

Über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf den
Einzelplan 23 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abge-
stimmt worden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Jochen Borchert von der
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1514114600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

beraten in dieser Woche in zweiter und dritter Lesung
einen Haushalt, von dem jeder weiß, dass er unsolide ist,


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Nicht so grob!)

auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite auf un-
realistischen Annahmen aufbaut und Risiken in Höhe
von mehreren Milliarden Euro enthält. Meine Damen
und Herren, so habe ich vor einem Jahr meine Haus-
haltsrede zum Einzelplan 23 begonnen. Ich muss heute
leider feststellen, dass sich an der katastrophalen Haus-
haltspolitik der Bundesregierung nichts, aber auch gar
nichts geändert hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Koppelin [FDP]: Es ist noch schlimmer geworden!)


– Dies kann ich nur unterstützen. – Die Aufnahme weite-
rer Schulden und der Verkauf des letzten Tafelsilbers
stellen keine strukturellen Änderungen in der Haushalts-
politik dar, sondern sind ein Armutszeugnis und ein Be-
leg für die Einfallslosigkeit dieser Bundesregierung.


(Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Strukturveränderungen haben Sie auch nicht gemacht!)


Es kann und darf nicht sein, dass auf dem Rücken der
nächsten Generationen leichtfertig Politik gemacht wird,
so nach dem Motto: Heute wird die Bilanz schöngeredet
und morgen müssen die Nächsten sehen, wie sie damit
zurechtkommen.

Meine Damen und Herren, ein entwicklungspoliti-
sches Mittel ist der Erlass von Schulden, weil wir wis-
sen, dass diese eine der größten Bremsen für die wirt-
schaftliche Entwicklung von Ländern darstellen. Die
Überlegung, Schulden abzubauen, um wieder Freiräume
für Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen, ist nicht nur
in Bezug auf Entwicklungsländer richtig, sondern gilt
auch für entwickelte Industrieländer. Unter der rot-grü-
nen Bundesregierung explodieren die Schulden in
Deutschland jedoch weiter.


(Lothar Mark [SPD]: Aber nicht in der Dimension wie vorher!)


Es ist einfach unverantwortlich, wie hier mit der Zukunft
nachfolgender Generationen umgegangen wird.

Ich will hier nicht alle Versäumnisse und Missstände
des Gesamthaushaltes aufzeigen, aber sie haben einen
erheblichen Einfluss auf den Einzelplan des Bundesmi-
nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, den wir jetzt beraten. Auf den ersten Blick
könnte man den Eindruck gewinnen, dass beim Einzel-
plan 23 eine Verbesserung gegenüber dem letzten Jahr
eingetreten ist. Bei genauerem Hinsehen werden aber die
Mängel offensichtlich: Sowohl die globale Minderaus-
gabe als auch die Mittelverwendung durch das Aus-
wärtige Amt verringern das verfügbare Mittelvolumen
für das BMZ.


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das stimmt diesmal nun wirklich nicht! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätten Sie besser eine neue Rede schreiben sollen!)


Dabei handelt es sich möglicherweise, Frau Kollegin,
um immerhin knapp 160 Millionen Euro; diese Tatsache
wird auch durch Zwischenrufe nicht besser.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Doch!)


Dies ist ja nicht gerade wenig Geld für einen so kleinen
Etat. Wenn man diese Abzüge berücksichtigt, erscheint
die Erhöhung des Etats für das Jahr 2005 um 76 Millio-
nen Euro in einem anderen Licht. Ich gebe gerne zu:
Ohne den engagierten Einsatz der Frau Kollegin Schulte
bei den Beratungen der Koalition wäre die Situation im
Einzelplan 23 noch dramatischer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP] – Karin Kortmann [SPD]: Wir wissen, was wir an ihr haben!)


Frau Ministerin, Sie haben sich bei den Haushaltsbe-
ratungen im Kabinett nicht durchsetzen können und in
der ersten Lesung einen Haushaltsentwurf eingebracht,
der exakt dem Haushalt von 2004 entsprach. Das heißt,
Sie haben für 2005 keinerlei Verbesserungen erreicht.
Ohne den Einsatz der Haushälter läge der Etat 2005 un-
ter Berücksichtigung der globalen Minderausgaben um
rund 50 Millionen Euro unter dem Soll von 2004.


(Lothar Mark [SPD]: Da können Sie einmal sehen, was Parlamentarier bewirken können!)


– Das war aber auch die einzige Tat, die die Koalition im
Haushaltsausschuss vollbracht hat. – Bei den Beratun-
gen im Haushaltsausschuss hat die Koalition dann aber
leider nicht die Kraft gehabt, die globale Minderausgabe






(A) (C)



(B) (D)


Jochen Borchert

auf einzelne Titel aufzuteilen. Dies soll nun durch das
Ministerium erfolgen.

Durch die Umsetzung dieser globalen Minderausgabe
gerät das Verhältnis von bilateraler und multilateraler
Entwicklungszusammenarbeit immer mehr in eine
Schieflage zugunsten der multilateralen EZ. Daran wer-
den auch die punktuellen Erhöhungen dieses Haushalts
nichts ändern. Die rein optische Erhöhung des Etats ist
keine strukturelle Verbesserung, geschweige denn ein
Hoffnungsschimmer für die entwicklungspolitische Zu-
sammenarbeit. Strukturell werden in diesem Etat keine
Verbesserungen vorgenommen. Erst eine Erhöhung der
Verpflichtungsermächtigungen würde eine strukturelle
Veränderung bedeuten und in der Entwicklungspolitik,
vor allem im bilateralen Bereich, zusätzliche Gestal-
tungsmöglichkeiten eröffnen.

Sehr geehrte Frau Ministerin, in der Öffentlichkeit
lassen Sie sich dafür loben, dass das Volumen des ent-
wicklungspolitischen Haushalts um 2 Prozent gestiegen
ist. In Wahrheit aber lassen Sie sich diese Steigerung
über die Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe
ganz oder teilweise wieder abnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mit der Verabschiedung des Haushalts bleibt ungewiss,
über wie viel Mittel Sie tatsächlich verfügen können.
Diese Politik der ungeklärten Haushaltsansätze – nie-
mand weiß, in welcher Größe hier noch globale Minder-
ausgaben umgesetzt werden müssen – ist eine Zumutung
für die Öffentlichkeit, das Parlament, die Durchführungs-
organisationen und vor allem die Entwicklungsländer.

Nicht nur, dass der Etat den gestiegenen Anforderun-
gen nicht angepasst wird, nein, wir verlagern unsere Mit-
tel auch immer mehr in den multilateralen Bereich. Sie
kürzen in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
mit dem Hinweis, dass in der multilateralen EZ die Zah-
lungsverpflichtungen vertraglich festgelegt seien. Aber
Sie wollen dies auch gar nicht ändern; denn gleichzeitig
beschließen Sie mit dem Haushalt 2005 neue Zahlungs-
verpflichtungen für die multilaterale EZ und schaffen so
die Begründung für erneute Kürzungen bei der bilatera-
len Zusammenarbeit in den nächsten Jahren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514114700

Herr Kollege Borchert, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Hoppe?


Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1514114800

Aber gern.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514114900

Herr Kollege Borchert, ich frage Sie, warum Sie nicht

anerkennen können, dass es einen tatsächlichen Auf-
wuchs der Mittel für den Einzelplan 23 gibt. Natürlich
schlägt die globale Minderausgabe zu Buche; aber selbst
wenn man sie abzieht, bleibt unter dem Strich ein Saldo
von 38 Millionen Euro, die zusätzlich in die Entwick-
lungszusammenarbeit fließen. Auch ich habe von der
Koalitionsseite aus in der letzten Debatte Kritik an den
zu geringen Ansätzen im Haushalt geübt, aber jetzt gibt
es einen tatsächlichen Aufwuchs um 38 Millionen Euro.
Es stünde der Opposition gut an, dies anzuerkennen.


Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1514115000

Herr Kollege, ich würde das gern anerkennen, wenn

es zuträfe. Die globale Minderausgabe von 1,1 Milliar-
den Euro im Gesamthaushalt ist noch nicht auf die ein-
zelnen Etats verteilt. Wenn diese 1,1 Milliarden Euro
globale Minderausgabe nach dem gleichen Schlüssel
verteilt werden, nach dem die 900 Millionen Euro auf
die Einzeletats verteilt worden sind


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


– natürlich! –, dann ist am Ende das verfügbare Soll des
Einzelplans niedriger als im Jahre 2004. Ich weiß, dass
die Koalition die Hoffnung hat, dass der Einzelplan 23
von der Verteilung der 1,1 Milliarden Euro ausmachen-
den globalen Minderausgabe nicht betroffen wird. Ob
diese Hoffnung zutrifft, steht in den Sternen. Es muss
zumindest kritisiert werden, dass hier ein Etat vorgelegt
wird, bei dessen Verabschiedung wir nicht wissen, wie
hoch die Mittel sein werden, die dem Ministerium am
Ende wirklich zur Verfügung stehen. Da lösen sich Ihre
38 Millionen Euro wahrscheinlich in Luft auf.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514115100

Herr Kollege Borchert, erlauben Sie eine weitere

Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Koppelin?

Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1514115200

Aber gern.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514115300

Es droht noch eine dritte Zwischenfrage. Ich mache

nur darauf aufmerksam.

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1514115400

Herr Kollege Borchert, Sie sind, da wir hier über eine

Erhöhung von 38 Millionen Euro gesprochen haben, si-
cher in der Lage, das Haus darüber zu informieren, wie
das mit diesem Etat war. Können Sie berichten, vor al-
lem in Richtung der Grünen, wie das Auswärtige Amt
beim Einzelplan 23 abkassiert hat, ohne dass die für Ent-
wicklungshilfe zuständige Ministerin darauf Einfluss
nehmen konnte, sodass am Ende weniger herauskam, als
wir vorgesehen hatten?


Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1514115500

Nach der Verabschiedung des Haushaltes für das Jahr

2004 ist auf den Einzelplan 23 noch die globale Minder-
ausgabe umgelegt worden. Diese Kürzung betrug 38 Mil-
lionen Euro. Außerdem flossen aus diesem Einzelplan
noch 80 Millionen Euro für das Auswärtige Amt ab.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


In diesem Jahr droht eine weitere Kürzung aufgrund
der noch offenen globalen Minderausgabe in Höhe von
1,1 Milliarden Euro. Außerdem fließen 70 Millionen






(A) (C)



(B) (D)


Jochen Borchert

Euro an das Auswärtige Amt ab. Am Ende fällt also die
Bilanz, was die verfügbaren Mittel anbelangt, für das
Ministerium insgesamt sehr negativ aus.


(Jürgen Koppelin [FDP]: So ist es!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514115600

Herr Borchert, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage

des Kollegen Diller?


Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1514115700

Aber gern.


Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1514115800

Herr Kollege Borchert, als altgedienter Haushälter

müssten Sie eigentlich wissen, wie eine unspezifizierte
globale Minderausgabe im Einzelplan 60 erwirtschaftet
wird, nämlich in ganz wesentlichen Bereichen durch
eine vorsichtige Veranschlagung von Mitteln, die dann
nicht in Anspruch genommen werden müssen, durch
Einsparungen bei Zinsen und Gewährleistungen etc. pp.
Sie wird also nicht auf die Häuser umgelegt.

Wären wir Ihren Anträgen gefolgt, in den einzelnen
Titeln Kürzungen bei Zinsen und Gewährleistungen in
Höhe von Hunderten von Millionen Euro durchzufüh-
ren, hätten wir diese Reserve überhaupt nicht mehr ge-
habt. Dann wäre der Fall eingetreten, den Sie jetzt be-
fürchten, nämlich dass die Ressorts die globale
Minderausgabe allein hätten erwirtschaften müssen.

Es zeigt sich also: Ihr Vorschlag wäre der falsche ge-
wesen. Unser Vorschlag ist der richtige.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was will der Dichter damit sagen?)



Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1514115900

Herr Kollege Diller, ich freue mich, dass Sie zur glo-

balen Minderausgabe fragen. Ich kann mich noch an den
damaligen haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Frak-
tion erinnern,


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wie hieß der Kollege?)


der im Parlament immer davon gesprochen hat, es sei
eine unglaubliche Schwäche der Regierung und Koali-
tionsfraktionen, dass sie nicht in der Lage seien, die glo-
bale Minderausgabe auf Einzeltitel umzulegen. Wenn
wir damals mit einer globalen Minderausgabe in Höhe
von 1,1 Milliarden Euro – das entspricht 2,2 Milliar-
den DM – im Einzelplan 60 im Parlament angetreten
wären, hätten Sie aufgeschrien, Herr Diller.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daran möchte ich Sie heute gerne messen.

Zu einer weiteren Aussage von Ihnen: Wenn ich mich
recht erinnere, haben Sie auch im Vorjahr gesagt, dass
die globale Minderausgabe im Einzelplan 60 erwirt-
schaftet wird.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Genau!)

Sie ist aber nach der Verabschiedung des Haushalts auf
die Einzelpläne umgelegt worden und hat, wie schon ge-
sagt, den Einzelplan 23 in einer Größenordnung von
38 Millionen getroffen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

An Ihre Aussage, dass der Betrag von 1,1 Milliarden
Euro im Einzelplan 60 erwirtschaftet wird, ohne dass die
Einzelpläne betroffen sind, werde ich Sie im Laufe des
Vollzugs dieses Haushaltes erinnern. Ich glaube nicht
daran, dass es so sein wird, wie Sie gesagt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Diller, wenn Sie die globale Minderausgabe im

Einzelplan 60 so locker erwirtschaften, dann wundere
ich mich, warum Sie nicht von vornherein die einzelnen
Titel um diesen Betrag gekürzt und auf die globale Min-
derausgabe verzichtet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war ein Blattschuss!)


Wer in der Politik gestalten will, der muss dies zu-
kunftsgerichtet tun. Im Haushalt ermöglichen die Ver-
pflichtungsermächtigungen einen Blick auf die zu-
künftige Gestaltung des Haushaltes. Es ist festzustellen,
dass es hier keine strukturellen Veränderungen gibt: we-
der richtungweisende Erhöhungen noch richtungwei-
sende Kürzungen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Ich denke, dieser Haushalt ist ein Haushalt der Ein-

fallslosigkeit. Hier gibt es weder Visionen noch den Mut,
die bewährte deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu
stärken. Diese Einfallslosigkeit spiegelt sich in allen
Positionen dieses Haushalts wider. Vorausschauend, effi-
zient, nachhaltig – so sollte die entwicklungspolitische
Zusammenarbeit aussehen. Die deutsche entwicklungs-
politische Zusammenarbeit wird aber immer mehr zu ei-
nem unbeweglichen Konstrukt ohne Visionen.

Ein erschreckendes Beispiel für die mangelnde Flexi-
bilität und Koordination ist das Reagieren auf die Heu-
schreckenplage in Afrika. Fachleute haben frühzeitig
vor der Gefahr großer Heuschreckenschwärme gewarnt
und ein sofortiges Eingreifen gefordert. Mit nur einem
Bruchteil der jetzt notwendigen Mittel hätte durch früh-
zeitige Schädlingsbekämpfung das Desaster verhindert
werden können. Die Folgen dieser Naturkatastrophe sind
schon jetzt schlimmer als alle Kriege in Afrika zusam-
men. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.

Was noch im Herbst letzten Jahres mit wenigen
Millionen hätte verhindert werden können, wird jetzt zu
einer Katastrophe. Die Bekämpfung der Schädlinge zum
jetzigen Zeitpunkt ist schwierig und kostenintensiv. Die
Folgen der Ernteausfälle sind noch nicht abschätzbar.
Auf den Hilferuf der Welternährungsorganisation haben
die Geberländer viel zu spät reagiert.

Die Notwendigkeit, sich an internationalen Geberge-
meinschaften zu beteiligen, will ich hier nicht in Zweifel
ziehen. Allerdings müssen die wenigen Mittel, die uns
zur Verfügung stehen, sinnvoll eingesetzt werden – mit






(A) (C)



(B) (D)


Jochen Borchert

dem Ziel einer nachhaltigen Hilfe für die Entwicklungs-
länder. Hier hätte man sehr viel früher in Afrika helfen
können, als es jetzt mit vielen Mitteln erforderlich ist.
Entscheidend sind beim Einsatz die Wirksamkeit und die
Effizienz des Mitteleinsatzes. Dies muss bedeuten: keine
weitere Kürzung der bilateralen Hilfe – weder verdeckt
noch offen.

Ich will noch auf die Entwicklung der ODA-Quote
eingehen. Für das Jahr 2003 liegen wir bei geschätzt
0,28 Prozent. Das ist nun wahrlich kein großer Sprung
nach vorn. Auch die Zahlen für 2000 und 2001 waren
auf 0,28 Prozent geschätzt worden. Die offizielle
OECD-Statistik weist jetzt nur noch 0,27 Prozent aus.

Ihr Ziel, Frau Ministerin, bis zum Jahr 2006 eine
ODA-Quote von 0,33 Prozent zu erreichen, ist ange-
sichts der Haushaltssituation nur noch ein Wunschtraum.
Die für dieses Ziel notwendige Mittelerhöhung im Ein-
zelplan 23 werden Sie im Haushalt 2006 nicht erreichen.
Die dafür erforderliche Aufstockung im Haushalt 2006
ist nur dann möglich, wenn noch mehr Einmaleinnah-
men als 2005 eingeplant werden. Aber so viel Tafelsilber
steht der Bundesregierung für 2006 nicht mehr zur Ver-
fügung. Der Verkauf von weiteren Forderungen zulasten
der nächsten Generation wäre in der dafür erforderlichen
Größenordnung nicht zu realisieren.

Natürlich werden Sie versuchen, die ODA-Quote
durch einen steigenden Schuldenerlass auf dem derzeit
immer noch viel zu niedrigen Niveau zu stabilisieren.
Mehr als eine Stabilisierung der ODA-Quote werden Sie
auch über einen steigenden Schuldenerlass nicht errei-
chen.

Wir unterstützen die Politik des Schuldenerlasses auf
der Grundlage verbindlicher Verpflichtungen der Ent-
wicklungsländer, die damit gewonnenen Finanzierungs-
spielräume für eine aktive Armutsbekämpfung zu nut-
zen. Dies ersetzt aber nicht die derzeit rückläufigen
Barmittel in der Entwicklungshilfe. So richtig und so
notwendig der jetzt vereinbarte Schuldenerlass für den
Irak auch ist, Sie helfen damit nicht den Entwicklungs-
ländern, da Sie die für deren Unterstützung vorgesehe-
nen Mittelansätze im Haushalt kürzen oder ganz strei-
chen müssen. Der Schuldenerlass kann die finanzielle
Förderung der Entwicklungsländer sinnvoll unterstüt-
zen. Er darf aber nicht an die Stelle einer dringend not-
wendigen Finanzierung von gemeinsamen Projekten tre-
ten.

Frau Ministerin, 1999 haben Sie vollmundig erklärt
– ich zitiere –:

Mit dem jetzt vorgelegten Bundeshaushalt haben
wir den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes
gestoppt und die Grundlage für eine Aufwärtsent-
wicklung geschaffen.

Was ist aus der angekündigten Trendwende in der
Entwicklungspolitik geworden? Bis heute ist keine
Trendwende erkennbar. Das machen die folgenden Zah-
len deutlich: 1998, im letzten Jahr der Bundesregierung
unter Helmut Kohl, wurden für die Entwicklungspolitik
noch 4,05 Milliarden Euro ausgegeben. Im Jahr 2005
sollen es nur noch 3,86 Milliarden Euro sein. Davon
können Sie die globale Minderausgabe und die 70 Millio-
nen Euro abziehen, die an das Auswärtige Amt gehen.
Sie liegen dann voraussichtlich nur noch bei knapp
3,7 Milliarden Euro und werden somit 350 Millionen
Euro weniger zur Verfügung haben als 1998.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Dies ist die Trendwende. Auch für Sie, Frau Ministe-
rin, gilt: Nicht an Ihren Reden, sondern an Ihren Taten,
an der Entwicklung des Haushalts werden Sie gemessen.
Das Ergebnis ist für Sie niederschmetternd.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aber nicht nur in absoluten Zahlen schrumpft der
Haushalt seit sieben Jahren; auch der Anteil am
Gesamthaushalt ist weiter rückläufig. Diese rot-grüne
Koalition stellt Jahr für Jahr einen immer geringeren An-
teil am Bundeshaushalt für die Entwicklungsländer be-
reit. Die Entwicklungspolitiker, die Durchführungsorga-
nisationen und die Entwicklungsländer träumen doch
heute von der Bedeutung und der Mittelausstattung, die
der Einzelplan 23 noch 1998 hatte.


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Na, na!)

– Aber natürlich, Brigitte! Damals betrug der Anteil am
Gesamthaushalt 1,7 Prozent; heute sind es noch 1,46 Pro-
zent. Bei einem Anteil von 1,7 Prozent des Einzelplans 23
am Gesamthaushalt stünden heute 623 Millionen Euro
mehr zur Verfügung, als heute tatsächlich in den Haus-
halt eingestellt sind.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Trotz schöner Reden, vor allem auf internationalen
Konferenzen: Die Entwicklungshilfe verliert in dieser
Koalition, in dieser Bundesregierung immer mehr an Be-
deutung. Die Entwicklungshilfe wird zur Manövrier-
masse einer gescheiterten Haushaltspolitik. Dieser Haus-
halt ist ein Dokument der gescheiterten rot-grünen
Finanzpolitik und Entwicklungspolitik. Deshalb lehnen
wir diesen Haushalt ab.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514116000

Das Wort hat nun die Kollegin Brigitte Schulte, SPD-

Fraktion.

Brigitte Traupe (SPD):
Rede ID: ID1514116100

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege
Borchert, ich bezweifle nicht, dass wir uns in einer Zeit
mit schwierigen Haushaltsfragen befinden. Ich stelle mir
manchmal vor, Sie wären an unserer Stelle.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir uns nicht vorstellen!)


Ich bin ziemlich überzeugt, dass die Bilanz kaum besser
ausfallen würde als die, die wir nun mit einer großen






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Schulte (Hameln)


Kraftanstrengung erreicht haben. Eines können Sie lei-
der nicht leugnen: Der Entwicklungsetat stellt trotz
schwieriger Haushaltslage einen Lichtblick dar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Darauf sind wir stolz.
Es ist den Koalitionspartnern gelungen – das haben

Sie freundlicherweise gesagt –, die personellen und fi-
nanziellen Ressourcen für 2005 zu verbessern. Ich freue
mich sehr, dass ich mit dem Kollegen Bonde und mit den
Kollegen im Fachausschuss – ich schaue dabei Frau
Kortmann und Herrn Hoppe an – ganz leidenschaftliche
Mitkämpfer hatte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich gebe zu, dass wir für die Erreichung dieses Ziels
gebissen und gekratzt haben. Denn, Herr Borchert, ich
stimme Ihnen zu: Wir sind verpflichtet, die wachsenden
internationalen Aufgaben zu bewältigen. Sie waren es
– es ist interessant, dass Sie das heute vergessen haben –,
die am 29. Januar 2003 im Haushaltsausschuss den Vor-
schlag gemacht haben, den Bundesrechnungshof zu be-
auftragen, zu prüfen, wie die Ressortabstimmung in den
Arbeitsbereichen mit entwicklungspolitischen Bezügen
erfolgt. Wir haben ihn dann zweimal mahnen müssen;
aber am 28. August 2004 – man höre und staune –, nach
anderthalb Jahren, bestätigte er tatsächlich in einem um-
fangreichen Gutachten, dass die Abstimmung unter die-
ser Regierung weitgehend reibungslos verläuft. Nach
seinen Recherchen – die Untersuchung bezog sich auf
das Jahr 2002 – entfielen von den im Bundeshaushalt
veranschlagten 4,7 Milliarden Euro, die auf die ODA-
Quote angerechnet werden – Sie wissen genau, dass sie
nicht nur den jeweiligen Etatansatz umfasst –, 78 Pro-
zent auf das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung, 18 Prozent auf das Aus-
wärtige Amt und 3 Prozent auf Beitragsleistungen
anderer Ressorts, unter anderem des Finanzministe-
riums. Lediglich 1 Prozent betraf Vorhaben anderer Res-
sorts für die bilaterale Zusammenarbeit. Das ist ein gutes
Ergebnis.

Wir unterstützen deshalb die Empfehlung des Bun-
desrechnungshofes, die Länderprogrammplanungen der
verschiedenen Ressorts unter der Federführung des
BMZ zu bündeln, ohne – das sage ich ausdrücklich – die
Kompetenzen des Auswärtigen Amtes zu missachten.
Wir waren mit dem Rechnungshof der Meinung, dass
das BMZ – übrigens auch der Fachausschuss – in allen
für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit bedeut-
samen Bereichen Zugang zur Berichterstattung der Aus-
landsvertretungen erhalten soll. Um dies zu fördern, ha-
ben wir – auch das haben Sie freundschaftlich
verschwiegen – dem BMZ mit diesem Haushalt Mittel
für zusätzliches Personal beschafft, damit mehr Mitar-
beiter des BMZ in den Auslandsvertretungen eingesetzt
werden können.

Ich bezweifle überhaupt nicht, dass wir im Parlament
über Jahrzehnte hinweg und egal, wer gerade regiert hat
– ob nun die SPD mit der FDP, ob die SPD mit der CDU,
ob Sie ohne uns oder wir jetzt mit den Grünen –, einen
guten Stil der wirtschaftlichen Entwicklung entwickelt
haben, und zwar auch dank der Haushälter; das muss ich
hier ausdrücklich sagen. Dies ist möglich, weil wir Mar-
kenzeichen haben, die andere nicht besitzen: Das ist die
vom Haushaltsausschuss initiierte und durchgesetzte Ge-
sellschaft für Technische Zusammenarbeit. Die haben
nicht viele.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Das ist die Arbeit, auch darauf sollten wir gemeinsam
stolz sein, der politischen Stiftungen – auch diese haben
nicht viele –, die helfen, Pluralität in den Entwicklungs-
ländern zu schaffen. Und das ist die Kreditanstalt für
Wiederaufbau, die man hierbei nicht vergessen darf. Das
sind Markenzeichen deutscher Entwicklungspolitik.

Zur Bewältigung internationaler Krisen und bei der
Bekämpfung globaler Seuchen – Sie haben völlig zu
Recht auf die katastrophale Situation in Afrika hinge-
wiesen; die Heuschreckenplage ist ja inzwischen in
Ägypten angekommen – müssen die Länder besser mul-
tilateral zusammenarbeiten. Deswegen, Frau Ministerin,
sind wir als Haushälter so skeptisch, was die globale und
multilaterale Arbeit betrifft.

Ich habe das Gefühl – das hatte ich auch schon früher
in meiner anderen Funktion –, dass alle im Grunde alles
machen wollen. Die Gefahr besteht, dass es nicht genü-
gend koordiniert wird. Sie haben sich auf unseren
Wunsch hin intensiv dafür eingesetzt. Dennoch bleibe
ich dabei: Wenn man auf den Balkan, Afghanistan oder
Palästina blickt, dann sieht man, dass zu viele internatio-
nale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen
dort arbeiten. Es kommt zu einem Nebeneinander und
Gegeneinander mit unterschiedlichen Kompetenzen. Da-
her möchte ich, dass wir unsere sehr guten Instrumente
stärker und engagierter einbringen: GTZ, KfW, politi-
sche Stiftungen, unsere Kirchen und all die anderen
deutschen Entwicklungsorganisationen, die ein großes
Expertenwissen haben, engagiert sind und die wir kurz-
und längerfristig einsetzen können.

Herr Borchert, Sie hätten ruhig auch das sagen können:
Bei der internationalen Evaluierung durch die Weltbank in
diesem Jahr haben die GTZ und die KfW bewiesen, dass
sie in den Bereichen strategische Ausrichtungen, Mitar-
beiterqualifikation, Ergebnisverantwortung, Wissensma-
nagement und Einsatz angemessener Instrumente an der
Spitze liegen. Herzlichen Glückwunsch. Auch das ist ein
Erfolg von uns und der Regierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde, Frau Ministerin, auch das sollte man sagen.
Organisationen von dieser Qualität haben nicht viele.
Die beiden Koalitionsparteien haben – das haben Sie
auch verschwiegen, weil es Ihnen nicht passt – die An-
sätze für die technische und die finanzielle Zusammenar-
beit ganz erheblich angehoben. Wir werden kratzen, bei-
ßen und alles tun, was wir können, wenn es um die
Auflösung der globalen Minderausgabe geht, damit
dieses Ressort zum Schluss angegangen wird. Dabei






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Schulte (Hameln)


rechne ich mit Ihrer tatkräftigen und kompetenten Hilfe,
auch beim Kratzen und Beißen.

Wir erwarten natürlich als Gegenleistung, Frau Mi-
nisterin, dass Ihre Mitarbeiter, die ich sehr schätze, sich
in den internationalen Institutionen, wie der Weltbank,
der UNO und dem Europäischen Entwicklungsfonds,
dafür einsetzen, dass diese Organisationen, die ich ge-
rade gelobt habe, stärker zum Einsatz kommen. Wo un-
ser Geld drin ist, Herr Koppelin, wollen wir es auch
durch deutsche Experten ganz wesentlich verwendet se-
hen.

Wir als Haushaltsausschuss werden keine Aufsto-
ckung internationaler Finanzraten mehr mitmachen,
wenn wir nicht stärker an der Umsetzung beteiligt sind
und wir nicht früher gefragt werden. Herr Diller – Sie
sitzen jetzt in einer anderen Funktion hier –, wir schät-
zen es nicht, dass wir erst in der Beratung feststellen,
dass wieder etwas erhöht wird. Wir möchten früher in-
formiert werden. Das ist Ihre Aufgabe als Bundesfinanz-
ministerium.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich könnte Ihnen noch viel erzählen, aber das tue ich
nicht. Ich will nur noch auf ein Land hinweisen, in dem
die Hilfe ganz besonders erfolgreich war, dem wir aber
dennoch weiter helfen sollten. China ist das Land, wel-
ches in den letzten zwei Jahrzehnten die Armutsbekämp-
fung erfolgreicher als alle anderen Staaten betrieben hat,
und zwar aus eigener Kraft und mit unserer Hilfe.

Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Dieses Land
hat 1 292 Millionen Einwohner. Davon sind 1 000 Mil-
lionen Einwohner älter als 16 Jahre. Man geht davon
aus, dass die arbeitsfähige Bevölkerung 700 Millionen
Menschen umfasst. Zum Vergleich: Europa hat insge-
samt nur 772 Millionen Einwohner. Der starke Struktur-
wandel wird bewirken, dass noch mehr Menschen ihre
Arbeitsplätze verlieren. Wenn also jemand sagt, dass
China unsere Hilfe nicht braucht, dann möge er im Hin-
terkopf haben, was amerikanische Experten errechnet
haben: Schon heute sind dort 175 Millionen Menschen
im arbeitsfähigen Alter von verdeckter Arbeitslosigkeit
betroffen.


(Markus Löning [FDP]: Diese Bundesregierung weiß ja sicher sehr gut, wie man das mit den Arbeitslosen macht!)


Das ist plump!

(Markus Löning [FDP]: Nein!)


Wir ergreifen also jede Chance – auch deswegen haben
wir diese Mittel aufgestockt –, um junge chinesische
Wissenschaftler auszubilden.


(Markus Löning [FDP]: Aber doch nicht aus Arbeitslosigkeitsgründen! Das ist doch lächerlich!)


Liebe Frau Ministerin, abschließend sage ich Ihnen:
Wir sind mit Ihrer Arbeit einverstanden.


(Beifall bei der SPD)

Wir kämpfen mit Ihnen und danken Ihren Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern; denn Ihr Haus ist kompetent. Ich
bitte auch die Opposition um Zustimmung zu diesem
Haushalt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514116200

Das Wort hat der Kollege Markus Löning, FDP-Frak-

tion.

Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1514116300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die

ODA-Quote vom Kollegen Bordiert angesprochen
wurde, bitte ich die Ministerin, die ja nachher redet, uns
einmal kurz darzustellen, wie sie ihre internationalen
Zusagen im nächsten Jahr einhalten will. Wir müssten
den Etat in einer Größenordnung von mehreren Hundert
Millionen Euro aufstocken,


(Ulrich Heinrich [FDP]: Um 1 Milliarde Euro!)


um das einzuhalten, was Sie international zugesagt ha-
ben.

Ich hätte von Ihnen gerne Antworten auf zwei Fragen:
Wie wollen Sie das im nächsten Jahr schaffen? Und
wenn Sie es schaffen, wie lässt sich die Tatsache, dass in
diesem Bereich Geld ausgegeben wird, das letztendlich
unsere Kinder zurückzahlen müssen – schließlich hat
diese Bundesregierung bereits jetzt eine Rekordver-
schuldung zu vertreten –, mit Ihren Zielen von Nachhal-
tigkeit und Generationengerechtigkeit vereinbaren? Mei-
nes Erachtens sollten Sie versuchen, einen neuen Weg zu
gehen: Wir müssen bei der Entwicklungshilfe stärker auf
Effizienz achten und uns von dem fixen Ziel einer be-
stimmten Ausgabenhöhe lösen. Wir brauchen Effizienz
und den gezielten Einsatz der Mittel.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist das Wesentliche; Sie hängen Schimären an.

(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Aber das machen wir doch!)

– Das sehe ich nicht. Auch Sie, Frau Schulte, haben
diese Position gerade wieder vertreten.

Es ist – das ist nicht polemisch gemeint –, wirklich
wichtig, dass wir uns ernsthaft mit dieser Frage ausei-
nander setzen; denn die Finanzsituation des Bundes –
das betrifft die Länder genauso – ist mehr als ernst. Ich
finde, die Ernsthaftigkeit der Situation spiegelt sich in
den Debatten, die ich heute und gestern hier verfolgt
habe, nicht wider.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Ich würde mir das allerdings wünschen, auch in dieser
Debatte, einer Fachdebatte, in der wir als Entwicklungs-
politiker natürlich immer dafür eintreten, dass für unser
Ressort Geld bereitgestellt wird. Dennoch müssen wir
die Gesamtsituation im Auge behalten.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Markus Löning

Lassen Sie mich noch auf ein paar andere Punkte zu

sprechen kommen. Frau Ministerin, ich habe Ihnen von
dieser Stelle aus schon oft vorgeworfen, Ihre PR sei bes-
ser als Ihre Politik. Im Moment zweifle ich daran jedoch
ein bisschen. Im Rahmen der Diskussion über Anker-
und Schwellenländer, die Sie in den letzten Wochen los-
getreten haben, haben Sie vieles gesagt, was richtig ist,
und mir aus dem Herzen gesprochen. Sie haben manche
Ziele, die Sie früher vertreten haben – zum Beispiel die
Armutsbekämpfung in bestimmten Schwellenländern –,
zu Recht infrage gestellt.

Sie, Frau Schulte, haben gerade wieder die Situation
in China angesprochen. Ich glaube allerdings, dass ich
Sie falsch verstanden habe. Denn ich habe Sie so ver-
standen, dass chinesische Wissenschaftler wegen der
Problematik der Arbeitslosigkeit in China nach Deutsch-
land kommen sollten.


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein! Damit wir sie ausbilden!)


Ich bin sehr dafür, die Mittel, die wir in China für Pro-
gramme zur Armutsbekämpfung zur Verfügung stellen
– was aus meiner Sicht falsch ist –, in Programme zum
Wissenschaftsaustausch umzuwidmen.


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Diese Mittel haben wir auch erhöht!)


Das ist ein richtiger und unterstützenswerter Weg, den
wir gehen sollten. Aber wir müssen uns auch darüber
klar sein, dass die Chinesen, Inder und viele andere in-
zwischen in der Lage sind, diese Leistungen aus eigener
Kraft zu erbringen. Wir müssen an ihre Verantwortung
appellieren und ihnen sagen: Das ist eure Verantwor-
tung. Denn es kann nicht in unserer Verantwortung lie-
gen, in Ländern, die Wachstumsraten von 7, 8 oder
10 Prozent aufweisen und die Armut durch Wirtschafts-
wachstum erfolgreich bekämpft haben, Sozialpro-
gramme zur Armutsbekämpfung aufzulegen.


(Abg. Brigitte Schulte [Hameln] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Bitte.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514116400

Eine Zwischenfrage wird offensichtlich zugestanden.

Bitte.


Brigitte Traupe (SPD):
Rede ID: ID1514116500

Sie haben mich wahrscheinlich missverstanden. Sie

werden doch sicherlich nicht dafür sein, unsere Entwick-
lungszusammenarbeit in einem Land einzustellen, wel-
ches jetzt Gott sei Dank unsere technische und finanzi-
elle Hilfe erhalten hat, das aber mehr als 700 Millionen
Arbeitskräfte hat, von denen durch den Strukturwandel
möglicherweise – nach Berechnungen amerikanischer
Experten – 175 Millionen verdeckt arbeitslos sind. Ich
bin der Meinung, dass wir es weiter unterstützen und für
die Ausbildung der jungen Akademiker mehr tun müs-
sen. Deswegen haben wir die Mittel für den Deutschen
Akademischen Austauschdienst und die Alexänder-von-
Humboldt-Stiftung erhöht. Darin können Sie uns doch
sicherlich folgen, oder?


Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1514116600

Frau Kollegin, ich unterstütze ausdrücklich die beiden

Institutionen, die Sie genannt haben. Auch wir halten sie
für außerordentlich wertvolle Institutionen und sind der
Meinung, dass sie mit mehr Geld ausgestattet werden
sollten; das ist gar keine Frage. Aber ich sage Ihnen auch
ganz klar: Ein Land wie China – mit dieser Wachstums-
rate und dem vorhandenen Know-how – braucht von uns
keinen Rat, wie es seine Arbeitslosigkeit und seine Ar-
mut bekämpfen soll.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich hielte uns für überheblich, wenn wir einem Land,

das erfolgreich einen extrem schwierigen Strukturwan-
del durchgeführt hat, sagten: Wir können euch lehren,
wie es richtig geht. Da müssen wir uns an unsere eigene
Nase fassen und sagen: Wir müssen die Zusammenarbeit
mit China, mit Indien und auch mit anderen Ländern auf
andere Füße stellen: wir müssen mit diesen Ländern auf
gleiche Augenhöhe kommen. Wir brauchen Zusammen-
arbeit in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Kul-
tur, an vielen Stellen. Aber sich hinzustellen und zu sa-
gen: „Wir erklären euch, wie die Welt funktioniert und
wie ihr die Arbeitslosigkeit bekämpfen könnt!“, das
steht uns bei diesen Ländern einfach nicht zu.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu dem von der
Frau Ministerin angesprochenen Konzept von Anker-
und Schwellenländern sagen.


(Abg. Dr. Sascha Rabe [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Gleich lasse ich Ihre Frage gerne zu. Zuvor möchte ich
aber noch ein Beispiel bringen, welches vielleicht meine
Position erläutert, Frau Schulte: Unsere Entwicklungs-
zusammenarbeit erstreckt sich nach wie vor auch auf
Mexiko. Es geht dabei im Wesentlichen um regenerative
Energie und Ähnliches. Mexiko bekommt von uns Mit-
tel in der Größenordnung von 2 Millionen Euro pro Jahr
– das ist nicht viel –, hat durch den gestiegenen Ölpreis
in diesem Jahr aber Mehreinnahmen in der Höhe von
1 Milliarde Euro zu verzeichnen. Ich frage mich, ob es
richtig ist, einen solchen Know-how-Transfer zu finan-
zieren. Ich bin nicht dagegen, diesen Bereich zu unter-
stützen, aber ich frage mich, ob wir das in einem solchen
Fall finanzieren müssen. Ist das richtig und können wir
das wirklich vertreten? Ich bin sehr dafür, Know-how
weiterzugeben, aber ich bin auch dafür, gegebenenfalls
eine Rechnung mitzuschicken. Im Übrigen zeigen alle
Evaluierungen, dass die Programme umso besser funk-
tionieren, je mehr sich die Länder an der Finanzierung
beteiligen. Wir sollten deshalb vor dieser Diskussion
nicht zurückscheuen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514116700

Herr Kollege, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?






(A) (C)



(B) (D)



Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1514116800

Bitte.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1514116900

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass in Indien, das

Sie gerne als ein starkes Land anführen, mehr Kinder
hungern und in Armut leben als in ganz Afrika? Und ist
Ihnen – vielleicht aus dem Mathematikunterricht, wenn
ich das so sagen darf – bekannt, dass Wachstumsraten,
kein geeigneter Indikator für Wohlstand sind? Denn
wenn man von einem ganz niedrigen Niveau ausgeht,
bedeuten selbst Wachstumsraten von mehr als 10 Pro-
zent nicht, dass alle in Reichtum und Jubel ergehen. Bei
der Armut, die in Indien herrscht, kann man nun wirklich
nicht davon reden, die Entwicklungszusammenarbeit
einzustellen.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Die Programme zur Armutsbekämpfung greifen doch nicht! Das ist doch das Problem! Unser Geld wirkt nicht!)



Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1514117000

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass sowohl die Kre-

ditanstalt für Wiederaufbau als auch das BMZ-eigene
Deutsche Institut für Entwicklungsforschung sagen, dass
die Armutsbekämpfungsprogramme, die dort in den letz-
ten Jahren durchgeführt worden sind, mitnichten zur Ar-
mutsminderung beigetragen haben, dass unser Geld dort
verschwendet worden ist und dass einzig und allein das
Wirtschaftswachstum, das der jetzige Premierminister,
1991 als Finanzminister, durch seine Wirtschaftsrefor-
men angestoßen hatte, zu einer wirklichen Armutsmin-
derung, und zwar in erheblichem Umfang, geführt hat?
Natürlich ist Indien ein riesiges Land mit einer großen
Bevölkerung. Die Inder haben es geschafft, die Zahl der
absolut Armen innerhalb von 25 Jahren von über 60 Pro-
zent auf jetzt 25 Prozent der Bevölkerung zu senken.
Das ist eine riesige Leistung. Wenn unsere Forschungs-
institute sagen, dass unsere Armutsbekämpfungspro-
gramme nichts dazu beigetragen haben, dann müssen
wir diese Armutsbekämpfungsprogramme aus meiner
Sicht infrage stellen. Darum geht es,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das eine schließt das andere nicht aus!)


– Doch, aus meiner Sicht schließt das eine das andere
aus, weil es darum geht, ob wir es der indischen Elite zu-
trauen, dass sie das selber kann. Aus meiner Sicht kann
sie das; die Erfahrung hat es gezeigt.


(Dr. Sascha Rabe [SPD]: Ja, die Elite!)

Sie verfügt über das nötige Know-how, über die nötigen
Ressourcen und auch über die nötigen Instrumente. Es
gibt viele indische NGOs, die in diesem Bereich sehr er-
folgreich tätig sind. Ich bin dafür, dass wir bei den
Schwellenländern die klassische Entwicklungshilfe aus-
laufen lassen. Wir sollten uns nicht so schwer damit tun
und wir sollten das auf neue Füße stellen, nämlich auf
eine vernünftige Zusammenarbeit im Bereich Wirt-
schaft, im Bereich Wissenschaft und in der Kultur.
Frau Ministerin, in den verbleibenden 15 Sekunden
möchte ich noch einen Punkt ansprechen, zu dem ich
gerne etwas von Ihnen hören würde, zumal Frau Schulte
unsere Entwicklungshilfeorganisationen – im Wesent-
lichen waren die staatlichen gemeint –


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein, auch die nicht staatlichen!)


über die Maßen gelobt hat. Ich schließe mich ihrem Lob
an. All diese Organisationen machen eine sehr gute Ar-
beit.

Ich habe in diesem Zusammenhang zwei Fragen.
Wenn ich im Ausland bin, höre ich erstens immer die
Frage: Wer spricht hier für die Deutschen? Es gibt keine
BMZ-Außenvertretung, weil man mit dem AA nicht
richtig klarkommt. Verschiedene Organisationen ver-
sprechen etwas und tun so, als seien sie die Deutschen.
Ist es nicht an der Zeit, eine richtige Reform der staatli-
chen Durchführungsorganisationen anzupacken und
deutlich zu machen, dass sie alle zusammengehören, so-
dass sie auch alle zusammengefasst werden? Was kön-
nen wir hier reformieren?

Die zweite Frage lautet: Was ist eigentlich mit der
GTZ?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514117100

Beide Fragen müssen nun aber von den folgenden

Rednern beantwortet werden.

(Heiterkeit)



Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1514117200

Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. – Die

GTZ agiert als Vertreterin der Bundesregierung, als pri-
vate Auftragnehmerin und als staatliche Durchführungs-
organisation. Das ist ein Mischmasch, der aus meiner
Sicht nicht länger hingenommen werden kann. Mich
würde interessieren, wie Sie diesen Mischmasch auflö-
sen wollen. Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514117300

Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die

Grünen der Kollege Alexander Bonde,


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514117400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach dem Beitrag des Kollegen Löning verstehe ich
jetzt zumindest, aus welcher Geisteshaltung heraus Ihre
Fraktion im Haushaltsausschuss eine Absenkung von
129,8 Millionen Euro in diesem Einzelplan beantragt
hat. Insofern hatte diese Debatte zumindest einen erhel-
lenden Punkt.

Insgesamt will ich sagen, dass ich den Einzelplan 23
in diesem Jahr für außerordentlich gut gelungen halte.
Ich glaube, den roten und den grünen Haushälterinnen
und Haushältern ist es hier gemeinsam gelungen, einen
wichtigen Schwerpunkt zu setzen.






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Bonde


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

In einer Zeit, in der es schwierig ist, den Haushalt an

bestimmten Stellen mit zusätzlichen Mitteln auszustatten
– das wissen Sie alle –, erhöhen wir die Mittel in diesem
Einzelplan um die genannten 2 Prozent. Das ist ein Auf-
wuchs von 75,66 Millionen Euro. Insofern finde ich es
schade, dass Sie in der Opposition es nicht einmal an
dieser Stelle schaffen, diese Leistung anzuerkennen, und
im Gegenteil sogar versuchen, diesen Erfolg mit
Taschenspielertricks wieder wegzurechnen.

Wir haben im Haushaltsverfahren eine deutliche Auf-
stockung der Mittel für die Hilfe für die ärmsten Län-
der der Welt erreicht, und zwar nicht nur beim Ministe-
rium, über das wir jetzt diskutieren, sondern auch beim
Auswärtigen Amt und beim Ministerium für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, wo ebenfalls
Mittel angesiedelt wurden, die ODA-relevant sind. Inso-
fern verstehe ich diese schräge Diskussion hier nicht, die
nach dem Motto geführt wird: Mittel beim Auswärtigen
Amt tragen nichts zu dem bei, über das wir hier diskutie-
ren. Ich finde es richtig, dass sowohl das Auswärtige
Amt als auch das Ministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung hier in unterschiedli-
chen Feldern gemeinsam tätig sind. Jeder Euro, der in
diesem gesamten Bereich investiert wird, ist ein gut in-
vestierter Euro.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir Haushaltspolitiker haben diese Schwerpunktset-
zung bewusst getroffen, weil wir gerade in Zeiten der
Globalisierung immer weniger in nationalen Kategorien
denken dürfen und uns gerade auch um die Probleme
kümmern müssen, die es in anderen Gegenden dieser
Welt gibt. Wenn wir uns nämlich nicht darum kümmern,
dann kommen diese Probleme zu uns.

Mit unserer Schwerpunktsetzung senden wir zwei
deutliche Signale: Erstens. Wir haben in diesem Haus-
halt die ODA-Quote erhöht Damit machen wir klar, dass
wir es mit den Zielen, die wir uns gesetzt haben, ernst
meinen. Ich gestehe Ihnen zu, dass das noch nicht die
Summen sind, die wir in diesem Bereich gerne sehen
wollen. Aber es sind entscheidende erste Schritte. Ich
finde, auch das muss man an dieser Stelle deutlich fest-
halten,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wir senden auch ein sicherheitspolitisches

Signal, weil wir wissen, dass jeder Cent, den wir in Ent-
wicklungspolitik investieren, zur Bekämpfung von Ar-
mut verwendet wird und terroristische Bedrohungen mi-
nimiert. Auch hier stellt sich wieder die Frage der
ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Der Ansatz
dieser Regierung, dass Auswärtiges Amt, Verteidigungs-
ministerium und BMZ Hand in Hand arbeiten, ist genau
richtig.

Weil der Kollege Borchert viel zur globalen Minder-
ausgabe gesagt hat, möchte auch ich noch einige Worte
dazu verlieren. Es ist richtig: Im Gesamthaushalt muss
eine globale Minderausgabe von 2 Milliarden Euro er-
wirtschaftet werden. Auf die Ressorts entfallen, anteilig
verteilt, l Milliarde Euro. Das entspricht bei dem gängi-
gen Schlüssel des BMZ einer GMA von 38,897 Millio-
nen Euro. So weit ist das richtig.

Nun haben der eine oder andere Kollege der CDU/
CSU in dieser Debatte wie auch in Pressemitteilungen
bezüglich der GMA bewusst Ängste geschürt und
Fa
Jochen Welt (SPD):
Rede ID: ID1514117500
Die zweite Milliarde wird nicht auf die Einzel-
pläne verteilt, sondern anderweitig erwirtschaftet, Stich-
wort Bodensatz, Herr Borchert, Sie grinsen. Sie wissen
natürlich, dass Sie mit Ihren Anträgen versucht haben,
genau diesen Bodensatz für Ihre Einsparliste vorwegzu-
nehmen. Insofern ist das ein Taschenspielertrick. Aber
beunruhigen Sie an dieser Stelle nicht die Verwendungs-
empfänger. Wer behauptet, die rot-grünen Aufstockun-
gen seien ein Nullsummenspiel, täuscht über das Haus-
haltsverfahren oder streut bewusst Falschinformationen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Rot-Grün hat gemeinsam die Ansätze des BMZ so an-
gehoben, dass es die globale Minderausgabe erwirt-
schaften kann und zusätzlich Mittel zur Erhöhung der
ODA-Quote zur Verfügung stehen, somit die Zuwen-
dungsempfänger keine Angst vor der globalen Minder-
ausgabe haben müssen. Um es Ihnen in Zahlen vorzu-
rechnen: Rot-Grün hat den Ansatz um 76 Millionen Euro
erhöht. Davon sind für die GMA 38 Millionen Euro ab-
zuziehen. Es bleibt ein Plus von 38 Millionen Euro. Sie
können noch so viel rechnen: Wenn Sie bei Adam Riese
bleiben, verbleibt für den Einzelplan mindestens ein Plus
von 38 Millionen Euro.

Ich bedauere sehr, dass der Kollege Weiß von der
CDU in dieser Debatte nicht reden darf. Er hat im Sep-
tember sehr wortreich große Anforderungen an den Ein-
zelplan gestellt. Es hätte mich schon interessiert, wie er
erklärt hätte, dass seine Fraktion in den Haushaltsbera-
tungen beantragt hat, im Einzelplan 188 Millionen Euro
zu streichen, und wie die großen Ankündigungen, was
alles geschehen müsse, zu diesen Kürzungen passen. Die
CDU/CSU ist hier in der angenehmen Situation, dass sie
als Opposition nicht in der Verantwortung steht, in der
wir stehen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514117600

Der Kollege Weiß will Ihnen offenkundig das erklä-

ren, was Sie gerade nachgefragt haben.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514117700

Solange er das mit einer Frage tut, bin ich damit ein-

verstanden.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514117800

Bitte schön.






(A) (C)



(B) (D)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1514117900

Herr Kollege Bonde, nachdem Sie als neuer Bericht-

erstatter der Grünen-Fraktion für den Einzelplan 23 ei-
nige Ausführungen über die Beratungen im Haushalts-
ausschuss gemacht haben, möchte ich Sie fragen, wie
Sie die offenkundigen Dissense zu Ihrer ebenfalls be-
richterstattenden Kollegin, Frau Brigitte Schulte von der
SPD-Fraktion, aufklären können.

Erstens, Frau Kollegin Schulte hat in ihrer Rede be-
redt dargestellt, wie kritisch sie es sieht, dass immer
mehr Mittel für die multilateralen Organisationen zur
Verfügung gestellt werden. Das hat sie kritisch hinter-
fragt. Deswegen ist es auch offensichtlich aus der Sicht
der Berichterstatterin der SPD-Fraktion, Frau Schulte,
nur konsequent, dass die CDU/CSU zur Veränderung
dieses Ungleichgewichtes Kürzungen nur bei den Mit-
teln für die multilateralen Institutionen der Entwick-
lungszusammenarbeit beantragt hat.

Zweitens. Frau Kollegin Schulte hat sich zum Schluss
ihrer Rede äußerst vorsichtig zum Thema der globalen
Minderausgabe geäußert.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Weil sie Ahnung hat!)


Denn es bleibt doch trotz der Tatsache, dass Sie jetzt
eine kleine Erhöhung des Mittelansatzes gegenüber dem
Entwurf durchgesetzt haben – das erkennen wir an und
das ist von Herrn Borchert als Sprecher der CDU/CSU
nicht infrage gestellt worden –, das Damoklesschwert
über uns schweben: Was geschieht mit der globalen
Minderausgabe von 1,136 Milliarden Euro im Haushalt,
die nicht spezifiziert worden sind? Frau Kollegin Schulte
hat ganz vorsichtig gesagt, dass sie hofft, dass das BMZ,
wenn diese Mittel aufgeteilt werden, als allerletztes
drankommt. Jetzt habe ich an Sie die Frage:


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514118000

Das, Herr Kollege, ist die dritte, wenn ich richtig mit-

gezählt habe.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1514118100

Woher nehmen Sie als grüner Berichterstatter die ab-

solute Gewissheit, dass diese globale Minderausgabe ir-
gendwie erwirtschaftet und auf gar keinen Fall im Laufe
des Haushaltsjahres auf den Einzelplan 23 umgelegt
wird?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514118200

Herr Kollege Bonde, nun haben Sie die Rede des Kol-

legen Weiß bekommen, die Sie so dringlich eingefordert
haben.


(Heiterkeit)



Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514118300

Ich kenne den Kollegen Weiß. Wenn man ihn zu einer

Rede auffordert, dann bekommt man sie auch immer. In-
sofern beantworte ich die Fragen gerne.

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Kollegin
Schulte und ich in den Verhandlungen ausgesprochen ei-
nig waren und auch die Reden nicht voneinander abwei-
chen. Ich bin mit der Kollegin Schulte insbesondere da-
rüber einig, was sie zur globalen Minderausgabe ge-
sagt hat; denn sie hat ausdrücklich von dem Anteil der
globalen Minderausgabe gesprochen, der auf den Einzel-
plan 23 entfällt. Ich bin ebenso wie die Kollegin Schulte
der Meinung, dass wir dann, wenn es die Möglichkeit
gibt, den Einzelplan 23 vor dieser Einbuße in Höhe von
38 Millionen Euro zu schützen, alles tun müssen, um das
zu erreichen. Wir reden also nur über die globale Min-
derausgabe von 38 Millionen Euro, über die auch ich ge-
sprochen habe.

Sie haben offenbar dem Kollegen Diller vorhin nicht
zugehört,


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Doch, habe ich!)


als er davon sprach, was mit dem Rest der GMA passiert.
Ich hätte zumindest erwartet, dass Sie verfolgt haben, wel-
che Anträge Ihre Haushaltsgruppe zum Einzelplan 60 ins-
gesamt gestellt hat. Dort hat sie Einsparsummen in Milli-
ardenhöhe gesehen. Wenn nur ein Bruchteil der
Kürzungsvorschläge, die Ihr Obmann im Haushaltsaus-
schuss, Herr Austermann, vorgelegt hat, realisiert würde
und wenn sich die Zinsen tatsächlich so entwickeln wür-
den, wie es der Kollege Austermann prognostiziert hat,
dann – das kann ich Ihnen mit Gewissheit sagen; das
kann jeder, der rechnen kann – besteht keinerlei Gefahr,
dass eine zusätzliche globale Minderausgabe von Einzel-
plan 60 auf den Einzelplan 23 umgelegt werden muss.

Die 188 Millionen Euro waren nicht die einzige Be-
lastung, die die CDU/CSU-Fraktion für den Einzelplan
23 parat hatte. Sie wollten den Einzelplan 23 durch eine
10-prozentige Kürzung bei allen flexiblen Titeln belas-
ten. Ruckzuck wären wieder 4,4 Millionen Euro weg ge-
wesen. Sie haben uns aufgefordert, die zweite Milliarde
der GMA, über die wir gerade gesprochen haben, auf die
Einzelpläne umzulegen. Nach der Logik Ihrer Anträge in
den Haushaltsberatungen mussten Sie das auch tun, weil
Sie das, was es an Bodensatz gibt, bereits vervespert hat-
ten. Das heißt, dass bei Verwirklichung der Anträge der
CDU/CSU eine weitere Belastung von 38 Millionen
Euro erfolgen würde. Alles in allem hätte die CDU/CSU,
wenn ihre Anträge eine Mehrheit im Haushaltsausschuss
gefunden hätten, den Etat des Einzelplans 23 um
230 Millionen Euro abgesenkt.

Wenn wir jetzt den Vergleich ziehen, dann, können
wir feststellen: Wir haben bei Rot-Grün ein Plus von
mindestens 38 Millionen Euro, während nach den Vor-
schlägen der CDU/CSU ein Minus von 230 Millionen
Euro vorhanden wäre. Ich frage mich schon, woher Sie
den Mut nehmen, sich hier hinzustellen und mit solchem
Herzblut versuchen, uns entwicklungspolitisch anzugrei-
fen.


(Zuruf von der FDP: Die Opposition ist mutig!)


Das ist schon mehr als Opposition, was Sie hier machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Alexander Bonde

Ich weiß auch nicht, wie Sie behaupten können, mit

dieser Reduzierung der Mittel könne man zu einer Ver-
ringerung der Armut beitragen. Rot-Grün hat einen
deutlichen Schwerpunkt gesetzt. Sie können aus Ihrer
Oppositionshaut nicht heraus. Akzeptieren Sie, dass wir
etwas durchgesetzt haben, wozu Sie in der Opposition
gegenüber Ihren eigenen Haushältern nicht in der Lage
waren. Das muss man an dieser Stelle deutlich sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da die Kollegin Schulte auf viele Ansatzerhöhungen
in den Einzeltiteln eingegangen ist, möchte ich nur zwei
Titel zum Schluss erwähnen. Uns Grünen war es beson-
ders wichtig, die Förderung afrikanischer Staaten nicht aus
dem Auge zu verlieren. Insofern freuen wir uns besonders
darüber, dass es gelungen ist, die Aidsbekämpfung so-
wohl bilateral als auch multilateral finanziell zu stärken.

Es freut uns, dass es uns gelungen ist, Mittel für den
Weltwirtschaftsgipfel 2005 in Großbritannien zu bin-
den, der sich mit dem Thema Afrika befassen wird. Wir
unterstützen in diesem Rahmen die New Partnership for
Development und den G-8-Afrika-Aktionsplan. Der Ein-
satz dieser Mittel dient dazu, die Reformkräfte in Afrika
in ihrem Bemühen zu unterstützen, Afrikas Probleme
durch eigene afrikanische Anstrengungen zu lösen.

Gemeinsam mit unserer Staatssekretärin Uschi Eid ha-
ben wir dafür gesorgt, dass der Bundeskanzler beim G-8-
Gipfel in London nicht mit leeren Händen erscheint und
dass unsere herausragende Position in diesem Prozess
erhalten bleibt. Auch damit hat Rot-Grün ein wichtiges
Signal gesetzt.

Ich glaube, wenn Sie nicht in der Opposition wären,
sondern regieren würden, dann wären Sie – zumindest
all diejenigen, denen die Entwicklungspolitik am Herzen
liegt – sehr froh über den Einzelplan 23. Ich glaube, für
die Koalition können wir feststellen, dass wir in schwie-
rigen Zeiten ein gutes Ergebnis erzielt haben. Das hätten
Sie uns erst einmal vormachen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514118400

Nächster Redner ist der Kollege Christian Ruck,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1514118500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ich

möchte auf die einzelnen Miilionenrechnereien meines
Vorredners Folgendes erwidern: Kernpunkt unserer Kri-
tik ist nach sechs Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik,
dass die Ministerin und ihre parlamentarische Basis mit
großartigen Versprechungen als Tiger gestartet und als
Papiertiger gelandet sind. Inzwischen ist jeder – die Öf-
fentlichkeit, die Wissenschaft, die Kirchen und die
NGOs – zu der traurigen Erkenntnis gekommen, dass
von den Versprechungen nichts übrig geblieben ist. Wir
als Entwicklungspolitiker sind um genau 300 Millionen
Euro ärmer als 1998, Darum geht es uns.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jeder von Ihnen hat sich bei den rot-grünen Haus-

haltspolitikern bedankt. Ich möchte mich bei unseren
Haushaltspolitikern und vor allem bei Jochen Borchert
bedanken, der genauso gekämpft hat, wie wir alle – das
haben Sie mir auch zugestanden, Frau Kortmann – im
AwZ auch bei den Einzelerhöhungen gekämpft und, wie
ich glaube, auch ein gutes Ergebnis erzielt haben. Auch
das muss einmal gesagt werden. Vielen Dank, Herr
Borchert!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will nicht spekulieren, ob wir um die zweite glo-

bale Minderausgabe herumkommen. Ich wünsche mir
und uns allen, dass Ihr Kratzen und Beißen – das würde
ich übrigens gerne einmal hautnah miterleben, Frau
Schulte –


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

– natürlich nicht bei mir –


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das übersteigt unsere Vorstellungskraft!)


einen Sinn hat, Ich hoffe es. Aber ehrlich gesagt: Bei
dem Resultat, das wir für 2005 nach sechs Jahren Rot-
Grün bestenfalls erzielen, bleibt es dabei, dass wir auf
die Handlungsunfähigkeit der deutschen Entwicklungs-
politik zusteuern,


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Aber nein!)

Reden Sie auch einmal mit denen, die in unseren

Durchführungsorganisationen die Projekte verwalten
und umsetzen! Sie würden Ihnen berichten, dass inzwi-
schen alle unsere Projekte wie Kaugummi ad infinitum
gestreckt werden, dass der relative Anteil der Verwal-
tungskosten immer größer wird, dass für neue Projektak-
tivitäten kaum noch Spielraum vorhanden ist und dass
wir uns selbst ad absurdum führen.

Ich erinnere daran, was bei unserem neuerlichen Ein-
satz in Faizabad passiert ist. Wir schicken Soldaten in
eine gefährliche Gegend, um Wiederaufbauteams zu
schützen, während die Ministerin feststellt, dass die not-
wendigen Mittel für den Wiederaufbau nicht vorhanden
sind. Das ist keine Kohärenz und auch keine vernünftige
Art der Zusammenarbeit.


(Abg. Brigitte Schulte [Hameln] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514118600

Herr Kollege Ruck.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1514118700

Bitte, Frau Schulte.


Brigitte Traupe (SPD):
Rede ID: ID1514118800

Herr Kollege Ruck, gerade das ist ein Musterbeispiel,

das deutlich macht wovor wir uns in Zukunft in Acht






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Schulte (Hameln)


nehmen müssen. In Faizabad waren bereits 20 internatio-
nale Nichtregierungsorganisationen vertreten. Das habe
ich vorhin gemeint, als ich die Ministerin freundschaft-
lich darauf hingewiesen habe, dass es nicht angeht, dass
alle alles machen. Die deutsche Entwicklungspolitik war
nicht in einem besonderen Maße gefordert, solange
keine bessere Koordinierung der UN-Programme und
der Nichtregierungsorganisationen stattfindet. Ich bin
fest überzeugt und darf Sie darauf hinweisen, dass es
hier nicht um Geldfragen geht, sondern dass wir uns Ge-
danken darüber machen müssen, ob die Projekte richtig
abgestimmt sind. Haben Sie da eine bessere Idee?


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da stimmt der Kollege Dr. Ruck mit der Kollegin Schulte überein!)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1514118900

Zur Projektabstimmung komme ich noch. Wir ha-

ben auf jeden Fall auch dazu Ideen. Ich gebe Ihnen auch
völlig Recht, dass wir gerade in Afghanistan ein un-
glaubliches Durcheinander von internationalen Hilfsor-
ganisationen haben. Das gilt aber auch anderswo, wo
deutsche Soldaten involviert und deswegen gefährdet
sind, wenn die entwicklungspolitische Aufbauarbeit da-
neben geht.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Richtig!)

Trotzdem kann es nicht sein, dass ein Ressortkollege

Soldaten in eine gefährliche Mission schickt, um den
Wiederaufbau in Afghanistan vorzubereiten – natürlich
geht er dann davon aus, dass auch die deutsche Entwick-
lungshilfe den entsprechenden Beitrag leistet –, und
dann die deutsche Entwicklungsministerin sagt: Ich habe
für diesen Einsatz der deutschen Soldaten kein Geld. Sie
kann dieses Zitat hernach bestätigen oder auch nicht.
Das ist jedenfalls keine kohärente Politik.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 4 Millionen Euro drauflegen!)


Es geht aber nicht nur in Afghanistan, sondern auch
anderswo um eine Verknüpfung von Sicherheits-, Au-
ßen- und Entwicklungspolitik. Wenn es darum geht, ein-
mal ganz schnell zu reagieren und auch einmal die Prüf-
szenarien von GTZ und KfW, die sich immer über zwei
bis drei Jahre erstrecken, beiseite zu lassen, haben wir
keinen Topf mehr. Wir haben kein Geld mehr, um
schnell auf Krisen reagieren zu können. Das genau ist
der strukturelle Fehler, den ich dieser Regierung an-
kreide.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da stimmt die Kollegin Schulte mit dem Kollegen Dr. Ruck überein!)


– Da stimmen wir doch überein.

(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein!)


– Schade.
Ich finde es übrigens auch schade – ich glaube, da sind

wir uns einig, wenn ich Sie richtig verstanden habe –,
dass es zu einem Bedeutungsverlust der deutschen Ent-
wicklungspolitik gegenüber anderen Ressorts gekom-
men ist.


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein, im Gegenteil!)


– Doch, Ich beweise es Ihnen. Während der Anteil des
BMZ-Haushalts am Gesamthaushalt abgenommen hat,
sind die Anteile des Haushalts für das Auswärtige Amt
und der Verteidigungshaushalt etwa gleich geblieben.
Genau damit sind Sie nicht angetreten. Sie haben gesagt,
auch die relative Bedeutung der Entwicklungspolitik
müsse gesteigert werden.

Vor diesem Hintergrund gebe ich Ihnen Recht, Frau
Schulte, dass wir alle den Rechnungsprüfungsbericht
ernst nehmen sollten. Das BMZ soll, auch mit unserer
Unterstützung, Aufgaben und Kompetenzen wieder zu-
rückholen, wie es der Rechnungsprüfungsbericht vorge-
schlagen hat. Es ist doch ein Unding, dass zum Beispiel
das Bundesforschungsministerium mit den Ländern des
Mercosur mehr bilaterale Projekte unterhält als das
BMZ, und zwar ohne Abstimmung mit dem Entwick-
lungshilfeministerium.

Voraussetzung für eine solche Rückholung von Kom-
petenzen sind natürlich Kollegialität und Überzeugungs-
kraft im Kabinett. Die Wahrheit sieht aber laut „Spiegel“-
Bericht und laut Aussage des Bundesverteidigungsmi-
nisters im Ausschuss anders aus. Danach wird gestritten
wie Hund und Katz, und zwar sowohl oben als auch un-
ten. Genau diese Animositäten zwischen dem Verteidi-
gungsministerium, dem Außenministerium und dem
Entwicklungshilfeministerium nehmen uns und dem
ganzen Politikfeld das politische Potenzial und das Ge-
wicht, das notwendig ist, um politische Veränderungen
sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den In-
dustrieländern vornehmen zu können. Ohne diese Verän-
derungen wird die Entwicklungshilfe verpuffen.


(Markus Löning [FDP]: Wie wäre es denn mit einer Zusammenlegung mit dem Auswärtigen Amt?)


– Ihr mit eurer Zusammenlegung. Unsere Meinung ist
bekannt. Wir wollen, anders als die FDP, das BMZ nicht
auflösen. Wir wollen das BMZ stärken.


(Markus Löning [FDP]: Wir auch!)

Wir wollen das Politikfeld stärken und modern aufstel-
len und sind anderer Meinung als die FDP und auch als
Rot-Grün.

Natürlich ist das nicht nur eine Quantitätsfrage, son-
dern auch eine Qualitätsfrage. Die Qualität hat durch di-
verse Missgriffe und Fehlgriffe gelitten. Ich nenne als
Beispiel das Aktionsprogramm 2015, mit dem große
Erwartungen geweckt, aber auch enttäuscht wurden und
das auch von der Gemeinsamen Konferenz Kirche und
Entwicklung zu Recht als Etikettenschwindel bezeichnet
wird.

Ein weiteres Beispiel ist die Entschuldungsinitia-
tive, die auf der einen Seite zu bürokratisch ist und auf
der anderen Seite zu wenig politisch kontrolliert wird. Es
stellt sich beispielsweise die Frage, was geschehen soll,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christian Ruck

wenn die Regierung des Sudans im Rahmen der HIPC-
lnitiative entschuldet werden will. Wir müssen doch
rechtzeitig signalisieren: Liebe Freunde in Khartum,
ohne ein anderes Verhalten in Darfur und in anderen
Landesteilen kommt ihr niemals für eine HIPC-Ent-
schuldung infrage!

Ausgeblieben ist ebenfalls eine grundlegende Reform
des unüberschaubaren Fleckerlteppichs aus unterschied-
lichen Vorfeld- und Entwicklungsorganisationen. Frau
Ministerin, die Umorganisation Ihres Hauses ist miss-
glückt.


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Was?)

Es ist nicht gelungen, die internationale und nationale
Führungskompetenz des BMZ zu stärken.


(Karin Kortmann [SPD]: Wonanch bemessen Sie das denn?)


– Ich bitte, auch das im Bericht des Bundesrechnungsho-
fes genau nachzulesen. Das steht dort drin.


(Brigitte Schulte [Hameln]: Nein!)

– Doch, das steht dort drin. Ich bin der Meinung, dass
der Bundesrechnungshof in seinem Bericht auch hier
Recht hat

Die Schwerpunktsetzung ist ebenfalls misslungen.
Damit komme ich auf die Schwellenländer zu sprechen.
Hier ist man nach dem Motto verfahren: Raus aus den
Kartoffeln, rein in die Kartoffeln! Zuerst gab es den er-
klärten Willen, aus der Zusammenarbeit mit den Schwel-
lenländern auszusteigen, wie unter anderem die Bei-
spiele Argentinien, Chile und Uruguay zeigen. Nun heißt
es aber plötzlich, Schwellen- und Ankerländer seien
wichtig für die Entwicklungszusammenarbeit.

Wir haben auf unserer gemeinsamen Reise durch In-
dien aber auch Erhellendes gesehen. Es ist durchaus
strittig – Herr Löning, hier bin ich nicht Ihrer Meinung –,
ob es in unserem Interesse liegt, aus der Armutsbekämp-
fung in Ländern mit Hunderten von Millionen Armen
einfach auszusteigen. Nach meiner Meinung muss es in
unserem Interesse liegen, in Ländern wie Indien eine
nachhaltige und einigermaßen gleitende Entwicklung in
Gang zu setzen. Ein Beispiel dafür ist das Umweltpro-
gramm, das wir in Brasilien mit Entwicklungsgeldern
aufgelegt haben. Alles andere würde auf uns zurückfal-
len.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514119000

Herr Kollege Dr, Ruck, nun möchte der Kollege

Löning eine Zwischenfrage stellen und Ihre Redezeit
verlängern.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1514119100

Dafür bin ich ihm bei diesem Thema sehr dankbar.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514119200

Bitte, Herr Löning.

Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1514119300

Herr Kollege Ruck, Sie haben von Hunderten von

Millionen Armen in Indien geredet. Das ist ohne Zweifel
richtig. Erkennen Sie aber auch die Tatsache an, dass es
in Indien Hunderte von Millionen reiche und sehr reiche
Menschen sowie Hunderte von Millionen Menschen
gibt, die in den letzten Jahrzehnten aus eigener Kraft aus
der absoluten Armut in die untere Mittelschicht aufge-
stiegen sind, was durch die richtige Aufstellung des Lan-
des in der Wirtschaftspolitik und durch Investitionen aus
dem Ausland, insbesondere von Auslandsindern, ermög-
licht wurde? Sind Sie mit mir der Meinung, dass der
Elite eines Landes wie Indien, das in der Biotechnologie
weltweit führend ist, in unser Land investiert und Firmen
aufkauft, durchaus die Verantwortung zugemutet werden
kann, sich selbst um die Bekämpfung der Armut im ei-
genen Land zu kümmern?


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1514119400

Herr Löning, wie Sie wissen – wir haben uns darüber

schon ausgetauscht –, ist meine Position in sehr vielen
Punkten von Ihrer nicht weit entfernt. Auch ich bin der
Meinung, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit auf
gleicher Augenhöhe mit den Schwellenländern erfolgen
sollte, vor allem wenn es um gemeinsame Interessen in
der Energie- oder der Raumfahrtpolitik geht. Es gibt
viele Bereiche, in denen man beispielsweise mit Indien,
China oder Brasilien zusammenarbeiten kann. Aber Ihre
Forderung an Indien, selber soziale Verantwortung
wahrzunehmen, gilt für jedes Land. Die Armutsbekämp-
fung kann beispielsweise in Guatemala von der dortigen
Oberschicht alleine geleistet werden. Die Frage ist nur,
was man machen soll, wenn das nicht geschieht.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Wer Indien mit Guatemala vergleicht, hat keine Ahnung!)


– Wir müssen die Frage der sozialen Verantwortung der
Eliten natürlich auch bezogen auf Guatemala diskutie-
ren.

In einem gebe ich Ihnen Recht: Die Art und Weise,
wie wir Armut in den Schwellenländern, auch in Indien,
bekämpfen, hat überhaupt keine Signifikanz.


(Markus Löning [FDP]: Richtig!)

Auch ich bin der Meinung, dass Armutsbekämpfung

gegen den Willen der herrschenden Eliten sinnlos ist.
Deswegen müssen einige Punkte viel schärfer als bisher
ins Blickfeld gerückt werden: die Entschlossenheit der
Gegenseite und die Frage, wo wir wirklich etwas signifi-
kant bewegen können. An diesen Kriterien müssen wir
uns in Bezug auf Brasilien, China und anderswo entlang-
hangeln. Bisher geschieht das eben nicht. Trotz allen Be-
mühens um eine Schwerpunktsetzung wird in Indien
nach wie vor alles, was man sich vorstellen kann, geför-
dert, auch wenn die Mittel noch so gering sind. So etwas
ist keine Schwerpunktsetzung, sondern ein Gemischtwa-
renladen.

Die heutige Konstellation sieht so aus, dass Sie, Frau
Ministerin, und Frau Kortmann mit unserem ausdrückli-
chen Einverständnis nach uns sprechen. Genauso wie
Herr Löning möchte ich Sie – ganz naiv – darum bitten,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christian Ruck

uns einige Fragen zu beantworten. In den bisherigen
Haushaltsdebatten haben Sie die entscheidenden Fragen
oft gar nicht angesprochen oder nur nebulös beantwortet.

Meine erste Frage lautet – ich halte sie für entschei-
dend –: Sind Sie bereit, dafür einzutreten, dem Chaos bei
der Arbeitsteilung zwischen UN-Organisationen und
EU entgegenzuwirken? Wenn ja, mit welchen Instru-
menten wollen Sie für etwas mehr Konsistenz sorgen?
Deutschland bewirbt sich jetzt um einen Sitz im UN-Si-
cherheitsrat. Für mich ist viel entscheidender, wie wir
dazu beitragen können, dass es in der Entwicklungspoli-
tik wirklich mehr internationale Arbeitsteilung gibt. Sie
haben zu einem solchen Beitrag sechs Jahre Zeit gehabt
und bisher ist nichts geschehen.


(Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Wir haben die Zeit auch genutzt!)


Etwas anderes ist – es wurde schon angesprochen –
die Organisationsform der nationalen entwicklungs-
politischen Systeme. Welches Organigramm haben Sie
im Kopf? Auch ich bin der Meinung, dass wir im Inland
noch viel zu umständlich agieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514119500

Herr Kollege, bedenken Sie bitte, dass alle von Ihnen

angekündigten Fragen außerhalb Ihrer Redezeit gestellt
werden.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1514119600

Es ist gut, dass Sie mich daran erinnern.
Wir alle haben gesagt, dass wir den Einsatz in Darfur

wollen. Aber ein solcher Einsatz allein ist nur der Bruch-
teil eines Konzepts, dessen außen-, sicherheits- und ent-
wicklungspolitische Bestandteile verzahnt werden müs-
sen.

Bei einer Leistungsbilanz zählt nicht die Zahl der In-
terviews, sondern die Zahl der bestandenen Herausfor-
derungen. Für uns sind das folgende: Erstens. Wie wur-
den wir den ethischen Ansprüchen in der deutschen
Entwicklungspolitik gerecht? Zweitens. Welche Erfolge
hatten wir bei der Eindämmung von Gefahren, also bei
der Gefahrenabwehr? Drittens. Wie konnten wir die
deutsche Position in der Welt auch mit Entwicklungspo-
litik stärken?

Rot-Grün ist im Hinblick auf alle drei Ziele unserer
modernen Entwicklungspolitik weit davon entfernt,
seine Versprechungen einzuhalten. Ich würde mich
freuen, wenn Sie diese Behauptung in den verbleibenden
zwei Reden entkräfteten. Ich glaube aber nicht, dass Ih-
nen das gelingen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514119700

Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministe-

rin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was mich in dieser Debatte bedrückt – das muss ich ehr-
lich sagen –, ist, dass bei dem vielen Hin und Her eigent-
lich nicht mehr deutlich wird, worum es in der Entwick-
lungszusammenarbeit geht. Es geht darum, dass wir
Menschenleben retten, dass wir dafür sorgen, dass in
dieser Welt weniger Kinder sterben müssen und dass we-
niger Menschen von Aids dahingerafft werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diesen Menschen gilt unsere Arbeit. Man kann darum
ringen, ob das genug Geld ist, ja oder nein; aber ich bitte
Sie: Lassen Sie doch dieses Klein-Klein und – das ist für
mich der allerwichtigste Punkt – konzentrieren wir uns
wirklich auf die zentralen Fragen der Entwicklungszu-
sammenarbeit!


(Beifall der Abg. Karin Kortmann [SPD])

Jeder muss doch zugeben: Wir haben jetzt mehr Spiel-
raum in diesem Haushalt – das ist gut so – und den nut-
zen wir zugunsten der Menschen.

Ich will auf die gestellten Fragen zurückkommen,
weil darin falsche Behauptungen waren. Wir haben im
Jahr 1982 – so weit muss man zurückgehen; denn Ent-
wicklungszusammenarbeit ist langfristig; bei der Kredit-
vergabe gibt es langfristige Festlegungen, teilweise über
Jahrzehnte –, also am Ende der Regierung Schmidt und
zu Beginn der Regierung Kohl, 0,48 Prozent des Brutto-
sozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit gehabt.
Wenn Sie das auf dem Niveau fortgesetzt hätten, hätten
wir den Anteil von 0,7 Prozent längst erreicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Stattdessen betrug der Anteil im Jahr 1998, als ich an-

gefangen habe, 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts;
Sie haben die Entwicklungszusammenarbeit – das muss
hier einfach noch einmal gesagt werden, damit nicht fal-
sche Positionen aufgebaut werden – nämlich als Stein-
bruch benutzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe in mühsamer Arbeit, unterstützt durch die
Haushälter – ich will mich bei all den Kolleginnen und
Kollegen auch sehr herzlich dafür bedanken –, erreicht,
dass der Anteil im Jahr 2003 – das ist ja immer im Rück-
blick – 0,28 Prozent des Bruttosozialprodukts beträgt.
Ich schwöre Ihnen, dass wir bezogen auf das Jahr 2006
das 0,33-Prozent-Ziel erreichen werden,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wie denn?)

und zwar in einer Mischung aus Haushaltsmitteln,
Schuldenerlassen im Rahmen der HIPC und der EU-Ent-
wicklungszusammenarbeit. Dazu verpflichten wir uns
allgemein. Wer Mitglied des UN-Sicherheitsrats werden






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

will, muss auch seine internationalen Verpflichtungen
einhalten. Dafür stehen wir alle gemeinsam.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [FDP]: 1 Milliarde plus!)


Was mich bedrückt, sind die neuen Zahlen zur Aids-
pandemie, die wir seit gestern haben; ich habe gedacht,
das würde heute angesprochen. Wir stellen fest: Obwohl
die internationale Gemeinschaft die Mittel von 2001 bis
jetzt verdreifacht hat, ist die Zahl der Infektionen gestie-
gen. Heute, im Jahr 2004, gibt es 39,4 Millionen Men-
schen, die HIV-infiziert sind.

Die internationale Gemeinschaft hat, wie gesagt,
mehr Finanzmittel mobilisiert. Woran liegt es also, dass
sich trotzdem so viele Menschen infizieren, dass so viele
Menschen sterben und so viele Aidswaisen allein ihrer
Zukunft entgegensehen? Das liegt an Unkenntnis, das
liegt an der Unterdrückung von Frauen und das liegt an
der Armut. Ich werde noch engagierter, als das bisher
der Fall war,


(Ulrich Heinrich [FDP]: Sehr gut!)

gemeinsam mit Ihnen dafür sorgen, dass gegen die Un-
terdrückung von Frauen gearbeitet wird


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und dass die Position der Frauen gestärkt wird. Es ist
doch schrecklich, dass sich Frauen infizieren, weil ihre
Partner – das sagt der Bericht der UNAiDS – einen nicht
verantwortlichen Geschlechtsverkehr praktizieren. Des-
halb müssen wir die Frauen stärken. Wir müssen die Ar-
mut bekämpfen. Das sind die Aufgaben, die vor uns lie-
gen.

Etwas lastet mir besonders auf der Seele; dazu hätte
ich gern auch von anderen etwas gehört. Am 1. Januar
2005 wird eine Übergangsregelung zum Produktpatent-
schutz auslaufen und das bedeutet, dass dann zum Bei-
spiel Indien Generika nicht mehr kostengünstig verkau-
fen kann. Wir müssen alle Möglichkeiten mobilisieren,
um in den ärmsten Entwicklungsländern, für die der Pro-
duktpatentschutz noch nicht gilt – bis zum Jahr 2016 –
die Produktion von Generika zu unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist wichtig. Es geht darum – das sage ich ganz offen;
das ist meine feste Überzeugung –, Patienten und Men-
schen und weniger Patente zu schützen.


(Beifall bei der SPD)

Jetzt zu den Fragen. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach,

Herr Präsident, wenn das etwas länger dauert; es waren
so viele Fragen. Herr Löning hat mehr Effizienz gefor-
dert. Mein Gott! Ich nenne Ihnen nur vier Punkte, in de-
nen wir in dem Gestrüpp dessen, was Sie uns in der Ent-
wicklungszusammenarbeit hinterlassen haben,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Na, na, na!)

wirklich Effizienz erreicht haben.
Erster Punkt: Von Ihnen haben wir Projekte in
119 Entwicklungsländern übernommen. Ihr Prinzip war
das der Gießkanne. Wir haben die Zahl der Länder, mit
denen wir kooperien, reduziert und damit dazu beigetra-
gen, dass unsere Finanzmittel sinnvoller eingesetzt wer-
den können.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Eine Lebenslüge!)


Zweiter Punkt: Die Projekte in Indien, über die sich
Herr Löning beklagt hat, sind Projekte der Entwick-
lungszusammenarbeit aus den Jahren Ihrer Regierungs-
zeit. Diese war von der Projektitis geprägt: viele kleine
Projekte, sodass man viele Fähnchen auf die Weltkarte
setzen konnte. Wir haben die Ausrichtung geändert und
wollen durch strukturelles Denken dazu beitragen, dass
ganze Bereiche in verschiedenen Ländern gestärkt wer-
den, also nicht mehr ein einzelnes Projekt im Vorder-
grund steht, sondern zum Beispiel ein Land wie Indien
dabei beraten wird, wie soziale und ökologische Normen
erreicht werden können. Dass wir so etwas unterstützen,
ist doch sinnvoll und liegt in unserem eigenen Interesse.
Wir denken also strukturell und global. Sie dagegen
haben ein Klein-Klein beklagt, das von Ihrer eigenen
Partei, als sie Regierungsverantwortung trug, angerichtet
wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war keine Antwort!)


Dritter Punkt: Wir haben die Entwicklungszusam-
menarbeit reformiert, ohne dass es irgendwo geknirscht
hätte. Wir haben zum Beispiel die DEG in die KfW ein-
gegliedert. Das hat hervorragende Auswirkungen gezei-
tigt. Die DEG hat heute ein weit höheres Portfolio, das
sie zugunsten der Entwicklungsländer einsetzen kann.

Vierter Punkt: Zu Ihrer Zeit sind aus dem Europäi-
schen Entwicklungsfonds kaum Mittel abgeflossen. Wir
haben dafür gesorgt, dass er reformiert wurde. Heute
fließen die Mittel so schnell ab, dass manche Haushälter
besorgt sind, weil es ihnen zu schnell geht. Auch das sei
zum Stichwort „Effizienz“ gesagt.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Schwachsinn!)


Nun zum letzten Punkt: Ich habe mir die Haare ge-
rauft, als ich gehört habe, was Sie zu den Ankerländern
gesagt haben.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Davon haben wir nichts gesehen!)


– Ich mache es anschließend. – Nach dem Konzept, das
wir entwickelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen
– Sie haben das ja eben am Beispiel Indien gesehen –,
sind Ankerländer solche Länder, die in ihrem regionalen
Umfeld ökonomisch und/oder politisch dazu beitragen
können, dass auch andere Länder aus der Armut mit he-
rausgezogen werden. Natürlich sind die Länder für die
Bekämpfung der Armut in ihrem Land selber verant-
wortlich. Niemand wird ihnen dabei etwas abnehmen.
Außerdem sind diese Länder dadurch gekennzeichnet
– das hat Herr Ruck ja dankenswerterweise dargestellt –,






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

dass sie durch ihr globales Wirken positiv oder negativ
Einfluss nehmen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514119800

Frau Ministerin, der Kollege Löning würde Ihnen

gerne eine Zwischenfrage stellen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Wenn ich darf, würde ich gerne erst den Gedanken zu
Ende führen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514119900

Und ob Sie dürfen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Wenn Sie dann noch das Gefühl haben, einige Punkte
wären unbeantwortet geblieben, beantworte ich Ihnen
gerne noch eine Frage.

Ankerländer wie zum Beispiel China und Brasilien,
Indien und Südafrika tragen also selbst die Verantwor-
tung. Deshalb geht es nicht um Einzelprojekte. Lassen
Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: China ist
nach den USA der zweitgrößte Emittent von CO2. Indienist weltweit der fünftgrößte CO2-Emittent. Dazu beizu-tragen, dass diese Länder auf Energieeffizienz setzen
und erneuerbare Energien einsetzen, liegt erstens im In-
teresse des globalen Klimas und zweitens auch im Inte-
resse der deutschen Industrie. Deshalb bin ich so frap-
piert, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass hier darüber
von dem einen oder anderen so borniert diskutiert wor-
den ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deutsche Unternehmen sind ja in diesen Bereichen der
Marktführer. Auch das sollten Sie einmal berücksichti-
gen.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: So etwas haben Sie doch immer bekämpft!)


– Nein, wir orientieren die Mittel anders: weg vom
Klein-Klein der Einzelprojekte.

Indien zum Beispiel beraten wir bei der Privatisierung
von Staatsfirmen und bei der Frage, wie soziale Siche-
rungssysteme entwickelt werden können. Ein solches
Vorgehen charakterisiert das neue moderne Denken in
der Entwicklungszusammenarbeit: Statt eines Klein-
Kleins von vielen Einzelprojekten wollen wir Strukturen
verändern. Ich fordere Sie auf, dieses Konzept der An-
kerländer mit uns zu vertreten. Ich komme auch gerne zu
Ihnen in den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit, um das im Einzelnen noch einmal darzustellen.

Das heißt übrigens nicht, dass es mehr Finanzmittel
für diese Länder gibt. Das bedeutet vielmehr, dass die
Mittel gleich bleiben, aber strukturell sinnvoll und rich-
tig eingesetzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Mei-
nung, wir sollten in Bezug auf diesen Haushalt und bei
diesen Perspektiven über die Inhalte und auch über die
Zusammenarbeit mit den eben genannten Ankerländern
sprechen, die unser Engagement für Afrika in keiner
Weise einschränkt, weder finanziell noch politisch, und
gemeinsam Positionen entwickeln, statt uns über Klein-
Klein zu zerstreiten.

Ich bedanke mich sehr herzlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514120000

Ich denke, dass der generöse Vorschlag, möglicher-

weise offen gebliebene Fragen im Ausschuss zu vertie-
fen, ein zielführender Beitrag ist, die Debatte nicht gänz-
lich über die vereinbarten Zeitlimits hinaus ausufern zu
lassen.

Nun hat der Kollege Hedrich um eine Kurzinterven-
tion gebeten.


(Widerspruch bei der SPD)


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1514120100

Ich hatte an ungefähr eine halbe Stunde gedacht. –

Herr Präsident! Man könnte natürlich zu einer ganzen
Reihe von Punkten etwas sagen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514120200

Dem wollte ich aber ausdrücklich keinen Vorschub

leisten.

(Heiterkeit)



Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1514120300

Aber Herr Präsident, Sie sind doch sonst so großzü-

gig!

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514120400

Eben drum!


(Heiterkeit)


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1514120500

Ich wollte nur auf einen Punkt verweisen, weil Sie,

Frau Ministerin, einfach nicht aufhören, bestimmte
Dinge immer zu wiederholen. Das will ich an einem Fall
deutlich machen.

Sie verweisen immer wieder auf die große Zahl der
Länder, mit denen zusammengearbeitet wird. Darf ich
Sie daran erinnern, dass sich in den Zeiten unserer Re-
gierung über 80 Prozent der Mittel auf 40 Länder kon-
zentriert haben? Daran hat sich übrigens im Grundsatz
bis heute nicht viel geändert. Mir geht es nur darum,
dass Sie nicht den Eindruck erwecken, das hätte sich ge-
ändert .

Ich möchte Sie mit einem netten Beispiel auch daran
erinnern, welche Möglichkeit Sie genutzt haben, die
Zahl der Länder, mit denen Sie zusammenarbeiten, zu
reduzieren: Sie haben, um dieses Ziel zu erreichen, auf
der Liste der Länder, mit denen wir zusammenarbeiten
und deren Zahl auf keinen Fall 70 überschreiten darf, ein






(A) (C)



(B) (D)


Klaus-Jürgen Hedrich

Land ausgewiesen, das mit dem Namen „Zentralasien“
umschrieben war.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Jeder weiß, dass es dieses Land nicht gibt. Die Be-

zeichnung umfasste insgesamt fünf Länder.
Eines muss man Ihnen bescheinigen, Frau Ministerin:

Der Erfindungsreichtum Ihres Ministeriums ist unter Ih-
rer Führung beachtlich,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514120600

Als letzter Rednerin erteile ich der Kollegin

Kortmann für die SPD-Fraktion das Wort.

Karin Kortmann (SPD):
Rede ID: ID1514120700

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich

möchte auf einige Dinge eingehen, soweit die Zeit das
zulässt.

Herr Ruck, ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft
Sie in Ihren Reden schon von einer modernen Entwick-
lungspolitik gesprochen haben. Bis heute weiß ich nicht,
was die Union mit dem Wort „modern“ verbindet; denn
außer einem kleinen, immer wieder vorgebrachten „Man
sollte“, „Man müsste“, „Man könnte“ habe ich bis heute
keinen großen Wurf von Ihnen wahrgenommen, durch
den man diese „moderne“ Entwicklungspolitik tatsäch-
lich mit dem Prädikat „zukunftsfähig“ verbinden könnte.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Dann haben Sie unseren Antrag nicht gelesen! Sie sollten einmal unsere Anträge lesen, das wäre ganz nett von Ihnen!)


Herr Borchert, zur Frage der Mittelverwendung. Wir
reden so viel über Kohärenz, über das Zusammenspiel
von Ministerien, über die Notwendigkeit von Verzah-
nungen. Ich empfinde es daher eher als kleinkrämerisch,
wenn über 70 Millionen Euro in der Mittelverwendung
des Auswärtigen Amtes gesprochen wird, obwohl man
davon überzeugt ist, dass diese für das richtige Anliegen
verwendet werden. Ich bin wirklich mit Herz und Ver-
stand Entwicklungspolitikerin; aber mir ist, ehrlich ge-
sagt, das engstirnige Ressortdenken an dieser Stelle doch
ein bisschen fremd. Mir ist es wichtiger, dass wir gute
Programme auflegen, die wirklich effektiv und nachhal-
tig sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu der Reduzierung der Zahl der Länder; der Kol-
lege Hedrich ist jetzt leider weg. Es ist wunderbar, wenn
man an diesem Projekt festhält, weil wir in der Tat nicht
Lösungen für alle Probleme der Welt bieten können. Es
ist sinnvoller, die Aufgabe auf Schwerpunkte zu be-
grenzen.

Wenn ich in fast jedem Antrag der Union eine neue
Länderschwerpunktsetzung erkenne, dann muss ich
mich natürlich fragen, wie ernst Sie es mit der Reduzie-
rung der Anzahl der Länder meinen. Außerdem stellen
Sie immer wieder neue Anforderungen.
Herr Löning, wenn Sie über diese Fragen mit den
Schwellen- und Ankerländern reden, dann ist es in der
Tat richtig, dass an diese andere Anforderungen als an
die ärmsten Länder unter den Entwicklungsländern ge-
stellt werden. Wir müssen ihnen dabei behilflich sein,
wirtschaftlich gut Fuß zu fassen, damit sie die Probleme
alleine bewältigen können.

Ihren Hinweis auf die beiden Länder China und In-
dien verstehe ich allerdings nicht. Wir haben uns im
Ausschuss auf eine gemeinsame Beschlussempfehlung
bezüglich des Themas „Weltbevölkerung: zehn Jahre
nach den Kairoer Beschlüssen“ verständigt. Die einzige
Fraktion, die dabei nicht mitgemacht hat, war die FDP.
Denn sie war der Meinung, dass Bevölkerungsfragen
nicht oben auf der Liste stehen.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Hört! Hört! – Markus Löning [FDP]: Das haben wir nicht gesagt!)


Aber das ist eine der entscheidenden Fragen, gerade was
China und auch Indien angeht.

Wir müssen in der Haushaltsdebatte Acht geben, dass
wir nicht das Gefühl vermitteln, wir würden auf der Insel
der Glückseligen leben. Wir haben in zwei Richtungen
Verantwortung zu tragen. Angesichts der Gesamthaus-
haltslage des Bundes haben wir auch im Einzelplan 23
zu einer Haushaltskonsolidierung beizutragen, ohne uns
von der Zielsetzung zu verabschieden, durch bi- und
multilaterale Hilfen weiterhin sehr vehement und sehr
erfolgreich an der Erreichung der Millennium Develop-
ment Goals mitzuwirken. Daher bin ich mit den Haus-
haltsberatungen, die wir im Ausschuss geführt haben,
sehr zufrieden. Ich glaube, dass wir eine gute Basis für
Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Frage „Wohin wol-
len wir eigentlich?“ erreicht haben.

Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir starke ent-
wicklungspolitische Organisationen haben. In der Tat ist
das so. Deswegen war es notwendig, die beiden großen
Bereiche zu stärken. Das sind zum einen der Bereich der
finanziellen Zusammenarbeit, für den die KfW verant-
wortlich ist, und zum anderen der Bereich der techni-
schen Zusammenarbeit, für den die GTZ die Verantwor-
tung trägt. Das ist uns mit einem Plus von 33 Millionen
bzw. mit 32 Millionen Euro gelungen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Davon geht die Hälfte wieder weg!)


Wir dürfen uns aber vor der Erkenntnis nicht drücken,
dass zu einer effektiven Mittelverwendung und zu einem
erfolgreichen Einsatz von Personal auch gehört, dass wir
weiterhin an einer Harmonisierung von finanzieller und
technischer Zusammenarbeit arbeiten. Die ursprünglich
bei der Gründung der Institutionen festgelegte saubere
Trennung von FZ und TZ ist längst überholt und ent-
spricht nicht mehr den Erfordernissen, die wir heute ha-
ben. Deswegen muss die engere Verzahnung weiter vo-
rangetrieben werden.

Unter dieser Prämisse sage ich: Wenn unsere staatli-
chen Organisationen – da schließe ich neben der GTZ
und der KfW auch den Deutschen Entwicklungsdienst






(A) (C)



(B) (D)


Karin Kortmann

mit ein – im multilateral ausgerichteten EZ-Spektrum
wettbewerbsfähig bleiben wollen, sind eine Überprüfung
ihrer originären Tätigkeiten und eine abgestimmte Pro-
grammplanung mit den privaten Trägern, mit den Kir-
chen, aber vor allen Dingen auch mit den Stiftungen not-
wendiger denn je.

Die Ministerin hat auf die gestern veröffentlichten
Zahlen von UNAIDS hingewiesen. Sie sind in der Tat
erschreckend. Allein in diesem Jahr starben bereits mehr
Menschen am Aidsvirus als je zuvor. Außerdem hat sich
der Virus trotz des großen öffentlichen Engagements und
der Akquirierung von Mitteln schneller verbreitet. Am
Ende dieses Jahres wird die Zahl der Toten auf 1,3 Mil-
lionen gestiegen sein. Fast 40 Millionen Menschen sind
infiziert. Das entspricht jedem Zweiten, der in Deutsch-
land lebt. Das sind ganz Besorgnis erregende Zahlen. Sie
sollten eine Aufforderung an uns sein, mehr zu helfen.

Kofi Annan hat im letzten Jahr davon gesprochen,
dass Aids die größte Massenvernichtungswaffe sei und
dass im Kampf dagegen die meisten Regierungen nicht
so engagiert seien wie etwa bei der Verfolgung von Ter-
roristen. Diese Zustandsbeschreibung trifft aber auf die
Bundesregierung nicht zu. Wir haben uns im AWZ auf
der Grundlage von gemeinsamen Beschlusslagen auf ein
verstärktes HIV-/Aidsengagement verständigt. Das halte
ich für einen richtigen Weg. Ich glaube, wir müssen den
Kreislauf „je höher die wirtschaftliche Abhängigkeit, je
niedriger der soziale Status und je geringer das Bil-
dungsniveau, desto ungehinderter erfolgt die Verbrei-
tung der Krankheit“ wirkungsvoll durchbrechen. Ich bin
deswegen sehr froh, dass wir neben den Mitteln für die
bilaterale HIV-und Aidsbekämpfung weitere Mittel zur
Verfügung stellen konnten, um dieses wichtige Sektor-
vorhaben im BMZ zu stärken, und dass wir mit weiteren
10 Millionen Euro für den globalen Fonds gegen HIV
und Aids, Tuberkulose und Malaria wirkungsvolle Hilfe
geben können.

Nichtsdestotrotz sagen viele Hilfeorganisationen, die
in diesem Bereich tätig sind: Man kann die Qualität der
Hilfe nicht allein an der Höhe der bereitgestellten Mittel
messen. Nehmen wir das Beispiel Mosambik. Dort sagt
man: Bringt uns nicht mehr Geld, sondern helft uns,
Leute auszubilden. Mosambik, ein Land, das doppelt so
groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, verfügt
über 450 Ärztinnen und Ärzte. Da weiß man, wo der
Notstand ist. Hier können Sie eine wirkungsvolle HIV-
und Aidsbekämpfung betreiben. Wir müssen mehr in die
Ausbildung von Fachpersonal investieren. Dann können
sich diese Länder selber helfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Stärkung der ODA-Quote der Bundesrepublik
Deutschland von zurzeit 0,28 Prozent. Es liegt mir auf
der Zunge, noch einmal zu sagen, zu welcher Absenkung
der ODA-Quote es in den 16 Jahren Ihrer Regierung
kam. Sie haben es von einem Haushaltsjahr zum ande-
ren, von 1996 auf 1997, geschafft, die ODA-Quote um
0,04 Prozentpunkte zu senken. Das war ein rasantes
Tempo.

Ich glaube, dass wir nicht nur im Rahmen der Erhö-
hung von Haushaltsmitteln darüber reden dürfen, ob wir
die ODA-Quote erreichen. Ich wünsche mir von der Op-
position, dass sie die Schranken öffnet und mit uns da-
rüber spricht, welche anderen kreativen Ideen es gibt.
Ich erinnere an die Devisenumsatzbesteuerung, an Nut-
zungsentgelte und an Beiträge durch die Privatwirt-
schaft. Dem haben Sie sich bisher verschlossen,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wir können nicht jeden Schmarren mitmachen!)


Allein über Haushaltsansätze die Probleme zu regeln
reicht nicht aus.

Wir als SPD haben deshalb Vorschläge für die weitere
Beratung im Ausschuss gemacht. Es ist dringend not-
wendig, dass wir im Ausschuss über alternative Finan-
zierungselemente reden und uns auf ein neues Maß ver-
ständigen. Denn ansonsten bleibt es bei dem derzeit
gestückelten Verfahren. Ich glaube, dass unsere Haus-
haltsanträge auch dadurch, dass wir gesagt haben, es
müsse neue verbilligte FZ-Kredite geben, um neue
Haushaltsmittel zu akquirieren, die ODA-anrechnungs-
fähig sind, in die richtige Richtung gehen.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass unsere Haushälterin
und unser Haushälter von Rot-Grün das aufgreifen und
wir im nächsten Jahr eine noch positivere Bilanz ziehen
können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514120800

Ich schließe die Aussprache, für die eine Stunde vor-

gesehen und vereinbart war und die nun tatsächlich deut-
lich mehr als anderthalb Stunden gedauert hat, was die
Vermutung der Großzügigkeit des amtierenden Präsiden-
ten eindrucksvoll bestätigt,


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)


auch wenn der entsprechende Kollege mit dem Hinweis
auf die Großzügigkeit des Präsidenten seine Anwesen-
heit danach für entbehrlich gehalten hat.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung.
Wer für den Einzelplan in dieser Fassung stimmt, den
bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich der Stimme? – Der Einzelplan 23 ist da-
mit angenommen.

Damit sind wir zugleich am Schluss der heutigen Ta-
gesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages für morgen, Donnerstag, den 25. November
2004, 9 Uhr, ein.

Ich wünsche allen noch einen schönen, angenehmen
Abend und schließe damit die Sitzung.