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ID1514102000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/141 Tagesordnungspunkt I.13: Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 15/4304, 15/4323) . . . . . . . . . . Michael Glos (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . Michael Glos (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Hans Eichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I.14: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 15/4305, 15/4323) . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Fälschungen der ukrainischen Präsidentschaftswahlen (Drucksache 15/4265) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 13007 B 13007 D 13014 D 13023 A 13024 B 13024 C 13026 C 13029 C 13035 B 13066 D 13067 A Deutscher B Stenografisc 141. Si Berlin, Mittwoch, den I n h a Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I: a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haushaltsgesetz 2005) (Drucksachen 15/3660, 15/3844) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bun- des 2004 bis 2008 (Drucksachen 15/3661, 15/3844, 15/4326) 13066 B 13007 A 13007 B Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . 13042 D 13044 A 13048 D undestag her Bericht tzung 24. November 2004 l t : Gerhard Rübenkönig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Petra-Evelyne Merkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13050 B 13052 C 13054 D 13056 B 13057 C 13059 C 13061 C 13062 B 13064 A 13064 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . 13067 A 13070 B 13071 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . Kurt Bodewig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I.15: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 15/4312, 15/4323) . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt I.16: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (Soldatin- nen- und Soldatengleichstellungsdurch- setzungsgesetz – SDGleiG) (Drucksachen 15/3918, 15/4255) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, Christian Schmidt (Fürth), Annette Widmann-Mauz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurch- setzungsgesetz zügig umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, Anita Schäfer (Saal- stadt), Christa Reichard (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Frauen und Fa- milien in der Bundeswehr stärken und fördern – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Helga Daub, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bundeswehr stärken – Be- schäftigungsbedingungen für Solda- tinnen und Soldaten verbessern (Drucksachen 15/3717, 15/3049, 15/3960, 15/4255) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13073 C 13075 D 13078 A 13081 D 13082 D 13086 A 13087 B 13088 A 13089 C 13091 B 13091 C 13091 D Dietrich Austermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Günther Friedrich Nolting (FDP) . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Merten (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Austermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Merten (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I.17: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 15/4318, 15/4323) . . . . . . . . . . Jochen Borchert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Karl Diller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU) . . . . . . . . 13092 A 13094 B 13097 C 13098 B 13100 A 13101 B 13103 B 13103 C 13104 C 13105 D 13107 D 13109 A 13109 C 13111 A 13113 A 13113 C 13113 D 13115 A 13115 A 13116 B 13116 D 13117 A 13118 D 13120 C 13121 B 13122 A 13122 D 13124 A 13125 B 13125 D 13127 C 13128 C 13130 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 III Karin Kortmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes über die Feststellung des Bundeshaus- haltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haus- haltsgesetz 2005), hier: Einzelplan 04 (Tagesordnungspunkt I.13) . . . . . . . . . . . . . . 13131 A 13132 D 13133 A 13133 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13007 (A) (C) (B) (D) 141. Si Berlin, Mittwoch, den Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13133 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten wurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haushaltsgesetz 2005), hier: Einzel- plan 04 (Tagesordnungspunkt I.13) Die Stiftung für das sorbische Volk, die mit Zuwen- dungen durch den Bund, den Freistaat Sachsen und das Land Brandenburg die materiellen Grundlagen für den Erhalt, die Bewahrung und Fortentwicklung der sorbi- schen Sprache und Kultur pflegt, organisiert und in enger Abstimmung mit dem Bund Lausitzer Sorben und der Sprache, dem Brauchtum und der Kultur verpflichteten Vereine durchführt, hat in den zurückliegenden Jahren ei- nen permanenten Umstrukturierungsprozess gestaltet. Die Einsparmöglichkeiten sind so voll ausgeschöpft wor- den. Auch für die Zukunft arbeiten die Gremien an Effi- zienzsteigerungen. Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Ferlemann, Enak CDU/CSU 24.11.2004 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 24.11.2004 Fritz, Erich G. CDU/CSU 24.11.2004 Haupt, Klaus FDP 24.11.2004 Irber, Brunhilde SPD 24.11.2004 Jonas, Klaus Werner SPD 24.11.2004 Dr. Leonhard, Elke SPD 24.11.2004 Lintner, Eduard CDU/CSU 24.11.2004* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- Nolte, Claudia CDU/CSU 24.11.2004 Raab, Daniela CDU/CSU 24.11.2004 Scharping, Rudolf SPD 24.11.2004 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 24.11.2004 Dr. Stinner, Rainer FDP 24.11.2004 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 24.11.2004 Wester, Hildegard SPD 24.11.2004 Die von der Bundesregierung im Bundeshaushalts- planentwurf für 2005 vorgesehene Kürzung des Bundes- zuschusses an die Stiftung für das sorbische Volk in Höhe von 775 000 Euro stellt das sorbische Volk jedoch vor die Situation, dass nur durch Reduzierung von Angeboten bzw. Schließung von Kultureinrichtungen die geforderte Einsparsumme erbracht werden kann. Diese Situation haben die Berichterstatter des Haushaltsausschusses aller Fraktionen durch intensiven Kontakt mit den Vertretern in der Lausitz erkannt und sie haben die Aufstockung bei Effizienzsteigerung in Höhe von 500 000 Euro empfoh- len, was der Haushaltsausschuss beschlossen hat. Dafür möchte ich mich als Sorbin ausdrücklich bedanken. Der Antrag der PDS greift noch einmal die bereits ge- führte Diskussion auf. Die intensive Beratung hat deut- lich gemacht, dass die Aufstockung auf 8 Millionen Euro Gesamtzuschuss des Bundes keine Mehrheit im Deut- schen Bundestag findet. Deshalb ist der Antrag populis- tisch. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. 141. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Guido Westerwelle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Ich würde darauf philosophisch antworten: Drei ist

    mehr als zwei.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Keine Antwort ist auch eine Antwort!)

    Das sind doch, mit Verlaub gesagt, Albernheiten. Es hat
    niemals einen Finanzminister gegeben, der in einem Jahr
    so viel neue Schulden machen musste wie Sie. Dass Sie
    hier vor lauter Verzweiflung auch noch versuchen, Ihre
    Bilanzen schönzurechnen, ist in meinen Augen und ver-
    mutlich auch in den Augen der Öffentlichkeit eine Gro-
    teske, eine Peinlichkeit. Sie sind kein Sparminister. Sie
    sind der größte Schuldenmacher, den Deutschland je-
    mals gesehen hat. Das ist Ihre Rolle in diesem Hause.


    (Anhaltender Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Setzen! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Wie ein begossener Pudel!)


    Ich möchte an dieser Stelle ganz konkret sagen, was
    aus unserer Sicht noch zu tun ist


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glaube ich nicht, dass Sie jetzt konkret werden!)


    und was vor allen Dingen in den nächsten beiden Jahren
    getan werden sollte.

    Erstens. Die Bundesregierung sagt, sie habe keinen
    weiteren Spielraum für eine Steuerreform. Das halten
    wir für falsch. Wir sagen: Steuersenkungs- und Steuer-
    vereinfachungspolitik sind das beste Beschäftigungspro-
    gramm. Es kann nur Steuern zahlen, wer Arbeit hat.
    Deswegen müssen wir mithilfe eines einfacheren, niedri-
    geren und gerechteren Steuersystems, das internationa-
    len Vergleichen standhält, Investitionen nach Deutsch-
    land holen und Arbeitsplätze schaffen. Nur so können
    die Staatsfinanzen wieder gesunden.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Dazu liegt diesem Hause ein Gesetzentwurf der Fraktion
    der Freien Demokratischen Partei vor.

    Wir haben auch ganz konkret gesagt, wo gespart wer-
    den sollte. Sie können nicht behaupten, dass die Opposi-
    tion in der Deckung bliebe und keine Vorschläge machen
    würde. In dem Buch, das ich mitgebracht habe, sind auf
    über 400 Seiten mehr als 400 Anträge der Fraktion der
    Freien Demokratischen Partei in diesem Hause abge-
    druckt. Sie sind der Beweis, dass wir konkrete Einspar-
    vorschläge, die ein Volumen von 12,5 Milliarden Euro
    haben, gemacht haben. Wenn Sie von den Regierungs-
    fraktionen allerdings jeden dieser Anträge, die großen
    wie die kleinen, aus reiner Parteipolitik ablehnen, dann
    dienen Sie nicht, sondern dann schaden Sie Deutschland.

    Wer Sparanträge der Opposition in so großer Anzahl
    ablehnt, der kann nicht verlangen, dass die Opposition
    mit weiteren Sparanträgen in diesem Hause aufwartet.
    Wir haben gesagt, wo gespart werden soll. Wir kommen
    aus der Deckung heraus. Das ist übrigens der Unter-
    schied zu Ihrer Oppositionszeit.

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

    Wir erinnern uns noch sehr genau daran, wie Schröder,
    Lafontaine und Eichel als Ministerpräsidenten alles ver-
    hindert haben, was Deutschland hätte nützen können.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Zweitens. Wir sind der Überzeugung, dass die Lohn-
    zusatzkosten von über 40 Prozent im internationalen
    Wettbewerb wie eine gigantische Sondersteuer auf Ar-
    beitsplätze wirken. Deswegen haben wir nicht unver-
    bindliche, sondern konkrete Vorschläge gemacht, wie
    das Gesundheitssystem reformiert werden kann. Wir
    sind der Überzeugung, dass die Gesundheitskosten von
    den Arbeitskosten abgekoppelt werden müssen, damit
    dieser Wachstumsmarkt nicht Arbeitslosigkeit aufgrund
    höherer Lohnzusatzkosten produziert, sondern neue Ar-
    beitsplätze schafft. Von uns wurde in diesem Hause ein
    präzises Konzept vorgelegt.

    Drittens. Die Probleme bei der Pflegeversicherung
    sind bekannt, aber sie werden verschwiegen. Wir wissen,
    dass im Jahre 2006, also ungefähr zehn Jahre nach Ein-
    führung der Pflegeversicherung, die vorgeschriebenen
    gesetzlichen Reserven unterschritten werden. Deshalb
    werben wir dafür, dass die Finanzierung der Pflegever-
    sicherung – das geht bei ihr leichter als bei der Renten-
    und Krankenversicherung, weil sie erst zehn Jahre exis-
    tiert – auf ein Kapitaldeckungsverfahren umgestellt
    wird. Von uns wurde in diesem Hause ein entsprechen-
    der Vorschlag eingebracht. Wir alle wissen, dass es so
    kommen wird.


    (Beifall bei der FDP)

    Viertens. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist not-

    wendig. Dazu haben wir für diesen Haushalt konkrete
    Änderungsanträge eingebracht. Wir haben darüber hi-
    naus in diesem Hause Anträge eingebracht, die aufzei-
    gen, wie man Subventionen abbauen kann. Herr Bundes-
    kanzler, wenn Sie beispielsweise über die Abschaffung
    der Eigenheimzulage sprechen, dann wollen Sie in
    Wahrheit nicht Subventionen kürzen, sondern Steuern
    erhöhen. Denn wer steuerliche Vergünstigungen streicht,
    ohne gleichzeitig auf eine Entlastung der Bürgerinnen
    und Bürger durch niedrigere Steuersätze hinzuwirken,
    der erhöht die Steuern, senkt sie aber nicht. Aber höhere
    Steuern sind Gift für die Volkswirtschaft. Wir machen
    das nicht mit. Auch wenn Sie das dann als Subventions-
    kürzung verkleistern, bleibt es eine Steuererhöhungs-
    politik, der wir uns entgegenstellen.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Fünftens. Reformen auf dem Arbeitsmarkt anzuge-
    hen ist mehr als notwendig. Dazu zählt auch eine Aus-
    einandersetzung mit dem Tarifrecht und der betrieb-
    lichen Mitbestimmung. Dazu kam von Ihnen kein Ton,
    obwohl die Sachverständigen, die Sie selber zitieren, Ih-
    nen ausdrücklich Änderungen in diesem Bereich mit auf
    den Weg geben.


    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Guido Westerwelle

    Wir sind der Überzeugung: Wir brauchen mehr Be-

    triebsnähe bei den Vereinbarungen und weniger Funktio-
    närsherrschaft. Auch dazu haben wir Anträge im Deut-
    schen Bundestag eingebracht. Wenn sich 75 Prozent
    einer Belegschaft in geheimer Abstimmung mit der Un-
    ternehmensführung auf etwas verständigen wollen, dann
    soll das gelten dürfen, ohne dass ein Gewerkschaftsfunk-
    tionär ein Veto einlegen kann.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sechstens, Bildung und Ausbildung. Wir haben
    nicht nur vorgemacht, wie man den Bereichen Bildung
    und Ausbildung mehr Geld zur Verfügung stellen kann.
    Wir haben auch neue Strukturen empfohlen: von der Ab-
    schaffung der Kultusministerkonferenz bis hin zu Ange-
    legenheiten, welche die Bundesregierung selber etwas
    angehen. Dass Sie der Überzeugung sind, man müsse al-
    len Ländern und allen Hochschulen die Einführung von
    Studiengebühren zur Finanzierung besserer Studienbe-
    dingungen verbieten, zeigt doch, dass Sie sich in Wahr-
    heit noch nicht einmal ansatzweise den Strukturverände-
    rungen genähert haben. Anfang dieses Jahres haben Sie
    gesagt, das Jahr 2004 müsse das Jahr der Eliteuniversitä-
    ten werden, gleichzeitig wehren Sie sich aber dagegen,
    dass Universitäten, die es wollen, Studiengebühren ein-
    führen können, um vor Ort für bessere Studienbedingun-
    gen zu sorgen. Das ist von gestern; das ist Ihre Politik,
    Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Siebtens, Forschung und Wissenschaft. Darüber re-
    den Sie gar nicht mehr. Sie reden nicht einmal mehr da-
    rüber, wo noch Arbeitsplätze entstehen könnten. Wir
    halten es für einen großen Fehler, dass die Mehrheit die-
    ses Hauses und die Bundesregierung die Bio- und Gen-
    technologie außer Landes schicken. Wir sind der Über-
    zeugung: Schlüsseltechnologien mit neuen und guten
    deutschen Patenten sollten auch bei uns im Inland eine
    Chance haben, und zwar aus ethischen und moralischen
    Gründen, um Krankheiten zu bekämpfen, aber auch aus
    ökonomischen Gründen, damit hier die Arbeitsplätze der
    Zukunft entstehen und nicht im Ausland.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Achtens. Das Thema Bürokratie wird von Ihnen
    nicht einmal mehr angesprochen. Wir haben vorgelegt,
    wie man, gerade damit neue Arbeitsplätze im Mittel-
    stand entstehen können, Bürokratie abbaut. Nichts davon
    kommt mehr in Ihren Reden vor, weil Sie es aufgegeben
    haben.

    Das entscheidende Problem ist: Sie verwalten sich
    selber. Sie sind der Überzeugung, Sie könnten nur mit
    ein bisschen PR und Show den Wahlkampf einläuten.
    Substanzielle Politik haben Sie heute nicht geboten. Das
    war eine Rede des Stillstandes und das ist das Letzte,
    was dieses Land in Anbetracht einer Massenarbeitslosig-
    keit braucht. Wir wollen einen Politikwechsel; der ist für
    Deutschland fällig. Weil er mit Ihnen nicht hinzubekom-
    men ist, muss Rot-Grün weg.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen erhält

nun die Kollegin Krista Sager das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Krista Sager


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

    lege Westerwelle, ich finde es schon merkwürdig, dass
    Sie nach Ihrem Schuhsohlenwahlkampf und Ihren
    Guidomobilauftritten hier vor allem über Mätzchen re-
    den müssen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/ CSU]: Schlechter Einstieg! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


    Ich glaube, dazu sind Sie hier der falsche Kandidat.

    (Joachim Poß [SPD]: Der hat es gerade nötig, der Lackaffe!)

    Warum Sie sich an unserer Regierung stören, ist mir

    klar. Im Gegensatz zur CDU/CSU weiß man bei Ihnen
    wenigstens, was Sie vorhaben: Sie wollen den Kündi-
    gungsschutz und die Tarifautonomie schleifen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dafür müssten eigentlich auch die Grünen sein!)


    Sie wollen die Mitbestimmung abschaffen. Sie wollen
    flächendeckend Subotnik, kostenlose Mehrarbeit der Ar-
    beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einführen. Dann
    wollen Sie noch die solidarische Absicherung der
    Lebensrisiken abschaffen und stattdessen die Lebensrisi-
    ken privatisieren. Da sage ich Ihnen ganz klar: Das wol-
    len wir nicht. Und weil das auch nicht im Interesse der
    Bürgerinnen und Bürger ist, wird Rot-Grün weiter regie-
    ren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Auch das, was Sie über Ihre Steuerpolitik gesagt ha-
    ben,


    (Joachim Poß [SPD]: Der weiß nicht, worüber er redet!)


    liegt letztendlich auf der gleichen Linie. Wir haben in
    Deutschland mit 20,3 Prozent eine radikal niedrige Steu-
    erquote; das ist europaweit wirklich am unteren Ende.
    Auch das ist ein Verdienst dieser Regierung, die dafür
    gesorgt hat, dass gerade für die Bezieher niedriger Ein-
    kommen die Steuersätze gesenkt worden sind und der
    Grundfreibetrag erhöht worden ist. Wenn Sie jetzt ver-
    langen: „Noch weiter herunter mit den Steuern“, dann
    lässt sich das nicht damit vereinbaren, hier eine vernünf-
    tige, seriöse Haushaltspolitik einzufordern. Beides zu-
    sammen geht nicht.

    Was ferner nicht zusammen passt, ist, auf der einen
    Seite die Ruinierung der Staatsfinanzen durch eine unse-
    riöse Steuerpolitik immer weiter voranzutreiben und auf
    der anderen Seite zu fordern, dass in diesem Land mehr
    für die Bildung getan werden soll. Auch das geht nicht
    zusammen.






    (A) (C)



    (B) (D)


    Krista Sager


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Was ist denn unser Problem bei der Bildung? Die Ergeb-
    nisse der PISA-Studie haben das bestätigt und die neue
    PISA-Studie wird das erneut bestätigen: Wir haben ein
    Schulsystem, das Menschen aus sozial schwächeren Fa-
    milien im Vergleich zu anderen Industrienationen die
    schlechtesten Bildungschancen gibt. Das ist ein unge-
    heurer Skandal und das kann so nicht bleiben.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Die Ursache liegt darin, dass wir an einem Schulsystem
    festhalten, mit dem wir inzwischen weltweit isoliert
    sind. Deswegen kann unser Schulsystem auch kaum
    noch mit einem anderen Schulsystem auf der Welt ver-
    glichen werden. Unser System einer dreigliedrigen Se-
    lektion, bei dem ein Lehrer darüber entscheidet, ob der
    Daumen für ein zehn Jahre altes Kind gesenkt oder ge-
    hoben wird, ist gescheitert. Dieses Schulsystem hat ver-
    sagt, es taugt nicht für eine Gesellschaft, die vor großen
    Integrationsherausforderungen, aber auch vor einem
    großen demographischen Wandel steht.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Herr Westerwelle, die einzige Antwort, die Sie auf
    diese Frage gegeben haben, bestand in einem Vorschlag
    zur weiteren Privatisierung der Bildungskosten. Das
    kann im Ernst nicht die Antwort auf die Herausforderun-
    gen sein, vor denen wir im Bildungssystem stehen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie wissen doch wie wir, dass das so kommen wird! Sie können doch den Universitäten nicht verbieten, Gebühren zu erheben! Das kommt doch so!)


    Herr Glos, jetzt ein Wort zu Ihnen. Ihre Rede war ja
    nun wirklich ein Beispiel dafür, dass der Werte- und
    Leistungsverfall inzwischen im konservativen Lager an-
    gekommen ist.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Oberlehrerin!)


    Das war wirklich ein Griff in die Mottenkiste der Res-
    sentiments, der Zerrbilder, der Peinlichkeiten, der per-
    sönlichen Beleidigungen.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie bleiben eine Lehrerin!)


    Ich frage mich manchmal, wenn Sie hier Ihre Kalauer
    über strickende Grüne und leistungsunwillige 68er brin-
    gen,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Was ist denn daran Kalauer?)


    ob Sie gar nicht mehr hören, wie die Bartwickelma-
    schine vor Überforderung schon zu knirschen beginnt.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Entschuldigung, ich habe alle erlebt! Ich habe den Herrn Fischer erlebt! Ich habe sie alle erlebt, als Sie noch gar nicht wussten, was der Deutsche Bundestag ist!)


    Aber an der Stelle, wo es eigentlich darum hätte ge-
    hen sollen, eigene Alternativen vorzustellen, haben Sie
    sich ins Wolkige verloren oder geflüchtet. Ich habe er-
    wartet, dass Sie den Versuch machen, uns Ihr Gesund-
    heitsmodell zu erklären.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Aber das können Sie wahrscheinlich gar nicht erklären.
    Davon habe ich in Ihrer Rede nichts gehört.


    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist zu kompliziert für Herrn Glos! – Joachim Poß [SPD]: Das macht gleich Frau Merkel!)


    Stattdessen hören wir etwas über die Werte unserer Ge-
    sellschaft. Hoch interessant wurde es allerdings, als Sie,
    Herr Glos, sich auf Ihrer Kalauerstrecke zu dem Thema
    erneuerbare Energien vorgearbeitet hatten: Da wurde
    Ihr Kollege Ramsauer blass und blässer.


    (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Da haben Sie sich getäuscht! Sie sind doch farbenblind!)


    Er hat natürlich Angst gehabt, dass Sie ihm sozusagen
    die Wassermühle abstellen wollen.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Grüne sind farbenblind!)


    Herr Glos, ich kann Ihnen eines verraten – das gilt be-
    sonders für den Fall, dass Sie demnächst einmal wieder
    Wahlkampf in Bayern machen müssen –: Zahlreiche
    Bauern, von Schleswig-Holstein bis Bayern, setzen in-
    zwischen auf erneuerbare Energien, und zwar zu Recht,
    weil sie Entwicklungschancen für die ländlichen Räume,
    gerade auch in Ostdeutschland, bieten. Das haben Sie
    verschlafen, das muss man leider sagen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Schlafen Sie weiter!)


    Falls Sie ein bisschen Nachhilfeunterricht brauchen:

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Bitte nicht!)


    Ihr Ministerpräsident, Herr Stoiber, hatte neulich Besuch
    von einer chinesischen Delegation. Was hat Herr Stoiber
    dem chinesischen Ministerpräsidenten mit seiner Dele-
    gation vorgeführt? Bayerische Biogasanlagen, die von
    der Bundesregierung großzügig gefördert wurden. Herr
    Glos, peinlich für Sie, dass Herr Stoiber diese für Fort-
    schritt hält, während es für Sie offenbar eine Wollso-
    ckennummer ist!


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Es wäre interessant, einmal die Alternativen der Op-
    position zu hören. Davon haben wir nämlich bisher noch
    nichts gehört. Es wäre aber gerade deshalb interessant,
    weil bei Ihnen in dieser Woche vieles in Bewegung gera-
    ten ist. Die Lage bei den Fraktionsvorsitzenden ist bei






    (A) (C)



    (B) (D)


    Krista Sager

    Ihnen inzwischen unübersichtlicher als bei uns. Sie
    zeichnet sich bei uns durch hohe Kontinuität aus, wäh-
    rend bei Ihnen ein Stafettenlauf stattfindet.

    Diese Woche ist die Woche der Abschiedsreden in der
    Union. Ich sehe schon, dass Herr Schäuble und Herr
    Merz auf der Dissidentenbank ein bisschen zusammen-
    rücken müssen, damit auch Herr Seehofer dort noch
    Platz findet. Ich muss leider zugeben, dass ich im letzten
    Jahr einen Fehler gemacht habe, den ich jetzt korrigieren
    muss. Ich hatte Herrn Seehofer ein freundliches Angebot
    gemacht, weil wir Grüne viele Erfahrungen mit querköp-
    figen Herren haben, und zwar nicht nur mit den älteren,
    sondern auch mit denen im besten Alter. Mein Angebot
    war ein echter Fehler, weil Herr Seehofer seinen wirk-
    lich hohen Unterhaltungswert in der Union im letzten
    Jahr besser zur Geltung bringen konnte, als das bei uns
    möglich gewesen wäre. Ich denke, das wird auch so blei-
    ben; denn er hat versprochen, kein Blatt vor den Mund
    zu nehmen. Wir sind voller Hoffnung, wir betrachten das
    nicht als Drohung, sondern als Versprechen.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Joachim Poß [SPD])


    Ihrer Fraktionsvorsitzenden möchte ich sagen: Die
    Lebenserfahrung zeigt, dass es nicht immer ein Unglück
    ist, wenn einem ein Mann davonläuft.


    (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Reichlich Erfahrung?)


    Wenn es allerdings in sehr kurzer Zeit zwei Männer sind,
    sollte einem das vielleicht ein bisschen zu denken geben.
    Da ich nicht nur eine lebenserfahrene Frau bin, sondern
    auch Mitglied eines berühmten Fußballvereins, kann ich
    noch einen weiteren Rat geben: Wenn die Leistungsträ-
    ger einer Mannschaft anfangen, gegen den Trainer zu
    spielen, und nur noch Dienst nach Vorschrift machen,
    dann muss am Ende meist der Trainer gehen, Frau
    Merkel. Das sollten Sie sich vielleicht merken.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Trainerwechsel!)


    Herr Merz und Herr Seehofer wollten meist in völlig
    unterschiedliche Richtungen, das war erkennbar. Man
    hatte den Eindruck, sie würden sich am liebsten gegen-
    seitig ins Steuerrad greifen. Eines konnte man ihnen aber
    nicht absprechen: Sie wussten jeder für sich wenigstens,
    wohin sie wollten. Nachdem sie sich nun zurückgezogen
    haben, fragt man sich natürlich, wohin geht es eigentlich
    mit der Unionsfregatte. Sie dümpelt erkennbar im trüben
    Fahrwasser der Orientierungslosigkeit und des konzepti-
    onellen Niemandslandes.

    Ihre Gesundheitsreform steht geradezu für das, was
    Sie als Union im Moment programmatisch verkörpern.
    Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es auf den Begriff „we-
    der Fisch noch Fleisch“ gebracht. Eine Zeit lang hatte
    ich die Befürchtung, Sie würden uns am Ende Ihrer
    Suche zwischen Fisch und Fleisch einen Hering mit Ka-
    ninchenohren servieren.


    (Zurufe von der CDU/CSU: Ha! Ha! Ha!)

    Das Resultat des Zusammenwirkens von Frau Merkel
    und Herrn Stoiber habe ich in der Tat noch unterschätzt.
    Es ist schon ein ausgewachsener bayerischer Wolpertin-
    ger, den Sie uns präsentiert haben,


    (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wie heißt der?)


    in dem sich bekanntlich acht verschiedene Tierarten ver-
    einen.


    (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wie heißt der? Das können Sie nicht aussprechen!)


    – Ich sprach von dem berühmten bayerischen Wolpi.
    Den kennen vielleicht auch Sie. In ihm stecken acht ver-
    schiedene Tierarten.

    So verhält es sich auch mit Ihrem Gesundheitsmodell.
    Auf der einen Seite sagen Sie Ja zu Steuererhöhungen,
    zur Pauschale und zu prozentualen Arbeitgeberbeiträ-
    gen. Auf der anderen Seite machen Sie die sozial Schwä-
    cheren zu Bittstellern. Dieses Modell ist unterfinanziert
    und nicht seriös gegengerechnet. Den Solidarausgleich
    für Kinder sollen auch die Privatversicherten bekom-
    men. Es ist vollkommen richtig, wenn Herr Seehofer
    sagt, dass dieses Modell eine Totgeburt ist und dass da-
    raus niemals etwas werden wird.

    Eines ist auch klar: Dass die Bürgerversicherung
    das Modell von Rot-Grün ist,


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, ja! Wegen des Wettbewerbs!)


    liegt nicht nur daran, dass sie einen besseren Namen hat,
    sondern auch daran, dass sie vom Prinzip her einfach
    und gerecht ist.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist einfach ein Monopol! Gerecht ist sie nicht!)


    Wir können den Bürgerinnen und Bürgern versichern:
    Wir werden die sozialen Sicherungssysteme im Bereich
    der Krankenversicherung, die für 90 Prozent der Bevöl-
    kerung Sicherheit gewährleisten,


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Eine Zwangsveranstaltung!)


    nicht zerschlagen, sondern sie auf eine breitere und ge-
    rechtere Grundlage stellen,


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Eine reine Zwangsveranstaltung!)


    und zwar dadurch, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger
    einbeziehen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Darauf freuen sich die Menschen schon jetzt!)


    Sie wollen das auf keinen Fall tun, obwohl das sogar
    vom Sachverständigenrat empfohlen wurde. Wir werden
    allerdings keine Pauschale einführen; denn wir wollen
    nicht, dass Millionen Menschen in unserem Land zu






    (A) (C)



    (B) (D)


    Krista Sager

    Bittstellern werden. Wir werden die Einkunftsarten ge-
    rechter einbeziehen


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    und nicht nur die Arbeitnehmereinkommen belasten.
    Dieses System ist einfach, klar und gerecht.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie müssen nur aufpassen, dass die SPD am Ende bei der Stange bleibt! Ich habe nämlich den Eindruck, die SPD will das gar nicht!)


    Das ist das Gegenteil von dem, was Sie auf den Weg ge-
    bracht haben. Aus dem, was Sie wollen, wird nichts. Das
    ist ein hoffnungsloses Kuddelmuddel.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, die
    derzeitige wirtschaftliche Situation schlecht zu reden.
    Im Moment stehen wir allerdings noch am Anfang der
    konjunkturellen Erholung.


    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ja ein völliges Durcheinander!)


    Der Sachverständigenrat hat gesagt, dass wir mit unse-
    ren Arbeitsmarkt- und Sozialreformen auf dem richtigen
    Weg sind. Wir wissen, dass sich die Wirkungen dieser
    Reformen erst mittel- und langfristig zeigen werden.
    Ebenso wissen wir, dass die Reaktion vieler Menschen
    auf diese Reformen Verunsicherung war. Auch das ist
    ein Grund für die schwache Binnennachfrage. Daher
    darf man die Menschen jetzt nicht weiter verunsichern.

    Ich fand es schäbig, wie Sie von der Opposition die
    Diskussion über den 3. Oktober ausgenutzt haben: In
    dieser Debatte haben Sie so getan, als gehe es mit
    Deutschland so sehr bergab, dass nur noch flächende-
    ckendes Subotnik helfen könne. Dabei übertreffen Sie
    sich ununterbrochen selbst: Herr Stoiber will flächende-
    ckend die 40-Stunden-Woche, Herr Merz die 42-Stun-
    den-Woche einführen. Letztes Jahr ist von Ihrem desi-
    gnierten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sogar
    die 48-Stunden-Woche ins Gespräch gebracht worden.
    Das kann nicht der Weg sein, den wir gehen müssen, da-
    mit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt bzw. wird. Wir
    müssen auf Qualität, Produktivität, Innovation und Bil-
    dung setzen. Für die Bildung müssen wir den Weg frei-
    machen.

    Nun komme ich zum Haushalt.

    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Endlich!)


    Natürlich ist die Haushaltslage schwierig. Aber der
    Sachverständigenrat hat der Bundesregierung bestätigt,
    dass wir eine restriktive Haushaltspolitik betreiben.
    Gestern ist Ihnen deutlich gemacht worden, dass es sich
    bei Ihren Einsparvorschlägen im Wesentlichen um Luft-
    nummern und falsche Veranschlagungen handelt, die
    nicht seriös sind. An den Stellen, an denen Ihre Vor-
    schläge überhaupt belastbar sind, führen sie zu weiteren
    Einschränkungen: im Verteidigungsbereich in einer Grö-
    ßenordnung von 700 Millionen Euro und bei der inneren
    Sicherheit in Höhe von 260 Millionen Euro. Sie trauen
    sich nicht einmal, öffentlich laut zu sagen, welche Kon-
    sequenzen die Umsetzung Ihrer Sparvorschläge hätte.

    Jetzt müssen wir unsere restriktive Haushaltspolitik
    mit der konjunkturellen Entwicklung abstimmen, um zu
    einer weiteren Belebung der Wirtschaft beizutragen.
    Ebenso müssen wir beim Subventionsabbau vorankom-
    men. Hier haben wir durch Ihre Blockade im Bundesrat
    eine Lücke in der Größenordnung von über 17 Milliar-
    den Euro; das wären über 9 Milliarden Euro für die Län-
    der und über 4 Milliarden Euro für die Kommunen. Dass
    Sie hier im Bundesrat über Ihre Unionsländer blockie-
    ren, ist nicht verantwortlich gegenüber den Bürgerinnen
    und Bürgern. Sie fahren in Ihren Bundesländern harte
    Sparprogramme, gerade auch in der Bildungspolitik und
    in der Hochschulpolitik. Etliche Ihrer Bundesländer sind
    nicht mehr in der Lage, einen verfassungskonformen
    Haushalt aufzustellen – allen voran Hessen, aber auch
    das Saarland und Niedersachsen haben ihre Probleme.

    Gleichzeitig blockieren Sie, dass wir endlich an die
    Eigenheimzulage herangehen. Ich weiß, Sie können
    dieses Wort nicht mehr hören,


    (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jäger 90!)

    aber wir werden es Ihnen immer wieder vorhalten, und
    zwar so lange, bis Sie mit uns allein schon deshalb an die
    Eigenheimzulage herangehen, weil Sie das Wort nicht
    mehr hören können. Wir müssen in diesem Land wirk-
    lich Prioritäten setzen: für die Kinderbetreuung, für die
    Bildung, für die Forschung, für die Entwicklung. Das
    können wir nicht schaffen, wenn wir uns weiter an
    Dinge klammern, die einfach nicht mehr in die Zeit pas-
    sen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir reden dann auch über die Steinkohle, Frau Kollegin!)


    – Ja, Herr Gerhardt, wir fahren die Steinkohleförderung
    herunter: von einem Fördervolumen von 28 Millionen Ton-
    nen auf 16 Millionen Tonnen; wir Grünen wären da si-
    cher noch ein bisschen ehrgeiziger. Aber eines sollten
    Sie den Leuten ganz offen sagen: Die Vorschläge, die Sie
    in den Haushaltsrunden gemacht haben, würden unmit-
    telbar, jetzt und heute, zu Massenentlassungen im Ruhr-
    gebiet führen. Das verschweigen Sie.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten
    Tagen eine aus meiner Sicht von falschen Tönen ge-
    prägte Debatte über Fragen der Integration und über Fra-
    gen der Haltung gegenüber unseren islamischen Mitbür-
    gern gehabt. Meine Fraktion – ich sage das gerne noch
    einmal ganz deutlich, falls es irgendwelche Zweifel
    gibt – hat ganz klar gemacht, dass wir den Vorschlag, in
    Deutschland einen muslimischen Feiertag einzufüh-
    ren, für falsch halten.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Bravo!)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Krista Sager

    Damit ist der falsche Eindruck erweckt worden, hier
    solle eine Mehrheit dazu gebracht werden, sich einer
    Minderheit anzupassen. Darum kann es nicht gehen.

    Ich will aber auch etwas anderes ganz deutlich sagen:
    Ich glaube, dass es richtig ist und dem Zusammenleben
    in diesem Land dient, wenn sich Kinder in der Schule
    zum Beispiel damit auseinander setzen, wie in der einen
    Familie Weihnachten und in der anderen Familie das
    Bairamfest gefeiert wird. Denn die Hintergründe vieler
    Traditionen, die wir selber pflegen, sind vielen Kindern
    sicher nicht bekannt. Ich bin auch dafür, dass Unterneh-
    mer und Arbeitgeber großzügig sind, wenn es darum
    geht, zu solchen Festen Urlaubstage zu genehmigen.

    Ich will den Blick auf die Art und Weise, wie auf
    diese Debatte und die furchtbaren Ereignisse in den Nie-
    derlanden reagiert worden ist, lenken: Das waren ent-
    schieden zu schrille Töne, das war falsch und teilweise
    gefährlich. Da müssen wir, verdammt noch mal, aufpas-
    sen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    In den Niederlanden gab es einen furchtbaren, grau-
    samen Mord an einem Journalisten. Es gab aber auch
    Übergriffe auf Moscheen und Gewalttaten an islami-
    schen Bürgern. Beide Seiten gehören zum ganzen Bild.
    Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Wir tragen eine
    riesengroße gemeinsame Verantwortung. Wenn ich von
    „gemeinsamer Verantwortung“ spreche, dann meine ich
    damit die Muslime, dann meine ich die Christen, dann
    meine ich die Nichtchristen, dann meine ich die
    Deutschstämmigen, dann meine ich die Migranten. Des-
    halb sollten wir miteinander und übereinander so spre-
    chen, dass nicht die gewaltbereiten Ränder – bei den
    Deutschen: Rassisten und Faschisten; auf der anderen
    Seite: religiöse Fundamentalisten – am Ende das Gefühl
    haben, sie würden von gewichtigen Teilen dieser Gesell-
    schaft in irgendeiner Weise mit Sympathie betrachtet
    oder auch nur geduldet. Das heißt nicht, Probleme aus-
    zugrenzen; das heißt nicht, Auseinandersetzungen nicht
    zu führen. So etwas darf wirklich nicht passieren. In den
    letzten Tagen ist das zum Teil sträflich missachtet wor-
    den.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Wir dürfen uns nicht in eine Weltreligionskriegshys-
    terie hineintreiben lassen. Seit dem 11. September gibt
    es zweifelsohne eine veränderte Sicherheitslage in der
    Welt. Freie und offene Gesellschaften müssen sich dem
    stellen und beweisen, dass sie in der Lage sind, sich die-
    ser neuen asymmetrischen Gefahren zu erwehren – auch
    mit Mitteln der Polizei, des Verfassungsschutzes, der
    Gerichte, der Ermittlungsinstanzen und mit repressiven
    Maßnahmen.

    Die Gefährdung der freien und offenen Gesellschaf-
    ten hat aber auch eine andere Seite. Der Angriff des in-
    ternationalen Terrorismus auf die offenen und freien Ge-
    sellschaften ist eben auch ein Angriff auf unsere
    Freiheitsrechte und auf unsere pluralistischen Gesell-
    schaften. Wenn wir damit anfangen, das Zusammenle-
    ben mit Menschen unterschiedlicher Religion, Herkunft
    und Kultur in unseren pluralistischen Gesellschaften
    infrage zu stellen oder infrage stellen zu lassen, dann hat
    der internationale Terrorismus schon seinen ersten Tri-
    umph. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Das darf
    nicht passieren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Es gibt niemanden, der behauptet, dass das Zusammen-
    leben von Menschen mit verschiedener Religion, Kultur
    und Herkunft ohne Konflikte und Probleme verläuft. Es
    ist anstrengend, Fremdheit und Anderssein zu ertragen
    und sich damit auseinander zu setzen.

    Frau Merkel, ich hätte Verständnis dafür gehabt,
    wenn Sie gesagt hätten: Lassen Sie uns offen über die
    Probleme reden.


    (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie hat doch noch gar nicht geredet!)


    Sie haben aber etwas anderes gesagt. Sie haben gesagt:
    Diese Form des Zusammenlebens, die multikulturelle
    Gesellschaft, ist gescheitert.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wer behauptet, dass diese Art des Pluralismus in unserer
    Gesellschaft gescheitert ist, der liefert den Gewalttätern
    eine Steilvorlage.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Unsinn! Unsägerlich! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!)


    – Herr Kauder, Sie können hier gerne kauderwelschen,
    sogar auf Kosten meines Namens,


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    aber auch Sie müssen erkennen: Die Auseinanderset-
    zung mit dem internationalen Terrorismus und mit den
    Gewalttätern erfordert es, dass wir uns gerade machen
    und für unsere pluralistische Gesellschaft sowie die da-
    mit verbundenen Freiheitsrechte – dazu gehört auch die
    Religionsfreiheit – einsetzen.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


    Deshalb kann es nicht sein, dass man einen Generalver-
    dacht gegen diese Menschen aufkommen lässt, nur weil
    sie den muslimischen Glauben haben. Das ist in diesen
    Tagen nicht beachtet worden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind gescheitert!)


    – Wenn Sie sagen, die multikulturelle Gesellschaft ist
    gescheitert,


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind gescheitert!)


    dann kapitulieren Sie vor der Gestaltungsaufgabe.

    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Krista Sager

    Integration muss gestaltet werden. Sie kapitulieren vor
    dieser Aufgabe und deswegen ist es gut, dass Sie in der
    Opposition sitzen.

    Lange genug haben Sie vor dieser Gestaltungsauf-
    gabe den Kopf in den Sand gesteckt. Lange genug haben
    wir uns in diesem Land von den konservativen Kräften
    immer wieder die Lebenslüge vorhalten lassen müssen,
    dass wir kein Zuwanderungsland sind. An dieser Le-
    benslüge wollen Sie jetzt offensichtlich wieder anknüp-
    fen. Ich sage Ihnen: Das ist hochgefährlich. Sie können
    diese Gesellschaft mit den Menschen, die eine unter-
    schiedliche Herkunft sowie unterschiedliche Religionen
    und Kulturen haben, nicht ab- und anstellen, wie es Ih-
    nen gerade passt. Wir müssen diese Gesellschaft gestal-
    ten. Sie können hier im Lande die Diskussion nicht so
    führen, als könnte man von dem Mitbürgerstatus wieder
    zu einem Gaststatus zurückkehren. Die Stichworte, die
    Sie hier gegeben haben, sind wirklich verheerend.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Dass viele Probleme gegenwärtig ein solches Ausmaß
    angenommen haben, lag doch nur daran, dass wir den
    Kopf in den Sand gesteckt haben und dass wir die Ge-
    staltung der Einwanderungsgesellschaft nicht aktiv an-
    gegangen sind. Eingewandert sind vor allem jene Tür-
    ken, die der ländlichen Unterschicht angehörten. Das ist
    keine politische Entscheidung von Rot-Grün gewesen.
    Das ist die Entscheidung von deutschen Unternehmen
    gewesen, die billige Arbeitskräfte für billige Jobs haben
    wollten und diese Menschen nur als Arbeitskräfte gese-
    hen haben, die dann natürlich in die billigen Stadtteile
    gezogen sind, wo die Deutschen zum Teil gar nicht mehr
    leben wollten. Vor diesen Problemen stehen wir jetzt.

    Das Problem ist nun, dass diese Jobs, die die erste Ge-
    neration der Einwanderer noch gemacht hat, durch die
    Produktivitätssteigerung in diesem Land zum großen
    Teil verschwunden sind. Die Menschen der zweiten,
    dritten und vierten Generation brauchen wir angesichts
    des demographischen Wandels in unserem Land drin-
    gend. Aber dann müssen wir sie gerade durch Bildung
    integrieren. Das ist die Hauptaufgabe. Das muss bei der
    frühkindlichen Förderung anfangen, sonst wird es nichts
    mit dem „Bitte lernen Sie Deutsch“, wie Herr Beckstein
    zu Recht gefordert hat. Aber dann müssen dafür auch die
    Chancen gegeben werden. Das fängt eben bei der Kin-
    derbetreuung und der frühkindlichen Förderung an.

    Es macht die Sache doch nicht einfacher, Frau
    Merkel, Migrantenkinder in unserem Land zu integrie-
    ren, wenn es insgesamt zu wenig Kinderbetreuungs-
    möglichkeiten gibt. Es gibt auch deswegen viel zu we-
    nig Möglichkeiten der Kinderbetreuung, weil wir zu
    lange einer konservativen Familienpolitik angehangen
    haben, die diese Kinderbetreuung nicht wollte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich will etwas zu dem Thema Leitkultur sagen. Wir,
    Migranten, Deutschstämmige, Christen und Muslime,
    brauchen eine gemeinsame Grundlage in dieser Gesell-
    schaft. Diese gemeinsame Grundlage sind unsere Grund-
    rechte, unsere Verfassung, unsere Rechtsstaatlichkeit
    und unsere Demokratie.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Diese Grundrechte sind nicht banal. Jeder, der be-
    hauptet, dass sie durch etwas anderes ersetzt werden
    müssten, der irrt sich ganz gewaltig. Die Würde des
    Menschen und der Gleichheitsgrundsatz von Männern
    und Frauen sind eine sehr tragfähige Grundlage. Ich ver-
    traue dieser Grundlage. Viele Muslime in Deutschland,
    die an unserer Zivilgesellschaft in Vereinen, Gewerk-
    schaften und Schulinitiativen aktiv teilnehmen, ver-
    trauen dieser Grundlage viel mehr als irgendeiner Form
    von christlicher Leitkultur.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


    Ich will hier niemandem seinen christlichen Glauben
    streitig machen.


    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Vielen Dank!)


    Ich begegne ihm mit großem Respekt. Ich habe vor der
    Religion eines jeden Menschen großen Respekt. Ich bin
    der Ansicht, dass ein überzeugter Glaube einer Gesell-
    schaft etwas Wertvolles geben kann, wenn er auf der Ba-
    sis unserer Grundrechte gelebt wird. Aber wir sollten
    nicht unkritisch sein.

    Das fängt schon bei unserer eigenen Geschichte an.
    Dafür brauchen wir gar nicht bis ins Mittelalter zurück-
    zugehen. Schauen wir uns doch einmal die Toleranz-
    konflikte in unserer deutschen Nachkriegsgeschichte an:
    die Auseinandersetzungen über die Stellung unehelicher
    Kinder, lediger Mütter, unverheirateter Paare, Homose-
    xueller und auch Mischehen in dieser Gesellschaft. Da-
    bei waren Mischehen keine Ehen zwischen Schwarzen
    und Weißen, sondern zwischen Protestanten und Katho-
    liken.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


    Die Vergewaltigung in der Ehe wurde doch erst Ende der
    90er-Jahre unter Strafe gestellt. Wer hat denn dagegen so
    lange Widerstand geleistet?


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ein anderes Stichwort ist das Ansehen geschiedener
    Frauen. All das sind Toleranzkonflikte gewesen, die wir
    hinter uns gelassen haben.

    Ich bin froh, dass wir heute sagen können: Nein, un-
    sere Grundrechte, insbesondere die Würde des Men-
    schen, gelten für alle: für ledige Mütter, unverheiratete
    Paare, für Homosexuelle, für Christen und Muslime. Ich
    glaube, dass dies eine gute Grundlage für unsere Gesell-
    schaft ist.

    Bei der Diskussion über Beliebigkeit in unserer Ge-
    sellschaft wünsche ich mir mehr Respekt und Anerken-
    nung von denen, die uns diese Diskussion zum Teil auf-
    drängen. In der „Welt“ hat Herr Döpfner uns diese






    (A) (C)



    (B) (D)


    Krista Sager

    Woche einiges über das Ende der Appeasementpolitik
    mitgegeben. Herr Döpfner hat uns einiges über Kreuz-
    züge, die angeblich schon im Gange sind, mitgegeben.
    In derselben Woche musste eine mutige junge Schau-
    spielerin,


    (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Kommen Sie doch mal zum Haushalt!)


    die in dem Film „Gegen die Wand“ die Hauptrolle ge-
    spielt hat, unter Tränen darum bitten und betteln, dass
    die „Bild“-Zeitung endlich damit aufhört, sie mit einer
    dreckigen Hetzkampagne zu überziehen. Man kann nicht
    auf der einen Seite Krokodilstränen über die Situation
    von muslimischen Frauen in traditionellen, rückständi-
    gen muslimischen Familien vergießen, auf der anderen
    Seite aber eine Frau mit einer solchen Hetzkampagne
    überziehen. Das passt nicht zusammen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich will Ihnen einmal sagen, was mich als deutsche
    Frau – zugegeben mit einem sehr gemischten Hinter-
    grund, aber auch als deutsche Frau – wirklich empört
    hat. In derselben Woche, in der wir uns anhören muss-
    ten, die multikulturelle Gesellschaft sei am Ende, der
    Islam sei mit unseren Werten nicht kompatibel und es
    müsse die Auseinandersetzung über die Leitkultur ge-
    führt werden, konnte man in der „Bild“-Zeitung ein Foto
    von einer Frau sehen, die einem Hund die Brust gibt. Ich
    würde mir von den Menschen, die uns hier die Leitkultur
    predigen, wünschen, dass sie deutlich machen, dass auch
    für uns in diesem Lande Würde und Respekt noch etwas
    wert sind.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)