Protokoll:
9018

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 9

  • date_rangeSitzungsnummer: 18

  • date_rangeDatum: 29. Januar 1981

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:43 Uhr

Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901800000
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir fahren in der verbundenen Aussprache zu den Punkten 1 bis 3 der Tagesordnung fort:
1. a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981

(Haushaltsgesetz 1981)

— Drucksache 9/50 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984
— Drucksache 9/51 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
2. Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 — MinöBranntwSt-ÄndG 1981-
— Drucksache 9/91 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen (Subventionsabbaugesetz — SubvAbG)

— Drucksache 9/92 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn (Münster).

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901800100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Mut zur Zukunft", so heißt es regierungsamtlich. Und wir dürfen hinzufügen: Der Mut ist in der Wohnungsbaupolitik längst in Unmut umgeschlagen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Mißmut!)

Die Wohnungsbaupolitik der letzten zwölf Jahre unter den Ministern Lauritzen, Vogel — an dieser Stelle muß auch der jetzige Regierende Bürgermeister von Berlin genannt werden —, Ravens, Haack hat sich zum öffentlichen Ärgernis entwickelt.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Zum sozialen Ärgernis!)

Ja, wir dürfen hinzufügen: der Wind der wohnungspolitischen Fachwelt bläst der Regierung voll ins Gesicht.
Wie ist die Angebotsseite? Der freifinanzierte Mietwohnungsbau ist tot, er ist praktisch zum Erliegen gekommen. Da darf man uns nicht sagen — wie geschehen —: Halb so schlimm, wir, diese Regierung, haben schließlich die Rentenversicherung für die Selbständigen geöffnet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muß nach unserer Auffassung nach wie vor zum Selbstverständnis eines Bürgers gehören dürfen, daß er seinen Lebensabend von dem bestreiten kann, was er persönlich für sich und seine Familie im Leben geschaffen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu gehört auch der Bau eines Mietshauses zur Sicherung des Lebensabends und gleichzeitig zum Nutzen der Wohnungssuchenden.
Der soziale Wohnungsbau kann die entstandene Versorgungslücke nicht mehr decken. Kostenmieten von 18 DM und mehr pro qm müssen um 70 % subventioniert werden. Zudem — und das ist das öffentliche Ärgernis —: Der soziale Wohnungsbau ist nicht mehr sozial. Sozialmieten liegen manchmal höher als Vergleichsmieten. Gleiche Wohnungen auf derselben Straße haben unterschiedliche Mieten.
Weit über 50 % aller Haushalte sind wohnberechtigt. Aber nur ein Drittel aller Wohnberechtigten sind im Besitz einer Sozialwohnung. Zwei Drittel aller Wohnberechtigten gehen leer aus. Hier kann



Dr. Jahn (Münster)

man nur sagen: Wer allen helfen will, hilft niemandem.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Weiter: Die Vergabe einer Sozialwohnung ist zum Lotteriespiel geworden. In der Lotterie hat noch jeder die gleiche Chance, bei der Vergabe einer Sozialwohnung aber nicht. Diejenigen, die neu anspruchsberechtigt werden, werden den bisher Anspruchsberechtigten als Konkurrenz an die Seite gegeben, und sie setzen sich, weil kapitalkräftiger, am Markt eher durch als die ärmsten Bürger, die erst recht einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben. Meine Damen und Herren, die ärmsten zahlen die höheren Mieten. Mit dieser Politik, mehr Wohnberechtigungsscheine statt mehr Wohnungen, läßt sich kein Staat machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Drittel der Sozialwohnungen ist zudem fehlbelegt. Gefördert wird also der Besitzstand. Am billigsten wohnt, wer am längsten wohnt. Die junge kinderreiche Familie bleibt draußen vor der Tür, sie geht leer aus. Meine Damen und Herren, mit sozial hat diese familienfeindliche Wohnungsbaupolitik der Regierung nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei verkennen wir nicht, daß die Kosten auf dem Wohnungsmarkt ebenfalls gestiegen sind: Baulandpreise, Baupreise, die Kreditkosten, die Energiekosten spielen eine große Rolle.
Aber was die Baulandpreise anbetrifft, so ist es für uns nach wie vor unverständlich, warum SPD und FDP einen Antrag von uns von 1977 abgelehnt haben, nämlich den Antrag, dafür Sorge zu tragen, daß in größtmöglichem Umfange unbebaute Grundstücke der öffentlichen Hand für den Familienheimbau und den Bau von eigengenutzten Eigentumswohnungen verkauft werden. Dieser Antrag wurde abgelehnt; das ist eben die Philosophie, daß der Grund und Boden letztlich nicht dem einzelnen gehören soll, sondern den Kommunen, eine Philosophie,

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Die sozialistische!)

die Herr Kollege Ehmke gestern hier wieder mit der Forderung einer Novellierung des Bodenrechts unterbreitet hat. Wir müssen Ihnen sagen, daß wir weiterhin auch auf diesem Gebiet für eine breitere Streuung privaten Eigentums eintreten, und hier muß die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901800200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901800300
Bitte.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID0901800400
Herr Kollege Dr. Jahn, wollen Sie damit sagen, daß in den CDU-regierten Gemeinden intensiver und mehr Grundstücke zur Verfügung gestellt werden als in den SPD-regierten Gemeinden?

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

In den Gemeinden entscheidet sich j a wohl, was an Grundstücken zur Verfügung gestellt wird.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901800500
Herr Kollege Müntefering, ich lade Sie gerne ein, diese Frage an Ort und Stelle mit uns zu erörtern.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Bei mir zum Beispiel!)

Gehen Sie nach Fulda, kommen Sie nach Münster.

(Lachen und Widerspruch bei der SPD)

Wir werden Ihnen andere Beispiele zeigen, und wir können dabei gegenüber Ihrer Politik gut bestehen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Was die gestiegenen Baukosten anbetrifft, so gibt es dafür sicherlich mannigfache Ursachen. Der Bundesregierung müssen wir aber entgegenhalten, daß sie kaum etwas getan hat, um staatliche Bürokratie im Wohnungsbau abzubauen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)

Notwendig wäre ein Gesetz zum Abbau von Gesetzen auch in der Wohnungsbaupolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Erfinder dieses Gedankens sind noch nicht einmal wir allein.
In einer einstimmig gefaßten Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Oktober 1974 ist die Bundesregierung ersucht worden — ich darf zitieren —, „einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das derzeit geltende, in zahlreiche Vorschriften zersplitterte Recht über die soziale Sicherung des Wohnens bereinigt und diese Vorschriften einheitlich und für die Betroffenen verständlich und übersichtlich zusammenfaßt".

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Sechs Jahre sind seitdem vergangen!)

Geschehen, Herr Minister Haack, ist bis heute nichts. Der Wohnungsbauminister, diesjähriger Träger des Faschingsordens „Ritter des geschliffenen Wortes", läßt die Taten vermissen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist es auf der Nachfrageseite? Die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre drängen jetzt auf den Markt und wollen einen eigenen Haushalt gründen. Weiter ist zu berücksichtigen, daß es bestimmte Personengruppen schwer haben, am Markt eine Wohnung zu finden. Das sind die kinderreichen Familien, das sind die ausländischen Arbeitnehmer, die älteren Menschen, die Spätaussiedler.
Zudem ist der Wohnungsmarkt zwar rein rechnerisch, nicht aber tatsächlich ausgeglichen. Wer in einer Großstadt eine Wohnung sucht, weil er hier seinen Arbeitsplatz hat, dem ist wenig mit dem Hin-



Dr. Jahn (Münster)

weis gedient, im ländlichen Raum sei eine Wohnung frei, und umgekehrt.
Weiter ist zu berücksichtigen, daß sich nicht jeder Haushalt in der „richtigen" Wohnung befindet. Viele Familien mit Kindern leben in einer zu kleinen Wohnung, während andere als Folge einer Verkleinerung des Haushalts zu große Wohnungen haben. Wer als Einzelperson in einer großen Wohnung wohnt, zieht aber nicht um; die Miete für eine kleinere Neubauwohnung wäre höher. Außerdem, das dürfen wir nicht verkennen, fallen auch die gestiegenen Ansprüche ins Gewicht.
Aber, meine Damen und Herren, nicht jede Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt rechtfertigt den Einsatz staatlicher Subventionen, erst recht nicht die künstlich erzeugte Nachfrage. Die Wohnungspolitik dieser Koalition hat auch künstliche Nachfrage geschaffen, denn es ist eine Binsenweisheit, daß das billige Anbieten eines Wirtschaftsgutes dessen Nachfrage steigert. Wenn im sozialen Wohnungsbau die Kostenmiete von 18 DM auf 5 bis 6 DM heruntersubventioniert wird und gleichzeitig über 50 % aller Haushalte in der Bundesrepublik zu Wohnberechtigten gemacht werden, darf man sich nicht wundern, daß diese Haushalte bei den Wohnungsämtern nachfragen. Das ist das gute Recht unserer Bürger. Es ist aber Nachfrage nach Subvention. Hier werden Erwartungen geweckt, die die Regierung nicht erfüllen kann.
Meine Damen und Herren! Wenn wir hier ein Fazit ziehen, müssen wir feststellen: Durch die jetzige Wohnungsbaupolitik wird nicht mehr gebaut. Damit geht das Angebot zurück. Gleichzeitig werden mehr als 50 % der Haushalte zu Wohnberechtigten erklärt. Damit wird zusätzliche Nachfrage geschaffen. Das heißt, Angebot und Nachfrage klaffen immer weiter auseinander. Das führt zur Unzufriedenheit, das führt zu Mangel, und ich habe den Eindruck, daß dieser Mangel gezüchtet wird, um einen Vorwand zu bekommen, diesen Mangel staatlich regeln zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist die Philosophie, die an den Tag gelegt wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sozialismus!)

Dabei verkennen Sie, daß der Staat nicht ein Gebilde ist, das woanders gefüttert und hier gemolken wird; der Staat, das sind unsere Bürger. Was der Staat uns gibt, muß er uns erst einmal über Steuern, Gebühren und Beiträge nehmen, und das ist weiß Gott genug, wenn wir an die Belastung unserer Bürger durch die Steuern denken.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Die Grenzen der Belastung sind längst überschritten!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bauminister wird heute sehr wohl eine Leistungsbilanz, ein Zahlenwerk staatlicher Subventionen ausbreiten. Davon können wir ausgehen. Herr Minister, Sie sollten dann aber auch ein Wort sagen, warum trotz dieser Leistungsbilanz, wie Sie das nennen, in der Bundesrepublik nicht mehr gebaut wird. Dieses Faktum können Sie nicht leugnen.
Sie sollten weiter heute sagen, wie hoch denn die Wechsel sind, die bereits auf die Zukunft gezogen worden sind. Nach Schätzungen von Experten muß der Bund jetzt noch mehr als 23 Milliarden DM für Wohnungsbaumaßnahmen der Vergangenheit zahlen. In den alten Zahlungsverpflichtungen liegt deshalb auch der wesentliche Grund für die Ansatzsteigerung um 10,3 % im Einzelplan 25 des Haushalts. Wir dürfen den Bürgern nicht vormachen, hier stünden mehr Mittel zur Verfügung, hier würde die Bundesregierung mehr für den Wohnungsbau, für den sozialen Wohnungsbau tun. Nein, alte Zahlungsverpflichtungen zwingen zur Erhöhung des Ansatzes, und die künftigen Förderungen werden durchweg alle zurückgefahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir begrüßen, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat: Schrittweise mehr Marktwirtschaft, sowohl im freifinanzierten Mietwohnungsbau als auch im sozialen Wohnungsbau.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Warum erst jetzt?)

Aber wenn ich Elemente der Marktwirtschaft in den sozialen Wohnungsbau einführen will, kann ich darauf nicht die Antwort geben: Fehlbelegungsabgabe. Mit der Fehlbelegungsabgabe wird der Bock zum Gärtner der Sozialen Marktwirtschaft gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Koalitionsvereinbarungen sind ein Kompromiß, bei dem erkennbar ist, daß sich die Vertreter der marktwirtschaftlichen Seite und die der staatlichen Seite diametral gegenüberstehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901800600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901800700
Bitte schön, Herr Kollege Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID0901800800
Herr Kollege Jahn, da Sie von Bock und Gärtner gesprochen haben: Können Sie bestätigen, daß der bayerische Innenminister Tandler die Bundesregierung vehement aufgefordert hat, das Fehlbelegungsproblem durch Gesetzgebung zu lösen?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901800900
Herr Kollege Waltemathe, das ist eben der Unterschied zwischen Ihnen und uns, daß die Lösung des Fehlbelegungsproblems bei Ihnen nur Fehlbelegungsabgabe heißt und daß Sie leugnen, daß es auch viele andere interessante Modelle auf diesem Gebiet gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901801000
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müntefering?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901801100
Bitte schön, Herr Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID0901801200
Herr Dr. Jahn, heißt das, daß Sie sich von der Forderung der CDU/CSU-Fraktions-



Müntefering
vorsitzenden der Länderparlamente vom Dezember 1980 distanzieren, wo es heißt, Fehlbeleger in Altwohnungen mit Bewilligungsbescheiden sollen zukünftig zu einer Fehlbelegungsabgabe herangezogen werden?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901801300
Herr Kollege Müntefering, ich brauche mich davon in keiner Weise zu distanzieren. Ich habe lediglich gesagt, daß es, wenn wir die Fehlbelegung lösen wollen, notwendig ist, nicht, wie es die Regierung tut, nur ein einziges Modell vorzulegen, sondern daß die anderen Modelle, die viel wichtiger sind und die Probleme besser lösen, Anspruch darauf haben, mit ihnen gemeinsam in gleicher Weise diskutiert zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Koalitionsvereinbarung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier die Bahrsche Vertragskunst am Werk war. Jeder kann nach dem Motto „Laßt uns Formeln finden" die Koalitionsvereinbarung auslegen, wie er es will. Und so geschieht es. Herr Kollege Gattermann sah sich bereits genötigt, öffentlich die Einhaltung der Koalitionsvereinbarung einzuklagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden fragen: Was ist die Position der CDU/CSU?

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Völlig eindeutig!)

Hier können wir uns durch eine langjährige Politik in diesem Haus noch einmal mit unserem obersten Leitsatz empfehlen, daß das bestimmende Ordnungsprinzip auch im Wohnungsbau die Soziale Marktwirtschaft ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir fügen hinzu, daß die Wohnungswirtschaft unter sozialer Absicherung der einkommensschwachen Bevölkerungskreise schrittweise in die Marktwirtschaft überführt werden muß. Der Lücke-Plan aus dem Jahr 1960 ist die Magna Charta, wie es im Wohnungsbau hervorragend zum Wohl unserer Bürger bestellt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

SPD-Politiker — so Herr Kollege Conradi — beklagen, das private Kapital gehe jetzt vorrangig in die Modernisierung und nicht mehr so sehr in den Neubau. Das trifft zu. Aber man muß auch den Mut haben, zu fragen, warum. Wenn Sie sich fragen, warum diese Mittel jetzt in die Modernisierung gehen, haben Sie gleichzeitig das Rezept für den Neubau. Denn hier sind steuerliche Anreize zusätzlich geschaffen worden, und hier hat man das Vergleichsmiete-Prinzip gelockert.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Dies ist die Magna Charta für andere Initiativen, die wir gemeinsam anfassen sollen.
Ohne die Aktivierung privaten Kapitals ist eine spürbare Verbesserung auf dem Wohnungsmarkt nicht zu erwarten. Wohnungsbau braucht Marktwirtschaft. Anders formuliert: Ökonomie statt Ideologie.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Ohne den Abbau von Hemmnissen für private Investitionen geht es in der Wohnungsbaupolitik nicht wieder bergauf.
Die Bundesregierung hat im Bericht über die Auswirkungen des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes den Zusammenhang zwischen mangelnder Investitionsbereitschaft und der Mietgesetzgebung geleugnet. Sachverständige haben ihr widersprochen. Es darf nicht übersehen werden, daß sich die bestehenden Vorschriften zum Nachteil der Wohnungsuchenden ausgewirkt haben. Eine Änderung der mietrechtlichen Rahmenbedingungen ist zwar nicht die einzige Voraussetzung, aber eine der wesentlichen Vorausetzungen dafür, daß Investitionen im frei finanzierten Wohnungsbau wieder attraktiver werden.
Deshalb sind wir der Auffassung:
Erstens. Die CDU/CSU hält an ihrem ordnungspolitischen Ziel fest, privates Eigentum an Grund und Boden und an Wohnungen breiter zu streuen.
Zweitens. Junge und kinderreiche Familien müssen frühzeitig Wohnungseigentum erlangen können.
Drittens. Da nicht alle Bürger Eigentum an der Wohnung erwerben können oder wollen und da für sie die Mietwohnung Mittelpunkt ihres Lebens ist, ist ein gesetzlich festgelegter Schutz der Mieter gegenüber nicht gerechtfertigten Kündigungen unverzichtbar.
Viertens. Auf der anderen Seite muß die Möglichkeit eingeräumt werden, Mieten zu erzielen, die die Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzers gewährleisten. Dies ist ein Anspruch des Gesetzgebers an das Vergleichsmieten-Prinzip.
Fünftens. Das Mietrecht muß in bezug auf die Ermittlung der Mieten praktikabler gestaltet und entformalisiert werden.
Sechstens. Das Mietrecht muß an die akuten Bedürfnisse des Marktes angepaßt werden. Nur mehr Vertragsfreiheit im Wohnungsbau kann die Probleme überhaupt lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb sagen wir trotz mancher Bedenken auch nicht nein zur Staffelmiete. Nur sollte diese Möglichkeit dann nicht nur für den Neubau, sondern auch für den Bestand gelten, wenn eine Wohnung frei wird.
Siebtens. Meine Damen und Herren, bei vielen Vermietern besteht der Wunsch, Mietverträge für eine bestimmte Zeit wirksam abschließen zu dürfen, weil der Wohnraum zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, z. B. für einen Familienangehörigen, benötigt wird. Wir haben in Ballungsgebieten auch deshalb Mangel, weil einige Bürger den Wohnraum, den sie zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt für eigene Familienangehörige benötigen, nicht vermieten. Auch dieses Problem wollen wir lösen, aber nicht, wie ge-



Dr. Jahn (Münster)

stern in der Zeitung zu lesen war, durch staatlichen
Zwang, sondern durch Anreize für die Vermietung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zur Fehlbelegungsabgabe. Für die Einführung der Fehlbelegungsabgabe spricht zunächst, daß Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Aber die Bedenken sind erheblich. Mit der Fehlbelegungsabgabe wird nämlich nur ein Teilproblem gelöst. Nicht gelöst werden die Probleme der Unterbelegung; nicht gelöst werden die Probleme der Mietenverzerrung; nicht gelöst wird die schreiende Ungerechtigkeit, daß zwei Drittel unserer Bürger, die einen Anspruch haben, ohnehin auf den Markt verwiesen werden und nur ein Drittel — das sind die Kapitalkräftigeren gegenüber denen, die nichts haben — diese Wohltat bekommt.
Die Marktspaltung wird festgeschrieben, die Bürokratie ist erheblich. Die Überprüfung von 5 Millionen Haushalten erfordert einen riesigen Verwaltungsaufwand; 0,8 Millionen werden aller Voraussicht nach abgabepflichtig. Für Dauerbeschäftigung ist gesorgt. Es ist zu befürchten, Herr Minister, daß sich die Fehlbelegungsabgabe selbst auffrißt.
Es wäre interessant, Herr Minister , wenn Sie dem Hohen Hause heute einmal vortragen würden, was denn die Verbandspolitiker bei der Anhörung in den letzten Tagen in Ihrem Hause über das Institut der Fehlbelegungsabgabe zu Protokoll gegeben haben. Hat sich nicht der Gewerkschaftsbund mit Nachdruck gegen die Fehlbelegungsabgabe ausgesprochen? War es nicht so, daß die Verhandlung in Ihrem Hause, weil Sie nicht konnten, weil der Staatssekretär nicht konnte, weil der zuständige Ministerialdirektor nur zeitweise da war, von einem Ministerialdirigenten geleitet wurde mit dem Ergebnis, daß der überwiegende Teil der gesamten Verbandspolitiker große Bedenken gegenüber der Fehlbelegungsabgabe angemeldet hat?
Trotz Fehlbelegung wird dem Bauherrn die Subvention — das ist das zinsverbilligte Darlehn — weiter gewährt und das gleiche, was durch diese Zinsverbilligung erreicht wird, bei einem Dritten, dem Fehlbeleger, abgeschöpft. Ich muß fragen: Hat das nicht etwas mit Parkinson zu tun? Keine einzige Wohnung wird bei einer Fehlbelegungsabgabe mehr gebaut.
Folgt man der Rechtsauffassung der Bundesregierung, die die Fehlbelegungsabgabe nicht mehr als Abgabe besonderer Art, sondern nunmehr als beitragsähnliche Abgabe ansieht, so ist nach Auffassung von Steuerexperten die erhaltenswerte Einrichtung, die die Bundesregierung geschaffen hat, der fehlbelegte Wohnungsbestand. Das zeigt schon die Fragwürdigkeit der Konstruktion.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Union hat schon immer gesagt, daß die Fehlbelegungsproblematik gelöst werden muß. Sie steht dazu und will nicht beim Status quo verbleiben. Wir müssen uns aber vorbehalten, daß wir auch andere Modelle

(Waltemathe [SPD]: Ablehnen!)

gleichzeitig in die Diskussion bringen, nämlich Modelle, bei denen nicht nur die Fehlbelegung, sondern auch die Ungerechtigkeiten, die Mietenverzerrung und die Unterbelegung gleichzeitig beseitigt werden. Deshalb muß gleichzeitig geprüft werden, warum es nicht vertretbar sein soll, den sozialen Wohnungsbau schrittweise — gegen Rückzahlung der öffentlichen Mittel — aus den Bindungen zu entlassen, und zwar unter gleichzeitiger individueller Absicherung über das Wohngeld. Herr Minister, Sie haben im „Express" 1978 und auch im „Rheinischen Merkur" 1978 immer wieder gesagt, daß das Problem der Fehlbelegung durch eine Fehlbelegungsabgabe nicht zu lösen sei;

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

eine große Bürokratie stehe dem entgegen. Unsere Frage ist: Warum gelten diese Prinzipien nicht auch heute? Darauf, daß Sie Ihre Meinung hier um genau 180 ° geändert haben, müssen Sie eine Anwort geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalition muß uns zunächst einmal sagen, was sie denn selbst konkret will. Die Koalition ist uneins. Herr Gattermann bezeichnet die Fehlbelegungsabgabe als Übergangslösung. Herr Müntefering sagt: Keine Übergangslösung, kein Einstieg zum Ausstieg. Herr Gattermann sagt: Wir wollen nicht alle Haushalte überprüfen, sondern nur Stichproben machen. Die SPD erklärt: Alle Haushalte müssen überprüft werden. In diesem Sachzusammenhang, meine Damen und Herren, müssen wir auch die Frage stellen: Wer gibt denn nun in der Regierung den Ton an?
Herr Kollege Wehner, Sie haben gemeinsam die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau angehoben. Herr Kollege Matthöfer erklärt während dieser Haushaltsdebatte hier in diesem Hause, daß nun endlich die Frage aufgeworfen werden müsse, ob die Einkommensgrenzen nicht heruntergesetzt werden sollten. Herr Bundesbauminister, ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie heute vor diesem Hause sagen würden, ob Sie die Meinung Ihres Kabinettskollegen Matthöfer in diesem Punkte teilen oder ob Sie die Sache für sich offenlassen wollen.

(Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ob er sie teilen darf!)

— Oder teilen darf, sehr gut.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister Haack, Sie haben weiter vorgestern in der Presse durchaus publikumswirksam gesagt: Wir müssen Investoren mit einem Steuerbonus zum Bauen anreizen. — Herr Minister Haack hat den Progressiveffekt für den Wohnungsbau erkannt. Das haben wir immer gesagt. Herr Kollege Matthöfer geht aber hin und will § 7b und andere steuerrechtliche Vergünstigungen abschaffen. Hier ist ein Widerspruch.
Herr Minister Haack, Sie haben den Sozialpfandbrief und den Steuerbonus nach dem Berlin-Modell genannt. Herr Matthöfer hat das alles in seinem Konzept nicht vorgesehen. Ich bin der Meinung, daß Sie hier endlich einmal sagen müssen, was Sie wirklich wollen. Es muß aufhören mit der Doppelstrategie in unserem Lande, daß Sie als Ressortminister



Dr. Jahn (Münster)

draußen Forderungen erheben, die der zuständige Finanzminister am Kabinettstisch ablehnt. Dies haben die Bürger unseres Landes in dieser Form nicht verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Konzept der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft kann in fünf Punkten umrissen werden.
Erstens: Vorrang für die Förderung selbstgenutzten Wohneigentums. Zweitens: Zulassung von mehr Vertragsfreiheit im Mietrecht. Drittens: Schrittweise Aufhebung der Zweiteilung des Wohnungsmarktes. Viertens: Individuelle Absicherung einkommensschwächerer Haushalte durch das Wohngeld. Fünftens: Konzentration der knappen öffentlichen Mittel des sozialen Wohnungsbaus zur Beseitigung von Marktschwächen.
Mit dieser Konzeption kann man nur leben, wenn man von dem Abschied nimmt, was die Regierung bisher auf diesem Felde selbst vorglegt hat.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß wir für unsere Initiativen, die wir vorlegen, im Augenblick in diesem Hause keine Mehrheit haben. Wir werden Ihnen von der FDP aber Gelegenheit geben, Ihre eigenen Wahlversprechen im Deutschen Bundestag einzulösen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf das Einklagen von Koalitionsvereinbarungen, Herr Gattermann, können Sie dann getrost verzichten. Die längst überfällige Wende in der Wohnungsbaupolitik sollte nicht länger aus Koalitionsrücksichten blockiert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist die marktwirtschaftliche Alternative, der einzige Weg, daß auch mehr gebaut wird, und der einzige Weg, auf dem Bürgerinitiative, individuelle Entfaltung, Eigeninitiative und Eigenverantwortung von den Bürgern gefordert und auch gerne gegeben werden. Deshalb sollten wir diesen Weg gehen. Was private Initiative leisten kann, darf der Staat nicht an sich ziehen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Bremsen!)

Nicht mehr Staat, sondern mehr Eigeninitiative ist der Schlüssel zum Erfolg auch in der Wohnungsbaupolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch eine abschließende Bemerkung. Viele öffentliche Erklärungen der letzten Zeit besagen: Lassen wir die Dinge so laufen, dann bewegt sich nichts. Der Vorwand, die Dinge in staatliche Hände zu übernehmen, wird immer größer. Wir wehren uns dagegen, daß Sie laufend sagen: Die Soziale Marktwirtschaft im Wohnungsbau hat versagt. Wer das sagt, verkennt, daß sich die Soziale Marktwirtschaft im Wohnungsbau zur Zeit überhaupt nicht frei entfalten kann. Deshalb sollte man dieses Argument nicht länger gebrauchen. Man sollte nicht eine Politik betreiben, die den Mangel, der zweifellos vorhanden ist, der auch künstlich aufgebaut ist, länger forciert. Vielmehr sollte man eine Politik betreiben, die darauf aus ist, mehr Eigeninitiative, mehr Eigenverantwortung zum Wohle unserer Bürger draußen im Lande zu entwickeln, und zwar nicht nur der Vermieter, sondern auch der Mieter. Denn Eigentum ist der beste Mieterschutz, und die Mieter sind am besten geschützt, wenn ein großes Wohnungsangebot vorhanden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901801400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Traupe.

Brigitte Traupe (SPD):
Rede ID: ID0901801500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Jahn, ich werde Ihnen an gegebener Stelle antworten. Ich bin nur ein bißchen traurig darüber, daß Sie mir heute morgen nicht eine einzige neue Idee geboten haben, die sich auch realisieren läßt.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wir warten auf Ihre!)

In einer Zeit knapper werdender öffentlicher Mittel stellt sich für uns alle, also für die Politiker des Bundes, der Länder und der Kommunen — höflicherweise hätte ich umgekehrt anfangen sollen —, die Frage, welche sinnvolle Aufgabenverteilung und welche sinnvolle Aufgabenteilung wir in der Zukunft vornehmen wollen.
Ich gehöre zu jenen, die in der augenblicklichen finanzpolitischen Situation aller drei Ebenen auch die Chance zum Nachdenken sehen. Sorgfältiger als bisher müssen wir uns unabhängig von der politischen Couleur fragen: Welche staatlichen Aufgaben der Daseinsfürsorge müssen wir weiterhin gewissenhaft wahrnehmen? Welche staatliche Ebene kann dies am sinnvollsten? Wird unabhängig von parteipolitischer Zugehörigkeit der Schutz Schwächerer, Behinderter beachtet? Kümmern wir uns genügend um soziale Gerechtigkeit, von der wir ja alle so viel sprechen? Und wir müssen uns fragen: Wie werden die notwendigen Geldmittel aufgebracht?
Im Rahmen der heutigen Etatdebatte stellt sich für uns Bundespolitiker folgende Frage: Brauchen wir eine weitere öffentliche Wohnungsbauförderung, und sollte sich der Bund daran beteiligen? Auch wenn es von dem Herrn Vorredner wieder anders dargestellt wurde, die Förderung des Wohnungsbaus ist zunächst die Aufgabe der Länder. Der Bund beteiligt sich an den Förderungsprogrammen der Länder durch Finanzhilfen gemäß Art. 104 Abs. 4 des Grundgesetzes. Die bisherige staatliche Förderung des Wohnungsbaus hat — das ist unbestritten — zu einer stark verbesserten Versorgungslage geführt. Daher kann sich eine öffentliche Wohnungsbaupolitik meiner Meinung nach in den kommenden Jahren schwerpunktmäßig auf die Versorgung einkommensschwacher Haushalte konzentrieren, auf bestimmte Zielgruppen wie kinderreiche Familien, auf alleinstehende Elternteile mit Kindern, auf Schwerbehinderte, auf ältere Menschen. Ferner muß sie sich um die Bildung von privatem Wohnungseigentum in Form von Familienheimen oder Eigentumswohnungen kümmern.
Nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 24. November 1980 sollte mit den Ländern



Frau Traupe
darüber verhandelt werden, daß die direkte Förderung des sozialen Wohnungsbaus in die alleinige Zuständigkeit der Länder gelegt wird. Mit den Verhandlungen soll im Frühjahr 1981 in einer BundLänder-Kommission begonnen werden. Demgemäß sind die im Haushalt 1980 vorveranschlagten Verpflichtungsrahmen für das Programmjahr 1981 ungekürzt übernommen worden. Erst ab dem Programmjahr 1982 sind Kürzungen entsprechend der Behandlung bei den Gemeinschaftsaufgaben — also um 20 % — vorgesehen. Dadurch wird neben der Konsolidierung des Bundeshaushalts Handlungsspielraum gewonnen und Druck auf die Länder ausgeübt, den Übergang vorzubereiten.
In dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf des Einzelplans 25 und der Finanzplanung bis 1984 sind Verpflichtungsrahmen für die Programmjahre vorgesehen: im Sozialprogramm einschließlich der Aussiedler, also beim ersten Förderungsweg, jährlich 590 Millionen DM; im Eigentumsprogramm, dem zweiten Förderungsweg, jährlich 880 Millionen DM. Für den sozialen Wohnungsbau sind in der Finanzierungsplanung folgende Ausgabensätze des Bundes angenommen: 1981 für den Wohnungsbau für Zielgruppen 729,8 Millionen DM, für das Eigentumsprogramm 779,9 Millionen DM. Dies setzt sich bis in das Jahr 1984 fort.
Aber wenn hier gesagt worden ist, der Bund habe in der Vergangenheit seine Aufgaben nicht wahrgenommen, so kann ich nur fragen: Spielt es keine Rolle, daß wir in den Jahren zwischen 1970 und 1979 allein von Bundesseite für Wohnungsbauprämien fast 12 Milliarden DM ausgegeben haben, daß wir für Wohngeld fast 7 Milliarden DM gezahlt haben und daß der Bund im Jahre 1980, das wir gerade abgeschlossen haben, Wohnungsbauprämien in einer Höhe von knapp 1 Milliarde DM und Wohngeld in einer Höhe von 911 Millionen DM gezahlt hat? Die nun in Kraft tretende neue Wohngeldnovelle bringt als soziale Komponente vor allem für Familien mit mehreren Kindern beachtliche Leistungen. Die Zeitungen haben das in den vorangegangenen Tagen und Wochen auch gewürdigt. Sie haben die Wohngeldempfänger darauf hingewiesen, daß der Stichtag der 31. Januar 1981 ist und die Wohngeldanträge gestellt werden müssen. Meine eigene Heimatzeitung schreibt zu Recht: Es kann nicht oft genug betont werden: Wohngeld ist kein Almosen des Staates. Wer zum Kreis der Wohngeldempfänger zählt, hat einen Rechtsanspruch darauf.
Von wegen also, wir hätten nichts getan! Sehen Sie sich einmal die Leistung für einen Arbeitnehmer an, der allein verdient und in einem Vierpersonenhaushalt lebt! Sein Wohngeld steigt erheblich. Ich habe hier Beispiele vor mir liegen. Da ist einmal ein Lohn von 1 704 DM angegeben und eine Miete von 301 DM. Bis jetzt hat der Wohngeldempfänger 82 DM bekommen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wir möchten etwas Neues hören! Das haben Sie doch angekündigt! Das können Sie alles im Haushaltsausschuß sagen!)

In Zukunft wird er 55 DM mehr bekommen, also 137 DM. Hat er eine teurere Wohnung, steigt sein entsprechender Zuschuß um ein erhebliches.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wenn er eine Wohnung hat! Das ist das Problem!)

— Langsam; darauf komme ich noch.
Bei einem Sechspersonenhaushalt sieht es sogar so aus, daß jemand, der eine große Wohnung braucht und bei einem Lohn von 2 769 DM — mit den entsprechenden übrigen Zuschüssen — eine Belastung von 1 100 DM hat, in Zukunft 219 DM mehr bekommt, nämlich insgesamt 341 DM. Im Bundeshaushalt macht sich das dahin gehend bemerkbar, daß wir über 200 Millionen DM mehr für Wohngeld zur Verfügung stellen müssen als 1980.
Meine Damen und Herren. Ich habe Herrn Dr. Jahn in der Hoffnung zugehört, wie ich anfangs sagte, ich würde hier neue Ideen für die Finanzierung des Wohnungsbaus erfahren. Aber mir fällt auf, daß die Opposition nur Schlagworte — da natürlich voran immer „mehr Marktwirtschaft und weniger Staat" — und kein wirklich sachliches Angebot unterbreiten kann. Natürlich brauchen wir sowohl den Markt als auch die Verantwortung des Staates und die Förderung durch ihn. Nur ein vernünftiges Abwägen, keine Schlagworte können uns in den nächsten Jahren helfen!
Sie bieten uns auch immer wieder den Verkauf von Sozialwohnungen an Mieter als Lösung an. Dadurch wird das Problem, mehr Mietwohnungen bereitzustellen, nicht gelöst. Als Mitglied des Haushalts- und vor allen Dingen auch des Rechnungsprüfungsausschusses verhehle ich nicht, daß ich bei der Fehlbelegungsabgabe die Sorge habe, daß es uns ähnlich wie mit den BAföG-Darlehen geht: Der Verwaltungsaufwand könnte oftmals höher sein als das Ergebnis. Aber wir sollten diese Frage sachlich als Versuch prüfen und sie nicht sofort ideologisch betrachten.
Meine Damen und Herren, wenn wir heute nicht genügend Wohnungen in Ballungsräumen haben, so ist das nicht allein und ausschließlich Schuld des Bundes. Wie ich eingangs sagte, gibt es für den Wohnungsbau die Mitverantwortung aller drei staatlichen Ebenen. Da wollen wir zuerst den Kommunen die folgenden Aufgaben nicht abnehmen: Sie müssen entscheiden, wie viele Wohnungen bei ihnen gebraucht werden. Sie müssen entscheiden, welches Verhältnis zwischen Mietwohnungen und Eigentumswohnungen sowie Eigenheimen richtig ist.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das kann der Markt besser als staatliche Instanzen!)

Sie haben die schwierige Aufgabe, Bauland sowohl für den sozialen Mietwohnungsbau als auch für den kleinen privaten Bauherrn bereitzustellen. Es ist ja doch wohl wahr, daß leider in der Vergangenheit die Mehrheit des Parlaments nicht den Mut zu einem vernünftigen Bodenrecht und zu einer vernünftigen Gestaltung der Bodenpreise hatte. Es kommt doch nicht von ungefähr — Sie haben es vielleicht in dem Bericht der Eidgenössischen Kommission in Zürich gelesen —, daß sich der Protest junger



Frau Traupe
Menschen dort entwickelt hat, wo die höchsten Baulandpreise ganz Europas gezahlt werden.
Ich denke, wir müssen hier nachdenken und dürfen uns keine Scheuklappen anlegen.
Ich gebe auch zu erwägen, daß es nicht sinnvoll sein kann, nur in den Ballungsräumen neue Wohnungen zu schaffen. Wir haben in den ländlichen Räumen die beste Infrastruktur, die ein west- oder osteuropäisches Land überhaupt aufweist. Wir haben Straßen, Schulen, Sportstätten, und es gibt Gott sei Dank auch noch eine Reihe von Arbeitsplätzen in ländlichen Räumen. Viele Kommunen haben nicht nur rechtzeitig billiges Bauland erworben, sondern sorgen auch dafür, daß es nicht spekulativ genutzt wird. Sie haben auch großzügig Gewerbegebiete zur Verfügung gestellt, um zu erreichen, daß die jüngere Bevölkerung bei ihnen bleibt. Wir müssen auch in Zukunft darauf achten, daß dies so bleibt.
Vom Städtebauministerium und auch von den Ländern muß gründlich überlegt werden, ob nicht ein zu konzentrierter Bau von Wohnungen in Ballungsräumen eine zu starke Abwanderung aus ländlichen Räumen zur Folge hat.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das war doch die Politik der SPD in den vergangenen Jahren!)

Ausgleichen kann jedoch nicht zuerst der Bund. Diese Ausgleichsaufgabe haben die Länder. Sie haben dafür zu sorgen, daß es zwichen ihren Großstädten, den Ballungsräumen und dem ländlichen Raum zu einer Abstimmung über überregionale Verkehrsnetze und Arbeitsplätze kommt.
Der Bund hat natürlich auch und in der Zukunft seine Verantwortung für den Wohnungsbau. Er bleibt aufgefordert, als Gesetzgeber für die gleichwertigen Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zu sorgen. Er muß sie anstreben. Er muß dafür sorgen, daß ein gesundes Verhältnis zwischen Privateigentum und Mietwohnungen von allen drei staatlichen Ebenen angestrebt wird.
Aber es ist eben eine Lüge, daß dies nur der Bund zu tun hat. Ich sage noch einmal, ich erwarte voller Interessen neue Ideen, realisierbare Ideen auch von der Opposition. Wir brauchen alle einen Pakt der Vernunft, keine harte Konkurrenz zwischen Großstädten und ländlichen Räumen, sondern ein wohl abgewogenes Verhältnis. Daran werden sich die Haushaltspolitiker der SPD auch im Bund beteiligen. Aber wir weisen mit aller Entschiedenheit zurück, daß nur der Bund die Verantwortung für diese Aufgabe trägt. Die Verfassung drückt es anders aus.

(Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/ CSU]: Wo bleiben denn Ihre neuen Ideen?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901801600
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister Dr. Haack.

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901801700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jahn versuchte hier mit dem Gegensatzpaar Markt auf der einen
Seite, staatliche Lenkung oder staatlicher Eingriff auf der anderen Seite, einen Lösungvorschlag zu machen. Er wollte darlegen, daß die Probleme, vor denen wir gegenwärtig im Wohnungsbau in der Bundesrepublik unbestrittenermaßen stehen, mit zuviel staatlicher Lenkung zusammenhängen und daß eine Überführung des Wohnungsmarktes in einen freien Markt die wesentlichen Probleme lösen würde.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Unter sozialer Absicherung!)

Ich möchte in diese wohnungspolitische Debatte, da glücklicherweise auch Fragen des Wohnungsbaus inzwischen einen politischen Stellenwert bekommen haben, während sie in den letzten Jahren eine Art Randdasein führten, auch Argumente einführen, die sonst mit Recht in der politischen Debatte wichtig sind.
Da ist einmal ein Blick zurück auf die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland angebracht, Herr Kollege Jahn, weil Sie vorhin auch etwa auf Lücke hingewiesen haben. Da ist ein Blick über die eigene Grenze zweckmäßig, um festzustellen, wie es in anderen Ländern aussieht. Wenn wir uns vergewissern und an das Jahr 1970 oder auch an die 60er Jahre zurückdenken und uns vergegenwärtigen, wie es in anderen Ländern aussieht, dann, glaube ich, werden wir die Diskussion etwas versachlichen können.
Wir stellen nämlich nicht nur bei politischen Debatten, sondern auch bei der journalistischen Beschäftigung mit unserer Wohnungssituation fest, daß fast nur noch mit Schlagworten und teilweise mit sich widersprechenden Schlagworten argumentiert wird.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Marktwirtschaft ist kein Schlagwort!)

Da heißt es z. B. „Gebt den Markt frei" — ich komme jetzt genau darauf: Marktwirtschaft ist kein Schlagwort —, „Lockert das Mietrecht, und die Probleme lösen sich von selbst".

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Wer hat das gesagt?)

— Das ist der Grundtenor Ihrer ganzen Ausführungen, Herr Kollege Jahn, gewesen.
Ich darf daran erinnern, daß wir damals — Anfang der 70er Jahre — mit Zustimmung der CDU/CSU das Wohnraumkündigungsschutzgesetz beschlossen haben und daß wir im Jahre 1970 eine mit der heutigen Lage genau vergleichbare Wohnungsmangelsituation hatten. In der damaligen Wohnungsmangelsituation ist vorgeschlagen worden, unser Mieterschutzrecht zu verbessern, damit nicht die einkommensschwachen Bevölkerungskreise auf der Strecke bleiben.
In einem Artikel des „Spiegel" des Jahres 1970 — ich zitiere ihn, weil wir hier vor einigen Wochen einen ähnlichen Artikel hatten — war zu lesen:
Jeden Samstag morgen



Bundesminister Dr. Haack
— es war Ende der 60er Jahre; Sie haben ja vorhin auch auf Lücke und die damalige Wohnungspolitik hingewiesen —
gegen 9 Uhr sind rund um den Gänsemarkt zu Hamburg die Telefonzellen blockiert. Dort begeben sich um diese Zeit Dialoge zwischen König und Bettelmann. Junge Hanseaten, die gerade in der Agentur des „Hamburger Abendblatt" die druckfrische Wochenendausgabe mit der Anzeigenrubrik „Vermietungen" erworben haben, und Wohnungsmaklern, den absoluten Herrschern über einen Markt, der alles andere als frei ist. Der Wettlauf zum Hörer markiert ein
Phänomen, das Deutsche nirgendwo so heftig heimgesucht hat wie in Hamburg: Wohnungsnot.
Die Reportage fährt fort:
Bodenspekulation und Mietwucher, Kündigungsdruck und Maklerallmacht sind die Folgen einer liberalistischen Funktion, wonach der Wohnungsmarkt gleich Frischeiern oder Badehosen getrost dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage überlassen bleiben darf.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Das ist das Ergebnis Ihrer Politik!)

— Das war im Jahre 1970, Herr Kollege Jahn. Ich fordere Sie j a auf, wenn ich auch weiß, daß das aussichtslos ist, nachzudenken und die notwendige politische Diskussion zu versachlichen. Das war, wie gesagt, im Jahre 1970: Wohnungsmangelsituation! Auch Hausbesetzungen hatten wir im Jahre 1970, obwohl in den 60er Jahren, wie Sie vorhin gesagt haben, die richtige und auch eine bessere Wohnungspolitik getrieben worden ist.

(Niegel [CDU/CSU]: Ist das durch das Wohnraumkündigungsschutzgesetz besser geworden?)

— Ich versuche nur das hier mal darzulegen; es kann ja völlig aussichtslos sein. Ich bemühe mich schon seit Jahren um Versachlichung, ich versuche es auf diesen Punkt zurückzuführen. Nicht um von gegenwärtigen Problemen abzulenken, sondern um Ihnen deutlich zu machen, daß wir heute Engpässe haben, daß diese aber nicht unmittelbar mit der Gesetzgebung zusammenhängen, daß das jedenfalls nicht die Hauptwirkungsursache ist; sonst hätte das im Jahre 1970 nicht so sein können.
In Wirklichkeit handelt es sich um Schwankungen. Eine ähnliche Wohnungsmangelsituation — um noch fünf Jahre zurückzugehen — hatten wir in den Jahren 1965/66, dann die eben geschilderte im Jahre 1970, und vor ähnlichen Problemen stehen wir im Jahre 1980.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Und was ist in zehn Jahren geschehen, Herr Minister?)

— Darauf komme ich gleich. Ich will zunächst mal sagen, daß es sich um Schwankungserscheinungen handelt, die nicht neu sind, die wir auch 1965 und 1970 gehabt haben.
Jetzt komme ich noch auf einige Gründe, die in die Diskussion mit eingeführt werden, damit wirklich sachlich diskutiert werden kann. Es kann nicht bestritten werden — und darüber herrscht hier wohl Einigkeit —, daß die Versorgung mit Wohnungen in Großstädten und Ballungsgebieten schwieriger geworden ist. Dagegen haben wir mittlerweile im ländlichen Bereich eine fast optimale Wohnungsversorgung. Ich sage Ihnen als Raumordnungsminister, ich wehre mich dagegen, daß die Wohnungsversorgung ausschließlich aus großstädtischer Sicht kritisch gesehen wird. Wir können auch aus Raumordnungsgründen nicht einseitig egoistisch nur aus großstädtischer Sicht diskutieren. Ich halte es für einen großen Vorteil, daß die Wohnungsversorgung, auch die Eigentumsbildung auf dem flachen Land gut ist. Wäre sie nicht gut, dann wäre der Abwanderungsdruck gerade jüngerer Menschen aus den ländlichen Bereichen in die Ballungsgebiete noch viel stärker und würde dort die Wohnungsnachfrage noch mehr vergrößern. Das muß in diesem Zusammenhang mal gesagt werden. Ich sehe auch bei Ihnen Nicken und Zustimmung.
Weil wir eine kurzfristige übergroße Nachfrage in den großen Städten und in den Ballungsgebieten haben, spreche ich mich dafür aus, daß die Länder, die ausschließlich über den Einsatz öffentlicher Mittel entscheiden, für einen bestimmten Zeitraum stärkere Schwerpunkte in den Ballungsgebieten und in den Großstädten beim Mitteleinsatz bilden.
Aber noch eine Bemerkung zu dieser Mangelsituation oder, wie es heißt, zu den Warteschlangen vor unseren städtischen Wohnungsämtern. Das hat zwei Ursachen. Die Ursache liegt einmal auf der Angebotsseite, zum zweiten auf der Nachfrageseite. Hier liegen die Gründe im freifinanzierten Mietwohnungsbau im Zurückgehen der jährlich gebauten Wohneinheiten, ähnlich wie im sozialen Wohnungsbau. Das heißt, die Hauptkostenfaktoren Bodenpreise, Finanzierungskosten und Baukosten sind in den letzten Jahren in einem Umfang gestiegen, der weit über den allgemeinen Preissteigerungsraten liegt. Das hat im freifinanzierten Mietwohnungsbau zu einer deutlichen Verschlechterung der Renditeaussichten und damit der Investitionsneigung geführt. Meine Damen und Herren, es ist nicht zu bestreiten, daß das der entscheidende Punkt ist. Ich könnte Ihnen — ich kann es aber aus Zeitgründen nicht; ich bin gern bereit, Ihnen das schriftlich zur Verfügung zu stellen — jedes mit uns vergleichbare europäische Land und auch die Vereinigten Staaten darstellen, bei denen sich in den letzten Jahren genau dieselbe Entwicklung abgezeichnet hat. Dort haben wir nicht die von Ihnen kritisierte sozialliberale Bundesregierung oder den zuständigen Bauminister. Außerdem handelt es sich um viele europäische Länder — als Beispiel nenne ich nur die Schweiz —, in denen wir keine Vergleichsmietenregelung und keinen ausgedehnten Mieterschutz wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland haben. Das gehört zur sachlichen Diskussion, um den Ursachen auf den Grund gehen zu können und um dann vernünftige Lösungskonzepte für die Zukunft zu eröffnen, die sowieso nicht kurzfristig wirken können. Wenn wir uns aber in einem Hickhack begegnen, indem die einen sagen, nur über den Markt läuft das, und die anderen sagen, mit noch größeren staatlichen Eingriffen oder staatlicher Lenkung müssen die Probleme



Bundesminister Dr. Haack
gelöst werden, dann werden wir aus diesen Schwierigkeiten nicht herauskommen. Deshalb spreche ich mich hier wie auch schon in der Vergangenheit für einen vernünftigen Mittelweg aus.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901801800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jahn (Münster)?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901801900
Herr Minister, da Sie sich für den Mittelweg aussprechen, möchte ich Sie fragen, ob Sie die Meinung Ihres Kabinettskollegen Matthöfer teilen, der in dieser Debatte ausgeführt hat, im Wohnungsbau müsse ein Vorrang für unternehmerische Investitionen und für den Wettbewerb gelten.

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901802000
Dem stimme ich voll zu. Dabei bin ich aber nocht nicht; das kommt nämlich im zweiten Teil meiner Darlegungen. Im ersten Teil will ich den Versuch machen — Sie haben es leider verengt, Herr Kollege Jahn —, auf die wirklichen Ursachen unserer Probleme zu kommen. Im zweiten Teil werde ich sagen, welche Lösungsvorschläge wir anzubieten haben, auch dort, wo es um Gesetzgebung und die weitere Diskussion im Bundestag geht. Ich bitte also, noch einige Minuten zu warten; dann werde ich mich auch dazu äußern.
Ich versuchte gerade, darzustellen, daß wir aus den genannten Gründen Schwierigkeiten bei der Neubauproduktion haben. Auf diese Schwierigkeiten beim Angebot neugebauter Wohnungen stößt nun die steigende Nachfrage. Trotz sinkender Bevölkerungszahl haben wir eine steigende Nachfrage im Wohnungsbau. Warum? Weil die Zahl der Haushalte zunimmt. Dazu zählt auch ein Einpersonenhaushalt. Dazu gehört auch ein Student, der, weil es heute modern ist, möglichst früh zu Hause auszuziehen, mit 19 Jahren allein wohnt. Dabei geht es um die geburtenstarken 60er-Jahrgänge, die jetzt in das Alter kommen, wo sie möglichst frühzeitig von zu Hause weggehen und auf den Wohnungsmarkt drängen. Es ist nicht nur so, daß viele junge Leute, gerade im akademischen Bereich die zu Hause optimal versorgt sind, aus dem Elternhaus auf den Wohnungsmarkt drängen, selbst in derselben Universitätsstadt, sondern es kommt noch ein zweites hinzu: Diese jungen Leute nehmen nicht Einzelbuden, sondern bilden Wohngemeinschaften. Das heißt: Dieselben Leute, die teilweise durch Bildung von Wohngemeinschaften Vier- und Fünf-Zimmer-Wohnungen mieten, gehören auf der anderen Seite zu denen, die dagegen protestieren, daß in den Innenstädten zuwenig Wohnraum für kinderreiche Familien vorhanden ist. Auch das muß einmal gesehen werden, damit die Diskussion hierüber nicht einseitig fortgesetzt wird.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Ein mutiges Wort! — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Aber woher kommt das?)

Das mache ich gar nicht zum Vorwurf. Ich sage Ihnen allerdings ganz deutlich: Ich bin der Auffassung, daß es nicht Aufgabe des Steuerzahlers ist, solche modischen Trends etwa über Sozialwohnungen zu
finanzieren. So etwas halte ich nicht für machbar. Ich bin dafür, daß jeder die Freiheit hat, das zu tun und zu lassen, was er will, wenn er sich im Rahmen des Gesetzes hält. Aber wir müssen insgesamt — nicht nur im Wohnungsbau, sondern in unserem ganzen Staat — endlich einmal erkennen, daß Freiheit nicht gleichzeitig einen Anspruch an den Staat bedeutet, etwas aus Steuermitteln zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Wo ist der Applaus der SPD?)

— Ich kann Sie beruhigen, Herr Kollege Möller. Ihre Annahme, von der SPD-Fraktion komme kein Applaus, war nicht richtig, wovon Sie sich gerade überzeugen konnten.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Er war aber sehr schleppend!)

Es geht aber nicht nur um die jungen Menschen, sondern natürlich auch um eine ganz wichtige andere Nachfragegruppe, die gerade auf dem städtischen Wohnungsmarkt eine Rolle spielt. Das sind die alleinerziehenden Elternteile, im Regelfall Frauen mit Kindern. Das steht auch im Zusammenhang mit der steigenden Zahl der Scheidungen und der Getrenntlebenden. Auch darin besteht eine neue Herausforderung. Es ist völlig klar: Wenn sich eine Familie, die bisher in einer Wohnung gewohnt hat, trennt, dann sucht sie zwei Wohnungen. Es handelt sich also um ganz wichtige Gründe, die wir sehen müssen.
Es kommt ein dritter Grund hinzu — ich kann die Gründe wegen der Kürze der Zeit nicht alle anführen —; das ist die qualitative Nachfrage. Ein großer Teil der Nachfrage, selbst der Schlangen vor den Wohnungsämtern, spiegelt nicht akuten Wohnungsmangel wider. Gegen den Begriff „Wohnungsnot" wende ich mich — da stimme ich auch etwa dem Innenminister von Baden-Württemberg zu —, weil mit dem Begriff „Wohnungsnot" etwas assoziiert wird, was wir in der Nachkriegszeit hatten. Ich kann nicht feststellen, daß die heutige Situation mit damals zu vergleichen ist. Trotzdem wollen wir nicht um Worte streiten. Es kann nicht bestritten werden, daß wir in den Ballungszentren Wohnungsmangel haben. Aber er setzt sich aus diesen verschiedenen Elementen zusammen, auch aus dem dritten Element, das ich gerade erwähnt habe, nämlich aus den qualitativen Ansprüchen. Derjenige, der eine kleine Wohnung hat, will eine größere Wohnung haben. Wer eine Mietwohnung hat, möchte Eigentum in irgendeiner Form bilden.
Man fragt außerdem preiswerte Wohnungen nach. Die Tatsache, daß wir, im Durchschnitt gesehen, bei uns in der Bundesrepublik günstige Mietpreise haben, ist ein weiterer Grund für steigende Nachfrage. Es werden keine teuren Wohnungen, sondern es werden preiswerte Wohnungen nachgefragt.
Noch ein vierter Punkt, weil das von Ihnen, Herr Kollege Jahn, auch erwähnt worden ist: Das sind die Konsequenzen unserer Modernisierungspolitik der 70er Jahre und der Eigentumsförderung auch im Bestand. Ich halte diese Politik nach wie vor für richtig.



Bundesminister Dr. Haack
Die haben wir damals, soweit es um Gesetzgebung ging, auch einheitlich verabschiedet. Wir wollten — und das richtete sich auch an Privatinitiative — erreichen, daß alte Häuser, alte Wohnungen in den Stadtinnengebieten nicht heruntergewirtschaftet werden. Deshalb schufen wir Anreize durch steuerliche Maßnahmen und Modernisierungsförderung,

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Anreize durch Steuervergünstigung wollten Sie zunächst nicht!)

um die Wohnungen an einen modernen Standard anzugleichen.
Diese Politik, die vom Grundsatz her nicht nur wohnungspolitisch, sondern auch städtebaupolitisch richtig ist, hat auf der anderen Seite die negative Konsequenz gehabt, daß es auch einen gewissen Spekulationsdruck gegeben hat. Wir hatten viele Fälle der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Ferner sind einkommensstarke Bevölkerungsgruppen, die früher Eigentum am Stadtrand gebildet haben, jetzt wieder in die modernisierten Innenstadtgebiete hineingegangen. Auch das ist ein ganz wesentlicher Grund. Im Zusammenhang mit Altstadtsanierungen wird aus zwei kleineren Wohnungen eine größere Wohnung, werden aus billigen Wohnungen teure Wohnungen, werden aus Mietwohnungen Eigentumswohnungen. Von daher ist eben das Angebot an preiswerten Altbauwohnungen in unseren alten Städten geringer geworden. Wir stehen hier in einem Konfliktfeld: Auf der einen Seite war es notwendig, Modernisierungen anzuregen, auf der anderen Seite haben sie zu zusätzlichen Problemen geführt. Wir versuchen jetzt, ausgleichend zu wirken, indem wir — das ist auch ein Teil unserer Koalitionsvereinbarungen — übertriebene Modernisierungen verhindern, jedenfalls dem Mieter ein Widerspruchsrecht geben wollen.
Das versuchte ich zur Analyse unserer gegenwärtigen Situation darzulegen, weil ich mit großer Sorge die schlagwortartige öffentliche Diskussion verfolge, die uns überhaupt nicht weiterführen wird, wenn es in der Zukunft um Lösungsansätze gehen wird.
Zu diesen Lösungsansätzen möchte ich jetzt einige Bemerkungen machen: Sie wissen — und das hat auch der Herr Bundesfinanzminister in seiner Einbringungsrede am vergangenen Freitag gesagt —, daß wir die Rahmenbedingungen des freifinanzierten Wohnungsbaus verbessern, im sozialen Wohnungsbau mehr marktwirtschaftliche Elemente einführen, im Sozialwohnungsbestand eine größere Verteilungsgerechtigkeit bewirken und die Eigentumsförderung, vor allem für Familien mit Kindern, wirkungsvoller ausgestalten wollen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist für mich — auch nach Ihren Worten, Herr Kollege Jahn — unheimlich schwierig, festzustellen, was nun in all diesen wichtigen Punkten, die ich genannt habe, auf Ihrer Seite gilt. Ich darf noch einmal — wie es vorhin in einem Zwischenruf gemacht worden ist — den Beschluß der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der CDU/CSU vom 24. November 1980 nennen. Zu all den Punkten, die wir hier vereinbart haben — Sie haben vorhin das Stichwort Fehlbelegungsabgabe genannt —, gab es in diesem Beschluß positive, fast deckungsgleiche Äußerungen.
Vorhin haben Sie nun gesagt, ich hätte meine Meinung zur Fehlbelegungsabgabe geändert.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: So ist es!)

Dazu zwei Bemerkungen: Die erste Bemerkung ist erforderlich, weil dies in den letzten Wochen in der Öffentlichkeit mißverständlich dargestellt worden ist. Selbstverständlich kann das, was wir zur Lösung des Fehlbelegungsproblems vorschlagen, nicht die Lösung unserer Wohnungsbauprobleme sein. Das ist ein ganz kleiner Teilausschnitt.

(Beifall bei der SPD)

Hier muß eben auch für die Zukunft glaubwürdig diskutiert werden. Im Jahr 1980, angefangen mit einer Initiative des bayerischen Staatsministers des Innern, des Herrn Tandler, wurde die Bundesregierung kritisiert, daß sie dieses Problem nicht anpacke.

(Dr. Schneider [CDU/CSU]: Sehr zu Recht!)

Ich habe das aufgegriffen, und wir haben eine Kommission eingesetzt. Es wurden entsprechende Vorschläge gemacht.
Ich muß allerdings zur Ehre des Herrn Tandler sagen — weil Sie, Herr Jahn, vorhin eine andere Besprechung, die vorgestern stattgefunden hat, genannt haben —, daß bei einer Besprechung mit den Ländervertretern wenigstens der Freistaat Bayern
— im Gegensatz zu den übrigen CDU/CSU-regierten Ländern — diese Fehlbelegungsabgabe noch nicht voll abgelehnt hat. Ich sehe hier auch ein Problem der Glaubwürdigkeit. Denn auch noch in der Debatte im Juni des letzten Jahres hier im Bundestag ist von Ihnen, Herr Kollege Jahn, erklärt worden, die Fehlsubventionierung sei ein öffentliches Ärgernis.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Richtig!)

— Moment, Sie haben noch mehr erklärt:
Keiner will den Fehlsubventionierten aus seiner Wohnung drängen,
— darin stimmten wir überein —
aber eine marktgerechte Miete sollte er
— der Fehlbeleger —
schon zahlen.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Aber nicht mit der Fehlbelegungsabgabe, Herr Minister!)

Und heute, wenige Monate später, erklären Sie: nicht nur der Fehlbeleger, sondern generell jeder. Und da sind wir eben der Meinung, es geht jetzt um eine Übergangslösung, weil wir nicht in kurzer Zeit
— Herr Kollege Hirsch ist da, der das noch weiß aus seiner früheren Verantwortung in Nordrhein-Westfalen — alles das ändern können, was sich teilweise nicht gut entwickelt hat in den letzten dreißig Jahren. Es kommt vielmehr darauf an, schrittweise zu einer Besserung zu kommen. Dazwischen bedarf es



Bundesminister Dr. Haack
der Übergangslösungen. Eine solche Übergangslösung ist diese Fehlbelegungsabgabe.

(Abg. Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Noch eine letzte Bemerkung, dann können Sie sich erst recht melden, Herr Kollege Jahn. — In dem eben erwähnten Beschluß der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der CDU/CSU vom November steht dezidiert, genau wie wir es vorhaben — Punkt 12b—:
Fehlbeleger in Altwohnungen mit bestehenden Bewilligungsbescheiden sollen zukünftig zu einer Fehlbelegerabgabe herangezogen werden. Diese Abgaben sollen zweckgebunden für den Neubau von Sozialwohnungen verwendet werden. Soweit Mietobergrenzen existieren, ist darauf zu achten, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen in ihrer Wirkung nicht damit kollidieren und der gewünschte Effekt verloren geht.
So fast wörtlich in der Koalitionsvereinbarung.
Jetzt haben Sie gesagt, aber Sie — damit haben Sie mich gemeint — waren früher einmal dagegen. Das gebe ich Ihnen durchaus zu. Ich war bis Anfang des Jahres 1980 oder bis Ende 1979 dagegen aus den Schwierigkeiten heraus, weil ich mich auch schon vorher mit dem Problem befaßt hatte. Ich habe meine Meinung geändert, und zwar aus folgendem Grund: weil wir eine steigende Wohnungsnachfrage in den Städten und den Ballungsgebieten haben. Das heißt: die Wohnungsmangelsituation hat einen neuen Stellenwert bekommen. In Zusammenhang mit diesem Stellenwert hat auch die Fehlbelegungsproblematik eine neue Dimension erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Hätte ich keine Wohnungsnachfrage, könnte jeder die Wohnung finden, die er haben will, wäre unser Wohnungsmarkt optimal, dann könnte ich zwar aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit sagen, diese Fehlbelegungsproblematik müsse auch noch gelöst werden. Da ich aber der Meinung bin, alle Probleme — ich sage dazu sogar: glücklicherweise — können auf dieser Welt nicht gelöst werden, muß ich nicht jedes Problem unbedingt anpacken. Aber hier müssen Sie diese Kombination mit der neuen Mangellage sehen.
Hier muß ich sagen — darum erwähnte ich vorhin das Stichwort „Glaubwürdigkeit" —, daß ich auf Grund der Aufforderung, die aus CDU/CSU-Kreisen in den letzten Monaten auf uns zugekommen sind, davon ausgehen mußte, daß ein solches Konzept zwar nicht in jeder Einzelheit, aber vom Grundsatz her auch von Ihnen getragen würde. Die Nagelprobe wird ja erst der Bundesrat machen. Die Bundesregierung wird jedenfalls das Gesetzgebungspaket auf die Reise schicken, und wir werden dann sehen, wie es die Hürde der Länderkammer überspringt. Wenn nicht, dann ist jedenfalls ein Versuch gemacht worden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901802100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901802200
Bitte schön, ja.

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901802300
Herr Minister, da wir alle auch durch Sachverstand hinzulernen können, habe ich die Frage: Sind Sie bereit, diesem Hohen Hause mitzuteilen, was denn als Ergebnis der Anhörung durch die Verbände zur Fehlbelegungsabgabe in Ihrem Hause gesagt worden ist?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901802400
Es ist genau das gesagt worden, was Sie vorhin schon referiert haben, Herr Kollege Jahn. Sie haben sich ja gestern genau erkundigt, und ich kann nicht annehmen, daß Sie vorhin etwas Falsches gesagt haben. Sie sagen ja immer das Richtige,

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Vielen Dank!)

insofern kann ich Ihnen bestätigen, daß das, was Sie vorhin über die Anhörung gesagt haben, richtig ist. Der Deutsche Mieterbund und die kommunalen Spitzenverbände haben sich im Grundsatz positiv erklärt, die anderen Verbände im Grundsatz nicht positiv. Aber wir sind hier im Parlament und sind Politiker. Wir haben politisch zu entscheiden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir sind keine Verbandsdemokratie. Also das kann nicht allein ausschlaggebend sein.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Politik contra Sachverstand!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901802500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Möller?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901802600
Ja bitte.

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0901802700
Herr Minister, müssen Sie nicht erneut Ihre Meinung korrigieren oder revidieren unter dem Gesichtspunkt, daß die Fehlbelegerabgabe möglicherweise mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901802800
Das ist ein neues Argument, das seit Jahren in die politische Diskussion eingeführt wird. Wenn man logisch-politisch nicht mehr weiterkommt, dann geht es auf das Gebiet der Verfassungsrechtsprechung, und dann hat vielleicht noch einer die Hoffnung,

(Beifall bei SPD)

daß ein Verfassungsrichter auch Fehlbeleger ist und eine solche Gesetzgebung dann nicht Bestand hat in Karlsruhe.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist eine Unterstellung! — Das ist unerhört! — Dr. Möller [CDU/CSU]: Das war unter Ihrer Würde, Herr Minister!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901802900
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Wartenberg?




Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901803000
Im Moment nicht. — Ich bin der Meinung, daß die Wohnungsproblematik bei all den Problemen so ernst auch nicht ist, daß man dazwischen nicht auch einmal eine ironische Berner-kung machen dürfte. Ich muß aber zunächst noch auf Ihre Frage antworten, Herr Kollege Möller. Selbstverständlich wird das alles sorgfältig geprüft; es ist auch bei uns sorgfältig geprüft worden. Wir sind der Meinung, daß das, was hier vorgesehen worden ist, als ein zusätzlicher Beitrag, der eine heute nicht mehr gerechtfertigte Subventionierung von früher abbaut, durchaus mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung steht. Das zu Ihrer Frage. Rechtlich haben wir nach sorgfältiger Prüfung in den letzten Wochen gerade auf Grund des von Ihnen genannten Urteils keine Bedenken.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901803100
Herr Dr. von Wartenberg zu einer Zwischenfrage.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901803200
Herr Minister, angesichts der Tatsache, daß Sie festgestellt haben, daß die Wohnungsbausituation in der Stadt durch die Nachfrage beengter ist, daß sie auf dem Lande ausgeglichener ist, und angesichts der Tatsache, daß wir uns hier in einer Haushaltsberatung befinden und auch das Subventionsabbaugesetz zur Diskussion steht: Halten Sie es für richtig, daß die einzige öffentliche vom Bund gewährleistete Unterstützung für den Personennahverkehr, die diese Situation auf dem Wohnungsmarkt im Verhältnis zwischen Stadt und Land entzerren könnte, abgebaut wird?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901803300
Das ist hier schon eingehend diskutiert worden und wird wohl heute noch weiter diskutiert werden. Dies ist ein Teil des Pakets von Sparmaßnahmen. Sie können bei jeder solcher Maßnahme bei isolierter Betrachtung oder bei Betrachtung unter einem speziellen fachlichen Aspekt Einwendungen erheben, aber hier geht es auch darum, insgesamt im Rahmen eines solchen Subventionsabbaugesetzes zu Ergebnissen zu kommen, die sich finanziell niederschlagen. Mittelfristig meine ich, daß die Probleme der Stadtentwicklung und damit des Wohnungsbaus in einem ganz engen Zusammenhang mit Fragen des öffentlichen Personennahverkehrs, auch im ländlichen Bereich, gesehen werden müssen. Insofern stimme ich Ihnen vom Grundsatz her zu, daß es diese enge Verbindung gibt.
Ich versuchte darzulegen, wo wir von seiten der Bundesregierung einen Beitrag leisten wollen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Ich war bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den freifinanzierten Wohnungsbau. Hier will ich noch einmal darauf hinweisen, daß wir für den Neubau ein gewisses Abweichen von den bisherigen Regelungen für die Vergleichsmiete vorsehen, die bisher auch für den Neubau gegolten haben. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, Herr Kollege Jahn, daß wir uns hier in Übereinstimmung befingen mit dem, was etwa in der Erklärung der Fraktionsvorsitzenden steht. Ich muß davon ausgehen, daß diese Erklärung vom 24. November 1980 auf den Tatsachen beruht, die wir auch noch im Januar 1981 haben. Wir leben zwar in einer sehr schnellebigen Zeit, aber so, daß sich die Voraussetzungen für Beschlüsse innerhalb von zwei Monaten ändern, ist es wohl nicht. Insofern gehe ich davon aus, daß sie diesen gesetzgeberischen Vorschlag, den wir Ihnen vorlegen wollen, ernsthaft prüfen und mit dazu beitragen, daß es zu vernünftigen Lösungen kommt.
Ich sage noch einmal im Zusammenhang mit der Fehlbelegungsabgabe: Wir wollen alle diese Vorschläge, die wir zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im Wohnungsbau haben, gemeinsam vorlegen, damit nicht der Verdacht entsteht. Sie haben sich nur einen Punkt herausgezogen, der allein nicht hilfreich ist. Wir wollen alle die Vorschläge, auf die wir uns verständigt haben, als einheitliches Paket in der ersten Jahreshälfte 1981 vorlegen. Dazu würden auch die eben genannten Staffelmietregelungen gehören. Im mietrechtlichen Teil werden im übrigen noch gewisse Erleichterungen vorgesehen: Mietspiegel, verbindliche Aufstellung von Mietspiegeln in Gemeinden bestimmter Größenordnung mit zeitnahen Anpassungen und auch gewisse Verbesserungen in dem bisher sehr formalen Mieterhöhungsverfahren.
Herr Kollege Schneider, wenn Sie vielleicht einen Moment zuhören könnten. Ich bin gerade bei dem Punkt — Sie werden sicher später auch sprechen —, wo es um die Vorschläge der Bundesregierung in diesem mietrechtlichen Teil geht. Ich habe mir das noch einmal angesehen und festgestellt, daß das Vorschläge sind, die Sie im Jahre 1978 bei der Vorlage des Berichts der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Wohnraumkündigungsschutzgesetz gemacht haben. Sie gehen genau in diese Richtung. Vielleicht können Sie uns nachher darlegen, warum das nicht mehr gelten soll oder was mittlerweile anders ist.
Ich halte die Vorschläge, die gemacht worden sind, für sinnvoll. Sie schneiden nicht in das ein, was ich mit dem Kernbereich unseres sozialen Sicherungssystems Mieterschutz meinte, geben aber eine gewisse Erleichterung. Wenn diese Erleichterungen — das kann ich nicht ausschließen — in der Zukunft nicht zu einer Verbesserung der Investitionsneigung im freifinanzierten Mietwohnungsbau führen, dann ist genau die These erhärtet, daß es nicht an solchen gesetzlichen Bindungen hängt, sondern an den vorhin von mir genannten steigenden Baukosten, Grundstückskosten und Finanzierungskosten. Weil das so ist und weil wir gerade als Staat mit dazu beitragen müssen, daß die Wohnungsbauproduktion nicht noch weiter rückläufig ist, müssen wir dort, wo wir unmittelbar fördern, nämlich im sozialen Wohnungsbau, Verbesserungen durchsetzen. So ist auch der Terminus zu verstehen, im sozialen Wohnungsbau mehr marktwirtschaftliche Elemente einzuführen. Das heißt, wir müssen hier zumindest mittelfristig von unserem bisherigen starren Förderungssystem abkommen, wo bestimmte Miethöhen festgelegt sind und bei steigenden Kosten immer mehr öffentliche Mittel pro Wohneinheit verwendet werden müssen. Hier müssen wir zu einem flexibleren Mitteleinsatz kommen, um den Bedarf an Förderungsmitteln je Wohnung zu verringern und mit den zur



Bundesminister Dr. Haack
Verfügung stehenden öffentlichen Mitteln mehr Effekte zu erzielen.
In diesen zwar schwierigen, aber nach meiner Auffassung lösbaren Fragen stehen wir in engem Kontakt mit den Ländern. Das geht alles nur mit den Ländern. Es handelt sich zum Teil auch um gesetzliche Änderungen mit notwendiger Zustimmung der Länder.
Wir haben eine Sachverständigenkommission Wohnungspolitik ins Leben gerufen, die uns in dieser ersten Hälfte des Jahres 1981 begleitet, bis wir dieses Gesetzespaket dem Deutschen Bundestag im Mai oder Juni vorlegen.
Es geht zum einen um Überlegungen, zu einer verdünnten Förderung im öffentlich geförderten Wohnungsbau zu kommen. Bereits jetzt erproben auch gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften gemäßigte Bauherrnmodelle im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus. Es handelt sich um eine Kombination; das nicht ausreichende Eigenkapital wird aus Steuervorteilen aufgestockt. So wird die sonst mit hohen Kosten verbundene Fremdmittelfinanzierung eingeschränkt. Auch das ist ein Weg.
Das ist nicht die Lösung der Probleme. Alles, was ich hier konkret sage, ist, für sich genommen, ein kleiner Mosaikstein. Ich wiederhole das, was ich einleitend grundsätzlich gesagt habe: Wer vorgaukelt, er habe das Patentrezept und nur dieser Weg dürfe eingeschlagen werden, sagt nach meiner Auffassung, wenn er Fachmann ist, nicht die Wahrheit. Es gibt kein Patentrezept, sondern es gibt nur den Versuch, aus gewissen eingefahrenen Geleisen der Vergangenheit, die unsere heutigen Probleme nicht mehr lösen können, schrittweise wegzukommen, ohne das Positive der Förderung in der Vergangenheit, nämlich den sozialen Schutz, in irgendeiner Weise zu berühren.
Um zu einer besseren und gezielteren Versorgung gerade jener Personengruppen unserer Bevölkerung, um die es uns gehen muß, zu kommen, müssen wir auch versuchen, das Modell durchzusetzen, das wir schon in den letzten Jahren in die Diskussion gebracht haben: Ankauf von Bindungen sowohl auf dem Neubausektor als auch auf dem Altbausektor. Die Gemeinden sollen sich hier stärker engagieren, in solchen Fällen Mietgarantien übernehmen und die Mieter, um deren Unterbringung es vordergründig geht, benennen können.
Damit bin ich bei einem ganz entscheidenden Punkt: der stärkeren Einbindung unserer Gemeinden in den Wohnungsbau. Ich sage das nicht etwa, weil wir als Bund uns aus der Verantwortung schleichen und unsere Verantwortung auf andere ablagern wollten, sondern ich sage das aus einem anderen Grund. Wenn heute Städte, hauptsächlich Großstädte in den Ballungsgebieten, feststellen, für sie sei der Wohnungsbau das kommunale Problem Nummer eins, dann muß sich die kommunale Finanzplanung an dem kommunalpolitischen Problem Nummer eins orientieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich halte es nicht für möglich, daß eine Großstadt sagt: Für uns ist der Wohnungsbau das Problem Nummer eins; aber die Finanzierung machen Bund und Länder; und wir bauen das nächste schöne Rathaus. Sondern dann müssen hier Prioritäten gesetzt werden, nämlich im Rahmen der kommunalen Investitionen eine stärkere Einbindung der Gemeinden.
Ich bin im übrigen der Meinung, daß wir dann — auch das ist nicht kurzfristig erreichbar, muß aber die Zielvorstellung sein — die Zuständigkeiten und den Mitteleinsatz auf die Kommunen verlagern. Das geht nicht schematisch: In jedem Einzelfall muß von 15 auf 5 DM runtersubventioniert werden. Die Gemeinden sollen die Möglichkeit haben, zu prüfen, welche Personengruppen sie unterbringen müssen. Es können Leute sein, die auch 8 oder 9 DM Miete pro Quadratmeter zahlen können. Die sollen das dann bezahlen. Andere zahlen nur die Miete, die ihnen zusteht. Vor dem generellen Modell eines Wohngelds, das Sie, Herr Jahn, zumindest unterschwellig in die Diskussion bringen

(Zuruf des Abg. Dr. Jahn [Münster] [CDU/ CSU])

— wenn Sie es nicht sind, bringen es andere in die Diskussion —, in Form einer Ablösung der öffentlichen Direktsubvention muß ich warnen. Es ist ein Modell, das damals von Herrn Biedenkopf in die Diskussion gebracht wurde. Wohnungsmarkt voll auf den freien Markt überführen, Rückzug des Staats aus der öffentlichen Subvention und soziale Absicherung — soziale Absicherung durch Wohngeld: das klingt sehr schön —, das wäre im Endergebnis nicht mehr finanzierbar. Es würde zu ganz großen Verwerfungen führen,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

und zwar nicht nur, was die Nachfrage im Neubau anbelangt, sondern auch, was die Nachfrage im Altbaubestand betrifft.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ CSU])

Wohngeld ist ein ganz wichtiges Instrument. Frau Traupe hat vorhin als Berichterstatterin für unseren Haushalt mit Recht darauf hingewiesen, wie wichtig das Wohngeld ist und daß wir es zum 1. Januar erhöht und auch auf Familien mit Kindern erstreckt haben, um deutlich zu machen: Die Verknüpfung von Familienpolitik und Wohnungsbaupolitik ist wichtig. Sie muß fortgesetzt werden. Aber das Wohngeld könnte eine direkte Förderung des Staates nie voll ersetzen. Daher müssen wir im Grundsatz bei unserem Mischsystem bleiben, allerdings müssen wir es stärker auf die neuen Notwendigkeiten abstellen. Auch müssen wir, so meine ich, stärker differenzieren, je nachdem, um welche Personengruppen es geht.
In diesem Zusammenhang ist auch die Diskussion über die Einkommensgrenze im sozialen Wohnungsbau — Herr Kollege Jahn hat es angeführt — zu sehen. Die Bundesregierung hat im Jahre 1980 keinen Gesetzentwurf mit einer Erhöhung der Einkommensgrenzen vorgelegt, die Koalitionsfraktionen dagegen haben das beschlossen. Man kann hier zwar unterschiedlicher Meinung sein, aber eines



Bundesminister Dr. Haack
sprach — trotz Bedenken — für diese Entscheidung, die damals getroffen worden ist, nämlich der Umstand, daß in manchen Großstädten im Neubau, im öffentlich geförderten Wohnungsbau Mieten herausgekommen sind, die von denjenigen, die unter der Einkommensgrenze, die damals noch geringer war, lagen, trotz Wohngeld nicht mehr aufgebracht werden konnten, während diejenigen, die gerade knapp über der Einkommensgrenze lagen, diese Wohnungen hätten beziehen können, dies aber mangels Berechtigung nicht tun durften. Wir haben uns bei der Erhöhung der Einkommensgrenze — die man kritisch sehen kann, wenn man unter dem Begriff „sozialer Wohnungsbau" nur die Aufgabe versteht, einkommenschwächere Personenkreise zu versorgen — auch an regionalen Versorgungsproblemen großer Städte, auch im Ruhrgebiet orientiert.
Ich bin der Meinung, daß es eine Illusion wäre, zu glauben — das gilt auch für die Zukunft —, daß wir die einkommenschwächeren Personenkreise angesichts der starken Kosten des Neubaus ausschließlich im Neubau versorgen können — trotz öffentlicher Suventionen und trotz Wohngelds. Ich meine, wir brauchen gerade für einkommenschwächere Personenkreise auch den vorhandenen Bestand an Sozialwohnungen, die billiger sind. Deshalb würde ich es nicht für gut halten, wenn Ihr Konzept, Herr Kollege Jahn, sofort durchginge, nämlich nicht zu einer gezielten Abgabe für fehlsubventionierte Wohnungen, sondern zu einer generellen Anhebung der Mieten zu kommen; kurzfristig jedenfalls wäre das nicht gut. Wir brauchen also den Bestand an Sozialwohnungen zur Versorgung Einkommenschwächerer. Ich meine — das subsumiere ich auch unter dem Begriff „marktwirtschaftliche Elemente im sozialen Wohnungsbau" —, daß es hier nicht nur um den Bestand des sozialen Wohnungsbaus im engeren Sinne geht, also um die Jahrgänge nach 1950, sondern daß wir auch die älteren Jahrgänge, etwa der 20er Jahre, die im Besitz gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaften sind, mit ihren ganz geringen Mieten hier einbeziehen müssen, um auch dort schrittweise zu einer Anhebung zu kommen, so daß auch hier aus vernünftigen sozialen Gründen eine Mietentzerrung erfolgt.
Herr Kollege Jahn, Sie haben die Behauptung aufgestellt, ich würde durchs Land reisen, Programme verkünden und Ankündigungen machen, denen der Finanzminister nicht zustimmen würde. Sie haben in diesem Zusammenhang zwei konkrete Beispiele genannt: den Sozialpfandbrief und steuerliche Zusatzvergünstigungen im sozialen Wohnungsbau oder im Wohnungsbau überhaupt, ähnlich denen, wie wir sie etwa in Berlin haben. Dazu darf ich Ihnen folgendes sagen: Eine solche Initiative gibt es demnächst auch im Freistaat Bayern. Das heißt also: Das Modell des Sozialpfandbriefs ist seit langer Zeit in der wohnungspolitischen Diskussion. Auch die Arbeitsgemeinschaft meiner Partei für Wohnungsbau hat diese Vorschläge in die Diskussion gebracht, und nur zu den in dieser Diskussion befindlichen Vorschlägen habe ich mich geäußert, wobei ich immer, bei jeder Diskussion sage: Wohnungspolitisch ist es völlig verständlich und auch notwendig, sich zu überlegen — ich war bisher der Auffassung, daß auch Sie derselben Meinung sind —, wie man zusätzliches Privatkapital mobilisieren kann. Allerdings können dabei Haushaltskonflikte, Haushaltsprobleme auftreten, und zwar sowohl dann, wenn es sich um Steuervergünstigungen indirekter Art, als auch dann, wenn es sich um Subventionen handelt. Das heißt: Hier ist keine konkrete Entscheidung getroffen worden, sondern hier sollte nur deutlich gemacht werden, daß bei einem weiteren Nachdenken darüber, wie Rahmenbedingungen verbessert, wie Anreize geschaffen werden können, auch über diese Fragen nachgedacht werden muß, auch wenn sie dann aus kapitalmarktpolitischen, aus haushaltspolitischen Gründen nicht unmittelbar, sofort entschieden werden können.
Ich habe versucht, hier einige grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Nach der Analyse unserer Situation habe ich stichwortartig versucht — wir haben j a im Februar im Ausschuß die Möglichkeit, unsere erste Diskussion fortzusetzen —, einiges von dem zu sagen, was die Bundesregierung vorhat. Dabei habe ich mich auf den engeren Bereich Wohnungsbau beschränkt.
Es gehört allerdings natürlich auch — dazu will ich jetzt abschließend noch etwas sagen — eine Verbesserung im Bodenrecht dazu. Hier konnte ich mich heute wieder nur wundern, Herr Kollege Jahn; d. h. wundern ist der falsche Ausdruck, weil Sie schon immer so argumentiert haben. Es kann doch überhaupt nicht bestritten werden, daß sich unsere Wohnungsprobleme aus verschiedenen Elemten zusammensetzen. Ich versuchte, sie vorhin darzustellen: Baukosten, Finanzierungskosten, Grundstückskosten. Wie jemand, der uns dauernd auffordert, mehr zu tun, und der uns kritisiert, wir täten zu wenig für Eigentumsbildung und im Mietwohnungsbau, dann gleichzeitig sagen kann, im Bodenrecht laufe mit uns überhaupt nichts, ist mir völlig unverständlich.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Auch das gehört zu einer glaubwürdigen Diskussion. Glaubwürdigkeit heißt, daß man nicht von Vorschlägen, die man im Jahre 1980 aus der Opposition heraus gemacht hat, nur deshalb wieder abgeht, weil sie die Regierung selber aufgegriffen hat. Das kann auch nicht bedeuten, daß man isoliert über die Probleme spricht, sondern man muß den gesamten Problemkreis mit einbeziehen. Dabei darf die Diskussion über das Bodenrecht nicht ausgeklammert werden. Das ist der Grund, warum sich auch die Koalition darüber im klaren ist — wir werden Ihnen in der ersten Hälfte dieses Jahres entsprechende Vorschläge vorlegen —, daß auch eine Verbesserung unseres bodenrechtlichen Instrumentariums notwendig ist. Das gilt einmal für die Gebiete, in denen wir bereits Bauland haben.
Es kommt darauf an, das Bauland zu mobilisieren, der Bebauung zuzuführen, damit es nicht — wie in der Vergangenheit — spekulativ zurückgehalten wird.
Es geht zweitens darum, wie wir Neubaumaßnahmen herbeiführen können, denn unsere Probleme



Bundesminister Dr. Haack
der Wohnungsversorgung werden wir auch in Zukunft nicht durch die Modernisierung von Altbauten lösen können, sondern auch durch Neubau im Stadtumlandbereich. Wir müssen erreichen, daß keine weitere horrende Preissteigerung auf dem Bodenmarkt eintritt. Wir haben einige konkrete Überlegungen im Bereich des Umlegungsrechts, der städtebaulichen Entwicklungsplanung nach dem Städtebauförderungsgesetz angestellt, die erreichen sollen, daß unsere Gemeinden eine bessere Bodenvorratspolitik betreiben können, damit auch noch Grundstücke, die im Zusammenhang mit einer Umlegung übrigbleiben, für die Bevölkerungskreise, um die es uns gehen muß, erschwinglich sind.
Hier wird auch wieder eine Nagelprobe sein. Die Forderung nach einer Verbesserung der Rahmenbedingungen im Mietwohnungsbau und nach einer Verbesserung der Eigentumsförderung ist ohne die Bereitschaft, an der Änderung des Bodenrechts mitzuwirken, unglaubwürdig.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das muß man im Zusammenhang sehen. Um Ihnen das auch gleich zu sagen, Herr Kollege Jahn: wir machen hier Vorschläge aus leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit — wir wollten 1976 den Planungswertausgleich in das Bundesbaugesetz hineinschreiben; das ist gescheitert —, die, in der Vorphase abgestimmt mit den Ländern und mit den kommunalen Spitzenverbänden, konsensfähig sind. Diese Vorschläge sind nicht „ideologisch", so daß Sie dann nicht wieder Ihre ideologischen Barrieren aufbauen müssen, sondern diese Vorschläge sind pragmatisch an den Notwendigkeiten orientiert, vor denen wir stehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901803400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn (Münster)? — Bitte sehr.

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0901803500
Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß auch wir den Angebotsmangel beim Bauland beklagen und Initiativen zur Beseitigung dieses Mißstandes entwickelt haben, die — anders als die von Ihnen vorgelegten Vorschläge — Anreize bei den Gemeinden zur vermehrten Erschließung und Ausweisung von Bauland schaffen sollen, indem wir sagen, daß die öffentliche Hand mit ihrem Grund und Boden mit gutem Beispiel vorangehen muß?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901803600
Wir werden bei der Erörterung unserer gesetzlichen Vorstellungen ganz sicher Gelgenheit haben, dies in die Beratung einfließen zu lassen. Ich kann nur hoffen, daß im Endergebnis bei dem bodenrechtlichen Teil etwas herauskommt, was unsere Situation verbessert und was deutlich macht, daß wir in all den Bereichen, die uns Schwierigkeiten bereiten — Baukosten, Finanzierungskosten und vor allem auch die Bodenpreise —, einen Anlauf gemacht haben, jedenfalls soweit es uns, dem Staat, möglich ist. Auch hier wird es dann — ich sage das gleich dazu — darauf ankommen, daß unsere Kommunen die verbesserten Instrumente, die wir Ihnen anbieten, in der Praxis auch anwenden. Auch hier wird wieder eine zusätzliche Verantwortung der Kommunen geschaffen.

(Abg. Dr. Möller [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Kollege Möller, weil Sie sich gerade melden, sage ich Ihnen in diesem Zusammenhang — Sie sind Kommunalpolitiker —: Mich hat es etwas gewundert, daß der Deutsche Städtetag bei den Vorschlägen an den neugewählten Bundestag im Bereich der Wohnungsbau- und Städtebaupolitik den Bereich des Bodenrechts voll ausgeklammert hat. Ich meine, dieser Bereich gehört mit dazu, um neue Ansätze im Städtebau und im Wohnungsbau zu finden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901803700
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Franz Möller (CDU):
Rede ID: ID0901803800
Herr Minister, da Sie die Baulandbeschaffung angesprochen haben, frage ich Sie: Warum ist denn der Mittelansatz für Baulandbeschaffung im Haushaltsplan Ihres Hauses um 50 % gekürzt worden?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0901803900
Das ist aus finanzpolitischen Gründen geschehen. Aber jetzt sind wir bei dem ganz entscheidenden Punkt, Herr Kollege Möller. Ich versuche, darzulegen, daß wir die Rahmenbedingungen im Bereich der Bodenpreise ändern müssen. Sie aber fordern staatliche Zuschüsse für hohe Bodenpreise.

(Beifall bei der SPD)

Auf der anderen Seite sagen Sie immer: Wir wollen mehr Markt. Und wenn wir hier dazu beitragen wollen, wirklich vernünftige Verhältnisse auf dem Bodenmarkt zu schaffen, dann kommen Sie und sagen: Wir wollen nicht die Bodenreform, sondern wir wollen, daß der Staat hohe Bodenpreise im Interesse des Privateigentümers subventioniert.

(Beifall bei der SPD — Dr. Möller [CDU/ CSU]: Das habe ich nicht gesagt, ich habe die Frage gestellt!)

Hier sind wir bei dem grundlegenden Punkt der unglaubwürdigen Diskussion, die leider immer wieder geführt wird. Diese Forderung nach Markt, diese Forderung nach weniger Staat geht immer nur bis zu einer gewissen Grenze. Wenn dann die Nagelprobe gemacht werden soll, dann sind Sie auf einmal Staatsinterventionist.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir sind für freie Regelungen auch auf dem Bodenmarkt. Über diese Fragen muß einmal grundsätzlich diskutiert werden, damit nicht alles an der Oberfläche bleibt, sondern der Kern sichtbar wird. Dann werden Sie feststellen — ganz im Gegensatz zu den Vorwürfen, die Sie uns Sozialdemokraten immer machen —, daß wir für die Freiheit sind. Wir sind in dem Fall für die Freiheit, daß auch ein weniger Verdienender überhaupt noch die Möglichkeit hat, auf dem Grundstücksmarkt zum Zuge zu kommen. Das ist Freiheit,

(Beifall bei der SPD)




Bundesminister Dr. Haack
und das ist soziale Gerechtigkeit. Sie diskutieren die Freiheit — wie es vorhin auch bei Herrn Jahn angeklungen ist — unter dem Stichwort Einschränkungen von Grundstücksrechten auf dem Bodenmarkt. Das ist ein völlig anderer Freiheitsansatz. Auch über den muß gesprochen werden, wenn wir in diesen Bereichen in Zukunft weiterkommen wollen.
Ich glaube, daß wir von seiten der sozialliberalen Koalition hier unseren Beitrag leisten. Ich sage noch einmal: das ist kein großer Wurf und kein Patentrezept; das wäre auch gar nicht machbar. Es ist aber der ehrliche Versuch, in einer schwierigen Situation, soweit wir Bundeszuständigkeiten haben, mit dazu beizutragen, daß sich die Verhältnisse bessern. Möglich, erfolgreich wird dieser Weg nur sein, wenn wir auch die Unterstützung der Länder — der Mehrheit der Länder, am besten aller Länder — und auch die Unterstützung der Gemeinden haben. Wir können die anstehenden Probleme nur partnerschaftlich lösen. Das Spiel, den Schwarzen Peter von dem einen auf den anderen zu schieben, darf nicht mehr weitergehen.
Im Gegensatz zu Ihrer Vermutung, Herr Kollege Jahn, habe ich auch hier, wie Sie gemerkt haben, keine Erfolgsbilanz vorgelegt. Das überlasse ich zunächst den Landesregierungen, auch denen, die von der CDU/CSU regiert sind und die noch in ihren Broschüren von 1979 sagen, welche Leistungen sie auf dem Wohnungsmarkt erreicht haben, landespolitisch natürlich. Das heißt: die Leistungen sind dann in Bayern nur landespolitisch und die Mißerfolge sind bundespolitisch. Das geht selbstverständlich nicht. Sondern auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu, daß jeder bekennt: es gibt Versäumnisse, es gibt Fehler der Vergangenheit, es ist aber auch einiges geleistet worden. Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Wir müssen nun voran. Wir müssen mit neuen Instrumenten neue Probleme anpacken. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten. Das ist nur möglich, wenn wir partnerschaftlich in Zusammenarbeit mit den Ländern und Gemeinden vorgehen. Ich hoffe, daß auch Sie als Opposition Ihren Beitrag leisten. Dann kommen wir aus den Gegensatzpaaren heraus und diskutieren sachlich und kommen dann auch zur Lösung der Probleme — früher als durch das Gegeneinander, das wir jedenfalls in dem Bereich des Wohnungs- und des Städtebaus überwinden sollten. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901804000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0901804100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister Haack hat gut 45 Minuten versucht, die Konturen der Wohnungspolitik der Bundesregierung deutlich zu machen. Es ist ihm sicherlich nicht gelungen. Er hat mit seinen Worten das bestätigt, was der Herr Kollege Gerd Wartenberg in der „Bauwelt" am 26. Dezember 1980 zu sagen sich die sozialdemokratische Freiheit genommen hat. Er schreibt: „Die Städtebau- und Wohnungsbaupolitik 1980/81 ist trotz vieler markiger Worte bei genauerem Hinsehen nur mit dem Begriff Ratlosigkeit zu charakterisieren."

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das haben wir heute erlebt!)

An einer anderen Stelle fährt er fort: „Man muß wohl schon Regierungsmitglied sein, um diese wenigen mageren Maßnahmen als abgestimmte Maßnahmenbündel für die nächsten Jahre verkaufen zu können." So das Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion in Würdigung dessen, was diese neue Regierung wohnungspolitisch zu leisten vorhat.
Ich könnte natürlich bezüglich des sozialen Wohnungsbaus noch eine Reihe anderer Kollegen zitieren. Lieber Kollege Conradi, Ihre Diktion ist immer klar und klassisch, und sie trifft den Kern. Ich gestehe Ihnen gern zu, daß Sie von der Sache etwas verstehen. Sie waren der Meinung:
Der soziale Wohnungsbau ist zum öffentlich geförderten Wohnungsbau heruntergekommen. Was an ihm einmal sozial war, ist unter den Händen von Finanzierungsklempnern und Richtlinienbürokraten unkenntlich geworden.
Wie recht Sie haben, Kollege Conradi!

(Zuruf des Abg. Dr. Möller [CDU/CSU])

Dies alles bezieht sich auf die Zeit, in der die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten die Verantwortung für die Wohnungspolitik in unserem Lande tragen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat die neuen wohnungspolitischen Maßnahmen u. a. durch Zitate aus einem Aufsatz im „Spiegel" zu begründen versucht. Ich darf Ihnen sagen: Der „Spiegel" hat vor wenigen Tagen wieder einen Aufsatz veröffentlicht. Dieser „Spiegel"-Aufsatz endet mit der Einsicht und der abschließenden Würdigung:
Eine Politik, die nicht nach den Folgen der Gesetzgebung fragt, sondern nach guten Absichten und Wählern, wird immer Defizite produzieren.
Wie recht der „Spiegel" hat!

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Der „Spiegel" hat an einer anderen Stelle gesagt, bezogen auf die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung — auch das darf ich zitieren; man braucht ja seine Eideshelfer von allen Seiten —:
Hier wird die Perversion sozialer Wohnungspolitik Ereignis. Während jene Bürger, die staatlicher Obhut teilhaftig sind, sich nicht gegen administrierte Mietpreissteigerungen wehren können, werden jene, denen diese Hilfe nicht zukommt, vom Mieterschutz beschirmt, der sicherstellt, daß der Preis für das Wohnen beharrlich unter den Kosten bleibt.
Darüber, verehrter Herr Bundesminister, hätte ich mehr hören wollen. Das hätte auch die Offentlichkeit interessiert. Das hätte insbesondere die Hunderttausende von Sozialmietern und solchen, die Anspruch auf Sozialwohnungen haben, interessiert, die diese Debatte mitverfolgen. Es ist leider nicht auf



Dr. Schneider
eine einzige brennende Frage eine Antwort gegeben worden. Ich muß leider feststellen: Es wurde noch nicht einmal der Versuch unternommen.
Ich möchte ganz kurz einen Blick in den Haushalt selber werfen. Es ist Tatsache, daß die Verpflichtungsrahmen für die Wohnungsbauförderung, die Städtebauförderung, die Wohnungsmodernisierung und die Energieeinsparung insgesamt um rund 340 Millionen DM gekürzt werden. Diese Kürzungen im investiven Bereich des Einzelplans 25 betragen gegenüber den bisherigen Verpflichtungsermächtigungen rund 15 %. Das bedeutet: nicht mehr Investitionen, sondern weniger Investitionen. Auch das darf ins Bewußtsein gerufen werden.
Der Herr Minister hat gemeint, wir hätten zum Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetz ja gesagt. Es besteht gar kein Zweifel daran, daß im Jahre 1974 der Deutsche Bundestag vor der Entscheidung stand, das Artikelgesetz aus dem Jahre 1971, das im wesentlichen dasselbe zum Inhalt hatte, zu verlängern oder nicht. Dies geschah, obwohl das Artikelgesetz vom November 1971 für vier Jahre befristet war.
Die Zustimmung erfolgte neben zahlreichen sachlichen Einwendungen unter dem Vorbehalt, daß nach vier Jahren ein Bericht vorgelegt wird, aus dem hervorgeht, wie sich diese Gesetzgebung bewährt hat, welche Erfahrungen damit gemacht wurden. Obschon wissenschaftliche Institute, Verbände und Sachverständige Erfahrungsberichte vorgelegt hatten, aus denen hervorging, daß sich dieses Gesetz nicht bewährt hat, und obschon auch der Herr Bundesbauminister signalisiert hat, dieses Gesetz sei zu ändern, obschon es eine Kabinettsvorlage gab,

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

in der der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesbauminister gemeinsam harte Kritik an dieser Gesetzgebung übten, vermochte sich der damalige Bundesjustizminister, Herr Vogel, gegen sie im Kabinett durchzusetzen. Die Freien Demokraten hatten signalisiert, dieses Gesetz werde revidiert. Und dann kam es zum 19. Februar 1979. Die Freien Demokraten standen nicht zu ihrem Wort, sie fielen in dieser Frage um.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Geradezu abenteuerlich klingt, was im Zusammenhang mit dem neuen Bodenrecht gesagt worden ist.

(Zuruf von der SPD)

Ich muß Sie wirklich fragen, Herr Minister: Welches neue Bodenrecht wollen Sie?

(Waltemathe [SPD]: Ein gutes!)

Wir haben das Bundesbaugesetz nach langjähriger Beratung 1976 novelliert.

(Zurufe von der SPD: Wir!)

— Dieser Teil war gänzlich unstreitig. Wir haben nur
den Teil mit dem Planungswertausgleich abgelehnt,
weil er rechtsstaatlichen Erfordernissen und den
Grundsätzen unseres Abgabenrechts nicht entsprochen hat. Wir sind niemals bereit, ein Gesetz zu beschließen, das von vornherein nicht mit den Maßstäben der Verfassung konform geht. Das war der Grund.
Welche Gesetze wollen Sie denn neu bringen? Vielleicht kommen Sie wieder mit dem Vorschlag über Verfügungs- und Nutzungseigentum. Bleiben Sie ja mit einem solchen Gesetz zu Hause. Darüber hat zwar der derzeitige Regierende Bürgermeister von Berlin im Jahre 1972 einen wissenschaftlichen Aufsatz in der „Neuen juristischen Wochenschrift" geliefert. Er wird diesen Aufsatz sicherlich heute nicht mehr verlesen wollen. Dieser Aufsatz und diese gesetzgeberischen Vorstellungen hatten verdammte Ähnlichkeit mit einem DDR-Gesetz über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken vom 12. Dezember 1970. Meine Damen und Herren, mit diesem sozialistischen Wechselbalg wollen Sie uns doch nicht mehr langweilen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu einem neuen Bodenrecht muß ich Sie auch fragen: Haben wir nicht ein Baugebot? Haben wir nicht ein Nutzungsgebot? Haben wir nicht ein Abbruchgebot? Haben wir nicht ein Erhaltungsgebot? Ist denn der Maßnahmenkatalog der §§ 39 a ff. nicht ausreichend? Fragen Sie doch in den Städten, fragen Sie doch in den Gemeinden, warum diese Normen nicht angewendet werden!

(Waltemathe [SPD]: Ja, genau!)

— Weil es den Gemeinden an Geld fehlt! (Waltemathe [SPD]: Ist doch nicht wahr!)

— Ich darf Ihnen sagen, ich bin gelernter Kommunalpolitiker.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich weiß nicht, wieviel kommunalpolitische Dienstjahre Sie hinter sich haben. Ich kann meinen Gesellen- und Meisterbrief auf diesem Gebiet nachweisen!

(Waltemathe [SPD]: In unmittelbarer Nähe!)

— In unmittelbarer Nähe, jawohl, Herr Kollege Waltemathe. Ein hanseatischer Zuruf aus Bremen bestätigt nur die Richtigkeit meiner Ausführungen. Meine Damen und Herren, da sind wir also gespannt.
Wie ist es denn nun eigentlich um die Wohnungspolitik bestellt? Wir stehen an einem Wendepunkt. Die bisherige Politik ist gescheitert. Die Gesetzgebungsmaßnahmen der 70er Jahre haben sich verhängsnisvoll ausgewirkt. Sie sind wesentliche Ursache für den derzeitigen Wohnungsmangel und vor allen Dingen für die himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit, die wir in der Wohnungspolitik zu beklagen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, sozial handelt nicht, wer den Mangel verwaltet, besonders perfekt verwaltet. Sozial handelt, wer Not wendet, wer neu baut,



Dr. Schneider
wer die Marktkräfte für den Neubau belebt und wer neue Investoren für den Wohnungsmarkt gewinnt. Darüber müssen wir nachdenken.
An diesem Wendepunkt bleibt uns nur eine einzige Entscheidung. Entweder entwickelt sich die Wohnungspolitik fort in Richtung auf mehr Staat, oder sie entwickelt sich in Richtung auf mehr Markt, mehr Dirigismus oder mehr unternehmerische Freiheit. Zwischen Staat und Markt haben wir zu entscheiden.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wenn ich vom Markt rede, muß ich meine Vorstellungen präzisieren; das weiß ich.

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Der Markt ist sozial blind. Er sagt nur, wer die Ware will, wo man die Ware braucht und wer bereit ist, den Preis für die Ware zu bezahlen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und wie hoch!)

Die Wohnungspolitik — ich spreche immer von einer sozialen Wohnungsmarktpolitik — steht natürlich unter dem Sozialstaatsvorbehalt unserer Verfassung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Soziale Absicherung!)

Der Markt bestimmt sich durch Angebot und Nachfrage. Aber die Nachfrage kann nur realisiert werden, wenn die nötige Kaufkraft vorhanden ist. Die soziale Verpflichtung in der Wohnungspolitik setzt dort ein, wo einer unserer Mitbürger aus eigener finanzieller Leistungskraft außerstande ist, die Miete zu bezahlen, die nötig ist, damit er menschenwürdig wohnen kann oder damit seine Familie familiengerecht wohnen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für diese Bereiche tragen wir mit eine soziale Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ist es nicht ein Skandal, daß wir beispielsweise in Berlin eine solche Wohnungsmisere haben, die ausnahmslos auf eine total verfehlte und im Kern höchst unsoziale Wohnungspolitik zurückzuführen ist!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901804200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte, Herr Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID0901804300
Herr Kollege Dr. Schneider, ich will auf Ihren Hinweis zurückkommen, daß der Markt ausdrückt, wer wo zu welchen Bedingungen Wohnungen sucht. Meinen Sie, daß bei einer Freigabe der Mietpreise der Gruppe von Notfällen, die heute in den Städten da ist — 4 400 in Stuttgart, sagt Herr Rommel —, geholfen wird? Glauben Sie, daß diese Wohnungsuchenden Preise von 10 oder 12 DM pro qm zahlen können?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0901804400
Verehrter Kollege Müntefering, das meine ich natürlich überhaupt nicht. Im Gegenteil. Genau bei dieser Gruppe muß die soziale Wohnungspolitik einsetzen. Aber Ihre soziale Wohnungspolitik versagt ja. Dafür liefern Sie tagtäglich neue Beweise. Unsere gesetzlichen Instrumentarien sind stumpf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich komme auf die Wohnungsmisere in Berlin zurück. Berlin hat den höchsten Wohnungsversorgungsgrad überhaupt. Auf 1 000 Berliner entfallen 576 Wohnungen. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 403. In vielen Bereichen ist die Wohnungsversorgungsquote sogar niedriger. Da stimmt doch etwas nicht. Mit perfektionistischen, dirigistischen, planwirtschaftlichen und superbürokratischen Systemen kann man den Verteilungsmechanismus nicht in Gang setzen. Gerecht verteilen, marktgerecht verteilen kann eben nur der Markt und sonst niemand.
Wenn wir die Kostenmiete, die Sozialmiete schrittweise — das ist auch ein Prozeß von mehreren Jahren — unter jeweiliger sozialer Absicherung in die Vergleichsmiete überführen, bedeutet dies nur für einen Bruchteil der Anspruchsberechtigten eine Veränderung der mietpolitischen Situation. Wir haben nach der Anhebung der Einkommensgrenzen nach § 25 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes etwa 10 bis 11 Millionen Anspruchsberechtigte. Nur 4,5 Millionen Familien wohnen in Sozialmietwohnungen. Davon sind 1,5 Millionen Fehlbeleger. Den 3 Millionen Familien, die berechtigterweise in diesen Sozialwohnungen leben,

(Müntefering [SPD]: Wollen Sie die rausschmeißen?)

— niemand will jemand rausschmeißen, ich am allerwenigsten, ich bin kein gewalttätiger Mensch, Sie kennen mich —, stehen etwa 7 Millionen gegenüber, die auch einen Wohnungsberechtigungsschein haben. Für diese sind Sie blind, für die machen Sie gar nichts. Ich sage nicht, daß alle 7 Millionen, die da draußen stehen, unbedingt herein müssen; aber unbedingt herein müssen mindestens noch so viele, wie jetzt drin sind; die kriegen kalte Füße, die frieren, haben keinen Mantel, keine Pelzmütze, gar nichts. Für die, die drin sind, haben wir alles.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901804500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie zur Belebung der Debatte noch zwei Zwischenfragen? — Herr Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID0901804600
Herr Schneider, ich darf davon ausgehen, daß Sie ein gelernter Kommunalpolitiker sind — darauf haben Sie ja vorhin hingewiesen —, und darf Sie fragen, wie Sie die Kräfte des Marktes wirken lassen wollen, wenn ausweislich eines Bebauungsplans der Boden in den Händen weniger Besitzender ist.

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0901804700
Diese Frage kann ich präzise beantworten. Nach dem Bundesbaugesetz haben die Gemeinden die Planungshoheit; sie können solche Gebiete ausweisen und in diesem Falle das Vorkaufsrecht geltend machen. Sie können auch ein Baugebot erlassen, wenn dies aus wohnungspoli-



Dr. Schneider
tischen oder sozialpolitischen Gründen notwendig ist.

(Zurufe von der SPD)

— Wenn es sich um Neubauten handelt, kann man das nach dem Städtebauförderungsgesetz als Entwicklungsbereiche ausweisen; das wissen wir. Nur ist dieses Gesetz, das als Jahrhundertgesetz bezeichnet worden war, so perfektionistisch und so schwer zu handhaben, daß eben die erwarteten Wirkungen nicht eingetreten sind.
Aber ich möchte meinen Gedanken zu Ende führen. Es geht um die schrittweise Überführung der Sozialmiete in die Vergleichsmiete. Vergleichsmiete heißt nicht Marktmiete, sondern sie ist eine gebremste Marktmiete. Die Vergleichsmiete geht vom Vergleich aus. 62 % aller Sozialwohnungen sind in den Händen der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, die sowieso besonderen gesetzlichen Bestimmungen unterliegen. Das Problem, daß alles teurer würde, daß es einen gewaltigen Preisauftrieb gäbe, besteht gar nicht; denn nur 38 % der Sozialwohnungen sind in freien Händen. Sie werden doch nicht glauben — denken Sie an die Neue Heimat, an die großen städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die alle gemeinnützig sind —, daß sich die Gemeinnützigen als Preistreiber erweisen würden. Ich habe da mehr Vertrauen in die gemeinnützige Wohnungswirtschaft.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901804800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Diederich?

Dr. Nils Diederich (SPD):
Rede ID: ID0901804900
Herr Kollege, da Sie offensichtlich die Verhältnisse in Berlin sehr gut kennen, würden Sie uns vielleicht auch bitte sagen, wie man in Berlin kurzfristig die Situation der vielen Wohnungssuchenden lösen kann, bei denen es sich meistens um Sozialschwache handelt, also um Jugendliche und Studenten, die aber keinen Anspruch auf den sozialen Wohnungsbau haben, indem Sie die Mieten in Berlin freigeben, was Sie offensichtlich empfehlen?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0901805000
Ein kurzfristiges Lösungspatent kann ich nicht anbieten. Aber ich befinde mich nach Ihrer Frage in der Lage eines Arztes, der zu einem Patienten kommt, der von einem Kurpfuscher seit Jahren falsch behandelt worden ist, der in Agonie liegt, und den der Arzt jetzt retten soll.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901805100
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0901805200
Ja, bitte!

Dr. Nils Diederich (SPD):
Rede ID: ID0901805300
Herr Kollege, dürfen wir Ihre Aussage, daß Sie für die Freigabe der Mieten sind, in Berlin auch gegenüber unseren Kollegen von der Berliner CDU verwenden, die darüber offenbar eine sehr viel differenziertere Auffassung haben?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0901805400
Ich bin nicht für Freigabe der Mieten; meine Gedankengänge sind wesentlich differenzierter. Ich behaupte nur, daß alle unsere Vorschläge sozialer und wirtschaftlich vernünftiger sind, auf Dauer die Probleme lösen, und vor allem das entscheidende, das Verteilungsproblem lösen. Das Berliner Problem ist zu einem wesentlichen Teil ein Verteilungsproblem. Da soll mir einer sagen, wie in einer Stadt mit der höchsten Wohnungsdichte — 576 Wohnungen pro tausend Einwohner — eine so große Wohnungsnot ist! Da müssen doch Leute am Werk gewesen sein, die in schamloser Weise versagt haben und die lieber heute als morgen vertrieben werden sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Hat der Berliner Wahlkampf schon angefangen! — Zuruf: Vielleicht sind das die Hausbesetzer!)

Ich möchte nur noch einen Gesichtspunkt aufgreifen, der vom Herrn Minister gebracht worden ist; zunächst Sozialpfandbrief.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Davon hat der Minister nichts gesagt!)

Ob Sozialpfandbrief, ob § 7c, ob anderes Wertpapier: Wie das steuertechnisch gemacht wird, steht dahin. Es kommt allein darauf an, eine Politik zu betreiben, die dazu führt, daß der private Anleger an den Wohnungsmarkt zurückkehrt. Nachdem feststeht, daß wir mehr öffentliche Mittel nicht zur Verfügung haben, daß aber neue Wohnungen gebaut und alte modernisiert werden müssen, brauchen wir mehr Geld.
Die Freien Demokraten haben durch den Herrn Bundesvorsitzenden der FDP, Herrn Außenminister Genscher, verkünden lassen, daß der Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff, der eben den Plenarsaal zu verlassen gedenkt, der neue Erhard der 80er Jahre ist. Ich habe mich über diese Nachricht sehr gefreut. Aber der echte Erhard, der aus Fürth, der von der CDU, der Wirtschaftsminister Adenauers, dieser Erhard hatte einen Bundeskanzler Adenauer, der hatte einen Finanzminister Schaeffer und andere. Zu der Zeit stand die Wohnungspolitik noch unter der Richtlinienbefugnis eines Adenauer. Da war alles auf einen Punkt ausgerichtet, und es war eine soziale Marktwirtschaft aus einem Guß. Wer aber steckt hinter dem Erhard der 80er Jahre? Wer in der FDP will einen Erhard der 80er Jahre nach dem Urmodell? Wer ist für eine Wohnungswirtschaft, die der Erhard der 50er und 60er Jahre betrieben hat?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie, meine Herren, von den Freien Demokraten, zur Rechten, seien hier herausgefordert. Der Erhard der Wohnungspolitik der 80er Jahre könnte die Not wenden, den Mangel beseitigen und den Anleger an den Wohnungsmarkt zurückbringen. Wir werden Ihre Glaubwürdigkeit von der FDP in diesem Bereich — nicht nur in diesem Punkt — beobachten. Die Versprechungen waren sehr groß, und die Attraktivität war großartig. Der Wähler hat auf Sie gehört und hat Sie gewählt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Leider!)




Dr. Schneider
Aber jetzt lösen Sie einmal den Wechsel ein! Wehe wenn Ihre wohnungspolitischen Wechsel zu Protest gehen und platzen!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Dann sollte der Erhard der 80er Jahre sein Etikett von der Brust nehmen und sich als reuiger Büßer zurückbegeben in den letzten Karnevalszug von Düsseldorf. — Danke schön.

(Heiterkeit und anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901805500
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gattermann.

Hans H. Gattermann (FDP):
Rede ID: ID0901805600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schneider, ich habe gerade bei Ihren Worten über Ludwig Erhard nachgedacht und ein bißchen über die Truppe philosophiert, in der dieser Ludwig Erhard der 80er Jahre und der von damals stehen. Da ist mir ein Unterschied aufgefallen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man wohl sagen! — Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

— Warten Sie es ab, meine Herren! Die Truppe des Erhard der 80er Jahre wird ihren Erhard mit Sicherheit niemals demontieren. Das ist der Unterschied, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Windelen [CDU/CSU]: Haben Sie mit Hansen schon gesprochen?)

Herr Kollege Jahn, ich frage mich, warum es Ihnen eigentlich immer wieder so viel Freude bereitet, in sachlichen Einzelpositionen Unterschiede der Koalitionsparteien herauszuarbeiten. Diese Unterschiede sind doch selbstverständlich, Herr Dr. Jahn; sonst könnten diese beiden Parteien ja fusionieren, wenn sie in allen Punkten deutlich übereinstimmten. Herr Dr. Jahn, eine Koalition lebt

(Zuruf von der CDU/CSU: Zwischen links und zwischen rechts!)

von dem Willen

(Windelen [CDU/CSU]: Zum Weiterregieren!)

und der Fähigkeit zum politischen Kompromiß. Bis jetzt hat es an diesen beiden wesentlichen Elementen nicht gemangelt. Ich gehe davon aus, daß dies auch in Zukunft der Fall sein wird.
Herr Dr. Jahn, noch etwas, was Sie mir einmal gelegentlich bei einem abendlichen Plausch erklären müssen, ist die Sache mit der Doppelstrategie. Wieso ist es eine Doppelstrategie, wenn ein Fachminister Wünsche anmeldet,

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Etwas verspricht!)

aber der Finanzminister diese Wünsche nicht erfüllen kann und nicht erfüllen will. Ihr Programm, Herr Kollege Jahn, stand samt und sonders unter einem Finanzierungsvorbehalt. Ich halte solches für seriös. Aber das hat doch mit Doppelstrategie nichts zu tun.
In der öffentlichen Diskussion der vergangenen Monate hatte die Wohnungspolitik einen Stellenwert fast wie in den 50er Jahren erlangt. Das ist vordergründig, so meine ich, sehr verwunderlich, weil, global betrachtet, die Versorgungslage damals so schlecht wie nie war und heute so gut wie nie ist.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Der Minister war anderer Meinung!)

Ich sagte, das mag vordergründig verwundern. Denn auf den zweiten Blick wird klar, daß der Wohnungsmarkt heute trotz hohen quantitativen und qualitativen Versorgungsstandards gravierende Probleme hat, wenn auch völlig anderer Art.
Als Stichwort nenne ich nur: sich abzeichnende Versorgungsengpässe durch regional unterschiedliche Angebote, das soziale Ärgernis eines völlig verzerrten Mietpreisgefüges, das soziale Ärgernis der Fehl- und Unterbelegung von Sozialmietwohnungen, die immer weiter auseinanderklaffende Lücke zwischen Herstellungskostenniveau und Ertragssituation, Enge des Grundstücksangebots, nicht zuletzt auch durch unzureichende Baulandausweisungen vieler Gemeinden, wie städtebauliche Verwerfungen mit ihren Infrastrukturproblemen. Wenn ich diese Probleme hier aufzähle, dann glaube ich nicht, daß das eine gezielte Kritik an unserer Wohnungspolitik der vergangenen Jahre ist.
Herr Kollege Schneider, auch Sie haben diese Probleme angesprochen und auf die sozialliberale Verantwortung hingewiesen. Diese Strukturprobleme im sozialen Wohnungsbau sind in ihrer Anlage natürlich sehr viel älter. Die Instrumente des sozialen Wohnungsbaus sind sehr viel früher entwickelt worden. Die gravierendsten Probleme, was Mietverzerrungen z. B. betrifft, haben wir in den sehr frühen Förderjahrgängen. Sie wissen, daß dort Korrekturen über gesetzliche Eingriffe aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht gerade einfach sind.
Meine Damen und Herren, Bundesregierung und Koalitionsfraktionen sind gewillt — dies ist in der Regierungserklärung deutlich angesprochen worden und dies hat auch der Herr Minister heute morgen gesagt —, die Probleme anzugehen. Das wird nicht ohne einschneidende Maßnahmen, nicht ohne den Zwang zum Abschiednehmen von liebgewordenen Subventionsusancen, nicht ohne deutliche Mehranforderungen an die Leistungsbereitschaft unserer Bürger abgehen, selbst wenn Bundesregierung und Koalitionsfraktionen bemüht sind und bemüht bleiben werden, dies alles mit äußerster Behutsamkeit und unter Vermeidung sozialer Friktionen zu tun.
Ich meine, die Hauptaufgabe bei der Entwicklung der neuen Wohnungspolitik — und dies ist begonnen worden — liegt darin, über die Rolle des Staates im und am Wohnungsmarkt nachzudenken, diese Rolle des Staates neu zu definieren.
Dabei kommt man unter dem Aspekt der Analyse der heutigen Nachfrage und unter dem Aspekt der Situation der öffentlichen Haushalte aller Ebenen um eine Vorausfeststellung nicht herum: Der Finanzierungsbedarf, sei es für Neubau, sei es für Modernisierung, für Sanierung, für Stadterneuerung oder



Gattermann
für Verbesserung des Wohnumfeldes, ist mindestens für die nächsten zehn Jahre durch die auf den Wohnungsmarkt drängenden geburtenstarken Jahrgänge, durch veränderte Wohnformen, durch im Zuge der Modernisierung wegfallende Bestandszahlen, durch Nutzungsänderungen, sehr, sehr hoch. Ohne mich auf bestimmte Zahlen festlegen zu wollen und zu können, ist aber die Erkenntnis unabweisbar, daß der Finanzierungsanteil des Staates — und hier meine ich alle Ebenen — sehr, sehr schmal ist, sich
— um den Versuch zu machen, ihn zu quantifizieren
— maximal in einer Größenordnung von 5 bis 8 % des Gesamtfinanzierungsbedarfs bewegen kann.

(Vorsitz : Vizepräsident Dr. von Weizsäkker)

Daraus folgt zweierlei, zum einen, daß der Staat im Rahmen seiner allgemeinen Gesetzgebungskompetenz die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmendaten so zu setzen hat, daß die Erfüllung der Gesamtaufgabe durch private Investoren wieder verantwortbar wird, und zum zweiten, daß der Staat sein bescheidenes Mitfinanzierungsengagement auf die Absicherung all jener konzentrieren muß, die beim Marktgeschehen auf der Strecke bleiben, auf Anreize in wenigen Versorgungsbereichen, für die der Markt mit Sicherheit prognostizierbar kein Angebot liefern wird, und auf die Finanzierung von auf Dauer unrentierlichen Vorkosten im Mietwohnungsbau im Zusammenhang mit städtebaulichen Schwerpunktmaßnahmen.
Meine Damen und Herren, es gilt Abschied zu nehmen von der Aufgabendefinition im Zweiten Wohnungsbaugesetz, wonach der Staat die unmittelbare Verantwortung für die Schaffung von Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zu tragen habe. Oder anders ausgedrückt: Es gilt, die ordnungspolitische Grundsatzentscheidung für eine flankierte, sozial verpflichtete Marktwirtschaft zu erneuern und in der praktischen Politik wieder sichtbar werden zu lassen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wollen Sie das ändern?)

Ich bin mir bewußt, daß dem einen oder anderen, auch im Lager der Koalition, diese sehr deutlichen Worte nicht so ganz schmecken, daß man sie vielleicht als eine Überinterpretation dessen bezeichnen wird, was im Ansatz zwischen den Koalitionsparteien vereinbart worden ist. Ich meine aber, daß dies so deutlich gesagt werden muß, damit die angestrebte Wiederbelebung der darniederliegenden Investitionsbereitschaft nicht schon im Vorfeld Schaden nimmt.
Wenn sich die Regierungsparteien darauf verständigt haben, daß das Kostenmietenniveau im sozialen Mietwohnungsbestand mittelfristig an das Vergleichsmietenniveau herangeführt werden soll, dann heißt das eben, daß der Markt vereinheitlicht werden soll, was eine zwingende Voraussetzung für funktionierendes Marktgeschehen ist.

(VergleichsMeine Damen und Herren, soweit Einzelmaßnahmen bereits konkret angesprochen worden sind — ich meine, es ist etwas früh, heute eine Gesamtbewertung vorzunehmen, denn Sie wissen ja noch gar nicht, was Ihnen als Gesamtpaket im Laufe des ersten Halbjahres 1981 auf den Tisch gelegt werden wird —, ich nenne das Stichwort Staffelmiete, kann man natürlich trefflich darüber streiten, ob solche Maßnahmen angesichts der Schere zwischen Herstellungskostenniveau und aktueller Ertragssituation ausreichen. Man kann da durchaus seine Zweifel haben; es wäre aber verhängnisvoll, über die psychologischen Einflußfaktoren schon jetzt ein mögliches positives Ergebnis zu zerreden. Mindestens die Großanleger — sprich: Lebensversicherer — sind aufgefordert und gefordert gemäß ihren eigenen Erklärungen zu diesem Thema, einmal durch großangelegte Versuche in diesem Bereich unter Beweis zu stellen, ob die Staffelmieten den gewünschten Erfolg haben oder nicht. Meine Damen und Herren, es gibt den einen oder anderen, der sich für das Gesamtpaket, das ja im Ansatz marktwirtschaftlich angelegt ist, ein negatives Ergebnis zwar nicht gerade wünscht, aber auch nicht so sehr traurig darüber wäre, um danach sagen zu können: Seht einmal, die Marktwirtschaft hat versagt — damit der Staat wieder total in die Verantwortung genommen werden kann. Den wenigen will ich sagen, daß sie nach Einschätzung der FDP-Fraktion einen sehr, sehr gefährlichen Weg beschreiten, denn angesichts der Haushaltssituation aller öffentlichen Hände werden sie es nicht schaffen, die Versorgung staatlich-administrativ auf dem erreichten Wohnflächenniveau zu sichern. Sie würden sich am Ende als administrative Verwalter des Mangels wiederfinden. (Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Sie haben Anlaß, das zu sagen!)


(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Das wissen Sie auch noch nicht!)


(Franke [CDU/CSU]: Sind das wenige?)

Der Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat und inbeirrt gehen wird, ist der andere, ist der richtigere.
Noch eines muß in diesem Zusammenhang in aller Deutlichkeit ausgesprochen werden. Angesichts des zwischenzeitlich erreichten Niveaus der Herstellungskosten von Wohnungen wie des Niveaus der Bewirtschaftungskosten von Wohnungen werden in



Gattermann
der Zukunft im Durchschnitt deutlich höhere Mieten gezahlt werden müssen

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

genauso, wie seit langem in dem funktionierenden Marktbereich, nämlich dem Eigentumsbereich, deutlich höhere Lasten gezahlt werden. Dabei meine ich nicht die Vermögensbildung durch Abzahlung des Darlehens. Das ganze Konzept kann nur funktionieren, wenn in der Regel für die Wohnung der nach Lage, Größe und Ausstattung angemessene Mietzins gezahlt wird. Das gilt mittelfristig nicht nur für Neubaumieten, sondern das muß nach und nach

(Dr. Möller [CDU/CSU]: In welchem Zeitraum?)

auch für den Bestand gelten.
Nur der guten Ordnung halber will ich noch anfügen, daß dies die soziale Verpflichtung des Staates, denjenigen aufzufangen, der dabei Schaden nehmen könnte, intensiviert. Das heißt, man muß natürlich die Querrechnung zum Wohngeldgesetz in jedem Falle anstellen. Aber nur so glauben wir und glaubt die Bundesregierung, wenn ich Sie richtig interpretiere, daß die Dinge in der Zukunft werden laufen können.
Meine Damen und Herren, ich will hier noch einmal ganz kurz die Definition der Rolle des Staates resümieren: Der Staat — der Bund — hat bei der Setzung der Rahmendaten für den Wohnungsmarkt alles zu tun, um unter Wahrung der gebotenen Sicherung des Wohnungsmieters ein funktionierendes Marktgeschehen zu gewährleisten. Er hat die am Markt finanziell Überforderten subjektiv zu unterstützen. Der Staat — hier meine ich insbesondere Länder und Gemeinden — hat durch finanzielles Engagement das Marktangebot für soziale Zielgruppen abzurunden und in Unterversorgungsregionen das Marktangebot über finanzielle Anreize zu vermehren, und er hat in städtebaulichen Schwerpunktmaßnahmen Wohnungsbau finanziell möglich zu machen. Eine solche bescheidene Definition der Rolle des Staates begegnet natürlich Einwendungen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wollen Sie § 1 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes ändern, Herr Gattermann?)

— Dies wird aus dem, was ich eben vorgetragen habe, eine für mich zwangsläufige Folge sein.
Meine Damen und Herren, ein solches Verständnis von Wohnungspolitik begegnet Einwendungen, die auch in der heutigen Debatte angeklungen sind. Es wird argumentiert, ein weitgehend marktwirtschaftliches Konzept müsse scheitern, weil die berüchtigte Schere zwischen Kostenmietenniveau und Leistungskraft der Wohnungsnachfrager nicht geschlossen werden könne, so daß die erforderlichen Investitionen weitgehend ausbleiben würden. Weiter wird gesagt, marktwirtschaftliche Konzeptionen könnten allenfalls mittelfristig greifen, die aktuellen Versorgungsengpässe in Ballungsgebieten erlaubten aber keinen Aufschub.
Zum Scherenargument: In der Tat kann man privaten Investoren die Lücke zwischen Kostenmieten von bis zu 20 DM pro Quadratmeter und eingewöhnten Bewilligungsmieten von 5, 6 oder 7 DM pro Quadratmeter nicht ausreden. Ohne deutliche Korrekturen der Rahmendaten und ohne flankierende staatliche Maßnahmen wird es nicht gehen.
Nach Auffassung der FDP-Fraktion müssen drei Faktoren zusammenwirken. Einen habe ich bereits angesprochen. Ich will das noch einmal verdeutlichen: Der rechtliche Bewirtschaftungsrahmen für Wohnungsvermietung muß insoweit neugestaltet werden, daß eine zeitnahe Anpassung der Mieten an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse ohne unerträglichen bürokratischen Aufwand möglich wird, so daß der Investor eine Kalkulationsgrundlage zur Festlegung jenes Zeitpunktes hat, zu dem er mit seiner Investition in die Kostendeckung oder gar in die Rendite hineinwächst.
Das bedeutet gleichzeitig korrespondierend dazu, daß die Leistungsbereitschaft der Wohnungsnachfrager deutlich verbessert werden muß, daß im Rahmen des privaten Wohnungsbudgets die Wohnkosten wieder einen wesentlich höheren Stellenwert erhalten müssen, als wir es heute haben.

(Niegel [CDU/CSU]: Wie hoch, Herr Gattermann?)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901805700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?

Hans H. Gattermann (FDP):
Rede ID: ID0901805800
Ich weiß ja schon, welche Zwischenfrage kommt, deswegen gestatte ich sie.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0901805900
Herr Kollege Gattermann, an welchen Prozentsatz vom verfügbaren Einkommen denken Sie da?

Hans H. Gattermann (FDP):
Rede ID: ID0901806000
Da übernehme ich eine Faustregel meines Großvaters, der mir schon gesagt hat: Bis zu 25 % des Nettoeinkommens darf man für Wohnung einsetzen; weniger ist besser, mehr ist nicht zu vertreten. Allerdings — und deswegen freue ich mich über Ihre Frage, Herr Kollege Niegel — haben Durchschnittswerte so etwas Mißverständliches an sich. Wenn von einem Durchschnittswert von 25 % gesprochen wird, kann dies natürlich nicht heißen, daß einer, der 400 DM hat, davon noch 100 DM Miete zahlen soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da gibt es Wohngeld!)

Es heißt auf der anderen Seite nicht, daß einer, der 100 000 DM hat, nun unbedingt 25 000 DM verwohnen muß. Durchschnittswert heißt eben Durchschnittswert.
Der zweite Faktor, auf den es ankommen wird, ist der, daß dann mit Sicherheit verbleibende Anfangsverluste steuerlich nicht diskreditiert werden dürfen. Sie müssen hoffähig gemacht werden, soweit dies nicht der Fall ist. Vielleicht muß man beim Mietwohnungsbau sogar darüber nachdenken, die eine oder andere steuerliche Behandlungsmaxime noch etwas attraktiver zu gestalten.



Gattermann
Das dritte und, wie ich fast sagen möchte, das wichtigste ist, daß man versucht, den Kostenanstieg zu bremsen. Dazu gehört die Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur kostenträchtiger baurechtlicher Vorgaben. Dazu gehört die Intensivierung der Rationalisierungsforschung. Dazu gehört auch die Standardüberprüfung mit der Möglichkeit deutlicher Standarddifferenzierungen, die im Zusammenhang mit dem Faktor Nummer eins möglich werden. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Ich meine hier nicht Billigwohnungen. Wenn mehr abgefordert wird, fängt man wieder an, etwas preisbewußter seinen eigenen Standard zu definieren.
Zu diesem Punkt gehört auch der Versuch der Einflußnahme auf das Kapitalmarktkostenniveau. Wenn dies auf Grund zwanghafter internationaler Währungsinterdependenzen der Bundesbank auf längere Zeit allgemein nicht möglich sein wird — und ich fürchte oder bin fast sicher, daß dies der Fall ist —, wird man für einige zugleich besonders teure unversorgte Ballungsregionen über Sonderregelungen nachdenken müssen. Es gibt ja einschlägige Berliner Vorbilder.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Möller [CDU/CSU]: Nicht das Berliner Vorbild im Bundesgebiet nachmachen!)

Dieses Scherenargument läßt viele Risiken in der Bewertung, die ich vorgenommen habe, offen. Aber mangels Alternative müssen wir diesen Weg beschreiten. Denn wir sehen deshalb keine Alternative, weil der nicht mehr bezahlbare ständig steigende Subventionsbedarf pro Wohnung im sozialen Wohnungsbau dies mit schöner Deutlichkeit beweist.
Lassen Sie mich einige Worte zu dem zweiten angeführten Gegenargument bringen, daß eine solche konzeptionelle Regelung die kurzfristige Behebung von Versorgungsengpässen nicht möglich mache.
Es ist deutlich geworden, daß in dem soeben vorgetragenen Konzept besonders im letztgenannten Punkt schon einige Elemente für die Beseitigung von Versorgungsengpässen enthalten sind. Darüber hinaus ist es geboten, diese Versorgungsengpässe, diese neue Wohnungsnot ein wenig zu relativieren, weil sie in der öffentlichen Diskussion deutlich überzeichnet wird. Ich will jetzt nicht in das allgemeine Wehklagen derer einstimmen, die sich darüber beklagen, daß gesicherte statistische Daten fehlen, mit denen man die Griffigkeit des Arguments exakt überprüfen kann.

(Müntefering [SPD]: Dazu sollten Sie aber etwas sagen!)

— Diese Relativierung sollte man schon vornehmen, Herr Kollege Müntefering.
Es gibt einige wenige unbestreitbare Tatsachen, die es zu bewerten gilt. Wenn Städte mit deutlich sinkender Einwohnerzahl und fortlaufend steigender Zahl von Wohnungen für sich reklamieren, ein Gebiet mit erhöhtem Wohnungsbedarf zu sein, wo Wohnungsnot herrsche, so stimmt das mindestens nachdenklich. Wenn an ihrem Heimatort Studierende, die nicht mehr im Elternhaus wohnen wollen, für sich den Mangel an preiswertem Wohnraum reklamieren, so wirft das mindestens die Frage auf, ob dies den Staat in angespannter Haushaltslage in Problemlösungszwang bringt. Wenn durchaus verständliche, aber nicht durch Familienzuwachs unabweisbar erhöhte Wohnflächenansprüche nicht kurzfristig und preiswert befriedigt werden können, so stellt auch dies die Frage nach aktuellem Bedarf an staatlichem Handeln. Kurz: Man darf unerfüllte Wohnungswünsche und preislimitierte Wohnungsnachfrage nicht mit unabweisbarem Bedarf — der immer eine normative Größe ist — oder mit Wohnungsnot verwechseln. Das verstellt nämlich die Problemsicht für die wirklich unterversorgten Gruppen, z. B. kinderreiche Familien und Familien ausländischer Arbeitnehmer, wo der Staat in der Tat voll gefordert ist.
Was wir in fast allen Ballungsgebieten der Bundesrepublik tatsächlich finden, ist eine unbefriedigte Nachfrage nach Wohnungen, aber nicht nach Wohnungen schlechthin,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Billige Wohnungen!)

sondern nach subventionierten Wohnungen, d. h. Wohnungen plus fortlaufender Zahlung einer staatlichen Differentialrente.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Nachfrage nach Subventionen!)

Echte Versorgungsengpässe gibt es nur an ganz wenigen Plätzen in der Bundesrepublik Deutschland. Beispielshalber nenne ich die Regionen Stuttgart und München. Dort haben wir echte Versorgungsengpässe über das hinaus, was ich soeben skizziert habe.
Ich komme zum Schluß. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben sich viel vorgenommen. Unleugbare unterschiedliche Auffassungen in Einzelbereichen innerhalb der Koalitionsfraktionen zwingen zu Kompromissen. Dabei ist für die FDP Leitlinie, daß wir unseren Bürgern, die in der Tat nicht nur in diesem Bereich in den vor uns liegenden Jahren umdenken müssen, nicht zu viele und nicht zu schnell Mehrleistungen abverlangen können, aber auch, daß nicht nichts oder so gut wie nichts geschieht. Eine Fortsetzung der Zementierung des Status quo würde nämlich nach unserer Einschätzung bedeuten, daß wir die, die drinnen sind, schützen, hegen und mit staatlichen Wohltaten versehen, aber die draußen vor der Tür, die Jungen, im Regen stehenlassen würden.
Meine Damen und Herren, ich spreche mir selbst Mut zu,

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist auch nötig!)

ich spreche der Bundesregierung Mut zu, und ich spreche diesem ganzen Hohen Hause bei der Bewältigung der in der Tat schwierigen Aufgaben Mut zu. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Möller [CDU/CSU]: Diesen Appell richten Sie bitte an Ihre Kollegen in der Koalition!)





Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901806100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Mut zu Gattermann, Herr Waltemathe!)


Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID0901806200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wohl unvermeidlich, daß man sich in einer wohnungspolitischen Debatte Fachsimpeleien anhören muß. Zum Teil kommt man sich vor, als ob man in einem Fachausschuß sitzt. Ich möchte daher doch daran erinnern, daß wir uns in der ersten Lesung der Debatte zum Bundeshaushalt 1981 befinden und daß es neben fachpolitischen Problemen, etwa Beschäftigungsproblemen und Problemen bei der Wohnungsversorgung, wie sie für manche in Großstädten und Ballungsräumen auftreten, auch darum geht, ob der Staat, der Bundeshaushalt 1981 oder öffentliche Haushalte überhaupt Rahmenbedingungen zur Lösung von Problemen schaffen können, die nicht immer unbedingt mit Geldausgeben und mit Milliardenforderungen zu tun haben müssen. Es ist wohl auch notwendig, daß wir im Bereich der Wohnungs-
und Städtebaupolitik versuchen, sowohl wirtschaftspolitische und beschäftigungspolitische als auch energiepolitische und verteilungspolitische Zusammenhänge darzulegen, und uns im übrigen auf einige aktuelle Schwerpunkte konzentrieren.
Wenn ich nun Herrn Jahn richtig verstanden habe, so sieht das Konzept der Opposition wie folgt aus: Erstens. Vorrang für die Förderung des Wohnungseigentums. Dies erweckt den Eindruck, als ob hier gar nichts geschehe. Von 100 DM, die der Staat entweder durch Steuereinnahmeverzicht oder durch direkte Förderung ausgibt, fließen etwa 70 DM — vielleicht auch 75 DM; ganz genau läßt sich das ja nicht nachrechnen — in den Eigentumsbereich. Und jetzt stellen wir fest— ich bitte, da nicht mißverstanden zu werden; wir wollen Wohnungseigentum auch durchaus weiterhin fördern —, daß es in manchen Gebieten und Städten an Mietwohnungen fehlt und daß die Kritik daran wächst, daß wir dafür gar nichts tun.
Zweitens. Vertragsfreiheit: Da ist das Mietrecht angesprochen worden.
Drittens. Marktmieten statt Sozialmieten: Sie wollen also erst einmal, und zwar möglichst bald, alle zu niedrigen Mieten auf die Marktmiete anheben; so habe ich das verstanden.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Da verzerren Sie das Bild aber!)

Viertens. Sie wollen dann soziale Gesichtspunkte durch das Wohngeld ausgleichen.
Nun wissen Sie j a, daß auch ich ein Anhänger von Wohngeld bin — ich bin weiß Gott kein Gegner davon —, aber unter dem Stichwort „Mehr oder weniger Staat" muß ich doch darauf hinweisen, daß sich, da Wohngeldanträge jährlich gestellt werden müssen, bei einer erheblichen Anhebung des allgemeinen Mietniveaus auch die Zahl der Wohngeldberechtigten erheblich erhöhen wird.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU]: Aber das Geld kriegt der Richtige!)

Das bedeutet, daß Jahr für Jahr statt jetzt 2 Millionen vielleicht 4 Millionen oder 6 Millionen Bürger zu den Wohngeldstellen gehen müssen. Im übrigen bedeutet es, daß die Wohngeldausgaben natürlich ganz gewaltig ansteigen würden. Da das Wohngeld zu 50 % vom Bund finanziert wird, bin ich nicht ganz sicher, ob der Bundesfinanzminister — aus wohlverstandenem Interesse — eine solche Art von Mischfinanzierung — ich wiederhole: 50 % zahlt der Bund — mitmachen könnte.
Fünftens. Konzentration öffentlicher Mittel: Da könnten wir uns leicht einigen.
Wenn man dieses Konzept daraufhin untersucht, was es als Antwort für diejenigen gibt, die jetzt als Wohnungssuchende keine Wohnung finden, dann stellt man fest: Die Opposition bietet hier nichts, überhaupt nichts an.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Dann haben Sie auch nichts zu bieten, Herr Waltemathe!)

Nun will ich einmal auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 24. November zurückkommen.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Ja, das ist interessant!)

Da wurde gesagt: Erstens. Wir müssen auch mehr neue Wohnungen bauen. Zweitens. Die Rahmenbedingungen für den freifinanzierten Wohnungsbau sind zu verbessern. Drittens. Der soziale Wohnungsbau muß fortgesetzt werden, und durch die Einführung von mehr marktwirtschaftlichen Elementen soll zu größeren Mengeneffekten beigetragen werden, und zwar trotz der gestiegenen Kosten. Viertens. Mieterschutz ist dort noch zu verbessern, wo es um übertriebene Luxusmodernisierung geht oder um die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Außerdem sollen Mieter, die dies wollen, in die Lage versetzt werden, durch die Inanspruchnahme ihrer eigenen Bausparmittel prämienunschädlich die von ihnen bewohnte Wohnung selber zu modernisieren.
Was nun zur Zeit und für die nächsten drei bis fünf Jahre wohl ins Auge fällt und Bund, Länder und Gemeinden eigentlich herausfordern müßte, ist dies: Investitionen, die zu Aufträgen im Bereich der Bauwirtschaft führen, nehmen ab. Aus guten Gründen z. B. werden Verkehrshaushalte zurückgefahren. Finanzielle Engpässe in öffentlichen Haushalten führen zu einer Minderung öffentlicher Bauaufträge. Während es Bereiche der Bauwirtschaft gibt, die nach wie vor sehr gut zu tun haben — ich denke z. B. an das Ausbaugewerbe —, nehmen die Auftragspolster in anderen Bereichen ab. Es ist aber die Frage, ob wir uns einen Kapazitätsabbau leisten können, wenn bei einem Aufschwung Aufträge nicht mit überdurchschnittlichen Preissteigerungen bezahlt werden sollen, wie das schon einmal zu beobachten war.
Es ist die weitere Frage zu stellen, ob wir eigentlich einen nachhaltigen Beschäftigungseinbruch im Baugewerbe verkraften können. Ich glaube, diese Zuammenhänge müssen durchaus gesehen werden. Deshalb müssen wir schon aus beschäftigungspolitischen Gründen darauf drängen, daß die vorhande-



Waltemathe
nen öffentlichen Mittel im Bereich des Wohnungsbaus besser genutzt und private Investoren mehr als bisher zu einer Anstrengung angereizt werden, um den erheblichen Wohnungsbedarf, insbesondere in Großstädten und Ballungsräumen zu decken. Im Rahmen der Beschäftigungspolitik ist jedenfalls längst anerkannt und u. a. im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist festgelegt, daß der Staat auch bei privater Organisation der Wirtschaft doch eine erhebliche Verantwortung oder Mitverantwortung zu übernehmen hat.
Nun, meine Damen und Herren, Sozialdemokraten gehen davon aus, daß auch angemessenes Wohnen zu erträglichen Kosten ein Grundbedürfnis ist, das in einem als Sozialstaat verfaßten Gemeinwesen nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden kann, bei dem die Schwachen auf der Strecke bleiben würden. Es wäre natürlich ein Irrtum, anzunehmen, daß die öffentlichen Hände die alleinige Verantwortung hätten, jedem zu einer oder gar zu seiner Wohnung zu verhelfen. Aber der öffentlich geförderte soziale Wohnungsbau behält eine wesentliche Aufgabe im Rahmen einer sozial gerechten Vorsorgepolitik. Wenn offensichtlich erhebliche Engpässe — von manchen, wie ich finde, etwas übertrieben als neue Wohnungsnot bezeichnet — auftreten, kann sich der Staat nicht zurückziehen, sondern er muß mit anpacken.
Was sich gegenüber den Jahren des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit verändert hat, muß gewiß berücksichtigt werden. Viele Bürgerinnen und Bürger haben inzwischen eine gut ausgestattete, auch familiengerechte Wohnung; viele können sie — ob als Mieter oder als Eigentümer — auch bezahlen. Aber andere bewohnen älteren Wohnraum, der aus Gründen der Energieeinsparung oder des schlechten Zuschnitts oder wegen mangelnder Ausstattung modernisiert werden muß.
Familien mit Kindern sind vielfach unterversorgt. Es wohnen immer noch 25 % der kinderreichen Familien in viel zu kleinen Wohnungen, wie wir wissen. Sie finden aber auf dem freien Wohnungsmarkt keine Wohnung oder — falls sie eine fänden — keine tragbaren Kostenbedingungen vor.
Ausländer, Behinderte und andere Gruppen haben vielfach Schwierigkeiten. Es darf schließlich nicht übersehen werden, daß viele junge Menschen heute nicht nur eher das Elternhaus verlassen und selbst — ob allein oder zusammen mit anderen — Wohnraum beanspruchen, sondern daß natürlich die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre die starke Nachfrage in den 80er Jahren hervorrufen.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten stehen dazu, daß die Bildung von Wohneigentum zur eigenen Nutzung für viele Bürger nicht nur ein erstrebenswertes Ziel ist, sondern auch weiterhin gefördert werden sollte. Sozialdemokraten sehen aber auch die Probleme, die in der Verteilung der öffentlichen Mittel zutage treten. Während die steuerliche Förderung vielfach auch zu Mitnehmereffekten führt und zu einer Nichtberücksichtigung von Familiengröße und sozialem Angewiesensein auf staatliche Hilfe, fließen auch die direkten Subventionen überwiegend in die Eigentumsmaßnahmen.
Die regionale Verteilungswirkung der Förderungssysteme führt außerdem zu dem unerwünschten Effekt, daß in Großstädten und Ballungsgebieten, wo insbesondere Mietwohnungen nachgefragt werden, nur unterdurchschnittliche Chancen der Wohnungsversorgung bestehen. Es ist deshalb heute geboten, mehr soziale und mehr regionale Ausgewogenheit zu bewerkstelligen und die insgesamt für den Wohnungs- und Städtebau von Bund, Ländern und Gemeinden bereitgestellten Mittel — das sind etwa 20 Milliarden DM pro Jahr — besser auszunutzen. Darüber hinaus ist es geboten, gezielt etwas auf die Beine zu stellen, das Engpässen in Großstädten und Ballungsräumen zu Leibe rückt.
Angesichts hoher Boden- und Baukosten und ungünstiger Finanzierungsbedingungen infolge einer Hochzinspolitik, die Wohnkosten ja maßgeblich mit beeinflußt, kommt es jetzt darauf an, daß öffentliche Förderung und die Mobilisierung privater Mittel so miteinander verknüpft werden, daß zunächst einmal niedrigere Kostenmieten entstehen und die Differenz zwischen der so entstehenden niedrigeren Kostenmiete und der für den einzelnen tragbaren Mietbelastung oder Wohnkostenbelastung die öffentlichen Kassen auch nicht überstrapaziert. Hier haben sowohl die gemeinnützige Wohnungswirtschaft als auch private Initiative eine Aufgabe.
Mehr marktwirtschaftliche Elemente einzuführen, wie es in der Regierungserklärung heißt, bedeutet doch wohl auch, daß in unseren Städten und Ballungsräumen ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage erst einmal hergestellt werden muß. Mut zur Zukunft kann eine junge Generation nur haben, wenn das ernsthafte Bemühen sichtbar wird, mehr Chancengerechtigkeit auch im Wohnungsbereich herzustellen und Wohnungsnachfrage nicht auf irgendwann eintretende Sickereffekte zu verweisen.
Eine Wegwerfgesellschaft, die durchaus nutzbaren Wohnraum vernichtet, können wir uns ebenfalls nicht leisten. Manche Hausbesetzung mag dafür ein Hinweis sein. Neubaukonzeption, Energieeinsparungspolitik, Modernisierungspolitik, Wohnraummodernisierung, also auch gerechte Nutzung des vorhandenen Wohnungsbestandes, müssen miteinander verknüpft werden.
Auch meine Kollegin Traupe hat bereits darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung oder der Deutsche Bundestag nicht die alleinige Verantwortung für künftige Wohnungs- und Städtebaupolitik und die damit zusammenhängenden energie- und beschäftigungspolitischen Effekte übernehmen kann. Wir haben es hier, wenn schon nicht formal, so doch in dem eigentlichen Sinne des Wortes mit einer wahren Gemeinschaftsaufgabe zu tun. Auch die Opposition im Bundestag kann sich nicht von dieser Aufgabe wegstehlen und sagen: „Auf Bundesebene stellen wir j a nicht die Regierung". Die Opposition im Bundestag stellt in vielen Ländern die dortige Regierung und in vielen Kommunen die Mehrheit in Stadtverordnetenversammlungen und hat auch da in diesem Bereich Aufgaben zu lösen.
Wir sind alle aufgerufen, an Lösungen zu arbeiten, die für eine Beseitigung von Engpässen und Unge-



Waltemathe
rechtigkeiten geeignet sind. Sozialdemokraten jedenfalls bereiten sich darauf vor, Instrumente zur Minderung von Wohnungsknappheit in den Brennpunkten des Bedarfs vorzuschlagen, weil wir nicht tatenlos zusehen wollen, wie einige vielleicht den Mut zur Zukunft verlieren könnten, wenn der Staat nichts täte. — Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901806300
Das Wort hat der Abgeordnete Riesenhuber.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901806400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundeskanzler Brandt hat zu Beginn der Regierungszeit der SPD/FDP-Koalition eine Rede gehalten, in der 27mal das Wort „Reform" vorkam. Herr Minister Matthöfer hat zu Beginn der 80er Jahre eine Haushaltsrede gehalten, in der 33mal das Wort „Öl" vorgekommen ist. Dazwischen liegt das Ende der schönen Träume, dazwischen liegt der Einbruch der Wirklichkeit, dazwischen liegt eine Verschuldung des Staates, die bis an die Grenzen des Erträglichen gestiegen ist und vielleicht darüber hinaus, ein Wachstum der Ansprüche, schneller als das Wachstum des Steueraufkommens. Dazwischen liegt eine Stagnation der Wirtschaft, die Gefahr eines wirtschaftlichen Rückgangs. Mittelfristig ist das Wirtschaftswachstum durchaus ungesichert. Die Arbeitslosigkeit wird im Jahresdurchschnitt 1 Million weit überschreiten. Die Überlegenheit unserer Technik im Weltmarkt ist während der Forschungs- und Technologiepolitik der SPD/FDP-Koalition zurückgegangen.
Die Leistungsbilanz hatte vor zwei Jahren noch einen Überschuß von nahezu 18 Milliarden DM; sie hatte im letzten Jahr ein Defizit von nahezu 28 Milliarden DM. Darin stecken allein Energiekosten von weit über 60 Milliarden DM; das ist das Sechsfache von dem, was wir noch vor wenigen Jahren bezahlt haben.
In dieser Zeit hat sich die Struktur unserer Energieversorgung nicht in einer Weise geändert, die entscheidend gewesen wäre. Die Regierung hat in diesen Jahren erklärtermaßen auf Kohle und Kernkraft gesetzt, auf neue Energien und Einsparungen.
Wenn wir heute, sieben Jahre nach der ersten Ölkrise, eine Bilanz ziehen, stellen wir fest, daß diese Bilanz im Ergebnis miserabel ist.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Positiv!)

Bei der ersten Ölkrise hatten wir einen Steinkohleeinsatz — Herr Stahl, das wird Sie interessieren — von 84 Millionen t im Jahr. Im letzten Jahr lag der Steinkohleeinsatz bei 78 Millionen Jahrestonnen. Wir haben nicht mehr, sondern weniger Steinkohle eingesetzt — entgegen den Planungen der Regierung.
Die Kernenergie hat zur Zeit der ersten Krise 1 zu unserer Energieversorgung beigetragen. Sie lag im letzten Jahr bei 4 %. Das ist ein Anteil, der immer noch sehr klein ist. Die Bundesregierung hatte nach der ersten Ölkrise 45 000 MW — besser noch: 50 000 MW — angestrebt. Was wir erreichen werden, ist ein Drittel oder allenfalls die Hälfte dieser Zahl.
Die Energieeinsparung sollte durch eine Vielzahl von Gesetzen, von Verordnungen, von Vereinbarungen — drei Dutzend insgesamt — gefördert werden. Aber der erste große Einbruch in Richtung auf wirklich massive Sparraten geschah im letzten Jahr, und zwar über den Markt. Das geschah in einem Moment, als die Preise so gestiegen waren, daß die Preissteigerungsraten in der Tat nicht mehr aufzufangen waren, nicht für den einzelnen und auch nicht für die Wirtschaft.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Wo leben Sie eigentlich?)

Die Struktur unserer Energieversorgung hat sich geändert; dies trifft schon zu. Das Erdgas ist zugewachsen. Aber wenn Sie hier vom Standpunkt der Leistungsbilanz aus diskutieren, müssen Sie die Tatsache einbeziehen, daß das Erdgas so teuer wird wie das Erdöl und daß Erdgas und Erdöl zusammen heute mengenmäßig noch mehr ausmachen als in der ersten Ölkrise.
In diesen sieben Jahren haben wir die neuen Energiestrukturen nicht angelegt. Das einzige, was in der Zeit knapp war, waren nicht Kapital oder technischer Sachverstand, sondern war die Zeit. Diese sieben Jahre sind vergeudet worden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In dieser Zeit, meine Kollegen, hätten wir die neuen Strukturen für die knappen Jahre, die kommen werden, anlegen können, für die Jahre, in denen die Reserven physisch knapp werden. Wir wissen, daß in diesen Jahren die Reserven und unser Zugang dazu politisch zunehmend gefährdet sein werden.
In den nächsten Monaten steht die Fortschreibung des Energieprogramms an. Aber was wir heute brauchen, ist nicht irgendein Routinepapier oder eine Fortschreibung wie gehabt, sondern ein ehrlicher und grundsätzlicher Neubeginn in der Energiepolitik.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nein, das brauchen wir nicht!)

Wir müssen Schluß machen mit den Luxusdiskussionen der Parteitage. Herr Kollege Stahl, Sie haben sich vielleicht nicht so sehr wie andere daran beteiligt. Sie haben versucht, einen vernünftigen Gewerkschaftsstandpunkt zu vertreten. Aber wenn ich sehe, wie auf den Parteitagen in Hessen-Süd oder in Frankfurt Gewerkschaftsvertreter von linken Mehrheiten abgekanzelt werden, wenn sie für eine gesicherte Energieversorgung eintreten, dann sage ich: Dies ist eine Politik, die ich als Christdemokrat nicht mitmache.

(Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kempen] [SPD]: Sie machen es sich zu leicht!)

Wir sprechen hier ja nicht von irgend etwas, sondern von der Gefährdung der Arbeitsplätze, von der Gefährdung der Leistungsbilanz, von der Gefährdung des Haushaltsausgleichs, von der Gefährdung unse-



Dr. Riesenhuber
rer wirtschaftlichen Zukunft. Dies erledigt inzwischen doch wohl Empfehlungen von der SPD- und FDP-Mehrheiten, zuletzt in der Energie-Enquetekommission, die wichtigen Entscheidungen erst einmal bis 1990 zu vertagen.
Was diese Regierungsfraktionen versäumen, ist die Zukunft. Sie decken ihre internen Konflikte zu, überbrücken sie auf Kosten der Zukunft des deutschen Volkes, und das ist es, was wir nicht mitmachen werden.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Sie wissen doch, daß das alles nicht stimmt, was Sie hier erzählen!)

Ausgestanden ist der Streit zwischen Kohle und Kernenergie, wenn es jemals ein Streit war. Die Kohle ist das heimische Fundament unserer Energieversorgung. Hier sind wir uns einig.

(Widerspruch bei der SPD)

Aber die oberen Grenzen der Leistungsfähigkeit — —

(Zurufe von der SPD)

— Die Kohle ist das heimische Fundament unserer Energieversorgung. Ich sehe niemanden, der dies bestreitet.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: .Konkret!)

— Ich möchte jetzt etwas konkret von Ihnen wissen, lieber Herr Kollege Wolfram; Sie werden vielleicht darauf eingehen können. Wenn das Ziel der Kohlenförderung bei 100 Millionen Tonnen im Jahr liegen soll, wie wollen Sie dann in den nächsten Jahren bei den knapper werdenden Haushaltsmitteln die Zuschüsse im einzelnen aufbringen? Ich möchte hier ein Konzept und nicht nur verbale Erklärungen, genau das Konkrete, was Sie haben und was die Regierung vorlegen muß, einschließlich der Investitionen für die Millionen Tonnen auslaufender Zechenkapazitäten und für die 15 Millionen Tonnen zusätzlicher Zechenkapazitäten, die wir brauchen.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch einmal Ihr Konzept!)

Die Grenzen der Leistungsfähigkeit haben wir. Wir werden eine Menge Arbeit haben. Hier möchte ich die Vorschläge sehen. Die Importkohle soll einen wachsenden Anteil an unserer Energieversorgung haben. Aber noch heute ist die Hälfte der neu bestellten Kessel ölbefeuert. Der Beitrag der Importkohle ist gering. Die deutschen Beteiligungen an Kohlelagerstätten im Ausland sind die Ausnahme. Langfristige Bezugsverträge sind selten. Die Weichen für die Zukunft sind auch bei der Kohle nicht hinreichend gestellt.

(Zuruf von der SPD: Doch!)

Die Bundesregierung hat Vorprojekte zur Kohleveredlung in Auftrag gegeben. Wenn diese Projekte einen Sinn haben sollen, dann müssen sie zu Großanlagen führen, in unserem Land oder im Ausland, aber eben grundsätzlich auch in unserem Land. Wir werden auf die Dauer keine Technik exportieren können, die wir nicht mit Erfolg in unserem Land betreiben.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Wer stellt denn das in Frage?)

All die Überlegungen, Blaupausen zu exportieren, diese wunderschönen Vorstellungen, die Herr Matthöfer oder der Bundeskanzler einmal vorgetragen haben, sind einfach nicht realistisch, wenn wir nicht umfassend auch eine Grundstoffindustrie in unserem Lande durchhalten. Das braucht natürlich politische Rahmenbedingungen.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Und Geld!)

Graf Lambsdorff hat in der letzten Debatte beklagt, daß eine Kohleveredelungsanlage mit einem Aufwand von 1 Milliarde DM ohne öffentliche Mittel im großtechnischen Maßstab gebaut werden sollte, aber eben nicht an einem Standort in Deutschland, weil die Probleme im Zusammenhang mit den Genehmigungsverfahren schwer übersehbar seien. Graf Lambsdorff spricht hier so, als wäre es nicht seine Regierung, die über Jahre versäumt hat, diese Rahmenbedingungen wirklich zu setzen, wenn sie neu notwendig sind.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sie müssen mal mit Frau von BraunStützer darüber reden, Herr Riesenhuber! Sie müssen Zeitungen lesen und mal schauen, wie die Welt aussieht!)

Er spricht so, als hätten er und die Bundesregierung wenig damit zu tun, daß nicht nur Kohleveredelungsanlagen, die kommen sollen, in Frage gestellt werden, sondern daß heute schon Kohlekraftwerke blockiert sind. Es ist auch eine Frage und vor allem eine Frage der politischen Bedingungen, ob — —

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Wo denn? Nennen Sie doch einmal konkret ein Beispiel!)

— Zum Beispiel Voerde. Lieber Kollege Wolfram, es ist doch eigentlich eine — —

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Längst vorbei!)

— Nein, es ist offensichtlich nicht vorbei. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen soll eine Bürgschaft dafür übernehmen, daß Voerde überhaupt gebaut werden und dann in Betrieb gehen kann. Wenn die Landesregierung eine Bürgschaft dafür übernimmt, daß ein politisches Risiko abgedeckt wird, dann ist das in einem Industrieland gefährlich. Hier soll eine Landesregierung die Bürgschaft gegen politisches Risiko im eigenen Land bei konventioneller Technik übernehmen. Dies ist bis jetzt bei Entwicklungsländern üblich gewesen, wo die politische Stabilität nicht sicher absehbar war, aber nicht bei konventioneller Technik und nicht im eigenen Land. Dies ist eine ganz problematische Erscheinung. Dies ist eines modernen Industriestaates einfach nicht würdig.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Wo bleibt denn der Mut zum Risiko auch in der Industrie?)





Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901806500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901806600
Bitte sehr.

Peter W. Reuschenbach (SPD):
Rede ID: ID0901806700
Herr Kollege Riesenhuber, Sie beklagen ausdrücklich an diesem Beispiel Hemmnisse und wollen daraus doch vermutlich die Schlußfolgerung ziehen, daß diese Hemmnisse beseitigt werden müssen. Habe ich Sie dann richtig verstanden, daß Sie die Klagemöglichkeit von einzelnen Bürgern abschneiden wollen?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901806800
Herr Kollege Reuschenbach, ich möchte Ihnen ganz eindeutig sagen: Wir werden keine Umweltpolitik und keine Wirtschaftspolitik betreiben, die die Klagerechte oder den Schutz der Gesundheit oder den Schutz des Lebens des einzelnen Bürgers beschneidet.

(Reuschenbach [SPD]: Und warum klagen Sie dann über die Verzögerung bei Voerde?)

Aber ich möchte Ihnen genauso eines eindeutig sagen: Es geht nicht darum, Umweltschutz abzubauen, sondern es geht darum, Verfahren so übersichtlich und eindeutig zu machen, daß der Bürger, der sich betroffen fühlt, überhaupt noch weiß, mit welchem Risiko er in eine Klage hereingeht. Nicht die Wirtschaft, nicht der Bürger, niemand weiß heute, was bei einem Verfahren herauskommt. Dies ist ein Zustand des Rechtsmechanismus, der unbefriedigend ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Peter W. Reuschenbach (SPD):
Rede ID: ID0901806900
Herr Kollege Riesenhuber, halten Sie es für eine zu beseitigende Unübersichtlichkeit des Verfahrens, daß dieser bekannte Herr, der da klagte, sowohl beim Oberverwaltungsgericht als auch beim Bundesverwaltungsgericht klagen kann?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901807000
Ich spreche hier von einem einzigen Punkt. In der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms hat die Bundesregierung in ihrer Weisheit festgestellt, daß eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes notwendig sei, und zwar auch aus Gründen, die wir hier diskutieren. Der Minister Baum hat vor kurzem hier eine Diskussion geführt. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung dargestellt, daß die Genehmigungsverfahren beispielsweise im Atomrecht so gestrafft werden müssen, daß hier in absehbarer Zeit rationale Entscheidungen möglich sind. Darüber spreche ich.

(Reuschenbach [SPD]: Nein, Sie haben über Voerde gesprochen, Verzeihung! Sonst hätte ich mich nicht zu Wort gemeldet!)

— Herr Kollege Reuschenbach, ich möchte eindeutig festhalten, Sie haben ein Prinzip angesprochen, und an diesem Prinzip halten wir fest. Es ist das Prinzip: Wir werden keine Umweltpolitik betreiben, die konjunkturabhängig ist, die von augenblicklichen Opportunitäten abhängt, aber wir werden eine
Umweltpolitik betreiben, die hier klare und eindeutige Möglichkeiten der Entscheidung schafft.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901807100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901807200
Bitte schön.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0901807300
Herr Kollege Riesenhuber, ist Ihnen bekannt, daß es genügend unproblematische Standorte für Kraftwerksbauten gibt, wo die Energiewirtschaft morgen beginnen könnte,

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?)

es aber aus anderen Gründen nicht tut?

(Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901807400
Herr Kollege Wolfram, das ist mir in diesem Umfang, wie Sie es andeuten, als ob damit die Probleme gelöst werden könnten, in der Tat nicht bekannt. Ich kann nur eines sagen: Sowohl der Bundeskanzler als auch der Bundesinnenminister haben festgestellt, daß eine umfassendere Vorsorge für Standorte von Kraftwerksbauten notwendig ist. Wenn diese Aussage einen Inhalt haben soll, bedeutet sie, daß die derzeitige Vorsorge ungenügend ist, und wenn sie ungenügend ist, müssen wir das ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte mit aller Entschiedenheit noch einmal sagen: Wir sprechen nicht von einer Minderung des Umweltschutzes, aber wir sprechen davon, daß klare Verhältnisse in den Verfahren geschaffen werden müssen. Wir brauchen nicht weniger Umweltschutz, sondern klarere Gesetze und straffere Verfahren. Das ist wirksamer als die Konjunkturprogramme, die die Regierung ohnehin nicht finanzieren kann. Das ist auch realistischer als die Zinshoffnungen des Herrn Finanzministers, für die er ohnehin nichts Realistisches tun kann. Genau in diesem Moment fällt aber der Bundesregierung nichts Dringenderes ein, als die Verbandsklage zu propagieren, die einen neuen Wust von Ungewißheiten in alle Verfahren bringen wird. Niemand soll glauben, daß sich dies auf den Straßenbau beschränken wird. Dies wird eine grundsätzliche Änderung der Rechtsordnung, der Rechtssicherheit, der Absehbarkeit der Verfahren, der Zuständigkeit der Parlamente und der gewählten Vertreter sein. Dies ist eine ganz gefährliche Entwicklung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir sind für Energieeinsparung. Wir haben auch einige Erfolge gehabt; aber diese hat der Markt geleistet, und so soll es ja auch sein. Unsere Aufgabe ist es, Hemmnisse zu beseitigen und den Markt behutsam zu unterstützen. Wenn jetzt, in diesem Moment die Mineralölsteuer erhöht wird, in dem die steigenden Benzinpreise den Pendler ohnehin überfordern, in dem die OPEC in der Tat keine zusätzlichen Hinweise auf weitere Be-



Dr. Riesenhuber
lastbarkeiten der Preise braucht, dann ist das eine Energiepolitik mit dem Holzhammer und überhaupt in keiner Weise hilfreich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir setzen auf Sparen und beim Sparen auf die Vernunft des einzelnen. Das tut auch Graf Lambsdorff. Wenn aber diese Politik wirklich erfolgreich sein soll, dann muß Schluß sein mit öffentlichen Meditationen von Ministern über neue Gebote und Verbote, über Abwärmeabgabe, über Energieverbrauchsordnung. Solange der Staat etwas vorschreibt, entzieht er dem einzelnen Bürger Einkommen, Verantwortung und Zuständigkeit, dann entzieht er Gestaltungsmöglichkeiten. Wer neue Vorschriften erwarten muß, der wartet natürlich erst einmal ab. Was wir aber brauchen, sind schnelle und entschiedene Taten. Wo der Staat in den Markt eingegriffen hat, da war das teuer und im Ergebnis nicht unbedingt überzeugend.
Herr Matthöfer hat darauf hingewiesen, daß das Energieeinsparungsprogramm umgebaut werden soll. Wir haben schon vor einem Jahr, als klar wurde, daß zu 90 % Doppelfenster gefördert werden, gesagt, daß wir Konzepte zur gezielten Förderung neuer Techniken brauchen. Die Anträge hat SchleswigHolstein im Bundesrat gestellt, die Anträge haben wir im Bundestag gestellt.

(Zuruf von der SPD: Sie haben doch der Fernwärme in Schleswig-Holstein nicht zugestimmt!)

Sie sind abgelehnt worden. Statt dessen wurde mit der Gießkanne etwas gefördert, was im Grunde nur Zehntelprozente zur Energieeinsparung beitragen könnte. Aber die neuen Energien haben wir nicht durchgesetzt.
Wir treten mit Nachdruck für die neuen Techniken ein, und wir sprechen genauso offen über ihre Begrenztheit, und beides muß man sagen, wenn redlich debattiert werden soll. Fünf Prozent Beitrag der neuen Techniken im Jahre 2000 wäre ein Erfolg, und jedes Prozent darüber wäre hervorragend.
Aber wir haben auch über die großen Forschungsprojekte zu reden. Der Forschungsminister stellt dar, daß er nicht weiß, wie er die Projekte bezahlen soll. Das Zephir-Projekt ist gestrichen, das einzige Kohleveredelungsgroßprojekt in Frage gestellt, desgleichen die fortgeschrittenen Reaktorlinien. Die Industrie soll mehr zahlen. Wir sind entschieden der Auffassung, daß die Wirtschaft für Forschung bezahlen soll, bei aller Verantwortung des Staates für die großen Projekte, die selbstverständlich ist und zwischen uns nicht streitig war, auch bei den fortgeschrittenen Reaktorlinien. Das ist normal und auch machbar, wenn die Wirtschaft das tun kann, wofür sie da ist, daß die Kraftwerkbauer Kraftwerke bauen und aus den Gewinnen Forschung finanzieren. Wenn aber seit sechs Jahren kein neues Kernkraftwerk mehr bestellt worden ist, woher sollen denn die Gewinne kommen, von denen die Forschung finanziert werden kann? Geben Sie den Unternehmen die Initiative zurück; dann wird die Forschung bezahlt, und der Staat kann sich aus Gebieten zurückziehen, bei denen er nicht mehr voll gefordert ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen neue Energien. Wir brauchen alle Energien, auch Kernenergie; nicht weil ihr Beitrag heute schon groß wäre, sondern weil sie Zuwachschancen hat, weil sie Rohstoff durch das ersetzt, was wir haben, nämlich durch technischen Sachverstand und durch Kapital.
Die Bundesregierung stellt fest, daß Kernenergie verantwortbar ist. Wenn sie verantwortbar ist, dann ist sie bei 20 000 MW und auch bei 50 000 MW verantwortbar. Die Bundesregierung stellt fest, daß die Entsorgung gesichert ist. Wir haben keinen Anlaß, dem zu widersprechen. Die Bundesregierung stellt im Strahlenschutzbericht fest, daß die Umweltbelastung aus Kernkraftwerken erträglich, weit unterhalb der Grenzen sei. Wenn das alles stimmt — und wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln —, dann müssen die Hemmnisse fallen, dann muß gebaut werden, was wir brauchen.
Keiner soll hier sagen — das ist ja die alte Diskussion —: Kernenergie ist nur Strom, und den haben wir genug. Kernenergie ist Grundlast, und die haben wir nicht genug. Kernenergie ist die Chance, Braunkohle freizuschalten, und Braunkohle ist schon heute zum Verbrennen zu schade. Erinnern Sie sich doch an die großen Pläne von Rheinbraun Anfang der 70er Jahre! Was ist denn daraus geworden, nur deshalb, weil die Braunkohle nicht freigeschaltet werden kann? Kernenergie ist auch die Möglichkeit, Erdgas aus der Grundlast zu nehmen. Der Bundeskanzler hat zu Recht darauf hingewiesen: Es ist eine groteske Situation, daß eine edle Energie verstromt wird, und noch dazu in der Grundlast. Hier überall könnte die Kernenergie einen Beitrag leisten. Wir sollten von einer Diskussion wegkommen, als wäre hier ein Rest zu definieren.
30 Milliarden DM sind im Energiebereich an Investitionen blockiert. Das ist nichts anderes als Hunderttausende von Arbeitsplätzen über Jahre. Es geht nicht darum, irgendwelche massiven Konjunkturprogramme zu bringen, sondern darum, das freizusetzen, was blockiert ist. Wir könnten diese Arbeitsplätze haben, nicht nur jetzt, sondern auch als Investition in die Arbeitsplätze der Zukunft, die wir brauchen werden. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Die FDP votiert auf ein und demselben Parteitag für und gegen das Kernkraftwerk Brokdorf. Der SPD- Landesvorstand Hamburg beschließt gegen den SPD-Bürgermeister von Hamburg, der SPD-Bürgermeister von Hamburg beschließt gegen den Bundeskanzler, und der Bundeskanzler schweigt in erhabener Größe. Das ist doch nicht der Weg, auf dem wir die Probleme lösen könnten, die hier offenkundig anstehen.
Die Arbeitslosenzahl steigt. In dieser Zeit erschöpft sich die Partei in Debatten über Restenergiebedarfsphilosophie, die Partei, die einmal aufgebrochen ist, Partei der Arbeiter zu sein, und, wie Herr Brandt gestern sagte, auch Partei der Arbeitslosen. Wir alle werden dafür zu sorgen haben, daß



Dr. Riesenhuber
diese neue Klientel der SPD so klein wie irgend möglich bleibt.
Zugleich liegen die Energiekosten unserer Wirtschaft im Spitzenfeld der weltweiten Konkurrenz. Werke im Ruhrgebiet — ich nenne: Zinkelektrolyse — zahlen ein Dutzend oder mehr Millionen DM mehr für Energie als die Konkurrenz. Die HoeschArbeiter gehen auf die Straße. Mitten im Ruhrgebiet, im alten Energiezentrum Deutschlands, sind die Arbeitsplätze gefährdet, weil die Energie zu teuer geworden ist.
Wer Stahl in Dortmund will, darf Kernenergie nicht ablehnen. Wenn die Diskussion hier herumgeführt wird, dann werden wir auch eine Lösung der Standortfrage Ruhrgebiet nicht schaffen. Wir brauchen eine verläßliche und billige Energie auch für das Ruhrgebiet, wenn dort wirklich eine langfristig stabile Industrie und ihre Arbeitsplätze bestehen bleiben sollen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Und Sie meinen, dies alles habe die Bundesregierung zu entscheiden?! Jetzt machen Sie mal einen Punkt!)

— Ich sehe mit großer Freude, Herr Stahl, daß auch Sie für das Regionalisieren eintreten. Ich sehe mit ebenso großer Freude, daß sich Herr Matthiesen heute früh darüber entrüstet hat, wie man so etwas regionalisieren könne; er lasse nicht so mit sich umspringen, wie die Bundesregierung mit Herrn Eppler umgesprungen sei. Sie müssen sich für eines entscheiden: Wenn die Probleme hier Probleme der Bundesrepublik sind, dann müssen sie hier entschieden werden. Es ist nicht zuviel verlangt, daß die Regierung gelegentlich auch einmal regiert, wenn es kritisch wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901807500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl'?

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0901807600
Herr Kollege Riesenhuber, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie hier eben ausgeführt haben, daß der Neubau des Stahlwerks von Hoesch allein mit dem Energiepreis in Dortmund zu tun hat?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901807700
Herr Kollege Stahl, der Energiepreis in Dortmund ist ohne Zweifel nicht der alleinige Grund. Aber es ist ohne Zweifel so, daß Sie in Dortmund und an anderen Standorten des Ruhrgebiets langfristig ohne billige und verläßliche Energie keine erfolgreiche Arbeitsplatzsicherung betreiben können.

(Gerstein [CDU/CSU]: Genauso ist das, und so sagt es auch Hoesch!)

— Sprechen Sie mal mit den Betriebsräten!

(Gerstein [CDU/CSU]: Fragen Sie mal Herrn Rohwedder! Der wird Ihnen das ebenfalls bestätigen!)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901807800
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0901807900
Herr Kollege Riesenhuber, was Sie jetzt ausgeführt haben, heißt doch, daß der Neubau des Stahlwerks in Dortmund ausschließlich eine Frage des Baus eines Kernkraftwerks wäre. Das können Sie hier doch tatsächlich nicht behaupten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht ausschließlich, aber es ist ein ganz wesentlicher Grund!)


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901808000
Das ist doch wohl eine Debatte, die nicht ganz der Art entspricht, wie wir hier sonst diskutieren. Wir sollten hier doch zwischen notwendigen und ausreichenden Bedingungen unterscheiden. Wir brauchen hier billige Energie, und wir brauchen eine ganze Reihe von anderen Randbedingungen. Wenn diese Randbedingungen nicht gestellt worden sind, dann sollte man auch überlegen, wer dort regiert: im Land die SPD und in der Stadt die SPD. Wir sollten einmal überlegen, wer hier die Verantwortung hat. Sie können sie nicht von einem Niveau auf ein anderes verschieben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kempen] [SPD]: Sie haben nicht auf die Frage geantwortet!)

— Ich bitte jetzt um eines. Ich möchte hier gern, da meine Redezeit zu Ende ist, meine Ausführungen abschließen. Ich bitte um Vergebung, Herr Kollege, wenn ich Ihre Zwischenfrage jetzt nicht annehme. Ich habe zwar alles angenommen, aber meine Redezeit ist jetzt zu Ende.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901808100
Bitte fahren Sie fort, Herr Abgeordneter, natürlich!

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901808200
Meine Kollegen, Sie wollen weg vom Öl. Dann müssen Sie auch alle dafür eintreten, daß alle Energien, auch Kernenergie, in genau dem Umfang eingesetzt werden, in dem sie Öl verdrängen können. Zugleich gegen Öl und Kernenergie Politik zu machen, das geht nicht.
Eine ausreichende und preiswerte Energie ist Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum, für den Ausgleich unserer Zahlungsbilanz und der Haushalte und für die Sicherung der Arbeitsplätze. Wachstum ist nicht Grundlage unserer Gesellschaft, und gesellschaftliche Stabilität darf nicht von wirtschaftlichen Wachstumsraten abhängen. Aber ohne Wachstum werden die Probleme schwieriger. Wir haben uns politisch und geistig darauf noch nicht eingestellt. Denn es ist keineswegs so, wie man uns in den letzten Jahren oft erzählt hat, als ob bei Nullwachstum quasi von selbst eine sanfte Gesellschaft entstehe. Knappes Wachstum kann härteren Konflikt, Streit um Besitzstände, Kompromisse zu Lasten der Schwächeren und Minderung unserer Hilfe auch in der Dritten Welt bedeuten.
Wenn wir eine sanftere Gesellschaft wollen, dann müssen wir technische und wirtschaftliche Schwierigkeiten überwinden, aber wir müssen gleichzeitig die geistigen Grundlagen schaffen für eine neue Art von Rücksicht, von Nachbarschaftlichkeit und auch von Umgang mit den Problemen der Technik. Dazu gehört auch, daß wir im Gespräch mit den Bürgern, insbesondere mit den jungen Bürgern, rechtzeitig,



Dr. Riesenhuber
bevor die Probleme heiß werden, Argumente aufnehmen, sie verarbeiten und unseren Standpunkt danach bilden. Auch das gehört zu dem Begriff — der vielleicht anspruchsvoll klingt — der geistigen Führung. Wir verstehen das zumindest darunter. Das gehört dazu, und das gehört zu unserer Politik.
Entscheidend für jede Politik ist aber, daß eine Regierung, wenn Entscheidungen anstehen, eindeutig und klar für Deutschland entscheidet, daß sie das innerhalb ihrer Parteien tut und daß sie diese Politik klar und erkennbar durchhält, damit sich jeder darauf verlassen kann. In diesem Rahmen, in einem klaren politischen Rahmen, kann Marktwirtschaft die Probleme lösen. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901808300
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Wolfram das Wort.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0901808400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die heutige Debatte soll sicherlich keine vorgezogene Energiedebatte sein. Wir werden im Zusammenhang mit der Diskussion zum Jahreswirtschaftsbericht und nach Vorlage der dritten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung in diesem Jahr noch ausreichend Gelegenheit haben, im Detail und konkret — und nicht in Allgemeinplätzen — zu diesem ernsten und wichtigen Thema zu sprechen. Ich wünschte mir, daß das mit der gebotenen Sachkenntnis und Sachlichkeit geschieht, einfach deshalb, weil das Thema viel zu ernst ist, als daß man versuchen sollte, es allzuoft und allzusehr in einen parteipolitischen Streit zu ziehen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden mir zugeben: Wenn Sie einmal in Ihren eigenen Reihen abchecken, wer was von der Rolle der heimischen Kohle hält, wer was von der Rolle der Importkohle hält, dann werden Sie feststellen, daß es da auch eine große Spannbreite der Meinungen gibt.

(Kiep [CDU/CSU]: Aber Sie regieren doch!)

Wenn Sie, Herr Kollege Riesenhuber, dazu aufgefordert haben, den Dialog mit den Bürgern zu suchen und die Argumente vor allem junger Bürger ernst zu nehmen, dann frage ich Sie: Was tun wir denn seit Jahr und Tag? Wir sind doch fast die einzige Partei, die diesen Bürgerdialog konsequent führt.

(Zustimmung bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ihre Formel, die Sie dem entgegensetzen, ist doch im Grunde genommen: anweisen, anordnen, den Bürgern etwas überstülpen, auch wenn es verständlicherweise kritische Einwände gibt.
Herr Kollege Riesenhuber, ich möchte Sie zunächst beglückwünschen: Sie sind der neue energiepolitische Sprecher der Opposition. Ich biete Ihnen namens unserer Fraktion eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Wir bedauern, daß Sie nicht dem Wirtschaftsausschuß angehören, wo die Federführung für die Energiepolitik liegt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Doch!)

— Er ist auch im Wirtschaftsausschuß. Gut, dann korrigiere ich mich. Ich nehme das mit Freude zur Kenntnis.
Ich meine, wir sollten in eine Konkurrenz eintreten, wer die besseren Vorschläge hat. Wir sind gern bereit, mit Ihnen diesen Wettbewerb zu bestreiten.
Ich möchte Sie nur vor einem warnen: Nicht vereinfachen. Sie wissen, daß es in der Praxis viel differenzierter ausschaut und zugeht! Verehrter Herr Kollege Riesenhuber, wer Sie hier in einer zugegebenermaßen sachlichen, interessanten, viele Ansätze zur Zusammenarbeit bietenden Rede gehört hat, der konnte den Eindruck haben, als gäbe es keine autonomen Energieversorgungsunternehmen, als gäbe es die Energiewirtschaft in ihrer Gesamtheit nicht, als gäbe es keine Energieverbraucher, weder industrielle noch private, als gäbe es nicht die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer. Sie haben den Eindruck erweckt, als brauchte die Bundesregierung bloß auf einen Knopf zu drücken, und schon würde die Struktur unserer Energiewirtschaft anders, würden sich die Energieverbraucher, die Energieanbieter anders verhalten. Das ist doch ein großer Irrtum. Wie wollen Sie im übrigen dieses Prinzip mit Ihren Vorstellungen in Einklang bringen, der Markt werde das alles schon regeln? Das geht doch nicht. Diese Formel geht einfach nicht auf.
Sie kritisieren das Leistungsbilanzdefizit und sagen, allein in den letzten Jahren hätten sich unsere Aufwendungen für Ölimporte versechsfacht. Ich erinnere Sie: Hätten wir nicht zehn Jahre lang 01 ungehindert auf den deutschen Markt gelassen, dann brauchten wir heute nicht den hohen Preis dafür zu bezahlen.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901808500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riesenhuber?

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0901808600
Ja bitte.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID0901808700
Herr Kollege, es ist wirklich keine böse Frage, es ist eine interessierte Frage. Sind Sie nicht der Ansicht, daß hier durch eine Maßnahme der Regierung Hemmnisse beseitigt werden könnten? Und sind Sie nicht der Ansicht, daß dies beispielsweise genau die Methode ist, in der jetzt hier eine Erleichterung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens zwischen Bund und Ländern angestrebt wird? Sind Sie nicht darüber hinaus der Ansicht, daß hier genau das Modell, die Struktur der Anweisungsmöglichkeiten des Bundes, eine wesentliche Rolle spielen wird? Ich möchte damit nur ein Gift herausnehmen, das sich jetzt anscheinend hier einschleicht.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0901808800
Verehrter Herr Kollege Riesenhuber, darüber können wir im Wirtschaftsausschuß jederzeit reden. Wenn es darum geht, konkret nachzuspüren, wo es Investitions-



Wolfram (Recklinghausen)

hemmnisse gibt, wo die Schuld und Verantwortung liegt und wo die Möglichkeiten sind, diese zu beseitigen, dann können Sie mit der Regierung, mit uns, mit der FDP sofort in einen Sachdialog eintreten. Wir sind gern bereit, mit Ihnen gemeinsam diese Änderungen, wenn notwendig, auch in diesem Hause durchzuführen.

(Dr. Riesenhuber [CDU/CSU]: Optimist! Hoffentlich kriegen Sie das auch intern klar!)

Sie wissen doch, die Schwierigkeiten liegen woanders. Mein Freund Reuschenbach hat Sie doch gefragt: Wie wollen Sie denn verhindern, daß ein Bürger, wie im Falle Voerde, alle Instanzen beschäftigt, um recht zu bekommen. Wer ist denn verantwortlich, wenn ein Bauvorkommen so lange stilliegt? Deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie uns konkret prüfen, wo es im konkreten Falle Hemmnisse, Hindernisse, Verzögerungen gibt. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Prozeß der Reform, der Änderungen zur Beseitigung dieser Hindernisse einleiten! Wir machen gern mit, denn uns liegt genauso wie Ihnen daran, daß geplante Kraftwerke oder andere großtechnische Anlagen möglichst schnell gebaut werden und in Produktion gehen.
Sie, Herr Riesenhuber, haben den Eindruck erweckt, als sei in unserer Regierungszeit der Steinkohlenabsatz rückläufig gewesen. Natürlich konnten in den letzten Jahren nicht alle Kohlen abgesetzt werden, die gefördert wurden. Sie wissen aber doch, daß wir niemanden zwingen können, z. B. im Wärmemarkt von 01 auf Fernwärme oder auf Kohle umzustellen. Ihnen ist doch bekannt, daß diese Bundesregierung dafür gesorgt hat, daß vier Jahre lang dem Bergbau mit öffentlichen Mitteln, die wir gut auch für andere Zwecke hätten einsetzen können, über eine Talsohle geholfen wurde, damit er seine Förderkapazität erhalten konnte, bis die Kohle wieder in dem Maße gefragt ist und abgesetzt werden kann, in dem sie gefördert wird. Das waren gute und richtige Entscheidungen. Wir haben eben den Bergbau nicht vor die Hunde gehen lassen, sondern wir haben dafür gesorgt, daß er eine neue Zukunft vor sich hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben immer noch dagegen gemotzt!)

Sie sagen, die Bundesregierung habe 1973 in ihrem ersten Programm ehrgeizigere Ziele bezüglich des Anteils der Kernenergie gehabt. Sie haben aber nicht gesagt, daß dies Zielvorstellungen für die Jahre 1985 bis 1990 waren. Sie haben verschwiegen, daß wir damals jährlich 7 % Strombedarfszuwachs hatten und daß diese heute bei 2 % und weniger liegen. Sie haben verschwiegen, daß wir rund 9 000 MW Kernkraftwerkskapazität am Netz haben und 9 000 MW sich im Bau befinden, die ans Netz gehen werden. Sie haben verschwiegen, daß es Kohlekraftwerkskapazitäten in der Größenordnung von 29 000 MW gibt und daß neue Kraftwerkskapazitäten im Bau sind und ans Netz gehen werden. Sie haben verschwiegen, daß es genügend Möglichkeiten gibt, morgen in Bergkamen den Block B, in Hamm einen neuen Block hinzusetzen, und neue Kohlekraftwerke in Castrop-Rauxel, Siersdorf und andernorts zu bauen. Das ist es, was ich Ihnen mit meiner Zwischenfrage deutlich machen wollte. Sie können das im Detail nicht wissen. Ihr Kollege Gerstein wird Ihnen gern genauere Information zukommen lassen.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901808900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Urbaniak?

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0901809000
Aber gern.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID0901809100
Herr Kollege Wolfram, können Sie uns bestätigen, daß, wenn das Energieprogramm der Bundesregierung und die Fortschreibungen nicht gekommen wären, wir heute über einen nennenswerten nationalen Steinkohlenbergbau überhaupt nicht mehr verfügen würden, und daß, wenn wir damals die Kredithilfen bei den Absatzschwächen nicht für die Kapazitätsvorhaltung gewährt hätten, mindestens fünf bis sechs Schachtanlagen mit mehreren tausend Arbeitsplätzen stillgelegt worden wären?

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0901809200
Herr Kollege Urbaniak, ich muß Ihnen das leider bestätigen.

(Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: „Leider"?)

— Ja, sicher, das will ich Ihnen genau sagen. Es ist eine traurige Tatsache, daß die Förderkapazitäten des Bergbaus in Ihren Regierungszeiten so radikal und unplanmäßig, unkontrolliert zurückgeführt werden mußten und daß wir uns heute mit viel Aufwand bemühen, neue Kapazitäten zu errichten. Heute bezahlen wir den Preis für die Fehler, die zur Regierungszeit von Erhard gerade in der Energiepolitik gemacht worden sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Kiep [CDU/CSU]: Dem Erhard der 60er Jahre?)

— Dem Erhard der 50er und 60er Jahre.

(Kiep [CDU/CSU]: Das muß man unterscheiden!)

— Das ist völlig klar, da sind wir uns einig. Ich bedanke mich für die Bestätigung der Richtigkeit meiner Aussage.
Ich wollte noch ein Wort zu den Strompreisdifferenzen sagen. In Nordrhein-Westfalen ist der Strompreis zugegebenermaßen, Herr Kollege Leisler Kiep, niedriger als in Niedersachsen, obwohl Sie in Niedersachsen in einem viel höheren Maße Kernenergie und das billige Erdgas einsetzen. Das muß doch Gründe und Ursachen haben.

(Dr. Riesenhuber [CDU/CSU]: Das ist die Braunkohle, die Sie verbrennen!)

Die Formel, daß das allein mit der Kernenergie zu tun habe, ist doch wohl zu einfach, Herr Kollege Riesenhuber. Wenn VEW bislang auf die Kombination von Erdgas und Steinkohle gesetzt hat und jetzt das Erdgas so teuer wie das Öl wird, dann muß sich daraus eine Preissteigerung ergeben. Das ist doch ganz logisch. Im übrigen rennen Sie mit der Forderung bzw. Empfehlung, Erdgas unter dem Kessel wegzunehmen, bei uns offene Türen ein. Den Vorschlag ha-



Wolfram (Recklinghausen)

ben wir schon vor fünf Jahren gemacht. Leider haben die EVU darauf nicht gehört.

(Dr. Riesenhuber [CDU/CSU]: Sie müssen es nur durch irgend etwas ersetzen!)

Meine Damen und Herren, ich möchte im Rahmen dieser ersten Lesung des Haushalts 1981 feststellen, daß es seit 1973 eine kontinuierliche Energiepolitik in unserem Lande gibt. Es gibt seit dieser Zeit keine nennenswerten und nachweisbaren Alternativen der Opposition, keine Vorschläge, was anders und besser hätte gemacht werden können. Es gibt aus Oppositionskreisen verbale Bekenntnisse sehr widersprüchlicher Art. Ich habe das schon am Beispiel der Kohle erläutert.
Wir sind der Bundesregierung und dem Bundesfinanzminister dafür dankbar, daß sie stets für unsere richtige Energiepolitik mit den Schwerpunkten Förderung des Energiesparens, Sicherung der Kohle, alternative Energien die erforderlichen Mittel bereitgestellt haben.
Herr Kollege Riesenhuber, wenn Sie die Kohle zur Grundlage unserer nationalen Energieversorgung machen, dann lassen Sie uns doch über das Angebot von Minister Posser reden, daß sich alle Bundesländer an der Mitfinanzierung beteiligen. Lassen sie uns mit dem Lande Niedersachsen darüber reden, die Windfall-Profits aus heimischer Gas- und Ölförderung optimal abzuschöpfen, um mit einem Teil davon die energiewirtschaftlichen Gesamtaufgaben auf Bundesebene zu erfüllen. Lassen Sie das Land Nordrhein-Westfalen nicht allein mit den Kohlehilfen hängen. Die Zwischenfrage Ihres Kollegen Schröder (Lüneburg) gestern war in dieser Beziehung bezeichnend. Ihr eigenes Bekenntnis zur Kohle haben Sie j a auch sofort eingeschränkt, als Sie fragten, wie das alles zu finanzieren sei.

(Dr. Riesenhuber [CDU/CSU]: Ich habe Ihnen die Frage gestellt, wie Sie es finanzieren! Sie regieren doch!)

Natürlich stößt der Staat, natürlich stoßen Bund und Kohleländer an Grenzen der Subventionsmöglichkeiten. Diese müssen abgebaut werden. Darüber müssen wir reden.
Es muß überlegt werden, wie sich alle Bundesländer an der Finanzierung beteiligen. Es muß überlegt werden, ob die Windfall-Profits, wie es das Bundesberggesetz ermöglicht, höher abgeschöpft werden sollen, als das jetzt in Niedersachsen geschieht.
Da muß überlegt werden, wie wir die Europäische Gemeinschaft zumindest für den Teil in die Mitfinanzierung einbeziehen, wo es sich um Exporte von Koks und Kokskohle in die Länder der Gemeinschaft handelt. Darüber müssen wir verhandeln.
Die Bundesregierung wird — das sehen Sie schon aus dem Jahreswirtschaftsbericht 1981 — ihre Politik der Verminderung des Ölanteils konsequent fortsetzen. Sie wissen, daß wir den Ölanteil beträchtlich unter 50 % gedrückt haben, nachdem er lange Zeit weit über 50 % lag. Die Bundesregierung wird dafür sorgen, daß nicht nur das restliche Öl aus den Kraftwerken hinauskommt und durch andere Primärenergien ersetzt wird, sondern sie hat auch angekündigt, daß sie anstreben wird, mittelfristig das Erdgas aus der Verstromung herauszunehmen. Das sind richtige energiepolitische Wege.
Das permanente einseitige Drängen der Opposition nach mehr Kernenergie löst die Energieproblematik nicht. Ich sage für meine Fraktion klipp und klar: Wir sind für einen begrenzten Ausbau der Kernenergie. Wir unterstützen die Bundesregierung auch auf diesem Gebiet. Da gibt's überhaupt kein Vertun.
In welchem Umfang in den nächsten zehn Jahren außer den im Betrieb und im Bau befindlichen Kapazitäten neue Kapazitäten benötigt werden, hängt von dem Erfolg unserer Energieeinsparmaßnahmen und selbstverständlich auch davon ab, in welchem Umfang die von Ihnen geführten Bundesländer — voran Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein — bereit sind, vorrangig umweltfreundliche neue Kohlekraftwerke zu bauen — und zwar mit heimischer Kohle und Importkohle beschickt.
Lassen Sie mich ein Wort zu der Importkohle sagen. Da stellt sich der bayerische Ministerpräsident bei seinen Stippvisiten hier hin

(Kiep [CDU/CSU]: Soll er sich setzen?)

und tut so, als verhinderten wir, den Weltkohlemarkt zu erschließen. Dabei wissen Sie doch, daß wir in der vorigen Wahlperiode im Jahr 1980 gemeinsam die Kohleimportkontingentregelung beseitigt und dafür gesorgt haben, daß bis 1995 jährlich zunehmend für die Elektrizitätswirtschaft, für die Stahlindustrie, für den Wärmemarkt und für Kohleveredelung Importkohlemengen eingesetzt werden können. 1995 ergibt das eine Größenordnung von mindestens 50 Millionen t Importkohle pro Jahr.
Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" gestern berichtet, hat Ihr Parteifreund Albrecht im Niedersächsischen Landtag die Verantwortung für die Kürzungen in seinem Etat der Bundesregierung zugeschoben und dabei u. a. behauptet, die SPD, die zusammen mit der FDP die Regierungsverantwortung trägt, habe sich bisher nicht zu einer fühlbaren Erhöhung der Kohleeinfuhren entschließen können. Was sind das für Aussagen! Entweder weiß Herr Albrecht nicht, daß es ein solches Gesetz gibt — dann muß ich sagen: Es tut uns leid für Niedersachsen, daß es so einen Ministerpräsidenten hat —,

(Zurufe von der CDU/CSU)

oder er sagt bewußt die Unwahrheit. Denn die Kombination: ein sicherer Sockel heimischer Kohle, ergänzt je nach Bedarf durch zusätzliche Importmengen, ist längst gesetzliche Wirklichkeit, und zwar von dieser Bundesregierung eingebracht und von diesem Haus gemeinsam verabschiedet.
Ich bitte Sie deshalb: Unterlassen Sie es, den Bürger irrezuführen. Stellen Sie hier einen Redner hin, der klipp und klar zum Ausdruck bringt, welchen Stellenwert die Opposition der heimischen Kohle einräumt. Stellen Sie jemand hin, der das sagt, was mir der Bundeskanzler am 26. Januar geschrieben hat:
Ich kann Ihnen versichern, daß die Bundesregierung auch weiterhin sowohl an dem Prinzip



Wolfram (Recklinghausen)

„Vorrang der deutschen Kohle für die Verstromung" als auch an dem Ziel der optimalen Nutzung der heimischen Kohle festhalten wird.
Anschließend lassen Sie uns darüber reden, wie beide Ziele — Vorrang der Kohleverstromung vor der Kernenergie und optimale Nutzung der heimischen Lagerstätten — gemeinsam verwirklicht werden können.
Ich sage Ihnen auch wie das meines Erachtens finanziert werden kann: Einerseits durch höhere Kohlepreise und andererseits durch staatliche Mittel in dem unbedingt benötigten und zu finanzierenden Umfang. Ich wünschte mir, daß es der Regierung, dem Parlament, den Wissenschaftlern und der Energiewirtschaft gelänge, gemeinsam zu überlegen, wie wir verhindern können, daß uns die OPEC-Staaten und jetzt auch noch die Erdgasförderländer jährlich Milliardenbeträge aus der Tasche ziehen und statt dessen einen Energiefinanzierungsfonds schaffen, aus dem die Finanzierung der zu verändernden Energieversorgungsstruktur und der Einsatz anderer Energien erreicht wird. Das wäre eine große und lohnende Aufgabe.
Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, daß vierteljährlich die OPEC-Staaten die Preise erhöhen

(Zurufe von der CDU/CSU)

und die Erdgasförderländer folgen. Es muß uns gelingen, einen Teil dieser Mittel umzulenken zur Substitution des Öls und damit zur Verminderung unserer Abhängigkeit von Ölimporten.
Meine Damen und Herren, wir werden in der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht und im Zusammenhang mit der dritten Fortschreibung noch genügend Gelegenheit haben, in Details zu gehen. Wir würden es sehr begrüßen, wenn es vorher im Wirtschaftsausschuß dazu käme, daß wir die einzelnen energiepolitischen Ziele, die sich für uns ergeben und die für unser Land von Bedeutung sind, sachlich erörtern und in den Entwurf der dritten Fortschreibung einbringen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Enquete-Kommission Kernenergie sagen. Die Opposition mußte viele Kurven nehmen, um diese Enquete-Kommission seinerzeit auch ihrerseits zu beantragen. Es
war Wille dieses Parlaments, mit Hilfe dieser Kommission und der Mitglieder sowie insbesondere der Sachverständigen Entscheidungshilfen zu bekommen. Ich kann feststellen, daß diese Kommission in der letzten Legislaturperiode gute Arbeit geleistet hat. Der vorliegende Zwischenbericht ist für uns und unsere Entscheidungen außerordentlich hilfreich.
Unsere Bitte ist, daß wir diese Kommission möglichst bald neu installieren. Unser Wunsch ist, Herr Präsident, daß der Zwischenbericht möglichst bald in das Parlament eingebracht wird, damit er von den Ausschüssen beraten und ausgewertet werden kann. Wir sehen vor allem auf dem Gebiet der Energieeinsparungen eine Fülle von Möglichkeiten, von konkreten Beispielen, über die gesprochen werden muß.
Ich möchte an dieser Stelle dem Vorsitzenden dieser Kommission, unserem früheren Kollegen Reinhard Ueberhorst, für seine Arbeit außerordentlich herzlich danken.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Er hat mit Ihnen, die Sie mit ihm in der Kommission waren, eine erstklassige Arbeit geleistet. Ich bin sicher, daß er die Erfahrungen, die er da gesammelt hat, auch in Berlin in die Energie- und Umweltschutzpolitik einbringen wird,

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Bis zur Wahl! — Rawe [CDU/CSU]: Dazu wird er nicht lange Zeit haben! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wie lange?)

zum Nutzen und Wohle Berlins und seiner Energieversorgung.
Meine Damen und Herren, wir bieten der Opposition eine konstruktive Zusammenarbeit der Koalitionsfraktionen an. Wir wollen mit Ihnen darum wetteifern, daß wir die richtigen energiepolitischen Entscheidungen nicht nur erkennen, sondern auch Wege und Mittel finden, sie zu verwirklichen. Da müssen wir überall vor Ort, in und mit den EVUs, in den einzelnen Ländern und bei den Energieverbrauchern noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten.

(Franke [CDU/CSU]: Bei Jansen! — Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Bei Matthiesen! — Zuruf des Abg. Gerstein [CDU/CSU])

— Sicher, daß ist unser Brocken, Herr Gerstein, aber auch Sie haben Ihre Probleme. Ich wünsche Ihnen viel Glück, daß Sie sich mit Ihren energiepolitischen Vorstellungen in Ihrer Fraktion so durchsetzen, wie es wünschenswert wäre.
Wir stehen energiepolitisch vor einer großen Herausforderung. Ich bin überzeugt, daß diese Bundesregierung bislang den richtigen Kurs gesteuert hat. Sie wird auch in den nächsten Jahren die richtigen Entscheidungen treffen, soweit sie zuständig ist. Die SPD-Fraktion wird sie dabei unterstützen. Wir werden uns dieser Herausforderung stellen. Ich bin überzeugt: Die deutsche Volkswirtschaft wird sie auch bestehen. — Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901809300
Meine Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne hat der Handelsminister der Republik Indien, Herr Professor Mukherjee, Platz genommen.

(Beifall)

Ich begrüße Sie, Herr Minister, der Sie unser Land schon bei früheren Anlässen besucht haben, erneut herzlich in diesem Hause. Sie hatten schon als Parlamentarier einen lebhaften, j a führenden Anteil an den Beziehungen unserer beiden Parlamente. Für Ihre jetzige Reise, die Sie als Minister in unserem Lande durchführen, wünschen wir Ihnen alle einen vollen Erfolg.

(Erneuter Beifall)

Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.




Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID0901809400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Einbringungsrede des Bundesministers der Finanzen und zahlreiche Debattenbeiträge zur Situation der Bundesrepublik Deutschland am Beginn des Jahres 1981 zeigen mit aller Deutlichkeit, daß die Energiepolitik der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode eine Schlüsselfunktion für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes einnehmen wird.
Die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen wird auch darum besorgt sein müssen, daß angesichts der Lage auf dem Weltenergiemarkt und insbesondere der Situation der Länder der Dritten und Vierten Welt ohne konsequente und entscheidungsfreudige Energiepolitik mittel- und langfristig friedens- und sicherheitsgefährdende Verteilungskämpfe nicht ausgeschlossen werden können.
Zu Recht hat daher der Bundesminister der Finanzen dem Problem der Energiesituation in unserem Lande einen breiten Raum seiner Ausführungen gewidmet. Die FDP-Fraktion begrüßt es nachdrücklich, daß in diesen Darlegungen, wie es auch schon in den Ausführungen des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung vom 24. November vergangenen Jahres zum Ausdruck kam, dem Wirken der Marktkräfte Priorität eingeräumt wurde. Dies bedeutet eine Absage an diejenigen, die leider allzuoft und allzuschnell dirigistischen Maßnahmen das Wort reden und leider wenig Vertrauen in die Vernunft und in marktkonformes Verhalten unserer Bürger setzen.

(Beifall bei der FDP)

Seit dem Beginn der zweiten Ölkrise hat sich die Situation der ölverbrauchenden Länder, vor allen Dingen der westlichen Industrieländer, nicht verbessert. Trotz Energieeinsparungserfolgen beim Erdöl sind die Ölrechnungen dieser Länder laufend gestiegen. Für unser Land sind der hohe Negativsaldo unserer Leistungsbilanz und der problematische Einfluß auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung die entscheidenden Folgen. Es wäre grob fahrlässig, j a geradezu unverantwortlich, zu verkennen, daß ausreichende und im Preis angemessene Energieversorgung die Voraussetzung zur Erreichung eines der wesentlichsten Ziele der 80er Jahre ist: der Wiederherstellung und Sicherung der Vollbeschäftigung.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, hiermit sind die Erhaltung eines angemessenen Wohlstandes, die Sicherung des sozialen Netzes, aber auch die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland verbunden.

(Erneuter Beifall bei der FDP)

Es zeigt sich heute, daß unsere Politik noch stärkere Anstrengungen als bisher unternehmen muß, um über die Energiepolitik die genannten Ziele zu erreichen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Weltweit steigender Energiebedarf, vor allem auch bei den Entwicklungsländern, ein auf lange Sicht stagnierendes und sich verteuerndes Angebot von Mineralöl, mögliche Verteilungskämpfe und eine zu befürchtende Vergrößerung des Nord-SüdGefälles markieren den Rahmen für unseren politischen Handlungsbedarf. Die wichtigsten Vorkommen an Mineralöl und auch wichtige Vorkommen an Erdgas liegen zudem — das dürfen wir nicht verkennen — in sicherheitspolitisch gefährdeten Regionen.

(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

Auch dieser Tatsache müssen wir bei unseren zukünftigen energiepolitischen Entscheidungen Rechnung tragen.
Binnenwirtschaftlich belasten die steigenden Preise nicht nur die Zahlungs- und Leistungsbilanz, sie beeinträchtigen auch in zunehmendem Maße und immer stärker das gesamtwirtschaftliche Geschehen. Deshalb muß die Energiepolitik der 80er Jahre neben der Forderung nach Einsparung von Energie und rationeller Energieverwendung eine stärkere Nutzung heimischer Energieträger und moderner Energietechniken zum Inhalt haben. Wir dürfen jedoch nicht übersehen, daß trotz der bisherigen Erfolge und weiterer erforderlicher Anstrengungen der Einsparung von Energie letztlich Grenzen durch Restriktionen technischer, wirtschaftlicher und sozialer Art gesetzt sind.
Die geographische Lage unseres Landes bringt es weiterhin mit sich, daß ein großer Teil unseres Energieverbrauchs auf die Wärmebereitstellung entfällt. Daher liegen die Einsparmöglichkeiten beim Mineralölverbrauch nicht in erster Linie beim Kraftfahrzeugverkehr und der Nutzung des Öls als Rohstoff, sondern im Wärmemarkt.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb ist auch ein Zurückdrängen des Öls aus den privaten und öffentlichen Kesseln notwendiger als je zuvor.

(Erneuter Beifall bei der FDP)

Der Einsatz von Strom, von Fernwärme, von Wärmepumpen und die Nutzung alternativer Energiequellen muß gerade hier einsetzen.

(Sehr richtig! bei der FDP)

Die aufgezeigte Problemstellung mit ihren Auswirkungen auf die Energieversorgung im allgemeinen und die allgemeinen wirtschaftspolitischen Ziele erfordert Lösungen, die die umfassenden Wechselwirkungen zwischen Energie-, Wirtschafts-, Währungs-, Sozial- und Sicherheitspolitik berücksichtigen. Dies erfordert zum einen ein internationales gemeinsames Vorgehen der gleichermaßen Betroffenen in den übrigen westlichen Industrieländern. Erforderlich ist aber vor allem eine konsequente Nutzung aller alternativen Optionen im nationalen Rahmen.
Die Energiepolitik der Freien Demokraten räumt der sparsamen und rationellen Energieverwendung



Beckmann
höchste Priorität bei der Verfolgung ihrer energiepolitischen Ziele ein.

(Beifall bei der FDP)

Ich begrüße es, daß die Bundesregierung unsere diesbezüglichen Vorstellungen in der Zwischenzeit zum großen Teil in die Praxis umgesetzt hat. Wir haben auch im Bereich der Energieeinsparung immer wieder auf die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien — flankiert durch gesetzliche Maßnahmen — hingewirkt. Die erzielten Erfolge auf diesem Gebiet sprechen für die Richtigkeit und die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges.
Vor dem bekannten Hintergrund der internationalen Versorgungslage, insbesondere beim Mineralöl, wird das durch die jüngsten vorliegenden Zahlen über den Ölverbrauch im Jahre 1980 im Vergleich zum Vorjahr bestätigt. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich in 1980 der Ölverbrauch um 16,7 Millionen Tonnen oder 11,6 % auf 127,3 Millionen Tonnen reduziert. Damit ist der Anteil des Mineralöls am gesamten Primärenergieverbrauch auf knapp 48 % gegenüber noch 51 % im Jahr 1979 sowie gar 55% im Jahr 1973 zurückgegangen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der Winter war nicht so kalt!)

Als ein Erfolg der bisherigen Politik ist weiterhin festzuhalten, daß der Verbrauch erstmals seit 1968 wieder die 50-%-Marke unterschritten hat. Dies ist um so bemerkenswerter, als von 197.3 bis 1980 ein reales Wirtschaftswachstum von 18 % erreicht wurde, der Bestand an Personenkraftwagen sich um 6,3 Millionen — gleich 37 % — erhöht hat und der Anteil zentral geheizter Wohnungen bei gleichzeitiger Zunahme der durchschnittlichen Wohnfläche von 50 auf 70 % gestiegen ist. Ich betone: dieser Erfolg wäre ohne das vernünftige und marktkonforme Verhalten der Verbraucher nicht möglich gewesen.
Dies wird besonders deutlich durch die Einsparungserfolge beim leichten Heizöl. Hier ist der Inlandsabsatz in 1980 gegenüber dem Vorjahr um 9 Millionen Tonnen gleich 18,6 % zurückgegangen. ,Diese Entwicklung bestätigt unsere Politik, die der selbstverantwortlich getroffenen Entscheidung des Bürgers unbedingt Vorrang vor dirigistischen Maßnahmen des Staates einräumt.
Ebenso zeigt die Entwicklung des Benzinverbrauchs, die trotz Zunahme des Pkw-Bestandes in den Monaten März bis Dezember 1980 stagnierte, daß der Verbraucher die energiebedingte Herausforderung angenommen hat.
Auch beim schweren Heizöl können wir 1980 einen Rückgang des Absatzes um 3 Millionen Tonnen oder 13,5 % feststellen. Einspareffekte und der Ersatz des schweren Heizöls durch Kohle und Erdgas waren hierfür maßgeblich bestimmend.
Doch trotz dieser unbestreitbaren Fortschritte, meine Damen und Herren, und der damit verbundenen rückläufigen Einfuhren an Mineralöl sehen wir uns einer auch 1980 weiter gestiegenen Devisenbelastung durch Ölimporte gegenüber. Die Nettoölrechnung der Bundesrepublik Deutschland wuchs im Vergleich zum Vorjahr um etwa 15 Milliarden
DM auf 60 Milliarden DM. Dieser Betrag kennzeichnet die Herausforderung, der wir uns gegenübersehen. Zwar sprechen die bisher erzielten Erfolge auf dem Gebiet der Energieeinsparung für die Richtigkeit und Fortsetzung des bisher eingeschlagenen Weges. Zusätzliche Maßnahmen zur Energieeinsparung sind aber auf Dauer nicht beliebig fort- und durchzusetzen. Sie bedürfen, wie die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" mehrheitlich feststellt, wie andere energiepolitische Maßnahmen auf der Energieversorgungsseite auch der Akzeptanz durch die Bevölkerung und durch die Wirtschaft.
Dies bedeutet: Neben der sparsamen und rationellen Energieverwendung und damit einer Reduzierung des Endenergiebedarfs von der Nachfrageseite her gilt es gleichzeitig, das Energieangebot zu erweitern und zu sichern. Dazu müssen insbesondere die heimischen Energiequellen ausgebaut und sinnvoll genutzt werden sowie die bereits auf einem hohen Standard zur Verfügung stehenden Energietechniken eingesetzt werden.
Die Kohlevorrangpolitik der Bundesregierung findet in dieser Forderung ihre Bestätigung. Mit Recht hat der Bundesfinanzminister ausgeführt, daß die Kohle ein Eckpfeiler der deutschen Energieversorgung bleibt. Für diese Politik ist ihm die Unterstützung der FDP-Fraktion sicher. Die für diese Politik in den Haushalt 1981 eingestellten Mittel dokumentieren die Kontinuität der Kohlevorrangpolitik auch für die Zukunft. Der Forderung nach Substitution von Importenergien durch Anwendung von neuen Kohletechnologien, insbesondere im Bereich der Kohleverflüssigung und Kohlevergasung, wird durch eine angemessene Förderung des Bundes Rechung getragen. Auch weiterhin wird eine finanzielle Unterstützung der Steinkohlebergbaureviere unseres Landes nötig sein, wenn wir die angestrebten Förderziele erreichen wollen. Wir müssen uns, meine Damen und Herren, aber auch darüber im klaren sein, daß die deutsche Steinkohle das Gebot „Weg vom 01" allein nicht erfüllen kann. Notwendig bleibt weiterhin der Zugriff auf die Importkohle. Dem hat die Bundesregierung ja in der vergangenen Legislaturperiode durch die Erleichterung der Kohleeinfuhrmöglichkeiten bereits Rechnung getragen. Wir werden mit großem Interesse verfolgen, inwieweit diese Einfuhrmöglichkeiten auch tatsächlich genutzt werden.

(Beifall bei der FDP)

Im übrigen müssen sich die Unternehmen des deutschen Steinkohlebergbaus realistischerweise angesichts der knappen Kassen darauf einrichten, daß auch sie einen angemessenen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Kohlevorrangpolitik leisten müssen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind sicher, meine Damen und Herren, daß auch heute schon die Bergleute und Bergassessoren, die Kraftwerker und Kaufleute des deutschen Steinkohlebergbaus mit Einsatzbereitschaft und Know how die Voraussetzung dafür schaffen, daß wir in



Beckmann
der Bundesrepublik nicht nur auch weiterhin Energiepolitik auf dem sicheren Fundament der heimischen Kohle gestalten können, sondern daß sich darüber hinaus in diesem Bereich mittel- und langfristig hervorragende Exportchancen für das vorhandene und noch zu erwerbende Know how ergeben werden.
Wenn wir das Öl, das bisher in den Wärmemarkt geht, weiter substituieren wollen, wird die Energiepolitik der Gebietskörperschaften auch an einem weiteren zügigen Ausbau von Fernwärmeversorgungsnetzen nicht vorbeikommen. Der Finanzminister hat in seiner Einbringungsrede darauf hingewiesen, und die Bundesregierung hat dem auch wie bereits in den vergangenen Jahren bei der Aufstellung des Haushalts für 1981 Rechnung getragen. Sie anerkennt damit den Tatbestand, daß sich der Anteil der Fernwärmeversorgung an der Energieversorgung im Interesse der Energieeinsparung und zugleich der Umweltverbesserung insbesondere in Ballungsgebieten ohne staatliche Flankierung nur sehr langsam erhöhen würde. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben sind allerdings hier auch die Länder gefordert. Mit Befremden — das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen — muß man in diesem Zusammenhang allerdings das Verhalten des Landes Schleswig-Holstein zur Kenntnis nehmen, dessen diesbezügliche Blockadepolitik geradezu befremdet.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir müssen aber auch vor Illusionen warnen. Die Kohle kann sowohl im Wärmemarkt als auch bei der Stromversorgung nicht alle Substitutionswünsche erfüllen. Einerseits sind die Fördermöglichkeiten des deutschen Steinkohlebergbaus nicht unbegrenzt, zum anderen wird die insbesondere in neuen großtechnischen Anlagen einzusetzende Importkohle die Preisentwicklung auf dem Weltenergiemarkt auf die Dauer adäquat nachvollziehen. Wir dürfen auch nicht verkennen, daß, auf Dauer gesehen, der Rohstoff Kohle zum Verbrennen zu schade ist. Soweit es unter umwelttechnischen, wirtschaftlichen und energetischen Gesichtspunkten vertretbar ist, sollte die Kohle durch Veredelungsprozesse einem höheren Verwendungszweck zugeführt werden.
In der weiteren Zukunft erscheint auch die Veredelung von Kohle zur Substitution von Erdöl und Erdgas in nennenswertem Umfang nur durch den Verbund von Kohle und Kernenergie energetisch sinnvoll. Dazu kann der Hochtemperaturreaktor als deutsche Entwicklungslinie eingesetzt werden. Dies sichert auch Produktion und Beschäftigung in der Industrie, erhöht Exportmöglichkeiten und schafft ein Feld für kontinuierliche Investitionstätigkeit.
Für die Verwirklichung der von der Bundesregierung angekündigten Absicht, 01, soweit es heute noch eingesetzt wird — das sind heute noch 7 %; wir stehen darin im internationalen Vergleich konkurrenzlos da —, und Erdgas künftig aus der Elektrizitätsversorgung zurückzudrängen, werden langfristig in der Hauptsache nur Kohle und Kernenergie zur Verfügung stehen. Auf Grund dieser versorgungspolitischen und industriepolitischen Bedeutung heißt es, Scheuklappen zu tragen, sich der Erfordernis des Zubaus von Kernkraftwerken im Rahmen des Bedarfs zu verschließen.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901809500
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID0901809600
Ich komme zum Ende.
Meine Damen und Herren, dies ist letztlich auch in den gemeinsamen Schlußfolgerungen der Enquete-Kommission für die Energiepolitik der 80er Jahre festgestellt worden. Optimale Sicherheitsstandards und der gesetzlich garantierte Rechtsschutz für den Bürger sind hierbei allerdings unabdingbare Grundlagen für die überfälligen Entscheidungen, ohne die der Ausbau der Kernenergie nicht zu verantworten wäre.
Die politische Verantwortung für unser Land, die gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise, sozialpolitische Verantwortung und die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen weisen der Energiepolitik für die kommenden Jahre eine Schlüsselfunktion zu. Alle Verantwortlichen sind aufgerufen, in diesem Hause und in der Bevölkerung die hierfür notwendige Einsicht und Akzeptanz zu schaffen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901809700
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0901809800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich benutze zunächst die Gelegenheit, um mich bei den energiepolitischen Sprechern aller drei Fraktionen für die Art und Weise zu bedanken, in der diese Debatte geführt worden ist. Das eröffnet die Aussicht, daß wir im Laufe dieser Legislaturperiode und bei der Beratung zur dritten Fortschreibung des Energieprogramms gemeinsam mehr Fortschritte machen können und mehr Übereinstimmung bekunden können, als das in der Vergangenheit der Fall war, obwohl in der Sache sehr weitgehend Übereinstimmung bestanden hatte. Sie wurde aber häufig durch Deklamationen überlagert.
Ich will mich — auch wegen der fortgeschrittenen Zeit — auf einige wenige Anmerkungen, zu Stichworten beschränken, die hier genannt worden sind.
Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben das Stichwort Voerde gebracht. Ich möchte sehr eindeutig aus meiner Position heraus sagen, daß ich die Übernahme öffentlicher Bürgschaften für Genehmigungsrisiken, die im Falle Voerde diskutiert wird und von Ihnen genannt worden ist, in jedem Fall für fatal hielte, nicht nur wegen Voerde, sondern wegen der Weiterung, die sich für alle öffentlichen Genehmigungsverfahren bei industriellen Vorhaben in Zukunft ergeben könnten.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich hielte dies ordnungspolitisch und wegen der finanziellen Belastungen und Risiken der öffentlichen Hand für einen schlechten und gefährlichen Weg.



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Zweitens im Zusammenhang mit Voerde: Es ist richtig, daß wir früher einmal die Notwendigkeit einer Revision des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unterstrichen hatten, aber eben vor der Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung in Sachen Voerde, die uns ja einen erheblichen Schritt weitergebracht hat und die uns — mit Recht, wie ich meine — die Entscheidung erleichtert hat, zunächst den Versuch einer Neuauflage einer Revision des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht vorzunehmen, obwohl wir uns darüber im klaren sind, daß zwei Punkte wünschenswert wären, nämlich der Luftreinhalteplan und die Sanierungsklausel; aber auch das sollte sich bei vernünftiger Handhabung und wünschenswerter Rechtsprechung eigentlich ohne Gesetzesänderung erreichen lassen.
In diesem Zusammenhang unterstreiche ich, was der Bundeskanzler und der Bundesinnenminister zur Frage der notwendigen Vorsorge für Standorte gesagt haben. Herr Wolfram, einen leichten Zweifel an für Investitionen bereiten Standorten auf diesem Gebiet möchte ich aber auch anmelden. Die sehe ich nicht, und zwar überall in der Bundesrepublik nicht. Aber dies ist doch der Kernpunkt. Die Standortvorsorge und die Standortentscheidung ist originäre Länderentscheidung. Der Bund muß selbstverständlich Hilfestellung leisten, muß mit den Ländern zusammenarbeiten. Ohne oder gar gegen die Länder ist hier überhaupt nichts zu erreichen, überhaupt nichts zu wollen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Die Notwendigkeiten der Energiepolitik, insbesondere der Energieinvestitionspolitik, sind eine Nagelprobe dafür, ob der im Grundgesetz angelegte Föderalismus gegenüber einem Problem funktionieren wird, das es bei Entstehen der Bundesrepublik in dieser Schärfe nicht gegeben hat.
Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben weiter das Stichwort Brokdorf genannt. Auch ich sehe es so, daß Brokdorf ein ganz wesentlicher Kernpunkt der Diskussionen zum Thema Kernenergie geworden ist und daß man sich mit ihm auseinandersetzen muß. Ich möchte noch einmal zitieren, was der Herr Bundeskanzler dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten im März vorigen Jahres zu diesem Thema geschrieben hat. Ich beschränke mich auf einen Satz:
Daher kann kein Zweifel bestehen, daß auch der Bau des Kernkraftwerkes Brokdorf mit der energiepolitischen Zielsetzung des Energieprogramms der Bundesregierung in Einklang steht.
Dabei bleibt es. Das ist die Meinung der Bundesregierung. Wir von der Bundesregierung werden diese Entscheidung und Politik des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten unterstützen. — Ich sehe Ihrem Gesicht an, daß Sie den Zwischenruf machen wollen: Was tun die regionalen und die Landesparteien in diesem Bereich?

(Dr. Riesenhuber [CDU/CSU]: Kennen Sie den Beschluß des Landesparteitages der FDP Schleswig-Holsteins?)

— Natürlich: Kennen wir, aber selbstverständlich, Herr Kollege Riesenhuber. Ich will auch gern ein Wort dazu sagen. Daß wir diese Entscheidung, diese Haltung aus der eben dargelegten Einstellung unserer Energiepolitik in Zusammenhang mit Brokdorf nicht begrüßen können, sondern für unglücklich halten, bedarf überhaupt keiner Erwähnung; das ergibt sich logisch.
Allerdings muß ich sagen, meine Damen und Herren, wenn Herr Strauß mir vorwirft, ich hätte mal auf den Landesparteitag der schleswig-holsteinischen FDP marschieren sollen, dann übersieht er — was er nicht unbedingt kennen muß — die Satzung eines solchen Landesverbandes. Dort habe ich kein Teilnahmerecht,

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) erst recht kein Rederecht.


(Zurufe von der CDU/CSU)

Im übrigen aber, meine Damen und Herren, möchte ich ausdrücklich unterstreichen und mich dafür bedanken, daß die drei schleswig-holsteinischen Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion auf dieser Veranstaltung ihrer Landespartei für die hier von mir vorgetragene Politik nachhaltig eingetreten sind, nämlich die Kollegen Ronneburger, Zumpfort und Zywietz. Wenn jeder Abgeordnete dieses Hauses — auch der CDU und der CSU —

(Zurufe von der CDU/CSU)

in seinem Wahlkreis den regionalen Protesten so entgegentreten würde, wie das dort geschehen ist, wären wir in der ganzen Sache ein Stück weiter.

(Beifall bei der FDP und der SPD —Dr. Riesenhuber [CDU/CSU]: Um so mehr muß der Kanzler nach Hamburg! Dort ist er Mitglied! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Ich füge hinzu,

(Zuruf von der CDU/CSU: Was ist mit dem Abgeordneten Schmidt [Hamburg]?)

daß die Bundesregierung, sollte es auf Grund und als Folge der Diskussionen, die jetzt geführt werden, zu einem Zurückziehen der Hamburgischen Elektrizitätswerke aus der Baugesellschaft für Brokdorf kommen, die Tochtergesellschaft der VEBA, nämlich die PREAG, zwar nicht anweisen wird — das kann sie nicht; das wirtschaftliche Risiko muß die PREAG selber entscheiden —, aber ihr die notwendige politische Ermunterung geben wird, an Stelle von HEW in die Betreibergesellschaft einzutreten, um damit den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf zu sichern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nun zu einem zweiten Problemkreis, Herr Kollege Riesenhuber, nämlich zu den Einsatzmöglichkeiten von Kernenergie, Kohle, Gas und Öl in der Bundesrepublik. Wenn Sie mit Recht von Leistungsbilanzdefizit sprechen und es zu einem guten Teil auf die Öleinfuhren zurückführen, dann muß man eben sehen, daß die Energieversorgung zur Entlastung des Leistungsbilanzdefizites nur auf Kohle und Kern-



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
energie beruhen kann. Gas und Öl müssen importiert werden.

(Zuruf von der SPD: Abwärme!)

— Das gehört dazu. Aber Abwärme kann auch nur durch eine Primärenergie erzeugt werden, die Sie erst einmal haben müssen. Abwärme ist nicht Primärenergie.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn die auf der Basis von Öl und Gas beruht, belastet sie auch die Leistungsbilanz. Ich bin für Abwärme. Aber das löst diese Frage nicht.
Weil das aber so ist und wir uns aus den Abhängigkeiten nicht befreien können — mit Recht hat der Kollege Beckmann vorhin davon gesprochen, daß wir unsere Abhängigkeit verringern müssen; aber wie wollte es die Bundesrepublik Deutschland jemals schaffen, sich aus der Abhängigkeit von Primärenergie zu befreien? —, müssen wir die Politik verfolgen, den Einsatz von Primärenergien zu diversifizieren und damit das Risiko zu verteilen.
Das gilt auch für das Erdgasröhrengeschäft. Ich verkenne nicht die sicherheits-, die versorgungspolitischen Argumente, die Liefersicherheit aus einem solchen Geschäft, den Risikoanteil aus einem solchen Geschäft. Aber wenn ich manche Kommentare bei uns im Lande lese, dann habe ich den Eindruck, wir brauchten das Erdgas nicht aus der Sowjetunion zu importieren, sondern wir könnten das in Bargteheide oder Ottobrunn fördern; und da können wir es doch nun mal eben nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Selbstverständlich hat die Bundesregierung nicht die Absicht, für ein solches Geschäft mit Zinssubventionen anzutreten. Das widerspricht unserer Exportförderungspolitik generell, und das bleibt selbstverständlich auch in diesem Falle so. Aber wenn ich mir ansehe, daß das Dreiecksgeschäft Iran aus politischen Gründen nicht zustande kommen konnte, dann ersetzt das neue — wenn Sie es so nennen wollen — Risiko einer Belieferung aus der Sowjetunion den Risikofaktor, der aus dem Dreiecksgeschäft Iran via Sowjetunion in die Bundesrepublik ohnehin vorhanden gewesen ist. Wenn ich mir außerdem die Sicherheit der Belieferung vieler anderer Versorgungs- und Produzentenländer gerade auf dem Gebiet des Erdgases ansehe, dann ist beim Abwägen der Risiken das eine Risiko vielleicht anders gestaltet und anders konstruiert, aber ob es im Endeffekt größer ist als das aus dem Erdgasröhrengeschäft, über das zur Zeit verhandelt wird, darüber, meine ich, kann man lange diskutieren. Wir halten unsere Entscheidung aufrecht, dieses Geschäft zu fördern, wenn es sich in dieser Größenordnung hält, und das ist die Absicht.
Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben gesagt, sieben Jahre seien vergeudet worden. Ich bestreite das. Aber ich will nicht bestreiten, daß manches schneller hätte geschehen können und daß es wünschenswerter gewesen wäre, manches wäre schneller geschehen. Dennoch — ich will nicht die Zahlen wiederholen, die Herr Beckmann zutreffend vorgetragen hat — stehen wir im internationalen Vergleich mit den Ergebnissen unserer Energiepolitik durchaus so da, daß wir uns sehen lassen können. In der Internationalen Energie-Agentur haben wir immer wieder gute Noten erhalten. Das soll uns nicht beruhigen; denn das Leistungsbilanzdefizit bleibt eine drohende und große Herausforderung. Deswegen müssen gerade auf dem Gebiet der Energiepolitik weitere Fortschritte erzielt werden. Wir werden uns darum bemühen und eine solche Politik betreiben. Aber man muß auch sehen, daß eine Wirtschaft wie die der Bundesrepublik — und aller industrialisierten Länder —, die 30 Jahre lang auf der, wie wir heute wissen, falschen Annahme aufgebaut worden ist, 01 sei billig und unendlich vorhanden, nicht in wenigen Jahren umgedreht und umstrukturiert werden kann, weil die Investitionen im Energiebereich, sowohl auf der Produzenten- wie auf der Verbraucherseite, ihrer Natur nach niemals kurzfristige Investitionen sind. Das gilt selbst für das Auto, auch für die Heizungsanlage im Einfamilienhaus. Solche Investitionen sind ihrer Natur nach mittel- bis langfristig, und das läßt sich deswegen auch nur im mittel- bis langfristigen Zeitraum ändern. Das ist der Grund dafür, warum wir den Produzentenländern immer wieder nahelegen: Wir verstehen eure Politik: hohe Preise für wenig Menge. — Wir würden auch nicht anders verfahren, wenn wir das könnten und 01 unser einziges nationales Gut wäre. — Aber gebt uns die notwendige Zeit für die Anpassung, die wir brauchen, um auf diese Herausforderung vernünftig und erfolgreich reagieren zu können. In dieser Zeitspanne liegt das große Problem, das wir in den 80er Jahren über die Energiepolitik hinaus in der notwendigen Anpassung der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland und anderer Länder an die neuen Gegebenheiten sehen.
In diesem Zusammenhang werden wir selbstverständlich versuchen, nach Diskussionen mit Ihnen im Spätsommer dieses Jahres die dritte Fortschreibung vorzulegen. Wir werden aber — Herr Kollege Riesenhuber, das sage ich nicht an Ihre, sondern an die Adresse Ihres Kollegen Schwarz-Schilling, auf dessen Äußerungen in einer der letzten Ausschußsitzungen ich damit zurückkomme — ganz gewiß nicht in der Fortschreibung amtliche Bedarfszahlen, amtliche Zahlen für die Preisentwicklung, amtliche Zahlen für den voraussichtlichen Verbrauch bis zum Jahr 1990 festlegen, wie es uns Herr Schwarz-Schilling empfohlen hat. Das ist weder Ordnungspolitik noch Marktwirtschaft, und es überschätzt die Prophezeiungsgabe des Staates und jedweder Bundesregierung ganz erheblich. In dieser Frage, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie in sich gehen und sich derselben Bescheidenheit hingeben, die wir gern exerzieren möchten. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901809900
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.

(Unterbrechung von 12.57 bis 14.00 Uhr)





Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901810000
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in unserer Arbeit fort. Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Franke das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901810100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter der Überschrift „Ohne Kurs und Kompaß — Die Krise der Sozial-Liberalen" schreibt Rainer Nahrendorf im „Handelsblatt" von gestern:
Das sozialliberale Bündnis ächzt in allen Fugen. Endzeitstimmung breitet sich aus. Noch keiner bundesdeutschen Nachkriegsregierung war in den ersten hundert Tagen ein solcher Fehlstart beschieden wie dieser SPD/FDP-Koalition des Mißvergnügens.
Wie recht er hat!

(Beifall bei der CDU/CSU — Topmann Das hat er 1977 auch schon gesagt! Nichts Neues! Er hat die falsche Rede dabei!)


(SPD): Jetzt liest er seine Rede von 1979 ab!

Für die Bürger unseres Landes ergeben sich aus der Politik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien SPD und FDP — ich sagte: „und FDP" —

(Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Traurig, aber wahr!)

eine Menge finanzieller Mehrbelastungen, die in manchen Bereichen ans Unzumutbare grenzen. Wenn ich so betont sagte „und FDP", dann deshalb, weil man, wenn man z. B. den Minister Lambsdorff aus dieser Bundesregierung von SPD und FDP — der von der FDP ist — hört, den Eindruck haben kann, er gehöre dieser Regierung gar nicht an und er kritisiere diese Regierung deshalb so heftig. Dabei ist die politische Entwicklung, die zu so hohen Belastungen für die Bürger führen wird, in den letzten elf Jahren natürlich von der FDP mitzuverantworten gewesen. Sie ist von ihr auch heute mitzuverantworten. Ihre vielgerühmte Korrektivfunktion ist in dieser Koalition nicht oder nur unzureichend sichtbar geworden.

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Nur die Wähler haben es gesehen!)

Da sagt in einem Gastkommentar für die Samstagsausgabe der „Westfälischen Nachrichten" der Minister Lambsdorff, das Gutachten — er bezieht sich dabei auf das Gutachten des Sachverständigenrats — stütze seine These, daß es jetzt vor allem darauf ankomme, Investitionshemmnisse abzubauen, die eine wirtschaftliche Belebung erschwerten. Im Wohnungsbau, im Kraftwerksbau und in der Kommunikationstechnik lägen Milliarden-Investitionen brach, die nicht nur die aktuelle Beschäftigung, sondern auch die Rahmenbedingungen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichern könnten.
Herr Lambsdorff, der Kritiker in der Regierung, hat für mein Empfinden mit dieser seiner Feststellung recht. Aber was tut er als Minister, um seine Erkenntnisse in die Tat umzusetzen? Er hält Sonntagsreden

(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Nein, sonntags nie! — Heiterkeit)

— aber sonst jeden Tag, nach Art von Sonntagsreden — und stimmt hier in Bonn gegen seine eigenen Vorstellungen, die in den „Westfälischen Nachrichten" in einem kleinen Teil richtigerweise wiedergegeben worden sind, oder er hilft nicht, sie zu realisieren.
Um welche Belastungen handelt es sich denn im einzelnen wegen der Unterlassungen, die auch der Herr Lambsdorff, Minister in der Regierung Schmidt/Genscher, Wirtschaftsminister, verantwortlich für Wirtschaft, damit auch für soziale Zuwächse oder Nicht-Zuwächse, zu vertreten hat? Ich kann das nur stichwortartig nennen in dreißig Minuten.
Sozialer und politischer Friede sind ein hohes innenpolitisches Gut. Zwanzig Jahre Regierungspolitik CDU/CSU von 1949 bis 1969

(Zuruf von der SPD: Sind zu lang!)

haben uns soziale und damit politische Stabilität gesichert. Als wir die Regierungsverantwortung 1969 auf Grund des Votums der Wähler und der Koalitionsabsprachen abgeben mußten, hatten wir natürlich die Befehle des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, in der Großen Koalition verabschiedet, erfüllt: Vollbeschäftigung — der Finanzminister hat von der Garantie der Vollbeschäftigung in seiner Rede Abstand genommen —, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, Preisstabilität und ein ausreichendes Wirtschaftswachstum. Man kann fünftens hinzufügen — das steht nicht so unmittelbar als Befehl im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz —, daß zu Stabilität auch ein ausgeglichener Bundeshaushalt gehört und nicht ein Haushalt, der über lange Jahre hinweg mit Schulden finanziert wird. Auch diesen Befehl hatten wir 1969 erfüllt; es ergab sich sogar ein Überschuß von etwa 2 Milliarden DM in der Bundeskasse.
Der unlösbare Zusammenhang von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ist doch von dieser Regierung aufgelöst worden. Die Sozialdemokraten bzw. Teile bei den Sozialdemokraten wollten die Belastbarkeit der Wirtschaft einmal ausprobieren. Das Ergebnis, meine Damen und Herren — daran haben Sie mitgewirkt —, sehen wir leider heute vor uns

(Beifall bei der CDU/CSU)

mit schlimmen Folgen für unsere Bevölkerung, egal, für welche Gruppen, ob Arbeiter und Angestellte, ob Rentner oder Unternehmer, alle sind betroffen und leiden unter der schlechten Politik dieser Regierung.
Was heißt das im einzelnen? Lassen Sie mich ein paar Beispiele aus der Rentenversicherung bringen. Ich möchte einen sehr sachverständigen Zeugen zitieren, Gerd Muhr, der im letzten Jahr Vorsitzender des Vorstandes des Verbandes der Rentenversicherungsträger war und hauptberuflich stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist. Der sagte in einem Presseseminar im Dezember 1980 — er bezog sich auf die Finanzlage der Rentenversicherung und auf das vorhergegangene 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz —:



Franke
In der Summe brachten die Maßnahmen der Konsolidierungsgesetze in den Jahren 1977 bis 1980 Entlastungen für die Arbeiter- und für die Angestelltenversicherung in Höhe von rund 60 Milliarden DM. Der die Rentenleistungen unmittelbar betreffende Teil führte andererseits aber auch dazu, daß das gesetzliche Rentenniveau im Jahre 1981 um 13,3 % niedriger liegt, als es bei unverändertem Leistungsrecht gelegen hätte.
Mit anderen Worten: „Wer im Jahre 1981 eine Rente von 1 500 DM erhält" — damit liegt er schon im oberen Drittel der Rentenempfänger, wenn er eine solche Rente erhält —, „hätte ohne diese Eingriffe eine Rente von 1 731 DM zu erwarten gehabt". Das heißt, meine Damen und Herren, daß dieser Teil der Bevölkerung, nämlich Rentner, und das sind 10 bis 11 Millionen unserer Bürger, wegen der Unterlassungen in der Wirtschafts- und in der Finanzpolitik ein solches Opfer in Höhe von insgesamt 60 Milliarden DM — der einzelne entsprechend der Höhe seiner Rente — leisten muß, um, wie Sie sagen, hier zu konsolidieren.
In diesem Presseseminar äußerte der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Gerd Muhr, auch seine Sorgen über die finanzielle Manipulation der Verschiebung von 3,5 Milliarden DM, als Bundeszuschuß an die Rentenversicherungsträger gedacht, jetzt an die Bundesanstalt für Arbeit nach Nürnberg. Dieser sachverständige Mann — ich glaube, ich trete ihm nicht zu nahe, wenn ich sage, daß er nicht Mitglied meiner Partei ist; aber den Sachverstand und seine hohe Anständigkeit darf ich ausdrücklich betonen — befürchtet, daß in Kürze finanzielle Schwierigkeiten bei den Rentenversicherungsträgern eintreten. Er beklagt, daß der Bundeszuschuß an die Rentenversicherung heute nur noch 16 % der Rentenausgaben deckt: 16% heute gegenüber 30 % im Jahre 1957, als die bruttolohnbezogene Rente von der CDU/CSU geschaffen wurde. Im Klartext heißt das, daß der Beitragszahler, der Arbeitnehmer mit seinen Beiträgen Staatsaufgaben mitfinanziert. Anders ausgedrückt: Die Verlagerung aus dem Bundeszuschuß, der in Höhe von 3,5 Milliarden DM für die Rentenversicherung gedacht war, bringt in Verbindung mit den zu erwartenden geringeren Lohnsteigerungen und erhöhter Arbeitslosigkeit die Rentenversicherung bald in finanzielle Schwierigkeiten.
Statt der im letzten Jahr bei den Rentenversicherungsträgern bis 1984 noch erwarteten Schwankungsreserve von etwa 3,5 Monatsausgaben rechnen die Rentenversicherungsträger heute für 1984 nur mit einer Monatsrücklage von 1,5 Monatsausgaben. Früher haben auch die Sozialdemokraten eine ausreichende Schwankungsreserve von drei Monatsausgaben für richtig gehalten. Der Verband der Rentenversicherungsträger hält diese Reserve ebenfalls nach wie vor für richtig. Wir sind uns einig. Wir als CDU/CSU sagen zusammen mit dem Verband der Rentenversicherungsträger: drei Monatsrücklagen. Durch die Verlagerung, die geringeren Entgeltsteigerungen in den nächsten Jahren und durch die geringeren Zuwächse am Arbeitsmarkt, was die Zahl der Beschäftigten angeht, wird die Schwankungsreserve auf 1,5 oder weniger herabsinken.
Das hat tiefgreifende Folgen. Was heute verabsäumt wird, wirkt sich in wenigen Jahren verheerend aus. Ich denke hier an die vom Verfassungsgericht aufgetragene Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung, der angestrebten 84er Lösung. Da hat uns das Verfassungsgericht einen besonderen Auftrag gegeben. Was sagt der amtierende Arbeitsminister zu diesem Komplex? Was sagt Herr Minister Ehrenberg zu dieser Frage? Vor ein paar Wochen, vor der letzten Bundestagswahl, vor seinem Parteitag in Essen — —

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Der schwätzt gerade!)

— Ich kann ihn nicht hindern, sich mit seinem Nachbarn zu unterhalten.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Der hat vorher „Asterxi" gelesen!)

Vielleicht kann ich seine Aufmerksamkeit erringen. Der arme Kerl lief dieser Tage mit einem blauen Auge durch die Gegend.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Aus einem Gasthaus kam er! — Heiterkeit)

Ich habe ihn darauf angesprochen, um von ihm zu hören: „Junge, woher kommt das?" Ich habe ihn mal so flapsig gefragt. Er antwortete scherzhaft: „Ich behaupte immer, der Franke hat mir draufgehauen." Ich sagte: „Es könnte stimmen, es ist das linke Auge." In Wahrheit ist es aber so, der arme Kerl ist gefallen, bei Glatteis ausgerutscht, und ich habe ihm gesagt, im Grunde genommen habe er in seinem Unglück ja noch Glück gehabt, es sei das linke Auge, und auf dem sei er ohnehin blind.

(Heiterkeit)

Was sagt der amtierende Arbeitsminister Ehrenberg dazu? Er sagt vieles und viel Widersprüchliches. Ich gebe nur einen kurzen Ausschnitt — 30 Minuten stehen mir nur zur Verfügung —

(Zurufe von der SPD) aus einer Wochenzeitung wieder: Herbert Ehrenberg

— so schreibt der „Spiegel" —
wird nicht müde, recht zu haben. Die Fähigkeit, aus eigenen Fehlern zu lernen, ist bei ihm nicht sonderlich ausgeprägt. Voller Zorn erinnern sich viele Sozialdemokraten an Ehrenbergs Auftritt vor den Delegierten des SPD-Wahlparteitages im Juni in Essen. Wohlversorgt mit Zahlen aus seinem Hause, annoncierte der Minister vielerlei Wohltaten, die bei der Rentenreform '84 abfallen würden, etwa eine Mindestrente, bei der jeder Rentner so behandelt wird, als habe er stets mindestens 75 % des Arbeitnehmereinkommens verdient, oder auch die Zusage üppiger Versorgung für die Rentenwitwen und -witwer.
Dann heißt es:



Franke
Das ist mit dem ab 1. Januar 1981 geltenden Beitragssatz von 18,5 % finanzierbar, sagte Ehrenberg
— soll er auf dem Parteitag gesagt haben —
und ließ die Mahner abblitzen. Er habe dieses mittel- und langfristig durchgerechnet.
Er hat dies mittel- und langfristig durchgerechnet. Heute geht das Geld nicht in die Rentenversicherung; es geht an die Bundesanstalt für Arbeit. Das hat er vor Essen mittel- und langfristig nicht durchgerechnet. Man mußte wissen, daß da ein großes Loch auftritt. Er hat hier seinen Parteitag, glaube ich, nicht richtig über die Entwicklung aufgeklärt. — Weiter heißt es im „Spiegel":
Nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen fühlten sich jene Genossen verschaukelt, die von Essen aus mit den von Ehrenberg amtlich angeblich genau durchgerechneten Versprechungen auf Stimmenfang gegangen waren. Das war alles vor der Wahl. Mangels Masse war von der langen Gabenliste nach dem Koalitionshändel nur eine allgemeine Willenserklärung übriggeblieben.
In dem Antrag für den SPD-Parteitag in Essen vor der Wahl 1980 stand:
Die Reform der Hinterbliebenenversorgung und der Ausbau der Renten nach Mindesteinkommen sind mit einem Beitragssatz in Höhe von 18,5 % ab 1. Januar 1981 finanzierbar (Mehreinnahmen rd. 3,5 Milliarden jährlich).
Hier ist auch die Rede von einem Erziehungsjahr. Darüber will ich im Augenblick nicht reden.
Es ist sicher: Wenn die Zahlen des Verbands der Rentenversicherer stimmen, reichen die 3,5 Milliarden, auch wenn sie ab 1982 bei den Rentenversicherungsträgern verbleiben, sicher nicht aus, um eine möglicherweise mit erhöhten Leistungen durchzuführende Rentenreform zu finanzieren. Das Ergebnis ist leider, daß die hier angegebene und inzwischen durchgeführte Beitragserhöhung indirekt dafür verwendet wird, das inzwischen bei der Bundesanstalt für Arbeit aufgetretene Finanzloch teilweise zu decken.
Es findet also keine „Vorfinanzierung" der geplanten Reform der Hinterbliebenenversorgung statt. Die durchzuführende Reform findet entweder nicht in dem erwarteten Ausmaß statt oder ist nur mit erheblichen Beitragserhöhungen zu finanzieren oder nur zu Lasten des Rentenniveaus, also zu Lasten der Renteneinkommen, die ohnehin durch das 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz gesenkt worden sind, zu verwirklichen.
Das sagte vor der Wahl am 25. August 1980 der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herbert Wehner:
Wir machen keine Sprüche. Wir haben außerdem unser Programm zur zukunftsgerechten Weiterentwicklung der Alterssicherung, beschlossen auf dem außerordentlichen Parteitag im Juni 1980. Da stellen wir uns den neuen Herausforderungen und bringen unsere Vorschläge und unsere Absichten unter die Mitmenschen, wie wir den Spruch des Verfassungsgerichts er-
füllen wollen, daß vom Jahr 1984 an die Rentenversicherung so entwickelt werden muß, daß die Hinterbliebenenversorgung für Frauen und Männer gleichwertig wird. Wir sind die einzige politische Partei, die dafür ein nachrechenbares Programm vorgelegt hat.

(Beifall bei der SPD)

Inzwischen sind die Milliarden weg, meine Damen und Herren von der SPD. Übrigens sind Sie nicht die einzige Partei gewesen. Es haben sich alle drei Parteien die Mühe gemacht. Ich sage das nur, damit wir das klarstellen. Aber inzwischen sind die Milliarden, die Sie dafür mitverwenden wollten, nämlich die Beitragserhöhung von 0,5 % zur „Vorfinanzierung" dieser strukturverbessernden Maßnahmen, verfrühstückt — wenn ich das mit diesem flapsigen Ausdruck feststellen darf.

(Beifall bei der CDU/CSU— Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

Herbert Wehner sagte weiter:
Wir sagen deutlich: Die Hinterbliebenenversorgung auf der Grundlage der Gleichberechtigung von Mann und Frau wird neu geordnet. Wir haben auch in den Zahlen dargelegt und sagen: Die partnerschaftliche Verantwortung für die nachwachsende Generation durch Anerkennung von Erziehungszeiten wird gestärkt.
Dann sagt er im gleichen Referat in anderem Zusammenhang:
Wir halten es für unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß breiten Schichten unseres Volkes bewußt wird: Sozialdemokraten halten Wort, auch unter widrigen Wetterverhältnissen.
Kein halbes Jahr ist vergangen, und schon ist das Geld weg. Unter „widrigen Wetterverhältnissen", Herr Wehner, sind wir leider nicht in der Lage — ich glaube, es ist Ihnen ein Herzensanliegen gewesen —, das zu finanzieren, was wir uns im Grunde genommen gemeinsam vorgestellt haben.
Sie wissen, meine Damen und Herren, wie es dann weitergeht. Herr Wehner schmiß die Arbeit als Vorsitzender der Sozialkommission der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hin. Er, Herr Wehner, könnte, wie der König August von Sachsen, sogar auf ursächsisch gesagt haben: „Macht euren Dreck alleene!" So sollen Sie das dem Vorstand — zumindest denkenderweise — hingeschmissen haben.

(Abg. Wehner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Der „Spiegel" — Herr Wehner, wenn ich das eben noch sagen darf — kommentierte dann — ich zitiere nur die Überschrift —:
SPD mordsmäßig in Wut. Herbert Wehners Groll gegen Helmut Schmidt wächst.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Von Stunde zu Stunde!)

Er verzichtete demonstrativ auf den Vorsitz in der Sozialkommission der SPD.



Franke
Die „Frankfurter Rundschau" kommentierte: „Wehners Signal".

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901810200
Herr Kollege Franke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901810300
Aber gern, ich habe sie sogar erwartet.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0901810400
Ich beziehe mich nicht auf das, was Sie „Spiegel" nennen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich selbst lehne jede Verantwortung für das ab, was mir vom „Spiegel" — in fast jeder Behandlung meiner Person — in den Mund gelegt wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen!)

— Ich bitte Sie um Entschuldigung, darf ich nicht meine Frage auch begründen? Wer sind Sie eigentlich in diesem Parlament, daß Sie sich das erlauben können?

(Beifall bei der SPD)

Daß ich umständlich bin, leugne ich gar nicht.
Ich will zur Tatsache, zu dem, was Sie hier als eine Feststellung in das Parlament bringen, sagen und Sie auch fragen, ob Sie z. B. mit dem, den Sie hier zitieren, vorher gesprochen haben. Denn dann hätten Sie erfahren, daß er nicht „hingeschmissen" hat, sondern daß er, nachdem die Arbeitsgruppe „Sozialpolitisches Programm" ihre Arbeit erledigt hatte und sie nunmehr nach einem Beschluß des Vorstands der Sozialdemokratischen Partei in Fortsetzung dessen, was — abgesehen von der Rentenreform in der Hinterbliebenenversorgung, die von 1984 an zu gelten hat — sonst noch zu machen ist, eine weitere Arbeit leisten soll, dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gesagt hat: Ich möchte das, bitte, nicht. Zwar habe ich einen anderen Vorschlag gemacht, aber ich stehe, wenn ich es einrichten kann, in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der SPD-Fraktion jederzeit zu jeder Mitarbeit in dieser Kommission zur Verfügung.
Ich möchte nur wissen, ob Sie es nicht für sinnvoller gehalten hätten, mit dem, den Sie jetzt zum Gegenstand von Ausführungen machen, die Sie nicht erfinden, sondern die Sie übernehmen und dadurch den Eindruck entstehen lassen, als sei das glaubhaft und glaubwürdig, zu sprechen. Ich wollte nur, da so etwas hier im Bundestag in eine Haushaltsdebatte hineingebracht wird, die Gelegenheit benutzen, mit meiner Frage an Sie dazu beizutragen, Tatsachen zu klären.

(Lachen bei der CDU/CSU)

— Sie feixen über andere Menschen. Ich lache zwar auch manchmal, aber das Feixen über andere Menschen ist eine ganz besondere Leidenschaft und Eigenschaft manch anderer Person.

(Beifall bei der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901810500
Herr Kollege, meine Damen und Herren, das war eine sehr ausführliche Frage, wie sie in der Geschäftsordnung eigentlich nicht vorgesehen ist. Aber ich denke, der Gegenstand erheischt es, daß wir hier etwas großzügig sind. Das ist gestern ja auch geschehen.

(Abg. Haase [Kassel] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, erst hat der Redner das Recht und die Pflicht zu antworten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901810600
Ich glaube, die Frage des Kollegen Haase steht im Zusammenhang mit dem Vorhergehenden. Ich werde dann versuchen, auf beides zusammen einzugehen, auf die Frage des Kollegen Haase und die Bemerkungen des Herrn Wehner.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901810700
Sie erlauben also eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase? — Bitte sehr.

Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0901810800
Herr Kollege Franke, darf ich Sie fragen, ob Sie die Güte haben würden, Herrn Wehner zu fragen, warum er mich gestern, als ich nur 10 % der Zeit — —

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901810900
Herr Kollege Haase, das ist eine Dreiecksfrage, die nach unserer Geschäftsordnung nicht zugelassen ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Sie können aber eine Frage an den Redner stellen.
Haase [Kassel] (CDU/CSU): Herr Kollege Franke, ich darf Sie fragen, warum mich der Kollege Wehner gestern gescholten hat, als ich nur 10 % der Zeit, die er jetzt benutzt hat, für eine Frage benötigte, die auf derselben Etage angesiedelt war wie die Frage, die er soeben formuliert hat.

(Zurufe von der SPD)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901811000
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Haase, ich bedaure oft, daß der Herr Kollege Wehner hier im Parlament Sonderrechte für sich in Anspruch nimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bedaure das. Ich bin ihm nicht gram, aber ich halte das nicht für einen guten Stil. Wir müssen halt mit dieser Tatsache leben.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

Verehrter Herr Kollege Wehner, ich glaube, daß Sie einen Groll gehabt haben müssen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Der ist noch da! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er grollt ja immer!)

Ich habe mit Ihnen nicht darüber gesprochen. Sie müssen einen Groll gehabt haben, denn wenn ich die Ausgangsposition Ihres Sozialprogramms sehe — ich habe es hier; ich kann es nicht vortragen — und mit dem Stuttgarter Vorstandsbeschluß Ihrer Partei vom letzten Jahr vergleiche — ich glaube, das war im Februar — und mit dem, was der Parteitag letztlich daraus gemacht hat,

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Was übriggeblieben ist!)




Franke
und schließlich mit dem, was Sie heute in Ihr Regierungsprogramm hineingeschrieben haben, dann würde es mich — hier steht: „Mordsmäßige Wut" —„mordsmäßig" enttäuschen, wenn Sie im Hinblick auf das Ergebnis Ihrer Arbeit keinen Groll gehabt hätten. Aus dem Elefanten, den Sie dort machen wollten, ist nur ein ganz kleines Mäuschen an sozialpolitischen Reformmaßnahmen geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Eine Micky-Maus!)

Sie enttäuschen mich, Herr Kollege Wehner, daß Sie nicht grollen, daß Sie nicht böse sind über das Ergebnis, das letztlich in die Regierungserklärung hineingeschrieben worden ist, und über das, was wir jetzt heute hier vorfinden.
Ich wiederhole: Den Rentenversicherungsträgern ist klar, daß die „Reform '84" aus dieser Beitragserhöhung nicht „vorfinanziert" werden kann. Die Schwankungsreserve beträgt 1984 1,5 Monatsausgaben. Da ist zusätzlich keine weitere Mark lockerzumachen. Das, meine Damen und Herren, ist im Ergebnis leider — wenn man die vorherigen Ankündigungen mit dem vergleicht, was nachher herausgekommen ist — die Rententäuschung Nummer zwei. Der Bürger hat das Nachsehen.
Im Bereich der Rentenversicherung gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Risiken. Darüber ist in der Regierungserklärung und in der Erklärung des Finanzministers nichts zu hören und nichts zu lesen. Vielleicht wird der Herr Bundesarbeitsminister gleich einige Worte dazu sagen. Es gibt Risiken, etwa die gestiegene Lebenserwartung. Ich habe mir erlaubt, Ihrem Hause eine Untersuchung, die ich zusammen mit einem fleißigen Mitarbeiter aus unserer Fraktion erstellt habe, zugeschickt. Wir wissen, daß jedenfalls viele -zig Milliarden oder gar hundert Milliarden DM an zusätzlichen Belastungen für die Rentenversicherung in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden. Sie dürfen auch nicht übersehen, daß der Bericht der Bundesregierung davon ausgeht, daß im laufenden Jahr 1981 1,085 Millionen Arbeitslose zu erwarten sind. Wir wissen, daß die Zahl in diesem Jahr wesentlich höher liegen wird. Wir wissen, daß 100 000 Arbeitslose zusätzlich 1 Milliarde DM Arbeitslosenunterstützung kosten, und wir wissen, daß der Bundeshaushalt nicht in der Lage ist, das zu finanzieren. Nur so ist die Verschiebung von Zuschüssen für die Rentenversicherung an die Bundesanstalt für Arbeit zu erklären.
Und nun zu einem anderen Thema. Ich muß schnell sprechen, weil die Zeit dahingegangen ist. Uns liegt unter der Drucksache 9/51 der Finanzplan des Bundes für 1980 bis 1984 vor. Grundlage waren die finanzpolitischen Entscheidungen — —

(Abg. Lutz [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte, verehrter Herr Kollege Lutz, ich hätte eigentlich nur noch zwei Minuten Redezeit. Geben Sie mir bitte die Gelegenheit, meine Ausführungen einigermaßen vollständig zu beenden.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901811100
Herr Kollege Franke, Sie werden für die Unterbrechungen vorhin reichlich entschädigt werden. Daran soll es nicht liegen, wenn Sie die Frage ansonsten zulassen wollen.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das ist großzügig!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901811200
Herr Präsident, ich danke Ihnen. Der Kollege Lutz darf mir eine Frage stellen.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID0901811300
Herr Franke, ich würde gern von Ihnen wissen: Erfahren wir heute noch von Ihnen, wie Sie die Finanzen der Bundesanstalt für Arbeit in Ordnung bringen wollen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901811400
Aber lieber Herr Kollege Lutz, Sie müssen am Anfang meiner Rede nicht im Raum gewesen sein.

(Lutz [SPD]: Doch!)

— Dann haben Sie nicht zugehört; ich weiß, daß Sie es verstehen, wenn Sie wollen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Lutz [SPD])

— Dann haben Sie es wahrscheinlich akustisch nicht vernommen. — Ich habe auf den Zusammenhang von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik hingewiesen. Ich möchte mir erlauben, noch einmal darauf hinzuweisen, daß, wenn eine vernünftige Wirtschaftspolitik nicht betrieben wird und Freisetzungen, d. h. Arbeitslosigkeit entsteht, natürlich die Sozialpolitik durch die Finanz- und Wirtschaftspolitik dieser Regierung letztlich nicht gewährleistet werden kann. Das ist eine Frage der Politik dieser Regierung. Wenn außenwirtschaftliche Nachfrage nachläßt, muß man natürlich binnenwirtschaftliche Nachfrage nach Möglichkeit anzukurbeln versuchen. Ich habe mich soeben auf Graf Lambsdorff bezogen; ich will es noch einmal für diese Seite wiederholen: Wenn Sie z. B. im Kraftwerksbau, bei der Wohnungswirtschaft oder in der Kommunikationstechnik aus politischen oder aus ideologischen Gründen nicht in der Lage sind, Milliarden DM freizusetzen, dann erzeugen Sie Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

Und wenn Sie Arbeitslosigkeit — — Sie schütteln den Kopf; Sie sind ein neuer Kollege. Vielleicht lassen Sie sich von Ihrem sehr sachverständigen Nachbarn einmal erklären, wie das zusammenhängt, nicht wahr?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wer das versäumt, der versäumt auch, dafür zu sorgen, daß Beiträge für die Rentenversicherung, für die Arbeitslosenversicherung und für die Krankenversicherung ausreichend fließen. Für diejenigen, die übrigbleiben, kommen dann höhere Belastungen ins Portemonnaie, die fast an die Grenze der Belastbarkeit gehen. Das habe ich vorhin mit „Wirtschaftspolitik" gemeint.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901811500
Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz, Herr Kollege Franke?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901811600
Herr Präsident, ich hoffe gleich auf Ihre Güte.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID0901811700
Nur eine letzte Frage, Herr Kollege Franke: Betrachten Sie Ihre allgemeinen Auslassungen zu Beginn Ihrer Rede als Finanzierungsvorschlag oder Deckungsvorschlag?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901811800
Herr Kollege Lutz, Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß man die Rahmenbedingungen für eine solche Wettbewerbstätigkeit und Beschäftigungsmöglichkeit schaffen muß. Die kann nur die Politik setzen. Das heißt, die Mehrheit in diesem Hause kann nur die Ausgangsposition dafür schaffen, daß wir genügend Beschäftigung und ein genügend sozial abgesichertes System in der Bundesrepublik Deutschland haben. Wir müssen, um unsere hohen sozialen Lasten finanzieren zu können, Vollbeschäftigung haben, weil wir sonst mit den Kriegsfolgen und den sich daraus ergebenden Folgen in der Bundesrepublik Deutschland nicht fertig werden. Aber dafür haben Sie nicht die Voraussetzungen geschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zurück zu den finanzpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung vom 16. Dezember 1980! Mit der Drucklegung und der Verteilung der Drucksache 9/51 — sie liegt auf Ihren Tischen — ist das schon Makulatur geworden; das, was hier auf dem Tisch liegt, ist nicht mehr Wirklichkeit. Wenn Sie mögen, meine Damen und Herren, schlagen Sie doch bitte einmal Seite 9 auf. Was dort steht, ist durch die Entwicklung der letzten vier Wochen und der letzten 24 Stunden schon überholt. Die FDP trägt das mit. Schließlich ist es ihr Wirtschaftsminister, der diese Zahlen am 16. Dezember ins Kabinett eingespeist hat, die dann der Öffentlichkeit zugeführt worden sind. Dort, auf Seite 9, steht unter 3.1.4.:
Für 1981 wird mit knapp 1,1 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt gerechnet.
Bitte, schlagen Sie heute die Zeitungen auf! Wir wissen, daß das Kabinett sich gestern auf nahezu 1,2 Millionen korrigiert hat. 100 000 Arbeitslose kosten 1 Milliarde Arbeitslosenversicherung. 100 000 Arbeitslose „erwirtschaften" etwa 1 Milliarde DM weniger Steuern und sonstige Abgaben. Das schlägt auf die Gemeinden und auf die Länder durch. Diese Regierung hat nicht gehandelt.
Dann steht etwas weiter darunter, daß 1980 ein Zuschuß zur Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 3,43 Milliarden DM ausgegeben worden ist. Für 1981 sind es 7 Milliarden DM. Diese Zahl ist nicht mehr richtig. Die Zahlen sind gestern korrigiert worden. 100 000 Arbeitslose kommen hinzu. Es kommt also nach der Schätzung der Bundesregierung mindestens noch 1 Milliarde zu den 7 Milliarden DM Zuschuß zur Bundesanstalt für Arbeit hinzu.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das reicht nicht!)

Ich persönlich glaube, man darf nicht schwarzmalen, aber man muß realistisch versuchen, die Zahlen umzusetzen, die dort vorliegen. Ich glaube, daß diese Zahlen leider nicht ausreichen.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

Angesichts dessen, was die Bundesanstalt für Arbeit und was der Direktor des Forschungsinstituts der Bundesanstalt für Arbeit, Professor Dieter Mertens, dieser Tage gesagt hat, stelle ich fest: Dieser Sachverständige befürchtet in einigen Monaten in diesem Jahre zwei Millionen Arbeitslose. Meine Damen und Herren, 100 000 kosten 1 Milliarde DM Zuschuß zur Arbeitslosenversicherung!
Dann steht dort noch klein auf Seite 9:
Dies sind über 5 Mrd. DM mehr gegenüber bisherigem Finanzplan.
Es ist der Finanzplan, der vor dieser Finanzplanung zum Dezember des letzten Jahres herausgegeben worden war. Vom Dezember bis heute hat sich das so entwickelt, daß ich glaube und befürchte, daß allein für das Jahr 1981 noch etwa 2 bis 2,5 Milliarden DM und in dem Veranlagungszeitraum von 1981 bis 1984 etwa 8 bis 10 Milliarden DM zusätzliche Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt gegeben werden müssen; oder es stehen Beitragserhöhungen ins Haus. Das bedeutet allein für 1981 2 bis 3 Milliarden DM mehr. Ich werde Ihnen die einzelnen Zahlen jetzt hier nicht vortragen. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf die Drucksache, die natürlich schon überholt ist. Schreiben Sie bitte die Zahlen dazu, die heute auf dem Tisch des Hauses liegen!
Lassen Sie mich noch folgende Bemerkung machen. Auch die Zahl der Kurzarbeiter wird gegenüber der Annahme der Bundesregierung steigen. 100 000 Kurzarbeiter kosten etwa 400 Millionen DM. Die Zahl von 300 000 Kurzarbeitern ist viel zu gering.
Wenn ich an die Perspektive der 80er Jahre denke, wenn ich daran denke, daß in den 80er Jahren auf uns die geburtenstarken Jahrgänge zukommen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, wenn ich daran denke, daß wir eine Steigerung des realen Bruttosozialprodukts von 2 % bis zur Mitte der 80er Jahre haben werden — was schon eine sehr optimistische Annahme ist —, dann meine ich, daß es leider so sein wird, daß wir trotz dieser realen Zunahme des Bruttosozialprodukts von etwa 2 % nach einer Schätzung des DIW etwa 2 Millionen Arbeitslose in der Mitte der 80er Jahre haben werden. Die Ausgangsposition dieses Jahres ist außergewöhnlich schlecht. Diese Ausgangsposition führt zu ganz sorgenvollen Annahmen für die 80er Jahre.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901811900
Herr Kollege Franke, Sie sind für die Unterbrechung vorhin reichlich entschädigt worden. Die Redezeit ist in der Zwischenzeit so weit überschritten, daß ich Sie bitten möchte, zum Schluß zu kommen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901812000
Jawohl, Herr Präsident, ich bin sofort fertig.
Ich darf Ihre Aufmerksamkeit z. B. auf die Krankenversicherung lenken, die in diesem Jahr in eine schwierige Situation gerät. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit z. B. darauf lenken, daß bei der Verabschiedung des Mutterschaftsgesetzes 1979 zugesagt wurde, eventuell die Finanzierung für die Krankenversicherungsträger über das Jahr 1981 hinaus letztlich aus dem Bundeshaushalt vorzunehmen. Wenn Sie in



Franke
die mittelfristige Finanzplanung — das ist die Vorlage, die Sie vor sich auf dem Tisch liegen haben — hineinschauen, stellen Sie fest, daß allein durch die Nichterfüllung dieser Verpflichtung, die 1979 eingegangen wurde, im Bereich der Krankenversicherung und der Rentenversicherung zusätzliche Milliarden als Belastung entstehen. Das muß aus dem Beitragsaufkommen der Rentenversicherung und der Krankenversicherung finanziert werden.
Meine Damen und Herren, weil Sie es unterlassen haben, für Vollbeschäftigung zu sorgen, greifen Sie dem einzelnen Bürger in die Tasche.

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Zeche zahlt der kleine Mann, meine Damen und Herren. Das haben Sie, FDP und SPD, zu verantworten!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901812100
Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Glombig das Wort.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901812200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde — und ich glaube, daß dieses Empfinden auch von anderen Mitgliedern des Hauses geteilt wird, zumindest auf der linken Seite, aber auch auf der rechten Seite —, daß diese Rede des Kollegen Franke, die sich ja wohl zum achten Mal seit Bestehen der sozialliberalen Koalition wiederholt, d. h. uns in keinem Punkt etwas Neues gebracht hat, sich wirklich abhebt von der sachlichen Auseinandersetzung zu diesem Haushaltsplan 1981 in den vergangenen Tagen.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Die Misere wird ja immer schlimmer! — Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/CSU])

Lassen Sie mich das begründen. Herr Franke hat j a von dem guten Stil gesprochen. Sein Stil zeigt ganz deutlich, daß auf diesem Feld Form und Inhalt der Auseinandersetzung aus dem Wahlkampf von seiten der CDU/CSU fortgesetzt werden sollen.

(Pohlmann [CDU/CSU]: Kommen Sie mal zur Sache!)

— Das ist die Sache.

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das haben Sie jetzt zum zehnten Mal gesagt!)

— Ich muß das auch immer wieder sagen.

(Wehner [SPD]: Eugen, sich nicht provozieren lassen vom Clown vom Dienst! — Heiterkeit — Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, hier ist vom guten Stil die Rede.

(Burger [CDU/CSU]: Oh, das war eben guter Stil?)

Herr Kollege Franke hat ganz deutlich bewiesen, was er unter gutem Stil versteht, mit seinen Anspielungen auf das persönliche Mißgeschick von Bundesarbeitsminister Ehrenberg. Das war ja nun wirklich eine ganz billige Polemik.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Ja, das war der billige Versuch, vielleicht auch bei den Fernsehzuschauern Zustimmung oder Aufmerksamkeit zu erhalten.

(Burger [CDU/CSU]: Herr Glombig, was war denn nicht wahr an der Geschichte?)

— Ich finde, daß diese Art und Weise, über ein solches Mißgeschick hier zu reden, kein guter Stil ist.

(Beifall bei der SPD — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das ist doch ganz nett! Haben Sie keinen Sinn für Humor?)

— Das ist kein guter Stil. Darum geht es. Natürlich ist das alles wahr. Aber wie man das vorbringt, darauf kommt es an. Und das war je der Sinn der Geschichte.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901812300
Herr Kollege Glombig, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901812400
Ja, bitte schön.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901812500
Herr Kollege Glombig, meinen Sie nicht auch, daß man mit einer scherzhaften, ironischen Bemerkung — ich habe ausdrücklich bedauert, daß Herr Kollege Ehrenberg gefallen ist — doch etwas zur Auflockerung des ernsten Themas beitragen sollte? Haben Sie das vielleicht nicht etwas zu ernst genommen,

(Beifall bei der CDU/CSU — Glombig [SPD]: Nein, nein!)

weil Ihnen ein Stoff fehlt, mit dem Sie Ihre Rede beginnen können?

(Beifall bei der CDU/CSU)


Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901812600
Wissen Sie, wenn es ein feinsinniger Humor wäre, den Sie hier ausgebreitet hätten, würde ich sagen: es ist großartig. Aber sich auf Kosten anderer Leute lustig zu machen, finde ich nicht so sehr gut.

(Beifall bei der SPD)

Verlassen wir also dieses Kapitel, meine Damen und Herren,

(Zurufe von der CDU/CSU)

und kommen wir zu der Behauptung von Herrn Franke, wie großartig die Sozialpolitik unter der Regierung der CDU/CSU bis 1969 gewesen ist. Stellen wir doch einmal die Ergebnisse dieser Sozialpolitik den Ergebnissen gegenüber, die wir seit Bestehen der sozialliberalen Koalition erzielt haben. Dann ist doch wohl ganz eindeutig, welch gewaltige Entwicklung die Gesellschafts- und Sozialpolitik in diesem Lande genommen hat.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich finde, wir sollten diesen Stil der Auseinandersetzung nicht fortsetzen, sondern uns bei dieser Gelegenheit Gedanken darüber machen, wie wir das, was wir erreicht haben, gemeinsam sichern können,
Meine Damen und Herren, ich habe allerdings von Ihnen auch nicht in einem Punkte einen Vorschlag dazu gehört, wie man das besser machen könnte. Im Gegenteil, Sie haben, wenn ich das richtig verstan-



Glombig
den habe, auf eine Aussprache zur Wirtschaftspolitik heute verzichtet. Ich habe das so verstanden, daß Sie vor allem wohl deswegen darauf verzichtet haben, weil Sie nicht in der Lage sind, gerade zur Wirtschaftspolitik

(Zuruf von der CDU/CSU: Ach!)

andere Vorstellungen zu entwickeln als die der sozialliberalen Koalition.

(Beifall bei der SPD)

Sonst hätten Sie doch auf ein so wichtiges Feld der Auseinandersetzung nicht verzichten können.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901812700
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901812800
Ja, bitte schön.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0901812900
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen und damit Ihre innere Ruhe wiederherzustellen, daß wir auf eine Wirtschaftsdebatte heute verzichtet haben, weil wir in weniger als 14 Tagen den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung zu diskutieren haben und wir aus diesem Grunde heute auf diese Diskussion verzichten wollen?

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901813000
Gut, das ist Ihre Entscheidung. Unter diesen Umständen hätte man aber vielleicht auch auf die Diskussion über die Sozialpolitik heute verzichten können. Denn Entscheidungen auf diesem Felde hängen natürlich auch von Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsbericht ab. Aber wir wollen dem nicht ausweichen. Ich meine nur, daß der ständige Hinweis darauf, daß all diese Probleme durch eine bessere Wirtschaftspolitik gelöst werden könnten, so allein doch nicht genügt. Da muß man doch wirklich auch einmal sagen, was man sich darunter vorstellt.
Seit 1969 hören wir ständig diesen Hinweis. Wir hören ihn immer auch dann, wenn wir fragen: Wie ist es eigentlich mit euren Vorschlägen zur Ausgestaltung des Sozialrechts? In keinem einzigen Falle, z. B. bei Zeiten der Kindererziehung über fünf bis sechs Jahre in der Rentenversicherung — das haben Sie ja im Wahlkampf vorgeschlagen — hören wir von Ihnen, wie das eigentlich zu finanzieren sei, von dem Vorschlag abgesehen, das mit freiwerdenden Mitteln der Kriegsopferversorgung zu machen. Das ist das einzige, was ich in dem Zusammenhang von Ihnen gehört habe.
Meine Damen und Herren, ich gehe auf die einzelnen Punkte dessen, was Herr Franke vorgetragen hat, etwas später ein, nämlich dann, wenn ich mich mit den Fragen der Rentenversicherung beschäftige.
Ich möchte jetzt etwas ganz allgemein zum Haushalt und seiner sozialen Verpflichtung sagen und hoffe, daß wir zumindest in diesem Punkt eine grundsätzliche Übereinstimmung herbeiführen können. Wenn es darum geht, den von der Bundesregierung vorgelegten Haushaltsplanentwurf 1981 unter sozialpolitischen Gesichtspunkten zu beurteilen, müssen wir zuerst eine wichtige Feststellung treffen, Herr Franke, und darauf kommt es mir besonders an. Dieser Haushalt entspricht nämlich dem Bemühen — ich meine, sehr erfolgreich —, das soziale Netz auch unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen zu erhalten und zu festigen. Diese schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen fallen doch nicht allein in die Verantwortung der Bundesregierung, sie fallen auch in die Verantwortung unserer Wirtschaft, in die Verantwortung der Weltwirtschaft und beruhen auf Entwicklungen, die von uns allein nicht zu beeinflussen waren.
Es gibt in diesem Haushaltsplanentwurf keinen Einschnitt in die Sozialleistungen, auch wenn die Rahmenbedingungen für die Sozialpolitik schwieriger geworden sind. Ich finde, diese Feststellung ist wichtig. Es gibt keinen Einschnitt, an keiner Stelle. Das sollten wir doch all denjenigen, die das nicht genau wissen, jeden Tag vor dem Hintergrund der immer heftiger werdenden konservativen Attacken gegen unsere sozialstaatliche Gesellschaftsordnung sagen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Die Damen und Herren, die der CDU angehören und mehr die Politik des Wirtschaftsrates vertreten, geraten doch in erhebliche Diskrepanz mit den Kollegen vom Arbeitnehmerflügel.
Ich meine, daß sich an dieser Diskussion über die Beurteilung unserer sozialstaatlichen Gesellschaftsordnung

(Kiep [CDU/CSU]: Denken Sie an die Montan-Mitbestimmung, Herr Kollege?)

— auch daran denke ich — alle maßgeblichen Teile der Unionsparteien mit voller Kraft beteiligen sollten. Das hat Herr Ministerpräsident Strauß gestern zurückhaltender getan als sonst. Aber wenn man seine Rede aufmerksam verfolgt, kann man auch hier wieder wesentliche Elemente dieser konservativen Haltung feststellen.
Was ich hier eben dargestellt habe, nämlich, daß es keinen Einschnitt gibt, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine wichtige und, wie ich meine, auch richtige politische Grundsatzentscheidung, die von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion besonders nachdrücklich begrüßt wird. Wir begrüßen, daß der Herr Bundesfinanzminister in seiner Einbringungsrede ausdrücklich betont hat — ich zitiere:
Im eigenen Lande werden wir daran festhalten, mit der Sozialpolitik soziale Sicherheit und Gerechtigkeit als Eckpfeiler der Stabilität, der Leistungsfähigkeit und des sozialen Friedens zu gewährleisten. Wir wehren uns gegen Versuche, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Grundsätze des Sozialstaates mit verfehlten, diffamierenden Schlagworten wie Aushöhlung des Leistungsprinzips, Gleichmacherei oder Selbstbedienungsgesellschaft in Frage zu stellen.
Der Bundesfinanzminister hat weiter gesagt:
Die Solidarität des Sozialstaates höhlt Leistungsbereitschaft und Selbstbehauptungswillen nicht aus, sie soll vielmehr helfen, daß sich Lebenschancen und Leistungsmöglichkeiten al-



Glombig
ler Menschen in unserer Gesellschaft entfalten können.
Ich lege Wert darauf klarzustellen, daß es in dieser Zielsetzung eine Übereinstimmung zwischen der Finanzpolitik und der Sozialpolitik in der SPD-Fraktion gibt, wenn die Worte, die ich hier wiederholt habe, überhaupt einen Sinn haben sollen. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß dem so ist.
Nun, das ist die Grundlinie unserer Sozialpolitik und unserer Finanzpolitik und muß es auch bleiben, auch wenn sich, was ja leider nicht ausgeschlossen ist, die wirtschaftliche und damit auch fiskalische Lage verschlechtern sollte. Wir müssen, meine Damen und Herren, entschieden davor warnen, in einer solchen Situation die Zuflucht in einer Kürzung von Sozialausgaben zu suchen. Wenn uns das geraten wird, dann ist das so für uns nicht machbar. Auch für die Bewältigung volkswirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Probleme muß das Solidaritätsprinzip gelten. Wenn es erforderlich ist, müssen alle nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit dazu beitragen. Lösungen allein auf dem Rücken der sozial Schwachen sind nicht vertretbar.
Im übrigen gibt es hier auch einen Vorschlag, was die Rentenreform angeht, von Herrn Kollegen Franke in seinem Beitrag zum 65. Geburtstag von Professor Meinhold. Über einen solchen Vorschlag sollte man reden. Aber dann kann man doch nicht demagogisch sagen, wenn die Konsolidierungsbemühungen nicht stattgefunden hätten, dann hätten die Rentner inzwischen eine bedeutend höhere bruttolohnbezogene Anpassung gehabt. Wir hätten durch eine politische Entscheidung sogar eine noch höhere bruttolohnbezogene Anpassung durchführen können. Daß wir das so nicht gemacht haben, war eine politische Entscheidung mit Rücksicht auf die Finanzen der Rentenversicherung, mit Rücksicht auf die Belastungen der Beitragszahler. Sie haben in dieser Zeit jede Beitragssatzsteigerung und damit auch die Übernahme der Verantwortung für die Finanzen der Rentenversicherung abgelehnt und nur darauf beharrt, daß es bei der bruttolohnbezogenen Anpassung bleibt, und Sie haben gesagt: „Wenn ihr eine bessere Wirtschaftspolitik gemacht hättet, wäre es dazu nicht gekommen."

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist eine Behauptung, die durch nichts zu begründen ist, und deswegen ist sie demagogisch.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901813100
Herr Kollege Glombig, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901813200
Bitte schön.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901813300
Herr Kollege Glombig, darf ich immer noch annehmen, daß Sie den Zusammenhang von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik noch nicht erkannt haben,

(Zurufe von der SPD)

und darf ich in Erinnerung rufen, daß wir bei der Debatte zum 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz auch
den Rentnern leider hätten eine Belastung zufügen
müssen in Form eines sozial gestaffelten Krankenversicherungsbeitrages?

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901813400
Das ist klar. Nur war mit Ihrem Vorschlag die Konsolidierung der Rentenversicherung im Rahmen des 20. und 21. Rentenanpassungsgesetzes nicht gesichert. Ich habe Ihnen damals gesagt, wenn wir Ihren Vorschlag durchführten, dann hätten wir ein weiteres Defizit in Milliardenhöhe. Da haben Sie mich und alle hier auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft verwiesen oder darauf, daß, wenn alles besser werden würde, der finanzielle Ausgleich erfolgen könne. Mit solch unvollständigen Konzepten können wir nicht vor die Öffentlichkeit treten, zumal Sie bei nächster Gelegenheit, wie das heute wieder geschehen ist, den Versuch machen würden, uns des „Rentenbetruges" zu bezichtigen. Das geht beim besten Willen nicht.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir den Rentnern sagen, auch sie müßten Opfer bringen, wie auch die Beitragszahler seit dem 1. Januar 1981 Opfer bringen müssen, dann tun wir das aus der Verantwortung für die Finanzen der Rentenversicherung und aus der Verantwortung den Rentnern gegenüber, die auf die Dauer ihre Renten sichergestellt haben wollen.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901813500
Herr Kollege Glombig, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0901813600
Herr Kollege Glombig, Sie haben eben das Wort „Rentenbetrug" in den Mund genommen. Ich möchte das Wort nicht übernehmen, Sie aber ganz klar fragen: Wie stellt sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Zukunft in der Rentenversicherung vor? Wie wollen Sie in den nächsten Jahren die Renten anpassen, und wie sieht nach Ihrer Konzeption die Reform 1984 aus? Bitte, sagen Sie uns das mit einigen verständlichen Worten, nachdem der Bundeskanzler erklärt hat, daß seine Erklärung in der Regierungserklärung für uns nicht verständlich war.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901813700
Herr Kollege Burger, Sie möchten mich gern aufs Glatteis führen.

(Burger [CDU/CSU]: Nein, ich möchte die Wahrheit hören!)

Eine solch komplizierte Frage in einem Satz zu beantworten, ist nicht möglich. Eine solche Frage könnte ich Ihnen so auch nicht stellen. Aber ich versuche, es kurz zu machen.
Wir haben gesagt, die Entscheidungen, die ja mit der finanziellen Entwicklung zusammenhängen, was den Gleichschritt im Zuwachs von Arbeitnehmer- und Rentnereinkommen angeht, werden wir im Zusammenhang mit der Rentenreform 1984 fällen, und die Ausfüllung dieser Grundsatzentscheidung der Höhe nach werden wir fällen, wenn die Zahlen, die dafür notwendig sind, vorliegen. Wir haben gesagt, diese Zahlen werden spätestens bis zum Herbst dieses Jahres ausgewertet sein. Nun haben Sie mal ein bißchen Zutrauen auch zu den Ankündi-



Glombig
gungen des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung.

(Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe bei der CDU/CSU: Nein! — Haase [Kassel] [CDU/ CSU]: Dem vertrauen Sie ja nicht mal mehr!)

— Das würde ich Ihnen aber dringend empfehlen! Allerdings: Bei allem, was wir sowohl im Wahlkampf im Hinblick auf unsere Vorstellungen, als auch in der Regierungserklärung gesagt haben, ist ein verantwortungsvolles Wort gefallen, das Sie eigentlich respektieren sollten. Denn sonst würden Sie ja — es geschieht ja auch schon — mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert werden, wie sie uns in den letzten Jahren zu Unrecht erreicht haben. Ich meine den — auch von Ihnen ausgesprochenen — finanziellen Vorbehalt. Sie sind auch auf diesen Vorbehalt angewiesen, wenn Sie nicht einen Automatismus schaffen, der die Sache bis über das Jahr 2000 hinaus unter Beachtung der demographischen Entwicklung und all den Unsicherheiten, die dabei sind, absichert.
Wenn Sie uns veranlassen wollen, über die 15-Jahres-Rechnung hinaus zu sagen, wie es dann weitergehen soll, kann ich nur sagen: Dann überfordern Sie uns, wie wir Sie überfordern würden. Ich sage: Innerhalb der 15-Jahres-Rechnung ist die Finanzierung der Rentenversicherung auf der Grundlage des jetzigen Rechts nach den vorliegenden Daten, auch den neuen des Wirtschaftsberichts, gesichert. Und was die Reform 1984 betrifft, so werden diese Entscheidungen dann im einzelnen unter Beachtung der Daten zu treffen sein, die uns vorliegen.

(Beifall bei der SPD — Abg. Burger [CDU/ CSU] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901813800
Herr Kollege Burger, Sie wollen noch eine Zwischenfrage stellen. Bitte bedenken Sie, daß die Redner eine begrenzte Redezeit haben. Die zeitliche Ausdehnung der Debatte im ganzen ist zwischen den Fraktionen geregelt. Durch Zwischenfragen mit solchem Gehalt wird der Redner zwangsläufig um seine Zeit gebracht. Andernfalls müßten wir, wenn wir ihn entschädigen wollten, seine Redezeit so verlängern, daß das ganze Gebäude der Abstimmung zwischen den Fraktionen am Ende in Gefahr kommt. Ich bitte, das zu verstehen und sich kurz zu fassen.

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0901813900
Eine kurze Zwischenfrage, Herr Kollege Glombig. Ihrer Antwort entnehme ich — —

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901814000
Ich möchte aus diesem Grunde, Herr Burger, keine Frage mehr entgegennehmen. Ich habe j a schon einige Fragen beantwortet. Auch ich muß darauf sehen, daß ich das vorbringe, was ich Ihnen sagen will.
Also, meine Damen und Herren, ganz abgesehen von dem, was ich eben darzustellen versucht habe: Es wäre wirtschaftspolitisch unsinnig, die Sozialleistungen zu kürzen. Denn damit würde weitere Kaufkraft vernichtet und eine brüningsche prozyklische Politik eingeleitet. Daß eine solche Politik nicht in Frage kommt, hat der 'Bundesfinanzminister in seiner Etatrede klargestellt, als er ankündigte, die Bundesregierung beabsichtige nicht, in der gegenwärtigen Situation Einnahmeausfälle durch Ausgabenkürzungen, vor allem auf diesem Feld, aufzufangen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich eine kurze Bemerkung zu dem immer wieder angesprochenen Gedanken einer Überprüfung der Sozialleistungen machen. Ich persönlich habe schon oft — auch vor dem Deutschen Bundestag — die Auffassung geäußert, daß das System der sozialen Sicherung langfristig einer Gesamtreform bedarf, um es gerechter und transparenter zu machen und den Einsatz der Mittel gezielter vorzunehmen. Denn es ist ganz unverkennbar, daß es auch ungerechtfertigte, d. h. ursprünglich nicht beabsichtigte oder überflüssig gewordene Vergünstigungen enthält.
Allerdings — das, meine Damen und Herren, ist mindestens genauso wichtig, es ist sogar das Entscheidende — gibt es auch noch Lücken und Unterversorgungstatbestände, die wir zu berücksichtigen haben und die zu berücksichtigen wir fest entschlossen sind. Überprüfung von Sozialleistungen darf also keinesfalls pauschaler Leistungsabbau heißen, sondern Umstrukturierung, und zwar nicht im Sinne einer Verschlechterung, sondern einer Verbesserung des sozialstaatlichen Leistungsniveaus. In diesem Sinne hat sich auch der Herr Bundesfinanzminister in seiner Einbringungsrede geäußert.
Übrigens gibt es da eine sehr interessante Passage, Herr Kollege Franke, an die ich Sie erinnern möchte. Der Herr Bundesfinanzminister hat im Zusammenhang mit der Stabilität und der Verläßlichkeit, die es auch im System der sozialen Sicherung zu bewahren gilt, an dieser Stelle zum Schluß gesagt: „Wir alle sind gefordert, der Versuchung zu widerstehen, sozialpolitische Auseinandersetzungen der Vergangenheit einfach in die Zukunft fortzuschreiben". Ich glaube, daß er das auch auf den Stil und die Art und Weise der Auseinandersetzung bezogen hat.

(Franke [CDU/CSU]: Sprechen Sie von Ihrer Art?)

Von sozialpolitischem Interesse ist der Bundeshaushalt nicht nur durch seinen Beitrag zur Finanzierung der Sozialleistungen, sondern auch durch die Einflüsse auf die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, d. h. auf die Arbeitsmarksituation, die von ihm ausgehen. Ich mache keinen Hehl aus der Auffassung — und ich finde, darüber sollten wir offen miteinander reden —, daß unter sozialpolitischem Aspekt eine deutlichere beschäftigungsorientierte Akzentierung des Bundeshaushalts erwünscht wäre. Das ist aber einfacher gesagt als getan. Ich meine, daß wir darüber miteinander sprechen, uns gemeinsam Gedanken machen müssen. Dabei kommt es darauf an, mit Vorschlägen aufzuwarten. Die parlamentarische Beratung wird, so hoffe ich, Gelegenheit bieten, diese Frage zu prüfen, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Tatsache, daß



Glombig
die Bundesregierung soeben die Wirtschaftsdaten für 1981 nach unten korrigieren mußte.
Meine Damen und Herren, wir sehen die außerordentliche Verschlechterung der Lage auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Monaten natürlich mit großer Sorge — auch das verhehlen wir nicht; wir werden das hier nicht unter den Tisch fegen. Die Bundesregierung hat ihre erst im Dezember beschlossenen wirtschaftlichen Eckdaten, wie bereits gesagt worden ist, im Jahreswirtschaftsbericht nach unten korrigieren müssen und rechnet nunmehr im Jahresdurchschnitt mit 1,2 Millionen Arbeitslosen und einer erheblich höheren Zahl von Kurzarbeitern, als noch im Dezember bei der Genehmigung des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit unterstellt wurde.
Ich möchte in diesem Zusammenhang den Bundesfinanzminister erneut zitieren, der in seiner Rede völlig zu Recht folgendes ausgeführt hat:
Wir dürfen niemals die Probleme unterschätzen, die Arbeitslosigkeit für die Betroffenen schafft. Wir sollten uns nicht an Arbeitslosigkeit gewöhnen, und ganz sicher ist Arbeitslosigkeit für uns kein Instrument der Wirtschaftspolitik. Nur Theoretiker ohne Verantwortung für Menschen, die jetzt leben und jetzt Arbeit suchen, können darauf warten, daß sich alles von selbst einrenkt.
Das heißt, meine Damen und Herren — denkt man den Gedanken des Herrn Bundesfinanzministers zu Ende —, daß ganz ohne Zweifel ein beschäftigungspolitischer Handlungsbedarf besteht. Die hart erkämpften beschäftigungspolitischen Fortschritte der letzten Jahre dürfen nicht wieder verlorengehen. Ich hoffe, darin sind wir uns einig. Beschäftigungspolitische Abstinenz würde, wenn sie geplant wäre, die strukturellen Probleme der Arbeitslosigkeit verschärfen und ihre Lösung unerhört erschweren. Das wäre nicht nur sozialpolitisch unvertretbar, sondern auch fiskalpolitisch außerordentlich kurzsichtig. Durch beschäftigungspolitische Enthaltsamkeit kann sich der Bund finanziell nicht entlasten und kann die Staatsverschuldung nicht abgebaut werden. Was hier eingespart wird, fällt in Gestalt von Ausgaben für Arbeitslose und über Steuer- und Beitragsausfälle auf den Staat zurück. Deshalb wird es in dieser Situation unvermeidbar sein, auf eine expansive Wirtschaftspolitik hinzuwirken.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister und die Bundesanstalt für Arbeit müssen weiterhin die Möglichkeit erhalten, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente offensiv einsetzen zu können. Zweifellos kann allein mit den Mitteln der Arbeitsmarktpolitik ein globales Arbeitsplatzdefizit nicht beseitigt werden. Das fällt in die Verantwortung der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik. Aber die Arbeitsmarktpolitik hat eine wichtige Funktion im Rahmen einer beschäftigungsorientierten Gesamtpolitik. Das gilt um so mehr, als wir es, wie allseits betont wird, nicht nur mit einer konjunkturellen, sondern vor allem auch mit einer strukturellen Krise zu tun haben.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901814100
Herr Kollege Glombig, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901814200
Herr Kollege Glombig, können Sie eine Nachricht oder ein Gerücht bestätigen, wonach die Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr in der Lage sei, zusätzliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu finanzieren?

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0901814300
Das ist kein Gerücht, sondern es gibt in der Tat einen Eilbrief der Bundesanstalt, in dem auf diesen Tatbestand im Grundsatz hingewiesen wird. Aber hier handelt es sich nicht darum, daß Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen grundsätzlich nicht mehr durchgeführt werden, sondern darum, daß der Rahmen der dafür im Haushalt der Bundesanstalt zur Verfügung stehenden Mittel eingeschränkt worden ist. Darüber werden wir uns in allernächster Zeit zu unterhalten haben, und wir werden zu überlegen haben, wie wir aus dieser Misere herauskommen

(Cronenberg [FDP]: Und möglichen Mißbrauch ausschließen!)

— und möglichen Mißbrauch ausschließen, und zwar auf allen Feldern und auf allen Seiten. Ich bin sehr dagegen, immer von dem Mißbrauch bei den Arbeitnehmern zu reden; wir müssen auch einmal über den Mißbrauch derjenigen reden, die solche Maßnahmen, solche Leistungen für sich in Anspruch nehmen,

(Sehr wahr! bei der SPD)

und zwar auf der Arbeitgeberseite, sei es nun der private oder auch der öffentliche Sektor.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was an vernünftigen Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und an Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme eingespart wird, meine Damen und Herren, belastet den Fiskus — ich glaube, ich habe das schon einmal gesagt — in Gestalt von Arbeitslosengeld und in Form von Steuer- und Beitragsausfällen. Der Bedarf an sozialen Diensten zur Verbesserung des Umweltschutzes, an Altbausanierung und Sanierung des Wohnumfeldes ist so groß, daß ein großer Teil der Arbeitslosen in diesen Bereichen beschäftigt werden könnte; wenn die zur Zahlung von Arbeitslosengeld fälligen Mittel in diesen Bereichen einer offensiven Arbeitsmarktpolitik zugeführt werden würden, könnte das zu einem Teil eine Entlastung bringen.
Zu einer aktiven Beschäftigungspolitik gehört auch die Arbeitszeitverkürzung. Damit meine ich nicht die durch Kurzarbeit erzwungene Arbeitszeitverkürzung, sondern vor allem den Abbau von Überstunden. Es darf doch nicht länger hingenommen werden, daß die Arbeitskraft der einen durch Entlassungen und Kurzarbeit stillgelegt und die Arbeitskraft der anderen durch Überstunden überstrapaziert wird. Ich finde, besonders unerträglich ist es, wenn in ein und demselben Unternehmen in dem einen Werk Zusatzschichten und Überstunden in ganz großem Stil nach der Arbeitszeitordnung genehmigt



Glombig
werden, während in anderen Werken des gleichen Unternehmens Kurzarbeit eingeführt wird, wie dies beispielsweise gerade jetzt bei einem großen Automobilkonzern in der Bundesrepublik geschieht.
Die von meiner Partei und meiner Fraktion seit langem geforderte Ablösung der NS-Arbeitszeitordnung durch ein modernes Arbeitszeitgesetz ist, so meine ich, mehr als überfällig; sie muß auf der Tagesordnung bleiben, wir müssen darüber im Gespräch bleiben.
In diesen Zusammenhang gehört auch die ausufernde Nebenverdiensttätigkeit der Beamten. Es ist ein, so meine ich, skandalöser Zustand, daß in einer Zeit, in der über eine Million Bürger keine Arbeit finden, bestimmte Gruppen — das ist keine Aussage bezogen auf die Gesamtheit der Beamten — öffentlich Bediensteter mit einer faktisch lebenslangen Arbeitsplatzgarantie, oft genug sogar während ihrer Dienstzeit, in vielfältiger Weise Nebenverdienste haben und damit anderen Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten nehmen. Der Bundesinnenminister sollte diesem unerträglichen Zustand schnellstens abhelfen.
Schließlich wird auch das Problem der illegalen Beschäftigung immer dringender, meine Damen und Herren. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung angekündigt, daß sich die Bundesregierung verstärkt bemühen werde, illegale Leiharbeit und Schwarzarbeit einzudämmen. Dieser politischen Absichtserklärung müssen schnell wirksame Taten folgen; denn insbesondere die illegale Leiharbeit mit ganzen Kolonnen meist ausgebeuteter ausländischer Arbeitnehmer ist, wie der Bericht der Bundesregierung zur Leiharbeit ausweist, unerträglich angewachsen. Es geht hier also vor allem um die Verfolgung illegaler Beschäftigung in allen ihren Ausformungen.
Nun möchte ich doch noch einmal ganz kurz — mir ist j a sehr viel Zeit genommen worden — auf die Rentenversicherung zurückkommen und Ihnen in kurzen Ausführungen sagen, wie wir uns die weitere Entwicklung vorstellen, damit das unter uns klar ist.
Die einmalige Kürzung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung im Jahre 1981 ist, das sage ich ganz offen, aus sozialpolitischer Sicht nur schweren Herzens zu akzeptieren. Es geht aber darum, zwischen mehreren Übeln das geringste zu wählen. Der Bundeshaushalt ist nicht in der Lage, das zu erwartende Defizit der Arbeitslosenversicherung in voller Höhe aus Haushaltsmitteln auszugleichen. Die Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages stößt auf Bedenken, weil die Arbeitnehmer um der Sicherheit der Altersversorgung willen ohnehin seit Jahresbeginn durch die nicht vermeidbare Anhebung des Rentenversicherungsbeitrages zusätzlich belastet werden müssen. In dieser Situation ist es ein gangbarer Weg, daß die Rentenversicherungsträger im Jahre 1981 auf einen verhältnismäßig kleinen Teil des Bundeszuschusses verzichten müssen. Es handelt sich hier um eine einmalige Mindereinnahme von 3,5 Milliarden DM. Das ist auf längere Sicht im Verhältnis zum gesamten Einnahme- und Ausgabevolumen der Rentenversicherung ein vergleichsweise geringer Betrag. Allerdings darf sich dieser Vorgang nicht wiederholen. Es gibt keinerlei Möglichkeit, über 1981 hinaus weitere Kürzungen am Bundeszuschuß vorzunehmen. Das würde dann tatsächlich an die Substanz der Rentenfinanzen gehen.
Abschließend gestatten Sie bitte noch einige Bemerkungen zur Rentenreform 1984, obwohl sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 1981 stehen. Zunächst sind trotz der augenblicklich schwierigen Wirtschaftslage — ich sage das noch einmal — die Aussichten für die Rentenfinanzen in den 80er Jahren nicht ungünstig. Es gibt für diesen Zeitraum, soweit wir das heute sehen, keine Schwierigkeiten, auch wenn sie als Horrorgemälde an die Wand gemalt werden. Es wird auch, wie versprochen, dabei bleiben, daß sich die nächste Rentenanpassung wieder nach der Entwicklung der Bruttolöhne richtet.
Wir wollen auch dafür sorgen, daß diejenigen Reformen verwirklicht werden, die notwendig sind, um mehr Gerechtigkeit in der Alterssicherung zu schaffen. Wir müssen Männer und Frauen in der Hinterbliebenenversorgung gleichstellen. Wir werden alles tun, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß dabei der Teilhabesatz von 70 % keinesfalls unterschritten werden darf, weil andernfalls die sozialen Proportionen zwischen Männern und Frauen aus dem Lot geraten, nicht zuletzt in Verbindung mit der Garantie der eigenen Versichertenrente.
Darüber hinaus müssen wir in der Rentenversicherung ein Kindererziehungsjahr anerkennen, wobei der Bund die finanzielle Verantwortung für diese familienpolitische Aufgabe zu übernehmen hat.
Von besonderer Bedeutung ist für die Sozialdemokratie der weitere Ausbau der Rente nach Mindesteinkommen. Gezielte soziale Verbesserungen für die Bezieher niedriger Renten sind notwendig, wenn wir die soziale Komponente bei der Weiterentwicklung der Altersversorgung ernst nehmen.
Zur notwendigen Weiterentwicklung der Alterssicherung gehört — hierüber gibt es im Grundsatz offenbar Übereinstimmung zwischen allen Parteien — die Herstellung eines Gleichschritts beim Zuwachs des Einkommens zwischen Rentnern und Arbeitnehmern. Hierzu will ich — vor allem auch für Sie, Herr Kollege Franke — ein Wort der Klarstellung sagen. Gleichschritt im Zuwachs der Einkommen bedeutet nach unserer Auffassung vor allem soziale Ausgewogenheit der Belastung von Rentnern, Beitragszahlern und Staat. Das schließt von vornherein aus, daß etwaige Finanzierungsprobleme, z. B. im Zusammenhang mit der Rentenreform oder mit der Bevölkerungsentwicklung in den 90er Jahren, einseitig zu Lasten der Rentner gelöst werden. Wir werden bei den bevorstehenden Entscheidungen in der Rentenpolitik auf diesen Grundsatz der sozialen Ausgewogenheit großen Wert legen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen, und Sie können versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen so viel Sie können; die Verantwortung für



Glombig
die Lösung dieser Fragen liegt genauso bei Ihnen wie bei uns. Das ist die Aufforderung zu einer konstruktiven Zusammenarbeit, weil Sie sich dieser Verantwortung nicht entziehen können und, wie ich hoffe, auch nicht entziehen werden. Wir jedenfalls sind entschlossen, unsere Arbeit bis zu einem guten Ende fortzusetzen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901814400
Meine Damen und Herren, ich komme auf einen Vorfall zurück, der sich eingangs der Rede ereignet hat. Herr Kollege Wehner hat am Beginn der Rede des Herrn Kollegen Glombig diesem zugerufen, er möge sich nicht provozieren lassen durch den „Clown vom Dienst". Dadurch fühlen sich, wie mir mitgeteilt worden ist, zwei Kollegen der CDU beleidigt und verletzt.

(Große Heiterkeit — Zurufe: Eine ganze Kompanie! — Wer sind die?)

Meine Damen und Herren, da ich nicht sicher bin, ob die Vorschriften des § 36 der Geschäftsordnung hier erfüllt sind, wonach der Präsident einen Ordnungsruf erteilen muß, im übrigen kein Kollege namentlich genannt ist, möchte ich dem Herrn Kollegen Wehner sagen, daß ich das für einen nichtparlamentarischen Ausdruck, für eine nichtparlamentarische Bezeichnung eines Kollegen halte. Die Sache ist damit erledigt.
Ich erteile als nächstem Redner dem Herrn Kollegen Cronenberg das Wort.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID0901814500
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Franke und ich haben etwas gemeinsam: Wir sind beide aufmerksame Leser einer seriösen Zeitung, in diesem Fall des „Handelsblatts".

(Franke [CDU/CSU]: Mehr haben wir nicht gemeinsam? Das stimmt nicht! Wir haben noch mehr gemeinsam!)

— Unter anderem gemeinsam!
Offensichtlich hat der Kollege Franke heute das „Handelsblatt" nicht so aufmerksam wie gestern gelesen. Ich nehme an, das ist darauf zurückzuführen, daß er heute seine Rede vorzubereiten hatte. Ich möchte ihm daher ein Stück aus dem heutigen „Handelsblatt" vorlesen,

(Zuruf des Abg. Franke [CDU/CSU])

das sozusagen die Antwort auf die gestrige Kritik des „Handelsblatts" an der Koalition ist:

(Franke [CDU/CSU]: Das „Handelsblatt" kriegt jetzt eine Auflagensteigerung!)

Schon vorab war von der CDU/CSU zu hören, die Haushaltsdebatte solle zur Generalabrechnung mit der angeschlagenen Koalition gemacht werden. Doch der als Tag der Politiker angekündigte zweite Debattentag hatte einen so flauen Auftakt, daß man glaubte, sich verhört zu haben. Die Opposition nutzt ihre Chance nicht.
Lieber Kollege Franke, ich habe den Eindruck: Auch Sie haben heute Ihre Chance nicht genutzt.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Nun möchte ich, verehrter Kollege Franke, in Ihrem Interesse bei Ihren Kollegen um Nachsicht bitten. Denn Chancen kann man natürlich nur nutzen, wo Chancen vorhanden sind. Die Chance, in diesem Bereich Kritik zu üben, ist für Sie natürlich ungewöhnlich gering, ja aus. Ihrer Position fast unmöglich.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Meinen Sie das im Ernst?)

Denn Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Sie permanent beklagen, die Soziallastquote steige und die Ausgaben in diesem Bereich seien unerträglich hoch,

(Franke [CDU/CSU]: Die Abgaben!)

— und die Abgaben; ich komme auf dieses Thema nochmals, weil dieser Fehler, der sich offenbar nicht ausmerzen läßt, auch in dieser Debatte vorgekommen ist —, beklagen nun, daß zuwenig des Guten getan worden ist. Das ist natürlich eine schwierige Position, wenn man sie glaubwürdig darstellen will.

(Rohde [SPD]: Darum haben sich mindestens zwei Kollegen beim Präsidenten gemeldet! — Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

— Sehr richtig, Herr Kollege Rohde, ich kann dem nur zustimmen.
So ist Ihre Kritik, wie der Kollege Glombig hier zum Ausdruck gebracht hat, eine Wiederholung und nichts Neues. Auch dafür habe ich Verständnis. Daß diese Wiederholungen nicht richtiger und auch nicht wirksamer geworden sind, haben Ihnen nun die Wahlen bewiesen. In Abwandlung eines Wortes von Brecht müßten Sie auf Ihrem nächsten Parteitag vielleicht einen Beschluß fassen: Wir brauchen ein anderes Volk oder andere Wähler. Vielleicht klappt es dann ein wenig besser. Diese alten Argumente jedenfalls werden Sie kaum weiterbringen.
Vielleicht hatten Sie Hoffnung, Herr Kollege Franke, nach dem Motto: Je öfter man Falsches wiederholt, um so mehr bekommt es den Anschein der Klugheit; aber noch nicht einmal der Anschein ist Ihnen gelungen.
Lassen Sie uns noch einmal in Ruhe unsere Ausgangssituation betrachten. Das Unternehmen Bundesrepublik ist das Land mit dem nachweisbar höchsten Lohnniveau und der höchsten sozialen Sicherheit, ein Unternehmen ohne nennenswerte eigene Rohstoffbasis und ohne nennenswerte eigene Energiequellen.

(Zuruf des Abg. Dr. Bötsch [CDU/CSU])

Wir sind das exportabhängigste Land der Welt. Fast 30 % dessen, was wir an Gütern und Dienstleistungen anzubieten haben, geht in den Export. Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: alle, die CDU/CSU, die SPD und wir, die FDP, haben von den gleichen Voraussetzungen und von den gleichen Fakten auszuge-



Cronenberg
hen. Wir müssen sie einkalkulieren. Auch die weltwirtschaftliche Entwicklung bestimmt unsere Ausgangslage. Wir haben nur einen relativ geringen Einfluß auf diese Entwicklung. Bedrückend ist — Ergebnis dieser Situation — unser Leistungsbilanzdefizit: das des vergangenen Jahres und das für die kommenden Jahre zu erwartende. Eine der Hauptursachen sind nun einmal die gestiegenen Rohölrechnungen — und dies trotz erfolgreichen Sparens.
Wo liegen die Lösungen, wo können wir hilfreich eingreifen? Gelegentliche Anregungen, die D-Mark abzuwerten, sind kein ernstzunehmender Lösungsvorschlag. Eine solche Abwertung kuriert nur an den Symptomen, nicht an den Ursachen. Es kommt darauf an, daß die Nachfrage nach Einfuhrgütern eingeschränkt und auf den Inlandsmarkt gelenkt wird; gleichzeitig muß mehr exportiert werden. Letzten Endes müssen höhere Ausfuhren mit geringerer inländischer Versorgung, mit weniger Verbrauch bezahlt werden. Es ist eben nicht die Zeit, in der eine Steigerung des realen Lebensstandards möglich ist. Wir haben Mühe, den Lebensstandard überhaupt zu halten.
Wie die sich aus einer solchen Politik ergebenden Belastungen verteilt werden, ist eine Frage der Wirtschafts-, der Finanz- und der Sozialpolitik, aber auch der Tarifverträge und des Verhaltens der Bundesbank. Wichtig, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist, daß wir die Fehler der ersten Ölkrise vermeiden. Damals, 1974, haben wir bei einer Inflationsrate von ungefähr 7 % die öffentlichen Ausgaben um 14% und die Stundenlöhne um ca. 12 bis 13 % erhöht. Es sei zugegeben: Dies war im Ergebnis falsch. Wir haben dies mit sinkenden Investitionen, insbesondere im Wohnungsbau, bezahlt. Hier finden wir auch die Ursachen für die sich aus dem mangelnden Angebot an Wohnungen ergebenden gesellschaftspolitischen Probleme, die in unseren Großstädten zu den bekannten und bedauerlichen Auseinandersetzungen geführt haben.
Verständlicherweise hat der Investitionssektor Wohnungsbau auf die Verhaltensweisen von 1974 nicht über Nacht reagiert. Die Auswirkungen des sinkenden Wohnungsbaus allerdings spüren wir heute noch auf Schritt und Tritt. Ich bin überzeugt, daß die Ausführungen, die der Kollege Gattermann heute morgen im Zusammenhang mit der Regierungserklärung hier gemacht hat, Lösungsansätze beinhalten, die uns einen kräftigen und guten Schritt weiterbringen werden.
Es ist dringend notwendig, daß Rationalisierungsinvestitionen und eine Ausweitung unserer Produktionskapazitäten vorgenommen werden, damit wir unsere erhöhten Ölrechnungen durch mehr Export, wettbewerbsfähigen Export bezahlen können. Vordringlich allerdings sind, wie gesagt, die Wiederankurbelung des Wohnungsbaus und die Befreiung vom erpresserischen Würgegriff der Öllieferländer. Es ist einfach notwendig, daß die vorhandenen Spargelder unserer Bürger — die Sparquote steigt ja erfreulicherweise —, die den Sparkassen und Banken ja ausschließlich zum Zwecke der sinnvollen und richtigen Anlage zur Verfügung gestellt werden, in die richtigen Kanäle gelenkt werden, eben in den Wohnungsbau und, wie ich meine, in den Kraftwerksbau.
Eine solche Politik sichert Beschäftigung, schafft neue, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und ist um vieles besser — hier bin ich dem Bundesfinanzminister ganz besonders dankbar, daß er dies in seiner Etatrede deutlich gemacht hat — als irgendwelche staatlichen Konjunkturprogramme.

(Beifall bei der FDP)

Wir dürfen uns allerdings keine falschen Hoffnungen machen, wir dürfen uns nichts in die Tasche lügen. Diese Entwicklung kann nicht über Nacht gestoppt werden. Denn dazu sind wir von der Weltkonjunktur viel zu abhängig. Wir leben nun einmal nicht auf der Insel der Seligen.
Unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten ist das Entscheidende. Hohe Wettbewerbsfähigkeit bedeutet hohe Beschäftigung und — notwendigerweise — auch hohe Einnahmen in der Sozialversicherung. Daß diese Einnahmen in der Sozialversicherung auf der anderen Seite — als Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern — in der Kalkulation der Unternehmungen Kosten sind — wie Lohn und Material — und deswegen nicht erhöht werden können, sei an dieser Stelle noch einmal in Ihre Erinnerung gerufen.
Diese Regierung wird und muß für Beitragsstabilität in der Sozialversicherung sorgen. Sie hat diese Absicht unmißverständlich in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht. So sind z. B. die Aussagen zur Rentenpolitik eindeutig und realistisch. Sie sind ein richtiger Beitrag zu der notwendigen Beitragsstabilität. Die Einkommen der Rentner, so haben wir gesagt, werden in Zukunft so steigen, wie die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Finanzlage der Rentenversicherungsträger.
Dieser Realismus muß auch in der Gesundheitspolitik gelten. Alle müssen ein Stück mehr Selbstverantwortung und — wo nötig — Selbstbeteiligung leisten.
Wenn der Herr Kollege Franke hier beklagt, die Zuschüsse der öffentlichen Hand des Bundeshaushalts für die Rentenversicherung seien gesunken, so meine ich, daß dies — ich habe dies schon einmal von dieser Stelle aus zu verdeutlichen versucht — schlicht und ergreifend falsch ist. Herr Kollege Franke, ich erinnere noch einmal: Die Zuschüsse des Bundeshaushalts betrugen im Jahre 1957 10,7 % des damaligen Bundeshaushalts, sie betrugen 1969 8,5 % des damaligen Bundeshaushalts, und sie betrugen im Jahre 1980 9,2 % des Bundeshaushalts. Nun kann mir doch kein Mensch einreden, daß dies ein Beweis dafür sei, daß die Zuschüsse der öffentlichen Hand, des Bundeshaushalts, gesunken seien.
Gesunken sind — unbestrittenermaßen — die Zuschüsse der öffentlichen Hand, des Bundeshaushalts, im Verhältnis zu den Etats der Rentenversicherungsträger. Dies ist aber nur darauf zurückzuführen, Herr Kollege Franke, daß die Etats der Rentenversicherungsträger — erfreulicherweise, wie ich



Cronenberg
meine; ich hoffe, das ist unsere gemeinsame Meinung — im Verhältnis zum Bundeshaushalt überproportional gestiegen sind. Wer verlangt, daß höhere Staatszuschüsse aus dem Bundeshaushalt geleistet werden sollen, der verlangt nichts anderes als Steuererhöhungen oder höhere Schulden. Beides ist, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nicht Ziel Ihrer Politik.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901814600
Herr Kollege Cronenberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Franke?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID0901814700
Ja.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901814800
Herr Kollege Cronenberg, ich darf bei Ihrem Sachverstand doch unterstellen, daß Sie wissen, daß den Rentenversicherungsträgern Aufgaben aufgebürdet worden sind — nämlich für Kriegsfolgelasten, Ausbildungszeiten und Zeiten von Krankheit und Arbeitslosigkeit zu bezahlen — und daß von daher die Beitragszahler, die den gegenüber den Steuerzahlern zahlenmäßig geringeren Teil darstellen, hier mit einer — das ist eine neue Formulierung — „Sondersteuer" belastet worden sind. Glauben Sie, daß das gerecht ist?

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Ordnungspolitisch!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID0901814900
Hochverehrter Herr Kollege Franke, mir ist durchaus bewußt, daß den Rentenversicherungsträgern — das haben Sie initiiert und mitbeschlossen — derartige Lasten, wie Sie in Ihrer Frage genannt haben, aufgebürdet worden sind. Das ist unbestritten. Lassen Sie sich aber von mir versichern, daß der jetzige Bundeszuschuß in Höhe von ca. 10 % des Bundeshaushalts ausreicht, um diese Fremdleistungen voll und ganz abzudecken. Deswegen haben wir in unserem Programm — in den 32 Thesen, die Ihnen j a sicher gut bekannt sind — deutlich gemacht, daß versicherungsfremde Leistungen, soweit sie durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt abgedeckt werden, sauber — je nach Verwendung — aufgelistet und ausgewiesen werden sollen. Ich wäre Ihnen unendlich dankbar, wenn Sie mir für die künftigen Beratungen die Zusicherung geben könnten, daß Ihre Fraktion eine solche Handhabung unterstützt. Dies hätte nämlich dann zur Folge, daß Sie in Zukunft nicht mehr verlangen würden, höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt zu Lasten der Steuerzahler zu entnehmen.

(Rohde [SPD]: Das geht gar nicht, weil Strauß gesagt hat, eine Erhöhung des Bundeszuschusses komme für die CDU/CSU überhaupt nicht in Frage!)

— Herzlichen Dank, aber ich bin sicher, Herr Kollege Rohde, daß der Kollege Franke nicht nur wegen der Anordnungen des Herrn Strauß, sondern kraft eigener Einsicht auf diese Linie einschwenken wird. Da er ja das System begriffen hat — das darf ich an dieser Stelle auch noch loswerden —, ist die Kritik, die Finanzierung der „Reform '84" sei nicht sichergestellt, weil die 3,5 Milliarden DM — wie auch ich meine: bedauerlicherweise — gestrichen worden seien, geradezu lächerlich; denn wenn dieser Betrag von 3,5 Milliarden DM, hochverehrter Herr Kollege
Franke — das bedeutet etwa die Ausgaben der Rentenversicherungsträger für eine Woche —, Grundlage der Finanzierung der Reform von 1984, sein soll,

(Zuruf von der CDU/CSU)

dann sind Sie im Begriff, diese Reform ungewöhnlich unseriös zu finanzieren. Ich hoffe, daß Sie unter dem Motto: „Bevor man sich ans Rechnen gibt, sollte man wissen, was dabei herauskommt" Ihre Einstellung zu dieser Problematik noch einmal überprüfen werden.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901815000
Herr Kollege Cronenberg, Herr Kollege Franke möchte noch eine Frage stellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID0901815100
Ich komme ein wenig in Verdrückung. Ich scheue Zwischenfragen nicht, ich liebe sie sozusagen. Nur, die rigorose Handhabung der Redezeit, Herr Präsident, veranlaßt mich zu der Bitte, daß dies nun die letzte Frage sein möge.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901815200
Herr Kollege Cronenberg, ist Ihnen nicht auch bewußt, daß die Rentenversicherungsträger über 30 % ihrer Gesamtausgaben für Leistungen ausgeben, die die Beitragszahler nicht zu verantworten haben, und nur 16 % aus dem Bundeshaushalt für solche Leistungen vergütet werden? Halten Sie das nicht auch insbesondere für die Angestellten, die einen Großteil dessen finanzieren müssen — auch als Ausgleich für die Arbeiterrentenversicherung — für ungerecht?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID0901815300
Hochverehrter Herr Kollege Franke, das ist zu bestreiten. Es kommt darauf an, welche Leistungen ich als versicherungsfremde Leistungen einordne. Wir werden über diesen Punkt sicher noch zu diskutieren haben. Jedenfalls kommt es mir entscheidend darauf an, daß der Bundeshaushalt im Interesse der Steuerzahler nicht höher belastet wird — immer prozentual —, als es bisher der Fall gewesen ist.
Wir Liberalen sind fest entschlossen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind Liberale, ihr seid keine!)

diesen steinigen Weg in bewährter vertrauensvoller Zusammenarbeit mit unserem Partner zu gehen. Sie, Herr Kollege Franke, haben die Wahl: verantwortungsbewußt mitzuhelfen oder wie eine beleidigte Schönheit aus der Meckerecke zu nörgeln. Diese Entscheidung haben Sie zu fällen. Wir können Ihnen dabei beim besten Willen nicht helfen.
Sie beklagen laufend die hohe Staatsquote. Fälschlicherweise rechnen Sie die Beiträge zur Sozialversicherung mit zu der Staatsquote. Sie wissen, dies ist falsch. Richtig aber ist, daß diese Sozialkosten das frei verfügbare Einkommen der Beitragszahler, der Bürger beeinflussen. Richtig ist, daß diese Mittel nicht für Investitionen zur Verfügung stehen. Nur, bei meiner letzten Rede — verehrter Herr Kollege Franke, Sie werden sich dessen erinnern — in Antwort auf den Kollegen Blüm habe ich Ihnen ja schon einmal nachgewiesen, daß Sie das Ansteigen der Sozialquote insbesondere während der Großen Koalition entscheidend mit verschuldet



Cronenberg
haben und, wenn Sie so wollen, mit initiiert haben. Die Sozialausschüsse, zu denen Sie ja recht enge Beziehungen haben, rühmen sich noch heute dieser Taten und hoffen offensichtlich auf Wiederholung.
Verantwortliche Politik in dieser weltwirtschaftlichen Situation heißt für uns heute: Beschäftigung für möglichst viele durch mehr Investitionen, im Wohnungsbau, im Kraftwerksbau, im Kommunikationssektor, Rationalisierungs- und Erweiterungsinvestitionen für unsere Industrie,

(Franke [CDU/CSU]: Nun macht mal! Ihr seid doch schon elf Jahre dabei!)

damit wir unsere Produkte besser auf den Weltmärkten anbieten können.
Verantwortliche Politik heißt „Los vom Öl". Wir dürfen nicht länger erpreßbar sein. Dazu gehört für mich im Rahmen des Möglichen und Nötigen der Einsatz von Kernenergie.
Verantwortliches Handeln heißt Geldwertstabilität, auch und gerade durch maßvolle Tarifabschlüsse.
Verantwortliches Handeln heißt Verzicht auf weitere Ansprüche der Bürger an die soziale Sicherheit. Dem Mißbrauch von Sozialleistungen müssen wir noch stärker entgegentreten als bisher. Es geht darum, daß die Sozialleistungen denen zugute kommen, die wirklich in einer Notlage sind.
Dieser Überprüfung wird auch die Kommission dienen, die die Finanzbeziehungen zwischen Renten-, Arbeitslosenversicherung und Bundeshaushalt zu überprüfen hat. Wir haben die Hoffnung, daß kurzfristige Ergebnisse dieser Kommission uns ein wenig schlauer machen werden, um richtige Maßnahmen an der richtigen Stelle durchführen zu können.
Ich möchte auch nicht versäumen, einige Bemerkungen zu den vom Kollegen Glombig angeschnittenen Problembereichen zu machen.
Unsere Bedenken, Herr Kollege Glombig, gegen die Novellierung der AZO bestehen bei Gott nicht darin, daß dieses in seinen Formulierungen durchaus überaltete Gesetz nicht einer gewissen Novellierung bedarf. Wir möchten nur vermeiden, daß Überstunden, die möglicherweise der Mehrbeschäftigung anderer dienen, durch bürokratische Hemmnisse verhindert werden.
Ausdrücklich unterstützen möchte ich Ihre Bemerkung betreffs der Nebentätigkeit der Beamten. Sie können sicher sein, daß Sie sich nicht nur auf meine persönliche Unterstützung, sondern auch auf die der Freien Demokraten in dieser Frage verlassen können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Na endlich!)

Sie können außerdem versichert sein, Herr Kollege Glombig, daß wir Ihre Unterstützung bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit jederzeit gern annehmen; denn auch dies halten wir für einen notwendigen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungslage und -politik.
Ein wenig weniger ist mehr, so meine ich, und zwar auf allen Gebieten. Ein wenig weniger ist mehr und bedeutet mehr Beschäftigung und damit mehr soziale Sicherheit. Wir Freien Demokraten haben das Vertrauen in die Bundesregierung, insbesondere in den Bundeswirtschaftsminister, daß wir in diesen schwierigen Zeiten trotz allem mit den Problemen fertig werden. Wir können die Probleme meistern, wenn wir dies ernsthaft wollen.
Dieser Haushalt beweist: Wir sind auf dem richtigen Weg. Vermutlich würde die Opposition diesen Haushalt der Sparsamkeit unterstützen, wenn er statt von einem Finanzminister Matthöfer von einem Finanzminister — wer mag es sein? — Häfele eingebracht worden wäre. Wenn Sie den Haushalt so betrachten, dürfte es Ihnen nicht allzu schwerfallen, ihm — mindestens in Teilbereichen — die Zustimmung nicht zu verweigern.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Wir sind doch keine Beutelschneider!)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901815400
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901815500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit 22 % Anteil am Gesamthaushalt ist der Haushalt des Bundesarbeitsministeriums der größte Einzeletat des Bundeshaushalts. Das war nicht immer so.

(Sehr richtig! bei der SPD)

In den 50er und 60er Jahren nahm er lediglich den zweiten Platz ein. In den 70er Jahren ist es zur guten Tradition geworden, daß unser Etat der größte im Gesamthaushalt ist.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir den Begriff „Sozialleistungen" etwas über die Ressortgrenzen hinaus definieren und beispielsweise das Kindergeld, die Vermögensbildung und das Wohngeld einbeziehen, dann sind es 35 % des Gesamthaushalts, die für soziale Zwecke ausgegeben werden.
Meine Damen und Herren, allein mit diesem Volumen dokumentiert die Bundesregierung, daß sie trotz ökonomischer Schwierigkeiten Einschnitte in unser gutes soziales Netz nicht zuläßt.

(Beifall bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/ CSU]: Haushaltsstrukturgesetz!)

— Herr Blüm, es ist eine Selbstverständlichkeit, daß unter erschwerten weltwirtschaftlichen Bedingungen die Sozialpolitik schwieriger wird; schwierig, aber nicht unmöglich. Man muß sich nur mehr einfallen lassen, und man muß sehr viel sorgfältiger als sonst einzelne Maßnahmen prüfen. Selbstverständlich müssen die Sozialpolitiker noch sehrviel stärker als sonst mit den Haushalts- und Finanzverantwortlichen um jeden Posten ringen. Wir haben das bisher erfolgreich tun können. Ich bin sicher: Wir werden es auch in Zukunft tun, Kollege Grobecker,



Bundesminister Dr. Ehrenberg
mit Ihrer Hilfe als Berichterstatter im Haushaltsausschuß.

(Beifall bei der SPD — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sie pfeifen im dunklen Wald! Sie machen sich gegenseitig Mut!)

Es ist heute vom Kollegen Franke und gestern vom bayerischen Ministerpräsidenten, Herrn Dr. h. c. Strauß, über das Erreichen der Grenzen des Sozialstaats und über das Ausprobieren der Belastbarkeit der Wirtschaft gesprochen worden. Herr Kollege Franke, da Sie sich hier weitgehend dem bayerischen Ministerpräsidenten angeschlossen haben, würde ich gern — zum Nachdenken Ihnen und allen anderen, die über Mißbräuche reden, wie Herr Ministerpräsident Strauß das gestern getan hat, als er ausführte „Natürlich haben der Sozial- und Bildungsstaat mit den Möglichkeiten seiner bräuchlichen Ausnutzung seine Grenzen erreicht und zum Teil überschritten" — folgendes sagen: Ich würde Sie herzlich bitten, ein wenig darüber nachzudenken, auch bei der Formel von der Belastbarkeit der Wirtschaft, die irgendwelche Sozialpolitiker Ihrer Meinung nach ausprobieren, darüber nachzudenken, wie viele Arbeitgeber — —

(Franke [CDU/CSU]: Nicht Sozialpolitiker! Das habe ich nicht gesagt!)

— Dann nehme ich es zurück. Herr Strauß hat das gesagt.

(Franke [CDU/CSU]: Nein, nein!)

— Gestern, doch.

(Franke [CDU/CSU]: Das haben die Jusos gesagt; das habe ich gemeint!)

— Das haben Sie uns unterstellt, gut. Aber auch unter den Jungsozialisten gibt es gute Sozialpolitiker, wenn auch nicht so viele, wie sich auf anderen Feldern tummeln.
Es lohnt sich, meine ich, darüber nachzudenken, wie viele Arbeitgeber u. a. mit unüberschreitbaren Altersgrenzen für Neueinstellungen, mit der Nichtbeschäftigung Schwerbehinderter, mit dem Heraus-drängen der 59jährigen aus den Beschäftigungsverhältnissen zu Lasten der Renten- und Arbeitslosenversicherung

(Beifall bei der SPD)

mit Kurzarbeit bei gleichzeitigen Überstunden umgekehrt die Belastbarkeit des sozialen Systems erproben. Sie werden das ohne Erfolg erproben. Dieses System ist belastungsfähiger, als manche glauben.

(Beifall bei der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901815600
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901815700
Bitte sehr.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901815800
Herr Bundesminister Ehrenberg, ich könnte mich Ihrer kritischen Feststellung anschließen. Aber schießen Sie dabei nicht auch sozusagen in die eigenen Reihen? Denn manche Sozialpläne, wo 59jährige vorzeitig mit der stillen Duldung der Arbeitsverwaltung und der Zustimmung des Betriebsrates vorzeitig in Rente geschickt werden, sind doch eine Angelegenheit — entschuldigen Sie — der nackten Not, weil die älteren Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt heute leider nicht mehr so verwendungsfähig — ein schlechtes Wort — sind.

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901815900
Ob gerade in diesen Fällen immer nackte Not vorgelegen hat, wäre zu prüfen. Aber natürlich haben Sie teilweise recht, Herr Kollege Franke, daß es auch eine sehr zweifelhafte — —

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901816000
Herr Kollege Franke, es ist nicht unüblich, während der Antwort stehenzubleiben.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Er imitiert den Kanzler! — Heiterkeit — Franke [CDU/ CSU]: Aber, Herr Präsident, wo ich stehenbleibe, das darf ich entscheiden!)


Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901816100
Aber bei der Imitation fehlt noch ein Stückchen.
Es ist gar kein Zweifel, daß es Kumpaneien zwischen Betriebsleitungen und Betriebsräten gibt; die fallen genauso unter den von mir zu beanstandenen Mißbrauch. Ich bin nur dafür, wenn über Mißbrauch gesprochen wird, dann bitte in alle Ecken zugleich und nicht nur, wie es so oft geschieht, in die Richtung der Arbeitslosengeldempfänger; das sind die wenigsten.

(Beifall bei der SPD und der FDP— Franke [CDU/CSU]: Akzeptiert!)

Wir werden feststellen können, daß gerade dieses soziale System, das wir uns — in diesem Falle sage ich: wir alle seit 30 Jahren — in der Bundesrepublik geschaffen haben, zugleich der Grundpfeiler der sozialen und politischen Stabilität in der Bundesrepublik ist. Ohne eine ständige Erfüllung des Sozialstaatsauftrags der Verfassung auch bei widrigen Konjunkturwinden wird es weder Demokratie noch konkrete Freiheit oder Sicherheit geben können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, heute ist mit Recht über die schwierige Finanzsituation der Bundesanstalt für Arbeit gesprochen worden. Die wegen der Einwirkungen des Weltmarktes unverzichtbare Reduzierung der wirtschaftlichen Annahmen vom November auf die des Jahreswirtschaftsberichts wird natürlich in der Selbstverwaltung zur Überprüfung der Etatansätze führen müssen. Ich würde es für zu früh halten, bereits Ende Januar schätzen zu wollen, was dort korrigiert werden muß. Hält die Konjunkturentwicklung so an — niemand wird das mit Sicherheit sagen können; bei den Instituten wird durchweg mit einer Wende im Sommer gerechnet —, dann muß man zur rechten Zeit sehen, was dort korrigiert werden kann. Ich werde mich dafür einsetzen und werde sicher, wie ich hoffe, auch bei den Haushaltspolitikern entsprechende Hilfe bekommen, daß keine Kann-Leistungen zurückgeschnitten werden;



Bundesminister Dr. Ehrenberg
bei den anderen Leistungen steht das sowieso nicht zur Diskussion.
Es sind heute im Haushalt der Bundesanstalt immerhin 10 Milliarden DM für vorbeugende Arbeitsmarktpolitik angesetzt. Bei dem jetzt zitierten Schnellbrief des Herrn Stingl ging es darum, kurzfristig festzustellen, ob es Differenzen zwischen den vorhandenen Baransätzen von 850 Millionen DM und den Verpflichtungsermächtigungen von etwa 1,1 Milliarden DM gibt. Hier mußte die Bundesanstalt, da die Mittel schneller abflossen, als im Oktober 1980 zu sehen war, eine kurzfristige Bestandsaufnahme machen. Natürlich heißt das nicht, daß 1981 keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchgeführt werden. Der Vorstand der Bundesanstalt wird sich bereits im Februar dieses Jahres mit den notwendigen Konsequenzen befassen.
Ich würde Sie, meine Damen und Herren, gerne auf einen einzelnen, quantitativ kleinen Punkt aufmerksam machen — es sind 67,5 Milliarden DM —, der eine Steigerungsrate von 20% aufweist. Dies betrifft uns und nicht die Bundesanstalt für Arbeit, aber in diesem Problemkreis.

(Franke [CDU/CSU]: Sagten Sie Milliarden oder Millionen?)

Wir haben den Titel für die Ausländerintegration um 20% erhöht, um uns dieser wichtigen Aufgabe ganz besonders annehmen zu können.

(Franke [CDU/CSU]: Dann sind es Millionen! Herr Ehrenberg, Sie sagten Milliarden! Es sind Millionen!)

— Millionen, natürlich, Entschuldigung. Ich hätte die 67 Milliarden gerne im Gesamtetat; für den Einzeltitel wäre es ein bißchen viel.
Diese wichtige Aufgabe, die uns mit dem Heranwachsen der zweiten Ausländergeneration vor immer größere Probleme stellt, findet hier ihren entsprechenden Ausdruck hinsichtlich der Möglichkeiten, die der Bund gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeit hat. So ist auch die Wiederbestellung eines Beauftragten für die Ausländerfragen in der Person der Ihnen sehr gut bekannten ehemaligen Kollegin Liselotte Funcke zu sehen, damit wir für diese Probleme und auch für die vielen Probleme der Koordination mit den Bundesländern eine besondere Anlaufstelle haben.
Ich würde auch von dieser Stelle aus gern an öffentliche und private Arbeitgeber appellieren, nachdem wir beim Schaffen neuer Ausbildungsplätze in den vergangenen Jahren so gute Erfolge gehabt haben, in Zukunft stärker als bisher auch die Kinder der ausländischen Kollegen in Ausbildungsverträge hineinzunehmen, auch wenn manchmal ein deutscher Satz nicht richtig geschrieben wird.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Lassen Sie mich gerade im UNO-Jahr der Behinderten die Integration der behinderten Mitbürger in unserem Land ansprechen. Wir haben durch das enge Zusammenwirken mit allen Organisationen der Behindertenpolitik und allen gesellschaftlichen Gruppen im Rahmen der nationalen Kommission zur Vorbereitung dieses Jahres eine breite Palette von Anregungen und Vorschlägen bekommen, die Stück für Stück in die Praxis umgesetzt werden. Um auch hier eine besondere Anlaufstelle zu haben, haben wir einen Bundesbeauftragten für Behindertenpolitik ausdrücklich bestellt, den Parlamentarischen Staatssekretär unseres Hauses, Hermann Buschfort, der sich neben seinen Aufgaben als Parlamentarischer Staatssekretär ganz besonders um die Behindertenbelange kümmern wird.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich verspreche mir im Gegensatz zu manch kritischer öffentlicher Äußerung anderer von diesem internationalen Jahr der Behinderten ein Stück Veränderung des Bewußtseins in Richtung auf ein selbstverständlicheres Nebeneinander und Miteinander von behinderten und nicht behinderten Bürgern, als wir es bisher hatten.
Lassen Sie sich durch Zeitungsberichte und Berichte anderer Medien über die Störversuche einer klitzekleinen Minderheit bei der Eröffnungsveranstaltung in Dortmund nicht beirren! Es war eine sehr kleine, gezielt zu Störversuchen angereiste Gruppe, die keineswegs auch nur im entferntesten für die Behindertenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland repräsentativ war.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Glücklicherweise hat eine Fernsehanstalt den spontanen Protest einer schwerbehinderten Frau aus den Gästen in aller Ausführlichkeit gebracht, die diese Störaktionen ausdrücklich als schädlich für die Sache der Behinderten erklärte.
Aber auch hier würde ich gern über den Plenarsaal hinaus gerade im Jahr der Behinderten versuchen, an öffentliche und private Arbeitgeber eine Anregung zu geben. Wir haben leider mehr als 70 000 schwerbehinderte Arbeitslose. Wenn nur jeder Arbeitgeber mit mehr als 50 Beschäftigten und jede Kommune mit mehr als 20 000 Einwohnern im Jahr der Behinderten einen einzigen Behinderten mehr einstellten, hätten wir kein Problem der Arbeitslosigkeit Behinderter. Das müßte doch bei gutem Willen möglich sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich bitte Sie alle, die Sozialpolitiker und die Abgeordneten aller Parteien, herzlich, vor Ort, jeder in seinem Wahlkreis, daran mitzuwirken, daß diese — verteilt auf alle Arbeitgeber privater und öffentlicher Bereiche — überhaupt nicht nennenswerte Zahl endlich den Forderungen des Schwerbehindertengesetzes entsprechend eine angemessene Beschäftigung findet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Auch die öffentliche Hand!)

— Auch die öffentliche Hand! Wenn alle Landesregierungen so handelten wie der Bund, gäbe es auch kaum Probleme. Wenn ich schon den Zuruf „öffenliche Hand" bekomme: Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sehr herzlich, wirken Sie auf jene beiden Landesregierungen ein, die immer noch eine Drei vor dem Komma stehen haben bei der Beschäftigung Schwerbehinderter, während das Gesetz eine Sechs vorschreibt. Das sind lei-



Bundesminister Dr. Ehrenberg
der das reichste Bundesland, Baden-Württemberg, und eines der ärmsten, Schleswig-Holstein, gleichzeitig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hessen auch!)

— Nein, Hessen hat eine Vier davor. Das ist auch zu wenig, aber keine Drei.
Meine Damen und Herren, daß es geht, beweist die vorbildliche Praxis — ich will kein sozialdemokratisches Land nennen — in Rheinland-Pfalz; in dessen ganzem Bereich schwanken die Zahlen der Beschäftigung Schwerbehinderter immer um 6 %. In den Stadtstaaten sowieso; dort liegt man überall darüber.
Lassen Sie mich dann nach dem, was der Kollege Franke so ausführlich dazu gesagt hat, zu den Rentenfinanzen ausführlicher Stellung nehmen.

(Burger [CDU/CSU]: Kann ich noch etwas zu den Behinderten fragen?)

— Wenn der Herr Präsident das gestattet, ja.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901816200
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Burger?

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0901816300
Herr Minister, plant die Bundesregierung im Jahr der Behinderten auch die Vorlage von Gesetzen, die das Behindertenrecht weiterentwickeln? Und eine zweite Frage: Herr Minister, wir haben noch gar nicht über die Kriegsopfer gesprochen, weder in der Regierungserklärung noch in dieser Debatte. Erlauben es die Ansätze in der mittelfristigen Finanzplanung, auch über die Anhebung der Renten hinaus noch gewisse strukturelle Verbesserungen einzubringen?

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901816400
Zu der letzten Frage zuerst. Es gibt eine Fülle von quantitativ nicht sehr großen, aber von den Verbänden als notwendig angesehenen Vorstellungen struktureller Verbesserungen. Sie werden in dem schwierigen Etatjahr 1981 sicher nicht möglich sein. Wir werden aber bei der Erarbeitung des Etats 1982 und der dann neu fortzuschreibenden mittelfristigen Finanzplanung darauf zurückkommen.
Die Behindertenpolitik und die Verschärfung des Instrumentariums für die Beschäftigung Schwerbehinderter prüfen wir sehr sorgfältig. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich vor dem in Karlsruhe anstehenden Urteil zur Ausgleichsabgabe keine Details sagen möchte. Die Verhandlung ist auf den 10. März terminiert. Wenn, wie ich annehme, das Gericht in Karlsruhe die Ausgleichsabgabe für verfassungsgemäß befindet, ist unmittelbar danach erneut darüber zu reden.
Nun möchte ich, angeregt durch den Kollegen Franke, zu den Rentenfinanzen gern ausführlicher etwas sagen.
Ich kann nicht erwarten, daß Sie, Herr Franke, die positiven Zahlen herausheben. An den Anfang der Betrachtung gehört, daß die Rücklage per Jahresende 1980 18,8 Milliarden DM beträgt, d. h. 2 Milliarden DM mehr, als wir uns im Rentenanpassungsbericht 1980 einzuplanen zutrauten.
Bei allem Verständnis dafür, daß die Opposition die Rentenfinanzen kritisch nachfragt und genau wissen will, wie es läuft, habe ich für eines, Herr Kollege Franke, kein Verständnis, nämlich dafür, daß der sozialpolitische Sprecher der Opposition nicht in die Dokumente schaut, wenn er über die Absichten der größten Regierungspartei und der Bundesregierung zu den langfristigen Problemen spricht, sondern sich auf schlampige „Spiegel"-Recherchen verläßt. Daß der „Spiegel" schlecht recherchiert, ist eine Sache, die er selbst zu vertreten hat.

(Rawe [CDU/CSU]: Was glauben Sie denn, warum Wehner vom Vorsitz zurückgetreten ist?!)

Von einem Abgeordneten dieses Hauses würde ich erwarten, daß er in die Dokumente selbst hineinschaut. Wenn Sie die Beschlüsse von Stuttgart und Essen und die Regierungserklärung nebeneinander-gelegt hätten und nicht die „Spiegel"-Berichterstattung darüber zugrunde gelegt hätten, dann wüßten Sie, daß die Differenzen sehr viel kleiner sind, als der „Spiegel" schreibt.
Ich will Ihnen das an einem Fall deutlich machen. Der „Spiegel" schreibt in dem von Ihnen zitierten Artikel, daß ich in Essen eine Mindestrente versprochen hätte, bei der jeder Rentner so behandelt wird, als hätte er stets 75 % des Arbeitnehmereinkommens verdient. Sie müßten wissen, daß wir das nie für jeden Rentner beschlossen haben und ich habe das auch nie für jeden Rentner versprochen. Vielmehr haben wir, wie Sie es in der Regierungserklärung wiederfinden, in Essen beschlossen, daß das für die Renten nach Mindesteinkommen gilt, die 25 Versicherungsjahre voraussetzen, und nicht für jeden Kleinrentner, wie es der „Spiegel" geschrieben hat. Das wissen Sie doch. Warum zitieren Sie dann einen so schlecht recherchierten „Spiegel"?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0901816500
Erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901816600
Ich glaube, vorhin ist etwas untergegangen. Ich habe außerdem aus dem Entwurfspaket Ihres Parteitages zitiert. Ich darf Sie fragen, ob Sie vielleicht noch die Nr. 37 im Kopf haben, die lautet:
Die Reform der Hinterbliebenenversorgung und der Ausbau der Rente nach Mindesteinkommen
— in der Sache haben Sie eben richtig dargestellt, wie es gemeint war —
sind mit einem Beitragssatz in Höhe von 18,5 % ab 1. Januar 1981 finanzierbar.

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901816700
1985.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901816800
„Ab 1. Januar 1981 finanzierbar"!

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901816900
Nein, der Beitragssatz ab 1981, die Reform ab 1985!




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901817000
Herr Präsident, wenn ich jetzt noch dies fragen darf: Ist Ihnen bei meinen Ausführungen vielleicht aufgefallen, daß ich gemeint habe und leider auch nachweisen konnte — ich hätte gern unrecht —, daß das Geld in der Rentenversicherung als Rücklage zum Vorfinanzieren dieser strukturellen Verbesserungen leider nicht zur Verfügung steht, sondern wir 1984 nur 1,5 Monatsrücklagen in der Rentenversicherung haben werden?

(Vorsitz: Vizepräsident Wurbs)


Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901817100
Verehrter Kollege Franke, Sie haben das behauptet, aber nicht nachgewiesen. Ich will versuchen, Ihnen und anderen hier einen weit verbreiteten Irrtum ein wenig aufzuklären.
Die von den Sozialpolitikern bedauerte, aber im Gesamthaushalt unvermeidbare einmalige Kürzung des Bundeszuschusses um 3,5 Milliarden DM für dieses Jahr entspricht in der Größenordnung einem halben Punkt Beitrag. Der Beitragszahlerkreis ist weitgehend identisch mit dem, der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlt. Trotzdem wird die Kürzung von den Sozialversicherungsträgern natürlich bedauert. Aber dieser einmalige Akt der Kürzung um 3,5 Milliarden DM, die in der langfristigen Rechnung einmal fehlen werden, erschwert bei einem Volumen der Rentenausgaben von 113 Milliarden DM im Jahr 1981 und wahrscheinlich 148 Milliarden DM im Jahre 1985 die Situation ein wenig, aber nicht völlig umwerfend.
Sie hätten recht mit Ihrer Behauptung, wenn diese 3,5 Milliarden DM Jahr für Jahr fehlten. Da aber die Beitragserhöhung für die Rentenversicherung beschlossen und die Kürzung auf das Jahr 1981 beschränkt ist, wird dadurch alles ein bißchen schwieriger. Es wird aber nicht für die Reform der Hinterbliebenenrente schwieriger, sondern für die laufende Rechnung — wegen der Verringerung des Wachstums und der Beitragseinnahmen. Herr Kollege Franke, Sie wissen genauso gut wie ich, daß sich verminderte Beitragseinnahmen zwar mit dreijähriger Verzögerung, aber unabweisbar, in der gleichen Größenordnung wegen der bruttolohnbezogenen Rentenformel, die ab 1982 wieder praktiziert werden wird, auch auf der Ausgabenseite niederschlagen. Diese Veränderungen wirken auf beiden Seiten der laufenden Rechnung, nicht nur auf einer.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901817200
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901817300
Gerne.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0901817400
Herr Bundesminister, da ich annehme, daß Ihnen das nicht mehr ganz im Gedächtnis ist, darf ich Sie fragen, ob Sie sich erinnern, daß ich diese drei Faktoren eben in meinem Beitrag genannt habe — 3,5 Milliarden DM weniger, geringere Entgeltsteigerung und geringere Zahl der Beschäftigten? Darf ich Ihnen sagen, daß ich selbstverständlich dieser Beurteilung dann ebenfalls zustimme, wir aber 1984 eben nur Rücklagen in Höhe von 1,5 Monatsausgaben zur Verfügung haben?

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0901817500
Wir sind niemals davon ausgegangen — das ist ein weit verbreiteter Irrtum —, daß man bei dem von uns eingeführten und unverzichtbaren Umlageverfahren irgend etwas in der Rentenversicherung vorfinanzieren könnte, die laufenden Ausgaben müssen laufend aufgebracht werden. Wir halten nur die Beitragserhöhung für unverzichtbar. Herr Kollege Franke, ich habe dieser einmaligen Kürzung des Bundeszuschusses zugestimmt, weil ich dies zwar für schwerwiegend, aber für besser als andere Vorschläge hielt, die dahin gingen, die Beitragserhöhung für ein Jahr auszusetzen und dafür bei der Arbeitslosenversicherung vorzunehmen; das wäre eine viel schwieriger zurücknehmbare Operation gewesen. Diese Operation dagegen reißt zwar eine Lücke auf, aber keine, die nicht zu schließen wäre.

(Abg. Franke [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich glaube, ich sollte allmählich zum Schluß kommen. Sie haben eine Vielzahl von Fragen gestellt, so daß es hier schon zu einem Dialog gekommen ist, den ich mit Ihnen zwar nicht ungern führe, der aber nur im Ausschuß ausführlicher sein kann.

(Franke [CDU/CSU]: Akzeptiert!)

Sie sollten mich aber noch anhören, wenn ich Ihnen, Herr Franke, zu den anderen Risiken, die Sie angesprochen haben, etwas sage. Die verminderte Sterblichkeit stellt die Rentenversicherung vor Probleme. Aber erstens haben wir bereits bei dem Rentenanpassungsbericht 1980 eine entsprechende Korrektur gegenüber der vorliegenden Bevölkerungsschätzung vorgenommen und brauchen nur noch ein Stückchen nachzuholen — wir haben da also schon im Vorgriff 1980 etwas getan. Zum zweiten — so schwierig das wird — gestatten Sie mir, daß ich stolz darauf bin, daß die Leute in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen entschieden länger als früher leben und sich einen guten Lebensabend leisten können.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Franke [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

Das zweite, was in der Langfristrechnung gleichgewichtig danebenzustellen ist, ist die Entwicklung der Geburtenrate. Ich habe sie vor einem Jahr vorauszusagen gewagt. Sie und auch viele andere haben mir nicht geglaubt; inzwischen ist es so eingetreten. Im Jahre 1980 hatten wir eine um 6 % höhere Geburtenhäufigkeit als im Jahr davor. Ich will das nicht allein auf unser Mutterschaftsurlaubsgesetz zurückführen, aber ein bißchen hat es vielleicht auch dazu beigetragen.

(Franke [CDU/CSU]: Die geburtenstarken Jahrgänge!)

Auf alle Fälle ist der Umbruch in der Bevölkerungsentwicklung erfolgt. Wenn wir diese Zahlen so leichtfertig fortschrieben — wir tun das nicht —, wie manche Leute Hochrechnungen machen, dann könnten wir jetzt schon ab 1996 mehr Beitragszahler einsetzen, als in den bisherigen Rechnungen vorhanden sind. Ich glaube, daß uns die Bevölkerungs-



Bundesminister Dr. Ehrenberg
entwicklung vor eine Vielzahl von Problemen stellt, aber nicht vor unlösbare.
Ich würde bei dieser Gelegenheit doch gerne Sie und alle anderen um folgendes bitten: Ich vermag es nicht einzusehen, daß bei den großen Problemen der Sicherstellung der Rentenfinanzen bei schrumpfender Bevölkerungszahl die Diskussion sich ausschließlich auf die Rentenversicherung richtet, als ob die Relation Steuerzahler zu Beamtenpensionären oder die Anzahl der Beitragszahler in der privaten Lebensversicherung und allen anderen Altersversorgungswerken nicht genauso von der Bevölkerungsentwicklung beeinflußt würde wie die Rentenversicherung.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ein Problem, das nicht die Rentenversicherung allein durchzustehen hat, sondern alle anderen Versorgungssysteme auch durchzustehen haben. Wir werden Sie wie in der vergangenen Legislaturperiode einladen, an einer zu errichtenden Kommission zur Herstellung vergleichbarer Bezüge, zu einer Bestandsaufnahme der verschiedenen Alterversorgungssysteme nebeneinander auch unter Berücksichtigung des Verfassungsgerichtsurteils über die unterschiedliche Besteuerung von Renten und Pensionen, teilzunehmen — in der Hoffnung, daß diese Kommission so gut wie die Meinhold-Kommission für die nächste Legislaturperiode entsprechende Vorarbeit zur Klärung der Verhältnisse leisten wird.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir das zusammenfassen, Risiken der Bevölkerungsentwicklung und der laufenden Rechnung durch veränderte Wirtschaftsannahmen, aber auch die Chancen, die unsere immer noch leistungsfähige Wirtschaft und eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik bieten, dann haben wir zwar große Probleme vor uns, aber keine unlösbaren Probleme; Probleme, die sorgfältiger Lösungen bedürfen. Alles, was jetzt an Finanzproblemen diskutiert wird, betrifft die laufende Rechnung und sehr viel weniger die Reform der Hinterbliebenenversorgung. Daher brauche ich von dem, was ich in Essen und Stuttgart gesagt habe, nichts, aber auch gar nichts zurückzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Eine ganz kurze Bemerkung zur Krankenversicherung, meine Damen und Herren. Wir haben leider nach vier Jahren Beitragssatzstabilität eine neue Kostenexplosion im Entstehen, die nicht von den ambulanten Behandlungen, sondern im Schwergewicht von den Krankenhäusern herkommt. Das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das im Bundesrat gescheitert war, werden wir Ende März, konzentriert auf die Kostendämpfungsaspekte, wieder einbringen. Ich hoffe sehr, daß alle an Stabilität in der Krankenversicherung Interessierten uns dabei helfen werden, diesmal erfolgreich über die Runden des Bundesrates zu kommen, so daß wir dort nicht wieder — wenn auch nicht im Bundesrats-/BundestagsKompetenzwirrwar, aber doch in sehr kurzfristig bedingten Motivationen als Hürde der Zustimmung — steckenbleiben. Die Verantwortung liegt dann bei denen, die dieses Gesetz verhindern werden.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluß auf einen Punkt der qualitativen Verbesserung im Bereich der Krankenversicherung hinweisen. Wir haben neu einen Titel mit 15 Millionen DM zur Verbesserung der Krebsbehandlung, der Ausstattung von Tumorzentren, und glauben, damit einige richtungweisende Projekte gezielt fördern zu können, um in dieser großen Aufgabe ein Stückchen voranzubringen, was Wissenschaft und Forschung auf diesem Gebiet leisten können.
Lassen Sie mich abschließend sagen, daß die Bundesregierung weder hier noch anderswo über die Grenzen des Sozialstaates philosophiert, sondern sich bemüht, auch unter schwieriger gewordenen ökonomischen Bedingungen den Sozialstaatsauftrag unserer Verfassung zu erfüllen. Wir werden das auch weiterhin tun, und ich glaube, wir werden beim Vorlegen der Gesamtbilanz am Ende der jetzt begonnenen Legislaturperiode wieder bei vielen der Gesetzesvorlagen — wenigstens, wie ich hoffe, im Ausschuß gemeinsam verabschiedet — sagen können: Wir haben den sozialen Rechtsstaat ein Stückchen weiter vervollkommnet. — Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901817600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeifer.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901817700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat, so denke ich, bei allen unterschiedlichen Auffassungen ergeben, daß fast überall, zumindest in vielen Bereichen von Vorstellungen Abschied genommen werden muß, die in den letzten Jahren trotz aller Warnungen und Mahnungen allzu selbstverständlich geworden sind. Es hat in dieser Debatte kaum einen politischen Bereich gegeben, in dem nicht von der Notwendigkeit einer Neuorientierung der Politik gesprochen wurde. Die Frage aber, die uns allen gestellt ist, heißt: Haben wir, die politischen Parteien, und haben wir in diesem Parlament jetzt und auf lange Zeit die Kraft und die Fähigkeit, eine solche Neuorientierung durchzusetzen und z. B. die Belastung künftiger Generationen durch den von unserer Generation verursachten enormen Schuldenzuwachs fühlbar einzuschränken? Denn es ist einfach durch nichts zu rechtfertigen, wenn unsere Generation ihre Bedürfnisse und Ansprüche auf Kosten der nachwachsenden Generation befriedigt. Die Frage, die uns allen gestellt wird, lautet, ob wir jetzt und auf Dauer die Fähigkeit und die Kraft haben, nicht nur in Worten, sondern tatsächlich Ernst zu machen mit dem Abschied von der Vorstellung, als könne es auch in Zukunft ein immer unvermindertes Anwachsen der Staatsausgaben geben, die auf den materiellen Verbrauch und auf die Befriedigung materieller Ansprüche zielen, obwohl es doch die investiven Ausgaben sind, welche unsere Zukunft und die Zukunft der jungen Generation sichern.
In diesen Grundfragen vermag ich allerdings bis jetzt bei der Bundesregierung eine entschiedene



Pfeifer
Umkehr nicht zu erkennen. Ich weiß auch gar nicht so recht, wie eine Regierung das erreichen und zugleich ihre Glaubwürdigkeit behalten will, die z. B. der jungen Generation vor der Wahl nicht wenige Versprechungen gemacht hat, von denen sie jetzt eingestehen muß, daß sie sie nicht halten kann. Es kann doch niemanden überraschen, daß die junge Generation sich enttäuscht fühlt, wenn man ihr vor der Wahl eine weitere Verbesserung der Situation an den Hochschulen versprochen hat und wenn jetzt nach der Wahl drastische Einsparungen bei den Hochschulen stattfinden, ohne daß gleichzeitig gesagt wird, wie denn dann die neuen Prioritäten in der Hochschulpolitik aussehen müssen.
Es kann doch nicht überraschen, daß die junge Generation enttäuscht ist, wenn man ihr vor der Wahl eine nachhaltige Verbesserung der Situation und der Chancen des wissenschaftlichen Nachwuchses verspricht und wenn dies jetzt nach der Wahl zu Makulatur wird, obwohl doch jeder weiß, daß die Qualität der Wissenschaft in der Zukunft entscheidend davon abhängig ist, daß wir auch qualifizierte Nachwuchswissenschaftler erhalten.
Es kann doch niemanden verwundern, daß die junge Generation enttäuscht ist, wenn sich trotz der steigenden Studentenzahlen die Wohnraumsituation der Studenten ständig drastisch verschlechtert, die Bundesregierung aber vor der Wahl den Studenten große Programme versprochen hat, die Länder sogar aufgefordert worden sind, mehr Anträge zu stellen, und jetzt nach der Wahl erklärt wird: Wir ziehen uns einfach aus dem Studentenwohnraumbau zurück.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das muß bei der jungen Generation Enttäuschung auslösen. Man könnte noch andere Beispiele nennen. Wer mit der jungen Generation so umgeht, wie ich das hier geschildert habe, der darf sich nicht wundern, wenn bei ihr mit den Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der politischen Parteien letztlich auch die Zweifel an unserem System wachsen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Von einem nämlich bin ich überzeugt: Unsere junge Generation ist nicht gegen unseren Staat und nicht gegen unser Gesellschaftssystem. Sie steht bei aller Kritik letztlich positiv zu unserem Staat und zu unserer Gesellschaft.
In einem Punkt allerdings ist die junge Generation mit Recht sehr allergisch, nämlich wenn man ihr nicht ehrlich begegnet. Meine Überzeugung ist: Politische Handlungsfähigkeit wird gerade gegenüber den jungen Mitbürgern auf die Dauer nur der behalten, der politisch glaubwürdig ist. Deswegen darf man nicht vor der Wahl versprechen, ohne es nach der Wahl zu halten.
Ich habe die Sorge, daß das, was hier eingetreten ist, am Ende nicht nur auf die Regierung zurückfällt, sondern daß wir damit letztlich alle getroffen werden.

(Matthöfer [SPD]: Da ziehen Sie herauf, Mann für Mann, und fordern für Bildung, Landwirtschaft, Entwicklung usw. überall mehr Ausgaben, aber sonst allgemein Sparen!)

Ich fordere deshalb die Regierungsfraktionen auf, wenigstens bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und im Studentenwohnraumbau (Matthöfer [SPD]: Ehrlichkeit!)

die Vorschläge der Bundesregierung nochmals zu überdenken und lieber bei den Modellprogrammen einzusparen, mit denen weithin doch nur ideologische Projekte verfolgt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Matthöfer [SPD]: Mann für Mann rauf und mehr Geld fordern, jeder einzelne!)

— Ich kritisiere nicht, Herr Bundesfinanzminister, daß hier eingespart wird. Aber ich kritisiere, daß dort, wo für Sie in der Bildungspolitik ein ideologisches Interesse besteht, der Rotstift nicht angesetzt wird, während dort, wo ein praktisches Interesse der jungen Generation gegeben ist, z. B. im Studentenwohnraumbau, der Rotstift durchfährt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901817800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901817900
Bitte schön.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0901818000
Halten Sie es, wenn Sie schon Ehrlichkeit in der Politik verlangen, für ehrlich, daß wenn Ihre Partei die allgemeine Ausgabenwirtschaft beklagt und überall Einsparungen fordert, Sie hier, Abgeordneter für Abgeordneter, hochkommen und mehr Geld für die Verteidigung, für die Landwirtschaft, für die Entwicklungshilfe, für die Bildung, für die Sozialpolitik verlangen und dann die allgemeine Unehrlichkeit in der Politik beklagen?

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901818100
Herr Bundesfinanzminister,

(Franke [CDU/CSU]: Das ist jetzt nur der Abgeordnete Matthöfer!)

hier ist — mit Ausnahme des Verteidigungsbereichs — niemand hochgekommen und hat zusätzliche Mittel verlangt. Auch das, was ich zum Studentenwohnraumbau und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuches gesagt habe, habe ich mit einem konkreten Einsparungsvorschlag versehen. Sie sparen beim Studentenwohnraumbau beispielsweise 30 Millionen DM ein. Aber bei den 120 Millionen DM für die Modellversuche, die, ich sage es noch einmal, zu einem nicht geringen Teil ideologisch motiviert sind, wird kein einziges entscheidendes Projekt reduziert. Das ist der Punkt, gegen den ich mich wehre.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901818200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901818300
Bitte schön.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0901818400
Herr Kollege Pfeifer, abgesehen von dem Interesse des Bundeslandes, aus dem Sie kommen, nämlich Baden-Württembergs, an den Modellversuchen und Programmen und abgesehen von den Geldforderungen von dort, frage ich Sie, ob nicht auch Sie aus der Gestaltung des Haushalts beim Studentenwohnheimbau erkannt haben, daß zwischen dem Bund und den Ländern mittlerweile eindeutig gesichert ist, daß dabei keine Ruinen entstehen, sondern daß diese Aufgabe an die Länder übergeht, wo sie von der Verfassung her hingehört.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901818500
Studentenwohnheimbau ist für mich zunächst einmal Teil des Hochschulausbaus. Das ist der erste Punkt.

(Westphal [SPD]: Gucken Sie mal in die Verfassung, Herr Pfeifer!)

Der zweite Punkt: Natürlich haben Sie recht: Ruinen entstehen nicht. Aber das ist nicht der Punkt, sondern der Punkt ist, daß im Bildungsgesamtplan vom Bund und von den Ländern beschlossen worden ist, künftig 15 % der Studenten in Studentenwohnheimen unterzubringen, und daß das eine gemeinsame Aufgabe des Bundes und der Länder sein soll. Und jetzt fangen Sie an, sich aus dieser Aufgabe zurückzuziehen.

(Zuruf des Abg. Westphal [SPD])

Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich jetzt fortfahren möchte. Es gibt noch andere Bereiche, in denen seit der Wahl erstaunliche Wandlungen eingetreten sind.
Im Laufe der Debatte ist mehrmals auf den Punkt in der Etatrede des Herrn Finanzministers hingewiesen worden, in dem die entscheidende Bedeutung unternehmerischer Initiativen und Innovationen hervorgehoben wird. Meine Damen und Herren, dies relativiert j a wohl den mancherorts vorhandenen Wunderglauben an die Effizienz staatlicher Ausgaben oder an die Effizienz des Staates überhaupt.
Wenn dies aber für die Wirtschaftspolitik und für die Finanzpolitik richtig ist, dann muß man j a wohl die Frage stellen, ob das nicht auch für die Forschungspolitik gelten muß. Dort wird doch das Projektemachen durch den Staat seit Jahren in den Vordergrund gestellt. Auch in diesem Haushalt — und jetzt rede ich über Einsparungen — sollen 53 % der Forschungsmittel des Bundesministeriums für Forschung und Technologie in die direkte Projektförderung gehen. Seit Jahren steigt in den Forschungsausgaben der Anteil der Förderprogramme in Fachbereichen und in der Ressortforschung. Die Zahl der in der Industrie geförderten Projekte ist inzwischen auf 6 000 angestiegen. Dies kann von einer überforderten Bürokratie weithin nicht mehr bewältigt werden. Gleichzeitig sinkt in den Forschungsausgaben der Anteil für die allgemeine Wissenschaftsförderung ständig ab. Meine Damen und Herren, allein in diesem Trend dokumentiert sich in meinen Augen ein latentes Mißtrauen, vor allem in der SPD, gegenüber einer Forschung, die vom Staat nicht hinreichend in den Griff genommen wird, und das verteuert die Forschung.
Und dies ist ein Trend, der im deutlichen Gegensatz zu dem steht, was der Finanzminister von der
Bedeutung unternehmerischer Entscheidungen und Innovationen gesagt hat. Vor allem junge Unternehmer weisen seit Jahren darauf hin, daß die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft nur zu einem geringen Teil von den direkten staatlichen Förderprogrammen abhängt und das hier beträchtliche Einsparungen möglich sind. Für diese Einsparungen sind wir zu haben.
Statt dessen müssen die Mittel, so meinen wir, wieder mehr dort konzentriert werden, wo sie nicht zu wettbewerbsverzerrenden Subventionen werden, sondern neue, zukunftsträchtige Gebiete und damit für die Jugend neue Chancen erschließen. Ich nenne hier beispielhaft nur die Energieforschung, die Forschung zur Sicherung der Umwelt und vor allem die Grundlagenforschung.
In diesem Zusammenhang gibt es einen Punkt, der mich sehr bewegt. Der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herr Professor Maier-Leibnitz, hat vor einiger Zeit gemeint, das nur 1 % der Forschung in Deutschland erstklassig sei, der Rest sei Routine und Mittelmaß. Meine Damen und Herren, schon das sollte den Forschungsminister und jeden, der sich über die Zukunft unseres Landes Gedanken macht, nicht mehr ruhig schlafen lassen. Wir können es uns nicht leisten, daß nur 1 % unserer Forschung Spitzenforschung und der Rest Durchschnitt und Mittelmaß ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hinzu kommt, daß es in der SPD und — leider — auch in der FDP

(Zuruf von der FDP: Na! Na!)

hinsichtlich der Probleme der friedlichen Nutzung der Kernenergie, der Kommunikationstechnologien, der Mikroelektronik und im Grunde in allen Bereichen drunter und drüber geht, in denen es darauf ankommt, den möglichen technologischen Wandel für unsere Zukunft verantwortlich zu nutzen. Angesichts all dessen sind wir, so befürchte ich, meine Damen und Herren, in vielen Bereichen längst dabei, unsere Zukunftschancen und die Zukunftschancen der jungen Generation zu verspielen.
Eine große deutsche Tageszeitung hat dieser Tage berichtet, in einem Kreise von Spitzenmanagern der Wirtschaft sei jüngst festgestellt worden, daß die Amerikaner und Japaner uns in einigen Spitzentechniken längst davongelaufen seien. Ich glaube, daß das durchaus zutrifft. Aber für sehr viel entscheidender halte ich das, was dann ein Staatsvertreter zu dieser Feststellung gemeint hat. Er hat dieser Tageszeitung zufolge zum Ausdruck gebracht, man müsse in der Bundesrepublik ja nicht überall Spitze sein. Meine Damen und Herren, das ist genau die Mentalität, die unser Land auf die Dauer in die ' Zweitklassigkeit führt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, Neuorientierung muß deshalb auch in der Forschungspolitik eintreten. Ich begrüße es, daß die FDP dies in den zurückliegenden Monaten auch öffentlich mehrfach zum Ausdruck gebracht hat — aber, meine Damen und Herren, eben nur die FDP. Herr Matthöfer hat als Bundesforschungsminister



Pfeifer
erklärt, selbstverständlich betreibe er mit der Forschungspolitik Investitionslenkung.

(Zuruf von der SPD: Ja, sicher!)

Der neue Forschungsminister hat erklärt, er treibe sozialdemokratische Forschungspolitik. Ja, entschuldigen Sie bitte: Wo sind denn da die gemeinsamen — auch ordnungspolitischen — Grundlagen für die Forschungspolitik in dieser Koalition?

(Zurufe von der SPD)

Sie sind doch im Grunde genommen nicht mehr vorhanden.
Meine Damen und Herren, das führt mich zu einer anderen Fragestellung, von der ich glaube, daß sie letztlich zu einer Grundfrage für diese Koalition geworden ist: Wie will diese Regierungskoalition in der Forschungspolitik und in den anderen Bereichen, über die hier viel diskutiert worden ist, eigentlich die notwendigen Neuorientierungen z. B. im Bewußtsein unserer Mitbürger durchsetzen, wenn sie es in immer mehr Bereichen der Politik nicht mehr fertigbringt, ihre eigenen Anhänger und Mandatsträger zu überzeugen und auf einen Kurs zu bringen? Das ist doch das, was wir während dieser Haushaltsberatungen an vielen Punkten festgestellt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, für mich ist diese Frage im Grunde mit einer anderen Frage identisch, nämlich mit der Frage, ob eine Regierung überhaupt noch überzeugen kann, ob eine Regierung nicht notwendigerweise gelähmt und letztlich auch handlungsunfähig werden muß, wenn von ihr und ihrer Politik — das hat sich während der Haushaltsberatungen bis in den heutigen Tag hinein bestätigt — zwar viel Streit, aber keine wenigstens die eigenen Anhänger überzeugenden geistigen Impulse mehr ausgehen. Ich glaube nicht, daß es überhaupt eine Chance gibt, die meisten der vor uns liegenden gravierenden Probleme in den 80er Jahren zu bewältigen, wenn die bloße ökonomische und technische Machbarkeit der Maßstab politischen Handelns bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Neubesinnung, die jetzt not tut, kann nur erreichen, wer seiner Politik einen Inhalt gibt, der über das ökonomisch und technisch Machbare hinausführt. Denn jede Gesellschaft — ganz besonders die demokratische Gesellschaft — gerät in die Gefahr der Selbstzerstörung, wenn die Befriedigung von subjektiven Ansprüchen und Bedürfnissen nicht mehr an die Grenze von anerkannten sittlichen Normen und Grundwerten gebunden ist. Die jetzt notwendig gewordene Neuorientierung und Neubesinnung wird nur durchsetzen, wer mit seiner Politik auf das Bewußtsein, auf die Erwartungen und auf die Ansprüche unserer Mitbürger verändernd einwirkt und wer dabei Haltungen und Ziele bezeichnet, die außerhalb der materiellen Bedürfnisse und über die materiellen Bedürfnisse hinaus erreicht und angestrebt werden müssen, damit uns auch in Zukunft ein Leben in Freiheit möglich bleibt und damit unsere Gesellschaft eine humane Gesellschaft sein kann.
Meine Damen und Herren, sage keiner, solche Ziele könne es in einer pluralen demokratischen Gesellschaft nicht geben. Wir haben kein wertneutrales Grundgesetz. Unsere Verfassung ist von Grundwerten geprägt, die es in meinen Augen gar nicht zulassen, Politik ohne geistige und wertorientierende Sinngebung zu verstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen möchte ich — so wie ich es sehe — eines ganz deutlich sagen: Wer mit seiner Politik in einem demokratischen Staat, vor allem dann, wenn Neuorientierung und Neubesinnung notwendig sind, nicht auch zur geistigen Auseinandersetzung und in diesem Sinne zur geistigen Führung beitragen will, der, meine Damen und Herren, hat die politische Führung letztlich aus der Hand gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mich wundert es nicht, wenn es vor allem jungen Menschen in einer solchen Entwicklung immer schwerer wird, sich zurechtzufinden, und wenn überall gerade in der jungen Generation ein tiefsitzendes Unbehagen sichtbar wird. Meine Damen und Herren, wir sind uns einig, daß junge Menschen einen Anspruch auf eine gute, ihren Leistungen und Fähigkeiten entsprechende Schul- und Berufsbildung haben, die ihnen berufliche Zukunftschancen eröffnet. Aber dem kann eine Schule, die allein Wissen vermittelt, die soziale Forderungen erfüllt, nicht genügen. Denn junge Menschen haben auch und vor allem einen Anspruch auf Antwort, wenn sie fragen, was für sie und ihr späteres Leben gut ist und was nicht, was richtig ist, was falsch, welche Ordnung sinnvoll ist, welche nicht. Ich bewerte es positiv, wenn junge Menschen uns mehr und mehr solche Fragen stellen. Denn diese Fragen sind geeignet, zu verhindern, daß unsere Gesellschaft in geschäftige Stumpfheit verfällt, in welcher der einzelne sich selbst und seinem privaten Glück lebt und sich in allen Bereichen des Lebens so umfassend betreuen läßt, daß die Frage nach dem Sinn des Ganzen gar nicht mehr aufkommt.

(Abg. Klejdzinski meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901818600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901818700
Darf ich bitte erst den Gedanken zu Ende führen.

(Zurufe von der SPD)

Aber wenn die Frage nach dem Sinn des Ganzen heute eine der lautesten Fragen vieler junger Menschen geworden ist, dann darf die Politik, dann dürfen die in einem demokratischen Staat für die Erziehung der Jugendlichen Verantwortlichen diesen Fragen nicht ausweichen. Das bloße Angebot einer uferlosen Vielfalt von subjektiven Wertvorstellungen ist in meinen Augen keine Antwort auf diese Fragen junger Menschen, sondern läßt sie eher nur unsicher werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gewiß, die Aufgabe von Erziehung und Bildung kann nicht weltanschauliche Parteilichkeit sein. Bil-



Pfeifer
dung darf nicht durch politische Bevormundung für andere Zwecke mißbraucht werden, und sie darf auch nicht durch politische Bevormundung für andere Zwecke aufs Spiel gesetzt werden. Die Aufgabe von Erziehung und Bildung kann aber auch nicht wertneutrale Beliebigkeit sein. Denn unsere Verfassungen in Bund und Ländern legen für die Erziehung und Bildung ein Mindestmaß an ethischer Übereinkunft fest. Erziehung bedeutet auch: jungen Menschen helfen, einen ethischen, wertgebundenen Standpunkt zu gewinnen. Der hessische Ministerpräsident hat dieser Tage in meinen Augen zu Recht formuliert: „Probleme habe ich mit Männern und Frauen, die nur Lehrer geworden sind, um Geld zu verdienen. Sie haben keinen Bezug zu Kindern, haben keinen Wunsch, zu bilden und zu erziehen." Er fährt fort: „Wir bezahlen etwa 44 000 Lehrer, aber es stellt sich die Frage: haben wir damit schon 44 000 pflichtbewußte Erzieher für unsere Kinder?"

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901818800
Herr Abgeordneter — —

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901818900
Das ist genau die Fragestellung, die heute viele Eltern bewegt. Das ist genau die Fragestellung, aus der jetzt endlich einmal Konsequenzen gezogen werden müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Bitte, schön!


Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID0901819000
Herr Pfeifer, da Sie von Schule reden und sagen, daß dort Wissen vermittelt wird und Wissensvermittlung gleichzeitig bedeutet, Werthaltungen zu vermitteln, darf ich Sie fragen: Teilen Sie meine Auffassung — wenn Sie gleichzeitig hier davon reden, daß subjektive Werturteile vermittelt werden —, daß möglicherweise etwas in Ihrer Linienführung oder in Ihrer Stab-Linienführung nicht so übereinstimmt, wie Sie uns das hier vermitteln wollen?

(Zurufe von der CDU/CSU)


Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901819100
An sich ist das eine Fragestellung, die sich überhaupt mit dem Thema Wissensvermittlung in der Schule und auch mit dem Thema der Verwissenschaftlichung der Schule auseinandersetzt. Dazu möchte ich jetzt gerne ohnehin etwas sagen.

(Zurufe von der SPD)

Meine Überzeugung ist — wenn Sie es so direkt fragen —, daß seit der Vorlage des Bildungsberichts 1970 durch die Bundesregierung aus der dort als unabdingbare Notwendigkeit verkündeten größeren Verwissenschaftlichung unseres gesamten Bildungswesens viel Unheil entstanden ist. Natürlich - da haben Sie recht — wäre es töricht, bestreiten zu wollen, daß Wissenschaft und Technik unserer Generation und auch unseren Bildungseinrichtungen beispiellose Bereicherungen materieller und geistiger Art gebracht haben. Wissenschaft und Technik haben die Welt dem Menschen in vielem beherrschbarer gemacht, und das muß sie werden, wenn wir in Freiheit und Frieden überleben wollen. Sicher liegt hier eine Ursache dafür, daß diese Verwissenschaftlichung der Schule eingesetzt hat.
Aber, meine Damen und Herren, dieser manchmal zu blinde Glaube an die Wissenschaft und an die Möglichkeiten der Wissenschaft hat heute — wie ich meine: zu Recht — viel von seiner Kraft verloren. Es droht heute sogar eher ein Umschlag ins Gegenteil, nämlich eine zunehmende Abkehr von der Wissenschaft und eine zunehmende Technologiefeindlichkeit. Das ist auch eine Folge der zu großen Verwissenschaftlichung, die wir beispielsweise im Bildungswesen erlebt haben.
Diese ungute Entwicklung der Wissenschaft zur Technologiefeindlichkeit hat in meinen Augen nicht zuletzt deshalb zugenommen, weil es nicht gelungen ist, der jungen Generation eine realitätsbezogene Einschätzung des mit der modernen Großtechnologie verbundenen Risikos zu vermitteln. Sie hat auch deswegen zugenommen, weil beispielsweise in der Oberstufe des Gymnasiums immer mehr junge Menschen begonnen haben, die naturwissenschaftlichen Fächer, die mathematischen Fächer abzuwählen, und weil sie hinterher auf den Universitäten diese Fächer nicht mehr studieren. Der Anteil der Studenten, die naturwissenschaftliche Fächer studieren, ist zurückgegangen. Das ist eine Entwicklung, die wir uns in unserem Lande, da wir auf Technologie und Wissenschaft angewiesen sind, auf die Dauer gesehen überhaupt nicht leisten können.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901819200
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901819300
Darf ich, Herr Kollege Vogelsang, bitten, fortfahren zu dürfen, weil ich mit der Zeit ohnehin etwas in Verzug komme.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901819400
Das liegt bei Ihnen, Herr Abgeordneter.

(Zuruf der Abg. Frau Schlei [SPD])


Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901819500
Wenn wir nicht eine kritische Überprüfung auch dieser Oberstufenreform in Gang setzen, und wenn wir es nicht dadurch schaffen, daß diese Abkehr vieler junger Menschen von den naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern aufhört, dann weiß ich nicht, wie wir auf die Dauer überhaupt qualifizierte junge Leute gewinnen wollen, um für Wissenschaft und Forschung in der Zukunft das leisten zu können, worauf wir in unserem Land angewiesen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Wer regiert denn in Baden-Württemberg? Wer regiert denn in Schleswig-Holstein? — Weitere Zurufe von der SPD)

— Entschuldigen Sie bitte, ich habe hier ausdrücklich gesagt, daß wir vor diesem Hintergrund eine kritische Überprüfung der Ergebnisse der Oberstufenreform wünschen, selbstverständlich in allen Ländern. Wenn Sie hier Schleswig-Holstein erwähnen, möchte ich sagen: Der schleswig-holsteinische und auch der baden-württembergische Ministerpräsident haben ebenso wie ihre Kultusminister zum Ausdruck gebracht, daß sie eine solche kritische Überprüfung der Oberstufenreform wünschen. Nur



Pfeifer
die Minister und Ministerpräsidenten, die der Sozialdemokratischen Partei angehören, wehren sich bisher gegen eine solche kritische Bestandsaufnahme!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte mich gerne noch einem Punkt zuwenden, zu dem, glaube ich, diese Haushaltsdebatte auch Anlaß gibt. Weite Teile der Etatrede des Finanzministers befassen sich mit Themen wie Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Leistungsbilanzdefizit. Ich meine, das zwingt dazu, daß wir uns erneut der Frage nach der Erziehung zur Leistung und nach der Erziehung zur Leistungsbereitschaft in der Schule zuwenden. Sicher: Man kann und man darf das Leistungsprinzip der Berufswelt nicht mechanisch auf das Bildungswesen übertragen. Aber die Rechnung kann nicht aufgehen, wenn man einerseits in der Wirtschafts- und Währungspolitik — völlig zu Recht — wieder eine Neubesinnung auf Leistung, Wettbewerbsfähigkeit und Qualität verlangt, aber andererseits in der Bildungspolitik diejenigen als soziale Wohltäter ansieht, die Leistung vor allem mit negativen Attributen versehen und versehen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Leistung, Wettbewerb und Auszeichnung stellen keinen Widerspruch zur humanen Schule dar; denn es ist einfach nicht wahr, daß aus Leistung nur Konkurrenz, Streß oder Leistungsterror erwachsen. Aus der Leistung erwächst ebenso Vorbild und Ansporn. Leistung hilft dem jungen Menschen, seine sozialen, intellektuellen, praktischen und künstlerischen Begabungen zu entfalten.
Erziehung zur Leistung und zur individuellen Leistungsbereitschaft hat auch nichts mit der Rückkehr zur Paukschule zu tun, sofern Leistung mehr ist als nur Nachweis von Wissen und Durchsetzungsvermögen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Wer allerdings, meine Damen und Herren, den Sinn der Leistung nur darin sieht, sich später in einer auf Konsum und Wohlstand orientierten Gesellschaft möglichst bequem eingliedern zu können, wer das der jungen Generation einreden will,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

der darf sich natürlich nicht wundern, wenn sich unsere Jugend von einem solchen für sie zu Recht sinnlos gewordenen Leistungsbegriff abwendet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Leistungsanspruch, den wir an die junge Generation stellen sollten, muß der Leistung in den Augen der jungen Generation auch einen Sinn geben. Deshalb muß im Leistungsanspruch der Schule z. B. auch Einsatzbereitschaft für den Schwächeren und Rücksicht, Achtung für den Mitmenschen und für den Schwächeren anerkannt werden. Aber im Grunde gilt das j a nicht nur für die Schule. Ich meine, viele junge Menschen haben recht, wenn für sie die Jagd nach dem Geld nicht alles im Leben ist, wenn sie in überzogenen Werten der Konsum- und
Leistungsgesellschaft eine Zerstörung des Lebenssinns sehen und wenn sie z. B. meinen, daß der persönlich geleistete soziale Dienst oder das soziale Engagement für andere auch das eigene Leben sinnvoller machen kann, selbst wenn das nicht mit höherem Einkommen oder mit dem Erklimmen der nächsten Karrierestufe verbunden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist auch, meine Damen und Herren, Bestandteil von Leistung, auf die wir angesichts der immer schwierigeren Finanzierung vieler Bereiche unserer Sozialpolitik — wir haben das vorher in der Debatte gehört — angewiesen sein werden. Dies ist auch Bestandteil von Leistung, die für junge Menschen richtige Ziele setzt. Deswegen kann es nicht richtig sein, wie es da und dort geschieht, daß man die Leistung in der Schule und den Leistungsbegriff in der Schule überhaupt verteufelt. Ich meine, unser Ziel müßte es eigentlich sein, daß Leistung auch als Ausdruck der Solidarität mit anderen verstanden und in der Schule erfahrbar wird. Hier haben wir im Augenblick ein ganz großes Manko in vielen Bildungsinstitutionen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man könnte zu dem Haushalt vor allem des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft noch einige weitere kritische Anmerkungen machen. Mir kam es vor allem darauf an, deutlich zu machen, daß die notwendige Neuorientierung in der Politik über die Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik, über die Wirtschaftspolitik hinausgehen muß, daß sie vor allem Bedürfnisse beeinflussen muß, daß sie Ansprüche reduzieren muß, daß sie Erwartungen verändern muß, daß sie zugleich aber auch der jungen Generation neue Chancen öffnen und daß sie der jungen Generation geistige und wertorientierte Perspektiven geben muß, wenn sie gelingen soll und wenn wir die junge Generation dafür gewinnen wollen. Dazu kann die Forschungspolitik, dazu kann die Familienpolitik, dazu kann die Bildungspolitik, dazu kann überhaupt die Erziehung sehr viel beitragen.
Aber ich sehe die Impulse nicht, die in diesem Bereich und in diese Richtung von dieser Bundesregierung ausgehen. Deswegen werden wir bei den Haushaltsberatungen darauf achten, daß vor allem von diesen Bereichen und von diesen Impulsen in der Zukunft mehr sichtbar wird. Wir werden uns gegen Einsparungsvorschläge, die uns überzeugen — ich darf das zum Schluß noch einmal sagen — nicht zur Wehr setzen. Aber wir werden uns dagegen wenden, daß dort nicht eingespart wird, wo man einsparen könnte, ohne daß Perspektiven für die Zukunft der jungen Generation verlorengehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901819600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID0901819700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit großer Aufmerksamkeit die Ausführungen des Kollegen Pfeifer verfolgt und zunächst einmal eine merkwürdige Feststellung gemacht. Die Klagen über die Vernachlässigung der



Frau Weyel
Jugend beziehen sich bei Herrn Pfeifer ausschließlich auf Probleme der Hochschule.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn Sie die Wahlergebnisse kritisch betrachten, die Sie bei der Jugend hatten, sollten Sie einmal überlegen, ob an diesen Ergebnissen vielleicht auch schuld ist, daß bei Ihnen die Jugend nur aus einem Teil von maximal 20 bis 25 % besteht, nämlich aus den Hochschulabsolventen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU: Gott sei Dank hat er auch über andere Dinge gesprochen! — Kommen Sie von Ihrem hohen Roß herunter!)

Für uns liegt das Gewicht der Bildungspolitik noch immer auf der Schule und auf der Ausbildung der vielen, die eben keine Hochschule besuchen.

(Beifall bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/ CSU]: Davon sprach Pfeifer! — Weitere Zurufe von, der CDU/CSU)

Wir haben keineswegs etwas gegen Leistung. Wir haben auch nichts gegen geistige Führung oder dergleichen. Allerdings darf ich hier auf die Ausführungen verweisen, die der Bundeskanzler im Rahmen der Aussprache über die Regierungserklärung gemacht hat. Es ist sicherlich nicht Aufgabe dieses Parlaments, die alleinige geistige Führung des deutschen Volkes darzustellen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich will einmal versuchen, von den Bedürfnissen der Jugend auszugehen. Die Jugend will zunächst einmal eine Schule, in der sie nicht nur lernt — ich sage: nicht nur lernt; denn sie will lernen —, sondern eine Schule, die ihr auch ein bißchen Spaß macht und die ihr erlaubt, noch Kind zu sein.

(Zuruf des Abg. Dr. Blüm [CDU/CSU])

— Den Spaß verkraftet sie. Nach allen bisherigen Ergebnissen scheint es so, daß die von Ihnen als ideologisch betrachtete Gesamtschule manchmal ein bißchen mehr Möglichkeiten in diesem Bereich bietet.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Pfeifer, vielleicht haben Sie noch nicht festgestellt, daß heute zum Teil schon Kinder im 2. und 3. Schuljahr durch Nachhilfestunden auf Leistung getrimmt werden, damit sie die Hürde zum 5. Schuljahr im Gymnasium schaffen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Es hat schon seinen Grund, daß heute Eltern, wo es möglich ist — übrigens auch in CDU-regierten Ländern —, die Gesamtschule wählen, weil sie den Eindruck haben, daß dort die Kinder leichter lernen und sich nicht so unmittelbar dem Qualifikationsstreß ausgesetzt sehen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Per Volksbegehren! — Arbeit nennt man jetzt Qualifikationsstreß!)

Ich möchte dazu noch ein Zweites sagen. Zu dem Ausbilden intellektueller Fähigkeiten, die ich keineswegs unterschätze, sollte — vor allen Dingen in den unteren Klassen — viel stärker die Ausbildung im schöpferisch- musischen Bereich kommen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Diese Frage hängt nicht allein vom Geld ab, sondern von anderen Konzeptionen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Für Lehrpläne ist der Bundestag immer noch nicht zuständig!)

Ich möchte in diesem Zusammenhang an Modellversuche erinnern, etwa an den Modellversuch „Künstler und Schüler", der sehr große Erfolge gezeigt hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Hier muß man fragen, was eigentlich der Sinn eines Modellversuches ist. Wenn der Modellversuch so erfolgreich abgeschlossen ist, sollten anschließend die Kultusminister der Länder die Sache sowohl inhaltlich wie finanziell weiterführen. Das ist doch wohl der Sinn solcher Zuschüsse.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901819800
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Daweke?

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID0901819900
Ja, aber einen kleinen Moment bitte. Ich möchte noch ein Wort zur Schule sagen.
Für die Kinder ist es wichtig, daß sie auch bei einem Wechsel des Ortes die Möglichkeit haben, einmal erbrachte Leistungen anerkannt zu bekommen. Wenn wir auch unterschiedliche Grundsatzpositionen haben, so muß es doch möglich sein, hier Brükken zu schlagen, damit nicht die jungen Menschen dann den Preis für unterschiedliche politische Ansichten bezahlen müssen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Es gibt erfreulicherweise Signale auch von Ihrer Seite, die darauf hinweisen, daß es Hoffnungen auf einen Konsens des Vernünftigen in diesem Bereich gibt. — Bitte schön, Herr Daweke.

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID0901820000
Ich möchte Ihnen zunächst schönen Dank sagen, daß Sie mich fragen lassen, obwohl dies hier Ihre erste Rede ist.
Sind die Andeutungen in bezug auf die verstärkte Rolle der Hauptschule und der beruflichen Bildung und das, was Sie auch über musische Bildung gesagt haben, ein Abschied von Zahlen aus der Regierungserklärung und dem Bildungsbericht von vor zehn Jahren, als es das Ziel Ihrer Partei war, 50 % eines Jahrgangs und mehr zu einer akademischen Weiterbildung zu führen?

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID0901820100
Ich muß mich entschuldigen. Diese Zahlen von vor zehn Jahren — Sie haben schon gesagt, daß ich ein Neuling in diesem Bereich



Frau Weyel
bin — habe ich nicht zur Hand. Aber wenn ich mich recht erinnere, war damals von 25 % die Rede.

(Daweke [CDU/CSU]: 50 % Abiturienten, 25 % Hochschüler!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901820200
Sie haben eine Zwischenfrage gestellt; Sie müßten erneut fragen.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID0901820300
Ich halte 25 % Abiturienten für kein Unglück. Bildung heißt j a nicht nur, anschließend auf die Hochschule zu gehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

— Ich bedanke mich für Ihre Zustimmung. Bildung ist für uns im wesentlichen auch eine Frage der Lebensqualität außerhalb des Arbeitslebens.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Lassen Sie mich einige Worte zur beruflichen Bildung sagen. Der Schlußbericht der Regierung, den wir in der vorigen Woche gehört haben, hat deutlich gezeigt, daß in der Schaffung von Ausbildungskapazitäten Erfolge erzielt worden sind. Immer noch muß uns aber die Frage bewegen, ob den Bedürfnissen junger Leute nach Ausbildungsplätzen zumindest quantitativ inzwischen Rechnung getragen wird. Obwohl Sie sich so gefreut haben, daß das Bundesverfassungsgericht das bisherige Ausbildungsplatzförderungsgesetz zu Fall gebracht hat, muß ich Sie fragen: Hätte es ohne dieses Gesetz die Steigerung von Ausbildungsplätzen auf 700 000, wie sie jetzt da sind, gegeben?

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich hätte es die gegeben!)

Ich verkenne keineswegs, daß hierzu der gute Wille der ausbildenden Wirtschaft, der Verwaltung, aller, die Ausbildung leisten, um den Jugendlichen zu helfen, ganz wesentlich beigetragen hat. Lassen Sie mich aber auch einmal ganz zaghaft fragen, ob nicht die Drohung mit der Finanzierung ein bißchen mitgeholfen hat, daß die Bereitschaft so groß war.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich erinnere noch einmal daran: es gibt immer noch Problemgruppen, die Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, zum Beispiel behinderte, zum Beispiel die Kinder von Ausländern, und es gibt immer noch eine Dunkelziffer von nicht Ausgebildeten, die in Statistiken nicht vorkommen; hier sind vor allen Dingen die Mädchen sehr stark vertreten.

(Beifall bei der SPD)

Der eigentliche Problempunkt ist heute aber nicht der Eintritt in die Ausbildung, sondern der Übergang vom Ausbildungsverhältnis zum Eintritt in das Beschäftigungssystem. Da liegt heute die große Schwierigkeit. Deswegen müssen wir die Frage nach Ausbildungsplätzen nicht nur quantitativ stellen, sondern nach der Qualität und regionalen Verteilung ausrichten.
Wenn das jetzt vom Kabinett gebilligte neue Berufsbildungsförderungsgesetz — zunächst einmal ohne Finanzierungsregelungen — das bisher Erreichte sichern soll, so wird sich trotzdem die Frage einer wie auch immer gearteten Finanzierung weiter stellen. Wenn wir schon am dualen Ausbildungssystem festhalten wollen — ich glaube, darüber sind wir uns einig —, dann heißt das doch, daß auch die Kosten dual getragen werden müssen. Wir werden auch in Zukunft nicht ohne außer- oder überbetriebliche Ausbildungskapazitäten auskommen, vor allem in den strukturschwachen Gebieten. Frau Hellwig, Sie wissen selber aus Ihrer bisherigen Arbeit, welche Schwierigkeiten dies häufig mit sich bringt.
Hier möchte ich auch noch eine Verbindung zu der Diskussion von heute morgen aufzeigen. Wir haben heute Probleme der Ausbildung in den strukturschwachen Regionen. In Zukunft werden sie noch stärker sein. Wenn es uns gelingt, dort durch außerbetriebliche Einrichtungen einen Wandel zu schaffen, dann entlasten wir gleichzeitig den Wohnbedarf in den Ballungsgebieten;

(Beifall bei der SPD)

denn dann wird der Zuzug dorthin nicht so stark .
Noch eines zu der Finanzierung. Wir halten gesetzliche Regelungen keineswegs für das Nonplusultra. Vielmehr würden wir es begrüßen, wenn die Wirtschaft in allen Bereichen durch vertragliche Vereinbarungen, wie es zur Zeit in der Bauwirtschaft der Fall ist, diese Fragen regeln könnte. Das wäre die günstigste Lösung, weil sie auch in die Zukunft weisen würde. Aber im Augenblick sieht das nicht so aus. Wenn die Wirtschaft das nicht von sich aus fertigbringt, dann muß halt der Gesetzgeber einspringen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Bei der sich ständig verändernden Lage auf dem Arbeitsmarkt können wir es uns nicht leisten, in wenig zukunftsträchtigen Bereichen auszubilden.

(Beifall bei der SPD)

Denn wenn wir falsch ausbilden, wirkt sich das nachher im sozialen Bereich durch den Zwang zu Umschulungsmaßnahmen aus. Das wäre nicht nur für den einzelnen eine Last, sondern auch volkswirtschaftlicher Unsinn.

(Beifall beider SPD — Daweke [CDU/CSU]: Wer beurteilt denn, ob es falsch oder richtig ist? Welcher Beruf hat denn Chancen?)

— Die ausbildende Wirtschaft weiß meistens recht gut, in welchen Bereichen sie Leute braucht.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

— Aber freuen Sie sich nicht zu früh! Denn leider ist es so, daß die aussichtsreichen Arbeitsplätze auch teure Ausbildungsinvestitionen verlangen. Dazu sind die Betriebe nicht alle bereit.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte aber auch noch einmal darauf hinweisen, daß es nicht nur um finanzielle, sondern auch um inhaltliche Fragen geht. Was wir brauchen, ist eine möglichst breite Grundbildung, die es bei Veränderung der Arbeitsmarktsituation oder auch der Technologien dem einzelnen erlaubt, im Spektrum



Frau Weyel
eines bestimmten Berufsfeldes relativ leicht umzuschulen oder neue Fähigkeiten zu erwerben, was natürlich auch den Willen dazu voraussetzt.
Zum Inhalt möchte ich noch eines sagen. Auch die Ausbildung sozialer Fähigkeiten, beispielsweise der Fähigkeit zum Teamwork, ist nach unserer Meinung sehr wichtig. Das gleiche gilt für die Durchsetzung sozialer Interessen im Bereich der Mitbestimmung oder dergleichen. Die Fähigkeit zum Teamwork wird heute leider — sehen Sie sich einmal die Realität unserer Schulen und Hochschulen an, wo die Lebensschancen nach Zehntelpunkten beurteilt werden — immer geringer, weil wir heute statt einer Lerngruppe ein Heer von Einzelkämpfern haben, die versuchen, gegenüber dem jeweiligen Nachbarn einen Zehntelpunkt mehr zu haben.

(Beifall bei der SPD)

Zum Inhalt der Hochschulausbildung: Wir müssen uns heute fragen, ob noch alle Studiengänge so, wie sie gestaltet sind, als Vorbereitung für eine berufliche Tätigkeit zweckmäßig sind. Wenn wir es fertigbringen, diese Studienreformen mit Blick auf die heutigen Bedürfnisse schneller durchzubringen, dann kostet das erstens kein Geld und es wird damit zweitens erreicht, daß die Absolventen einfacher in das Berufsleben übergehen können.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang — und weil wir vom Haushalt reden — auch noch etwas zum vielgescholtenen BAföG sagen: Wir halten dieses Gesetz für einen ganz wichtigen Beitrag im Hinblick auf eine von der sozialen Herkunft unabhängige Chancengleichheit von Jugendlichen in der Schule und in der Ausbildung. Wir betrachten es zunächst einmal als einen Erfolg, daß es in so großem Maße in Anspruch genommen wird. Der im Haushaltsentwurf enthaltene Betrag von 2,4 Milliarden DM, der an den Ist-Ausgaben von 1980 orientiert ist, wird sich aber — ich sage das auch zur Beruhigung des Finanzministers — kaum steigern lassen.
Wir müssen daher darüber nachdenken, wie wir die Mittel richtig verteilen. Hier sind sicher Korrekturen im Sinne einer stärkeren Betonung der sozialen Komponente notwendig. Frau von Braun-Stützer hat neulich schon darauf hingewiesen, daß es eine Anzahl von Mißbräuchen gebe. Es wird unsere Sache sein, Wege zu finden, um den Mißbrauch des BAföG durch Kreise, für die es nicht gedacht war, auszuschalten.

(Beifall bei der SPD)

Zum Hochschulbau: Wenn im Bereich des Hochschulneubaus und des Studentenwohnheimbaus die Mittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe um 20 % gekürzt worden sind, so ist dies weniger eine Frage des Willens, weiterzuarbeiten und Schwerpunkte zu setzen, sondern vielmehr eine Frage der Verteilung der Finanzmasse zwischen Bund und Ländern. Herr Westphal hat vorhin schon darauf hingewiesen, daß wir nicht die Absicht haben, Bauruinen irgendwelcher Art zu schaffen. Aber wir sehen in der Sicherung der Studienplatzkapazitäten einen ganz wichtigen Beitrag zum Abbau des Numerus clausus, wodurch einige Verbiegungen, die heute im Schulbereich auftreten, ausgeglichen werden können.
Ich darf hier noch etwas zu der Klage über die mangelnde Qualität des wissenschaftlichen Nachwuchses sagen. Wenn Sie sich einmal die Lebensläufe genialer Wissenschaftler anschauen, dann werden Sie feststellen, daß das in sehr vielen Fällen nicht Leute waren, die in der Klasse Primus waren, sondern solche, die so gerade eben mitzogen — und das, weil sie Interessen hatten, die außerhalb der Schule lagen. Solche jungen Leute werden in unserem System, wo nur nach Noten und Punkten gefragt wird, zu schlecht behandelt. Wenn heute jemand, vor allen Dingen im Bereich der gymnasialen Oberstufe, ernsthafte Interessen außerhalb des Schulbereiches hat, dann hindert ihn das unter Umständen daran, beim Abitur die Abschlußnote zu erreichen, die nötig wäre, um das ihm gemäße Studium aufnehmen zu können. Das ist ein großes Problem im Zusammenhang mit der Frage hochqualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses.

(Beifall bei der SPD)

Zum Studentenwohnheimbau — ich bin selbst Mutter einer studierenden Tochter und habe auch einen studierenden Schwiegersohn; ich kenne die Probleme aus eigener Anschauung sehr gut —: Man muß fragen, ob das nur mit öffentlichen Geldern gemacht werden kann oder ob man nicht vielleicht auch hier über etwas unkonventionellere Lösungen, wie z. B. Programme zur Förderung von Dachausbauten oder für den Bau von Räumen für Studenten in Eigenheimen, nachdenken sollte. Ich erinnere mich, daß z. B. die Stadt Mainz eine Zeitlang ein solches Programm hatte, in dem sie für den Einbau von Studentenzimmern den Erbauern von Eigentumswohnungen einen Ausgleich gab.
Ich möchte zum Schluß kommen. Ich glaube, daß die Ausrichtung unserer Bildungspolitik und unserer Sorge für die Jugend mit dem Gewicht auf einer vernünftigen Ausbildung, aufbauend auf einem Schulwesen, in dem jeder Chancen hat, dazu beitragen kann, hier für die Zukunft eine gute Regelung zu treffen. — Danke.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901820400
Frau Abgeordnete Weyel, ich möchte Sie zu der ersten Rede, die Sie hier vor dem Bundestag gehalten haben, sehr herzlich beglückwünschen.

(Beifall — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das erste Mal!)

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Laermann.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID0901820500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Pfeifer hat zu Fragen der Bildungspolitik, zu Fragen der Forschungspolitik gesprochen. Er hat sich sehr eingehend über Fragen des geistigen Umfeldes in unserer Gesellschaft und die Chancen der jungen Generation ausgelassen. Er hat darauf abgehoben, ob die 44 000 Lehrer auch pflichtbewußte Erzieher seien, aber er hat keine Antwort darauf gegeben, was er



Dr.-Ing. Laermann
darunter versteht, er hat nicht auf Konsequenzen abgehoben. Er hat die Verwissenschaftlichung des Bildungswesens beklagt, aber er hat nicht auf Konsequenzen abgehoben. Er hat die Forderung nach einer Neuorientierung erhoben, aber er hat dazu keine Vorschläge gemacht.
Ich habe nach dieser Rede den Eindruck, Herr Kollege Pfeifer, daß offenbar bei der CDU ein Umdenken erfolgt ist, auch eine Neuorientierung, und daß ihr Widerstand bzw. der Widerstand aus den Bundesländern — denn die haben ja besonders mit Bildungsfragen zu tun und sind dafür auch kompetent — nachläßt. Sie scheinen also nunmehr doch geneigt zu sein, den Bildungsrat erneut ins Leben zu rufen und möglicherweise auch den Widerstand gegen mehr Bundeskompetenz im Bildungswesen aufzugeben; denn nur dieses kann die Konsequenz aus Ihren Ausführungen und aus Ihrem Ruf nach einer Neuorientierung sein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: So eng darf man das nicht sehen!)

Das waren alles weitgehend Probleme, über die wir zwar sehr wohl hier diskutieren müssen — dies will ich nicht ableugnen —, die aber nicht von hier aus und auch nicht durch die Bundesregierung zu verändern sind. Es hörte sich so an — von dieser Stelle aus gesprochen —, als ob das alles nur die Bundesregierung zu verantworten hätte. Diese Rede, Herr Kollege Pfeifer, geht wohl gleichermaßen an alle Bundesländer, ganz gleich, wer dort die Regierung stellt.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Aber mit unterschiedlichem Gewicht!)

— Sehr wohl, aber was die Frage der Verwissenschaftlichung der Ausbildung und der Oberstufenreform betrifft, so sollte man sich wohl eher an die Kultusministerkonferenz wenden, und dann wird wohl auch deutlich, wie die Mehrheitsverhältnisse dort sind und was dort eigentlich abläuft.
Ich bin sicher, wir sind uns darüber einig, daß Bildung, Wissenschaft und Forschung von ausschlaggebender Bedeutung für unsere Zukunft sind, und zwar für die politische und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes von entscheidender Bedeutung sind, ich möchte sogar behaupten, auch für die Zukunft der Menschheit, weshalb wir uns — Herr Kollege Pfeifer, darin bin ich mit Ihnen einig — mit den Problemen der jungen Generation auseinandersetzen müssen.
Der Bedeutung von Bildung, Wissenschaft und Forschung für die junge Generation entspricht doch wohl — dies läßt sich belegen und dies können Sie auch aus den Haushaltsansätzen selbst unter dem Zwang zum Sparen erkennen — die Bildungs- und Forschungspolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien. Zweifellos gibt es unterschiedliche Positionen in bezug auf die Prioritäten und auf die Instrumentarien. Veränderungen und neue Förderungskonzeptionen sind unerläßlich, denn gerade die Bildungspolitik wie aber auch die Wissenschafts- und Forschungspolitik müssen dynamisch sein. Hier auf alten Instrumentarien zu beharren, wäre nicht richtig. Unter dem Gebot des Sparens, unter dem wir stehen, müssen wir zu neuen Konzeptionen kommen. Dazu werden wir neue und konkrete Vorschläge machen. Wir hoffen, diese mit Ihrer Unterstützung durchsetzen und umsetzen zu können.
Der Finanzminister hat unmißverständlich darauf hingewiesen, daß es in dieser Phase der Neubesinnung auch privater Initiativen und der Förderung privater Initiativen bedarf. Wir sind darin mit ihm sicherlich einig. Es ist über die Förderung privater Initiativen hinaus eine Verpflichtung des Staates, die Rahmenbedingungen für ein entsprechendes Klima zu schaffen, vor allen Dingen dafür zu sorgen, daß Stetigkeit und Verläßlichkeit in Bildungs- und Forschungspolitik garantiert werden.
Ein wesentlicher Faktor ist in diesem Zusammenhang — hier möchte ich den neuen Forschungsminister von Bülow zitieren — die von ideologischen Vorurteilen freie intensive Zusammenarbeit von Staat, Wissenschaft, Bildungseinrichtungen und den gesellschaftlichen Gruppen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Probst [CDU/CSU]: Das könnte ein neuer Ansatz werden! — Daweke [CDU/ CSU]: Völlig neue Töne!)

Deswegen möchte ich das hier ausdrücklich begrüßen.
Wir haben die politische Aufgabe, die erschrekkend weit verbreitete Technologiefeindlichkeit vor allem in der jungen Generation zu überwinden. Unsere Zukunft, so meine ich, hängt davon ab. Die junge Generation befindet sich in einer stark emotional aufgeladenen Auseinandersetzungsphase, möglicherweise infolge sozialer Umstrukturierungen infolge der Abkehr von der Großfamilie. Hier ist eine Möglichkeit zum Erleben und Ausleben von Emotionen verlorengegangen. Sie suchen nun — auch dafür müssen wir Verständnis haben — diese emotionale Auseinandersetzung in den Bereichen zu führen, wo eigentlich nur Rationalität angebracht wäre. Die junge Generation ist in eine Welt hineingewachsen, die viel zu sehr dem materiellen und dem Konsumdenken verhaftet ist.
Herr Pfeifer, Sie verlangen mehr Leistungswillen, Leistungsbereitschaft. Ich bin mit Ihnen einig, wenn wir nicht der Gefahr erliegen, dies mit Leistungsdruck zu verwechseln.

(Zustimmung bei der FDP)

Natürlich sind mit der enormen Expansion des Wissens, der Erkenntnisse auch die Anforderungen in den Schulen, in der Berufsausbildung und in den Hochschulen gestiegen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß gerade die Jugend Entwicklungsräume braucht, Freiräume für eigenes kreatives Handeln. Ich stimme der Frau Kollegin Weyel zu: Wir brauchen in den Schulen nicht mehr nur wissenschaftsorientiertes Lehren, wissenschaftspropädeutische Ansätze,

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Das hat doch niemand gesagt!)




Dr.-Ing. Laermann
sondern wir brauchen auch musische Ausbildung, musische Elemente, die die Kreativität des einzelnen jungen Menschen fördern.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich meine, daß die Jugend Befreiung von allzu starker Einengung durch die bloße Rationalität braucht. Die Jugend hat Hunger nach Gefühlen, und sie sucht bewußt oder unbewußt nach dem Metaphysischen.
Wir sind uns sicherlich einig, daß sich die Jugend vom Anspruchsdenken befreien muß. Wir, die Politiker, die politisch Verantwortlichen, müssen sie zur Verantwortung und zur Fähigkeit hinführen, ihre Zukunft eigenverantwortlich zu gestalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Geistige Führung!)

Wir, Politik und Staat, haben die Grundlagen für dieses Hineinwachsen in die Verantwortung zu sichern.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Richtig!)

„Glaubwürdigkeit", hat Herr Pfeifer gesagt. Ich füge hinzu: Offenheit, Geradlinigkeit und Stetigkeit in der Politik und die Garantie gleicher Chancen, das ist wichtig. Deshalb ist es auch wichtig, daß wir gerade in Zeiten knapper Kassen — ich komme damit zum Haushalt — nicht das Saatgut für die Ernte von morgen verschütten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" um 20 % ist im Hinblick auf die bis Ende der 80er Jahre steigenden Studentenzahlen sicherlich ein Problem, auch für die Länder. Wir verkennen das nicht. Hier müssen wir noch nach Lösungen suchen, um den Ausgleich und den Anschluß zu finden. Bei den Überlegungen zur Umsetzung der Einsparungsbeschlüsse muß auch sichergestellt werden, daß die von Bund und Ländern vereinbarte Zielsetzung im Hochschulbau erreicht wird. Denn die Politik zur Öffnung des Bildungssystems bzw. zum Offenhalten der Hochschulen für die geburtenstarken Jahrgänge muß fortgesetzt werden. Wir verkennen nicht, daß wir heute schon über die Zeit nachdenken müssen, in der die geburtenschwachen Jahrgänge in die Hochschulen und das Berufsleben eintreten.
Über Einzelfragen des Haushalts des Ministers für Bildung und Wissenschaft werden wir sicher noch beraten müssen. Das gilt vor allem für den Studentenwohnraumbau, den Herr Pfeifer angesprochen hat. Wir glauben, daß diese Aufgabe unbürokratischer und damit wirkungsvoller und auch sparsamer von den Ländern allein und in eigener Verantwortung wahrgenommen werden kann. Selbstverständlich ist dazu notwendig, daß man sich über die Übergangsphasen Klarheit verschafft und die Frage beantwortet, wie schnell diese Übertragung möglich ist, die zwischen Bund und Ländern ausgehandelt werden muß.
In der beruflichen Bildung müssen die gemeinsamen Bemühungen des Bundes und der Länder, der Arbeitgeber und der Gewerkschaften zur Ausweitung des Arbeitsplatzangebots fortgesetzt werden. Denn auch nach Rückgang der Jahrgangsstärken nach 1983 muß das erreichte Niveau beibehalten werden. Ja, wir meinen, es muß im Hinblick auf die höheren Qualifikationsanforderungen verbessert werden. Es geht darum, die Berufswahlmöglichkeiten der jungen Menschen zu verbessern. Die Zielsetzung, für alle jungen Menschen eine qualifizierte berufliche Erstausbildung zu sichern, ist umzusetzen.
Besondere Anstrengungen sind notwendig für die Ausbildung junger Frauen im gewerblich-technischen Bereich, für junge Ausländer und für die Ausbildung von Jugendlichen mit Lerndefiziten sowie für Behinderte.
Die hier anzusprechende Frage der Notwendigkeit des Sparens und der Instrumentarien, die in Zukunft zur Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung einzusetzen sind, ist auch auf die Forschung, besonders im Hinblick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs, auszudehnen.
Wir stimmen dem Forschungsminister zu, wenn er rät, keine abstrakten Theoriediskussionen zu führen, sondern ernsthaft mit dem Willen, zu einem gemeinsamen Ziel und zu einem gemeinsamen Endergebnis zu kommen, über neue Instrumente zu diskutieren. Herr Minister, lassen Sie uns über weiteren unverzichtbaren Abbau von Bürokratie und Verwaltungsaufwand sprechen. Ich behaupte: Hier sind beachtliche Einsparungen zu erzielen, ohne die der Forschung zukommenden Mittel schmälern zu müssen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Haushalt sieht vor, daß in der Grundlagenforschung die prozentualen Anteile beibehalten werden. Aber sie werden für Personalkostensteigerungen verbraucht werden. Für neue Forschungsbereiche und immer teurere, gewaltigere, kostspieligere Maschinen in der Grundlagenforschung sind die Grenzen staatlicher, jedenfalls nationalstaatlicher Leistungsfähigkeit bald erreicht. Ich meine, Herr Kollege Pfeifer, hier können wir nur noch in internationaler Kooperation und arbeitsteilig zu den gewünschten Ergebnissen kommen. Wenn Sie behaupten, daß die Mentalität: „wir müssen ja nicht überall an der Spitze sein" zwangsläufig zur Zweitklassigkeit führe, muß ich mit Nachdruck widersprechen.

(Beifall bei der FDP — Dr. Probst [CDU/ CSU]: Sehr gut!)

Wir müssen in diesem Zusammenhang kritisch auch nach dem Ehrgeiz von Wissenschaftlern fragen. Sosehr ich dafür Verständnis habe, sosehr muß ich kritisch fragen, ob Sie sozusagen in einen internationalen Wettlauf eintreten wollen. Ich denke z. B. an die Kernfusionsforschung. Das alles nimmt inzwischen eine finanzielle Dimension ein, daß wir die künftige Grundlagenforschung in diesem Bereich wirklich nur noch in internationaler Kooperation werden betreiben können. Aber auch in der Grundlagenforschung ermöglicht es ein Weniger an Verwaltungsaufwand, die vorhandenen Mittel effizienter einzusetzen.




Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901820600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Probst?

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID0901820700
Gern, Herr Kollege Probst.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID0901820800
Herr Kollege Laermann, ich komme auf Ihre Äußerung zur Fusionsforschung zurück. Sind Sie der Meinung, daß in der Bundesrepublik Deutschland die bisherigen Aktivitäten in der Fusionsforschung zugunsten internationaler Aktivitäten aufgehoben oder wesentlich zurückgeschraubt werden sollen?

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID0901820900
Beides, Herr Kollege Probst. Wir haben das IPP in München-Garching mit einigen Maschinen. Eine Maschine Textor in der KFA Jülich ist im Aufbau. Es gibt neue Pläne der KfK in Karlsruhe. Wir haben — darauf haben wir uns verständigt — die europäische Zusammenarbeit im Rahmen des JET in Culham. Jetzt ist man auch noch dabei, auf internationaler Basis — die USA, die Sowjetunion und Japan — über die Internationale Atomenergiebehörde eine weitere Maschine, nämlich die INTOR, zu planen. Ich frage mich, ob es angesichts der Kostenentwicklung nicht sinnvoll ist, diese Aktivitäten zusammenzuführen und zu einer optimalen Mittelverwendung zu kommen. Ist es notwendig, nun eine weitere teure Maschine zu installieren? Ich glaube, diese Fragen müssen wir uns stellen und diskutieren.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901821000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID0901821100
Ja, wenn es meine Redezeit nicht allzu sehr einschränkt.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID0901821200
Herr Kollege, es ist doch so, daß wir in Deutschland in der Fusionsforschung eine gewisse Forschungskapazität haben. Sie werden mir sicher zustimmen, daß eine solche Forschungskapazität langfristig arbeiten muß, wenn sie vernünftig arbeiten soll. Würden Sie mit mir übereinstimmen, daß diese Forschungskapazität in Deutschland aufrechterhalten und mit wirklich zukunftsorientierten Aufgaben befaßt werden muß?

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID0901821300
Herr Kollege Probst, eines möchte ich grundsätzlich feststellen: Gerade in der Forschung und insbesondere in der Grundlagenforschung sind Kontinuität und langfristige Konzeption geboten. Aber hier geht es j a um neue Konzeptionen und nicht darum, Kapazität abzubauen. Hier geht es darum, das, was hier an Initiativen entwikkelt wird, auch im Hinblick darauf zu konzentrieren, daß wir an die Grenze der Leistungsfähigkeit des Staates gekommen sind, diese Mittel auch aufzubringen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Auf dieses Ziel wollen wir hinarbeiten und nicht den Ehrgeiz einzelner Wissenschaftlergruppen befriedigen. Ich erkenne an, daß manches richtig und notwendig ist, aber wir müssen hier die Frage stellen, ob es nicht andere Mittel und Möglichkeiten gibt,
das erstrebte Ziel zu erreichen. Das hat nichts mit einem Abbau von Kapazitäten zu tun, überhaupt nicht.
Ich darf meine eigentlichen Ausführungen wieder aufnehmen. Ich bin der Meinung, daß wir uns — die Bundesregierung ist ja dabei, diese Frage zu prüfen — mehrjährigen Globalhaushalten zuwenden müssen. Wir müssen die Eigenverantwortung in Wissenschaft und Forschung stärken. Denn nur auf dieser Grundlage kann man darüber entscheiden, wie die vorhandenen Mittel am zweckmäßigsten eingesetzt werden können. Hier wäre es angebracht — ich sage das auch in Richtung auf unsere Kollegen aus dem Haushaltsausschuß —, darüber nachzudenken, ob es, um eben die notwendigen Einsparungen vorzunehmen, nicht richtig wäre, in diesem Bereich vom Jährlichkeitsprinzip abzuweichen. Denn der Haushaltsausschuß hat mit seinen Beschlüssen — Stichtag: 30. September — zwar das Dezember-Syndrom überwunden, aber dafür ein August-Syndrom geschaffen. Der Kollege Gärtner hat am Dienstag ja ausgeführt, daß wir die Struktur der Haushalte verändern müssen; ich bin da mit ihm völlig einig. Wir können nicht davon ausgehen, daß wir das Problem der knappen Kassen nur mit Zahlenkorrekturen an den Haushalten oder an der mittelfristigen Finanzplanung zufriedenstellend — langfristig und endgültig — lösen können. Vielmehr müssen wir an den Strukturen, an den Konzeptionen arbeiten; dazu sind wir aufgerufen.
Ich nehme bei der Grundlagenforschung auch Bezug auf die Gemeinschaftsaufgaben, die Rahmenvereinbarung nach Art. 91 b des Grundgesetzes. Das sollte doch einmal dahin gehend überprüft werden, ob nicht im Hinblick auf die Kosten, die durch den unproduktiven Verwaltungsaufwand entstehen, die vorhandenen Mittel durch andere Strukturen, durch eindeutige Zuordnungen und durch Trennung nach Bund und Ländern zweckmäßiger eingesetzt werden können. Die Zahl der Entscheidungsebenen und der an den Entscheidungen Beteiligten ist zu groß, die Abstimmungsverfahren sind zu zahlreich bzw. zu kompliziert, zu langwierig, viel zu bürokratisch und damit viel zu teuer. Die Mittel gehen daher nicht in die Forschung, wohin sie eigentlich gehören.
Ich möchte auch die Frage der direkten und der indirekten Forschungsförderung, die Frage der Programme ansprechen. Ich stelle hier voran — ich sage das noch einmal —: Es geht hier nicht um ein Entweder-Oder. Denn die beiden Instrumentarien, die direkte und die indirekte Forschungsförderung, sind keine substituierbaren Alternativen. Es gibt Bereiche, in denen der Staat und auch die Bundesregierung verpflichtet sind, ihrerseits Forschung zu motivieren, zu initiieren und auch zu fördern, nämlich dann, wenn das Risiko und die Marktferne zu groß sind, wenn internationale Wettbewerbsfähigkeit angesprochen ist und wenn es darum geht, staatliche Aufgaben im Bereich des Gesundheitswesens oder auch des Umweltschutzes zu erfüllen.
Allerdings meine ich, daß wir die Programme kritisch überprüfen müssen. Natürlich können Nachteile, Fehlentwicklungen nicht ausgeschlossen werden. Aber — man sagt ja: eine Schwalbe macht noch



Dr.-Ing. Laermann
keinen Sommer — man sollte aus einem fehlgegangenen Projekt nicht auf das Ganze schließen. Aber wenn man das insgesamt einmal durchforstet, dann — so meine ich — müssen aus den Erfahrungen, die uns jetzt vorliegen, doch einige Konsequenzen gezogen werden.
Ich möchte noch einmal betonen, daß der Abbau von Verwaltungsaufwand gerade in den Bereichen der direkten Forschungsförderung voranzutreiben ist, in denen es zu viele Einzelprojekte gibt. Die Zahl der Einzelprojekte — sie ist vorhin schon einmal genannt worden — ist auf annähernd 7 000 gestiegen. Natürlich mußte die Zahl der Projekte in dem Maße steigen, in dem kleine und mittlere Unternehmen an der direkten Forschungsförderung mitbeteiligt werden sollten — das war ja unser politischer Wille —, aber wir müssen gleichzeitig die Frage stellen, ob das bisherige Instrumentarium in diesem Falle auch angebracht war. Der Forschungsminister hat zugesagt, das Verfahren zu überprüfen.
Ich will in diesem Zusammenhang aber auch die Frage stellen, ob es denn noch richtig, notwendig und vertretbar ist, die Projektträger aufrechtzuerhalten. Ich meine, die Projektträger sollten einmal einer Überprüfung unterzogen werden. Auch die Zahl der Gutachter sollte reduziert werden. Wir haben es inzwischen mit einer undurchschaubaren Interessenverflechtung zu tun, die zwischen Hochschulwissenschaftlern auf der einen Seite und Forschern aus der Industrie auf der anderen Seite besteht. Hier, meine ich, müßte man dazu kommen, daß man — vom Parlament mitverantwortet — die Zahl der Projekte reduziert und ihnen einen Sachverständigenbeirat zur Seite stellt, der die fachliche Beratung übernimmt. Die Mittelverwaltung sollte ausschließlich Aufgabe der Exekutive sein. Wozu brauchen wir dann noch Projektträger?

(Beifall des Abg. Daweke [CDU/CSU])

Wie die Programme ausweisen, verschlucken die Projektträger im Mittel 5 % der Haushaltskosten, z. T. bis zu 8 %, ganz zu schweigen von den Verwaltungs- und Bearbeitungskosten, die bei diesem Apparat und auf der Seite der Zuwendungsnehmer entstehen.
Ich will beispielhaft einmal eine Kette aufzeigen: Ein Hochschullehrer beantragt ein Forschungsprojekt; die Hochschulverwaltung schickt den Antrag an das Wissenschaftsministerium des Landes, das Landesministerium bearbeitet diesen Antrag; er geht an das BMFT, vom BMFT an den Projektträger, von dem Projektträger wieder an das BMFT. Die Korrespondenz und die diesbezüglichen Rückfragen müssen zur Abstimmung immer wieder an das Bundesforschungsministerium geschickt werden.

(Daweke [CDU/CSU]: Und in der Zeit haben die Chinesen das Problem gelöst!)

— Dies ist wahr. — Ich frage mich: Muß das sein? Dazu kommen sehr viele Auflagen und verwaltungsmäßige Aufgaben, Vierteljahresberichte, Jahresberichte, auch noch in englischer Sprache. Ich frage mich, ob angesichts dieser Situation kleine und mittlere Unternehmen noch motiviert sind, solche Anträge auf Forschungsförderung zu stellen. Sie wer-
fen, wie ich aus vielen Beispielen weiß, zwischendurch das Handtuch.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Daweke [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich meine, daß wir hier ganz erheblich sparen können. Die eingesparten Mittel könnten — aufgestockt durch beachtliche Zuwachsraten — für die Forschung selbst verwendet werden. Sparen will gelernt sein. Hier müssen neue Ansätze gemacht werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Reduzierung der Programme und die Einschränkung der direkten Forschungs- und Entwicklungsförderung kann natürlich nur kontinuierlich geschehen. Man kann und darf nicht glauben, daß man mit der Axt an die Wurzeln des Haushalts 1981 gehen könnte. Hier müssen natürlich auch Alternativen entwickelt werden, die umgesetzt werden müssen. Ich denke an Substitution oder Ergänzung durch indirekte Maßnahmen. Hier sind gute Ansätze vorhanden, und es ist ausdrücklich zu begrüßen, daß auch die Mittel für die Personalkostenzulage erhöht worden sind. Wir sollten dieses Instrumentarium weiter ausbauen.
Aber es ist auch darüber nachzudenken, ob man nicht neue Instrumentarien vorsieht, wie z. B. ein Investment tax credit oder erhöhte Abschreibungssätze, ähnlich wie bei Umweltschutzgütern, oder z. B. die Abschaffung der Vermögensbesteuerung von lizenziertem Know-how und von lizenzierten Patenten.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901821400
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID0901821500
Ich werde gleich zu Ende kommen. — Ich möchte auch fragen, ob in diesem Zusammenhang die Streichung von § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes richtig ist,

(Daweke [CDU/CSU]: Sehr gut!)

und zwar im Hinblick auf die Erfindervergütung und die Motivation von Forschern. Da geht es nicht um die Nebentätigkeit von Beamten, sondern hier geht es darum, ob dies nicht im Interesse der Forschung und der Entwicklung notwendig ist.
Ich glaube, wir sollten über alle diese Fragen reden. Wir sollten hier neue Methoden entwickeln, und wir sollten bereits in den Haushaltsberatungen versuchen, solche neuen Instrumentarien in die Diskussion einzuführen. Ich glaube, daß wir damit dem Anliegen der Forschung entsprechen können. Wir, die FDP, weisen jedenfalls den Vorwurf zurück, wir wollten am Forschungshaushalt drastische Kürzungsmaßnahmen vornehmen und wir seien forschungsfeindlich. Nein, wir wollen die Forschungsmöglichkeiten verbessern. Wir wollen Freiräume für Forschung schaffen, und wir wollen zu viel Reglementierung, zu viel bürokratischen Aufwand abbauen und ihn durch indirekte Maßnahmen substituieren, die dann jeder einzelne, der in diesem Be-



Dr. Ing. Laermann
reich arbeitet, selber entscheidet und selber verantwortet. Danke schön.

(Beifall bei der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901821600
Das Wort hat Herr Bundesminister Engholm.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Daweke [CDU/CSU]: Jetzt gucken die alle, ob Sie auch gut sind! — Das kostet eine Runde!)


Björn Engholm (SPD):
Rede ID: ID0901821700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! — Danke schön. Das macht einem das Reden, wenn man zum erstenmal hier als Minister steht, sicherlich leichter, wenn man so freundlichen Beifall und auch freundliches Nicken von der Opposition bekommt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Man macht so etwas ja nicht so häufig im Leben. Gestern morgen beim Bundespräsidenten hatte ich in der Tat wackelige Knie. Vielleicht wird es der eine oder andere von Ihnen in späteren Jahren mal nachvollziehen.

(Heiterkeit — Zurufe von der CDU/CSU: Mit Sicherheit!)

— In sehr viel späteren Jahren. Das war ganz deutlich gesagt.
Ich muß nun einige wenige Minuten von DESY und JET wieder zurückkommen auf die aktuellen Probleme unserer Bildungslandschaft. Ich werde es aber sehr kurz machen, weil die Kollegin Weyel in ihrer sehr erfrischenden und deutlichen Rede mir manches vorweggenommen hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Kollege Pfeifer, manches von dem, was Sie gesagt haben, reizte mich eigentlich, Ihnen mit einer eben solchen Deutlichkeit zu antworten. Auf der anderen Seite möchte ich aber jenseits aller sachlichen Konflikte, die wir haben, in der nächsten Zeit dazu beitragen, die Kooperation zwischen Bund und Ländern und den anderen Partnern in der Bildungspolitik zu stärken.

(Beifall bei der SPD)

Ich werde deshalb auf Schärfen heute verzichten.

(Daweke [CDU/CSU]: Es geht ja auch gar nicht!)

— Herr Kollege Daweke, ich habe die Absicht, wenn es geht, schon in der übernächsten Woche bei der KMK meinen Antrittsbesuch zu machen und einige der Probleme, die Sie hier auch thematisiert haben, mit den Damen und Herren dort zu besprechen.
Ich halte für sehr wichtig, was Frau Laurien vor einiger Zeit gesagt hat. Sie hat dazu aufgefordert, ein wenig mehr und intensiver an einem Bündnis der bildungspolitischen Vernunft zu arbeiten. Frau Lau-rien weiß so gut, wie ich es weiß, daß es viele Kontroversen in der Sache gibt. Aber ich halte es für sehr wichtig, daß wir an Grundgemeinsamkeiten, auch wirklich festhalten, weil wir sonst in dem härter werdenden Konzert der Politik als Bildungspolitiker zerrieben werden. Von daher sollten wir uns weniger Klischees leisten.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bildungspolitik — das möchte ich auch an die Adresse der Opposition und die des Herrn Kollegen Pfeifer sagen — erschöpft sich j a keineswegs im Materiellen. Ich meine, daß in der Bildungspolitik mit ganz geringen Aufwendungen ganz optimale Erfolge erzielt werden können, wenn die Macher und Macherinnen es wirklich wollen. Ich nenne ein Beispiel, das Dr. Jürgen Schmude — der bisher mein Minister war — lange Zeit ebenso beschäftigt hat wie meinen ehemaligen Chef Helmut Rohde. Das ist das Bestreben ein wenig mehr Einheitlichkeit in der föderalistischen deutschen Bildungslandschaft zu schaffen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich bin keineswegs dafür, daß wir alles einebnen. Ich bin ganz dezidiert gegen Einheitsbrei in der Bildung. Für bildungspolitischen Regionalismus, für die Pflege von Eigenarten, von Sonderheiten bin ich sehr zu haben. Aber daß es in einer Gesellschaft, die übermorgen in der Lage sein wird, sich an Spacelab zu beteiligen und deutsche Wissenschaftler mit um den Mond oder um die Erde kreisen zu lassen, immer noch nötig ist, zu sagen: Es gilt das Prinzip „Vater versetzt, Kinder sitzengeblieben", das halte ich des Wissenstandes dieser Nation für unwürdig.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Probst [CDU/CSU]: Das passiert auch innerhalb eines Landes!)

Fest steht, daß mehrere Bundesbildungsminister in langen Diskussionen mit den Kultusministern immer wieder die Themen herausgefunden und zusammengeschrieben haben, bei denen auch übereinstimmend ein Stück mehr Gemeinsamkeit möglich wäre. Nur, die Länder haben sich bisher nicht darauf verständigt, wann und wie man das macht. Ich meine, wir müssen in dieser Frage Fortschritte machen. Wir müssen Zeichen setzen. Sonst können wir über alles mögliche reden, die Menschen werden uns nicht mehr glauben, wenn sich die Bildungsgrenzen wie in mittelalterlicher Kleinstaaterei erhöhen, statt niedriger zu werden, wie wir es alle wollen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Der zweite Punkt, den auch Sie angesprochen haben und von dem ich glaube, daß er noch einer Menge Gehirnschmalz von Politikern aller Richtungen und aller Ebenen bedarf, ist die Frage: Wie gestalten wir eigentlich künftig die Bildungsinhalte? Das betrifft nicht nur die Frage neuer Qualifikationsanforderungen, sondern ist mehr noch die Frage von Werten, die im Bildungsprozeß vermittelt werden.
Ich halte es für eine riesige Wegstrecke, die noch vor uns liegt, wenn wir aus dem Begriff „Humanisierung unserer Bildungseinrichtungen" Wirklichkeit werden lassen wollen.

(Zustimmung bei der SPD)




Bundesminister Engholm
Muß es wirklich so sein, daß unsere Kinder morgens mit Kopfschmerzen, mit Herzklopfen in die Schule gehen? Muß es wirklich so sein, daß unsere Bildungseinrichtungen so wenig vergnüglich sind, wie sie es sind? Weiß nicht eigentlich jeder, daß „spaßvoller lernen" auch „kindgerechter lernen" heißt? Wer mit Spaß lernt, lernt auf alle Fälle mehr.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bezweifle, ob das, was wir im Bildungschinesisch als „kognitive Überfrachtung" bezeichnen, nämlich in die Köpfe unserer Kinder immer mehr formales Wissen hineinzustopfen, der Weg ist, die Leistungsfähigkeit der gesamten Gesellschaft zu erhöhen. Ich wage das sehr nachhaltig zu bezweifeln.

(Beifall bei allen Fraktionen — Dr. Probst [CDU/CSU]: Wir kommen uns näher, Herr Minister!)

Das ist ein Punkt, bei dem ich die Absicht habe, mich — wie meine beiden Vorgänger das auch getan haben — sehr stark zu engagieren.
Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang beschäftigt sich mit der Frage: Wie organisiert man im Bildungsprozeß die beiden Prinzipien Fördern und Auslesen? Da unterscheiden wir uns mit Sicherheit von der Opposition. Das ist vielleicht nicht immer so weit auseinander, wie es manchmal in der Debatte klingt, aber wir setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Wir meinen, daß im Endeffekt nur jener dem Wettbewerb standhalten kann, der vorher alle Möglichkeiten der Förderung erfahren hat, nicht umgekehrt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Von daher müssen Sie unsere bildungspolitische Grundphilosophie verstehen, wenn wir sagen: Es ist ungerecht, Kindern — gerade kleinen Kindern in der Grundschule — durch eine Vier, eine Fünf oder gar eine Sechs immer nur zu attestieren, was sie nicht können. Sagen wir ihnen doch einmal, was sie können, um ihnen Mut zu machen! Wir qualifizieren viele so früh im Bildungsprozeß ab, daß manch einer die Lust zur Zukunft bereits dort verliert.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Von daher plädiere ich dafür, daß wir auch in den Ausschußberatungen die 'Frage des Förderns sehr dezidiert auseinandernehmen und uns fragen: Was können wir auf diesem Wege noch tun? Ich meine ganz ernsthaft: Wenn der Bundeskanzler vom „Mut zur Zukunft" spricht, dann dürfen wir nicht bereits bei den Zehnjährigen anfangen, diesen Mut zu dezimieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ein weiterer Punkt, den ich kurz ansprechen möchte: In unseren Bildungseinrichtungen — das gilt für Lehrer und Erzieher, wo immer sie tätig sind — sind die pädagogischen Freiräume viel zu weit eingeschränkt worden. Schauen Sie sich an, welch ein Wust an Verordnungen und Ermächtigungen heute den einzelnen Pädagogen umgibt!

(Beifall bei der SPD und der FDP) Das ist, wohlgemerkt, überwiegend ein Länderproblem. Wo soll da eigentlich noch die pädagogische Verantwortung des einzelnen Erziehers, Ausbilders oder Pädagogen sprießen?


(Beifall bei der SPD und der FDP)

Dazu gehört — ich sage dies als letztes zu diesem Punkt —, daß wir mehr musische und kreative Anstöße in der Schule geben, daß wir den Kindern die Möglichkeit eröffnen, sinnlich wahrzunehmen, was um sie herum vorgeht. Das Verkümmern vieler Sinne durch nur formales Lernen halte ich für etwas, das unbedingt und baldmöglichst aufgehoben werden muß.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich will nicht verschweigen, Herr Kollege Pfeifer, daß auch für den Bildungspolitiker, der dieser Regierung angehört oder der auf der Mehrheitsbank sitzt, Kürzungen im Bereich des Hochschulbaus und des Studentenwohnraumbaus schmerzhaft sind.

(Daweke [CDU/CSU]: Und das Einfrieren des BAföG!)

— Auf das BAföG will ich gern noch ein oder zwei Sätze verwenden, aber ich möchte Sie nicht allzu lange in Anspruch nehmen.

(Daweke [CDU/CSU]: Das hören wir uns gern an!)

Ich bitte, daran zu denken, daß auch die Politiker, unabhängig von dem Parteibuch, das sie in der Tasche tragen, zu überlegen haben, wie sich im Laufe der Jahre das Verhältnis von Lasten, die man zu tragen hat, zur Steuerverteilung neu ordnen läßt. Der Bund hat beim Hochschulbau in den vergangenen Jahren sehr hohe Lasten getragen, ohne immer das entsprechende Pendant bei sich auf der Einnahmenseite verzeichnen zu können. Das muß dazu führen, daß ein solches Prinzip überdacht wird.
Ferner: Wenn alle Welt vom Sparen redet, dann können wir im Bereich der Bildungspolitik nicht nur vom St.-Florians-Prinzip leben. Dann müssen wir auch für uns gelten lassen, daß es dort große Bereiche gibt, in denen es nicht mehr beliebig aufwärts geht. Das mag schmerzhaft sein, aber wir können uns aus diesem Prozeß des allgemeinen Sparwillens nicht ausklinken.

(Zustimmung bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901821800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeifer?

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0901821900
Herr Minister Engholm, wenn das so ist, dann möchte ich Sie fragen: Warum haben Sie das für den Studentenwohnraumbau, für den Hochschulausbau, für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, für die Gestaltung des BAföG den betroffenen jungen Mitbürgern nicht vor der Wahl genauso gesagt? Das wäre doch ehrlich gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Björn Engholm (SPD):
Rede ID: ID0901822000
Ich finde, da sollten wir gerecht bleiben. Da



Bundesminister Engholm
sollten wir uns den Terminkalender zur Hand nehmen und uns alle sorgsam und ernsthaft prüfen, wann die Daten, die uns instand setzten, die Situation dieses Jahres viel nüchterner einzuschätzen, auf den Tisch gekommen sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Am 6. Oktober!)

Ich kann für meine Kollegen und mich in Anspruch nehmen, daß im September, als wir die letzten Wahlversammlungen gemacht haben, die Bedrohlichkeit der wirtschaftlichen Entwicklung keinem in der vollen Bandbreite bekannt war.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Sie haben sich mit dieser Frage nicht im Wahlkampf beschäftigt. Sie haben allein auf die Verschuldungssituation hingewiesen; ich finde, wir sollten da gerecht bleiben.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901822100
Verzeihen Sie, Herr Bundesminister. Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?

Björn Engholm (SPD):
Rede ID: ID0901822200
Eine letzte Zwischenfrage, Herr Präsident.

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID0901822300
Herr Minister, wollen Sie dem Kollegen Pfeifer bestätigen, daß der Bundesfinanzminister in keiner Phase vor der Wahl einen Zweifel daran gelassen hat, daß er den Kreditrahmen des Jahres 1980 in das Jahr 1981 hinübernehmen und keine zusätzlichen Schulden machen wollte? Das hat doch Auswirkungen auf den Haushalt.

Björn Engholm (SPD):
Rede ID: ID0901822400
Das kann ich uneingeschränkt bestätigen. Er hat das sogar in der Nähe meiner Heimatstadt, Lübeck, sehr deutlich gesagt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Lassen Sie mich, da ich die Bildungsdebatte nicht allzulange ausdehnen möchte, nur noch auf zwei Punkte hinweisen, die Herr Kollege Pfeifer eben noch einmal mittelbar angesprochen, aber bei seiner Rede schamhaft verschwiegen hat. Sie passen auch in den Kontext der verbundenen Debatte.
Ich lege großen Wert darauf festzustellen, daß es uns gelungen ist, mit Zustimmung auch des Finanzministers und der Haushaltskollegen bei der Forschung — der Grundlagenforschung über die DFG und bei den Sonderforschungsbereichen — einen beträchtlichen Aufwuchs auch für das Jahr 1981 zustande zu bekommen. Wir sollten dies deutlich für die Öffentlichkeit sagen, weil sich in die allgemeine Klageweiberei auch manche Kreise der Forschung mit einklinken. In diesem Bereich wird es im vor uns liegenden Jahr keine Schwierigkeiten geben. Gute 6 % für die Grundlagenforschung sind ein Wort, das man nicht unter den Tisch kehren sollte.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das gilt im übrigen — ich darf das hinzufügen — auch für alle Begabtenförderungswerke, deren Ausstattung nicht stagnieren, sondern wachsen soll. Sie wissen alle, daß über die Begabtenförderungswerke ein Großteil des wissenschaftlichen Nachwuchses in unserer Nation gefördert wird. Wir haben hier also zwei Bereiche, auf die wir in der Öffentlichkeit jenseits aller Kontroversen hinweisen sollten.
Herr Kollege Pfeifer, Sie haben — ich bedaure das eigentlich, weil das unter dem Niveau der Beiträge ist, die ich sonst von Ihnen gewöhnt bin — wieder zu der Vokabel der Ideologieträchtigkeit unserer Modellversuche gegriffen. Durch das Wiederholen des Ideologievorwurfes im Modellversuchsbereich unseres Ministeriums wird das alles nicht richtiger, was Sie da sagen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich betone hier noch einmal mit aller Deutlichkeit und ohne jede Einschränkung: An den Modellversuchen, die wir machen, beteiligen sich ausnahmslos alle elf deutschen Bundesländer, unabhängig von der politischen Farbe.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie können bei dem Ideologievorwurf kaum das Land Baden-Württemberg oder etwa die Berufsakademien aus Ihrem eigenen Land gemeint haben, die wir ja auch fördern.

(Zuruf von der SPD: Obwohl es berechtigt wäre!)

Es gibt eine enge Kooperation in der gemeinsamen Modellversuchspolitik, d. h., es gibt eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit auch bei Modellversuchen, die von Ihnen immer besonders inkriminiert werden.
Sie können mit dem Ideologievorwurf kaum die Schwerpunkte unserer Modellversuchspolitik gemeint haben. Die richten sich u. a. an die Ausländerkinder, an die Behinderten, an die Sonderschüler, an die Förderung der Mädchen. Wir halten da eine Riesenpalette vor. Da kann man doch nicht sagen, dies habe etwas mit Ideologieträchtigkeit der Sozialliberalen zu tun.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren und besonders Herr Kollege Pfeifer, ich bin sehr dafür — wir haben dies in den vergangenen Jahren auch so gehalten —, daß wir in der Bildungspolitik kein Blatt vor den Mund nehmen, daß wir hart miteinander ins Gericht gehen, wo es nötig ist. Ich bin aber ebensosehr dafür, dafür Sorge zu tragen, daß in den schlechten Zeiten, die vor uns stehen, die Grundgemeinsamkeiten in der Bildungspolitik erhalten bleiben. Daß wir sie haben, wenigstens zum Teil, habe ich auch aus Ihrer Rede heute gemerkt.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Daweke [CDU/CSU]: Nur Mut zur Zukunft! So schlecht wird es nicht werden!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901822500
Das Wort hat Herr Bundesminister von Bülow.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID0901822600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Pfeifer, Sie haben die frühere Einheit der Ministerien durch eine Rede, die beide Ministerien gestreift hat, wieder aufleben lassen. Die kleinen Streifschüsse, die dabei die For-



Bundesminister Dr. von Bülow
schungspolitik der Bundesregierung getroffen haben, rechtfertigen natürlich keineswegs eine lange Rede. Deswegen will ich es hier ganz kurz machen und auf die wenigen Punkte eingehen, die Sie angesprochen haben.
Heute sind ja nicht die Forderungen der Union wiederholt worden, die Sie teilweise in der Publizistik erhoben haben, etwa nach Abbruch von ganzen Programmen. Ich nenne nur das Stahl-Programm. Diese Forderung hat jetzt dazu geführt, daß Sie teilweise in erhebliche Konflikte in Ihrer eigenen Partei kommen, die z. B. in der Oberpfalz daran interessiert ist, weitere Förderungsmittel aus diesem Programm zu bekommen, was im Augenblick so nicht mehr möglich sein wird.
Zu den Forderungen, die Sie zu den Schwerpunkten der Forschungsförderung erhoben haben, kann ich nur folgendes sagen. Wir fördern mit 30 % unserer sämtlichen Ausgaben die Energieforschung. 30 % aller Mittel des BMFT gehen in die Grundlagenforschung. Auch die Umweltforschung ist einer unserer Schwerpunkte.
Einer der Hauptpunkte der Kritik, die Sie vorgebracht haben, betraf die alte und, wie ich finde, sehr leidige Frage: direkte/indirekte Förderung. Sie haben gesagt, 51 % der Forschungsmittel gehen in die direkte Förderung. Der Vorwurf wäre schon durch den Hinweis darauf leicht zu entkräften, daß im Haushalt des Wirtschaftsministeriums ein Aufwuchs der indirekten Forschung bei den Personalkostenzuschüssen zu verzeichnen ist.
Ich möchte davor warnen, daß wir uns hier in Deutschland in diese ordnungspolitische Instrumentendiskussion verstricken und dabei völlig übersehen, was unsere Hauptkonkurrenten auf den Weltmärkten machen und organisieren. Ich nenne nur die USA und Japan. Können Sie sich vorstellen, daß Boeing je in der Lage gewesen wäre, eine fast monopolistische Stellung auf dem Weltmarkt zu erringen, wenn nicht vorher ein Militärprogramm mit direkter Förderung aus dem amerikanischen Staatshaushalt mit Hunderten von Millionen, wenn nicht Milliarden von Dollar gelaufen wäre und daraus dann eine Art von Investitionslenkung in Richtung auf den Flugzeugmarkt entstanden wäre? Die Vorläufer der Boeing 707 waren ein Truppentransporter und ein Tankflugzeug. Sie können die Beispiele fortsetzen.
Nehmen Sie die Datenverarbeitung. Glauben Sie denn, daß IBM jemals in der Lage gewesen wäre, diese massive Stellung auf dem Weltmarkt zu erringen, die fast von keinem Konkurrenten mehr in Frage gestellt werden kann, wenn nicht davor eine massive direkte Förderung — keine Steuervergünstigung — aus dem amerikanischen Verteidigungshaushalt stattgefunden hätte?
Nehmen Sie die Mikroelektronik, ob das nun Texas Instruments oder eine andere Firma ist. Ich nenne nur das Beispiel der Mikroprozessoren. Es wäre amerikanischen Firmen nie möglich gewesen, diesen massiven Vorsprung auf den Weltmärkten zu erringen, wenn nicht die militärische Forschung vorweggegangen wäre. Siemens und alle, die in diesem
Bereich arbeiten, tun sich im Augenblick außerordentlich schwer, forschungsmäßig in die Nähe dieser Position zu kommen, vom Markt ganz zu schweigen. Die Mikroprozessoren haben allein im militärischen Bereich in den USA eine Größenordnung im Markt von 20 Milliarden Dollar. Das kann in Deutschland keine Firma aus eigener Kraft aufholen. Deswegen muß gezielt mitgeholfen werden, damit wir im zivilen Bereich auf den Weltmärkten mithalten können.
Japan macht eine ganz gezielte Politik, ohne militärische Vorlaufforschung, aber ohne jede Hemmung, was die ordnungspolitische Einordnung von direkter und indirekter Förderung angeht: Zusammenschluß von Unternehmen auf Zeit, große Konzerne, die sich zur Durchführung von Forschungsprogrammen zusammentun, die mit staatlichen Geldern, teils parafiskalischer Herkunft, ihre Forschungslandschaft auf 5, 6, 7 Jahre organisieren, daraus dann den großen Push in die Weltmärkte hinein bekommen, während wir hier darum streiten, ob wir mit direkter oder indirekter Förderung weiterkommen können. Sicherlich sind diese Diskussionen wichtig, sie können aber nicht die wesentlichen Hintergründe für die Vorteile unserer Konkurrenten aufhellen. Lassen Sie uns deswegen möglichst pragmatisch an die Dinge herangehen! Die direkte Förderung hat ihre Vorteile. Die indirekte Forschungsförderung hat ihre Vorteile. Beide haben ihre erheblichen Nachteile. Beide haben sehr unterschiedliche Mitnehmereffekte. Lassen Sie uns an Hand der jeweiligen Programme überlegen, welches der sinnvollste Einstieg in die Lösung der Probleme ist. Sie werden auf jeden Fall, wenn Sie die ganze Forschungsförderung auf eine indirekte Förderung umstellen, erhebliche Gelder verlieren, ohne massive Durchbrüche in fortschrittsträchtigen Gebieten zu bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Daß man eine Rakete mit Abschreibungsgesellschaften in den Himmel bringen kann, muß sich erst noch erweisen.
Wir müssen sehen, wo in unseren Strukturen die Defizite liegen, in der Forschung, im staatlichen Bereich, in der Wirtschaft, im Zusammenspiel zwischen den Beteiligten, und müssen dann unsere Konsequenzen daraus ziehen.
Abbau von Bürokratie: Damit rennen Sie bei mir, Herr Kollege Laermann, offene Türen ein. Schon mein Vorgänger, Herr Hauff, hat eine Kommission eingesetzt, die versucht hat, Konsequenzen aus der Kritik zu ziehen, die gekommen ist. ich sehe, daß da noch ein Schritt weitergegangen werden muß. Ich habe mir in den letzten Tagen einige Formulare angeschaut, die mich nicht davon überzeugt haben, daß wir den Weg zu Ende gegangen sind. Da werde ich gern mit Ihnen gemeinsam den Weg zur weiteren Entbürokratisierung gehen.
Noch etwas zu dem Stichwort von den 6 000 oder 7 000 Projekten. Bitte, vergessen Sie nicht, wenn immer die Klage über die 7 000 Projekte kommt, daß darunter allein 800 Projekte in Zusammenarbeit mit kleinen und mittleren Unternehmen sind. Eine der



Bundesminister Dr. von Bülow
Stärken der deutschen industriellen Landschaft sind die kleinen und mittleren Unternehmen.

(Beifall bei der SPD)

Diese sind eben nicht so ausgestattet wie die Großkonzerne Amerikas und Japans. Es kann sein, daß wir ihnen bei bestimmten Programmen an bestimmten Schwellen der technologischen Entwicklung gezielt helfen müssen. Ich wäre dankbar, wenn wir dies beibehalten könnten. Diese kleinen und mittleren Unternehmen sollten wir nicht einer großen Fusionswelle überlassen, wo sie sich nur in die Arme der großen Multis retten können.
Vergessen Sie auch bitte nicht, daß von diesen 6 000 bis 7 000 Projekten 2 000 in die Hochschullandschaft gehen. Gerade das, was gefordert wird: daß an den deutschen Hochschulen qualitativ hochwertig geforscht wird, das wird dadurch erreicht, daß über die föderale Kulturlandschaft hinweg der BMFT und andere Institutionen, wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, in der Lage sind, gezielt Förderungsmittel hineinzugeben.

(Daweke [CDU/CSU]: Können Sie das auch mal ins Verhältnis setzen zu den amerikanischen Verhältnissen, die Sie eben zum Vergleich herangezogen haben?)

— Darüber können wir uns gern im Fachausschuß unterhalten. Da muß man genau sehen, was die National Science Foundation und andere Organisationen machen, und vor allen Dingen die föderale und teilweise privat organisierte Struktur des amerikanischen Bildungssystems beachten. Dabei muß man viele Komponenten betrachten, um zu einem fairen Ergebnis zu kommen.
Die Frage der Gutachter und der Projektträger werden wir im Fachausschuß behandeln.
Meine Damen und Herren, es ist nicht einfach, einen Haushalt vorzulegen, der gegenüber der ursprünglichen mittelfristigen Finanzplanung um 700 Millionen DM gesenkt worden ist und damit 700 Millionen DM unter dem liegt, was ursprünglich verplant worden ist. Das bedeutet bei einer ganzen Reihe von Menschen und Gruppen Enttäuschung, Frustration und teilweise auch Verständnislosigkeit. Wir sollten aber nicht vergessen, daß in den Jahren 1970 bis 1981 die Ausgaben aus dem Bundeshaushalt für Forschung und Technologie von 1,8 Milliarden DM auf über 6 Milliarden DM gestiegen sind. Damit ist die Forschungslandschaft erheblich aufgebaut worden. Das ist eine gute Basis, um die Forschungsförderung auch in der Bundesrepublik voranzutreiben und die Zukunftsaufgaben, vor denen wir alle gemeinsam stehen, zu bewältigen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901822700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lenzer.

Christian Lenzer (CDU):
Rede ID: ID0901822800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß es auf Grund Ihrer Intervention, Herr Bundesforschungsminister, offensichtlich möglich ist, an dieser Stelle eine kleine Debatte über die Grundsätze der Forschungs- und Technologiepolitik einzuschalten. Ich bin der Meinung, manchmal haben Sie offensichtlich den Kollegen Pfeifer bewußt mißverstanden; denn ich habe seine Rede zu Beginn dieser Debattenrunde als das gewertet, was sein sollte, nämlich als eine Mahnung, eine Vertiefung, als ein Hinweis auf einige kritische Punkte der Forschungs- und Bildungspolitik im Zusammenhang und eigentlich als ein Angebot zur Kooperation, das die Bundesregierung prüfen und annehmen sollte. Er hat doch recht — lassen Sie mich das in wenigen Strichen noch einmal bekräftigen —, wenn er feststellt, daß es im Laufe der letzten Zeit immer stärker zu der Gefahr der Austrocknung der Grundlagenforschung gekommen ist.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist nicht wahr!)

- Herr Kollege Stahl, es gibt doch eindeutige, hoch angesiedelte Zeugnisse aus dem Wissenschaftsbereich, in denen namhafte Wissenschaftler ihr Bedenken gegenüber der Bundesregierung — in Briefen an den Bundeskanzler oder aber auch an die zuständigen Ressortminister — zum Ausdruck bringen. Das ist die Ausuferung der direkten projektgebundenen Förderung.
Bitte machen Sie uns nicht haftbar! Tun Sie nicht so, als ob wir jemals behauptet hätten, wir seien, wie es im übrigen auch Kollege Laermann sehr treffend bemerkt hat, für ein Entweder-Oder: entweder direkt oder indirekt. Nein. Wir möchten diese 6 000 Projekte abbauen, weil wir nicht einsehen, daß eine Notwendigkeit zur Förderung auf dieser breiten Basis besteht, beispielsweise für die Förderung eines elektronischen Baukastens. Damit kann ich keinen forschungspolitischen Sinn verbinden. Damit sehe ich aber das Anwachsen der Bürokratie. Wenn wir heute dahin kommen, daß in einem kleinen oder mittleren Unternehmen kaum noch jemand in der Lage ist, selber einen Forschungsantrag auszufüllen, sondern daß man woandershin Zuflucht nehmen muß, weil kiloweise völlig neues Material angefordert wird, dann ist das bedenklich.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nun machen Sie mal einen Punkt! Nicht immmer dieselbe Leier!)

Dabei muß man berücksichtigen, daß man dort mit anderen im Wettbewerb steht, z. B. mit Großunternehmen, die ganze Stabsabteilungen damit beschäftigen, welche prüfen, wo Projekte in Förderprogramme passen und wo entsprechende Förderungsmittel beantragt werden können. Da bleiben alle Bekenntnisse zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen Lippenbekenntnisse. Das gilt auch für die vieldiskutierte Personalzulage, die in dem Zusammenhang immer wieder angeführt wird.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901822900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Steger?

Dr. Ulrich Steger (SPD):
Rede ID: ID0901823000
Herr Kollege Lenzer, können Sie sich noch an die Sitzung des Bundestagsausschusses für Forschung und Technologie vor etwa anderthalb Jahren erinnern, wo Sie die Bemühungen des



Dr. Steger
Bundesforschungsministeriums um Entbürokratisierung bei der Projektförderung zustimmend zur Kenntnis genommen haben?

(Stahl [Kempen] [SPD]: So ist es! Das hat er vergessen!)


Christian Lenzer (CDU):
Rede ID: ID0901823100
Wir haben damals, weil wir diesen „Krieg" — so hätte ich fast gesagt — ja schon über Jahre hinweg führen, mit Freuden zur Kenntnis genommen, daß uns der Minister in der damaligen Ausschußsitzung versprochen hat, Anstrengungen zu unternehmen,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das hat er auch gehalten!)

als er nämlich einmal von seinen Mitarbeitern zwei, drei Kilo Bewilligungsanträge, Gutachten und den ganzen übrigen Papierkrieg übergeben bekam und auf den Tisch des Hauses legen mußte.
Ein weiterer Schwachpunkt in der gegenwärtigen Forschungspolitik ist eindeutig auch die Tatsache, daß wir es bei dem Beratungswesen, wie es jetzt gehandhabt wird, immer wieder auch mit Interessenten zu tun haben — es gibt eine Interessenidentität zwischen den Beratern —, die gleichzeitig auch verantwortlich in irgendwelchen Unternehmen tätig sind. Das ist ein Punkt, bei dem wir gemeinsam daran arbeiten sollten, ihn zu überwinden.
Letztlich müssen wir immer wieder feststellen, daß die aktuelle Praxis der Forschungsförderung zu schweren Verwerfungen und Wettbewerbsverzerrungen führt. Wir haben es heute schon in praxi damit zu tun, daß wir einerseits — das haben wir auch mit Ihren Vorgängern diskutiert; Herr Matthöfer sitzt dort, er weiß das — Industrien haben, die voll der Forschungsförderung teilhaftig werden, während andere quasi in einer Art und Weise aus dem Wettbewerb herausgenommen werden, die uns zu Besorgnis Anlaß gibt. Es gibt Unternehmen, die einfach keine Mark bekommen und die selber, aus eigener Initiative — in der Einbringungsrede des Finanzministers ist ja die Privatinitiative so viel beschworen worden —, die entsprechenden Entwicklungen anleiern.
Ich weiß, Sie werden jetzt sagen: Nennen Sie ein Beispiel, wo ein Unternehmen ein Förderungsangebot des Bundesministers für Forschung und Technologie abgewiesen hat! Ich weiß, daß es Leute gibt, die am Sonntag mit glänzenden Augen die hehre Fahne der reinen ordnungspolitischen Lehre schwenken. Das sind dieselben Leute, die am Montag bei Ihnen auf der Matte stehen und die Hand aufhalten. Auch darüber sollten wir uns einmal auseinandersetzen. Wir sind j a bereit, die Dinge so zu sehen, wie sie sind.
Lassen Sie uns bitte gemeinsam an einer Stärkung der Finanzausstattung und auch der inneren Autonomie der Grundlagenforschung arbeiten. Lassen wir uns doch auch einmal dazu — ich hätte fast gesagt — herab, dem Wissenschaftler das Recht auf Irrtum einzugestehen,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Tun wir doch!)

ihm zuzubilligen, nicht alles auf seine gesellschaftliche Relevanz hin hinterfragen zu müssen. Und schränken wir doch — versuchen wir es gemeinsam — die Projektvielfalt ein. Ich sage noch einmal: Wir sind der Auffassung, daß es Wichtiges gibt, wo direkt gefördert werden muß; aber wir vermögen nicht einzusehen, daß es sich dabei um ungefähr 6 000 Projekte handeln muß, zumal darunter auch solche sind, die sicherlich nur deswegen in Angriff genommen worden sind, weil sich bei einigen Industriezweigen eine Art Subventionsmentalität herausgebildet hat und es zum Teil zu so einer Art Mitnehmer-Effekt gekommen ist.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0901823200
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?

Christian Lenzer (CDU):
Rede ID: ID0901823300
Dem Kollegen Stahl natürlich immer.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0901823400
Herr Kollege Lenzer, wollen Sie tatsächlich die Behauptung aufstellen, daß Unternehmen der freien Wirtschaft, die 50 % an Forschungsmitteln selbst aufbringen, „Quatsch" forschen, wie Sie es hier darstellen, und damit ihr sauer verdientes Geld in den Schornstein schreiben?

Christian Lenzer (CDU):
Rede ID: ID0901823500
Herr Kollege Stahl, ich habe mitnichten behauptet, daß die „Quatsch" forschen,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Doch, das haben Sie gesagt!)

ich habe nur gesagt, die Bundesregierung unterstütze viele Projekte, die nur in Angriff genommen worden sind, weil sie in eines der Programme passen — Mitnehmer-Effekt —, die aber ohne Unterstützung mit demselben Erfolg — dafür gibt es klassische Beispiele — in Angriff genommen worden wären. Nicht mehr und nicht weniger habe ich gesagt.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das stimmt nicht!)

Wir sind gerne bereit, mit Ihnen in einen edlen Wettstreit über die Ausgestaltung der indirekten Forschungsförderung zu treten. Dazu wollte ich später noch ein Wort sagen. Ich kann es aber jetzt in diesem Zusammenhang schon tun: Die Deckungsgleichheit mit den Ansichten — ich will hoffen, daß das einer kritischen Überprüfung in der Praxis standhält, Herr Kollege —, die der Kollege Dr. Laermann von diesem Pult aus, in dieser Legislaturperiode auch schon an anderer Stelle, zu dem Problem „direkte Förderung, indirekte Förderung" — beispielsweise in einer großen Tageszeitung als Gastkommentator geäußert hat —, war offenkundig.
Das bedeutet natürlich das Ende aller Träume — die Diktatur der leeren Kassen bietet einen Anlaß, das gemeinsam zu unternehmen — von der Forschungspolitik als einem Hebel zur Gesellschaftsveränderung. Als eben von dieser Stelle das Thema Investitionslenkung mit Forschungspolitik angesprochen wurde — und das war ganz bezeichnend —, da rief der Bundesfinanzminister, der auf seinem Abgeordnetenplatz saß: „Sicher mache ich das." —



Lenzer
Ich bin ihm dankbar dafür, daß er das auch von der Regierungsbank her bekräftigt.

(Zuruf des Bundesministers Matthöfer — Daweke [CDU/CSU]: Jetzt macht der auch schon Zwischenrufe! Sie wollen nur in die Presse!)

— Da unterscheiden wir uns. Lassen Sie uns da miteinander diskutieren. Dazu werden wir Gelegenheit haben.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesforschungsminister hat in bemerkenswerten Erklärungen seit seinem Amtsantritt einige interessante Debattenbeiträge geleistet. Ich meine weniger den Vorschlag von der Forschungsteuer. Den wollen wir irgendwo ablegen, wo ihn niemand sieht. Wahrscheinlich möchte er auch selbst gar nicht mehr so sehr gern daran erinnert werden.
Nehmen wir vielmehr seine Äußerungen — vorgestern ist es wohl gewesen, anläßlich einer Tagung der Industrie- und Handelskammer in Nürnberg — in Sachen Kernenergie. Wenn er sich dort zu einem stärkeren Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie bekennt, dann wollen wir ihn auch an seinen Taten messen und einmal sehen, wie sich das in der praktischen Ausgestaltung seiner Politik niederschlägt. Wir wollen sehen, ob davon vielleicht Impulse ausgehen für eine Straffung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens oder für die Durchsetzung des integrierten Entsorgungskonzeptes — wir wissen alle, was das bedeutet; wir diskutieren seit Jahren darüber.
Wir wollen aber auch darauf hoffen, daß er sich dazu bewegen läßt, mitzuhelfen, daß die Bremsklötze etwa bei den modernen Informationstechniken weggezogen werden, um so ein in die -zig Milliarden gehendes Investitionspotential der deutschen Wirtschaft mit seiner Bedeutung für die Sicherung der Arbeitsplätze und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze freizusetzen. Dann wollen wir uns das alles einmal in Ruhe anhören und ansehen, und wir wollen einmal sehen, ob dabei dann wirklich den Worten, die uns in manchem Zusammenhang hoffnungsfroh stimmen, auch die entsprechenden Taten folgen.
Ich glaube, damit haben wir auch Abschied genommen von dem törichten Wort — ich weiß nicht, wer das erfunden oder in die Rede geschrieben hat — des sogenannten Blaupausenexportes. Wir wollen uns doch nicht einbilden, daß wir auch nur mit einem einzigen Produkt auf dem Weltmarkt eine Chance hätten, wenn wir diesem Produkt im Binnenmarkt die Anerkennung verweigern. Auf deutsch gesprochen und an einem Beispiel deutlich gemacht: Wir sollten nicht glauben, daß wir irgendwohin ein Kernkraftwerk oder eine andere technologische Großanlage liefern könnten, wenn wir hier im eigenen Binnenmarkt, in unserem eigenen Land jahrelang gesucht und keinen Standort dafür gefunden haben oder jahrelang vor lauter Sicherheitsdiskussionen, die gewiß notwendig sind, die aber auch nicht übertrieben werden dürfen, einfach nicht vom Fleck kommen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: So war das damals auch nicht gesagt!)

Meine Damen und Herren! Wir haben eine große gemeinsame Aufgabe — auch das hat der Kollege Pfeifer sehr stark herausgestellt und ich wäre dankbar, wenn wir das in den Ausschußdiskussionen aufgreifen könnten —, nämlich gemeinsam diese immer stärker um sich greifende und manchmal auch von interessierter Seite in der Politik geschürte Technologiefeindlichkeit zu überwinden. Wir wollen endlich einmal unseren Mitbürgern klarmachen, daß es keine risikofreie Technik gibt, daß aber ohne die Technik die großen Aufgaben der Zukunft überall in der Welt — sei es die Lösung des Nahrungsproblems, sei es die sichere Energieversorgung — überhaupt keine Chancen haben. Wir brauchen keine kleinen exotischen Lösungen, die vielleicht im Jahre 2050 einmal in irgendeiner Weise rentabel und durchführbar sind, sondern wir müssen jetzt 4,5 Milliarden Menschen auf dieser Erde ernähren, und dazu brauchen wir die Technik. Nur mit Hilfe der Technik haben wir die Chance dazu.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist richtig!)

Zum Abschluß noch: Im Bundesforschungsbericht 6 ist zum erstenmal als neues eigenständiges forschungspolitisches Ziel die sogenannte Technologiebewertung aufgegriffen worden. Auch hier haben wir über zwei Legislaturperioden gequält. Trotz grundsätzlicher Übereinstimmung, trotz der allgemeinen Anerkennung der Notwendigkeit eines solchen Bewertungs- und Beratungsinstrumentariums für dieses Haus, um wenigstens in etwa unserer Kontrollaufgabe gerecht zu werden, sind wir keinen Schritt weitergekommen, weil im entscheidenden Falle im Ausschuß und hier im Plenum die Koalitionsfraktionen — beide Fraktionen, obwohl es sich manchmal in der Öffentlichkeit bei Erklärungen anders angehört hat — nicht mitgestimmt haben. Wir wollen uns einmal überlegen — und wir sind offen für jeden Diskussionsvorschlag —, wie wir hier weiterkommen können, weil wir das nach wie vor für eine wichtige Aufgabe halten. Auch da, Herr Kollege Dr. Laermann, werden Sie wieder gefordert sein. Wir werden auch Sie dort auf den Prüfstand stellen und an dem messen, was Sie hier und auch vorher wieder zu Beginn dieser Legislaturperiode zu diesen Punkten erklärt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte deshalb meinen, es gibt vielleicht viel mehr Gemeinsamkeiten in diesem Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik als prinzipielle Unterschiede, die ich gar nicht unter den Teppich kehren will.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Aber für uns ist es lohnender und wichtiger, anstatt mit Gewalt irgendwelche ideologischen Kriegsschauplätze aufzutun, an der gemeinsamen Aufgabe zu arbeiten, wie wir mit Forschungs- und Technologiepolitik, wie wir in einer Zusammenarbeit zwischen Staat, Wissenschaft und Wirtschaft unter Einbeziehung aller Bürger einen Beitrag lei-



Lenzer
sten können zur Lösung der gewiß dringenden Probleme der Zukunft. — Ich bedanke mich.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das war ein vernünftiges Wort! — Beifall bei der CDU/ CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901823600
Das Wort hat der Abgeordnete Stockleben.

Adolf Stockleben (SPD):
Rede ID: ID0901823700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Lenzer hat eben gerade den klaren Kurs der Opposition in der Forschungspolitik für die nächsten vier Jahre vorgegeben. Ich bin ihm eigentlich dankbar, daß das, was er in den vergangenen Jahren dazu hier ausgeführt hat, heute doch etwas anders klingt.
Ich muß allerdings sagen, Herr Kollege Lenzer, daß das, was Sie hier immer wieder als den ideologischen Touch hineinbringen, daß nämlich die kleinen und mittelständischen Unternehmen von der Bundesregierung nicht so gefördert worden sind, wie Sie das gerne sehen würden, nach den Zahlen, die ich hier vorliegen habe, ganz anders aussieht. Ich darf diese Zahlen einmal nennen. Im Jahre 1972 haben wir 95 Millionen DM für kleine und mittlere Unternehmen ausgegeben. Im Jahre 1980 waren es 820 Millionen DM. Sie können allein an den Zahlen erkennen, daß wir der Forschung im Bereich der mittleren und kleinen Unternehmen eine viel größere Bedeutung beigemessen haben. Dies kommt in diesen Zahlen zum Ausdruck, denn wir gehen davon aus, daß hier Forschung und Entwicklung sehr viel kreativer und rascher umsetzbar und durchsetzbar sind.
Sie sprechen immer wieder von direkter und indirekter Förderung. Auch der Minister sagt — und ich freue mich darüber —, daß dies für ihn überhaupt keine Frage der Ideologie, sondern eine reine Frage der Zweckmäßigkeit sei:

(Lenzer [CDU/CSU]: Für uns auch!)

Wie bringe ich die Dinge rasch und effizient zu einem Ergebnis?
Mein Vorgänger im Deutschen Bundestag hat mir immer gesagt: „Geh ja nicht in den Forschungsausschuß. Da sitzen nur die Fliegenheinis, die reden nur von H20." Ich bin in den Ausschuß hineingegangen und habe festgestellt, daß man dort sehr wohl über andere Dinge reden kann und reden muß.
Herr Kollege Lenzer, ich will Ihnen dazu folgendes sagen. Ich habe eine Zeitung aus dem Jahre 1964 gefunden. Darin ist dargestellt, wie der Forschungshaushalt der damaligen Regierung aussieht. Er hat im wesentlichen zwei Schwerpunkte, einmal die Weltraumforschung mit 161,5 Millionen DM, dann die allgemeine Wissenschaftsförderung und die Atomenergieforschung. Hätten wir dieses fortgeschrieben und wären Sie noch an der Regierung, was Sie Gott sei Dank nicht sind, dann wären wir wahrscheinlich auch schon auf dem Mond gelandet, vielleicht hätte auch jeder in seinem Wahlkreis schon ein Kernkraftwerk.
Ich will mit der Aufzählung dieser beiden Schwerpunkte deutlich machen, daß das, was Sie damals unter Forschung, Wissenschaft und Technologie verstanden haben, im Grunde genommen zwei Bereiche betraf, die Weltraumforschung und die Kernenergie. Für unsere Volkswirtschaft, für die Menschen in unserem Lande sind aber auch die vielen anderen Bereiche wichtig.
Erst wir haben die zahlreichen Programme auf den Weg gebracht, auch Rohstofforschung und das Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens. Ich brauche das im einzelnen nicht auszuführen. Ich will nur widersprechen, wenn Sie hier immer wieder von Leistungsbilanzdefizit, hohen Lohnkosten usw. reden. Ich hatte leider gestern die Zahlen im Plenum nicht zur Verfügung. Vom Jahre 1970 bis zum Jahre 1978 ist nach dem Münchener IFO-Institut die Arbeitsproduktivität in den USA um 23,3 %, in Japan um 47,2 % und, man höre und staune, in der Bundesrepublik Deutschland um 51 % gestiegen. Darauf sind wir doch ein bißchen stolz. Dies ist wahrscheinlich deshalb so, weil wir eine effektive Forschungspolitik betrieben haben, weil wir Forschung und Entwicklung zum Teil, nicht immer, auch im Konsens mit den Gewerkschaften betrieben haben. Arbeitnehmer sind daran beteiligt.
Ich möchte hier auch noch das Stichwort „Leistung" aufnehmen, das von Herrn Pfeifer angesprochen wurde. Ich würde gerne mit Ihnen einmal über Leistung reden. Wenn die Leistung des deutschen Bergmannes die höchste in Europa ist, dann sicherlich auch deshalb, weil wir dort im Bereich von Forschung und Technologie etwas geleistet haben, weil wir die Arbeitsbedingungen verbessert haben. Das „Handelsblatt" hat erst vor kurzem dargelegt, daß ein Unfall das Unternehmen 600 DM pro Tag kostet. Dieses sind soziale Folgekosten.
Nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, daß das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" für uns nicht ein ideologisches Programm ist, sondern daß es dabei darum geht, Sozialfolgekosten zu vermindern und die Technologiefeindlichkeit, wenn sie vorhanden ist, abzubauen oder sie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Arbeitnehmer sollen am technologischen Wandel beteiligt werden. Dies ist nicht nur möglich durch Sitze in den Aufsichtsräten. Hier müssen wir vielmehr in der Mitbestimmung weiter herunter, um die Arbeitnehmer vor Ort am Arbeitsplatz selbst zu beteiligen.

(Beifall bei der SPD)

Von daher bekommt der Arbeitnehmer das Gefühl, an der Leistung beteiligt zu sein. Er kann nach Hause gehen und sagen: „Mutter, ich habe heute dafür nicht nur Geld bekommen, sondern ich habe auch Anerkennung gefunden, weil ich mich an der Verbesserung meines Arbeitsplatzes beteiligt habe."

(Zuruf des Abg. Lenzer [CDU/CSU])

Hier heißt es dann: Alle Energiesparmaßnahmen hat der Markt gebracht. Ich will Ihnen mal die neuesten Zahlen sagen. Der Primärenergieverbrauch betrug im Jahr 1973 378,5, im Jahr 1980 385,7. Er ist also fast gleich geblieben. Das muß man sich einmal anschauen. Das sind die neuesten Zahlen der EVUs. Der Primärenergieverbrauch betrug beim Mineralöl



Stockleben
im Jahr 1973 208,9 — 55 % — und im Jahr 1980 nur noch 183,3 — 87,5 % —. Bei dieser Feststellung können wir deutlich sagen, daß die Technologiepolitik und das Energiesparen und all das, was an Alternativen aus dem Forschungsbereich mit unterstützt wurde, Früchte getragen hat. Hier kann man sagen: „Weg vom 01" bringt Erfolg.
Aber das dauert Jahre. Wahrscheinlich werden wir 50 Jahre brauchen, bis das zum Tragen kommt, was wir uns in diesem Bereich an Energiesparen und neuen Technologien vorstellen.
Das wird aber nur dann zum Tragen kommen, wenn es nicht den Durchmarsch in der Kernenergie gibt. Ich bin für einen vernünftigen, vertretbaren Ausbau der Kernenergie.

(Beifall bei der SPD)

Das brauche ich nicht besonders zu erwähnen.
Aber Sie als Opposition laufen gern durchs Land und sagen, die Sozialdemokraten seien dagegen. Nein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt aber genug!)

Ich bin dafür, daß wir uns im Forschungsbereich einmal der Mühe unterziehen, zu fragen: Was können wir zusätzlich leisten, um mit alternativen Entsorgungstechnologien die Dinge auf den Punkt zu bringen, daß wir dem Bürger sagen können: Diese offenen Fragen müssen wir lösen?
Wenn wir über diese Technologien miteinander reden, werden wir irgendwann auf den Punkt kommen, fragen zu müssen, wo werden wir den ersten Standort finden? Mein Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner hat den bayerischen Ministerpräsidenten einige Male danach gefragt. Darauf hat der fast jedesmal einen Eiertanz veranstaltet.

(Stahl [Kempen] [SPD]: So ist es!)

Ich hoffe, daß wir irgendwann jemanden finden, der sich dann dazu bekennt und sagt: Wenn das technisch machbar ist und ich politisch die Mehrheit habe — so wie Herr Albrecht —, dann werden wir das tun. Es geht darum, einen Stufenplan zu entwikkeln, wie wir das reihenweise hintereinander auf den Weg bringen können.
Aber ich sage Ihnen: All das wird uns um so leichter fallen, wenn wir die vorhandene Energie nutzen. Ich meine nicht den Rest Sonne, den wir noch einfangen können. Ich denke vielmehr daran, auch mit dem Stahlforschungsprogramm einiges zu tun. Dafür sind Sie ja nicht gerade. Denn Sie meinen, das ist schon wieder zuviel direkte Forschungsförderung. Vielleicht haben Sie auch deshalb etwas dagegen, weil Stahlarbeiter nicht so gern CDU wählen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Wer sagt das denn? — Daweke [CDU/CSU]: Schreiben die sich alle bei Ihnen ein?)

Aber das ist wahrscheinlich nicht der ausschlaggebende Grund.
Der Grund ist zum Beispiel die viele Abwärme, die im Ruhrgebiet in unserer Grundstoffindustrie anfällt. Mit dieser Abwärme können wir fast ganz
Nordrhein-Westfalen versorgen. Wir müssen uns wirklich ernsthaft der Mühe unterziehen, dem Bürger deutlich zu machen, daß wir alles versuchen, um die Umwelt zu entlasten und die Abwärme in die Fernwärmesysteme einzuspeisen.
Das ist ein Arbeitsprogramm für den Tiefbau. Hier könnten wir einen Teil der Straßenbaumittel einfließen lassen, um so der Industrie zu helfen, die in einem harten Wettbewerb steht, zumal da andere Regierungen, etwa die englische, der Stahlindustrie hohe Subventionen gewähren.
Die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Stahlindustrie ist auch dadurch zu verbessern, daß wir ihr Gutschriften zukommen lassen, so daß sie mit weniger Energie bzw. mit der Abwärme als zusätzlicher Energie durchaus einen sinnvollen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901823800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?

Adolf Stockleben (SPD):
Rede ID: ID0901823900
Bitte.

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID0901824000
Herr Kollege Stockleben, würden Sie mir zustimmen, daß gerade beim Ausbau der Fernwärme auch der Widerstand der örtlichen Energieversorgungsunternehmen, die lieber Gas oder ihre eigenen Energieträger verkaufen wollen, ein erhebliches Maß an Hemmnissen bietet?

Adolf Stockleben (SPD):
Rede ID: ID0901824100
Ich stimme Ihnen zu. Wir müssen auch hier versuchen, durch eine vernünftige Politik vorhandene Hemmnisse abzubauen. Dann werden wir mal sehen, wer für den Abbau der Hemmnisse ist. Darüber müssen wir reden. Ich bin sehr wohl dafür, der Fernwärme eine größere Chance zu geben.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Da müssen Sie Stoltenberg in die Wüste schicken!)

Ich beziehe mich nochmals auf das, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat: „Mut zur Zukunft". Das gilt gerade für unsere junge Generation. Hier kann die Forschungs- und Entwicklungspolitik einen großen Beitrag leisten. Ich gehe davon aus, daß die jüngere Generation sehr wohl bereit ist, mit uns, der Gesellschaft in einen energiepolitischen Dialog einzutreten. Ich gehe davon aus, daß auch die Gewerkschaften diesen technologiepolitischen Dialog mit uns suchen.
Ich darf mich in diesem Zusammenhang auf etwas beziehen, was der Ministerpräsident des Landes Hessen, Herr Holger Börner, neulich auf einer Konferenz der beratenden Ingenieure gesagt hat. Er hat gesagt, es komme darauf an, daß die Geisteswissenschaft rechnen, die Technik aber sprechen lerne. Wenn das erreicht sei, würden jene, die die Welt verändern, nämlich die Ingenieure, in der Offentlichkeit dieselbe Beachtung erringen können, wie sie seit langem schon die hätten, die die Welt nur interpretieren, nämlich die Philosophen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das ist sehr vernünftig!)




Stockleben
— Ja, das ist es. Das ist ja auch ein vernünftiger Mann, der das gesagt hat.
Ich meine, daß es sehr wichtig ist, daß wir diesen technologiepolitischen Dialog — ich möchte da den neuen Forschungsminister ermuntern — wirklich ermuntern, damit nicht die Technologiefeindlichkeit aufkommt, die wir im Bereich der Kernenergie haben; dies wäre schlimm.
Aber wir dürfen, z. B. im Bereich der Mikroelektronik, auch nicht einfach sagen, es ist egal, wieviel Arbeitsplätze uns dort verlorengehen, wir müssen sehr wohl flankierende Maßnahmen ergreifen. Sehen Sie sich einmal an, wieviel Arbeitsplätze im Verwaltungsbereich, bei Banken, aber auch in Industriebetrieben in den 80er und 90er Jahren durch neue Kommunikations- und Informationstechniken verschwinden werden. Die dadurch entstehenden Probleme gilt es dann mit dem „Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens" aufzufangen zu versuchen, damit diejenigen, die Rationalisierung, Technisierung bisher noch nicht in dem Maße erlebt haben, nicht allzu stark betroffen werden.
Ich meine, daß es im „Jahr der Behinderten" unsere Aufgabe ist, auch als Forschungspolitiker mit dafür zu sorgen, daß den Leistungsgeminderten, den Behinderten insgesamt geholfen wird. Denn von den Arbeitslosen und Kurzarbeitern, deren Zahlen uns der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit allmonatlich über das Fernsehen vermittelt, ist doch ein Teil behindert und damit leistungsgemindert. Diese Menschen wollen arbeiten, können es aber nicht. Sie kommen über die Leistungsschwelle, weil sie hoch angesetzt ist, nicht mehr hinaus. Wir müssen hier meines Erachtens einen sinnvollen Beitrag leisten und deutlich machen, daß die Humanisierung des Arbeitslebens insbesondere dort ansetzen muß, wo der behinderte Mensch am stärksten gefordert ist und sich auch entsprechend diskriminiert fühlt.
Einige Anmerkungen noch zum Finanzvolumen: Ich bin dafür — ebenso die SPD-Bundestagsfraktion —, daß sich die Energieversorgungsunternehmen in stärkerem Maße an der Forschungsfinanzierung beteiligen. Ich freue mich, daß die FDP sagt: Jawohl, daß auch die CDU/CSU sagt: Wir wollen auch mitmachen; das ist eine gute Sache. Ich bin sogar der Meinung, daß wir dort, wo wir jemanden mit 50 % fördern, durchaus dazu auffordern sollten, sich nicht nur mit 50 %, sondern mit 70 % oder 80 % an dieser projektbezogenen Forschung zu beteiligen, weil es bei geschickter Abschreibung und entsprechender Bilanzierung durchaus so ist, daß sie bei 50 % Zuschuß immer noch plus/minus sein kann. Wir könnten mit diesen Mitteln, die uns dann mehr zur Verfügung stünden, durchaus das eine oder andere sinnvolle Projekt auf den Weg bringen.
Sinnvoll, so meine ich, ist es insbesondere, im Bereich der Umwelttechnologie, der Umweltforschung mehr zu tun. Wir müssen überlegen, wie wir Industrie- und Hausmüllabfälle problemlos beseitigen und wie wir dort Investitionshemmnisse abbauen können.

(Beifall bei der SPD) Die Industrie wartet darauf. Allerdings kann dies nicht mit indirekter Forschungsförderung geschehen, vielmehr ist hier eine direkte Förderung erforderlich. Hier brauchen wir Pyrolyse-Anlagen, in denen wir flüssige und feste Industriemülle beseitigen und damit gleichzeitig in Wärmerückgewinnungsanlagen nutzen können.

Solche vernünftigen Dinge können Sie mit uns immer machen. Sie können deshalb nicht sagen, wir seien in diesen Fragen ideologisch verkrampft, ganz im Gegenteil. Wir wollen die Modernisierung der Wirtschaft weiterbringen. Hier müssen auch die Arbeitnehmer eine entscheidende Rolle spielen. Auch die Gewerkschaften mit ihren Betriebsräten sollen in stärkerem Maße an der Forschungs- und Technologiepolitik beteiligt werden, damit es nicht zu einem Konflikt kommt, der von einigen aus manchen Gründen als wünschenswert angesehen wird.
Wenn wir in den nächsten vier Jahren in diesem Sinne Politik betreiben, dann, so meine ich, ist es durchaus möglich, mit weniger Mitteln, jedoch mit einem guten Minister die vor uns liegenden Aufgaben zu erfüllen. — Ich bedanke mich bei Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901824200
Wir kommen nun zu einem neuen Themenbereich.
Das Wort hat Frau Bundesminister Huber.

Antje Huber (SPD):
Rede ID: ID0901824300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein erstaunlicher Vorgang, daß die Opposition bei der Einbringung dieses Haushalts diesmal auf eine Diskussion zu den Stichworten Familie und Gesundheit verzichten wollte, so daß der Minister selbst die Runde eröffnen muß.

(Daweke [CDU/CSU]: Wieso denn? Sie regieren doch! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ladies first!)

Dies pflegen Sie sonst nicht so zu sehen. — Aber wir erinnern uns, wie es in den letzten Jahren war. Da waren schon in den Eingangsreden der Hauptredner der Opposition jede Menge Bemerkungen zur Familienpolitik enthalten. Das Stichwort Familie fiel sehr häufig. Der Geburtenrückgang und die zukünftige Geburtenentwicklung wurden beschworen.

(Frau Dr. Wex [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!)

Die bundesdeutsche Familie würde sich von der Koalition verlassen fühlen. Offensichtlich hat nun aber das Thema Familienpolitik trotz großer Versprechungen im Jahre 1980 nicht so viel eingebracht. Nun soll es wieder ausgespart werden.
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir keine Wiederauflage der nicht sehr sinnvollen Streitgespräche über Bevölkerungspolitik, die wir hier gehabt haben, aber es macht mich doch besorgt, daß hier bei der ersten Lesung des Haushalts über alles, aber auch alles geredet werden soll, nur nicht über



Bundesminister Frau Huber
die Familie, die doch früher eine so große Rolle gespielt hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Fairerweise muß es ja wohl auch gestattet sein, zu sagen, daß das Jahr 1980 keineswegs den angekündigten Geburtenrückgang gebracht hat, sondern ein Mehr von 7 %; das entspricht einem Zuwachs von etwa 600 000 Kindern.

(Zuruf von der CDU/CSU: Weil wir mehr junge Ehepaare haben!)

Mit 1 1/2 % haben Sie recht; das übrige ist mehr, als wir auf Grund der Jahrgangsstärken erwarten konnten, auch was deutsche Kinder anbetrifft. Damit hat sich das gezeigt, was die Bundesregierung immer behauptet hat, nämlich daß das generative Verhalten schwer einschätzbar ist und sich für bevölkerungspolitische Diskussionen nicht eignet.

(Zustimmung bei der SPD)

Das ist für die Parteien ein ganz unergiebiges Thema. Das haben wir immer behauptet.
Die Bundesregierung ist auch jetzt weit davon entfernt, auf der Basis der neuen Daten neue Hochrechnungen darüber zu erstellen, wie die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahre 2030 aussieht. Wir haben gelernt, und wir haben eigentlich immer vorausgesagt, daß sich dieses Gebiet gar nicht für langfristige Prognosen eignet. Aber es muß doch wohl erlaubt sein, sich die Diskussionen der früheren Jahre heute noch einmal ins Gedächtnis zu rufen und zu sagen: So ist es eben nicht gekommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

Meine Meinung ist, daß der Staat eine Familienpolitik betreiben sollte, behutsam, rücksichtsvoll und nicht lauthals, und daß er sich bemühen sollte, aus den vielfältigen Interessen der sehr unterschiedlichen Familien herauszufiltern, wo wirklich neues Recht und weitere Hilfen aus gutem Grund angezeigt sind. Dieser Grundsatz soll auch bei der weiteren Entwicklung des Familienlastenausgleichs gelten, sobald geklärt ist, ob mit den Ländern eine Finanzamtslösung vereinbart werden kann.
Herr Kroll-Schlüter hat im Pressedienst der CDU/ CSU-Fraktion dazu gesagt, daß nicht einmal die mittelfristige Finanzplanung etwas über die künftigen Kindergelderhöhungen aussage. Meine Damen und Herren, die mittelfristige Finanzplanung hat niemals etwas darüber ausgesagt. Kindergelderhöhungen sind niemals in die mittelfristige Finanzplanung eingestellt worden. Bundestag und Bundesrat haben sich 1974 damit zufriedengegeben, alle zwei Jahre von der Bundesregierung einen Bericht zur wirtschaftlichen Lage der Familie zu verlangen, um dadurch stets neu mit dem Thema konfrontiert zu sein.
Der Haushalt 1981 ist sicher schwieriger als andere vor ihm. Er ist hier aus verschiedenen Aspekten kritisiert worden. Es verdient jedoch lobend erwähnt zu werden, daß trotzt der Sparmaßnahmen — das hat in dieser Debatte noch niemand gesagt — das Kindergeld um 1,6 Milliarden DM aufgestockt worden ist, trotz der Sparmaßnahmen!
Ich vermerke dabei anerkennend, daß ein Teil dieser Erhöhung durch die Bereitschaft der Länder zur Mitwirkung möglich war.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ein großer Teil! — Welcher Länder?)

Trotzdem ist es doch wohl richtig, daß ab 1. Februar, ab nächsten Montag also, rund gerechnet fünf Millionen Familien auch erkennen können, daß die Bundesregierung und zugegebenermaßen auch die Länder ihre familienpolitischen Bemühungen auch finanziell unterstreichen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU)

Der Haushalt meines Ministeriums ist dadurch um über 7% gestiegen. Diese große Steigerung verdient in diesem Jahr besonders angemerkt zu werden. Im übrigen denke ich: 19 Milliarden Kindergeld —, da brauchen wir uns nicht nur auf die letzte Erhöhung zu beziehen. Vor zehn Jahren war es die Hälfte, rund gerechnet die Hälfte. Es hat noch nie eine Zeit in der Bundesrepublik gegeben, wo sich das Kindergeld so gewaltig entwickelt hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich will hier nicht die zweite Lesung vorwegnehmen, sondern nur einige Stichworte bringen.
In der Familienpolitik ist neben dem Familienlastenausgleich die Förderung der Familienbildung zu nennen, die Förderung der Familienerholung, der Müttererholung und der Verbände. Gerade diese Punkte, die in den Diskussionen oft sehr viel später als das Kindergeld kommen, sind von außerordentlicher Wichtigkeit. Denn Familienpolitik kann sich nun einmal nicht auf geldliche Leistungen beschränken. Beim Thema Erholung wird oft vorgebracht, daß es noch zuwenig Übersicht über günstige Freizeitmöglichkeiten für Familien gibt. Dies ist richtig, trotz unserer bisherigen Bemühungen. So werden wir neben Modellen auch hier eine bessere Übersicht erstellen. Überhaupt glauben wir, daß es noch zuwenig Daten über die wirkliche Lage der Familien gibt, die über das Einkommen hinausgehen. Hieran werden wir in dieser Periode arbeiten.
Auch die Älteren und Alten gehören zur Familie. Sie sollen in unserer Gesellschaft sein. Wir haben uns mit ihren Problemen zu befassen, bis hin zu dem Pflegekostenproblem.
Wer Familienpolitik sagt, muß auch über Jugendpolitik reden. Jugendpolitik ist nicht nur eine Frage von Gesetzen und Leistungen. Die Älteren können die Jungen, auch wenn sie sie erziehen, doch nicht nach ihren Wünschen formen. Sie können ihnen nicht die eigenen prägenden Erlebnisse auf den Lebensweg mitgeben, sondern höchstens einen Abglanz davon. Wir haben als Ältere zwar vieles gerade wegen der Jungen geschaffen. Aber wir müssen sehen und auch akzeptieren, daß sie sich ihre eigene Welt bauen. Das war wohl auch immer so. Jugendrevolte ist ja im Grunde nichts Neues. Vielleicht war sie früher auf andere Felder abgelenkt, an anderen Fragen festgemacht. Teilweise war sie sicher auch privater. Nach dem Krieg war die Anpassung zunächst zwangsläufig unproblematisch, weil die ge-



Bundesminister Frau Huber
sellschaftlichen Prioritäten deutlich waren. Heute in der Enge, in der wir räumlich leben, in der Kleinfamilie, die bei uns vorherrscht, erhalten viele Konflikte Massencharakter. So sehen wir, daß viele Eltern enttäuscht reagieren, weil sie glauben, daß die Jungen ihre Leistung nicht anerkennen, auch die Nachkriegsleistung, auf die wir stolz sind. Die Jungen blicken oft verständnislos auf die Konsumlust der Älteren, die früher entbehrt haben, und auf das Leistungsverständnis derer, die hart aufbauen mußten, auf die Humorlosigkeit auch solcher, die eben schwere Jahre gehabt haben.
Glaubt man einer in München gerade veröffentlichten Umfrage — beim Jugendforschungsinstitut ist sie erstellt —, so wird deutlich, daß die Jugend sich heute in zwei Lager teilt: die einen, die für ihre Karriere hart arbeiten wollen, und die anderen, die nur bescheidener arbeiten, nicht so viel Geld verdienen und dafür mehr Freizeit gewinnen möchten. Darin drückt sich eine andere Lebensphilosophie aus.
Am schwierigsten für unsere Gesellschaft ist die dritte Gruppe. Das sind die Verführten und Verzweifelten, die austeigen wollen, die sich in Subkulturen finden, die dem Alkohol oder den Drogen verfallen sind, den Sekten zulaufen. Wenn wir uns ihnen zuwenden, so müssen wir doch sehen, daß sie mit einfachen Mitteln nicht leicht zurückzuholen sind.
Was kann man nun tun? Ich glaube, das Wichtigste ist das Gespräch zwischen den Generationen, Kontakt, Aussprache, weniger öffentliche Ansprache. Das zeigt, daß der Staat hier nicht so viel tun kann, wie manche hoffen. Es zeigt aber auch, daß es kein Einheitsrezept, keine Einheitslinie gibt.
Herr Pfeifer hat gestern die Ansicht veröffentlicht, daß es um die Richtung geht und daß die Jugendpolitik nicht blind sein darf. Das ist richtig, Jugendpolitik darf nicht blind sein. Aber sie muß pluralistische Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Das versuchen wir im Bundesjugendplan, der die Jugendarbeit der verschiedenen Organisationen stützt und fördert, Foren schafft und die Jugend in ihren selbst gestellten Aufgaben unterstützt.
Der Bundesjugendplan weist im Ansatz eine Erhöhung von 2 Millionen DM aus. Diese dient in erster Linie der politischen Bildung. Damit wollen wir es den jungen Menschen ermöglichen, sich in Diskussionen mit der Politik auseinanderzusetzen und sich insgesamt mit unserem, mit ihrem Staat, zu identifizieren.
Organisierte Jugendarbeit — das betone ich — ist nicht alles. Der Bund kann in seiner Zuständigkeit nur besondere nationale und internationale Aktivitäten der Verbände fördern. Das übrige müssen die Länder und Gemeinden tun. Aber das Geld für die Jugendverbände ist gut angelegt, wenn sie über die Grenzen hinweg sich in Frieden begegnen, anstatt sich — wie früher — im Krieg gegenüberzustehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Es ist auch gut angelegt, wenn sie ihre eigenen Ziele
verfolgen, gleichzeitig aber soziale Aufgaben erfüllen: wenn sie sich als Pfadfinder um Behinderte
kümmern, wenn sie sich als Schreberjugend um die Ausländerkinder kümmern — z. B. in Berlin; den Ausländerkindern sind wir viel schuldig —, wenn sie sich als kirchlich organisierte Jugend der Dritten Welt und der Industriejugendarbeit annehmen, wenn sie sich als Gewerkschaftsjugend um Drogensüchtige und wenn sie sich als Sportjugend um Aussiedler, um Strafgefangene, um Kriegsgräberbetreuung kümmern. Hier gibt es einen ganzen Katalog. Mir liegt daran, zu zeigen, daß auch die Verbandsjugendarbeit die neuen Aufgaben erkannt hat und sich ihnen widmet. Wir brauchen junge Menschen, die sich engagieren, die unsere Demokratie tragen und als sozialen Rechtsstaat weiterentwickeln.
Die Regierung wird die Fraktionen weiter beraten, wenn sie die Jugendhilferechtsreform wieder einbringen. Das ist eine Reform, die den Familien Probleme ersparen und den Jugendlichen, die vom Schicksal bedroht sind, neue Chancen geben soll.
Wir werden auch unseren Kampf gegen Alkoholismus und Drogen fortsetzen, wiewohl dieser sehr schwer und das Geld knapp sind. Aber wir werden unser Modellprogramm fortsetzen.
Ich freue mich, daß die Betäubungsmittelrechtsnovelle kürzlich hier mit so großer Einmütigkeit begrüßt und wieder eingebracht worden ist.
Wenn ich nun auf dem Feld der Gesundheitspolitik bin, möchte ich sagen, daß mein Haus nicht nur für das Arzneimittelrecht und die Gesundheitsberufe zuständig ist, wo wir leider im Bereich der Krankenschwestern neu anfangen müssen, weil wir die Novelle mit dem Bundesrat nicht zustande gebracht haben.
Ein wichtiges Thema, ein Hauptthema der letzen Legislaturperiode war die Psychiatrie. Ich bedauere, daß nach der großen Debatte, die wir hier im Anschluß an die Enquete und an die Beteuerungen aus allen drei Fraktionen hatten — ich erinnere ganz besonders an unseren Kollegen Picard —, nicht mehr Echo auf unser Angebot kam, 100 Millionen DM im Jahr 1980 einzusetzen. Leider haben die CDU/CSU-Länder unter bayerischer Führung gepaßt. Jetzt stehen im Psychiatrie-Titel 64 Millionen DM. Davon sind 53 Millionen DM für das Psychiatrie-Programm. So werden wir zwar nicht flächendeckend, aber doch deutlich Pionierarbeit leisten.

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Wex [CDU/CSU])

— Ich meine: mit Modellen flächendeckend, Frau Wex.

(Frau Dr. Wex [CDU/CSU]: Ich sage ja schon gar nichts mehr!)

Wir werden Pionierarbeit leisten, von der nachher alle Länder profitieren, auch jene, die sich jetzt nicht beteiligen.
Es klingt etwas lieblos, wenn ich jetzt sage, daß wir uns auch um die Randgruppen kümmern wollen. „Randgruppen" ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck für diejenigen, die wir meinen. Unser Haushalt stellt Mittel bereit für Zigeuner, für Nichtseßhafte und Obdachlose.



Bundesminister Frau Huber
Nur der kann geringschätzig über diese sogenannten Randgruppen denken, der niemals mit den Schicksalen konfrontiert worden ist, die dahinterstehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Der Ausdruck „Randgruppen" ist eben falsch!)

— Wir werden sicher gemeinsam bemüht sein, einen neuen Ausdruck zu finden. Vielen Dank.
Diese Gruppen haben Anspruch auf unsere Solidarität genauso wie die wirklichen Asylanten, die Arbeit und Obdach finden müssen. Hier müssen wir auch auf die Hilfe der Gemeinden und der von uns unterstützten Wohlfahrtsverbände reflektieren.
Keinesfalls eine Randgruppe, aber doch eine, die wir nicht einfach unter Familienpolitik rubrizieren können, sind die Frauen. Das Bundesministerium für Jugend und Familie hat seit anderthalb Jahren einen kleinen Frauenstab.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hatte!)

— Hat einen Frauenstab. Er kümmert sich vor allem nicht nur um Informationsarbeit und Modelle, wie z. B. bei Aufstiegsproblemen in den Betrieben, die wir jetzt wohl mit einigem Erfolg angehen, sondern er wird auch die Frage prüfen, ob wir ein Gleichstellungsgesetz brauchen, und dieses gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium vorbereiten.
Wer die Arbeit dieser Gruppe gering schätzt, weiß nicht, wie sehr dies das Bohren harter Bretter ist in einer Welt, die immer noch von Männern bestimmt ist. Dieser Deutsche Bundestag hat zu 92 % männliche Abgeordnete. Es wird sehr davon abhängen, ob wir von denen etwas Unterstützung erhalten, und ich sage laut: etwas mehr Unterstützung erhalten.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Burger [CDU/CSU]: Nur eine einzige Frau ist Ministerin! — Zuruf von der CDU/CSU: Auch der Kanzler ist ein Mann!)

— Wir wollen ja die Männer nicht total ausschalten. So ist es nicht.

(Weitere Zurufe)

Manches, was sich im Haushalt 1981 niederschlägt, geht auf Initiativen und Gesetze aus der vorigen Legislaturperiode zurück. Das Chemikaliengesetz, das wir jetzt umsetzen müssen, wird Geld kosten. Es wird auch nicht ohne neue Stellen gehen. Aber wir werden dies tun.
Der gesundheitliche Schutz der Verbraucher ist ein sehr aktuelles Thema. Er erfordert von uns mehr Verordnungen und auch mehr Kontrollen durch die Länder. Wir würden die Mittel hierfür gern einsparen. Die Länder würden das wohl auch gern tun. Aber leider können wir so lange in unseren Bemühungen nicht nachlassen, wie es Produzenten gibt — das ist natürlich nur ein Teil der Produzenten —, die ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Verbraucher
— das sind wir ja alle — die Lebensmittel verfälschen, Zusätze hineinbringen, die gesundheitsschädlich sind, sogar schwer gesundheitsschädlich sind. Das ist kein Kavaliersdelikt. Dafür werden wir
Mittel investieren, obwohl wir das lieber woanders täten.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit mit seiner besonderen Nähe zum Bürger will versuchen, nahe am Bürger zu bleiben. Manches gibt der Haushalt her, auch der Haushalt 1981. Aber, meine Damen und Herren, das meiste bewirkt unser aktives Bemühen, wenn es sich auf ein breites gesellschaftliches Engagement stützen kann. Woher wir auch immer kommen, wir sollten uns um dieses Engagement bemühen und nicht noch einmal erleben, daß das Thema Familie nur in bestimmten Jahren eine Rolle spielt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901824400
Das Wort hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901824500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf die Frage, Frau Präsidentin, die Sie gerade an mich gerichtet haben, beantworten. Sie haben mich gefragt, ob ich mich als Mann noch traue, hier zu sprechen. Ich darf schlicht und einfach mit Ja antworten.

(Heiterkeit und Beifall — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Ein mutiger Mann!)

Sie appellieren, Frau Huber: Mehr Frauen in führende Positionen! Bei uns zu Hause ist es üblich: Wenn man über etwas redet, soll man es immer rechtzeitig sehr konkret unter Beweis stellen. Es wäre z. B. sehr erfreulich, wenn die führenden Mitarbeiter Ihres Hauses, die an solchen Debatten teilnehmen und die hinter Ihnen sitzen, nicht nur Männer wären. Die Hälfte könnten ja auch einmal führende Frauen sein, die führende Positionen einnehmen, gerade in Ihrem Ministerium. Sie haben leider nichts an praktischen Beispielen aufzuweisen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich darf mich noch mit wenigen Worten Herrn Minister Engholm zuwenden. Mit unseren Glückwünschen für sein neues Amt verbinden wir die Glückwünsche für seine Einsichten. Er hat nämlich gesagt, es müsse mehr Gemeinsamkeit und mehr Einheitlichkeit in der Bildungspolitik geben. Da muß man die Frage stellen, nach welchen Kriterien man sich richten soll.
Ich habe gelesen, daß es in seinem Ministerium ein Gutachten gibt. Das könnte eine gute Grundlage für mehr Einheitlichkeit sein. In diesem Gutachten steht nämlich: Der Bildungsgrad der jungen Deutschen mit Hochschulreife hängt von dem Bundesland ab, in dem sie ihr Abitur gemacht haben. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die das Bildungsministerium in Bonn in Auftrag gegeben hat. Die Studie unterscheidet zwei Gruppen. Zur besseren Gruppe gehören Baden-Württemberg,

(Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!) Bayern,


(Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!)




Kroll-Schlüter Rheinland-Pfalz,

(Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!)

Schleswig-Holstein, Saarland. Zur schlechteren Gruppe gehören Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Berlin und Hessen.
Das muß ja nun bestimmte Gründe haben. Dieses Gutachten wird ja auch noch diskutiert werden. Die Studie und die Ergebnisse könnten eine Grundlage für mehr Einheitlichkeit und mehr Übereinstimmung in der Bundespolitik für unser Land sein. Wir möchten es empfehlen.
Herr Minister Engholm hat gesagt, die Kinder müßten immer mit Kopfschmerzen in die Schule fahren. Ich möchte ihn als Bürgermeister gern einmal in die Gemeinden draußen, in die Wirklichkeit mitnehmen. Sie können es fast auf den Tag genau abzirkeln: Wann hat denn nun diese Zentralisierung, dieses Hin zu größeren Schulen, dieses Sterben der kleineren Schulen, diese unendlich großen Bauten, diese Vier- und Fünf- und Sechsgliedrigkeit eigentlich begonnen? Seit wann müssen denn unsere Kinder 20 und 30 km fahren? Seit wann müssen denn unsere Kinder morgens 45 Minuten in den Bussen sitzen? Ich sage nicht, daß das nur die Politik einer Partei sei, aber es begann mit der Koalition von 1969.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Seitdem haben wir das Dilemma. Die Merkmale Ihrer Politik, Frau Huber, bis in die Bereiche der Gesundheitspolitik sind doch Zentralisierung, Bürokratisierung, immer größere Einheiten, immer mehr Zerstörung der überschaubaren Einheiten.
Frau Minister, Sie haben auch gesagt: daß es mehr Kinder gebe, sei auch auf die Politik der Bundesregierung zurückzuführen. Herr Ehrenberg hat das ebenfalls ausgeführt. Das ist sachlich falsch. Sachlich richtig ist, daß dieses neue generative Verhalten ausschließlich auf die geburtenstarken Jahrgänge zurückzuführen ist. Das ist die einfache und schlichte Tatsache.
Wir sollten sodann unterstreichen — um Ihnen, Frau Minister Huber, zu antworten —: Daß es ab 1. Februar dieses Jahres mehr Kindergeld gibt, verdanken wir fast ausschließlich den Bundesländern, und hier insonderheit der Mehrheit der CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn sie nicht bereit gewesen wären, mehr Geld aufzuwenden, gäbe es diese Verbesserung für die Familien mit zwei und mehr Kindern nicht.

(Burger [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)

Psychiatriemodell: Der Herr Minister Ehrenberg hat beklagt, daß die Modelle, die einmal vom Bund inszeniert worden sind, von den Ländern nicht fortgesetzt werden. Es ist doch nun ein guter Vorschlag, wenn z. B. Bayern sagt: Wir machen Psychiatriemodelle in unserer Trägerschaft — dann ist doch auch eher gewährleistet, daß die Modelle fortgesetzt werden —, und du, Bund, hilfst uns bei der Finanzierung. Das ist doch besser, als wenn sie sagen: Wir machen es, und ihr sollt es bezahlen. Das ist im überschaubaren Bereich in den Ländern unter finanzieller Beteiligung des Bundes doch besser, als daß der Bund immer wieder Modelle macht. Sie haben doch genug Modelle und schauen sowieso durch die vielen Modelle, die es gibt, nicht mehr durch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der umgekehrte Weg wäre praktikabel und hätte die größere Chance, daß die Modelle fortgeführt werden. Wie viele Modelle sind begonnen worden, und wie viele Modelle sind abgebrochen worden, weil die Bundesländer einfach nicht in der Lage sind, sie zu finanzieren! Warum sträubt sich Nordrhein-Westfalen dagegen, das Tagesmuttermodell überhaupt anzufangen, geschweige denn fortzusetzen? Weil die Gelder dafür fehlen. Warum muß es immer so viele Modelle, so viele Beauftragte, Sonderreferate, Beauftragte z. B. für Ausländer usw. geben? Das ist doch alles nur ein Herumdrücken um klare Entscheidungen. Ist es denn notwendig, immer noch mehr zu installieren? Wichtig und erforderlich sind politische Entscheidungen. Eine politische Entscheidung, Frau Huber, wäre es auch, wenn im Jahr der Behinderten, wie die Behinderten in Dortmund selbst gesagt haben, nicht nur über die Behinderten geredet würde, sondern wenn sich das auch in Ihrem Haushalt ausweisen würde. Nichts weist sich dort aus.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901824600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Huber?

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901824700
Ja.

Antje Huber (SPD):
Rede ID: ID0901824800
Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter, ist Ihnen bekannt, daß die Modelle niemals gegen die Länder, sondern nach breiter Erörterung mit den Ländern unter ihrer Ägide durchgeführt werden und daß wir, was die Psychiatrie betrifft, Anträge aus allen Ländern hatten, ehe das Nein erfolgte? Ist Ihnen ferner bekannt, daß ich von fast allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Laufe ihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag dringende Bitten um Unterstützung einer Maßnahme mit Modellcharakter erhalte?

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901824900
Das ist mir bekannt.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Ich füge hinzu, daß es sicherlich auch neue Erkenntnisse gibt und daß es politisch klug ist, wenn man neue Erkenntnisse in neue Taten umsetzt.
Ich darf in Verbindung mit dem Haushalt und der Rede von Frau Minister Huber noch folgendes ausführen.
Der Bundeskanzler hat uns alle aufgerufen, Mut zur Zukunft zu haben. Jedoch, die politischen Mittel zur Förderung der Jugend und der Familie in unserem Lande scheinen erschöpft zu sein; nicht nur die finanziellen, aber auch die finanziellen. Über Modelle haben wir gerade gesprochen. Die vielen Sonderprogramme, Frau Minister Huber, die viel Geld kosten, wir brauchen sie nicht alle. Wir können einige kürzen. Herr Finanzminister, konkretes Angebot: Einige Sonderprogramme im Jugendministerium erfüllen nicht mehr ihren Zweck. Viele sind der



Kroll-Schlüter
Meinung, daß es keinen Sinn hat, immer nur Sonderprogramme zu fördern. Sie wären mit weniger Globalmitteln zufrieden, die sie in die Lage versetzen würden, den neuen Tageserfordernissen gerecht zu werden. Jetzt müssen sie ja Dinge machen, für die es kein Erfordernis mehr gibt. Sie machen es, damit sie das Programm ausfüllen. Sie sind längst nicht mehr so flexibel wie früher.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wäre eine neue Linie: Weniger Geld für mehr Leistung.
Im übrigen, Geld: Was hat der Abschied von Professor Wolters gekostet?

(Bundesminister Frau Huber: Nichts!)

— Nichts? Dann kostet er noch sehr viel; denn er hat ja im Gegensatz zu anderen Staatssekretären, wie wir in der Zeitung lesen konnten, einen besonderen Weg des Abschieds wählen müssen. Und warum? Weil er in einer aufgeheizten Situation ganz kühl und nüchtern versucht hat, ein Problem, nämlich das Östrogen-Problem, darzustellen. Ich finde es nicht tunlich und hilfreich, wie Herr Minister Bäumer, wenn so mit der Gesundheit, mit den Gefühlen umgesprungen wird, mit einem Punkt, an dem alle Menschen empfindlich sind. Was ist bis jetzt geschehen? Welche Konsequenzen sind bis jetzt gezogen worden außer populären Verlautbarungen? Warum sind erst jetzt solche Forschungsergebnisse zutage getreten? Warum nicht am Anfang sofort das Bekenntnis, daß es erst seit 1979 zuverlässige Untersuchungsmethoden bei den Hormonen gibt? So eine Information sollte am Beginn der Bürgerinformation stehen und nicht die Aufputschung der Gefühle.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihre Politik als Selbstzweck, als Allheilmittel für die Entwicklung von Jugend und Familie hat versagt. Jugend und Familie sehen sich unter einem verstärkten politischen Druck, der mehr Reglementierung beinhaltet, als daß er neue Inhalte zur Bewältigung anstehender Probleme vermittelt. Zehn Jahre Regierungsverantwortung von SPD und von FDP haben — das wird man sicherlich sagen können — unser Gesellschaftsbild verändert. Bisher bestehende soziale Nahräume sind zum Teil zerstört worden. Die Jugend befindet sich einerseits im Aufbruch in die 80er Jahre, teilweise aber auch in einer Abkehr von den planerischen, ständig gesetzlich eingeengten politisch-ideologischen Wegen, die Sie nun seit mehreren Jahren eingeschlagen haben. Die Jugend hat Mut zur Zukunft.

Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0901825000
Wir, die Fraktionen, bringen ein neues Jugendhilfegesetz. Finden Sie es denn tunlich, wiederum ein Gesetz vorzulegen, das in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert ist,

(Eimer [Fürth] [FDP]: An wen denn?)

und das, Herr Finanzminister, jährlich eine Milliarde DM kostet? Entweder sagen Sie, Herr Finanzminister, jetzt, woher das Geld kommen soll, oder
wir müssen uns weigern, noch an den Beratungen teilzunehmen. Wir machen kein Schaugeschäft vor der jungen Generation. Wir sind es leid, immer wieder zu sagen, wir haben den guten Willen, wir wollen es, wir sind uns teilweise in einigen Grundsätzen einig, aber kein Mensch weiß, wie es bezahlt werden soll. 13 000 neue Stellen, eine Milliarde DM jährlich! Nicht wir, Ihre Kollegin hat es wieder angedeutet und muß jetzt nachweisen, woher die Milliarde kommen soll. Darauf warten wir.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901825100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ewen?

Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID0901825200
Herr Kollege Kroll-Schlüter, bezeichnen Sie auch die Versuche, die der bayerische Minister Pirkl jetzt zum Jugendhilferecht anstellt, als ein Schattenboxen?

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901825300
Wir formulieren unsere Absichten in der Jugendhilfe auf einer ganz anderen Grundlage, z. B. auf der Grundlage der Subsidiarität. Wir wollen eben nicht zuerst mehr kommunale Jugendarbeit, wir wollen mehr Freiräume, Verantwortungsbereitschaft und mehr Herausforderung des einzelnen und der freien Verbände.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist nicht nur im Hinblick auf die Persönlichkeit sinnvoller, sondern auch billiger. Das Geld spielt dabei aber erst eine zweitrangige, sozusagen untergeordnete Rolle. Zuerst geht es uns um die Herausforderung des jungen Menschen, der Verbände, seiner Gemeinschaften. Dann kommen sie noch einmal und noch einmal. Und dann denken wir auch an die kommunale Jugendarbeit.
Warum wollen Sie denn alles kommunalisieren? Wir erleben es in Nordrhein-Westfalen: Die Gemeinden sind kaum in der Lage, für 2 Millionen DM jährlich neue Jugendämter einzuführen. Sie müssen sich doch, obgleich es ein Gesetz gibt, weigern, weil sie das Geld nicht haben.
Ist denn nicht gemeinsam ein Weg zu beschreiten, der zuerst einmal von den Verantwortlichen ausgeht, sie subsidiär fördert? Wenn dann unbedingt und aus guten Gründen die Gemeinde, die Kommune, der Staat notwendig ist, dann sollen sie es machen, aber nicht umgekehrt. Das ist teuer, unüberschaubar, bürokratisch und zentralistisch. Diesen Weg wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901825400
Herr Kollege, es sind noch zwei Zwischenfrager da, Herr Ewen und Herr Hölscher. Gestatten Sie?

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901825500
Bitte schön.

Carl Ewen (SPD):
Rede ID: ID0901825600
Herr Kroll-Schlüter, ich möchte Sie noch einmal fragen, ob Sie sich vorstellen können, daß die Verbände sehr unterschiedliche Veranstaltungskraft haben, nicht in allen Bundesländern gleichmäßig vertreten sind und deshalb ein Ungleichgewicht für die Jugendlichen entstehen könn-



Ewen
te, wenn wir nicht bundeseinheitlich Vorgaben machen?

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901825700
Wie ist zu erklären, daß Sie auf der einen Seite ein neues Gesetz machen wollen, das sehr viel Geld kostet, und auf der anderen Seite im vergangenen Jahr im Bundesjugendplan 7 Millionen DM streichen mußten? Wie wollen Sie das erklären?
Die von Ihnen angeschnittene differenzierte Förderung befürworten wir sehr wohl. Aber schon jetzt ist das Ministerium ja kaum in der Lage, den Erfordernissen zu entsprechen. Schon jetzt muß der Geschäftsführer des Bundesjugendringes darum bangen, die Personalkosten kontinuierlich aufzubringen. Schon jetzt müssen sich die Jugendverbände darauf konzentrieren, im November verschiedene Dinge abzurufen, weil sie vorher keine Sicherheit über die finanzielle Grundlage haben.
Wir sollten uns darauf verständigen, erst einmal das, worüber seit Jahren Übereinstimmung besteht, weiter auszubauen. Dann stellt sich aber Herr Matthöfer hierher und sagt: Um Gottes Willen, für die Bauern mehr, für die Jugend mehr; was wollt ihr alles? — Wir wollen zunächst nicht mehr. Wir wollen die Mittel besser, anders, persönlichkeitsgerechter, herausfordernder, aber nicht bürokratisch und nicht zentralistisch einsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901825800
Noch eine Zusatzfrage.

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0901825900
Herr Kollege Kroll-Schlüter, ist Ihnen bekannt, daß der baden-württembergische Ministerpräsident Späth im Bundesrat erklärt hat, am Geld könne und dürfe dieses Gesetz nicht scheitern?

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901826000
Ich habe bereits eben zum Ausdruck gebracht, daß die Finanzierung zweitrangig ist. Aber diese Frage muß auch beantwortet werden, —

(Zuruf von der SPD: Die muß erstrangig behandelt werden!)

— der Kollege Hauck als damaliger Ausschußvorsitzender wird bestätigen können, was wir zu Beginn der Beratung gesagt haben —: Die finanzielle Seite ist für uns nicht die entscheidende. Wir haben sie nicht primär angesprochen.
Aber dann haben Sie, weil die Sache an diesem Punkt gescheitert ist, versucht, uns die Schuld zuzuschieben. Dann haben Sie versucht, es zum Wahlkampfthema zu machen. Dann haben Sie versäumt, es in die Regierungserklärung aufzunehmen. Jetzt sagen Sie wieder: Den Gesetzentwurf werden die Fraktionen einbringen. Was ist denn das für eine Linie?!
Erst stand es nicht in der Regierungserklärung. Dann können Sie nicht nachweisen, daß eine finanzielle Absicherung gegeben ist.
Frau Minister Huber, darf ich Ihnen ein Angebot machen? — Wir machen eine Jugendhilfe-Neubesinnung.

(Jaunich [SPD]: Bitte was?)

— Eine Neubesinnung in der Frage der Jugendhilfe.

(Jaunich [SPD]: Die haben Sie nötig!)

— Wenn Sie sagen, eine Neubesinnung in der Frage der Jugendhilfe hätten Sie nicht nötig, dann ist das eine klare Aussage. Die sollten wir ausdrücklich zu Protokoll geben. Wir meinen es gut. Es war ein Angebot. Sie wissen ganz genau, daß Sie es gar nicht annehmen können, weil Sie dann sagen müßten: Wir müssen in der Jugendhilfe neue Wege beschreiten.
Ihr Gesetzentwurf — das sei klar gesagt — hat keine Chance der Verwirklichung, schon gar nicht, solange nicht Herr Matthöfer eindeutig sagt, wer es wann und wie bezahlen soll. Das wollen wir mal eindeutig festhalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901826100
Herr Kollege, obwohl Sie mehrere Zwischenfragen zu beantworten hatten, bitte ich Sie, Ihre Rede in einer Minute abzuschließen.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901826200
Sehr gern.
In der Debatte zur Regierungserklärung hat der Kollege Hoppe gesagt, wir müßten bescheidener werden. Graf Lambsdorff sagte, wir müßten den Gürtel enger schnallen. Frau Minister Huber führte aus, es solle wärmer werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Menschen sind keine Patienten, die ständig vom Staat behandelt werden wollen. Sie sind eigenverantwortliche Bürger, die Freiheit, auch kleine Freiheiten im Alltag, mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben wollen, so, wie es unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zuläßt.
Wenn dieser Staat — ich sage besser: diese noch amtierende Bundesregierung —

(Lachen bei der SPD)

nicht endlich wieder begreift, daß es wichtig ist, mehr Gestaltungsfreiheit zuzulassen, die jungen Menschen herauszufordern, selbst bescheidener zu werden, wird die Resignation zunehmen. Wir wollen aber keine Resignation, wir wollen den Aufbruch der Jugend in die 80er Jahre. Dabei möchten wir sie herausfordernd und unterstützend begleiten. — Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901826300
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0901826400
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren! Sehr geehrte Damen!

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Am Dienstag dieser Woche hat Herr Kollege Riedl
gesagt — ich zitiere aus dem Gedächtnis —: Dieser



Frau Schmidt (Nürnberg)

Haushalt ist ein schlechter Haushalt. Die Soziallasten stehen an erster Stelle.
Er hat das im Kontext mit der Neuverschuldung gesagt — ich gebe gern zu, daß ich das aus dem Zusammenhang reiße —, aber dieser Satz charakterisiert, was im wesentlichen von den Hauptrednern der Opposition zur Sozial- und Familienpolitik ausgeführt worden ist. Der Tenor war: Die Grenzen des Sozialstaates sind überschritten, soziale Leistungen müssen gekürzt werden. Es sollen also die in unserer Gesellschaft daran glauben, die sowieso nicht auf Rosen gebettet sind.
Wir sind da einer ganz anderen Auffassung. Wir sind stolz auf diesen Haushalt,

(Lachen bei der CDU/CSU)

der in schwierigen Zeiten, unter schwierigen Verhältnissen Solidarität mit den Schwachen übt und Sozialleistungen eben nicht kürzt.,

(Beifall bei der SPD)

Das sind schwierige Zeiten und schwierige Verhältnisse — das sollte endlich auch einmal festgehalten werden —, an denen diese Regierung nicht schuld ist

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

und die sie von der Opposition in der Regierung genauso vorfinden, mit Ihrer Politik aber nicht verbessern, sondern verschlechtern würden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Dieser Haushalt ist gerade für den Bereich, für den ich zu sprechen habe, die Familienpolitik, ein guter Haushalt. Diese „neue soziale Frage", von der Opposition im Wahlkampf entdeckt, mit Versprechen angeheizt und dann plötzlich wieder in der Versenkung verschwunden, diese „neue soziale Frage", die so neu nun auch wieder nicht ist, wird von uns mit einer überproportionalen Erhöhung des Familienlastenausgleichs beantwortet. Die Ausgaben des Bundes für das Kindergeld steigen um 7,4 % auf stolze 19,2 Milliarden DM.

(Frau Karwatzki [CDU/CSU]: Durch die Länder!)

— Nicht nur durch die Länder, sondern auch durch den Bund. Sie kennen wahrscheinlich genauso gut wie ich, vielleicht sogar noch ein bißchen besser die Vorgeschichte und wissen sehr wohl, daß der Bund daran auch beteiligt ist, und zwar vorrangig.

(Frau Karwatzki [CDU/CSU]: Minimal!)

Für die Familie mit zwei Kindern bedeutet das eine Steigerung des Kindergeldes um 13 % ab dem 1. Februar dieses Jahres. Für die Familie mit drei Kindern macht diese Steigerung sogar 17 % aus. Diese Steigerungen sind — und das zu betonen, werden wir nie müde — für alle gleich, für die Familie des Ministers genauso wie für die Familie des Generaldirektors, für die Familie des Abgeordneten ebenso wie für die Familie des Arbeiters oder die der Stenotypistin.

(Hauck [SPD]: Leider nicht für die Sozialhilfeempfänger!)

— Ja, da gebe ich Ihnen ganz recht.— Das halten wir so auch für gut und richtig, und daran wollen wir entgegen den Unterstellungen der CDU/CSU festhalten. Das einkommensunabhängige Kindergeld soll in der bisherigen Höhe erhalten bleiben.
Aber in meiner Fraktion überlegen wir — ich bitte sehr, sehr herzlich, in diese Überlegungen nicht wieder einen unüberbrückbaren Koalitionszwist hineinzuinterpretieren —, ob weitere Kindergelderhöhungen, die auch in dieser Legislaturperiode sicher notwendig werden — da gebe ich der Frau Minister völlig recht —, nicht ausschließlich den unteren Einkommensgruppen zugute kommen sollen. Das heißt im Klartext, bei einer neuerlichen Kindergelderhöhung soll nach unserer Vorstellung eine Sozialstaffelung eingebaut werden.

(Beifall bei der SPD)

Der vorhin zitierte Minister, der Generaldirektor und der Abgeordnete sind nämlich unserer Auffassung nach selber in der Lage, auch ohne weitere Erhöhungen des Kindergeldes ihre Kinder zu ernähren und ihnen eine Ausbildung zu geben.
Das mag vielleicht nicht zu 100 % gerecht sein, aber eine hundertprozentige Gerechtigkeit wird zu Zeiten, in denen die Mittel eingeschränkt sind, wohl kaum möglich sein. Für uns stellt sich die Wahl: Wollen wir Gerechtigkeit für den Spitzenverdiener, oder wollen wir Gerechtigkeit für die Schwächeren in dieser Gesellschaft? Wollen wir Freiheit für alle oder nur für einige wenige, die sie sich leisten können?

(Hartmann [CDU/CSU]: Ich denke, für alle?)

Für Sozialdemokraten heißt die Antwort ganz eindeutig: Wir werden uns in Anbetracht begrenzter Mittel immer für die Solidarität mit den Schwachen entscheiden.

(Beifall bei der SPD)

Ihnen wollen wir so schöne Dinge wie Freiheit der Wahl zwischen Beruf und Familie, Freiheit der Entscheidung für ein Kind oder mehrere Kinder überhaupt erst ermöglichen.
Beim Familienlastenausgleich gibt es sicherlich noch andere Ungerechtigkeiten, die ohne zusätzliche Mittel zu beseitigen sein werden. Lassen Sie mich diese nennen. Die erste ist mehr formaler Natur. Bei der Einschätzung der Bürger, vor allen Dingen der Arbeitnehmer, ist die Frage, ob der Staat die finanziellen Belastungen durch Kinder als eine auschließlich private oder auch als eine Angelegenheit des Staates betrachtet, von erheblicher Bedeutung. Wir vertreten die Auffassung, daß die Finanzamtslösung für das Kindergeld endlich kommen muß.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

— Dann sind wir uns j a wohl einig. — Wir fordern die Opposition und den Bundesrat auf, ihre Bedenken zurückzustellen und mit uns gemeinsam daran zu arbeiten. Sie würden damit auch einem Stück Entbürokratisierung und Sparsamkeit zustimmen.
Die zweite Ungerechtigkeit, die ohne großen Aufwand mit Zustimmung des Bundesrates aufzuheben



Frau Schmidt (Nürnberg)

wäre, ist der verunglückte Kinderbetreuungsbetrag, der uns von der Bundesratsmehrheit — ich sage es einmal etwas drastisch — aufs Auge gedrückt worden ist. Abgesehen davon, daß hier wieder einmal klammheimlich versucht wird, Steuerfreibeträge für Spitzenverdiener mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Klein- und Großverdiener zu schaffen, ist es auch beinahe unmöglich, diesen Betrag dem Bürger zu erläutern. Betreut werden soll ja wohl das Kind und nicht etwa die Eltern. Warum dann bis zu 600 DM pro Kind und Elternteil abzugsfähig sind, erklären Sie einmal bitte der alleinstehenden Mutter oder dem alleinerziehenden Vater!

(Beifall bei der SPD)

Die dritte und letzte Ungerechtigkeit — hier sage ich ausdrücklich, daß das meine Meinung ist, die nicht mit der Fraktion abgestimmt ist — —

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Ja, man soll sich auch mal ein bißchen vorwagen.

(Erneuter Zuruf von der CDU/CSU)

— Nein, das hat damit wohl weniger etwas zu tun. — Diese dritte Ungerechtigkeit ist meines Erachtens das Ehegattensplitting. Ich kann einfach nicht einsehen, daß mit den Steuergeldern der erwerbstätigen Mütter und Väter Steuererleichterungen für kinderlose Ehepaare geschaffen werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

— Ich sehe, so ganz abwegig ist diese Vorstellung wohl nicht.
Insgesamt bleibt für uns zum Thema Kindergeld festzuhalten: Wir wollen keine Einführung von Kinderfreibeträgen in das Steuerrecht, wir wollen die Finanzamtslösung, wir wollen bei weiteren Kindergelderhöhungen, die sicher notwendig werden, mit dem Koalitonspartner über eine gerechte Verteilung nachdenken, und wir wollen überprüfen, ob der Familienlastenausgleich für kinderlose Ehepaare noch zeitgemäß ist.
Meine sehr verehrten Herren! Meine sehr verehrten Damen! Ich habe vorhin ausgeführt, daß die Solidarität der Sozialdemokraten den Schwächeren in der Gesellschaft gehört. Zu diesen Schwächeren gehören viele Gruppen. Auf drei lassen Sie mich bitte noch kurz eingehen: auf die Jugend, auf die Frauen und auf die psychisch Kranken. Meine Fraktion will unabhängig davon, was Herr Kroll-Schlüter hier geäußert hat, das in der letzten Legislaturperiode leider — ich betone dieses „leider" ganz ausdrücklich
— gescheiterte Jugendhilferecht in den nächsten zwei Monaten nach Möglichkeit unverändert einbringen. Ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren der Opposition: Lassen Sie Ihre mehr oder weniger konstruierten ideologischen Bedenken hintanstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Ministerpräsident Strauß sagt, die Finanzen stünden nicht im Vordergrund. Herr Kroll-Schlüter sagt, sie stünden vielleicht doch im Vordergrund.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Lassen Sie doch bitte Ihre ideologischen Bedenken hintanstehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr Finanzminister hat es ja!)

Nehmen Sie zur Kenntnis, daß die intakten Familien, die große Mehrzahl der Jugendlichen, von diesem Gesetz so gut wie nicht betroffen sind. Nehmen Sie außerdem zur Kenntnis, daß wir auch für die hilfsbedürftige Familie und für die hilfsbedürftigen Jugendlichen nicht mehr, sondern weniger Bürokratie wollen und mit diesem Gesetz auch erreichen werden.

(Hartmann [CDU/CSU]: 13 000 Planstellen!)

Geben Sie dem Drängen nicht nur der Fraktionen von SPD und FDP, sondern auch der vielen Träger der freien Jugendhilfe nach; die wollen nämlich ein solches Gesetz.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Den Jugendorganisationen der Kirchen. Danke schön für dieses Stichwort. — Verabschieden Sie mit uns gemeinsam endlich ein modernes Jugendhilfegesetz.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Da ich gerade so schön am Appellieren bin, was läge näher — Herr Kroll-Schlüter hat das j a auch bestätigt —, als daß die CDU/CSU-regierten Länder im Jahr der Behinderten ihre Vorbehalte gegen ein Modellprogramm Psychiatrie endlich über Bord werfen? Diese Bedenken sind ja nicht grundsätzlicher Natur. Wir alle in diesem Hause sind uns wahrscheinlich einig, daß etwas für eine Reform der Versorgung psychisch Kranker getan werden muß und das sicherlich nicht nur im Jahr der Behinderten. Haben Sie, meine sehr verehrten Herren Ministerpräsidenten — sie sind leider nicht da —

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die haben nicht gewußt, daß Sie sprechen, sonst wären sie sicherlich gekommen! — Heiterkeit)

— sonst wären sie sicherlich da gewesen, selbstverständlich —

(Heiterkeit)

der CDU/CSU-regierten Länder Verständnis dafür, daß die Mittel für dieses Modellvorhaben nicht zur Krankenhausfinanzierung, auch nicht zur Finanzierung der Krankenhäuser für psychisch Kranke dienen können, denn damit würden wir genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen, nämlich Modellvorhaben, die außerhalb der Krankenhäuser stattfinden sollen, und die dann hoffentlich auch künftig fortgeführt werden. Mein Appell an Sie: Beteiligen Sie sich an diesem Modellvorhaben, schöpfen Sie die erheblichen Mittel, die für diesen Zweck im Haushalt zur Verfügung stehen, zum Nutzen der psychisch Kranken aus.



Frau Schmidt (Nürnberg)

Nun zur dritten Gruppe der Benachteiligten, die ich aufführen möchte. Hier darf ich mich wohl, auch wenn ich noch sehr neu hier bin, ein bißchen wundern. Bisher war ich nach dem, was ich gelesen habe, der Auffassung, die Frauen in den Parteien seien sich über vieles einig. Wenn Frau Kollegin Wex von der Notwendigkeit der Anerkennung von Erziehungszeiten in der Sozialversicherung spricht, dann streiten wir uns sicherlich nicht über das Ob, sondern nur über den Umfang, der realistischerweise zu finanzieren ist. Wenn Sie über die Notwendigkeit der Freiheit der Wahl zwischen Beruf und Familie für Frau und Mann sprechen, sind wir uns ebenso einig wie über die Notwendigkeit, Möglichkeiten zu schaffen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Unterschiedliche Auffassungen haben wir sicher, wenn es um die Wege geht, die zu diesem Ziel führen. Wie gesagt, ich war bisher der Auffassung, daß es hier weitgehende Übereinstimmung gibt, aber vielleicht nicht so ganz mit den Männern in den Parteien.
Da flatterten mir doch die Äußerungen des Herrn Kollegen Dr. Rose auf den Tisch. In diesen Äußerungen wird plötzlich bezweifelt, ob der Arbeitsstab Frauenpolitik gute Arbeit geleistet hat. Herr Kroll-Schlüter hat in dasselbe Horn gestoßen. Da wird eine engagierte Frau bezichtigt, für sie sei eine Pfründe geschaffen worden. Unterschwellig wird dann auch noch behauptet, das sei nur deshalb gemacht worden, weil Frau Kutsch Gewerkschafterin ist.
Hierzu seien bitte einige Fragen erlaubt:
Erstens. Darf Frauenpolitik nur von Beamten gemacht werden, oder sind nicht gerade Gewerkschafterinnen dafür prädestiniert? Kennen nicht gerade sie fehlende Aufstiegschancen für Frauen und fehlende Gleichstellung im Beruf? Damit will ich selbstverständlich nichts gegen engagierte Beamtinnen an so einer Stelle sagen.
Zweitens. Ist Herrn Kollegen Dr. Rose entgangen, welch gute Arbeit in diesem Arbeitsstab geleistet worden ist? So z. B. erfolgreiche Modellvorhaben — und ich gebe Ihnen eben nicht recht, daß Modellvorhaben ganz unnütz sind — zur Wiedereingliederung von Frauen in das Berufsleben, Änderungen der Bundeslaufbahnverordnung — kein Modellvorhaben, sondern eine konkrete Maßnahme — oder die Einrichtung von Frauenförderplänen in speziellen Betrieben.
Das sind sicher keine spektakulären Ergebnisse, aber wichtige Schritte zum Erreichen unseres Zieles der Gleichberechtigung der Frauen, nicht nur, aber sicherlich auch im Beruf.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901826500
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Wex?

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0901826600
Ja, gerne. Vizepräsident Frau Renger: Bitte, Frau Kollegin.

Dr. Helga Wex (CDU):
Rede ID: ID0901826700
Frau Kollegin, ich habe Sie jetzt hoffentlich nicht unterbrochen.

(Zurufe von der SPD: Natürlich!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0901826800
Frau Dr. Wex, selbstverständlich lassen wir uns von den Männern nicht stören.

Dr. Helga Wex (CDU):
Rede ID: ID0901826900
Ich danke Ihnen vielmals. Das ist schon mehr eine Antwort auf vieles, was ich fragen möchte. Ich möchte Sie nur fragen: Sind nicht auch Sie der Meinung, daß das, was der Frauenstab in dem Ministerium von Frau Huber bewirken sollte, sicher nicht das gewesen ist, was auch Frau Kutsch sich vorgestellt hat; und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß da, wo Entscheidungen für die Frauen getroffen werden, man es da lieber anbringt, wo Entscheidungsgremien sind, und nicht in einem bürokratischen Apparat, der immer auf das Wohlwollen der betroffenen anderen Ministerien angewiesen ist; und meinen Sie nicht, daß wir alle gemeinsam darauf hinweisen und hinwirken sollten, daß die Frauenfragen genauso wichtig genommen werden wie die Wirtschafts- und Finanzfragen, und warum gibt es zur Vorbereitung der Entscheidung im Kabinett ein Wirtschaftskabinett und ein Finanzkabinett, aber nicht ein Kabinett, das besonders für Frauenfragen da ist, damit die betreffende Ministerin eine Möglichkeit hat, mit den Betroffenen schon abgestimmt ins Kabinett zu gehen, damit die Durchsetzung ihrer Vorstellungen ermöglicht werden kann?

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0901827000
Das waren geschätzt fünf Fragen. Ich könnte es mir ganz, ganz einfach machen und Ihnen sagen, Frau Kollegin Wex, daß es wohl daran liegt, daß Sie, die Sie mit der Politik in dieser Republik begonnen haben, es so eingerichtet haben und wir es noch nicht geschafft haben, hier Änderungen herbeizuführen.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Ich gebe Ihnen darin recht, daß — um ein bißchen ernsthafter zu werden — Frau Kutsch sich wahrscheinlich wie die Frau Ministerin die Ergebnisse und Einflußmöglichkeiten stärker vorgestellt hat, als sie waren. Nur, die Frau Ministerin hat etwas ganz deutlich gesagt: In dieser Republik ist Frauenpolitik ein Bohren harter Bretter. So hat sie sich ausgedrückt. Wir haben noch viel zu tun. Wir Frauen in allen Parteien können uns noch nicht im erforderlichen Ausmaß durchsetzen. Da helfen auch die Statistiken des Herrn Kroll-Schlüter nicht, laut denen in Bayern oder Baden-Württemberg der Prozentsatz der Frauen in einflußreichen Positionen angeblich ein bißchen höher ist. Mir ist es völlig egal, ob das 2 % oder 5 % oder 6 % sind. Ich gebe erst Ruhe — und, davon gehe ich aus, auch Sie —, wenn es 50 % sind.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Um fortzufahren: Ich habe vorhin ausgeführt, daß es sicher keine spektakulären Ergebnisse •sind. In diesem Zusammenhang der Gleichberechtigung ist in letzter Zeit sehr viel zu lesen gewesen.
Als erstes ist hier klarzustellen: Weder die Arbeitsgruppe der Frauen in der SPD noch die Frau Minister noch einer ihrer Staatssekretäre sind der Auffassung, daß das Verbot von Busen oder Po oder der Betrachtung derselben in der Werbung oder anderswo die Gleichberechtigung der Frauen bewirken wird.



Frau Schmidt (Nürnberg)

Aber ein Gleichstellungsgesetz für Frauen wäre natürlich etwas. — Ich bin gleich fertig. — Da brauchen wir kein neues zu machen, sondern nur dem bestehenden EG-Anpassungsgesetz ein bißchen mehr Biß zu geben. Also: Erstens Sanktionen für Arbeitgeber bei Verletzung des Benachteiligungsverbots,

(Beifall bei der SPD)

zweitens vollständige Beweislast für den Arbeitgeber, drittens ein Gebot — statt der Soll-Vorschrift — zum Aushang des Gesetzes — um nur einige mögliche Verbesserungen zu nennen.

(Sehr gut! bei der SPD)

Wir sind nach den letzten Äußerungen unserer Kolleginnen von der FDP guten Mutes, daß wir diesmal für derartige Vorhaben Mehrheiten finden werden.

(Lutz [SPD]: Hoffentlich!)

Ein Wort zum Aushang. Es wäre natürlich hilfreich, wenn dieses Gesetz in den Ministerien aushängen würde, z. B. auch im Innenministerium — ich habe gerade den Herrn Baum gesehen; da ist mir das gerade aufgefallen —. Rechte können Frauen nämlich nur wahrnehmen, wenn sie sie kennen.
Wir werden in dieser Wahlperiode weniger Forschung über Frauen betreiben, wie es der Kollege Dr. Rose vorschlägt — manchmal habe ich den Eindruck, Frauen gehören sowieso zu den besterforschten Gruppen, die es gibt —, sondern wir werden uns über die Umsetzungsmöglichkeiten dieser Forschungen und auch der Ergebnisse der EnqueteKommission zu unterhalten haben.
Ich kann mir vorstellen, daß zu den Themen solcher Umsetzungsmöglichkeiten der Elternurlaub zur Betreuung von Kleinkindern und eine längere bezahlte Freistellung vom Beruf bei Erkrankung eines Kindes gehören.
Wir werden die Regierung bei solchen Vorhaben unterstützen, und wir werden wie in der Vergangenheit über Familienpolitik weniger reden, sondern ein bißchen mehr tun. — Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901827100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0901827200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob das, was heute in Richtung auf unsere Jugend gesagt wird, überhaupt den Teil der Jugend draußen interessiert, der zweifellos die Mehrheit bildet. Ich befürchte, daß die Mehrheit der Jugendlichen gar nicht weiß, was ein Jugendhilfegesetz ist,

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: So ist es!)

was das Betäubungsmittelrecht ist, was der Bundesjugendplan ist. Deshalb möchte ich einmal, weil das ohnehin schon seit langem Tradition unserer Haushaltsdebatten ist, gerade den Bereich Jugendpolitik vom Grundsätzlichen und auch von einem anderen Ansatz her ansprechen. Ich hoffe, daß ich — wir sind j a ohnehin unter uns — nicht sehr viel Schaden anrichte, weil die Gefahr von Mißverständnissen hier zweifellos gegeben ist.
Herr Kollege Kroll-Schlüter, ich muß aber zuerst noch eine kurze Bemerkung zu Ihren Ausführungen machen. Ich empfehle Ihnen wirklich, einmal den Haushalt zu lesen. Im Bundesjugendplan hat es keine Kürzungen gegeben, schon gar nicht in Höhe der von Ihnen genannten 7 Millionen DM. Vielmehr werden im Haushalt 2,5 Millionen DM draufgelegt.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Nein, 1980 habe ich gesagt!)

— Wir haben in diesem Haushalt keine Abstriche gemacht, sondern draufgelegt.
Im übrigen, Herr Kroll-Schlüter, würde auch ich gern wissen: Was wird denn nun aus dem Jugendhilferecht? Einerseits bringen Sie selbst die Finanzierungsprobleme hier in die Debatte, andererseits sagen Sie, daran werde es nicht scheitern. Es ist schön, auch beim Ministerpräsidenten Späth diese Bestätigung dafür zu finden. Oder wird der Kollege Blüm recht behalten -- ich hoffe, daß es nicht so ist —, der — schlechte Reminiszenzen an den Bundestagswahlkampf in die Debatte zur Regierungserklärung bringend — das Jugendhilferecht schlechthin abgelehnt hat, übrigens mit Unterstellungen, die in diesem Gesetz überhaupt keine Grundlage haben. Ich hoffe nur, daß wir gemeinsam zügig zu einer Verabschiedung kommen. Die Koalitionsfraktionen werden diesen Gesetzentwurf einbringen, sie werden ihn unverändert einbringen, und zwar deshalb, weil wir es uns meines Erachtens nicht erlauben können, in der Diskussion wieder bei der Stunde Null anzufangen.

(Beifall bei der FDP)

Das können wir uns deshalb nicht erlauben, weil gerade im Bereich der Jugendhilfe draußen so viel Stau vorhanden ist, daß es unverantwortlich wäre, die, die Hilfe suchen, weiter ohne Hilfe zu lassen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901827300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kroll-Schlüter?

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0901827400
Bitte schön.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID0901827500
Herr Kollege Hölscher, darf ich Sie bitten, doch zur Kenntnis zu nehmen, daß wir der Meinung sind, daß derjenige, der das Gesetz unverändert einbringt, damit unter Beweis stellt, daß er es scheitern lassen will?

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0901827600
Nein, warum denn? Wir sind zu Gesprächen immer bereit. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie ernsthaft der Meinung sind — gut, ich gehörte dem Ausschuß noch nicht an —, daß die Diskussion, die im Fachausschuß monatelang geführt worden ist, noch einmal beginnen soll. Es mag zwar sein, daß hier noch einmal ein Gedankenaustausch stattfinden muß, aber wenn Sie bereit sind, wirklich ernsthaft bereit sind, im Bereich der Jugendhilfe etwas zu tun, dann kann es ja wohl nicht an der Form der Einbringung des Gesetzes scheitern.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901827700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauck?




Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0901827800
Bitte schön, Herr Kollege Hauck.

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0901827900
Herr Kollege Hölscher, Sie können doch dem Kollegen Kroll-Schlüter sagen, daß das Gesetzgebungsverfahren noch gar nicht abgeschlossen war, weil es nicht zu einem Vermittlungsverfahren gekommen ist. Es gibt ja zwei CDU-regierte Länder, die das Vermittlungsverfahren haben wollten, um eine Kompromißlösung auf der Basis zu erreichen, die wir erarbeitet haben.

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0901828000
Ich bestätige Ihnen das gern, Herr Kollege Hauck. Ich gehe auch davon aus, daß wir dann, wenn die finanziellen Probleme von Seiten der Opposition wirklich als überwindbar angesehen werden vielleicht auch einen Kompromiß — ich sage das hier für meine Person einmal in aller Offenheit — durch Streckung der Mittel finden werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte nun zu dem kommen, was ich hier eigentlich sagen wollte. Mit Blick auf die Uhr wäre ich dankbar, wenn wir jetzt ausnahmsweise vom sehr Konkreten — wenn auch Wichtigen — wegkommen würden.
Wenn man sich das, was der Kollege Pfeifer heute gesagt hat, sowie auch das, was Herr Kollege KrollSchlüter zur jungen Generation gesagt hat, in Erinnerung ruft, dann hat man den Eindruck: Diese junge Generation interessiert sich nur für das Materielle. Frau Minister Huber hat — um kurz eine Bemerkung zur Familienpolitik zu machen — mit Recht darauf hingewiesen, daß das generative Verhalten — ein schlimmes Wort; ich würde sagen: Die Leute kriegen wieder mehr Kinder — besser geworden ist, was wahrscheinlich gar nichts mit materiellen Leistungen — Gott sei Dank nicht — zu tun hat. Für mich ist Aufgabe der Familienpolitik, Familien bei ihren materiellen Belastungen zu helfen. Aber man sollte doch nicht annehmen, daß die Höhe des Kindergeldes liebesfördernd ist. Die Ursachen, meine Damen und Herren, liegen ja wohl woanders: Solange ein Rasenmäher samstagsmittags weniger stört als drei spielende Kinder im Garten, ist doch wohl in unserer Gesellschaft etwas nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Das gleiche gilt möglicherweise für die junge Generation. Wie steht es um unsere Familien, wie steht es um die jungen Leute? Müssen wir uns überhaupt Sorgen machen? Wenn man Herrn Pfeifer Glauben schenken darf, dann verlangen die jungen Leute nach noch mehr Leistung. Die Mehrzahl der jungen Leute sitzt in den Schulen und Betrieben, lernt fleißig, will mit guten Zensuren möglichst schnell zum Abschluß kommen, um dann wie ihre Eltern zu werden und vor allen Dingen ein materiell gesichertes Leben zu führen. Es ist ja auch so — lassen Sie mich das etwas sarkastisch sagen —, daß sich die Verhältnisse für die jungen Menschen in den letzten Jahren zwar gebessert haben — wir haben statistisch mehr Lehrstellen; unser Bildungssystem ist besser geworden —, aber im Grunde genommen bietet unsere Gesellschaft vor allen Dingen denjenigen optimale Chancen, die möglichst schnell zum selbstgesteckten Ziel kommen wollen, indem sie sich gehörig anpassen und sich mit den Ellenbogen durchboxen. Sie wollen möglichst schnell so sein wie die Erwachsenen.
Wir könnten eigentlich zufrieden sein, wenn wir nicht wüßten, daß gerade in dieser Anpassung eine Flucht, eine Resignation zu sehen ist, denn eine freie Gesellschaft lebt ja wohl nicht vom angepaßten Bürger, sondern von der Kritik und dem Veränderungswillen der Menschen. Eine Demokratie wird auf Dauer nicht lebensfähig, wenn große Teile der jungen Generation keine Lust mehr haben, mitzumachen und ihre Rechte wahrzunehmen, um mit kritischem Engagement die Gesellschaft zu verändern.
Mehr als die Hälfte der heute 18- bis 25-jährigen denkt kritisch über die gegenwärtigen politischen und sozialen Verhältnisse. Dennoch sind die wenigsten bereit, etwas zu verändern. Unsere politischen Jugendorganisationen können ein Lied davon singen, denn es ist ja nicht so doll, was sich hier an jungen Leuten — gemessen an der Gesamtbevölkerung — organisiert. Das gilt für die Junge Union, für die Jungsozialisten und die Jungdemokraten.
Die Mehrzahl der jungen Leute zieht sich also zurück und will nicht mehr mitmachen. Die extremste Form dieses Rückzugs ist die Flucht zur Droge, zur echten chemischen Droge oder zur Droge Jugendsekte, denn beide Formen der Droge bieten scheinbare Lösungen: nicht mehr selbst denken und entscheiden zu müssen.
Meine Damen und Herren, es gibt aber auch ein Rückzugsverhalten, das nichts mit Passivität oder mit Flucht vor der Realität zu tun hat, sondern das im Gegenteil durch ein starkes Engagement gekennzeichnet ist. Ich meine die Flucht in neue, alternative Lebensformen. Der Anteil der Jugendlichen, die sich auf diese Art von der Gesellschaft distanzieren, nimmt immer mehr zu. Es geht diesen Jugendlichen nicht mehr darum — wie noch Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre —, der Macht der Institutionen eigene Macht entgegenzustellen, die Gesellschaft durch den „Marsch durch die Institutionen" zu verändern, sondern sie verzichten auf jede Beeinflussung und schaffen sich ihre eigene Welt außerhalb unserer Gesellschaft.
Es ist nicht einfach, die Gründe für diese Resignation zu erkennen, aber es sollte unsere Hauptaufgabe sein, hierüber einmal etwas mehr zu erfahren. Ich will den Versuch machen — er muß zweifellos unzulänglich sein —, die Ursachen für diese. tiefersitzende Krise einmal anzusprechen. Was wir hier im allgemeinen machen — das sage ich ohne Vorwurf —, ist natürlich Symptomtherapie, gleichgültig, ob wir uns mit dem Betäubungsmittelgesetz oder mit dem Jugendhilfegesetz befassen.
Als Grund der Resignation wird zunächst das Leistungsprinzip angeführt. Viele junge Menschen sehen in der Leistung eben keinen Wert an sich mehr. Deshalb muß die Rede des Kollegen Pfeifer in der Bildungsdebatte am Denken dieses — für uns sehr wichtigen — Teiles der jungen Generation vorbeigehen. Es ist für sie eben keine Perspektive, sich in Schule und Beruf zu Lasten des Nachbarn durchzu-



Hölscher
boxen, weil sie nichts Erstrebenswertes darin sehen können, möglichst schnell und spurenlos in der Tretmühle der blau uniformierten Massen in den Fabriken oder der mehr grau uniformierten Herden in den oberen Etagen der Leute, die uns als Abgeordnete in den Warteräumen der Flughäfen und in den Intercity-Zügen begegnen, zu verschwinden. Ich habe großes Verständnis dafür, daß dieses Leben kein Grundwert der von Ihnen so oft beschworenen Grundwerte für diesen beträchtlichen Teil der kritischen Generation ist.
Es werden eben überkommene Werte in Frage gestellt. Es werden auch neue Werte in Frage gestellt, z. B. eine antiautoritäre Erziehung, wenn sie sich im Grunde genommen nur als Gleichgültigkeit von Eltern mit der Folge der Orientierungslosigkeit von Kindern darstellte.

(Frau Traupe [SPD]: Das ist auch keine antiautoritäre Erziehung!)

— Es ist eine falsch definierte antiautoritäre Erziehung, die es aber gibt, Frau Kollegin.
Manch einer hat vielleicht auch schlechte Erfahrungen gemacht mit den von uns oft beschworenen Eigeninitiativen. Er hat sich beteiligt an einem selbstverwalteten Jugendzentrum, nur wurde das dann zugemacht, als ein paar Fensterscheiben zu Bruch gingen — während die Erwachsenen die Keilerei der Erwachsenen im Wirtshaus tolerieren; das muß man auch sehen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Manch einer glaubt den Parteien nicht mehr, wenn diese sich angeblich den kritischen und mündigen, selbstverantwortlichen Bürger wünschen, wenn die Parteien nicht in der Lage sind, z. B. die Wahrnehmung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung zu ermöglichen.
Manch einer wird sich auch fragen, was ist- denn das für ein Staat, der mich von bestimmten Berufen zwangsweise fernhält, wenn ich mich für eine nicht verbotene Partei engagiere. Ich meine den Extremistenerlaß, der dann noch die Folge des Opportunismus und des Duckmäusertums hat.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das brauchen Sie uns nicht zu erzählen! — So ein Quatsch!)

Viele junge Leute fragen eben, warum wirtschaftliches Wachstum notwendig ist und unverzichtbar sein soll, wenn auf der anderen Seite die Umwelt in Teilen dabei kaputtgeht.
Sie fragen sich auch, ob es richtig ist, wenn wir so viel für die Rüstung ausgeben, während man mit einem kleinen Teil dieser Ausgaben einige Hunderttausend Menschen vor dem Hungertod retten könnte.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Die Jugendlichen interessieren sich nicht für die Sachzwänge, die wir ihnen dann darlegen. Sie interessieren sich nicht dafür, ob es hier ein Bundesverfassungsgericht gibt, das bestimmte Regelungen verhindert. Sie interessieren sich auch nicht dafür, wie die Machtverhältnisse im Bundesrat sind.
Natürlich ist es für uns sehr schwer, in einer repräsentativen Demokratie Politik unmittelbar erlebbar zu machen, dem einzelnen mehr Mitentscheidungsspielraum zu geben und unser System wieder glaubwürdiger zu machen. Wir müssen es aber versuchen.
Dazu einige Beispiele. Die junge Generation muß sich manipuliert fühlen, muß den Verdacht haben, nur der Wählerstimmen wegen angesprochen zu wérden. Damit Sie sehen, daß ich das nicht einseitig parteipolitisch meine, will ich jetzt drei Beispiele nennen, so daß es uns alle drei betrifft. Sie müssen es im Grunde genommen als Manipulation betrachten, wenn aus der SPD ein Schauantrag kommt, die Rüstungsausgaben zu reduzieren, obwohl doch jeder weiß, daß hier sich im Moment nichts bewegen läßt. Sie müssen sich manipuliert fühlen, wenn man aus Kreisen der CDU hört: Hier gibt es ein Strategiepapier, da soll in Form der weichen Welle mit Disco-Sound und Nostalgie die Jugend angesprochen werden. Sie müssen sich manipuliert fühlen, wenn der FDP in Wahlkampfzeiten einfällt, plötzlich in der „Fabrik" in Hamburg — einem Alternativen-Begegnungszentrum — ein politisches Forum zu veranstalten. Ich sage das hier in aller Offenheit. Das ist nicht der richtige Weg. Da erkennen viele junge Leute die Absicht und sind verstimmt.
Ich denke, meine Zeit ist abgelaufen. Ich würde gern noch vieles dazu sagen.

(Frau Schlei [SPD]: Nur die Ruhe!)

— Vielen Dank, verehrte Frau Kollegin Schlei. Es freut mich sehr, das gerade von Ihnen zu hören. Ich hatte auch keine Veranlassung, daran zu zweifeln, daß meine Zeit noch nicht abgelaufen ist. Aber es von Ihnen zu hören, freut mich.
Ich denke, wir müssen eine ganz andere Form der Begegnung mit den jungen Leuten finden. Weil dies ja nicht eine Randgruppe ist, die es zu betreuen gilt. Sondern dies ist ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Erinnern wir uns doch an unsere eigenen Spitzenpolitiker! Die gehörten j a wohl auch nicht zu den Angepaßten in ihrer Jugend, sondern, wenn Sie so wollen, in gewisser Weise auch zu den Alternativen. Das sind ja im Grunde genommen diejenigen, die in der nächsten Generation wahrscheinlich auch in der Verantwortung stehen.

(Frau Schlei [SPD]: Und die Rente für uns zahlen!)

— Und die Rente für uns zahlen, j a, richtig. Nur können sie das nicht, wenn sie so alternativ leben, wie sie heute leben, Frau Kollegin Schlei. Hier ist sicher einiges auch an gegenseitiger Diskussion notwendig, um klarzumachen, daß ein System, das auch im Ökonomischen funktionieren soll, letzten Endes auch Leistung abverlangt. Dies ist unbestritten.
Wir müssen uns daher diesen neuen Formen öffnen, die j a gerade — ich meine auch im Praktischen
— in der jungen Generation in vielfacher Form praktiziert werden. Ich meine Wohngemeinschaften, nichteheliche Familien. Wir dürfen das nicht denunzieren, wir dürfen das auch nicht diskriminieren. Die Familie steht selbstverständlich unter dem Schutz des Grundgesetzes. Aber ist eigentlich eine alleiner-



Hölscher
ziehende junge Mutter mit ihrem Kind nicht auch eine Familie? Es interessiert die jungen Leute sehr, wie wir uns dazu stellen.

(Beifall bei der FDP)

Haben die zwei jungen Schwestern, die nach dem Krieg die Kindererziehung und die Berufstätigkeit gemeinsam bewältigt haben, nicht auch die Funktion einer Familie übernommen? Warum schützt eigentlich dieser Staat die Familie mit einem alleinerziehenden Elternteil oder andere nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern nicht in gleichem Maße wie das kinderlose Ehepaar? Frau Kollegin Schmidt hat dieses Beispiel gleichfalls gebracht.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Warum erhalten nichteheliche Familien einerseits keine Familienhilfe — z. B. bei der Krankenversicherung und der Hinterbliebenenversorgung, beim BAföG, beim Wohngeld, bei den Sozialwohnungen —, während andererseits die Partner, wenn sie Hilfe brauchen, plötzlich als eheähnliche Gemeinschaft zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden?

(Glocke des Präsidenten)

— Frau Präsidentin, ich bin, wenn Sie mir noch 10 Sekunden erlauben, am Ende.
Ich denke, wir müssen in einem offenen Dialog mit den Jugendlichen eintreten, wobei wir — darauf kommt es mir an; ich habe keine Rezepte — in Zukunft vielleicht etwas mehr zuhören sollten, als selbst zu reden. Wir sind bereit, auch unsere eigenen Wertvorstellungen in Frage zu stellen. Wir wollen der Jugend mit Toleranz und Offenheit begegnen. Wir wollen uns dafür einsetzen, gemeinsam mit der Jugend die Probleme zu lösen. Wir wollen keine angepaßte Jugend, wir wollen aber auch keine Jugend, die sich in den privaten Konsum oder in wirklichkeitsfremde Scheinwelten flüchtet. Wir wollen die kritische, mitarbeitende junge Generation, denn wir wissen, wie wichtig das gesellschaftliche Engagement im Grunde genommen für die Zukunft einer freien Gesellschaft ist, aber nicht von oben verordnet, auch nicht Grundwerte, die wir zum Teil selbst nicht mehr akzeptieren, die wir kaum noch definieren können. Wir wollen vielmehr in einen Dialog eintreten. Vielleicht können wir dann sogar von diesem kritischen Teil der jungen Leute etwas lernen. Wir müssen nicht immer glauben, wir müßten etwas lehren.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901828100
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Innenpolitik. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0901828200
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte sehr um Nachsicht, daß zu dieser späten Stunde auch noch die Innenpolitiker zu Wort kommen sollen. Aber ich meine, die Themen sind zu schwerwiegend, als daß man sie in dieser Haushaltsdebatte nicht ansprechen könnte.
Persönlich darf ich sagen: Als Ansbacher Abgeordneter tut es einem natürlich gut, wenn man zum Ausgleich für eine recht flotte Rede der Nürnberger Kollegin als Vertreter des westmittelfränkischen Raumes — im Vergleich zum Ballungsraum Nürnberg — noch zu Wort kommt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Innenpolitik der letzten Legislaturperiode war heftig umstritten. Aber auch zum Thema Innenpolitik hat man in den letzten Wochen und Monaten nach der Bundestagswahl mehrere Aufforderungen von Vertretern aller Fraktionen zu mehr Gemeinsamkeit gehört. Damit man sich nicht in harmonisierenden Deklamationsübungen erschöpft, sollten sich hieraus, meine ich, konkrete Entscheidungen und Problemlösungen ableiten. Ich glaube, man sollte auch versuchen, zu einer Wiederannäherung doch sehr unterschiedlicher Standpunkte zum Thema und zum Verständnis der Liberalität zu kommen.
Liberalität erweist sich nicht darin, daß man — wie die Bundesregierung — in vielen innenpolitischen. Fragen konkreten Entscheidungen ausweicht, einen Weder-noch-Standpunkt einnimmt oder Handlungsfähigkeit durch unverbindliche Absichtserklärungen ersetzt. Es kann auch nicht richtig sein, daß nur der Staat als liberal gilt, der den verdächtigten oder überführten Rechtsbrechern oder politischen Extremisten ein Höchstmaß an Recht und Freiheit zu Lasten der Mehrheit der rechtstreuen Bürger garantiert.
Wer wie der Herr Bundesinnenminister für sich und seine Partei Liberalität monopolisieren will, muß sich entgegenhalten lassen, daß ein solcher Alleinvertretungsanspruch eines wirklich Liberalen nicht würdig ist. Liberale Politik muß heute von der Wirklichkeit unseres freiheitlichen Rechtsstaats ausgehen und nicht von der Unterstellung der Bedrohung von Bürgerfreiheiten, wie sie das Kennzeichen totalitärer oder absolutistischer Staaten ist. Sie darf doch nicht einseitig unsere Freiheit durch die Sicherheitsbehörden bedroht sehen, sondern vor allem durch die Gefahr des Mißbrauchs durch einzelne oder durch Minderheiten. Dem muß sie entgegenwirken. Liberale Politik heute muß staatlicher und organisierter Übermacht verstärkt in -anderen Bereichen als im Sicherheitsbereich entgegenwirken.
Ich darf hier drei Beispiele nennen.
Persönliche Freiheit braucht der Mensch gegenüber Computern und Informationsspeichern. Datenschutz ist Bürgerschutz. Wir brauchen die Novellierung eines dazu unzureichenden Datenschutzgesetzes. Unkontrollierter Datenschutz ist zu unterbinden und zu kanalisieren, nicht nur im Bereich der Sicherheitsbehörden. Es gibt doch für die Fachkundigen viel größere Datenschutzprobleme im Bereich des Meldewesens, des Versicherungswesens, des Sozialwesens, im Gesundheitsbereich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In aller Behutsamkeit sei doch auch zu fragen: Soll
es weiterhin bei der ungehinderten Benutzung und



Spranger
Weitergabe persönlichster Daten durch Presse und Rundfunk bleiben?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, auch im Bereich der Medienpolitik muß Liberalität der Maßstab unseres Handelns sein. Wir können doch angesichts der aktuellen Probleme der neuen Medientechnik, angesichts verkrusteter Strukturen und angestauter Probleme nicht mit den Horrorbildern „Verschiedene Familienmitglieder bei verschiedenen Fernsehapparaten in verschiedenen Zimmern", mit dem Motto „Alles muß bleiben wie bisher" die Zukunft bewältigen wollen. Das wäre steriler Immobilismus. Kommunikationsfreiheit, Vielfalt, Marktwirtschaft statt Monopol, das ist unsere Forderung. Wir werden es nicht hinnehmen, daß unsere Bürger aus durchsichtigen parteipolitischen Gründen von den weltpolitischen medienpolitischen Entwicklungen abgekoppelt werden. Informations- und Meinungsfreiheit sind Freiheitsrechte aller Bürger und nicht die Rechte elitärer Zirkel und Gruppen des Medienbereiches.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir erleben in den letzten Wochen und Monaten eine sehr vordergründige Polemik gegen eine der tragenden Säulen unseres Staatswesens, das Berufsbeamtentum. Ich meine, hier werden gewisse Nebenkriegsschauplätze aufgebaut. Der Unmut der Bürger richtet sich doch nicht gegen die Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Er richtet sich gegen ein aufgeblähtes, unwirtschaftliches, Freiheit, Individualität, Spontaneität allmählich erstickendes System der Bürokratisierung und Verstaatlichung unseres gesamten Lebens. Immer mehr Gesetze, immer mehr Vollzugsorgane, immer höhere Kosten, immer mehr bürokratisierte Macht, immer mehr Abhängigkeit und schließlich immer mehr Filz, immer mehr Parteibuchwirtschaft, immer mehr Mißbrauch von Steuergeldern — das ist das, was nicht nur in Berlin, von SPD und FDP zu verantworten, die Bürger auf die Barrikaden treibt und zunehmend empört. So meinen wir, der Kampf gegen Bürokratisierung und Verstaatlichung unseres Lebens in allen Bereichen ist heute der entscheidende Auftrag für mehr Liberalität im Lande.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, einige Worte zu zwei vorrangigen Bereichen, die Themen Umweltschutz und Ausländerpolitik.
Wir sind uns wohl in diesem Hause einig gewesen und auch noch einig, daß soziale, wirtschaftliche und technische Entwicklungen ihren Sinn und Wert für den Menschen verlieren, wenn sie unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören. Wir wissen, daß es vieles gibt, was bedeutsamer ist als materieller Fortschritt. Wir wissen aber auch, daß ohne Technik, Chemie und Ausweitung und Verbesserung der wirtschaftlichen Grundlagen die elementaren Lebensbedürfnisse nicht befriedigt werden können. Wenn wir das leugnen oder wenn wir uns weigern, dies auszusprechen, dann programmieren wir jene schwerwiegende Unglaubwürdigkeit, die es vielen jungen Menschen so schwer macht, sich mit unserem Staat zu identifizieren.
Ohne Sinn für das Machbare gewährte, unerfüllbare Ansprüche auf eine heile, paradiesische Umwelt erwecken nur Hoffnung und Erwartung, die bald in Enttäuschung und Frustration umschlagen. Deswegen ist Glaubwürdigkeit in der Umweltpolitik die Voraussetzung dafür, daß viele Jugendliche, die in eine Protesthaltung geraten sind, wieder für diesen Staat und seine Gesellschaftsordnung gewonnen werden.
Daß gerade im Bereich Umweltschutz erhebliche Unsicherheit herrscht durch einseitig überzeichnete Gefahren, durch unterlassene Klärung der wirklichen Risiken, durch Kapitulation vor der Notwendigkeit, praktikable und notwendige Regelungen zu finden, ist uns allen bewußt. Diese Unsicherheit gefährdet vernünftiges wirtschaftliches Handeln. Wir meinen, statt Grundgesetzänderungen und Diskussionen um die Verbandsklage sollte man endlich konkrete Regelungen zur Bekämpfung des Verkehrslärmes

(Beifall bei der CDU/CSU)

oder zur Minderung von Schadstoffen in Autoabgasen, in Luft, Wasser und Boden schaffen.
Mit markigen Erklärungen, z. B. der, das Auto sei Umweltfeind Nr. 1, beseitigt man dort doch nicht die entstehenden Schadstoffe oder mindert den Verkehrslärm. Was hat es für einen Sinn zu beklagen, daß schwermetallhaltiger Klärschlamm den Boden verdirbt, wenn keine konkreten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Ähnliches gilt für den Bereich des Abfallbeseitigungsgesetzes und im Bereich der TA-Luft. Hier sind die Ermächtigungen für den Erlaß von dringend erforderlichen Verordnungen und Vorschriften vorhanden. Diese Vorschriften fehlen entweder im Bereich des Umweltschutzes oder sie machen dort den Betroffenen das Leben schwer. Deshalb: Beschränken wir uns auf durchführbare und finanzierbare Gesetze, überlassen wir die Durchführungslast auch nicht, wie beispielsweise beim Verkehrslärmschutzgesetz, den Ländern und den Gemeinden in unzumutbarer Weise nach dem Motto: Wenn man nicht mit dem Gesetz zurechtkommt, sollen sich die Bürger gefälligst bei den Ländern oder den Gemeinden beschweren!
Meine Damen und Herren, das Gesetz der Bundestreue gilt auch im Verhältnis des Bundes zu den Ländern und Gemeinden. Der Bund darf die Länder und die Gemeinden nicht überbelasten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben diese allgemeinen Programme und Konzepte für den Umweltschutz mit all ihren wohltönenden Bewertungen und Bezeichnungen genug. Wir brauchen rechtzeitige, präzise gesetzliche Regelungen, stärkere Systematisierung, Vereinfachung und Straffung des komplizierten Umweltrechts. Bürger, Verwaltungen und Gerichte würden aufatmen.
Ein kurzes Wort zum Thema Ausländerpolitik, zu dem Herr Dr. Dregger in der Debatte zur Regierungserklärung unsere grundsätzliche Position



Spranger
schon deutlich gemacht hat. Wir sind kein Land von muffigen Spießbürgern, die irgendwelche kulturellen oder rassistischen Vorbehalte gegenüber Ausländern haben. Wir sind ein Land, das politisch Verfolgten einen optimalen Schutz gewährt. Wir sind ein Land, das seinen Beitrag zur Linderung der Not in der Dritten Welt leistet. Aber wir dürfen uns trotz allem nicht durch schrankenlose Zuwanderungspolitik Probleme ins Land holen, die wir nicht mehr bewältigen können. Hier ist in der Vergangenheit von der Bundesregierung viel versäumt worden.
Ich meine, es ist kein Chauvinismus, wenn wir verbindliche Antworten auf die Fragen erwarten, wie viele Ausländer denn eigentlich noch in die Bundesrepublik kommen sollen. Was geschieht mit den Millionen Ausländern, die schon hier und nicht bereit sind, ihre ethnische und kulturelle Sonderart und Eigenständigkeit aufzugeben? Sollen sie zukünftig erneut Proletariat oder mit Druck assimiliert werden? All das sind Probleme, denen man nicht begegnen kann, indem man von Ausländerfeindlichkeit der deutschen Bevölkerung spricht. Hier muß die Bundesregierung ebenfalls eine Glaubwürdigkeitslücke mit einem entsprechenden Konzept füllen, damit die inzwischen entstandenen Konflikte nicht zur Explosion kommen.
Zum Schluß möchte ich auf einen Satz von Bundesinnenminister Baum in seiner Rede vom 28. November 1980 eingehen. Er sagte: „Natürlich wollen wir die Freiheit der Bürger sichern, und zur Freiheit gehört auch die Freiheit von Gefahren." — Das war zweifelsohne ein neuer Ton. Wenn der Bundesinnenminister tatsächlich — was wir hoffen — einen Schritt auf uns zugegangen ist, dann, so könnte ich es mir vorstellen, könnte es sogar auch auf dem weiten Feld der inneren Sicherheit zu gewissen Verständigungen kommen. Unsere Position in diesem Bereich war immer klar. Wir sind der Auffassung, daß es nicht der Sicherung der Freiheit dient, wenn Freiheitlichkeit mit Nachgiebigkeit, mit Sorglosigkeit oder Beliebigkeit verwechselt wird. Die Sicherung der Freiheit erlaubt keine Innenpolitik, die sich an Tagesstimmungen, menschlichen Irrungen und Wirrungen, am Beifall von Randgruppen oder am Laissez-faire-Prinzip orientiert. Freiheit bedeutet vielmehr die Möglichkeit eigenverantwortlicher Lebensgestaltung unter Achtung der Entscheidungen der Mehrheit und der Rechte anderer und Erfüllung von Pflichten auch gegenüber der demokratischen Gesellschaft. Diese Sicherung der Freiheit setzt voraus, daß anerkannt wird, daß selbstverständlich in der Demokratie die Rechte der Minderheit respektiert werden. Aber andererseits müssen die Minderheiten auch die in Gesetzesform ergangenen Mehrheitsentscheidungen akzeptieren und anerkennen. Diese Mehrheitsentscheidungen dürfen nicht zum Formelkram abgewertet werden, dessen Verletzung zuerst geduldet und dann schließlich akzeptiert wird, wie wir das teilweise bei sogenannten Demonstrationen oder bei den Hausbesetzungen erleben. Das wäre das Ende des Rechtsstaats.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Staatliche Institutionen vor allem und auch die Angehörigen des Verfassungsschutzes und der Polizei
haben einen Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigten Angriffen, und sie haben auch einen Anspruch auf praktikable Rechtsgrundlagen für ihre Arbeit.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie das mal Herrn Strauß!)

Schließlich: der politische Extremismus von rechts wie von links darf nicht nur in Worten abgelehnt werden. Die Verfassungstreue der Beamten gehört zum Grundtatbestand unseres Rechtsstaates. Über die Modalitäten, diese Verfassungstreue zu sichern, lassen wir mit uns diskutieren.
Auf der Grundlage dieser Politik darf ich noch zwei drängende Probleme ansprechen.
Es kann und darf nicht Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft sein, wenn militante Gruppen vermummt und bewaffnet zu sogenannten Demonstrationen anrücken und unerkannt und ungefährdet mit brutaler Gewalt Polizei und friedliche Bürger angreifen dürfen. Man kann auch nicht die systematische Zerstörung und Plünderung von Geschäften als alltägliche Kavaliersdelikte und Teil der sogenannten argumentativen Auseinandersetzung in unserem Lande bewerten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen fordern wir die Bundesregierung erneut auf, endlich die Grenzen des Versammlungsrechtes wieder deutlich zu machen.
Nun das zweite Thema; es ist heute schon angesprochen worden, allerdings ohne Lösungsvorschläge. Es ist doch von tragischer Dimension, die Abwendung vieler Jugendlicher von Staat und Gesellschaft und ihre Flucht in Drogenkonsum, Jugendsekten, alternative Lebensformen oder sogar militant-extremistische Minderheitengruppen festzustellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901828300
Herr Kollege Spranger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Emmerlich?

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0901828400
Bitte sehr.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID0901828500
Herr Kollege Spranger, sind Sie der Auffassung, daß die Politik, wie sie die CDU, insbesondere aber die CSU verfolgt, geeignet ist, diese Entwicklung, die Sie zu Recht beklagen, zu behindern oder ihr entgegenzuwirken?

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0901828600
Herr Kollege Emmerlich, ich kann nur feststellen, diese Probleme waren zu dem Zeitpunkt, als die CDU/CSU die Bundesregierung stellte, nicht im entferntesten in diesem Ausmaß vorhanden. Wir können statistisch belegen, daß all die negativen Entwicklungen, die Sie ja auch beklagen, sich ganz überwiegend seit 1969 — denken Sie an die 70er Jahre — kontinuierlich verschärft haben. Das ist unwiderlegbar.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901828700
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID0901828800
Diesen von Ihnen behaupteten zeitlichen Zusammenhang einmal unterstellt: Wollen Sie aus diesem zeitlichen Zusammenhang einen ursächlichen Zusammenhang herleiten?




Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0901828900
Wenn Sie abgewartet hätten, was ich in meinen weiteren Ausführungen sagen würde, dann hätte sich diese Frage erübrigt. Ich kann das aber vorwegnehmen. Was wir beklagen — und wir haben ja im Innenausschuß versucht, das in zahlreichen Diskussionen abzuklären —, ist, daß es die Bundesregierung trotz vielfacher Absichtserklärungen unterlassen hat, die sicherlich vielschichtigen Ursachen dieser Entwicklung darzulegen. Sie hat es aber erst recht unterlassen, Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Eine Bundesregierung, die darauf verzichtet, in jedweder Form, irgendwelche geistige oder moralische Führung oder Alternativen zum Ausdruck zu bringen, wird natürlich auch auf diesem Gebiet keine Erfolge zu verzeichnen haben.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Herr Spranger, „irgendwelche" ist für Sie entlarvend! — Wehner [SPD]: Schlagworte aus einem ungewaschenen Mund!)

Aber ich glaube, Herr Emmerlich, wir können die Diskussion beenden.
Tatsache ist, daß diese 'Entwicklung von allen Fraktionen in vielen Diskussionen beklagt wurde. Tatsache ist, daß die Bundesregierung keine wirksamen Maßnahmen ergriffen hat; sonst wäre diese Entwicklung nicht so. Unsere Auffassung ist, daß die Bundesregierung dieses Problem nur verwaltet, aber nicht in der Lage ist, entsprechende Lösungsvorschläge vorzusehen.
Deswegen fordern wir auch heute die Bundesregierung auf, dieses Problem anzugehen und endlich den vielgerühmten Mut zur Zukunft auch darin zu fassen, daß sie anfängt, die Jugend wieder in verstärktem Maß für diesen Staat zu interessieren und von den verhängnisvollen Entwicklungen wegzubringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach unserer Meinung ist auch dieses Problem lösbar. Wir brauchen dazu jedoch eine Innenpolitik, die in diesen schwierigen Zeiten und angesichts dieser schwierigen Probleme unseren Staat handlungsfähig und krisenfest macht, die den rechten Mittelweg

(Wehner [SPD]: Den rechten Mittelweg? — Weitere Zurufe von der SPD)

zwischen den Rechten des einzelnen und den Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft findet. — Ich verstehe die Erregung an sich nicht. Sie legen doch immer sehr großen Wert auf die Rechte des einzelnen.
Ich finde, die Rechte des einzelnen und der Mehrheit der Bürger durch eine entsprechende Gesetzgebung in der Innenpolitik zu beachten, ist eine hohe Aufgabe. Leider wird sie nicht in dem Ausmaß erfüllt, wie es für die Mehrheit unserer Bürger wünschenswert wäre. Deswegen ist es in der Zukunft eine wesentliche Aufgabe glaubwürdiger Innenpolitik, hier zu konkreten Sachentscheidungen zur Wahrung der Rechte und auch der Pflichten des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft zu kommen. Eine solche glaubwürdige Innenpolitik schafft Vertrauen und Zuversicht und sichert die Freiheit.
Die CDU/CSU ist bereit, wie bisher ihren Beitrag zu dieser freiheitlichen Gestaltung in unserem Staat zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901829000
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID0901829100
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den handverlesenen intimen Gesprächskreis recht herzlich zu dem Thema Innenpolitik begrüßen, wobei ich vorausschicken möchte, daß ich im Haushaltsausschuß bin und über den Haushaltsteil reden möchte. Ich möchte mir nicht anmaßen, mich in die großen Gefilde der Innenpolitik hineinbegeben zu können.
Nur einen Gedanken lassen Sie mich in diesem Moment verschwenden. Hier gab es einige Aussagen von Herrn Spranger zur Drogensituation der Jugend. Herr Spranger, ich dachte immer, daß sich Innenpolitik insbesondere in den Kommunen darstellt, eigentlich schon in den Familien, in den Schulen, in den Ländern und nicht im staatlichen Überbau der Bundesrepublik.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Dann schaffen wir doch das Innenministerium ab!)

— Das wünschte ich mir j a schon immer, daß sich das Innenministerium stets ganz lautlos engagieren könnte. Es wäre das beste, wenn es in der Öffentlichkeit nicht so sehr in Erscheinung träte.
Aber lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen. Wenn mein Gedanke richtig ist, daß das alles von unten her heraufwächst, Herr Kollege Spranger, dann möchte ich Ihnen ein Gleichnis nennen. Als man die Ehebrecherin vor Jesus führte, sagte er: „Der werfe den ersten Stein, der sich ohne Schuld fühlt." — Sie müssen sich in diesem Bereich ja völlig ohne Schuld fühlen, auch nur für einen Funken des Mitverantwortlichseins. Aber das kann man wohl nur, wenn man aus Bayern kommt. Das kann man wohl, wenn man als CDU eine Stadt wie Frankfurt regiert. Dort gibt es das Problem offensichtlich nicht. Nur dort, wo die Bundesregierung Verantwortung trägt, gibt es das Drogenproblem. — Sie sind mir schon ein schöner Phärisäer!

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0901829200
Herr Kollege, ,,Pharisäer" ist in diesem Hause nicht gestattet. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen. Aber vielleicht geben Sie Ihrem Kollegen Spranger dennoch die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage.

(Zuruf von der SPD: Das war ein Gleichnis aus dem Evangelium Johannes'!)

— Es tut mir leid. Hier kann man niemanden mit dem Ausdruck aus diesem Gleichnis belegen.

(Zuruf von der SPD: Aber es steht in der Bibel!)


Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0901829300
Ich möchte jetzt nicht auf das biblische Gleichnis eingehen, sondern darauf, daß sich von dieser Rednertribüne beispielsweise der Bundesinnenminister, aber auch andere Res-



Spranger
sortminister wiederholt zu dem Drogenproblem geäußert haben. Meinen Sie nicht auch, daß hier ganz klar und deutlich die Verantwortung der Bundesregierung von der Bundesregierung selber bei der Lösung dieses Problems eingeräumt wurde und daß es in hohem Maße Aufgabe der Bundesregierung wäre, die Verantwortung, die sie hier hat, auch im Interesse der Jugendlichen wahrzunehmen?

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID0901829400
Herr Spranger, ich will Ihnen zugeben, daß auch ich als Mitglied des Parlaments ein hohes Maß an Mitverantwortung, daß auch ich die Aufgabe, an der Lösung dieses Problems mitzuwirken, vielleicht auch ein Maß an Schuld, daß es dazu gekommen ist, habe, weil ich im politischen Bereich arbeite. Aber ich würde mir nicht anmaßen, hier mit diesen bewußten Steinen zu schmeißen. Offensichtlich sind Sie völlig frei von Schuld. In der Bibel steht, daß sich Pharisäer so benommen haben sollen.
Herr Spranger, Sie haben in Ihrer Rede einige sehr moderate Töne angeschlagen. Ich möchte Ihnen dafür danken. Sie haben sehr richtig gesagt, daß Datenschutz Bürgerschutz sei und daß in den Datenschutz Presse, Rundfunk und Fernsehen einbezogen werden müssen. Auch dafür danke ich Ihnen. Das trifft, glaube ich, unsere gemeinsame Linie.
Sie haben zum anderen gesagt, diejenigen, die einen Glauben an eine heile, paradiesische Umwelt pflegten, müsse man auf den Boden der Tatsachen zurückführen. Ist es denn etwas Schreckliches, wenn junge Menschen an eine heile, paradiesische Umwelt glauben und sie haben möchten? Ist es denn so schrecklich, wenn man Träume hat?

(Spranger [CDU/CSU]: Das ist bloß irreal!)

— Sicherlich ist das irreal. Nur, sind denn die allein zu kritisieren? Sollten wir nicht gemeinsam versuchen, das an Umwelt zurückzugewinnen, was geht? Sind denn diese in unserem Staat, die Träume haben, zu kritisieren?

(Zuruf von der CDU/CSU: Hat er sie den kritisiert?)

— Er hat sie lächerlich gemacht, und das finde ich viel schlimmer.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Ihr habt sie total zerstört!)

— Lächerlich gemacht, habe ich gesagt, Herr KrollSchlüter.
Kommen wir zu einem anderen Punkt: Von Herrn Spranger wird Bürokratisierung mit einem pathetischen Wort kritisiert. Gleichzeitig — lesen Sie Ihre Rede nach, Herr Spranger — haben Sie gesagt: Wir fordern auf, daß es konkrete Gegenmaßnahmen in Gesetzen und Verordnungen, in rechtzeitigen, präzisen gesetzlichen Regelungen gibt, nämlich: hinsichtlich Klärschlamm und Schwermetallen, die Verordnung zur TA-Luft müsse her, und so weiter.
Sie fordern hier Gesetze, Verordnungen, präzise Regelungen. In Ordnung! Aber dann klagen Sie doch nicht gleichzeitig an, daß hier zu viele Gesetze gemacht würden.

(Spranger [CDU/CSU]: Keine Ahnung!)

Sie sind widersprüchlich. Dabei stimme ich Ihnen in dem Punkte sogar zu. Aber man kann nicht auf der einen Seite Forderungen stellen und die Folgen auf der anderen Seite beklagen — und das innerhalb einer kurzen Rede. Man muß schon Mut dazu aufbringen.

(Spranger [CDU/CSU]: Sie sollten mehr zum Haushalt bringen als zur Innenpolitik!)

So weit zu Herrn Spranger.
Jetzt möchte ich meine eigenen Gedanken ausführen. Dabei will ich bei den Ausführungen von Herrn von Weizsäcker gestern anfangen, der auch das Sich-Zurückziehen des Staates gefordert hat. Das ist mir ein seltsamer Staatsbegriff. Es gibt in diesem Lande keinen Staatsbedarf. Es gibt Bürgerbedarf, der zu befriedigen ist. Wir haben zu prüfen, auf welche Art und Weise wir den Bürgerbedarf befriedigen. Da wollen wir füglich mit Ihnen streiten, ob das öffentlich-rechtlich, durch private Initiative oder vielleicht auch durch Eigeninitiative besser gelöst werden kann. Diese Verteufelung, die eine Seite wolle immer mehr Staat, während die andere immer nur mehr Bürgerfreiheit wolle, bringt doch keine Lösung. Lassen Sie uns darüber streiten, welcher Weg eine effiziente Lösung bringt.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. von Weizsäkker)

Damit komme ich zum öffentlichen Dienst. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der öffentliche Dienst ist kein Selbstzweck. Die Bürger haben einen Anspruch darauf, daß die Verwaltung effizient geführt wird.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Insbesondere in Zeiten, die durch knapper werdende Finanzmittel bestimmt sind, müssen wir gemeinsam darauf achten, daß eine noch höhere Wirksamkeit bei der Erfüllung der hoheitlichen, aber auch der Dienstleistungsaufgaben durch die Verwaltung erreicht wird. Dazu gehört auch der Appell an uns selbst, aufzupassen, daß wir hier im Parlament nicht in die Rolle eines Dienstvorgesetzten geraten, indem wir entsprechende einzelne Vorschriften in die Gesetze aufnehmen. Lassen Sie uns wirklich bei dem Erstellen von Gesetzen aufpassen. Lieber weniger Gesetze machen, lieber großzügigere Lösungen vorsehen, die die Entscheidungsfreude der Beschäftig- ten nicht eindämmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Einverstanden!) Das ist der vernünftige und richtige Weg.


(Würzbach [CDU/CSU]: So, wie Sie das in den letzten zehn Jahren gemacht haben?)

— Herr Kollege Würzbach, das ist doch nicht nur in den letzten zehn Jahren passiert.

(Eigen [CDU/CSU]: Aber vor allem!)

— Sie sollten sich einmal anschauen, wie viele Gesetze den Bundesrat passieren. Ich glaube, bei 19 % aller Gesetze, mit denen sich auch der Bundesrat zu befassen hatte, ist der Vermittlungsausschuß ange-



Kühbacher
rufen worden. Die übrigen wurden einstimmig verabschiedet, mit Vorschlägen der Länder usw. Deshalb können Sie das doch nicht bei der sozialliberalen Bundesregierung abladen. Betrachten Sie doch die Gesetzesinitiativen des Bundesrates!

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Doch!)

Dies ist doch nicht so einfach zu machen. Wir betrügen doch den Bürger draußen, wenn wir so tun, als ob dies alles auf einer politischen Linie abzuladen sei.

(Zuruf von der CDU/CSU: 80 % der Gesetzesinitiativen stammen von der Regierung!)

— Sie könnten doch alle angehalten werden. Ich sagte doch nur, daß 19% der Gesetzentwürfe, die das Parlament passiert haben und vom Bundesrat zu behandeln waren, im Vermittlungsausschuß gelandet sind. Bei 81% gab es Gemeinsamkeit hier im Hause und mit den Ländern. Na bitte schön! Sie haben doch dort politisch die Mehrheit. Versuchen wir doch nicht, dem Bürger um eines politischen Erfolges willen irgend etwas vorzugaukeln. Lassen Sie uns gemeinsam darangehen, in den Ausschüssen zu fragen: Müssen wir das Gesetz überhaupt haben?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir ja gefragt!)

— Na ja. — Lassen Sie uns darangehen und nicht in jedem Gesetz — wir werden das ja erleben — noch ein Pünktchen draufsetzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir machen das!)

Wir werden in der nächsten Woche im Finanzausschuß das Subventionsabbaugesetz haben. Ich sehe Ihre Vertreter schon alle ankommen, die da noch einen draufsetzen und doch einen draufsetzen wollen.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901829500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spranger?

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID0901829600
Herr Spranger, ich komme mit meinen Gedanken nicht zu Ende. Ich habe Sie ganz kurz gewürdigt.
Ich möchte zur Umweltpolitik sagen, daß das Vorsorgeprinzip, das in diesen Bereich, wie ich glaube, Einzug gehalten hat, bewiesen durch den Cadmiumbericht und den Asbestbericht, richtig ist. Gesundheitsvorsorge — dazu gehören auch Gebote und Verbote in diesem Bereich. Nun lassen Sie mich ein Wort an die deutsche Wirtschaft sagen. Daß Asbest gefährlich ist, hat man wohl für die deutsche Offentlichkeit erkannt. Aber es ist eine Sauerei, wenn ein deutscher Automobilkonzern Wagen mit Asbestbremsen in der Bundesrepublik nicht mehr ausliefert, diese aber ins Ausland exportiert. Dies ist eine Sauerei.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ich denke, das heißt „Schweinerei"!)

— Oder Schweinerei. Nur, da kommt kein Beifall von Ihnen. Sind Sie da nicht mit mir einer Meinung? Den Ausländern können wir den gefährlichen Asbest zumuten, den wir bei uns verboten haben!! Kein Beifall in diesem Hause?

(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht einmal Ihre eigenen Kollegen klatschen!)

— Ja, ja. — Ich habe die Automobilindustrie angegriffen, und hier kommt nichts.
Lassen Sie mich zu den Kosten des öffentlichen Dienstes ein Wort sagen. Ein Prozent Kostenerhöhung im öffentlichen Dienst belastet die öffentlichen Haushalte mit 2 Milliarden DM. 340 000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes verdienen mehr als 50 000 DM im Jahr; das ist doch eine schöne Summe. Noch einmal: Ein Prozent Erhöhung kostet 2 Milliarden DM. Von den etwa 4,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst verdienen 340 000 über 50 000 DM im Jahr. Da gibt es eine Initiative von Professoren, Theologen und Abgeordneten, die sagen: Wäre es nicht richtig, daß diejenigen, die drinsitzen, die in ihrer Arbeitsplatzsicherheit überhaupt nicht gefährdet sind und mehr als 50 000 DM verdienen, auf einen Einkommenszuwachs verzichten? Da gibt es einen Kollegen unter uns, der sagt: Wäre es nicht eine symbolhafte Handlung, wenn die Regierungsmitglieder in Bund und Ländern auf einen Einkommenszuwachs verzichteten? Wäre das nicht eine symbolhafte Handlung?

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Tun sie aber nicht!)

Wir als Abgeordnete haben 1978, 1979, 1980 und 1981 diese symbolhafte Handlung längst gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich denke, das wird in einige Köpfe eingegangen sein.

(Zuruf von der CDU/CSU [zur Regierungsbank]: Jetzt seid ihr dran! — Weitere Zurufe)

— Wollen wir uns nicht gegen die Regierung äußern; wir erwarten ja eine gute Tat.
Mir geht es darum, meine Damen und Herren, daß die Solidarität derjenigen, die im öffentlichen Dienst sind, denen gelten muß, die draußen arbeitslos werden. Das bedeutet für uns bei den Haushaltsberatungen: im Personaletat keine Beförderungsschübe,

(Würzbach [CDU/CSU]: Die Minister am Erfolg beteiligen!)

keine Personalausweitung, das heißt, einen Überroll-Haushalt in diesem Jahr. Ich weiß schon, wer da anfängt zu dribbeln; Herr Würzbach, wir werden uns wieder sprechen, wo sie das Personal ausweiten wollen. Ich sehe Sie schon mit den Personalforderungen aus Ihrem Fachausschuß kommen.
Natürlich wird es Widerstand geben, wenn man eine solche Politik vertritt. Da haben wir politisch darauf zu achten, daß nicht die vielen Postboten, die vielen Lokomotivführer, die Arbeiter und Angestellten im einfachen Dienst — eine große Zahl beim Bund — nach außen hin die Interessen derjenigen verteidigen, die ganz oben an den Spitzen stehen. Dies ist eine Sache, auf die wir genau zu achten haben. Um die geht es uns also nicht. Ich möchte den



Kühbacher
einfachen Dienst bei der Bahn, bei der Post, bei der Polizei zu seiner Diensttätigkeit beglückwünschen und möchte ihm den Verzicht nicht anbieten wollen und auch nicht fordern; aber wir müssen dies von den Spitzenbereichen fordern.
Herr Minister des Innern, da ist eine Sache, die im öffentlichen Dienst begradigt werden muß. Es ist nicht einzusehen, daß ein Obersekretär oder ein Amtsbote sich heute keinen Zahnersatz mehr leisten kann, weil er nach dem Beihilferecht bis zu 15 000 oder 20 000 DM dazuzahlen müßte. Das ist nicht erträglich. Da müssen Sie etwas ändern, da erwarte ich etwas, auch wenn es Geld kostet. Es ist nicht zu vertreten, daß ein Beamter aus den einfachsten Schichten keinen Zahnersatz mehr bekommen kann, während das in den übrigen Sozialversicherungsbereichen auf der Solidaritätsebene der Versichertengemeinschaft bezahlbar gemacht wird. Hier muß etwas passieren.
Lassen Sie mich als Finanzmann einige Punkte als Kritik, aber auch als Anregung nennen. Herr Minister des Innern, das Tätigwerden von Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Form von Nebenbeschäftigung außerhalb und innerhalb des öffentlichen Dienstes gehört radikal gekürzt, nicht in Form von Deklamationen, sondern in Form von Dienstanweisungen. Es ist nicht einzusehen, daß vielfache öffentliche Tätigkeit von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes unter zusätzlicher Beanspruchung ausgeübt wird. Die Stelle erfordert die volle Hingabe an den Beruf, 40 Stunden in der Woche, und da kann man nicht gleichzeitig in den Abendstunden, in den Nachmittagstunden, teilweise auch in den Dienststunden noch einen anderen Beruf ausüben, den man gleichzeitig aus einer öffentlichen Kasse bezahlt bekommt. Dies geht wohl nicht. Da helfen auch keine Ansprachen in Bad Kissingen. Hier bedarf es der Verordnungen und Dienstanweisungen der einzelnen Ressorts.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein Gesetz!)

— Nein, Dienstanweisungen. Man muß die Nebenbeschäftigung ganz einfach untersagen. Ganz einfach untersagen!

(Spranger [CDU/CSU]: So einfach ist es nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— Natürlich ist es ganz einfach, man muß es nur wollen und nicht bloß darüber reden.
Ich will einen anderen Punkt ansprechen, Herr Minister — Kritik und Anregung —: Versorgungsleistungen für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aus der VBL. Es ist ungerecht gegenüber allen anderen Sozialversicherten,

(Zuruf von der FDP: Skandalös!)

— skandalös; ich kann das auch noch anders bezeichnen —, daß ein 65jähriger Beschäftigter aus dem öffentlichen Dienst ausscheidet und netto mehr hat als der entsprechende 64jährige aktive Arbeitnehmer. Ich sage Ihnen, das war keine sozialdemokratische Absicht und Politik so habe ich das jedenfalls nicht gelernt —, daß ein Rentner mehr
Rente bekommt, als er vorher netto als Arbeitneh-, mer hatte. Das war nicht gewollt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich bitte Sie, Herr Minister, in ein Gespräch einzutreten. Sie haben j a aus Ihrem Hause jemanden in der Spitze der VBL sitzen. Wie kommt es, daß einzelne Rentenempfänger der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, wie ich gehört habe, 7 000 DM Zusatzrente bekommen? 7 000 DM, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nicht im Jahr, sondern im Monat als Zusatzrente! Das ist kein Märchen. Dieses muß doch wohl geändert werden. Die VBL schiebt 16 Milliarden DM vor sich her. Wie gesagt, es ist nicht sozialdemokratische Vorstellung gewesen, daß man netto 105 oder 110 % Rente bekommt. .

(Zurufe von der CDU/CSU: Ihr regiert doch schon zehn Jahre! — Überzeugt mal den Kluncker!)

— Es hat j a vielleicht auch einen Stellenwert, wenn ich hier etwas sage.
Ich will zum Schluß kommen und noch etwas zum Haushalt sagen. Wir haben darauf zu achten, daß im Haushalt des Innenministeriums die Kultur nicht unter die Räder kommt, wenn der Rotstift angesetzt wird. Wir haben darauf zu achten, daß der Sport nicht unter die Räder kommt, wenn der Rotstift angesetzt wird. Ich will einen letzten Punkt zum Sport sagen: Beim Internationalen Olympischen Kongreß in Baden-Baden soll es einen Lichtdom über der Stadt, akustische Berieselungen der Kongreßteilnehmer, ein Damenprogramm, einen Ausflug nach Straßburg, eine Musikorgie, von Bernstein dirigiert, geben. Ich meine, diese Lustbarkeiten für die Crème der Funktionäre sind keine Sportpolitik. Ich meine, der Steuerzahler hat einen Anspruch darauf, Herr Minister, daß dieses Geld bei den Behindertenspielen in Düsseldorf oder bei den Blindenspielen in Fulda eingesetzt wird, wo behinderte Sportler aktiv werden. Ich weiß, daß dort die finanzielle Decke knapp ist. Ich bitte, dieses in einem Gespräch vielleicht auch einmal Herrn Daume zu sagen.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901829700
Darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID0901829800
Ich komme zum Schluß. Ich habe noch eine Sorge als Haushaltspolitiker. Die globale Minderausgabe, die der Finanzminister in Höhe von 2,6 Milliarden DM über den Haushalt verhängt hat, hat im letzten Jahr dazu geführt, daß im letzten Jahr allein im Etat des Innenministeriums 143 Millionen DM durch Eingriff des Finanzministers eingespart werden mußten.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Späte Erkenntnis!)

Hier geht der Appell an meine Kollegen: Es kann nicht sein, daß dieses Parlament ein Haushaltsgesetz nach Etatberatungen bis ins einzelne beschließt und dann alles, was gewollt ist und umgesetzt werden soll, durch Verordnung einer globalen Minderausgabe aufgehoben wird. Dadurch überlassen wir praktisch der Exekutive völlig, wie es weitergeht.



Kühbacher
Meine Bitte wäre, diese globale Minderausgabe aufzuheben, damit wir nicht vor der Tatsache stehen, daß der verabschiedete Etat letzten Endes doch kein Etat ist, weil noch 2,6 Milliarden DM eingespart werden müssen. Herr Finanzminister, ich kann Ihnen sagen, ich werde alle Kraft daransetzen, einzusparen, wo es möglich ist, um diese globale Minderausgabe wegzubekommen, damit der Etat im investiven Bereich so gefahren werden kann, wie er vom Parlament verabschiedet wird. — Schönen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901829900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID0901830000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Spranger, auch ich begrüße, daß Sie hier für Ansbach gesprochen haben. Sie haben damit eine Tradition fortgesetzt. Schon der berühmte Sohn Ihrer Stadt Freiherr Ritter von Lang hat in seinen Memoiren dargestellt, wie beeindruckt er war, als er vor dem Herzoglichen Volksrat von Weimar seine Vorstellungen über Feuerschutz vortragen durfte.

(Heiterkeit bei der FDP und der SPD)

Sie haben das heute ein wenig erweitert, wie ich festgestellt habe.
Ich meine und meine Fraktion meint, daß bei der inneren Sicherheit der entscheidende Punkt und das wichtigste Kriterium darin liegen, daß der Bürger Vertrauen in diesen Rechtsstaat hat, daß er dort, wo es nicht ist, dieses Vertrauen wiedergewinnt und daß der Staat in seinen Handlungen alles dazu tut, um dieses Vertrauen sicherzustellen.
Das ist sicher nur in sehr bedingten Grenzen durch den Ausbau der Androhung von Strafen und den Ausbau der staatlichen Macht möglich. Es ist einfach nötig, im Gespräch deutlich zu machen, vor welche Probleme uns Terrorismus und Gewalt stellen, und es ist immer wieder klarzumachen, daß in diesem Staat alle Bürger zusammenstehen müssen, um diesen Anschlägen auf die Freiheit zu begegnen.
Das bedeutet, daß wir uns — da stimme ich Ihnen zu, Herr Spranger — mit den Ursachen intensiv beschäftigen müssen. Ich erinnere daran, daß es ein Verdienst — ich will es gern nennen — Ihres Generalsekretärs gewesen ist, dazu ein Hearing zu veranstalten. Dieses Hearing hat ergeben, daß eben gerade nicht das Erfolg hat, was Sie in der vorigen Wahlperiode vorgetragen haben und möglicherweise auch künftig vortragen, nämlich daß die Verschärfung der Gesetze und die Verstärkung der Polizei und der staatlichen Machtmittel hier Abhilfe schafft, sondern daß die Schaffung des Vertrauens beim Bürger diese Möglichkeit gibt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich bitte Sie dringend, diese sehr interessanten Untersuchungen, von denen ich mir ein Exemplar habe geben lassen und die ich mit Aufmerksamkeit gelesen habe, in Ihren Arbeitskreisen zu diskutieren. Wie mir gesagt worden ist, war bei diesem Hearing kaum eine Präsenz von Mitgliedern der CDU zu verzeichnen.
Ich nehme das, was Sie hier zum Datenschutz gesagt haben, positiv auf. Wir werden uns bei den Beratungen im Ausschuß begegnen. Natürlich geht es auch hier darum, klar auszudiskutieren und auszutragen, was auf der einen Seite zumutbar ist und was auf der anderen Seite in die Freiheit und Individualität des Bürgers eingreift. Wir werden da sehr restriktiv verfahren. Wir werden das Datenschutzrecht des Bürgers sehr sorgfältig beachten und behandeln.
Aber es gehört auch ein wenig Gelassenheit dazu, innere Sicherheit zu praktizieren. Es gehört auf seiten des Staates und derer, die für diese Positionen streiten, auch dazu, daß wir uns all der Dinge entledigen, die nicht unmittelbar wirksam und notwendig sind. Ich denke nur an den § 88a und den § 130a, über deren Streichung wir j a in der nächsten Plenarwoche diskutieren werden.
Ich danke dem Bundesinnenminister dafür, daß er in der Amtshilfe zwischen dem Verfassungsschutz, dem Bundesgrenzschutz und dem Bundesnachrichtendienst Präzisierungen geschaffen hat. Es bleibt eine wichtige Aufgabe auch des Parlaments, hier eine Vertrauenswerbung für die notwendigen Sicherheitsdienste sicherzustellen. Aber wir sind dankbar, daß Sie diese Präzisierung der Amtshilfe vorgenommen haben.
Meine Damen und Herren, Umweltschutz darf nicht ein bloßes Lippenbekenntnis sein. Wir werden uns — über die Sanierungsbereiche hinaus, die wir in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Gesetzen geregelt haben — einem ökologischen Gesamtprogramm zuwenden müssen. Wir werden die Zusammenhänge stärker berücksichtigen müssen, wir werden in dem einen oder anderen Fall sicher auch noch die Erfahrungen auswerten und dann die entsprechenden Konsequenzen in Form von Nachbesserungen daraus ziehen wollen; dies sollte schon geschehen. Dabei spielt — im Zusammenhang mit der Wirtschaft, mit denjenigen, die produzieren, auch das produzieren, was Gefahr und was Umweltverschmutzung bedeuten kann — das Verursacherprinzip, das Vorsorgeproblem, aber auch das Kooperationsproblem eine wichtige Rolle. Es sind im übrigen nicht immer nur die Gemeinden, Herr Kollege Spranger, es sind auch, wenn ich an das Abwasserabgabengesetz erinnern darf, die Länder, die da nicht recht zügig vorangekommen sind.

(Beifall bei der FDP)

Apropos Wasser: In diesem Zusammenhang sei mir erlaubt, noch zu präzisieren, daß das Wort „Pharisäer" auch ein Getränk bezeichnet

(Eigen [CDU/CSU]: Ein sehr anregendes! — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Wohl bekomm's!)

und daß Pharisäer, wenn ich das mit Erlaubnis des
Herrn Präsidenten sagen darf, in Israel eine sehr an-



Wolfgramm (Göttingen)

gesehene Kaste gewesen sind, fast so angesehen wie Abgeordnete heute in der Bundesrepublik.

(Heiterkeit — Eigen [CDU/CSU]: Der hat ja einen hintergründigen Humor! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der redet von Stobbe, Lüders usw.!)

Ich meine, Herr Kollege Kühbacher, daß das Problem der Nebenbeschäftigung vielleicht doch nicht ganz so leicht zu lösen ist, wie wir es uns auf Grund der gemachten Vorschläge vielleicht vorgestellt haben. — Sie haben vorhin mit Recht auf die Abgeordneten abgehoben, die in den letzten Jahren für sich keine Anhebungen beschlossen haben. Auch haben wir für uns nach wie vor eine Nebenbeschäftigungsgrenze. Der Ältestenrat hat j a die Grenze für Nebeneinkünfte auf 3000 DM monatlich und auf 25000 DM jährlich festgesetzt.

(Kühbacher [SPD]: Auch dieser Beruf erfordert die volle Hingabe, Herr Kollege!)

Wir sollten das dann — ich darf das in diesem Zusammenhang einmal sagen — auch überprüfen.
Allerdings, der Vorschlag, daß diejenigen, die mehr als 50000 DM brutto im Jahr verdienen, auf Gehaltserhöhung verzichten sollten, um mit dem so eingesparten Geld zusätzlich 60 000 neue Stellen zu schaffen — so war, glaube ich, der Vorschlag von Professor Grottian —, impliziert natürlich die Frage: Was geschieht nach dem ersten Jahr, wenn die dann eingestellt sind? Geben wir dann auch den 60 000 neuen Stelleninhabern keine Gehaltserhöhung?

(Heiterkeit bei der FDP)

Ich will damit nur deutlich machen, Herr Kollege: Der öffentliche Dienst kann — wie alle anderen Bereiche in der Bundesrepublik auch — nicht ausgenommen werden, wenn hier Opfer verlangt werden. Aber wir werden uns sicher sehr mühen müssen, um hier durchsetzbare und tragbare Vorschläge zu erarbeiten.
Herr Kollege Spranger, Sie haben das Ausländerproblem angesprochen. Wir haben in der Bundesrepublik 4,2 Millionen Ausländer. Davon leben etwa 400 000 Kinder hier in der Bundesrepublik in der zweiten Generation, Kinder, die hier bereits geboren sind. Sie leben mit einem Zwiespalt, da sie einerseits noch eine Beziehung zu ihrer Muttersprache, zu ihrem Heimatland — vermittelt durch ihre Eltern — haben, andererseits aber inzwischen auch eine feste Bindung an Deutschland, an diese Bundesrepublik haben. Wir werden uns hier unter diesen Prämissen sorgfältig überlegen müssen, wie wir ihnen gleiche Chancen für ihr Fortkommen, wie wir ihnen auch Rechtschancen einräumen für den Fall, daß sie diese Bundesrepublik auf Dauer ais ihre Heimat ansehen wollen. Nicht nur aus Gründen des Rechts und der Billigkeit, sondern auch schon auf Grund der großen Zahl dieser Menschen werden wir diesen Problemen nicht ausweichen können, wenn wir nicht riskieren wollen, daß wir hier ein Proletariat schaffen, ein Proletariat, von dem wir dann sagen müssen: Es hat keine Ausbildung genossen, es hat keine Chancen des Fortkommens erhalten, es ist von vornherein dazu verurteilt, sich seine Zukunft möglicherweise auf kriminelle Weise zu gestalten.
Was die Asylgesuche angeht, Herr Kollege Spranger, so wir werden ja in Kürze auch den BundesratsEntwurf diskutieren. Für die Freien Demokraten sage ich ganz klar: Wir werden darauf achten müssen, daß der Kernbereich des Art. 16 des Grundgesetzes nicht angetastet wird. Ich habe den Eindruck, daß dieser Entwurf hart an dieser Grenze oder schon darüber liegt. Wir werden das sehr sorgfältig ausloten. Die Bundesrepublik darf auf das Recht des Art. 16 weder auf dem Verwaltungswege noch auf dem Rechtswege verzichten.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme aus einer Stadt — ich will den Namen Göttingen hier jetzt nicht strapazieren, der historisch auch einiges hergeben würde —, in der in der Sylvesternacht Gewalt geübt worden ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Von wem?)

Wir verurteilen Gewalt, und zwar Gewalt gegen Sachen genauso wie Gewalt gegen Personen. Gewalt ist in keinem Fall eine Lösung von Problemen. Aber wir können uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch Ursachen für dieses Verhalten gibt, die darin liegen, daß speziell für Studenten, aber auch für andere der Begriff Wohnungsnot inzwischen kein Schlagwort mehr ist. Wir werden uns alle um die Lösung dieses Problems bemühen müssen. Das ist nicht nur ein Problem der Kommunen oder der Länder, das ist auch ein Problem der gesamten Gesellschaft. Demonstrationen, die darauf aufmerksam machen, sind berechtigt und nötig. Wir werden das Demonstrationsrecht deswegen nicht antasten lassen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich sehe, daß ich noch unterhalb der fünfzehn Minuten geblieben bin. Ich möchte als Umweltschützer auch etwas für die Lebensqualität der Kollegen tun. — Ich bedanke mich.

(Heiterkeit — Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901830100
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0901830200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das müßte ich natürlich jetzt auch tun. Ich werde immerhin nur kurz auf das eingehen, was die Kollegen hier gesagt haben.

(Wehner [SPD]: Aber eingehen!)

— Nicht eingehen dabei, Herr Kollege Wehner. (Heiterkeit — Zurufe)

— Eingehend eingehen, j a.
Ich glaube, daß die Frage, wie man soziale Gerechtigkeit in einer Wettbewerbsgesellschaft auch im öffentlichen Dienst verwirklichen kann, angesichts des engen finanziellen Rahmens, der uns gesteckt ist, sehr viel schwieriger zu beantworten ist. Die Nachdenklichkeit, die auch hier in dieser kurzen De-



Bundesminister Baum
batte auf allen Seiten des Hauses sichtbar geworden ist, ist meines Erachtens richtig und wichtig.
Der öffentliche Dienst hat viele Aufgaben zu bewältigen, die wir ihm übertragen haben. Wenn wir über die Größe des öffentlichen Dienstes, über Bürokratie, Herr Kollege Spranger, diskutieren, müssen wir uns einmal fragen, ob es richtig war, dem öffentlichen Dienst so viele Aufgaben zu übertragen. Wir setzen das j a hier z. B. in diesem Parlament auch fort, denn wir wollen viele dieser Aufgaben wahrgenommen wissen. Das heißt: Die Kritik am öffentlichen Dienst darf nicht mit der Diskussion über die Aufgaben des öffentlichen Dienstes verwechselt werden. Bitte keine Beamtenschelte, keine Kritik am Berufsbeamtentum, keine Kritik an einzelnen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, keine pauschale Verurteilung! Wir sollten vielmehr die Frage stellen: Was ist bei der Übertragung der Aufgaben auf den Staat falsch gelaufen?

(Beifall bei der FDP — Zuruf von der CDU/ CSU: Sehr richtig!)

Zum zweiten müssen wir uns natürlich auch vor Augen halten — ich habe diesen Gesichtspunkt bei manchen Diskussionen der letzten Wochen und Monate vermißt; er ist nicht reichend deutlich geworden —, daß der öffentliche Dienst natürlich auch Teil der Marktwirtschaft ist. Hier werden Leistungen erbracht, und Leistungen müssen auch marktgerecht bezahlt werden. Wie sollen denn Beamte und andere Angehörige des öffentlichen Dienstes beispielsweise die wichtige Aufgabe wahrnehmen, mächtige Interessentengruppen und Firmen im Bereich des Umweltschutzes zu kontrollieren, wenn sie nicht dieser Aufgabe entsprechend bezahlt werden? Der Staat muß konkurrieren können. Dazu benötigt er die besten Leute. Das muß ja doch auch berücksichtigt werden.
Auf der anderen Seite muß man drittens deutlich machen — das hat der Kollege Kühbacher hier auch anklingen lassen —: Der öffentliche Dienst darf nicht von dieser Risikogesellschaft abgekoppelt werden, in der jeder doch ein gewisses Risiko trägt und in der die Leistung der Maßstab für Bezahlung ist. Das heißt, der öffentliche Dienst muß sich stärker auch am Leistungsprinzip orientieren. Das heißt nicht, ihm heute generell Leistungsschwäche vorzuwerfen. Ich habe dazu einige Vorschläge gemacht, Herr Kollege Spranger. Warum muß denn ein Angehöriger des öffentlichen Dienstes automatisch, ohne Zwischenkontrolle seiner Leistung und Befähigung, eine Dienstalterstufe weiterrücken? Muß man hier nicht Beurteilungsebenen einführen, um deutlich zu machen, daß auch eine Minderleistung im öffentlichen Dienst zu Folgen führt, daß das nicht folgenlos hingenommen wird, wie das überall in unserer Gesellschaft der Fall ist?

(Kühbacher [SPD]: Wir sehen Ihrem Gesetzentwurf mit Freude entgegen!)

— Dies wird eine sehr schwierige Aufgabe sein, Herr Kühbacher, weil es um ein Beurteilungssystem geht,
— und auch um den Mut derjenigen, die beurteilen müssen. Aber es gibt Instrumente. Es gibt z. B. die Möglichkeit der Quotierung. Ich frage mich, wie
denn diese Beurteilungen in der Bundesverwaltung zustande kommen, daß mehr als 50 % der Beurteilten mit „sehr gut" beurteilt werden. Das kann doch gar nicht sein. Hier wird doch nicht mehr ehrlich beurteilt. Hier kann nicht mehr ehrlich nach diesen Beurteilungen auch die Beförderung entschieden werden.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das liegt an der Mitwirkung des Personalrates!)

— Da gibt es viele Schwierigkeiten. Da kann man natürlich auch die Frage diskutieren, die ich kürzlich zur Debatte gestellt habe, ob jemand, der nicht die Leistung erbringt — lassen Sie mal alle sozialen Gesichtspunkte weg; ein Mann, der eine krebskranke Frau hat oder andere soziale Belastungen hat, dem wird man nicht einen Nachteil zumuten müssen —, ob also derjenige, der sich bewußt nicht mehr der Leistung im öffentlichen Dienst stellt, nicht zurückgestuft werden muß, ob er das nicht auch spüren muß an der Bezahlung, wie das in der Wirtschaft und auch sonst im privaten Leben der Fall ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ergreift die Regierung eine Initiative in dieser Richtung? — Zuruf von der SPD: Da bin ich gespannt, wie Sie das durchsetzen!)

— Ja, gut, diese Frage und diese Spannung sind berechtigt. Der Anspruch geht weit. Aber ich meine, dieses Prinzip ist verstärkt hineinzubringen in den öffentlichen Dienst, generell nicht als Vorwurf gegenüber den dort Beschäftigten, sondern als Ansporn. Das Prinzip kann doch nicht bestritten werden. Wie weit es realisierbar ist, da mögen Sie Ihre Zweifel haben. Ich werde es jedenfalls nachdrücklich versuchen.

(Dr. Ehmke [SPD]: Da dürfen Sie die Minister nicht ausschließen!)

— Die Minister haben j a ohnehin ein volles Risiko, das zur täglichen Kündigung führen kann.

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie haben die Überversorgung angesprochen, Herr Kühbacher. Ich bin Ihrer Meinung. Das liegt nicht an dem bösen Willen, den wir hätten. Ich habe Herrn Kluncker, der mein Tarifpartner ist, im Oktober einen Brief .geschrieben. Die Verhandlungen sind wieder aufgenommen worden. Es wird hier eine ernsthafte Anstrengung unternommen, um diese Über- und Zusatzversorgung in Ordnung zu bringen. Über 100 %, 114 %, nach der Pensionierung sind nicht erträglich.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CDU/CSU)

Das paßt nicht in die Landschaft, in der wir uns heute befinden. Das muß geändert werden.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901830300
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID0901830400
Herr Minister Baum, zu einem Tarifvertrag gehören immer zwei Seiten. Ich habe nicht sehr viel damit im Sinn, daß Sie immer nur die eine Seite als besonders schuldig nennen. Wenn ich



Kühbacher
das richtig sehe, gibt es drei geteilte Tarifverhandlungen, Bund, Länder und Gemeinden.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901830500
Würden Sie bitte fragen!

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID0901830600
Müssen wir uns nicht alle an die eigene Nase fassen bei der künftigen Gestaltung von Tarifverträgen, um das wieder in die Ordnung zu bekommen?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0901830700
Ja sicher, darum bemühen wir uns j a. Die Verhandlungen laufen ja mit der ÖTV und mit den anderen Gewerkschaften, um dies abzubauen. Nur können wir es nicht einseitig. Das heißt, wir brauchen die Zustimmung der Gewerkschaften. Wir bemühen uns um diese Zustimmung. Alles muß man natürlich in der tarifpolitischen Landschaft des Jahres 1981 sehen.
Ich habe nichts dem hinzuzufügen, Herr Kühbacher, und auch nichts entgegenzusetzen, was Sie zur Nebentätigkeit gesagt haben. Es ist unmöglich, daß jemand aus einer gesicherten Position im öffentlichen Dienst anderen, die das Risiko der freien Wirtschaft tragen, Konkurrenz macht. Die Tätigkeit im öffentlichen Dienst darf kein Nebenjob sein. Das heißt, wir werden im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen die Nebentätigkeit weitgehend einschränken. Ein erster Schritt, Herr Kühbacher, wird morgen beraten. Im Bundesrat liegt der Vorschlag der Bundesregierung. Wir reden also nicht nur darüber, sondern es gibt Vorschläge, die in Kürze auch im Deutschen Bundestag diskutiert werden müssen.
Sie haben etwas über die Solidarität gesagt, die jetzt notwendig ist und die sich auch im Verhältnis derjenigen zeigen muß, die einen Besitzstand haben, zu denjenigen, die ihre Lebenschancen suchen. Wir vergessen ja oft bei all den Diskussionen, daß wir noch etwa fünf oder sechs Jahre mit den geburtenstarken Jahrgängen zu tun haben, die auf den Arbeitsmarkt drängen und die ihre Lebenschancen wahrnehmen wollen. Die Frage ist, ob wir hier in unserer Gesellschaft nicht in Kürze ganz neue Diskriminierungstatbestände haben werden, nämlich daß der größere Teil der Menschen in Besitzständen lebt und der kleinere andere Teil der Jüngeren sehr lange braucht, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Frage, die im Zusammenhang mit den Unruhen in unseren Städten aufgeworfen wurde — Herr Kollege Wolfgramm, Sie haben Göttingen erwähnt —, hängt ja auch damit zusammen. Sie spielt bei denen, die es wirklich ernst meinen, denen es um das Problem geht, eine Rolle. Es gibt andere, denen es überhaupt nicht um das Problem geht; das wissen wir. Die Frage, wie wir einer Generation, die ihre Lebenschancen sucht, dazu verhelfen können, kann doch nur dazu führen, daß wir etwas von unserem Besitzstand aufgeben müssen.

(Zustimmung bei der FDP und der SPD)

Ob das so geht, Herr Kühbacher, wie der Berliner Professor Grottian, den Sie hier zitiert haben, vorschlägt, bezweifle ich sehr. Ich habe eine Furcht vor solchen Patentrezepten. Mit seinem Vorschlag lösen Sie das Problem nicht einmal 1981, aber schon gar nicht in den Folgejahren. Der Grundgedanke, den Sie gemeint haben, ist sicherlich richtig und muß uns bestimmen, und zwar nicht nur im öffentlichen Dienst, sonder in allen Bereichen unseres Lebens, nämlich deutlich zu machen, daß wir aus gesicherten Besitzständen heraus etwas tun müssen, daß wir etwa bei einer Sozialwohnung, in der Menschen leben, die die Einkommensgrenzen längst überschritten haben. Platz machen müssen für diejenigen, die eine Familie gründen und nicht das Einkommen haben, das es ihnen ermöglicht, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Die Debatte über die Situation in der Jugend, die wir in der vorigen Runde gehabt haben, war meines Erachtens sehr interessant. Was z. B. Herr Kollege Hölscher gesagt hat, findet meine Zustimmung. Wohin geht unsere Jugend? Sind wir überhaupt noch in der Lage zuzuhören? Diese Frage wurde gestellt, auch ich stelle sie ausdrücklich. Das gehört auch dazu, damit diese Gesellschaft ihre Substanz, ihre Stabilität erhält, nicht nur das Funktionieren der Sicherheitskräfte.
Herr Kollege Spranger, wir müssen mit der Sonde doch auch an Fehlentwicklungen der Gesellschaft herangehen. Das gehört dazu. Darum haben wir uns gefragt: Woher kommt es, daß es plötzlich ein Phänomen wie den Terrorismus gibt? Wir müssen uns fragen: Woher kommt es, daß sich plötzlich junge Leute mit einem Regime identifizieren, das 12 Jahre lang auf unserem Boden ein nacktes Unrechtsregime gewesen ist? Plötzlich gibt es Leute, die in dieser Beziehung gar kein eigenes Erlebnis haben, die nicht irgendwelchen eigenen Erlebnissen nachhängen können, die diese Ideen, diese Ideologien aufnehmen und umsetzen, bis hin zu Gewalttaten.
Das alles sind eine ganze Menge Fehlentwicklungen, die uns beschäftigen müssen. Satte Selbstgefälligkeit, meine Damen und Herren, ist doch nicht am Platz. Natürlich sind wir ein freiheitlicher Staat, Herr Spranger, natürlich müssen wir die Freiheit vor Gefährdung und Gefahren schützen. Ich bin aber außerordentlich sensibel, wenn junge Menschen einzelne Rechtsverletzungen ganz aufmerksam beobachten und sehen, wie der Staat darauf reagiert, weil ich davon ausgehe, daß es in diesem Land eine Diktatur gab, in der im Namen des Volkes gemordet wurde. Nehmen wir diese Überempfindlichkeit doch dankbar auf. Sagen wir uns, daß es besser ist, daß gegen Rechtsverstöße übersensibel reagiert wird, als daß dies in satter Selbstzufriedenheit der Bürger untergeht.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Die Liberalität beweist sich an den Rechten des einzelnen und, Herr Spranger, auch im Umgang mit Minderheiten. Das sage ich als Aufruf auch an Ihre Seite. Prüfen wir uns alle einmal, wie wir mit Minderheiten umgehen: mit den Ausländern, mit den Zigeunern, mit Leuten, die anders leben wollen, die anders denken, die unser „normales" Leben, wie wir es in einer Wohlstands- und Leistungsgesellschaft gewohnt sind, in Frage stellen. Hier tut mehr Toleranz



Bundesminister Baum
wirklich not. Sonst werden wir in unserer Gesellschaft Fehlentwicklungen mit Explosionen erleben, die dann den Einsatz der Polizei notwendig machen.
Ich kann nach vielen Diskussionen mit Polizeibeamten nur sagen: Die Polizei ist einigermaßen verbittert darüber, daß sie Fehlentwicklungen reparieren muß — etwa bei Häuserbesetzungen — die eigentlich die Politiker hätten vermeiden müssen.

(Spranger [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir müssen vorher ansetzen, auch bei der Rauschgiftsucht; nicht dort, wo das Rauschgift verkauft wird — das ist sicher eine Aufgabe der Polizei —, sondern wir müssen uns fragen, wie es überhaupt dazu kommt, daß die Suchtbereitschaft wächst, die Bereitschaft auszusteigen oder die Bereitschaft — um ein anderes Extrem zu nennen — zur zynischen Anpassung an diese Wohlstandsgesellschaft, die wir haben.
Zum Umweltschutz wurde bereits etwas gesagt. Ich möchte das jetzt hier nicht vertiefen. Ich stimme zu, daß wir das Vorsorgeprinzip in die Wirklichkeit umsetzen müssen. Ich bitte um Unterstützung des Hauses bei meinen Bemühungen, Asbest und Cadmium zurückzudrängen. Ich bitte um Unterstützung, wenn es darum geht, die Lärm- und Abgasbelastung durch das Auto zu verringern. Ich bitte um Unterstützung, wenn wir versuchen, den Schutz des Bodens nachdrücklich zu verbessern. Wir müssen uns auf eine vorsorgende Umweltpolitik einstellen, die nicht zum Sanierungs- und Reparaturbetrieb degradiert wird, sondern nach Möglichkeit Schäden vermeidet.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege Kühbacher, für Ihre Worte zu Kultur und Sport. Ich habe es schmerzlich empfunden, daß insbesondere im Bereich der Kultur, aber auch im Bereich des Sportes überproportionale Kürzungen im Haushalt des Bundesinnenministeriums hingenommen werden mußten. Ich habe mich dem aber gefügt.
Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie zu dem Olympischen Kongreß in Baden-Baden sagen — ich sage es einmal in meinen Worten —, daß es ein „einfacher Kongreß" werden soll. Wir sprechen von einfachen Spielen, und ich bin auch für einfache Kongresse.

(Beifall bei der SPD)

Was dort behandelt wird, ist wichtig genug. Da geht es nach Moskau um die Frage, wie sich die olympische Bewegung orientiert, welche inneren Strukturen sie sich gibt, wie sich der Weltsport entwickelt. Ich meine, es ist wichtig, daß diese Konferenz in unserem Lande stattfindet, und das kostet uns auch Geld. Aber sie kann ihr Ziel durchaus ohne äußerlichen Schmuck erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Ich bedanke mich bei Ihnen, insbesondere bei den Kollegen im Haushaltsausschuß, aber auch im Innenausschuß, für die wohlwollende Fürsorge, die Sie meinem Haushalt, dem Haushalt des Bundesinnenministeriums, entgegenbringen. Gerade in diesem Jahr bin ich darauf besonders angewiesen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901830800
Meine Damen und Herren, am Ende der Tagesordnung wünscht Herr Abgeordneter Ehmke das Wort zu einer persönlichen Erklärung.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0901830900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie noch eine Minute aufhalte. Ich bin aber beunruhigt als Teilnehmer an dieser Debatte über eine Pressemeldung, die in „Christ und Welt" erscheint und in der die Rede des Bundeskanzlers und die Rede des Oppositionsführers Kohl in dieser Debatte wie folgt beschrieben werden — ich darf das zitieren —:
Des Kanzlers bissige Redebrillanz bewährte sich wie eh und je, so zum Beispiel, wenn er die Freundschaft mit Amerika beschwor und die Zweifel an deutscher NATO-Treue tadelte oder wenn er für die Solidität des Haushalts warb. Hans-Dietrich Genscher wußte, wie immer, wie man mit dem Augenaufschlag der Überzeugung liberale Politik einschmeichelnd schmackhaft macht. Die Sprecher der CDU/CSU-Opposition mit dem zum Gegenspieler gereiften Helmut Kohl konnten dem Regierungschef manchen Trumpf aus der Hand winden.
Ich war nun die ganzen Tage hier in der Debatte. Ich habe den Bundeskanzler und Herrn Kohl noch gar nicht reden hören.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Wann sind die Reden gehalten worden?)

— Ja, das ist ein Bericht über die Reden des Kanzlers und von Herrn Kohl in dieser Haushaltsdebatte.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich habe das Gefühl, daß hier offenbar unter Ausschluß des Parlaments eine Debatte geführt worden ist und möchte den Vizepräsidenten bitten, das zu klären.

(Große Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Miltner [CDU/CSU]: Das war doch keine persönliche Erklärung! — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Da können wir doch nichts zu! — Zuruf von der SPD: Mut zum Morgen!)


Dr. Richard von Weizsäcker (CDU):
Rede ID: ID0901831000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 30. Januar 1981, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.