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ID0901828100

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    Plenarprotokoll 9/18 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 18. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1981 Inhalt: Begrüßung des Handelsministers der Re- publik Indien, Professor Mukherjee . . . 745 D Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksache 9/50 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984 — Drucksache 9/51 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 — Drucksache 9/91 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen (Subventionsabbaugesetz) — Drucksache 9/92 — Dr. Jahn (Münster) CDU/CSU 711 C Frau Traupe SPD 716 C Dr. Haack, Bundesminister BMBau . . . 718 B Dr. Schneider CDU/CSU 727 B Gattermann FDP 731 A Waltemathe SPD 735 A Dr. Riesenhuber CDU/CSU 737 A Wolfram (Recklinghausen) SPD 742 A Beckmann FDP 746 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 748 C Franke CDU/CSU 751 A Glombig SPD 757 A Cronenberg FDP 763 B Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 766 C Pfeifer CDU/CSU 771 D Frau Weyel SPD 776 D Dr.-Ing. Laermann FDP 779 D Engholm, Bundesminister BMBW 784 A Dr. von Bülow, Bundesminister BMFT . 786 D II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1981 Lenzer CDU/CSU 788 B Stockleben SPD 791 A Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 793 D Kroll-Schlüter CDU/CSU 796 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 799 D Hölscher FDP 803 B Spranger CDU/CSU 806 B Kühbacher SPD 809 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 813 A Baum, Bundesminister BMI 814 D Dr. Ehmke SPD (Erklärung nach § 32 GO) 817 C Nächste Sitzung 817 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 818*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Januar 1981 711 18. Sitzung Bonn, den 29. Januar 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 30. 1. Dr. Ahrens * 30. 1. Dr. Althammer 30. 1. Dr. Bardens * 30. 1. Böhm (Melsungen) * 30. 1. Büchner (Speyer) * 30. 1. Dr. Dollinger 30. 1. Dr. Dübber 29. 1. Dr. Enders * 30. 1. Ertl 29. 1. Dr. Feldmann 30. 1. Francke (Hamburg) 30. 1. Gansel 30. 1. Dr. Geißler 30. 1. Dr. Geßner * 30. 1. Haase (Fürth) 30. 1. Dr. Hennig 30. 1. Dr. Hubrig 30. 1. Jäger (Wangen) * 30. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Jung (Kandel) * 30. 1 Kittelmann * 30. 1. Korber 30. 1. Dr. Kreile 30. 1. Lemmrich * 30. 1. Lenzer * 30. 1. Männing * 30. 1. Dr. Müller * 30. 1. Müller (Wadern) * 30. 1. Frau Pack * 30. 1. Peter (Kassel) 30. 1. Petersen ** 30. 1. Reddemann * 30. 1. Rösch * 30. 1. Sander 30. 1. Dr. Schäuble * 30. 1. Schmidt (München) * 30. 1. Schmidt (Würgendorf) * 30. 1. Dr. Schroeder (Freiburg) 30. 1. Schulte (Unna) * 30. 1. Frau Simonis 30. 1. Frau Dr. Skarpelis-Sperk 30. 1. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 30. 1. Dr. Sprung * 30. 1. Dr. Unland * 30. 1. Dr. Vohrer * 30. 1. Dr. Wittmann (München) * 30. 1. Dr. Wieczorek * 30. 1.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Friedrich Hölscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich bestätige Ihnen das gern, Herr Kollege Hauck. Ich gehe auch davon aus, daß wir dann, wenn die finanziellen Probleme von Seiten der Opposition wirklich als überwindbar angesehen werden vielleicht auch einen Kompromiß — ich sage das hier für meine Person einmal in aller Offenheit — durch Streckung der Mittel finden werden.
    Meine Damen und Herren, ich möchte nun zu dem kommen, was ich hier eigentlich sagen wollte. Mit Blick auf die Uhr wäre ich dankbar, wenn wir jetzt ausnahmsweise vom sehr Konkreten — wenn auch Wichtigen — wegkommen würden.
    Wenn man sich das, was der Kollege Pfeifer heute gesagt hat, sowie auch das, was Herr Kollege KrollSchlüter zur jungen Generation gesagt hat, in Erinnerung ruft, dann hat man den Eindruck: Diese junge Generation interessiert sich nur für das Materielle. Frau Minister Huber hat — um kurz eine Bemerkung zur Familienpolitik zu machen — mit Recht darauf hingewiesen, daß das generative Verhalten — ein schlimmes Wort; ich würde sagen: Die Leute kriegen wieder mehr Kinder — besser geworden ist, was wahrscheinlich gar nichts mit materiellen Leistungen — Gott sei Dank nicht — zu tun hat. Für mich ist Aufgabe der Familienpolitik, Familien bei ihren materiellen Belastungen zu helfen. Aber man sollte doch nicht annehmen, daß die Höhe des Kindergeldes liebesfördernd ist. Die Ursachen, meine Damen und Herren, liegen ja wohl woanders: Solange ein Rasenmäher samstagsmittags weniger stört als drei spielende Kinder im Garten, ist doch wohl in unserer Gesellschaft etwas nicht in Ordnung.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das gleiche gilt möglicherweise für die junge Generation. Wie steht es um unsere Familien, wie steht es um die jungen Leute? Müssen wir uns überhaupt Sorgen machen? Wenn man Herrn Pfeifer Glauben schenken darf, dann verlangen die jungen Leute nach noch mehr Leistung. Die Mehrzahl der jungen Leute sitzt in den Schulen und Betrieben, lernt fleißig, will mit guten Zensuren möglichst schnell zum Abschluß kommen, um dann wie ihre Eltern zu werden und vor allen Dingen ein materiell gesichertes Leben zu führen. Es ist ja auch so — lassen Sie mich das etwas sarkastisch sagen —, daß sich die Verhältnisse für die jungen Menschen in den letzten Jahren zwar gebessert haben — wir haben statistisch mehr Lehrstellen; unser Bildungssystem ist besser geworden —, aber im Grunde genommen bietet unsere Gesellschaft vor allen Dingen denjenigen optimale Chancen, die möglichst schnell zum selbstgesteckten Ziel kommen wollen, indem sie sich gehörig anpassen und sich mit den Ellenbogen durchboxen. Sie wollen möglichst schnell so sein wie die Erwachsenen.
    Wir könnten eigentlich zufrieden sein, wenn wir nicht wüßten, daß gerade in dieser Anpassung eine Flucht, eine Resignation zu sehen ist, denn eine freie Gesellschaft lebt ja wohl nicht vom angepaßten Bürger, sondern von der Kritik und dem Veränderungswillen der Menschen. Eine Demokratie wird auf Dauer nicht lebensfähig, wenn große Teile der jungen Generation keine Lust mehr haben, mitzumachen und ihre Rechte wahrzunehmen, um mit kritischem Engagement die Gesellschaft zu verändern.
    Mehr als die Hälfte der heute 18- bis 25-jährigen denkt kritisch über die gegenwärtigen politischen und sozialen Verhältnisse. Dennoch sind die wenigsten bereit, etwas zu verändern. Unsere politischen Jugendorganisationen können ein Lied davon singen, denn es ist ja nicht so doll, was sich hier an jungen Leuten — gemessen an der Gesamtbevölkerung — organisiert. Das gilt für die Junge Union, für die Jungsozialisten und die Jungdemokraten.
    Die Mehrzahl der jungen Leute zieht sich also zurück und will nicht mehr mitmachen. Die extremste Form dieses Rückzugs ist die Flucht zur Droge, zur echten chemischen Droge oder zur Droge Jugendsekte, denn beide Formen der Droge bieten scheinbare Lösungen: nicht mehr selbst denken und entscheiden zu müssen.
    Meine Damen und Herren, es gibt aber auch ein Rückzugsverhalten, das nichts mit Passivität oder mit Flucht vor der Realität zu tun hat, sondern das im Gegenteil durch ein starkes Engagement gekennzeichnet ist. Ich meine die Flucht in neue, alternative Lebensformen. Der Anteil der Jugendlichen, die sich auf diese Art von der Gesellschaft distanzieren, nimmt immer mehr zu. Es geht diesen Jugendlichen nicht mehr darum — wie noch Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre —, der Macht der Institutionen eigene Macht entgegenzustellen, die Gesellschaft durch den „Marsch durch die Institutionen" zu verändern, sondern sie verzichten auf jede Beeinflussung und schaffen sich ihre eigene Welt außerhalb unserer Gesellschaft.
    Es ist nicht einfach, die Gründe für diese Resignation zu erkennen, aber es sollte unsere Hauptaufgabe sein, hierüber einmal etwas mehr zu erfahren. Ich will den Versuch machen — er muß zweifellos unzulänglich sein —, die Ursachen für diese. tiefersitzende Krise einmal anzusprechen. Was wir hier im allgemeinen machen — das sage ich ohne Vorwurf —, ist natürlich Symptomtherapie, gleichgültig, ob wir uns mit dem Betäubungsmittelgesetz oder mit dem Jugendhilfegesetz befassen.
    Als Grund der Resignation wird zunächst das Leistungsprinzip angeführt. Viele junge Menschen sehen in der Leistung eben keinen Wert an sich mehr. Deshalb muß die Rede des Kollegen Pfeifer in der Bildungsdebatte am Denken dieses — für uns sehr wichtigen — Teiles der jungen Generation vorbeigehen. Es ist für sie eben keine Perspektive, sich in Schule und Beruf zu Lasten des Nachbarn durchzu-



    Hölscher
    boxen, weil sie nichts Erstrebenswertes darin sehen können, möglichst schnell und spurenlos in der Tretmühle der blau uniformierten Massen in den Fabriken oder der mehr grau uniformierten Herden in den oberen Etagen der Leute, die uns als Abgeordnete in den Warteräumen der Flughäfen und in den Intercity-Zügen begegnen, zu verschwinden. Ich habe großes Verständnis dafür, daß dieses Leben kein Grundwert der von Ihnen so oft beschworenen Grundwerte für diesen beträchtlichen Teil der kritischen Generation ist.
    Es werden eben überkommene Werte in Frage gestellt. Es werden auch neue Werte in Frage gestellt, z. B. eine antiautoritäre Erziehung, wenn sie sich im Grunde genommen nur als Gleichgültigkeit von Eltern mit der Folge der Orientierungslosigkeit von Kindern darstellte.

    (Frau Traupe [SPD]: Das ist auch keine antiautoritäre Erziehung!)

    — Es ist eine falsch definierte antiautoritäre Erziehung, die es aber gibt, Frau Kollegin.
    Manch einer hat vielleicht auch schlechte Erfahrungen gemacht mit den von uns oft beschworenen Eigeninitiativen. Er hat sich beteiligt an einem selbstverwalteten Jugendzentrum, nur wurde das dann zugemacht, als ein paar Fensterscheiben zu Bruch gingen — während die Erwachsenen die Keilerei der Erwachsenen im Wirtshaus tolerieren; das muß man auch sehen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Manch einer glaubt den Parteien nicht mehr, wenn diese sich angeblich den kritischen und mündigen, selbstverantwortlichen Bürger wünschen, wenn die Parteien nicht in der Lage sind, z. B. die Wahrnehmung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung zu ermöglichen.
    Manch einer wird sich auch fragen, was ist- denn das für ein Staat, der mich von bestimmten Berufen zwangsweise fernhält, wenn ich mich für eine nicht verbotene Partei engagiere. Ich meine den Extremistenerlaß, der dann noch die Folge des Opportunismus und des Duckmäusertums hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das brauchen Sie uns nicht zu erzählen! — So ein Quatsch!)

    Viele junge Leute fragen eben, warum wirtschaftliches Wachstum notwendig ist und unverzichtbar sein soll, wenn auf der anderen Seite die Umwelt in Teilen dabei kaputtgeht.
    Sie fragen sich auch, ob es richtig ist, wenn wir so viel für die Rüstung ausgeben, während man mit einem kleinen Teil dieser Ausgaben einige Hunderttausend Menschen vor dem Hungertod retten könnte.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Die Jugendlichen interessieren sich nicht für die Sachzwänge, die wir ihnen dann darlegen. Sie interessieren sich nicht dafür, ob es hier ein Bundesverfassungsgericht gibt, das bestimmte Regelungen verhindert. Sie interessieren sich auch nicht dafür, wie die Machtverhältnisse im Bundesrat sind.
    Natürlich ist es für uns sehr schwer, in einer repräsentativen Demokratie Politik unmittelbar erlebbar zu machen, dem einzelnen mehr Mitentscheidungsspielraum zu geben und unser System wieder glaubwürdiger zu machen. Wir müssen es aber versuchen.
    Dazu einige Beispiele. Die junge Generation muß sich manipuliert fühlen, muß den Verdacht haben, nur der Wählerstimmen wegen angesprochen zu wérden. Damit Sie sehen, daß ich das nicht einseitig parteipolitisch meine, will ich jetzt drei Beispiele nennen, so daß es uns alle drei betrifft. Sie müssen es im Grunde genommen als Manipulation betrachten, wenn aus der SPD ein Schauantrag kommt, die Rüstungsausgaben zu reduzieren, obwohl doch jeder weiß, daß hier sich im Moment nichts bewegen läßt. Sie müssen sich manipuliert fühlen, wenn man aus Kreisen der CDU hört: Hier gibt es ein Strategiepapier, da soll in Form der weichen Welle mit Disco-Sound und Nostalgie die Jugend angesprochen werden. Sie müssen sich manipuliert fühlen, wenn der FDP in Wahlkampfzeiten einfällt, plötzlich in der „Fabrik" in Hamburg — einem Alternativen-Begegnungszentrum — ein politisches Forum zu veranstalten. Ich sage das hier in aller Offenheit. Das ist nicht der richtige Weg. Da erkennen viele junge Leute die Absicht und sind verstimmt.
    Ich denke, meine Zeit ist abgelaufen. Ich würde gern noch vieles dazu sagen.

    (Frau Schlei [SPD]: Nur die Ruhe!)

    — Vielen Dank, verehrte Frau Kollegin Schlei. Es freut mich sehr, das gerade von Ihnen zu hören. Ich hatte auch keine Veranlassung, daran zu zweifeln, daß meine Zeit noch nicht abgelaufen ist. Aber es von Ihnen zu hören, freut mich.
    Ich denke, wir müssen eine ganz andere Form der Begegnung mit den jungen Leuten finden. Weil dies ja nicht eine Randgruppe ist, die es zu betreuen gilt. Sondern dies ist ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Erinnern wir uns doch an unsere eigenen Spitzenpolitiker! Die gehörten j a wohl auch nicht zu den Angepaßten in ihrer Jugend, sondern, wenn Sie so wollen, in gewisser Weise auch zu den Alternativen. Das sind ja im Grunde genommen diejenigen, die in der nächsten Generation wahrscheinlich auch in der Verantwortung stehen.

    (Frau Schlei [SPD]: Und die Rente für uns zahlen!)

    — Und die Rente für uns zahlen, j a, richtig. Nur können sie das nicht, wenn sie so alternativ leben, wie sie heute leben, Frau Kollegin Schlei. Hier ist sicher einiges auch an gegenseitiger Diskussion notwendig, um klarzumachen, daß ein System, das auch im Ökonomischen funktionieren soll, letzten Endes auch Leistung abverlangt. Dies ist unbestritten.
    Wir müssen uns daher diesen neuen Formen öffnen, die j a gerade — ich meine auch im Praktischen
    — in der jungen Generation in vielfacher Form praktiziert werden. Ich meine Wohngemeinschaften, nichteheliche Familien. Wir dürfen das nicht denunzieren, wir dürfen das auch nicht diskriminieren. Die Familie steht selbstverständlich unter dem Schutz des Grundgesetzes. Aber ist eigentlich eine alleiner-



    Hölscher
    ziehende junge Mutter mit ihrem Kind nicht auch eine Familie? Es interessiert die jungen Leute sehr, wie wir uns dazu stellen.

    (Beifall bei der FDP)

    Haben die zwei jungen Schwestern, die nach dem Krieg die Kindererziehung und die Berufstätigkeit gemeinsam bewältigt haben, nicht auch die Funktion einer Familie übernommen? Warum schützt eigentlich dieser Staat die Familie mit einem alleinerziehenden Elternteil oder andere nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern nicht in gleichem Maße wie das kinderlose Ehepaar? Frau Kollegin Schmidt hat dieses Beispiel gleichfalls gebracht.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Warum erhalten nichteheliche Familien einerseits keine Familienhilfe — z. B. bei der Krankenversicherung und der Hinterbliebenenversorgung, beim BAföG, beim Wohngeld, bei den Sozialwohnungen —, während andererseits die Partner, wenn sie Hilfe brauchen, plötzlich als eheähnliche Gemeinschaft zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden?

    (Glocke des Präsidenten)

    — Frau Präsidentin, ich bin, wenn Sie mir noch 10 Sekunden erlauben, am Ende.
    Ich denke, wir müssen in einem offenen Dialog mit den Jugendlichen eintreten, wobei wir — darauf kommt es mir an; ich habe keine Rezepte — in Zukunft vielleicht etwas mehr zuhören sollten, als selbst zu reden. Wir sind bereit, auch unsere eigenen Wertvorstellungen in Frage zu stellen. Wir wollen der Jugend mit Toleranz und Offenheit begegnen. Wir wollen uns dafür einsetzen, gemeinsam mit der Jugend die Probleme zu lösen. Wir wollen keine angepaßte Jugend, wir wollen aber auch keine Jugend, die sich in den privaten Konsum oder in wirklichkeitsfremde Scheinwelten flüchtet. Wir wollen die kritische, mitarbeitende junge Generation, denn wir wissen, wie wichtig das gesellschaftliche Engagement im Grunde genommen für die Zukunft einer freien Gesellschaft ist, aber nicht von oben verordnet, auch nicht Grundwerte, die wir zum Teil selbst nicht mehr akzeptieren, die wir kaum noch definieren können. Wir wollen vielmehr in einen Dialog eintreten. Vielleicht können wir dann sogar von diesem kritischen Teil der jungen Leute etwas lernen. Wir müssen nicht immer glauben, wir müßten etwas lehren.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Innenpolitik. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Carl-Dieter Spranger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte sehr um Nachsicht, daß zu dieser späten Stunde auch noch die Innenpolitiker zu Wort kommen sollen. Aber ich meine, die Themen sind zu schwerwiegend, als daß man sie in dieser Haushaltsdebatte nicht ansprechen könnte.
    Persönlich darf ich sagen: Als Ansbacher Abgeordneter tut es einem natürlich gut, wenn man zum Ausgleich für eine recht flotte Rede der Nürnberger Kollegin als Vertreter des westmittelfränkischen Raumes — im Vergleich zum Ballungsraum Nürnberg — noch zu Wort kommt.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Innenpolitik der letzten Legislaturperiode war heftig umstritten. Aber auch zum Thema Innenpolitik hat man in den letzten Wochen und Monaten nach der Bundestagswahl mehrere Aufforderungen von Vertretern aller Fraktionen zu mehr Gemeinsamkeit gehört. Damit man sich nicht in harmonisierenden Deklamationsübungen erschöpft, sollten sich hieraus, meine ich, konkrete Entscheidungen und Problemlösungen ableiten. Ich glaube, man sollte auch versuchen, zu einer Wiederannäherung doch sehr unterschiedlicher Standpunkte zum Thema und zum Verständnis der Liberalität zu kommen.
    Liberalität erweist sich nicht darin, daß man — wie die Bundesregierung — in vielen innenpolitischen. Fragen konkreten Entscheidungen ausweicht, einen Weder-noch-Standpunkt einnimmt oder Handlungsfähigkeit durch unverbindliche Absichtserklärungen ersetzt. Es kann auch nicht richtig sein, daß nur der Staat als liberal gilt, der den verdächtigten oder überführten Rechtsbrechern oder politischen Extremisten ein Höchstmaß an Recht und Freiheit zu Lasten der Mehrheit der rechtstreuen Bürger garantiert.
    Wer wie der Herr Bundesinnenminister für sich und seine Partei Liberalität monopolisieren will, muß sich entgegenhalten lassen, daß ein solcher Alleinvertretungsanspruch eines wirklich Liberalen nicht würdig ist. Liberale Politik muß heute von der Wirklichkeit unseres freiheitlichen Rechtsstaats ausgehen und nicht von der Unterstellung der Bedrohung von Bürgerfreiheiten, wie sie das Kennzeichen totalitärer oder absolutistischer Staaten ist. Sie darf doch nicht einseitig unsere Freiheit durch die Sicherheitsbehörden bedroht sehen, sondern vor allem durch die Gefahr des Mißbrauchs durch einzelne oder durch Minderheiten. Dem muß sie entgegenwirken. Liberale Politik heute muß staatlicher und organisierter Übermacht verstärkt in -anderen Bereichen als im Sicherheitsbereich entgegenwirken.
    Ich darf hier drei Beispiele nennen.
    Persönliche Freiheit braucht der Mensch gegenüber Computern und Informationsspeichern. Datenschutz ist Bürgerschutz. Wir brauchen die Novellierung eines dazu unzureichenden Datenschutzgesetzes. Unkontrollierter Datenschutz ist zu unterbinden und zu kanalisieren, nicht nur im Bereich der Sicherheitsbehörden. Es gibt doch für die Fachkundigen viel größere Datenschutzprobleme im Bereich des Meldewesens, des Versicherungswesens, des Sozialwesens, im Gesundheitsbereich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In aller Behutsamkeit sei doch auch zu fragen: Soll
    es weiterhin bei der ungehinderten Benutzung und



    Spranger
    Weitergabe persönlichster Daten durch Presse und Rundfunk bleiben?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, auch im Bereich der Medienpolitik muß Liberalität der Maßstab unseres Handelns sein. Wir können doch angesichts der aktuellen Probleme der neuen Medientechnik, angesichts verkrusteter Strukturen und angestauter Probleme nicht mit den Horrorbildern „Verschiedene Familienmitglieder bei verschiedenen Fernsehapparaten in verschiedenen Zimmern", mit dem Motto „Alles muß bleiben wie bisher" die Zukunft bewältigen wollen. Das wäre steriler Immobilismus. Kommunikationsfreiheit, Vielfalt, Marktwirtschaft statt Monopol, das ist unsere Forderung. Wir werden es nicht hinnehmen, daß unsere Bürger aus durchsichtigen parteipolitischen Gründen von den weltpolitischen medienpolitischen Entwicklungen abgekoppelt werden. Informations- und Meinungsfreiheit sind Freiheitsrechte aller Bürger und nicht die Rechte elitärer Zirkel und Gruppen des Medienbereiches.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir erleben in den letzten Wochen und Monaten eine sehr vordergründige Polemik gegen eine der tragenden Säulen unseres Staatswesens, das Berufsbeamtentum. Ich meine, hier werden gewisse Nebenkriegsschauplätze aufgebaut. Der Unmut der Bürger richtet sich doch nicht gegen die Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Er richtet sich gegen ein aufgeblähtes, unwirtschaftliches, Freiheit, Individualität, Spontaneität allmählich erstickendes System der Bürokratisierung und Verstaatlichung unseres gesamten Lebens. Immer mehr Gesetze, immer mehr Vollzugsorgane, immer höhere Kosten, immer mehr bürokratisierte Macht, immer mehr Abhängigkeit und schließlich immer mehr Filz, immer mehr Parteibuchwirtschaft, immer mehr Mißbrauch von Steuergeldern — das ist das, was nicht nur in Berlin, von SPD und FDP zu verantworten, die Bürger auf die Barrikaden treibt und zunehmend empört. So meinen wir, der Kampf gegen Bürokratisierung und Verstaatlichung unseres Lebens in allen Bereichen ist heute der entscheidende Auftrag für mehr Liberalität im Lande.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, einige Worte zu zwei vorrangigen Bereichen, die Themen Umweltschutz und Ausländerpolitik.
    Wir sind uns wohl in diesem Hause einig gewesen und auch noch einig, daß soziale, wirtschaftliche und technische Entwicklungen ihren Sinn und Wert für den Menschen verlieren, wenn sie unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören. Wir wissen, daß es vieles gibt, was bedeutsamer ist als materieller Fortschritt. Wir wissen aber auch, daß ohne Technik, Chemie und Ausweitung und Verbesserung der wirtschaftlichen Grundlagen die elementaren Lebensbedürfnisse nicht befriedigt werden können. Wenn wir das leugnen oder wenn wir uns weigern, dies auszusprechen, dann programmieren wir jene schwerwiegende Unglaubwürdigkeit, die es vielen jungen Menschen so schwer macht, sich mit unserem Staat zu identifizieren.
    Ohne Sinn für das Machbare gewährte, unerfüllbare Ansprüche auf eine heile, paradiesische Umwelt erwecken nur Hoffnung und Erwartung, die bald in Enttäuschung und Frustration umschlagen. Deswegen ist Glaubwürdigkeit in der Umweltpolitik die Voraussetzung dafür, daß viele Jugendliche, die in eine Protesthaltung geraten sind, wieder für diesen Staat und seine Gesellschaftsordnung gewonnen werden.
    Daß gerade im Bereich Umweltschutz erhebliche Unsicherheit herrscht durch einseitig überzeichnete Gefahren, durch unterlassene Klärung der wirklichen Risiken, durch Kapitulation vor der Notwendigkeit, praktikable und notwendige Regelungen zu finden, ist uns allen bewußt. Diese Unsicherheit gefährdet vernünftiges wirtschaftliches Handeln. Wir meinen, statt Grundgesetzänderungen und Diskussionen um die Verbandsklage sollte man endlich konkrete Regelungen zur Bekämpfung des Verkehrslärmes

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    oder zur Minderung von Schadstoffen in Autoabgasen, in Luft, Wasser und Boden schaffen.
    Mit markigen Erklärungen, z. B. der, das Auto sei Umweltfeind Nr. 1, beseitigt man dort doch nicht die entstehenden Schadstoffe oder mindert den Verkehrslärm. Was hat es für einen Sinn zu beklagen, daß schwermetallhaltiger Klärschlamm den Boden verdirbt, wenn keine konkreten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Ähnliches gilt für den Bereich des Abfallbeseitigungsgesetzes und im Bereich der TA-Luft. Hier sind die Ermächtigungen für den Erlaß von dringend erforderlichen Verordnungen und Vorschriften vorhanden. Diese Vorschriften fehlen entweder im Bereich des Umweltschutzes oder sie machen dort den Betroffenen das Leben schwer. Deshalb: Beschränken wir uns auf durchführbare und finanzierbare Gesetze, überlassen wir die Durchführungslast auch nicht, wie beispielsweise beim Verkehrslärmschutzgesetz, den Ländern und den Gemeinden in unzumutbarer Weise nach dem Motto: Wenn man nicht mit dem Gesetz zurechtkommt, sollen sich die Bürger gefälligst bei den Ländern oder den Gemeinden beschweren!
    Meine Damen und Herren, das Gesetz der Bundestreue gilt auch im Verhältnis des Bundes zu den Ländern und Gemeinden. Der Bund darf die Länder und die Gemeinden nicht überbelasten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben diese allgemeinen Programme und Konzepte für den Umweltschutz mit all ihren wohltönenden Bewertungen und Bezeichnungen genug. Wir brauchen rechtzeitige, präzise gesetzliche Regelungen, stärkere Systematisierung, Vereinfachung und Straffung des komplizierten Umweltrechts. Bürger, Verwaltungen und Gerichte würden aufatmen.
    Ein kurzes Wort zum Thema Ausländerpolitik, zu dem Herr Dr. Dregger in der Debatte zur Regierungserklärung unsere grundsätzliche Position



    Spranger
    schon deutlich gemacht hat. Wir sind kein Land von muffigen Spießbürgern, die irgendwelche kulturellen oder rassistischen Vorbehalte gegenüber Ausländern haben. Wir sind ein Land, das politisch Verfolgten einen optimalen Schutz gewährt. Wir sind ein Land, das seinen Beitrag zur Linderung der Not in der Dritten Welt leistet. Aber wir dürfen uns trotz allem nicht durch schrankenlose Zuwanderungspolitik Probleme ins Land holen, die wir nicht mehr bewältigen können. Hier ist in der Vergangenheit von der Bundesregierung viel versäumt worden.
    Ich meine, es ist kein Chauvinismus, wenn wir verbindliche Antworten auf die Fragen erwarten, wie viele Ausländer denn eigentlich noch in die Bundesrepublik kommen sollen. Was geschieht mit den Millionen Ausländern, die schon hier und nicht bereit sind, ihre ethnische und kulturelle Sonderart und Eigenständigkeit aufzugeben? Sollen sie zukünftig erneut Proletariat oder mit Druck assimiliert werden? All das sind Probleme, denen man nicht begegnen kann, indem man von Ausländerfeindlichkeit der deutschen Bevölkerung spricht. Hier muß die Bundesregierung ebenfalls eine Glaubwürdigkeitslücke mit einem entsprechenden Konzept füllen, damit die inzwischen entstandenen Konflikte nicht zur Explosion kommen.
    Zum Schluß möchte ich auf einen Satz von Bundesinnenminister Baum in seiner Rede vom 28. November 1980 eingehen. Er sagte: „Natürlich wollen wir die Freiheit der Bürger sichern, und zur Freiheit gehört auch die Freiheit von Gefahren." — Das war zweifelsohne ein neuer Ton. Wenn der Bundesinnenminister tatsächlich — was wir hoffen — einen Schritt auf uns zugegangen ist, dann, so könnte ich es mir vorstellen, könnte es sogar auch auf dem weiten Feld der inneren Sicherheit zu gewissen Verständigungen kommen. Unsere Position in diesem Bereich war immer klar. Wir sind der Auffassung, daß es nicht der Sicherung der Freiheit dient, wenn Freiheitlichkeit mit Nachgiebigkeit, mit Sorglosigkeit oder Beliebigkeit verwechselt wird. Die Sicherung der Freiheit erlaubt keine Innenpolitik, die sich an Tagesstimmungen, menschlichen Irrungen und Wirrungen, am Beifall von Randgruppen oder am Laissez-faire-Prinzip orientiert. Freiheit bedeutet vielmehr die Möglichkeit eigenverantwortlicher Lebensgestaltung unter Achtung der Entscheidungen der Mehrheit und der Rechte anderer und Erfüllung von Pflichten auch gegenüber der demokratischen Gesellschaft. Diese Sicherung der Freiheit setzt voraus, daß anerkannt wird, daß selbstverständlich in der Demokratie die Rechte der Minderheit respektiert werden. Aber andererseits müssen die Minderheiten auch die in Gesetzesform ergangenen Mehrheitsentscheidungen akzeptieren und anerkennen. Diese Mehrheitsentscheidungen dürfen nicht zum Formelkram abgewertet werden, dessen Verletzung zuerst geduldet und dann schließlich akzeptiert wird, wie wir das teilweise bei sogenannten Demonstrationen oder bei den Hausbesetzungen erleben. Das wäre das Ende des Rechtsstaats.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Staatliche Institutionen vor allem und auch die Angehörigen des Verfassungsschutzes und der Polizei
    haben einen Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigten Angriffen, und sie haben auch einen Anspruch auf praktikable Rechtsgrundlagen für ihre Arbeit.

    (Zuruf von der SPD: Sagen Sie das mal Herrn Strauß!)

    Schließlich: der politische Extremismus von rechts wie von links darf nicht nur in Worten abgelehnt werden. Die Verfassungstreue der Beamten gehört zum Grundtatbestand unseres Rechtsstaates. Über die Modalitäten, diese Verfassungstreue zu sichern, lassen wir mit uns diskutieren.
    Auf der Grundlage dieser Politik darf ich noch zwei drängende Probleme ansprechen.
    Es kann und darf nicht Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft sein, wenn militante Gruppen vermummt und bewaffnet zu sogenannten Demonstrationen anrücken und unerkannt und ungefährdet mit brutaler Gewalt Polizei und friedliche Bürger angreifen dürfen. Man kann auch nicht die systematische Zerstörung und Plünderung von Geschäften als alltägliche Kavaliersdelikte und Teil der sogenannten argumentativen Auseinandersetzung in unserem Lande bewerten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen fordern wir die Bundesregierung erneut auf, endlich die Grenzen des Versammlungsrechtes wieder deutlich zu machen.
    Nun das zweite Thema; es ist heute schon angesprochen worden, allerdings ohne Lösungsvorschläge. Es ist doch von tragischer Dimension, die Abwendung vieler Jugendlicher von Staat und Gesellschaft und ihre Flucht in Drogenkonsum, Jugendsekten, alternative Lebensformen oder sogar militant-extremistische Minderheitengruppen festzustellen.