Protokoll:
18050

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 50

  • date_rangeDatum: 10. September 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 10:31 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:59 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/50 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 50. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 10. September 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Karin Evers-Meyer, Dr. Angela Merkel, Günter Lach, Dr. Harald Terpe, Dr. Wilhelm Priesmeier, Jürgen Trittin, Max Straubinger, Norbert Brackmann, Dr. Axel Troost, Bartholomäus Kalb, Karsten Möring, Volker Kauder, Hans- Peter Uhl und Wolfgang Gehrcke . . . . . . . . 4547 B Tagesordnungspunkt 1: (Fortsetzung) a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015) Drucksache 18/2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4547 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018 Drucksache 18/2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4547 C Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4547 D Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 4554 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4560 B Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 4565 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 4566 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . 4568 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4570 A Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4571 A Aydan Özoğuz, Staatsministerin BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4574 C Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4577 A Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4579 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . 4581 A Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4582 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4584 A Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4585 A Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4586 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4588 A Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4588 D Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4590 B Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 4594 B Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4595 C Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . 4598 A Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4598 B Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4600 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 4601 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 4603 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4603 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2014 Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4605 C Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4606 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4607 B Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4607 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 4609 A Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4610 A Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4612 A Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . 4612 C Mark Hauptmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4613 C Jan Metzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 4615 A Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4616 B Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4618 B Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . . . 4620 B Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4621 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4624 A Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 4625 A Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 4627 B Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4628 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4629 D Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4631 B Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4633 A Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4634 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 4635 C Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4637 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 4639 C Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4641 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4642 C Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4644 A Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4645 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4646 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4648 B Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4649 C Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4650 C Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 4651 D Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4652 D Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4654 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4655 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4656 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4657 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2014 4547 (A) (C) (D)(B) 50. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 10. September 2014 Beginn: 10.31 Uhr
  • folderAnlagen
    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. September 2014 4657 (A) (C) (B) Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 10.09.2014 Beckmeyer, Uwe SPD 10.09.2014 Bleser, Peter CDU/CSU 10.09.2014 Buchholz, Christine DIE LINKE 10.09.2014 Connemann, Gitta CDU/CSU 10.09.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 10.09.2014 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 10.09.2014 Färber, Hermann CDU/CSU 10.09.2014 Ferner, Elke SPD 10.09.2014 Heil (Peine), Hubertus SPD 10.09.2014 Hintze, Peter CDU/CSU 10.09.2014 Dr. Krüger, Hans-Ulrich SPD 10.09.2014 Leutert, Michael DIE LINKE 10.09.2014 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.09.2014 Petry, Christian SPD 10.09.2014 Dr. Reimann, Carola SPD 10.09.2014 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.09.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 10.09.2014 Steiniger, Johannes CDU/CSU 10.09.2014 Ulrich, Alexander DIE LINKE 10.09.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 10.09.2014 Zimmermann, Pia DIE LINKE 10.09.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 50. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 Einbringung Haushaltsgesetz 2015 – Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018 Epl 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Epl 09 Wirtschaft und Energie Epl 14 Verteidigung Einzelplan Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805000000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Ta-
gesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Karin
Evers-Meyer herzlich zu ihrem heutigen 65. Geburtstag
gratulieren.


(Beifall)


Ich will die Gelegenheit auch gerne nutzen, all denje-
nigen zu gratulieren, die während der parlamentarischen
Sommerpause beinahe unauffällig vergleichbare runde
Geburtstage hinter sich gebracht haben – angeführt von
unserer Bundeskanzlerin, die nicht ganz so unauffällig,
aber auch ihren 60. Geburtstag in der Sommerpause ge-
feiert hat,


(Beifall)


ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen Günter Lach,
Dr. Harald Terpe, Dr. Wilhelm Priesmeier, Jürgen
Trittin, Max Straubinger, Norbert Brackmann und
Dr. Axel Troost. Ihren 65. Geburtstag haben die Kolle-
gen Bartholomäus Kalb, Karsten Möring und Volker
Kauder begangen. Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat
seinen 70. und der Kollege Wolfgang Gehrcke seinen
71. Geburtstag erfolgreich hinter sich gebracht. Allen
Jubilaren möchte ich auch auf diesem Wege noch einmal
herzlich alles Gute wünschen und die Gratulation des
Hauses aussprechen.


(Beifall)


Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt 1 – fort:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015)


Drucksache 18/2000
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018

Drucksache 18/2001
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss

Für die heutige Aussprache haben wir gestern eine
Redezeit von insgesamt neun Stunden beschlossen.

Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundes-
kanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzel-
plan 04.

Ich eröffne die Aussprache dazu und erteile zunächst
dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke
das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805000100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben

sich zu einem Haushalt entschlossen, mit dem Sie alles,
was wichtig ist, verschieben oder ausfallen lassen. Die
Kindergelderhöhung wird verschoben, die Abschaffung
der kalten Progression wird verschoben – es wird also
weiterhin so sein, dass zum Beispiel Leute, die 3 Prozent
brutto mehr erhalten, netto nur 0,5 Prozent mehr verdie-
nen –, die Investitionen in Bildung, in digitale Netze, in
Wasserwege, in Brücken und in Straßen fallen aus.

Und warum? Nur, um zum ersten Mal einen ausgegli-
chenen Haushalt vorzulegen! Für ein sehr zweifelhaftes
Denkmal verzichten Sie auf alles, was Zukunft ausmacht.
Das kann nicht in Ordnung sein; das wissen Sie selbst.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war schon ein blöder Anfang!)


Lassen Sie mich zunächst etwas zur Außenpolitik sa-
gen. Außenminister Kerry hat nun voll Stolz erklärt, dass
es eine Koalition der Willigen gegen ISIS unter Ein-
schluss der Türkei und Deutschlands gibt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie mit?)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Mich interessiert die Türkei. Bisher war es so, dass die
Türkei potenzielle Kämpfer der terroristischen Söldner-
armee ISIS in Richtung Syrien und in Richtung Irak un-
behelligt durchgelassen hat. Transporte mit Hilfsgütern
wurden gestoppt. Interessanterweise hat die Türkei einen
Tag nach unserer Debatte vom 1. September dieses Jah-
res die Transporte mit Hilfsgütern durchgelassen. Sind
Sie sich wirklich sicher, dass die Türkei ihre Haltung zu
ISIS grundsätzlich geändert hat? Ich mache da erst ein-
mal ein Fragezeichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann ist die Frage: Wie will sich nun eigentlich die
Bundesregierung beteiligen? Sie haben schon Waffen an
Peschmerga geliefert. Das war falsch, das bleibt falsch.
Dem Irak fehlt vieles, aber keine Waffen. Es gibt viele
Möglichkeiten: Man kann die humanitären Hilfen für
Kurdinnen und Kurden, für Jesiden, für Christinnen und
Christen und viele andere ausbauen. Man kann eine ira-
kische Einheitsregierung unterstützen, damit es keine
Ausgrenzungen mehr gibt: weder von Sunniten noch von
Schiiten noch von Christinnen und Christen, Jesiden
oder anderen. Man kann Gespräche anbahnen. Man kann
so vieles tun. Das Einzige, worauf die Regierung
kommt, sind Waffenlieferungen. Das ist wirklich absurd;
das muss ich ganz klar sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe noch weitere Fragen: Was ist überhaupt die
Koalition der Willigen? Wann kehren wir zum Völker-
recht zurück?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zuständig ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen,
der auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen
zu entscheiden hat, nicht irgendwelche Koalitionen der
Willigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Warum leiten Sie diesbezüglich nichts ein? Ich
glaube, Sie leiten deshalb nichts ein, weil das Verhältnis
der USA zu Russland besonders schlecht ist. Aber wir
wissen doch: Das Ganze geht nur mit, nicht ohne und
schon gar nicht gegen Russland. Die internationalen Pro-
bleme sind nur mit Russland zu lösen, egal ob ich an
ISIS denke, ob ich an die Probleme im Iran denke, ob ich
an Syrien denke. Wir sind doch auf Russland angewie-
sen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie!)


Sie, Herr Kauder, haben hier am 1. September gesagt,
dass ISIS mit dem falschen Krieg der USA und anderer
Staaten gegen den Irak, der 2003 begonnen hat, nichts zu
tun hat, weil ISIS in Syrien entstanden ist. Das stimmt,
da haben Sie recht. Aber ohne den Bürgerkrieg in Syrien
wäre ISIS nie entstanden. Ohne den Krieg gegen den
Irak wäre ISIS niemals über die Grenze von Syrien in
den Irak gekommen. Dort gibt es gar keinen Staat mehr.
Es gibt auch keine Kontrolle mehr. Daran ist der Krieg
von 2003 schuld. Deshalb gibt es sehr wohl einen Zu-
sammenhang.


(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen noch etwas. Die PKK und die PYD in
Syrien – das hat hier auch der außenpolitische Sprecher
der Unionsfraktion eingestanden – schützen inzwischen
die Jesiden, die Christinnen und Christen. Wir müssen
unsere Politik ändern. Prüfen Sie das PKK-Verbot und
heben Sie es auf! Haben Sie endlich die Kraft, ISIS zu
verbieten! Es wird höchste Zeit, dass das geschieht.


(Beifall bei der LINKEN)


In der Sendung Panorama wurde Folgendes gezeigt:
Bei einer Demonstration waren auf der einen Seite De-
monstranten mit PKK-Fahnen zu sehen, und die Polizei
griff sofort ein. Auf der anderen Seite waren Demon-
stranten mit ISIS-Fahnen zu sehen, und es passierte
nichts. – Da muss sich in unserem Land etwas gründlich
ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich freue mich sehr, dass alle Dachverbände der Mus-
lime in Deutschland ISIS scharf verurteilt haben und für
den 19. September dieses Jahres zu einer Großkundge-
bung aufrufen.

Wir alle beurteilen Assad überwiegend negativ. Viele
haben gegen Assad gekämpft, aber wir haben immer ge-
sagt: Wir brauchen diesen Kontakt. Wir brauchen die
Möglichkeiten zu Gesprächen. – Jetzt wird es ganz deut-
lich: Wir brauchen Assad auch im Kampf gegen ISIS. Es
ist also nie klug, übertrieben zu reagieren.

Wissen Sie: Ihre ganze Außenpolitik wirkt hilflos,
wirr und durcheinander. Das ist viel zu wenig. Dafür ist
die Verantwortung Deutschlands zu groß. Ich sage Ihnen
noch etwas: Im Kalten Krieg hat der Westen gesiegt.
Aber er konnte nicht aufhören, zu siegen. Die alte Ord-
nung wurde zerstört, und keine neue friedenschaffende
Ordnung hergestellt.

Es gibt eine besondere Verantwortung der USA,
Russlands und Chinas, dann erst kommt die EU mit
Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Dieser
Verantwortung werden Sie alle nicht gerecht. Das verun-
sichert die Menschen sehr. Das macht sie so unzufrieden.
Sie wissen gar nicht, wohin das Ganze läuft.

Ich komme zur Ukraine. Endlich gibt es eine Verein-
barung über eine Feuerpause, einen Waffenstillstand.
Das ist für mich schon ein Durchbruch. Der Donbass
bleibt selbstverständlich Bestandteil der Ukraine. Es
geht dann um weitgehende Autonomierechte. Was wir
jetzt brauchen – das sage ich Ihnen schon jetzt –, ist ein
Marshallplan für die Ostukraine. Wir brauchen regionale
Wahlen.

Es gibt Extremisten auf beiden Seiten. Es gibt die so-
genannten Freiwilligenverbände der ukrainischen Ar-
mee, die faschistisch strukturiert sind. Aber es gibt auch
bei den Separatisten extremistische Kräfte, die den An-
schluss des Donbass an Russland fordern und von einem
großrussischen Reich träumen.

Alle Fragen müssen am Verhandlungstisch geklärt
werden.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Wie Finnland sollte die Ukraine nicht zur NATO gehö-
ren. Und ich sage Ihnen: Die NATO-Gipfel-Beschlüsse
sind absolut kontraproduktiv – schnelle Eingreiftruppe,
Aufrüstung im Baltikum und in Polen. Der Vertrag zwi-
schen der NATO und Russland sieht aber vor, dass eine
dauerhafte Stationierung von NATO-Streitkräften in Ost-
europa verboten ist. Wollen Sie diesen Vertrag verlet-
zen? Was sollen die geplanten Änderungen? Russland
wird darauf wiederum mit einer Änderung seiner Mili-
tärdoktrin reagieren. Es besteht die Gefahr einer neuen
Runde des Rüstungswettlaufs. Das Minsker Abkommen
über die Feuerpause – und zwar unbefristet – muss doch
ein Anlass zur Deeskalation auch durch NATO und EU
sein. Deshalb sind auch die neuen Sanktionsbeschlüsse
falsch; denn sie führen zu einer Eskalation, obwohl das
Gegenteil notwendig ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen noch etwas: Die Sanktionen und ihre
Antworten schaden – völlig unnötig – der Wirtschaft und
der Bevölkerung in Deutschland – übrigens insbeson-
dere in den neuen Bundesländern. Denn 80 Prozent der
Exporte von Deutschland nach Russland kommen aus
den neuen Bundesländern. Da wird das gravierende Fol-
gen haben.

Ich sagen Ihnen: Eine vernünftige Politik wäre, die
Sanktionen unverzüglich aufzuheben.


(Beifall bei der LINKEN)


Und was macht die NATO? Sie führt acht Manöver in
der Ukraine durch – aktuell ein Manöver im Schwarzen
Meer, zusammen mit den USA, der Türkei, Spanien und
der Ukraine. Dann gibt es Northern Coast, ein Manöver in
der Ostsee, an dem auch die Bundeswehr mit 1 000 Solda-
ten teilnimmt. Was soll diese Provokation Russlands?

Die NATO und vor allem die USA fordern, 2 Prozent
der Wirtschaftsleistung in den Verteidigungsetat zu stel-
len – 2 Prozent. Deutschland ist gegenwärtig bei 1,3 Pro-
zent. Wenn wir diesen Wunsch erfüllten, müssten wir
rund 24 Milliarden Euro mehr für Rüstung ausgeben.

Frau von der Leyen, Sie – das habe ich doch richtig
verstanden? – wollen nicht so viel ausgeben, aber schon
mehr. Und die Kanzlerin habe ich so verstanden, dass sie
eigentlich nicht mehr ausgeben will. Ich hoffe, Sie ver-
ständigen sich darauf, weniger auszugeben – auf gar kei-
nen Fall mehr! Das will ich auch deutlich sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Nur mit den
Atomwaffen der acht Atommächte kann die Menschheit
1 000-mal ausgelöscht werden. Reicht das nicht? Was
soll zusätzliche Aufrüstung? Müssen wir die Menschheit
1 500-mal auslöschen können? Wo soll das hinführen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Den Schwachsinn haben wir schon mal gehört!)


Ich sage Ihnen ganz klar: Die USA, die NATO und
auch Deutschland sind hoch gerüstet. Wir brauchen
keine Aufrüstung mehr.


(Beifall bei der LINKEN)

Mit Aufrüstung erreicht man auch nicht mehr Frieden –
im Gegenteil. Und ich sage jetzt auch deutlich: Mit Auf-
rüstungsreden und Aufrüstungsentscheidungen erreichen
wir nichts. Was wir brauchen, sind Abrüstungsreden und
Abrüstungsentscheidungen.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Sagen Sie das mal dem Putin!)


Die Bundesregierung – und damit auch EU und
NATO – werden immer abhängiger von der US-Regie-
rung. Warum können Sie diesbezüglich eigentlich nicht
souveräner, nicht eigenständiger auftreten? Das geht mir
so auf die Nerven; das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Die
NSA hört unsere gesamte Bevölkerung ab, betreibt Wirt-
schaftsspionage, aber Sie haben Angst, irgendetwas
Wirksames dagegen zu unternehmen.

Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: In Wiesbaden wird
gerade ein hohes Gebäude für die NSA gebaut. Warum
haben Sie denn nicht den Mumm, der US-Regierung zu
sagen: Unter diesen Bedingungen, ohne No-Spy-Ab-
kommen, ohne ein Abkommen, das gegenseitige Spio-
nage ausschließt, kann die NSA niemals in dieses Ge-
bäude einziehen. Die Volkssolidarität, Attac oder andere
Leute, die etwas Vernünftiges machen, können da gerne
einziehen, aber nicht die NSA.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Neues Deutschland!)


Zeigen Sie mal etwas Mumm!

Ich sage Ihnen auch: Dieses Duckmäusertum, das Sie
an den Tag legen, führt nicht zu Freundschaft, sondern
zu Verachtung. Wenn man Freundschaft will, muss man
sich als Erstes Respekt erarbeiten. Und mit solchen Ent-
scheidungen erarbeitet man sich Respekt, den wir drin-
gend benötigen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun höre ich aber auch, dass der BND die Türkei ab-
hört. Aber ich habe das doch richtig verstanden: Die
USA, Deutschland und die Türkei – wenn auch gegen
unseren Willen – führten zusammen Krieg in Jugosla-
wien, dann in Afghanistan, und gleichzeitig behandeln
sie sich wie Kriegsgegner. Das ist ja ein dolles Bündnis,
kann ich nur sagen. Riesenfragezeichen!

Ein weiterer Punkt sind die Abkommen. Eines liegt
schon vor – das CETA-Abkommen mit Kanada –; das
andere, das TTIP-Abkommen, ist geplant. Ich habe dazu
schon einiges gesagt. Was uns am meisten stört und be-
fremdet, ist die Investitionsschutzklausel. Ich komme
noch darauf zurück.

Die Bundesregierung sagt, sie sei auch gegen die In-
vestitionsschutzklausel. Sie ist aber in dem Abkommen
vorgesehen. Ich bin sehr gespannt, was Sie diesbezüg-
lich vorhaben. Zu hören ist schon, dass die Vorteile so
groß sind, dass man vielleicht doch damit leben kann,
was eine Katastrophe wäre, sowohl im Verhältnis zu Ka-
nada als auch zu den USA.

Was bedeutet denn eine Investitionsschutzklausel?
Wenn wir in Berlin einmal eine vernünftigere Regierung





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

bekämen – das ist schließlich möglich, zum Beispiel mit
Linken –


(Lachen bei der CDU/CSU)


– es freut mich, dass Sie sich jetzt schon darauf freuen –,


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Ein Hauch von Büttenrede!)


und die beschlösse plötzlich, dass es mehr Mitbestim-
mung gibt oder dass Konzerne etwas mehr Steuern zah-
len müssen, dann könnten die kanadischen und amerika-
nischen Unternehmen sagen: „Das geht nicht; es verstößt
gegen das Verbot von Investitionshemmnissen;


(Thomas Oppermann [SPD]: Unfug! Das ist einfach Unfug!)


denn wir haben unseren Sitz hier unter anderen Voraus-
setzungen gegründet“, und Schadenersatz fordern.

Das ist eine Katastrophe, weil Sie jede vernünftigere
Politik ausschließen. Deshalb darf das niemals in Kraft
treten.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt einen Zeugen. Dieser Zeuge ist kein Linker,
sondern der Ministerpräsident Australiens. Er hat gesagt,
er würde das Abkommen nie wieder unterschreiben, und
zwar aus folgendem Grund: In Australien wurde, nach-
dem das Abkommen unterschrieben wurde, angeordnet,
dass auf Zigarettenschachteln der Hinweis erfolgen
muss, dass Zigaretten ungesund sind. Es war ein biss-
chen spät, aber irgendwann hat auch Australien das an-
geordnet. Der Punkt ist, dass das Unternehmen Philip
Morris, das dort schon seinen Sitz hatte, sagte: „Das geht
nicht; das verstößt gegen die Investitionsschutzklausel“,
und Schadenersatz in Milliardenhöhe forderte.

Wollen Sie Politik wirklich unmöglich machen? Das
geht nicht. Stoppen Sie das Ganze so schnell wie mög-
lich!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem erleben wir eine Entstaatlichung, und zwar
in dreifacher Hinsicht: erstens durch CETA und TTIP.
Denn es sollen keine ordentlichen Gerichte zuständig
sein. Es gibt dann nur ein Schiedsgericht, bestehend aus
drei Advokaten, die über Milliardenbeträge entscheiden
sollen. Der ordentliche Gerichtsweg ist ausgeschlossen.
Das ist eine Entstaatlichung. Es verstößt auch gegen die
Rechtsstaatlichkeit. Das ist nicht hinnehmbar.

Die zweite Entstaatlichung, die noch viel schlimmer
ist, erleben wir in Somalia, Irak, Libyen und Afghanis-
tan. Nirgendwo funktioniert der Staat noch. In Ägypten,
Syrien und in der Ukraine besteht die Gefahr der Zerstö-
rung des Staates.

Das Dritte ist eine Entstaatlichung in unserer Gesell-
schaft. Darauf möchte ich Sie gerne hinweisen, weil ich
finde, dass wir sehr viel genauer darauf achten müssen.
Es gibt ein oberstes Zehntel in unserer Gesellschaft, das
sich nicht mehr für den Staat interessiert. Diese Men-
schen gehen zwar formal wählen, aber mehr interessiert
sie nicht, weil sie alles, ob Firmensitz oder Wohnsitz, da-
nach begründen, wie die Rechtsvorschriften in welchem
Teil der Welt aussehen, wo welche Steuerregeln und Ar-
beitsschutzregeln herrschen und welche Löhne kassiert
werden etc. Sie haben sich vom Staat innerlich völlig
verabschiedet.


(Thomas Oppermann [SPD]: 8 Millionen Menschen!)


Zu meinem großen Bedauern ist es so, dass wir zwar
Teile des unteren Viertels erreichen – andere auch –,
aber bestimmte Teile des unteren Viertels erreichen wir
gar nicht mehr. Diese Menschen haben sich völlig vom
Staat verabschiedet und gehen auch nicht mehr wählen.
Was glauben Sie, wie oft ich versuche, mit ihnen zu re-
den. Ich stelle eine Entwicklung fest, die mir große Sor-
gen macht, weil sie für die Demokratie ungeheuer schäd-
lich ist.

Wir müssen erreichen, dass die gesamte Gesellschaft
wieder am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Davon
sind wir weit entfernt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt werde ich auch etwas zu den Ursachen sagen,
zum Beispiel unsere Vermögensentwicklung. Es gibt
Zahlen, die einen umhauen. Die EU-Millionäre, von de-
nen es eine reichliche Anzahl gibt, haben ein Geldver-
mögen – es geht nur um das Geld, ohne Grundstücke
und Unternehmen – von 17 Billionen Euro. Die gesam-
ten Staatsschulden der EU belaufen sich auf 11 Billionen
Euro. Stellen Sie sich vor, sie würden uns das ganze Geld
überweisen. Dann könnten wir alle Schulden bezahlen
und ihnen sogar noch 6 Billionen zurücküberweisen.
Dann wären sie immer noch nicht arm. Aber so weit geht
noch nicht einmal die Linke.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Das ist aber ein Rückschritt!)


Wir sagen aber: Wir brauchen endlich eine Millionär-
steuer in der Europäischen Union.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber Sie weigern sich, ein Stück mehr Gerechtigkeit
herzustellen.

Gehen wir einmal zu Deutschland über. In Deutsch-
land haben wir ein Geldvermögen – passen Sie jetzt auf,
Herr Kauder! Sie müssen sich die Zahlen merken – von
10 Billionen Euro. Jetzt gibt es eine neue Studie der
Europäischen Zentralbank, die besagt: 1 Prozent unserer
Bevölkerung – 1 Prozent, ich bitte Sie! – besitzt 32 Pro-
zent davon. Das sind weit über 3,5 Billionen Euro.
50 Prozent – die in finanzieller Hinsicht unteren 50 Pro-
zent – unserer Haushalte und damit die Hälfte unserer
Bevölkerung besitzt 1 Prozent davon. Nun sage ich, was
für mich am erschreckendsten ist. Diese Hälfte besaß
1998 4 Prozent. Meine Damen und Herren von Union
und Sozialdemokratie, aus 4 Prozent werden bei uns
nicht Schritt für Schritt 5 und dann 6 Prozent, sondern
aus 4 Prozent wird 1 Prozent. Werden es in fünf Jahren





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

0,5 Prozent sein? Die Schere geht immer weiter aus-
einander. Das ist unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die schlimmste Umverteilung von unten nach oben
hatten wir durch die Agenda 2010 in Verantwortung von
SPD und Grünen. Seit 2000 haben wir – das ist dieselbe
Entwicklung – einen Anstieg der Unternehmens- und Ver-
mögenseinkommen, Herr Kauder, um 60 Prozent zu ver-
zeichnen. In derselben Zeit sind die Reallöhne um
3,7 Prozent gesunken. Erklären Sie das den Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern, die das ganze Vermögen
geschaffen haben! Ich jedenfalls finde diese Entwick-
lung unerträglich. Wir müssen die Umverteilung von un-
ten nach oben stoppen und eine von oben nach unten
einleiten, um ein Stück Gerechtigkeit in unserer Gesell-
schaft zu erreichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundeskanzlerin und ihr Vizekanzler beklagen
den Investitionsstau seit zehn Jahren. Einen solchen Stau
gibt es tatsächlich; das stimmt. Allerdings, Frau Bundes-
kanzlerin, wer regiert denn seit zehn Jahren? Ich frage
Sie das so ganz nebenbei. Ich habe vorhin gesagt, dass es
sich um einen Verzicht auf Zukunft handelt, wenn die
notwendigen Investitionen ausbleiben. Aber schauen wir
uns das einmal genauer an: 1991 investierten die Unter-
nehmen noch 40 Prozent ihrer Gewinne, 2013 nur noch
9 Prozent. Warum? Wir brauchen sehr dringend Investi-
tionen. Das wichtigste Gebiet ist die Bildung. Gestern
wurde ein neuer OECD-Bericht veröffentlicht. Er be-
sagt, dass in keinem anderen Industrieland der Bildungs-
erfolg von Kindern so abhängig von der sozialen Her-
kunft ist wie in Deutschland. Auch das ist ein Skandal.
Ich möchte Chancengleichheit für alle Kinder. Deshalb
sage ich Ihnen: Wir brauchen endlich Kindertagesstätten
für Kinder vom nullten bis zum sechsten Lebensjahr in
ganz Deutschland, die ganztägig geöffnet sind, und zwar
in ausreichender Anzahl, mit kleinen Kindergruppen,
mit gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern, die
endlich anständig verdienen müssen, und das alles
selbstverständlich gebührenfrei einschließlich eines voll-
wertigen, gesunden Mittagessens. Das müssen wir in
Deutschland erreichen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen zu den Schulen Folgendes: Ich bin ein
Anhänger der Gemeinschaftsschule. Dazu werde ich
jetzt nicht viel sagen, nur so viel: Sie sollten sich einmal
die Studie zum Vergleich zwischen Gemeinschaftsschu-
len und getrennten Schulen anschauen. Wissen Sie, was
dabei herausgekommen ist?


(Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/ CSU])


– Ich werde Ihnen sagen, was auch in Bayern dabei he-
rausgekommen ist. – In den Gemeinschaftsschulen sind
nicht nur die schlechteren Schülerinnen und Schüler bes-
ser als die in getrennten Schulen, sondern auch die bes-
ten und besseren Schülerinnen und Schüler sind besser.
Sie haben es nicht begriffen. Nur in Gemeinschaftsschu-
len lernen sie sozial. Wenn Sie die Schülerinnen und
Schüler isolieren, dann bringen Sie ihnen nichts bei.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Isoliert eure Kinder und erzieht sie zu Hause! Was ist das denn für ein Familienbild?)


Abgesehen davon möchte ich, dass alle Schülerinnen
und Schüler ein vollwertiges, gesundes Mittagessen ge-
bührenfrei bekommen. Ich möchte Schülerinnen und
Schüler nicht in der Suppenküche sehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Kommen Sie mir nicht mit dem Argument, dass das zu
viel Geld kostet. Für jede Bank haben Sie Milliarden pa-
rat. Investieren Sie das Geld endlich in die Bildung! Das
wäre wirklich wichtig.


(Beifall bei der LINKEN)


Des Weiteren haben wir ein Problem bei der Nach-
frage. Es tut mir leid, aber das kann ich Ihnen nicht er-
sparen. Die Reallöhne sind gesunken. Das Rentenniveau
ist gesunken. Die prekäre Beschäftigung hat enorm zu-
genommen. Deutschland hat in Europa den größten Nie-
driglohnsektor. Er ist größer als der in Griechenland.
Denken Sie einmal darüber nach, um welche Zahlen es
sich dabei handelt! Nun beschwert sich die belgische Re-
gierung bei der Europäischen Union über Deutschland
wegen Lohndumping, weil zum Beispiel die Arbeit auf
Schlachthöfen in Deutschland so schlecht bezahlt wird,
dass die belgischen Unternehmen niederkonkurriert wer-
den. Ich finde, dass wir auch darüber nachdenken müs-
sen.

Herr Gabriel, es tut mir leid, aber Sie haben gesagt,
dass kein Geld für Investitionen da ist – ich habe Ihnen
vorhin gesagt, dass Sie damit auf Zukunft verzichten –,
darauf kann ich nur erwidern: Die Schuldenbremse war
eben Unsinn. Die erste war okay. Aber die neue Schul-
denbremse, die Sie erfunden und im Grundgesetz veran-
kert haben, geht völlig daneben und ist völlig überflüs-
sig.


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Bei euch ist der Staat untergegangen wegen der Schulden!)


Ich sage Ihnen aber auch ganz klar: Wer Investitionen
und soziale Gerechtigkeit will, muss Steuergerechtigkeit
herstellen. Wer behauptet, dass er in der Lage sei, soziale
Gerechtigkeit herzustellen und Investitionen zu ermögli-
chen, ohne Steuergerechtigkeit herzustellen, der sagt
nicht die Wahrheit; das wissen Sie ganz genau. Das geht
nicht. Aber hier haben Sie null Mut.

Was passiert, wenn wir wirklich den von Ihnen, Herr
Gabriel, vorgeschlagenen Weg gehen und die Investitio-
nen privatisieren, wenn also die Unternehmen das Ganze
übernehmen? Wollen Sie wirklich die öffentliche Da-
seinsvorsorge noch stärker privatisieren? Die Politik ver-
liert dann die Zuständigkeit für Energie- und Wasser-
preise. Wir haben dann auch nichts mehr mit den Preisen
für Mobilität zu tun. Wir sind dann nicht mehr für Woh-





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

nungen, Krankenhäuser und Bildung zuständig. Wollen
Sie das alles ernsthaft privatisieren? Das kann doch nicht
Ihr Ernst sein, wirklich nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Außerdem: Wenn öffentliche Investitionen privat
finanziert werden, wollen die Privaten auch eine Rendite
haben. Die wollen etwas daran verdienen. Die Gebühren
müssen dann alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler,
alle Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Auch das ist un-
erträglich.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dann sage ich Ihnen noch etwas. Ich muss Sie fragen,
Herr Schäuble: Stimmt es, dass Sie ernsthaft darüber
nachdenken, die Bundesstraßen zu verkaufen? Also
wirklich, lassen Sie den ganzen Quatsch mit der Maut.
Das bringt nichts, liebe CSU. Packen Sie die einfach
weg. Das bringt gar nichts.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber einmal abgesehen davon: Wenn Sie wirklich die
Bundesstraßen verkaufen, dann sage ich Ihnen, was pas-
sieren wird. Dann werden die Länder anfangen, die Län-
derstraßen zu verkaufen, dann werden die Kommunen
anfangen, die Kommunalstraßen zu verkaufen. Ich weiß
gar nicht, wie viele Arten von Maut wir dann überall be-
zahlen müssen. Das lasse ich alles weg. Aber eines sage
ich Ihnen, Herr Schäuble: Wenn das je passieren sollte,
dann muss ich Ihnen ein bisschen drohen. Dann werde
ich mit allen Mitteln versuchen, die Straße zu kaufen, in
der Sie wohnen.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)


Dann wird es für Sie sehr teuer, wenn Sie nach Hause
wollen. Außerdem benenne ich dann die Straße um. Es
wird Ihnen am peinlichsten sein, immer schreiben zu
müssen, dass Sie Zum Gysi Nummer 1 wohnen. Aber
das mache ich dann. Das ist garantiert.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Das wird aber eine kleine Straße sein!)


Im Übrigen hat der Internationale Währungsfonds
– wie Sie wissen, ist das keine linke Organisation – fest-
gestellt, dass wir mit etwas mehr Steuergerechtigkeit
80 Milliarden Euro pro Jahr mehr einnehmen könnten.
Dann hätten wir das Geld für Bildung und Investitionen,
das wir dringend benötigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Europäische Zentralbank hat nun den Leitzins auf
den niedrigsten Stand in der Geschichte gesetzt: auf
0,05 Prozent. Ich will Ihnen sagen, was das bedeutet.
Die Sparerinnen und Sparer in Deutschland, auch die
kleinen und mittleren, bekommen so gut wie gar keine
Zinsen. Da wir eine Inflationsrate haben, das heißt alle
Dienstleistungen und Waren teurer werden, man aber
keine Zinsen bekommt, verlieren die Sparguthaben Jahr
für Jahr an Wert. Das heißt, die Sparerinnen und Sparer
bezahlen die ganze Krise. Das kommt dabei heraus. Das-
selbe passiert mit den Lebensversicherungen, weil auch
die an Wert verlieren. Bei den Lebensversicherungen
nehme ich Ihnen eine Sache schon übel, nämlich dass
Sie die Leistungen aus Lebensversicherungen hier im
Bundestag gekürzt haben,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr! Das ist falsch, Herr Gysi, und Sie wissen das auch!)


und das am Tag des Viertelfinalspiels Deutschland gegen
Frankreich bei der Fußballweltmeisterschaft, und zwar
in der Hoffnung, dass es keiner mitbekommt. Ich finde
das ziemlich übel; das muss ich Ihnen sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem habe ich noch eine Frage: Wenn wir auf
Sparguthaben so niedrige Zinsen bekommen, warum
gibt es dann eigentlich noch so hohe Zinsen bei Dispo-
krediten und anderen Krediten? Wenn schon niedrige
Zinsen, dann müssten die Banken und Sparkassen auch
diesbezüglich ihre Politik ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber ich sage Ihnen auch: Sie werden mit privaten In-
vestitionen in die Wirtschaft nicht wirklich weiterkom-
men. Nehmen wir den Süden Europas: 25 Prozent Ar-
beitslosigkeit, 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, zum
Beispiel in Griechenland und in Spanien. Wer will da in-
vestieren? Wer soll denn bei sinkenden Löhnen, Renten
und Sozialleistungen noch einkaufen können? Daran,
dass selbst die Deutsche Bundesbank für Deutschland
höhere Löhne fordert, weil sie sieht, dass die Nachfrage
permanent zurückgeht, sehen Sie, welchen Stand wir
diesbezüglich erreicht haben.

Was mich auch stört, ist, dass die EZB wieder die
Schrottpapiere von den Banken aufkaufen will. Das ist
doch der Gipfel der Frechheit. Die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler haften wie immer für alle Banken. Ich
möchte, dass endlich Banken für Banken haften.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Kein Industrieunternehmen, kein Bäckermeister hat die
Chance, dass Sie die Schulden übernehmen, aber bei je-
der Bank übernehmen wir die Schulden. Das geht nicht
mehr, das muss endlich beendet werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die ganze falsche Bankenrettung in der Euro-Krise war
ein Aufbauprogramm für die AfD. Wenn wir das been-
den wollen, müssen Sie auch diesbezüglich die Politik
ändern.

Liebe Frau Bundeskanzlerin, wir hatten einen kleinen
Disput hier beim letzten Haushalt, und zwar über die
Mütterrente. Das Problem muss ich auflösen. Sie haben
gesagt, dass wir schon jetzt einen hohen staatlichen Zu-
schuss an die gesetzliche Rentenversicherung zahlen und
der 2018 sogar erhöht werden soll. Das mag sein, aber
das ändert an folgendem Umstand nichts: Jetzt gibt es
eine Erhöhung der Mütterrente. Diese Erhöhung kostet





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Geld, und jetzt erhöhen wir nicht den staatlichen Zu-
schuss. Also muss diese Erhöhung, weil wir den staatli-
chen Zuschuss nicht erhöhen, allein von den Beitrags-
zahlerinnen und Beitragszahlern bezahlt werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist Quatsch, Herr Gysi!)


Das heißt, die Lidl-Kassiererin und jedes Unternehmen
bezahlen das,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Er hat es nicht verstanden!)


aber Frau Merkel, Herr Gabriel, Herr Kauder und Herr
Gysi nicht. Das ist und bleibt grob ungerecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie hätten ja einen anderen Weg gehen können. Sie
hätten ja sagen können: Die Erhöhung der Mütterrente
kostet soundso viel Geld, und in diesem Umfang erhö-
hen wir den Zuschuss. – Dann hätten wir es aus Steuer-
mitteln finanziert. Da Frau Merkel, Herr Gabriel, Herr
Kauder und Herr Gysi mehr Steuern als die Lidl-Kassie-
rerin zahlen, wäre das gerecht gewesen. So bezahlt sie es
allein. Ich kann es ihr nicht erklären, und Sie können es
ihr auch nicht erklären. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt sage ich Ihnen auch etwas zur deutschen Einheit.
Ganz aktuell ist in der Pflege ein Mindestlohn vereinbart
worden: Ost 8,65 Euro, West 9,40 Euro – und das
24 Jahre nach der deutschen Einheit. Ich bitte Sie! Wer
die deutsche Einheit will, muss endlich für gleiche
Löhne bei gleicher Arbeitszeit in Ost und West und für
eine gleiche Rente bei gleicher Lebensleistung und für
eine gleiche Mütterrente in Ost und West streiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer das nicht macht, der ist eben nicht für die deutsche
Einheit.

Ich sage Ihnen, Herr Kauder, auch wenn es Sie ärgert:
Inzwischen ist die Linke die Partei der deutschen Ein-
heit. Sie verfolgen diese Ziele nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)


– Ich wusste, dass ich Ihre Zustimmung bekomme.

Nun muss ich noch ein Thema anschneiden: das
Thema „Überwachung der Linken“. Unser Spitzenkan-
didat in Thüringen, Bodo Ramelow, hat ja einen großen
Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht;
schon deshalb hat er sich vieles verdient. Aber einmal
abgesehen davon: Bundesinnenminister de Maizière hat
daraufhin entschieden, dass die Beobachtung aller Mit-
glieder unserer Fraktion durch das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz eingestellt wird.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, sagen Sie mal! Super!)


Das begrüße ich. Die Gerichte haben entschieden, dass
alle Unterlagen über uns zu vernichten sind. Auch das
begrüße ich. Erst die überflüssige Arbeit, das alles her-
zustellen, und nun haben sie die Arbeit, das alles zu ver-
nichten. Aber das sei ihnen auch gegönnt. Wir haben
damit der Bundesrepublik Deutschland zu mehr Rechts-
staatlichkeit und Demokratie verholfen.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dagmar Ziegler [SPD]: Na, vielen Dank!)


Nun habe ich 16 Bundesländer angeschrieben – meine
Herren und Damen von der CSU, hören Sie gut zu – und
gefragt, ob sie weiterhin die Bundestagsabgeordneten
der Linken beobachten. 15 Bundesländer haben „Wir ha-
ben das noch nie gemacht“ oder „Wir haben das schon
längst oder jetzt eingestellt“ geantwortet. Nur ein Land,
Bayern, hat geantwortet, dass es bei der Beobachtung
bleiben soll. Also, wir sehen uns vor Gericht wieder. Wir
werden auch Bayern zu Rechtsstaatlichkeit und Demo-
kratie verhelfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Man kann ja in Bayern als Linker
nicht im öffentlichen Dienst arbeiten. Wir wollen auch
die Interessen des öffentlichen Dienstes vertreten. Wie
sollen wir das eigentlich machen, abgesehen davon, dass
uns dadurch natürlich auch Gelder verloren gehen? Jetzt
habe ich mir dazu im Internet Informationen beschafft.
Also, hören Sie einmal zu: Da wird gefragt, wenn man
sich beim öffentlichen Dienst in Bayern bewirbt, ob man
Mitglied des Verbandes der Kleingärtner, Siedler und
Kleintierzüchter der DDR – so einer linksextremisti-
schen Massenorganisation – war.


(Heiterkeit bei der LINKEN – Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU] – Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich!)


Wer in der DDR Äpfel geerntet oder Kaninchen gezüch-
tet hat, soll also keine Chance im öffentlichen Dienst in
Bayern haben können. Auch Schwachsinn muss Gren-
zen kennen.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch etwas sagen, was mir wichtig
ist: Sie alle behaupten doch, Parteien der Mitte zu sein.
Aber dass die mittleren Einkommen in unserer Gesell-
schaft aufgrund des Steuerbauchs alles bezahlen, das
nehmen Sie nicht zur Kenntnis. Es gibt nur eine Partei,
die Linke, die will, dass der Steuerbauch beseitigt wird.
Wir vertreten hier die Mitte, nicht Sie.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist die Wahrheit. Wir vertreten die unteren Einkom-
men, aber auch die mittleren.

Zum Schluss sage ich Ihnen eins: Ich will nicht recht-
haberisch sein.


(Lachen bei der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Jetzt haben Sie die ganze Rede widerlegt!)


– Gut, dann sage ich: Ich will nicht mehr rechthaberisch
sein. Das können Sie akzeptieren. Passen Sie auf! Ich





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

habe mich in meinem Leben auch geirrt; das bestreite ich
gar nicht.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das kann nicht sein! – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Wer hatte bei Afghanistan recht? Wir oder die ande-
ren Fraktionen? Inzwischen wissen Sie alle, dass wir
recht hatten. Dieser Krieg war falsch. Wer hatte bei der
Praxisgebühr recht? Sie, die das für eine geniale Erfin-
dung hielten, oder wir? Inzwischen ist sie ja abgeschafft.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Leider!)


Wer hatte bei der Beobachtung durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz recht? Sie oder wir? Wir hatten recht,
wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat. Und
wer hatte beim Mindestlohn recht? Sie haben mich alle
beschimpft. Inzwischen haben Sie ihn eingeführt.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Na, aber sicher, in den 1990er-Jahren. Das kann ich Ih-
nen nachweisen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Sie werden noch einsehen, dass auch
die Rente ab 67 ein Grundfehler ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805000200

Herr Kollege.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805000300

Deshalb merken Sie sich doch bitte, liebe Union,

liebe SPD, liebe Grüne, dass Sie sich viel häufiger und
schneller, auch in Ihrem Interesse, nach den Linken rich-
ten sollten.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist ja narzisstisch!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805000400

Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin, Frau

Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1805000500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung einen ganz
besonderen Haushalt. Mit dem Haushalt 2015 wollen
wir zum ersten Mal seit 1969 keine neuen Schulden
mehr aufnehmen. Das, was wir seit Jahren angestrebt ha-
ben, ist nun Realität. Der Bundesregierung ist es gelun-
gen, einen generationengerechten Haushaltsentwurf vor-
zulegen, der sozial ist, der in die Zukunft des Landes
investiert und der damit wirtschaftliches Wachstum und
Beschäftigung fördert. Wir können stolz sein, dass wir
gemeinsam dieses Ziel erreicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Auch für die kommenden Jahre, meine Damen und
Herren, sieht der Finanzplan keine neuen Schulden des
Bundes mehr vor. Das Wirtschaften auf Pump soll end-
lich ein Ende haben, und das ist – darin liegt der tiefere
Sinn dieses Haushalts – der beste Beitrag zur Generatio-
nengerechtigkeit, den wir für die Jungen, für die Kinder
und Enkel, leisten können. Das schaffen wir heute ange-
sichts einer sich anbahnenden großen demografischen
Veränderung. Deshalb ist das richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit wir unsere Ziele erreichen, wird strikte Ausga-
bendisziplin erforderlich sein. Das, was für Deutschland
gilt, gilt unverändert auch für Europa. Wir wissen, dass
die Situation hier nach wie vor fragil ist. Wir haben
wichtige Erfolge mit der Reformpolitik in Europa er-
zielt. Wir sehen an einer Reihe von Ländern wie zum
Beispiel Spanien, dass Reformen Wirkung zeigen, dass
sie die Dynamik stärken, aber wir sollten sehr ernst neh-
men, dass die Kommission mit Recht jetzt darauf hinge-
wiesen hat, dass das Ablassen vom Reformkurs das
größte Risiko für die weitere Erholung ist. Deshalb ist es
richtig, dass die Kommission im Rahmen des sogenann-
ten Europäischen Semesters den Druck mit Blick auf so-
lide Haushalte und auf Reformen aufrechterhält. Die
Bundesregierung unterstützt die Kommission in diesem
Ziel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wolfgang Schäuble hat es gestern gesagt; ich möchte
es wiederholen: Das Einhalten der von uns eingegange-
nen Verpflichtungen in Europa, besonders in der Euro-
Zone, muss anders als in der Vergangenheit endlich zum
Markenzeichen der Euro-Zone werden. Das schafft Ver-
trauen, und das wird uns dann von den Betroffenen auch
zurückgezahlt werden, meine Damen und Herren.

Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass
die Arbeitslosigkeit weiterhin sehr hoch ist, gerade die
Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen. Deshalb bleibt
die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eine zentrale
Aufgabe. Am 8. Oktober wird die italienische Ratspräsi-
dentschaft in Italien einen Gipfel der Staats- und Regie-
rungschefs abhalten, auf dem wir uns noch einmal damit
beschäftigen: Wie sind wir vorangekommen? Welche
Hemmnisse gibt es? Es ist kein gutes Zeichen, dass das
Sonderprogramm für die Bekämpfung der Jugendar-
beitslosigkeit bis jetzt seitens der betroffenen europäi-
schen Staaten so wenig in Anspruch genommen wird.
Wir müssen uns fragen: Brauchen wir mehr Flexibilität
in der Ausgestaltung? Ist das notwendig? Das Wichtigste
ist, dass das Geld zu den jungen Menschen kommt und
dass daraus Arbeitsplätze entstehen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, solides Haushalten ist kein Selbstzweck, son-
dern es ist die Voraussetzung für politische Handlungs-
möglichkeiten in der Zukunft.

Erstens für eine aktive Begleitung des digitalen Wan-
dels. Der digitale Wandel ist zentrale Gestaltungsauf-
gabe für die Wirtschaft, die Wissenschaft, aber eben
auch – das ist unser Part – für die Politik. Wie sich
Deutschland und wie sich die Europäische Union in der
zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts hier weltweit positio-
nieren, das wird über unsere Wettbewerbsfähigkeit und





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

damit auch über unseren zukünftigen Wohlstand ent-
scheiden.

Das Bundeswirtschaftsministerium, das Innenminis-
terium und das Ministerium für digitale Infrastruktur ha-
ben eine digitale Agenda erarbeitet, die am 20. August
im Kabinett beschlossen wurde. Sie ist ein erster Schritt,
um die technische Revolution, die sich durch die Digita-
lisierung in nahezu allen Lebensbereichen ergibt, aktiv
zu begleiten und politisch mitzugestalten.


(Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir setzen dabei als Bundesregierung drei Schwer-
punkte: Impulse für weiteres Wachstum und Beschäfti-
gung – die Informations- und Technologiebranche ist
entscheidender Innovations- und Wachstumsmotor –,
Zugang und Teilhabe durch leistungsstarke Netze – un-
ser Land braucht flächendeckende Breitbandinfrastruk-
tur – und Vertrauen und Sicherheit im Internet; das reicht
von der Datensicherheit für Privatpersonen und Unter-
nehmen bis zum Schutz unserer kritischen Infrastruktur.

Der Kabinettsbeschluss vom 20. August umreißt den
Handlungsrahmen. Die gemeinsame Umsetzung erfolgt
im Dialog mit den relevanten Gruppen aus Wirtschaft,
Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Aber es wird auch
etliche Punkte geben, bei denen die Politik nach diesem
Dialog auch kritische Entscheidungen fällen muss und
fällen wird.

Nach dem Kabinettsbeschluss am 20. August ist der
nächste Schritt der IT-Gipfel am 21. Oktober in Ham-
burg. Er wird die zentrale Plattform sein und wird auch
die Handlungsfelder der digitalen Agenda widerspie-
geln. Mit den drei federführenden Bundesministern ist
verabredet, dass bis dahin erste wesentliche Punkte vor-
angekommen sind, zum Beispiel beim Thema Netzneu-
tralität oder beim konkreten Zeitplan für die Versteige-
rung der 700-Megahertz-Frequenzen, die sehr wichtig
dafür sind, dass wir den Ausbau der Netze voranbringen.

Wir müssen verstehen, dass die Digitalisierung nicht
nur schnelles Internet, IT-Sicherheit oder Innovationen
auf dem Feld der Telekommunikation bedeutet, sondern
dass es sich dabei um eine industrielle Revolution han-
delt, diesmal nicht so, wie wir sie aus der Geschichte
kennen, mit rauchenden Schloten von Fabriken oder Ma-
schinenlärm, sondern in einer völlig anderen Art und
Weise, aber mit ebenso faszinierenden Veränderungen.

Das Schlagwort ist „Industrie 4.0“. Was heißt das? Es
wird mehr und mehr Produktionsabläufe geben, die sich
selbst organisieren können, wo die Maschinen miteinan-
der kommunizieren. Das hat natürlich wesentliche Aus-
wirkungen auf die Arbeitswelt, über die wir im Übrigen
mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften gerade vor
wenigen Tagen in Meseberg gesprochen haben. Es wer-
den durch kleine Softwareanwendungen ganze Ge-
schäftsmodelle und Wertschöpfungsketten auf den Kopf
gestellt, und Dienstleistungen und Produktionsprozesse
werden sich immer weiter annähern und ineinandergrei-
fen. Der Computer als Gerät, wie er uns heute bekannt
ist, wird immer mehr in den Alltagsgegenständen ver-
schwinden und aufgehen. Das ist das Internet der Dinge,
von dem so viel die Rede ist. Wir sind also in einer Ent-
wicklung, in der Internetunternehmer, App-Entwickler
und alle übrigen Unternehmer auf dem Feld der digitalen
Dienstleistungen zu einem neuen Mittelstand werden,
und der Mittelstand war ja immer das Rückgrat Deutsch-
lands. Deshalb geht es darum, dass wir diesen Teil des
Mittelstandes dabei begleiten, damit er gute Entwick-
lungschancen hat. Das geschieht einmal durch Open
Innovation, wie es heutzutage so schön heißt, also durch
den Zugang zu den notwendigen Quellen. Es geht ferner
darum, dass wir junge Unternehmer, ganz besonders
durch den Wirtschaftsminister, fördern, bessere Finan-
zierungsbedingungen entwickeln. So werden wir zum
Beispiel den INVEST-Zuschuss für Wagniskapital von
der Ertragsteuer befreien. Schließlich arbeiten wir an
weiteren Möglichkeiten, wie wir gerade solchen Start-
ups gute Bedingungen in Deutschland geben können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Eine gleichmäßige Entwicklung von Stadt und Land
wird in Zukunft nur möglich sein – wir dürfen nicht ver-
gessen, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung im ländli-
chen Raum lebt –, wenn beide gleichermaßen Zugang
zum schnellen Internet haben. Es geht hier nicht nur um
Teilhabe an den wirtschaftlichen Möglichkeiten; es geht
um Teilhabe an Bildung und vielen anderen Dingen, um
gleichwertige Lebensbedingungen im weiteren Sinn.
Deshalb konkretisieren wir jetzt Schritt für Schritt unser
Ziel, den Breitbandhochgeschwindigkeitsausbau voran-
zubringen, sodass das Ziel, 2018 eine flächendeckende
Breitbandversorgung mit Geschwindigkeiten von min-
destens 50 Megabit pro Sekunde, erreicht werden kann.

Wir wollen die Dinge voranbringen. Deshalb hat
Bundesminister Dobrindt eine „Netzallianz Digitales
Deutschland“ gegründet, in der die einzelnen Schritte
festgelegt werden. Neben dem Aufbau der Infrastruktur
geht es in Zukunft auch und ganz besonders – das wird
uns sehr herausfordern, die wir damit beschäftigt sind,
Sicherheit auf der einen Seite und Zukunftsfähigkeit auf
der anderen Seite gleichermaßen zu vereinen – um das
Management von riesigen Datenmengen; denn Big Data
wird der Ausgangspunkt von neuen Wertschöpfungsket-
ten sein. Wer daran nicht teilnimmt, weil er schon Furcht
hat, bevor das Wort gefallen ist, wird nicht zu diesen
Wertschöpfungsketten vorstoßen. Deshalb werden wir
zwei Big-Data-Kompetenzzentren in Berlin und in Dres-
den einrichten und damit Erfahrungen sammeln, wie
Wertschöpfungsketten der Zukunft möglich gemacht
werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, der Innenminister Thomas
de Maizière hat zu Recht davon gesprochen, dass wir
eine Debatte um einen neuen digitalen Ordnungsrahmen
führen müssen. Die Grundsatzfrage lautet hierbei immer
wieder: Wie können wir Freiheit und Sicherheit im Netz
in Einklang bringen? Deshalb arbeitet die Bundesregie-
rung unter Federführung des Innenministeriums gerade
am ersten IT-Sicherheitsgesetz. Es wird einen besonde-
ren Schwerpunkt auf die Sicherung unserer Infrastruktur
setzen. Wir werden auch die entsprechenden Geschäfts-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

modelle fördern, die dann in der Wirtschaft die Entwick-
lungen möglich machen. Deutschland ist führend in der
Sicherheitstechnik im digitalen Bereich. Das soll weiter
ausgebaut werden: Initiativen wie „IT-Sicherheit in der
Wirtschaft“ und die „Allianz für Cyber-Sicherheit“ wer-
den ausgebaut.

Natürlich kann das alles nicht allein national geregelt
werden. Deshalb brauchen wir einen einheitlichen Da-
tenschutz in Europa. Hierfür steht die Datenschutz-
Grundverordnung. Ihre Verabschiedung ist von überra-
gender Bedeutung; ich habe das hier schon öfter ange-
sprochen. Wir müssen allerdings aufpassen, dass wir un-
seren eigenen Datenschutz dabei nicht schwächen.
Deshalb sind die Verhandlungen nicht ganz einfach.
Aber: Wenn wir die wirtschaftlichen und rechtlichen
Rahmenbedingungen inklusive des Datenschutzes in Eu-
ropa nicht vereinheitlichen, wird der Binnenmarkt in
diesem Bereich nicht zur Entfaltung kommen. Deshalb
ist es eine Angelegenheit, die die 28 Mitgliedstaaten be-
trifft.

Die Weiterentwicklung der Digitalen Agenda muss
nicht nur in Deutschland erfolgen, sondern auch im eu-
ropäischen Maßstab. Unser Ziel muss sein – gerade auch
in der Arbeit der neuen Kommission –, dass wir mit
amerikanischen Digitaldienstleistern genauso wie mit
chinesischen Netzwerkfirmen auf Augenhöhe agieren
können. Die Frage ist dann: Sind wir so gut wie die
anderen, und können wir hier wirklich in Zukunft
Wertschöpfung und Wachstum und Arbeitsplätze für
Deutschland, aber auch für ganz Europa generieren?

Meine Damen und Herren, ein Ende des staatlichen
Schuldenmachens ist – ich sagte es schon – kein Selbst-
zweck, sondern eben Voraussetzung für politische Hand-
lungsmöglichkeiten in der Zukunft.

Das gilt – zweitens – für die Möglichkeit, die Spitzen-
stellung unserer Forschungs- und Wissenschaftsland-
schaft zu erhalten. Sie ist Ergebnis und Erfolg unseres
konsequenten Bekenntnisses zu Bildung und Forschung
in den letzten Jahren. Ich will noch einmal auf Folgendes
hinweisen, weil hier manchmal auch Zerrbilder verwen-
det werden: Seit 2005 sind die Ausgaben für Forschung
und Entwicklung des Bundes um knapp 60 Prozent auf
rund 14,4 Milliarden Euro gestiegen. Es ist noch nie so
viel Geld für Forschung und Bildung in der Bundesrepu-
blik Deutschland seitens des Bundes ausgegeben wor-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir geben nahezu 3 Prozent unseres Bruttoinlands-
produkts für Forschung und Entwicklung aus. Das ist im
Übrigen auch eines der europäischen Vorhaben, das vor
14 Jahren propagiert wurde und heute nur von einer
Minderheit der Länder umgesetzt wird. Das hat etwas
mit Glaubwürdigkeit und im Übrigen auch etwas mit
wirtschaftlicher Stärke zu tun. In dieser Legislatur-
periode allein wird die Bundesregierung noch einmal
9 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Forschung
zur Verfügung stellen, 3 Milliarden Euro davon für For-
schung, etwa für den „Pakt für Forschung und Innova-
tion“ und für die neue Hightech-Strategie, die wir in der
letzten Woche im Kabinett beschlossen haben.

Hier geht es vor allen Dingen um die Vernetzung von
Wissenschaft und Wirtschaft, also um die Anwendung
der Entwicklungsergebnisse. Das genau ist die Stärke
der neuen Hightech-Strategie. Denn wir wollen nicht nur
die Weltmeister im Forschen sein, sondern wir wollen
genauso Weltmeister in den Anwendungen sein. Es gibt
sehr gute Beispiele für solche Erfolge, die sich insbeson-
dere in den Spitzenclustern zeigen. Ich nenne ein Bei-
spiel aus dem Bereich der Medizin: In der Region Rhein-
Neckar entwickelt ein Spitzencluster völlig neue Be-
handlungsansätze und Medikamente in der Krebsfor-
schung für die sogenannte personalisierte Medizin. Ich
habe mir das Krebsforschungszentrum in Heidelberg an-
geschaut. Es ist faszinierend, wie die Individualisierung
der Medizin völlig neue Therapien möglich macht. Ich
könnte viele andere solcher Cluster aufzählen. In ihnen
spielt sich das ab, was Deutschlands Reputation in der
Welt in Forschung und Entwicklung ausmacht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Wichtige ist, dass unsere neue Hightech-Strategie
jetzt alle Ressorts miteinbezieht. Damit haben wir einen
Gesamtansatz für die Bundesregierung.

Beim Thema Bildung will ich noch einmal auf die
625 000 zusätzlichen Studienplätze hinweisen, mitgeför-
dert durch den Bund im Rahmen des Hochschulpaktes
gemeinsam mit den Ländern. Allein 2015 stehen dafür
2 Milliarden Euro zur Verfügung. Und wir haben einen
historischen Schritt gemacht, gemeinsam mit den Län-
dern – ich meine, beim Thema Bildung können nur ge-
meinsam mit den Ländern Lösungen gefunden werden,
beim Thema Forschung im Übrigen auch –, indem wir
jetzt die Übernahme der Kosten des BAföG für Schüler
und Studierende durch den Bund zu 100 Prozent verein-
bart haben, wodurch wir weitere gesamtstaatliche Ver-
antwortung für die Bildung übernehmen. Wir haben
auch die Weichen für die BAföG-Erhöhungen in den
nächsten Jahren gestellt. Und wir werden den
Artikel 91 b des Grundgesetzes ändern, damit er eine
sehr viel bessere Kooperation von universitären und
nichtuniversitären Forschungseinrichtungen möglich
macht – etwas, das in anderen Ländern gang und gäbe
ist, die die föderalistischen Herausforderungen nicht
kennen –, wodurch wir zur Weltspitze aufsteigen kön-
nen.

Wir werden den Ausbildungspakt weiterentwickeln
und auch den Integrationsgipfel in diesem Jahr auf das
Thema Berufsausbildung ausrichten. Hier, muss ich sa-
gen, sind wir schon in eine Lage gekommen: So erfreu-
lich die Förderung neuer Studienplätze ist, so sehr müs-
sen wir jetzt schauen, dass wir, wenn zum ersten Mal
weniger junge Leute in die Berufsausbildung gehen als
ein Hochschulstudium aufnehmen, die zweite Säule un-
serer Berufsausbildung nicht aus dem Blick verlieren,
und werden deshalb die berufliche Ausbildung weiter
stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Wenn immer noch ein viel zu hoher Prozentsatz von
Studienanfängern keinen Studienabschluss macht, dann
zeigt dies natürlich, dass die Verbindung von beruflicher
Bildung und universitärem System ebenso wichtig für
die Durchlässigkeit ist; denn wer gar keine Ausbildung
hat, ist später gefährdet, von Arbeitslosigkeit betroffen
zu sein.

Meine Damen und Herren, solides Haushalten ist
– drittens – Voraussetzung für die Erneuerung unserer
Infrastruktur. Wir sind uns alle einig: Eine gute Infra-
struktur ist von herausragender Bedeutung für die Zu-
kunft unseres Landes. Das gilt für die Energienetze im
Zusammenhang mit der Energiewende, die wir in den
vergangenen Beratungen breit diskutiert haben. Das gilt
für die Datenübertragung und die Digitalisierung; dazu
habe ich etwas gesagt. Und das gilt natürlich für unser
Netz an Straßen, Brücken, Schienen und Wasserwegen.
Bei allem Bedarf – das will ich vorwegsagen –, den ich
sehe, den alle sehen, muss man sagen, dass Deutschland
immer noch eines der besten Verkehrsnetze weltweit hat


(Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


und dass das weiter ein starkes wirtschaftliches Pfund
unseres Landes ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hinzu kommt, dass wir im Koalitionsvertrag für die
laufende Legislaturperiode 5 Milliarden Euro mehr für
den Erhalt und die Modernisierung unserer Verkehrs-
wege vereinbart haben, in diesem Jahr allein 1,1 Milliar-
den Euro. Die Verkehrsinvestitionen steigen im kom-
menden Jahr auf rund 11 Milliarden Euro. Zusätzliche
Mittel brauchen wir. Sie sollen einmal aus der Weiterent-
wicklung der Lkw-Maut gewonnen werden. Auch die
Einführung einer Pkw-Maut gehört dazu, und das Kon-
zept des Verkehrsministers Dobrindt wird derzeit mit
den Ressorts und der Kommission diskutiert und abge-
stimmt, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind gespannt!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Ende des staatli-
chen Schuldenmachens ist – viertens – Voraussetzung
für die Bewältigung des demografischen Wandels und
den Erhalt der sozialen Sicherheit, den die Menschen
von uns im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft erwar-
ten. Das gilt für das Rentensystem, das Gesundheitssys-
tem, aber auch und gerade für den Bereich der Pflege.
Wir wissen, wir werden in Zukunft mehr ältere Men-
schen und damit auch mehr Pflegebedürftige haben. Das
bedeutet völlig neue Herausforderungen für Familien auf
der einen Seite, in denen dauerhaft Menschen füreinan-
der Verantwortung übernehmen; das bedeutet auf der an-
deren Seite aber auch neue Herausforderungen für un-
sere Gesellschaft. Die Bundesregierung stellt sich genau
diesen Herausforderungen. Es gibt ja nahezu keine Fa-
milie in Deutschland, die nicht direkt oder indirekt von
dem Thema der Pflegebedürftigkeit berührt wird. Des-
halb ist es ein zutiefst menschliches Thema, das in unse-
rer Gesellschaft gut bewältigt werden muss.

Wir haben die erste Lesung des Pflegestärkungsgeset-
zes gehabt. Hier geht es um die Weiterentwicklung der
Pflege ab 1. Januar. Der Grundsatz heißt: Eine men-
schenwürdige Pflege muss für alle Menschen, die sie be-
nötigen, auch in Zukunft bezahlbar bleiben. Das muss
für Betreute in Pflegeheimen genauso gelten wie für Be-
treute in Familien.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb haben wir uns entschlossen – ich glaube, das
war richtig –, den Beitragssatz leicht anzuheben. Da-
durch werden die Geldleistungen erhöht, und sie können
künftig auch flexibler in Anspruch genommen werden.
Wir wollen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der
Familienpflegezeit vereinfachen. Dadurch erhalten Fa-
milien, die zu Hause Angehörige pflegen, mehr Unter-
stützung. Daran wird zwischen den Ressorts gerade ge-
arbeitet. Die Zahl der Betreuungskräfte in Pflegeheimen
wird erhöht. Das bedeutet, dass nicht nur für an Demenz
erkrankte Heimbewohner zusätzliche Betreuungskräfte
zur Verfügung stehen, sondern für alle Heimbewohner.
Das ist eine Entlastung für die Pflegefachkräfte und da-
mit eine Verbesserung der Situation.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine menschliche
Gesellschaft misst sich auch an ihrem Umgang mit den
Schwächsten, mit denen, die unsere Hilfe und Unterstüt-
zung brauchen. Das betrifft Menschen, die vor existen-
zieller Not fliehen. Viele von ihnen suchen Schutz in
Europa, nicht wenige auch in Deutschland. Deshalb ist
es ganz wichtig, dass wir behutsam und sehr verantwor-
tungsvoll mit dieser Situation umgehen.


(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


In diesem Jahr ist die Zahl der Flüchtlinge und Ver-
triebenen weltweit so hoch wie seit dem Zweiten Welt-
krieg nicht mehr. Das ist eine riesige Herausforderung.
Wir Deutschen wissen aus unserer Geschichte, wie viel
Leid mit Flucht und Vertreibung verbunden ist, und des-
halb nehmen wir unsere Verantwortung wahr. Innerhalb
der Europäischen Union nimmt Deutschland mit großem
Abstand die meisten Asylbewerber auf. Das waren im
Jahr 2013 127 000, und in diesem Jahr werden es vo-
raussichtlich etwa 200 000 sein. Damit leistet Deutsch-
land einen wichtigen Beitrag, auch hinsichtlich der Auf-
nahme von Flüchtlingen aus Krisenregionen.

Die steigende Zahl der Asylbewerber in Deutschland
stellt natürlich Bund, Länder und Gemeinden vor He-
rausforderungen bei der Bearbeitung von Asylanträgen
wie auch bei der Unterbringung und Versorgung. Des-
halb überlegen wir als Bundesregierung gemeinsam mit
Ländern und Kommunen, wie wir bei der Planung und
Errichtung von Unterkünften rascher zum Ziel kommen.
Hier hat die Bundeswehr einen Beitrag zu leisten, und
sie leistet ihn auch. Sie bemüht sich, nicht mehr benö-
tigte Liegenschaften oder Teilflächen umgehend an die
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zurückzugeben.
Dadurch können besonders betroffene Landkreise unter-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

stützt werden. Da engagieren wir uns wirklich mit voller
Kraft.

Wir müssen aber auch, wie im Koalitionsvertrag ver-
einbart, die Bearbeitungsdauer bei den Asylverfahren
weiter verkürzen, sowohl im Interesse der Schutzsu-
chenden als auch im Interesse der betroffenen Kommu-
nen. Der Bundestag hat im Haushalt 2014 – ich will da-
ran noch einmal erinnern – 300 neue Stellen für das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bewilligt. Da-
durch konnte im ersten Halbjahr die Zahl der Asylent-
scheidungen immerhin verdoppelt werden. Angesichts
der stark steigenden Asylzahlen brauchen wir natürlich
eine weitere Verbesserung; das ist gar keine Frage. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich will dies zum Anlass
nehmen, denen, die diese Asylverfahren bearbeiten, ein
herzliches Dankeschön zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine wirklich anspruchsvolle, schwierige Arbeit.
Ich habe größte Hochachtung davor.

In diesem Zusammenhang lautet eine wichtige Frage:
Wie stufen wir bestimmte Länder ein? Sie wissen, dass
die Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-
Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten von uns im
Bundestag beschlossen wurde. Ich will noch einmal sa-
gen, wie die Lage ist: Wir stehen angesichts der Flücht-
linge aus Syrien und vielleicht auch der Flüchtlinge aus
dem Irak vor drängenden Herausforderungen. Wir müs-
sen überlegen: Wie können wir denen, die am meisten
Hilfe brauchen, wirklich helfen? 20 Prozent der bisher in
2014 gestellten Asylanträge wurden von Angehörigen
dieser drei Staaten gestellt. 1 Prozent dieser Anträge
wird genehmigt. Deshalb sind wir in Gesprächen, wie
wir auch im Bundesrat eine Zustimmung für die Einstu-
fung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten bekom-
men können, weil uns das die Möglichkeit gibt, bei
weiterhin rechtsstaatlichen Asylverfahren für alle, denen
mehr zu helfen, die dringend unsere Hilfe brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ende August haben wir Änderungen im Asylbewer-
berleistungsgesetz beschlossen, die auch zu einer Entlas-
tung der Kommunen führen werden. Damit haben wir
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt.
Wir brauchen natürlich auch eine europäische Asylpoli-
tik. Auf europäischer Ebene müssen die Lösungen ge-
meinsam gefunden werden. Dazu gehört, dass sich alle
EU-Mitgliedstaaten gegenseitig unterstützen, aber sich
nicht gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Das ist
ein Unterschied. Deshalb wünsche ich unserem Innen-
minister Thomas de Maizière sehr viel Erfolg bei diesen
Gesprächen und begrüße, dass gemeinsam mit den Kol-
legen aus Frankreich, Großbritannien und Polen hier
eine gemeinsame Initiative gestartet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn wir in diesen Tagen und gerade in dieser Woche
über unsere nationalen Herausforderungen beraten, so
tun wir dies in einem stark veränderten internationalen
Umfeld. Als wir im vergangenen Jahr die Schwerpunkte
der Arbeit unserer Großen Koalition verabredet haben,
haben wir überlegt, wie wir das Gedenkjahr 2014 gestal-
ten können, das Gedenken an den Beginn des Ersten
Weltkriegs vor 100 Jahren, an den Beginn des Zweiten
Weltkriegs vor 75 Jahren und die Feiern zum Mauerfall
vor 25 Jahren. Wie selbstverständlich erschien es uns da,
dass die Völker in Europa im 21. Jahrhundert selbst ent-
scheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen, dass ihre
territoriale Integrität geschützt ist und die Verabredun-
gen über unsere europäische Sicherheitsarchitektur ein-
gehalten werden. Wie anders verläuft jetzt das Jahr
2014!

Aus dem Wunsch der Ukraine, ein Assoziierungs-
und Freihandelsabkommen mit der EU zu unterzeich-
nen, ist ein tiefgreifender Konflikt mit Russland entstan-
den. Annexion der Krim, Unterstützung der Separatisten
in Donezk und Luhansk durch Russland und aktives Ein-
greifen durch russische Soldaten und Waffenlieferungen
sind nur drei Stichpunkte dieser Entwicklung. Ange-
sichts dieses akuten Konflikts sind wir vor die Frage ge-
stellt: Was haben wir aus der Geschichte gelernt? Was
sind unsere Antworten in solchen Konfliktfällen heute?
Vier Prinzipien leiten dabei unser Handeln: Erstens. Der
Konflikt ist nicht militärisch zu lösen. Zweitens. Die
28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Ver-
einigten Staaten von Amerika finden gemeinsame Ant-
worten. Drittens. Die Verletzung der territorialen Integri-
tät eines Landes und seine Destabilisierung nehmen wir
nicht hin; deshalb verhängen wir Wirtschaftssanktionen.
Viertens. Gleichzeitig arbeiten wir fortwährend für eine
diplomatische Lösung des Konflikts. Die Tür zu Ver-
handlungen ist und bleibt offen.

In diesen Tagen gilt es, den Zwölf-Punkte-Plan der
Präsidenten der Ukraine und Russlands umzusetzen.
Waffenstillstand und Freilassung von Gefangenen sind
hierbei nur zwei Elemente von zwölf Punkten. Vor allem
geht es um eine dauerhafte Überwachung des Waffen-
stillstands durch die OSZE, den Abzug russischer Solda-
ten und der Waffen aus der Region sowie die freie Ent-
scheidung der Menschen in Donezk und Luhansk über
ihren zukünftigen Status. Das alles gehört zusammen.

Neue Sanktionen wurden durch die Europäische Union
beschlossen. Jetzt geht es um die Veröffentlichung und da-
mit um das Inkrafttreten. Ich will für die Bundesregierung
sagen: Angesichts der gegebenen Lage, die sicherlich eine
Verbesserung im Zusammenhang mit den militärischen
Aktivitäten mit sich bringt – es ist keine hundertprozen-
tige Waffenruhe, aber immerhin eine Verbesserung; eine
Unklarheit über die Erfüllung vieler der anderen von mir
genannten Punkte besteht dennoch –, treten wir dafür
ein, dass jetzt eine Veröffentlichung dieser Sanktionen
erfolgt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hoffe, dass hierüber bald entschieden wird. Ich füge
hinzu: Wenn die zwölf Punkte wirklich substanziell er-
füllt werden, werden wir die Ersten sein, die die neuen
Sanktionen wieder aufheben; denn sie sind kein Selbst-
zweck, sondern werden immer nur verhängt, wenn sie
unvermeidlich sind.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist vollkommen klar: Wir unterstützen eine
Ukraine, die in Frieden und eigener Selbstbestimmung
über ihr eigenes Schicksal entscheiden kann, im Übrigen
in guter Nachbarschaft mit Russland. Für uns sind gute
Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der
Ukraine sowie zwischen Russland und der Ukraine keine
Frage eines Entweder-oder – ich habe das im November
vergangenen Jahres hier gesagt –, sondern ein Sowohl-
als-auch. Dafür arbeiten wir. Ich weiß sehr wohl, dass
der Weg zur Überwindung dieser Krise lang und steinig
ist. Wir werden auch Rückschläge erleben. Wir brauchen
einen langen Atem. Aber ich bin zutiefst überzeugt: So
hart die gegenwärtige Situation auch ist, am Ende wird
sich die Stärke des Rechts durchsetzen. Das sollte uns
ermutigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich war die Lage in der Ukraine auch Thema
auf dem NATO-Gipfel in Wales in der letzten Woche. Im
Sinne unserer Bündnisverpflichtungen gemäß Artikel 5
des NATO-Vertrages wurde dort einmütig der soge-
nannte Readiness Action Plan beschlossen. Ziel ist eine
deutliche Erhöhung der Reaktions- und Verteidigungsfä-
higkeit des Bündnisses als sichtbarer Ausdruck unserer
Solidarität gerade mit unseren baltischen und osteuropäi-
schen Bündnispartnern.

Deutschland leistet dazu einen Beitrag. Wir erhöhen
unseren Bereitschaftsgrad und die Fähigkeiten, indem wir
das Multinationale Korps Nordost in Stettin stärken – ein
gemeinsamer deutsch-dänisch-polnischer Vorschlag. Es
entspricht unserer Philosophie, dass wir planerisch, lo-
gistisch und durch Übungen die Voraussetzungen für
eine rasche Verlegung größerer Verbände schaffen und
dafür eine Fähigkeit zur regionalen Kooperation mit un-
seren Partnern aufbauen.

Aber es war uns wichtig, dass sich diese Beschlüsse
des Gipfels im Rahmen unserer euro-atlantischen Si-
cherheitsarchitektur bewegen, also auch der NATO-
Russland-Grundakte. Die Prinzipien der NATO-Russ-
land-Grundakte, die Sicherheit des euro-atlantischen
Raums auf Basis demokratischer Prinzipien und koope-
rativer Sicherheit, sind nach wie vor grundlegend. Wir
hoffen, dass sie eines Tages alle wieder eingehalten wer-
den.

Meine Damen und Herren, zeitgleich mit dem
Ukraine-Konflikt in Europa mussten wir uns in Wales
mit den dramatischen Konflikten in Syrien und im Irak
auseinandersetzen. Der Bürgerkrieg in Syrien hat bislang
nicht nur fast 200 000 Menschen das Leben gekostet und
Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht, die Län-
der wie Jordanien und Libanon zu destabilisieren dro-
hen, sondern hat auch eine Terrororganisation entstehen
lassen, die eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung für die
gesamte Region und darüber hinaus darstellt: die Terror-
miliz IS. Der Kampf gegen IS erfordert ein entschlosse-
nes und ein geschlossenes Vorgehen aller, die sich gegen
die Unterdrückung Andersdenkender und gegen die bar-
barische Vernichtung von Minderheiten auflehnen. Es
besteht kein Zweifel: Christen, Jesiden, Turkmenen und
andere Minderheiten im Irak stehen vor einer existen-
ziellen Bedrohung. Deshalb ist es richtig, wenn sich ein
Bündnis möglichst vieler Staaten dem IS entgegenstellt.

Wir haben in der vergangenen Woche über die Bei-
träge Deutschlands debattiert. Die Bundesregierung hat
sich entschieden, umfassende Hilfe zu leisten. Wir wol-
len in erster Linie helfen, die Not der Menschen zu lin-
dern, die zu Tausenden vor dem Terror geflohen sind.
Wir haben dafür bisher rund 50 Millionen Euro bereitge-
stellt. 180 Tonnen Hilfsgüter wurden bereits für die Ver-
sorgung von Flüchtlingen in den Nordirak geliefert. Wir
werden dies fortsetzen und dabei helfen, dass die Notlei-
denden auch den nahenden Winter vernünftig überstehen
können.

Wir haben außerdem entschieden, die Sicherheits-
kräfte der kurdischen Regionalregierung mit Rüstungs-
gütern zu unterstützen. Sie kämpfen mit knappsten Res-
sourcen gemeinsam mit irakischen Sicherheitskräften
und flankiert von den USA gegen skrupellose und hochbe-
waffnete IS-Terroristen. Eine erste Lieferung mit Schutz-
westen, Helmen, Funkgeräten und Minenräumausrüs-
tung nach Arbil ist erfolgt, und noch im Laufe des
Monats sollen weitere Rüstungsgüter geliefert werden.
Dafür haben wir die ausdrückliche Einwilligung der ira-
kischen Zentralregierung und stimmen uns engstens mit
internationalen Partnern ab.

Auch die Bekämpfung des IS wird nicht von heute
auf morgen gelingen; sie wird einen längeren Zeitraum
in Anspruch nehmen. Aber auch dieser Kampf wird am
Ende erfolgreich sein, weil er in neuen Bündnissen der
Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen
Union und vieler Partner im arabischen Raum erfolgt.
Wir alle, Menschen jedweden Glaubens, bieten den
Extremisten und Islamisten gemeinsam die Stirn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei möchte ich noch einmal betonen: Die Terrorge-
fahr militärisch abzuwehren, ist absolut erforderlich.
Aber auch hier gilt: Dauerhafte Stabilität kann nur mit
einer politischen Lösung gelingen. Dazu ist die Vereidi-
gung der neuen inklusiven Regierung im Irak am
Montag ein erster wichtiger Schritt in eine richtige Rich-
tung. Nun kommt es darauf an – Deutschland wird dabei
nach seinen Kräften Unterstützung leisten –, dass die
Regierung endlich wirklich alle Bevölkerungsgruppen
einbindet; denn nur so wird es zu einer politischen Lö-
sung kommen und das Land stabilisiert werden.

Meine Damen und Herren, wir erleben in diesen Ta-
gen einmal mehr, dass jede Generation den Auftrag hat,
stets aufs Neue für ein freiheitliches und friedliches Zu-
sammenleben der Menschen in Europa und in der Welt
einzutreten. Wir erleben einmal mehr, welch große He-
rausforderungen auch wir heute dafür zu bewältigen ha-
ben.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Vorhin haben wir bewegende Worte des polnischen
Präsidenten Bronislaw Komorowski gehört. Es ist gar
nicht hoch genug einzuschätzen, dass mit ihm ein polni-
scher Staatspräsident aus Anlass des vor 75 Jahren mit
dem Überfall auf Polen von Deutschland entfesselten
Zweiten Weltkriegs hier im Deutschen Bundestag zu uns
gesprochen hat. Er hat uns damit eine große Ehre erwie-
sen. Ich möchte ihm dafür auch ganz persönlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Bewegend waren seine Worte auch deshalb, weil deut-
lich geworden ist, dass tiefe, weitreichende Veränderun-
gen zum Guten möglich sind, wenn wir bereit sind, aus
der Geschichte zu lernen. Denn das ist doch die epochale
Leistung der europäischen Nationen: Versöhnung und
darauf aufbauend die europäische Einigung. Trotz
Schuldenkrise, trotz anderer ernstzunehmender Pro-
bleme dürfen wir nie vergessen, wie wertvoll, wie schüt-
zenswert das europäische Modell des Friedens, der Ver-
söhnung und der Freiheit ist.

Die Europäische Union ist zuallererst eine Wertege-
meinschaft. Wir haben uns Regeln des Miteinanders ge-
geben, und wir gehen fair miteinander um – in Frieden
und Freiheit und zum Nutzen jedes einzelnen Bürgers.
Sie zu schützen und zu stärken ist, so glaube ich, jede
Anstrengung wert.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805000600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-

Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
noch vor zwei Jahren haben wir mit den Ukrainern die
Fußballeuropameisterschaft bejubelt; heute herrscht dort
Krieg. Vor knapp sieben Monaten haben Menschen auf
dem Maidan ihren Protest gegen ein autokratisches Re-
gime begonnen. Sie haben es mit dem Leben bezahlt.
3 000 Menschen sind gestorben. Über 1 Million Men-
schen sind inzwischen auf der Flucht. Putin hat die Krim
besetzt und die Ostukraine, und er stellt damit Europas
Werte knallhart auf die Probe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Deshalb ist es gut, dass die EU stärkere Sanktionen be-
schlossen hat. Wir wollen, dass sie jetzt auch greifen.
Der Waffenstillstand ist brüchig. Herr Putin sollte wis-
sen: Die Sanktionen werden nur aufgehoben, wenn er et-
was tut, und nicht, wenn er etwas ankündigt. Dafür sind
die Sanktionen da, und dafür sind sie gut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist richtig, dass die NATO am Freitag klargemacht
hat: Wir werden Putins neuen Imperialismus nicht ein-
fach hinnehmen. Sanktionspolitik und militärische
Anstrengungen wirken aber nur dann, wenn sie nicht an-
derweitig untergraben werden. Dass der Verkauf des Ge-
fechtszentrums von Rheinmetall an Russland widerrufen
wurde, ist richtig und zeigt, dass diese Geschäfte um-
kehrbar sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Das muss auch für alle anderen Rüstungsexporte nach
Russland gelten.

Energiepolitik ist Sicherheitspolitik. Umso unver-
ständlicher ist es für mich, dass derselbe Wirtschafts-
minister, der sich so stark zu den Rüstungsexporten äu-
ßert, auf der anderen Seite keinerlei Bedenken hat, wenn
Wingas seine Gasspeicher an Gazprom verteilt. Unser
Ziel in der Energiefrage muss doch mehr Unabhängig-
keit sein, meine Damen und Herren, und nicht mehr Ab-
hängigkeit von Russland; darum geht es.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Wer in diesem Zusammenhang wieder die Leier ab-
spielt, es sei nötig, die Verteidigungsausgaben zu erhö-
hen, der sei darauf hingewiesen: Unser Beitrag zur
NATO beträgt 35 Milliarden Euro; damit liegen wir an
zweiter Stelle. Hier fehlt es nicht an Geld. Hier könnte
definitiv zurückgeschraubt werden bei der Kalter-Krieg-
Rhetorik und der Symbolik des Generalsekretärs – das
ganz bestimmt. Die unbequeme Wahrheit ist: Die aktuell
laufenden Rüstungsprojekte in Deutschland sind seit
Vertragsabschluss um 4,3 Milliarden Euro teurer gewor-
den, und sie haben alles in allem 1 400 Monate Verspä-
tung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hatten einmal angekündigt, die Bundeswehrreform
würde zu Einsparungen führen. Aufstockungen und Ver-
teuerungen sind das Gegenteil.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In den letzten Wochen und Monaten wurde viel da-
rüber geredet, Deutschland solle mehr Verantwortung in
der Welt übernehmen. In der vergangenen Woche haben
wir hier im Parlament über die Lieferung von Waffen
diskutiert. Ich bin sehr froh, dass wir diese Debatte ange-
regt haben; denn eine Lieferung von Waffen ist nun
wirklich kein Verwaltungshandeln. Jetzt ist Deutschland
Teil einer Koalition gegen ISIS. Frau Bundeskanzlerin,
ich frage Sie – auch nach Ihrer Rede jetzt –: Was genau
soll eigentlich die deutsche Rolle sein? Wie sollen die
regionalen Akteure beteiligt werden? Nein, mit Waffen-
lieferungen und mit humanitärer Hilfe haben wir noch
längst nicht alles getan. Sich für eine politische Lösung
einzusetzen, heißt mehr. Das heißt, über Konzepte zu re-
den, und zwar auch in der Öffentlichkeit, und auch, mit
den europäischen und den NATO-Partnern über friedli-
che, politische Lösungen zu debattieren. Wir befinden
uns nämlich in einer neuen Phase, und die wird schwer





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

und anstrengend werden. Ich verlange von Ihnen, dass
Sie hier, in aller Öffentlichkeit, darüber sprechen, wie
Sie sich vorstellen, wie dieser Konflikt befriedet werden
kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es mag kleinteilig klingen; aber ich sage Ihnen trotz-
dem: Es ärgert mich, dass Waffen im Wert von 70 Mil-
lionen Euro geliefert wurden, während für humanitäre
Hilfe nur 50 Millionen Euro ausgegeben wurden. Das ist
ein Ungleichgewicht, das uns nicht ansteht. Wir akzep-
tieren das nicht, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir auch nicht, weil es anders kommt!)


– Wenn es anders kommt, Herr Kauder, dann sind wir
gerne dabei; aber der Vorschlag, den Sie gemacht haben,
beinhaltete dieses Ungleichgewicht. Ich finde, das zeigt
auch, dass die Aufmerksamkeit auf dem falschen Punkt
lag. Das finde ich mehr als bedauerlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, vor genau 25 Jahren
wurde das Neue Forum gegründet. Menschen ganz un-
terschiedlicher Herkunft und Biografie und mit ganz un-
terschiedlichen politischen Vorstellungen wurden durch
die Überzeugung verbunden, dass die Diktatur überwun-
den werden muss. Die Bürgerinnen und Bürger in der
DDR haben sich ihre Freiheit mit friedlichen Mitteln er-
obert, und nicht nur die in der DDR. Ich bin sehr froh,
dass wir heute gesehen haben, dass es nicht nur in
Deutschland eine friedliche Revolution gab, sondern
dass es eine osteuropäische Friedensbewegung war. Das
war eine gewaltige Leistung. Ich glaube, wir verstehen
erst heute, dass die Friedfertigkeit dieser Revolution
keine Selbstverständlichkeit war. Sie war vielmehr eine
Anstrengung und ein großes Geschenk.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Bundeskanzlerin, Sie und ich, wir beide haben
diesen Umbruch erlebt, wenn auch sicherlich ganz unter-
schiedlich; aber wir haben dabei erlebt: Demokratie lebt
von der Debatte und entsteht im Wettstreit von Meinun-
gen. Es ist nichts Schlechtes dabei, um Positionen zu rin-
gen. Es ist auch nichts Schlechtes dabei, sich zu korrigie-
ren. Das ist das Wesen von Demokratie. Es geht um den
friedlichen Wettstreit der Meinungen. Über den Kontrast
und die Alternativen, über die wir reden müssen, werden
die Bürgerinnen und Bürger in Wahlen entscheiden. Es
ist eben nichts alternativlos, und es ist bitter, anzusehen,
wie Sie es zulassen, dass jene Kräfte stärker und stärker
werden, die sich von rechts als Alternative für Deutsch-
land darstellen. Wir brauchen diese Auseinandersetzung,
und dazu gehört es, dass man sagt, was man will, und
dass man klarmacht, was man nicht will. Diese Alterna-
tive wollen wir jedenfalls nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie haben hier eine überwältigende Mehrheit, und
noch stehen wir wirtschaftlich gut da. Warum nutzen Sie
diese Chance nicht – wir leben in einem Land, das vor
gewaltigen Integrationsanstrengungen steht; Sie haben
darüber gesprochen – für eine Debatte über die Zukunft
unseres Landes in Europa und in einer Welt der Krisen?
Meine Damen und Herren, uns geht es heute gut. Jetzt
wäre der Moment, an den Fundamenten für die Zukunft
zu bauen. Doch die Bundesregierung deckt auf der einen
Seite den Mantel des internationalen Krisenmanage-
ments über die innenpolitischen Notwendigkeiten, und
auf der anderen Seite gibt es Trippelschritte. Die Ge-
schenke sind verteilt, die Luft ist raus. Es gibt Streit um
die Maut, in der Wirtschaftspolitik verfallen Sie nur
noch ins Klein-Klein, und es erfolgt Dienst nach Vor-
schrift. Sie nähern sich schon fast – jedenfalls fällt mir
das auf – dem Niveau der schwarz-gelben Bundesregie-
rung.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Schon beschimpft man sich gegenseitig mit „Kleingeis-
ter“, „Rumpelstilzchen“ und „Pipifax“. Herr Seehofer
hat gerade das Ende der „Schonzeit“ angekündigt. Ich
bin keine Jägerin; aber die Schatten der Wildsäue sind
anscheinend nicht weit. Viel Erfolg bei der Treibjagd mit
der CSU!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland lebt von der Substanz; das sieht jeder. Es
bröckelt dahin: kaputte Schulen, Universitäten, in denen
es von der Decke tropft, Schwimmhallen und Bibliothe-
ken, die schließen, Sportplätze, auf denen das Gras auf
der Tartanbahn wächst,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Alles in kommunaler Verantwortung!)


Straßen, auf denen jede Achse bricht, und Brücken, de-
ren Pfeiler bröseln. Was macht der Finanzminister? Der
Finanzminister schuldet um. Herr Schäuble, Sie holen
sich das Geld heute nicht mehr von den Banken, Sie ho-
len es sich von den Krankenkassen und der Rentenversi-
cherung.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ach! Wo denn?)


Sie holen es sich auf Kosten der Zukunft und der Investi-
tionen, die Sie nicht tätigen. Diese Politik ist falsch und
zukunftsvergessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Bundeskanzlerin, das hat auch nichts mit Gene-
rationengerechtigkeit zu tun. Das ist das Gegenteil da-
von. Welches Land und welchen Planeten überlassen wir
eigentlich den kommenden Generationen? Dass Sie
keine Schulden mehr bei den Banken machen, ist doch
nicht entscheidend. Dass die Sozialsysteme funktionie-
ren, dass die Infrastruktur in Ordnung ist, dass wir in
Bildung investieren, das gehört dazu, und das verlange
ich von Ihnen als einer verantwortungsvollen Regierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Sie haben 111 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Das
sind 111 Milliarden Euro, die Sie nicht sparen. Das sind
111 Milliarden Euro, die Sie nicht investieren. Das sind
111 Milliarden Euro, die Sie verbraten. Ihre ganze Bi-
lanz basiert auf einer Wette auf eine gute Konjunktur.
Bleibt sie gut, dann verschulden Sie sich nur bei den So-
zialkassen; wird sie aber schlecht, dann werden Sie wie-
der Geld bei den Banken aufnehmen. Ehrlich gesagt: Die
schwäbische Hausfrau, der ehrbare Kaufmann aus Ham-
burg, aber auch der junge Start-up-Unternehmer in Thü-
ringen, der Risikokapital braucht, reiben sich die Augen,
wenn sie an so viel wirtschaftliche Unvernunft und eine
so kurzsichtige Wirtschaftspolitik denken. Ich finde, die
Menschen in Deutschland, denen es jetzt noch gut geht,
haben eine Regierung verdient, die auch einmal über den
Tag hinausschaut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, Deutschland braucht Ideen, Innovationen und In-
vestitionen. Sie haben heute lange über die Herausforde-
rungen der digitalen Welt gesprochen. Es war ein bisschen
mühsam, zuzuhören und zu verstehen, über welchen Be-
reich Sie eigentlich gerade geredet haben, weil Sie im-
mer davon gesprochen haben, dass man das so und so
sagt und meint. Ehrlich gesagt: Wenn man sich Ihre digi-
tale Agenda anschaut, Frau Merkel, Herr Dobrindt, dann
hat man nicht den Eindruck, dass Sie an einer ganz gro-
ßen Sache für die Zukunft arbeiten. Es erscheint eher
wie Copy-and-Paste von ein paar Textbausteinen, die Sie
zusammengesucht haben. Sie haben noch nicht einmal
das verwendet, was die Enquete-Kommission des Deut-
schen Bundestages in der letzten Legislaturperiode erar-
beitet hat. Damit wären Sie aber drei Schritte weiter ge-
wesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihre digitale Agenda ist nichts weiter als eine müde und
lahme Eintagsfliege. Sie müssen endlich in den Ausbau
des Breitbandnetzes für die mittelständischen Unterneh-
men im ländlichen Raum, die dies dringend brauchen,
investieren und dürfen dies nicht immer weiter nach hin-
ten verschieben. Diese wirtschaftlichen Investitionen
werden wirklich gebraucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig bröckeln die Straßen und die Brücken.
Aber das Geld für die Reparatur fehlt wahrlich nicht we-
gen der Maut. Was von der CSU einmal als Watschen für
die Österreicher und Tschechen gedacht war, erweist
sich jetzt als Komplettwatschen für die Bundesregie-
rung. Herrn Dobrindt glühen jetzt schon die Ohren:
rechtlich fragwürdig, finanziell unrentabel und am
Schluss bürokratisch ohne Ende, eine Abzocke der Bür-
ger. Die Maut vernebelt schlicht und ergreifend, dass Ih-
nen ein Plan fehlt, wie Sie die notwendigen Investitionen
in Deutschland angehen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass man nicht repa-
riert, sondern lieber neu baut. Es kann doch nicht ernst-
haft sein, dass man sich Direktmandate in Bayern si-
chert, indem man Bänder zur Eröffnung einer teuren
Umgehungsstraße durchschneidet, statt dafür zu sorgen,
dass die Infrastruktur erhalten bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Merkel, auf sieben fette Jahre sind noch immer
sieben magere Jahre gefolgt. Das steht schon im Buch
Genesis. Dort heißen die mageren Jahre allerdings nicht
einfach „magere Jahre“, sondern „teure Jahre“. Genau so
wird es kommen: Es wird teuer für die Kommunen, es
wird teuer für die Bürgerinnen und Bürger, und es wird
verdammt teuer für die kommende Generation.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nach sieben Jahren Rot-Grün kamen aber fette Jahre! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Zuerst die mageren Jahre!)


Die Politik Ihrer Regierung lässt sich im Moment nur
folgendermaßen zusammenfassen: außen Krise, innen
Maut.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das waren sieben magere Jahre, als ihr regiert habt!)


Ich frage mich: Wann nehmen Sie sich eigentlich die
ganz großen Fragen vor? Sie haben heute über Migration
geredet; dazu komme ich gleich. Wie ist es mit dem Kli-
maschutz? Das ist eine der zentralen Fragen, um die es
geht. Wir wissen nicht erst seit Nicholas Stern, dass es
uns alle teuer zu stehen kommt, wenn wir nicht in den
Klimaschutz investieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem steigt der CO2-Ausstoß in Deutschland. Unser
Land wird die Klimaziele nicht erreichen. Ehrlich ge-
sagt, das ist mir peinlich, wenn ich im Ausland unter-
wegs bin. Wir waren in Sachen Klimaschutz einmal ganz
vorne; wir waren Vorbild.

Dazu passt, dass Sie noch nicht einmal zum Klima-
gipfel reisen werden.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich!)


Wenn sich alle Staats- und Regierungschefs zusammen-
setzen und über Klimaschutz reden, wird der Platz der
deutschen Bundeskanzlerin frei bleiben. Das zeigt, dass
Sie diese zentrale Zukunftsfrage, über die Sie einmal ge-
sagt hatten, sie sei Ihnen wichtig, aus Ihrem Konzept
verbannt haben. Wenn wir auf diesem Gebiet nichts tun,
dann versündigen wir uns an uns selbst. Dann versündi-
gen wir uns an den Menschen, die am anderen Ende der
Welt inzwischen zu Klimaflüchtlingen geworden sind,
und erst recht an unseren Kindern und Kindeskindern.
Deswegen sage ich: Kehren Sie um!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir brauchen endlich ein Klimaschutzgesetz, das die-
sen Namen auch verdient. Aber im Moment verhindert
das die große Kohlekoalition. In Brandenburg kann man
das ganz gut sehen: SPD, CDU und Linke sind vereint in
der großen Kohlekoalition. Das ist Politik nicht des letz-
ten, sondern des vorletzten Jahrhunderts. Kohle ist dre-
ckig und ineffektiv. Zuletzt baggern Sie den Menschen





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

ihre Heimat weg, ihre Dörfer, und zwar ohne Rücksicht
auf Verluste. Ich sage Ihnen ganz klar: Hören Sie mit
dieser rückwärtsgewandten Politik auf! Klimaschutz ist
das nicht und ernsthafte Politik auch nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland ist nicht mehr das Land, das ich 1989
kennengelernt habe. Wir sind ein Einwanderungsland
geworden. Das hat uns gutgetan. Das ist auch keine Ro-
mantik, sondern das Leben in Deutschland: Da ist der
Arzt aus Indien im Landkrankenhaus. Da ist das syrische
Mädchen in der Kindertagesstätte. Da ist die weißrussi-
sche Pflegekraft bei der Großtante. – Diese Entwicklung
wird weitergehen – wir können uns darüber freuen –,
aber uns auch viel abverlangen.

Angesichts der aktuellen Entwicklung will ich hier
vor allem auf die Situation der Flüchtlinge eingehen.
Seit Monaten habe ich keine Nachrichtensendung mehr
gesehen, in der nicht die außenpolitischen Krisen an ers-
ter Stelle standen. Die Welt ist im Wandel, und wir sind
mittendrin. Wir können die Augen nicht mehr davor ver-
schließen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen wir ja auch nicht!)


Es hilft auch nicht, wieder zu betonen, dass wir doch
schon viele Flüchtlinge aufnehmen. Wir können mehr
aufnehmen, wir sollten mehr aufnehmen, und wir müs-
sen auch mehr aufnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Gute in diesem Zusammenhang ist doch, meine
Damen und Herren, dass wir in unserem Land eine hohe
Bereitschaft zu helfen und eine Solidarität gegenüber
Flüchtlingen erleben, wie es sie bisher kaum gegeben
hat. Aber natürlich stellt die angemessene Unterbrin-
gung dieser Menschen Länder und Kommunen vor
große Herausforderungen – ja. Aber wer bitte soll sie
denn bewältigen, wenn nicht ein Land, dem es so gut
geht wie unserem?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die zynische Forderung: „Wer betrügt, der fliegt!“,
zeigt hier ihre ganze Perfidität. Die Menschen haben
Gründe für ihre Flucht, und sie nehmen unendliche Risi-
ken auf sich, um bei uns Schutz zu suchen. Jeder
Mensch, der hierherkommt und Asyl beantragt, hat ein
Recht darauf, dass sein Antrag sorgfältig und im Einzel-
nen geprüft wird. Das Asylrecht ist ein Grundrecht,
meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Verfolgung, die Diskriminierung der Menschen
auf dem Balkan kann und darf nicht leichter wiegen als
die eines Menschen aus einem anderen Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können uns nicht noch einmal schuldig machen an
den Roma dort und an den Sinti und Roma hier. Die Ehr-
lichkeit gebietet es, finde ich, das auch auszusprechen.
Von jemandem, der keine Schule besuchen kann, der
keine Aussicht hat, jemals einen Beruf zu ergreifen, der
Anfeindungen und Gewalt begegnet, und zwar wegen
seiner Herkunft, weil er zu einer bestimmten Gruppe ge-
hört, kann man nicht sagen, dass er in einem sicheren
Land lebt, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Not solcher Menschen gegen die Not anderer auszu-
spielen, ist auch geschichtsvergessen.

Wenn Sie genau hinschauen würden – und zwar ohne
Populismus –, dann würden Sie angesichts der Anzahl
der Menschen, um die es hier geht, sehen, dass es mit-
nichten irgendeine Erleichterung bringen würde, wenn
sie nicht hier wären. Nehmen Sie die Situation der Roma
in den Balkanstaaten endlich ernst, und betrachten Sie
sie als das, was sie oft genug ist: ein Grund zu fliehen,
meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage Ihnen auch: Für die Flüchtlinge, die aus dem
Irak, aus Syrien, aus Afrika kommen, ist es elementar,
dass sie hier arbeiten dürfen. Das ist übrigens auch gut
für die Kommunen und für die Unternehmen. Es wäre
besser, menschlicher und angemessener, wenn Men-
schen, die vor Krieg fliehen mussten, aber gestern noch
ganz normal – so wie wir – gelebt haben, in einer Woh-
nung mit Wohnzimmer und Küche, mit einem kleinen
Auto vor der Tür und zwei Kindern, endlich eine ausrei-
chende, menschenwürdige medizinische Versorgung be-
kämen.

Wo Sie doch so gern von Bürokratieabbau reden: Das
Asylbewerberleistungsgesetz ist und bleibt diskriminie-
rend. Aber es ist auch eine riesige bürokratische Krake.
Sie können in diesem Zusammenhang noch so viele
Leute einstellen – Sie könnten viel mehr erreichen, wenn
dieser Quatsch endlich abgeschafft würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen sage ich Ihnen klar: Legen Sie ein Ver-
handlungsangebot vor, aber keines, mit dem wir die ei-
nen gegen die anderen ausspielen. Wir müssen vielmehr
darüber reden, wie es möglich ist, Flüchtlingen in einem
Land, dem es gut geht, eine Heimat zu geben, weil ihre
verloren ist. Das ging nach dem Zweiten Weltkrieg.
Meine Großmutter konnte davon erzählen. Sie sollten es
nicht riskieren, dass Ihre Enkel irgendwann einmal
Grund zu der Frage haben: Warum habt ihr diesen Men-
schen nicht geholfen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ja, das ist anstrengend. Aber ich biete Ihnen aus-
drücklich an, dass wir diese Anstrengung gemeinsam
tragen, wenn nicht von den Grundsätzen abgewichen
wird, dass das Recht auf Asyl ein Grundrecht ist und es
nicht Flüchtlinge verschiedener Kategorien gibt. Es
muss der Grundsatz gelten, dass alle Flüchtlinge Men-
schen wie du und ich sind, aber in großer Not. Es geht
um Haltung und um Hilfe. Dazu braucht es Geld, und es





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

wird Fantasie brauchen. Hilfsbereitschaft ist schon da,
und ich bin den Menschen außerordentlich dankbar da-
für. Es wird auch Kompromisse brauchen, zum Beispiel
bei der Art der Unterbringung. Was wir aber nicht brau-
chen, ist, dass jetzt wieder der Stammtisch bedient wird,
die extremen Rechten und auch die von der angeblichen
Alternative. Das können wir gemeinsam schaffen, wenn
Sie wirklich wollen, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Natürlich kann man an einem solchen Tag nicht zum
Thema der Bekämpfung des politischen Islamismus
schweigen. Zehn Jahre hat die Bundesregierung vor al-
lem auf eines gesetzt: auf Repression. Strafrechtsver-
schärfung und Überwachung sind aber zu wenig. Das
wissen wir alle.

Es reicht jetzt offensichtlich, dass sich ein paar junge
Männer Warnwesten anziehen, durch die Wuppertaler
Innenstadt ziehen und sich gerade noch so verhalten,
dass es keine Volksverhetzung oder Nötigung ist, und
schon ist Ihr Ansatz ad absurdum geführt. Sie gehen de-
nen doch auf den Leim. Dieser PR-Trick hat wunderbar
funktioniert. Die Moschee der islamistischen Westenträ-
ger aus Wuppertal ist angeblich voll. Das ist die Gefahr.

Sie sind zweifelsfrei mit Ihrer Art gescheitert. Dabei
könnten Sie wissen, wie man Extremismus richtig be-
kämpft: mit Prävention bzw. Vorbeugung. Aber genau
das passiert eben nicht. Was brauchen wir denn? Wir
brauchen Aufklärung an Schulen, vor allem Islamunter-
richt. Wir brauchen auch Beratungsangebote für Fami-
lien. Es ist doch irre, dass den Eltern, die das Verhalten
ihrer Kinder häufig genug missbilligen, nur eine Hotline
beim Verfassungsschutz zur Verfügung steht – also bei
der Institution, die bei der Aufklärung der NSU-Mordse-
rie komplett versagt hat. Professionelle Prävention geht
anders, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Es ist auch ein wirksames Aussteigerprogramm not-
wendig. Von ISIS, seiner einfachen Ideologie und seiner
aufwendigen Medienstrategie geht für eine Minderheit
junger Menschen eine gefährliche Faszination aus, der
man nicht mit Strafandrohungen begegnen kann. Hier
muss die Bundesregierung ansetzen. Aber ich sage ganz
klar: Dazu gehören auch die Verbände und die Gemein-
den. Das wird nicht ohne die Zivilgesellschaft gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Erwartungen an gutes
Leben in unserem Land haben sich geändert. Das gilt be-
sonders dann, wenn es um Gesundheit und um Essen
geht. Deswegen brauchen wir dringend eine andere Stra-
tegie in unserer Landwirtschaft. Eigentlich sind Sie im-
mer gerne die Heimatpartei. Mit Ihrer Landwirtschafts-
politik zerstören Sie die Heimat allerdings.

Sie haben in den vergangenen Jahren versucht, die
deutsche Landwirtschaft komplett auf Industrialisierung
und Export zu drillen, statt auf regionale Strukturen und
die Betriebe zu setzen, die anständig produzieren. Na
klar, ich liebe Thüringer Bratwurst. Aber ich will mir
doch beim Essen nicht vorstellen müssen, dass dem
Schwein der Schwanz abgeschnitten wurde und dass die
Schweine Hunderte von Kilometern durch das Land ge-
fahren wurden. Ich will mir auch nicht vorstellen müs-
sen, dass ich gerade Antibiotika mitesse, obwohl weder
das Schwein noch ich krank sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist eine infame Unterstellung gegenüber der deutschen Landwirtschaft, was Sie da machen! Unerträglich!)


Deswegen sage ich ganz klar: Es muss Schluss sein
mit dieser Art der industriellen Massentierhaltung. Es
muss Schluss sein mit dieser Art von Produktion. Der
Fleischkonsum ist nicht gestiegen, sondern gesunken.
Dass über ein Drittel der Rindertransporte in Deutsch-
land inzwischen beanstandet wird, zeigt, wo wir stehen.
Sie haben dafür gesorgt, dass ein Drittel der Fördermittel
aus Brüssel an gerade einmal 2 Prozent der Unterneh-
men geht. Das ist absurd, und es ist falsch, meine Damen
und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Dieser Haushalt ist zum Selbstzweck geworden. Er ist
eher eine PR-Aktion. Vielleicht entspricht er irgendwel-
chen Umfrageergebnissen, die Sie in der vergangenen
Wahlperiode für 11 Millionen Euro in Auftrag gegeben
haben. Jetzt ist dieser große Vertuschungsballon ge-
platzt. An dieser Stelle waren Sie mit dem Datenschutz
ziemlich klar. Ich bin sehr froh, dass Malte Spitz entspre-
chende Hartnäckigkeit an den Tag gelegt und gezeigt
hat, was Sie alles abfragen. Ehrlich gesagt, ist das schon
ziemlich krass. Den Schülern ist es wichtig, wie viele
Freunde sie bei Facebook haben. Sie zielen auf ein Ran-
king der Bundesminister und fragen das bei der Bevölke-
rung ab. Kriegt man dafür Bonuspunkte, oder hat man in
Ihrem Kabinett ein Gesetz frei, wenn man dabei gewon-
nen hat?


(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


Wer so arbeitet und regiert, dem geht es vor allem um
sich selbst. So sieht dann auch der Haushalt aus:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ein Haushalt ohne Gestaltungswillen und ohne Zu-
kunftswillen. Es ist ein Haushalt auf Kredit bei der Zu-
kunft. Ich kann Sie nur auffordern: Ändern Sie das,
wenn Sie hier noch einmal von Generationengerechtig-
keit sprechen wollen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805000700

Für die SPD-Fraktion spricht Thomas Oppermann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vorschusslorbeeren!)







(A) (C)



(D)(B)


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1805000800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Waffenstillstand, der am vergangenen Freitag für die
Südostukraine vereinbart worden ist, ist zwar noch im-
mer brüchig. Wenn es aber gelingen sollte, diese Feuer-
pause dauerhaft zu stabilisieren, dann wäre das nicht nur
eine Chance für eine politische Lösung, sondern es wäre
vor allem auch ein Ende des unerträglichen Leids der Zi-
vilbevölkerung. Ich wünsche von ganzem Herzen, dass
es bei dieser Feuerpause bleibt.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte mich bei der Bundeskanzlerin und dem
Bundesaußenminister dafür bedanken, dass sie wochen-
und monatelang unermüdlich auf direkte Gespräche und
die bereits erwähnte Feuerpause hingearbeitet haben.
Das ist immer die Voraussetzung für politische Lösun-
gen. Ich habe gerade eine Agenturmeldung gelesen, wo-
nach Präsident Poroschenko berichtet, dass 70 Prozent
der russischen Streitkräfte aus dem Gebiet der Ukraine
abgezogen seien.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die waren doch gar nicht da!)


Wenn diese Meldung zutreffen sollte, dann wäre das si-
cherlich eine Bewegung in die richtige Richtung.


(Beifall bei der SPD)


Dass dieser Waffenstillstand zustande kam, hat auch
damit zu tun, dass auf dem NATO-Gipfel in der vergan-
genen Woche eine entschiedene, aber maßvolle Antwort
auf die Situation in der Ukraine gefunden wurde. Alle 28
NATO-Mitglieder haben bekräftigt, dass sie füreinander
einstehen. Jedes einzelne NATO-Land kann nur in Si-
cherheit leben, wenn alle anderen NATO-Länder eben-
falls in Sicherheit leben. Die Europäische Union und die
NATO stehen fest zusammen. Das ist, glaube ich, eine
gute Botschaft für unsere östlichen NATO-Partnerländer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jeder, der heute Morgen die bewegende Rede von
Präsident Komorowski gehört hat, kann nachvollziehen,
dass die Polen und die Balten in großer Sorge sind. Ich
muss sagen: Andere haben jahrzehntelang Verantwor-
tung für uns Deutsche, für unsere Sicherheit übernom-
men. Dann ist es ganz selbstverständlich, dass wir jetzt
ebenfalls Verantwortung für andere übernehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es war aber auch richtig, maßvoll zu handeln, an der
NATO-Russland-Grundakte festzuhalten und keine
NATO-Kampftruppen in Osteuropa dauerhaft zu statio-
nieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zwar hat Putin gegen den Geist dieser Vereinbarung ver-
stoßen. Aber in einer Zeit, in der wir auf die Einhaltung
des Völkerrechts sowie die Einhaltung bestehender Ver-
träge dringen, ist es nicht klug, selbst bestehende Ver-
träge aufzukündigen. Stattdessen hat die EU weitere
Sanktionen beschlossen bzw. vorbereitet, die bei Bedarf
in Kraft treten können und die russische Entscheidungs-
elite sowie die russische Wirtschaft empfindlich treffen
bzw., soweit sie noch umgesetzt werden müssen, treffen
können. Es ist gut, dass es dabei immer eine offene Tür
für Russland gibt. Manche halten diese Maßnahmen für
nicht ausreichend und fordern härtere Maßnahmen. Ich
warne davor, die Wirkungen der Sanktionen kleinzure-
den und sich über diplomatische Mittel zur Lösung der
Krise verächtlich zu äußern, wie das teilweise geschieht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diesen Stimmen sollten wir nicht nachgeben; denn die-
ser Konflikt kann – darüber besteht in der NATO große
Einigkeit – nicht mit militärischen Mitteln gelöst wer-
den. Wir sollten uns nicht dazu hinreißen lassen, aufzu-
hören, miteinander zu reden. Wir sollten nichts tun, was
dazu führt, dass nicht mehr miteinander geredet werden
kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Oppositionsführer Gregor Gysi hat heute eine be-
merkenswerte Rede gehalten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Lieber Herr Gysi, Ihre Rede hatte einen roten Faden und
als einzigen Tenor: Die Bundesregierung macht alles
falsch, und Herr Gysi hat immer recht.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben nur am Ende Ihrer Rede einen kleinen Fehler
gemacht, als Sie gesagt haben: Ich will nicht rechthabe-
risch sein. – Mit diesem Satz haben Sie sich nämlich
vom gesamten Inhalt Ihrer Rede selbst distanziert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie hätten
beim Mindestlohn recht gehabt und sich dafür rühmen,


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ja! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl zu Recht!)


dann kann ich Sie nur fragen: Wo waren Sie denn, als
wir vor zwei Monaten über den Mindestlohn abgestimmt
haben?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wo waren Sie vor zehn Jahren? Zehn Jahre haben Sie blockiert!)


Sie haben dem Mindestlohn nicht zugestimmt. Wenn
alle sich so wie die Linke verhalten hätten, dann gäbe es





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

heute keinen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in
Deutschland. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Zehn Jahre haben Sie es abgelehnt!)


Sie haben hier auch einiges über TTIP erzählt. Man-
ches davon haben Sie aus aktuellen Debatten aufgegrif-
fen, aber einiges war auch Unfug.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war gewaltiger Unfug! – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Es passt Ihnen bloß nicht!)


Ich will Ihnen einmal sagen, welche Maßstäbe ein Frei-
handelsabkommen erfüllen muss.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805000900

Kollege Oppermann, gestatten Sie vorher eine Frage

oder Bemerkung des Kollegen Matthias W. Birkwald?


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1805001000

Ja, gern.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805001100

Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, Herr

Fraktionsvorsitzender, dass Sie die Frage zulassen.

Sie haben eben eine Bemerkung zum gesetzlichen
Mindestlohn gemacht und kritisiert, dass Gregor Gysi
darauf hingewiesen hat, dass es ohne die Linke den Min-
destlohn heute nicht gäbe.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Richtig!)


Ich will Sie darüber in Kenntnis setzen, dass es einen
Bundesparteitag der SPD gab, auf dem die heutige Bun-
desministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles,
für einen Mindestlohn als Position der SPD geworben
hat und es Franz Müntefering war, der dem Parteitag
empfohlen hat, diesen Vorschlag abzulehnen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahrscheinlich hatte der Müntefering recht!)


Das Ganze geschah zu einem Zeitpunkt, als die Linke
schon längst für einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn in Deutschland gekämpft hat. Wir haben
damit in unserer Partei 1995 begonnen und haben da-
mals auch in der eigenen Partei Schwierigkeiten gehabt.
Ab dem Jahr 2000 hat unsere Vorgängerpartei PDS eine
Kampagne für den gesetzlichen Mindestlohn gemacht.
Im Jahr 2002 hat die Linke den ersten Antrag für einen
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in den Bun-
destag eingebracht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinnig!)


Die SPD hat damals immer Nein gesagt.

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich freue mich
sehr, dass heute die SPD und sogar die CDU/CSU und
einige wenige Kollegen, die diesem Hause jetzt nicht
mehr angehören, und sämtliche Gewerkschaften dafür
sind. Aber zur Wahrheit gehört schon, zu sagen, wer
begonnen hat, dieses Thema auf die Tagesordnung zu
setzen. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, das anzuerken-
nen.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1805001200

Lieber Herr Kollege, wenn Sie sich wirklich freuen

würden, dass es heute einen gesetzlichen Mindestlohn
gibt, dann hätten Sie vor zwei Monaten mit Ja stimmen
müssen und nicht mit Enthaltung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Wenn Sie an der historischen Wahrheit interessiert
sind, dann müssen Sie die Debatte über den Mindestlohn
in Deutschland auch korrekt darstellen. Zur Wahrheit ge-
hört nämlich, dass vor 2005, als die SPD den Mindest-
lohn in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat, es in den
Gewerkschaften eine heftige Kontroverse über diese
Frage gab und mehrere DGB-Gewerkschaften die
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns abgelehnt
haben.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie machen nur, was die Gewerkschaften sagen? – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ihr habt es auch danach abgelehnt!)


Das war eine offene Debatte. An dieser Debatte haben
wir teilgenommen und daraus die richtige Schlussfolge-
rung gezogen. Am Ende ist entscheidend, dass wir den
Mindestlohn umgesetzt haben. Sie haben dabei gefehlt.
Das war ein historischer Fehler, den Sie gemacht haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie waren zehn Jahre zu spät!)


Herr Gysi, noch ein Wort zu TTIP. Auch damit haben
Sie sich ausführlich beschäftigt. Ich kann Ihnen sagen:
Es wird kein Freihandelsabkommen geben, das die
Rechte des demokratischen Gesetzgebers, verfassungs-
konforme Gesetze zu erlassen, in irgendeiner Weise
beeinträchtigt. Ich sage Ihnen: Es gibt nur Freihandels-
abkommen, bei denen jeder Investor in Deutschland die
verfassungsgemäßen, gesetzlichen Regeln voll zu beach-
ten und zu respektieren hat. Etwas anderes kann es gar
nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Und was ist mit den Schiedsgerichten? – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Was ist das für eine Aussage?)


Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Situa-
tion in Deutschland ist gut. Wir hatten im Juli einen Aus-
fuhrrekord: Waren im Wert von über 100 Milliarden
Euro wurden exportiert. Die Zahl der Beschäftigten
steigt weiter. Wegen guter Lohnabschlüsse mit kräftigen
Steigerungen haben wir auch eine starke Binnennach-
frage. Aber der Konflikt zwischen Russland und der
Ukraine wird, wenn er nicht beigelegt wird, auch an
unserer Wirtschaft nicht spurlos vorübergehen. Es gibt





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Unsicherheit über Investitionen, weswegen Investitions-
entscheidungen aufgeschoben werden. Wir haben im
August gesehen, dass das Wirtschaftswachstum im ers-
ten Halbjahr 2014 etwas schwächer ausgefallen ist.

Die Entwicklung zeigt: Wirtschaftlicher Erfolg
kommt nicht von selbst. Wir müssen aktiv dafür arbei-
ten, dass die wirtschaftliche Stärke Deutschlands erhal-
ten bleibt.

Ausdruck dieser wirtschaftlichen Stärke ist, dass wir
diesen Haushalt verabschieden können – zum ersten Mal
seit 46 Jahren einen Haushalt ohne neue Schulden. Das
ist eine historische Zäsur.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


46 Jahre lang haben wir immer nur neue Schulden aufge-
türmt. Jetzt schaffen wir einen ausgeglichenen Haushalt.
In Spitzenzeiten hatten wir eine Zinsbelastung von
40 Milliarden Euro. Das hat die Handlungsfähigkeit un-
seres demokratischen Gemeinwesens drastisch einge-
schränkt. Nur ein Staat, der finanziellen Spielraum hat,
kann investieren, kann gestalten und kann für sozialen
Ausgleich sorgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb ist es gut, dass wir jetzt einen ausgeglichenen
Haushalt haben. Das ist auch eine gute Botschaft an die
jungen Menschen in diesem Land: Wir wollen keine
Politik zulasten der künftigen Generationen mehr ma-
chen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das macht ihr aber doch!)


Aber der Haushalt enthält auch andere Botschaften.
Wir entlasten die Länder beim BAföG, damit sie mehr in
Bildung investieren können. Wir entlasten die Kommu-
nen um weitere 1 Milliarde Euro jährlich im Vorgriff auf
das Bundesteilhabegesetz. Mit der Entlastung der Kom-
munen bei der Grundsicherung sind das jetzt 5,5 Milliar-
den Euro Entlastung. Wir investieren 6 Milliarden Euro
in dieser Wahlperiode in Forschung und Entwicklung.
Außerdem investieren wir in den Erhalt und Ausbau
der Infrastruktur in dieser Wahlperiode insgesamt 5 Mil-
liarden Euro. Das alles sind Schritte in die richtige
Richtung, aber sie reichen nicht aus, um die gewaltigen
Investitionsprobleme in diesem Lande zu lösen.

Der Investitionsstau ist leider keine Erfindung der
Medien, sondern ein real existierendes Problem unserer
Volkswirtschaft. Im Bereich der öffentlichen Infrastruk-
tur investiert Deutschland 0,8 Prozent des Bruttoinlands-
produktes, also 20 Milliarden Euro pro Jahr weniger als
der Durchschnitt der OECD-Länder.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ändern Sie doch etwas daran!)

Die getätigten Investitionen reichen nicht aus, um das
abzudecken, was jährlich durch Verschleiß verloren
geht.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Mit anderen Worten, wir leben von der Substanz. Allein
im Verkehrsbereich müssten in Deutschland nach den
unbestrittenen Feststellungen der Bodewig-Kommission
7 Milliarden Euro im Jahr mehr investiert werden, um
die Substanz zu erhalten.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jede Menge versteckte Verschuldung im Haushalt!)


Davon sind wir trotz aller Anstrengungen noch weit ent-
fernt.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie machen nichts dagegen! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sind die Grünen schuld!)


Deshalb müssen wir uns jetzt vor allem auf zwei Dinge
konzentrieren:

Erstens. Wir dürfen die Mautdebatte nicht auf die
Pkw-Maut verengen, sondern wir müssen vor allem für
eine schnelle Ausweitung der Lkw-Maut auf allen Bun-
desstraßen sorgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Das Geld, das wir einnehmen, muss dort investiert wer-
den, wo es am dringendsten benötigt wird: in die großen
überregionalen Engpassstellen unseres Verkehrsnetzes.
Wir brauchen eine klare Prioritätensetzung,


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum macht ihr dann das Gegenteil?)


und das muss sich auch in der Investitionsplanung der
Bundesregierung widerspiegeln.

Zweitens. Wir müssen kreative Wege und Möglich-
keiten suchen, wie das in Deutschland reichlich vorhan-
dene private Kapital stärker in den Ausbau der Infra-
struktur investiert werden kann,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Das von Gysi beschriebene vorhandene Kapital!)


statt in spekulativen und hochriskanten Anlagen im Aus-
land verbrannt zu werden. Dabei will ich ganz klar sa-
gen: Autobahnen und Schienenwege sind und bleiben
öffentliches Eigentum. Herr Gysi, Sie haben keine
Chance, eine Straße zu kaufen und sie „Gregor-Gysi-
Straße“ zu nennen. Wenn das doch noch passieren sollte,
müssten Sie sich die historischen Verdienste dafür noch
erwerben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)






Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Öffentlich-private Partnerschaften sind nur sinnvoll,
wenn sie eindeutig wirtschaftlicher, günstiger sind als
staatliche Maßnahmen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das haben wir im Koalitionsvertrag so vereinbart, und
das werden wir natürlich auch genau so umsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805001300

Kollege Oppermann, nicht der Kollege Gysi, aber der

Kollege hinter ihm würde gern eine Frage stellen oder
eine Bemerkung machen.


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1805001400

Ja, gern.


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805001500

Herr Oppermann, vielen Dank für die Möglichkeit,

nachzufragen, weil sich in der Behandlung der Frage
„ÖPP bei Verkehrsinfrastrukturprojekten“ doch ein
Widerspruch auftut.

Sie haben als niedersächsischer Abgeordneter massiv
dagegen gewettert, als Verkehrsminister Dobrindt die
Landesregierung angewiesen hat, die Maßnahme an der
A 1 auf jeden Fall privat auf den Weg zu bringen. Das
gilt heute offenbar nicht mehr so. Sie wehren sich nicht
dagegen, zu sagen: „Wir müssen mehr private Investitio-
nen haben“, sondern sagen: Es muss ganz genau nachge-
prüft werden, dass es so wirtschaftlicher ist.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Fragen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Was wollten Sie jetzt fragen?)


Es sind bereits einige Projekte im Verkehrsetat 2014
enthalten. Es sind weitere neun im Verkehrsetat 2015
vorgesehen. Sie sagen: Es geht nur, wenn diese Projekte
auch wirtschaftlich sind.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Was nun?)


Ist es aus Ihrer Sicht gewährleistet, dass alle jetzt im
Bundeshaushalt, im Einzelplan 12, vorhandenen Pro-
jekte so wirklich wirtschaftlich sind und deshalb privat
finanziert werden sollen?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1805001600

Ich hatte die Antwort schon gegeben, bevor Sie die

Frage gestellt hatten. Es muss in jedem Fall der Nach-
weis erbracht werden, dass diese Projekte wirtschaftli-
cher sind; sonst sollten sie so nicht finanziert werden;
denn es macht keinen Sinn, die Steuerzahler mit teuren
privatwirtschaftlichen Projekten zu belasten. Die Pro-
jekte müssen effizient und kostengünstig sein. Das ist
die Maxime, die wir haben, und die finde ich auch rich-
tig.

Ein gutes Beispiel für einen kreativen neuen Weg sind
die Lebensversicherungen. Die Lebensversicherungen
benötigen sichere Anlagen mit sicherer Rendite. Das wa-
ren lange die Staatsanleihen. Die fallen wegen der nied-
rigen Zinsen weitgehend aus. Deshalb kommen die Ver-
sicherer zu uns und sagen: „Wir würden gern mehr in
Infrastruktur und in erneuerbare Energien investieren,
aber die Rechtslage erlaubt das nicht.“ – Das müssen wir
schnellstens ändern.

Das Bundeskabinett hat einen Entwurf zur Neufas-
sung des Versicherungsaufsichtsgesetzes auf den Weg
gebracht. Damit bekommen Versicherungen die Mög-
lichkeit, in größerem Maße in erneuerbare Energien, in
Stromleitungen und in den Breitbandausbau zu investie-
ren. Das ist überfällig. Das werden wir mit Nachdruck
unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Aber auch das ist nur ein erster Schritt. Deshalb freue
ich mich, dass Wirtschaftsminister Gabriel mit der Wirt-
schaft ins Gespräch gekommen ist, um eine Investitions-
offensive für unser Land auf den Weg zu bringen. Inves-
titionen, meine Damen und Herren, sind kein Feld für
ideologische Auseinandersetzungen; sie sind zentraler
Gegenstand unserer Verantwortung gegenüber künftigen
Generationen, und der müssen wir gerecht werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der zweite Engpass – neben der Infrastruktur – sind
die Fachkräfte. Bis 2025, also innerhalb eines Zeitraums
von zehn bis elf Jahren, stehen dem Arbeitsmarkt 6 Mil-
lionen Erwerbspersonen weniger zur Verfügung als
heute. Gleichzeitig verlassen jedes Jahr immer noch
50 000 junge Menschen das deutsche Schulsystem, ohne
einen Abschluss zu haben, und jedes Jahr brechen
25 Prozent der Jugendlichen ihre Ausbildung ab. Im Er-
gebnis haben dadurch 1,5 Millionen junge Menschen
zwischen 25 und 35 keine abgeschlossene Berufsausbil-
dung. Das ist nicht nur ökonomisch ein ganz großer
Missstand; es kann uns auch menschlich nicht kaltlas-
sen, dass junge Menschen ohne Perspektive sind, sich als
moderne Tagelöhner durchschlagen müssen und schon
Hartz IV bekommen. Wir müssen dringend etwas an die-
sem Zustand ändern, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Im Augenblick leben wir von der Einwanderung,
wenn es darum geht, unseren Fachkräftemangel auszu-
gleichen, aber das wird auf Dauer nicht reichen. Wir
müssen mehr Anstrengungen unternehmen, um unsere
jungen Menschen durch Nachqualifizierung in den
Arbeitsmarkt zu bringen. Genau das sollen die Allianz
für Aus- und Weiterbildung und die Allianz für Fach-
kräfte in der Zusammenarbeit von Bundesregierung,
Wirtschaft und Sozialpartnern erreichen. Wer seine erste
Chance verpasst und aus dem Bildungssystem heraus-
fällt, dem müssen wir eine zweite und – wenn es sein
muss – eine dritte Chance geben, meine Damen und Her-
ren.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Aber bei denjenigen, die den Abschluss schaffen, dürfen
die weiteren Bildungschancen nicht vom Geldbeutel der
Eltern abhängen. Deshalb wird es 2016 eine kräftige
BAföG-Erhöhung geben. Wir erhöhen aber auch die
Freibeträge um 7 Prozent, mit der Wirkung, dass zusätz-
lich 100 000 Studierende aus den Mittelschichten durch
das BAföG gefördert werden können. Wir haben uns mit
den Ländern darauf geeinigt, dass der Bund ab 2015 die
Ausgaben für das BAföG allein übernimmt. Das ist ein
großer Schritt nach vorn; denn dadurch können die Län-
der Milliarden in den Ausbau von Kitas, Schulen und
Hochschulen stecken. Ganz wichtig ist: Künftige
BAföG-Erhöhungen sind nicht mehr von der Kassenlage
der Länder abhängig.

Diese Koalition hat sich vorgenommen, dass Frauen
und Männer gleiche Rechte und gleiche Chancen be-
kommen. Es kann nicht sinnvoll sein, wenn fast 50 Pro-
zent der Studierenden weiblich sind, bei den Führungs-
kräften nur noch 30 Prozent und bei den
Vorstandspositionen nur noch 4 Prozent. Das ist eine
Schwundquote, die mit dem Leistungsprinzip nichts,
aber auch gar nichts zu tun hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich sind das immer noch tradierte Rollenbilder
und Arbeitsteilungen, die Frauen den Weg in eine erfolg-
reiche Berufstätigkeit verbauen. Aber wir merken, dass
eine Änderung des Status quo immer auch eine Macht-
frage ist. Manche Dinge bewegen sich eben nur, wenn
man Druck ausübt, zum Beispiel für die Gleichberechti-
gung in deutschen Aufsichtsräten oder Großkonzernen.
Deshalb brauchen wir nicht nur freiwillige Vereinbarun-
gen, wir brauchen Regeln und Mechanismen wie die
Frauenquote und ein Entgeltgleichheitsgesetz, um diese
Machtstrukturen aufzubrechen. Deshalb sage ich ganz
klar: Die Frauenquote muss kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Von mir aus! – Gegenruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur ein bisschen!)


Viele Familien in diesem Land beklagen sich auch
über die enormen Schwierigkeiten des Alltages. Es gibt
nicht genügend Kitaplätze von hoher Qualität. Sie finden
keine Ganztagsschule für ihre Kinder. Sie wollen ihre
Angehörigen zu Hause pflegen. Es ist ein Himmelfahrts-
kommando, beim Arbeitgeber wegen Teilzeit nachzufra-
gen. Unsere Arbeitsministerin, Andrea Nahles, nennt das
„den ganz normalen Wahnsinn der Familie“. Wir wollen,
dass die Familien mehr Unterstützung und mehr Freiheit
bekommen, ihre Zeit nach ihren eigenen Vorstellungen
einzuteilen. Dazu werden wir mit dem ElterngeldPlus
und dem Familienpflegezeitgesetz zwei ganz wichtige
Initiativen der Koalition im Parlament beraten.
Auch wenn es darüber im Koalitionsvertrag, lieber
Volker, keine Einigung gegeben hat, finde ich den Vor-
schlag von Manuela Schwesig, eine Familienarbeitszeit
einzuführen, hochinteressant; denn das ist eine Idee, mit
der am Ende – das sagen uns die Vertreter der Wirt-
schaft – sogar die Gesamtarbeitszeit von Männern und
Frauen erhöht werden kann und sie trotzdem mehr Zeit
für die Familie haben. Vielleicht sollten wir darüber
noch einmal nachdenken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es hilft den Menschen, ihre eigene Zeit nach ihren eige-
nen Vorstellungen aufzuteilen, um Beruf, Kinder, Pflege
und Freizeit unter einen Hut zu bringen. Lassen Sie uns
darüber nachdenken, wie wir ihnen dieses Stück Freiheit
zurückgeben können.

Die Situation der Flüchtlinge. Krieg und Terror füh-
ren dazu, dass immer mehr Flüchtlinge Schutz in
Deutschland suchen. In diesem Jahr rechnen wir mit
über 200 000 Asylbewerbern. Es ist nicht absehbar, dass
es im nächsten Jahr weniger werden. Ich sage: Es ist un-
sere gemeinsame Aufgabe, die Aufgabe aller Fraktionen
in diesem Hause, diese Flüchtlinge in Deutschland so
aufzunehmen und unterzubringen, dass sie nicht zum
Angriffsobjekt für rechtsextreme Gruppen werden. Da-
bei dürfen wir die Kommunen nicht alleine lassen.


(Beifall bei der SPD)


Deutschland nimmt zurzeit die meisten Flüchtlinge in
der Europäischen Union, und zwar 30 Prozent aller
Flüchtlinge, die nach Europa kommen, auf. Die anderen
Länder müssen sich dieser Verantwortung aber auch stel-
len. Wir wollen ein europäisches Flüchtlingskonzept,
Herr Innenminister. Wir unterstützen Sie in der Forde-
rung, dass die große Zahl der Flüchtlinge unter allen
Mitgliedsländern in der Europäischen Union fair verteilt
werden muss. Jeder muss dabei mitmachen. Keiner kann
sich dieser Aufgabe entziehen. Dabei haben Sie unsere
Unterstützung.

Wenn wir am Ende sehen, dass wir nicht allen Flücht-
lingen in Deutschland helfen können, dann müssen wir
uns auf die konzentrieren, die am stärksten von Krieg,
Verfolgung und Vertreibung betroffen sind. Mit anderen
Worten: Wir müssen dort helfen, wo die Not am größten
ist. Das setzt voraus, liebe Kollegen und Kolleginnen
von den Grünen, dass wir Prioritäten setzen, wenn wir es
gut machen wollen. Und wir müssen es gut machen.
Deshalb appelliere ich an Sie, das Gesetz über sichere
Herkunftsstaaten nicht aufzuhalten, sondern im Bundes-
rat passieren zu lassen. Dieses Gesetz beendet übrigens
das neunmonatige Arbeitsverbot für Asylbewerber und
gibt ihnen die Möglichkeit, schon nach drei Monaten zu
arbeiten. Ich sage Ihnen: Der beste Schutz vor Diskrimi-
nierung ist es, wenn Flüchtlinge schon früh eine Arbeit
aufnehmen und ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen
können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805001700

Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Frage oder

Bemerkung des Kollegen Volker Beck?


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1805001800

Ja.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805001900

Vielen Dank, Herr Oppermann. – Würden Sie der

Einschätzung von Ulrich Schneider vom Paritätischen
Gesamtverband zustimmen, dass man die Rechte für
Flüchtlinge, zum Beispiel im Hinblick auf den Zugang
zum Arbeitsmarkt, nicht gegen das Asylgrundrecht von
Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten ausspielen
sollte, sondern dass man diese Fragen unabhängig vonei-
nander betrachten muss? Man kann doch eine Verbesse-
rung der Situation der Menschen, die hier sind, nicht er-
kaufen, indem man anderen Rechte abschneidet.
Entweder sind diese Herkunftsstaaten sicher oder nicht.
Ich glaube das zwar nicht; denn das gilt zumindest nicht
für Roma und Homosexuelle in diesen Ländern. Wenn
Sie aber sicher sind, dann kann man das so regeln. Man
muss das nicht mit einer anderen Frage verbinden. Das
klingt ein bisschen nach Zuckerbrot und Peitsche.

Wenn Sie den Arbeitszugang für Flüchtlinge für so
wichtig für die Integration halten, wie Sie es sagen – diese
Einschätzung teile ich –, dann verstehe ich nicht, warum
man nur die Frist verkürzt, aber die Vorrangprüfung
beim Zugang zum Arbeitsmarkt, an der die meisten, die
grundsätzlich arbeiten dürfen, scheitern, nicht gleichzei-
tig beseitigt. Die Vorrangprüfung beim Zugang zum Ar-
beitsmarkt für Flüchtlinge bedeutet nämlich, dass man
erst schauen muss, ob ein Deutscher oder EU-Bürger für
eine bestimmte Stelle infrage kommt, und dass der Un-
ternehmer erst, wenn keiner gefunden wird, einen
Flüchtling einstellen kann. Das führt unabhängig von
den Fristen dazu, dass Flüchtlinge mit Arbeitserlaubnis
faktisch nicht arbeiten können. Diese Regelung muss
weg, wenn wir die Flüchtlinge tatsächlich willkommen
heißen und dafür sorgen wollen, dass deren Leben hier
in Deutschland nach der Aufnahme neu beginnen kann.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1805002000

Lieber Kollege Beck, Volker Kauder und ich haben

doch deutlich gemacht, dass wir miteinander über diese
Dinge reden können. In vielen Situationen läuft die Vor-
rangprüfung doch vollständig ins Leere, weil die Unter-
nehmen überhaupt keine Arbeitnehmer mehr auf dem
Arbeitsmarkt bekommen, da es in vielen Regionen in
Deutschland Vollbeschäftigung gibt. Selbstverständlich
können wir darüber reden. Ich weise aber entschieden
zurück, dass wir hier mit Zuckerbrot und Peitsche arbei-
ten.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber genau das ist Ihr Gesetzentwurf!)

Wir hatten im letzten Jahr knapp 40 000 Flüchtlinge
aus den Westbalkanländern. Ich glaube, es ist eine Frage
der Verantwortung, ob es in der jetztigen Situation, in
der Flüchtlingen aus Syrien, aus dem Nordirak und aus
Afrika dringend geholfen werden muss, politisch richtig
ist, 40 000 Menschen durch ein Asylverfahren laufen zu
lassen, dessen Anerkennungsquote bei unter 1 Prozent
liegt. Ich sage ganz deutlich: In diesen Westbalkanlän-
dern gibt es in der Regel keine politische Verfolgung,
und wenn es sie gäbe, müsste sie sofort beendet werden;
denn diese Länder wollen alle Mitglieder der Europäi-
schen Union werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dann können Sie doch nicht mit politischer Verfolgung
argumentieren; das kann doch nicht richtig sein.

Was derzeit in vielen Großstädten und Ballungszen-
tren, aber auch in vielen kleinen Universitätsstädten pas-
siert, macht uns große Sorgen: Wer eine größere Woh-
nung braucht, hat häufig keine Chance, eine neue
Wohnung im angestammten Umfeld zu finden. Es
kommt vermehrt zu Zwangsräumungen, weil Menschen
Mieterhöhungen nicht zahlen können. Und Investoren
entmieten systematisch Häuser, weil sie wissen, dass bei
einem Mieterwechsel die Miete verdoppelt werden kann.
Die soziale Verdrängung, die hier stattfindet, meine Da-
men und Herren, darf so nicht weitergehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben im Koalitionsvertrag eine Mietpreisbremse
vereinbart. Wir müssen dafür sorgen, dass es auch in den
angesagten Wohnquartieren der Städte in Zukunft noch
eine sozial gemischte Wohnbevölkerung gibt. Deshalb
sage ich ganz klar: Die Mietpreisbremse muss kommen.
Das Wohnen in großstädtischen Quartieren muss auch
für Menschen möglich sein, die nur ein normales Ein-
kommen zur Verfügung haben.


(Beifall bei der SPD)


Zum Schluss noch eine Bemerkung zu einer politi-
schen Frage, die uns seit der Landtagswahl in Sachsen
beschäftigt. Zum zweiten Mal in sechs Jahrzehnten ha-
ben wir erlebt, dass in Deutschland weniger als 50 Pro-
zent der Wahlberechtigten bei einer Landtagswahl wäh-
len gegangen sind. Ich finde, da dürfen wir nicht einfach
zur Tagesordnung übergehen; denn je niedriger die
Wahlbeteiligung bei einer Landtags- oder Bundestags-
wahl ist, umso höher ist hinterher der Einfluss extremis-
tischer Parteien, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz klar: Wer Land-
tagswahlen in die Sommerferien verlegt, der stärkt das
Desinteresse an Politik


(Max Straubinger [CDU/CSU]: I wo!)


und macht es Menschen leicht, sich aus der Demokratie
zu verabschieden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Ich finde, dass wir es 25 Jahre nach dem Mauerfall nicht
hinnehmen dürfen, dass sich immer mehr Menschen in
Deutschland von der Demokratie abwenden. Das müs-
sen wir stoppen. Deshalb regen wir an, dass alle Fraktio-
nen bei dieser Frage in einem Bündnis zur Steigerung
der Wahlbeteiligung zusammenarbeiten. Ich finde, das
ist etwas, was wir gut zusammen machen können. Wir
jedenfalls sind dazu bereit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805002100

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege

Volker Kauder.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1805002200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Am Mittwoch in einer Haushaltswoche dient die
Debatte zum Etat der Bundeskanzlerin immer dazu, sich
mit den Schwerpunkten, den großen Herausforderungen
der deutschen Politik auseinanderzusetzen und sie darzu-
stellen. Das heißt nicht, dass wir die vielen innenpoliti-
schen Fragen nicht ernst nehmen; aber dafür haben wir
ja auch die Diskussionen zu den Einzelplänen. Deswe-
gen sollten wir uns heute – auch im Hinblick auf das,
was die Bundeskanzlerin gesagt hat – mit den großen
Herausforderungen beschäftigen und uns einmal an-
schauen, welche Antworten von uns gefragt sind.

Da ist natürlich die große Herausforderung, mit der
wir bei Abschluss der Koalitionsverhandlungen nicht ge-
rechnet haben und nicht rechnen konnten: die neue Si-
tuation in der Welt und vor allem die neue Situation auch
in Europa. Ich war von der Rede des polnischen Staats-
präsidenten heute Morgen beeindruckt, der in einer Klar-
heit über die Herausforderungen und die Notwendigkeit
der Antworten gesprochen hat, wie man es sehr selten in
Europa hört, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Er hat davon gesprochen, dass wir es natürlich nicht hin-
nehmen dürfen, dass die Errungenschaften in Europa,
zum Beispiel unser Bild vom Menschen, einfach drange-
geben werden. Es ist völlig richtig, was die Bundeskanz-
lerin gesagt und wir hier, in diesem Deutschen Bundes-
tag, mehrfach wiederholt haben: Wir sehen keine
militärische Lösung des Konflikts in der Ukraine. Es
wäre ja geradezu aberwitzig, wenn wir in diesem Jahr, in
dem wir über den Ersten und den Zweiten Weltkrieg re-
den, militärische Lösungen suchen würden. Eines ist
aber auch klar: Deswegen müssen wir umso mehr mit
den politischen Möglichkeiten, die wir haben, arbeiten,
und die Dinge, die nicht gut laufen, auch beim Namen
nennen.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Säbelrasseln!)


– Einen dümmeren Zwischenruf kann man sich gar nicht
vorstellen, als jetzt, da ich hier über humanitäre Pro-
bleme rede, von „Säbelrasseln“ zu sprechen. Sie sollten
sich schämen für diesen Zwischenruf!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Jetzt werde ich Ihnen einmal etwas sagen. Ich hoffe,
Ihnen stockt der Atem. Ich habe gesagt, wir müssen für
unser Menschenbild eintreten und die Dinge beim
Namen nennen. Die Kollegin Marieluise Beck hat mich
heute Morgen auf etwas hingewiesen, was einem wirk-
lich den Atem stocken lässt – auch darüber müssen wir
reden, wenn wir über Sanktionen sprechen –: Natürlich
üben die Separatisten in der Ukraine Gewalt aus, und
natürlich werden dort mit militärischem Gerät keine
Spielzeugveranstaltungen durchgeführt; aber noch
schrecklicher als das ist, dass die Menschen in den
Gebieten, in denen die Separatisten das Sagen haben, in
einer Art und Weise bedroht werden, die wir nicht hin-
nehmen können. Betroffen sind oft die Frauen. Es gibt
das Beispiel von Frau Dowgan, die, weil sie sich für die
ukrainische Armee ausgesprochen hat, an einen Pranger
gestellt und mit Waffen bedroht worden ist


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja! Das ist so! Genau so! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja! So ist es!)


– das ist „Säbelrasseln“! –, die bespuckt worden ist, ge-
schlagen worden ist, gedemütigt worden ist, über meh-
rere Stunden hinweg. Dazu kann ich nur sagen: So etwas
dürfen wir nicht dulden, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen!


(Beifall im ganzen Hause – Arnold Vaatz [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Hört auf zu klatschen! Ihr braucht nicht zu klatschen!)


– Ihr Klatschen ist mir völlig egal. – Deswegen bin ich
der Meinung, dass wir die Sanktionen durchsetzen müs-
sen, dass wir die Antwort geben müssen, dass wir dies
nicht hinnehmen.

Ich muss sagen: Diese neue Herausforderung, auf die
wir zunächst einmal keine Antwort geben konnten, wird
von dieser Bundesregierung großartig angenommen. Die
Bundesregierung argumentiert und handelt richtig. Dafür
sage ich einen herzlichen Dank der Bundeskanzlerin,
aber genauso auch dem Bundesaußenminister. Wir kön-
nen wirklich froh sein, in dieser Situation eine solche
Bundesregierung unserem Land stellen zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das zweite große Thema, mit dem wir uns in der in-
ternationalen Politik auseinandersetzen müssen, ist der
Umgang mit islamistischen Terrorgruppen. Auch da gilt,
dass wir konsequent und, wie der polnische Staatspräsi-
dent gesagt hat, entschlossen sein müssen und diese
Entschlossenheit denen, die in grober Weise gegen Men-
schenrechte verstoßen, auch zeigen müssen.

Dass diese Entwicklung uns Sorgen machen muss,
zeigen die jüngsten Ankündigungen, und dass dieses
Thema uns über viele, viele Monate, wahrscheinlich
Jahre beschäftigen wird, ist doch für uns eine unglaubli-
che Herausforderung. Deswegen werden der Einsatz für
Frieden, für Menschenrechte und für Religionsfreiheit





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

sowie die Bekämpfung dieses islamistischen Terrors in
der nächsten Zeit immer ein Thema unserer Politik in der
Großen Koalition sein müssen und auch sein.

Es muss uns doch wirklich erschrecken und dann zum
Handeln bringen, wenn wir lesen, dass die verschiede-
nen Terrorgruppen jetzt in einen Wettbewerb um die
größtmögliche Aufmerksamkeit eintreten. In diesen
Tagen haben wir erfahren, dass al-Qaida sagt: „Wir kom-
men einfach nicht mehr vor, weil nur noch über ISIS und
deren Brutalität gesprochen wird. Wir wollen das än-
dern, und deswegen werden wir uns jetzt unserer Glau-
bensgeschwister in Asien annehmen. Wir haben bereits
einen Chef von al-Qaida in Indien benannt“. – Dass es
nicht nur dabei bleiben wird, kann man in diesen Tagen
in Indien ganz genau sehen. Zum ersten Mal werden in
den Slumgebieten in Indien Großplakate aufgestellt, auf
denen Israel dafür verantwortlich gemacht wird, dass
Kinder verletzt werden, und für vieles andere mehr, um
damit in solchen Gebieten zunächst einmal ein Bewusst-
sein zu schaffen. Das Nächste wird sein, dass man natür-
lich über den Einsatz der Muslime in Indien sprechen
wird. Da kann ich nur sagen: Man muss aufmerksam
sein, und natürlich muss man den Menschen vor Ort hel-
fen, damit sie denen nicht auf den Leim gehen.

Frau Göring-Eckardt, ich teile Ihre Auffassung, dass
man nur mit Strafrecht die Dinge nicht regeln kann, aber
es gibt Herausforderungen, bei denen man auch mit dem
Strafrecht eine moralische Kompetenz in diesem Land
beweisen muss. Ich kann nur sagen: Es macht mir große
Sorgen – ich finde es unglaublich und hätte nie damit ge-
rechnet –, dass wir am Sonntag wenige Meter von die-
sem Reichstagsgebäude entfernt eine Kundgebung des
Zentralrats der Juden unter dem Thema „Steh auf! Nie
wieder Judenhass!“ haben müssen. Es ist unglaublich,
dass das notwendig geworden ist. Da kann ich nur sagen:
Es ist richtig, dass wir mit mehreren Maßnahmen den
Antisemitismus bekämpfen, unter anderem auch mit
dem Strafrecht. Damit sorgen wir dafür, dass bestimmte
Thesen in unserem Land nicht ungestraft gesagt oder
wiederholt werden dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Natürlich muss abgewogen werden, aber von vornhe-
rein nur die soziale Kompetenz herauszustellen und zu
sagen: „Strafrecht geht nicht“, halte ich für falsch.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das habe ich gar nicht gesagt, Herr Kauder!)


Ich bin der Meinung, dass mehrere Dinge geschehen
müssen. Wenn jetzt aber wieder gerufen wird, dass wir
besondere Maßnahmen und Projekte brauchen, dann
kann ich nur sagen: Der Einsatz für Toleranz, das Lernen
aus unserer Geschichte – nie wieder Judenhass –, das ge-
hört nach meiner Auffassung schon zur Grundausbil-
dung in unseren Schulen. Das kann man nicht nach dem
Motto wegschieben: Der Bund muss irgendwelche Pro-
jekte auflegen. Ich finde es erschreckend, wenn ich in
Berichten lese, dass junge Leute wenig Ahnung von dem
haben, was war. Geschichtsunterricht und damit Kennt-
nis über das, was in unserem Land einmal war und nie
wieder sein darf, kann nicht das Thema von Projekten
der Bundesregierung sein, sondern muss Thema der
Ausbildung in unseren Schulen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da sind in besonderer Weise auch unsere Länder gefor-
dert.

Da wir über das Thema Flüchtlinge reden: Ich bin
einverstanden – ich habe das am letzten Montag hier ge-
sagt; da gab es noch eine breite Übereinstimmung –,
dass wir Flüchtlinge in unserem Land aufnehmen und al-
les dafür tun müssen, dass sie anständig untergebracht
sind. Dass dies natürlich eine große Herausforderung für
viele Kommunen ist, wissen wir; auch die Oberbürger-
meister, die der Partei der Grünen angehören, sagen,
dass das eine Herausforderung ist. Deswegen denke ich,
hier brauchen wir gar nicht groß über das, was im Bun-
desrat passieren muss, zu diskutieren.

Aber Thomas Oppermann hat doch recht: Wir spielen
nicht die eine Gruppe gegen die andere aus. Ich denke,
ein Schuh wird daraus – das wäre das Richtige –, wenn
wir uns hier im Bundestag sagen würden – die Linke hat
ja auch ein bisschen Einfluss; zumindest an einer Lan-
desregierung ist sie beteiligt. –: Die Herausforderung,
die wir in der Flüchtlingspolitik haben, stellt sich nicht
nur diesem Haus, sondern sie muss sich im Bundesrat
fortsetzen. Deswegen müssen wir dort zu einer gemein-
samen Lösung kommen. Ich bin davon überzeugt, dass
dies auch gelingen wird. Die ersten Botschaften haben
wir vernommen. Ich sage auch hier: Natürlich sind wir
bereit, in einem Gespräch mit Ihnen über viele Punkte zu
reden. Ich kann nur sagen: Nehmen Sie dieses Angebot
an, damit wir in den nächsten Tagen im Bundesrat zu ei-
ner guten Lösung kommen. Sie helfen damit vor allem
den Kommunen in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen muss man leider immer so lange warten!)


– Wir können nachher, Frau Göring-Eckardt, über die
Vorschläge des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann
reden. Sie gehen schon in eine ganz gute Richtung.

Was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht, sage ich
also Ja. Aber ich habe schon am Montag darauf hinge-
wiesen, dass es natürlich genauso notwendig ist, die
Situation vor Ort zu verbessern. Da möchte ich die
Bundesregierung, sehr geehrter Herr Bundesaußen-
minister, bitten, noch einmal genauer hinzuschauen. Ich
hatte gestern ein Gespräch mit Vertretern der Jesiden.
Sie haben mir berichtet, dass bis heute in großen Gebie-
ten, in Dohuk beispielsweise, die Hilfe noch nicht richtig
angekommen sei. Ich habe sie gebeten, dies auch dem
UNHCR mitzuteilen. Offenbar gibt es da noch immer
Probleme. Ich wäre dankbar, wenn man sich darum
kümmert.





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Es gibt einen zweiten Punkt, mit dem ich noch nicht
zufrieden bin. Wir haben noch immer keine Antwort und
keine Lösung aus Europa. Es ist nicht allein Sache der
Bundesregierung, wie wir den Flüchtlingen helfen. Es
vergeht Woche für Woche, der Winter kommt, die Re-
genzeit kommt, und die Zeit wird immer knapper, um
dort für eine entsprechende Unterbringung zu sorgen.
Ich habe die herzliche Bitte, dass man hier noch einmal
auf die EU-Kommission zugeht. Geld ist dort vorhan-
den; das wissen wir. Dort hat man das Geld. Es muss
jetzt endlich einmal einen Ruck geben und sich etwas
tun. Wir können die Leute im Nordirak nicht einfach sit-
zen lassen. Deswegen sage ich: Ja, es ist richtig, dass wir
Waffenhilfe leisten. Aber wir werden mehr als die
50 Millionen Euro in die Hand nehmen müssen, um den
Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Das Geld ist da. Ich habe
die Bitte an die Bundesregierung, Europa da einmal et-
was Beine zu machen, damit das endlich vorangeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, neben diesen gro-
ßen Herausforderungen in der Außenpolitik bleibt in un-
serem Land und in Europa natürlich die große Aufgabe,
weiter für Wachstum zu sorgen und damit die Grund-
lagen für den Wohlstand in unserem Land und in Europa
zu legen. Wachstum entsteht in unserer Wirtschaft. Des-
wegen ist es völlig richtig, wenn die Bundeskanzlerin in
ihrer Regierungserklärung darauf hinweist, dass wir in
einem wichtigen neuen Feld, nämlich im Bereich Indus-
trie 4.0 und im Bereich Internet, vorankommen müssen
und dass wir dort neue Start-ups, also neue Firmengrün-
der, brauchen. Gerade von diesen Firmengründern hören
wir, dass es für sie nicht nur ein Thema ist, wie sie an
Kapital kommen, sondern dass sie sich natürlich auch
wünschen, ja geradezu verlangen, dass man sie in ihrer
Startphase von bürokratischen Gängeleien weitgehend
befreit. Die haben andere Sorgen. Deswegen, Herr Bun-
deswirtschaftsminister, bin ich dankbar für das Signal,
dass man überlege, gerade bei Start-up-Unternehmen
eine ganze Reihe von bürokratischen Auflagen einmal
eine Zeit lang auszusetzen. Deswegen, lieber Kollege
Oppermann, kann ich nur sagen: Gerade diese Firmen
brauchen hohe Flexibilität und nicht neue Arbeitszeit-
modelle; das regeln die schon selber. Deswegen warne
ich vor „Stressverordnungen“ und neuen Arbeitszeitmo-
dellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich finde – dazu stehen wir in der Union –: Wir haben
eine ganze Reihe von Dingen gemacht, die wir im Koali-
tionsvertrag vereinbart haben. Ich nenne die Rente mit
63 und den Mindestlohn. Wir werden auch die anderen
Punkte, die wir im Koalitionsvertrag stehen haben, wie
die Frauenquote, umsetzen. Aber dann muss es auch gut
sein.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Ja!)


Ich rate uns, uns in der Koalition nicht jeden Tag und an
jedem Wochenende in irgendwelchen Interviews neue
mögliche Belastungen für die deutsche Wirtschaft ein-
fallen zu lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist bei der Investitionsfrage eher ein Problem als
vieles andere: wenn ich als Unternehmer nicht weiß, was
alles noch auf mich zukommt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Könnt ihr das nicht zu Hause bereden unter euch?)


Das hemmt die Investitionsbereitschaft mehr als alles
andere. Deswegen bin ich froh über die Signale, die ich
vernommen habe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, wir
brauchen natürlich auch Investitionen in unserem Land,
Investitionen in die Infrastruktur. Das ist angesprochen
worden. Deswegen können Sie ganz sicher sein: So, wie
wir alle anderen Punkte im Koalitionsvertrag umgesetzt
haben, werden wir auch mit dem derzeitigen Lieb-
lingsthema der Medien, der Maut, bis Ende des Jahres zu
einem guten Ergebnis kommen. Da dürfen Sie ganz si-
cher sein, dass wir das schaffen und packen.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein gutes Ergebnis kann auch sein, dass man es nicht macht!)


– Ja, wissen Sie, Frau Göring-Eckardt, das, was Sie mir
manchmal als gute Ergebnisse vorschlagen, entpuppt
sich bei näherem Hinschauen meist als schlecht. Deswe-
gen können wir das nicht machen.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei der Maut wäre es schon gut, man würde es nicht machen!)


Es gibt ein paar Punkte, in denen wir uns einig sind, aber
an den allermeisten Punkten kann man erkennen: Von
Wirtschaft verstehen Sie nun wirklich nicht so viel. Das
muss ich einmal deutlich formulieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Herr Kauder! Billig! – Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


– Sie sowieso schon gar nicht, Herr Gysi. Sie sind da
jetzt der schlechteste Ratgeber; nein, nein.

Deswegen ist es richtig, dass wir beim Thema Wirt-
schaft helfen, in neue Entwicklungen hineinzukommen.
Auch da werden in dieser Regierung die richtigen Ent-
scheidungen getroffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, für all die großen Aufgaben, die
vor uns liegen – Frieden schaffen in Europa, in der
Ukraine, den islamistischen Terror bekämpfen und dafür
sorgen, dass unsere Wirtschaft weiter wachsen kann und
damit auch der Wohlstand –, werden mit diesem Bundes-
haushalt die Voraussetzungen geschaffen.

Dieser Bundeshaushalt, mit dem zum ersten Mal seit
langem keine neuen Schulden aufgenommen werden,





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

was auch für die nächsten Jahre versprochen wird,
schafft die Grundlagen für neue Entscheidungsmöglich-
keiten. Es wird die Botschaft vermittelt: Wir werden mit
dem auskommen, was wir haben. Mit dem auskommen,
was wir haben, heißt auch, dass wir sowohl die Bürge-
rinnen und Bürger als auch die Wirtschaft am Wohlstand
beteiligen. Deswegen bleibt es dabei – auch wenn der
eine oder andere meint, er müsse jetzt wieder eine an-
dere Diskussion führen; aber die Kanzlerin hat es hier
gesagt, der Vizekanzler hat es gesagt, der Finanzminister
hat es gesagt, und ich kann es nur noch einmal bestäti-
gen –: Es wird mit uns in dieser Koalition keine Steuer-
erhöhungen geben. Alles andere ist Quatsch, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wird mit uns keine Steuererhöhungen geben; das
haben wir zugesagt, und dabei bleibt es. Das ist eine
zentrale Botschaft, die sich auch an unsere Wirtschaft
richtet: Ihr könnt euer Geld investieren, ihr könnt für
Wachstum sorgen und damit für eine gute Situation in
unserem Land. – Wir schaffen dafür eine wichtige Vo-
raussetzung. Gestern Abend beim Parlamentarischen
Abend im Haus der Deutschen Wirtschaft ist man immer
wieder angesprochen worden auf das Thema „qualifi-
zierte Arbeitskräfte“. Die Industrie 4.0 verlangt natürlich
entsprechende Ausbildung.

Wenn ich den ein oder anderen aus der Linksfraktion
da so höre, muss ich denken: Wo sind die denn die ganze
Zeit unterwegs? – Es wird in unserem Land so viel für
Bildung und Ausbildung ausgegeben wie nirgendwo in
Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da brauchen
wir überhaupt keine Hinweise von einigen in diesem
Haus. Was im Bildungs- und Forschungsministerium ge-
tan wird, ist ein Supervorbild für ganz Europa, liebe Kol-
leginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Das schafft Zukunft für eine junge Generation.Die
Länder müssen allerdings ihren Beitrag dazu leisten. Der
Bund hat den Ländern Geld gegeben für Hochschule, für
Ausbildung. Einige Länder wollen wenigstens den we-
sentlichen Teil dieses Geldes dafür einsetzen; das kann
ich gerade noch akzeptieren. Aber vor dem Hintergrund,
dass Bildung und Ausbildung das entscheidende Zu-
kunftsprojekt für unser Land ist, kann ich es nicht akzep-
tieren, wenn einige rot-grün-geführte Bundesländer den
wesentlichen Teil dieser Mittel, die vom Bund kommen,
nicht für Hochschule und Ausbildung ausgeben wollen,
sondern für viele andere Dinge. Ich kann nur sagen: Wer
so argumentiert, hat jedes Recht verloren, zu sagen: „Der
Bund muss mehr für Bildung und Ausbildung tun“, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen werden wir da auch nicht nachlassen; wir
werden in den Landtagen nachfragen, wofür das Geld
eingesetzt wird.
Ich bitte auch die SPD-Bundestagsfraktion, unseren
Koalitionspartner, dass wir uns dieses Projekt, das wir
gemeinsam auf den Weg gebracht haben, nicht unterhöh-
len lassen von denjenigen, die glauben, sie könnten das
Geld für alle möglichen Haushaltszwecke, aber nicht für
Hochschule und Ausbildung einsetzen. Dafür tragen wir
in dieser Koalition Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die gro-
ßen Herausforderungen beschrieben. Ich bin sicher, dass
diese Koalition und diese von der Koalition getragene
– nicht nur getragene, sondern in jeder Hinsicht unter-
stützte – Bundesregierung diesen Aufgaben und Heraus-
forderungen gerecht werden.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805002300

Das Wort hat die Staatsministerin und Beauftragte für

Migration, Flüchtlinge und Integration, Özoğuz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


A
Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1805002400


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Aus durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln
wurde bereits gestern und auch heute darauf hingewie-
sen, dass die Nachrichten und Geschehnisse aus aller
Welt auch für unser Land nicht folgenlos bleiben. Ich
glaube, dass diese vielen Beiträge auch das Ausmaß der
Geschehnisse deutlich zeigen. Laut den Vereinten Natio-
nen sind aktuell weltweit über 51 Millionen Menschen
auf der Flucht, davon 17 Millionen Menschen außerhalb
ihres Landes. Das sind unglaubliche Dimensionen, die
natürlich auch uns erreichen. Die erschütternden Bilder
und Nachrichten brauche ich kaum zu wiederholen; ich
tue es trotzdem: Unfassbare Gräueltaten der IS-Terror-
miliz, Bürgerkrieg in Syrien, Eskalation in der Ost-
ukraine, israelisch-palästinensische Auseinandersetz-
ungen, ein Gazastreifen, der in Trümmern liegt,
Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer.

Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
für dieses Jahr mit rund 200 000 Asylanträgen rechnet,
dann hat das natürlich auch Folgen für die Länder und
Kommunen; das ist hier schon lange und oft genug ge-
sagt worden. Ich möchte nur noch einmal betonen, dass
es nicht nur bei der Unterbringung Herausforderungen
gibt und dass sich Deutschland natürlich seiner Verant-
wortung stellt. Wer vor Krieg, Bürgerkrieg oder Verfol-
gung flieht, muss Schutz in unserem Land finden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Die Asylantragsteller brauchen schneller Klarheit
über ihren Status. Jahrelange Verfahren, wie wir sie ja
durchaus kennen, helfen niemandem weiter. Darum
haben wir 300 neue Stellen beim Bundesamt für Migra-





Staatsministerin Aydan Özoğuz


(A) (C)



(D)(B)

tion und Flüchtlinge eingerichtet, und in 2015 soll es
vermutlich noch einmal einen Aufwuchs geben; mein
Fraktionskollege Martin Gerster hat dies gestern ange-
sprochen.

Es nützt natürlich niemandem, wenn die Asylbewer-
ber oft monatelang herumsitzen und nicht arbeiten dür-
fen. Das haben wir alle miteinander erkannt. Deshalb
werden wir das Verbot der Arbeitsaufnahme von Asylbe-
werbern und Geduldeten auf drei Monate begrenzen.
Diese Frist braucht man schon; so fair muss man sein.
Wenn jemand gerade hier ankommt, kann er nicht sofort
irgendwohin geschickt werden. Die Menschen wollen
aber arbeiten und selbstbestimmt ein Stück zu ihrem Le-
bensunterhalt beitragen können. Dabei geht es auch um
Menschenwürde, die wir damit ermöglichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu passt es auch, dass wir junge Flüchtlinge, die in
unser Land kommen und die richtig gut und schnell sind
– sie lernen Deutsch und machen ihre Abschlüsse; über
sie reden wir leider nur sehr selten –, nicht vier Jahre
lang warten lassen, bis sie eine Ausbildung machen dür-
fen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woran liegt das denn? An uns nicht!)


Mit Unterstützung des Bildungsministeriums und des In-
nenministeriums haben wir jetzt dafür sorgen können,
dass schon nach 15 Monaten eine Ausbildungsförderung
gezahlt wird. Hierfür haben uns übrigens auch Unterneh-
mer schon ein großes Dankeschön ausgesprochen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bilder, die uns vom Mittelmeer und von Lam-
pedusa erreichen, zeigen einen unhaltbaren Zustand und
sind unwürdig für die Europäische Union. Ich möchte
noch einmal wiederholen: Wir müssen gemeinsam mit
den europäischen Partnern eine faire, solidarische Auf-
gabenaufteilung erreichen. Auch Thomas Oppermann
hat das eben noch einmal gesagt. Deutschland nimmt
heute 30 Prozent der Flüchtlinge auf. Ich glaube, wir
können sagen: Außer in Schweden sehen wir eigentlich
nirgendwo vergleichbare Anstrengungen. So darf das na-
türlich nicht bleiben. Das ist keine Partnerschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutschland ist mittlerweile ein richtig beliebtes
Land. Ich glaube, es ist für manche überraschend, dass
wir plötzlich einen solchen Stellenwert haben. Diese
hohe Position haben wir in der OECD erreicht, weil wir
den zweithöchsten Wanderungsgewinn nach den USA
zu verzeichnen haben.

Ich möchte hervorheben, dass wir eine sehr erfreuli-
che und sehr positive Grundeinstellung der Hilfsbereit-
schaft in unserer Bevölkerung feststellen können – ich
glaube, das ist sehr wichtig –,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)

und zwar nicht nur gegenüber Einwanderern insgesamt,
sondern insbesondere auch gegenüber Flüchtlingen. Es
gibt unglaubliche viele Nachbarschaftsinitiativen rund
um Flüchtlingsheime, die sich in den letzten Monaten
gegründet haben, um den Flüchtlingen direkt zu helfen,
um den Kontakt zu anderen zu ermöglichen und um auf-
zuklären. Wir alle sind uns darüber im Klaren: Die Ar-
beit, die die Menschen in diesen Nachbarschaftsinitiati-
ven leisten, könnten wir aus unserem Haushalt
überhaupt nicht bezahlen. Es ist also wirklich ein Danke-
schön an all die Menschen angebracht, die sich dort en-
gagieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte an das anschließen, was Volker Kauder
gesagt hat. Wir haben heute Morgen an den Ausbruch
des Zweiten Weltkrieges und die Gräueltaten der Natio-
nalsozialisten erinnert. Vor diesem Hintergrund möchte
ich noch einmal sagen: Wenn ich mir manche Demon-
strationen auf deutschen Straßen anschaue, dann kann
ich nur unterstreichen, dass diejenigen, die antisemiti-
sche Parolen rufen, das Recht auf Meinungsfreiheit deut-
lich überschreiten. Antisemitismus hat keinen Platz in
unserem Land.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen – das ist
jetzt an Volker Kauder gerichtet –: Vor dem Hintergrund
der deutschen Geschichte wäre es ebenso angebracht, zu
sagen: Auch Antiziganismus hat in Deutschland keinen
Platz.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)


Natürlich ist auch niemandem damit geholfen, Islam-
feindlichkeit auszublenden. Ich finde, dass die Brandan-
schläge auf Moscheen, die sich im Moment häufen, uns
durchaus nachdenklich machen müssen. Jegliche Diskri-
minierung aufgrund von Religionszugehörigkeit oder
Herkunft dürfen wir in Deutschland nicht dulden. Das
muss uns doch die Geschichte gelehrt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn selbsternannte „Scharia-Polizisten“ durch
Wuppertal spazieren, dann dulden wir auch das nicht.
Das hat der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf
Jäger deutlich gemacht. Aber wir sollten diese Verirrten
mit ihren abstrusen Ideen nicht wichtiger machen, als sie
eigentlich sind. Das ist schon ein schmaler Grat, auf dem
wir uns da bewegen.

Anders sieht es bei gewaltbereiten, meist jungen
Männern aus Deutschland aus, die von hier in den Nahen
Osten oder nach Afghanistan reisen, um sich dort in den
sogenannten Terrorcamps ausbilden zu lassen oder
gleich in den Kampf zu ziehen. Hierzu möchte ich sa-
gen: Es hat sich mir noch nie erschlossen – das konnte
ich noch nie nachvollziehen –, wie ein Mensch in
Deutschland auf die Idee kommen kann, in ein soge-





Staatsministerin Aydan Özoğuz


(A) (C)



(D)(B)

nanntes Ausbildungslager im Ausland zu reisen oder
sich gar einer Terrormiliz anzuschließen. Das hat in mei-
nen Augen weder mit dem Islam noch mit dem Thema
Religion überhaupt irgendetwas zu tun. Deswegen ist es
besonders wichtig, dass deutschlandweit am 19. Septem-
ber dieses Jahres die Moscheegemeinden aufstehen wol-
len und ein Zeichen gegen Hass und Unrecht und für
Frieden auf der Welt setzen wollen. Ich habe den Ein-
druck, dass viele in unserer Bevölkerung schon lange da-
rauf warten. Es ist gut, dass ein solches Zeichen gesetzt
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein Beweis dafür, dass man auch mit einem sachli-
chen Blick und ohne zu starke emotionale Aufwallungen
an die Herausforderungen herangehen kann, ist die Um-
setzung der Empfehlungen des Staatssekretärsausschus-
ses bezüglich der Inanspruchnahme von Sozialleistungen
durch EU-Bürger. Alle Ressorts haben in diesem Aus-
schuss gemeinsam mit den Kommunen in akribischer
Sacharbeit Daten und Fakten über die Zuwanderung nach
Deutschland, insbesondere – weil es angesprochen
wurde – aus Bulgarien und Rumänien, zusammengetra-
gen.

Das wenig überraschende Ergebnis, wenn ich das ein-
mal so sagen darf, ist: Es ist keineswegs so, dass
Deutschland unter der Last der rumänischen und bulgari-
schen Zuwanderung zusammenbrechen würde. Ganz im
Gegenteil: Die Einwanderer aus Südosteuropa sind in
der Regel gut ausgebildet und gehen einer Arbeit nach.
Ja, es gibt Einzelne, auf die das nicht zutrifft – das will
ich gar nicht bestreiten –, was dazu führt, dass sich in
den Kommunen die Herausforderungen ballen. Aber es
ist schon erstaunlich, dass bis heute niemand so recht das
Ausmaß eines angeblich übermäßigen Sozialleistungs-
betrugs faktisch darstellen konnte. Der Ausschuss hat
beschlossen, den Kommunen – ich glaube, das ist wirk-
lich wichtig – mit insgesamt über 235 Millionen Euro
schnell zu helfen.

Einen unschätzbaren Beitrag zur Versachlichung der
Debatte hat – das möchte ich in diesem Zusammenhang
gern erwähnen – der Mediendienst Integration geleistet;
denn viele Journalistinnen und Journalisten fragen dort
nach Zahlen. Sie wollen wissen: Wie verhält es sich
denn wirklich mit den Zuwanderern? Wer arbeitet? Wer
bekommt Sozialleistungen? – Dieser Mediendienst wird
von mir als Integrationsbeauftragter aus meinem extrem
kleinen Budget – wenn ich das in der Haushaltsdebatte
noch einmal anmerken darf – unterstützt. Er bereitet für
Journalisten Daten auf und erklärt Hintergründe zu die-
sen Themen. Ich glaube, dass das sehr hilfreich sein
kann. Deswegen halten wir an diesem Mediendienst
weiter fest.


(Beifall bei der SPD)


Zwei kurze Stichworte zum Schluss. Ein bewährtes
Instrument für ein Gelingen der Integration sind die Inte-
grationskurse zum Spracherwerb. Der große Erfolg die-
ser Kurse gibt uns recht. Wir haben am Tag der offenen
Tür des Kanzleramts ein Quiz gemacht und die Leute ge-
fragt, wie viele Menschen so einen Kurs wohl schon ge-
macht haben mögen. Es ist doch erstaunlich, dass die
meisten sich höchstens 300 000 Teilnehmer vorstellen
konnten und nicht wussten, dass es schon 1,3 Millionen
Menschen sind, dass die Menschen Schlange stehen, um
sich für diese Kurse anzumelden, und diese Kurse gern
besuchen. Deswegen war es wichtig, dass die Mittel in
diesem Bereich nicht gekürzt wurden, dass wir sie also
erhalten konnten.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU])


Auch die Migrationsberatungsstellen für erwachsene
Zuwanderer sind im Moment sehr stark gefordert. Das
möchte ich nur einmal erwähnen; denn bei ihnen stehen
die Familien vor der Tür, die ganz viel Hilfe brauchen.
Und wenn man sich einmal die Zahlen anschaut, dann
stellt man fest, dass mehr Menschen kommen, aber nicht
mehr Berater vorhanden sind. Auch darüber sollten wir
noch einmal sprechen.

Es freut mich, dass wir mit der weitestgehenden Ab-
schaffung der Optionspflicht – das möchte ich zu guter
Letzt sagen – ein ganz klares Signal in Richtung Ein-
wanderungsdeutschland gegeben haben. Frau Göring-
Eckardt, ich bin vorhin ein bisschen zusammengezuckt,
als Sie sagten, Deutschland sei seit 1989 ein Einwande-
rungsland. Natürlich ist Deutschland schon länger ein
Einwanderungsland. Wir hatten immer ein bisschen Pro-
bleme damit, das zuzugeben. Aber nun ist es vollbracht,
wenn man so will. Wir sind mit der weitestgehenden Ab-
schaffung der Optionspflicht dem Ganzen ein großes
Stück näher gekommen. Es ist jetzt eben nicht mehr so
– wie noch in meiner Generation –, dass man hier gebo-
ren wird, groß wird und immer Ausländer bleibt und
zum Beispiel nicht irgendwann einmal am Kabinetts-
tisch sitzen kann. Das haben wir nun endlich geändert.
Ich glaube, so fühlen sich die jungen Menschen auch
wirklich als fester Bestandteil dieses Landes, ohne ihre
Herkunft verleugnen zu müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Letzter Satz – das ist für den Haushalt wichtig –: Die
Mittel, die wir für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
in Deutschland, für mehr Bildungsmöglichkeiten, für
Austausch, für Begegnung und Beratung einsetzen – das
ist manchmal in Zahlen nicht so leicht auszudrücken –,
sind echte Investitionen in unsere Gesellschaft und in die
Zukunft und den Frieden unseres Landes.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805002500

Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat nun das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1805002600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In diesen Tagen spüren wir alle, dass die Welt aus den
Fugen geraten ist. Wir erleben weltweit eine politisch
bewegte Zeit, und zwar in einer Intensität, die wir bisher
noch kaum erlebt haben.

In Europa wird uns klar, dass die Folgen der Finanz-
und Wirtschaftskrise noch nicht ganz aufgearbeitet und
bewältigt sind. Wenn dennoch immer wieder Stimmen in
der Richtung laut werden, doch wieder einmal kreditfi-
nanzierte Programme aufzulegen, dann, kann ich nur sa-
gen, hat man das alles nicht verstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir sowohl
in Europa als auch weltweit erlebt haben und erleben, ist
es umso wichtiger, dass wir unseren Stabilitätskurs, un-
seren Konsolidierungskurs in Deutschland so, wie er die
letzten Jahre gefahren worden ist, fortsetzen.

Der Haushalt 2015, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen, ist in der Tat ein Meilenstein. Das ist eine his-
torische Zeitenwende; denn das erste Mal seit mehr als
45 Jahren macht der Bund keine neuen Schulden. Das
letzte Mal war das unter der Verantwortung des Finanz-
ministers Franz Josef Strauß der Fall.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)


– Das muss einmal gesagt werden. – Heute ist es unter
der Verantwortung von Wolfgang Schäuble der Fall. Ich
möchte ihm persönlich, aber auch den Haushältern und
allen, die hier in den letzten Jahren Verantwortung getra-
gen haben, herzlich dafür danken. Denn das ist nicht nur
das Ergebnis einer kurzfristigen Haushaltsaufstellung in
diesem Jahr, sondern es ist das Ergebnis harter Arbeit in
den letzten Jahren, die heute Früchte trägt und auch
künftig tragen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Und wir tun das, meine Damen und Herren, ohne
Steuererhöhungen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Das ist eine ganz wichtige Botschaft, die Volker Kauder
am Ende seiner Rede deutlich zum Ausdruck gebracht
hat. Man kann gar nicht oft und deutlich genug betonen,
dass dies dazugehört. Steuererhöhungen bremsen die
Leistungsbereitschaft eines jeden Steuerpflichtigen; sie
blockieren Investitionen. Wenn, wie im Laufe der gestri-
gen und heutigen Debatte, von Oppositionskollegen im-
mer wieder angemahnt wird, dass zu wenig investiert
wird, dann sollten wir uns einmal klarmachen: Nicht nur
die öffentlichen Haushalte tätigen Investitionen, sondern
der wesentliche Teil der Investitionen wird durch Private
getätigt, und zwar durch die Wirtschaft, durch unsere
Unternehmen. Sie brauchen verlässliche Rahmenbedin-
gungen und können keine zusätzlichen Belastungen er-
tragen.

Deshalb ist unser Credo: keine Steuererhöhungen in
dieser Legislaturperiode. Darauf können sich die Men-
schen verlassen. Das haben wir vor der Wahl gesagt, und
das halten wir über die ganze Legislaturperiode ein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Darauf können sich vor allem die Millionäre in diesem Land verlassen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ausgeglichener
Haushalt ist nichts, das man als Monstranz vor sich her-
trägt. Er ist auch kein Selbstzweck. Nein, er ist aus drei-
erlei Gründen, die ich ansprechen möchte, besonders
wichtig:

Erstens ist er ein Zeichen der Verlässlichkeit. Verläss-
lichkeit ist die Basis für Vertrauen; ohne Vertrauen fin-
den keine Investitionen statt. Es ist die wesentliche
Grundlage für wirtschaftliche Betätigung und wirtschaft-
lichen Erfolg in einem Land, dass sich all diejenigen, die
investieren und wirtschaftlich tätig sind, auf Rahmenbe-
dingungen verlassen können, die ihnen den entsprechen-
den Spielraum geben.

Das Zweite ist: Wir schaffen damit Spielraum für die
notwendigen Schwerpunkte und die notwendigen öffent-
lichen Investitionen, beispielsweise im Infrastrukturbe-
reich, sowohl im Verkehr als auch in der digitalen Infra-
struktur, oder auch im Bildungs- und Forschungsbereich.
Das wurde heute schon mehrfach angesprochen. 15 Mil-
liarden Euro allein in diesem Jahr für Bildung: Das ist
mehr als doppelt so viel wie 2005. Es geht aber auch um
Schwerpunkte im sozialen Bereich wie das, was wir in
den vergangenen Jahren für die Entlastung der Kommu-
nen gemacht haben und immer noch machen, und zwar
bei Aufgaben, für die der Bund eigentlich gar nicht zu-
ständig ist.

Das Dritte und ganz Wesentliche ist, dass wir keine
Politik auf Kosten der jüngeren Generation machen. Wir
sind uns vielmehr bewusst, dass das Allerbeste, was wir
den jungen Menschen, unseren Kindern und Enkelkin-
dern, mitgeben können, schuldenfreie Haushalte sind:
keine Schulden, sondern Chancen, dass sie sich entfalten
und auf die aktuellen Herausforderungen ihrer Zeit ent-
sprechende Antworten geben können und entsprechende
Spielräume haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Beste, was wir für unsere wirtschaftliche Ent-
wicklung tun können, und das Beste, was wir für unsere
Kinder und Enkelkinder tun können, das machen wir mit
diesem Haushalt 2015.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn, wie in der gestrigen und heutigen Debatte, die
Kollegen aus der Opposition versuchen, das madigzu-
machen und kleinzureden,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das macht schon der Deutschlandfunk!)


dann muss ich sagen: Jeder, der diese Erfolgsgeschichte,
nämlich einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuver-
schuldung und Steuererhöhungen mit entsprechenden in-





Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

vestiven Schwerpunkten, madigmacht, dokumentiert da-
mit: Er hat mit dieser Erfolgsgeschichte nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So ist es auch: Die Herrschaften von der Opposition ha-
ben an dieser Erfolgsgeschichte keinen Anteil.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das sehen wir aber anders!)


Sie haben keinen Beitrag dazu geleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ach, Frau Hasselfeldt!)


Dieser ausgeglichene Haushalt ist auch ein richtiges
Signal in Richtung Europa. Wenn uns Europa in den
letzten Jahren eines gelehrt hat, dann war es dies: Eine
zu hohe Staatsverschuldung blockiert Leistungsbereit-
schaft, Investitionen, Wachstum und damit eine weitere
positive Entwicklung und schafft Krisen. Das haben wir
alle miteinander erlebt.

Es war die zu hohe Staatsverschuldung in den einzel-
nen Ländern, die die Krise in Europa herbeigeführt hat.
Deshalb war es richtig, wie wir gehandelt haben.

Heute sehen wir: Portugal, Irland und Spanien haben
den Rettungsschirm verlassen. Griechenland und Zypern
haben zumindest Fortschritte erzielt und sind auf einem
guten Weg. Aber wir wissen auch, dass wir noch nicht
am Ende angelangt sind, dass wir noch nicht das eigent-
liche Ziel erreicht haben. Das werden wir nur dann errei-
chen, wenn wirklich jedes Land seine Hausaufgaben
macht, wenn in jedem der betroffenen Länder die not-
wendigen Strukturreformen durchgeführt werden und
für solide Haushalte gesorgt wird.

Unser Kurs war richtig, der da lautete: Wir wollen die
Problemländer nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.
Solidarität ja, aber nur in Verbindung mit Solidität.
Keine Vergemeinschaftung von Schulden und keine
Aufweichung der Stabilitätskriterien. – Das gilt für alle
Länder. Das gilt in Zukunft und aktuell für Italien und
Frankreich. Dabei muss es auch bleiben. Dass diese Li-
nie erfolgreich ist, haben die letzten Monate gezeigt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


Wir erleben – das ist in allen Debattenbeiträgen deut-
lich zum Ausdruck gekommen – eine Welt voller Krisen;
gerade heute ist mir das bei der Rede des polnischen
Staatspräsidenten wieder ganz bewusst geworden. Bei
all den Krisen rings um uns herum mit ihren unterschied-
lichen Ursachen muss uns doch immer wieder klar sein,
welch großer Segen es ist, dass wir in der Europäischen
Union verankert sind, dass wir in einer Europäischen
Union als Friedens- und Freiheitsunion leben können, in
einer Gemeinschaft, in der nicht irgendwelche Gebiets-
ansprüche oder geostrategische Einflusssphären eine
Rolle spielen. Vielmehr ist die Europäische Union ge-
prägt von Freiheit, Frieden und dem Selbstbestimmungs-
recht der Völker. Das ist ein riesiges Glück für uns. Ich
bin – das sage ich ganz offen – jeden Tag dankbar dafür,
erst recht angesichts der Krisen, die wir in der Welt erle-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich
beispielsweise auch die Menschen in der Ukraine danach
sehnen. Daher ist es unsererseits notwendig, nicht nur
einfach zuzuschauen, sondern dies auch zu verteidigen
und entsprechend politisch zu handeln. Ich unterstütze
deshalb mit großem Engagement alle Entscheidungen,
die die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister
in den letzten Wochen und Monaten vorbereitet und ge-
troffen haben. Es kann natürlich keine militärische Lö-
sung geben. Es muss eine politische Lösung geben. Ge-
spräche müssen weiterhin geführt werden. Aber es
müssen auch klare Worte fallen, und es muss klare Kante
gezeigt werden. Für den bisher eingeschlagenen Weg bin
ich sehr dankbar. Ich bitte, auf diesem fortzufahren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich sind wir angesichts der Krisen als traditio-
nelles Zufluchtsland auch mit Herausforderungen kon-
frontiert, die größere Anstrengungen von uns verlangen
als in früheren Jahren. Wir rechnen in diesem Jahr mit
etwa 200 000 Flüchtlingen; das wurde bereits ange-
sprochen. Ich möchte meinerseits den Mitarbeitern des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg,
das ich letzte Woche besucht habe, sehr herzlich für die
Arbeit danken, die dort geleistet wurde und geleistet
wird. Ich möchte auch all jenen danken, die in den Städ-
ten und Gemeinden bei der Betreuung der Flüchtlinge
ehrenamtlich Hilfe leisten. Es ist großartig, was in vielen
Städten und Gemeinden geleistet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben hier einige Aufgaben zu bewältigen. Ich
plädiere dafür, dass wir das gemeinsam machen, in ge-
meinsamer Verantwortung des Bundes, der Länder und
der Kommunen, aber auch Europas. Ich wünsche dem
Bundesinnenminister viel Erfolg bei seinen Verhandlun-
gen, wenn es darum geht, auch die anderen europäischen
Länder ein Stück weit stärker in die Pflicht zu nehmen.

Es kann nicht sein, dass die Flüchtlinge, die in Italien
ankommen, nicht registriert werden, ihnen aber ein Zug-
ticket gegeben wird, mit dem sie Richtung Norden fah-
ren können. Das ist nicht im Sinne dessen, was auf euro-
päischer Ebene vereinbart wurde, das ist nicht im Sinne
des europäischen Geistes. An dieses Problem muss man
herangehen, man muss es artikulieren, und das tut der
Bundesinnenminister. Dafür bin ich sehr dankbar.

Was zu den sicheren Herkunftsländern vorhin gesagt
wurde, teile ich. Wir sind darüber in Gesprächen. Ich
hoffe sehr, dass wir zu einem Ergebnis kommen; denn es
kann nicht sein, dass 20 Prozent der Asylbewerber in
Deutschland aus drei Ländern des Westbalkans kommen,
wobei deren Anerkennungsquote weniger als 1 Prozent





Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

beträgt. Das blockiert die Arbeit der Mitarbeiter im
BAMF, das blockiert auch alle Aufnahmemöglichkeiten.

Ich möchte die Diskussion sehr sachlich führen und
darauf hinweisen, dass die Einstufung als sicheres Her-
kunftsland nicht bedeutet, dass die Menschen, die aus
diesen Ländern kommen, kein Asylverfahren bekom-
men. Es geht nur darum, dass die Beweislast anders ist,
dass die Verfahren verkürzt werden können. Es hat na-
türlich jeder Einzelne ein Recht darauf, dass sein Antrag
geprüft wird. Dies will ich nur zur Klarheit sagen, weil
gelegentlich eine Legendenbildung erfolgt, die den Tat-
sachen nicht entspricht.

Meine Damen und Herren, ich habe vorhin vom
Haushalt der Schwerpunkte gesprochen. Wir haben in
diesem wie auch schon im vergangenen Haushalt deutli-
che Schwerpunkte gesetzt. Ein ganz wesentlicher ist der
Schwerpunkt Bildung und Forschung. Wenn uns vor we-
nigen Tagen der Präsident des Fraunhofer-Instituts ge-
sagt hat, dass wir beim Handel mit Produkten, die auf
Forschung und Entwicklung basieren, an zweiter Stelle
weltweit stehen, hinter China und noch vor den USA,
dann macht das deutlich, dass die Anstrengungen der
letzten Jahre nicht irgendwo verpufft sind, sondern sicht-
bar und spürbar sind. Die Hightech-Strategie, die Exzel-
lenzinitiative, der Hochschulpakt – all das waren und
sind Anstrengungen des Bundes in den vergangenen Jah-
ren und aktuell, die weitergeführt werden und die zu die-
sem positiven Ergebnis geführt haben. Wir können heute
sagen: Wir sind ein wichtiges Forschungsland in der
Welt. Das haben wir uns in den letzten Jahren aufgebaut.

Der zweite Schwerpunkt liegt auf dem Bereich Sozia-
les, Kinder, Familie. Wir reden heute schon gar nicht
mehr über das Elterngeld; in manchen Ländern, wie in
Bayern, gibt es auch noch das Landeserziehungsgeld. Es
gibt das Betreuungsgeld und die Kindertagesbetreuung.
Wir haben vieles für Familien mit Kindern getan, und
wir tun das auch weiterhin, obwohl der Bund zum Bei-
spiel für die Kinderbetreuung gar nicht originär zustän-
dig ist. Das tun wir aus der festen Überzeugung heraus,
dass unsere Politik eine Politik ist, die den Kindern, Ju-
gendlichen und jungen Familien bei der Bewältigung der
neuen Herausforderungen, vor denen sie stehen, hilft.

Das Gleiche gilt übrigens auch in anderen Sozialbe-
reichen, was ich aufgrund der Zeit nicht mehr vertiefen
kann.

Aber eines will ich noch sagen: Wenn wir die Men-
schen fragen, wie es ihnen geht, wenn wir die Umfrage-
werte sehen, wenn wir die objektiven Zahlen unserer Be-
schäftigungs- und Wirtschaftsentwicklung sehen, dann
merken wir: Die Menschen sind zufrieden. Sie erkennen
an, dass diese Bundesregierung sie durch schwierigste
internationale Krisen gut, ja bestens gesteuert hat. Sie er-
kennen an, dass Deutschland eine hohe Reputation, ja
höchste Anerkennung in der Welt genießt, nicht zuletzt
durch die Arbeit der Bundeskanzlerin. Sie erkennen an,
dass wir eine hervorragende Beschäftigungssituation ha-
ben. Sie erkennen an, dass wir einen starken Mittelstand
haben, den wir auch pflegen müssen, und sie erkennen
an, dass wir eine stabile Sozialversicherung mit hohen
Sozialstandards im ganzen Land haben.
Diese Anerkennung und der Haushalt 2015 sind eine
gute Grundlage, damit auch weiterhin erfolgreich gear-
beitet werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805002700

Die Kollegin Bettina Hagedorn hat für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1805002800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Nach 46 Jahren gibt es das erste Mal keine neuen
Schulden auf Bundesebene. Das ist auch für meine Kin-
der und Enkel eine richtig gute Nachricht. Die Kehrseite
der Medaille, sozusagen der Preis dafür ist aber – da-
rüber wird im Moment öffentlich und auch in diesem
Hause debattiert –, dass unser öffentliches Vermögen
verrottet; so hat es manch einer überspitzt formuliert. In-
sofern ist das Ganze auch für meine Kinder und Enkel in
der Tat eine zwiespältige Nachricht. Darum will ich
mich mit diesem Thema hier näher beschäftigen; es be-
rührt uns alle in der Tat zutiefst.

Es wäre volkswirtschaftlich verantwortungslos, wenn
wir uns um das, was wir an öffentlicher Daseinsvorsorge
haben, was in Deutschland einmal traditionell mit einem
hohen Standard versehen und in einem guten Zustand
war, nicht in dem Umfang kümmern würden, wie es er-
forderlich ist.

Auf dem gestrigen zweiten Welt-Infrastrukturgipfel
hier in Berlin wurde moniert, dass wir bei der Qualität
der Infrastruktur 2008 weltweit noch auf Platz drei lagen
und aktuell auf Platz sieben abgerutscht sind. Das ist ein
Trend, der uns nachdenklich machen muss.

Eine ganz besondere Rolle spielt in unserem Haus-
haltsentwurf der Etat von Herrn Dobrindt. Ich zitiere,
was ein Landesverkehrsminister, den die meisten von
uns noch als Kollegen kennen, nämlich Winfried
Hermann von den Grünen, auf dem von mir gerade an-
gesprochenen Infrastrukturgipfel forderte:

Der Bund hat 20 Jahre lang zu wenig investiert, das
muss er jetzt nachholen mit mindestens 7,2 Milliar-
den Euro pro Jahr.

Gut gebrüllt, Löwe! 7,2 Milliarden Euro, das ist das
Ergebnis der Beratungen der Bodewig-Kommission, das
niemand hier im Hause ernsthaft anzweifeln will. Aber
woher nehmen und nicht stehlen? Also, es wäre schon
schön, wenn uns Vorschläge gemacht würden, wie diese
7,2 Milliarden Euro pro Jahr aufgebracht werden kön-
nen.

Ein Blick in unseren Koalitionsvertrag lässt erkennen,
wie wir dabei auf jeden Fall nicht vorgehen werden: Wir
werden ganz bestimmt nicht neue Schulden machen; da
sind wir uns einig. Wir sind uns auch einig – ich denke,
darin sind wir uns auch mit Oppositionsabgeordneten in
diesem Hause einig –, dass wir diese Summe schon gar
nicht durch Umgehung der Schuldenbremse, die wir ge-





Bettina Hagedorn


(A) (C)



(D)(B)

meinsam in die Verfassung geschrieben haben, bereit-
stellen. Das wäre ja Lug und Trug; das kann es nicht
sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Herr Minister Dobrindt, unser Koalitionsvertrag ent-
hält eine sehr kritische Formulierung zu PPP-Projekten;
sie ist von Herrn Oppermann hier schon angesprochen
worden. Dort ist eindeutig festgehalten, dass im Einzel-
fall nachgewiesen werden muss, dass PPP-Projekte wirt-
schaftlich günstiger sind als Projekte, bei denen die öf-
fentliche Hand allein die Verantwortung trägt, etwa bei
großen Verkehrsvorhaben. Darum gibt es in der Repu-
blik Auseinandersetzungen zwischen Ihnen, Herr
Dobrindt, und dem Bundesrechnungshof; Sie selbst ha-
ben auf dem Infrastrukturgipfel darauf hingewiesen. Es
tobt eine fröhliche Debatte.

Eines kann man, glaube ich, sagen: Von uns Koali-
tionspartnern wird diese Auseinandersetzung nicht als
ideologischer Grabenkrieg geführt. Es geht nicht darum,
ob man grundsätzlich dafür oder dagegen ist, sondern es
geht darum, etwas möglich zu machen; aber es muss
dann auch wirklich volkswirtschaftlich günstiger sein.

Der Wirtschaftsweise Bofinger hat es auf dem Infra-
strukturgipfel gut formuliert – heute steht das übrigens in
der Welt; ich zitiere –:

Besser ÖPP als gar nichts. Das ist unstrittig. Aber
eins ist klar: ÖPP ist insoweit teurer, als niemand
sich so günstig verschulden kann wie der Staat.
ÖPP muss eben auch finanziert werden, die Anle-
ger wollen etwas damit verdienen, dass sie sich am
Ausbau der Infrastruktur beteiligen.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Besser als gar nichts“ ist Quatsch!)


Das, was er hier sagt, ist zutiefst richtig, und genau das
sagt auch der Bundesrechnungshof, nämlich dass sich
niemand so günstig verschulden kann wie der Staat.

Vor diesem Hintergrund will ich an dieser Stelle sa-
gen, dass ich es gut finde, dass wir in der Koalition ge-
meinsam verabredet haben – es geht nicht nur darum,
was wir alles nicht wollen, sondern wir wollen ja vor al-
len Dingen gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten su-
chen –, dass wir uns mit der Frage befassen – Sigmar
Gabriel hat initiiert, dass es dazu in seinem Haus Ex-
pertenrunden gibt –: Wie kann man eigentlich das Ver-
mögen von Menschen im Land nutzen? Thomas
Oppermann hat darauf hingewiesen, dass Deutsche ihr
Vermögen teilweise im Ausland investieren, und zwar in
Projekte, die sehr zwiespältig sind. Warum suchen wir
nicht lieber einen Weg, der es möglich macht, dass sie in
die Infrastruktur hier in Deutschland investieren? Auf
diesem Weg sind wir. Das finde ich ausdrücklich gut.
Das Ganze ist ergebnisoffen.

Was ich aber hinzufügen will, ist: Wir sind uns einig,
dass wir auf diese Art und Weise nicht privatisieren wol-
len, wie Herr Gysi uns heute Morgen unterstellen wollte;
wir wollen die Infrastruktur im öffentlichen Eigentum
behalten. Wir wollen die Verantwortung dafür nicht etwa
abgeben; wir wollen nur ihren Erhalt intelligent möglich
machen. Da ist besonders wichtig, dass wir für diese Gü-
ter der Daseinsvorsorge die politische und die demokra-
tische Steuerung sowie die parlamentarische Kontrolle
behalten, und das setzt Transparenz voraus. Das sind drei
Schlüsselworte. Wenn die drei Schlüsselworte „Steue-
rung“, „Kontrolle durch das Parlament“ und „Transpa-
renz“ eine Seite der Medaille sind, dann kriegen wir es
gemeinsam mit Sicherheit hin, dass die „Mobilisierung
von privatem Kapital“ die andere Seite der Medaille
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist ein spannender Prozess. Nur dann, wenn wir
das miteinander hinkriegen, können meine Kinder und
Enkel sagen: Super! Ihr macht nicht nur keine neuen
Schulden mehr, sondern ihr sorgt auch dafür, dass das,
was der Staat an Vermögen hat, nicht verrottet, sondern
auch für die nächste Generation noch vorhanden ist. –
Dann hätten wir den Praxistest ernsthaft bestanden.

Wenn wir darüber reden, dass wir für Verkehrsinvesti-
tionen nicht genug Geld haben, dann müssen wir noch
etwas in den Blick nehmen, und das ist die Einnahmesi-
tuation in Ihrem Haus, Herr Dobrindt. Da haben wir in
der Vergangenheit durchaus Gutes gemacht. Wir haben
in Deutschland nämlich die Lkw-Maut eingeführt. Bei
dem Stichwort „Lkw-Maut“ haben manche gar nicht im
Blick, wie viel Geld dadurch tatsächlich in Ihrem Etat
ankommt, Herr Dobrindt, und damit in die Verkehrsin-
frastruktur investiert werden kann. Das waren in den
letzten fünf Jahren 22 Milliarden Euro – 22 Milliarden
Euro!

Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir
die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten wollen.
Das ist enorm wichtig. Ich glaube, durch diese Summe
ist noch einmal deutlich geworden, dass wir hier nicht
sozusagen über Peanuts reden. Um 2 Milliarden Euro, so
schätzen wir, könnten wir damit Ihren Etat, Herr
Dobrindt, à la longue, und zwar nachhaltig und auf
Dauer, vergrößern: von round about 10 auf 12 Milliarden
Euro. Das wäre natürlich eine richtig gute Sache. Darum
will ich hier sagen: Diesen Weg müssen wir dringend
weiterverfolgen.

Ich weiß, dass das Thema Maut öffentlich und in den
Medien im Moment völlig anders besetzt ist; ich möchte
davon auch keineswegs ablenken. Ich will nur sagen: Im
Thema Lkw-Maut steckt, finanziell betrachtet, der we-
sentlich größere Betrag. Ich glaube, dass sich alle Deut-
schen – egal wie sie zur Pkw-Maut stehen – in einem
Punkt einig sind: Es sind doch die großen Lkw, die un-
sere Straßen ganz erheblich kaputtmachen. Darum soll-
ten wir diesen Weg gemeinsam gehen.

Damit Sie die Dimension erkennen: Aktuell wird auf
13 000 Kilometern Bundesfernstraßen für Lkw mit
12,5 Tonnen – zukünftig schon ab 7,5 Tonnen; die Ge-
setze werden kommen – Maut erhoben. Unser Ziel ist,
dass auf 40 000 Kilometern Bundesfernstraßen Maut er-
hoben wird, also eine Verdreifachung. Man kann sich
vorstellen, dass dadurch viel Geld eingenommen wird.
Das ist auch angemessen; denn wir wissen, dass viele





Bettina Hagedorn


(A) (C)



(D)(B)

Lkw zum Leidwesen der Anwohner die Autobahn ver-
lassen und dadurch verstärkt Straßen belasten, die dafür
eigentlich nicht geeignet sind. Für die Leute, die dort
wohnen, bedeutet das zusätzlichen Lärm und einen
schlechteren Zustand der Straßen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


An dieser Stelle haben wir gemeinsam viel vor. Dass
wir die Aufgabe, mehr Geld für die Verkehrsinfrastruk-
tur zu bekommen, gemeinsam lösen, darauf setzen die
Menschen in diesem Land große Hoffnung. Ich bin ge-
spannt, inwieweit uns die Verwirklichung dieses hehren
Ziels im Laufe der Haushaltsberatungen in den nächsten
zwei Monaten gelingen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805002900

Das Wort hat der Kollege Harald Petzold für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805003000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Frau Staatsministerin! Liebe
Besucherinnen und Besucher der heutigen Sitzung! Als
ich das letzte Mal an dieser Stelle über den Entwurf des
Einzelplans der Staatsministerin für Kultur und Medien
gesprochen habe, konnte ich meine Rede mit einem Lob
einleiten. Damals waren 90 Millionen Euro zusätzlich
für den Etat „Kultur und Medien“ zu feiern gewesen.
Diese zusätzlichen Millionen waren fraktionsübergrei-
fend erstritten worden. Heute kann ich leider nicht mit
einem solchen Lob beginnen.

Ich muss feststellen, dass der Entwurf des Einzelplans
„Kultur und Medien“ ideologischem Ballast folgt, dass
er zweitens nicht auf der Höhe der Zeit ist und dass er
drittens verteilungstechnisch unausgewogen ist. Ich
möchte Ihnen das begründen.

Zum Ersten. Frau Staatsministerin, mit insgesamt
12 Millionen Euro wollen Sie den Wiederaufbau der
Garnisonkirche in Potsdam unterstützen. 12 Millionen
Euro für ein Vorhaben, das selbst von der großen Mehr-
heit der Potsdamerinnen und Potsdamer strikt abgelehnt
wird. Stellen Sie sich vor, was wir allein in Potsdam mit
diesem Geld für Soziokultur, für Theaterprojekte, für
Ausstellungen, für Kulturvereine, für Künstlerinnen und
Künstler anstellen könnten.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie wollen Geld für die Wiedererrichtung eines Ge-
bäudes ausgeben, das in der Geschichte Deutschlands zu
einem Symbol für den preußischen Militarismus und die
nationalsozialistische Machtergreifung wurde. Sie för-
dern ein Bauwerk, dessen Wiedererrichtung selbst für
Christinnen und Christen eine Zumutung darstellt. Eine
wiedererbaute Garnisonkirche in Potsdam wäre nach-
träglich eine Demütigung des evangelischen Widerstan-
des gegen die Barbarei, wie er in der Bekennenden Kir-
che zum Ausdruck gekommen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich
möchte Sie bitten: Lassen Sie uns gemeinsam verhin-
dern, dass ein Tempel der Täter wieder errichtet wird,
auch im Respekt vor unseren gemeinsamen Opfern, die
unsere beiden Parteien bzw. Vorgängerparteien in der
Zeit der Nazidiktatur hinnehmen mussten.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Kollege Kauder, Sie haben uns an Ihrer Seite,
wenn Sie fragen, was wir aus der Geschichte lernen, und
fordern, dass Aufklärung und Information in den Schu-
len stattfinden müssen. Ich möchte Sie zum zweiten Mal
darauf aufmerksam machen, dass im Haushaltsentwurf
der Staatsministerin für Kultur und Medien das Sonder-
investitionsprogramm für Gedenkstätten auf null gesetzt
worden ist. Ich frage Sie, ob es unser Ernst ist, dass wir
hier um 9 Uhr eine Gedenkstunde aus Anlass des
75. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges be-
gehen und anderthalb Stunden später ein Haushalt vor-
gelegt wird, der für Gedenkstätten für die Opfer dieser
faschistischen Barbarei keine Sonderinvestitionen mehr
vorsieht. Ich sage das auch als Vertreter eines Wahlkrei-
ses, in dem sich mit den Gedenkstätten Sachsenhausen
und Ravensbrück zwei ganz besonders wichtige Ge-
denkstätten befinden. Ich möchte Sie bitten, diesen un-
haltbaren Zustand nicht aufrechtzuerhalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist absurd, auf der einen Seite ein fragwürdiges,
rückwärtsgewandtes Bauprojekt zu unterstützen und auf
der anderen Seite mit dem Zukunftsprojekt „Digitale
Agenda“ einen Text vorzulegen, der alles andere ist als
eine Agenda.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Dieses Papier ist bestenfalls eine Sammlung aus Absich-
ten und Unverbindlichkeiten. Allein sein medien- und
kulturpolitisches Kapitel leidet unter inhaltlicher Schwind-
sucht.

Sie erklären, dass die Deutsche Digitale Bibliothek
ausgebaut werden soll, sagen aber nicht, wie. Die einzel-
nen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen sind mit
den an sie gerichteten Anforderungen der Digitalisierung
in technischer, organisatorischer und personeller Hin-
sicht sehr oft einfach überfordert. Deswegen sagt die
Linke – und das seit vielen Jahren –: Es braucht keine
weiteren Ankündigungen, die zu nichts verpflichten, es
braucht eine nationale Digitalisierungsstrategie, unter-
setzt mit einem Sonderprogramm in Höhe von rund
30 Millionen Euro zur Digitalisierung des kulturellen
Erbes.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Zahlen habe ich mir nicht selber ausgedacht, son-
dern sie stammen vom Fraunhofer-Institut. Ich sage: Je
länger wir mit einer solchen Strategie warten, umso teu-
rer wird es am Ende.





Harald Petzold (Havelland)



(A) (C)



(D)(B)

Der dritte Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die
Medienordnung. Ich gönne den Menschen in Thüringen
eine bessere Regierung, und ich gönne ihnen mit Bodo
Ramelow einen linken Ministerpräsidenten. Ich als
Medienpolitiker habe natürlich verständlicherweise ein
Eigeninteresse an einem politischen und personellen
Wechsel in der Erfurter Staatskanzlei; denn in den
Staatskanzleien wird die Medienpolitik gemacht, unter
anderem auch die Medienordnung.

Wenn die Kanzlerin sagt: „Wir müssen die Start-up-
Unternehmen stärker unterstützen“, dann sage ich: Na-
türlich! Das hat etwas mit der Medienordnung zu tun.
Denn die Medienordnung stimmt seit langem nicht mehr
mit dem überein, was tatsächlich Medienrealität ist. Des-
wegen brauchen wir an dieser Stelle unbedingt eine Än-
derung und einen neuen Impuls.


(Martin Dörmann [SPD]: Die Bund-Länder-Kommission ist ja schon längst verabredet!)


Daher sage ich: Am Sonntag wählen gehen in Thürin-
gen und Brandenburg und die Linke wählen! Das ist ein
guter Schritt, damit an dieser Stelle endlich eine Verän-
derung einsetzt und wir auch in der Medienordnung vo-
rankommen.

Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805003100

Das Wort hat die Staatsministerin und Beauftragte für

die Angelegenheiten der Kultur und Medien, Professor
Dr. Monika Grütters.


(Beifall bei der CDU/CSU)


M
Monika Grütters (CDU):
Rede ID: ID1805003200


Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Nach der bewegenden Gedenkstunde heute Vormit-
tag zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren
fällt es in einer Debatte über den Kulturhaushalt, der
auch die Mittel für die Erinnerungskultur und die au-
thentischen Orte des Gedenkens einschließt, in der Tat
nicht leicht, einfach zur Tagesordnung überzugehen.

Ich bitte den Fraktionsvorsitzenden der Linken, Herrn
Gysi, ganz kurz zuzuhören. – Herr Petzold, Sie haben
kritisiert, es seien Mittel für das Gedenken gestrichen
worden. Das ist nicht richtig. Das Gegenteil ist der Fall:
Mehrere neue Gedenkstätten wie zum Beispiel der Ju-
gendwerkhof Torgau wurden in die Gedenkstättenkon-
zeption aufgenommen. Außerdem haben wir die Mittel
für dieses Gedenkjahr erheblich erhöht, unter anderem,
weil wir die Ausstellung zur friedlichen Revolution vor
25 Jahren am Standort Normannenstraße neu errichten
möchten.

Mit Blick auf unsere Gedenkstunde und die aktuelle
politische Situation bin ich dankbar für den geradezu
symbolträchtigen Zufall, dass sich ausgerechnet heute,
am 10. September 2014, die Überführung des wohl be-
rühmtesten Picasso-Bildes nach Spanien zum 33. Mal
jährt. Es ist ein Gemälde, das, so denke ich, wie kaum
ein anderes geradezu symbolhaft wie eine zeitlose Anti-
kriegsikone wirkt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist das Bild „Guernica“. Dieses Bild sollte nach
Picassos Willen erst dann in sein Heimatland Spanien
rücküberführt werden – es war bis dahin im MoMA in
New York –, wenn sein Heimatland wieder eine Demo-
kratie ist.

Es ist 1937 unter dem Eindruck der deutsch-italieni-
schen Luftangriffe während des spanischen Bürgerkriegs
entstanden. Guernica, die gleichnamige baskische Stadt,
wurde dabei dem Erdboden gleichgemacht; mehr als
1 500 unschuldige Menschen wurden ermordet. Auf
rund 27 Quadratmetern Leinwand sind heute tote, ver-
stümmelte, in Panik flüchtende Menschen und Tiere zu
sehen, abgetrennte Gliedmaßen, aufgerissene Münder –
das blanke Entsetzen eines Krieges eben. „Guernica“ of-
fenbart schonungslos die Gräuel jedes Krieges und
zwingt uns, zu sehen, was im bloßen Abwägen des Für
und Wider eben nicht immer sichtbar wird. Darin liegt
das Subversive, das Verstörende, aber eben auch die
Kraft der Kunst, auch dieses Werkes.

Es sagt viel über die Verfasstheit einer Gesellschaft
aus, ob sie bereit ist, sich damit wirklich auseinanderzu-
setzen. Wir haben nicht zuletzt aus unserer Erfahrung
mit der menschenverachtenden Diktatur des Nationalso-
zialismus die Lehre gezogen, dass wir die Künstler, die
Kreativen, die Vor-, die Querdenker als kritisches Kor-
rektiv unserer Gesellschaft brauchen, als Stachel im
Fleisch der Demokratie – deshalb ist deren Freiheit
schon sehr früh in der Verfassung, in Artikel 5, festge-
schrieben. Sie sind es, die immer wieder Grenzen aus-
loten, provozieren, hinterfragen, aber eben auch ver-
hindern, dass intellektuelle Trägheit, argumentative
Fantasielosigkeit und auch manche politische Bequem-
lichkeit die Demokratie einschläfern. Vielfalt und Frei-
heit für Kultur und Medien zu sichern, muss deshalb
oberster Grundsatz unserer Kulturpolitik sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn wir über den Kultur- und Medienetat reden,
meine Damen und Herren, dann reden wir immer auch
darüber, was uns die kulturelle Vielfalt und Freiheit wert
sind. Deshalb bin ich froh, dass wir den Kulturhaushalt
des Bundes trotz des notwendigen und richtigerweise
strikten Sparkurses auch gegenüber dem zweiten Regie-
rungsentwurf des Haushalts 2014 noch einmal leicht er-
höhen konnten. Das ist auch ein Bekenntnis der Regie-
rung zum besonderen Stellenwert der Kunst und Kultur.
Ich bin froh, dass dies hier sehr wohl fraktionsübergrei-
fend unterstützt wird.

Eine in diesem Sinne gute und enge Zusammenarbeit
wünsche ich mir aber auch mit den Ländern und Kom-
munen. Ich habe nach dem ersten Treffen im März mit
den 16 Kulturministerkolleginnen und -kollegen der
Länder sowie den Vertreterinnen und Vertretern der
kommunalen Spitzenverbände vereinbart, dass wir uns
künftig zweimal im Jahr in dieser Zusammensetzung





Staatsministerin Monika Grütters


(A) (C)



(D)(B)

treffen. Das hatte es noch nie gegeben, aber es soll jetzt
wegen der guten Erfahrungen verstetigt werden.

Außerdem bin ich in den letzten Monaten in 27 Städ-
ten und Kommunen gewesen und habe immer wieder
zwei Erfahrungen machen müssen.

Die eine Erfahrung ist: Es gibt Länder, die aufgrund
des Engagements des Bundes die Mittel für ihre Länder-
programme, beispielsweise Nordrhein-Westfalen im
Bereich des Denkmalschutzes, prompt nicht nur herun-
terfahren, sondern ganz streichen. So war das nicht ge-
meint, und so darf es auch nicht sein. Wir müssen die
Länder gelegentlich durchaus öffentlich stärker in die
Pflicht nehmen. Auf Kulturhoheit pochen und sich bei
der Finanzierung aus der Verantwortung stehlen – das
geht so nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum anderen sehen wir, dass gelegentlich Kommu-
nen, die ja eigentlich sehr viel für die Kultur tun – natür-
lich kennen auch wir die finanziellen Nöte der Städte
und Gemeinden – jetzt gerade hier den Rotstift ansetzen.
Das kostet mittelfristig mehr, als es an Einsparungen
bringt; das wissen wir. Ich bitte Sie, auch in Ihren Wahl-
kreisen immer mal wieder auf diesen Mechanismus hin-
zuweisen – das muss man nämlich vor Ort tun – und
nicht nur hier zu applaudieren.

Der Bund tut alles, was im Rahmen des Grundgeset-
zes möglich ist, um die kulturelle Vielfalt vor Ort zu för-
dern. Da gibt es nicht nur herausragende Programme wie
zum Beispiel den Kinoprogrammpreis, den Spielstätten-
programmpreis und das Programm zur Förderung der
Digitalisierung von Kinos, damit sie als Kulturorte er-
halten bleiben, sowie die Denkmalschutzprogramme
– auch im Bereich Buch wollen wir künftig etwas tun –,
sondern wir entlasten die Kommunen auch materiell,
zum Beispiel bis 2016 von den Pflichtleistungen für
Kosten der Unterkunft und Grundsicherung im Alter,
und zwar in Milliardenhöhe. Das schafft Investitionsfrei-
räume, die gut für freiwillige Leistungen und da zuvör-
derst für die Kultur genutzt werden können.

Im Rahmen dieses kleinen kulturföderalistischen Ex-
kurses möchte ich aber auch sagen, dass vieles in der Zu-
sammenarbeit supergut funktioniert. Ich bin ehrlich
stolz, dass es in Zusammenarbeit mit allen Bundeslän-
dern, mit den Kommunen und der Kulturstiftung der
Länder gelingen wird, unser Deutsches Zentrum Kultur-
gutverluste tatsächlich noch Ende dieses Jahres an den
Start zu bringen – in Form einer Stiftung, die in Sachsen-
Anhalt gegründet wird. Wir haben darüber hinaus auch
international Erfolge: Die Vereinbarung mit der israeli-
schen Regierung über die Zusammenarbeit ist geschlos-
sen. Dass das in so kurzer Zeit auf beiden Seiten möglich
war, zeigt, finde ich, wie Zusammenarbeit in der Kultur
funktionieren kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD])


Das ist deshalb wichtig, weil es in 60 Prozent aller Mu-
seen Bestände gibt, die noch nicht erforscht sind, aber
nur 10 Prozent dieser Museen die Mittel haben, um solch
eine Arbeit zu leisten. Ich finde, es ist unser aller Auf-
gabe, dabei zu helfen, und das tun wir gern.

Ein weiteres Thema, das in Gesprächen mit Künstlern
und Kreativen immer wieder hochkommt, ist die Sorge,
dass die Vielfalt der Kultur in unserem Land Stück für
Stück dem Primat des Ökonomischen geopfert werden
könnte. Ich nehme diese Sorge sehr ernst und werde
einiges tun, um die Freiheit der Kunst konkret zu stär-
ken. Das gilt zum Beispiel für die staatliche Filmförde-
rung – der Film hat eben einen Doppelcharakter: Wirt-
schaftsgut und Kulturgut –, das gilt aber natürlich auch
für die Buchpreisbindung. Gerade Filme und Bücher
sind in unserer Kulturnation wichtig, weil sie viel mehr
sind als bloße Handelsobjekte.

Deshalb habe ich mich auch mit den Autoren solidari-
siert, die von Amazon unter Druck gesetzt worden sind.
Natürlich sind Rabattverhandlungen mit den Verlagen
wirtschaftlich legitim. Ich glaube, der Sündenfall besteht
in diesem Fall darin, dass man sich an den Autoren, an
den Künstlern, die am Beginn der Kette stehen, rächt,
wenn die Verlage auf die Rabattforderungen nicht einge-
hen. Das geht kulturpolitisch wirklich zu weit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt ja nur einen kleinen Handlungsspielraum für Ge-
genmaßnahmen. Wir können über kartellrechtsähnliche
Regeln bei Google, Amazon usw. nachdenken, aber wir
können natürlich auch kulturpolitisch etwas tun, zum
Beispiel mit einem Preis für kleine, inhabergeführte
Buchhandlungen, um dieses Netz geistiger Tankstellen,
wie Helmut Schmidt es so schön gesagt hat, ein bisschen
zu stärken. Ich glaube, dass selbst kleine Summen – ana-
log zum Kinoprogrammpreis – große Wirkung entfalten
können. Damit passen wir auch unsere Arbeit an diese
neue Herausforderung an.

Am Beispiel Amazon sehen wir aber auch, worin die
vielleicht größte Herausforderung für die Kultur- und
Medienpolitik im digitalen Zeitalter besteht: Es geht da-
rum, die Rahmenbedingungen für ästhetische Vielfalt
und Meinungsvielfalt der digitalen Lebenswirklichkeit
anzupassen. Die Demokratie lebt von unterschiedlichen
Standpunkten, Perspektiven und Weltanschauungen.
Diese Vielfalt in unserer Medien- und Kulturlandschaft
zu sichern und dabei der Perspektive der Kunst zur Gel-
tung zu verhelfen – neben dem Blickwinkel der Ökono-
mie, des Rechts, der Wissenschaft, der Religion –, das
bleibt, glaube ich, über das Haushaltsjahr 2015 hinaus
eine große Herausforderung. Dabei hoffe ich natürlich
weiterhin auf Ihre Unterstützung, ganz im Sinne Pablo
Picassos, der – das möchte ich zum Abschluss sagen –,
lange bevor er „Guernica“ gemalt hat, es einmal so for-
muliert hat – ich zitiere –:

Wir alle wissen, daß Kunst nicht Wahrheit ist.
Kunst ist

– manchmal –





Staatsministerin Monika Grütters


(A) (C)



(D)(B)

eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, we-
nigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begrei-
fen können.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805003300

Vielen Dank, liebe Monika Grütters. – Nächste Red-

nerin in der Debatte für Bündnis 90/Die Grünen: Tabea
Rößner.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805003400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir leben in bewegten Zeiten. Kultur und Medien sollen
uns – gerade in solchen Zeiten – zum Reflektieren anre-
gen, helfen, aktuelle Geschehnisse einzuordnen, oder der
Stachel im Fleisch sein, wie Frau Grütters es eben sagte.
Sie stehen aber selbst vor einem Umbruch.

Eine der größten Herausforderungen ist das Handels-
abkommen TTIP. Eigentlich sollen Kultur und audiovi-
suelle Medien ausgenommen sein, aber wer kann da
– bei so intransparenten Verhandlungen – so sicher sein?
Es ist doch bezeichnend, Frau Grütters, dass Sie TTIP
nicht einmal erwähnt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deshalb frage ich Sie: Was ist tatsächlich mit unseren
Kulturgütern, die die Amerikaner nur als Wirtschaftsgü-
ter betrachten? Was ist mit der Buchpreisbindung? Was
ist mit der Filmförderung? Was ist mit dem Schutz der
Urheber? Und was ist mit dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk? Wir sagen ganz klar: Europäische Kultur-
standards dürfen den Handelsinteressen nicht geopfert
werden!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Martin Dörmann [SPD]: Dafür werden wir sorgen!)


Natürlich gibt es Befürchtungen der Kreativen in
Deutschland. TTIP soll den Markt liberalisieren und
Subventionen und Preisbindungen beseitigen, die den
Wettbewerb verzerren könnten. Da wird deutlich, gegen
wen wir hier antreten: Das sind Giganten wie Amazon,
die ein Interesse daran haben, europäische Standards zu
mindern. Amazon hat mit seinem erpresserischen Vorge-
hen ja sehr deutlich gezeigt, welche Ambitionen es tat-
sächlich hat. Buchpreisbindung, Urheberrecht, Filmför-
derung – all dies sind für solche Konzerne europäische
Sonderlinge, die dem Profit im Wege stehen. Aber für
uns sind Kultur und Medien eben nicht nur Ware. Sie
sind elementar für eine vielfältige, für eine innovative,
für eine demokratische Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie bieten uns in bewegten Zeiten Halt. Deshalb ist es
unsere Aufgabe, sie zu schützen.

Die Staatsministerin ist sehr spät auf den fahrenden
Protestzug aufgesprungen. Die französischen Kollegen
haben sich früher und auch viel engagierter für diese
Ausnahmen eingesetzt. Wir fordern die Bundesregierung
auf: Ziehen Sie die Notbremse! Binden Sie die Akteure
ein, und sorgen Sie für Transparenz!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Martin Dörmann [SPD]: Das wird doch gemacht!)


Auch die Deutsche Welle steht vor bewegten Zeiten.
Die Umstrukturierung des Senders bereitet vielen Sorge.
Der Intendant will den BBCs und CNNs dieser Welt
Konkurrenz machen, muss aber gleichzeitig sparen. Die
Inhalte sollen multimedial sein, und zugleich soll das
Fernsehprogramm ausgebaut werden. Das ist so, als
würde man gleichzeitig vorwärts und rückwärts laufen
wollen. Solch ein Laufen ist nicht sinnvoll und kostet
vor allen Dingen viel Kraft. Über 200 der 3 000 Mitar-
beiter stehen bereits auf der Straße. Ist das sozial ver-
träglich?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mitten in der Umstrukturierung werden viele Mitarbeiter
im Regen stehen gelassen. Das können wir so nicht dul-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch ein paar Worte zum Film. Die Staatsministerin
ist dabei, sowohl das Erbe als auch die Zukunft des deut-
schen Films zu verspielen.

Unser Filmerbe besteht aus Zehntausenden Filmrol-
len. Um sie zu bewahren, müssen sie digitalisiert wer-
den. Aber die extra Million, die es 2014 gab und die im
Juli schon aufgebraucht war – mit diesem Geld wurden
gerade einmal 74 Filme digitalisiert! –, ist im Haushalts-
jahr 2015 wieder gestrichen. Es fehlt vor allem ein Kon-
zept, wie das Filmerbe dauerhaft gerettet werden kann.
Das muss – wie vieles andere auch – dringend angegan-
gen werden.

Und die Zukunft des Films kürzen Sie sukzessive ein.
2013 gab es 70 Millionen Euro für den Filmförderfonds,
dieses Jahr 60 Millionen Euro und für das nächste Jahr
sind trotz gegenteiliger Ankündigungen nur noch
50 Millionen Euro eingeplant. Wenn das so weitergeht,
dann haben Sie 2020 den Filmförderfonds abgewickelt.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!)


Die Förderung deutscher Produktionen ist nicht nur
kulturell von Wert, sondern auch wirtschaftlich. Jeder in-
vestierte Euro bringt 6 Euro für die Wirtschaft. Wenn wir
dann auch noch offen und ehrlich die Vergabe der Gelder
evaluieren würden, hätten wir richtig was für den Film-
standort Deutschland getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])






Tabea Rößner


(A) (C)



(D)(B)

Wir sollten der Kultur und den Medien gute und ver-
lässliche Partner sein. Denn in unruhigen Zeiten zeigt
sich, auf wen man sich tatsächlich verlassen kann.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805003500

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in

der Debatte: Hiltrud Lotze für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1805003600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Gäste auf den Tribünen! Wir haben heute Mor-
gen in einer Gedenkstunde des Ausbruchs des Zweiten
Weltkrieges vor 75 Jahren gedacht. Der polnische Staats-
präsident Komorowski hat dazu eine beeindruckende eu-
ropäische Rede gehalten. Sie hat mich an die Worte von
Alfred Grosser erinnert, der im Juli auch hier zu uns ge-
sprochen hat, als wir des Ausbruchs des Ersten Weltkrie-
ges vor 100 Jahren gedacht haben. Das sind zwei histori-
sche Ereignisse, die uns eines mehr als deutlich machen,
nämlich die Bedeutung Europas als Friedensprojekt.
Beide Festredner haben das deutlich betont. Die Euro-
päische Union ist aus den Ruinen zweier Weltkriege ent-
standen, aus der Sehnsucht der Menschen nach Frieden
und Freiheit. Auch Präsident Komorowski hat noch
einmal deutlich hervorgehoben, dass wir in Europa die
Zukunft nur gemeinsam gestalten können.

Die Erinnerung an die schmerzliche Vergangenheit
des 20. Jahrhunderts läuft aber auch Gefahr, eher tren-
nend als identitätsstiftend für die Europäische Union zu
wirken. Gerade in diesen Tagen sehen wir, dass sich jede
Nation primär an das je eigene Schicksal erinnert. Die
Gedenkveranstaltungen und die Inhalte unterscheiden
sich doch sehr. Ein gemeinsames europäisches Ge-
schichtsbewusstsein, ein Wir-Gefühl ist da noch nicht
wirklich zu erkennen. Dabei geht es nicht darum, eine
Gleichmacherei in der Gedenk- oder Geschichtspolitik
zu erreichen, ganz im Gegenteil: Die Verantwortung und
Schuld Deutschlands sind unbestritten und dürfen auch
nicht vergessen werden.

Es bietet sich hier jedoch die Gelegenheit, eine histo-
rische Chance zu ergreifen, nämlich uns mit den euro-
päischen Nachbarn über unsere Vergangenheit auszutau-
schen, das Trennende nicht zu verschweigen, aber eben
auch das Gemeinsame unserer europäischen Geschichte
zu betonen, und zwar mit dem einen Ziel, uns besser zu
verstehen.


(Beifall bei der SPD)


Aus diesem gegenseitigen Verstehen kann dann eine ge-
meinsame europäische Identität erwachsen, die wir doch
dringender brauchen als je zuvor. Auch ich darf Richard
von Weizsäcker zitieren:

Wer aber vor der Vergangenheit die Augen ver-
schließt, wird blind für die Gegenwart.
Gemeinsames Gedenken und Erinnern in Europa ma-
chen uns gemeinsam stark für die Zukunft. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, hier sind wir Kulturpolitiker ge-
fragt.

Natürlich muss sich dieses Ansinnen – Gedenken und
Erinnern – auch im Haushalt, den wir hier debattieren,
wiederfinden. Das ist natürlich eine ziemlich große Auf-
gabe, die wir damit für den doch recht übersichtlichen
Etat der Beauftragten der Bundesregierung formulieren,
der für das nächste Jahr 1 237 231 000 Euro umfasst.
Verglichen mit dem Regierungsentwurf für 2014 steigt
das Budget für Kulturpolitik aber immerhin um 2,2 Pro-
zent. Damit, denke ich, sind wir doch recht gut aufge-
stellt und können die Kulturpolitik auf hohem Niveau
fortführen, zumal es uns bislang in den Haushaltsbera-
tungen eigentlich immer gelungen ist, bestimmte
Schwerpunkte noch einmal zu verstärken, auch wenn es
die Kulturstaatsministerin nicht geschafft hat, die Erhö-
hungen an allen Stellen fortzuschreiben. Aber gerade wir
Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker wissen ja: Wir
müssen immer ein bisschen mehr kämpfen als die ande-
ren. Dabei haben uns die Haushaltspolitiker – ich sehe
da den Kollegen Kruse – bisher immer unterstützt. Ge-
meinsam haben wir auch viel für die Kultur erreicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schauen wir uns den Etat einmal genauer an – ich er-
laube mir, auch da symbolisch die erinnerungs- und ge-
denkpolitische Brille aufzusetzen; zu weiteren Aspekten
des Etats wird mein Kollege Burkhard Blienert gleich
noch etwas sagen, weil wir ja über den Etat für Kultur
und Medien sprechen –: Mit Blick auf die historischen
Ereignisse, derer wir 2014 gedenken, wurde im Haushalt
2014 für die historischen Jahrestage eine Summe von
550 000 Euro zur Verfügung gestellt. Im Regierungsent-
wurf für 2015 ist diese Position leider auf null gesetzt.
Das ist ein Punkt, über den wir angesichts der anstehen-
den Jubiläen in 2015 – ich erinnere an die Wiederverei-
nigung – noch einmal reden müssen. Die friedliche
Revolution war ja nicht am 31. Dezember 1989 beendet,
sondern sie setzte sich im darauffolgenden Jahr fort. Wie
wichtig dieses Ereignis für Deutschland und für Europa
war und wie sehr es unsere Welt verändert hat, hat Herr
Komorowski auch heute Morgen betont. Ich denke, hier
sollten wir uns doch sehr um ein europäisches Gedenken
bemühen.

Ein wichtiger Akteur, der es sich zur Aufgabe ge-
macht hat, die europäische Erinnerungskultur zu fördern
und ein gemeinsames Geschichtswissen über die Gren-
zen hinweg zu entwickeln, ist das Europäische Netzwerk
Erinnerung und Solidarität. Deutschland beteiligt sich
daran mit 300 000 Euro. Diese Mittel werden auch 2015
wieder zur Verfügung stehen, was ich sehr begrüße. Wir
haben übrigens im Koalitionsvertrag die Bedeutung die-
ses Netzwerkes festgeschrieben. Dem muss natürlich
auch der Haushalt der Kulturstaatsministerin Rechnung
tragen.

Ebenfalls im Koalitionsvertrag besonders erwähnt ist
das Gedenkstättenkonzept des Bundes. Dieses wollen
wir weiterentwickeln, auch um der positiven Momente





Hiltrud Lotze


(A) (C)



(D)(B)

unserer Geschichte – ich nannte eben schon die Wieder-
vereinigung – zu gedenken. Der Titel erfährt mit
7 670 000 Euro in 2015 eine Steigerung um fast 2 Mil-
lionen Euro.

Gedenkstätten – wir haben eben in der Debatte schon
etwas darüber gehört – haben ja eine wichtige Funktion.
Sie können und sollen das Gedenken lebendig halten und
gerade auch jungen Menschen ein authentisches Bild un-
serer Geschichte vermitteln. Wir leben in einer Zeit, in
der es immer weniger Zeitzeugen, die an die Zeit des
Nationalsozialismus oder an Flucht und Vertreibung
erinnern könnten, gibt. Deswegen ist es so wichtig, die
Gedenkstätten weiterhin in die Lage zu versetzen, ihre
Aufgabe wahrzunehmen. Sie dürfen sich nicht einfach
zu Denkmälern entwickeln, die ich mir angucke, aber
von denen keine Impulse und keine Bildung ausgehen.

Gerade das Interesse von Jugendlichen zum Beispiel
an Orten der Nazivergangenheit ist groß. Dieses Inte-
resse, das vorhanden ist, dürfen wir nicht verspielen.
Aber gerade diese NS-Gedenkstätten – das ist eben
schon gesagt worden – klagen über einen Investitions-
stau. Schon im Haushalt 2014 wurde ein Sonderinvesti-
tionsprogramm eingestellt, weil die Bundesländer nicht
in der Lage waren, mitzufinanzieren. Ich denke, es ist
ganz wichtig, dass wir hier über andere Möglichkeiten
und Wege nachdenken, um den Bundesländern bei dieser
wichtigen Aufgabe zu helfen.

Ich sprach bereits darüber, dass wir aus Geschichte
lernen wollen. Dazu will ich noch ganz kurz das zentrale
Projekt der nächsten Jahre ansprechen, den Wiederauf-
bau des Berliner Schlosses, vor allen Dingen aber das
darin enthaltene Humboldt-Forum. Jeder, der daran vor-
beigeht oder vorbeifährt, merkt, dass da schon ziemlich
was zu sehen ist. Soweit wir wissen, läuft da auch alles
nach Plan. Was aber unsere höchste Aufmerksamkeit als
Kulturpolitiker verdient, ist die inhaltliche Ausgestal-
tung und das Konzept des Humboldt-Forums. Hier soll
sich ja – so ist die Idee – die Welt treffen und über kultu-
relle Grenzen hinweg die wichtigen Themen der Zeit
verhandeln. Insofern ist das eine einmalige und histori-
sche Chance.

Ebenfalls wollen wir die Planungen und Bauvorhaben
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unterstützen, die
ein einzigartiges kulturelles Erbe bewahrt. Dafür sind
25 Millionen Euro zusätzlich für Bauinvestitionen in den
Haushaltsentwurf der BKM eingestellt. Das ist eine be-
trächtliche Summe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum
Schluss noch einmal betonen, dass wir mit dem Entwurf
der Bundesregierung für den Etat der Beauftragten für
Kultur und Medien in 2015 eine erfreuliche Arbeits-
grundlage haben. Gemeinsam mit unseren Haushältern,
die ebenso wie wir ein großes Herz für die Kultur haben,
werden wir uns bemühen, noch einige Akzente zu set-
zen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805003700

Vielen Dank, Frau Kollegin Lotze. – Nächster Redner

in der Debatte: Rüdiger Kruse für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rüdiger Kruse (CDU):
Rede ID: ID1805003800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Sie werden schon gelesen oder gehört haben:
Die Einbringung eines Haushaltes, der eine schwarze
Null hat, ist ein historisches Ereignis. Okay. Warum ist
das ein historisches Ereignis? Was macht etwas zu einem
geschichtlichen Ereignis? Nicht nur die Tatsache, dass es
irgendwann vergangen sein muss, sondern auch, dass
daran erinnert wird, das heißt, dass darüber gesprochen
wird. Geschichten müssen erzählt werden. Eine Tat al-
lein führt nicht dazu, dass etwas historisch wird. Vergan-
genheit garantiert nicht die Ewigkeit der Geschichts-
schreibung.

Die Frage ist ja auch angesichts der vielen Mühe, die
man darauf verwendet, diese schwarze Null zu errei-
chen: Warum tut das der Bundesfinanzminister? Was ist
da sein Antrieb? Hat er jetzt eine besondere Schwäche
für Nullen? Wenn ich mir seinen Mitarbeiterstab ansehe,
kann ich das nicht unterschreiben. Daran wird es nicht
liegen. Eine schwarze Null steht eben für Stabilität. Sta-
bilität ist ein hoher Wert. Das kennen wir von Gebäuden.
Wir erwarten, dass sie stabil sind. Aber warum erwarten
wir das? Wir erwarten das, weil wir ihre Funktion nutzen
wollen. Das heißt, das Gebäude muss einen Sinn ma-
chen. Dann macht die Stabilität einen Sinn. Es muss also
einen Sinn für all diese Arbeit geben.

Nun ist ja das Ziel der Arbeit, auch wenn man das
Wolfgang Schäuble nicht ansieht, die Muße. Und die
Muße ist eine Schwester der Freiheit.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie sich all die Bemühungen ansehen, die er und
die Bundeskanzlerin auch auf europäischer Ebene unter-
nehmen, glauben Sie denn, dass sie das nur tun, weil Eu-
ropa wirtschaftspolitisch gut für Deutschland ist? Das ist
ja schon eine Geschichte, die wir keinem unserer Wähler
dauerhaft so richtig erzählen können, weil es auch viele
Beispiele dafür gibt, dass zumindest kurzfristig gewisse
Hilfsprogramme nicht das bringen, was vielleicht etwas
anderes in Deutschland selbst bringen würde. Da muss
also noch etwas anderes zu erzählen sein, es muss sie et-
was anderes antreiben.

Wäre Europa ein rein finanzpolitisch zu bewertendes
Konstrukt, wäre es quasi eine große Holding, die Beteili-
gungen in den Ländern hält, dann würden wir alle drei
Monate darüber nachdenken, ob wir uns über die
Gewinne freuen, ob wir reinvestieren oder ob wir eines
dieser Länder abstoßen – das ist nicht die Geschichte,
die wir über Europa erzählen. Die Belohnung, diese we-
nigen Mußestunden all dieser Akteure, die sich um Eu-
ropa und um Deutschlands Stabilität bemühen, das ist
die Vielfalt von freiheitlichen Nationen in Europa; da-
rum geht es.





Rüdiger Kruse


(A) (C)



(D)(B)

Da die Muße die Schwester der Freiheit ist und die
Freiheit eine große Familie hat, zu der auch die Sicher-
heit und eine Tochter, die Kunst, gehören,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


sind wir dann doch endlich bei dem kleinen und schönen
Etat von Monika Grütters.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat aber gedauert!)


– Bei acht Minuten Redezeit kann man sich so eine Vor-
rede erlauben.

Die Frage ist jetzt: Was machen wir mit diesem Etat?
Vorhin ist die Deutsche Welle angesprochen worden. Es
ist uns gesagt worden, wir hätten da nicht genug getan,
nichts getan. Das ist nicht so ganz der Fall. Wir hatten
dieses Jahr das Vergnügen, zwei Haushalte aufstellen zu
dürfen. Im 2014er-Haushalt haben wir der Deutschen
Welle sowohl für Investitionen 3 Millionen Euro bereit-
gestellt, aber auch, was ich für viel wichtiger halte, für
das Programm für die Ukraine 3,5 Millionen Euro. Das
heißt, das Parlament hat schnell reagiert und gesagt: Das
ist uns wichtig, weil wir einen wesentlichen Beitrag leis-
ten können, indem wir andere Informationen, nämlich
die Informationen, die man in einer freien Welt bekom-
men kann, zur Verfügung stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das wird natürlich auch eine Frage sein, wenn wir über
die Kooperation mit den baltischen Ländern sprechen;
auch da ist nicht nur die Frage, wie wir die NATO-Ver-
sprechen einlösen, sondern vorrangig auch, wie wir jetzt
schon unterstützen können. Da ist es natürlich auch
wichtig, dass bei all den russischsprachigen Informatio-
nen, die durch den Äther gehen, nicht bloß die Putin-
treuen Informationen durch den Äther gehen. Es war
schon immer wichtig, dass Demokratie mit dem Wort für
sich kämpft; und das werden wir fördern müssen.


(Martin Dörmann [SPD]: Genau!)


Wenn man sich das Regierungsprogramm bzw. den
Koalitionsvertrag anschaut, sieht man: Da stehen viele
Maßnahmen drin, die nicht genau beziffert sind – das ist-
auch in Ordnung –; im Kulturbereich sind das an die 35.
Wenn man jetzt ein bisschen schaut, dann muss man sa-
gen: Wir alle wissen nicht, wie lang das Leben ist; aber
wir haben eine Vorstellung davon, wie lang eine Legis-
laturperiode ist. Das heißt, wir haben natürlich die Er-
wartungshaltung, dass diese Projekte – darunter sind
viele ehrgeizige Projekte, und einige, die nicht ganz bil-
lig sind – binnen der nächsten Jahre Stück für Stück ab-
gearbeitet werden.

Die Frage ist, ob das unsere einzige kulturpolitische
Agenda ist. Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist an-
gesprochen worden. Zum Glück sind seit einigen Jahren
die Zeiten überwunden, in denen wirklich wie in einem
Kulturkampf die Haltung vorherrschte: Kultur ist Län-
dersache, Bund, halte dich da raus! – Stattdessen ist es
zu einem Miteinander gekommen.
Wir haben auch Herausforderungen zu bewältigen,
die nur gemeinschaftlich zu bewältigen sind: Wir haben
eine kulturelle Infrastruktur geerbt, die im Wesentlichen
noch aus der Zeit kommt, als man sich in Deutschland zu
Fuß oder mit der Pferdekutsche bewegte. Da das heute
nicht mehr so ganz der Fall ist, müssen wir uns überle-
gen: Welche kulturelle Infrastruktur brauchen wir? Wie
reagieren wir auf demografische Entwicklungen? Das
kann sich nicht darin erschöpfen, bloß irgendwo Pflaster
zu kleben oder Bedauernsschreiben aufzusetzen. Wir
müssen vorausschauend sehen, wie wir unsere föderale
kulturelle Vielfalt in den kommenden 20, 30 Jahren in
dieser Form bewahren und in jener Form ausbauen kön-
nen; das gilt es in Augenschein zu nehmen.

Dazu gehört auch, dass wir mit den Ländern in einen
Dialog eintreten. Es nützt nichts, wenn der Bund seine
Mittel erhöht, die Länder ihre Mittel für Kultur jedoch
kürzen. Das sollten keine kommunizierenden Röhren
sein. Das wäre auch eine schlechte Idee: Wenn die
Länder ihre Mittel halbierten, müsste der Bund seinen
Beitrag vervierfachen. Ich bin ja gerne im Wettstreit mit
anderen um einen höheren Kulturetat; aber ich glaube,
dass spätestens dann das Ganze unrealistisch wird – und
in der Summe würde das noch nicht einmal etwas brin-
gen.

Wenn wir uns gegenüber den Ländern auf die Schul-
ter klopfen, dass wir den Kulturetat seit zehn Jahren
nicht abgesenkt haben, muss man zugleich sehen, dass
aus 100 Prozent – einmal unterstellt, dass die Dinge je-
des Jahr um 2 Prozent teurer werden – 80 Prozent ge-
worden sind. Das heißt, Sie dünnen das Ganze aus, und
dann müssen Sie irgendwann die Entscheidung treffen:
entweder in die gleiche Struktur mehr Geld zu geben
oder die Struktur zusammenzustreichen. Sie kommen
um diese Entscheidung nicht herum; sonst stirbt flächen-
deckend irgendwann alles. Das darf man nicht wollen.
Politik ist auch immer Mut zu Entscheidungen.

Ein weiterer Punkt ist, dass man gemeinsam mit den
Ländern darüber reden muss, wie wir die tarifvertragli-
chen Bedingungen so umsetzen, dass wir uns nicht jedes
Jahr aufs Neue damit beschäftigen, wie prekär es den
Schauspielern geht, dann aber doch wieder zum norma-
len Leben umschalten.

Dazu muss es Entscheidungen geben. Das bedeutet:
Wenn der Bund die Kommunen mal wieder entlastet,
dann müssen wir darauf achten, dass diese Entlastung
auch in den Bereichen ankommt, die uns allen nützen.
Das ist im Bildungsbereich so und, ich denke, auch im
Bereich der Kultur.

Gleichzeitig sollten wir uns auch überlegen, ob es al-
lein Aufgabe der Städte und Kommunen ist, eine kultu-
relle Infrastruktur aufrechtzuerhalten, die nicht nur für
die eigentliche Stadt und für das Umfeld, sondern auch
für die gesamte Nation von Bedeutung ist. Bei der
Hauptstadt haben wir das selbstverständlich so ange-
nommen. Wir fördern hier und da – fast überall – die
Projekte und begründen das selbstverständlich nicht mit
unserer Vorliebe für Berlin, sondern damit, dass das un-
sere deutsche Hauptstadt ist. In Frankreich wäre das ja
auch ganz okay. Dort gibt es Paris und la-bas en pro-





Rüdiger Kruse


(A) (C)



(D)(B)

vince. Das sind nicht wir. Wir sind ein föderalistisches
Land und haben diese Vielfalt, weil es ganz viele
Subzentren gibt. Es lohnt sich, hier zu überlegen und mit
den Ländern in einen konstruktiven Dialog darüber ein-
zusteigen, ob wir analog zu dem vorgehen sollten, was
wir bei den Universitäten tun, nämlich die Exzellenz zu
fördern und unterstützend tätig zu werden, wenn Länder
etwas erbringen, was national und international von Be-
deutung ist.

Wir müssen das, was im Koalitionsvertrag steht, ab-
arbeiten und die Dinge in Angriff nehmen, die wir für
die nächste Zukunft wirklich lösen müssen. Ich glaube,
wenn wir diese Mischung erreicht haben, dann stehen
wir am Beginn einer für uns sehr guten Zeit, und das ist
dann auch ein Signal dafür, dass es der vielen Mühe wert
ist, für Stabilität in diesem Land zu sorgen und die kultu-
relle Freiheit in einem geordneten Rechtsstaat zu erhal-
ten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805003900

Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Nächste Redne-

rin in der Debatte ist Ulle Schauws für Bündnis 90/Die
Grünen.


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805004000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Kaum ein Thema
beschäftigt die Kulturszene im Moment so sehr wie die
laufenden TTIP-Verhandlungen. Die Aufregung ist groß,
und darum will ich hier jetzt darauf eingehen, weil
Staatsministerin Grütters das gerade nicht getan hat.

Die gebetsmühlenartigen Beteuerungen seitens der
Bundesregierung, die Kultur sei von den Verhandlungen
ausgenommen, kann die Gemüter nicht beruhigen, und
ich meine: zu Recht. Meine Damen und Herren von der
Bundesregierung, ich frage Sie: Wer würde denn auf die
Idee kommen, seine Blankounterschrift auf ein leeres
Blatt Papier zu setzen? Wenn es um TTIP geht, erwarten
Sie quasi genau das von den Bürgerinnen und Bürgern.
Ich sage Ihnen: Ein völlig intransparentes Verfahren mit
einem „Wird schon gut gehen“ zu legitimieren, reicht
mir nicht, und es reicht mir auch nicht, darüber zu spe-
kulieren, wie eine Ausnahme für die Kultur am Ende
wirklich aussehen könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Spekulationen über eine mögliche Ausnahme in der Prä-
ambel, unklar, in welchem Kontext, und unklar, mit wel-
cher Wirkung: Das ist keine Information, das ist ein Pla-
cebo.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Kulturelle Güter haben einen Wert, der über das Ma-
terielle weit hinausgeht. Deshalb haben wir alle uns hier
in Deutschland und in Europa immer für den besonderen
Schutz der kulturellen Güter ausgesprochen – nicht zu-
letzt durch eine UNESCO-Konvention. Wenn Sie, meine
Damen und Herren von der Bundesregierung, sich nicht
daran halten, dann verletzen Sie nicht nur die Grund-
werte dieser Konvention. Nein, wenn Sie dem kulturel-
len Ausverkauf durch TTIP Tür und Tor öffnen, dann
stellen Sie auch unsere kulturelle Vielfalt zur Disposition
und gefährden unsere Daseinsvorsorge auf fundamentale
Weise, und das geht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Jetzt ist es mal gut!)


Frau Grütters, Sie wollen uns immer glauben machen,
dass Sie eine der entschiedensten Gegnerinnen des
TTIP-Abkommens sind – zumindest in Bezug auf den
kulturellen Bereich. Wenn es Ihnen mit der Kultur und
mit den Ausnahmen für die Kultur wirklich so ernst ist,
dann fordern Sie keine Generalklausel, deren Wirkung
Sie nicht kennen! Sie müssen dann schon konkreter wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir erwarten von Ihnen eine nachhaltige Kulturpoli-
tik, eine Kulturpolitik, die ihre Projekte nicht anfängt
und erst dann schaut, wohin die Reise geht – wie jetzt
bei TTIP oder wie beim Humboldtforum, um noch ein
prominentes Beispiel zu nennen. Mitten in Berlin wächst
und wächst der Rohbau des Berliner Schlosses, aber er
wächst noch immer ohne inhaltliche Substanz, und das,
Frau Grütters, ist keine nachhaltige Kulturpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch ein Thema der Kategorie „Ende offen“ steht auf
der Agenda der Kulturpolitik: der Neubau für ein Mu-
seum der Kunst des 20. Jahrhunderts hier in Berlin. Seit
über einem Jahr reden Sie jetzt über diesen Neubau, Frau
Grütters. Bis heute ist aber auch hier nichts Substanziel-
les passiert: kein Budget, kein Zeitplan. Das Ende ist of-
fen – wie so oft.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805004100

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Redner in der

Debatte ist Burkhard Blienert für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1805004200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor wenigen
Tagen habe ich mit Kolleginnen und Kollegen des Aus-
schusses für Kultur und Medien die europäischen Kul-
turhauptstädte 2014 besucht: Umeå in Schweden und
Riga in Lettland. Insbesondere in Lettland begegnete uns
ein Thema sehr intensiv, welches heute Vormittag in der
Gedenkstunde und auch in den Reden meiner Kollegin





Burkhard Blienert


(A) (C)



(D)(B)

Hiltrud Lotze und meines Kollegen Kruse eine wichtige
Rolle gespielt hat: die Erinnerung an die Zeit der sowje-
tischen Besatzung und die immense Bedeutung der euro-
päischen Integration für diese Staaten.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise in der
Ukraine wurde uns deutlich vermittelt, wie wichtig die
mediale Berichterstattung und die Vielfalt der Medien
sind. Lettland ist ein kleines Land, kaum groß genug für
ein eigenes, vielfältiges und unabhängiges Medienange-
bot. Unsere Medienlandschaft dient dort als Vorbild für
eine neue Struktur. Ich beschreibe dies, weil wir mit der
konkreten Erwartung konfrontiert waren, den Aufbau ei-
nes unabhängigen und vielfältigen Medienangebotes zu
unterstützen.

Dabei fällt mir auf Bundesebene natürlich zuerst die
Deutsche Welle ein. Diese bietet auch in dieser Region
ein wichtiges Informationsangebot und ermöglicht es
Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt, an der
Medienakademie das Handwerk des guten Journalismus
zu erlernen. Ich spreche diesen Punkt an, weil wir mit
der Bereitstellung von Haushaltsmitteln in der Verant-
wortung sind, die Arbeit der Deutschen Welle so zu fi-
nanzieren, dass sie das leisten kann, was von ihr erwartet
wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn der Bund
Kunst und Kultur fördert, dann geht es vor allem darum,
unser reiches kulturelles Erbe zu sichern und unsere Er-
innerungskultur zu pflegen. Es geht darum, neue Im-
pulse zu setzen, das Innovative, das Zeitgenössische zu
fördern. Wir wollen die kulturelle Infrastruktur unseres
Landes in ihrer ganzen Vielfalt erhalten. Wir wollen den
Menschen unabhängig von ihrer sozialen und individuel-
len Situation kulturelle Teilhabe ermöglichen. Der Haus-
halt der Beauftragten für Kultur und Medien für das lau-
fende Jahr wird diesen Aufgaben gerecht. Mit dem
Haushalt für 2015 wollen wir das konsequent fortführen.
Damit setzen wir weiter um, was wir uns mit unserem
Koalitionspartner vorgenommen haben.

Lassen Sie mich nun einige Bereiche herausgreifen.
Der Erhalt von Denkmälern ist eine gesamtstaatliche
Aufgabe. Dabei hat sich das Denkmalschutz-Sonderpro-
gramm des Bundes in den vergangenen Jahren als beson-
ders wirksamer Beitrag zur Pflege der kulturellen Infra-
struktur in der Fläche bewährt. Beim Tag des offenen
Denkmals am kommenden Sonntag können wir uns al-
lerorten davon wieder überzeugen. Deshalb unterstützt
der Bund seit Jahren Substanzerhaltung und Restaurie-
rung dieser Baudenkmäler. Auch in diesem Jahr werden
wir uns bei den Haushältern dafür starkmachen müssen,
dass die dafür notwendigen Mittel bereitgestellt werden.


(Beifall bei der SPD)


Unser neues Förderprogramm für die Kinodigitalisie-
rung ist ein weiteres Beispiel dafür, wie erfolgreich der
Bund in die Fläche hineinwirkt und für den Erhalt der
kulturellen Infrastruktur sorgt; ein Programm übrigens,
das wir in Umsetzung des Koalitionsvertrages ebenfalls
im letzten Haushaltsverfahren beschlossen haben. Damit
sichern wir zugleich das Angebot zu kultureller Teil-
habe, gerade auch in den kleineren Orten und in den
ländlichen Regionen.

Unser kulturelles Erbe umfasst auch ein reiches Film-
erbe. Hier stehen wir vor immensen Herausforderungen.
Zwei Dinge sind im Wesentlichen zu leisten: Einerseits
müssen die Filmträger, seien es Filmrollen oder auch
schon digitale Medien, gesichert werden. Viele sind akut
vom Verfall bedroht, und es gibt bereits unwiederbringli-
che Verluste. Wir müssen das Material retten, und wir
müssen nach Lösungen suchen, wie wir es langfristig er-
halten können.

Andererseits drohen viele Schätze in den Archiven zu
verstauben, weil sie die Menschen nicht mehr erreichen.
Ich habe eben von der Kinodigitalisierung gesprochen.
Das bedeutet, dass die alten Filme auf analoger Rolle
logischerweise nicht mehr auf die Leinwand gebracht
werden können. Sie müssen erst digitalisiert werden.
Das eröffnet natürlich auch neue Möglichkeiten; denn
Filme werden heutzutage nicht nur im Kino, sondern im-
mer häufiger über das Internet konsumiert.

Wir stehen also vor der großen Aufgabe, unser Film-
erbe zu digitalisieren.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir brauchen Konzepte!)


Die ersten Schritte dazu sind getan. In den vergangenen
Jahren sind für diesen Zweck auch Mittel bereitgestellt
worden, die allerdings ebenfalls nicht fortgeschrieben
wurden. Unsere Aufgabe ist es jetzt, diesen Prozess
gemeinsam mit allen Verantwortlichen auf „Dauer“ zu
stellen. Dazu gehört es auch, die Einrichtungen des
Kinematheksverbundes – die Stiftung Deutsche Kinema-
thek, das Deutsche Filminstitut und das Bundesfilmar-
chiv – weiter zu stärken.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt auch für
den Deutschen Filmförderfonds. Unser vorrangiges Ziel
ist es, den überaus erfolgreichen Einsatz von Fördermit-
teln auf „Dauer“ zu stellen – und das auf hohem Niveau.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wird aber zurückgefahren!)


Im Etatentwurf stehen 50 Millionen Euro für diesen
Zweck. Ich werde mich im weiteren Verfahren dafür ein-
setzen, dass wir die deutsche Filmwirtschaft und den
Filmproduktionsstandort Deutschland am Ende wieder
mit 60 Millionen Euro fördern können. Die Erfahrung in
der Vergangenheit hat gezeigt, dass jeder Förder-Euro
aus dem DFFF 6 Euro an Investitionen auslöst. Und das
bringt nicht zuletzt auch Beschäftigung für viele Film-
schaffende.


(Beifall bei der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Aber dann darf man nicht kürzen!)


Die Debatte über den nächsten Einzelplan schließt in-
sofern nahtlos an dieses Thema an. Denn Filmförderung
ist im wahrsten Sinne auch kulturelle Förderung und
Wirtschaftsförderung.


(Beifall bei der SPD)






Burkhard Blienert


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einen Posten im Haushalt ansprechen, der mich
ganz besonders freut: der neue Preis für unabhängige
Buchhandlungen. Denn gerade die „geistigen Tankstel-
len“, wie Helmut Schmidt die Buchhandlungen einmal
bezeichnet hat, bilden die Grundlage für unsere vielfäl-
tige Buchkultur. Sie ermöglichen erst literarische Viel-
falt und Qualität. Zudem sind sie Orte der Begegnung.
Insofern ist das auch ein Preis, der insgesamt zur kultu-
rellen Bildung beitragen sollte.

Abschließend noch ein paar Worte zur sozialen Absi-
cherung der Kulturschaffenden. Wenn wir kulturelle
Vielfalt erhalten wollen, müssen wir auch diejenigen im
Blick haben, die das Hervorbringen von Kunst und Kul-
tur zu ihrem Erwerb gemacht haben. Oftmals arbeiten
sie unter prekären Arbeitsbedingungen. Deshalb haben
wir uns als eine der ersten und wichtigsten Maßnahmen
die Künstlersozialkasse vorgenommen und auf sichere
Beine gestellt. Ende des Jahres läuft aber die Regelung
für den Arbeitslosengeldbezug von kurz befristet Be-
schäftigten aus. Besondere viele Kulturschaffende sind
davon betroffen. Hier werden wir uns für eine vernünf-
tige Anschlussregelung einsetzen, so wie wir es im Ko-
alitionsvertrag angekündigt haben.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir ha-
ben schon einiges erreicht, aber wir müssen in den kom-
menden Haushaltsberatungen noch vieles umsetzen, was
uns wichtig ist. Ich denke, das werden wir gemeinsam
mit den Haushältern und im Ausschuss beraten und dem-
entsprechend auf den Weg bringen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805004300

Vielen Dank, Herr Kollege.

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.

Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzel-
plan 09.

Ich gebe das Wort an Sigmar Gabriel, den zuständi-
gen Minister.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deutschlands Wirtschaft hat sich in den vergangenen
Jahren als sehr krisenfest und stark erwiesen. Wichtigs-
ter Beweis dafür waren steigende Beschäftigung, stei-
gende Löhne und Gehälter und sinkende Arbeitslosen-
zahlen.

Auch jetzt, wo wir uns – nicht zuletzt aufgrund der in-
ternationalen Krisen – in einem schwierigeren Umfeld
bewegen, erweisen sich der Arbeitsmarkt und die
Beschäftigung sowie die Entwicklung der deutschen
Wirtschaft als robust. Die Exportzahlen im Juli sind auf
100 Milliarden Euro gestiegen. Und der leichte Rück-
gang der wirtschaftlichen Entwicklung, den wir im
zweiten Quartal gesehen haben, hat eher etwas mit Vor-
zieheffekten in der Bauwirtschaft aufgrund des milden
Winters zu tun als mit einem tatsächlichen konjunkturel-
len Problem. Aber viel wichtiger für die Menschen im
Land ist, dass sich diese wirtschaftliche Entwicklung
auch am Arbeitsmarkt weiter zeigt.

Wir haben mit über 42 Millionen Beschäftigten ein
Rekordniveau bei den Arbeitsplätzen in Deutschland,
und – das ist vielleicht noch wichtiger – wir haben mit
mehr als 30 Millionen Beschäftigten auch ein Rekord-
niveau bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäfti-
gungsverhältnissen erreicht. Das ist mehr als eine halbe
Million zusätzlich gegenüber dem letzten Jahr.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Arbeitslosigkeit sinkt selbst im Vergleich zum
Vorjahresmonat noch etwas, und vor allen Dingen stei-
gen die Löhne und Gehälter in Deutschland. Das ist gut
für die Binnenkonjunktur, und es ist übrigens das größte
Umverteilungsprogramm, das man sich vorstellen kann,
viel größer jedenfalls als das, was Änderungen in der
Steuerpolitik jemals bewirken könnten. Es ist gut, dass
in Deutschland für gute Arbeit auch wieder mehr gute
Löhne und Gehälter gezahlt werden, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die gute wirtschaftliche Entwicklung hilft uns, das zu
erreichen, was am heutigen Tag und auch gestern schon
mehrfach angesprochen wurde, nämlich zum ersten Mal
nach 46 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt zu be-
kommen. Mir fällt es immer noch schwer, zu verstehen,
warum das in der Öffentlichkeit, aber auch im Parlament
gelegentlich kritisiert wird. Denn abgesehen von der
Tatsache, dass eine gute und solide Finanzpolitik das
Vertrauen in den Investitionsstandort Deutschland stärkt,
ist es, finde ich, auch sozialpolitisch richtig, keine Schul-
den zu machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer hat denn Interesse an steigender Staatsverschul-
dung? Das können doch nur Menschen sein, die so reich
sind, dass sie eine Bank zu ihrem Eigentum zählen kön-
nen; denn dort leiht sich der Staat das Geld. Aber die
Menschen, die Steuergelder erarbeiten und an den Staat
zahlen, wollen, dass in Schulen, Infrastruktur, Umwelt-
schutz und soziale Sicherheit investiert wird, aber nicht
mit immer mehr Anteilen von jedem Steuer-Euro in
Zinsen, die wir für Staatsschulden zahlen. Insofern kann
man, glaube ich, das Ergebnis gar nicht hoch genug
loben und schätzen, dass wir es geschafft haben, mit
Hilfe der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten und ihrer
Unternehmen in Deutschland dieses Ziel zu erreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Genauso klar ist aber auch – das ist unbestritten –,
dass uns das nur dann nachhaltig gelingen wird, wenn
fiskalische Konsolidierung und höhere Investitionen in
Infrastruktur, Bildung, Forschung und Entwicklung kein
Widerspruch werden. Konsolidierung auf Kosten der
Zukunftsfähigkeit des Landes wäre natürlich nicht der
richtige Weg. Aber genau deshalb ist es gut, dass wir mit
dem Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung
auch die Investitionstätigkeit von Bund, Ländern und
Gemeinden stärken.

Wir geben 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Ver-
kehrsinfrastruktur. Man muss das alles zusammenrech-
nen. In diesem Jahr, 2014, ist die letzte Stufe der Entlas-
tung der Kommunen um 4,5 Milliarden Euro pro Jahr
bei der Grundsicherung im Alter erreicht worden. Wir
haben im Koalitionsvertrag verabredet – das können Sie
in der Finanzplanung nachlesen –, die Kommunen um
weitere 5 Milliarden Euro pro Jahr zu entlasten. Das be-
deutet, wir erreichen in wenigen Jahren eine finanzielle
Entlastung der Kommunen in Höhe von fast 10 Milliar-
den Euro.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist, glaube ich, ein enormer Beitrag auch zur Stär-
kung der Investitionstätigkeit der Kommunen. Denn sie
leisten nun einmal den Großteil der öffentlichen Ausga-
ben für die Infrastruktur.

3 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung
und 6 Milliarden Euro für Bildungsinvestitionen in den
Ländern: Ich glaube, dass diese Kombination – keine
Neuverschuldung und trotzdem erhebliche Investitionen
in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes – zeigt, dass wir
gerade nicht auf Kosten der Zukunft sparen.

Richtig ist, dass wir auf mittlere Sicht einen noch
breiteren Investitionspfad brauchen, wenn wir den wirt-
schaftlichen Erfolg unseres Landes und damit auch ge-
sunde Finanzen sichern wollen. Wenn Deutschland eine
Achillesferse hat, dann sind es in der Tat die fehlenden
Investitionen, und das schon seit mehr als zehn Jahren.
Wir halten uns viel auf den Titel Exportweltmeister zu-
gute, aber Investitionsweltmeister sind wir schon sehr
lange nicht mehr.

Deswegen ist es, glaube ich, richtig, dass sich das Par-
lament, die Ausschüsse, die Regierung, Herr Schäuble,
ich und viele andere mit der Frage befassen, was wir tun
können, um zwei Dinge stärker in den Griff zu bekom-
men, nämlich erstens die trotz dieser Investitionen noch
immer nicht ausreichende Investitionsquote in der
öffentlichen Infrastruktur, aber zweitens natürlich auch
die seit mehr als zehn Jahren zu geringe Nettoinvestiti-
onsquote in der privaten Wirtschaft bzw. in den Unter-
nehmen. Das gefährdet auf Dauer die Wettbewerbsfähig-
keit unseres Landes ganz erheblich. Wir dürfen nicht
zulassen, dass Deutschland im Kern seiner Leistungs-
stärke auf Dauer von der Substanz lebt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der größte Teil der Investitionen in Deutschland wird
von Privaten getätigt. Wir werden die strukturellen Pro-
bleme angehen müssen, damit mehr privates Kapital in
Deutschland investiert wird. Da Herr Gysi heute Morgen
erklärt hat, dass das in einer weiteren Welle der Privati-
sierung der öffentlichen Daseinsvorsorge münde: Genau
darum geht es nicht. Vielmehr geht es darum, dass wir
überhaupt eine Infrastruktur erhalten. Es gibt am Ende
nichts zu privatisieren, wenn die Infrastruktur gar nicht
mehr da ist oder zu sehr verrottet ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht auch nicht um die Neuauflage von PPP-Projek-
ten, sondern um veränderte Rahmenbedingungen für In-
vestitionen in die öffentliche Infrastruktur. Genauso
wichtig ist die Frage, welche Rahmenbedingungen wir
verändern müssen, damit die Unternehmen selbst das
Geld in die Realwirtschaft und nicht in Spekulationsge-
schäfte an den Finanzmärkten investieren. Ich hätte er-
wartet, dass insbesondere die Linkspartei öffentlich sagt,
dass das der richtige Weg ist.


(Beifall bei der SPD – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Herr Gysi redet doch gar nicht mehr!)


– Das kann ja noch kommen. Klaus Ernst kann sagen,
dass er es verstanden hat und gut findet. Wir sind aufge-
klärte Menschen und glauben an die Emanzipations-
fähigkeit jedes Menschen.

Wir haben eine Expertenkommission aus Vertretern
von Unternehmen, Gewerkschaften, kommunalen Spit-
zenverbänden und Wissenschaft eingesetzt, um eine In-
vestitionsstrategie zu entwickeln, die uns wirklich hilft,
das Kernproblem in Deutschland in den Griff zu bekom-
men. Der nun vorgelegte Haushalt des Bundeswirt-
schaftsministeriums, den wir beschließen werden, liefert
dafür schon ein paar Hilfestellungen. Zuerst sei genannt
das gut laufende Zentrale Innovationsprogramm Mittel-
stand. Die Mittel für das Programm werden ab 2015 dau-
erhaft um 30 Millionen Euro erhöht. Was nicht ganz un-
wichtig ist: Mehr als 40 Prozent der Mittel dieses
Programms finden ihren Weg in innovative Unterneh-
men in Ostdeutschland; denn nach wie vor haben wir
eine Wettbewerbsfähigkeitslücke, eine Investitionslücke,
eine Industrialisierungslücke und, wie wir heute noch
einmal gehört haben, leider weiterhin eine Lohnlücke
zwischen Ost- und Westdeutschland zu beklagen. Sollten
wir den Solidarpakt 2019 abschaffen, dann müssen wir
bis dahin alles tun, um die Unterschiede zwischen Ost
und West bei Löhnen und Renten zu beseitigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden nach wie vor auf Dauer in die ostdeut-
schen Länder investieren müssen, weil diese den Rück-
stand auf Westdeutschland noch nicht aufgeholt haben.
Das zweite wichtige Förderinstrument in diesem Zusam-
menhang ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Diese Förderung
kommt sogar zu mehr als 80 Prozent den ostdeutschen
Bundesländern zugute. In der aktuellen Finanzplanung





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

haben wir die Mittel für die GRW in einem ersten Schritt
bei 600 Millionen Euro verstetigt. Wir haben sie nicht
wie geplant absinken lassen, sondern verabredet, sie auf
das alte Niveau ansteigen zu lassen.

Wichtig wird aber auch sein, dass wir uns Gedanken
darüber machen, wie wir mit den Schwierigkeiten bei
der Kofinanzierung umgehen. Es nutzt am Ende nichts,
wenn GRW-Mittel nur von denjenigen abgerufen werden
können, denen es schon gut geht, während die anderen
das nicht können, weil sie nicht kofinanzieren können.
Dann stärken wir die Starken, schwächen aber die
Schwachen. Deswegen glaube ich, dass wir darüber
noch einmal reden müssen.

Junge Unternehmen in Deutschland haben es in der
Wachstumsphase besonders schwer; denn hierzulande
wird im internationalen Vergleich zu wenig Wagniskapi-
tal investiert. Ich bin deshalb dem Kollegen Schäuble
dankbar, dass er begonnen hat, die Rahmenbedingungen
für Wagniskapital international wettbewerbsfähiger zu
gestalten. Wir wollen gemeinsam den neuen Markt 2.0
in Deutschland unterstützen. Gleichzeitig beginnen wir
aber auch damit, durch die ertragsteuerliche Freistellung
des INVEST-Zuschusses das steuerliche Umfeld für
Start-ups zu verbessern. Um bessere Investitionsbedin-
gungen für Unternehmensgründungen geht es auch bei
dem Entwurf eines Gesetzes zum Kleinanlegerschutz,
den die Bundesregierung erarbeitet.

Eine entscheidende Rahmenbedingung für die Stär-
kung der Investitionstätigkeit ist natürlich die Entwick-
lung auf dem Energiesektor. Deshalb ist die Stabilisie-
rung des Strompreises eines der zentralen Projekte der
Bundesregierung. Wir arbeiten weiter an einer bezahlba-
ren Energiewende. Ich habe das hier im Haus schon ein
paar Mal gesagt: Die Novellierung des EEG war nur der
erste Schritt. Wir haben in dieser Legislaturperiode die
Aufgabe, vieles von dem, was sich im Rahmen der Ener-
giewende nebeneinander oder gegeneinander entwickelt
hat, zu systematisieren. In diesem Jahr wird es vor allen
Dingen um die Themen fossile Kraftwerksparks, Strom-
marktdesign, Netze und europäische Einbindung gehen.
Wir werden auf Dauer nicht in Europa klarkommen,
wenn wir nicht eine gemeinsamere, harmonisiertere
Form der Energiepolitik vorantreiben. Das wird nicht
gehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es gibt auch in meinem Ministerium eine große Bau-
stelle, an der wir in diesem Jahr verstärkt arbeiten müs-
sen. Das ist die sehr lange Vernachlässigung des Themas
Energieeffizienz. Am Ende des Jahres werden wir in der
Bundesregierung einen Aktionsplan Energieeffizienz
vorlegen, weil wir – das hat uns die Europäische Union
ins Stammbuch geschrieben – hier eine Lücke haben, die
in den letzten Jahren entstanden ist.

Energie, Fachkräfte, Digitalisierung und immer wie-
der Investitionsstärke – das zeigt, dass wir auch unab-
hängig von außenpolitischen Krisen eine ganze Reihe
von Aufgaben vor uns haben, die die Bundesregierung
angepackt hat, die uns aber noch sehr viel Arbeit und
auch Entscheidungsbedarf hier im Haus verschaffen
werden.

Natürlich spielt für unsere wirtschaftliche Entwick-
lung Europa nach wie vor die bedeutendste Rolle. Nicht
China ist unser wichtigster Exportpartner, sondern die
Europäische Union und die Euro-Zone. Deswegen ist es
von großer Bedeutung, dass wir immer wieder öffentlich
klarmachen, dass, wenn wir in Europa investieren – was
Deutschland nun wirklich getan hat –, das nicht reiner
Altruismus ist, sondern ganz viel mit den Arbeitsplätzen
in unserem Land zu tun hat.

Um es in diesen Tagen, in denen viel über eine Alter-
native für Deutschland gesprochen wird, auch einmal
auszusprechen: Für Mitarbeiter und Professoren des öf-
fentlichen Dienstes, die sich einer solchen Partei an-
schließen, oder für ehemalige Wirtschaftslobbyisten mag
es egal sein, wohin die deutsche Industrie Exportpro-
dukte ausführt und wohin nicht. Für Facharbeiter und
Angestellte dieses Landes ist das nicht egal.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Europa auch, um Arbeitsplätze in unse-
rem Land zu halten. Deswegen rate ich dazu, dass wir
dieser Propaganda offensiv entgegentreten, gerade bei
denen, die sich Sorgen machen, gerade bei denen, die
nicht sicher sind, ob diese komplizierte Welt überhaupt
noch beherrschbar ist. Denen müssen wir sagen: Europa
ist nicht die Gefahr, sondern die Antwort, gerade für ein
exportorientiertes Land. Dazu gibt es eben keine Alter-
native für Deutschland.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt auch, dass wir insbesondere schauen müs-
sen, wie wir die beiden Aufgaben zusammenbekommen,
die in vielen Ländern Europas nach wie vor nicht bear-
beitet worden sind. Das ist der Stau bei strukturellen
Reformen. Das wissen die Franzosen, das wissen die Ita-
liener, und das wissen viele andere. Aber wir Deutsche
wissen aus eigener Erfahrung auch: Es gibt einen Re-
formbedarf auch bei Investitionen und Wachstumsim-
pulsen. Deutschland hätte 2003 die Agenda 2010 nach
meiner Einschätzung nicht durchsetzen können, wenn
wir zeitgleich noch 20 Milliarden Euro zusätzlich hätten
einsparen müssen. Der Unterschied zu Frankreich ist:
Frankreich hat nur die Defizitkriterien überschritten und
ansonsten nichts gemacht.

Ich glaube, dass wir den Stabilitäts- und Wachstums-
pakt nicht zu ändern brauchen und ihn nicht ändern soll-
ten; aber wir müssen jede Flexibilität nutzen, die wir in
Europa haben, um verbindliche und nachvollziehbare
Reformvorhaben mit einer Wachstums- und Investitions-
strategie zu verbinden. Sonst kommen wir aus der euro-
päischen Krise nicht heraus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Am Ende sind es aber nicht nur Förderprojekte oder
gesetzliche Rahmenbedingungen, die über die Wettbe-





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

werbsfähigkeit unseres Landes entscheiden. Ich glaube,
mindestens ebenso entscheidend ist die Frage, mit wel-
cher Haltung wir eigentlich an die Herausforderungen
herangehen: ängstlich und risikoscheu oder offensiv und
selbstbewusst.

Ich will das einmal an zwei Beispielen der aktuellen
Debatte deutlich machen. Natürlich ist es so, dass die
Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft auch
Risiken mit sich bringt und dass wir schwere Entschei-
dungen vor uns haben, zum Beispiel wie wir Datensi-
cherheit, das Recht auf Persönlichkeitsschutz oder die
Freiheitsrechte des Einzelnen ins Verhältnis zu dem brin-
gen, was jetzt gemeinhin unter der Überschrift „Big
Data“ gehandelt wird und was, na klar, auf der anderen
Seite große Geschäftsmodelle ermöglicht.

Natürlich ist das ein Problem. Natürlich wissen wir,
dass es nicht von selbst passieren wird, dass der deutsche
Maschinen- und Anlagenbau und die Automobilindus-
trie noch die Innovationstreiber ihrer Bereiche sein
werden; vielmehr hoffen Google und andere, dass sie in
Zukunft die Innovationstreiber einer digitalisierten In-
dustrie 4.0 sein werden.

Das sind objektiv existierende Herausforderungen.
Nur, ich glaube, es gibt überhaupt keinen Grund dafür,
dass wir sie in Deutschland und Europa ängstlich ange-
hen müssen. Wir – wir Deutschen, viele andere in Eu-
ropa mit uns – sind die Ausrüster der Industrialisierung
der Welt. Wir haben den modernsten und besten Auto-
mobilbau, den modernsten und besten Maschinen- und
Anlagenbau. Es müsste doch wirklich mit dem Teufel
zugehen – würde ich fast sagen; eigentlich hat der Teufel
hier im Parlament nichts verloren –, wenn es uns nicht
gelingen würde, das auch in Zukunft aufrechtzuerhalten.
Da muss der Schwerpunkt der Auseinandersetzung um
die Frage „Wohin gehen Investitionen, und wo finden
Innovationen statt?“ liegen. Das ist nicht nur ein Risiko,
sondern es ist vor allen Dingen eine Riesenchance, die
Industrialisierung der Welt in Zukunft auf ein neues und
höheres Niveau zu bringen.

Natürlich bin ich ganz sicher, dass es uns mit der eu-
ropäischen Datenschutz-Grundverordnung gelingen kann,
Standards zu schaffen, die Europa zum sichersten Stand-
ort für Daten machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das, glaube ich, ist es, wofür wir sorgen müssen.

Ein weiterer Punkt sind die Freihandelsabkommen,
über die heute schon ein paarmal diskutiert wurde. Na-
türlich gibt es berechtigte Sorgen. Ich teile die öffentlich
geäußerten nicht alle. Es gibt eine Menge Vermutungen
und Ängste, die etwas damit zu tun haben, dass die bis-
herige Verhandlungsführung durch die Europäische
Union und die Amerikaner hinreichend dafür Sorge ge-
tragen hat, dass jeder seine Ängste abladen konnte. Ich
habe einmal gesagt: Wenn man die Absicht hätte, das ge-
plante Freihandelsabkommen mit den USA zu Fall zu
bringen, dann muss man es so machen, wie die Europäi-
sche Kommission es bisher vorangetrieben hat; denn
dann ist relativ sicher, dass es am Ende keiner mitma-
chen wird. Deswegen ist Transparenz sehr wichtig. Wir
hier in Deutschland schaffen Transparenz. Wir haben ei-
nen entsprechenden Beirat geschaffen. Ich hoffe, dass es
die Europäische Union auch tut.

Natürlich ist es auch so – das ist auch meine Überzeu-
gung; es war übrigens auch die Überzeugung der alten
Bundesregierung –, dass man für eine solche Verhand-
lung zwischen zwei entwickelten Rechtssystemen kein
Investitionsschutzabkommen braucht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das war schon für die alte Regierung keine Frage.

Jetzt muss man sich aber entscheiden, ob man diese
Verhandlungen sozusagen risikoavers, ängstlich und mit
wenig Selbstbewusstsein betreibt und dann auch noch
die Forderung aufstellt, die Verhandlungen am besten
gleich abzubrechen. Übrigens, wer die Verhandlungen
mit den Vereinigten Staaten abbrechen will, der soll öf-
fentlich keine Reden mehr über die notwendigen Nach-
haltigkeitsregeln, die sozialen und ökonomischen Re-
geln der Globalisierung halten.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ja!)


Wer sich nicht traut, mit den Vereinigten Staaten zu ver-
handeln, der soll den Menschen keine Hoffnung machen,
der Rest der Welt werde mit uns Nachhaltigkeitsstan-
dards verabreden. Das ist nicht der Fall.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


– Im Unterschied zu Ihnen bin ich bekanntlich Sozialde-
mokrat. Ich weiß aufgrund der 151-jährigen Geschichte
der Sozialdemokratie, dass Forderungen nach revolutio-
nären Veränderungen in der Regel nichts bringen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


sondern dass man sich auf den Weg machen muss,
Schritt für Schritt, über Kompromisse.


(Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


– Der Unterschied zu Ihnen ist: Wir bekennen uns seit
151 Jahren zu Kompromissen. In Ihren Vorläuferorgani-
sationen ist das bekanntermaßen etwas anders gewesen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin dagegen, dass wir naiv an die geplanten Ab-
kommen herangehen. Ich bin dagegen, dass wir da blau-
äugig herangehen. Es will übrigens auch niemand ein
weißes Blatt Papier unterschreiben. Wir haben gerade
noch einmal klargestellt, dass es sich um ein gemischtes
Abkommen handelt, das deswegen auch hier im Bundes-
tag beschlossen werden muss. Aber wogegen ich bin, ist,
dass wir so tun, als ob es uns besser geht, wenn wir gar
nicht verhandeln, wenn wir mit niemandem reden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir sind das exportstärkste Land Europas. Wir müs-
sen uns doch wohl zu dem Ziel eines möglichst umfas-





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

senden Freihandels – am liebsten natürlich über die
WTO, aber wenn es nicht geht, dann auch in bilateralen
Abkommen – bekennen. Wer, wenn nicht wir, hat eigent-
lich ein Interesse an Freihandel?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deswegen, glaube ich, geht es aufgeklärter Politik
nicht darum, naiv damit umzugehen. Es geht auch nicht
darum, die eigenen Interessen nicht klar zu definieren.
Aufgeklärte Politik hat nicht die Aufgabe, Ängste zu
schüren, sondern die, die Fragen der Bevölkerung klar
und eindeutig zu beantworten


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und am Ende eines Prozesses zur Beantwortung der
Frage zu kommen, wie man sich entscheidet. Man darf
nicht bereits am Anfang alles abbrechen und sagen: Ich
mache nicht mehr mit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deswegen: keine Naivität, aber Selbstbewusstsein
Europas und Deutschlands. Ich glaube, dass am Ende die
Haltung darüber entscheidet, ob wir erfolgreich sind
oder nicht. Ich finde, unser Land und seine Bürgerinnen
und Bürger, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, NGOs, Ge-
werkschaften haben wirklich Grund, die Herausforde-
rungen, die auf uns zukommen – sie sind wahrlich nicht
klein –, mit großer Zuversicht und Selbstbewusstsein an-
zugehen und mit dieser Haltung die Zukunft des Landes
zu beeinflussen und nicht ängstlich zurücksteckend die
Chancen zu vergeben, die in all diesen Herausforderun-
gen immer auch stecken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805004400

Vielen Dank, Sigmar Gabriel. – Der nächste Redner

in der Debatte: Roland Claus für Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805004500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da der

Bundeswirtschaftsminister gleich zu Beginn seiner Rede
die Infrastrukturkompetenz der Linkspartei hervorgeho-
ben hat, muss ich den Ball natürlich aufnehmen. Es geht
um die Frage der privaten Beteiligung an öffentlichen
Infrastrukturinvestitionen. Da will ich von einem Vor-
gang erzählen, an dem ich intensiv beteiligt war.

Vor fast zwei Jahren hat ein Chemieunternehmen in
Wittenberg dem Bund 35 Millionen Euro für den Ausbau
einer Umgehungsstraße angeboten – ohne Bedingun-
gen –, weil sich dort Bürgerinitiativen und mehrere Un-
ternehmen einig waren. Der Bund war bis heute nicht in
der Lage, mit dieser Schenkung auch nur umzugehen.
Deshalb zweifle ich an den Infrastrukturkapazitäten die-
ser Bundesregierung, Herr Minister, und das müssen Sie
sich dann auch gefallen lassen.


(Beifall bei der LINKEN)

Ich denke, Wirtschaftspolitik steht in diesen bewegten
Tagen in der besonderen Verantwortung, einen Beitrag
zu Frieden, einer gerechten globalen Entwicklung und
Abrüstung zu leisten. Ich glaube, wenn ich diesen Satz
vor einem Jahr gesagt hätte, hätte ich noch den Zwi-
schenruf geerntet: Wovon träumen Sie nachts?


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Sie träumen auch heute noch!)


Aber ich will mit der Verflechtung von Wirtschafts-, Au-
ßen- und Sicherheitspolitik beginnen. Bekanntlich hat
die EU weitere Sanktionen gegen Russland beschlossen,
hat sie zunächst angedroht. Jetzt will ich nur einen einzi-
gen Fakt benennen, um die Absurdität dieses Vorgangs
zu kennzeichnen.

Sie haben vor einer Woche mit großer Mehrheit Waf-
fenlieferungen in den Irak beschlossen. Im Moment ist
die Fluggesellschaft Wolga-Dnjepr damit befasst, diese
Waffen in den Irak zu fliegen. Der Dnjepr ist bekanntlich
der größte Strom in der Ukraine, und die Wolga ist der
größte Strom im Westen Russlands. Nun muss man wis-
sen, dass Wolga-Dnjepr ein russisches Flug-, Logistik-
und Handelsunternehmen ist – mit ukrainischer Beteili-
gung. Dann muss man noch wissen, dass Wolga-Dnjepr
vor kurzem 49 Prozent der Air Cargo Germany, also ei-
ner deutschen Luftfrachtgesellschaft, erworben hat. Diese
Verflechtung von Wirtschaftsstrukturen macht kenntlich,
wie absurd die Vorstellung ist, man könnte Sicherheits-,
Friedens- und Außenpolitik mit Wirtschaftssanktionen
beeinflussen.

Deshalb ist Sanktionspolitik in aller Regel kontra-
produktiv. Sie ist aber auch eine Irreführung der Öf-
fentlichkeit. Ich hätte gar nichts gegen die Idee einer
Sanktionspolitik, wenn Sie mal darauf kämen, wenn es
um Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und Katar
geht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will noch einen Fall internationaler Wirtschafts-
politik ansprechen: die Verhandlungen über die transat-
lantischen Freihandelsabkommen zwischen der Europäi-
schen Union und den USA, Kanada und anderen, die im
Moment im Wesentlichen als Geheimverhandlungen
stattfinden. Der Bundesfinanzminister hat gestern bei
der Einbringung seines Etats einen sehr bemerkenswer-
ten Satz zu den Abkommen gesagt: Wir wollen sie zu ei-
nem guten Ergebnis verhandeln, aber auf Augenhöhe. –
So etwa Schäuble.

Neben mir saß zu dem Zeitpunkt eine junge Kollegin
aus München, und die fragte mich: Du kennst doch den
Finanzminister schon länger. Glaubt der das wirklich?
Glaubt der das angesichts einer Situation, in der Abhör-
und Ausspähaktionen durch die NSA unvermindert fort-
gesetzt werden? – Ich bin ihr die Antwort noch schuldig
geblieben und hoffe auf Unterstützung durch den Bun-
desfinanzminister. Ich bin übrigens froh, dass gestern
aus den Reihen der SPD eine ganze Reihe kritischer Äu-
ßerungen zu den Freihandelsabkommen gemacht wur-
den.





Roland Claus


(A) (C)



(D)(B)

Zu einigen Elementen Ihres Etats für das nächste
Jahr:

Herr Wirtschaftsminister, wir wissen: Fast die Hälfte
dieses Etats wird für Subventionen bei Steinkohle sowie
Luft- und Raumfahrt aufgebraucht. Gewiss, bei der
Kohle stehen wir im Wort; aber bei Luft- und Raumfahrt
handelt es sich um die Subventionierung staatsnaher
Monopolisten. Nur ein Drittel dessen, was in die Luft-
und Raumfahrt geht, verwenden wir für Innovations-
forschung und Innovationsförderung bei kleinen und
mittelständischen Unternehmen – und das alles vor
dem Hintergrund der Tatsache, dass wir uns alle mit
schöner Regelmäßigkeit vor dem deutschen Mittelstand
verneigen. Natürlich ist das Zentrale Innovationspro-
gramm Mittelstand gut und unterstützenswert. Es findet
auch unsere Unterstützung. Aber angesichts der Heraus-
forderungen, vor denen wir stehen, ist es viel zu gering.
Ich will darauf verweisen, dass uns in diesem Jahr nur
drei Monate für die Umsetzung dieses Programms zur
Verfügung stehen, weil bekanntlich der Etat 2014 erst
spät verabschiedet wurde und der Dezember ja der Kas-
senmonat ist.


(Thomas Jurk [SPD]: Wir haben doch VEs!)


Das Bundeswirtschaftsministerium hat uns, die wir nach-
gefragt haben, bislang immer gesagt: Du musst keine
Sorge haben, das wird in Ordnung kommen. – Trotzdem
schlagen wir für den Fall, dass es doch klemmen sollte,
vor – in diesem Fall und auch bei großen Verkehrsinfra-
strukturvorhaben –, im Haushalt Vorsorge zu treffen und
Überjährigkeit zu beschließen. Wenn wir sie nicht brau-
chen, umso besser.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will zum Schluss noch auf die Wirtschaft im Os-
ten zu sprechen kommen, wohl wissend, dass es inzwi-
schen schick geworden ist, nicht mehr über den Osten zu
reden. Selbstverständlich weiß ich auch, welche Pro-
bleme im Ruhrgebiet und in Bremen zu finden sind.
Selbstverständlich weiß ich, dass es inzwischen manche
Leuchttürme im Osten gibt, über die wir reden. Das ist
im Detail alles richtig, aber insgesamt falsch. Sie können
das beispielsweise ablesen am Industrieatlas der DAX-
Unternehmen, den die Beauftragte für die neuen Bun-
desländer vor kurzem veröffentlicht hat. Oder Sie
können sich die Veröffentlichung über die Zahl der Mil-
lionäre, also die Einkommensverteilung, im Osten an-
schauen. Deshalb werden wir weiter vorschlagen, die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ zu fördern, wohl wissend, wie kom-
pliziert es bei der Kofinanzierung ist. Wir werden Ein-
sparungen beim Luft- und Raumfahrtzentrum zugunsten
des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand vor-
schlagen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805004600

Aber jetzt nichts mehr vorschlagen, weil Sie über die

Redezeit sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir haben zu viele Vorschläge!)


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805004700

Ich bedanke mich, Frau Präsidentin, für den Hinweis

und habe das auch als Mahnung verstanden. – Wir brau-
chen eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik. Dies geht
mit diesem Etat nicht. Wir wollen eine sozialökologische
Gerechtigkeitswende. Davon sind wir noch weit ent-
fernt, aber da wollen wir hin.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805004800

Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner in der De-

batte: Dr. Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1805004900

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
fühle mich zurzeit in Deutschland ausgesprochen wohl.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie immer! Das kann ich mir vorstellen! Bei den Nebeneinkünften!)


Uns geht es in Deutschland auch ausgesprochen gut. Der
Bundeswirtschaftsminister hat eben völlig zu Recht ge-
sagt: Wir haben in Deutschland 42 Millionen Beschäf-
tigte. Wir haben über 30 Millionen sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigte. Das ist eine Zahl, die es ewig
nicht gegeben hat. Dadurch haben wir alle Sozialversi-
cherungssysteme wieder in einen Zustand versetzt, der
es erlaubt, dass wir nicht mit irgendwelchen Zuschüssen
rechnen müssen. Das hat uns – darüber kann man glück-
lich sein oder nicht glücklich sein – auch in die Lage
versetzt, die Rente mit 63 und die Mütterrente umzuset-
zen. Das wäre überhaupt nicht gegangen, wenn sich die
Sozialversicherungssysteme nicht in diesem exzellenten
Zustand befänden.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie sie geplündert! Super! Ganz toll!)


Das bedeutet, dass wir in den letzten neun Jahren den
richtigen Weg gegangen sind; in neun Jahren Angela
Merkel haben wir es richtig gemacht. Die Arbeitslosig-
keit ist so niedrig wie seit Jahren nicht. Übrigens: Das
Allerbeste ist – ich denke, das müsste jeder in diesem
Hohen Hause genauso sehen –: Die Jugendarbeitslosig-
keit ist extrem niedrig. Wenn man sie mit der in irgendei-
nem europäischen Land vergleicht, kann man nur sagen:
Es geht uns ziemlich gut.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


Meine Damen und Herren, parallel dazu sind wir Vi-
zeexportweltmeister. Es ist eine Erfolgsstory für ein rela-
tiv kleines Land, so hohe Exportleistungen an den Tag
legen zu können. Das liegt daran, dass wir über Jahre ei-
nen Konsolidierungskurs gefahren haben, der sich ge-
lohnt hat; denn jetzt sind wir so weit, dass wir erstmalig
eine schwarze Null fahren, einen Haushalt hinbekom-





Dr. Michael Fuchs


(A) (C)



(D)(B)

men, in dem es keine Neuverschuldung mehr gibt. Das
schaffen wir ohne Steuererhöhungen. Ich weiß, wie
schwierig die Diskussionen in den Koalitionsverhand-
lungen gewesen sind. Aber mittlerweile, Herr Minister,
haben wir uns gemeinsam daran gewöhnt, dass es eben
keine Steuererhöhungen geben wird. Und das ist auch
gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sollten das auch unseren europäischen Freunden
immer wieder mitteilen. Denn das zeigt, dass wir auf
dem richtigen Weg sind. Ohne Neuverschuldung lebt es
sich wesentlich besser. Es hat auch in keinem einzigen
Land bis jetzt irgendetwas gebracht, wenn mit hoher
Verschuldung irgendwelche Konjunkturprogramme fi-
nanziert worden sind. Das waren in aller Regel Seifen-
blasen, die dann auch dementsprechend schnell kaputt
waren.

Ist also alles in Butter, wie es so schön heißt? Man
muss nicht unbedingt ein Hellseher sein, um zu sehen,
dass am Horizont doch ein paar dunkle Wolken aufzie-
hen. Es gibt eine durchaus nachlassende Dynamik auf
den für uns wichtigsten Auslandsmärkten, Stichwort
China. Da sieht es nicht mehr so gut aus: von wegen
zweistelliges Wachstum – das war einmal. Es gibt
Streiks und permanente Streikandrohungen in einem Be-
reich Deutschlands, in dem man fast von Daseinsvor-
sorge sprechen kann, nämlich bei der Luftfahrt und der
Bahn.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die wollen Sie gern verbieten, wie?)


Das wird unsere Zuverlässigkeit nicht unbedingt fördern
und macht mir Sorgen.

Ich wünsche mir, dass die Bundesarbeitsministerin
möglichst schnell mit einem vernünftigen Vorschlag
kommt, der natürlich die Rechte der kleinen Gewerk-
schaften berücksichtigt, der aber auch sicherstellt, dass
ganz kleine Gruppierungen – ich sage jetzt mal: und
wenn es die Feuerwehr bei BASF ist – nicht ein riesiges
Unternehmen lahmlegen. Das darf uns nicht passieren.
Wir müssen dafür Lösungen finden. Ich weiß, dass das
kompliziert ist. Ich weiß auch, dass das verfassungs-
rechtlich – Stichwort Artikel 9 – nicht einfach ist.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Gott sei Dank!)


Hinnehmen können wir es so aber nicht, dass sich
eine Gruppe von 5 000 Leuten herausnimmt, nicht nur
den Flugverkehr für Personen, sondern auch den Cargo-
Verkehr lahmzulegen. Das bereitet uns als Exportnation
erhebliche Schwierigkeiten. Das wird eine wichtige Auf-
gabe sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben durch die Auseinandersetzung mit Russ-
land natürlich Probleme. Ich finde es völlig richtig, was
der polnische Präsident heute Morgen hier in diesem Ho-
hen Hause gesagt hat. Es war eine bemerkenswerte
Rede. Aber dass die Sanktionen der deutschen Wirt-
schaft wehtun, wollen wir nicht verschweigen. Ich darf
in diesem Zusammenhang einmal ausdrücklich den BDI-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1805005000
Klar ist, dass der Frie-
den in Europa und die Geltung des Völkerrechts Vorrang
vor unseren wirtschaftlichen Interessen haben. – Ich
finde, das ist eine sehr bemerkenswerte Aussage. Denn
er hat die Interessen der Wirtschaft deutlich hinter das
Völkerrecht gestellt. Dafür sollten wir ihm auch in die-
sem Hohen Hause dankbar sein. Das ist sehr verantwort-
lich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


All das führt nicht unbedingt dazu, dass wir uns in ei-
ner wirtschaftlich besseren Situation als in den Jahren
zuvor befinden. Das heißt: Wir müssen jetzt darauf ach-
ten, dass es keine zusätzlichen Belastungen gibt. Ich bin
dem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder sehr dankbar
für die klaren Worte heute Morgen in seiner Rede, in der
er sehr deutlich gemacht hat, dass jetzt Schluss mit wei-
teren Belastungen ist.

Erhebliche Sorgen bereitet mir der Investitionshaus-
halt. Über den Investitionshaushalt der öffentlichen
Hand will ich gar nicht reden; das haben Sie getan. Dass
das besonders toll ist, was da investiert wird, kann man
nicht unbedingt sagen. Obwohl wir beispielsweise die
Kommunen zusätzlich mit annähernd 10 Milliarden
Euro ausgestattet haben, wird wenig investiert. In vielen
Ländern – Stichwort NRW – wird fast überhaupt nichts
investiert.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn, dann in das Falsche!)


Die haben schon seit Jahren keinen verfassungsgemäßen
Haushalt mehr hinbekommen.

Obwohl wir deutliche Fortschritte in dieser Koalition
gemacht haben, sind auch die Investitionen in unserem
Haushalt nicht so, dass man sagen kann: Wir werden all
die Probleme lösen können, die vor uns liegen. – Vor al-
len Dingen im Verkehrs- und Infrastrukturbereich ist ein
ganz dicker Betrag erforderlich, der sich eher in der Grö-
ßenordnung dessen bewegt, was wir heute für das EEG
ausgeben. Wir werden uns in der nächsten Zeit darüber
Gedanken machen müssen, wie wir diese Investitionen,
unter Umständen über öffentlich-private Partnerpro-
gramme, pushen und wie wir zu mehr Investitionen
kommen können. Denn das macht mir Sorge.

Sorge macht mir aber auch – da sollten wir genau hin-
schauen –, dass in der Industrie ein ähnlicher Attentis-
mus feststellbar ist. Zumindest in der energieintensiven
Industrie finden kaum noch vernünftige Investitionen
statt. Der VDMA hat eine Statistik herausgegeben, die
besagt, dass energieintensive Unternehmen zurzeit nur
noch 80 Prozent ihrer Abschreibungen reinvestieren.
Was heißt das denn? Das heißt im Prinzip nichts anderes,
als dass in fünf Jahren die Investitionen aufhören. Der
Unterschied zwischen einem Unternehmen und einem
Bürger ist, dass sich der Bürger beim Amt abmelden
muss, wenn er umzieht. Die Industrie macht das nicht.
Irgendwo investieren sie, jedenfalls nicht in Deutsch-
land. Da sind wir gefordert, und zwar alle gemeinsam,
darüber nachzudenken, was wir denn machen können,
um diesen Attentismus zurückzuführen, und was die
Gründe dafür sind, dass es einen solchen Investitionsat-





Dr. Michael Fuchs


(A) (C)



(D)(B)

tentismus gibt. Da ist an allererster Stelle natürlich das
Energieproblem: Die energieintensive Industrie kann
sich Deutschland nicht leisten.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommt doch gerade wieder zurück!)


Das wird uns immer schwerer treffen; es wird in der
nächsten Zeit immer mehr darüber diskutiert werden. Es
ist ja nicht so, als könnten wir auch nur annähernd er-
warten, dass es da einen Schritt zurück geben wird, dass
es billiger wird – nein, es wird teurer. In anderen Län-
dern läuft es genau umgekehrt: Die Strom- und Gas-
preise in den USA sind göttlich niedrig. Das liegt natür-
lich am Fracking und all den Folgen, die das hat.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben wir auch noch Fracking!)


Dann gibt es in diesem Hohen Hause natürlich immer
wieder Versuche, weitere Belastungen für die Wirtschaft
zu schaffen, leider auch – Herr Gabriel, ich bin Ihnen
dankbar, dass Sie das schon zurückgewiesen haben – das
eine oder andere Mal aus Ihrer Fraktion, Stichwort Anti-
stressgesetz. Lieber Thomas Oppermann, wenn das Ge-
setz käme, dann dürftest du nach 18 Uhr deine Kollegen
nur noch dann anrufen, wenn Andrea Nahles es dir er-
laubt.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das wollen wir nicht haben; wir wollen eine solche Re-
gelung nicht. Stellen Sie sich bitte einmal vor, da ist ein
Handwerksbetrieb, bei dem ein Kunde anruft und sagt:
„Bei mir ist eine Wasserleitung geplatzt“, und der Hand-
werksmeister darf seinen Gesellen nicht mehr anrufen,
weil es nach 18 Uhr ist und er sonst Stress hätte. So et-
was kann es nicht geben. Es ist, wenn überhaupt, die
Aufgabe der Tarifpartner, so etwas zu regeln. Das ma-
chen sie, dazu haben sie die Kompetenz; dafür brauchen
sie uns nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen sollten wir solche Gesetze nicht machen.

Wir werden uns sehr intensiv mit dem Thema Fra-
cking zu beschäftigen haben. Es wird Sie nicht wundern,
dass ich es noch kurz erwähnen muss. Aber es macht mir
einfach Sorge, dass Deutschland heute zu 40 Prozent
von russischem Gas abhängig ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Energieeffizienz!)


Wenn ich höre, was Putin am letzten Wochenende wie-
der gesagt hat, nämlich dass wir uns nur ja nicht trauen
sollen, auch nur 1 Kubikmeter Gas an die Ukraine zu-
rückzuliefern, weil er uns in diesem Moment sofort das
Gas abstellen würde, dann beruhigt mich das nicht wirk-
lich.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie wäre es denn mal, etwas für Energieeffizienz zu machen? Schon mal was davon gehört? – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Da könnte man erneuerbare Energien einsetzen!)


Also ist es unsere Aufgabe, darüber nachzudenken, wel-
che technischen Möglichkeiten, welche anderen Mög-
lichkeiten wir überhaupt haben.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst mal Wärmedämmung vernünftig umsetzen!)


Man muss sich ein Stück weit wundern, wenn selbst
Panorama, eine Fernsehsendung, die man nicht gerade
als katholisch und CDU-nah bezeichnen kann,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


uns mittlerweile mitteilt, dass das mit dem Fracking ja
wohl ein Irrtum von Panorama und auch aus dem Hause
UBA gewesen sei und dass Frau Krautzberger anschei-
nend das Gutachten, das für das UBA erstellt wurde,
nicht verstanden hat. Das mag an mangelnder Intellek-
tualität oder woran auch immer liegen – jedenfalls hat
sie es völlig falsch ausgelegt und dann auch noch die
Bundesumweltministerin falsch beeinflusst.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinnig! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich empfehle jedem, sich einmal diese Sendung anzuse-
hen, aus der deutlich hervorgeht, dass Fracking keine
Gefahr für Deutschland darstellt


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


und wir Fracking unproblematisch betreiben können.
Das halte ich für notwendig.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805005100

Lieber Michael Fuchs, ich muss jetzt Stress machen.

Sie sind über die vorgesehene Redezeit hinaus.


Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1805005200

Ich glaube, dass wir das tun müssen.


(Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks verlässt die Regierungsbank und begibt sich in die Reihen der SPD-Fraktion – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss möchte ich – das kann ich ziemlich un-
beschwert tun – Bodo Hombach zitieren, der gesagt hat:
Es muss jetzt Schluss sein mit dem „Fräckingsausen“. –
Recht hat er.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805005300

Würden Sie eine Zwischenfrage oder Anmerkung von

Frau Hendricks erlauben?


Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1805005400

Immer, ja.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1805005500

Lieber Kollege Fuchs, ich bin von der Präsidentin des

UBA, Frau Krautzberger, deren intellektuelle Kapazität
ich keinesfalls in Zweifel ziehen möchte,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


nicht falsch beeinflusst worden. Ich darf Sie aber viel-
leicht darauf hinweisen, dass dem UBA zwei Gutachten
vorliegen und Panorama fälschlicherweise und wider
besseres Wissen nur aus dem einen Gutachten zitiert hat
und die UBA-Pressestelle rechtzeitig darauf hingewie-
sen hat, dass dies eine einseitige Sichtweise, bezogen auf
ein einziges und nicht auf die Summe zweier Gutachten,
war.

Im Übrigen bitte ich Sie einfach, die Diskussion mit
Ihrem Kollegen Mattfeldt zu führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1805005600

Verehrte Frau Hendricks, selbstverständlich werde ich

das tun; davon können Sie schon ausgehen.

Zweitens darf ich Ihnen aber mitteilen, dass Professor
Dannwolf, der das Gutachten für das Umweltbundesamt
erstellt hat, klar und deutlich gesagt hat und es auch Ih-
nen und Frau Krautzberger mitgeteilt hat, dass diese
Techniken heute risikolos und sicherlich beherrschbar
seien.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Gutachten ist vom Umweltbundesamt in Auftrag
gegeben worden. Es wundert mich, dass es unter der De-
cke gehalten wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805005700

Vielen Dank, Herr Kollege Fuchs. – Darüber werden

wir sicher noch heftige Debatten führen. – Nächste Red-
nerin in der Debatte: Kerstin Andreae für Bündnis 90/
Die Grünen.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805005800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Fuchs, Sie heben zu Beginn Ihrer Reden gerne Zeit-
schriften hoch. Dieses Mal haben Sie das nicht gemacht.
Sie hätten den Spiegel von dieser Woche mit dem Titel
„Der Bröckelstaat“ hochhalten können.

Seit Jahren investiert der Staat weniger, als zum Er-
halt der Infrastruktur notwendig wäre.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Fragen Sie mal den Kollegen Hermann in Baden-Württemberg, warum das so ist!)

Da muss im Wirtschaftsministerium die Alarmglocke
angehen. Sie sagen: Wir haben eine schwarze Null. Sie
sagen: Wir nehmen keine neuen Schulden auf. Fakt ist
aber, dass Sie sich weiterhin verschulden. Sie holen sich
das Geld im Augenblick nicht bei den Banken, aber Sie
mindern das Erbe unserer Kinder und verschulden sich
an der Zukunft. Das ist das, was Sie gerade tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es bröckelt an allen Ecken und Kanten, bei Straßen,
Brücken und Schulen. Als Begründung sagen Sie: Die
Kassen sind leer – trotz stetig steigender Steuereinnah-
men. Heute Morgen wurde es gesagt: 111 Milliarden
Euro zusätzliche Steuereinnahmen in den kommenden
vier Jahren. Trotz dieser Steuereinnahmen sind die Kas-
sen leer? Wir Grünen sagen klipp und klar: Nicht jede
Investition ist sinnvoll, viele davon sind sogar absoluter
Blödsinn.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nennen Sie einmal eine, die Sie aktiv betrieben haben! Welche Straße? Welcher Flughafen? Sie reden doch wie ein Blinder von der Farbe! Sie sind unglaublich!)


Was Sie als Erstes machen müssten, wäre, die Spaten-
stichpolitik von Dobrindt zu stoppen. Nach wie vor geht
nur jeder vierte Euro in den Erhalt von Straßen; 75 Pro-
zent des Etats gehen in den Neubau. Dabei bröckeln die
Brücken so stark, dass die Lkws nicht mehr darüber fah-
ren können. Stoppen Sie diese Verschwendung! Setzen
Sie die Priorität auf den Erhalt von Straßen und Brücken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Relativ unglaubwürdig, Frau Kollegin! Das sind doch alles Schaufensterreden! – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Da sind Sie ja sicher drin!)


Ich möchte, dass wir über Wettbewerbsfähigkeit spre-
chen. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Wir sehen ein-
fach nur zu, wie ganze Orte von der digitalen Entwick-
lung abgekoppelt sind, weil sie nicht über schnelles
Internet verfügen. Das ist im Übrigen ein Thema, das im
Wahlkampf eine große Präsenz hatte. Der Breitbandaus-
bau wurde von allen gefordert, vorneweg von der SPD.
Aber nichts passiert. 1,4 Milliarden Euro werden in die
Luft- und Raumfahrt investiert und gerade einmal
73 Millionen Euro in neue Informations- und Kommuni-
kationstechnologien. Das sind 5 Prozent. Was fehlt, ist
eine offensive Breitbandstrategie. Wir sagen: Machen
Sie endlich Schluss mit Dobrindts Politik, bei der Maut
sowieso, aber auch beim mangelnden Breitbandausbau.
Investieren Sie in die Infrastruktur der Zukunft. Machen
Sie Ihr Versprechen vom Breitbandausbau wahr,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und zwar so, dass man davon mal etwas merkt. Sie ver-
sprechen seit Jahren, dass Sie das tun. Faktisch kommt
aber nichts an. Das ist aber ein entscheidender Faktor für
unsere Wettbewerbsfähigkeit in zehn Jahren. Das ent-
scheidet darüber, ob am Standort investiert wird.





Kerstin Andreae


(A) (C)



(D)(B)

Es geht – das ist zu Recht angesprochen worden – nicht
nur um öffentliche Investitionen. Es geht auch um private
Investitionen. Klare Signale an die Unternehmerinnen und
Unternehmer und an die Investoren sind nötig. Ich finde,
Sie haben im vergangenen halben Jahr gerade bei der
Energiewende an vielen Stellen Missmanagement an den
Tag gelegt. Ich will das an einer Stelle verdeutlichen, die
zeigt, dass Ihnen die Investoren wirklich wegbrechen:
Wirtschafts- und Energieminister Gabriel hat zuge-
stimmt, dass jetzt jedes Bundesland seine eigenen Ab-
standsregeln für Windkraftanlagen festlegen kann. Das
bedeutet erstens, dass Flächen für den Windkraftausbau
drastisch reduziert werden. Es bedeutet aber noch etwas
anderes: Was passiert denn, wenn ein Investor Repowe-
ring machen möchte, wenn er die Anlagen ertüchtigen
möchte, wenn er ein besseres Windrad aufstellen
möchte? Was passiert dann? Dann greift die Abstandsre-
gel. So hat uns das Staatssekretär Baake im Wirtschafts-
und Energieausschuss klar und deutlich gesagt. Das
heißt faktisch, dass Neuinvestitionen und Ertüchtigun-
gen bei Windenergie nicht mehr möglich sind. Das ist
doch absurd. Das kann ein Energie- und Wirtschafts-
minister unserer Ansicht nach nicht zulassen. Das haben
Sie aber zugelassen. Hier hätten Sie Seehofer in den
Arm springen müssen; denn Deutschland bleibt nur
Technologiestandort, wenn hier geforscht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Dann bricht der zusammen! – Sigmar Gabriel, Bundesminister: Ich lache nur wegen des Bildes!)


– Ich kann mir vorstellen, dass das Bild, Seehofer in den
Arm zu springen, nicht ganz so hübsch ist; aber Sie wis-
sen, wie ich es gemeint habe.


(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Nein, vor allen Dingen für mich! – Heiterkeit bei der SPD)


– Ja, oder für ihn; je nachdem. Ich glaube, beide leiden.

Der Mittelstand braucht Impulse. Sie haben ja nicht
nur den Breitbandausbau immer wieder im Wahlkampf
thematisiert, sondern auch immer gesagt, dass Sie eine
steuerliche Forschungsförderung machen werden. Das
können Sie jetzt als Große Koalition auf den Weg brin-
gen. Sie hätten sogar unsere Unterstützung. Wieso ge-
lingt es nicht, das zu machen, was 27 von 34 OECD-
Ländern machen? Warum fördern Sie nicht Kreativität,
Tüftlertum, den Geist von vielen kleinen Unternehmen
und bringen die steuerliche Forschungsförderung auf
den Weg? Denn dort ist unheimlich viel Potenzial. Nein,
Sie machen Projektförderung. Wir wollen aber steuerli-
che Forschungsförderung. Da sind wir uns mit den Wirt-
schaftsexperten dieses Landes einig und im Übrigen
auch mit Ihren Wirtschaftspolitikern. Zeigen Sie Initia-
tive, und machen Sie steuerliche Forschungsförderung.
Das wäre eine kluge, vorausschauende Wirtschaftspoli-
tik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben gesagt, wie wichtig Ihnen Investitionen in
die Zukunft sind. Was haben Sie gemacht? Sie haben ein
160 Milliarden Euro schweres Rentenpaket beschlossen.
Die Rentenkasse, Herr Fuchs, wird in den nächsten Jah-
ren leer sein. Sie machen sie leer. So kommt übrigens
auch der Haushalt zustande. Sie bedienen sich derart bei
den Sozialkassen, dass man dafür gar keine Worte findet.
Sie schröpfen die Rentenkasse, und Sie schröpfen die
Gesundheitskasse. Es ist auch wirtschaftspolitisch Un-
fug, Frühverrentung zu fördern und höhere Sozialbei-
träge herbeizureden. Ein Wirtschaftsminister muss sich
doch dagegen stellen und sagen: Wir geben Antworten
auf den Fachkräftemangel und auf den demografischen
Wandel. – Wir brauchen keinen Griff in die Sozialkassen
und keine Beitragssatzsteigerung, sondern eine kluge
Politik, die auch in den nächsten Jahren eine soziale Si-
cherung garantiert, und zwar wirtschaftspolitisch abge-
federt. Das muss ein Wirtschaftsminister machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich erwarten wir von einem Wirtschaftsminis-
ter, dass er sich zum Anwalt einer nachhaltigen Konsoli-
dierung macht, und zwar nachhaltig im besten Sinne. Ich
nenne als Stichworte Investitionen und Innovationen für
den Klimaschutz, eine konsequentere Energiewende,
Ressourcenschonung und Energieeffizienz; das ist ein
ganz wichtiges Thema. Aber wir müssen auch aus einer
europäischen und globalen Perspektive den Blick darauf
haben, wie die europäische Strategie „weg vom Öl“ aus-
sieht. Wie sieht denn die europäische Energiewende aus?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805005900

Frau Kollegin!


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805006000

Ich komme zum Schluss. – Dafür brauchen wir eine

wirtschaftspolitische Agenda, die über das hinausgeht,
was der Wirtschaftsminister hier angedeutet hat. Dafür
muss man sich auch einmal mit den Unternehmen und
mit den Gewerkschaften anlegen.

Letzter Satz. Stichwort Tarifeinheit: Ich warne den
SPD-Parteivorsitzenden und die SPD-Bundestagsfrak-
tion davor, leichtfertig mit dem Thema Streikrecht und
leichtfertig mit dem Thema Koalitionsfreiheit umzuge-
hen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805006100

Letzter Satz.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805006200

Seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie bei der Ta-

rifeinheit machen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir stehen für Tarifpluralität.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805006300

Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der De-

batte ist Wolfgang Tiefensee für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1805006400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist die Aufgabe der Opposition, sich dieses
oder jenes herauszupicken, schwarzzumalen und zu pro-
gnostizieren, dass alles ganz schlimm wird. Es wäre
nicht schlecht, wenn in diesem Hause dennoch zunächst
die Zahlen und Fakten sprechen würden. Deutschland ist
in einer sehr robusten wirtschaftlichen Situation. Wenn
wir uns das Bruttoinlandsprodukt anschauen, dessen
Steigerung wir nach wie vor mit 1,8 Prozent prognosti-
zieren, und wenn wir uns den Arbeitsmarkt anschauen,
dann kann man sagen: Trotz eines schwierigen europäi-
schen und internationalen Umfelds stehen wir gut da.

In Richtung der Linken – Herr Ernst hat gleich Gele-
genheit, zu diesem Thema zu sprechen – sage ich: Ein
Blick auf den Osten ist ebenfalls interessant. Die große
Lücke, die wir bisher bei der Entwicklung des Bruttoin-
landsproduktes zwischen den westlichen und den östli-
chen Ländern gesehen haben und die der Durchschnitt
eben nicht abbildet, hat sich geschlossen. Die starken
ostdeutschen Länder haben beim BIP und beim BIP-
Wachstum aufgeschlossen; sie haben sogar zum Teil die
schwächeren westlichen Länder überholt. Schauen wir
uns die Arbeitslosigkeit an. Sie beträgt im Durchschnitt
in Deutschland 6,7 Prozent, in Ostdeutschland 9,4 Pro-
zent, im Westen 6 Prozent. Angesichts dieser Zahlen
kann nicht mehr regelmäßig die schlimme Nachricht
verbreitet werden, dass die Arbeitslosigkeit in Ost-
deutschland doppelt so hoch ist. Das ist ein Erfolg der
letzten Jahre, ein Erfolg der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer, der Unternehmer und derjenigen, die die Är-
mel hochgekrempelt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Schaut man sich die Konjunkturberichte des DIHK
an, sieht man durchweg eine positive Resonanz bei den
Unternehmen. Der ZDH hat eine Konjunkturumfrage
durchgeführt. 86 Prozent der Handwerksbetriebe sind
mit der Situation ihres Betriebes sehr zufrieden bzw. zu-
frieden. Das ist eine sehr gute Ausgangslage für die Zu-
kunft. Das Wachstum, das auf das Handwerk entfällt,
wird das Wachstum der allgemeinen Wirtschaft, des BIP,
sogar um 2 Prozent übersteigen. Schaut man sich den
Export an – er ist schon angesprochen worden –, stellt
man fest: Wir haben die magische Grenze von 100 Mil-
liarden Euro überschritten. Bei den Ausrüstungsinvesti-
tionen ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Das Auf-
tragsvolumen der Industrie ist von Juni auf Juli dieses
Jahres um 4,6 Prozent gestiegen. Insgesamt haben wir
also eine sehr gute wirtschaftliche Lage.

Jetzt geht es darum, zu diagnostizieren: Wo sind die
Gefahren? Wo sind die Herausforderungen? Ich will zu-
nächst bei dem international schwierigsten Thema, näm-
lich bei den Brandherden auf dieser Welt, beginnen, und
als Beispiel die Ukraine erwähnen. Die Sanktionen wer-
den auch von der deutschen Wirtschaft, von den Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern als das richtige Instru-
ment, als die richtige Antwort auf die katastrophalen
Zustände und die katastrophale Politik Putins betrachtet.

Greifen wir den Maschinen- und Anlagenbau heraus.
Hier beträgt das Umsatzvolumen 200 Milliarden Euro;
9 Milliarden Euro davon entfallen auf das Geschäft mit
Russland. Es wird prognostiziert, dass dieser Anteil auf
4,5 Milliarden Euro sinken wird. Das entspricht einem
Minus von 2 Prozent. Das ist nicht gravierend. Aber mit
Blick auf Sie, Herr Wirtschaftsminister, und die Regie-
rung sage ich: Ich finde, wir müssen jetzt intensiv da-
rüber nachdenken, welche Antwort wir kurz- und mittel-
fristig geben, wenn Mittelständler oder auch große
Unternehmen fragen: Wie können wir eine Entlastung
erfahren? Wie können wir neue Märkte erschließen?

Da sind mir zwei Dinge wichtig. Der erste Punkt ist:
Wir müssen die USA und insbesondere Afrika als neue
Märkte erschließen. Meine Bitte ist, dass wir in der Zu-
kunft darüber nachdenken, wie wir die Hermesbürg-
schaften so gestalten können, dass der Mittelstand dort
insbesondere gegenüber den chinesischen Wettbewer-
bern Fuß fasst. Die Produkte müssen dort ihren Markt
haben und ihre Käufer finden. Dazu braucht es eine in-
tensive, eine intensivere Unterstützung durch die Bun-
desregierung in Form von Hermesbürgschaften.

Das zweite Thema – es wurde schon mehrfach ange-
sprochen – betrifft das Freihandelsabkommen und die
Öffnung der Märkte insbesondere gegenüber den USA.
Darüber, dass wir keinen Investorenschutz brauchen, ist
hinlänglich diskutiert worden. Dass wir unsere klaren
Positionen haben – zur öffentlichen Daseinsvorsorge,
zur Kultur, zu vielen anderen Fragen, auch was das
Chlorhühnchen usw. angeht –, ist sattsam bekannt. Ich
plädiere dafür, das, was den Mittelstand und die großen
Unternehmen tatsächlich interessiert, möglichst schnell
zu verhandeln und zum Abschluss zu bringen, nämlich
die nichttarifären Handelshemmnisse. Wenn wir uns da-
rauf beschränken und in einer ersten Etappe mit den
USA hier möglichst schnell Boden gewinnen, können
wir dem Mittelstand nachhaltig helfen.

Schauen wir ins Inland, stellen wir fest: Die Investi-
tionsquote liegt auf einem bedenklichen Niveau. Sie be-
trägt nach wie vor 17 Prozent. Der OECD-Durchschnitt
legt die Latte mit 20 Prozent wesentlich höher. Was müs-
sen wir hier tun? Wir müssen uns anschauen: Wo werden
die meisten Investitionen getätigt? 51 Prozent, also über
die Hälfte, werden im Bereich der öffentlichen Hand ge-
tätigt. Darauf reagiert die Bundesregierung. Darauf wer-
den auch wir als Bundestag mit der Verabschiedung die-
ses Haushalts reagieren. Es ist schon angesprochen
worden: Die zusätzlichen 5 Milliarden Euro, die auf
10 Milliarden Euro per annum aufwachsen, werden hel-
fen, die Investitionen anzukurbeln. Das ist die richtige
Antwort auf diese Frage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein weiterer wichtiger Punkt, der in Zukunft auf der
Agenda stehen wird, betrifft das Stichwort „Industrie
4.0“. Hier macht mir etwas Sorgen. Auch in der Rede
von Frau Bundeskanzlerin kam, nachdem der Begriff
„Industrie 4.0“ gefallen ist, sofort der Hinweis auf den
IT-Gipfel. Uns in Deutschland muss es zusätzlich zu die-
sem Blickwinkel aber um etwas ganz anderes gehen. Wir
müssen die Mittelständler, insbesondere im Maschinen-
und Anlagenbau und im Automobilbau, in den Blick





Wolfgang Tiefensee


(A) (C)



(D)(B)

nehmen. Das ist nämlich kein Thema, das nur den IT-Be-
reich betrifft, sondern es ist ein Thema, das vorwiegend
im Maschinen- und Anlagenbau und in der Automobilin-
dustrie eine Rolle spielt.

Warum? Zum Ersten müssen wir uns darum küm-
mern, dass sich alle, in Kindergarten über die Hoch-
schule bis zu den Facharbeitern, die sich nachqualifi-
zieren müssen, auf diese neue Entwicklung einstellen.
Zum Zweiten müssen wir bedenken, dass wir bei den
IT-Instrumenten immer ein Stück hinter den Amerika-
nern herhinken werden. Wir können Leitmarkt, Leitan-
bieter für Industrie 4.0 werden, wenn wir uns insbeson-
dere auf den Maschinenbau und die Automobilindustrie
konzentrieren.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])


Des Weiteren werden wir das ZIM-Programm um
30 Millionen Euro auf 443 Millionen Euro aufstocken.
Der Plafonds für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mit 600 Millio-
nen Euro wird in den nächsten Jahren eine Steigerung
erfahren. Wir werden Existenzgründungen fördern, bei-
spielsweise durch die Freistellung von der Ertragsteuer.
Oder denken Sie an die Mini-Mezzanine-Fonds, an das,
was wir kleinen Start-ups, kleinen Unternehmen, kleinen
Mittelständlern geben, damit sie sich entwickeln können.
Auch hier gibt es einen Aufwuchs von 35 Millionen
Euro auf 70 Millionen Euro. Das alles sind wichtige In-
strumente, um deutlich zu machen: Sowohl die Wirt-
schaftskraft von nebenan, das Handwerk, als auch die
Industrie werden in Deutschland gestärkt, damit sie euro-
päisch und global wettbewerbsfähig bleiben, Arbeits-
plätze schaffen und erhalten und hier im Land investieren.
Denn das brauchen wir, damit das Wirtschaftswachstum
auch in Zukunft stabil bleibt. Wir wollen diese Politik so
fortsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805006500

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in der

Debatte ist Klaus Ernst für Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805006600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Erstens. „Ja, wir haben in Deutschland seit zehn
Jahren eine schlechte Investitionsentwicklung, und zwar
zuallererst mal im öffentlichen Bereich“, haben Sie, Herr
Wirtschaftsminister, heute früh im Rundfunk gesagt. Ich
habe das zur Kenntnis genommen. Sie haben recht. Ich
möchte allerdings darauf hinweisen, dass dieser Zustand,
den Sie da beschreiben, natürlich auch von Ihrem jetzi-
gen Koalitionspartner mit verursacht wurde; denn die In-
vestitionen sind ja irgendwann von Leuten unterblieben,
die darüber entschieden haben. Wir waren es nicht.


(Heiterkeit bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Zum Glück waren Sie es nicht!)

Das waren Sie.

Zweitens. Der Spiegel schreibt:

Kaum eine andere Industrienation geht so fahrlässig
und knauserig mit der eigenen Zukunft um.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berech-
net, dass, um den Status quo zu halten, also das, was wir
jetzt haben, jährlich 100 Milliarden Euro an zusätzlichen
Investitionen notwendig wären. 100 Milliarden Euro!
Das kann ich in Ihrem Haushalt beim besten Willen
nicht finden. Ich stelle vielmehr fest, dass wir hier die
schwarze Null als Riesenerfolg feiern. Angesichts des
notwendigen Investitionsbedarfs ist die schwarze Null
aber doch geradezu absurd.

Herr Minister, Sie haben vorhin, bezogen auf das
Schuldenmachen, gesagt, das wäre falsch. Sie haben üb-
rigens auch in dem Interview gesagt – das hat mich gera-
dezu erstaunt –, durch mehr Schulden bekomme man ja
nicht mehr Geld für Investitionen. – Natürlich, Sie kön-
nen geliehenes Geld für Investitionen ausgeben.

Mich wundert diese ganze Politik deshalb sehr, weil
wir aktuell eine ganz besondere Situation haben. Gestern
hat Herr Schäuble Schatzanweisungen zu Zinsen unter
0 Prozent verkauft. Mit anderen Worten: Die, die ihm
das Geld geben, bekommen nachher weniger zurück, als
sie ihm gegeben haben. Wenn ich in einer Situation Geld
aufnehme, für das ich null Zinsen zahlen muss, gleich-
zeitig 100 Milliarden Investitionsbedarf habe und die
schwarze Null feiere, dann versteht das doch die Welt
nicht mehr. Da müssen Sie doch als Wirtschaftsminister
eingreifen und sagen: Wir brauchen Investitionen, um
dieses Land am Laufen zu halten.


(Beifall bei der LINKEN)


Von der schwarzen Null kann keiner leben, Herr Gabriel.
Das ist das Problem.


(Zuruf von der CDU/CSU: Doch! Die Enkel!)


– Zu Ihnen komme ich gleich noch.

Gerade hat sich Herr Fuchs in seinen hervorragenden
Ausführungen – er ist ja wirklich ein Fuchs in dieser
Frage –


(Heiterkeit bei der LINKEN)


noch einmal für private Investitionen ausgesprochen.
Dazu sagt Herr Bofinger, Wirtschaftsweiser – ich habe
den Eindruck, er ist ein bisschen weiser als Herr
Fuchs –:


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er ist nicht der Berater von Herrn Fuchs! Das kann ich bestätigen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


In der Regel ist PPP

– Public Private Partnership –

teurer als eine konventionelle öffentliche Investi-
tion, da sich der Staat sehr viel günstiger finanzie-
ren kann als private Investoren. Im Gegensatz zum
Staat wollen sie zudem noch einen Gewinn erzie-
len.





Klaus Ernst


(C)



(D)(B)

Sie legen hier also ein Konzept vor, das vielleicht Ihren
Freunden Gewinn verschafft; aber der Steuerzahler muss
es zahlen. Es ist Unfug und deshalb abzulehnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gäbe eine Lösung, wie wir tatsächlich ohne zusätz-
liche Schulden das finanzieren könnten, was notwendig
ist. Diese Lösung hatte auch die SPD ein Stück weit in
ihrem Wahlprogramm stehen; ich habe mich darüber ge-
freut. Ihr habt das leider zu schnell aufgegeben. Der
Punkt, den ich meine, ist: Natürlich brauchen wir auch
vernünftige Steuererhöhungen,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ah!)


um das zu bezahlen, und zwar Steuererhöhungen bei de-
nen, denen das nicht wehtun. In der Bundesrepublik
Deutschland befinden sich 35 Prozent des Vermögens im
Besitz des reichsten Prozents. Das sind übrigens die Ver-
mögen, die trotz Krise weiter gewachsen sind. Wenn wir
nicht dort, wo das Wachstum gelandet ist, bei den Priva-
ten,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein Porsche fahrender Sozialist kann so was alles schnell fordern!)


durch Steuern etwas abschöpfen, dann wird der Staat
künftig nicht mehr in der Lage sein, seine Aufgaben zu
erfüllen; das ist ein großes Problem.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Die vielen Häuser in Österreich besteuern wir heftiger!)


– Weil Sie, meine Herren, sich da so aufregen, möchte
ich einmal erwidern, was Herr Stephan Hebel in der
Frankfurter Rundschau von heute dazu schreibt – ich zi-
tiere –:

Ein Land atmet auf, weil es keine Schulden mehr
macht – und nimmt die Verrottung seiner Besitztü-
mer in Kauf. So ein Land hat die Milchmädchen an
der Macht fast schon verdient.

– Es können auch Milchbubis sein.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Du liest die verkehrten Artikel! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine Klamaukrede!)


Meine Damen und Herren, natürlich wäre es notwen-
dig, dass wir über einen vernünftigen Spitzensteuersatz
nachdenken; er liegt nach wie vor 11 Prozentpunkte
niedriger als unter Kohl. Und es wäre notwendig, dass
wir über eine Abschaffung der Abgeltungsteuer nach-
denken und einen vernünftigen Steuersatz entsprechend
dem für das private Einkommen vorsehen. Wir müssten
auch wieder über eine vernünftige Körperschaftsteuer
nachdenken. – Aber Sie lehnen Steuererhöhungen ab
und verhindern damit, dass der Staat das Geld bekommt,
das er braucht, um seine Aufgaben zu erfüllen. Was da-
ran vernünftig sein soll, verstehe ich nicht.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Deshalb sind Sie auch nicht an der Macht!)

Jetzt kommen wir zu der Situation, dass – Sie haben
das angesprochen – auch die Unternehmen zu wenig in-
vestieren. Wundert es Sie eigentlich nicht, dass das so
ist? Was ist alles unternommen worden, um die Anreize
für die Unternehmen zu erhöhen, damit sie doch bitte
schön freudiger Geld investieren. Da wurden die Löhne
gedrückt, da wurde der Arbeitsmarkt flexibilisiert, da
wurde ein Niedriglohnsektor aufgebaut, da wurden Leih-
arbeit und befristete Beschäftigung ausgeweitet. Trotz-
dem investieren die Unternehmen nicht. Haben Sie sich
eigentlich einmal die Frage gestellt, warum? Die einzige
Erklärung dafür ist offensichtlich, dass die Senkung des
Faktors Lohnkosten nicht ausreicht; wir brauchen Nach-
frage.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dadurch, dass Sie die Löhne und die Renten senken in
diesem Land, machen Sie die Nachfrage kaputt. Das gilt
auch auf europäischer Ebene: Durch das Abwürgen der
Wirtschaft in Südeuropa haben Sie dazu beigetragen,
dass die Probleme dort zunehmen. Wenn die Nachfrage
fehlt – egal ob in Deutschland oder in Europa –, wird na-
türlich auch kein Wachstum möglich sein. Sie können
sich kaputtsparen und bekommen trotzdem kein Wachs-
tum zustande. Deshalb brauchen wir eine andere Politik.
Wir brauchen


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Keine Linken! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Keine roten Nullen!)


höhere Löhne, höhere Renten und vor allen Dingen ein
Investitionsprogramm, und zwar möglichst rasch, für
Südeuropa; das ist notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


In der Presse wird von der schwarzen Null geredet
und der Finanzminister ist gemeint. Ich wäre also ein
bisschen vorsichtig damit, von roten Nullen zu reden.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805006700

Kommen Sie langsam zum Schluss?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805006800

Meine Damen und Herren, ich habe meine Redezeit

bereits ausgeschöpft und werde gleich aufhören. Nur
noch eine kleine Bemerkung, die letzte, zu CETA; ich
bin auch gleich fertig.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805006900

Aber wirklich!


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805007000

Ich wundere mich nur, Sigmar Gabriel; denn ihr habt

etwas ganz anderes gesagt. Es steht ein Investorenschutz
im CETA-Abkommen. Ich weiß auch, dass fraglich ist,
ob dieses Parlament überhaupt mitreden darf in dieser
Frage. Bitte klären Sie das! So ist das wirklich nicht zu
akzeptieren.

Danke fürs Zuhören.


(Beifall bei der LINKEN)


(A)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805007100

Vielen Dank, Herr Kollege Ernst. – Nächster Redner

für die CDU/CSU-Fraktion ist Dr. Joachim Pfeiffer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1805007200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man hier
hört, wie schlecht es uns angeblich geht, muss endlich
einmal gesagt werden: Das Gegenteil ist der Fall. Es ist
doch deutlich geworden: Deutschland geht es gut, und
zwar so gut wie lange nicht, trotz manchem Dämpfer
auch konjunktureller Art – 0,2 Prozentpunkte Wachstum
geben uns durchaus zu denken –, zahlreichen politischen
Krisen in Europa und auch weltweit und der Schulden-
krise in Europa, die sicherlich nicht vorbei ist, aber im
Moment pausiert. In einigen Ländern wurden die richti-
gen Entscheidungen getroffen – dort nimmt die Wettbe-
werbsfähigkeit zu; auch bei den Exporten legen diese
Länder zu –; ich meine Spanien und Portugal. In anderen
Ländern wie in Frankreich sind die Weichen noch nicht
richtig gestellt.

Deutschland steht dagegen so gut da wie nie zuvor.
Die Beschäftigtenzahl hat einen historischen Höchst-
stand erreicht: Fast 43 Millionen Menschen sind in Lohn
und Brot. Wir eilen hier von Rekord zu Rekord. In den
letzten Jahren haben wir erst von 40 Millionen, dann von
41 Millionen und schließlich von 42 Millionen gespro-
chen. Jetzt scheint es eine realistische Perspektive zu
sein, dass 43 Millionen Menschen in Lohn und Brot sein
werden. Sehr viele dieser Menschen zahlen natürlich So-
zialversicherungsbeiträge und Steuern und ermöglichen
dadurch, dass es Deutschland auch weiterhin gut geht.
Ich werde versuchen, darauf einzugehen, was wir hier
noch tun müssen. Die Arbeitslosigkeit ist im Gegenzug
auf einem Rekordtief angelangt.

Es gibt zwei Säulen, die dieses Wachstum gleicher-
maßen tragen. Es ist eben nicht so, dass es keine Lohn-
zuwächse gibt, wie der Kollege Ernst gesagt hat. Ich
weiß nicht, in welcher Welt Sie leben. Das Gegenteil ist
der Fall. Wir haben in diesem Jahr Reallohnzuwächse,
wie wir sie schon lange nicht mehr gesehen haben. Die
andere Säule des Wachstums sind die Binnennachfrage
und der Export. Im Juli haben wir beim Export erstmalig
die Marke von 100 Milliarden Euro geknackt. Insofern
ist das, was Sie hier gesagt haben, überhaupt nicht nach-
vollziehbar.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805007300

Herr Kollege, erlauben Sie eine Frage oder Bemer-

kung von Herrn Ernst? – Ja oder Nein?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1805007400

Ja, immer gerne.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie kommen auch nicht drum herum!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805007500

Gut. – Herr Ernst.

Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805007600

Danke, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Pfeiffer,

Sie haben gerade gefragt, wie ich auf diese Zahlen
komme. Das ist ganz einfach: Die realen Arbeitsentgelte
pro Beschäftigtem waren im Jahre 2013 um 3,7 Prozent
niedriger als im Jahre 2000. Das heißt, die Einkommen
der Beschäftigten sind über einen längeren Zeitraum,
nämlich über die genannten 13 Jahre, deutlich gesunken.
Es gab also keine Erhöhung und damit auch keine stei-
gende Nachfrage. Übrigens: Auch die Renten der lang-
jährig Versicherten sind von 2000 bis 2012 real gesun-
ken: im Westen um fast 20 Prozent, im Osten um
23 Prozent.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Zahlen sagen über die tatsächliche Einkommensentwicklung doch gar nichts aus!)


Die Masseneinkommen sind also gesunken. Damit geht
davon über einen längeren Zeitraum gesehen natürlich
kein Wachstumsimpuls aus.

Das war die Feststellung, die ich getroffen habe. Ich
denke, dass Sie die Zahlen nun zur Kenntnis genommen
haben und in Ihren weiteren Ausführungen wohlwollend
berücksichtigen werden.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir noch sehen!)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1805007700

Ich weiß nicht, woher Sie die Zahlen haben und wel-

che Schlussfolgerungen Sie aus Ihren Zahlen ziehen.
Tatsache ist: Fast 43 Millionen Menschen sind in Lohn
und Brot – darunter sind 30 Millionen sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigte –, die Selbstständigenquote
hat zugenommen, und der Anteil der Schwarzarbeit ist
so niedrig wie nie zuvor. Wenn sie sich anschauen, wie
lange die Menschen heute real arbeiten müssen, um bei-
spielsweise Konsumgüter oder Lebensmittel kaufen zu
können, dann sehen Sie, dass sie heute deutlich weniger
arbeiten müssen, um sich beispielsweise einen Kühl-
schrank, einen Computer oder ein Auto kaufen zu kön-
nen. Das heißt, real stehen die Menschen heute viel bes-
ser da als 1990. Das werden Sie doch wohl nicht
ernsthaft bestreiten wollen, Herr Ernst.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auf die Staatsschulden ist bereits eingegangen wor-
den. Wir sind nun wirklich in der historisch einmaligen,
glücklichen Situation, die allerdings auch nicht vom
Himmel gefallen ist, dass wir jetzt einen Haushalt ohne
Neuverschuldung vorlegen können. Was bedeutet es,
keine Neuverschuldung zu machen? Im letzten Jahr hat
Deutschland erstmalig real über 30 Milliarden Euro an
Schulden abgebaut. Damit gewinnen wir in der Zukunft
Spielräume. Der Anteil der Verschuldung am Bruttoin-
landsprodukt lag in der Spitze bei 82 Prozent. In diesem
Jahr schaffen wir vielleicht eine Reduzierung auf
76 Prozent, und in dieser Legislaturperiode wollen wir
auf unter 70 Prozent kommen. Dadurch schaffen wir die
notwendigen Spielräume, um die notwendigen Mittel für





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Innovationen und Wachstum an anderer Stelle zur Verfü-
gung zu haben.

Das bedeutet aber nicht, dass wir uns darauf ausruhen
sollten. Wir dürfen jetzt die Agenda 2010, die für diesen
Strukturwandel in Deutschland richtig und wichtig war,
nicht rückabwickeln, sondern müssen überlegen: Wie
sieht die Agenda 2030 aus? Was müssen wir heute tun,
damit die Entwicklung nicht wieder nach unten geht,
sondern wir 2030 genauso gut dastehen wie heute?

Dafür ist in der Tat ein langfristiger Rahmen für
Wachstum und Beschäftigung von zentraler Bedeutung.
Das Freihandels- und Investitionsabkommen mit den
Vereinigten Staaten kann da ein zentraler Wachstums-
treiber sein.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Dieses Freihandelsabkommen schafft den größten Bin-
nenmarkt der Welt, schafft Wachstumsimpulse über
Jahrzehnte hinweg. Es trägt dazu bei, Zollschranken ab-
zubauen


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ohne zusätzliche Kosten!)


– ohne zusätzliche Kosten. In der Automobilindustrie
zum Beispiel könnten 1 Milliarde Euro pro Jahr – die
Kosten für die Zölle auf Autos sind zwar nicht mehr sehr
hoch, aber sie summieren sich ganz schön auf – einge-
spart werden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Einem mittelständischen Maschinenbauer entstehen
heute für Zulassungen und Umrüstungen von Maschinen
im Rahmen des Exports in die USA Zusatzkosten von
15, 20 oder sogar 25 Prozent. Mit Inkrafttreten dieses
Abkommens würde er wettbewerbsfähiger, würde der
Austausch von Waren verbessert. Das ist Wirtschaftsför-
derung im besten Sinne.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])


Es geht doch nicht darum, Standards abzusenken.
Glauben Sie denn ernsthaft, dass uns dann, wenn wir es
zusammen mit den USA nicht schaffen, weltweit gültige
Standards zu setzen, zum Beispiel im Arbeitsschutz, im
Umweltschutz oder auch in anderen Bereichen, andere
ihre Standards vorgeben und wir dann besser dran wä-
ren? Das glauben Sie doch selber nicht. Das Beste, was
uns passieren kann, ist, dieses Freihandelsabkommen
mit einem guten Ergebnis zügig abzuschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Des Weiteren ist für eine Agenda 2030 natürlich von
zentraler Bedeutung, dass wir Innovation, Forschung,
Entwicklung und Bildung als Nährboden für das Wachs-
tum und die Sicherung des Wohlstandes weiter stärken.
Deshalb ist es sicher richtig – offensichtlich sind mittler-
weile alle, selbst die Linken, dafür –, dass wir das Zen-
trale Innovationsprogramm Mittelstand stärken, indem
wir die Mittel um 30 Millionen Euro auf 543 Millionen
Euro erhöhen und sie auf diesem hohen Niveau halten;
Kollege Tiefensee hat das angesprochen. Dadurch kön-
nen gerade mittelständische Unternehmen ihre Produkte
und Dienstleistungen auf den Markt bringen und für
Innovationen, für Produkte von morgen, sorgen.

Ich halte es für ziemlich daneben – das muss ich ein-
mal deutlich sagen –, wenn man versucht, diese Mittel-
standsförderung gegen die Förderung der Luft- und
Raumfahrt auszuspielen. Auch die Luft- und Raumfahrt
ist für uns und für den Mittelstand eine Schlüsseltechno-
logie. Ohne Galileo, ohne Kommunikationsmittel und
ohne Satelliten, mit denen das Klima beobachtet wird,
werden wir keine guten Wettervorhersagen haben, die
für Windkraft oder die Photovoltaik wichtig sind. Auch
eine Energiewende, wie wir sie uns gemeinsam vorstel-
len, wird es ohne diese Technologie nicht geben. Inso-
fern ist es zu kurz gesprungen, zu sagen: Wir brauchen
keine Luft- und Raumfahrt. Ganz im Gegenteil: Wir
brauchen diese Technologie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])


Wollen Sie den Beschäftigten von Airbus ernsthaft sa-
gen, dass all das, was sie machen, Quatsch ist und wir
das, was wir in Europa geschaffen haben, nicht brau-
chen? An dieser Technologie hängen Hunderttausende
von direkten und indirekten Arbeitsplätzen und die
Technologieführerschaft im Luftfahrtsektor. Das kann
also nicht ihr Ernst sein.

Noch etwas – das sage ich ohne Schadenfreude, weil
das zu unser aller Schaden ist –: Die letzten zwei Gali-
leo-Satelliten, die mit einem russischen Trägersystem
transportiert wurden, sind nicht dort ausgesetzt worden,
wo sie hätten ausgesetzt werden sollen. Das ist ein Pro-
blem. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir in Europa
weiterhin ein eigenes Trägersystem haben. Wir müssen
die Ariane-Trägerrakete weiterentwickeln. Es ist von
zentraler Bedeutung für Deutschland und Europa, dass
wir eine wettbewerbsfähige und leistungsfähige Luft-
und Raumfahrt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich auch etwas zum Thema „Stärkung
der Investitionen“ sagen; viele haben das bereits ange-
sprochen. Die Tatsache, dass wir früher 23 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für Investitionen ausgegeben ha-
ben und im Moment bei 17 Prozent liegen – der OECD-
Durchschnitt beträgt 20 Prozent –, sollte uns nachdenk-
lich machen. Wir müssen überlegen, was wir hier tun
können. Wir brauchen Investitionen in die öffentliche In-
frastruktur, in Netze, Straßen und Schienen. Ich freue
mich, dass sich die neue Lkw- und brückenpolitische
Sprecherin der Grünen nachhaltig für den Ausbau von
Straßen einsetzt.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Erhalt!)


Herzlich willkommen an Bord! Bei diesem Thema kön-
nen wir gar nicht genug Verbündete haben, liebe Kerstin
Andreae. Ich freue mich, dass wir uns zukünftig gemein-
sam – gegen den grünen Verkehrsminister in Baden-Würt-





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

temberg – für die Verbesserung der Infrastruktur des
Landes einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst nicht zuhören und es dann nicht kapieren!)


Wir müssen aber nicht nur für Infrastrukturmaßnah-
men im Bereich Straße und Schiene, sondern auch für
solche im Breitbandbereich und im kommunalen
Bereich private Mittel mobilisieren. Öffentliche Mittel
allein werden dafür nicht ausreichen. Und wenn wir die
Haushaltskonsolidierung, der heute eigentlich niemand
– außer von ganz links – ernsthaft widersprochen hat,
weiter vorantreiben wollen, dann werden wir uns Kon-
junkturpakete oder Investitionen auf Pump nicht leisten
können.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen wir Schattenhaushalte, oder wie?)


Wir wollen auch keine Investitionen durch Steuerer-
höhungen finanzieren. Deshalb brauchen wir die Mobili-
sierung von privatem Kapitel für öffentliche genauso
wie für private Infrastruktur. Ich frage Sie: Was ist
Schlechtes daran? Die Grünen sind doch auch für Inves-
titionen von Bürgern in Windparks und Photovoltaikan-
lagen.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum sind Sie dann gegen Investitionen von Bürgern
in kommunale Infrastruktur oder Straßeninfrastruktur?
Lassen Sie uns doch hier Modelle entwickeln, damit wir
diese Investitionen in die richtige Richtung lenken kön-
nen.

Wir haben das beispielsweise bei den Netzen ge-
schafft: Gas- und Stromnetze werden auch hier in
Deutschland von internationalen Investoren finanziert.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden nicht finanziert, die werden verschlampt!)


Da kommt das Geld hierher. Warum soll das nicht auch
in anderen Bereichen gehen? Durch eine intelligente Re-
gulierung werden wir es schaffen, dieses Investitionsde-
fizit auszugleichen.

Mit dem Blick auf die Uhr möchte ich noch sagen, be-
vor Sie mich ermahnen, Herr Präsident: Es gibt noch
viele Dinge, die man in eine Agenda 2030 aufnehmen
könnte – Stichworte sind Digitalisierung, Internet 4.0
und andere Dinge mehr. Das ist eine Chance. Auch am
Arbeitsmarkt dürfen wir nicht untätig bleiben. Wir wer-
den daran arbeiten. Wir werden jetzt säen, damit wir in
Zukunft ernten können und damit Deutschland in Europa
und in der Welt weiterhin an der Spitze bleibt. Dieser
Bundeshaushalt legt einen Grundstein dafür, dass es da-
bei bleiben wird. Und wir werden sicherlich in den par-
lamentarischen Beratungen und Verhandlungen noch an
der einen oder anderen Stellschraube drehen, damit es in
die richtige Richtung geht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gute Rede!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805007800

Die nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen

die Kollegin Anja Hajduk.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805007900

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich möchte Sie
gleich zu Beginn meiner Rede auf das Thema TTIP
ansprechen. Sie haben hier sehr klar Position dazu bezo-
gen.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


Ich will auch nicht verhehlen, dass ich das Argument
überlegenswert finde: Wer für die Internationalisierung
von Standards eintritt und höhere Standards will, der
muss sich auch mit der Frage beschäftigen, ob er Ver-
handlungen mit den USA ausweichen kann. – Ich werde
das gerne aufnehmen; das werden wir bei unseren Argu-
mentationen bedenken.

Aber wenn man das zu Ende denkt und ernst nimmt,
dass es um die Sicherung von Standards und Regelungen
geht, die auch souveräne Parlamente – wie der Deutsche
Bundestag oder das Europaparlament – festlegen, dann
wird nur dann etwas daraus, wenn Sie es wirklich schaf-
fen, das beabsichtigte Investitionsschutzabkommen
rauszukicken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie das nicht schaffen, dann hat Ihre Aussage kei-
nen Wert. Ich sage das aus einer zutiefst demokratischen
Überzeugung heraus. Wenn durch Investitionsschutzab-
kommen das ausgehebelt wird, was wir als Souverän des
Volkes entscheiden, dann haben wir ein tiefgreifendes Pro-
blem. Ich habe – das möchte ich hier heute feststellen –
Ihre Aussage als Kritik am Investitionsschutzabkom-
men, als Festlegung der Bundesregierung begriffen. Sie
müssen das eigentlich schon bei CETA umsetzen, sonst
ist das nicht glaubwürdig, sonst wird CETA eine Blau-
pause für TTIP. Und dann hätten Sie sich hier wirklich
widersprochen. Insofern wünsche ich Ihnen viel Erfolg
bei diesen Verhandlungen. An dem Punkt haben Sie uns
an Ihrer Seite.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit gestern liegt der Fokus auf unserem Haushalt,
und wir haben häufig über die schwarze Null gespro-
chen. Trotz der schwarzen Null stellen wir aber fest: Es
gibt in dieser Debatte einen wichtigen Punkt, um den
sich die Aufmerksamkeit dreht und in dem wir uns recht
einig sind: Unsere Investitionen sind zu gering.

Sie sind eine Regierung mit großer Mehrheit. Ich
kann nicht verstehen, warum Sie in Ihrem Finanzplan
zulassen, dass die öffentliche Investitionsquote sinkt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)






Anja Hajduk


(A) (C)



(D)(B)

Sie sinkt um ein Fünftel. Das habe ich gestern schon ge-
sagt. Deshalb reichen Ihre warmen Worte nicht aus, mit
denen Sie feststellen: Wir brauchen auch mehr öffentli-
che Investitionen. – Gute öffentliche Infrastruktur ist
auch eine Voraussetzung für mehr private Investitionen.
Es ist doch ein Warnhinweis, wenn wir in Vergleichen,
die beispielsweise das Weltwirtschaftsforum tätigt, zu-
rückfallen mit dem Hinweis auf mangelhafte Infrastruk-
tur. Das ist eine Aufforderung an die Regierung, jetzt
und heute umzusteuern und mehr zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte eine Frage ansprechen, die wir ehrlich be-
antworten müssen, und die hätten der Wirtschaftsminis-
ter, aber auch der Finanzminister noch ehrlicher beant-
worten können. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die
schlechte Investitionsquote dieser Regierung dazu führt,
die Schuldenbremse zu diskreditieren.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Bei RotGrün war es viel schlimmer! – Gegenruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


Die Schuldenbremse schreibt nicht vor, dass die
Investitionsquote sinken muss, weil wir sonst die Null-
verschuldung nicht hinbekommen. Wir müssen das zu-
sätzlich sehen: Das Ziel der schwarzen Null heißt auch,
innerhalb des Haushaltsrahmens die Investitionen zu
steigern. An dieser Zielsetzung scheitern Sie nicht nur
im Haushalt 2015, sondern über die gesamte Finanzplan-
periode.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe schon darauf hingewiesen, dass das auch ein
Grund ist, warum private Investitionen zurückhaltend
erfolgen und der Kapitalmarkt sich anderen Ländern
zuwendet. Dabei geht es nicht um Schwarzmalerei. Wir
haben zurzeit in Deutschland eine in Teilen wirklich gute
Entwicklung. Herr Pfeiffer hat darauf hingewiesen. Aber
wir müssen auch sehen, dass es dabei ernsthafte Eintrü-
bungen gibt und dass wir auch zukünftig dem Wett-
bewerb standhalten müssen.

Zurück zu der Frage, warum eine steigende Investi-
tionsquote und das Einhalten der Schuldenbremse nicht
zusammengehen bzw. wie man das doch hinbekommt.
Das schafft man dann, wenn man Strukturreformen
durchführt, die bei den laufenden Ausgaben zukünftig zu
Einsparungen und Begrenzungen führen. Das ist aber
das genaue Gegenteil von dem, was Sie gemacht haben.

Sie haben mit der Rentenreform und dem falschen
Griff in die Sozialkassen die Spur dafür gelegt, dass die
laufenden Ausgaben nicht in einem Rahmen bleiben, der
auch für zukünftige Generationen gerecht ist, sondern
steigen. Insofern liegt auch in Ihrer mangelhaften Fähig-
keit zu Strukturreformen die Ursache dafür, dass wir bei
den Investitionen zu kurz kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insofern ist gerade auch für einen Wirtschaftsminister
diese Strategie der Bundesregierung eine absolut man-
gelhafte Strategie. Ich hoffe, dass der Minister das neu
anpackt und ändert.

Ich möchte zum Schluss noch erwähnen, dass dieser
Minister auch ein Energieminister ist. Es ist in diesem
Haushalt überhaupt nicht zu erkennen, wie die Energie-
effizienz gesteigert werden soll. Herr Gabriel hat gerade
gesagt, dass er im Herbst seinen nationalen Plan zur
Steigerung der Energieeffizienz vorlegen wird. Dazu
gibt es schon eine Mahnung seitens der EU-Kommis-
sion. Angesichts seines jetzigen Haushalts gehe ich da-
von aus, dass das nach den Haushaltsberatungen sein
wird. Dann werden wir das Traurige erleben, dass nicht
nur der Haushalt 2014, sondern auch der Haushalt 2015
verschlafen wird, ohne dass wir bei der Energieeffizienz
vorankommen. Auch dazu werden wir in diesen Bera-
tungen Vorschläge machen, wie man das hoffentlich
noch beheben kann.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805008000

Vielen Dank. – Bevor jetzt der Kollege Thomas Jurk

das Wort ergreift, erteile ich Sigmar Gabriel zu einer
Kurzintervention das Wort.


Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1805008100

Frau Kollegin Hajduk, da ich Sie in der Debatte als

eine sehr sachbezogene Kollegin kennengelernt habe,
liegt mir daran, klarzustellen, worum es bei den Freihan-
delsabkommen auf gar keinen Fall gehen darf, nämlich
um ein Investitionsschutzabkommen – das gilt auch für
jede andere Regelung –, das die Möglichkeit bietet,
Gesetze oder die Willensbildung in einem demokratisch
gewählten Parlament – egal ob auf nationaler oder euro-
päischer Ebene – auszuhebeln. Darum geht es bei dem
infrage stehenden Investitionsschutzabkommen nicht.
Vielmehr geht es um die Frage, ob die Inanspruchnahme
von Schadenersatz- bzw. Entschädigungsregelungen
durch solche Investitionsschutzabkommen gegenüber
dem nationalen Recht erleichtert wird und ob dadurch
möglicherweise der Gesetzgeber indirekt beeinflusst
wird.


(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich führe darüber eine sachliche Debatte. Das kann
man nicht von jedem Teilnehmer erwarten; das verstehe
ich.

Es geht also um die Frage, ob durch solche Abkom-
men indirekt Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt wird.
Das zu untersuchen, ist in der Tat unsere Aufgabe bei
CETA genauso wie bei dem amerikanisch-europäischen
Freihandelsabkommen. Einem Freihandelsabkommen,
das Investitionsschutz vorsieht und bei dem diese oder
eine weitergehende Gefahr durch andere Regelungen be-
steht, kann man nach meiner Meinung nicht viel abge-
winnen.

Wir müssen nur aufpassen, nicht den Eindruck zu er-
wecken – das würde das Vertrauen der Öffentlichkeit in
gewählte Parlamente und Regierungen beschädigen –,





Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

dass ein Freihandelsabkommen – egal welches – einen
Gesetzgeber an etwas hindern oder auch nur ein Gesetz
oder einen Standard in Europa außer Kraft setzen
könnte. Das ist nicht Gegenstand der Freihandelsabkom-
men.

Deutschland hat nämlich bereits 130 solcher Investi-
tionsschutzabkommen abgeschlossen. Im Unterschied
zu dem infrage stehenden Freihandelsabkommen sind
diese Abkommen zumeist mit Staaten abgeschlossen
worden, die Defizite im Rechtsschutz haben. Deswegen
ist meine Grundsatzposition: Eigentlich bedarf es sol-
cher Investitionsschutzabkommen mit Staaten mit aus-
geprägten Rechtsschutz überhaupt nicht. Aber selbst
wenn sie wie bei CETA durch EU und Kanada verein-
bart wurden, geht es nie um die Frage, ob eine Parla-
mentsentscheidung oder eine Regierungsentscheidung
dadurch außer Kraft gesetzt werden könnte. Es geht viel-
mehr um die Frage, ob dabei ein erhöhter Entschädi-
gungsanspruch entsteht.

Mir liegen derzeit zwei Gutachten vor. Nachdem ich
selber mit den Gutachtern gesprochen habe, werde ich
diese Gutachten Ihnen allen hier im Parlament zur Verfü-
gung stellen. Das eine Gutachten geht davon aus, dass es
sich bei CETA selbstverständlich um ein gemischtes
Abkommen handelt, sodass der Deutsche Bundestag
– genauso wie alle anderen Parlamente – darüber
entscheiden muss. Das zweite Gutachten geht davon aus,
dass die Investitionsbestimmungen, die zwischen
Kanada und der Europäischen Union verabredet wurden,
keinen höheren Schutzstandard bieten als das nationale,
deutsche Recht, im Gegenteil. Es wird allerdings auch
davon ausgegangen, dass sich die Vereinigten Staaten
mit einem solch schwachen Investitionsschutzabkom-
men nicht zufrieden geben werden. Wie gesagt, sobald
ich die Chance hatte, mit den Gutachtern zu reden,
werde ich Ihnen das alles mitteilen.

Mir liegt nur daran, dass wir in der öffentlichen De-
batte niemals den Eindruck erwecken, ein Freihandels-
abkommen könne einem souveränen Parlament zum
Beispiel in Deutschland, Frankreich oder Italien oder
dem Europäischen Parlament Vorschriften machen oder
Gesetze, Verordnungen und Standards ändern. Genau
das kann ein Freihandelsabkommen nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805008200

Frau Kollegin Hajduk, ich vermute, dass Sie darauf

antworten wollen.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805008300

Sehr gerne, Herr Präsident. – Herr Minister Gabriel,

das ist ein enorm kitzliger Punkt. Ich möchte gar nicht
allgemein diffamierend unterstellen, dass jedes interna-
tionale Freihandelsabkommen eine solche Wirkung
entfalten will. Wenn aber zwischen Staaten mit belast-
baren, entwickelten Rechtssystemen verhandelt wird,
dann ließen sich die Bedenken am einfachsten ausräu-
men, indem man anerkennt, dass man gar kein Investi-
tionsschutzabkommen braucht. Das ist doch klar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sigmar Gabriel [SPD]: Meine Meinung!)


In der Tat ist die Diskussion für eine deutsche Regie-
rung nicht einfach zu führen, weil gerade Deutschland
als Exportnation viele Freihandelsabkommen mit Län-
dern ausgehandelt hat, in denen nicht klar war, ob der
Rechtsschutz hinreichend garantiert ist. Deshalb wurde
eine gewisse Absicherung gesucht. Wir müssen uns aber
in der heutigen Situation davon deutlich emanzipieren.
Ich glaube Ihnen, dass Sie ausschließlich gute Absichten
haben. Wir sind es gewohnt, dass unser Rechtssystem
mithilfe einer gegliederten Gerichtsbarkeit darauf achtet,
dass die Standards, die wir setzen, eingehalten werden.

Wenn aber nicht die klassische Gerichtsbarkeit zu-
ständig ist, sondern ein Schiedsgericht, das nicht die na-
tionalen und europäischen Gesetze auslegt, sondern sol-
che Probleme eher im Rahmen einer Mediation löst,
dann ist der Druck sehr hoch, dass große internationale
Konzerne gegenüber souveränen Gebietskörperschaften
hohe Schadensersatzsummen geltend machen. Ich möchte
nicht, dass wir das akzeptieren.

Deswegen möchte ich, dass Sie sich mit Ihrer Mei-
nung, die Sie hier vertreten, für die deutsche Regierung
durchsetzen bzw. sonst nicht die Zustimmung Deutsch-
lands geben, wenn trotzdem Investitionsschutzabkom-
men zwischen Staaten mit entwickelten Rechtssystemen
gefordert werden. Sie haben gute Argumente auf Ihrer
Seite. Da begleiten wir Sie gerne. Setzen Sie sich damit
durch!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805008400

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege

Thomas Jurk.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1805008500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Bevor ich mich dem Einzelplan des
Bundeswirtschaftsministeriums zuwende, gestatten Sie
bitte eine Vorbemerkung. Eine Exportnation wie Deutsch-
land benötigt, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ein
positives außenpolitisches Klima. Die derzeitigen Krisen
von der Ukraine bis in den Nahen Osten stellen dagegen
erhebliche Belastungen dar, weil ohne friedliches Um-
feld kein Handel und kein Wandel, kein Austausch von
Waren und Dienstleistungen mehr stattfinden können.
Auch wirtschaftliche Sanktionen, über deren Berechti-
gung und Sinnhaftigkeit ich mich an dieser Stelle nicht
auslassen möchte, fallen schlussendlich auf uns zurück.

Bei mir in Sachsen gibt es viele Unternehmen, die
ihre Produkte nach Russland liefern. Diese Betriebe be-
kommen aufgrund der Krise nun zunehmend Absatz-
schwierigkeiten. Daran wird sehr deutlich, dass unsere
exportorientierte Wirtschaft mehr denn je auf ein friedli-
ches Umfeld angewiesen ist und Sanktionen eben auch
unsere eigene Wirtschaft treffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Thomas Jurk


(A) (C)



(D)(B)

Deshalb müssen wir unsere Bemühungen, den Konflikt
durch Verhandlungen zu lösen, verstärkt fortsetzen, ganz
im Sinne von Helmut Schmidt, der einst formulierte:
„Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln, als eine
Minute schießen.“

Wir alle sind uns sicherlich einig, dass der Bund mehr
investieren, aber auch die Wirtschaft zu mehr Investitio-
nen anregen muss. Entgegen der Kritik der Opposition
bietet der vorliegende Entwurf des Einzelplans des Bun-
deswirtschaftsministeriums dafür eine gute Grundlage.
Warum dies so ist, möchte ich an zwei nach meiner An-
sicht positiven Entwicklungen in diesem Einzelplan ver-
deutlichen.

Zum einen handelt es sich um die zusätzlichen For-
schungsmittel, die ab 2015 im Etat des Bundeswirt-
schaftsministeriums zur Verfügung stehen. Bekanntlich
hatte die Regierungskoalition vereinbart, in der laufen-
den Wahlperiode bis 2017 zusätzlich 3 Milliarden Euro
in Wissenschaft und Forschung zu investieren. Ein er-
heblicher Teil dieser Mittel wird künftig im Etat des
Bundeswirtschaftsministeriums veranschlagt.

Im kommenden Jahr sind das 52 Millionen Euro, die
2016 auf 161 Millionen Euro und 2017 auf 310 Millio-
nen Euro aufwachsen sollen. Insgesamt handelt es sich
damit also um 523 Millionen Euro, die bis 2017 im
Einzelplan 09 zusätzlich für Forschung und Innovation
verwendet werden können. Ich finde, dies ist vor dem
Hintergrund, dass gleichzeitig erstmals seit 1969 ein
ausgeglichener Bundeshaushalt vorgelegt wird, eine be-
achtliche Leistung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch ich freue mich natürlich über die Aufstockung
der Mittel beim Zentralen Innovationsprogramm Mittel-
stand, kurz ZIM. Wie schon meine Vorredner erwähnt
haben, steigt das Programmvolumen auf mittlerweile
543,5 Millionen Euro. Was nicht erwähnt wurde und was
ich deswegen hinzufügen will, ist, dass wir wiederum im
laufenden Jahr 15 Millionen Euro Verstärkungsmittel
zur Verfügung stellen, die nach Bedarf abgerufen wer-
den können.

Die zweite positive Entwicklung in diesem Einzel-
plan – sie wurde von meinem Fraktionskollegen
Wolfgang Tiefensee ebenfalls bereits erwähnt – ist die
Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurz:
GRW. Der Titelansatz für die GRW wurde gegenüber
dem Haushalt 2014 um 17 Millionen Euro auf nunmehr
600 Millionen Euro angehoben. Gegenüber der bisheri-
gen Finanzplanung der Vorgängerregierung sind es da-
mit übrigens sogar 31 Millionen Euro mehr. Damit wird
die im Koalitionsvertrag vereinbarte Anhebung der
Mittel für die GRW nunmehr schrittweise umgesetzt.
Ich begrüße diese Aufstockung der Mittel für die GRW
ausdrücklich; denn gerade stärkere Investitionen in den
strukturschwachen Regionen sind in Deutschland nach
wie vor dringend notwendig. Allein im Zeitraum 2011
bis 2013 konnten durch den Einsatz öffentlicher Gelder
in Höhe von 3,5 Milliarden Euro Investitionen in Höhe
von 20 Milliarden Euro ausgelöst werden.
Hervorheben möchte ich außerdem, dass das Bundes-
wirtschaftsministerium derzeit mit den Ländern im Ge-
spräch darüber ist, wie deren Kofinanzierung besser si-
chergestellt werden kann. Die Bundesregierung stellt
hier also zusätzliche Mittel nicht nur ins Schaufenster,
sondern sie kümmert sich auch um den Mittelabfluss.

Da ich gerade dabei bin, zu loben, möchte ich kurz
das Thema Personal ansprechen. Gerade als Sozialde-
mokrat finde ich es richtig, dass das Wirtschaftsministe-
rium viele aus dem Umweltministerium übernommene
Energieexperten jetzt endlich fest anstellt und damit de-
ren befristete Beschäftigungsverhältnisse beendet.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


So wird diesen Beschäftigten eine berufliche Perspektive
gegeben, und gleichzeitig wird wichtiges Know-how für
das Gelingen der Energiewende gesichert.

Damit komme ich zur Gestaltung der Energiewende.
Anfang Juli hat der Minister seine 10-Punkte-Energie-
Agenda für diese Legislatur vorgestellt. Eine zentrale
Rolle nimmt dabei die Energieeffizienz ein. Diese wich-
tige Rolle spiegelt sich auch im Haushalt wider; denn
von den zusätzlichen Forschungsmitteln fließt ein großer
Teil in die Energieforschung, insbesondere in die Ener-
gieeffizienzforschung. Für den Energiebereich hoffe ich
auch auf die vom Minister in Aussicht gestellte Bewer-
tung der einzelnen Programme. Mir ist bewusst, dass da-
für auch Zeit erforderlich ist. Aber für unsere Arbeit im
Haushaltsausschuss und im Parlament generell halte ich
es für wichtig, dass diese Ergebnisse alsbald vorgestellt
werden.

Leider muss ich auch ein wenig Wasser in den Wein
gießen und wie schon bei den letzten Haushaltsberatun-
gen die Finanzierung des Betreuungsgeldes ansprechen.
Die Einsparung dafür beläuft sich im Einzelplan 09 des
Haushaltes für das kommende Jahr auf knapp 63 Millio-
nen Euro, und sie soll ab 2016 weiter steigen. Für den
Haushaltsentwurf 2015 hatte dies zur Folge, dass an vie-
len Stellen gekürzt werden musste. Insbesondere Kürzun-
gen bei der Förderung von Innovationen konterkarieren
doch den Aufwuchs durch die zusätzlichen Forschungs-
mittel. Wir Haushälter werden uns in den kommenden
Beratungen natürlich ganz genau anschauen, ob die Kür-
zungen zur Finanzierung des Betreuungsgeldes im Ein-
zelnen sachgerecht sind und wo gegebenenfalls eine an-
dere Schwerpunktsetzung erfolgen muss.

Für 2016 möchte ich an dieser Stelle dafür werben,
den Einsparbetrag für das Betreuungsgeld nicht mehr
über eine Umlage auf die Einzelpläne der Ressorts zu fi-
nanzieren. Dann könnten beispielsweise die Titelansätze
für Forschung und Innovation im Etat des Bundeswirt-
schaftsministeriums weiter verstärkt werden. Wir alle
wissen: Forschung und Innovation sind die Grundlagen
unseres Wirtschaftswachstums und deshalb von beson-
derer Bedeutung.

Ich freue mich auf die kommenden Beratungen im
Haushaltsausschuss und auf sicherlich viele spannende
Diskussionen mit den Fachpolitikern.





Thomas Jurk


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805008600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling-

Schröter für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805008700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister! Die weltweite Konzentration von CO2 hat
im vergangenen Jahr so stark zugenommen wie seit
30 Jahren nicht mehr. – Das titelten gestern die Zeitun-
gen. Ich halte das für beängstigend. Wir haben da sehr
viel Handlungsbedarf. Ich frage mich natürlich: Ist Kli-
maschutz bei dieser Bundesregierung überhaupt ein
Thema? Man hat den Eindruck: im Bundeswirtschafts-
ministerium eher nicht, auch wenn in den Debatten zum
Einzelplan 09, Wirtschaft und Energie, wieder einmal
behauptet wird, die Umsetzung der Energiewende sei ihr
wichtigstes Vorhaben.

Wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie mit einem Haushaltsvolumen von 7 Milliarden
Euro eine solche Behauptung aufstellt, dann sollte man
meinen, dies finde einen Niederschlag in Heller und
Pfennig bzw. Euro und Cent ebendieses Einzelplans.
Aber weit gefehlt! Das Wirtschaftsministerium ist unter
Ihrer Führung, Herr Gabriel, ein klassisches Ministerium
zur Förderung der Großindustrie geblieben, wie es das
auch schon unter den Ministern Rösler, Brüderle, Glos,
zu Guttenberg und selbstverständlich auch Wolfgang
Clement war, die allesamt die Energiewende – diesen
Eindruck hatte man jedenfalls – bekämpft haben.

Sie atmen den Geist Ihrer Vorgänger, einen Geist, der
den Interessen der Kohleindustrie und der Großkonzerne
inniglich verbunden ist. Sie pflegen die gleichen Routi-
nen und Kontakte zu den Konzernen, weniger zu mittel-
ständischen Unternehmen, die schon vor Jahren in die
Erneuerbaren investiert haben und die jetzt als Folge der
EEG-Reform wahrscheinlich – ich hoffe, wir können es
noch verhindern – zugrunde gehen werden. Ich frage
mich: Wo ist der Ehrgeiz? Wir müssen das verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie paradox es bei der Energiewende zugeht, zeigt
die Tatsache, dass bei der Finanzierung der Energie-
wende nur der geringere Teil aus dem Haushalt ge-
stemmt wird. Der Löwenanteil wird aus dem Energie-
und Klimafonds bestritten, den die Bundesregierung mit
seinen 1,68 Milliarden Euro als das zentrale Finanzie-
rungsinstrument für die Energiewende betitelt. Dabei
handelt es sich, wie wir wissen, gar nicht um einen
Haushaltstitel, sondern um ein Sondervermögen, das
sich hauptsächlich aus dem kraftlosen Patienten „Emis-
sionshandel“ speist. Sie wissen auch, dass die Einnah-
men aus dem Emissionshandel nicht vorhersehbar sind
und dass mittlerweile regelmäßig aus dem Haushalt auf-
gefüllt werden muss. Ich sage: Das ist ein Flickwerk.

Jetzt wollen Sie einen dauerhaften Bundeszuschuss
etablieren. Wir halten das für richtig. Allerdings steht im
Gesetzentwurf, dass die Höhe des Bundeszuschusses ge-
deckelt wird, und im Gesetz stehen Maximalbeträge.
Was ist, wenn der CO2-Preis wieder stärker sinkt als pro-
gnostiziert? Das kann ja sein; das war auch in der Ver-
gangenheit mehrfach der Fall. Streichen wir dann den
Programmtitel, oder woher kommt das Geld dann? Es ist
leider Flickschusterei. Es geht um Geld, das wir drin-
gend benötigen würden.

Die Bundesregierung befreit sich damit nicht aus den
EU-Fesseln. Ich kann nur noch einmal fragen: Wann be-
mühen wir uns, die weiteren Zertifikate aus der Pipeline
zu nehmen und stillzulegen? Sie wissen, das ist der ein-
zige Weg im Sinne des Klimaschutzes: Der Preis steigt,
um das Ganze klimarelevant werden zu lassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dazu kommt noch: Von den 1,68 Milliarden Euro aus
dem Energie- und Klimafonds entnehmen Sie gleich
203 Millionen Euro, um der Aluminium-, der Leder-,
aber auch der Papierindustrie und vielen anderen Ge-
schenke zu machen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)


„Strompreiskompensation“ nennt sich das. Es ist, mit
Verlaub, völlig verkehrte Welt,


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, genau!)


die Mittel für Klimaschutz und für die Energiewende für
die Förderung der stromintensiven Industrie zu verwen-
den. Noch ein Privileg der Industrie, das zu den vielen
anderen Privilegien hinzukommt! Dieses Geld fehlt der
Energiewende.


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Man merkt, Sie haben keinen Basiskontakt! Sie reden nicht mit Familienunternehmen!)


Jetzt zum Thema Fracking. Herr Fuchs hat noch ein-
mal dargestellt, dass er Fracking für sicher hält. In einem
wegweisenden Interview im Sommer hat er sich für
Gentechnik, für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das habe ich nirgendwo gesagt! Wo habe ich das gesagt?)


und auch für Fracking ausgesprochen.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo habe ich das gesagt? – Gegenruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: „In einem wegweisenden Interview!“)


Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Der Exxon-Chef Rex
Tillerson hat sich öffentlich dagegen ausgesprochen,
dass auf seinem Grundstück gefrackt wird.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Jeder Grüne will auf seinem Grundstück kein Windrad stehen haben!)


Er war sogar in der Stadtratssitzung, gemeinsam mit Ini-
tiativen, und hat sich dagegen ausgesprochen. Wenn der
Exxon-Chef das schon selbst macht – das ist in den Me-





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

dien zu belegen –, dann frage ich Sie: Wie sicher ist denn
Fracking überhaupt?


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie zitieren nur eine Studie.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Die Studie vom UBA!)


Sie nehmen nicht wahr, dass die Bevölkerung Fracking
nicht will, dass man Angst davor hat. Politik hat die Auf-
gabe, die Bevölkerung vor Gefahren zu schützen: vor
Gefahren durch Gentechnik, vor atomaren Gefahren und
vor Gefahren durch Fracking. Das sollten auch Sie ein-
mal sehen. – Man kann natürlich immer eine Studie zi-
tieren, die man selbst bezahlt hat; dazu sagt der Volks-
mund etwas.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Diese Studie hat das Umweltbundesamt bezahlt!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805008800

Für die CDU/CSU spricht als nächster Redner der

Kollege Karl Holmeier.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1805008900

Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ganz Europa schaut bewundernd auf Deutschland. Un-
sere Wirtschaft ist unter der Regierungsverantwortung
der Union und unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel
wieder zur schwarzen Lokomotive in Europa geworden.
Die Wirtschaft verlangt nach Vertrauen. Dieses notwen-
dige Verlangen der deutschen Wirtschaft haben wir vor
allem während und nach der weltweiten Finanz- und
Wirtschaftskrise mit Inhalt und mit Rückhalt erfüllt.
Deutschland steht heute im europäischen Vergleich her-
vorragend da. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht,
meine sehr verehrten Damen und Herren.

Ganz Europa blickt auf Deutschland. Deutschland ist
die unumstrittene Lokomotive für Wachstum und Be-
schäftigung. Den Aufschwung in Deutschland haben wir
nicht mit Worten herbeigeredet. Es waren vielmehr um-
fassende Anstrengungen auf allen Ebenen des Staates
und in der Wirtschaft, die die Weichen für die Wachs-
tumslokomotive Deutschland gestellt haben. Die Zahlen
geben uns Recht. Die wirtschaftlichen Aussichten in
Deutschland sind weiterhin gut. Die Schätzungen erwar-
ten in diesem Jahr ein Wachstum von etwa 1,8 Prozent.
Auch die Prognose für 2015 ist hervorragend.

Es wurde schon oft angesprochen: 42,7 Millionen
Menschen sind in Deutschland erwerbstätig, ein Rekord-
wert. Seit 2005 sind mehr als 3 Millionen Menschen in
Arbeit gekommen. Die Zahl der sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigten ist auf über 30 Millionen gestie-
gen, ein Plus von über 540 000 im Vergleich zum Vor-
jahr.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der euro-
päische Durchschnitt bei der Jugendarbeitslosigkeit liegt
bei 22,5 Prozent, mit Spitzenwerten in Spanien und
Griechenland von über 50 Prozent. Deutschland – das
bescheinigt uns das europäische Amt für Statistik – hat
mit 7,9 Prozent die geringste Jugendarbeitslosigkeit in
ganz Europa, ein großartiger Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In meiner Region finden alle jungen Leute eine Lehr-
stelle. Wir helfen auch, indem wir auch in diesem Jahr
wieder zahlreiche Lehrstellen für junge Spanier und Spa-
nierinnen anbieten. Das wird dankend angenommen.

Der in Deutschland eingeschlagene Weg aus Wach-
sen, Konsolidieren und Reformieren zeigt, dass er richtig
ist. Dieser Weg sollte Vorbild für ganz Europa sein.

Mit dem vorliegenden Bundeshaushalt 2015 tragen
wir dazu bei, diese guten Aussichten weiter zu verfesti-
gen. Der klare Kurs der Haushaltskonsolidierung wird
sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Der Haushalt
2015 weist erstmals seit 45 Jahren wieder eine schwarze
Null auf. Der Erfolgsweg aus Wachsen und Konsolidie-
ren wird fortgesetzt.

Wir fördern den Mittelstand. Wir fördern Innovatio-
nen und investieren weiter in Forschung und Entwick-
lung. Wir unterstützen die Energiewende und setzen auf
Energieeffizienz. Wir erhöhen die Fördermittel für die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ und werden sie, wie im Koalitions-
vertrag vereinbart, weiter bedarfsgerecht steigen lassen.

Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, ist ein Gründerland. Daher werden wir auch in Zu-
kunft Unternehmensgründungen unterstützen, den inno-
vativen Mittelstand fördern und die regionale Wirtschaft
weiter stärken. Familienunternehmen, kleine und mittel-
ständische Unternehmen sind die Stütze unserer Wirt-
schaft. Unser gesunder Mittelstand hat bei der Finanz-
und Wirtschaftskrise gezeigt, wie stark und zukunftsfest
er aufgestellt ist. Unsere gesunde mittelständische Wirt-
schaft war und ist der Garant, dass Deutschland die
Krise schneller als andere Staaten bewältigt hat. Gerade
der Mittelstand schafft Arbeitsplätze, vor allem Lehrstel-
len, und erhält sie in Krisenzeiten. Die Vergangenheit hat
das ganz klar bewiesen.

Die Bundesregierung unterstützt innovative Unter-
nehmensgründungen im Jahr 2015 mit einer Gesamt-
summe von 67 Millionen Euro. Dies sind wichtige Zu-
kunftsinvestitionen in den Standort Deutschland. Für
den Ausbau der Forschungsinfrastruktur stellen wir dem
Mittelstand rund 200 Millionen Euro zur Verfügung. So
sollen vorwettbewerbliche Forschungsaufgaben mit ho-
hem Umsetzungspotenzial unterstützt werden.

Wir fördern die deutsche Wirtschaft ressortübergrei-
fend. Eine gesunde und intakte Infrastruktur ist der
Schlüssel zum Erfolg eines jeden Unternehmens. Daher
ist es richtig und wichtig, dass wir den Breitbandausbau
in Deutschland vorantreiben. Bis zum Jahr 2018 wollen
wir bundesweit ein schnelles Internet mit einer Ge-
schwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde etablieren,





Karl Holmeier


(A) (C)



(D)(B)

auch und vor allem im ländlichen Raum. Darüber hinaus
stellt die Bundesregierung bis 2017 zusätzlich 5 Milliar-
den Euro zur Stärkung der Verkehrsinfrastruktur zur Ver-
fügung. Ein schnelles Internet und eine gesunde Ver-
kehrsinfrastruktur sind für unsere deutsche Wirtschaft
von großer Bedeutung. Indem wir beides ausbauen, stär-
ken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Wesentlicher Schwerpunkt der Förderung des Mittel-
stands als Innovationsmotor ist auch in der Zukunft das
bislang sehr erfolgreiche, technologieoffene Zentrale In-
vestitionsprogramm Mittelstand, ZIM. Aufgrund des
großen Erfolges – es wurde bereits angesprochen – wer-
den die Mittel 2015 um 30 Millionen auf insgesamt
543 Millionen Euro steigen. Mit der Erhöhung der Mittel
für ZIM und der Förderung innovativer Unternehmens-
gründungen sind die Weichen für künftiges Wachstum
und künftige Beschäftigung somit richtig gestellt.

Erhöht werden auch die Mittel für die Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk-
tur“, GRW, auf insgesamt knapp 600 Millionen Euro.
Zusammen mit den Mitteln aus der Kofinanzierung
durch die Bundesländer stehen somit 1,2 Milliarden
Euro für strukturschwache Regionen zur Verfügung. Von
den GRW-Mitteln profitieren in erster Linie die Grenzre-
gionen. Ich möchte, weil meine Region betroffen ist, der
Bundesregierung an dieser Stelle einen herzlichen Dank
dafür sagen, dass die ostbayerische Region an der
Grenze zur Tschechischen Republik wieder Fördergebiet
geworden ist. Dies ist wichtig und vor allem für die
künftige, gute Weiterentwicklung unserer ostbayerischen
Region von hoher Bedeutung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der heraus-
ragende Stellenwert von Energie als Bestandteil einer in-
takten und erfolgreichen Wirtschaft ist unbestritten. Die
Energiewende ist beschlossen, sie ist auf den Weg ge-
bracht, und sie wird im Jahre 2022 sicherlich erfolgreich
enden.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Enden“? – Gegenruf von der CDU/ CSU: Wir wollten nur proben, ob ihr zuhört!)


Wir haben ein neues EEG beschlossen, das die langfris-
tige Bezahlbarkeit von Strom für Unternehmen und Ver-
braucher sowie die Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Wirtschaft gewährleistet. Die Energiewende ist ein rich-
tiger und notwendiger Schritt auf dem Weg in eine In-
dustriegesellschaft der Nachhaltigkeit. Mit der Energie-
wende verfestigen wir den nachhaltigen Umwelt- und
Klimaschutz. Wir machen uns damit auch unabhängiger
von Energieimporten.

Die Energiewende, meine Damen und Herren, sichert
Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland, ge-
rade im ländlichen Raum. Die Energiewende ist eine rie-
sige Chance für den ländlichen Raum in Deutschland.
Eine der Herausforderungen der Großen Koalition ist na-
türlich auch, den engagierten Klimaschutz zum wirt-
schaftlichen Fortschrittsmotor zu entwickeln und dabei
Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Wir
wollen die Entwicklung zu einer Energieversorgung
ohne Atomenergie und mit stetig wachsendem Anteil er-
neuerbarer Energien konsequent und planvoll fortführen.

Wir müssen uns aber auch klar darüber sein, dass die
Energiewende nicht von alleine kommt. Die Verabschie-
dung des EEG 2014 war ein erster Schritt. Weitere
Schritte müssen und werden folgen: Wir brauchen ein
neues Marktdesign, mehr Energieeffizienz, Speicherka-
pazitäten und ein leistungsfähiges Stromnetz. In unseren
Haushaltsplanungen wird daher den Projekten zur Ener-
gieeffizienz und zur energetischen Gebäudesanierung
ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Wir werden al-
leine für die Forschung und Entwicklung in den Berei-
chen der Energieeffizienz, der erneuerbaren Energien
und der Sicherheitsforschung 324 Millionen Euro für
2015 bereitstellen. Das Marktanreizprogramm zur För-
derung von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien
verfügt zusammen mit der Finanzierung des Betriebs der
Clearingstelle EEG über Mittel von insgesamt 255 Mil-
lionen Euro.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen Sie kürzen!)


Schwerpunkte des Marktanreizprogramms sind der
Wärmemarkt und die Energiegewinnung. Wir werden
die Energiewende auch in Zukunft mit dem Energie-
und Klimafonds als zentralem Finanzierungsinstrument
unterstützen und voranbringen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem
vorliegenden generationengerechten Haushalt stellt die
Bundesregierung unter Beweis, dass sie einen Zukunfts-
plan hat. Wir planen und gestalten mit diesem Haushalt
die Zukunft unseres Landes. Wir stärken damit die wirt-
schaftliche Entwicklung Deutschlands, nachhaltig und
langfristig. Diese Stärkung wird auf unsere Nachbarn in
Europa sicherlich abstrahlen. Auch sie werden von unse-
rer Stärke in Deutschland profitieren. Deutschland ist
damit ein starkes Herz im Zentrum Europas.

Nach Jahren, in denen in Deutschland ohne Rücksicht
auf nachfolgende Generationen aus dem Vollen ge-
schöpft wurde, befinden wir uns heute im Zeitalter der
konsolidierten Staatsfinanzen. Wir schließen somit einen
Kreis zu Franz Josef Strauß, der 1969 den letzten schul-
denfreien Haushalt in Deutschland vorlegen konnte. Im
Jahr 2015 legen wir wieder einen schuldenfreien Haus-
halt in Deutschland vor. Das ist nach 45 Jahren ein Rie-
senerfolg. Darauf können wir stolz sein, genauso wie auf
unsere Wirtschaft, genauso wie auf unser Land.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805009000

Lieber Kollege Karl Holmeier, Sie haben heute nicht

nur im Hohen Hause gesprochen, sondern Sie feiern
heute auch Ihren 58. Geburtstag. Im Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen möchte ich Ihnen recht herzlich
dazu gratulieren und für das neue Lebensjahr Glück, Ge-
sundheit und Gottes Segen wünschen.


(Beifall – Karl Holmeier [CDU/CSU]: Danke!)






Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Julia Verlinden
für Bündnis 90/Die Grünen.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Mal ein bisschen Stimmung machen!)



Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805009100

Ich gebe mir Mühe. – Sehr geehrter Herr Präsident!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die letzten
Monate waren geprägt von erschreckenden Nachrichten
aus den Krisenregionen unserer Welt: Ukraine, Irak, Sy-
rien, Libyen, Nigeria – die Liste ließe sich lange fortset-
zen. Weltweit sind Menschen auf der Flucht und brau-
chen Hilfe – von uns, sofort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])


Darüber hinaus müssen wir kritisch reflektieren, was
diese Konflikte für unsere Wirtschafts- und Energiepoli-
tik eigentlich bedeuten; denn neben all den schreckli-
chen Nachrichten über die humanitären Konsequenzen
dieser Auseinandersetzungen wird auch unsere Abhän-
gigkeit von Energieimporten deutlich. Etwa die Hälfte
unserer Energierohstoffe importieren wir aus Krisen-
regionen. Diese Abhängigkeit kann außenpolitisch
extrem problematisch sein. Und es gibt Menschen, die
sich Sorgen machen, dass die verabredeten Energieliefe-
rungen womöglich nicht zuverlässig kommen. Manche
sagen: Dann müssen wir uns die Energie halt woanders
herholen. – In diesem Zusammenhang wird der Begriff
der sogenannten heimischen Energiequellen gerne ver-
wendet. Jedoch: Den Menschen einzureden, wir seien
langfristig auf fossile Energieträger angewiesen, das ist
einfach falsch. Sie von der Koalition wollen eine Stein-
zeitenergiepolitik mit dreckiger Kohle und mit Fracking
durchsetzen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Max Straubinger [CDU/CSU]: Da sind wir aber aufgeregt!)


Es soll bei Ihnen einige geben, die meinen, es sei eine
gute Idee, Chemikalien unter hohem Druck in die Erde
zu pressen, um auch noch das letzte bisschen Erdgas aus
dem Boden zu fracken. Aber ich sage Ihnen: Ein viel
besserer und dauerhafterer Weg aus der Abhängigkeit
von Energieimporten ist es, weniger Energie zu benöti-
gen. Die Energieeffizienz, das Einsparen von Energie,
das ist die eigentliche heimische Energiequelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805009200

Frau Kollegin Verlinden, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Mattfeldt?


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805009300

Gerne.

Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1805009400

Ich habe ein bisschen den Eindruck, Sie sind nicht

ganz so gut informiert, was die Erdgasförderung insge-
samt und insbesondere in Niedersachsen anbelangt.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da täuschen Sie sich!)


Ich würde wirklich gerne einmal wissen, wie Sie dazu
stehen, dass der grüne Umweltminister Herr Wenzel es
toleriert, dass giftige Frackingfluide, dass Lagerstätten-
wasser sogar in Trinkwasserschutzgebieten verpresst
werden dürfen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Was?)


Wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit Stei-
nen werfen. Vielleicht können Sie mir einmal erläutern,
warum das von einem grünen Umweltminister nicht zu-
rückgenommen wird. Diese Kritik müssen Sie sich ge-
fallen lassen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr sagt, es ist giftig!)



Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805009500

Herr Mattfeldt, ich bin darüber informiert, dass Sie

ein Skeptiker der Frackingtechnologie sind. Da sind wir
einer Meinung.


(Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU]: Das war nicht die Frage! – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Es geht um das Handeln!)


– Ja, genau. Es geht um das Handeln. – Deswegen warte
ich seit einiger Zeit darauf, dass die Bundesregierung
endlich einen Vorschlag für eine Änderung des Bundes-
bergrechts vorlegt;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


denn nur so können wir rechtssicher die Frackingtechno-
logie verhindern.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Was sagen Sie zum Handeln des Ministers?)


Wir brauchen mehr als nur eine Änderung des Was-
serhaushaltsgesetzes.


(Karl Holmeier [CDU/CSU]: Thema verfehlt!)


Wir brauchen mehr als nur eine Änderung der Umwelt-
verträglichkeitsprüfung für Bergbau. Wir brauchen klare
Anweisungen aus Richtung der Bundesregierung. Wir
als Bundesländer können die Missstände, die auf Bun-
desebene existieren, nicht ausmerzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Bundesminister Sigmar Gabriel gewandt: Vorsicht, die Niedersachsen!)


Wir können das Thema aber gerne einmal bei einem
Kaffee vertiefen, Herr Mattfeldt.





Dr. Julia Verlinden


(A) (C)



(D)(B)


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Sie alle reden immer von Energieeffizienz, aber ich
glaube, Sie haben es noch nicht verstanden


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Ah!)


als echte Strategie der Energie-, Wirtschafts- und Außen-
politik. Sie alle sprechen immer in Ihren Reden davon,
aber es passiert nichts. Energieeffizienz nützt nicht nur
dem Klima, sondern schont auch unsere Kassen. Derzeit
geben wir 100 Milliarden Euro für den Import von
Erdöl, Erdgas und Kohle aus, und zwar jedes Jahr. Diese
Ausgaben zu senken, sollte doch auch in Ihrem Interesse
sein.

Mehr als 35 Prozent unseres Erdgases kommt aus
Russland. Dieses Gas benötigen wir in erster Linie zum
Heizen des Fraunhofer-Instituts IWES. Eine Studie hat
jüngst gezeigt, dass wir durch eine schnellere energeti-
sche Sanierung unserer Häuser und durch einen raschen
Ausbau der erneuerbaren Energien diese Erdgasimporte
bis 2030 komplett überflüssig machen können. Dafür
müssen wir aber jetzt mit dem Energiesparen anfangen.
Das heißt, wir brauchen eine spürbare Erhöhung der
KfW-Mittel für energetische Sanierung. Dies ist im au-
genblicklichen Entwurf des Haushalts leider nicht vorge-
sehen. Aber nicht nur das: Wir brauchen auch einen
Energiesparfonds, mit dem wir Effizienzpolitik und
Energieeinsparungen umfassend, sozial gerecht und wir-
kungsvoll finanzieren. Das wäre der richtige Weg, um
hier endlich voranzukommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit der Bundestagswahl ist nun fast ein Jahr vergan-
gen. In den Wahlprogrammen aller im Bundestag vertre-
tenen Parteien finden sich, wie gesagt, diese rhetorisch
starken Bekenntnisse zur Energieeffizienz. Aber es geht
ums Handeln. Das haben Sie ja eben sehr richtig ange-
merkt. Selbst im Wahlprogramm der FDP stand etwas
zum Thema Energieeffizienz. Aber was ist in diesem Be-
reich seit einem Jahr passiert? So gut wie gar nichts.


(Thomas Jurk [SPD]: Die Mittel gehen hoch!)


Diesmal können Sie nicht der FDP die Schuld dafür ge-
ben.


(Thomas Jurk [SPD]: Die Mittel gehen nach oben!)


– Nein, gehen sie nicht.


(Thomas Jurk [SPD]: Doch! Haushalt lesen!)


Der vorliegende Haushaltsentwurf steht nicht für
große Sprünge bei der Energieeffizienz im nächsten Jahr,
schlimmer noch, es geht schrittchenweise zurück mit der
Energiewende. Es geht zurück, Herr Jurk. So wollen Sie
zum Beispiel die Mittel für das eben angesprochene er-
folgreiche Marktanreizprogramm für erneuerbare Ener-
gien im Wärmebereich um 12 Millionen Euro kürzen.
Wie passt das bitte schön mit der Energiewende zusam-
men?


(Thomas Jurk [SPD]: Energieeffizienz!)

Zur Erinnerung, Herr Gabriel: Auch diese Legislatur-
periode dauert nur vier Jahre. Das erste Jahr ist um. Es
wird langsam Zeit, dass Sie in die Hufe kommen. Wir
brauchen eine Energieeinsparpolitik, die sich auch im
Bundeshaushalt ganz klar niederschlägt, und zwar jetzt,
sofort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805009600

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Mark

Hauptmann.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1805009700

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen!

Deutschland geht es gut und sorgt dafür, dass das so
bleibt. – So könnte die Überschrift in den Zeitungen lau-
ten, nachdem wir in dieser Woche über den Haushalt de-
battiert haben. Denn dieses Jahr haben wir mit dem
Haushalt einen großartigen Erfolg erzielt. Zum ersten
Mal seit 1969 liegt für 2015 ein Haushaltsentwurf vor,
der ohne Neuverschuldung auskommt. Dies zieht sich in
der Finanzplanung bis 2018 so weiter. Dem Schulden-
machen auf Kosten kommender Generationen wird hier-
mit ein Riegel vorgeschoben. Die schwarze Null ist da-
her auch eine historische Leistung im Sinne der
Generationengerechtigkeit, auf die wir zu Recht stolz
sein können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, diesen Erfolg ge-
rade im Hinblick auf die Generationengerechtigkeit wol-
len wir uns von Ihnen und von Ihren Kollegen, die per-
manent nach Steuererhöhungen und Umverteilung
schreien, nicht zerreden lassen. Wir haben hier quasi ei-
nen zukunftsweisenden Erfolg erzielt.

Der stabile Bundeshaushalt ist aber aktuell auch auf
die gute Beschäftigungssituation zurückzuführen, die
wir vor allem unseren mittelständischen Unternehmen
zu verdanken haben. Die Kernaufgabe der deutschen
Wirtschaftspolitik muss daher die Impulsgebung für mit-
telständische Aktivitäten sowie die gezielte Förderung
innovativer Technologien sein. Wir brauchen Mittel-
stand, wir brauchen Investitionen, und wir brauchen
Technologien für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik.

Kommen wir zum ersten Punkt, zum Mittelstand. Der
Mittelstand ist bei uns in Deutschland Innovationsmotor
und das Fundament unseres deutschen Wohlstands. Über
1 500 deutsche Unternehmen sind Weltmarktführer in
ihren jeweiligen Marktsegmenten. Das Bundeswirt-
schaftsministerium hat festgestellt, dass neun von zehn
Spitzenunternehmen Mittelständler sind. Der Bereich
Mittelstandspolitik hat im Einzelplan dieses Haushalts-
entwurfes ein Volumen von 875 Millionen Euro. Der
größte Teil entfällt dabei auf die Investitionsförderung in
strukturschwachen Regionen.

Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, GRW, hat im
Haushalt 2015 eine Aufwertung um 17 Millionen Euro





Mark Hauptmann


(A) (C)



(D)(B)

auf 600 Millionen Euro erfahren. Gerade ostdeutsche
Bundesländer haben in den vergangenen Jahren von die-
ser Förderung profitiert, beispielsweise durch Fördermit-
tel für die Erschließung des Breitbandausbaus. Die
strukturschwächeren ländlichen Räume haben hier be-
sonders mit den kleinen und mittelständischen Unterneh-
men eine Infrastruktur vorzuweisen, die wir nachhaltig
stärken sollten. Die Erhöhung der GRW-Mittel ent-
spricht daher exakt der Zielsetzung unserer Wirtschafts-
politik, allen Regionen einen marktorientierten Struktur-
wandel mit verlässlichen Rahmenbedingungen zu
ermöglichen und positive Wachstumskräfte freizusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens: zum Bereich der Innovationen. Ein innova-
tiver Mittelstand ist für die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft entscheidend. Aufgrund ihrer Spe-
zialisierung und unmittelbaren Kundennähe tragen ge-
rade die mittelständischen Unternehmen mit vielen Ent-
wicklungen zu innovativen Produkten bei. Kleine, aber
hochinnovative Familienbetriebe stärken als Hidden
Champions das Qualitätssiegel „Made in Germany“.
Ziel einer erfolgreichen Mittelstandspolitik muss also
sein, entsprechende Rahmenbedingungen für unterneh-
merisches Handeln zu schaffen, um Gründung, Wachs-
tum, Innovationen und Investitionen zu erleichtern. Die
Erhöhung der Förderung des Kapitels zu Innovationen
und Technologie im Haushaltsentwurf um 39 Millio-
nen Euro auf über 2,38 Milliarden Euro ist hierbei ein
klarer Schritt in die richtige Richtung.

Es wurde bereits angesprochen: Unser deutsches
Leuchtturmprojekt zur Unterstützung von anwendungs-
orientierter technologieoffener Forschung ist das
Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand. Auch hier
haben wir dafür gesorgt, dass mit der Erhöhung der
ZIM-Mittel um 30 Millionen Euro auf rund 543 Millio-
nen Euro ein Schritt in die richtige Richtung gemacht
wird. Mit der Unterstützung von ZIM können Unterneh-
men und kooperierende Forschungseinrichtungen Zu-
schüsse für anspruchsvolle Forschungs- und Entwick-
lungsprojekte erhalten und so auch innovative Ideen in
ganz Deutschland umsetzen.

Es ist zu begrüßen, dass die neuen Länder mit einem
Anteil von 40 Prozent besonders von diesen Forschungs-
unterstützungsleistungen profitieren. Warum ist das so?
Während im Süden und im Westen der Republik die
großen Unternehmen Forschungs- und Entwicklungs-
aufgaben übernehmen, findet diese Innovationsleistung
in Ostdeutschland – Herr Claus, Sie haben das angespro-
chen – gerade bei den kleinen und mittelständischen
Unternehmen statt. Die Bezeichnung des Mittelstandes
als „Brutkasten“ für innovative Ideen und Entwicklun-
gen ist daher gerade für die neuen Bundesländer in
besonderem Maße zutreffend. ZIM kann diese Lücke
füllen und kleine und mittlere Betriebe entscheidend
stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neben den vielen Chancen gibt es natürlich auch
zahlreiche Herausforderungen. Wir alle wissen, dass der
demografische Wandel uns alle betrifft. Wir müssen
auch Antworten im Hinblick auf den ländlichen Raum
und den demografischen Wandel dort finden. Meine Hei-
mat, der Freistaat Thüringen, ist hier bereits einen Schritt
weiter als wir im Bund.

Seit dem 1. September dieses Jahres werden Familien
in Thüringen mit einem Sanierungsbonus von mindes-
tens 12 000 Euro unterstützt, wenn sie bestehende
Gebäude energetisch und barrierearm umgestalten und
mindestens 50 000 Euro investieren. Insgesamt inves-
tiert der Freistaat Thüringen 25 Millionen Euro in dieses
Projekt.

Wenn wir dies flächendeckend in ganz Deutschland
haben wollen, dann brauchen wir diesen Sanierungs-
bonus auch mit der Unterstützung des Bundes. In den
Koalitionsvertrag hat der Sanierungsbonus schon
Eingang gefunden; nun müssen wir ihn auch mit Leben
erfüllen.

Drittens: der Bereich der Technologie. Von der Inno-
vationsfähigkeit unserer mittelständischen Betriebe ist es
nicht weit zur Technologiepolitik. Die große Stärke un-
seres Landes liegt darin, dass wir gerade hier wollen,
dass der Erhalt der Technologie und die Erschließung
neuer Märkte weiter gefördert werden.

Von daher, sehr geehrter Herr Minister, gestatten Sie
mir eine kurze Anmerkung. Wir alle wollen Hochtech-
nologie in diesem Land halten. Von daher verstehen wir
in der Union teilweise nicht die Frage, dass wir auf der
Grundlage der zu rot-grünen Zeiten festgelegten Export-
richtlinien im Bereich der Verteidigung weitere Ein-
schränkungen vornehmen wollen und eben einen Abbau
dieser Technologie zumindest billigend in Kauf nehmen.
Von daher bitte ich Sie – das sollte auch noch einmal
zusammen mit uns überlegt werden –, dass wir diesen
Bereich gerade dort, wo Dual-Use-Güter hergestellt wer-
den, wo also zivile als auch sicherheitsrelevante Güter
hergestellt werden, besonders berücksichtigen. Sie alle
kennen diese Spill-Over-Effekte, die im Bereich der si-
cherheitsrelevanten Forschung auch auf die zivile Nut-
zung entstehen. Denken Sie an das GPS, an die Sensorik,
die Optik, die IT-Sicherheit, die Oberflächentechnik, die
Mechatronik und, und, und.

Wir alle wollen, dass diese Bereiche auch in Zukunft
erfolgreich hier in Deutschland bleiben können und hier
für Arbeitsplätze und für die Hochtechnologie in diesem
Land sorgen.

Von daher bitte ich Sie, dass wir noch einmal darüber
nachdenken, wie wir es schaffen können, Hochtechnolo-
gie in diesem Bereich auch in Zukunft in diesem Land
erfolgreich zu erhalten, und wie wir hier dafür sorgen,
dass wir auch beim Haushaltsentwurf 2016 sagen kön-
nen: Deutschland geht es gut, und wir sorgen auch in Zu-
kunft dafür, dass dies so bleibt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805009800

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Jan

Metzler, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Jan Metzler (CDU):
Rede ID: ID1805009900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ein ausgeglichener
Bundeshaushalt: ein Ziel, an dem Generationen von
Politikerinnen und Politikern gearbeitet haben. Seit Jah-
ren wird daran beharrlich gefeilt, oft gegen Widerstände
und – das ist heute in der Debatte gewissermaßen auch
noch einmal als „Restreminiszenz“ deutlich geworden –
auch mit Rückschlägen, aber immer das Langfristziel
vor Augen.

Ein großer Dank geht dabei zuallererst an unseren
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.

Der erste ausgeglichene Bundeshaushalt seit 45 Jah-
ren – das ist für mich ein klares Bekenntnis zur Genera-
tionengerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Paradigmenwechsel weg von einer Politik des
Schuldenmachens ohne Steuererhöhungen eröffnet
Deutschland neue Chancen und Perspektiven.

Was heißt das konkret? Die Zinsen sind mit rund
9 Prozent der drittgrößte Posten im Bundeshaushalt. Je
weniger Zinsbelastung, desto mehr Gestaltungsspiel-
raum für unser Land. Das wird sich auch schon im
kommenden Jahr zeigen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen. Die Zinsausgaben sinken dann um beinahe 650 Mil-
lionen Euro. Das ist beachtlich. Das festigt das Vertrauen
in die deutsche Finanz- und Haushaltspolitik sowohl im
Inland als auch im Ausland.

Maßgebliche Treiber der positiven Haushaltsentwick-
lung sind ohne Frage die starke Wirtschaft mit einem
leistungsfähigen Mittelstand und der daraus resultie-
rende solide Arbeitsmarkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade dieser Tage erlebt die deutsche Industrie erneut
einen Exportrekord. Darauf können wir stolz sein.

Deshalb müssen wir jetzt die finanziellen Spielräume
nutzen und die richtigen Impulse setzen, um Deutsch-
land auch in Zukunft fit zu halten. Natürlich gilt: Die
weltwirtschaftliche Entwicklung hat ebenfalls einen
maßgeblichen Einfluss auf unser Land und darauf, wie
wir gemeinsam den bestmöglichen wirtschaftspoliti-
schen Rahmen für Deutschland gestalten können. Jetzt
gilt es, unsere entschlossene und unaufgeregte Politik
fortzusetzen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat das
gestern betont, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, er
hat recht damit.

Wie packen wir das an?

Erstens. Wir werden auch weiterhin gezielt in die Inf-
rastruktur als Fundament der deutschen Wirtschaft in-
vestieren.

Zweitens. Die gerade erst von der Bundesregierung
verabschiedete Digitale Agenda ist Dreh- und Angel-
punkt der Hightech-Strategie für die kommenden Jahre.
Sie wird die Innovationskraft in Deutschland weiter vo-
ranbringen.

Drittens. Wir werden auch weiterhin beständig in Bil-
dung, Wissenschaft und Forschung investieren und hier
vor allem in die Vernetzung mit der Wirtschaft.

Viertens – und damit abschließend –: Wir setzen ei-
nen wirtschaftspolitischen Rahmen, der solide Wachs-
tumsimpulse schafft und Innovation als Schlüssel dazu
identifiziert.

Das ist der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, weil wir ein Land der Forscher und der kreativen
Köpfe sind. Also müssen wir den Wirtschaftsstandort
Deutschland auch verlässlich und darüber hinaus beson-
ders attraktiv als Nährboden für Innovationen gestalten
und erhalten. Wir werden mehr Anreize als bisher für
Neugründungen und Innovationen schaffen. Neue Ideen
aus Wissenschaft und Forschung sollen erfolgreich in
Deutschland zum Produkt oder zur Dienstleistung wer-
den. Unternehmen müssen auch weiterhin bei uns inves-
tieren, produzieren und ansässig sein wollen, egal ob es
sich dabei um einen kleinen Betrieb, einen Mittelständ-
ler oder einen Konzern handelt. Nur so kann es uns auch
weiterhin gelingen, Vorreiter auf den Märkten von mor-
gen zu sein.

Was wir ebenfalls tun müssen: Wir müssen insgesamt
mutiger werden. Wir müssen Unternehmer in ihrem Tun
bestärken und den Gründergeist fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Marcus Held [SPD])


Auch unternehmerisches Scheitern kann dazugehören.
Aber gerade hiermit tun wir uns in unserer Gesellschaft
immer noch schwer. Das müssen wir lernen, um den Mut
zum Risiko nicht zu verlieren und Menschen in ihrem
Bestreben nicht zu bremsen, sondern sie zu stärken.

Hier setzt der Haushaltsplan des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Energie an:

Beispiel eins. Mit dem Förderprogramm EXIST soll
eine Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen etabliert und
somit die Zahl der Unternehmensneugründungen erhöht
werden.

Beispiel zwei. Das Programm INVEST zielt darüber
hinaus auf eine Stärkung des Wagniskapitalmarktes in
Deutschland ab.

Beispiel drei. Der entscheidende Impulsgeber ist das
Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand mit einem
Volumen von mehr als 540 Millionen Euro. Der Wissens-
transfer zwischen Forschung und Mittelstand wird hier
gefördert und Innovation so beschleunigt.

Das sind passgenaue Programme, meine sehr geehr-
ten Damen und Herren. Insgesamt werden Innovation,
Gründergeist und Wissenstransfer in der deutschen Wirt-
schaft mit fast 850 Millionen Euro gefördert, mehr als
10 Prozent des gesamten Wirtschaftsetats. Das ist rich-
tungsweisend, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)






Jan Metzler


(A) (C)



(D)(B)

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die regionale Wirt-
schaftspolitik, der strukturpolitische Eckpfeiler der sozia-
len Marktwirtschaft. Mit der GRW, der Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,
werden wir die schwächeren Regionen in Deutschland
weiter fördern und voranbringen. Die GRW ist ein Er-
folgsmodell seit 1969. So können beispielsweise durch
die Förderung von Unternehmen, Industrie- und Gewer-
begeländen oder der touristischen Infrastruktur wettbe-
werbsfähige Arbeitsplätze geschaffen und nachhaltig ge-
sichert werden. Wir müssen auch künftig schwächeren
Regionen in Deutschland unter die Arme greifen; denn
die Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und
strukturstarken Ballungszentren werden durch den de-
mografischen Wandel und den Fachkräftemangel weiter
zunehmen. Dieser Entwicklung werden wir uns stellen.
Darum ist es wichtig, dass für dieses zentrale und be-
währte Instrument ab dem nächsten Jahr mehr Mittel,
nämlich insgesamt rund 600 Millionen Euro jährlich, zur
Verfügung gestellt werden.

Förderung von Innovation, eine verlässliche Infra-
struktur und Vertrauen in unsere Haushalts- und Finanz-
politik sind die Rahmenbedingungen, die wir als Politik
setzen können und müssen, um der Wirtschaft ein lang-
fristiges und nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen.

Die Menschen vertrauen auf eine verlässliche Finanz-
und Wirtschaftspolitik in unserem Land. Ein ausgegli-
chener Haushalt ohne Neuverschuldung das erste Mal
seit 1969 ist dabei ein starkes und das richtige Signal.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dies ist kein einmaliges Ziel für ein Jahr, eine Regie-
rung, eine Koalition oder eine Legislaturperiode. Nein,
es muss vielmehr ein gesamtpolitischer Anspruch an uns
alle sein, um den bisher eingeschlagenen Weg in die Zu-
kunft erfolgreich fortsetzen zu können. Der erste ausge-
glichene Bundeshaushalt seit 45 Jahren ist für mich
– das möchte ich klar unterstreichen – ein klares Be-
kenntnis zur Generationengerechtigkeit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805010000

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Andreas Mattfeldt, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1805010100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Fast zwei Stunden nähern sich dem
Ende, und wir kommen jetzt endlich zum Schluss der
Debatte. Ich denke auch, es ist schon fast alles gesagt
worden, nur noch nicht mit meinen Worten.

Ich darf Ihnen zur Haushaltspolitik sagen: Gerade bei
der derzeitigen weltpolitischen Lage ist es natürlich sehr
schwierig gewesen, einen Haushalt in dieser Dimension
aufzustellen. Zu Recht haben derzeit viele Menschen in
Deutschland Angst, und ich hoffe inständig, dass sich
die vereinbarte Waffenruhe in der Ukraine zu einem
tragfähigen Frieden entwickeln wird.


(Beifall des Abg. Thomas Jurk [SPD])


Natürlich kann oder wird sich die derzeitige fragile
Situation auch auf die wirtschaftliche Lage bei uns in
Deutschland auswirken. Noch kann niemand abschätzen,
wie sich die Wirtschaftsdaten zukünftig entwickeln. Ge-
rade deshalb ist es wichtig, dass wir den erfolgreichen
Weg mit den in diesem Haushalt gesetzten Schwerpunk-
ten fortsetzen und weiterhin eine mittelstandsfreundliche
Förderpolitik hin zu noch mehr Innovation und For-
schung umsetzen, damit Arbeitsplätze erhalten, neue Ar-
beitsplätze geschaffen und – das stellen wir in diesen Ta-
gen fest – sowohl Unternehmer als vor allem auch
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von einer stabilen
Wirtschaft profitieren werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und
die immer stärker werdende Bedrohung durch die soge-
nannte IS-Terrortruppe im arabischen Raum verlangen
dieser Koalition wichtige Entscheidungen ab, die sich
– das darf ich auch in Bezug auf den Beschluss in der
letzten Woche einfach einmal sagen – niemand leicht
macht. Deshalb hat Deutschland in der vergangenen Wo-
che richtigerweise Hilfs-, aber auch Waffenlieferungen
in die Krisenregion des Irak auf den Weg gebracht. Weil
eben etwas anderes anklang, stelle ich hier zudem fest:
Auch die Sanktionen gegenüber Russland sind richtig.
Mit Blick auf den Verkauf des Erdgasförderbetriebes
RWE Dea an einen russischen Oligarchen sage ich, dass
sie meiner Auffassung nach sogar noch schärfer hätten
ausfallen können.

Das Verhalten der russischen Seite gegenüber der
Ukraine darf eben nicht sehenden Auges still hingenom-
men werden – auch nicht, wenn, wie in diesem Fall, ein
großes Geschäft eines deutschen Rüstungskonzerns ge-
stoppt werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Freiheit gibt es eben nicht kostenlos.

Herr Minister, Sie wissen, dass wir beide uns nicht
nur persönlich sehr nahe sind,


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Oh!)


sondern uns auch in vielen Dingen auf einer Linie befin-
den. Allerdings – und das darf in einer Koalition auch
angesprochen werden – haben viele Kollegen in der
CDU/CSU-Fraktion große Probleme mit der neuen Rüs-
tungsexportlinie Ihres Hauses. Es kann nicht nachvollzo-
gen werden, warum schusssichere Westen, die Ende Mai
von der Ukraine angefordert wurden und die nun wirk-
lich nicht im Verdacht stehen, als Waffen eingesetzt wer-
den zu können, die Ukraine bis heute nicht erreicht ha-
ben.

Viele in unserer Fraktion haben die Sorge, dass ein
ganzer Wirtschaftszweig in große wirtschaftliche Schwie-





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)

rigkeiten gerät, und ich habe den Eindruck, dass sich
Nachbarländer darüber freuen, dass die Rüstungsexport-
richtlinien von uns zu streng ausgelegt werden. Dabei
geht es eben nicht nur um zahlreiche Arbeitsplätze, son-
dern auch um Know-how und die Erhaltung unserer Ver-
teidigungsfähigkeit durch die Weiterentwicklung von
Technologien. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir
all dies nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Kommen wir zum Kernthema, über das wir heute spre-
chen, zurück: zum Haushaltsentwurf des Bundeswirt-
schaftsministeriums für 2015. Das Gesamtvolumen ist
um rund 300 Millionen Euro auf gut 7,1 Milliarden Euro
gesunken, liegt damit aber immer noch 1,1 Milliarden
Euro über dem Ansatz des Finanzplans. Das liegt natür-
lich an der Tatsache, dass die Zuständigkeit für die Ener-
giepolitik in dieser Legislaturperiode in Ihr Wirtschafts-
ressort übertragen wurde. Doch neben der Energiepolitik
fällt auch ein weiterer wichtiger Schwerpunkt in die Zu-
ständigkeit des Wirtschaftsministeriums, nämlich die
Luft- und Raumfahrtindustrie, die richtigerweise aus
diesem Haushalt mit 1,4 Milliarden Euro gefördert wird.

Ende dieses Jahres stellt sich beim EU-Ministerrat die
Frage, ob wir Europäer weiterhin einen eigenständigen
Zugang zum All haben wollen oder ob wir hierauf ver-
zichten wollen. Ich bin hinsichtlich eines Verzichts skep-
tisch; denn erst kürzlich durften wir erleben, was es
heißt, wenn wir uns beim Transport ins All von anderen
Nationen abhängig machen. Wir haben kräftig Lehrgeld
gezahlt: Wir haben zwei teure Galileo-Satelliten mit ei-
ner russischen Sojus-Rakete ins All befördern lassen.
Leider wurden die Satelliten in einer falschen Umlauf-
bahn ausgesetzt und konnten nicht mehr gerettet werden.
Deshalb ist klar: Deutschland darf seine Aktivitäten un-
ter dem Dach der ESA nicht einschränken, und wir
Europäer benötigen weiterhin einen eigenständigen Zu-
gang zum All.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser technisches Wissen in diesem Bereich darf
nicht verloren gehen. Ich bin überzeugt, dass es richtig
ist, dass deutsche Firmen auch zukünftig bei der Weiter-
entwicklung und beim Bau der Ariane federführend tätig
sind. Wir müssen das Wissen und das Können unserer
Ingenieure nutzen, und wir müssen es gewinnbringend
einsetzen. Deshalb ist es richtig, dass wir uns mit dem
Projekt Galileo im Bereich der Navigation als Europäer
unabhängig machen.

Eingehen möchte ich, weil es noch nicht angespro-
chen worden ist, auf den Tourismus. Die Welt ist nicht
nur durch unser fußballerisches Können auf uns auf-
merksam geworden, sondern sie interessiert sich auch
– manch einen auf der linken Seite des Hauses mag das
wundern – für unser Land. Viele Menschen im Ausland
wollen nach Deutschland. Sie wollen bei uns Urlaub ma-
chen, sie wollen sich unsere Städte ansehen, unsere Kul-
tur erleben und deutsche Lebensart schnuppern.

Deutschland ist in! Davon profitiert auch unsere
Volkswirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In den vergangenen Jahren betrugen die Einnahmen aus
dem internationalen Reiseverkehr um die 30 Milliarden
Euro. Um sich das einfach einmal auf der Zunge zerge-
hen zu lassen: Wir reden von über 2,9 Millionen Be-
schäftigten allein in der Hotel- und Gastronomiebranche.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit der Hotelsteuer aber nichts zu tun! Die könnt ihr mal abschaffen!)


Damit sich dieser Erfolg fortsetzt und wir das auch
durch den Gewinn des Weltmeistertitels erreichte Inte-
resse an Deutschland als Urlaubsziel erhalten und weiter
ausbauen können, brauchen wir die Arbeit der Deut-
schen Zentrale für Tourismus. Jeder hier investierte Euro
lohnt sich. Die Deutsche Zentrale für Tourismus wirbt
im Ausland für unsere schöne Heimat. Ich kann mir so-
gar vorstellen, dass wir in den kommenden Beratungen
mehr Mittel dafür einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])


Deutschland als rohstoffarmes Land kann natürlich
nicht nur auf den Tourismus setzen. Das machen wir
auch nicht. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag fest
verankert, 3 Milliarden Euro zusätzlich für die Forschung
auszugeben, Geld, von dem das Wirtschaftsministerium
massiv profitiert.

Eben ist schon das Zentrale Investitionsprogramm
Mittelstand angesprochen worden. Das ist die tragende
Säule der Mittelstandsförderpolitik. Das Programm ist
äußerst erfolgreich: Der Mittelstand forscht erfolgreich,
und er forscht im Gegensatz zu manch großem Unter-
nehmen sehr effektiv. Deshalb ist es gut – ich habe das
bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr ange-
kündigt –, dass wir dieses Programm mit 30 Millionen
Euro zusätzlich ausstatten dürfen.

Wichtig ist aber – das sage ich, weil man ja auch Kri-
tik üben soll –, dass wir die Unternehmen auch nach er-
folgreicher Produktentwicklung begleiten, damit Inno-
vationen produziert und vermarktet werden können. Hier
sehe ich noch Defizite, die wir ganz offen ansprechen
müssen. Wir sollten überlegen, ob wir nicht zum Bei-
spiel den Titel für Beteiligungen an Auslandsmessen er-
höhen, um kleinen Unternehmen den Zugang zu den für
sie wichtigen Märkten zu verschaffen, den sie sich al-
leine nicht leisten können.

Herr Minister, Ihr Haushaltsentwurf sieht, wie übri-
gens auch in den vergangenen Jahren, vor, dass 40 Pro-
zent der ZIM-Fördermittel – bei anderen Programmen ist
der Anteil noch höher – in die neuen Bundesländer flie-
ßen sollen. Ich möchte hier wirklich keine Ost-West-
Klischee-Schublade öffnen; aber es muss doch erlaubt
sein, dass wir uns an Fakten orientieren. Ich sage: Es gibt
prosperierende Regionen in Ost- und in Westdeutschland.
Aber wir dürfen auch nicht die Augen davor verschließen,
dass es genauso in Ost- und in Westdeutschland Regio-
nen gibt, die eine Förderung brauchen.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!)


Ich bin mir unserer besonderen Verantwortung gegen-
über den neuen Ländern sehr wohl bewusst. Aber im





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Jahre 25 nach der deutschen Teilung muss man sich doch
fragen, ob eine dauerhafte Bevorzugung der neuen Län-
der durch Fördergelder in der derzeitigen dogmatischen
Art noch zeitgemäß ist. Ich glaube, hierüber sollten und
müssen wir sprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Wir sind für die Förderung von strukturschwachen Regionen!)


Meine Damen und Herren, wir haben heute einen sehr
guten Haushaltsentwurf vor uns, und wir werden ihn si-
cherlich in den anstehenden Haushaltsberatungen noch
weiter verbessern. In diesem Sinne freue ich mich auf
die anstehenden Beratungen, und ich kann Sie, meine
verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion, nur erneut auffordern, hieran konstruktiv und vor
allen Dingen ideologiefrei mitzuarbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805010200

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen

mir nicht vor.

Deshalb kommen wir jetzt zum nächsten Geschäfts-
bereich, nämlich dem des Bundesministeriums der
Verteidigung, Einzelplan 14.

Ich warte noch ein bisschen, bis die Kolleginnen und
Kollegen, die zu diesem Einzelplan sprechen bzw. sich
an der Diskussion beteiligen wollen, die Sitzplätze ein-
genommen haben.

Für die Bundesregierung erteile ich zuerst der Bun-
desministerin Dr. Ursula von der Leyen das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir diskutieren den Haushalt 2015 vor ei-
ner Folie gravierender Veränderungen, die zurzeit in
Europa stattfinden – fast die gravierendsten seit Ende
des Kalten Krieges. Es sind vor allen Dingen die beiden
Konflikte in der Ukraine und im Irak, die ihre langen
Schatten werfen.

Zunächst einmal zur Ukraine: Wir erleben ein Vorge-
hen Russlands – darüber haben wir heute schon viel ge-
sprochen –, das nicht nur die Ukraine destabilisiert,
sondern auch die Grundprinzipien der Sicherheitsarchi-
tektur, die wir in den letzten 20, 30 Jahren aufgebaut ha-
ben, infrage stellt.

Vor allen Dingen erleben wir durch das russische
Agieren ein aktuelles Beispiel dessen, wofür inzwischen
der Begriff „hybride Kriegsführung“ eingeführt worden
ist. Russland ergreift eine Mischung von Maßnahmen:
verdeckte Operationen und offener Einsatz von Mitteln,
Einsickern von Geheimdienstpersonal, Militärpersonal
ohne Hoheitsabzeichen, Desinformationen, sehr gezielte
Propaganda, Schüren von sozialen Disparitäten oder
Spannungen in einer bestimmten Region, massiver Auf-
wuchs von Truppen in Grenzregionen, auch als psycho-
logisches Druckmittel – und das Ganze zum Teil kombi-
niert mit wirtschaftlichem Druck.

Meine Damen und Herren, diesem Verhalten müssen
Grenzen gesetzt werden. Wir haben uns beim NATO-
Gipfel ausführlich damit auseinandergesetzt und mit Ge-
schlossenheit und Entschlossenheit reagiert. Überwöl-
bendes Ergebnis des NATO-Gipfels ist der Readiness
Action Plan.

Wir werden uns von deutscher Seite aus erstens an der
neuen Einsatztruppe, der sogenannten Speerspitze, beteili-
gen, die die Voraussetzungen dafür schaffen soll, Kräfte
– wenn nötig – schnell an die Ränder der Allianz zu ver-
legen und sie dort schnell zum Einsatz zu bringen. Es
geht hier vor allem um Reaktionsgeschwindigkeit.

Zweitens werden sich Deutschland und die Bundes-
wehr weiterhin dauerhaft an der stärkeren Präsenz in den
baltischen Mitgliedstaaten, die wir in den letzten Mona-
ten schon gezeigt haben, beteiligen.

Wir werden drittens zusammen mit Dänemark und
Polen das Multinationale Korps Nordost verstärken.
Auch das verbessert die Reaktionsgeschwindigkeit und
bietet vor allen Dingen Sicherheit für die östlichen Mit-
gliedsländer.

Wir werden viertens das Rahmennationenkonzept,
das auf deutsche Initiative hin vor einem Jahr in den
NATO-Prozess eingebracht worden ist, nutzen, um die
Entwicklung von militärischen Fähigkeiten innerhalb
der NATO voranzutreiben.

Das ist insgesamt, meine Damen und Herren, ein star-
kes und ausbalanciertes Paket an Maßnahmen, das die
Anpassungsfähigkeit der NATO unterstreicht und voran-
bringt.

In Wales war auch der Irak ein Thema. Wir sehen ei-
nen blutigen Vormarsch des „Islamischen Staates“ im
Irak und in Syrien, geprägt von unbeschreiblicher Grau-
samkeit. Wir alle sehen, dass eine ganze Region in ihrer
Sicherheit bedroht ist. Auch hier hat die Bundesregie-
rung rasch reagiert. Wir stellen humanitäre Hilfe für die
unmittelbar Verfolgten und die Flüchtlinge im Norden
des Iraks zur Verfügung. Aber wir unterstützen auch die-
jenigen, die sich dem IS entgegenstellen, weil wir der
festen Überzeugung sind, dass das zum einen selbstver-
ständlich in erster Linie unsere Verantwortung ist, zum
anderen aber auch unser sicherheitspolitisches Interesse,
und dass deshalb beides zwei Seiten einer Medaille sind.

Unsere aktuelle Unterstützung ist aber auch – das ist
mir wichtig – in einen politischen Prozess eingebettet
– unser Außenminister ist dafür unermüdlich unter-
wegs –, der im Irak dazu führen muss, dass eine inklu-
sive Regierung gebildet wird, die alle Religionsgruppen
an der Regierungsbildung und vor allem an der Gestal-
tung des Landes teilhaben lässt und auch alle Länder in
der Region konstruktiv mit einbezieht.





Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)(B)

Beim NATO-Gipfel war sehr deutlich zu spüren, dass
kein Zweifel daran besteht, dass es lange dauern wird,
bis der „Islamische Staat“, der mit großer Kompromiss-
losigkeit auftritt, niedergerungen ist. Das heißt, wir wer-
den Geduld brauchen. Wir werden gemeinsam mit unse-
ren Partnern vorgehen, und wir werden unsere Politik im
Einklang vor allem mit den islamischen Ländern der Re-
gion gestalten müssen; denn nur das wird mittelfristig zu
einer Stabilisierung der Region führen.

Beide Entwicklungen, im Osten wie im Süden, wer-
den für einige Jahre unsere volle Aufmerksamkeit erfor-
dern. Das heißt aber auch, dass mit unseren internationa-
len Aufgaben unsere Verantwortung wächst. Das, was
ich eben beschrieben habe, führt uns auch immer wieder
vor Augen, dass Freiheit und Sicherheit nicht zum Null-
tarif zu bekommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mir ist wichtig, dass wir uns nicht missverstehen,
weil dies eine Haushaltsdebatte ist: Ich fordere keine Er-
höhung des Plafonds 2015. Das ist alles in den letzten
Monaten geschehen, und wir können jetzt nicht als Re-
aktion darauf einfach mehr Geld für Verteidigung in
2015 fordern. Aber – und das ist mir wichtig – Kürzun-
gen, vor allem Kürzungen in allerletzter Minute, wären
bei diesen Aufgaben für die Bundeswehr hochriskant.
Das sage ich bewusst an dieser Stelle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundeswehr ist gut aufgestellt. Sie ist einsatzbe-
reit. Sie stellt täglich unter Beweis, was sie leisten kann.
Wir sind weltweit in 17 Auslandseinsätzen unterwegs.
Der größte davon ist der Einsatz in Afghanistan. Hilfe
bei Naturkatastrophen, die Hilfsflüge in den Irak, inner-
halb von 72 Stunden auf die Beine gestellt, die Bereit-
stellung von militärischem Material für die Peschmerga,
die Versorgung verwundeter ukrainischer Soldaten sind
nur einige Beispiele.

Das ist alles keine Selbstverständlichkeit, sondern
eine hochprofessionelle Leistung unserer Soldatinnen
und Soldaten, und dafür muss der Verteidigungshaushalt
bereitstehen, und zwar jetzt und auch in Zukunft. Das ist
das Ziel unserer Beratungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir reden über einen Etat von 32,26 Milliarden Euro
für das nächste Jahr. Wenn wir die vom Finanzministe-
rium bereitgestellten zusätzlichen Mittel für die Tarif-
und Besoldungsrunde 2015 mit einbeziehen, dann kom-
men wir auf rund 33 Milliarden Euro.

Vom NATO-Gipfel haben wir das Ziel mitgenommen,
auf Dauer 2 Prozent unseres BIP für die Verteidigung
aufzuwenden. Das bleibt ein langfristiges Ziel. Kurz-
und mittelfristig sollte allerdings der Fokus darauf lie-
gen, dass wir das vorhandene Geld möglichst effizient
und effektiv ausgeben. Darum geht es auch in der De-
batte dieser Tage.
Ich möchte die Situation, vor der sich das abspielt, et-
was näher beleuchten. Wir kommen aus einer Umbruch-
phase. Die Bundeswehr steckt noch mitten in der Neu-
ausrichtung. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten wird
binnen weniger Jahre von rund 250 000 auf 185 000 ver-
kleinert werden. Bundesweit werden zurzeit 32 Standorte
geschlossen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode
bei der Beschaffung schon neue Prozesse eingeführt.
Wir haben Aufgaben in neuen Ämtern gebündelt, um die
Truppe schneller und effizienter mit moderner Ausrüs-
tung zu versorgen. Es gab also ganz viel Bewegung.

Das alles ist natürlich nicht ohne Auswirkung auf die
laufenden Planungs- und Beschaffungsprozesse geblie-
ben. Projekte sind ausgefallen wie der Euro Hawk im
Jahr 2013. Die Industrie hat zum Teil große Schwierig-
keiten, zeitgemäß in der verlangten Qualität zu liefern,
wie zum Beispiel beim A400M, der inzwischen vier
Jahre Verspätung hat. Das produziert natürlich auch
Engpässe. Hierbei handelt es sich um Milliardenpro-
jekte, die nicht ohne Weiteres durch ein Austauschpro-
jekt schnell kompensiert werden können.

Wichtig ist, dass wir aus den Schwierigkeiten der Ver-
gangenheit Konsequenzen ziehen. Deswegen unterzie-
hen wir den Rüstungsbereich einer tiefgreifenden Über-
prüfung. Das ist kein Selbstzweck; es dient nicht dazu,
sich einmal selbst zu spiegeln. Vielmehr geht es – mit
Blick auf die Sicherheit unserer Soldatinnen und Solda-
ten – um die notwendige Ausrüstung auf der einen Seite
und um den verantwortlichen Umgang mit Milliarden
von Steuergeldern auf der anderen Seite. Wie Sie alle
wissen, ist zurzeit ein externes Konsortium in unserem
Haus dabei, bestehende Rüstungsprojekte und -prozesse
zu untersuchen. Das Gutachten erwarte ich Anfang Ok-
tober. Es wird uns inhaltlich helfen, künftig die richtigen
Investitionsentscheidungen zu treffen, zum Beispiel bei
den Hubschraubern, beim Luftverteidigungssystem, bei
den Wartungsverträgen für den A400M, beim Schützen-
panzer Puma und beim Mehrzweckkampfschiff, um nur
einige Themen zu nennen, die konkret anstehen. All dies
sind Investitionen in die Zukunft der Bundeswehr.

Noch einmal zur Erinnerung: Wir sind uns in der
NATO nicht nur über das 2-Prozent-Ziel einig, sondern
auch darüber, dass 20 Prozent des Etats für eine stetige
Modernisierung der Ausrüstung einzusetzen sind. Hier
zeichnet sich folgendes Bild ab: Wir hatten in dem
schwierigen Jahr 2013 einen Rückschritt auf 16,6 Pro-
zent des Einzelplans für Investition, Forschung und Ent-
wicklung zu verzeichnen. Auch das ist nicht ohne Fol-
gen geblieben. Unser Ziel ist, diesen Anteil im Haushalt
2015 wieder auf über 19 Prozent zu steigern und vor al-
len Dingen in den Folgejahren bei gut 20 Prozent zu ver-
stetigen. Wir werden außerdem Schwerpunkte für künf-
tige Planungsvorhaben setzen.

Das alles gehört in die Oktoberdebatte. Dabei geht es
auch um die Identifizierung der wehrtechnischen Kern-
fähigkeiten, die wir in Deutschland und Europa unbe-
dingt halten wollen. Das ist nicht nur eine Frage der Fä-
higkeiten, sondern auch eine Frage der Souveränität und
der Unabhängigkeit eines jeden Landes; diese sind uns
viel wert.





Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)

Wir reden in diesen Tagen auch viel über das Thema
Einsatz- und Verwendungsfähigkeit unseres Materials.
Es ist richtig: Die Ausrüstung der Bundeswehr ist stark
gefordert. Wir tragen dem Rechnung, indem wir die
Ausgaben für Instandsetzung und Wartung von 2013 an
in dieser Legislaturperiode um immerhin rund ein Fünf-
tel, um 20 Prozent, steigern.

Infrastruktur und Material sind die beiden großen
Themen, die im Augenblick die Debatte beherrschen.
Trotzdem bleibt es dabei – darüber herrscht Konsens in
diesem Hohen Hause –: Das eigentlich Entscheidende
sind die Menschen in der Bundeswehr. Es kommt auf
motiviertes und qualifiziertes Personal an; das hat die
Frühjahrsdebatte sehr stark dominiert. Wir haben des-
halb unsere Agenda Attraktivität und untergesetzliche
Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Richten wir den Blick jetzt auf das angekündigte Arti-
kelgesetz. Ich möchte Sie informieren, dass wir die
Vorabstimmung über das Artikelgesetz mit dem Finanz-
ministerium und dem Innenministerium fast abgeschlos-
sen haben. Wir gehen dann in die Ressortabstimmung
und die Verbändeabstimmung. Im Oktober werden wir
bereit sein, den Gesetzentwurf in das Kabinett einzubrin-
gen, von dem ein Teil 2015 und ein anderer Teil erst da-
nach in Kraft treten wird. Ich sage mit Blick auf das Ar-
tikelgesetz ganz deutlich: Dieses Gesetz wird nach
jetzigem Stand der Dinge zusätzliche Mittel beanspru-
chen. Die exakten Zahlen können wir erst vorlegen,
wenn wir das Gesetz zwischen den Ressorts abgestimmt
haben und feststeht, was wir tatsächlich umsetzen. Dann
werden wir darüber hier gemeinsam diskutieren.

Abschließend, meine Damen und Herren: Viele Men-
schen in unserem Land stellen sich vor allem angesichts
der schrecklichen Bilder, die wir tagtäglich sehen, zu-
nehmend die bange Frage, ob wir auch in Zukunft sicher
leben. Man sieht auch an den Umfragen, dass sich da et-
was im Augenblick verändert. Meine Antwort lautet:
Deutschland ist sicher – dank eines guten Miteinanders
von Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und ja,
ganz ohne Zweifel, auch den Leistungen der Bundes-
wehr, eingebettet in EU und NATO. Damit das auch in
Zukunft so bleibt, damit wir eine einsatzfähige Bundes-
wehr behalten, braucht es vor allem mittel- und langfris-
tig einen verlässlichen Verteidigungshaushalt.

Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen und
danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805010300

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es spricht jetzt der

Kollege Dr. Alexander Neu, Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805010400

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Dar-
stellung von Frau von der Leyen hat einmal mehr ge-
zeigt, wie wichtig es ist, dass es eine Linke in diesem
Bundestag gibt, die ein differenzierteres Bild der sicher-
heitspolitischen Lage zeichnet.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das kann man auch anders sehen!)


Zunächst einmal zu den Einzelplänen. Es ist schon in-
teressant, dass die beiden größten Einzelpläne des Bun-
deshaushalts die für Arbeit und Soziales und für Militär
sind. Die Militärausgaben betragen nicht 33 Milliarden
Euro, sondern nach NATO-Kriterien – das ist das Ent-
scheidende im Haushalt – 35,1 Milliarden Euro. Das ent-
spricht etwa 440 Euro jährlich pro Einwohner in diesem
Land. Deutschland hat den viertgrößten Militärhaushalt
in der NATO und den siebtgrößten global. Viele Staaten
dieser Welt haben einen geringeren Gesamthaushalt, als
Deutschland für sein Militär ausgibt.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Die haben auch weniger Einwohner!)


Viele Staaten haben sogar ein geringeres Bruttoinlands-
produkt, als Deutschland für sein Militär ausgibt. Das
sollte uns zu denken geben.

Was sagt das aber über eine Gesellschaft aus, in der
die Einzelpläne für Arbeit und Soziales und für Militär
die beiden größten Einzelpläne darstellen? Zum einen,
dass wir eine verfehlte Wirtschaftspolitik oder – besser –
ein falsches Wirtschaftssystem haben, das mehr Men-
schen in Armut und prekäre Verhältnisse bringt, die mit
sozialpolitischen Maßnahmen mehr schlecht als recht
korrigiert werden müssen. Zum anderen zeugt das von
einem Verständnis einer militarisierten Außen- und Si-
cherheitspolitik in einer Zeit, in der Deutschland nicht
einmal ansatzweise bedroht wird. So lautet auch die
Feststellung von Generalinspekteur Wieker 2010 in sei-
ner Stellungnahme zu einem Prüfauftrag. Ich zitiere:

Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Mittel-
europas und damit Deutschlands mit konventionel-
len militärischen Mitteln besteht heute nicht mehr.

Warum aber brauchen wir einen so hohen Militäretat?
Zum einen, weil es immer noch die anachronistische
Vorstellung gibt, wonach eine gewachsene Verantwor-
tung auf internationaler Ebene primär mit militärischen
Mitteln ausgeübt werden müsse. Steinmeier, von der
Leyen und Gauck fordern immer unverhohlener, die in-
ternationale Reputation Deutschlands und die Mitspra-
che auf internationaler Ebene über das Militärische aus-
zubauen. Gerade wurde es gesagt: Es gibt derzeit
17 Militäreinsätze der Bundeswehr.

Der zweite Grund, warum es einen so hohen Militär-
etat gibt, besteht im westlichen Selbstverständnis: der
Westen als Zentrum der Welt. Entweder unsere Vorstel-
lungen und Werte werden global übernommen, oder aber
es gibt Konflikte. So ist auch das Verständnis in der
Kooperation mit Russland. Wenn Russland eine Berück-
sichtigung seiner sicherheitspolitischen Interessen ein-
fordert, wird das weitestgehend ignoriert.


(Zuruf des Abg. Rainer Arnold [SPD])


Wenn Russland seine sicherheitspolitischen Interessen
umsetzt, da die Diplomatie und Gespräche mit dem

(B)






Dr. Alexander S. Neu


(A) (C)



(D)(B)

Westen erfolglos waren, wird Russland als Aggressor
dämonisiert.


(Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Wer hat denn Russland bedroht?)


Gemeinsame Sicherheit sieht gravierend anders aus.


(Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Bedrohung durch Handelsabkommen!)


Die Frage ist und bleibt doch, wer sich vor wessen
Haustür mit militärischen Strukturen breitmacht. Russ-
land auf jeden Fall nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU)


– Ihnen sollte die NATO-Osterweiterung bekannt sein.
Wenn Ihnen die nicht bekannt ist, ist das traurig.

Schaut man sich die sicherheitspolitische Bilanz der
Out-of-Area-Kriege der NATO oder der kriegführenden
NATO-Staaten wie USA, Frankreich und Großbritannien
seit dem Endes des Kalten Krieges an, so stellt man fest,
dass sie desaströs ist. Alle Kriege wurden verloren. Die
Schlachten wurden gewonnen, keine Frage; aber das
offiziell formulierte politische Ziel wurde niemals er-
reicht. Afghanistan, Libyen, Irak, die serbische Provinz
Kosovo, Bosnien-Herzegowina – das alles sind geschei-
terte Staaten, nachdem der Westen dort militärisch Hand
anlegte und letztendlich die Situation verschlimm-
besserte.

Das ist übrigens ein wesentlicher Grund für die Ver-
weigerung, ehrliche Einsatzbilanzen vorzulegen; denn
die Ergebnisse würden das Scheitern belegen. Genau das
will man vermeiden. Aber den Tod Hunderttausender
Menschen als Kriegsopfer, Kriegsfolgenopfer oder
Sanktionsopfer durch NATO-Kriege oder Kriege der
USA mit ihren Koalitionen der Willigen kann man nicht
verleugnen und nicht verstecken.

Trotz dieses offenkundigen Scheiterns der militarisier-
ten Außen- und Sicherheitspolitik zeigt man sich völlig
unbeeindruckt. „Weiter so wie bisher und ein bisschen
mehr“ scheint das Leitmotto zu sein. Das „ein bisschen
mehr“ ergibt sich aus der Reaktivierung des alten Feind-
bildes Russland, wie Beschlüsse auf dem NATO-Gipfel
belegen: Schaffung einer „Speerspitzen“-Eingreiftruppe,
Bekräftigung der Ausdehnung der NATO nach Ost-
europa und in den postsowjetischen Bereich, Open Door
Policy, das Festhalten am NATO-Raketenabwehrsystem
zwecks Neutralisierung des atomaren Gleichgewichts
und die Bekräftigung der 2-Prozent-Klausel für die Mili-
tärhaushalte. – Eine kurze Anmerkung zur Absurdität
der letzteren Argumentation: Die NATO hat mehr als das
Zehnfache an Geldern, die der russische Militärhaushalt
zur Verfügung hat.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)


Die einzige friedenspolitische Alternative für Europa
ist nicht die NATO, sondern ein System gegenseitiger
kollektiver Sicherheit.


(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen die Retransformation der Bundeswehr zu
einer reinen Verteidigungsarmee und zur Landesverteidi-
gung.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Linke fordert mehr Panzer!)


Eins ist klar: Frieden in Europa kann es nur mit und
nicht gegen Russland geben. Auch wenn Deutschland es
manchmal für sich beansprucht: Russland ist faktisch
das größte Land Europas und ein wichtiger Handelspart-
ner Deutschlands und der Europäischen Union. Sich von
der US-amerikanischen Außenpolitik diktieren zu las-
sen, wie wir unsere Handelsbeziehungen mit Russland
handhaben, ist schon beschämend. So viel zur Souverä-
nität deutscher Außenpolitik.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Das machen wir alles selber!)


Daher fordert die Linke haushaltspolitisch die Einspa-
rung und Umwidmung von Steuergeldern: von Men-
schen für Menschen und nicht für Waffen und Gewaltpo-
litik.

Hierzu kann ich drei Beispiele anführen: Mit dem
Geld für 53 Transportflugzeuge A400M kann man in die-
sem Land 6 300 Kitas bauen. Mit dem Geld für vier Fre-
gatten 125 können Kommunen – sie sind eh gebeutelt –
620 Sporthallen bauen.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist gegen die kommunale Selbstverwaltung!)


Mit dem Geld für den Eurofighter – das große Milliar-
dengrab – ließen sich 210 000 Sozialwohnungen bauen,
die in diesem Land dringend gebraucht werden. Das
wäre echte Friedenspolitik und bedeutete einen Gewinn
an internationalem Ansehen und zugleich einen Gewinn
für die Menschen in diesem Land.

Ich danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805010500

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege

Rainer Arnold.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1805010600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch wir in diesem Haus haben heute des Leids im
Zweiten Weltkrieg gedacht. Gerade meine Generation
erinnert sich in solchen Stunden daran, dass es eben
nicht selbstverständlich ist, dass wir in Frieden aufwach-
sen konnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Friede wurde organisiert durch eine weitsichtige
Politik, und er wurde unterstützt, getragen und gesichert
von Streitkräften, die glaubwürdig einsatzfähig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)

In den letzten Monaten mussten wir erleben, dass sich
im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika Terror und
Krieg breitmachten. Mit Blick auf den Kollegen Neu: Es
sind nicht wir, es ist nicht der Westen, der zur Stunde im
Norden von Nigeria den Menschen Gewalt antut und den
Menschen seinen Willen aufzwingen will; es sind die
fundamentalen Islamisten der Boko Haram.

Herr Kollege, wir alle haben geglaubt, dass es nach
Beendigung der Balkankriege undenkbar sein wird, dass
in Europa Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen wer-
den. An die Kollegen der Linken: Es sind nicht wir, es ist
nicht der Westen, der den Menschen im Osten der
Ukraine und auf der Krim seine Regierungsform und die
russische Lebensart aufzwingen will. Ich habe manch-
mal den Eindruck, Sie glauben immer noch, Russland
habe ein linkes Regime. Nein, es ist ein autokratisches,
nationalistisches Regime.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Was Sie mit dem zu tun haben wollen, das verstehe ich
wirklich nicht.

Wir wissen gleichzeitig alle in diesem Haus, dass mi-
litärische Einsätze die meisten Konflikte nicht lösen
werden. Militär wird an der einen oder anderen Stelle
aber gebraucht, um sich schützend vor Menschen zu
stellen, um Zeitfenster für diplomatische Lösungen zu
öffnen und um Zeitfenster für humanitäre Hilfe und für
die Eindämmung von Terror offenzuhalten. Das alles ist
häufig notwendig.

Deutschland redet immer über militärische Zurück-
haltung.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da war Westerwelle besser!)


Das Gegenteil von militärischer Zurückhaltung wären
militärisches Vorpreschen und militärische Abenteuer.
Ich glaube, kein vernünftiger Mensch in einer Demokra-
tie wird dies wollen. Ich sage das deshalb, weil die deut-
sche militärische Zurückhaltung nicht mit einem mögli-
chen Sonderweg Deutschlands innerhalb der Bündnisse
verwechselt werden darf. Wir alle wissen: Unsere Si-
cherheit basiert darauf, dass dieses große Land in Europa
mit leistungsfähigen Streitkräften ein verlässlicher Part-
ner ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die NATO-Tagung in Wales hat dies sehr deutlich ge-
macht. Ich bin der Bundesregierung außerordentlich
dankbar dafür, wie besonnen sie auf der NATO-Tagung
die deutschen Ziele erreicht hat. Es ist nicht einfach, Ver-
ständnis für die Sorgen unserer Partner in Osteuropa auf-
zubringen, ein verlässlicher Partner zu sein, wenn es
darum geht, Fähigkeiten zu erweitern – ich glaube, die
Schritte, die Deutschland hier mitträgt, vor allen Dingen
in Polen, in Stettin, sind richtig und notwendig –, und
gleichzeitig mit dafür zu sorgen, dass die Tür zum Dia-
log mit Russland bei allen Schwierigkeiten offen bleibt.
Es ist mit ein Verdienst der Bundesregierung, dass die
NATO-Tagung dies erreicht hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu dieser Debatte gehört am Ende natürlich auch die
Debatte über die Frage: Welche Rolle und welche Ver-
antwortung hat Deutschland in der Welt? Klar ist eines:
Die negativen, die schlimmen Veränderungen in den
letzten Monaten werden auch Auswirkungen auf die
Gestaltung der Streitkräfte der Bundeswehr haben. Poli-
tiker, die dies thematisieren, sind alles andere als Kriegs-
hetzer, wie die Linken behaupten,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Behauptet der Stern!)


sondern sind Politiker, die schlichtweg der Realität, der
Wirklichkeit ins Auge schauen.

Einige, sowohl in der NATO als auch in Deutschland,
glauben, die Gunst der Stunde nutzen zu müssen, um
eine Debatte über mehr Geld – auf Basis eines schlichten
Mechanismus – zu führen. Das meine ich nicht. Ich
glaube, man hilft den Soldaten überhaupt nicht, wenn
man in dieser Richtung falsche Erwartungen weckt. Die
Soldaten sind Klarheit gewohnt.

Für unsere Fraktion möchte ich aber noch einmal
betonen – wir reden über den Haushalt –: Es ist doch
logisch: Solange jedes Jahr über 1 Milliarde Euro an den
Finanzminister zurückfließen, weil die Bundeswehr das
Geld nicht ausgeben kann, kann niemand ernsthaft sa-
gen: Herr Schäuble, wir brauchen mehr Geld. – Dies
wird nicht funktionieren.

Dass dieses Geld zurückfließt, ist – das muss man
auch klar sehen – ein Erbe der alten Bundesregierung.
Dort lag die Verantwortung für dieses Vorgehen. Aber
richtig bleibt auch: Am Ende des Jahres 2015 wird
weder die Verteidigungsministerin noch werden wir als
Koalitionäre – wir sind hier mit im Boot – sagen können:
Die Ursachen liegen in der Vergangenheit.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Wir müssen alles tun, dass diese Entwicklung umgekehrt
wird.

Wenn die alten Vorhaben geordnet sind – in diesem
Bereich ist viel Zeit verloren worden; Sie haben unsere
Unterstützung bei dem Prozess, um das alles zu überprü-
fen –, dann muss die Phase des Geldrückflusses beendet
sein. Am liebsten wäre es uns, das würde auch im Haus-
halt einmal deutlich vermerkt werden. Wenn die Jahre
kommen, in denen die Großgeräte geliefert werden, pa-
rallel und in hoher Stückzahl, dann muss sichergestellt
sein, dass die Mittel dafür auf den Verteidigungsetat ver-
lässlich obendrauf kommen. Wenn dies nicht gelingt,
dann werden wir ein Problem bei der Attraktivität haben
– die hat etwas mit der Zukunftsfähigkeit der Bundes-
wehr zu tun –, und dann werden wir ein ganz großes Pro-
blem bei neuen Investitionen, bei der Modernisierung
und Instandhaltung des Geräts haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)






Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)

Für die Zeit, wenn kein Geld mehr zurückfließt, wird
auch gelten: Wenn die Bundeswehr Ausstattungshilfe in
Regionen leistet, in denen wir dafür sorgen wollen, dass
Staatlichkeit gegen Terror durchgesetzt werden kann
– ich will nicht ausschließen, dass das mehr wird; zu der
Einschätzung komme ich, wenn ich auf den afrikani-
schen Kontinent schaue –, und sie die Ausstattung wie-
der neu kaufen muss, dann muss sichergestellt sein, dass
das Geld dafür aus dem allgemeinen Etat, aus dem Ein-
zelplan 60, kommt und nicht aus dem Verteidigungsbe-
reich. Dies heißt, neben dem, was die Ministerin schon
gesagt hat – es sind keine weiteren Kürzungen mehr
möglich –, muss auch sichergestellt sein, dass solche zu-
sätzlichen Aufgaben, die uns alle gemeinsam berühren,
aus dem allgemeinen Etat finanziert werden.

Darüber hinaus: Natürlich müssen wir mittelfristig für
steigende Betriebs- und Personalkosten Mittel obendrauf
bekommen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht notwendig,
dass der Bundeswehretat ein breiteres Stück vom Ge-
samtkuchen des Etats bekommt. Aber er muss sich sei-
nen Anteil an diesem Kuchen sichern.

Damit ist auch klar: Das 2-Prozent-Ziel, das die
NATO wieder beschlossen hat, wird für Deutschland
nicht machbar sein. Stellen Sie sich das einmal vor: Wir
müssten dann 52 Milliarden Euro aufbringen. Ich weiß
gar nicht, ob es politisch überhaupt gewollt wäre, dass
Deutschland ein so großer Zahler wäre und so viele
Streitkräfte hätte, vor allem in Relation zu Großbritan-
nien und zu Frankreich. Ich glaube, wir sind gut aufge-
hoben, wenn wir uns an diesen beiden Mittelmächten in
Europa orientieren. Das tun wir im Augenblick mit unse-
rem Etat. Deshalb ist es auch vernünftig, was hier vorge-
schlagen worden ist.

Das Entscheidende bei der Debatte um Geld ist nicht
das Geld, sondern Intelligenz. Es muss endlich gelingen,
die knappen Mittel in der NATO und in der Europäi-
schen Union klüger auszugeben. Die Themen liegen auf
der Hand; sie sind allesamt bekannt. Wir brauchen eine
engere Verzahnung. Da Deutschland klar sagt, dass das
2-Prozent-Ziel für Deutschland mit seiner starken Volks-
wirtschaft nicht umsetzbar ist, hat Deutschland im Um-
kehrschluss eine besondere Verantwortung dafür, in Eu-
ropa und innerhalb des Bündnisses die Prozesse in einer
vertieften Sicherheitspolitik voranzubringen und Motor
hierfür zu werden. Wir würden der Bundesregierung
schon raten, dass, abgestimmt zwischen Verteidigungs-
ministerium und Auswärtigem Amt, eine Stelle, ein
hochrangig Beauftragter eingerichtet wird, der durch die
Hauptstädte zieht, die Projekte identifiziert und zusam-
menführt. Zu diesen Themen ist in Europa und der
NATO genug Papier beschrieben worden. Wir müssen
sie jetzt realisieren.

Deutschland wird dann bestimmte Kernfähigkeiten
einbringen können. Dazu gehört sicherlich Luftbetan-
kung, also Dinge, die in der NATO fehlen. Dazu gehören
Aufklärungsdrohnen. Dazu gehört unsere dann gute Ka-
pazität im Bereich des Lufttransportes. Wenn wir die
Hubschrauber auch abnehmen, wie wir es gerne hätten,
gilt dies auch bei den mittleren Hubschraubern. Dazu ge-
hören der Sanitätsdienst, wo Deutschland wirklich Mus-
tergültiges leistet, die bodengebundene Luftverteidi-
gung, die Fregatte, ein sicheres Tankschiff, das heutigen
Sicherheitsanforderungen genügt, und manches andere
mehr.

Wenn wir dies in diesem Herbst schnell aufs Gleis
setzen – Sie haben unsere Unterstützung; wir möchten,
dass es schnell diskutiert wird –, dann helfen wir der
Rüstungswirtschaft mit ihren Problemen viel mehr, als
wenn wir andauernd lamentieren, dass Deutschland
plötzlich die Exportrichtlinien einhalten soll. Neue
Ideen, neue Projekte sichern Ingenieurwissen in
Deutschland. Wir sollten nicht alte Produkte in Länder
verkaufen, wo wir sie gar nicht haben wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist der richtige Weg, und dabei haben Sie unsere Un-
terstützung.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805010700

Herr Kollege, Sie denken an die vereinbarte Rede-

zeit?


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1805010800

Das tue ich grundsätzlich. Ich versuche, zum Ende zu

kommen.

Lassen Sie mich noch einen Punkt ganz kurz anspre-
chen. Wenn wir den Weg, den die NATO jetzt diskutiert
hat, gehen, werden wir priorisieren müssen. Es wird
nicht mehr so weitergehen, dass wir glauben, wir können
alles, aber von allem nur ein bisschen. Ich habe den Ein-
druck, dass sich etwas im Ministerium und beim Koali-
tionspartner bewegt. Das finde ich gut.

Wir wollen die Debatte darüber führen und sollten da-
bei nicht vergessen, dass das Wichtigste für die Streit-
kräfte und das Wichtigste für die Fähigkeit, ein Land zu
verteidigen, nicht Technik, nicht Waffen, nicht Geld al-
lein sind, sondern die Menschen, die diesen ganz beson-
deren Beruf ausüben. Vor allem bei denjenigen, die auch
bei widrigen Umständen motoviert und engagiert ihren
Dienst tun, möchte ich mich ganz besonders bedanken.
Auf sie kommt es am Ende an. Sie haben aber auch An-
spruch darauf, dass wir alles tun, um den Soldatenberuf
attraktiv zu halten, dass sie angemessen bezahlt werden,
dass ihnen Verlässlichkeit geboten wird und sie eine Per-
spektive haben.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805010900

So, jetzt müssen wir trotzdem zum Schluss kommen.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1805011000

Ich bedanke mich für Ihre Geduld und für Ihre durch-

aus vorhandene Nachsicht. – Entschuldigung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805011100

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tobias Lindner,

Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser
Haushaltsdebatte ist die eine oder andere Zahl genannt
worden. Ich will eine weitere Zahl nennen: 267 Tage.
Ich weiß nicht, Frau Ministerin, ob Ihnen diese Zahl
– 267 Tage – etwas sagt. Es ist die Zeit, in der Sie jetzt
im Amt sind. Sie legen dem Hohen Haus den zweiten
Haushaltsentwurf vor. Wenn man über die Rahmenbe-
dingungen redet, über die wir heute diskutieren, von de-
nen der Kollege Arnold zu Recht sagt, dass Ausgaben in
Höhe von 2 Prozent des BIP für Verteidigung eine ab-
surde Vorstellung sind, und ich aus der Union Rufe nach
mehr Geld wahrnehme, dann muss man sich Folgendes
klarmachen: Ich habe bisher niemanden aus der Union
vernommen, der gesagt hätte: Karl-Theodor zu Gutten-
bergs Bundeswehrreform ist ein Fehlgriff gewesen.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das wäre ja auch falsch!)


Wenn man der zu-Guttenberg’schen Reform glaubt,
dann hätten Sie, Frau von der Leyen, uns heute einen
Etatentwurf vorlegen müssen, der sich zwischen 27 und
28 Milliarden Euro bewegt. Stattdessen haben Sie be-
reits heute 5 Milliarden Euro mehr erhalten, im Jahr
2013 rund 1,5 Milliarden Euro nicht ausgegeben


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Da sehen Sie, wie man’s macht!)


und von Ihrer eigenen Koalition mit dem Haushalt 2014
eine globale Minderausgabe von 400 Millionen Euro
auferlegt bekommen. Das, meine Damen und Herren,
sind die Rahmenbedingungen, unter denen wir diesen
Verteidigungshaushalt diskutieren müssen.

Ich will Ihnen eine weitere Zahl nennen: 203 Tage.
Vor 203 Tagen haben Sie Ihren Staatssekretär entlassen
und 15 Projektstatusberichte, die zur Information des
Parlaments gedacht waren, nicht gebilligt. Seitdem ist
ein halbes Jahr ins Land gegangen. Eigentlich wollten
Sie alle sechs Monate das Parlament informieren. Nun
untersucht eine Unternehmensberatung 9 der 15 Pro-
jekte. Sie haben jetzt für Oktober einen Bericht angekün-
digt. Ich persönlich frage mich: Was ist eigentlich mit
den restlichen sechs Projekten? Haben Sie die Berichte
in die Tonne getreten? Haben sie sich von allein gesund-
geschrieben? Wann werden wir da die Informationen er-
halten? Frau von der Leyen, das, was Sie hier tun, ist das
Gegenteil von Transparenz, wie Sie dies immer gegen-
über dem Parlament predigen, und das muss ein Ende
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Sie sprechen gern davon, dass Sie sich ein Vollbild
der Lage im Rüstungsbereich machen wollen. Ich habe
Ihr Haus in meiner jugendlichen Naivität am 9. Januar
um eine Übersicht aller laufenden Rüstungsprojekte mit
einem Volumen oberhalb von 25 Millionen Euro gebe-
ten, 93 an der Zahl. Ich wollte wissen: Wie hoch sind die
Kostensteigerungen? Wie viel Geld ist verausgabt wor-
den? Was sind die Nachweisfristen? Wann soll geliefert
werden? Es dauerte über sieben Monate – ich habe
mehrfach nachgefragt; eigentlich habe ich gar nicht
mehr damit gerechnet, dass noch irgendeine Antwort
kommt –, bis zum 14. August, als plötzlich die Antwort
eingetroffen ist. Die Realität lautet: Die Rüstungspro-
jekte haben sich um 4,3 Milliarden Euro verteuert, es ha-
ben sich über 1 300 Verspätungsmonate angehäuft. Das,
Frau Ministerin, ist das Vollbild der Lage, von dem Sie
immer gerne sprechen. Diese beiden Zahlen sind ein Ar-
mutszeugnis für das Management in Ihrem Hause.

Um eines klarzumachen: Die Antwort auf die Frage,
in welche Projekte das Geld abfließt und was die Haupt-
kostentreiber sind, ist nichts, wofür man eine Unterneh-
mensberatung braucht, sondern etwas, was Ihnen die
Buchhaltung jedes mittelständischen Unternehmens in
Deutschland per Knopfdruck liefern kann.

In den letzten Tagen – es ist heute schon mehrfach er-
wähnt worden – fiel noch ein Punkt stark auf: Es gibt ne-
ben der Verteidigungspolitik kaum ein Politikfeld – mir
fällt sonst nur die Maut ein, aber die Diskussion in der
Großen Koalition darüber läuft außer Konkurrenz –, in
dem die Lage bei den Koalitionspartnern so diffus ist.
„Breite vor Tiefe“ bekommt in Bezug auf die Meinun-
gen eine ganz neue Bedeutung. Da haben wir die Kolle-
gen Otte und Hahn, die für höhere Verteidigungsausga-
ben eintreten. Da haben wir den Kollegen Gädechens,
der uns in jeder Debatte erklärt, wie wichtig die Marine
ist. Da haben wir den Kollegen Rainer Arnold, der beim
Grundsatz „Breite vor Tiefe“, was Fähigkeiten betrifft,
eine ganz andere Meinung hat und die Standortentschei-
dungen, zu denen Sie von der Union sich ausdrücklich
bekennen, wiederum in Zweifel zieht. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, in der Verteidigungspolitik streiten
Sie sich wie die Kesselflicker.


(Rainer Arnold [SPD]: Wir diskutieren!)


Das Ganze wird noch getoppt, zum einen vom Vize-
kanzler, der sich Gedanken darüber macht, in welcher
Körperhaltung wohl die Ministerin am Fotokopierer
steht – Frau von der Leyen, ich weiß nicht, ob Sie selbst
kopieren, aber ich habe zumindest diese Debatte wahrge-
nommen –, zum anderen vom geschätzten Kollegen
Johannes Kahrs, der dankenswerterweise im Plenarsaal
anwesend ist


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Und bei der Union sitzt!)


und in einem Interview im Spiegel dieser Woche davon
spricht, dass die Ministerin die Kontrolle über das Haus
verloren habe. Jetzt kenne ich den Kollegen Johannes
Kahrs nicht unbedingt als Hinterbänkler hier in diesem
Hause. Im Gegenteil: Er ist der haushaltspolitische Spre-
cher der SPD-Bundestagsfraktion. Ich finde, es ist schon
ein Ausdruck des Misstrauens, wenn sich der Koalitions-
partner im Spiegel so über die Ministerin äußert – auch
wenn ich die Äußerungen inhaltlich teile.





Dr. Tobias Lindner


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in diesen
Haushaltsberatungen viel über das Thema Sicherheits-
politik gesprochen. Ich habe dabei folgenden Eindruck
gewonnen: Die größte Gefahr für die Bundesverteidi-
gungsministerin, die größte Bedrohung dieser Verteidi-
gungspolitik geht im Moment von der Rückkehr der Gur-
kentruppe unter ihrem Kommandeur Oberst Johannes
Kahrs aus.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ist da noch eine Rechnung offen, oder was?)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805011200

Nächster Redner ist der Kollege Henning Otte, CDU/

CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1805011300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Dr. Lindner, Gurken sind
grün, glaube ich. Das war eine grüne Rede.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute beraten wir den Verteidigungshaushalt für das
Jahr 2015 – in einer Zeit überraschender Änderungen
hinsichtlich der Sicherheitslage, auf die wir reagieren
müssen, an einem Tag, an dem wir in einer sehr bewe-
genden Gedenkstunde dem Ausbruch des Zweiten Welt-
krieges gedacht haben, in einer Zeit, in der wir zusam-
men den Auftrag haben, dem Frieden in der Welt zu
dienen und die Integrität Deutschlands, seiner Partner
und Europas zu jeder Zeit zu verteidigen.

Herr Dr. Neu, wie Sie hier heute die russischen Inte-
ressen dargestellt haben, ist eine Verunglimpfung der
Gefühle Polens und kommt schon einer Geschichtsfäl-
schung gleich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


In Artikel 87 a des Grundgesetzes heißt es:

Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.
Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer
Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan
ergeben.

Das heißt auch: Der Verteidigungshaushalt muss die
Verteidigungsbereitschaft unseres Landes sicherstellen.
Wenn man sich die sicherheitspolitische Diskussion in
den letzten Wochen anschaut, muss man feststellen, dass
sich die Konfliktlage vehement zugespitzt hat. Neben
den laufenden Einsätzen der Vereinten Nationen, der
NATO und der Europäischen Union, an denen Deutsch-
land beteiligt ist, tragen dazu die Konflikte im Nordirak,
in Syrien, im Jemen, in Mali, im Norden Afrikas, aber
vor allem auch die islamistischen Strukturen um al-
Qaida, Boko Haram und vor allem auch des IS bei.
Aber auch das militärische Vorgehen Russlands zur
Landnahme der Krim und – zumindest – zur Destabili-
sierung der Ostukraine tragen dazu bei. Dieses Verhalten
Russlands hatte die NATO als solches nicht auf dem
Schirm. Sie hat es erst jetzt, auf dem NATO-Gipfel in
der letzten Woche in Wales, zum Anlass für eine strate-
gische Strukturanpassung genommen. Der NATO-Gipfel
hat ergeben und damit Deutschland den Auftrag erteilt,
die Reaktionszeiten der NATO zu beschleunigen,
schnelle Kräfte als sogenannte Speerspitzen einzusetzen
und sich hinsichtlich der Führungsstrukturen, der Manö-
verbewegungen und der Luftraumüberwachungen dauer-
haft noch stärker zu beteiligen.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns vergewis-
sern, was das für die Bundeswehr bedeutet. Neben dem
normalen Grundbetrieb, der Abrufbereitschaft bei Kata-
strophenfällen, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit den
Feuerwehren – ich begrüße hier eine Abordnung der
Feuerwehr aus Uelzen –, muss die normale Verteidi-
gungsbereitschaft aufrechterhalten werden. Die Moder-
nisierung der Großprojekte Puma, A400M, Fregatten-
hubschrauber NH90 und Tiger muss vorankommen; das
ist schon dargestellt worden. Die mandatierten Einsätze
müssen absolviert werden. Ausrüstungsgegenstände
werden aus dem Bestand und damit aus dem Betrieb he-
raus zur Verfügung gestellt. Für die Logistik bei humani-
tären Maßnahmen ist die Bundeswehr zuständig. Zusätz-
lich werden wir beauftragt, als Rahmennation tätig zu
werden, um als viertgrößte Industrienation einen verant-
wortungsvollen Beitrag zu leisten.

Hinzu kommen die Ergebnisses des NATO-Gipfels:
die dauerhaften Beteiligungen an einzelnen Aufgaben
wie auch an den schnellen Einsatzstrukturen und Füh-
rungsstrukturen. Das alles muss gemeistert werden mit-
ten in der größten Reform der Bundeswehr seit ihrem
Bestehen. Die Bundeswehr ist eine Einsatzarmee. Sie
muss genügend attraktiv sein. Deshalb brauchen wir
auch noch eine Attraktivitätsoffensive, die wir kraftvoll
angehen; Frau Bundesverteidigungsministerin hat da-
rüber berichtet.

Es ist also viel los in der Truppe, und das bei laufen-
dem Betrieb, bei gefährlichen Auslandseinsätzen und ei-
ner brisanten Sicherheitslage. Die jetzigen Belastungen
und die zukünftig steigenden Erwartungen an die Bun-
deswehr sind enorm. Wir als Parlamentarier sind aufge-
fordert, dafür die notwendigen finanziellen Mittel zur
Verfügung zu stellen und sie gegebenenfalls anzupassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vielfach ge-
sagt worden: Die Zeit der sogenannten Friedensdivi-
dende ist vorbei.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie!)


Die Zeit ist vorbei, in der aus dem Verteidigungsetat im-
mer noch ein Stück herausgenommen werden konnte,
um den allgemeinen Haushalt zu stärken. Denn Sicher-
heit ist die Grundlage unseres Handelns. Ohne Sicher-
heit keine Freiheit! Zur Verteidigung unserer Werte wie
Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, territorialer Inte-





Henning Otte


(A) (C)



(D)(B)

grität und zur Verbesserung der Situation im Hinblick
auf den Weltfrieden darf es uns an Entschlossenheit
nicht fehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Koste es, was es wolle! – Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])


Oder wie es der polnische Präsident Komorowski heute
in seiner sehr beeindruckenden Rede genau an dieser
Stelle gesagt hat: Als Antwort der Verantwortungsge-
meinschaft müssen wir in Stabilität und damit in die Zu-
kunft investieren. Wir brauchen ein sicheres Europa und
die transatlantischen Verbindungen, die Stärkung der
Ostflanke der NATO durch Präsenzen und schnelle Spit-
zen wie auch multinationale Einheiten in Europa.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Kriegskurs!)


– Wie bitte? Wie haben Sie den polnischen Präsidenten
eben genannt?


(Inge Höger [DIE LINKE]: Das ist ein Kriegskurs!)


– Kriegskurs. Na ja.

Noch haben wir ein Zeitfenster, in dem wir bei der
Neuausrichtung der Bundeswehr Anpassungen ohne
große personelle oder auch finanzielle Anstrengungen
vornehmen können. Denn Streitkräfte sind keine Institu-
tion, die man nach Belieben rauf- oder runterfahren
kann; sie bedürfen einer langfristigen Planung.

Das war auch der Grund, warum wir an dem Prinzip
„Breite vor Tiefe“ so bestimmt festgehalten haben. Es ist
nämlich wie in der Wirtschaft: Gehen Fähigkeiten erst
einmal verloren, benötigt man umso mehr Geld, Kraft
und Anstrengungen, um diese wieder aufzubauen. Hier
waren wir vorausschauend. Wir können nun auf Fähig-
keitskerne zurückgreifen, die gegebenenfalls, je nach
Lage, auch wieder aufwachsen können. Diese Maßnah-
men treffen wir nicht, weil wir eine größere Armee ha-
ben wollen, sondern diese Maßnahmen treffen wir, weil
wir eine Armee brauchen, die stets die richtigen Antwor-
ten auf die jeweilige Sicherheitslage geben muss.

Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr wollen wir
zwei besondere Punkte abbilden: Zum einen wollen wir
die Bundeswehr so aufstellen, dass wir den jeweiligen
aktuellen sicherheitspolitischen Anforderungen optimal
begegnen können, und zum anderen wollen wir die Bun-
deswehr so breit aufstellen, dass wir uns immer flexibel
auf veränderte Lagen einstellen können. Auf das aggres-
sive Vorgehen Putins in der Ukraine, wo auch mit Solda-
ten und auch gepanzerten Fahrzeugen der Westen und
das Land erpresst werden sollen, müssen wir eine ent-
schlossene Antwort haben, die glaubhaft untermauert ist.
Denn nur eine glaubhafte, entschlossene Stärke ermög-
licht den Verhandlungsraum für diplomatische Lösun-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir die umfangreichen russischen Streitkräfte
betrachten, müssen wir feststellen, dass wir wohl doch
mehr gepanzerte Fähigkeiten im Heer vorhalten sollten
als gedacht. Denn die Abwehrfähigkeit der NATO ist
immer der Grundpfeiler gewesen. Russland hat in der
Vergangenheit offensichtlich nicht abgerüstet, sondern
eher modernisiert und ist damit auch in der Lage, mit
Großverbänden aktiv zu werden. Das Gleiche gilt übri-
gens für die Marine wie auch für die Luftstreitkräfte.

Die Steigerung unserer eigenen Fähigkeiten ist zu die-
sem Zeitpunkt auch deswegen noch möglich, da die neue
Struktur noch nicht in allen Teilen eingenommen ist. Wir
wollen eigene Fähigkeiten in das europäische Konzert
eingeben, aber ohne dass wir sie national aufgeben. Das
heißt, wir wollen ein Zusammenwirken der Streitkräfte
in Europa durch Zurverfügungstellung von einzelnen ab-
gestimmten Fähigkeiten, also eine Stärkung der europäi-
schen Komponente durch einzeln bereitgestellte Kernfä-
higkeiten. Das bedeutet aber auf keinen Fall, dass wir im
Sinne einer noch weit entfernten europäischen Armee
einzelne Fähigkeiten in Deutschland aufgeben können
oder dürfen oder uns in Abhängigkeit anderer Nationen
begeben. Zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt hat auch
noch kein Partnerland ein konkretes Angebot gemacht,
entsprechende Fähigkeiten von uns zu übernehmen. Hier
ist eine klare Realpolitik gefragt.

Wenn man sich ansieht, wer heute die modernsten
Kampfpanzer hat, stellt man fest: Es sind die Griechen.
Ich bin der Meinung, dass Deutschland selbst diese Fä-
higkeit und diese Komponente behalten muss. Das gilt
auch für andere Fähigkeiten wie zum Beispiel die Luft-
und Seeraumüberwachung und die ABC-Abwehr. Jegli-
che Stärkung – das sei gesagt – ist dabei gut, jegliche
Schwächung dagegen nicht zu verantworten, zumindest
nicht für die Union.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen das
Konzept der Neuausrichtung voranbringen. Wir werden
es erfolgreich praktizieren, weil es sich auch in den Ein-
sätzen als die richtige Variante darstellt. Wir werden aber
nicht darum herumkommen, die Streitkräfte in einzelnen
Bereichen so anzupassen, dass wir die innere und äußere
Sicherheit gewährleisten können. Das wird vielleicht
nicht günstiger, vielleicht nicht angenehmer. Aber ich
will nicht, dass die Scharia-Polizei bzw. Ableger des IS
in Deutschland unterwegs sind und dass wir Anschläge
erleiden müssen. Deshalb muss es uns gelingen, Krisen-
herde dort einzudämmen, wo sie entstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Wo Sie sie aufgemacht haben!)


Mit der Bundeswehr muss Deutschland innerhalb des
Bündnisses in der Lage sein, unsere Sicherheitsbedürf-
nisse durchzusetzen, damit das Recht dem Unrecht nicht
weichen muss, weil sonst die Probleme auf uns zukom-
men. Der beschriebene Terrorismus ist expansiv und
missionarisch ausgerichtet. Nur die Bundeswehr ist in
der Lage, schnell und umfassend auch in umkämpften
Gebieten Menschen zu helfen. Dafür brauchen wir das
gesamte Spektrum der Fähigkeiten. Wir müssen im
Querschnitt modern ausgerüstet sein. Es kann nicht sein,
dass wir erst bei Einsätzen anfangen, die notwendige





Henning Otte


(A) (C)



(D)(B)

Modernisierung umzusetzen. Hier ist im investiven Be-
reich des Etats zumindest in 2016 nachzubessern.

In diesem Zusammenhang sollten wir auch dafür sor-
gen, dass die Fähigkeiten, die wir abbilden, zu 100 Pro-
zent zur Verfügung stehen. Ein Zustand, in dem wir
Truppenteile haben, die nicht über das notwendige Gerät
verfügen, oder in dem Teile in Deutschland unterwegs
sind, die wir bei einer Bedrohungslage erst zusammenfü-
gen müssen, kann nicht verantwortungsvoll sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Verteidigungs-
etat hat nach der deutschen Einheit stets einen wesentli-
chen Beitrag zum allgemeinen Haushalt geleistet. Allein
seit 2004 sind 3 Milliarden Euro weniger Investitionen
getätigt worden, weil geplante Vorhaben nicht durchge-
führt wurden und stattdessen als Beitrag zu den laufen-
den Einsätzen herhalten mussten. Auf die Dauer ist das
für die Substanz der Streitkräfte nicht gut. Hierauf müs-
sen wir eine Antwort finden, um die Abwehr- und Bünd-
nisfähigkeit aufrechtzuerhalten und damit die Abwehr-
bereitschaft zu erhöhen.

Was der Einzelplan 14 braucht, ist keine Kürzung in
der Zielgeraden, sondern Planungssicherheit und die
Möglichkeit, in allen Bereichen genügend Mittel zur
Verfügung zu haben.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht an Ihre eigenen Haushälter, oder?)


Das Wichtigste ist das Personal. Wir dürfen nicht verges-
sen, dass hinter allen Einsätzen Soldatinnen und Solda-
ten, Beamtinnen und Beamte und vor allem deren Fami-
lien stehen. Sicherlich ist die Modernität des Geräts ein
Motivationsfaktor. Gutes Material mildert aber auch die
Folgen der Einsätze ab und schützt. Auch hier müssen
wir nachhaltig investieren, auch in die Attraktivität. Die
Bedrohung ist grundlegend anders als noch vor einem
Jahr. Lassen Sie uns bei alldem beachten: Hinter all den
Zahlen stehen Menschen, die schützen und die geschützt
werden müssen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805011400

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die

Kollegin Inge Höger.

(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805011500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letzte

Woche traf sich die NATO in Wales zu ihrem Kriegsrat.
Ich habe mit Aktivistinnen und Aktivisten der britischen
und der internationalen Friedensbewegung an den Pro-
testen gegen diese Konferenz teilgenommen.


(Beifall bei der LINKEN)

Leider gab es sehr viele Gründe für Protest. Denn neben
dem verbalen Säbelrasseln – das kennen wir ja schon –
gab es konkrete Verabredungen für eine weitere Aufrüs-
tung des Bündnisses.


(Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Allein die Vorgabe, dass die Mitgliedstaaten 2 Pro-
zent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär ausgeben
sollen, ist völlig inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Das würde für Deutschland eine Aufstockung der Aus-
gaben von zurzeit etwa 32 Milliarden Euro auf 56 Mil-
liarden Euro bedeuten. Das wäre eine haushaltspoliti-
sche Katastrophe. Aber ein lautes und deutliches Nein
der Bundesregierung oder auch von Frau von der Leyen
gegen diese Zumutung habe ich bisher nicht gehört.

Ebenfalls nicht gehört habe ich ein Nein zur Atom-
aufrüstung. Die geplante Modernisierung der Atomwaf-
fen wird auch von Deutschland mitbezahlt. Die in Bü-
chel stationierten US-Atombomben müssen abgezogen
und entsorgt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Einen Ersatz durch neue, moderne Massenvernichtungs-
waffen darf es nicht geben.

Der renommierte US-Politikwissenschaftler John
Mearsheimer machte vor kurzem klar, dass die Darstel-
lung, Russland sei der maßgebliche Verursacher der
Ukraine-Krise, schlicht falsch ist.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Er wies auf die NATO-Osterweiterung als Wurzel des
Konfliktes hin. Diese verfehlte Ostpolitik setzt die
NATO mit ihren Beschlüssen von Wales fort. Sicherheit
lässt sich nicht gegen, sondern nur mit Russland herstel-
len.


(Beifall bei der LINKEN)


Säbelrasseln und Aufmärsche helfen dabei nicht weiter.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer macht denn Aufmärsche?)


Denken Sie nun nicht, ich sei blind gegenüber der rus-
sischen Politik. Als Abrüstungspolitikerin halte ich die
Sezession der Krim für mehr als bedenklich.


(Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Immerhin! – Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Annexion!)


Aber man muss immer beide Seiten sehen, um das beur-
teilen zu können. Und die Politik der NATO eröffnet
keine gemeinsame Friedensperspektive. Sie verstärkt
eine neue Blockkonfrontation. Ein Zurück zu einem Ent-
spannungsprozess geht nicht mit dem Ausbau von neuen
Militärbasen im Osten.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber das wurde nun von der NATO beschlossen. Das ist
ein völlig falsches Signal.

Lassen Sie es mich deutlich sagen: In Wales wurde
der Bruch der NATO-Russland-Akte vorbereitet oder zu-
mindest perspektivisch ermöglicht. Die neuen Militärba-
sen sollen zwar dauerhaft nur mit einer überschaubaren
Anzahl von einigen Hundert Militärangehörigen besetzt
werden, aber sie sollen die Infrastruktur und die Aus-
rüstung für wesentlich größere Einheiten bereithalten.
Damit schafft sich die NATO die Möglichkeit, größere





Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)

Einheiten nach Osten zu verlegen. Anstatt neue Militär-
basen auszubauen, sollte sie besser die bereits existieren-
den schließen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Das wird ja immer schlimmer!)


Auch die geplante neue und angeblich superschnelle
Eingreiftruppe ist garantiert kein Schritt zur Deeskala-
tion. 4 000 bis 5 000 Soldatinnen und Soldaten sollen in
dieser neuen Speerspitze für Interventionen zusammen-
gefasst werden, und sie sollen innerhalb weniger Tage
einsatzbereit sein. Wie das mit dem Parlamentsbeteili-
gungsgesetz übereinstimmen kann, frage ich mich. Die
Linke spricht sich gegen jede Kriegsvorbereitung und
gegen die Einschränkung der Rechte des Parlaments aus.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Sie dient der Verteidigung, nicht dem Angriff!)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch zum Thema
Drohnen kommen. Frau Ministerin, Sie haben zu Beginn
des Sommers gegenüber den Medien erklärt, dass Sie
der Überzeugung seien – Zitat –,

dass wir in die Entwicklung einer europäischen be-
waffnungsfähigen Drohne einsteigen müssen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Es wundert Sie sicherlich nicht, dass ich diese Überzeu-
gung nicht teile. Weltweit sind schon 80 Staaten im Be-
sitz von Drohnen. Viele davon erwägen die Entwicklung
von Kampfdrohnen oder haben bereits damit begonnen.
Die New York Times warnte vor kurzem vor einem Rüs-
tungswettlauf in diesem Bereich. Glaubt hier wirklich je-
mand, dass die Existenz von noch mehr Kampfdrohnen
dazu führt, dass das Völkerrecht besser geachtet wird
oder dass diese Tötungsmaschinen dann seltener und
verantwortungsvoller eingesetzt werden? – Sie wissen,
dass damit nicht zu rechnen ist. Im Gegenteil, die
Schwellen in einen Krieg werden so immer weiter ge-
senkt. Wer wirklich die Zivilisation gegen die Barbarei
verteidigen will, der muss sich für einen sofortigen Aus-
stieg aus dieser Technologie einsetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen eine globale und völkerrechtlich bin-
dende Ächtung von Kampfdrohnen. Ich möchte alle die-
jenigen, die sich gegen Drohnen und für Frieden einset-
zen wollen, auffordern, sich am 4. Oktober am Globalen
Aktionstag gegen Kampf- und Überwachungsdrohnen
zu beteiligen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die zentrale Lehre aus dem Grauen des Ersten und
des Zweiten Weltkrieges ist und bleibt die Forderung:
Nie wieder Krieg!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805011600

Als nächste Rednerin, liebe Kolleginnen und Kolle-

gen, hat die Kollegin Karin Evers-Meyer von der SPD
das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Karin Evers-Meyer (SPD):
Rede ID: ID1805011700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind uns in der Koalition einig: Wir wollen 2015
keine neuen Schulden machen. Wir wollen, dass
Deutschland in schwierigen Zeiten ein Stabilitätsanker
in Europa bleibt. Und wir wollen keine neuen Schulden
zulasten unserer Kinder und Enkel. Wir wollen natürlich
auch deswegen keine neuen Schulden machen, weil wir
uns für die Zukunft Handlungsspielräume erhalten wol-
len, die wir sicherlich auch im Verteidigungsetat noch
brauchen. Wir haben uns also in der Koalition auf einen
Keine-neue-Schulden-Pakt verständigt. Selbstverständ-
lich wird auch der Verteidigungsetat dazu seinen Beitrag
leisten. Das nur einmal vorweg, liebe Kolleginnen und
Kollegen.

Das bedeutet aber nicht, dass wir vor den bestehenden
und künftigen finanziellen Notwendigkeiten im Verteidi-
gungsetat die Augen verschließen. Ganz im Gegenteil,
der vorliegende Haushaltsentwurf bietet auch heute
schon Spielraum dafür, Dinge besser zu machen: für die
Bundeswehr genauso wie für die Soldatinnen und Solda-
ten und die Zivilbeschäftigten, die ihren Dienst dort
versehen. Dass viele Dinge besser werden müssen, da-
rüber sind wir uns mit den Kollegen aus dem Fachressort
weitgehend einig.

Es muss investiert werden in die Bundeswehr: in die
Beschäftigten – Stichwort: Attraktivität – und natürlich
auch dringend ins Material. Das geht los bei Zulagen,
Beförderungsmöglichkeiten und Ruhestandsbezügen, es
geht weiter bei der persönlichen Ausrüstung, zieht sich
hin über den zum Teil wirklich erbärmlichen Zustand
von Kasernen und anderen Liegenschaften und landet
schließlich bei großen Beschaffungsprojekten. Wir sind
uns über den Bedarf in diesen Bereichen, jedenfalls im
Grundsatz, einig, auch über die Regierungskoalition
hinaus.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die meisten
von uns sind lange genug im Verteidigungsressort unter-
wegs, um zu wissen, dass wir da nicht nur und auch
nicht in erster Linie über Probleme sprechen, die man
mit mehr Geld allein lösen kann. Aus diesem Grund er-
warte ich zumindest von denjenigen, die sich intensiver
mit Verteidigungspolitik beschäftigen, dass sie das auch
so klar und differenziert in der Öffentlichkeit sagen.
Mehr Geld allein wird die zum Teil gravierenden Pro-
bleme im Verteidigungsbereich nicht lösen. Wer heute
nach dem Motto „Wir nutzen jetzt einmal die Gunst der
Stunde, um eine Schippe draufzulegen“ argumentiert,
der macht es sich nicht nur viel zu einfach, sondern
verplempert schlicht und ergreifend das Geld der Steuer-
zahler, verehrte Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Soldatinnen und Soldaten heute völlig zu Recht
ihr Leid klagen, weil irgendein Ausrüstungsgegenstand
nicht zur rechten Zeit am rechten Ort verfügbar ist, dann
ist das Problem nicht immer nur darin zu suchen, dass





Karin Evers-Meyer


(A) (C)



(D)(B)

kein Geld da ist. Das Problem ist oft genug, dass entwe-
der der Beschaffungsprozess wilde Blüten treibt oder das
benötigte Teil gerade genau da ist, wo es gerade nicht
gebraucht wird. Die heruntergekommenen Liegenschaf-
ten, in denen hochmoderne U-Boote für 500 Millionen
Euro das Stück liegen, sind ein Trauerspiel, aber eben
keines, das sich nur ums Geld dreht. Die Frage ist viel-
mehr, warum vorhandenes Geld nicht abgerufen wird
und die notwendigen Aufträge nicht endlich rausgehen.

Damit komme ich quasi nahtlos zum größten Bro-
cken, nämlich zu den großen Beschaffungsprojekten un-
serer Zeit. Da muss ich einmal aus einem Rahmenerlass
zur Neuordnung des Rüstungsbereiches zitieren, den
Verteidigungsminister Helmut Schmidt Anfang der 70er-
Jahre in Kraft gesetzt hat – ich finde das wirklich sehr
spannend –:

Bei einer Reihe von Rüstungsprojekten … waren
erhebliche Verzögerungen, unangenehme Kosten-
steigerungen und beachtliche technische Fehlleis-
tungen aufgetreten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann
eigentlich nur sagen: Willkommen zurück in der Gegen-
wart! Aus dem Haushalt 2013 war über 1 Milliarde Euro
nicht abgeflossen, aus dem Haushalt 2014 wird voraus-
sichtlich knapp 1 Milliarde Euro nicht abfließen, und
man braucht kein Prophet zu sein, um für 2015 fast das
Gleiche zu prognostizieren. Der Grund dafür ist: Be-
stellte Rüstungsgüter werden nicht oder nicht pünktlich
oder nicht so, wie bestellt, ausgeliefert.

Bei allem Verständnis für die Komplexität des Pro-
blems: Wie soll der Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages denn mit so etwas umgehen? Wie sollen
wir damit umgehen, dass solche Summen einfach nur so
umherschwirren? – Das kann man nicht akzeptieren.
Deswegen gilt: Bevor wir über Geld sprechen, und erst
recht, bevor wir über mehr Geld sprechen, muss aufge-
räumt werden. Es gibt Probleme im System, und da nützt
es nichts, mehr Geld obendrauf zu schütten.


(Beifall bei der SPD)


Voraussetzung für Wahrheit und Klarheit im Verteidi-
gungshaushalt ist heute vor allem Wahrheit und Klarheit
innerhalb der Beschaffungsprozesse im BMVg. Das
Bundesministerium der Verteidigung hat angekündigt,
dass genau dafür gesorgt werden soll. Das ist sehr gut,
und wir unterstützen das. Wir erwarten also in Kürze ei-
nen Bericht zur Klarlage. Dann wissen wir, was an Gerät
da ist und was davon einsatzbereit ist. Wir erwarten in
Kürze auch den Bericht des von der Ministerin einge-
setzten Prüfkonsortiums. Dann müssen endlich Ent-
scheidungen auf den Tisch. Es muss dann ein klarer
Fahrplan auf den Tisch, in dem steht, was beschafft wer-
den soll, was wir brauchen und wofür, wie beschafft
werden soll und mit wem wir das vielleicht gemeinsam
beschaffen können. Insofern gibt es tatsächlich eine
Gunst der Stunde. Es ist aber nicht die Stunde des finan-
ziellen Aufwuchses – die Ministerin hat das ja eben auch
sehr deutlich gesagt –, es ist vielmehr die Stunde saube-
rer Grundlagenarbeit.
Sie, Frau Ministerin, haben die Chance, nach vielen
vertanen Jahren, für die Sie natürlich nicht haften, ver-
nünftige, transparente Prozesse zu etablieren, damit das
Geld, das da ist, intelligent und effizient investiert wer-
den kann. Sie haben jetzt die Chance, mit der Industrie
ein offenes Wort über Kosten, über die Einhaltung von
Fristen und natürlich auch über die Einhaltung von tech-
nischen Anforderungen zu sprechen; denn natürlich ist
auch die Industrie ein Teil des Problems. Sie haben jetzt
auch die große Chance – auch vor dem Hintergrund des
NATO-Gipfels in Wales –, sich die richtigen Partner zu
suchen, mit denen wir Beschaffungsprojekte vielleicht
gemeinsam stemmen können.

Ich erwarte vom angekündigten Beschaffungskonzept
des Ministeriums mehr als Ideen für ein Framework. Wir
wollen klare europäische und internationale Optionen.
Geben Sie den Startschuss für echte europäische Be-
schaffungsszenarien! In diesem Zusammenhang danke
ich dem Wirtschaftsminister dafür, dass er gerade das
Thema „Europäische Perspektiven der Rüstungsindus-
trie“ auch von seiner Seite aus anpackt.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum
Schluss noch ein paar Worte direkt an die Soldatinnen
und Soldaten richten. Ich betreibe schon lange Verteidi-
gungspolitik und weiß aus unzähligen Gesprächen, wo
Dinge schieflaufen und wo Ihnen die Sorgen unter den
Nägeln brennen. Das Gleiche gilt für meine Kolleginnen
und Kollegen im Haushalts- und im Verteidigungsaus-
schuss. Seien Sie sicher: Wir gehen nach bestem Wissen
und Gewissen und mit hoher Verantwortung mit Ihren
Sorgen um. Wir haben die feste Absicht, auch im Rah-
men der Haushaltsverhandlungen für den Haushalt 2015,
dafür zu sorgen, dass Sie weiterhin einen guten Job ma-
chen können und dass sich Ihre Arbeit für Sie und Ihre
Familien auszahlt. Wir sind stolz auf unsere Parlaments-
armee, und wir sind stolz auf die Bundeswehr und auf die
Arbeit, die Sie dort jeden Tag an vielen Orten der Welt
leisten. Dafür danke ich Ihnen auch heute wieder.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805011800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Redne-

rin hat die Kollegin Agnieszka Brugger von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es er-
greifen uns große Bestürzung und Erschütterung ange-
sichts der zahlreichen eskalierenden Konflikte und bluti-
gen Kriege im Irak und in Syrien, im Nahen Osten, in
der Ukraine, aber auch in der Zentralafrikanischen
Republik und im Südsudan, auch wenn wir davon heute
nicht mehr so viel in den Medien lesen wie noch vor ein
paar Monaten. Und auch die Entwicklungen in Staaten
wie Mali und Afghanistan geben großen Anlass zur
Sorge. Diese Krisen stellen die Weltgemeinschaft, die
Vereinten Nationen, die Europäische Union und natür-
lich auch Deutschland vor schwierige Fragen: Was





Agnieszka Brugger


(A) (C)



(D)(B)

können und was müssen wir tun, um Leid zu mindern,
die Zivilbevölkerung zu schützen und Gewalt einzudäm-
men?

Es gibt keine schnellen und keine einfachen Antwor-
ten und auch kein Patentrezept, das für jede Krise passt.
Ich glaube, vieles muss auch neu und ernsthaft diskutiert
werden. Wo und mit welcher politischen Gesamtstrate-
gie, mit welchen Zielen und Mitteln engagiert man sich,
auch rückblickend und auf Basis einer kritischen Evalua-
tion der Einsätze der letzten Jahre? Welche Rolle kommt
in diesen Strategien der Bundeswehr zu? Wo und unter
welchen eng begrenzten Bedingungen ist militärisches
Eingreifen erforderlich und sinnvoll, wo ist es kontra-
produktiv, wo sind die Grenzen und Risiken? Was heißt
das für den Fortgang der Bundeswehrreform? Über
welche Fähigkeiten muss die Bundeswehr in welchem
Ausmaß verfügen, und auf welche muss sie deshalb viel-
leicht verzichten?

Diese vielen Fragen sollten eigentlich das Fundament
für den Haushalt, den wir heute hier diskutieren, bilden.
Angesichts des Verlaufs der bisherigen Debatte habe ich
nicht das Gefühl, dass wir diesen Fragen in ausreichen-
der Form gerecht geworden sind. Ich stelle auch sehr
unterschiedliche Meinungsäußerungen aus der Koalition
fest. Sie zerlegen sich gerade, statt hier um ernsthafte
Antworten zu ringen. Ich glaube, das wird der dramati-
schen Lage nicht gerecht und ist unverantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Otte und Herr Hahn von der Union fordern jetzt
mehr Panzer und eine Erhöhung des Verteidigungsetats,
dessen Volumen schon jetzt bei über 30 Milliarden Euro
liegt. Sie verabschieden sich damit nicht nur von dem
Haushalt, den Ihre eigene Bundesregierung vorgelegt
hat, sondern auch von der Bundeswehrreform der letzten
Jahre. Sie wissen doch sehr genau, dass auch im letzten
Jahr über 1 Milliarde Euro wegen der riesigen Probleme
im Beschaffungsbereich nicht ausgegeben wurden und
dass wir noch weit davon entfernt sind, diese Probleme
als gelöst zu bezeichnen.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Doch!)


Gleichzeitig glauben Sie, Herr Otte, doch nicht ernst-
haft das, was Sie gerade hier vorgetragen haben, dass
nämlich der Rückfall in die Kalte-Kriegs-Logik in ir-
gendeiner Art und Weise einen Beitrag zur Lösung des
Konfliktes und der Krise in der Ukraine ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das, was Sie hier fordern, ist finanzpolitisch und sicher-
heitspolitisch schlicht und ergreifend irrsinnig.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Sehr gut! – Henning Otte [CDU/CSU]: Dann haben Sie ja gar nicht zugehört!)


Auch die Kanzlerin und der Koalitionspartner SPD
widersprechen Ihnen hinsichtlich der Forderung nach
Erhöhung des Einzelplanetats. Auch die zuständige Ver-
teidigungsministerin kommentierte ihren eigenen Haus-
halt am Wochenende mit einem „vielleicht“. Man müsse
jetzt erst einmal schauen, wie viel eigentlich all das
koste, dem man beim NATO-Gipfel in Wales schon zu-
gestimmt habe.

Meine Damen und Herren, statt einer ernsthaften
Debatte offenbart mir diese chaotische Diskussion, dass
Sie eben kein Konzept und keine durchdachte und kluge
Sicherheitspolitik haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, man kann Ihnen eines sicherlich
nicht vorwerfen, nämlich dass Sie seit Ihrem Amtsantritt
untätig geblieben seien. Im Gegenteil: Sie haben wirk-
lich sehr viele Meldungen und Auftritte in den Medien
produziert. Unterm Strich stellt sich dabei aber immer
wieder die Frage: Was ist dabei herausgekommen? Folgt
der Show dann auch Substanz?

Nehmen wir das Beispiel Waffenlieferungen. Nach
wie vor schulden Sie uns eine Antwort auf die Frage,
welcher Großverband der Peschmerga genau die Waffen
bekommen soll, die Sie dorthin liefern wollen. Wir
haben auch nicht erfahren, was andere Nationen liefern.
Das ist eine wichtige Information, um zum Beispiel das
Proliferationsrisiko einzuschätzen.

Wir erfahren aus den Medien, dass Deutschland jetzt
Teil einer Koalition ist, die die USA angestoßen hat und
die ISIS bekämpfen soll. Bis heute wissen wir aber
nicht: Was ist unser genauer Beitrag? Welcher Strategie
folgt das Ganze? Welche Rolle spielen dabei die Nach-
barstaaten in der Region, die ganz wichtig sind, wenn
man nur in irgendeiner Art und Weise zur Lösung dieses
Konflikts beitragen will?

All diese Fragen müssen geklärt und beantwortet wer-
den. Stattdessen haben Sie sich eher als tatkräftige
Ministerin dargestellt, der es vor allem darum geht, ein
Tabu zu brechen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir erinnern uns auch alle an den großen Medienrum-
mel um das Thema Vereinbarkeit von Familie und
Dienst bei der Bundeswehr. Nach wie vor bleiben Sie
uns hier viele Antworten schuldig. Wir haben erhebliche
Zweifel, ob es am Ende wirklich gelingt, die Vereinbar-
keit von Familie und Dienst zu verbessern, ob das auch
finanziell unterlegt ist. Aber die Hochglanzbroschüre
mit dem Titel „Aktiv. Attraktiv. Anders.“ ist schon lange
entworfen und verteilt. Nur auf das Artikelgesetz zum
Attraktivitätsprogramm warten wir seit Monaten.

Eine ähnliche Geschichte gab es in der Frage der Rüs-
tungsdesaster. Wutentbrannt über das Chaos in Ihrem
Haus haben Sie einen Staatssekretär und den zuständi-
gen Abteilungsleiter verabschiedet und 15 Projektstatus-
berichte in Bausch und Bogen abgelehnt. Sie haben dann
einen Auftrag an eine Unternehmensberatung vergeben.
Diese sollte Ihnen dabei helfen, diese 15 kritischen
Rüstungsprojekte und die Strukturen im Ministerium
grundsätzlich zu durchleuchten. Dann aber räumt Ihr
Ministerium kleinlaut ein, dass wegen des zeitlichen und
finanziellen Umfangs des Auftrages völlig willkürlich
nur noch neun Projekte geprüft werden. Frau Ministerin,
es sieht auch hier nicht danach aus, dass Sie es schaffen,





Agnieszka Brugger


(A) (C)



(D)(B)

Ihre Versprechen umzusetzen. Es muss aber endlich
Schluss sein damit, dass im Verteidigungsbereich
Steuergeld in dieser Form dermaßen verschleudert und
verschwendet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch ein viertes Beispiel anführen: Ein
paar Monate später sind Sie in die USA gereist und ha-
ben dort die Vereinten Nationen besucht. Sie haben ein
stärkeres deutsches Engagement innerhalb der Vereinten
Nationen angekündigt. Aber bis heute haben wir nicht
einen einzigen konkreten Vorschlag dazu gesehen, wie
das eigentlich umgesetzt werden soll. Alles was passiert
ist, ist, dass wir uns weniger stark an der UN-Mission in
Mali beteiligen. Ich muss Ihnen sagen: Das ist ja ein
richtiger Gedanke, aber wir erwarten, dass Ihren Ankün-
digungen an dieser Stelle auch Taten folgen.

Frau von der Leyen, allzu oft schrumpfen die Ankün-
digungen, die Sie im Scheinwerferlicht machen, bei Ta-
geslicht dann doch auf sehr mickrige Ergebnisse zusam-
men.

Meine Damen und Herren, wir von der Opposition
würden wirklich gerne mit Ihnen über die schwierigen
Fragen und die Herausforderungen für die deutsche Au-
ßen- und Sicherheitspolitik diskutieren. Aber dazu soll-
ten Sie erst einmal dieses koalitionäre Gezänk beenden,
einen soliden Haushalt vorlegen und die Substanz vor
die Show stellen. Denn die Krisen auf dieser Welt erfor-
dern kluge und durchdachte Antworten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So machen wir das auch!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805011900

Als nächster Redner hat der Kollege Ingo Gädechens

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingo Gädechens (CDU):
Rede ID: ID1805012000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor
der sitzungsfreien Zeit hatten wir eine angeregte Haus-
haltsdebatte für das jetzige Haushaltsjahr, und heute
folgt – fast nahtlos daran anschließend – die Haushalts-
debatte für das kommende Jahre 2015.

Wer noch einmal aufmerksam die Reden, die hier in
diesem Haus vor wenigen Wochen gehalten wurden,
liest, stellt fest, wie schnelllebig die Zeit ist, wie fragil
sicher geglaubte Strukturen sind und wie labil sich ak-
tuell die Sicherheitslage in der Welt zeigt.

Traditionell geht es heute in der ersten Lesung um den
Haushalt für das kommende Jahr. Aber die Sondersit-
zung in der vergangenen Woche hat uns bereits deutlich
vor Augen geführt: Überall auf der Welt lodern Krisen-
herde auf. Nicht nur die bedrückende Situation in der
Ukraine treibt uns mit Sorge um und veranlasst die Re-
gierung der freien Völker zum Handeln, sondern mit
großer Sorge blicken wir auch wieder Richtung Gaza-
streifen und auf die Sicherheit Israels. Fassungslos bli-
cken wir auf islamistischen Terror und Hass, der sich in
Teilens des Iraks und Syriens breit gemacht hat. Wir
schauen auch auf Libyen und auf das humanitäre Elend
in Afrika.

Wer von uns, meine Damen und Herren, hätte ge-
dacht, dass wir in einem Glaubenskrieg Gräueltaten se-
hen, die mehr an das Mittelalter erinnern als an das
21. Jahrhundert? Wir alle sind gezwungen, mehrere Kri-
senherde gleichzeitig zu bewerten, um diese gemeinsam
mit unseren Verbündeten einzudämmen und ihnen entge-
genzuwirken.

Wir dürfen nicht darauf hoffen – leider nicht –, dass
die Vernunft mehr und mehr um sich greift und die Men-
schen überall auf der Welt endlich auf Krieg und Gewalt
verzichten. Dies wäre nicht nur politisch naiv, sondern
würde die gegenwärtige Realität in der Welt ignorieren.
Der NATO-Generalsekretär – nur noch wenige Tage im
Amt – hat die prekäre Situation beim Gipfeltreffen wie
folgt beschrieben:

Unsere Allianz ist eine kleine sichere, stabile und
gedeihende Insel, die von Krisen umgeben ist.

Natürlich machen die Krisen deutlich, wie hoch der
eigentliche Stellenwert des Nordatlantischen Bündnisses
ist. Auf dem NATO-Gipfel in Wales wurden die derzei-
tige Lage und die künftigen Herausforderungen klar be-
nannt: Bündnisverteidigung rückt somit nach Jahren ei-
ner gewissen Vernachlässigung wieder stärker in den
Mittelpunkt des Handelns. Genauso wichtig ist in der
jetzigen Lage, dass wir alle im Kopf ein gut Stück auf-
wachen und konsequent handeln. Niemand, meine sehr
verehrten Damen und Herren, wünscht sich kriegerische
Eskalation, aber Deutschland darf nicht wegschauen,
wenn an Europas Grenzen Völkerrechtsbruch, Krieg und
Völkermord geschehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aus diesem Grund begrüße ich die aktuelle Entschei-
dung, entgegen bisheriger Normen in begrenzter Form
auch Waffenlieferungen in Krisengebiete zu erlauben.
Dies wird sicherlich die Ausnahme bleiben, und aus
meiner Sicht bleibt eine gute Diplomatie die wichtigste
Waffe, um Krisenherde in der Welt einzudämmen.

Auch hierfür gebühren den Handelnden in der Regie-
rung, der Bundeskanzlerin und dem Außenminister, aber
insbesondere unserer Verteidigungsministerin – sie kann
nicht alles allein machen – ein herzliches Dankeschön
und ein großes Lob für all ihre deeskalierenden Gesprä-
che mit den Bündnispartnern, um die Krisenherde in der
Welt einzudämmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutschland sieht nicht tatenlos zu, wenn an Europas
Grenzen Gräueltaten geschehen. Ebenso begrüße ich die
in Wales getroffene Entscheidung, eine NATO-Eingreif-
truppe mit hoher Einsatzbereitschaft und einem Haupt-
quartier in Osteuropa aufzustellen. Wir brauchen als
Antwort auf die um sich greifende Aggression eine ver-





Ingo Gädechens


(A) (C)



(D)(B)

besserte Reaktionsfähigkeit der NATO. Auch diese Maß-
nahme wird Geld kosten. Darauf sollten wir uns jetzt
schon einstellen.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das haben sie vor 100 Jahren auch erzählt!)


Meine Damen und Herren, jede Krise erfordert ein
abgestimmtes, kluges und gerade jetzt auch ein ent-
schlossenes Vorgehen. Sie aber grummeln jetzt herum,
und Sie, Frau Höger, haben gerade gesagt, man müsse
Russland mit anderen Augen betrachten und man müsse
beide Seiten sehen.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Wer hat denn mit den Manövern angefangen?)


Zum jetzigen Zeitpunkt werden Atomtests durchgeführt,
und zwar nicht von der NATO und nicht von Amerika,
sondern in Russland, und weitere sind geplant. Das sind
Aggressionen, und das sind Zeichen, die nicht auf Frie-
den hindeuten. Das sollten Sie lieber registrieren, statt
hier vom Rande aus herumzugrummeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das NATO-Manöver haben wir gemacht! Sanktionen!)


Meine Damen und Herren, jede Krise erfordert ein
abgestimmtes, kluges und gerade jetzt auch ein ent-
schlossenes Vorgehen. Die Sanktionen gegen Russland
waren Gegenstand kritischer Diskussion. Denn Sanktio-
nen erzeugen oftmals Gegensanktionen, und Handelsbe-
schränkungen treffen gerade auch unsere exportabhän-
gige Wirtschaft in besonderer Weise. Dennoch dürfen
wir nicht den Fehler begehen, uns nur an ökonomischen
Fakten zu orientieren. Die Bundesregierung handelt be-
sonnen und mit Bedacht. Das Handeln Russlands in der
Krise ist hingegen absolut inakzeptabel. Russland, insbe-
sondere Präsident Putin, hat den Schalthebel zur Kon-
fliktbewältigung in der Ukraine in den Händen. Solange
dieser Schalthebel nicht auf Deeskalation gestellt wird,
ist zunehmender Druck auf Russland notwendig.

Auch und gerade vor dem Hintergrund dieser weltpo-
litischen Lage ist der Einzelplan 14 zu bewerten. Im Ver-
teidigungsetat geht es einmal mehr um die finanzielle
Ausstattung. Es geht um das Geld, das wir der Bundes-
wehr, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivi-
len Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung
stellen wollen bzw. können. Es geht um attraktivitätsstei-
gernde Maßnahmen, um Wartung und Instandsetzung,
aber es geht auch um viel Geld, das wir für modernes
Gerät und für den Schutz und die Sicherheit unserer Sol-
daten investieren müssen.

Nahezu alle Redner haben in dieser laufenden Haus-
haltsdebatte das große Ziel beschrieben, das wir gemein-
sam erreichen wollen: Wir wollen auf jegliche neue
Schulden im Haushaltsjahr 2015 verzichten. Ich bin zu-
versichtlich, dass wir dieses Ziel nach 45 Jahren endlich
erreichen werden. Aber der Weg dahin ist so fragil wie
die derzeitige Sicherheitslage in der Welt.

Meine Damen und Herren, die Basis für jede wirt-
schaftliche Entwicklung und soziale Stabilität ist innere
und äußere Sicherheit. Wir sollten das bei all den berech-
tigten Forderungen, die andere Fachbereiche an den
Bundeshaushalt stellen, stets im Blick behalten. Unsere
innere und äußere Sicherheit und der Schutz der Souve-
ränität und Integrität Deutschlands und seiner Verbünde-
ten sind ein enorm hohes Gut.

Wir Verteidigungspolitiker haben sicherlich die bes-
ten Argumente, um mehr Geld für den Einzeletat zu for-
dern. Wir tun das nicht – ich sage leise: wir tun das noch
nicht, liebe Frau Höger –, weil wir der Überzeugung
sind, dass wir im Haushaltsjahr 2015 mit dem zugewie-
senen Etat von 32,2 Milliarden Euro auskommen wer-
den. Aber ich sage auch sehr deutlich: Wir stoßen bereits
jetzt an Schmerzgrenzen. Der Verteidigungshaushalt ist
auf Kante genäht. Finanzielle Spielräume sind nicht
mehr vorhanden. Neue Aufgaben neben den derzeitigen
Aufträgen kann unsere Bundeswehr nicht mehr verkraf-
ten. Denn – auch daran sei noch einmal erinnert – die
Bundeswehr befindet sich neben den Einsätzen in einer
Neuausrichtung, die oft als Operation am offenen Her-
zen beschrieben wurde – nur mit dem Unterschied, dass
der Patient nicht im OP liegt, sondern auf dem Gehweg
läuft.

Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in dieser Um-
bruchphase in zahlreichen Einsätzen im In- und Ausland
wirklich Außerordentliches. Ihnen gilt daher unser ganz
besonderer Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Trotz Abzug großer Kontingente aus Afghanistan und
der erhofften Entlastung der Truppe haben wir bereits
neue Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen.
Ich nenne hier beispielsweise die Operation Active
Fence in der Türkei oder das Air Policing im Baltikum.
Die Zahl der Einsätze wird also absehbar nicht geringer,
genauso wenig wie die Belastungen für Soldaten und
Material. Der Verteidigungshaushalt wird sich – das ist
meine feste Überzeugung – dieser Entwicklung mittel-
fristig anpassen müssen.

Frau Präsidentin, ich weiß, dass Sie das nicht so gerne
mögen. Aber Henning Otte hat die Latte so hochgelegt,
als er die Feuerwehrleute aus Uelzen persönlich begrüßt
hat, dass ich noch sagen möchte: Ich freue mich, dass der
Kreisfeuerwehrverband Ostholstein ebenfalls auf der
Tribüne zugegen ist.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805012100

Die Feuerwehr dürfen Sie immer begrüßen. Auf die

sind wir schließlich angewiesen. Ich mag es aber nicht,
wenn die Redezeit zu sehr überschritten wird, Herr
Gädechens.

Liebe Kollegen, als nächste Rednerin hat jetzt die
Kollegin Gabi Weber das Wort.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Gabi Weber (SPD):
Rede ID: ID1805012200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Heute wurde bereits einiges zur Bundeswehr, ih-
ren Aufgaben und ihrer Ausrichtung gesagt. Besonders
die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten verlan-
gen unsere Aufmerksamkeit. Darauf werde ich aber an
dieser Stelle nicht näher eingehen. Vielmehr möchte ich
darauf hinweisen, dass die Menschen, die alles umsetzen
sollen, was wir von ihnen verlangen, unsere besondere
Aufmerksamkeit verdienen.

Damit komme ich zu dem Thema Attraktivität der
Bundeswehr, das unser aller Anliegen werden muss.
Wenn wir die Attraktivität der Bundeswehr nicht stei-
gern, wird die Bundeswehr auf Dauer nicht in der Lage
sein, das zu tun, was wir von ihr verlangen. Frau Minis-
terin, seit Beginn Ihrer Amtszeit steht das Thema Attrak-
tivität neben dem Beschaffungswesen ganz oben auf Ih-
rer Agenda. Das ist richtig so; denn die Bundeswehr ist
in hohem Maße davon abhängig, gut ausgebildete und
zufriedene Menschen für den Dienst zu gewinnen und
vor allen Dingen auch zu halten. Bereits im Frühjahr ha-
ben Sie dazu eine Debatte angestoßen und erste Schritte
unternommen. Der Haushalt 2015 sieht nun weitere
Maßnahmen auf diesem Gebiet vor. Wir sind willens,
Sie bei Ihrem Vorhaben weiterhin konstruktiv zu unter-
stützen.

Die Vereinbarkeit von Familie und Dienst in der Bun-
deswehr ist ein Anliegen, das wir als SPD schon länger
verfolgen, nicht nur für die Zivilbeschäftigten, sondern
auch für die Soldatinnen und Soldaten. Die Ministerin
hat dazu in den verschiedenen Kapiteln des Verteidi-
gungshaushalts Vorsorge getroffen und stellt finanzielle
Mittel zur Verfügung. Mit diesen sollen unter anderem
eine eigene Beauftragte für die Vereinbarkeit von Fami-
lie und Dienst finanziert und Verbesserungen bei der Be-
treuung von Familien und Kindern erreicht werden. Der
Ansatz von 19,5 Millionen Euro für diesen Zweck ist ein
erster Schritt hin zur Vereinbarkeit. Aber an dieser Stelle
muss noch mehr folgen.


(Beifall bei der SPD)


Es lohnt sich, hinzusehen, was wo in der Bundeswehr
bereits gemacht wurde, welche Best-Practice-Beispiele
es gibt, die Orientierung bieten. Da fällt mir als Erstes
ein, dass die Bundeswehr einen großen Anteil Zivilbe-
schäftigter hat, deren Arbeitszeit ordentlich geregelt ist.
Eine moderne Dienstzeitregelung auch für Soldatinnen
und Soldaten, die ihren Dienst im Grundbetrieb leisten,
inklusive einer Regelung für geleistete Überstunden ist
lange überfällig.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir schon von einer Dienstzeitregelung sprechen,
gehören dazu sicherlich auch Möglichkeiten zur Teilzeit-
arbeit für Soldaten. Wer glaubt, dass nun die alte Häme
vom Teilzeitkrieger oder von Einsätzen, die nur noch
vormittags stattfinden können, angebracht sei, den
möchte ich mit einem Rechenbeispiel nachdenklich
stimmen.

In einer Zielstruktur von 185 000 Soldaten sollen
30 000 jeweils zu einem Zeitpunkt entweder im Einsatz
oder in der Vor- oder Nachbereitung sein können. Also
arbeiten immerhin 150 000 im normalen Grundbetrieb.
Dort ist Teilzeit durchaus möglich.


(Beifall bei der SPD)


Teilzeitarbeit ist auch deswegen wichtig, um Mög-
lichkeiten zu schaffen, die Zeit nach dem persönlichen
Bedarf einteilen zu können – und natürlich auch für die
Familie. Die Menschen von heute wollen mehr Flexibili-
tät und Freiräume, und wenn die Bundeswehr dies anbie-
ten kann, steigert das die Attraktivität des Dienstes und
damit auch die Zufriedenheit unserer Soldatinnen und
Soldaten.

Nicht auf der Strecke bleiben dürfen bei diesem Mo-
dell die Aufstiegsmöglichkeiten auch für Teilzeitbe-
schäftigte. Machen wir uns nichts vor: Auch in Teilzeit
will und kann Mensch Karriere machen. Aber gerade die
Männer sind es, die bei den Teilzeitbeschäftigten zurzeit
noch deutlich in der Minderheit sind, nicht zuletzt aus
Angst davor, dass ihre Leistungen auf dem Weg nach
oben gegenüber den Vollzeitkollegen nicht vergleichbar
berücksichtigt werden.

Zur Attraktivität zählen aber nicht nur die genannten
zentralen Punkte Familie und Dienst, sondern, beim
Thema Karriere, auch ein vernünftiges Berufsbildungs-
und Personalentwicklungskonzept für Soldaten und zi-
vile Mitarbeiter. Ein solches würde auf beiden Seiten für
höhere Planungssicherheit und größere Transparenz bei
Personalentscheidungen sorgen. Im Wettbewerb mit der
freien Wirtschaft um die besten Köpfe ist ein solches
Konzept dringend notwendig. Leider vermisse ich eine
entsprechende Regelung in Ihrem für den Herbst geplan-
ten Artikelgesetz. Unsere Unterstützung hätten Sie an
dieser Stelle, Frau Ministerin.


(Beifall bei der SPD)


Es gibt eine Reihe von Punkten, die ich hier nicht
mehr ausführen kann, wie Homeoffice, Innere Führung
sowie Offenheit gegenüber neuen Technologien. So
sollte WLAN auf Schiffen mittlerweile zur Grundaus-
stattung gehören;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


denn Marinesoldaten leisten dort rund um die Uhr fernab
ihrer Familien einen intensiven Dienst. Skype sollte
ebenso selbstverständlich sein.


(Beifall bei der SPD)


Das Thema Infrastruktur hat meine Kollegin vorhin
schon angerissen. Hier ist noch einiges nachzuholen.
Das Geld ist vorhanden, aber es muss schneller abflie-
ßen, damit auch an dieser Stelle die Attraktivität der
Bundeswehr steigt.

Zwei Dinge möchte ich zum Abschluss noch sagen.
Attraktivität kostet Geld. Deshalb müssen entsprechende
Maßnahmen seriös im Haushalt abgebildet werden. Und:
Die Bundeswehr soll attraktiv für Ältere und Jüngere
sein, nach außen und innen, für bestehendes Personal
und für neue Bewerberinnen und Bewerber. Dabei darf
es aber keine Schlechterstellungen für diejenigen geben,
die bereits bei der Bundeswehr sind.





Gabi Weber


(A) (C)



(D)(B)

Ein letzter Satz. Es werden gut ausgebildete und zu-
friedene Leute gesucht. Die kommen aber nicht einfach
so. Wenn uns am Ende die Leute fehlen, dann brauchen
wir auch nicht über neue und komplizierte Waffensys-
teme nachzudenken; denn dann haben wir niemanden,
der diese bedienen kann.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805012300

Als nächster Redner hat der Kollege Bartholomäus

Kalb das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1805012400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Der Verteidigungsetat – das wurde gesagt –
ist der zweitgrößte Einzelplan im Bundeshaushalt und
damit natürlich von ganz besonderer Bedeutung. Vor der
Sommerpause haben wir auch hier über die Aussagen
des Herrn Bundespräsidenten, aber auch der Frau Bun-
desverteidigungsministerin bei der Münchener Sicher-
heitskonferenz über die gestiegene Verantwortung disku-
tiert. Es gab außerhalb dieses Kreises eine unschöne
Entwicklung auf der Seite der Linken, als ein Parlamen-
tarier aus Potsdam gemeint hat, den Herrn Bundespräsi-
denten in unsäglicher Weise diffamieren zu müssen.

Heute früh hat uns der polnische Staatspräsident sehr
eindringlich gesagt, dass es um eine gemeinsame Verant-
wortung geht. Wenn man von Verantwortung spricht,
dann muss man auch in der Lage sein, diese Verantwor-
tung wahrzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir alle sind weit davon entfernt – auch die Bundes-
ministerin hat es vorhin gesagt –, zu meinen, man wäre
nur mit Verteidigungspolitik und nur mit militärischen
Mitteln in der Lage, diese Verantwortung wahrzunehmen.
Ganz im Gegenteil: Wir in der Koalition sind dankbar,
dass der Außenminister und der Minister für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit auf Diplomatie setzen. Diese und
die humanitäre Hilfe sind Elemente einer Politik, die wir
gemeinsam mit den Möglichkeiten, die wir im Verteidi-
gungsbereich haben, bereitstellen müssen, um dieser
Verantwortung gerecht werden zu können.

Es ist von allen Rednern schon gesagt worden, wie
sehr sich für uns alle die Welt geändert hat, deshalb will
ich mich gar nicht länger damit befassen. Wir konnten
uns doch bis vor wenigen Monaten überhaupt nicht vor-
stellen, dass eine Art militärische Auseinandersetzung
auf dem europäischen Kontinent in dieser Weise stattfin-
den könnte. Es gab zuvor den Balkankonflikt, und wir
meinten, wenn er beendet sei, dann seien die größten
Probleme in Europa gelöst. Jetzt stehen wir vor völlig
neuen Herausforderungen. Schon gestern sind die He-
rausforderungen beschrieben worden, die sich für uns
durch den sogenannten arabischen Krisenbogen ergeben.
Wir können uns da nicht aus unserer Verantwortung
stehlen.
Vorhin hat ein Abgeordneter – ich glaube, es war Herr
Arnold – auf die derzeit 17 Auslandsmissionen der Bun-
deswehr hingewiesen. Über diese Einsätze reden wir im
Moment schon gar nicht mehr; aber sie sind natürlich
eine besondere Herausforderung für die Angehörigen
der Bundeswehr, aber auch für uns. Ich sage heute noch
einmal, weil es mir sehr wichtig ist – ich glaube, die
Kollegin Karin Evers-Meyer denkt auch so –: Wir wol-
len auch in der Zukunft eine Parlamentsarmee haben.
Das heißt, dass wir uns als Parlamentarier selbst in der
Verantwortung sehen, sodass wir unter Umständen nach
schwierigen Abwägungs- und Diskussionsprozessen ent-
scheiden müssen, was wir den Angehörigen der Bundes-
wehr an Einsatzaufträgen zumuten.

Dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, ga-
rantiert, dass unsere Armee nicht am Rande der Gesell-
schaft steht, sondern in ihrer Mitte angesiedelt ist. Ich
denke, das ist wichtig. Die Soldatinnen und Soldaten
müssen, wenn es Einsatzaufträge gibt, immer wissen,
dass das Parlament zu ihnen steht, auch wenn es für uns
Abgeordnete manchmal durchaus schwierig ist, die ent-
sprechenden Entscheidungen zu treffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir können allen Angehörigen der Bundeswehr, ob
zu Hause oder in Einsatzgebieten tätig, nur sehr dankbar
sein, dass sie bereit sind, diese Aufgaben wahrzuneh-
men, und dass sie bereit sind, für uns alle ein hohes
Risiko einzugehen und eine hohe Verantwortung zu
übernehmen. Ich bin aber auch der Meinung, dass die
Rückbindung der Bundeswehr an das Parlament – im
Begriff „Parlamentsarmee“ kommt die Parlamentszu-
ständigkeit zum Ausdruck – geradezu ein Markenzei-
chen und ein Qualitätsmerkmal für die deutsche Sicher-
heitspolitik darstellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
noch ein paar andere Dinge ansprechen. Die demografi-
sche Entwicklung allgemeiner Art und die Gott sei Dank
gute konjunkturelle Lage, die wir in unserem Land ha-
ben, stellen uns in der Frage der Nachwuchsgewinnung
natürlich vor völlig neue Herausforderungen; wir haben
ja nicht mehr die allgemeine Wehrpflicht. Ich denke,
dass Wehrdienstleistende leichter für einen längeren
Dienst bei der Bundeswehr zu gewinnen waren. Nach
Abschaffung der Wehrpflicht stehen wir heute in Kon-
kurrenz mit anderen Berufstätigkeiten, mit anderen
Branchen. Wir befinden uns in einem Wettbewerb um
die guten, tüchtigen und klugen Köpfe in der jungen Ge-
neration, die die Bundeswehr in besonderer Weise
braucht.

Ich bin schon befremdet, wenn ich höre, dass irgend-
welche Lehrer der Meinung sind, Jugendoffiziere dürf-
ten an Schulen ihren Beruf nicht vorstellen und keine
Gespräche führen. Wenn wir den Bundeswehrangehöri-
gen die gleichen Chancen bieten wollen, dann müssen
auch die Nachwuchswerber der Bundeswehr die Chance
haben, junge Menschen über Möglichkeiten, über Risi-
ken und über Bedingungen aufzuklären. Ob das in
Schulklassen oder auf Ausbildungsmessen geschieht, sei
dahingestellt. Es gehört nun einmal dazu, dass über das
Aufgabenspektrum, das sich hier bietet, informiert wird.





Bartholomäus Kalb


(A) (C)



(D)(B)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie bereits
angesprochen worden ist, ist es wichtig, dass die Attrak-
tivität des Dienstes in der Bundeswehr gesteigert wird.
Entsprechende Maßnahmen sind auch im aktuellen
Haushaltsentwurf vorgesehen. Daran muss sicher noch
weitergearbeitet werden; keine Frage.

Wichtig ist auch eine Idee, die die Frau Bundesminis-
terin entwickelt hat und die wir nur unterstreichen kön-
nen, nämlich die interne Weiterqualifikation insbeson-
dere derer, die zeitlich befristet einen Dienst bei der
Bundeswehr leisten, damit dann auch der Übergang in
einen Zivilberuf leichter möglich ist. Das ist ebenfalls
eine wichtige Maßnahme für unsere jungen Leute, die
sich zunächst für den Dienst in der Bundeswehr ent-
scheiden.

Das Thema Familienfreundlichkeit ist vorhin schon
angesprochen worden. Keine Frage, dass hier alles getan
werden muss, was möglich ist. Nur: Wir müssen bei al-
len diesen Bemühungen ehrlich genug sein, zu sagen:
Der Dienst in der Bundeswehr bringt besondere Heraus-
forderungen mit sich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um
Ausrüstung, Geräte, Großprojekte und Vorhaben. Das al-
les ist stichwortartig schon genannt worden. Ich kann
mich damit nicht länger aufhalten. Es ist natürlich wich-
tig, dass wir die nötige Ausrüstung und das nötige Gerät
zur Verfügung stellen können.

Wir müssen auch schauen, welche militärischen Fä-
higkeiten und Kompetenzen wir in der Zukunft haben
werden. Ich bin erstaunt, wenn ich in Magazinen dazu
etwas mit dem Unterton lese, es sei ja völlig unmöglich,
dass Politik und Ministerien und Industrie miteinander
redeten. Was denn sonst? Natürlich muss man über diese
Fragen miteinander reden. Das ist geradezu geboten und
schon gar nicht unanständig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Haus-
hälter haben den Appell der Bundesministerin und der
Fachkollegen schon gehört. Es geht darum, was am Ende
von Haushaltsberatungen gelegentlich drohen kann, aber
nicht drohen sollte. Es war eine ziemlich imperativ vor-
getragene Bitte, Frau Bundesministerin. Ich kann Ihnen
sagen: Wir Berichterstatter werden die Beratungen na-
türlich sehr ernsthaft führen. Wir werden sehr ernsthaft
versuchen, auf die drängenden Probleme einzugehen, die
drängenden Probleme zu berücksichtigen. Herr Arnold
hat es angesprochen: Es ist in der mittelfristigen Planung
vorgesehen, dass die Kürzungen, die jetzt im Einzelplan 60
für das sogenannte Überhangpersonal vorgenommen
werden –


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805012500

Herr Kollege Kalb, ich muss Sie bitten, zum Schluss

zu kommen.


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1805012600

– ich bin sofort am Ende, Frau Präsidentin –, zeitnah,

ab 2016 wieder zurückgenommen werden.
Frau Präsidentin, wenn Sie erlauben, will ich auch im
Namen der übrigen Berichterstatter zum Einzelplan 14
die Kollegin Karin Evers-Meyer als Mitberichterstatterin
ansprechen. Ich glaube, es ist ein Beispiel für Pflichtbe-
wusstsein, wenn man an einem bedeutenden Geburtstag,
wie sie ihn heute begehen kann, hier seine Pflicht tut,
den ganzen Tag hindurch. Herzlichen Glückwunsch zu
dem bedeutenden Geburtstag!


(Beifall)


Herzlichen Dank.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805012700

Diesen Glückwünschen schließen wir uns als ganzes

Haus ausdrücklich an. – Als nächster Redner hat der
Kollege Karl-Heinz Brunner das Wort.


(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1805012800

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und

Kollegen! Dem letzten Redner zu einer Tagesordnung
hat der Münchner Volkssänger Karl Valentin einmal
empfohlen, er möge damit beginnen, zu sagen: „Es ist
schon alles gesagt, aber noch nicht in dieser Deutlichkeit


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Nur noch nicht von jedem!)


und noch nicht von mir“, er möge dann sofort in sein
Manuskript schauen und kurz entschlossen dieses ver-
wenden.

Meine Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehr-
ten Damen und Herren, das möchte ich am Ende dieser
Rednerliste nicht tun, möchte aber doch noch in der ge-
botenen Kürze einige Aspekte gern ansprechen. Ich
hoffe, dass ich dafür noch ein bisschen Aufmerksamkeit
erhalte.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Selbstverständlich!)


Gern, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer-
den Haushaltsberatungen als die höchste Disziplin der
parlamentarischen Demokratie bezeichnet. Das mögen
sie sein. Ich sage: Ja, sie sind es, aber sie sind nicht
Selbstzweck, sondern sie sind Mittel zum Zweck, und
dieser Zweck ist letztendlich die Befriedigung der Be-
dürfnisse der Menschen unseres Landes, der Menschen
der heutigen Generation und der Menschen der kom-
menden Generationen. Deshalb sage ich hier ganz
unverhohlen: Es fühlt sich richtig gut an, heute einen
Haushaltsentwurf ohne Neuverschuldung in Händen zu
halten. Ich finde das gut, ich finde das schön, und ich
freue mich darüber.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch besser
wird aber das Gefühl, wenn man sich sicher sein kann,
dass die im Haushaltsplan vorgesehenen Mittel auch so
eingesetzt werden, dass sie dort ankommen, wo sie hin-





Dr. Karl-Heinz Brunner


(A) (C)



(D)(B)

gehören. Das bedeutet bei der Beratung des Verteidi-
gungsetats, dass die Mittel bei denen ankommen, die
dem Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, dem
Schutz unserer Freiheit und dem Schutz unseres Werte-
systems dienen, also bei unseren Soldatinnen und Solda-
ten und, nicht zu vergessen, den zivilen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier gibt es
noch einiges zu tun. Den Komplex „Attraktivität“ hat die
Kollegin Gabi Weber schon beleuchtet. Es ist aber noch
mehr. Um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, verdienen
es die Soldatinnen und Soldaten, bestmöglich ausgebil-
det – das ist der Fall – und bestmöglich ausgerüstet zu
sein. Schlichtweg: Sie haben Anspruch darauf, einen gu-
ten, nein, einen hervorragenden Arbeitsplatz zu bekom-
men.

Sehr verehrte Frau Ministerin, vor etwa sechs Mona-
ten haben Sie für die Bundeswehr das Bild von einem
Unternehmen mit etwa 200 000 Beschäftigten gebraucht
und als Ziel bezeichnet, dass die Bundeswehr künftig
wie ein Unternehmen geführt wird. Das hat mir ausge-
sprochen gut gefallen. Ich werde dies gerne unterstützen.
Aber wir sind erst ein kleines Stück auf diesem Weg vo-
rangekommen; denn es passt noch nicht in das Bild einer
modernen Armee, wenn ich beispielsweise bei Truppen-
besuchen feststelle, dass die Soldatinnen und Soldaten
manchmal Ausrüstungsgegenstände aus eigener Tasche
bezahlen und beschaffen, weil sie im täglichen Dienst
spüren, dass die Beschaffung von Material auf einem
langen und zähen Weg erfolgt. Können wir uns einen
Kfz-Mechaniker vorstellen, der zum Üben ein Fahrzeug
langfristig vorbestellen muss? Nein.

Ein Kollege hat gestern gesagt: Warum kann man bei-
spielsweise bei Amazon garantieren, dass was heute be-
stellt wird, morgen geliefert wird? Geht dies nicht auch
bei der Bundeswehr? Ich glaube, darin liegt ein Körn-
chen Wahrheit. Die Truppenbesuche zeigen: Die Solda-
ten wollen keine Plüschtiere und Plüschteppiche, sie
wollen vernünftiges Arbeitsmaterial, und sie wollen vor
allen Dingen die Unterstützung ihres Auftraggebers, un-
seres Hohen Hauses, des Deutschen Bundestages. Hören
wir doch auf die Menschen in den Kasernen, die für uns
Dienst tun, und sorgen wir dafür, dass es dann auch inso-
weit klappt. Wir müssen sie dafür rüsten, hier und im
Einsatz bereit zu sein, damit sie ihren Auftrag erledigen
können. Ich bin davon überzeugt, dass sie für das viele
Klein-Klein keine Zeit haben.

Der jüngste NATO-Gipfel in Wales hat gezeigt, wel-
che Aufgaben und welche Verantwortung auf uns zu-
kommen: beispielsweise mit der Verabschiedung des
Readiness Action Plan, dem verstärkten Baltic Air Poli-
cing, den AWACS-Flügen, der Marinepräsenz in der
Ostsee und im Schwarzen Meer, der Erhöhung der Be-
reitschaft und der Reaktionsfähigkeit durch die Schaf-
fung einer Einheit für höchste Bereitschaft. Deutschland
ist Pflichten eingegangen und hat Verantwortung über-
nommen. Dem müssen wir gerecht werden.

Sehen wir den Druck der aktuellen Krise doch als
Chance, unseren Standpunkt, unsere Verantwortung, un-
sere Politik in der Welt und der Wertegemeinschaft in ei-
nem gemeinsamen Europa und in der NATO mit mehr
Gewicht einzubringen. Sehen wir es als Chance, endlich
über unsere Rolle in der Welt auch hier in diesem Hause
ganz offen zu sprechen, eine Rolle im Gleichklang von
Diplomatie, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Ent-
wicklung sowie effektiver Verteidigung. Nur wenn alle
drei Teile zusammenpassen, kann es auch gelingen.


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte
Kolleginnen und Kollegen, ich sehe das Licht hier blin-
ken, aber ich habe keinen Nachredner, dem ich etwas ab-
ziehe.


(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich komme zum Ende.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805012900

Also, lieber Kollege, so geht es nicht. Wir haben noch

eine Runde vor uns. Deshalb muss ich Sie bitten, zum
Schluss zu kommen. Es geht nicht anders. Es tut mir
leid.


Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1805013000

Ich will Ihrer Mahnung, sehr verehrte Frau Präsiden-

tin, Rechnung tragen. – Die Ausrüstung ist entscheidend,
bis hin zur erhöhten Reaktionsfähigkeit im östlichen
NATO-Bündnisgebiet, sonst funktioniert unser Fähig-
keitscluster mit den gemeinsamen Expeditionskräften
nicht.

Deshalb: Haushaltsmittel sind nicht nur selbststän-
dige Zahlen, nicht selbstgefällige Zahlen, sondern sie ha-
ben für über 200 000 Menschen, nein, für die über
80 Millionen Menschen dieses Landes, für die Bürgerin-
nen und Bürger, eine große Bedeutung. Ich freue mich
auf die Beratungen in den Ausschüssen und eine gute,
anregende Diskussion.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805013100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Beratungen zum Einzelplan 14, da mir keine weite-
ren Wortmeldungen vorliegen.

Wir kommen jetzt zum Einzelplan 23, Bundesminis-
terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung.

Sobald die Kolleginnen und Kollegen die Plätze ge-
wechselt haben, werden wir unsere Beratungen fortset-
zen.

Die vereinbarte Redezeit für die Aussprache beträgt
96 Minuten.

Als erster Redner hat Bundesminister Dr. Gerd
Müller das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
nicht nur ein spannender Abend, sondern auch eine
spannende Zeit, in der wir leben, voller Dynamik und
Entwicklungen.

Die Bevölkerung Afrikas wird sich in diesem Jahr-
hundert verdoppeln. Die Bevölkerung eines Landes wie
Nigeria, in dem ich vor kurzem war, wird in diesem
Jahrhundert auf 400 Millionen Menschen wachsen. Die
Bevölkerung Deutschlands macht noch 1 Prozent der
Weltbevölkerung aus. Das heißt, lieber Barthl Kalb, in
99 Prozent der Fälle sind wir Ausländer. Deshalb ist es
gut, einen Blick über das eigene Land hinaus zu werfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet diese
Bevölkerungsdynamik? Jeden Tag kommen auf unserem
Planeten 250 000 Menschen hinzu. Das bedeutet, dass
wir bis 2030 – so weit wollen wir einmal vorausschauen;
ich richte mich auch an die jungen Leute da oben auf der
Besuchertribüne – 30 Prozent mehr Wasser, 40 Prozent
mehr Energie und 50 Prozent mehr Nahrung benötigen.
Das sind die Überlebensfragen der Menschheit: Wasser
– ohne Wasser kann man keine Woche leben –, Nahrung
– ohne Nahrung überlebt man vielleicht vier Wochen –,
Energie – wenn wir den Stecker ziehen würden und Berlin
eine Woche ohne Strom wäre, hätten wir Bürgerkrieg –,
Klima und Umwelt.

Das sind die Überlebensfragen der Menschheit. Das
spannendste Ressort, die Entwicklungspolitik, sucht und
gibt Antworten darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD])


Wir sind ein internationales Haus und befinden uns
mit 70 Ländern der Welt in einer langfristigen Partner-
schaft. Wir müssen Lösungen für diese Herausforderung
finden:

Das Ressourcenproblem. 20 Prozent der Menschheit
– nämlich wir hier in Berlin, in Deutschland, in den In-
dustriestaaten – beanspruchen für sich, 80 Prozent der
Ressourcen des Planeten zu verbrauchen.

Zweitens: das Gerechtigkeitsproblem. 20 Prozent der
Menschheit – wir hier in Deutschland, in Europa, in den
reichen Ländern – besitzen und beanspruchen 90 Pro-
zent des Vermögens. Glauben Sie nicht, dass wir einfach
nur eine Mauer um die Wohlstandsinseln bauen und die
Zäune höher machen können, damit wir unser Vermögen
und unseren Reichtum bewahren können. Nein, meine
Damen und Herren, wir Entwicklungspolitiker und viele
mehr sind sicher: Frieden auf der Welt wird es nur ge-
ben, wenn Ressourcen, Einkommen und Lebenschancen
auch global einigermaßen fair verteilt sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Da die Verteidigungsministerin noch im Saal ist und
eben der Verteidigungshaushalt und der auswärtige
Haushalt diskutiert wurden, sage ich: Wir brauchen ei-
nen vernetzten Ansatz für die Bewältigung dieser He-
rausforderungen, und das nicht nur auf dem viel be-
schworenen Papier, sondern auch in der Realität, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich könnte jetzt auf viele Krisenherde der Welt einge-
hen, Stichwort Irak. Meine Damen und Herren, diese
Kriege und Krisen haben immer ein Davor – dann don-
nert es – und ein Danach. Deshalb brauchen wir einen
vernetzten Ansatz, um Krisen und Kriege durch Präven-
tion und Friedensarbeit zu verhindern. Das ist unsere
Aufgabe in der Entwicklungspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es könnten viele Auseinandersetzungen verhindert wer-
den. Natürlich muss man Not und Elend bekämpfen und
die Infrastruktur für ein Danach schaffen.

2015 ist das Jahr der Entwicklung. Wir brauchen ei-
nen neuen Aufbruch. Wir brauchen neues Denken, eine
neue Partnerschaft im globalen Miteinander. Dazu sage
ich: Nachhaltigkeit muss über allem stehen; sie muss das
Prinzip aller Entwicklung sein. Auf der Tribüne sitzen
vornehmlich junge Leute. Meine Damen und Herren, wir
sind dem Erhalt der Schöpfung und der Zukunft ver-
pflichtet. Wir, die heutige Generation, sind nur für einen
kurzen Flügelschlag hier auf diesem Planeten. Wir ste-
hen in der Verantwortung, diese Schöpfung, diesen Pla-
neten, weiterzugeben an kommende Generationen. Darin
müssen wir uns bewähren.

Das bedeutet ökonomisch, dass wir doppelte Zurück-
haltung walten lassen müssen: Wir müssen erstens Wirt-
schaftswachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln,
und wir müssen zweitens – das kann ich aufgrund der
Kürze meiner Redezeit nicht detailliert ausführen – das
Nord-Süd-Gefälle – das heutige Verhältnis von 80 : 20
wurde eben beschrieben – zu einem fairen Verhältnis
weiterentwickeln, und zwar durch eine Verstärkung un-
seres Entwicklungsengagements und eine neue Wachs-
tums- und Verteilungsphilosophie.

Der Klimaschutz wird im nächsten Jahr aufgrund des
Pariser Gipfels von zentraler Bedeutung für die politi-
sche Agenda sein. Das Erreichen des 2-Prozent-Ziels ist
in der Tat eine Überlebensfrage für viele, für uns alle –
vielleicht nicht für den Planeten. Vielleicht wird es auch
dann noch Leben geben, wenn wir eine Erwärmung um
2 oder 4 Prozent haben. Ob der Mensch dann noch Platz
hat und eine Lebensgrundlage findet, das ist eine andere
Frage. Wir müssen zu klaren, neuen, verbindlichen Fest-
legungen kommen. Deshalb hat der Klimaschutz auch in
unserem Haushalt einen hohen Stellenwert. Wir investie-
ren 1,6 Milliarden Euro in Maßnahmen zum Ausbau des
Klimaschutzes. Dabei geht es beispielsweise auch da-
rum, in Indien neue und nachhaltige erneuerbare Ener-
gieformen zu nutzen. Es kann nicht sein, dass wir den
Energiehunger dieser Länder, dieser Kontinente mit
Braunkohle, durch Kohleverkoksung befriedigen.





Bundesminister Dr. Gerd Müller


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])


Dazu habe ich gestern eine Festlegung getroffen, die
wir gemeinsam umsetzen müssen. Wir sagen 750 Millio-
nen Euro für den Grünen Klimafonds zu. Ich sage:
Deutschland muss bei allen Maßnahmen Vorbild sein; es
muss auf internationaler Ebene der Taktgeber für den
Klimaprozess sein. Wir sind diesbezüglich zusammen
mit dem Bundesumweltministerium federführend.

Wir setzen uns aber auch für weltweit verbindliche
ökologische und soziale Standards ein. Ich war vor kur-
zem im Textilmuseum in Augsburg. Die Dokumentation
der Geschichte der Textilproduktion, die vor 150 Jahren
begann, ist hochspannend und interessant. Vor 150 Jah-
ren begann die Industrialisierung der Textilproduktion
und damit die Versklavung und Kasernierung der Textil-
arbeiter. Die Menschen im ausgehenden 19. Jahrhundert
mussten sechs Tage die Woche 16 Stunden am Tag arbei-
ten, ohne sozialen Grundschutz. Wenn die Frauen
schwanger wurden, wurden sie entlassen. Die Menschen
arbeiteten ohne Mindestlöhne und hatten keine anständi-
gen Wohnungen. Das ist der Gründungshintergrund der
SPD. Denken Sie an Ferdinand Lassalle. Die Gewerk-
schaften und Frauenverbände haben sich damals entwi-
ckelt. Die SPD wurde gegründet.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das müssen Sie uns nicht erzählen! Danke! – Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich weiß um dieses historische Verdienst.

Seitdem sind 150 Jahre vergangen. Mit Schrecken er-
leben wir dieses Modell der Ausbeutung, dieses Modell
des Kapitalismus ohne Grenzen heute in Bangladesch, in
Vietnam, aber auch in Afrika. Das ist eine Folge der In-
ternationalisierung. Deshalb sage ich: Wir brauchen
weltweit – ich betone: weltweit – verbindliche ökologi-
sche und soziale Mindeststandards. Auch die Näherin in
Bangladesch muss einen Lohn bekommen, von dem sie
leben kann.


(Beifall im ganzen Hause)


Gestern habe ich ein Referat darüber gehalten. Ich
rufe nicht zu Boykotten auf – dieses Wort nehme ich
überhaupt nicht in den Mund –, sondern zu Nachhaltig-
keit und zu Verantwortlichkeit. Ich bin sicher, dass die
jungen Leute auf der Tribüne, wenn sie wüssten, wie
ihre T-Shirts hergestellt werden und welchen Hunger-
lohn die Näherinnen bekommen, anders handeln wür-
den. Deshalb werden wir gerade im Textilbereich Trans-
parenz durch ein Textilbündnis schaffen. Wir sind hier
auf gutem Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber das ist nur ein Ansatz. Wir müssen – da haben
wir über alle Parteien hinweg, glaube ich, eine grundle-
gende Übereinkunft – die ILO-Standards und UNEP-
Standards nicht neu erfinden – sie wurden bereits erfun-
den –, aber was wir tun müssen, ist, sie mit dem WTO-
Abkommen verbinden. Der unbegrenzte Freihandel
kann nicht unsere Vision im 21. Jahrhundert sein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Multis müssen verpflichtend daran gebunden wer-
den. Die Märkte brauchen weltweit Grenzen und Regeln.
Das gilt auch gerade beim TTIP-Abkommen. Wir wer-
den in unserem Ministerium an verbindlichen Standards
festhalten und in die Diskussionen und Verhandlungen
auch die Sicht der Entwicklungsländer einbringen. Ich
werde dazu eine eigene Anhörung im Haus durchführen.

Unsere Entwicklungspolitik ist wertegebunden. Das
heißt, jeder Mensch hat ein Recht auf Leben in Würde.
Wir stehen für die Einhaltung der Menschenrechte,
Gleichberechtigung und insbesondere auch die Durch-
setzung der Frauenrechte. Diese stehen beispielsweise in
Indien heute in der Verfassung, aber sie werden in der
Praxis nicht durchgesetzt. Dafür müssen wir uns welt-
weit starkmachen.

Wir setzen im Haushalt wichtige Schwerpunkte. Vie-
len Dank allen Haushaltspolitikerinnen und Haushalts-
politikern! Die Mittel für die Sonderinitiative „Eine Welt
ohne Hunger“ werden jetzt auf rund 1,4 Milliarden Euro
aufgestockt. Unsere Vision – es ist nicht nur meine – ist,
bis 2030 eine Welt ohne Hunger zu haben. Dies ist
machbar. Der größte Skandal ist, dass heute noch
850 Millionen Menschen unterernährt sind und hungern
und täglich 20 000 Kinder an Hunger sterben, obwohl
dies nicht so sein muss; denn der Planet bietet für 10
Milliarden Menschen die Ernährungsgrundlage.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: So ist es!)


Deshalb investieren wir hier.

Thema Gesundheit. Das ist vielen Kolleginnen und
Kollegen sehr wichtig. Wir bekämpfen Krankheiten und
Seuchen. Ich bin ein Stück weit begeistert. Denn wenn
man gefragt wird: „Was nutzt denn Entwicklungspolitik,
und welche Erfolge habt ihr?“, kann man auf die Ge-
sundheitspolitik verweisen, in der dies anschaulich deut-
lich wird. Zu meiner Schulzeit war in meiner Klasse ein
Mädchen aus der Nachbarschaft, das an Kinderlähmung,
an Polio, erkrankt war. Sie hat den Fuß dann ein Leben
lang nachgezogen. Polio ist heute durch die Impfung von
450 Millionen Kindern in den letzten 20 Jahren praktisch
kein Thema mehr, ebenso Masern. Bei HIV und Tbc ist
noch einiges zu tun.

Wir setzen natürlich den aktuellen Schwerpunkt auf
Kriegs- und Flüchtlingselend. Ich habe das jetzt nicht an
den Schluss gesetzt, weil es unwichtig ist. Vielmehr ist
es im Augenblick der wichtigste Punkt, aber er hat auch
schon in den anderen Diskussionen eine ganz erhebliche
Rolle gespielt. Es ist die größte Herausforderung von
heute und der nächsten Jahre. Dazu setzen wir alle ver-
fügbaren Mittel ein. Ich habe dazu eine Sonderinitiative
für Flüchtlinge mit 190 Millionen Euro aufgelegt, um
bei der größten humanitären Katastrophe wirksam ein-
greifen zu können. Diese spielt sich im Augenblick in
Syrien und im Irak ab.





Bundesminister Dr. Gerd Müller


(A) (C)



(D)(B)

Aber ich sage auch – das ist mir wichtig –: Wir dürfen
nicht nur dahin blicken, wo die Bilder herkommen.
Wenn wir Kameras in den Südsudan – einige Kollegen
bzw. Kolleginnen waren dabei – oder in die Zentralafri-
kanische Republik mitnehmen, dann kann auch dort das
Kopfabschlagen gefilmt werden. Deshalb dürfen wir
auch diese Länder nicht vergessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich lade morgen zu einem großen Afrika-Tag ein, den
unser Haus veranstaltet. Unter anderem wird der Minis-
terpräsident aus dem Kongo anwesend sein – ein Land
mit Licht und Schatten, aber mit allem, was Afrika zu
bieten hat.

Wir sind in Gaza, in Palästina und in Afghanistan er-
heblich gefordert. Das muss eine eigene Debatte werden.
Wie reagieren wir in Afghanistan? ISAF zieht ab; wir,
die Entwicklungspolitik, bleiben dort. Machen wir bitte
nicht dieselben Fehler wie vor drei Jahren im Irak, um
dann drei Jahre später bestraft zu werden. Die Taliban-
Fahne im ehemaligen Bundeswehrcamp Kunduz soll uns
eine Warnung sein. Wir brauchen hier ein stärkeres ent-
wicklungspolitisches Engagement.

Wir haben die Mittel für die Ukraine verdoppelt. In Sy-
rien und im Irak – das sage ich hier ganz klar – ist der Be-
darf jetzt am größten. Der Winter steht bevor. Lieber
Barthl Kalb – stellvertretend für alle Haushaltspolitiker –:
Wir, das BMZ, bauen mit unseren Partnern Infrastruktur
und können das umsetzen. Humanitäre Hilfe besteht
nicht nur aus Erstversorgung, EPas und dem Verteilen
von Mullbinden und Wolldecken. Im Lager in Satari sit-
zen 130 000 Menschen in der Wüste, und das seit zwei
bzw. zweieinhalb Jahren. 50 Prozent von ihnen sind Kin-
der und Jugendliche. Sie brauchen Toiletten, Strom,
Wasser, Schulen, Ausbildung. Das geht weit über huma-
nitäre Hilfe hinaus. Dieses Problem kann unser Haushalt
mit dieser Ausstattung nicht zufriedenstellend lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


2014/2015 ist für uns kein normales Jahr; ich habe die
Herausforderungen dargestellt. Ich warne vor einem dra-
matischen Winter.

Herr Präsident, ich bin gleich am Ende.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin! – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: „Frau Präsidentin!“ wäre jetzt richtig!)


– Frau Präsidentin. Hier leuchtet aber „Präsident“ auf.
Das muss man ändern. Es sollte „Präsident/Präsidentin“
heißen. Das ist Gender-Politik.


(Heiterkeit und Beifall – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gender, genau! – Johannes Kahrs [SPD]: Sie sollten eh nicht nur ablesen!)

Wir müssen jetzt handeln. Ich bitte die Fraktionen nur
um eines: um die Einlösung der von allen Seiten in der
Sondersitzung gegebenen Versprechen. Wir müssen uns
jetzt um Winterquartiere und Infrastruktur für Millionen
Menschen kümmern. Dazu habe ich im Haushalt
100 Millionen Euro überplanmäßige Ausgaben bean-
tragt. Deutschland leistet viel. Aber ich sage noch einmal
ganz klar: Wir brauchen jetzt grünes Licht für die Win-
terhilfe, um tätig werden zu können. Das sage ich auch
in Richtung der Europäischen Union. Die Sondermilli-
arde muss jetzt kommen. Die neue Kommission steht.
Leider gibt es keinen Sonderbeauftragten für Flücht-
lingsfragen. Ich bedaure es außerordentlich, dass diese
Aufgabe wieder auf vier Kommissare verteilt wurde.
Diese Verteilung der Zuständigkeiten macht wenig Sinn.
Wir müssen jetzt effektiv handeln. Ich bin überzeugt,
dass wir dafür auch die Unterstützung des Parlaments
bekommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805013200

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Heike Hänsel

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805013300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Minister Müller, Sie haben die globa-
len Herausforderungen und die großen Krisen, mit denen
wir derzeit konfrontiert sind, angesprochen. Sie bilden
sich aber leider überhaupt nicht in diesem Haushaltsent-
wurf ab; Sie selbst haben das erwähnt. Ich denke, Sie
können mit diesem Haushalt überhaupt nicht zufrieden
sein. Alle, die sich für Entwicklung einsetzen, müssen
diesen Haushaltsentwurf eigentlich ablehnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Ich muss dazusagen: Es klingt in unseren Ohren
schon fast wie blanker Hohn, wie Herr Schäuble die
schwarze Null gepriesen hat. Sie sei kein Selbstzweck,
sondern ein Zeichen der Verlässlichkeit, sagte er und
fügte hinzu: Wir halten unsere Versprechen. – Da frage
ich mich natürlich: Welche Versprechen hält er denn?
Vielleicht hält er das Versprechen der Haushaltsdiszi-
plin. Aber das jahrzehntelange Versprechen, endlich
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens – das ist
wahrlich nicht viel – für Entwicklung auszugeben, haben
wir wieder deutlich verfehlt; ich finde, das ist beschä-
mend.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Wir sind mit ungefähr 0,38 Prozent meilenweit davon
entfernt. Da der Aufwuchs fast null beträgt, wird die
ODA-Quote sogar zurückgehen. Haushaltsdisziplin wird
also sowohl in Deutschland als auch weltweit auf Kosten





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)

der sozialen Gerechtigkeit durchgesetzt. Die schwarze
Null steht über allem. Das lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Natürlich muss ich in diesem Zusammenhang auch
neue Versprechen, die gemacht werden, erwähnen; auch
das war heute schon Thema. Die NATO-Mitgliedstaaten
haben sich auf Rüstungsausgaben in Höhe von 2 Prozent
des Bruttonationaleinkommens geeinigt. Das ist dann
natürlich der Gipfel. Frau von der Leyen sagt ja: So viel
Geld wollen wir insgesamt nicht ausgeben. – Aber es
steht fest: Es wird deutlich mehr Geld für Rüstung geben
und viel zu wenig Geld für Entwicklung. Diese Politik
unterstützen wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn sie ist auch mit einer weiteren Militarisierung ver-
bunden, mit Aufrüstung.

Wir erleben ja – das war heute auch Thema –, wie die
NATO auch im Ukraine-Konflikt agiert. Für uns ist das
eine Politik der Eskalation. Man muss sich vorstellen,
dass derzeit ein breit angelegtes NATO-Manöver auch in
der Ukraine stattfindet, in einem Land, in dem Krieg
herrscht und wo wir Zeichen des Dialogs bräuchten und
keine Zeichen militärischer Stärke.

Es soll eine neue Eingreiftruppe mit erhöhter Einsatz-
bereitschaft eingerichtet werden, die Präsenz der NATO-
Truppen in den osteuropäischen Ländern soll ausgebaut
werden usw.

Aus gutem Grund fordert die Linke die Auflösung der
NATO – genauso, wie der Warschauer Pakt aufgelöst
wurde. Wir brauchen zivile Sicherheitsstrukturen, die
gegenseitiges Vertrauen, den Interessenausgleich för-
dern, um gemeinsam die Probleme, die Sie, Herr Müller,
hier angesprochen haben, zu bewältigen. Das ist in unse-
ren Augen die große Zukunftsaufgabe: dass wir die
NATO überwinden


(Beifall bei der LINKEN)


und diese Politik der Militarisierung.

Konfliktursachen können nur zivil bekämpft werden.

1 Billion Dollar geben die NATO-Mitgliedstaaten
derzeit für Rüstung aus. Wenn wir gleichzeitig – das ist
auch eine Kritik an Ihrem Haus – die Ausbreitung des
Ebola-Virus sehen – über 4 000 Menschen sind infiziert,
2 300 bereits gestorben – und wenn ich lese, dass Sie da-
für derzeit gerade einmal 1,4 Millionen Euro zur Verfü-
gung stellen, dann meine ich: Das ist völlig inakzeptabel –
zumal Sie hier vor ein paar Tagen in einer Sondersitzung
70 Millionen Euro für Waffenlieferungen beschlossen
haben. Es geht dabei auch in Afrika um Menschenleben,
darum, dass diese Menschen vor diesem tödlichen
Ebola-Virus gerettet werden. Da könnte man sehr viel
machen. Da erwarte ich auch von Ihnen, Herr Müller,
dass Sie sich viel mehr einsetzen.

Sie haben sich – das muss ich auch sagen – kritisch
gegenüber den Waffenlieferungen geäußert. Darin haben
Sie unsere Unterstützung. Wir appellieren an Sie, dass
Sie den Mut aufbringen, beim nächsten Mal im Bundes-
sicherheitsrat dagegen zu stimmen. Wir würden das sehr
unterstützen. Die Linke setzt sich für ein Verbot von
Rüstungsexporten ein. Auch das wäre ein wichtiger Bei-
trag für Entwicklung.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt übrigens viele andere Bereiche, die zur ODA
zählen, in denen auch gekürzt wird. Da werden zum Bei-
spiel die Mittel für humanitäre Hilfe im Etat des Aus-
wärtigen Amtes um 38 Prozent gekürzt. Das muss man
sich vorstellen!

Die Mittel für Krisenprävention und für den zivilen
Friedensdienst stagnieren.

All das geschieht in einer Zeit, in der wir mit Krisen
konfrontiert werden, für die wir neue zivile Instrumente
benötigen, die ausgebaut werden müssen, die aber leider
seit Jahren, mittlerweile seit Jahrzehnten, ein Schatten-
dasein führen. Wir fordern eine Stärkung dieser zivilen
Instrumente. Für uns ist das ein starkes Zeichen für eine
friedliche Außenpolitik.

Zum Schluss möchte ich noch etwas zur Situation im
Nahen Osten sagen, was in meinen Augen bisher in der
heutigen Debatte zu kurz kam. Wir haben alle die massi-
ven Bombardierungen des Gazastreifens erlebt mit über
2 000 toten Palästinensern und 68 Toten auf israelischer
Seite; der Gazastreifen ist nach wie vor abgeriegelt. Sehr
viel Infrastruktur wurde zerstört. Dazu haben wir eine
Anfrage gestellt: 6 Milliarden Euro soll der Wiederauf-
bau kosten. Wer zahlt das eigentlich? Dabei ist das nicht
das erste Mal. Wir erleben diese Zerstörungen jetzt zum
dritten Mal. Immer wieder werden von der internationa-
len Gemeinschaft diese Entwicklungsprojekte und die
UN-Einrichtungen mit Steuergeldern wieder aufgebaut.
In unseren Augen kann das nicht sein. Man muss auch
die israelische Regierung zur Verantwortung ziehen. Es
kann nicht sein, dass wir immer wieder aufbauen, und
dann wird immer wieder zerstört.


(Beifall bei der LINKEN)


Weiter brauchen wir eine neue Ausrichtung in der
Nahostpolitik. Dazu gehört auch, dass die Besatzung
endlich beendet wird. Dabei spielt auch die Entwick-
lungszusammenarbeit eine wichtige Rolle, Herr Müller,
nämlich insofern, ob sie mit ihren Projekten diese Besat-
zung stabilisiert oder ob sie dazu beiträgt, dass der zivile
Widerstand gegen die Besatzung gestärkt wird. Das ist in
unseren Augen ein wichtiger Beitrag für einen gerechten
Frieden im Nahen Osten.

Abschließend möchte ich sagen – –


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805013400

Nein, Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit jetzt um

eine Minute überschritten. Deshalb bitte ich, jetzt wirk-
lich zu schließen.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805013500

Ja, ich schließe. Für uns ist eine aktive Friedenspolitik

der beste Beitrag für Entwicklung.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805013600

Ich bitte die anderen Kolleginnen und Kollegen ange-

sichts der fortgeschrittenen Zeit, die Redezeit einzuhal-
ten.

Jetzt hat als nächste Rednerin Frau Steffen das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1805013700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In diesen
Tagen ist sehr viel von der neuen Dimension die Rede;
das war ein Schlüsselwort in fast allen heutigen Debat-
ten. Wir erleben Kriege und Katastrophen, die wir noch
vor kurzer Zeit für undenkbar gehalten haben: Kriege in
Europa und im Nahen und Mittleren Osten und eine
Ebola-Seuche, die außer Kontrolle geraten ist. Wir ha-
ben große Probleme, die richtigen Worte für all diese
Bedrohungen zu finden, und wählen deshalb so oft den
Ausdruck „neue Dimension“.

Viele, auch hier im Deutschen Bundestag, meinen da-
mit vor allem die neue Dimension in der Außen- und
Sicherheitspolitik. Wir sprechen von Gegnern und Bünd-
nissen, von Waffen und Boykotten. Von Entwicklungs-
zusammenarbeit sprechen wir nicht oder allenfalls am
Rande, und das ist falsch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die neue Dimension, von der wir hier so oft sprechen,
gilt zuallererst für die Entwicklungszusammenarbeit.

Im Mittleren Osten, vor allem im Irak und in Syrien,
aber auch im Südsudan und in der Zentralafrikanischen
Republik sind Millionen Menschen auf der Flucht.
Staatsministerin Özoğuz hat heute Morgen die erschre-
ckenden aktuellen Zahlen genannt. Man geht derzeit von
51 Millionen Flüchtlingen weltweit aus. Ihre oft einzige
Hoffnung ist die Hoffnung auf Erste Hilfe von außen,
Erste Hilfe auch von uns. Das ist ihre Hoffnung, viel-
leicht sogar ihre einzige Chance. Auch die von der
Ebola-Seuche bedrohten Menschen in Westafrika setzen
auf uns, auf unsere Erste Hilfe.

Wir müssen über diese Erste Hilfe hinausdenken.
Nachhaltigkeit ist gefragt, Herr Minister; ich gebe Ihnen
völlig recht. Wir müssen überlegen, was wir tun können,
um Flüchtlingen langfristig zu helfen. Wir brauchen Pro-
gramme, um Flüchtlinge wiedereinzugliedern. Auf lange
Sicht müssen wir darangehen, Fluchtursachen wirksam
zu bekämpfen. Deshalb bin ich sehr froh und dankbar,
dass Sie im letzten Haushalt eine Sonderinitiative aufge-
legt haben mit dem Titel „Fluchtursachen bekämpfen –
Flüchtlinge reintegrieren“, eine, wie ich finde, richtig
gute Initiative. Sie hilft den Ländern, die unter der
Flüchtlingskrise besonders leiden, wie etwa Jordanien
und dem Libanon.

Für 2015 sind Barmittel im Wert von 60 Millionen
Euro geplant. Reicht das? Wenn ich Ihren Worten folge,
muss ich sagen: Das reicht nicht; das ist nicht die rich-
tige Antwort auf die neue Dimension, mit der wir es zu
tun haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Johannes Selle [CDU/CSU] und Heike Hänsel [DIE LINKE])


Wer sich das Elend in diesen Ländern vor Augen führt,
weiß: Deutschland muss mehr tun, wir müssen mehr tun.
Vielleicht müssen wir auch umschichten. Klar muss
sein: Flüchtlingshilfe hat Priorität.

„Eine Welt ohne Hunger“ lautet der Titel eines weite-
ren Programms, das der Minister auf den Weg gebracht
hat. Der Name ist gut gewählt. Hunger ist und bleibt eine
der größten Herausforderungen der Entwicklungszusam-
menarbeit. Die entscheidenden Fragen sind jedoch: Wel-
chen Beitrag kann dieses Programm leisten? Wie viele
Mittel stehen dafür bereit? Und vor allem: Wie und wo-
hin werden die Mittel verteilt? Wir alle wünschen uns,
dass wir bis 2030 das Ziel, das Sie genannt haben, errei-
chen, dass wir dann tatsächlich eine Welt ohne Hunger
haben werden. Ich bin sehr gespannt, ob uns das gelingt.
Auch für diese Initiative gilt: Wir müssen in langen Li-
nien denken, wir müssen nachhaltige Lösungen finden,
um den chronischen Mangel zu bekämpfen. Die Men-
schen müssen selbstständig werden, ihr Überleben aus
eigener Kraft sichern können. Das ist hier die zweite
Aufgabe, nach dem Bekämpfen der akuten Hungersnöte.

Meine Damen und Herren, in der letzten Woche habe
ich Plan International in Hamburg besucht. Das Ge-
spräch dort hat mich wirklich tief bewegt. Die Mitarbei-
terinnen von Plan haben mir erzählt: Wo Ebola wütet,
bricht das Leben zusammen. Ebola beherrscht den All-
tag. Die Menschen arbeiten nicht mehr auf den Feldern.
Schulen und öffentliche Einrichtungen sind geschlossen.
Die Behörden versuchen, Ebola Herr zu werden, indem
sie Slums räumen oder sogar einzäunen. Wir kennen die
dramatischen Bilder in den Medien. Hilflosigkeit, Hoff-
nungslosigkeit und Angst sprechen aus den Gesichtern
der Menschen.

Auch Helfer und Ärzte aus der Ersten Welt haben sich
bereits angesteckt; Frau Hänsel hat darauf hingewiesen.
Derzeit gibt es knapp 2 300 Todesopfer und viele wei-
tere Ansteckungen. Erst heute wurde bekannt, dass sich
erneut ein WHO-Arzt angesteckt hat. Diese Menschen
riskieren ihr Leben, um den Hilfslosen zu helfen, und da-
für gebührt ihnen großer Respekt.


(Beifall im ganzen Haus)


Wir müssen leider fürchten, dass sich Ebola weiter
ausbreitet. In Worte fassen können wir die Katastrophe
nicht; die Dimension ist einfach zu groß. Wir müssen die
richtigen Antworten finden, Antworten, die der neuen
Dimension, mit der wir es zu tun haben, gerecht werden.

Krankheiten und Hunger gehören traurigerweise im-
mer zusammen. Wo Hunger herrscht, sind Krankheiten
nicht weit. Sie lähmen die Zivilgesellschaft, hemmen
und verhindern Entwicklung. Wir müssen die Faktoren,
die Krankheiten auslösen, zurückdrängen. Entscheidend
ist der Zugang zu Medikamenten. Entscheidend ist aber





Sonja Steffen


(A) (C)



(D)(B)

auch, dass wir möglichst viele Menschen erreichen, um
Krankheiten durch Impfungen und weitere Präventions-
maßnahmen zu verhindern.

Gesundheitsversorgung und Vorbeugung sind Schlüs-
selthemen der Entwicklungszusammenarbeit. Hier geht
es nicht nur um Ebola, sondern auch um viele andere
Krankheiten, die gerade nicht im grellen Scheinwerfer-
licht der Medien stehen, deren Ausbruch jetzt jedoch
durch Ebola wieder verstärkt wird: Tuberkulose, Polio,
Aids, Malaria. Das alles sind gefährliche und oft tödliche
Krankheiten, die bekämpft werden müssen, vor allem
mit Impfprogrammen.

Herr Minister, 2015 ist für die Entwicklungszusam-
menarbeit in der Tat ein entscheidendes Jahr. Wie Sie
wissen, richtet Deutschland 2015 die Konferenz zur
Wiederauffüllung der Globalen Impfallianz, GAVI, aus.
Impfen bedeutet, lebensbedrohliche Krankheiten zu-
rückzudrängen und Leben zu retten, vor allem das Leben
von Kindern. Die Bundesregierung sollte diese Konfe-
renz nutzen und deutlich machen, wie sehr sie dieses
Programm unterstützt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Redezeit ist fast zu Ende. Ich will aber noch
ganz kurz erwähnen, dass auch ich persönlich den Be-
reich „Friedensdienst, private Träger, Kirchen und Stif-
tungen“ für sehr wichtig halte. Hier geht es nicht nur da-
rum, dass wir die Kräfte der Zivilgesellschaft stärken.
Für uns ist es auch wichtig, vor Ort von diesen Organisa-
tionen zu hören, wie die Situation tatsächlich ist; denn
die Medien – kein Medium! – können die persönliche
Anschauung hier nicht ersetzen.

Zuallerletzt kann ich nicht umhin, ein unerfreuliches
Kapitel kurz anzusprechen, nämlich die ODA-Mittel und
den ODA-Stufenplan. Wir hatten uns einmal verpflich-
tet, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens
für Entwicklungsleistungen einzusetzen. Hier können
wir in der Tat nur verschämt feststellen: Wir haben das
Ziel nicht erreicht; wir sind weit von den 0,7 Prozent
entfernt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt auch keinen Plan mehr!)


Meine Damen und Herren, ich habe anfangs von der
neuen Dimension und von den neuen Bedrohungen ge-
sprochen. Diese neue Dimension muss sich auch in un-
serem Etat abbilden.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805013800

Frau Steffen, ich möchte auch Sie bitten, zum Schluss

zu kommen.


Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1805013900

Ja. – Es muss sichtbar werden, dass wir unseren ge-

rechten finanziellen Beitrag leisten, um Armut zu be-
kämpfen und eine nachhaltige Entwicklung in Gang zu
setzen. Ich freue mich daher sehr auf die anstehenden
Haushaltsberatungen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805014000

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anja Hajduk

das Wort.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805014100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Man muss leider feststellen, dass dieser Haus-
halt – gerade auch Ihr Etat, Herr Müller – keine ausrei-
chenden Antworten auf die Dramatik der außenpoliti-
schen Entwicklungen gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Ich finde, es zeugt schon von einer bemerkenswerten Of-
fenheit, dass Sie das im Grunde ja auch selber sagen, in-
dem Sie um die Unterstützung des Haushaltsausschusses
bzw. des Parlamentes bitten; Sie haben von 100 Millio-
nen Euro gesprochen. Ich will dazu nur sagen: Wir wer-
den Sie unterstützen, soweit es in unseren Möglichkeiten
als Opposition liegt. Aber ich muss auch kritisch sagen:
Sie als Minister haben im Kabinett selber die Möglich-
keit, zum Beispiel über Nachtragshaushaltsentscheidun-
gen die entsprechenden Mittel einzuwerben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Wir leisten hier gerne unseren Beitrag. Aber es kann
nicht sein, dass der zuständige Minister hier zwar die
richtigen Worte findet, aber uns im Grunde nur zeigt,
dass er nicht das ausreichende Backing von der Kanzle-
rin hat, die in ihrer heutigen Rede zum Ausdruck ge-
bracht hat, dass sie die Zeichen der Zeit in der Außen-
politik erkannt haben will. Das passt nicht zusammen.
Arbeiten Sie am Kabinettstisch! Wir arbeiten gerne pa-
rallel dazu im Ausschuss!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auf die von Ihnen genannte Forderung zu
sprechen kommen, die europäische Ebene solle mehr
tun. Ich habe das im Sommer aufmerksam verfolgt: Sie
fordern von der EU 1 Milliarde Euro für die Flüchtlings-
hilfe. Sie haben aber als Minister die Verantwortung,
diese Forderung mit Substanz zu unterlegen, weil unsere
Stimme auf der europäischen Ebene schließlich Gewicht
hat, und zwar ein nicht geringes.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich dazu Ihrem Haus eine Frage stelle und Anfang
August die Antwort bekomme, es sei möglich, der For-
derung nach 1 Milliarde Euro durch den Einsatz von
Mitteln aus Programmen wie dem Europäischen Ent-
wicklungsfonds nachzukommen, dann stelle ich fest,
dass das mit Blick auf die Krisenregion Nahost gar nicht
passt, weil die Mittel aus dem Entwicklungsfonds in die
südlich der Sahara gelegenen Staaten und in die anderen





Anja Hajduk


(A) (C)



(D)(B)

AKP-Staaten fließen. Ich erwarte ein substanzielles
Agieren von Ihnen, wenn es darum geht, wie die euro-
päische Ebene hier vorgehen kann. Wir wollen bei so
ernsten Themen nicht nur heiße Luft. Wir wollen neue
Vorschläge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Man muss sich auch einmal auf den eigenen Hand-
lungsrahmen der Bundesregierung besinnen. Meine
Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt hat heute
Morgen ein Beispiel genannt: Es ist ein Ungleichge-
wicht, dass die beschlossenen Waffenlieferungen einen
Wert von 70 Millionen Euro haben, aber der Wert der
humanitären Hilfe bei 50 Millionen Euro liegt. Sie haben
jetzt im Rahmen der humanitären Hilfe von zusätzlichen
100 Millionen Euro gesprochen.

Sehen wir die Mittel der humanitären Hilfe nicht
mehr aufgeteilt zwischen Auswärtigem Amt und BMZ,
sondern integriert. Im Sommer dieses Jahres, als es um
den Beschluss zum Haushalt 2015 ging, ist sage und
schreibe ein gutes Drittel der Mittel der humanitären
Hilfe im Etat für das Auswärtige Amt gekürzt worden.
Das sind 116 Millionen weniger. Das kann man doch
überhaupt nicht verstehen, wenn man weiß, dass schon
im Juli 2014 klar war, welcher Druck sich durch die in-
ternationalen Krisen aufbauen würde. Ich könnte jetzt
sagen: Das bezieht sich nur auf Herrn Steinmeier. Aber
nein, auch in Ihrem Haus ist das so. Wenn wir nicht die
kurzfristigen Maßnahmen der humanitären Hilfe be-
trachten, sondern die mittelfristigen Mittel für die ent-
wicklungsfördernden und die strukturbildenden Über-
gangshilfen, dann stellt man fest: Sie treten mit Ihren
49 Millionen Euro auf der Stelle. Nichts kommt dazu.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Da reicht der Hinweis auf
die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“ ein-
fach nicht mehr aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben Ihnen in diesem Sommer, Ende Juni, An-
träge vorgelegt, sowohl zur Übergangshilfe – wir haben
eine Erhöhung um 100 Millionen Euro gefordert – als
auch zur humanitären Hilfe, bei der wir eine Aufsto-
ckung um 350 Millionen Euro verlangt haben. Ich sage
Ihnen ganz ehrlich: Meine Fraktion ist wirklich nicht
glücklich darüber, dass wir bei diesem Thema so schnell
recht behalten haben – man hätte diese Anträge beschlie-
ßen müssen – und Sie uns jetzt bitten: Helfen Sie mir,
diese Forderungen durchzusetzen. – Dahinter steht eine
tragische Entwicklung. Aber jetzt haben wir die Verant-
wortung, endlich zu handeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch auf einen anderen Bereich zu spre-
chen kommen. Im Jahr 2015 wird es entscheidende, auch
langfristig angelegte Zusammenkünfte internationaler
Art geben, um die zukünftigen internationalen Heraus-
forderungen anzugehen. Die neue Entwicklungs- und
Umweltagenda wird in New York im Juli 2015 festge-
legt. Auch hier, Herr Müller, äußern Sie sich zu den Ent-
würfen positiv. Ich finde aber keine entsprechende finan-
zielle Unterlegung in Ihrem Etat dazu für das Jahr 2015.
Es ist wichtig, dass die Mittel für wirksame Vorhaben
wie im Rahmen des Globalen Fonds zur Bekämpfung
von Aids, Tuberkulose und Malaria nicht gekürzt, son-
dern aufgestockt werden. Auch dort müssen wir in eine
ganz andere Richtung arbeiten.

Ich will auf das Thema ODA-Quote nicht eigens ein-
gehen, weil das meine Vorrednerin Frau Hänsel schon
getan hat. Aber es ist natürlich keine Antwort auf inter-
nationalem Terrain, wenn noch nicht einmal ein Pro-
gramm oder ein Plan zu der Frage vorgelegt wird, wie
wir die Erfüllung des 0,7-Prozent-Versprechens, das wir
bisher nicht halten konnten, neu angehen wollen.
Sprachlosigkeit schwächt uns in diesem Kontext. Das ist
auch nicht zu verantworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein weiterer Punkt ist der Klimagipfel in Paris im
Jahr 2015. Er ist sehr entscheidend für die Zukunft unse-
res Planeten und insbesondere für die Regionen in der
Welt, die schon mächtig unter den ersten Folgen des
Klimawandels zu leiden haben. Auch hier sehe ich nicht,
dass wir als Industrieland das Versprechen, das wir in
Kopenhagen gegeben haben – bis 2020 wollen die In-
dustrieländer zusammen 100 Milliarden Euro für den
Klimaschutz bereitstellen –, erfüllen können. Einen
entsprechenden Aufwuchspfad in Ihrem Haus kann ich
jedenfalls nicht erkennen.

Ich will jetzt gar nichts dazu sagen, dass Frau Merkel
im Moment hier mit Abwesenheit glänzt, auch wenn ich
das bedauerlich finde. Herr Müller, Sie fahren zwar mit
Frau Hendricks im September zum Klimagipfel nach
New York; aber dass unsere Kanzlerin trotz der Anwe-
senheit von Herrn Obama, Herrn Hollande und auch der
chinesischen Regierungsspitze ihren Platz leer lässt, ist
ein ganz schlechtes Zeichen. An dieser Stelle müssten
Sie umkehren und Substanz liefern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])


Ich komme zum Schluss. Dieser Etat ist sehr mager;
Ihre richtigen Worte fangen das nicht auf. Einen weite-
ren Punkt werden wir in den Haushaltsberatungen zu
überprüfen haben: eine kritische Evaluation der eigenen
Entwicklungsprogramme. Ich hoffe sehr, dass Sie sich
einer kritischen Aufsicht nicht entledigen, sondern eine
kritische Aufsicht stärken. Darüber sprechen wir aller-
spätestens – vielleicht sogar schon früher – im Novem-
ber.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805014200

Als nächster Redner hat der Kollege Jürgen Klimke

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1805014300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Die von der Opposition formulierte Kritik – manch-
mal waren die Reden ja auch mit etwas Lob versehen –
kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch von der SPD formuliert!)


Noch vor einem knappen Jahr haben Sie die Arbeit des
Ministers hier sehr wohlwollend kommentiert, und ich
sehe überhaupt keinen Bereich, den der Minister ver-
nachlässigt hätte. Im Gegenteil: Er greift mit frischen
politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen
Ansätzen die drängenden Fragen dieser Zeit auf, und das
vor allen Dingen ohne Dogmen. Das ist das Entschei-
dende.


(Beifall bei der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht die Differenz, die wir haben!)


Frau Hajduk, die Arbeit des Ministers ist keine heiße
Luft. Ihre Kritik ist heiße Luft; das ist das Entschei-
dende.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine heiße Luft! Das sind nüchterne Zahlen!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eini-
ges zu den wirklich grundsätzlichen Problemen sagen.
Wir erleben derzeit eine Gleichzeitigkeit von bewaffne-
ten Konflikten in dieser Welt, die wir alle in der jüngsten
Vergangenheit nicht erlebt, nicht gekannt haben. Das gilt
insbesondere für die Verbrechen gegen die Menschlich-
keit in Syrien und im Irak, verübt von der terroristischen
Vereinigung „Islamischer Staat“. Sie erschüttern uns
durch ihre Brutalität. Die Folge ist ein sprunghafter
Anstieg der Anzahl der Menschen auf der Flucht.
Schnelle humanitäre Hilfe und eine starke, auch militäri-
sche Antwort auf die Gräueltaten des IS-Terrorismus er-
fordern große Anstrengungen von uns.

Laut UNHCR-Report gibt es seit dem letzten Jahr
erstmals mehr als 50 Millionen Flüchtlinge, Asyl-
suchende und Binnenvertriebene weltweit. So zählen wir
in den genannten Ländern Syrien und Irak circa 7,5 Mil-
lionen Binnenflüchtlinge, die vor Ort mit elementaren
Hilfsgütern unterstützt werden müssen. Von Flüchtlings-
strömen sind auch andere Krisenregionen betroffen. Die
Nachbarstaaten, vor allen Dingen Libanon und Jorda-
nien, haben die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit er-
reicht.

Aus diesem Grunde bin ich Minister Müller außeror-
dentlich dankbar, dass er im Rahmen von Sofortmaßnah-
men in den aktuellen Krisenregionen im Irak und in
Gaza zusätzlich jeweils 20 Millionen Euro bereitgestellt
hat. Auch die Entscheidung von Innenminister Thomas
de Maizière und seinen Länderkollegen, das bisherige
Aufnahmekontingent für syrische Bürgerkriegsflücht-
linge um 10 000 auf nunmehr 20 000 zu erweitern, be-
grüßen wir ausdrücklich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt,
dass unsere wirtschaftliche Entwicklungszusammen-
arbeit nur dann erfolgreich und nachhaltig wirken kann,
wenn wir Fluchtursachen weltweit gezielter bekämpfen.
Gerade in Regionen mit fragilen Staaten stehen wir vor
besonders großen Herausforderungen. Betroffene Staa-
ten – ich nenne beispielhaft die EZ-Partner Pakistan,
Südsudan und Nigeria – stellen aus unterschiedlichen
Gründen nicht nur ein regionales, sondern auch ein glo-
bales Sicherheitsrisiko dar.

Die internationale Staatengemeinschaft muss dort mit
entwicklungspolitischen Instrumenten auf eine Verbes-
serung der Lage hinwirken. Das ist nicht nur unsere Auf-
gabe, die Aufgabe der EU oder der westlichen Länder,
sondern es ist meines Erachtens auch eine wichtige
Funktion der Vereinten Nationen, in diesem Bereich tä-
tig zu sein. Deshalb unterstützen wir diese Institution im
kommenden Jahr – auch das muss man ansprechen,
wenn wir über Entwicklungszusammenarbeit reden –
mit 140 Millionen Euro Barmitteln und 128 Millionen
Euro an Verpflichtungsermächtigungen bei ihrer Arbeit.
Das ist in beiden Fällen ein finanzieller Aufwuchs und
aus meiner Sicht ein essenzieller Beitrag zur Bekämp-
fung von Armut, Hunger und Vertreibung in der Welt.

Wie meine kurze Einführung zeigt, haben aktuelle
politische Entwicklungen großen Einfluss auf die Haus-
haltsplanungen. Die Herausforderung besteht darin,
darauf zu reagieren, und das tun wir. Das ist das Ent-
scheidende, auch wenn die Kritik am Haushalt zum Teil
durchaus nachvollziehbar ist. Die Not der Menschen im
Nahen Osten, aber auch in der Ostukraine und anderen
Konfliktregionen stellt die finanzielle Ausrichtung deut-
scher Entwicklungspolitik vor neue Aufgaben. Dabei
geht es nicht darum, verschiedene Aufgabengebiete ge-
geneinander auszuspielen, sondern darum, langfristige
Antworten auf drängende Fragen zu geben.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein ande-
res Thema ansprechen, das Sie sicherlich auch kennen.
In Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern werden
wir immer wieder gefragt, wie finanzielle Mittel in der
EZ eingesetzt werden und ob das Geld auch vor Ort an-
kommt. An dieser Stelle verweise ich gerne auf das noch
junge Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungs-
zusammenarbeit, kurz: DEval. Das Institut unterstützt
das BMZ, unsere Durchführungsorganisationen wie die
GIZ und die KfW sowie nichtstaatliche Einrichtungen
dabei, ihre Entwicklungsprojekte auszuwerten und die
Ergebnisse vor allen Dingen auch für den Bürger trans-
parenter darzustellen.

Was erreichen wir damit? Folgeprojekte können auf
einen Erfahrungspool zurückgreifen, und finanzielle
oder personelle Mittel für zukünftige Projekte können
noch gezielter eingesetzt werden. Damit ist das DEval
ein gutes Beispiel, um die effizientere Herangehens-
weise deutscher Entwicklungspolitik unseren Bürgerin-
nen und Bürgern aufzuzeigen. Es wird nicht nur die
Umsetzung von Maßnahmen evaluiert, sondern damit
auch intensiver geprüft, ob der erhoffte entwicklungs-
politische Nutzen eingetreten ist und die eingesetzten
Mittel einen Beitrag zur Verbesserung der Situation vor





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)

Ort geleistet haben. Aus diesem Grunde begrüße ich aus-
drücklich den Aufwuchs im Haushaltsjahr 2015 um
378 000 Euro Barmittel auf 7,4 Millionen Euro für das
DEval.

Meine Damen und Herren, wir debattieren hier ge-
meinsam den Einzelplan 23. Die Mittel im Haushalt des
BMZ wurden nicht zurückgefahren; der Haushalt bleibt
stabil. Aber das 0,7-Prozent-Ziel ist sicherlich mit einem
großen Fragezeichen zu sehen. Wir geben es aber nicht
auf – das müssen wir festhalten –,


(Beifall bei der CDU/CSU)


und wir arbeiten unter dieser Regierung daran, vernünf-
tig voranzukommen. Unter anderen Regierungen war es
im Übrigen sehr viel schlechter.

Den Kritikern sei an dieser Stelle einmal mehr der
Blick auf die Entwicklung des BMZ-Haushaltes nahe-
gelegt. Während im Jahr 2005 für die Entwicklungs-
zusammenarbeit weniger als 4 Milliarden Euro zur Ver-
fügung gestanden haben, haben wir heute ein Volumen
von knapp 6,5 Milliarden Euro. Das ist ein großer Schritt
nach oben, den wir trotz der Euro-Krise und der notwen-
digen Konsolidierung des Haushaltes für zukünftige Ge-
nerationen gegangen sind.

Ich darf auf einen weiteren Punkt eingehen. Den
messbaren Erfolg in der Entwicklungszusammenarbeit
steigern wir nur im Einklang mit anderen Ressorts und
zivilen Akteuren. Ich bekräftige ganz ausdrücklich das
Bekenntnis der CDU/CSU zu einer verstärkten Zusam-
menarbeit mit der Wirtschaft gerade im Entwicklungs-
bereich. Um die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit
Entwicklungs- und Schwellenländern zu stärken, ist mir
in diesem Kontext die Weiterentwicklung von Rohstoff-
partnerschaften ein wichtiges Anliegen. Hier müssen wir
ideologische Ängste in unserem Land abbauen, dass sol-
che Partnerschaften ausschließlich zur Ausbeutung in
den Zielländern führen. Dies gelingt insbesondere durch
mehr Transparenz. Rohstoffeinnahmen können, wenn sie
richtig verwaltet werden, in den Entwicklungsländern
zur Wohlstandsentwicklung beitragen; das stellen wir
sicher. Zudem müssen alle betroffenen Akteure gehört
werden. Es gibt aber keinen Grund, mit Schaum vor dem
Mund die Weiterentwicklung solcher Projekte zu be-
kämpfen. Maßgeblich für den Erfolg sind gute Regie-
rungsführung, ein verantwortlicher Umgang mit den
Steuereinnahmen und begleitende Antikorruptionsmaß-
nahmen in den Herkunftsländern.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und in Deutschland!)


Wir stellen fest: Die Entwicklungszusammenarbeit ist
auf dem richtigen Weg. Minister Müller hat mit diesem
Haushaltsentwurf erneut unter Beweis gestellt, dass er
auf aktuelle Entwicklungen reagiert und dabei nicht den
Gesamtkontext aus den Augen verliert. Wir werden ihn
dabei tatkräftig unterstützen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805014400

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Annette Groth

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Annette Groth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805014500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich, Minister Müller, dass Sie den Weltagrar-
bericht von 2008 zumindest erwähnt haben, der sonst
immer in Schubladen verschwindet. Dieser Bericht
besagt, dass man auf diesem Planeten 12 Milliarden
Menschen problemlos ernähren kann, und zwar allein
auf ökologisch-nachhaltiger Basis, ohne Gentechnik; das
muss man immer wieder betonen. Wir haben eigentlich
die Tools. Wir müssen sie nur nutzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte an Sie appellieren – dazu wurde schon
viel gesagt –: Setzen Sie sich für eine nachhaltige Ent-
wicklung ein! Setzen Sie sich für höhere Ausgaben für
Entwicklung und humanitäre Hilfe ein! Der Bedarf an
humanitärer Hilfe und Entwicklungsleistungen ist so
groß wie nie. 81 Millionen Menschen benötigen in
diesem Jahr humanitäre Hilfe. Um diese Menschen
angemessen zu versorgen, werden 17 Milliarden US-
Dollar benötigt. Gedeckt sind davon bisher 39 Prozent.

Ich will nicht noch einmal an die katastrophale Situa-
tion im Nahen Osten, in Syrien, im Jemen, in Nigeria
oder Mali erinnern; das alles ist uns bekannt. Wir haben
gestern im Auswärtigen Amt ein Gespräch mit der stell-
vertretenden Generalsekretärin von OCHA, dem UN-
Büro für humanitäre Hilfe, geführt. Sie sagte, dass allein
4 Millionen Menschen im Sudan in den nächsten zwei
Monaten von Hunger bedroht sind. Sie beklagte die
katastrophale Situation in Gaza, wo dringend Trinkwas-
ser, Nahrungsmittel, Baumaterialien sowie medizini-
sche Geräte wie Rollstühle und Medikamente benötigt
werden. Waren im Werte von 100 Millionen Dollar war-
ten derzeit auf Erlaubnis der israelischen Regierung, in
den Gazastreifen eingeführt zu werden. In diesem Zu-
sammenhang fordert OCHA das Ende der völkerrechts-
widrigen Blockade von Gaza,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


da durch diese Blockade die dringend benötigten Waren
nicht reinkommen und die Schwerverletzten nicht raus-
kommen, die dringend einer medizinischen Behandlung
bedürfen. Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregie-
rung den 2010 vom Bundestag gefassten Beschluss, dass
die Blockade aufgehoben werden muss, umsetzt. Daran
möchte ich uns alle erinnern.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben so viele Flüchtlinge wie noch nie. Das
wurde schon von einigen erwähnt. Es sind mehr als
50 Millionen. Die meisten dieser Flüchtlinge sind Kriegs-
flüchtlinge. Mit den Kriegen gegen den Irak, Afghanis-
tan, Libyen, aber auch mit den Waffenlieferungen an die
Golf-Diktaturen und oppositionelle Gruppen in Syrien
sind Waffen in die Region gepumpt worden, die heute





Annette Groth


(A) (C)



(D)(B)

von den Terroristen des „Islamischen Staats“ eingesetzt
werden.

Auch die Bundesregierung geht mit ihren Waffenlie-
ferungen an die irakischen Kurden ein hohes Risiko ein.
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Waffen morgen in ei-
nem blutigen Konflikt um einen kurdischen Staat einge-
setzt werden, ist groß. Vor allem können diese Waffen
auch in die Hände der Dschihadisten gelangen.

Seit nunmehr zwei Jahren verüben Islamisten im Nor-
den Syriens Massaker, insbesondere an religiösen Min-
derheiten. Interessiert hat sich allerdings im Westen
kaum jemand dafür. Erst als sich der „Islamische Staat“
den großen Ölfeldern im Irak näherte, wurde er plötzlich
als Gefahr wahrgenommen.


(Zuruf der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU])


Der Westen hat mit der Irak-Invasion 2003 und mit sei-
ner einseitigen Syrien-Politik den Nährboden für das Er-
starken des ISIS erst geschaffen.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)


Bis heute verschließen die USA und die EU-Mitglied-
staaten weitgehend die Augen vor der vielfältigen Unter-
stützung des „Islamischen Staats“ insbesondere durch
den NATO-Partner Türkei und auch durch Katar.

Die westlichen Staaten müssen endlich angemessen
auf die humanitäre Katastrophe in der Region reagieren.
Die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist inzwischen auf
der Flucht, 3 Millionen Menschen haben ihr Land ver-
lassen. Im Irak sind seit Beginn dieses Jahres 1,6 Millio-
nen Menschen geflüchtet. Wir wissen alle, dass die gro-
ßen Aufnahmeländer in der Region, insbesondere der
Libanon und Jordanien, schon lange nicht mehr in der
Lage sind, neue Flüchtlinge aufzunehmen und die be-
reits angekommenen angemessen zu versorgen.

Flüchtlinge brauchen eine Möglichkeit, legal in die
EU zu kommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu gehören sichere Fluchtwege ohne Frontex sowie
eine geregelte EU-Aufnahmepolitik. Volker Kauder, der
leider nicht hier ist, sagte vor einigen Wochen, Deutsch-
land könne keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen, da es
angeblich nicht möglich sei, sie hier gut unterzubringen.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist absurd!)


Angesichts der Lage in den Flüchtlingslagern in der Re-
gion, ohne ausreichend Trinkwasser, ohne sanitäre Ein-
richtungen und Medikamente, ist das eigentlich der reine
Hohn.


(Beifall bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Eine bewusste Strategie!)


Ich fürchte aber, sehr geehrter Herr Minister, verehrte
Damen und Herren, dass demnächst noch viel mehr
Menschen zur Flucht gezwungen werden. Durch die zu-
nehmende Vergiftung des Wassers und der Böden wird
in vielen Regionen der Welt die Produktion von Lebens-
mitteln drastisch abnehmen. Das wird noch eine echte
Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit
und die humanitäre Hilfe. Darum müssen wir endlich
eine nachhaltige Entwicklungspolitik und eine nachhal-
tige Umweltpolitik auf nationaler und internationaler
Ebene durchsetzen. Sonst geht der Planet flöten oder vor
die Hunde. Das haben auch Sie mit anderen Worten eben
angedeutet.

Noch einmal meine Bitte an Sie, Herr Minister – Sie
haben ein paar kritische Worte zu dem Freihandelsab-
kommen gesagt –: Setzen Sie sich bitte dafür ein, dass
TTIP und CETA von der Tagesordnung verschwinden.


(Beifall bei der LINKEN)


NAFTA – das ist das Freihandelsabkommen zwischen
den USA und Mexiko – tötet. Das sagt jeder. Der Papst
sagt: Kapitalismus tötet. – Das Wirtschaftssystem, das
tötet, gehört abgeschafft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805014600

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Bärbel

Kofler das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1805014700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Minis-
ter, Sie haben sehr richtige Worte zur Beschreibung der
Situation auf unserem Planeten gefunden. Sie haben den
Satz gesagt – so habe ich es mir aufgeschrieben –: Es
geht bei den Fragen, die wir in der Entwicklungszusam-
menarbeit bearbeiten, um die Überlebensfrage der
Menschheit. – Ich bin da ganz bei Ihnen. Ich bin nur lei-
der enttäuscht, dass sich dies nicht in diesem Haushalt
wiederfindet und dass es in der Höhe der Haushaltsmittel
nicht abgebildet wird.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe den Aufruf sehr wohl verstanden, dass wir
alle hier in dieser Debatte einen Beitrag leisten sollen
und müssen, die Haushaltsmittel zu erhöhen. Ich finde
das auch ganz wichtig und ganz nötig. Trotzdem ist es
für mich persönlich sehr enttäuschend, dass wir mit die-
sem Haushalt nicht konkreter werden können, sondern
dieser Haushaltsentwurf eigentlich nur den Haushalt für
2014 fortschreibt.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen eine eigene Mehrheit suchen!)


Jetzt weiß ich natürlich, dass von der Vorgängerregie-
rung eine Absenkung geplant gewesen ist, und zwar eine
ganz erhebliche: Das ist die sogenannte Niebel-Delle,
über die man in diesem Zusammenhang so gerne redet.
Ich bedauere sehr, dass aus der Niebel-Delle keine
Müller-Welle geworden ist; denn genau die hätten wir in
diesem Fall gebraucht.





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Warum das Ganze? Auch bei meiner Rede zum Haus-
halt 2014 habe ich betont: Es ist kein Selbstzweck. –
Alle Vorredner haben es angesprochen: In den letzten
Wochen und Monaten ist die Entwicklungszusammenar-
beit mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, weil
die aktuellen Krisen einfach deutlich machen, wo überall
Unterstützung nötig und auch machbar wäre. Allerdings
geht es nicht nur um Nothilfe; es geht in der Entwick-
lungszusammenarbeit um ein kontinuierliches Arbeiten
daran, Länder aufzubauen, Krisen vorzubeugen, präven-
tiv zu wirken. Ordentliche Entwicklungszusammenar-
beit ist immer Krisenprävention und damit Friedenspoli-
tik, und dazu müssen wir einen größeren Beitrag leisten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zurzeit findet auf der UN-Ebene, aber auch in ver-
schiedensten zivilgesellschaftlichen Organisationen, in
den Ministerien, in den verschiedensten Ländern eine
Debatte darüber statt, wie nachhaltige Entwicklung in
den nächsten Jahren überhaupt organisiert werden soll.
Es geht um die großen Herausforderungen, nicht nur in
den Entwicklungsländern, sondern auch bei uns. Drei
Finger der eigenen Hand zeigen immer auf uns und un-
ser Verhalten zurück, wenn wir auf andere zeigen. Wir
stehen vor der Bewältigung von Herausforderungen im
Bereich ökologischer Fragen sowie den Bereichen Ar-
beitsbedingungen und faire Handelsbedingungen. Sie
haben das Thema Wertschöpfungsketten angesprochen.
Ich freue mich im Übrigen, dass Sie dieses Mal das Wort
„Verbindlichkeit“ in den Mund genommen haben, Herr
Minister; ich habe das sehr wohl gehört. Ich möchte an
dieser Stelle noch einmal unterstreichen: Wir brauchen
verbindliche Standards und verbindliche Regeln in
puncto Arbeitsbedingungen auf diesem Planeten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle ein kleines Beispiel dafür, warum
Freiwilligkeit der falsche Weg ist und wir damit nicht
weiterkommen: Wie wir alle wissen, fand vor etwa an-
derthalb Jahren, am 24. April 2013, in Dhaka in Bangla-
desch mit dem Einsturz des Fabrik- und Bürohauses
Rana Plaza ein schreckliches Unglück mit mehr als
1 000 Toten und mehr als 2 000 Verletzten statt. Jetzt,
Ende September 2014, immerhin etwa anderthalb Jahre
später, sollten die Entschädigungen an die überlebenden
Opfer und an die Angehörigen der verstorbenen Opfer
gezahlt werden. Die ILO, die Internationale Arbeitsorga-
nisation, hat ausgerechnet, dass die Summe von 40 Mil-
lionen US-Dollar zur Verfügung gestellt werden sollte.
Leider sind von den Unternehmen, die dort produzieren
ließen und die somit auch Verantwortung tragen, nur
18 Millionen US-Dollar einbezahlt worden. Das kann so
nicht sein. Dieser Umgang mit den Opfern ist beschä-
mend. Vielleicht kann das Ministerium hier noch einmal
tätig werden.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine wichtige Frage ist: Wie können wir das Haus-
haltsvolumen erhöhen? Ich habe vorhin von dem von der
UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung ausge-
henden Prozess gesprochen. Diese Expertengruppe hat
einen Bericht vorgelegt, in dem verschiedene Dinge
deutlich gemacht worden sind: Wir müssen uns um die
Einnahmesituation in den Entwicklungsländern selber
kümmern. Das hat viel mit der Verhinderung von Steuer-
flucht, mit Aufbau von Staatlichkeit, mit Steuereinnah-
mesystemen und mit der Möglichkeit, hier unterstützend
tätig zu sein, zu tun. Diese Seite ist ganz wichtig. Diese
Expertengruppe hat aber auch gesagt – das darf man
ebenfalls nicht vergessen –: Wir müssen unsere interna-
tionalen Verpflichtungen einhalten. Das bezieht sich auf
die ODA-Quote und den Klimaschutz. Ich glaube, hier
müssen wir noch dringend nachlegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU])


Wichtig ist auch, dass wir miteinander noch einmal
die eine oder andere konkrete Verwendung von Haus-
haltsmitteln besprechen. Ich setze da sehr wohl auf die
Beratung. Ich habe ein paar Dinge durch die Blume ge-
hört, und ich hoffe, ich interpretiere das richtig.

Sie haben zu Recht über das Thema Friedenssiche-
rung und über die Bedeutung des Zivilen Friedensdiens-
tes geredet. Wir als Koalition haben im letzten Haushalt
hier einen Aufwuchs beantragt und uns auch für die zu-
künftige Entwicklung – das betrifft die sogenannten VEs
für die langjährige Planung – für eine deutliche Steige-
rung ausgesprochen. Ich sage es jetzt einmal vorsichtig:
Ich finde das im Regierungsentwurf nur bedingt wieder,
vor allem was die zukünftige Planung anbelangt. Im Ge-
gensatz zu unserem Antrag sind die VEs leider wieder
abgesenkt worden. Ich hoffe – ich bitte darum –, dass
wir das in den nächsten Wochen in den Beratungen noch
korrigieren können.


(Beifall bei der SPD)


Es ist gesagt worden: Es geht darum, dass wir einen
Beitrag dazu leisten, insbesondere in Ländern mit fragi-
len Staatlichkeiten Konflikte aufzuarbeiten und weiteren
Konflikten vorzubeugen, zu verhindern, dass sie über-
haupt entstehen und ausbrechen. Es ist leider Tatsache,
dass es viele Projekte gäbe, die man hier noch anschie-
ben könnte, wenn denn nur die Mittel da wären. Wir
müssen hier für einen kontinuierlichen Aufbau sorgen.

Ich war am Montag mit vielen Kollegen, die auch hier
versammelt sind, bei einer Initiative, bei der es um früh-
kindliche Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit
geht. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir auch im Koali-
tionsvertrag gemeinsam als einen unserer Schwerpunkte
beschlossen haben: Bildungsfragen in der Entwicklungs-
zusammenarbeit.

Ich möchte daran erinnern, dass es eine Initiative gibt,
die in diesem Jahr eine Wiederauffüllungskonferenz ver-
anstaltet hat und weltweit tätig ist; das ist die sogenannte
Global Partnership for Education. Diese Initiative sam-
melt weltweit Mittel ein, um Bildung auf allen Ebenen
voranzubringen. Angestrebt sind 3,5 Milliarden US-Dol-
lar bis 2018. Leider sind bisher nur 2,1 Milliarden US-





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

Dollar erreicht worden. Ich bin, ehrlich gesagt, nicht da-
von überzeugt, dass die 7 Millionen Euro, die wir im
Haushalt dafür vorgesehen haben, ein so üppiger Beitrag
sind, dass wir hier nicht noch besser werden könnten.


(Beifall bei der SPD)


Das Thema Gesundheit, das vielen Kolleginnen, so
auch mir, ganz besonders am Herzen liegt, ist schon ver-
schiedentlich angesprochen worden, auch von Ihnen,
Herr Minister. Die Impfinitiative halte ich für extrem
wichtig. Heute Morgen hatten verschiedene Kollegen die
Gelegenheit, das mit der Initiative selbst, mit GAVI, zu
besprechen. Eines ist klar geworden: Alles, was hier an
Mitteln eingesetzt wird, wird von den Entwicklungslän-
dern in einem deutlichen Maße mit eigenen Mitteln auf-
gestockt. Jeder Euro, den wir einsetzen, bringt also
durch das Engagement der Länder des Südens selbst ei-
nen Mehrwert. Wir haben im nächsten Jahr die Wieder-
auffüllungskonferenz. Die Länder des Südens haben ihre
Mittel für Impfstoffe um 250 Prozent gesteigert; so ha-
ben wir heute Morgen gelernt. Das heißt aber: Auch wir
müssen deutlich erhöhen. Die Verpflichtungsermächti-
gungen für GAVI – es tut mir leid, das sagen zu müs-
sen – in diesem Haushalt geben das noch nicht her. Wir
wissen, dass wir einen Betrag in Höhe von ungefähr
100 Millionen Euro erreichen müssen.

Ich habe alle diese Dinge nur anreißen können. Es
gibt noch viele andere Punkte, über die wir noch einmal
sprechen müssen, auch über den Globalen Fonds. Ich
hoffe sehr, dass wir miteinander in den Haushaltsbera-
tungen einen Beitrag dazu leisten, dass die Mittel erhöht
werden, und auch noch einen Beitrag dazu leisten, dass
ein paar Akzente gesetzt werden. Darüber würde ich
mich sehr freuen.

Danke.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805014800

Als nächster Redner hat der Kollege Uwe Kekeritz

das Wort.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805014900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Das Motto meines Vortrags heißt: Folgt der Show auch
die Substanz?

Herr Minister Müller, Sie werfen der EU meines Er-
achtens zu Recht vor, dass sie humanitär versagt hat. Sie
fordern deshalb 1 Milliarde Euro von der EU für Flücht-
lingshilfe. Auch wenn ich diesen Betrag noch für zu
klein halte, bin ich da völlig auf Ihrer Seite.

Aber wie schaut es denn mit dem BMZ-Etat aus? Die
Sonderinitiative „Fluchtursachen“ ist bereits zwei- oder
dreimal erwähnt worden. Es ist doch erstaunlich: Sie ist
positiv erwähnt worden, obwohl Sie die Mittel für diese
Initiative um 10 Millionen Euro kürzen. Es ist doch gro-
tesk, die ohnehin viel zu geringen Anstrengungen bezüg-
lich der Bekämpfung der Fluchtursachen noch weiter zu
reduzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Gerade in Bayern schürt Ihre Partei mit der Speerspitze
Herrmann die Ressentiments gegenüber den Menschen
in Not, und hier kürzen Sie die Mittel zur Bekämpfung
der Fluchtursachen. Glaubwürdigkeit schaut etwas an-
ders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Wir wissen, dass Sie es im Kabinett sehr schwer ha-
ben. Was war es für ein herrliches Possenspiel um die
Waffenlieferungen. Sie haben sich dagegen ausgespro-
chen, völlig zu Recht. Hier sind wir auf Ihrer Seite. Aber
als es dann um die Abstimmung ging, wurden Sie
schlicht ausgesperrt. Diese Sache hat mich völlig irri-
tiert. Das ist für mich aber auch ein Zeichen, dass der
Außenminister und die Kanzlerin den Minister für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nicht
ernst nehmen. Das war für mich ein sehr schlechtes Si-
gnal an die deutsche Öffentlichkeit; denn eigentlich sind
Sie dafür zuständig. Sie sind Mitglied im Bundessicher-
heitsrat, aber dies war keine Entscheidung des Bundessi-
cherheitsrates. Wenn es eine gewesen wäre, dann hätte
man auch den Minister zulassen müssen. Man hat die
Entscheidung aber einfach aus der Zuständigkeit des
Bundessicherheitsrates herausgenommen und dann im
Bundestag darüber abgestimmt.

Waffenlieferungen – da bin ich auf Ihrer Seite – sind
nicht hilfreich. Völlig indiskutabel ist aber das Verhält-
nis von humanitärer Hilfe – 50 Millionen Euro – zu Waf-
fenlieferungen – 70 Millionen Euro.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn diese Regierung vorgibt, dass die humanitäre
Situation die Ursache ihres Handelns ist, dann muss
Hilfe in den Bereichen Ernährung, Gesundheit und Un-
terbringung der Menschen, also Hilfe zum Erhalt der
Menschenwürde, zur obersten politischen Leitmaxime
dieser Regierung werden. Waffenlieferungen helfen da
kaum.

Das Thema „Ebola“ wurde heute auch schon ange-
sprochen: über 2 000 Tote, bald 20 000 Infizierte. Wir
haben hier eine humanitäre Katastrophe. Wir stehen
nicht davor, sie ist bereits da, und Deutschland stellt we-
niger als 3 Millionen Euro zur Verfügung. Auch wenn in
letzter Zeit versprochen wurde, dass wir Fachkräfte und
Ausstattungsmaterial schicken, so kommt dies sehr, sehr
spät. Die Ebolakrise, Herr Minister, offenbart aber
schmerzlich, dass der Aufbau von Gesundheitssystemen
sträflich vernachlässigt wurde und wird. Herr Müller,
setzen Sie das Thema „soziale Sicherung“ endlich wie-
der auf die politische Agenda; denn wir brauchen nach-
haltige Strukturen. Diese wirken in Ruanda. Dort gab es,
was vielleicht nicht so bekannt ist, in den letzten Jahren
vier Ausbrüche von Ebolaepidemien. In Ruanda gibt es
aber funktionierende soziale Strukturen, insbesondere
ein funktionierendes Gesundheitssystem. Deswegen hat
die Regierung dort diese vier Ausbrüche sehr schnell





Uwe Kekeritz


(A) (C)



(D)(B)

wieder unter Kontrolle bekommen. Wir in Europa haben
davon überhaupt nichts mitbekommen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, können Sie mir ei-
gentlich sagen, warum die Maut kommt? Nein, es hat
nichts mit kabarettistischen Leistungen im Haus zu tun.
Die Maut kommt deshalb, weil die Kanzlerin festgestellt
hat, dass die Maut im Koalitionsvertrag steht. Lesen Sie
bitte einmal den Koalitionsvertrag genauer durch. Der
Koalitionsvertrag hebt beim Thema „Global Fund“ her-
vor, dass der Global Fund eine herausragende Bedeutung
hat und dass diese Regierung ihn stärken wird. Aller-
dings wundere ich mich schon, was diese Regierung un-
ter „stärken“ versteht.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tauschen wir das doch gegen die Maut!)


– Nein, nein, nein. Die Maut wird ein Draufzahlgeschäft.
Die brauchen wir hier nicht.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die soll weg, und das andere soll kommen!)


Also, Sie kürzen den Betrag um 45 Millionen Euro.
Stärken schaut anders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist vielleicht ein Hinweis für die SPD: Wenn also
mit dem Koalitionsvertrag argumentiert wird, dann
könnt ihr doch in Zukunft auch sagen: Koalitionsvertrag,
Global Fund.


(Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Minister, wir begrüßen, dass Sie sich des The-
mas „Arbeitsbedingungen in der Textilbranche“ anneh-
men. Ich freue mich natürlich auch, dass Sie heute zum
ersten Mal tatsächlich gesagt haben, Sie wollen verbind-
liche Standards. Gut so. Jetzt würde es mich natürlich in-
teressieren, was Sie innerhalb des Kabinetts dafür tun
und wie Sie auf europäischer Ebene argumentieren und
die Maschinerie in Richtung Verbindlichkeit bewegen
wollen; denn die Signale, die wir momentan aus Europa
bekommen, sind nicht gerade sehr aufmunternd. Aber
ich bin davon überzeugt, Sie schaffen das noch.

Die Frau Präsidentin blinkt schon.


(Heiterkeit)


Das 0,7-Prozent-Ziel wurde angesprochen. Es ist vorhin
kritisiert worden, dass der Aufholplan nicht richtig funk-
tioniert. Es gibt doch gar keinen mehr. Seien Sie doch
endlich so ehrlich und stehen Sie dazu, dass Sie diesbe-
züglich nichts machen wollen oder nichts machen kön-
nen, aber erklären Sie den Menschen in diesem Land
auch, wie Sie den kommenden SDG-Prozess finanzieren
werden.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805015000

Also, jetzt fängt die Präsidentin bald wirklich an zu

blinken.

Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805015100

Frau Präsidentin, ich bedanke mich bei Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805015200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun spricht

Johannes Selle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1805015300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland
wird in der Entwicklungszusammenarbeit sehr gut wahr-
genommen. Zu dem ausgesprochen positiven Bild ist es
durch Bundesminister Müller und seine Führungsmann-
schaft gekommen, die seit dem Amtsantritt mit Leiden-
schaft arbeiten – wir haben es heute selbst wieder erlebt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD])


Deutschland ist preis- und wechselkursbereinigt
zweitgrößter Geber nach den USA, und wir bleiben mit
diesem Haushalt führend. Wir wissen, dass wir nicht
nachlassen dürfen, und Deutschland ist sich seiner Ver-
pflichtung in Sachen Mitmenschlichkeit bewusst.

Mehrfach wurde heute die Ausnahmestellung dieses
Haushaltes, der ohne neue Schulden auskommt, hervor-
gehoben; ich will das auch tun. Als Entwicklungspoliti-
ker und als Mitglied der Regierungskoalition kann ich
nur daran interessiert sein, dass die Leistungskraft
Deutschlands erhalten bleibt. Es gibt nämlich nicht sehr
viele Partner, die noch wirksam helfen können. Deshalb
ist das Betreten des Weges ohne neue Schulden auch für
uns ein gutes Signal, und wir tragen es mit.

Der Einzelplan 23 für das Jahr 2015 ist ein Bekennt-
nis der Bundesregierung zur herausgehobenen Bedeu-
tung der Entwicklungszusammenarbeit. Wir können un-
sere starke Präsenz fortführen und unsere weltweiten
Verpflichtungen erfüllen. In der Finanzplanung ist ein
weiterer, stärkerer Aufwuchs im Jahr 2016 vorgesehen,
und dieser Kurs – das möchte ich schon andeuten –
muss auch fortgesetzt werden, nicht nur, weil wir als
Fachpolitiker es uns wünschen, sondern auch, weil wir
das 0,7-Prozent-Ziel nicht aufgeben.

Die Herausforderungen an die Entwicklungspolitik
sind im letzten Jahr sprunghaft gestiegen. Das Umfeld
nimmt an Fragilität zu. Das Heidelberger Institut für In-
ternationale Konfliktforschung listet für das Jahr 2013
über 200 gewaltsame Konflikte auf. Davon sind 45 als
Kriege klassifiziert. Auf diese Krisen hat Deutschland
mit seinem entwicklungspolitischen Instrumentarium
schnell reagiert; ich denke da nicht nur an die sehr prä-
senten Konflikte im Irak, in Syrien und im Gazastreifen,
sondern auch an die weniger beachteten, aber nicht we-
niger grausamen Konflikte im Südsudan und in der Zen-
tralafrikanischen Republik. Das hat uns weltweit Aner-
kennung verschafft.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Johannes Selle


(A) (C)



(D)(B)

Im Übrigen hat es auch zu einer Priorisierung der He-
rausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit
geführt. Mit Sonderinitiativen zu Flüchtlingsfragen und
zu Verbesserungen der landwirtschaftlichen Produk-
tionskapazitäten werden entscheidende Themen ange-
gangen; diese Bereiche werden verstärkt mit Mitteln
ausgestattet. Dabei geht es nicht nur um Unterstützung
für die Flüchtlinge selbst, sondern auch um Hilfe für die
Aufnahmeregionen. Vielerorts ist die ohnehin schon un-
zureichende Infrastruktur dem Ansturm der Flüchtlinge
nicht mehr gewachsen, und neben das Problem der Ver-
sorgung der Flüchtlinge tritt die Gefährdung der sozialen
und ökonomischen Entwicklung der Aufnahmeregionen
selbst, zum Beispiel in Jordanien und im Libanon, wie es
die Kollegen schon ausgeführt haben.

Menschen wollen nicht entwurzelt werden. Deshalb
ist die heimatnahe Unterbringung, wenn sie möglich ist,
von Vorteil, insbesondere dann, wenn wir darauf achten,
dass die Aufnahmeregionen entwicklungspolitisch eben-
falls von ihrer Bereitschaft profitieren. Dies kann über
die Sonderinitiative zur Flüchtlingsproblematik gut un-
terstützt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Sonderinitiative zur Entwicklung der landwirt-
schaftlichen Produktionskapazitäten liegt ein Schlüssel
zu einer erfolgreichen Reintegration von Flüchtlingen.
Die Rückkehrbereitschaft des Einzelnen hängt maßgeb-
lich von seinen ökonomischen Perspektiven ab. Es be-
darf nicht nur politischer Stabilität; es muss auch gelin-
gen, bestehende Potenziale zu nutzen. Wir müssen
Modelle etablieren, die sich ohne unsere Zuschüsse tra-
gen können. Dieses Potenzial im landwirtschaftlichen
Bereich ist – gerade wenn wir an Afrika denken – ohne
Zweifel vorhanden. Dies kann über die Sonderinitiative
zur Landwirtschaft ebenfalls gut unterstützt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Infrastrukturinvestitionen sind eine wesentliche Vo-
raussetzung für soziale und ökonomische Entwicklung.
Als Berichterstatter für die Finanzielle Zusammenarbeit
halte ich den in diesem Bereich erzielten Barmittelauf-
wuchs von 34 Millionen Euro und die erhebliche Anhe-
bung der Verpflichtungsermächtigungen auf gut 2,4 Mil-
liarden Euro daher für besonders wichtig und erfreulich.
Die KfW als Durchführungsorganisation der deutschen
Finanziellen Zusammenarbeit genießt weltweit einen
ausgezeichneten Ruf. Hervorzuheben ist dabei die Er-
folgsquote von KfW-geförderten Projekten in fragilen
Kontexten. Fragilität wächst, wie ich bereits ausgeführt
habe, im Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit.

In den kommenden Verhandlungen können wir noch
den einen oder anderen Akzent setzen. Darauf freue ich
mich. Insgesamt ist die deutsche Entwicklungszusam-
menarbeit, wie ich finde, mit dem Haushalt 2015 gut
aufgestellt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frag den Minister, ob er das auch so sieht!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805015400

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie Ihre Redezeit

eingehalten haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Und für die guten Worte! – Johannes Selle [CDU/CSU]: Ein Vorbild muss es ja geben!)


Jetzt hat die Kollegin Gabriela Heinrich das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabriela Heinrich (SPD):
Rede ID: ID1805015500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, dringen Sie
eigentlich noch durch mit Ihren Themen, wenn Sie mit
Ihren Besuchergruppen, wenn Sie mit Ihren Wählerin-
nen und Wählern aus dem Wahlkreis oder mit Schüler-
gruppen reden? Müssen Sie nicht auch überall über die
Krisen reden, die wir heute schon vielfach besprochen
haben, die so viele verängstigen? Über das Blutvergie-
ßen in der Ukraine, über die unzähligen Flüchtlinge in
Syrien, über die unerträglichen Grausamkeiten im Nord-
irak, über eine Welt, die offensichtlich völlig aus den Fu-
gen geraten ist?

Aktuell wird die eine Krise in rasender Geschwindig-
keit von der nächsten verdrängt; der Minister erwähnte
es schon. Vor einigen Tagen und Wochen waren es noch
der Gaza-Konflikt, die Bürgerkriege und die damit ver-
bundenen drohenden Hungersnöte in Südsudan, in Zen-
tralafrika, in Somalia. Wer redet heute noch von Mali?
Unvorstellbare und sinnlose Gewalt.

1,5 Milliarden Menschen leben derzeit in fragilen
Staaten. Fragil, das bedeutet, das sind Staaten, in denen
die Menschen ihren Alltag nicht mehr leben können;
denn ihr Alltag besteht aus Terror, Hunger, Krieg und
Flucht. Sie flüchten, und viele versuchen, irgendwie Eu-
ropa zu erreichen. Was heißt „viele“, wenn aktuell mehr
als 50 Millionen – das wurde auch schon erwähnt – auf
der Flucht sind? In Deutschland sind in diesem Jahr bis
Juli 2014 rund 97 000 angekommen. Das stellt selbst un-
ser reiches Land vor enorme Herausforderungen. An
dieser Stelle treffen uns diese Krisen ganz unmittelbar;
denn die Flüchtlinge kommen in ihrer Mehrzahl aus all
diesen instabilen, fragilen Ländern, und sie brauchen
Schutz.

Es betrifft uns ebenso unmittelbar, wenn wir Angst
haben vor Anschlägen, vor Terror im eigenen Land, ob
von Deutschen, die in den Dschihad gezogen sind und
zurückkehren werden, oder von möglichen Schläfern.
Warum, fragen wir uns, werden so viele junge Männer,
auch ein paar Frauen, von einem ungeheuren Fanatismus
angezogen, sodass sie bereit sind, zu morden, zu plün-
dern, zu vergewaltigen, zu zerstören? Auch wenn es mit
Sicherheit unterschiedliche Motivationen geben mag,
liegt ein Beweggrund ganz sicher im Fehlen jeder per-
sönlichen Perspektive. Wer nichts zu verlieren hat, wer





Gabriela Heinrich


(A) (C)



(D)(B)

keine andere Anlaufstelle, Unterstützung oder auch nur
Struktur vorfindet, wird leichter empfänglich für die
Propaganda von Terrorgruppen. Diese bieten häufig
Strukturen, Versorgung und vielleicht auch Anerken-
nung für diejenigen, die hoffnungslos, wütend und ent-
täuscht sind. Die Unterstützung vieler radikaler Gruppie-
rungen, seien sie politisch oder religiös verbrämt, speist
sich genau aus dieser Mischung.

Damit kann der unvorstellbare Terror des IS und an-
derer Mörderbanden niemals gerechtfertigt werden; aber
sollten wir nicht in Jahrhunderten gelernt haben, welche
Alternativen es gibt, Hass und Fanatismus den fruchtba-
ren Boden zu entziehen? Die Alternativen sind Nahrung,
Bildung, Arbeit, Gesundheit und nicht zuletzt Frieden
und Sicherheit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist richtig und notwendig – dies wurde auch bereits
gesagt –, dass wir angesichts der aktuellen Krisen kurz-
fristig schnelle Hilfe leisten. Wir dürfen es aber nicht
beim Reagieren belassen. Es geht darum, vorausschau-
end zu handeln.

Jetzt endlich bin ich beim Thema Entwicklungspoli-
tik. Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik. Entwick-
lungspolitik ist Prävention. Der Minister hat es gesagt:
Entwicklungspolitik kann und muss einen Beitrag dazu
leisten, dass Konflikte entschärft werden oder gar nicht
erst entstehen. Denken Sie an die Kämpfe, die noch zu
befürchten sind, wenn es um die Verteilung von Wasser
geht.

Die deutsche Entwicklungspolitik besteht aus einer
Vielzahl von Programmen und Projekten, die Chancen
und Teilhabe fördern, sei es die Hoffnung auf Versöh-
nung, für die der Zivile Friedensdienst steht, die Chance
auf Bildung und damit eine Chance auf Aufstieg, die wir
mit Bildungsprojekten, Ausbildungspartnerschaften und
dem Deutschen Akademischen Austauschdienst unter-
stützen, die Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirt-
schaft, um den Hunger zu bekämpfen, und die vielfach
erwähnte Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“.

Zugunsten besserer Chancen auf Arbeit und für wirt-
schaftliches Wachstum fördern wir Wirtschaftspartner-
schaften und wichtige Infrastrukturprojekte von der
Trinkwasserversorgung bis zum Krankenhaus. Unsere
Entwicklungspolitik unterstützt Maßnahmen gegen Müt-
ter- und Kindersterblichkeit und stärkt die sexuellen und
reproduktiven Rechte. Wir stärken gute Regierungsfüh-
rung in Entwicklungsländern und finanzieren Beratung
für wichtige Strukturreformen in unseren Partnerländern.
Dabei machen wir uns für Umwelt und Klimaschutz,
aber auch für die Menschenrechte, für Gleichberechti-
gung, Frauenförderung und letztlich für die Demokratie
stark.

Bei allem darf man nie vergessen, dass es nicht nur
um den Staat, sondern auch um die Zivilgesellschaft
geht. Sonja Steffen hat es bereits sehr eindrücklich be-
schrieben. Gerade weil viele Länder ihren Bürgern keine
ausreichende Sicherheit geben, gerade weil Machteliten
häufig eben nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind, ist
es aus unserer Sicht wichtig, dass wir die Zivilgesell-
schaft, die politischen Stiftungen und die Kirchen
stärken und auch die privaten Träger unterstützen. Das
werden wir bei den kommenden Haushaltsberatungen
deutlich machen.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen und wir müssen unsere Partnerländer da-
bei unterstützen, ein tragendes Fundament aufzubauen.
Ein solches Fundament ist die beste Prävention dafür,
Fluchtursachen zu bekämpfen, den Zulauf zu Terroris-
mus zu senken und die Krisen von morgen zu vermei-
den.

Alles, was ich beschrieben habe, wollen alle hier; das
weiß ich. Das ist nicht mein Vorrecht. Ich meine aber,
dass der vorgelegte Haushaltsentwurf in Bezug auf den
Etat für das BMZ noch deutlich Luft nach oben hat, ge-
rade auch angesichts der Verpflichtungen und Zusagen
der Bundesregierung auf internationaler Ebene. Denn
wer Vorreiter sein will, muss diese Rolle auch kontinu-
ierlich ausfüllen.


(Beifall bei der SPD sowie bei der CDU/CSU)


Herr Minister, wir werden Sie dabei unterstützen. Ich
bin sicher, dass auch die CDU/CSU Sie dabei unterstüt-
zen wird.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mir nicht sicher!)


Ich bin auch überzeugt, dass die Vermeidung und Ent-
schärfung von Konflikten nicht nur klüger und menschli-
cher ist, sondern langfristig auch kostengünstiger. Wenn
wir mehr wollen, als nur zu reagieren, dann werden wir
stärker in die Prävention von Krisen investieren müssen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805015600

Als nächster Redner hat der Kollege Tobias Zech das

Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1805015700

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine

Damen und Herren! Ich habe heute festgestellt, dass
Entwicklungspolitiker und Haushaltspolitiker vor allem
eines gemeinsam haben: Lieber Volkmar Klein, wir
müssen in großen Zeiträumen denken und nachhaltige
Entscheidungen treffen. Das ist in Zeiten, in denen die
Welt von Krisen gebeutelt ist – nicht nur wir haben hier
in den letzten Wochen und Monaten darüber diskutiert,
sondern auch in den Medien wird es thematisiert, und es
bewegt auch die Menschen in unseren Wahlkreisen –,
eine große Herausforderung.

Zum einen lässt sich die Zukunft nur noch schwer an-
tizipieren, und zum anderen stoßen wir auf Akteure wie
Boko Haram und ISIS, Akteure, die unsere zivilisatori-
schen Errungenschaften, Menschenrechte, Rechtstaat-





Tobias Zech


(A) (C)



(D)(B)

lichkeit, und unser christliches Moralverständnis mit
Füßen treten. In dieser Situation muss unsere Sicher-
heits- und Entwicklungspolitik stärker denn je miteinan-
der verzahnt werden.

Wir blicken aktuell auf eine steigende Anzahl von
Staaten, die sich in einem Zerfallsprozess befindet und
von Krankheiten befallen ist, von Krankheiten wie Will-
kür, Korruption oder Gewalt. Diese Krankheiten bleiben
nicht in diesen Ländern, sondern sie infizieren auch die
Nachbarländer und ganze Regionen. Im Nordirak sind in
diesem Moment, in dem wir darüber diskutieren, über
10 000 traumatisierte und verängstigte Menschen auf der
Flucht. Der Syrien-Konflikt ist jetzt schon die größte hu-
manitäre Katastrophe in den letzten 50 Jahren in dieser
Region.

Ich denke, man kann eines sagen – wir haben das vor
allem heute Vormittag gehört –: Die schwarze Null ist
sehr wichtig. Die schwarze Null ist ein generationenge-
rechter Haushalt. Ich denke, die schwarze Null ist auch
wichtig, weil sie eine Vorbildfunktion für andere Länder
hat. Aber angesichts der Herausforderungen, vor denen
wir in der Außenpolitik und vor allem in der Entwick-
lungs- und Sicherheitspolitik stehen, müssen wir die
Verteilung der Mittel zwischen den Ressorts vielleicht
noch einmal überdenken. Dafür sollten wir die nächsten
Wochen nutzen und dem Haushalt des BMZ noch mehr
Mittel zur Verfügung stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aus fragilen Staaten können schnell realpolitische
Bedrohungen entstehen. Wir haben erst in der vergange-
nen Woche über die Waffenlieferungen in den Nordirak
diskutiert. Ich muss sagen: Auch als Entwicklungspoliti-
ker kann ich die Waffenlieferungen in den Nordirak bzw.
an die Peschmerga-Truppen nur unterstützen. Denn be-
vor sie Entwicklungspolitik machen können, müssen sie
Sicherheit herstellen können. Es ist schon zynisch, zu
sagen: „Waffen liefern wir euch nicht“, wenn gerade
Frauen, Kinder und ganze Dörfer auf der Flucht vor
mordenden und hetzenden ISIS-Horden sind. Ihnen
müssen wir helfen. Sie brauchen erst einmal Sicherheit,
um in diesem Land, das ihre Väter und Mütter mit auf-
gebaut haben und in dem sie ihren Lebensraum haben,
leben zu können. Dazu gehört, auch wenn es die Ultima
Ratio ist und wir uns das nicht leicht machen, auch die
Lieferung von Waffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Denn zu dem Dreiklang aus Nothilfe, Schutz und Waffen
gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine Alternative.

Herr Minister, ich glaube, Ihnen kann man stellvertre-
tend für die ganze Bundesregierung schon einmal Danke
für die Soforthilfe in Höhe von 50 Millionen Euro sagen,
die unbürokratisch und schnell von der Bundesregierung
zur Verfügung gestellt worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gleichzeitig müssen allerdings die sicherheitspoliti-
schen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Neben
dem Schutz der bedrohten Minderheiten und der Men-
schen in diesen Regionen geht es auch um den Schutz
der Helfer, die nicht nur von staatlichen Organisationen
kommen, sondern auch bewusst und freiwillig in diese
Länder gehen und sich einbringen, die in Vereinen und
NGOs engagiert sind. Viele sind schon seit langem vor
Ort; sie waren schon dort, bevor sich die Weltbevölke-
rung und die Presse diesen Konflikten genähert haben.
Sie versuchen, die Situation der Menschen zu verbes-
sern. So helfen zum Beispiel der Menschenrechtsaktivist
und Kabarettist Christian Springer mit seiner Kollegin
Monika Gruber aus Bayern mit ihrem Verein „Orient-
hilfe“ seit mittlerweile zwei Jahren syrischen Flüchtlin-
gen im Libanon dabei, Operationen von Kindern zu be-
zahlen oder in den Lagern Müllautos und Krankenwagen
zu organisieren, damit ein Mindestmaß an sozialer Si-
cherheit gegeben ist. Diesen Menschen, die freiwillig,
selbstlos und mit unglaublich viel Kraft und Verve
helfen, müssen auch wir als Parlament Dank und Aner-
kennung zollen; denn die Politik allein kann diese Krisen
nicht bewältigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es gäbe noch viel zu sagen, aber die Uhr tickt. Eines
möchte ich allerdings noch anmerken, da wir über die
Mittel sprechen. Bei dem Ansatz, Herr Minister, den Sie
mit dem BMZ verfolgt haben und weiter verfolgen wer-
den, geht es um Fördern und Fordern. Die Vergabe von
Mitteln erfolgt also nicht im Rahmen pauschaler Maß-
nahmen. Vielmehr fordern Sie Ergebnisse ein und nutzen
sie auch als Anreiz – als Beispiel nenne ich Afghanistan –,
um nachhaltige Erfolge zu erzielen. Das ist der richtige
Weg, insbesondere in Staaten – lassen Sie mich kurz bei
Afghanistan bleiben –, in denen wir mit Korruption zu
kämpfen haben. Das gilt erst recht, da es im Moment ein
Machtvakuum zwischen Ghani und Abdullah gibt und
Karzai die letzten Jahre wirklich versäumt hat, nachhal-
tige Mittel gegen die Korruption vor Ort zu finden. Es ist
der richtige Anreiz, den wir hier setzen. Ich denke, wir
sind es nicht nur den Afghanen, sondern vor allem auch
den Soldaten, die dort im Auftrag dieses Hauses ihr Le-
ben riskiert und von denen manche ihr Leben leider so-
gar verloren haben, schuldig, diesen Auftrag richtig zu
Ende zu führen. Das macht das BMZ. Dafür wünschen
wir Ihnen Kraft und sagen Ihnen die Unterstützung unse-
rer kompletten Fraktion zu.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805015800

Als nächster Redner hat der Kollege Stefan Rebmann

das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1805015900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!





Stefan Rebmann


(A) (C)



(D)(B)

Gestern und heute haben wir hier im Plenum mehrfach
gehört, wie gelungen dieser Haushaltsentwurf ist, und
wir haben gestern vom Kollegen Brinkhaus die neue ma-
thematische Erkenntnis vernommen, dass bei 299 Mil-
liarden Euro Einnahmen und bei 299 Milliarden Euro
Ausgaben unter dem Strich null herauskommt. Wir
haben auch diesmal beim Entwicklungshaushalt – wie
auch beim letzten Entwicklungshaushalt, den wir erst
vor kurzem beschlossen haben – die magische schwarze
Null an Aufwuchs für den Etat nur ganz knapp verfehlt.
Ich sage das hier ganz offen: Das lässt mich nicht froh-
locken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe es damals gesagt, und ich sage es auch heute
wieder: Kaum ein Etat ist so sensibel wie der Entwick-
lungsetat. Hinter all den vergleichsweise geringen Sum-
men stehen Schicksale von Menschen, Familien und
ganzen Regionen. Ganz besonders deutlich wird das im
Gesundheitsbereich.

Auf Dauer können wir es uns nicht leisten, gerade den
Entwicklungshaushalt derart stiefmütterlich zu behan-
deln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage übrigens ganz bewusst, dass wir es uns nicht
leisten können. Denn jeder von uns hier weiß, dass Ver-
säumnisse von heute die Rechnungen von morgen sind.
Wenn wir nachhaltige Entwicklung wollen, müssen wir
in Entwicklungszusammenarbeit investieren und auch
mehr für den Bereich Gesundheit und Prävention tun.

Zum Beispiel die Ebola-Epidemie, mit der wir es
heute zu tun haben und die ja nur wenige Flugstunden
von uns entfernt grassiert, zeigt das ganz besonders.

Ich begrüße es schon sehr, wenn unser Minister die
WHO mit mehr als 1 Million Euro im Kampf gegen
Ebola unterstützt. Nur, das reicht nicht aus. Das ist nicht
seine Schuld, denn er kann ja nur das ausgeben, was ihm
im Etat zur Verfügung steht.

Dass der Entwicklungsetat aber so ist, wie er ist, ist
auch eine Frage der Prioritätensetzung und der Wertig-
keit der Entwicklungspolitik innerhalb des Gesamthaus-
halts.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was wir brauchen, ist ein Haushalt, der es uns, der es
den NGOs, den Stiftungen, den Entwicklungsorganisati-
onen, den Entwicklungshelferinnen und -helfern vor Ort
ermöglicht, in den Partnerländern ihre Arbeit zu tun.
Was wir aber tatsächlich haben, ist eine Situation, in der
wir zwar viel Gutes leisten können, in der wir aber auch
auf viel Gutes verzichten müssen.

Ich finde, die Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen hat
es bei einer UN-Anhörung zu Ebola in der vergangenen
Woche auf den Punkt gebracht. Ich zitiere:
Die Weltgemeinschaft versagt bei ihrer Reaktion
auf die bisher schlimmste Ebolaepidemie.

Sie hat recht, denn die Folgen einer solchen Katastro-
phe sind sehr schnell nicht mehr kontrollierbar.

Im John-F.-Kennedy-Krankenhaus in Monrovia wur-
den Kranke aus Angst vor Ansteckung eingesperrt und
vernachlässigt, bis einige Patienten im Krankenhaus
nicht an Ebola gestorben sind, sondern verhungert sind.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist unglaublich!)


Aus dem gesamten betroffenen Gebiet wird immer
wieder berichtet, wie Kranke von Verwandten versteckt
werden. Sierra Leone will deshalb eine dreitägige Aus-
gangssperre verhängen, während der dann medizinische
Teams nach Kranken suchen sollen. Viele von diesen
Teams werden sehr wahrscheinlich nicht ordentlich aus-
gestattet sein, weil dort viel zu wenig Hilfsgüter ankom-
men.

Bei einer Inkubationszeit von 8 bis 21 Tagen wird das
die Ausbreitung des Virus nicht verhindern. Im Gegen-
teil, es wird dazu führen, dass es zu einem Vertrauens-
verlust gegenüber den Helferinnen und Helfern kommt.
Denn danach werden wieder Menschen erkranken, was
ja aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Fall ist.

Die Preise von Grundnahrungsmitteln sind bis zu
150 Prozent gestiegen, und das in einer Region, wo die
Masse der Menschen quasi ihr komplettes Einkommen
ausgeben muss, um sich zu ernähren. Die Vereinten
Nationen warnen schon jetzt, dass in den kommenden
Monaten über 1,3 Millionen Menschen, bedingt durch
diese Epidemie, hungern werden. Das löst wieder Wan-
derungsbewegungen aus.

Es ist die traurige Wahrheit, aber das alles wäre zum
Teil auch zu verhindern gewesen.

Wir sehen hier und heute, wie Menschen sterben und
Familien zerstört werden. Wir sehen auch dabei zu, wie
Erfolge in der Entwicklungspolitik, wie erfolgreiche
Entwicklungsprojekte nachhaltig zerstört werden.

Ich sage aber auch: Unser Engagement in den armen
und ärmsten Ländern ist sinnvoll, und wir haben auch
Erfolge vorzuweisen, gerade im Bereich Gesundheit:
Zum Beispiel wurden seit 2000 durch Impfungen
8,5 Million Poliofälle verhindert, und die Zahl der Neu-
erkrankungen ist um 95 Prozent zurückgegangen. Wenn
wir an diesem Punkt so weiterkämpfen, können in den
nächsten 20 Jahren allein in den Entwicklungsländern
bis zu 50 Milliarden US-Dollar an Behandlungs- und
Folgekosten gespart werden.

Ein solcher Erfolg wäre umso wichtiger, wenn man
sich vor Augen führt, welch positive gesamtgesellschaft-
lichen und ökonomischen Folgen das haben kann. In den
ärmsten Ländern der Welt gilt nämlich: Wer krankheits-
bedingt ausfällt, kann nicht arbeiten, kann seine Familie
nicht ernähren, kann seine Kinder nicht zur Schule schi-
cken und vieles mehr nicht leisten. Dadurch werden Ent-
wicklung, Lebenschancen und Perspektiven behindert
oder gar verunmöglicht.





Stefan Rebmann


(A) (C)



(D)(B)

Auch deshalb ist unser Engagement im gesamten Ge-
sundheitsbereich gerade bei Impfungen, bei Aufklä-
rungskampagnen, beim Aufbau von Systemen für eine
soziale Grundsicherung, bei der Erforschung von ver-
nachlässigten Krankheiten so wichtig. Gesundheit ist die
Grundvoraussetzung für eine funktionierende Volkswirt-
schaft und für menschliche Entwicklung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben also nicht nur eine moralische, sondern auch
eine politische Pflicht, erreichbare Ziele Wirklichkeit
werden zu lassen. Das bedeutet, dass wir die Mittel für
den gesamten Gesundheitsbereich, für die Forschung,
für die Impfallianz GAVI, für den Global Fund zur Be-
kämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria deutlich
erhöhen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


600 000 Menschen sterben jährlich an Malaria. Das
sich ausbreitende Dengue-Fieber hat in diesem Monat
erstmals seit 70 Jahren wieder die Industrienation Japan
erreicht, und zahlreich vernachlässigte Krankheiten be-
hindern echte Entwicklung.

Was wir jetzt an dieser Stelle an Mitteln einsetzen,
dürfen wir aber nicht an anderer Stelle einsparen. Mit ei-
nem Umbuchen von A nach B ist nichts gewonnen; da-
mit verschieben wir nur Not und Elend und das Sterben
zeitversetzt, buchhalterisch von A nach B – um es dann
bei der nächsten Katastrophe von B nach C zu verschie-
ben? Ich sage dazu Nein. Ich will eine nachhaltige und
vorausschauende Entwicklungspolitik. Die ist mit die-
sem Haushaltsentwurf leider nur bedingt möglich.


(Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Ich komme, meine Präsidentin, zum Schluss. Es
ist schon mehr als traurig, dass wir nicht einmal
176 000 Euro für eine bereits im Aufbau befindliche
Brustkarzinomklinik in Afghanistan zur Verfügung stel-
len können. Wir lassen die Frauen, die an Brustkrebs er-
krankt sind, die zum Teil mit offenen Geschwüren leben
müssen, allein. Diese 176 000 Euro haben wir angeblich
nicht. Gleichzeitig wird aber der Etat für die Deutsch-
Griechische Versammlung um 135 000 Euro erhöht. Ich
finde, wir sollten darüber noch einmal nachdenken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben ein ganzes Stück Arbeit vor uns.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805016000

Lieber Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kom-

men.


Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1805016100

Ja, ich komme zum Schluss. – Wir haben ein ganzes

Stück Arbeit vor uns. Ich hoffe, dass der nicht überzo-
gene politische Wille der Fachpolitiker in der Bereini-
gungsrunde der Haushaltspolitiker nicht der schwarzen
Null oder einer Priorisierung der Entwicklungspolitik
unter „ferner liefen“ zum Opfer fällt; denn dann werde
ich diesem Haushalt nicht zustimmen können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Klimke [CDU/CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805016200

Als nächster Redner hat der Kollege Volkmar Klein

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1805016300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Jetzt, am Ende dieses Tagesordnungspunktes,
kann man ein Stück zurückblicken und feststellen, dass
ziemlich viel


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu tun ist!)


zu diesem Einzelplan gesagt worden ist. Die Bewertung
– das kann man auch irgendwo nachvollziehen – ist im
Einzelfall sehr unterschiedlich gewesen; aber wenn man
sich das einmal insgesamt anschaut, dann muss man
doch objektiv feststellen: In diesem Ministerium gibt es
einen Minister, der mit seiner Mannschaft ganz kräftig
anpackt und erfolgreich und anerkannt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sonja Steffen [SPD])


Darüber hinaus gibt es Zahlen, die auf jeden Fall
deutlich besser sind, als manche Zwischentöne, die hier
zwischenzeitlich zu hören waren, glauben machen wol-
len. Beides, der Minister und der deutsche Beitrag für
Entwicklungszusammenarbeit, findet international eine
ganz erhebliche Anerkennung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielleicht liegen diese Zwischentöne ja auch ein biss-
chen am deutschen Wesen, immer wieder einmal verbale
Depressiva zu verteilen, damit man nicht allzu glücklich
ist.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Die Briten haben das Ziel schon erreicht! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein bisschen viel Verdrängung!)


Das internationale Feedback in Bezug auf die deut-
sche Entwicklungszusammenarbeit ist aber einfach an-
ders. Wenn man sich die Zahlen anguckt, dann kann man
durchaus auch Positives feststellen, und dies kann man
sogar an der Amtszeit von Angela Merkel festmachen.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Sogar“! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überraschung!)


– Ja, vorher wurde diesem Thema nämlich viel zu wenig
Beachtung beigemessen. – Als Angela Merkel 2005
Bundeskanzlerin wurde, hatte der Einzelplan 23 einen
Umfang von 3,8 Milliarden Euro. Inzwischen ist er um





Volkmar Klein


(A) (C)



(D)(B)

70 Prozent auf 6,45 Milliarden Euro gestiegen, und die
Finanzplanung verspricht weitere deutliche Zuwächse.


(Beifall bei der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich schon so oft gehört!)


Nur einmal zur Erinnerung: Der Gesamthaushalt ist in
dieser Zeit um gerade einmal 20 Prozent gestiegen. Das
heißt, für uns ist dieses Thema mit der Zeit immer wich-
tiger geworden.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805016400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Hajduk?


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein!)



Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1805016500

Ich freue mich über jede Unterstützung.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805016600

Das war jetzt für mich nach der bisherigen Debatte

ein sehr überraschender Einstieg, aber das ist ja das
Recht des letzten Redners. – Lieber Herr Kollege Klein,
vor dem Hintergrund Ihrer Äußerung in Bezug auf die
Realität, dass Sie ein bisschen das Gefühl haben, dass es
eine für uns Deutsche typische Attitüde ist, zu Depres-
siva zu neigen, möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Ma-
chen Sie sich im Lichte der selbstkritischen Worte des
Ministers Sorgen um seinen Gemütszustand?


(Beifall des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Und dafür verpasse ich jetzt mein Auto! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Frage! Jetzt eine gute Antwort!)



Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1805016700

Der Minister verbreitet die richtige Stimmung.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die selbstkritische!)


– Nein. – Es geht ihm nämlich vor allen Dingen um
Chancen. Das ist übrigens auch noch ein wichtiger
Punkt: Wir dürfen nicht immer nur über die Länder der
Dritten Welt als Problemländer und über Afrika als Pro-
blemkontinent reden, sondern wir müssen auch sehr viel
mehr über die Chancen der Dritten Welt und über den
Chancenkontinent Afrika reden. Das tut der Minister
sehr intensiv.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht nicht nur um die generellen Zahlen, sondern
auch um einzelne Bereiche. Ich will zwei Bereiche he-
rausgreifen:

Erstens. Die Klimafinanzierung. Für die Klimafinan-
zierung – der Minister hat sie eben noch einmal heraus-
gestellt, und er hat auch die Zahl genannt – stehen in un-
serem Haushaltsplan 1,6 Milliarden Euro. Hier tun wir
sehr viel, weil wir das für wichtig halten. Es geht um den
Schutz der Schöpfung – das ist eine grundsätzliche ethi-
sche Frage – und auch um unser direktes europäisches
Interesse an einer vernünftigen Klimaentwicklung. Des-
wegen haben wir in den laufenden Haushalt ja auch noch
zusätzlich Verpflichtungsermächtigungen für den Green
Climate Fund eingebracht, und im nächsten Jahr – mit
dem Haushalt 2015 – fangen wir damit an, das auch tat-
sächlich zu finanzieren.

Zweitens. Der Bereich Gesundheit. Der Kollege
Rebmann hat zu Recht auf die enorme volkswirtschaftli-
che Bedeutung hingewiesen. Dort, wo Krankheiten gras-
sieren, kann sich keine vernünftige wirtschaftliche Ent-
wicklung ergeben. Deswegen ist auch dieser Bereich für
uns sehr wichtig.

GAVI wurde schon genannt. Wir sind ja nicht nur
Ausrichter der Konferenz zur Wiederauffüllung der Glo-
balen Impfallianz, GAVI, sondern wir werden für GAVI
auch deutlich mehr, nämlich 45 Millionen Euro, in den
Haushaltsplan einstellen. Es gibt Wünsche, das noch
weiter zu erhöhen, aber das ist ja schon einmal relativ
viel.

Aber ich will an dieser Stelle, weil der Kollege
Kekeritz auf die hervorragende Entwicklung Ruandas
hingewiesen hat, davor warnen, Geld überzubewerten
und nur über die Wirkung des von uns bereitgestellten
Geldes zu reden, sondern es geht eben auch um die
Frage von Eigenverantwortung. Ruanda ist insofern ein
hervorragendes Beispiel.

Wir alle sind bei mehreren Gedenkveranstaltungen
anlässlich des 20. Jahrestages des Genozids in Ruanda
gewesen. Dem Land Ruanda könnte es theoretisch mit
am schlechtesten gehen. Das ist aber nicht der Fall. Auch
mit unserer Hilfe – der 2014 erschienene Evaluierungs-
bericht über ruandisch-deutsche Entwicklungszusam-
menarbeit im Gesundheitswesen hat das noch einmal un-
terstrichen –, aber Hilfe zur Selbsthilfe – wir haben uns
2012 wegen der großen Eigenverantwortung der ruandi-
schen Regierung zurückziehen können –, ist das Ge-
sundheitssystem in Ruanda überall gut aufgestellt, es
wird hoch gelobt. Zu Recht hat der Kollege Kekeritz da-
rauf verwiesen, dass Ruanda für den Fall, dass dort eine
Epidemie ausbrechen sollte, in der Lage wäre, die Aus-
breitung der Krankheit in den Griff zu bekommen, was
in vielen anderen Ländern leider nicht der Fall ist.

Eine sich selbst tragende Entwicklung muss unser
Ziel sein. Wir haben auch über die Nothilfe – sie ist sehr
wichtig – viel diskutiert. Aber wichtiger ist es, darüber
zu reden, wie wir zu sich selbst tragenden Entwicklun-
gen, also zu nachhaltigen Entwicklungen, in den jeweili-
gen Ländern beitragen können. Da müssen wir bestimmt
noch ein bisschen umsteuern. Wir haben relativ viel
Geld in Entwicklungshilfeprojekte gesteckt, die dann
eben nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. In-
sofern ist diese Diskussion gemeinsam mit dem Evaluie-
rungsinstitut ganz wichtig. Ich glaube, dass die Eigen-
verantwortung der Länder ein ganz wichtiger Schlüssel
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das habe aber nicht ich gerade erfunden, sondern das ist
eigentlich jedem klar.





Volkmar Klein


(A) (C)



(B)

Schon im Monterrey-Consensus 2002 ist das Stich-
wort „Mobilisierung nationaler finanzieller Ressour-
cen“, also die Stärkung der Steuerkraft im eigenen Land,
als ganz wichtiger Punkt festgehalten worden. Das heißt,
wir müssen dafür sorgen, dass es mehr Jobs und mehr
Steuerzahler in den entsprechenden Ländern gibt, die
dann einerseits die Infrastruktur und das Gesundheitswe-
sen finanzieren, auf der anderen Seite aber auch in der
Bürgergesellschaft dieses Landes eine starke Stimme ha-
ben. Wenn jemand selber Steuern zahlt, dann fragt er
doch seine Regierung, was sie mit dem Geld macht, an-
ders als jemand ohne eigene Beiträge. Deswegen ist es
nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig,
Jobs und somit auch Steuerzahler zu schaffen, sondern
auch für die gesellschaftliche Entwicklung. Das ist
Nachhaltigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nachhaltigkeit muss dann auch für uns gelten. Des-
wegen ist dieser Haushalt ein ganz großer Meilenstein.
Der erste Haushalt ohne Schulden – das wurde hier und
da en passant als nicht so wichtig abgetan – ist kein
Selbstzweck. Es geht darum, Stabilität zu schaffen und
so die Grundlage von nachhaltiger Wirtschaftskraft in
Deutschland zu sichern. Das ist wiederum kein Selbst-
zweck, sondern das ist die notwendige Bedingung dafür,
dass Deutschland weiterhin anderen helfen kann und da-
bei seine Stärke behält. Deswegen ist es wichtig, dass
wir einen ausgeglichenen Haushalt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben uns im Übrigen zu dieser längerfristigen
Hilfe verpflichtet. Es ist nicht nur so, dass wir das wol-
len. Unser Haushaltsplan mit dem jetzigen Beschluss
enthält 31 Milliarden Euro an Verpflichtungsermächti-
gungen, die wir alle bezahlen wollen. Das muss weiter-
hin die Grundlage sein: Wir brauchen stabile, finanzielle
Verhältnisse in Deutschland. Dann können wir auch in
Zukunft gegenüber den Ländern des Südens Solidarität
zeigen. Ich glaube, dass wir im Rahmen der Haushalts-
beratungen noch ausreichend Gelegenheit haben wer-
den, Details dazu auszudiskutieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805016800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel-

dungen liegen mir zu diesem Einzelplan nicht vor.

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 11. September
2014, 9 Uhr, ein.

Damit ist die Sitzung geschlossen. Ich wünsche Ihnen
einen schönen Abend.