Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, und wünsche uns gute, intensive, gelegentlich
auch fröhliche Beratungen. Ich erinnere daran, dass wir
gestern für die heutige Aussprache insgesamt neunein-
halb Stunden beschlossen haben.
– Der Wunsch des Kollegen Kampeter, die Beratungszeit
auszudehnen, ist vermutlich nicht mehrheitsfähig.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt 1 – fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2007
– Drucksache 16/2300 –
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
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Redet
– Drucksache 16/2301 –
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Ein-
zelplan 04. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen
Brüderle für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-deskanzlerin, Sie regieren das Land mittlerweile nachdem Pippi-Langstrumpf-Prinzip: „Ich mache mir dieWelt, wie sie mir gefällt!“
Steuererhöhungen heißen bei Ihnen „Reforme
tillstand verkaufen Sie uns als „Bewegung in die rich-ige Richtung“.Am Anfang haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, in derußenpolitik eine gute Figur gemacht. Die Außenpoli-ik lenkt vielleicht ein wenig von den Problemen ab, dienser Land hat. Nur, das funktioniert nicht auf Dauer.ls Bundeskanzlerin, Frau Merkel, sollten Sie die Rich-ung vorgeben. Doch Ihre Richtlinienkompetenz ist zuiner Schlangenlinienkompetenz geworden, mit der Sieie Politik betreiben.
Die Koalition hat nach eigenem Bekunden erhebli-hen Diskussionsbedarf – bei jedem Thema und überonate hinweg. Doch irgendwann muss selbst dieseroße Koalition des kleinsten gemeinsamen Nennersntscheidungen treffen, damit man weiß, was Sie dennberhaupt wollen. Nehmen wir einmal die Gesundheits-eform: Nach Monaten konnte sich die Bundesregie-ung zu „Eckpunkten“ durchringen; doch schon dieseießen erheblich zu wünschen übrig. Statt mehr Freiheitnd Wahlfreiheit gibt es mehr Gängelung und mehr Bü-extrokratie. Jetzt geht der Streit weiter über Details diesesKassensozialismus, der da offenbar betrieben wird.
Mit der Rückendeckung der Kanzlerin arbeitet das Ge-sundheitsministerium an einer Art VEB Gesundheit.Nur über eines war sich die Koalition erstaunlichschnell klar und einig: Es wird teurer, die Krankenkas-senbeiträge steigen. Beim Schröpfen der Bürger herrschtbei Rot und Schwarz schnell Einigkeit. Was sonst nochherausgekommen ist, sind bürokratische Monster, zumBeispiel der Gesundheitsfonds und der Morbiditätszu-schlag. Die Morbidität der Bundesregierung schreitetoran. Es schreit an jeder Ecke und an je- Knatsch und es kracht in manchen Berei-sungserscheinungen sind schon mit Hän-öglicherweise gibt es die Regierung garrufen“.unaufhaltsam vdem Ende nachchen. Die Auflöden greifbar. M
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4478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Rainer Brüderlenicht mehr, wenn der neue Risikostrukturausgleichzwischen den Krankenkassen in Kraft tritt.In der Politik der Bundeskanzlerin sind weder Linienoch Kompetenz zu erkennen. Die Kanzlerin tritt jetztals Duo mit dem Vizekanzler auf. Frau Merkel und HerrMüntefering sind am Ende der Sommerpause gemein-sam und in trauter Eintracht vor der Presse erschienen.Es war eine Art Hochamt des neuen politischen Traum-paares der Republik.
Frau Merkel, dabei haben Sie gesagt, die Richtung in Ih-rer Regierungsarbeit stimme. Eine Richtung ist aber weitund breit nicht erkennbar. Wo wollen Sie denn wirklichhin?
Wer sich bei Rekordschulden, bei explodierendenSozialbeiträgen und bei drastischen Steuererhöhungenauf dem richtigen Weg sieht, der lebt in einer anderenWelt.Die erste Kabinettsitzung nach der Sommerpausekam mir wie ein Treffen von Traumtänzern vor.
Vizekanzler Müntefering findet es unfair, an dem gemes-sen zu werden, was in den Wahlkämpfen gesagt wurde.Die Bundeskanzlerin sitzt neben ihm und nickt zustim-mend. Das steht in der adenauerschen Tradition: Was in-teressiert mich mein Geschwätz von gestern! Das ent-spricht aber nicht einem fairen Umgang mit denBürgern. Deshalb dürfen wir uns über die Politikver-drossenheit nicht wundern.
Woran, wenn nicht an ihren Wahlkampfaussagen, solldie Regierung denn bitte schön gemessen werden? Dafürist sie ja gewählt worden. Der wenig ambitionierteKoalitionsvertrag ist eben nicht die Messlatte, HerrMüntefering. Die Messlatte für die Bürger ist vielmehr,ob die Regierung eine gute Politik macht. Das ist offen-sichtlich nicht der Fall. Das ist keine gute Politik.
Es ist unfair, den Bürgern das Geld aus der Tasche zuziehen. Der private Konsum ist nach wie vor derHemmschuh für die Konjunkturentwicklung. Wenn mansich einmal die Strukturen unserer Volkswirtschaft an-sieht, dann erkennt man, dass er über 60 Prozent derNachfrage in diesem Land ausmacht. Sie nehmen denBürgern das Geld weg. Selbst Herr Struck hat einge-räumt, dass man auf die Mehrwertsteuererhöhung hätteverzichten können. Er sagte:Es wären knallharte Einsparungen in jedem Ressortnötig gewesen, aber es wäre gegangen.RDamgBswnubNzgTkdsgdkdrgwAztsnkvemsidrprbM
ur der Staat tut das Gegenteil dessen, weil er sichwangsweise refinanzieren kann. Er langt bei den Bür-ern zu und spart nicht. Sie müssen Vorbild sein. Diereppe kehrt man von oben nach unten und nicht umge-ehrt. Das gilt auch für die Politik.
Den Konzernen wollen Sie dadurch etwas Gutes tun,ass die Körperschaftsteuer kräftig reduziert wird. Eineolche Unternehmensteuerreform nützt den Personen-esellschaften und den Einzelunternehmen nichts. Fürie Mittelständler und die Arbeitnehmer wäre eine Ein-ommensteuerreform viel wichtiger.Ich frage mich: Wie wollen die Sozialdemokratenies ihren Wählern erklären? Bei höheren Steuern, höhe-en Energiepreisen, höheren Sozialversicherungsbeiträ-en und höheren Krankenversicherungsbeiträgen zu er-arten, dass eigenverantwortlich mehr Vorsorge für daslter getroffen wird, ist wirklich irreal. Die Bürger auf-ufordern, auf den Urlaub zu verzichten, um so Vorsorgereffen zu können, aber selber beim Haushalt nicht zuparen, ist schon zynisch. So wird man die Problemeicht lösen können, sondern dazu gehört mehr Mut.
Offensichtlich spielt die Ökonomie in der Regierungeine Rolle. Auf die Idee einer Besteuerung der Kostenon Unternehmen – eine unsinnige Debatte – muss manrst einmal kommen. Der Einfall, Kosten zu besteuern,uss schleunigst vom Tisch. Das ist absoluter Schwach-inn.
Die SPD entdeckt die Leistungsträger und die CDUst jetzt die Partei der Lebenslüge. Zum 30. Geburtstager Mitbestimmung haben Sie sich, Frau Bundeskanzle-in, von Reformüberlegungen verabschiedet. Aber diearitätische Mitbestimmung noch heute als große Er-ungenschaft und Standortvorteil zu feiern, ist eine Le-enslüge und eine völlig falsche Einschätzung, Frauerkel.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4479
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Rainer BrüderleDie Bundesregierung verkündet Fahrpläne zu allenmöglichen Bereichen, wie etwa Gesundheit, Unterneh-mensteuerreform und Arbeitsmarkt. Aber das Ziel dür-fen keine Fahrpläne sein, sondern das Ziel muss einekonsistente Politik für die Menschen in Deutschlandsein. Sie sprachen auf Ihrer Pressekonferenz vom Ge-meinwohl; das ist richtig. Aber das Gemeinwohl ist nichtdas Wohl dieser Bundesregierung, sondern das Wohl derBürger, der Steuerzahler;
sie müssen im Zentrum der Politik stehen.Die Steuererhöhung hilft vielleicht dem Finanzminis-ter, aber sie hilft nicht dem Bürger im Land. Deshalb istIhre Politik grottenfalsch und führt in die falsche Rich-tung.
Es muss eine Kurskorrektur geben. Sie sind falsch pro-grammiert. Ändern Sie Ihre Politik für die Bürger imLand!
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibtimmer wieder Tage, die unsere Welt verändern. Siezeichnen sich dadurch aus, dass sich jeder Einzelne vonuns genau daran erinnern kann, was er an einem solchenTag gemacht hat. Der 9. November 1989 war ein solcherTag: Die Mauer fiel und der Kalte Krieg war zu Ende.Der 11. September 2001, dessen Jahrestag sich in dernächsten Woche zum fünften Mal jähren wird, war eben-falls ein solcher Tag. Dieser Tag hat die Welt erschüttertund er hat sie auch verändert. Manche haben gesagt:Nach dem 11. September ist nichts mehr so, wie es ein-mal war. – Ich halte das für falsch. Richtig ist, dass wirmit dem 11. September eine völlig neue Art der Bedro-hung kennen gelernt haben – eine asymmetrische Bedro-hung, wie wir das nennen –, eine Bedrohung, bei der wirden Gegner nicht richtig fassen können, weil er bereit ist,sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Auch ist er alsStaat nicht genau erkennbar, obwohl Staaten solche ter-roristischen Attacken unterstützen.Daraus hat sich ein neues Verständnis von Sicher-heitspolitik ergeben, bei dem mehr als jemals zuvor in-nere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zutrennen sind. Das hat uns vor die Aufgabe gestellt, neueAntworten zu finden. Die Bundesregierung hat solcheAntworten gefunden. Wir alle in diesem Land sind unsinzwischen einig – das hat der großartige Aufklärungser-folg bezüglich der Kofferbomben gezeigt –, dass Video-überwachung, zwar nicht flächendeckend, aber dort, woviele Menschen zusammenkommen, notwendig ist. Ichbin froh, dass dieser Streit ausgestanden ist und dass wirwiwidAfZatt–mdkcdegFShuwdmdrvvgBVsnsVeddvm
Ich möchte allen danken, zuvörderst dem Bundes-nnenminister und auch der Bundesjustizministerin, diearan mitgearbeitet haben, dass wir uns jetzt auf einentiterrordatei einigen konnten. Das ist ein riesiger Er-olg, ein Erfolg der großen Koalition und ein Erfolg derusammenarbeit mit den Ländern. Es ist eine Antwortuf das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwar-en.Es ist eben so, dass uns im 21. Jahrhundert Kleinstaa-erei alleine nicht mehr voranbringt.
Das haben wir doch bei der Föderalismusreform ge-einsam besprochen. – Es ist ein riesiger Erfolg, dassie Antiterrordatei jetzt auf den Weg gebracht werdenann. Das erwarten die Menschen von uns.
Ich glaube, der Staat darf niemals den Eindruck erwe-ken, er könne 100 Prozent Sicherheit garantieren. Aberer Staat darf sich auch niemals dem Vorwurf aussetzen,r hätte nicht alles versucht, um die Sicherheit der Bür-erinnen und Bürger zu garantieren. Es geht nicht umreiheit statt Sicherheit, es geht nicht um Freiheit odericherheit, sondern es geht im 21. Jahrhundert um Frei-eit und Sicherheit in unserem Land. Dafür müssen wirns einsetzen.
Wenn ich sage, wir brauchen neue Antworten, weilir vor neuen Bedrohungen stehen, warum halte ichann den Satz „Nach dem 11. September ist nichts istehr so, wie es einmal war“ für falsch? Ich halte ihneshalb für falsch, weil sich das Motiv, der Grund unse-es außen- und sicherheitspolitischen Handelns nichterändert hat, weder nach dem 9. November gegenüberor dem 9. November noch nach dem 11. September ge-enüber vor dem 11. September. Denn seit Gründung derundesrepublik Deutschland ist klar: Wir haben eineerantwortung vor der Geschichte – vor der deut-chen Geschichte und der europäischen Geschichte –, ei-er Geschichte jahrhundertelanger Kämpfe, einer Ge-chichte von Erbstreitigkeiten, Kriegen, politischemersagen und Nationalismus. Dass die deutsche und dieuropäische Geschichte seit 1945 anders gestaltet wer-en, das gehört zu den großen Leistungen der Vorgängerer jetzt politisch Aktiven.Der Impuls zur Gründung europäischer Institutionen,on unseren Vorfahren richtig in Gang gesetzt, war, dassan plötzlich zu der Erkenntnis kam – ich kann auch
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4480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelsagen: endlich zu der Erkenntnis kam –, dass man nichtam allerbesten dasteht, wenn man nur an sich denkt, son-dern dass man selber besser dastehen kann, wenn manauch an die Interessen anderer denkt. Man hat endlichbegonnen, über den eigenen Tellerrand hinauszu-schauen. Man hat das, was man früher als Zumutungempfand – sich mit dem Denken anderer auseinander zusetzen, zum Beispiel unserer Nachbarn –, als eigene Be-reicherung empfunden. Man hat erkannt: Was dem ande-ren dient, ist auch richtig und gut für mich. Das war daseigentlich Neue. Das sind die zwei Seiten der Medailleunserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das hat die Euro-päische Union möglich gemacht. Diesem Motiv und die-sem Grund fühlen wir uns weiterhin genauso verpflich-tet.
Deshalb haben sich die Ereignisse, die Herausforde-rungen geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei. Wir stehenheute vor völlig neuen Aufgaben. Aber diese Aufgabensind genauso konkret, genauso fassbar und erfordern ge-nau die gleiche Motivation, wie dies auch vor uns derFall war.
– Es wird ganz konkret, Herr Kuhn.
Deshalb haben wir uns entschieden: im Kosovo ge-nauso wie in Bosnien-Herzegowina. Es gab in diesemHause lange Debatten darüber, dass wir nicht tatenloszusehen können, sondern bei der Lösung dieser Kon-flikte mitmachen müssen, und zwar weil es besser ist fürdie Menschen vor Ort genauso wie für uns, die wir mitFlüchtlingen und vergewaltigten Frauen konfrontiertwurden und die wir gefragt wurden: Wie vereinbart ihrmit euren Werten, dass ihr tatenlos zuseht?So haben wir uns nach dem 11. September – auch insehr schwierigen Debatten – entschieden, in Afghanis-tan mit dabei zu sein, Verantwortung zu übernehmen,damit sich ein Volk besser entwickeln kann und gleich-zeitig unsere Sicherheit besser garantiert ist.Wir werden in diesem Herbst über Afghanistan zusprechen haben. Wir wissen zwar, dass nicht alles soläuft, wie wir uns das wünschen. Aber die Alternative,ein Vakuum zu hinterlassen und Terroristen wieder freieAusbildungsmöglichkeiten zu geben, ist für mich keineAlternative, weil es weder für die Menschen vor Ortrichtig ist noch unseren Sicherheitsinteressen dienenwird.
Wir haben gemeinsam um eine Antwort auf die Fragegerungen, ob wir uns in Afrika engagieren sollen. Wirhaben uns mehrheitlich im Bundestag – genauso wie dieBundesregierung – dafür entschieden, Verantwortung imKongo zu übernehmen, und zwar über die politisch-hu-manitäre Verantwortung im Rahmen der Entwicklungs-hilfe hinaus mit einer militärischen Komponente. Auchdas halte ich für richtig, weil Afrika der Nachbarkonti-nnHdEdTABsRWlhsTasArsIiszIsdugOJgdsitdgsssKnaareIuhdK
Wir haben erlebt, auf welche Art und Weise die Fra-en den Iran betreffend mit der Situation im Nahensten zusammenhängen. Wir haben im Sommer diesesahres eine Situation erlebt, in der plötzlich schreckliche,ewalttätige Auseinandersetzungen auftraten und in derie internationale Staatengemeinschaft vor der Fragetand, wie man eine Waffenruhe erreichen und Stabilitätn dieser Region herstellen kann. Daraus ist die Resolu-ion 1701 des UN-Sicherheitsrates entstanden. Die Bun-esregierung ist – genauso wie wir alle – vor die Frageestellt, was wir tun wollen und können, um bei der Um-etzung dieser Resolution mitzuhelfen. Wir haben sehrchnell gesagt: Insbesondere aus historischen Gründenteht für uns die Frage nach der Stationierung deutscherampftruppen an der libanesisch-israelischen Grenzeicht zur Debatte.
Es muss verhindert werden, dass deutsche Soldatenuf Israelis schießen, und sei es nur ungewollt. Wenn esber zur Staatsräson Deutschlands gehört, das Existenz-echt Israels zu gewährleisten, dann können wir nichtinfach sagen: Wenn in dieser Region das Existenzrechtsraels gefährdet ist – und das ist es –, dann halten wirns einfach heraus. Wenn wir uns an dem notwendigenumanitären und politischen Prozess beteiligen wollen,ann wird es sehr schwer sein, zu sagen: Die militärischeomponente sollen bitte schön andere übernehmen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4481
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelDeshalb haben wir ein Angebot unterbreitet. Bei die-sem Angebot kommt es für uns darauf an, dass wir einrobustes Mandat haben, mit dem wir das Ziel, den Waf-fenschmuggel zu beenden, erreichen können. Es kommtdes Weiteren für uns darauf an – über diesen Punkt ver-handeln wir nun bzw. verhandelt der Libanon mit derUN –, dass dieses Mandat gewollt ist. Das ist wieder Teildes politischen Prozesses.Es ist besser, zwei Tage zu warten und das Mandat imEinvernehmen mit allen Akteuren und sorgfältig vorzu-bereiten, als auf Schnelligkeit zu setzen. Wir werden un-sere Soldaten nicht unnötigen Risiken aussetzen. Dasmacht keine Bundesregierung; das wird auch diese Bun-desregierung nicht tun. Wir werden aber alles daranset-zen, dass das Mandat in der Region gewollt ist. Dazuwerden die entsprechenden Schritte im Augenblick ein-geleitet.
Es wird in der Öffentlichkeit diskutiert, in welcherReihenfolge die Maßnahmen zu treffen sind: Sollen erstdas Embargo zur See und die Blockade des FlughafensBeirut aufgehoben und dann die UNIFIL-Truppen statio-niert werden? Wir brauchen noch etwas Zeit. Wir solltenuns die Zeit nehmen. Die Gründlichkeit der Entschei-dung geht vor Schnelligkeit. Ich bitte auch um Verständ-nis für die Urteilsfindung der Akteure in der Region. Wirkönnen uns manchmal nur schwer in die Lage im Liba-non und in Israel versetzen. So wie wir von anderenRespekt erwarten, wenn sie über uns urteilen, sollten wiranderen Respekt zukommen lassen.
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für dieGespräche mit den Vertretern der einzelnen Fraktionenbedanken. Wir informieren Sie und sind miteinander imGespräch. Wir werden selbstverständlich intensiv disku-tieren, wenn es um die parlamentarische Zustimmunggeht.Es wird im Augenblick in Bezug auf den Nahen Os-ten zu wenig über den politischen Prozess und zu vielüber die militärischen Aktionen gesprochen.
Deshalb ist die Parallelität der Aktionen von äußersterWichtigkeit. Der Bundesaußenminister und ich und vieleandere wie zum Beispiel die Bundesentwicklungshilfe-ministerin, wir alle werden Initiativen ergreifen und sindzum Teil in Vorgesprächen, um den politischen Prozesswieder in Gang zu bringen. Wir dürfen nicht weg-schauen. Im Zusammenhang mit den Resolutionen 1559und 1680, als es darum ging, ob die libanesische Armeedie Gewalt über ihr gesamtes Territorium bekommt, ha-ben wir uns nicht genug darum gekümmert. Wenn ich„wir“ sage, dann meine ich die gesamte internationaleStaatengemeinschaft. Das Ergebnis haben wir gesehen.Deshalb darf man keinesfalls denken, mit der Stationie-rung von UNIFIL-Truppen sei das Problem gelöst. Wirmüssen das Existenzrecht Israels sichern und wir müsseneine Zweistaatenlösung erreichen, die einen palästinen-sVBpeagukLWKBlnShesnssstdssElscEvsIethDsessreb
Auch wenn es noch so schwierig erscheint: Es gibteine Alternative. Deshalb muss es versucht werden: miteidenschaft und aus Überzeugung.Nun fragen viele: Ist das nicht ein Fass ohne Boden?o sollen wir uns noch überall engagieren? Was sind dieriterien, nach denen wir das tun? – Dazu will ich eineemerkung machen: Wir können so lange, wie wir wol-en, nach Kriterien suchen, die Welt wird sich nicht da-ach richten, welche Art von Konflikten auftritt. Vor derommerpause hat keiner von uns gewusst, dass wir unseute mit UNIFIL und mit der Resolution 1701 aus-inander setzen. Trotzdem wäre es unverantwortlich, zuagen, wir beschäftigen uns nicht damit, weil wir dasicht auf dem Plan hatten. Wir müssen uns der Realitättellen und gleichzeitig nach unseren Möglichkeitenchauen.Wir haben uns für ein Engagement im Kongo ent-chieden und wir leisten beispielsweise in Darfur Logis-ikhilfe. Ich sehe aber im Augenblick keine Möglichkeit,ass wir neben unserem Engagement im Kongo ein zu-ätzliches Engagement in Darfur übernehmen.
Wir müssen schauen, was die Welt tut. Daraus ergibtich die Notwendigkeit der europäischen Kooperation.s zeigt sich: Wenn wir unseren Interessen dienen wol-en, dann können wir alleine sie nicht bedienen; daschaffen wir nicht. Deshalb ist es gut und richtig, in Si-herheitspartnerschaften, in Gemeinschaften, in deruropäischen Union und in der NATO, gemeinsam Akti-itäten zu ergreifen, Verantwortung zu übernehmen undich Verantwortung zu teilen. Anders werden wir unserenteressen nicht mehr durchsetzen können. Auch das istine Lehre aus den Bedrohungen und Gefahren der heu-igen Welt.
Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit einerandlungsfähigen, einer starken Europäischen Union.eutschland wird im ersten Halbjahr 2007 die Präsident-chaft haben. Wir werden darüber diskutieren. Aberines kann man schon voraussagen: Die außen- undicherheitspolitischen Notwendigkeiten eines gemein-chaftlich agierenden Europas haben in den letzten Jah-en zugenommen und nicht abgenommen. Wenn manine Begründung für Europa jenseits des Binnenmarktesraucht, dann ist es das gemeinsame europäische
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4482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelInteresse an Frieden und Freiheit, an Stabilität undWohlstand auf der Welt.
Dieses Europa kann und wird nur stark sein, wenn esnicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaft-lich stark ist. Deshalb ist es gut, dass der haushaltspoliti-sche Befund zu dieser Debatte uns ermöglicht, zu sagen:Deutschland macht seine Hausaufgaben. Wir könnenzum ersten Mal seit Jahren wieder die Maastrichtkrite-rien erfüllen. Der Bundesfinanzminister hat gestern da-rüber Bericht erstattet. Wir haben gute Wachstumsraten.Ich möchte die prognostizierten Kurven von hoch gelob-ten Wirtschaftsinstituten jetzt nicht aufzeigen. Man weißnie, ob in acht Wochen alles nicht wieder ganz anders ist.Wir sollten darauf nicht zu viel vertrauen. Aber es ist so,dass wir sagen können: Es geht im Augenblick in dierichtige Richtung. Es gibt keinen Abbau der sozialversi-cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse mehr, esgibt weniger Insolvenzen und zum ersten Mal seit 1988gibt es einen Überschuss bei der Bundesagentur für Ar-beit.
Das zeigt nicht mehr und nicht weniger, als dass esaufwärts geht. Aber das zeigt natürlich auch, dass wiruns mit 4,3 Millionen Arbeitslosen, mit vielen jungenMenschen, die keinen Ausbildungsplatz haben, nicht zu-frieden geben können. Wir dürfen auf gar keinen Fall dieHände in den Schoß legen; vielmehr müssen wir dierichtigen Lehren auch aus den Fehlern vieler – ich be-tone: vieler – vergangener Jahre ziehen.Diese Lehre heißt für mich: Wir haben in den vielenletzten Jahren die Dimension der Zukunft zu sehr in denHintergrund gedrängt. Wir haben uns immer wieder da-mit abgefunden oder wir haben es zumindest nicht the-matisiert, dass wir von der Substanz leben. Deshalb istdiese Bundesregierung ganz bewusst angetreten, um dasLeben von der Substanz schrittweise zu beenden. Das istgenau das, was man mit dem sperrigen Begriff derNachhaltigkeit beschreibt. Deshalb sage ich es etwasanders, nicht ganz so sperrig: Es ist ganz einfach so, dasswir unsere Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Das ist dieLeitlinie, das ist der Maßstab, an dem wir unsere ge-samte Politik ausrichten.
Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Das leitetuns bei all unseren Entscheidungen. Deshalb sanierenwir den Haushalt.Ich möchte den Bundesfinanzminister ausdrücklichunterstützen. Kaum dass eine Steuermehreinnahmeverkündet wird – unbeschadet der Frage, ob sie im Haus-haltsansatz nicht schon längst eingepreist ist –, gibt eseine breite Debatte darüber, was man damit machenkönnte. Lassen Sie uns erst einmal Geld haben! Wenndas der Fall ist, können wir über Schuldenabbau reden.Die Neuverschuldung in diesem Jahr ist sehr hoch. Las-shnnfArDMAnepmrbs–bMddsdnIsssßegWuWtpo
Weil wir die Zukunft nicht verbrauchen wollen, refor-ieren wir. Wir reformieren im Sinne der Gesundheits-eform. Jeder, der sich einmal mit Gesundheitspolitikeschäftigt hat – hauptsächlich macht es die Bundesge-undheitsministerin; aber viele andere tun es auch – –
Sie versuchen hier, das der Lächerlichkeit preiszuge-en. Aber die Frage, ob die überwiegende Mehrzahl derenschen in Deutschland den Eindruck hat, dass sie anem medizinischen Fortschritt teilhaben kann, wird zuer entscheidenden Frage werden. Es geht darum, ob dieoziale Marktwirtschaft und das Gerechtigkeitsempfin-en in einer hoch entwickelten Gesellschaft überhauptoch einen Platz haben. Deshalb ist das aller Mühe wert.ch sage das aus voller Überzeugung, weil das diechwierigste Aufgabe ist. In vielen anderen europäi-chen Ländern können Sie sehen, dass es auch dort einechwierige Aufgabe ist.Weil das so ist, sollten wir diese Diskussion mit gro-er Ernsthaftigkeit führen, aber ohne die Interessen derinzelnen Besitzstandsgruppen im Auge zu haben; esilt, im Interesse der Versicherten zu handeln.
ir sind nämlich dem Gemeinwohl verpflichtet
nd nicht den Krankenkassen oder den Ärzten allein.ir sind natürlich jedem einzelnen Akteur mit seinen In-eressen, aber zum Schluss eben dem Gemeinwohl ver-flichtet. Genau daran wird sich die Bundesregierungrientieren.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4483
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, darf sicheinmal fragen, ob die Selbstverwaltung der Krankenkas-sen immer so prima funktioniert hat und wie viel Besitz-standswahrung in dem ganzen System ist. Es geht da-rum, den Menschen das zu geben, was sie brauchen.Daran werden wir uns ausrichten.
Deshalb werden wir die Eckpunkte umsetzen. Darüberwird es natürlich Diskussionen geben. Wenn Neuland be-treten wird, gibt es immer Diskussionen. Aber eine sol-che Reform ist notwendig – genauso wie im nächstenJahr eine Reform der Pflegeversicherung, genauso wieeine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bundund Ländern mit einer Föderalismusreform II, nachdemdie Föderalismusreform I jetzt in Kraft getreten ist.Wir führen Strukturreformen wiederum deshalbdurch, weil wir die Zukunft nicht verbrauchen, sonderngestalten wollen.
Dazu gehört die Unternehmensteuerreform. Auch dasist ein Vorhaben für den Herbst. Es geht uns nicht darum,langfristig Unternehmen per se zu entlasten. Es geht unsdarum, Unternehmen in Deutschland zu halten. Deshalbwird es am Anfang ein Entlastungsvolumen geben. AberZiel ist, die Unternehmen in Deutschland auf Dauer wie-der zu Steuerzahlern zu machen.
Das muss auch so sein. Es hat keinen Sinn, zuzusehen,wie Unternehmen in einer globalen Welt woanders hin-gehen, weil sie dort besser dastehen. Wir müssen einwettbewerbsfähiger Standort sein – mit dem Ziel, dassauch der Staat von den Gewinnen der Unternehmen pro-fitiert. Dabei darf nicht die Substanz der Unternehmen,sondern muss der Gewinn der Unternehmen besteuertwerden. Es darf nicht so sein, dass der woanders ver-rechnet wird.
Wir werden Bürokratie abbauen. Es gibt bereits einMittelstandsentlastungsgesetz. Es wird an einem zweitengearbeitet. Wir werden im Bereich der Hartz-IV-Refor-men zu überlegen haben, wie wir angesichts von4,3 Millionen Arbeitslosen Anreize so setzen, dass unserGrundziel wieder erreicht wird: Wir wollen die Men-schen in Arbeit bringen. Wir wissen, das gelingt nur,wenn wir sicherstellen, dass jemand dann, wenn er arbei-tet, mehr hat, als wenn er nicht arbeitet.An diesem Grundsatz werden sich alle Entscheidun-gen orientieren müssen. Wir wollen, dass sich Arbeitlohnt, dass die, die in dieser Gesellschaft etwas leistenwollen, sehen: Die Leistungsanstrengung trägt auch ihreFrüchte. Daran müssen sich alle Diskussionen – das gehtvon Kombilohn über Hartz IV und Organisation vonHelnbgmPuwt6wvldEudItMddtcznwEdBtwdcSumPdTfsdwt
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4484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Wir haben uns damit auseinander zu setzen, wie wirin einer globalen Welt, die immer mehr zusammen-wächst, in der einzelne Regionen gar nicht mehr unter-schieden werden können, Menschen Vertrauen in einenvernünftigen Verbraucherschutz geben können. Ichspreche das angesichts der Fleischskandale an. MeineDamen und Herren, der Bundestag – insbesondere dieBundesregierung, die in die Verantwortung genommenwerden wird, und in ganz besonderer Weise der Bundes-landwirtschaftsminister,
der für Verbraucherschutz zuständig ist – wird sich dazuäußern müssen, wie wir in einer vernetzten Gesellschaft,einem vernetzten Land vorgehen wollen. Wir brauchen,auch wenn die Länder zuständig sind, allgemeine, glei-che Standards für die gesamte Bundesrepublik Deutsch-land; an dieser Stelle kann man heute nicht mehr lokalagieren.
Das heißt nicht, dass die Bundesregierung die Kon-trollen übernimmt. Aber es hieße schon, dass sich dieLänder bereit erklären müssten, auf einer gemeinsamenInformationsplattform die vorhandenen Informationenauszutauschen. Es kann nicht sein, dass jeder sein Wis-sen für sich behält und sich anschließend wundert, wennflächendeckend Verfehlungen auftreten. Ich plädiereausdrücklich für eine solche Informationsplattform undunterstütze den Bundeslandwirtschaftsminister in dieserForderung.
Meine Damen und Herren, ich fordere die Länderauch von dieser Stelle aus auf, das Verbraucherinfor-mationsgesetz jetzt endlich zu verabschieden.
Es hat keinen Sinn, länger darauf zu warten. Wir habendieses Gesetz im Kabinett verabschiedet und jetzt soll esim Bundesrat verabschiedet werden. Ich glaube, die ak-tdudAasdnmgsfWdwEwgsnmfsdghdgkkevnWtHsTngddbg
Wir werden uns in diesem Herbst im Rahmen desusbildungspaktes noch einmal sehr intensiv damituseinander setzen müssen, wie wir den jungen Men-chen in diesem Lande eine Chance auf einen Ausbil-ungsplatz geben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich halteichts von dauernd neuen Ausbildungsprogrammen. Erstüssen wir – da hat die Bundesregierung vielesemacht – die Rahmenbedingungen für den Mittelstando gestalten, dass dort die notwendigen Entscheidungenür Lehrlinge und Auszubildende gefällt werden können.enn sich die Bedingungen dadurch verbessern, dassas Wachstum verstetigt wird, dass Bürokratie abgebautird, dass durch die Hightechstrategie Forschung undntwicklung in den Betrieben ermöglicht werden, dannerden die Betriebe auch wieder stärker an ihre Zukunftlauben und Auszubildenden wieder eine Chance geben.
Ich glaube, die Bundesbildungsministerin, der Wirt-chaftsminister und der Bundesarbeitsminister werdenoch einmal – auch mit den Ländern – darüber redenüssen, ob die vielen kleinen Zwischenprogramme ziel-ührend sind oder ob sie nicht letztlich zu praxisfernind. Deshalb treten wir dafür ein, dass wir durchaus miten Ländern reden, aber nicht sofort wieder neue Pro-ramme auflegen, sondern versuchen, die Mittel, die wiraben, effektiv im Sinne der jungen Leute einzusetzen;enn wir wollen jedem jungen Menschen eine Chanceeben, auf dem Ausbildungsmarkt einen Platz zu be-ommen. Das ist entscheidend für seine persönliche Zu-unft.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hatine Vielzahl von Entscheidungen gefällt. Die Folgenieler dieser Entscheidungen sind für die Menschenicht einfach.
ir haben erlebt, dass Sparen – der Bundesfinanzminis-er hat darauf hingewiesen, dass 60 Prozent unsereraushaltsveränderungen auf Sparen zurückzuführenind – nicht einfach für die Menschen ist, sondern zumeil sehr schmerzhaft. Dies können wir den Menschenur zumuten, weil wir uns davon leiten lassen, dass wirlauben, alle sind zum Schluss davon überzeugt: Wirürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Wir werdeniesen Konsolidierungskurs fortsetzen. Wir werden da-ei Erfolge haben.Ich muss feststellen: Von der Opposition ist wenig bisar nichts zu hören.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4485
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelRealitätsverweigerung, Einfallslosigkeit, ein großesStück Selbstgerechtigkeit und ein Hang, dieses Land ne-gativ zu reden: Das halte ich nicht für verantwortbar.
– Frau Künast, wenn Sie, was unsere Oppositionstätig-keit betrifft, der Meinung sind, die Sie gerade geäußerthaben – ich teile diese Meinung ausdrücklich nicht; dennwir haben im Bundesrat bei der Agenda 2010 viele, vieleEntscheidungen mitgetragen und ihnen eine Handschriftgegeben, die wirklich in die richtige Richtung gewiesenhat –,
dann gibt es nun gar keinen Grund, in die gleichen Feh-ler zu verfallen, meine Dame. Das ist nämlich der Punkt:Zeigen Sie doch, dass Sie besser sind, als Sie denken,dass wir es waren. Diesem Anspruch werden Sie dochnicht gerecht.
Wir als Regierung sagen nicht, dass wir unsere Zieleschon erreicht haben; das wäre vollkommen falsch. Aberich bin der festen Überzeugung: Wir haben die Grund-lage für eine dauerhafte Entwicklung nach oben gelegt.Nach außen hat die Koalition das Ansehen Deutschlandsin der Welt gemehrt. Deutschland ist wieder in der Mitteund Deutschland hat Gestaltungsspielräume, bei dengroßen Konflikten dieser Welt wieder mithelfen zu kön-nen.Nach Innen haben wir die Wende zum Besseren ein-geleitet.
Wir nehmen uns bei allen Entscheidungen – auch daswill ich sagen – die Zeit, die wir brauchen.
Wir lassen uns nicht treiben, sondern wir durchdenkendie Konzepte vernünftig. Wir handeln mit Entschlossen-heit für das, was wir für richtig und wichtig halten, fürdas, was den Menschen dient, für das, was endlich damitSchluss macht, dass wir die Zukunft verbrauchen.Wir haben das Ziel, dass Deutschland in den nächstenzehn Jahren wieder unter die ersten drei kommt beiWachstum, bei Beschäftigung und bei Innovation. Dassteckt in den Menschen dieses Landes. Das sind wir die-sem Land schuldig. Auf diesem Weg werden wir unsnicht beirren lassen.Herzlichen Dank.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Zwei Fragen beschäftigen derzeit die deutsche Öf-entlichkeit: zum einen die Frage, ob die Außenpolitiker Bundesregierung geeignet ist, die Sicherheit ineutschland zu erhöhen, und zum anderen die Frage, obie Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geeignet ist,achstum und Beschäftigung zu unterstützen und zuördern. Zu beiden Fragen möchte ich für die Fraktionie Linke Stellung nehmen.Die Bundeskanzlerin hat versucht, die Außenpolitikhrer Regierung zu rechtfertigen, und ist, was nicht über-ascht, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Außenpoli-ik sehr wohl geeignet ist, die Sicherheit in diesemande zu verbessern. Das Urteil der Öffentlichkeit fälltber ganz anders und sehr differenziert aus. Auch ausen eigenen Reihen, meine sehr verehrten Damen underren von der Regierungsbank, werden in der Öffent-ichkeit Aussagen getroffen, die Sie, Frau Bundeskanzle-in, zumindest hätten ansprechen müssen, wenn Ihr har-ches Urteil über die Opposition irgendeine Grundlageätte haben sollen.
Ich will mit einer Aussage beginnen. Wenn der Innen-inister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung amibanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschlandrhöht, dann ist es nicht zulässig, dass Sie einen solchravierenden Vorwurf einfach übergehen und so tun, alsei alles in bester Ordnung und als müsse überhaupticht über die Außenpolitik diskutiert werden.
ätte er nämlich mit dieser Feststellung Recht, wäre diesin vernichtendes Urteil über Ihre Außenpolitik.Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letztenahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer wiederngemahnt worden ist, dass unser militärisches Engage-ent am Hindukusch und sonst wo nicht dazu geeignetst, die Terroranschlagsgefahr in Deutschland zu min-ern, sondern dass es vielmehr so ist, dass durch diesesilitärische Engagement die Gefahr, dass terroristischenschläge auch hier in Deutschland unternommen wer-en, immer weiter steigt.
Wir kommen also zu einem ganz anderen Ergebnis.ir glauben, dass die Außenpolitik Deutschlands sichchon seit vielen Jahren auf einen Irrweg begeben hat.chwerpunktmäßig auf militärische Einsätze zu setzennd die klassischen Traditionen der deutschen Außen-olitik, mit denen sie jahrzehntelang Erfolg hatte, zu ver-achlässigen, ist ein Irrweg, der nicht zu mehr Sicherheitn Deutschland führt, sondern die Unsicherheit der
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4486 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Oskar LafontaineBevölkerung eher erhöht. Damit handeln Sie eklatant ge-gen Ihren Auftrag.
Ich hatte schon mehrfach die Frage aufgeworfen, obes nicht notwendig sei, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie,wenn Sie den Terrorismus bekämpfen wollen, einmalsagen, was Sie unter Terrorismus verstehen. Sie sinddazu nicht in der Lage; ich wiederhole diese Feststellunghier im Deutschen Bundestag. Eine Kanzlerin, die nichtin der Lage ist, zu definieren, was sie unter Terrorismusversteht, ist ihren Aufgaben nicht gewachsen, weil sienicht fähig ist, eine Politik zu formulieren, mit der derTerrorismus bekämpft werden kann.
Dass dies schwierig ist, hat zuletzt die ehemalige Prä-sidentin des Bundesverfassungsgerichtes dargelegt, alssie auf das Gesetz zur Antiterrordatei zu sprechen ge-kommen ist. Ich zitiere:Der Gesetzentwurf offenbart, wie schwer es ist,jene Personen hinreichend klar zu bestimmen, diesich in einem terroristischen Kontext bewegen:wenn zum Beispiel darin von Personen die Rede ist,„die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchset-zung international ausgerichteter politischer oderreligiöser Belange anwenden oder solche Gewalt-anwendung unterstützen, befürworten oder durchihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen“.So lautet also im Gesetzentwurf die Definition des Ter-rorismus.Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsge-richtes sagt hierzu weiter:Gewiss, es geht hier nicht um Sprachästhetik. Aberwas kann man nicht alles unter „international aus-gerichteten politischen oder religiösen Belangen“begreifen? Lässt sich darunter nicht auch ein Kriegsubsumieren, der die Absetzung eines Diktatorszum Ziel hat?
Ich wiederhole: Es ist wirklich nicht möglich, eine insich konsistente Außenpolitik zu formulieren, wenn mannicht in der Lage ist – Frau Bundeskanzlerin, Sie sind esnicht –, zu definieren, was Terrorismus eigentlich ist. Ichwiederhole: Terrorismus ist für viele, die sich auf inter-nationaler Ebene an der Diskussion beteiligen, das Tötenvon Menschen zum Erreichen politischer Ziele. Etwa solautet auch die Definition in dem angesprochenen Ge-setzentwurf.Vor diesem Hintergrund sind nicht nur das Attentatauf das World Trade Center und Selbstmordattentate, andie Sie erinnert haben, Terrorismus, sondern auch dieKriegsführung im Nahen Osten, die Tausende unschuldi-ger Menschen ums Leben bringt.
Für die Linke erkläre ich hier: Man kann Terrorismusnicht durch Terrorismus bekämpfen. Das tun zu wollen,ist ein gravierender Irrtum der amerikanischen PolitikuksmbdmßekggdiBdvtkmrzdrimmbdWdaDbnduddgrdDfdhstNfdzDP
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4487
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4488 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Es ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, sich dieStatistiken anzusehen. Dann stellt man nämlich fest, wowir Schwächen haben. Und wir müssen genau dort etwastun. Es ist aber völlig unverständlich, dass diese Regie-rung sich alle Mühe gibt, diese Schwächen weiter zuverschärfen.In größeren Industriestaaten ist – in kleineren kanndas anders sein – in den letzten Jahren kein Aufschwungbeobachtet worden, der nicht wesentlich vom privatenKonsum gestützt wurde. Sie hingegen geben sich großeMühe, den privaten Konsum abzuwürgen. Das ist derSwzgvvhGwniSKTEdvlevs–usajgnbIdazgt–miwDtWdh
Vielleicht sind Sie ja gerade dabei, die Ministerin zunterstützen; dann will ich gerne innehalten. Das wäreicherlich etwas Gutes.
Sie haben gesagt, dass in Deutschland derjenige, derrbeitet, mehr Geld zur Verfügung haben müsse als der-enige, der nicht arbeitet. Sie handeln aber eklatant ge-en diesen Grundsatz. Ihre Regierung sagt, sie wolle kei-en gesetzlichen Mindestlohn. Das zeigt, dass Sie nichtegriffen haben, was Sie hier vortragen.
n der Praxis liegt der Mindestlohn – zumindest in Ost-eutschland – bei 3 Euro. Sie sagen, dass derjenige, derrbeitet, so viel verdienen müsse, dass ihm mehr Geldur Verfügung steht als demjenigen, der soziale Leistun-en bezieht. Sie haben nicht verstanden, was das bedeu-et. Wenn Sie das wollen, müssen Sie zumindestebenso wie andere europäische Staaten – einen ange-essenen Mindestlohn einführen, damit sichergestelltst, dass die fleißige Arbeit nicht schlechter entlohntird als der Bezug von sozialen Leistungen. Das ist eineimension des Mindestlohns, der Sie sich nähern soll-en.Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zwar sehr schöneorte gefunden, Sie wurden aber nicht konkret. Ich habeen Eindruck, dass Sie nicht verstanden haben, was Sieier eigentlich vorgetragen haben.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4489
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Oskar Lafontaine
Sie haben gesagt: Wir müssen die Zukunft sichern.Was tun Sie aber für die Sicherung der Zukunft? Werklatscht denn nicht Beifall, wenn jemand hier sagt: „Wirmüssen die Zukunft gewinnen“? Es gibt zwei Zahlen,die Sie widerlegen: Die öffentliche InvestitionsquoteDeutschlands ist – das gilt auch für diesen Haushalt,Herr Bundesfinanzminister – nur halb so hoch wie dieder europäischen Nachbarstaaten. Das ist schon seit vie-len Jahren so. Wie soll dieser moderne Industriestaatdenn die Zukunft gewinnen, wenn Sie nur halb so vielinvestieren wie die Konkurrenz? Wir brauchen mehr öf-fentliche Investitionen. Dieses Versäumnis ist ein gravie-render Fehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Was nützt all das schöne Gerede über das Gewinnender Zukunft, wenn wir bei den Bildungs- und For-schungsausgaben nach wie vor – das zeigt die OECD-Statistik – weit zurückliegen? Sie offenbaren einen Wi-derspruch: Sie haben hier zwar hehre Absichten verkün-det, aber keinen Ansatz vorgetragen, wie dieses Land,das eine französische Dichterin früher einmal „das Landder Dichter und Denker“ nannte, auf dem Gebiet der zu-kunftsentscheidenden Investitionen gewinnen kann.Früher hatten wir einmal hervorragende Forscher undein Bildungssystem, das beispielhaft in der Welt war.Diese Situation können wir aber nicht wieder erreichen,wenn die öffentlichen Haushalte, insbesondere die derLänder, weiterhin unterfinanziert sind und wir keinenWeg aufzeigen, wie die Höhe der Bildungsausgaben andas internationale Niveau angeglichen werden kann.
Ich möchte einige kurze Ausführungen dazu machen,wie man den privaten Konsum unterstützen kann. DieSituation der Haushalte, die durch die seit vielen Jahrenstagnierende Lohnentwicklung ohnehin schlecht ist,wurde durch die Entwicklung der Energiepreise weiterverschärft. Durch die Deregulierung der Energiemärktehaben Sie wesentlich dazu beigetragen.Mittlerweile müssen Haushalte bis zu mehrere Mo-natsmieten aufbringen, um die höheren Energiepreisebezahlen zu können. Deswegen wäre es eine erstrangigeLeistung, zu erreichen, dass die Energiepreise inDeutschland nicht weiter so steigen können und dass aufMonopolmärkten nicht weiter so abgezockt werdenkann, wie es derzeit geschieht.
Wir haben zwar gehört, Sie hätten irgendein Konzeptim Kopf, mit dem Sie in diesem Bereich etwas verän-dern wollen. Aber wie sieht es denn aus, Frau Bundes-kanzlerin? Haben Sie irgendeinen Ansatz, wie Sie diesteigenden Energiepreise in den Griff bekommen wol-len? Mittlerweile haben einige Länderregierungen denVorwurf der Linken aufgegriffen, die schon mehrfachvorgetragen hat, dass es ein Fehler war, die staatlicheEnergiepreiskontrolle auslaufen zu lassen. Jawohl, beimonopolartigen Märkten hat das Gerede über Marktwirt-spfIaBdkDddkhudhnhsscngusb1gidEwtszßwSDiLIdtfdF
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4490 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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– Ich an Ihrer Stelle wäre hier sehr vorsichtig.Die Außenpolitik erhöht in nicht verantwortbarerWeise die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutsch-land.
Und die Wirtschafts- und Finanzpolitik verschärft dieUngleichheiten und ist nicht dazu geeignet, einen dauer-haften Aufschwung zu initiieren, den wir brauchen, umdie Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen.
Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Frak-
tion, Dr. Peter Struck.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Herr Lafontaine, Sie haben eineRede gehalten, die ich für beschämend halte für dasHohe Haus.
Was die Außenpolitik angeht, will ich Ihnen klar sagen:Wer solche außenpolitischen Positionen vertritt wie die,die Sie gerade vorgetragen haben, darf niemals Verant-wortung in der Bundesrepublik Deutschland erlangen.Niemals!
Das Entscheidende, Herr Lafontaine, ist doch nichtdie Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bun-desregierung der Bundesrepublik Deutschland nutzt.Das Entscheidende ist die Frage, ob die Außen- und Si-cherheitspolitik der Bundesregierung der Welt nutzt. Dastut sie zweifellos. Gehen Sie doch einmal nach Afgha-nistan! Sie halten hier Reden über Afghanistan, warenaber noch nie dort. Fragen Sie einmal die Mädchen inAfghanistan, die endlich zur Schule gehen und studierendürfen, wem sie das zu verdanken haben! Das haben sieukwbfgsMbwtbssddTgwudbtWapMdhcWgwgewmaugn
Herr Lafontaine, wir kennen uns schon lange. Wiraren sogar einmal über unsere politische Zusammenar-eit hinaus befreundet; das ist bekannt. Aber ich halte esür unglaublich, was für eine politische Entwicklung Sieenommen haben. Dafür habe ich überhaupt kein Ver-tändnis.
Meine Damen und Herren, die Attentate von London,adrid und Ankara und natürlich auch der 11. Septem-er 2001 sind zu Synonymen für die Verletzbarkeit derestlichen Demokratien durch Angriffe von Terroris-en geworden. Kein Land der Welt ist, was diesen ver-lendeten Terror verstockter Ideologen betrifft, eine In-el der Seligen. Das wird man auch nicht, indem manich aus der Weltverantwortung völlig heraushält. Das zuenken, ist ein grundsätzlicher Irrtum. Glauben Sieenn, es bestünde in Deutschland keine Gefahr durcherrorismus, wenn es auf der Welt keine Bundeswehräbe? Glauben Sie das ernsthaft? Das kann doch nichtahr sein! Das ist absoluter Unsinn, Herr Lafontaine,nd völlig bescheuert.
Schon damals, im Jahre 2001, haben Bund und Län-er mit der Optimierung der Sicherheitsmaßnahmenegonnen. Diese Maßnahmen sind von den Innenminis-ern immer wieder angepasst worden, zuletzt in dieseroche, und zwar durch Einführung der Antiterrordatei,ls Reaktion auf die Kofferbombenattentate und andereotenzielle Gefährdungen.Selbst wenn man alles tut, um ein möglichst hohesaß an Sicherheit herzustellen, muss eines gesagt wer-en – darüber sollten wir uns alle im Klaren sein –: Eineundertprozentige Sicherheit wird es in einer freiheitli-hen Demokratie nie geben. Keine Antiterrordatei derelt, keine Videokamera und keine Sammlung von Fin-erabdrücken können hundertprozentigen Schutz ge-ährleisten. Das dürfen wir den Bürgerinnen und Bür-ern auch nicht vorgaukeln.
Hundertprozentige Sicherheit vor zum Selbstmordntschlossenen Attentätern wäre nicht einmal zu ge-ährleisten, wenn man die Prinzipien einer liberalen De-okratie zugunsten derer eines Überwachungsstaatesufgeben würde. Wir dürfen die freiheitlichen Prinzipiennserer westlichen europäischen Demokratien im Kampfegen diesen Terrorismus nicht opfern. Genau das istämlich das Kalkül der Terroristen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4491
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Dr. Peter StruckWir müssen uns gegen das Klima von Angst und Hasswehren, das sie schüren wollen.Die Weltgemeinschaft hat den Kampf gegen den Ter-ror im Herbst des Jahres 2001 aufgenommen. Für uns,das Parlament, war es ein weit reichender und schwieri-ger Schritt, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schi-cken. Ich erinnere mich – auch damals war ich Vorsit-zender der SPD-Fraktion –, wie schwer wir uns in dieserDebatte getan haben, alle anderen Fraktionen selbstver-ständlich auch.
– Ja, alle.Fünf Jahre später hat sich diese Entscheidung alsrichtig erwiesen. Sie war notwendig, um die Kräfte zustärken, die nicht länger mit ansehen wollten, dass Af-ghanistan weiterhin Brutstätte des internationalen Terro-rismus bleibt. Diese Entscheidung war auch notwendig,um den Aufbau zivilgesellschaftlicher und demokrati-scher Strukturen in diesem Land zu sichern.Der Einsatz unserer Soldaten in Afghanistan ist ge-fährlich. Die Taliban sind auch nach fünf Jahren nochlängst nicht zerschlagen und al-Quaida ist nach wie vorim Nachbarland Pakistan präsent. Eine Beendigung derMission ist nicht abzusehen. Deswegen wird der Bun-destag dieses Mandat in den nächsten Wochen um einweiteres Jahr verlängern; dafür plädiere ich. Allerdingsbin ich dafür, meine Damen und Herren, das Mandat un-verändert zu verlängern. Eine Ausweitung des deutschenEinsatzgebietes auf den Süden des Landes lehne ich ab.
Die Bundeswehr, die im Rahmen von ISAF dasgrößte Kontingent stellt, hat die Verantwortung für dengesamten Norden übernommen. Für den Westen, denSüden und den Osten sind jeweils andere NATO-Partnerverantwortlich. Das war die Vereinbarung. Dabei solltees auch bleiben.Ich halte es übrigens für unerträglich, dass die PDSbehauptet – auch Herr Lafontaine hat das eben wiedergetan –, durch unseren Einsatz in Afghanistan würdenwir den Terror nach Deutschland holen.
Die Damen und Herren Populisten sollten sich einmalanschauen, welch verantwortungsvolle Arbeit unsereSoldatinnen und Soldaten dort leisten.
Sie sollten auch wissen: Das Recht auf Freiheit in unse-rer Demokratie verteidigt man nicht dadurch, dass manungezügelte Angriffe auf die Grundfesten der Demokra-tie zulässt.
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ie Ablehnung der FDP beim Auslandseinsatz imongo, bei der Verlängerung des Mandats in Afghanis-an und möglicherweise jetzt bei dem Mandat im Liba-on ist falsch.
Eine Ablehnung würde uns im Kampf gegen den in-ernationalen Terrorismus in der internationalen Ge-einschaft isolieren. Sagten wir Nein, wäre Deutschlandsoliert und spielte keine verantwortungsvolle Rolle inuropa. Die Wahrnehmung einer verantwortungsvollenolle wird von Deutschland allerdings erwartet.
ir sind außenpolitisch ein starkes Land in Europa.Wir werden in den nächsten Tagen und möglicher-eise auch Wochen – niemand weiß es genau; die Frauundeskanzlerin hat soeben dargelegt, worüber imibanon entschieden werden muss – um Hilfe gebetenerden. Die Vereinten Nationen bitten uns um Hilfe. Esar immer die Position der SPD, dass unter Obhut derereinten Nationen solche Mandate wahrgenommenerden. Darüber hinaus bitten uns der Libanon und Is-ael um Hilfe. Es wird in der Tat – das ist wahr – ein ro-ustes Mandat, vermutlich wird es das robusteste wer-en, das es für unsere Soldatinnen und Soldaten gibt.Es soll ein Frieden stiftendes Mandat sein, das nachen Kämpfen der vergangenen Wochen eine belastbareaffenruhe garantieren soll. Wir bieten Hilfe für dieseission an, weil wir wissen, dass es von einem labilenaffenstillstand bis zu einer wirklichen Befriedung einehr weiter Weg ist, der ohne die Unterstützung dereltgemeinschaft nicht gelingen wird.Meine Partei und Fraktion haben ausführlich über un-ere Hilfe debattiert. Dabei ist die humanitäre Hilfe iner Region vorrangig. Libanon wird wieder zu einemartnerland unserer Entwicklungshilfe werden. Esommt auf den Wiederaufbau von Wohnungen und dieindämmung der Ölpest vor der libanesischen Küste an.ir sind uns darüber im Klaren, dass ein militärischereitrag nur dann dauerhaft helfen kann, wenn ernsthaftach politischen Lösungen in Nahost gesucht wird. Ent-cheidend wird die Lösung des israelisch-palästinensi-chen Konfliktes sein. Ohne sie wird es keine Beruhi-ung im Nahen Osten geben.
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4492 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Dr. Peter StruckAußenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich inden letzten Wochen unermüdlich für Gespräche mit allenSeiten eingesetzt. Wir danken ihm ausdrücklich für seineArbeit und unterstützen ihn nachhaltig.
Der Außenminister trägt mit seiner intensiven Diploma-tie maßgeblich dazu bei, dass Deutschland als wichtigerund vertrauensvoller Partner von allen Konfliktparteienim Nahen Osten wahrgenommen wird.Einige Kollegen aus meiner Fraktion haben in denletzten Wochen Israel und Palästina, Libyen und Syrienbesucht. Sie sind mit der Erkenntnis zurückgekommen,dass der Einsatz der Deutschen von allen Partnern ge-wollt wird. Sie sind aber auch mit der Erkenntnis zu-rückgekommen, dass die Nachbarn Israels Erwartungenhaben, die für das Gelingen des Friedensprozesses unab-dingbar sind.Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul hateine UN-Untersuchung des Einsatzes israelischerStreumunition gefordert und ist dafür vom Zentralratder Juden kritisiert worden. Im Namen meiner Fraktionweise ich diese Kritik zurück.
Eine Untersuchung kann für alle Seiten in der Krisenre-gion von Nutzen sein. Israels Ministerpräsident EhudOlmert hat die große Freundschaft zwischen unserenbeiden Ländern hervorgehoben und gesagt, es gebe zur-zeit keine Nation, die sich freundschaftlicher gegenüberIsrael verhalte. Das ist so und soll auch so bleiben, aber:Freunde müssen auch wahrheitsgemäß miteinander um-gehen.
Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist beunruhi-gend. Sie bereitet den Menschen hier Sorgen, weil wirvon ihren Auswirkungen unmittelbar betroffen sind. DieKrisenregion ist drei Flugstunden von uns entfernt. DerIrak kommt nicht zur Ruhe. Von Frieden ist dieses Landweit entfernt, es ist zu einer Zufluchtsstätte für Terroris-ten des al-Qaida-Netzwerks geworden. Fast täglich gibtes dort Tod und neue Attentate. Meine Damen und Her-ren, ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Ent-scheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung,diesen Krieg nicht zu befürworten, war und bleibt rich-tig, zu jeder Zeit.
Wir sind in der Iranfrage – Sie haben das angespro-chen, Frau Kanzlerin – strickt für Diplomatie und Ge-spräch und schließen eine militärische Option aus; dastimme ich Ihnen ausdrücklich zu.Ich halte nichts davon, wenn immer öfter Begriffe wie„gut“ und „böse“ Eingang in die internationale Debattefinden. Eine solche Sicht ist fatal. Wenn ich im Gegen-über nur das Böse erkennen will, kann ich nicht ernsthaftLLdpvlsf–sNBzrvdlwAsUsmARetDsEKkstI1igdZV3mnv
Für den Nahen und Mittleren Osten heißt das nicht,ass wir die Augen und Ohren vor unakzeptablen Hand-ungen und Äußerungen verschließen. Wenn beispiels-eise das Existenzrecht Israels geleugnet wird, wenn derntisemitismus darüber den deutschen Sumpf erreicht,agen wir klipp und klar: Nein!
nsere israelischen Freunde können sich auf uns verlas-en; das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, im Na-en meiner Fraktion und auch der Koalition.
Lassen Sie mich nur einige kurze Bemerkungen zumrbeitsmarkt und zur Gesundheitspolitik machen, weiledner meiner Fraktion auf diese Themen ausführlicheringehen werden.Zum Arbeitsmarkt. Der Knoten ist geplatzt, eindeu-ig. Deutschland ist im Aufschwung, die wirtschaftlicheynamik gewinnt weiter an Fahrt. Nachdem die Wirt-chaft gut in das laufende Jahr gestartet war, hat sich dierholung im zweiten Quartal eindeutig fortgesetzt. Deronjunkturfunke ist endlich vom Export auf die Binnen-onjunktur übergesprungen, vor allem in der Bauwirt-chaft; das haben Sie, Herr Lafontaine, zu Recht vorge-ragen, korrekt diesmal – ausnahmsweise. Verstärktenvestitionen tragen zum Aufschwung bei.Die Zahl der Arbeitslosen ist im August um4 000 auf 4,3 Millionen gesunken. Seit Februar 2006st die Zahl der Arbeitslosen von 5,0 auf 4,37 Millionenesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Zahler Arbeitslosen um mehr als 400 000 gesunken. Dieahl der Erwerbstätigen ist gestiegen: Im Vergleich zumorjahreswert ergab sich im Juli eine Steigerung von06 000 Erwerbstätigen. Das ist ermutigend, meine Da-en und Herren, auch deshalb, weil sich die Entspan-ung auf dem Arbeitsmarkt aus dem Zusammenspielon konjunktureller Entwicklung und dem Greifen ar-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4493
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Dr. Peter Struckbeitsmarktpolitischer Instrumente der Bundesregierungergibt.Ganz sicher ist, dass das in Genshagen beschlossene25-Milliarden-Euro-Wachstumsprogramm seine Wir-kung jetzt entfaltet, langsam, aber sicher. Vor allem dasdarin enthaltene CO2-Gebäudesanierungsprogramm istschon jetzt ein Erfolg auf ganzer Linie. Es wird bis 2009ein Investitionsvolumen von 28 Milliarden Euro entwi-ckeln. Bereits im letzten Monat, also im August, warendie Mittel für dieses Jahr – für das ganze Jahr – bei derKreditanstalt für Wiederaufbau ausgeschöpft. Seit Früh-jahr hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Bereichder energetischen Gebäudesanierung ein Darlehensvolu-men von 7 Milliarden Euro bewilligt. Das Programm hateinen erheblichen Anteil an dem spürbaren Aufschwungder Bauwirtschaft. Um diesen Erfolg nicht abzubremsen,werden wir für dieses Jahr 350 Millionen Euro zusätz-lich zur Verfügung stellen. Das belegt, dass das Gebäu-desanierungsprogramm ein großer Renner ist, ein großerErfolg.
Dass sich der Arbeitsmarkt entspannt, liegt aber auchdaran, dass die Vermittlung und die Betreuung des ein-zelnen Arbeitslosen maßgeblich intensiviert wordensind. In ihrer Breite greifen jetzt die Arbeitsmarkt-reformen, die von der Regierung unter GerhardSchröder eingeleitet worden sind. Insofern profitiert diegroße Koalition von diesen mutigen Reformschritten ih-rer Vorgängerregierung, an der wir auch beteiligt waren,wie man weiß.
– Dass der Beifall des Koalitionspartners dafür etwasverhalten ist, kann ich verstehen. Trotzdem ist es wahr.
Ich bin mir sicher, dass wir diesen Weg mit Arbeits-minister Franz Müntefering erfolgreich weitergehenwerden. Im Herbst wird er mit seinen Vorschlägen Ord-nung in den Niedriglohnsektor bringen und damit auchdem Arbeitsmarkt weitere Impulse geben. Wir solltendiesen Bereich in Ruhe und gemeinsam angehen.
Es ist jetzt wichtiger, die Chancen wahrzunehmen, alsjetzt schon die Risiken zu beschreiben und das Vorhabennicht weiter zu verfolgen.Ebenso wie die Kanzlerin möchte ich für meine Frak-tion ein Wort zu den Überschüssen der Bundesagentursagen. Wir haben in der Koalition vereinbart, den Ar-beitslosenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2007 umzwei Punkte auf 4,5 Prozentpunkte zu senken. Ich unter-stütze Franz Müntefering bei seiner Forderung, es dabeizu belassen, und warne davor, zum jetzigen Zeitpunkteine weitere Absenkungsdebatte zu führen.JBewdAkvLFshllrpESertdjeSWvsidosrcDakEhgBsDalntE
Es ist auch klar, dass diese Eckpunkte auf heftigeniderstand fast aller stoßen. Das war uns aber bereitsorher klar, als wir die Debatte begonnen haben. Wer un-er Gesundheitssystem in Deutschland erhalten will – esst das beste Gesundheitssystem der Welt, weil durchieses System dafür gesorgt wird, dass jeder, ob Armder Reich, ob Alt oder Jung, die gesundheitliche Ver-orgung erhält, die er benötigt –, der muss das Systemeformieren. Es kann nicht sein, dass die Krankenversi-herungsbeiträge immer weiter steigen und dass für vieleinge immer mehr Geld ausgegeben wird, von dem wirus strukturellen Gründen eine ganze Menge sparenönnten.Weil wir hier im Bundestag zum ersten Mal über dieckpunkte reden, will ich für meine Fraktion sagen: Ichätte mir bei manchen Punkten natürlich mehr Entge-enkommen vom Koalitionspartner gewünscht, zumeispiel bei der Einbeziehung der privaten Krankenver-icherung, den Strukturänderungen und vielen andereningen. Ich weiß, dass es vergebliche Liebesmüh ist, dasnzusprechen, ich denke aber nicht, dass wir in Deutsch-and 250 oder 260 Krankenkassen brauchen. Das mussicht sein.
Es war aber nicht zu erreichen, dass an diesen Punk-en etwas geändert wird. Ich stehe zu den Eckpunkten.s geht jetzt um die Formulierung des Gesetzentwurfes.
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4494 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Dr. Peter StruckIch gehe davon aus, dass wir damit Ende September/An-fang Oktober beginnen werden. Wir alle gemeinsammüssen damit rechnen – das ist so; den Experten mussich das nicht erklären –, dass es nach wie vor Widerstanddagegen geben wird.Aber Politik kann nicht darin bestehen, dass man einergroßen Zeitung mit großen Buchstaben folgt oder die In-teressen irgendeiner Lobbyistengruppe bedient, sonderndass man das macht, was man für richtig hält. Das wer-den wir bei der Gesundheitsreform tun.
Die Kollegin Elke Ferner, die für uns verhandelt, wirddazu noch nähere Ausführungen machen.Ein letztes Wort zur Unternehmensteuerreform. Esist wahr, dass unsere nominalen Sätze zu hoch sind. DieKanzlerin und auch der Finanzminister haben Recht,wenn sie sagen, dass sie im europäischen Vergleich ein-deutig einen Wettbewerbsnachteil darstellen. DiesenWettbewerbsnachteil werden wir zu beseitigen versu-chen. Aber für mich ist auch klar, dass wir als Staat mit-telfristig nicht auf Milliarden von Steuereinnahmen ver-zichten können. Wir haben angesichts der Aufgaben, dieanstehen, nichts zu verschenken.
Das heißt, eine Lösung muss mittelfristig aufkom-mensneutral sein. Mittelfristig aufkommensneutral heißtnach meiner Auffassung auch – ich richte mich „towhom it may concern“, nicht an meine Fraktion, abervielleicht an eine andere –, dass wir die Verbreiterungder Bemessungsgrundlage im Zusammenhang mit derUnternehmensteuer durchsetzen müssen.
Darüber haben wir geredet. Das werden schwierigeVerhandlungen werden. Aber wozu ist dann Politik da?Wenn alles so einfach wäre, dann könnten es auch an-dere machen. Aber wir machen es besser. Wir machenunsere Arbeit weiter. Deutschland kann sich auf die SPDverlassen.
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
spricht nun deren Vorsitzender Fritz Kuhn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte mit der Außenpolitik beginnen und für meineFraktion klar sagen, dass wir in der Frage von Auslands-einsätzen der Bundeswehr weder in einer Position despauschalen Jas noch in einer Position des pauschalenNeins sind und jemals sein werden. Es kommt auf diegenaue Prüfung der einzelnen Umstände an. DeswegenhHhS7NKKrfdBsYmddnaNSddadDuesfsDwdgbgüuvhnthglnBEm
Wir werden deswegen, Frau Merkel, genau hin-chauen, was Sie aus der Anfrage der Libanesen in Nework und der Bitte um Hilfe in Ihrem Kabinettsbeschlussachen. Die Aufteilung in eine Zone, in der auf See nurie Libanesen kontrollieren, und eine andere Zone, iner auch die Deutschen tätig werden sollen, macht esicht einfacher, zuzustimmen. Da kommt es wirklichufs Detail an; das will ich klar sagen. Aber alle, dieein sagen, müssen wissen, dass wir allmählich in eineituation geraten, bei der der deutsche Einsatz direkt miter Frage verbunden ist, ob und wie schnell die Israelisie Seeblockade aufheben werden, was für den Wieder-ufbau und die humanitäre Hilfe, die im Libanon soringend notwendig sind, außerordentlich relevant ist.iese Abwägung müssen wir alle zusammen vornehmennd wir werden uns nach bestem Wissen und Gewissenntscheiden.Frau Bundeskanzlerin, Sie haben richtigerweise ge-agt: Diskutiert nicht nur über Militäreinsätze, sondernragt nach dem politischen Rahmen, den ein Militärein-atz notwendiger- und sinnvollerweise haben muss. –arin wollen wir Sie ausdrücklich unterstützen. Aberir wollen in Zukunft konkretere Angaben, als dies iner Vergangenheit und auch heute in Ihrer Rede der Fallewesen ist.Ich glaube, dass Sie noch immer Schwierigkeiten ha-en, die ganze Situation im Nahen Osten von der Ver-angenheit her zu analysieren; denn Sie waren davonberzeugt, dass die Haltung der rot-grünen Regierungnter Schröder und Fischer, den Irakkrieg abzulehnen,öllig falsch war. An diesen Punkt müssen Sie zurückge-en, wenn Sie die heutige Situation beschreiben: Es gibticht mehr Sicherheit in der Region, sondern die Situa-ion ist, wie von uns vorausgesagt, extrem instabil. Eserrscht Bürgerkrieg. Es ist sehr schwierig, in dieser Re-ion zu einer friedlichen Lösung zu kommen.Jetzt kommt der für mich wichtige Punkt: Ich ver-ange von der deutschen Bundesregierung – und zwaricht nur vom Außenminister, sondern auch von derundeskanzlerin – ein klares Konzept für die friedlichentwicklung im Nahen Osten und vor allem für denöglichen deutschen und europäischen Beitrag dazu.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4495
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Fritz KuhnIch habe nichts dagegen, wenn Sie gute Beziehungenzum amerikanischen Präsidenten haben. Aber Sie müs-sen – darauf kommt es an – diese jetzt auch in die rich-tige Richtung umsetzen. Das heißt beim Iran, dass mannur dann mit Sanktionen drohen kann, wenn man auchbereit ist, die Sanktionen zu verhängen, und wenn mandie gestellten Ultimaten richtig begründet und es zeitlichrichtig befristet hat. Das heißt, dass Sie das Wahrneh-mungsmuster, das bei Bush und noch stärker bei seinemVerteidigungsminister vorherrscht – nämlich dass jedesProblem auf der Welt irgendwie mit der Jagd gegen al-Qaida-Terroristen in Verbindung steht –, brechen müs-sen. Sie werden der Realität in Palästina bzw. zwischenPalästinensern und Israelis nicht gerecht, wenn Sie sienur in Bezug auf den internationalen Terrorismus sehen.
Sie werden auch dem Hisbollah-Konflikt im Liba-non nicht gerecht, wenn Sie ihn nur im Zusammenhangmit dem Kampf gegen al-Qaida sehen. Eine politischeLösung heißt, dass Sie die Konflikte zwischen Syrienund Israel wie auch zwischen Syrien und dem LibanonSchritt für Schritt konstruktiv angehen müssen. Sie müs-sen darauf achten, dass es wirklich zur Zweistaatlichkeitkommt. Dabei kommt es sehr auf die Amerikaner an.Unsere Empfehlung ist, dass Sie diese Beziehungennicht nur in Ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpom-mern für Sommeraktivitäten nutzen, sondern wirklichdarauf drängen, dass mehr getan und verstärkt Druck zu-gunsten von politischen Lösungen ausgeübt wird.Dass die Rolle der EU gestärkt wird, ist die entschei-dende Aufgabe, die Ihnen beim Vorsitz der EU-Ratsprä-sidentschaft im nächsten Jahr zukommt. Dabei erwartenwir Konzeptionen statt wie bisher nur allgemeine Ab-sichtserklärungen.
Ich möchte noch etwas zur aktuellen Situation anmer-ken. Das Auftreten und Agieren des Verteidigungs-ministers hat uns sehr gestört. In einer Situation – daswar schon im Zusammenhang mit dem Kongo der Fall –,in der Ruhe, Klarheit, Besonnenheit und Reflexion stattGeschwätzigkeit gefragt waren, ist der Verteidigungsmi-nister wie die größte Plaudertasche der Republik aufge-treten. Das hat immer wieder zu neuen Verunsicherun-gen geführt und auch unseren Soldaten geschadet, diesich eine klare Orientierung wünschen.
Der frühe Jung erinnert mich an den spätenScharping. Sie sollten aufpassen, dass es in der kriti-schen Situation, die wir heute haben, nicht so weitergehtwie in den vergangenen Wochen.
Ich möchte jetzt zur innenpolitischen Situation kom-men, Frau Merkel. Übrigens ist Ihre Redestruktur nichtnachhaltig.Irh„wsSDSD–BdnfdddwkazwdlecamgDbMncnlhEmsKAgwrr
ch will das einmal darstellen. In der Regierungserklä-ung war das große, strukturprägende Motto „Mehr Frei-eit wagen“. Heute ist davon nicht mehr die Rede.Es ist noch nicht lange her, als Sie öffentlich vomSanierungsfall Deutschland“ gesprochen haben. Jetzterfen Sie der Opposition vor, wir würden alleschlechtreden. Das ist ein starkes Stück. Nach dem, wasie von der Union in den letzten sieben Jahren übereutschland gesagt haben, sollten Sie besser nicht vonchlechtreden sprechen.
Ich will Ihnen erläutern, wie wir die Situation sehen.ie Konjunktur hat sich stark gebessert, aberLafontaine hat damit Recht – noch nicht wirklich inezug auf den Binnenmarkt. Wir haben große Sorge,ass mit der Mehrwertsteuererhöhung im nächsten Ja-uar diese Verbesserungen wieder geschliffen und ge-ährdet werden.In der gegenwärtigen Situation, die positiv ist und iner sichtbar wird, dass die Agenda 2010 inzwischen aner einen oder anderen Stelle greift, gibt es eine Anfor-erung an die Regierung, nämlich klug und vernünftigeiter zu reformieren und den Menschen im Land zu er-lären, was sie als Nächstes machen will. Unser Vorwurfn Sie ist, dass Sie genau das nicht tun.Lassen Sie mich dafür Beispiele anführen. Das sindunächst einmal die Eckpunkte – das Wort Eckpunkteird sicherlich auch noch mit einer neuen Bedeutung inen deutschen Sprachschatz eingehen –: Nach wochen-angen gemeinsamen Diskussionen beschließen Sie nachiner Nachtsitzung Eckpunkte, die Sie müde und lä-helnd vor den Kameras verkünden. Die Eckpunkte sindber solcher Art, dass sich schon ein Tag später niemandehr in Ihrer großen Koalition daran hält oder sie für ir-endwie relevant hält.
as war bei der Gesundheitsreform der Fall und ist auchei der Unternehmensteuerreform nicht anders. Frauerkel, das, was Sie und die große Koalition machen, isticht kluges Reformieren, sondern organisierte Verunsi-herung. Ich will es mit einem Bild sagen. Sie lassenicht wie Klinsmann erfrischenden Angriffsfußball spie-en, sondern spielen Querpässe und Rückpässe oderauen den Ball ins Aus. Gelegentlich gibt es auch einigentor wie beim Gesundheitsfonds, an den niemandehr in der Regierung glaubt. Ich kenne niemanden, deragt: Der Gesundheitsfonds ist toll. Ich habe noch keinenollegen getroffen, der dies zu Protokoll gegeben hat.lle sagen vielmehr draußen in der Kantine: Das ist derrößte Mist, den es jemals gegeben hat. Aber das müssenir vielleicht machen, weil sonst alles noch viel schwie-iger wird. – So können Sie den Aufschwung nicht vo-anbringen.
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4496 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Fritz KuhnIch möchte konstruktive Vorschläge machen, was zutun ist; denn Herumjammern ist nicht Sache der Grü-nen. Als Erstes sollten Sie darüber nachdenken, ob Siebei der Stabilisierung der Konjunktur den richtigen Weggehen oder vielleicht etwas anders machen müssen.Aufgrund der politischen Zwänge können Sie die ange-kündigte 3-prozentige Anhebung der Mehrwertsteuernicht mehr zurücknehmen. Übrigens sollten Sie Stur-heit nicht mit Entschlossenheit verwechseln, HerrSteinbrück. Die Steuereinnahmen des Staates haben sichschließlich massiv verbessert. Aber warum, FrauMerkel, strecken Sie die geplante 3-prozentige Anhe-bung nicht auf drei Jahre?
Das Konjunkturrisiko würde dadurch deutlich gesenkt.Warum verwenden Sie die Einnahmen aus der Mehr-wertsteuererhöhung nicht konsequent zur Senkung derLohnnebenkosten? Sie wollen stattdessen die Senkungder Lohnnebenkosten mit dem Aufkommen aus nur ei-nem Mehrwertsteuerpunkt finanzieren. Das Aufkommenaus zwei Mehrwertsteuerpunkten wollen Sie zum Stop-fen von Haushaltslöchern verwenden. Diese Frage istnicht sauber beantwortet.
Wenn Sie mit Vertretern von Firmen und insbeson-dere mit Vertretern von kleinen Handwerksbetriebensprechen, dann sehen Sie doch, was los ist. Die Auf-tragsbücher sind jetzt voll. Aber alle Auftraggeber beste-hen darauf, dass die Renovierungen noch 2006 abgewi-ckelt werden und dass auch die Rechnungen im gleichenJahr gestellt werden. Für 2007 haben die Firmen bislangkeinen einzigen Auftrag. Ein Wirtschaftsminister, derseinen Namen verdient, muss darauf reagieren und etwasfür die konjunkturelle Entwicklung in der Bundesrepu-blik Deutschland tun. Aber Wegtauchen, wie es beiHerrn Glos die Regel ist, hilft uns nicht mehr weiter.
Frau Merkel, eine Senkung der Lohnnebenkostenwerden Sie nicht erreichen. Hier gehe ich jede Wette ein,egal was Sie einzusetzen bereit sind; denn der Renten-versicherungsbeitrag wird voraussichtlich um 0,4 Pro-zentpunkte steigen. Der Beitragssatz in der Krankenver-sicherung wird sich wahrscheinlich um mehr als1 Prozentpunkt erhöhen. Auch in der Pflegeversicherungbesteht das Risiko von Beitragssatzanhebungen. Siekönnen sich das Ziel abschminken, die Lohnnebenkos-ten auf unter 40 Prozent zu senken. Dafür ist Ihre Politikzu inkonsequent. Ich fordere noch einmal, das Aufkom-men aus der 3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhungkonsequent zur Senkung der Lohnnebenkosten einzuset-zen, vielleicht nach dem von uns vorgeschlagenen Pro-gressivmodell, das eine stärkere Senkung der Lohnne-benkosten bei den unteren Einkommensgrößen vorsieht.Das brächte viel mehr Arbeit aus der Schwarzarbeit inden legalen Erwerbsarbeitssektor. Das ist die Hauptauf-gabenstellung, vor der Sie stehen.
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chauen Sie sich einmal die Finanzplanung an! Darauseht hervor, dass Sie in den Folgejahren die jährlicheettokreditaufnahme um 500 Millionen Euro senkenollen. Weil heute „Nachhaltigkeit“ Ihr Lieblingswortst: Mit der von Ihnen betriebenen nachhaltigen Politikerden wir im Jahre 2051 einen ausgeglichenen Haus-alt haben. Großartig! Das soll nach Auffassung der gro-en Koalition nachhaltige Politik sein. Ausgerechnet051, wenn wir schon lange die größten demografischenrobleme haben werden, wollen Sie einen ausgegliche-en Haushalt vorlegen.
Wir müssen stattdessen mehr einsparen. Wir unter-tützen ausdrücklich den Vorschlag, dass zusätzlicheteuereinnahmen zur Einsparung verwendet werden.ir müssen das Thema Subventionsabbau wieder in derreite angehen. Wir müssen zudem eine antizyklischeaushaltspolitik systematisch betreiben. Das heißt, dassir in Zeiten, in denen die Konjunktur gut läuft, mehrparen als in Zeiten, in denen sie schlecht läuft; denn inen schlechten Zeiten müssen wir mehr investieren. Sa-en Sie klipp und klar – bislang ging es hin und her –,ass die Unternehmensteuerreform aufkommensneu-ral sein muss. Wenn Sie es bei der Frage der Finanzneu-ralität, also der Gleichbehandlung von Fremdfinanzie-ung und Eigenkapitalfinanzierung, ablehnen, die Zinseninzubeziehen, über die die großen Gewinne ins Auslandransferiert werden, dann müssen Sie sagen, was Sietattdessen machen wollen. Gegenwärtig sind wir in fol-endem Spiel: Einer schlägt etwas vor, die anderen leh-en es ab. Dann passiert gar nichts und das Problem isticht gelöst. Ich sage noch einmal: Es werden Milliar-engewinne im Ausland erzielt, die hier nicht versteuerterden. Dieses Verfahren muss geändert werden. Das istrganisierter Betrug am deutschen Steuerzahler, der mitem Bündnis 90/Die Grünen nicht zu machen ist. Daraufaben Sie, Frau Merkel, heute keine Antwort gegeben.ch finde aber, Sie sollten das tun.
Ich will einen dritten Vorschlag machen, und zwarum Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit wird bei denenbgebaut, die nur kurz arbeitslos sind. Das ist gut, aberen Langzeitarbeitslosen ist noch nicht wirklich gehol-en. Da nützt auch das ganze Gerede von den Leistungs-ereiten nicht. Die Menschen wollen arbeiten, aber sieönnen es aufgrund der langen Arbeitslosigkeit bislangicht tun. Wir sagen, dass wir für diese Menschen ge-ielte neue Programme und gezielter eingesetzte Förder-ittel als in der Vergangenheit brauchen. Herr
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Fritz KuhnMüntefering will Arbeitslose ab 50 Jahren besser för-dern. Ich sage, das muss für alle gelten. Das 50-Plus-Programm hat einen Grundfehler: Es wird so getan, alssei die Wirtschaft nicht mehr dafür verantwortlich, Men-schen ab 50 einzustellen, und als müsse daher der Staateinspringen. Das ist eine völlig falsche Grundkonstruk-tion. Wir vom Deutschen Bundestag müssen verlangen,dass Beschäftigte aller Altersgruppen das Anrecht ha-ben, auf dem normalen Erwerbsarbeitsmarkt eingestelltzu werden.
Ich sage Ihnen, Frau Merkel: Das Fördern kommt zukurz. Der Fördertitel bei der Bundesagentur für Arbeitist die Sparkasse und er wird nicht extensiv dazu ver-wendet, Menschen, die lange arbeitslos waren, eine neueChance zu geben. Deswegen will ich mehr fördern. Nurdann ist das Fordern legitim. Das Paket der Hartz-Gesetze umfasste ja die Kombination von beidem.Übrigens ist der Vorschlag von Herrn Koch, jetzt, da50 000 Jugendliche noch keine Lehrstelle haben, ausden Überschüssen in Sonderprogrammen für diese etwaszu tun, nicht so schlecht. Wir halten den für richtig. Siehaben ihn weggebissen, weil er parteischematisch nichtin das passt, was Ihnen gerade konveniert, aber es istdoch richtig, den Jugendlichen jetzt eine Chance zu ge-ben. Sie haben in Ihrer Rede keine Antwort auf die50 000 Jugendlichen ohne Lehrstelle geliefert. Es gibtaber eine Antwort auf die Frage, was zu tun ist. Sie kön-nen den Streit einstellen. Es würde 600 Millionen Eurokosten. Sie brauchen nicht vier Monate lang zu diskutie-ren. Wir hätten vielmehr damit die Möglichkeit geschaf-fen, dass jeder Jugendliche eine Chance auf eine Lehr-stelle oder eine weitere Qualifikation hat. Das wäre einegute, konkrete Antwort einer Bundeskanzlerin gewesenund nicht nur eine allgemeine.
Ich will etwas zur Gesundheitspolitik sagen. FrauMerkel, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen – dahilft auch das Getuschel mit der Justizministerin nichts –,dass Sie hier reinen Murks auf den Tisch gelegt haben.Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, einenGesundheitsfonds mit kleiner Kopfpauschale einzurich-ten, wenn er nicht das technokratische Problem hätte, ersolle eine Bürgerversicherung und eine Kopfpauschaleirgendwie zu einem schwankenden arithmetischen Kom-promiss führen.
– Sie haben es begriffen. Lassen Sie es doch patentieren,wenn Sie es begriffen haben!
Es ist doch Unsinn, was Sie dazwischenrufen.
Sie bauen ein bürokratisches Monster auf, Sie lösen keinProblem, die Beiträge steigen, Sie schaffen nicht mehrWettbewerb im Gesundheitssystem, Sie tun nichts fürPgdmtubrfWbshnshwTndlMZmdwaKrkIlsndbKggshlne
as Sie machen, ist nichts anderes als eine Verschlimm-esserung. Sie machen es noch schlechter. Deswegenage ich Ihnen klipp und klar: Lassen Sie den Gesund-eitsfonds! Das ist Murks. Verfolgen Sie das Projekticht weiter! Kümmern Sie sich um die Wettbewerbs-eite und um die Prävention! Machen Sie das Gesund-eitssystem qualitativ besser! Sie müssen eigentlich ab-ickeln. Alle merken, dass die große Koalition dieseshema nicht verlupft. Sie machen Murks. Ich finde, dassicht nur wir in diesem Hause, sondern in erster Linieie Bevölkerung dieses nicht verdient haben. Also stel-en Sie das ein!
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Frauerkel, eigentlich fehlt Ihrer Politik ein vernünftigesiel. Eine große Frage – Sie waren einmal Umwelt-inisterin – interessiert Sie gar nicht. Die ganze Weltiskutiert über die Klimaschäden, über die globale Er-ärmung und über die Notwendigkeit, viel mehr zu tun,ls in Kioto festgelegt wurde, Stichwort „Erreichung derioto-plus-Ziele“. In Ihren Grundsatzreden, auch auf Ih-em Strategiekongress spielte dieses Thema überhaupteine Rolle.
ch sage Ihnen: Die deutsche Politik, die Technologiepo-itik, die Wirtschaftspolitik, die Ordnungspolitik, sollteich diesem zentralen Thema widmen; sie sollte es zu ei-er Art Leitplanke machen. Ich fordere Sie eindringlichazu auf.
Zu all dem gehört auch, dass wir mehr für den Wett-ewerb tun. Dieser Regierung ist der ordnungspolitischeompass in der Marktwirtschaft vollständig verloren ge-angen. Es tut mir wirklich Leid, dass ich Ihnen das sa-en muss; das kann ich Ihnen nicht ersparen. Ihre Vor-chläge, im Bereich des Stromnetzes mehr Wettbewerberbeizuführen, wurden bislang nicht gehört. Bei der Te-ekommunikation – Stichwort „Hochgeschwindigkeits-etz“ – haben Sie versagt, weil Sie im Bundesrat wiederine dreijährige Sonderregelung für die Telekom in
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Fritz KuhnAnspruch genommen haben. Was Sie vorhatten, hatnicht funktioniert.
– Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln.
Jetzt komme ich zu einem aktuellen Thema, nämlichzum Thema Bahn. Wir stehen vor einer entscheidendenFrage, nämlich dem Börsengang. Frau Merkel, Sie ha-ben sich bisher nicht – auch in dieser Diskussion nicht –dazu geäußert, was Sie wirklich wollen. Ich sage Ihnen:Mehr Verkehr auf der Schiene ist nur möglich, wenn esinsgesamt mehr Wettbewerb im Bahnsektor gibt.
Deswegen ist ein integriertes Modell vollkommen falschund vollkommen verkehrt.Übrigens, die sich abzeichnende Lösung „kleinesEigentumsmodell“ – der Bund überträgt der Bahn30 Jahre lang vertraglich volle Nutzungsrechte bei derBewirtschaftung des Netzes – ist natürlich nichts ande-res. Da soll sich die SPD nichts vormachen. Wenn mandie Bahn für 30 Jahre beauftragt, dieses Netz zu betrei-ben, dann wird sich beim Wettbewerb nichts ändern. Ichfordere Sie auf, hier zu einem echten Trennungsmodellzu kommen. Kollege Struck, ich verstehe übrigens über-haupt nicht, warum Sie sich von der Bahngewerkschaftund deren politischer Streikdrohung so beeindruckenlassen, dass Sie von dem, was Ihre Verkehrspolitiker for-muliert haben, abrücken.Frau Merkel, im Klartext: Eine gute marktwirtschaft-liche Ordnungspolitik sorgt auf allen Ebenen, also auchbei den Apotheken, für mehr Wettbewerb und sie ver-steckt sich nicht hinter den Lobbys, die für die Aufrecht-erhaltung des Bestehenden kämpfen.
Was den Immobilienstreit bei der Bahn angeht, willich hier eine klare Ansage an den Verkehrsminister ma-chen.
Sie haben in der Haushaltsausschusssondersitzung nichtrichtig aufgeklärt. Immobilien, die eigentlich zum Be-reich Bahnnetz gehören, sind falsch zugeordnet worden.Eine falsche Zuordnung hätte auch für den Bund gravie-rende Auswirkungen. Wenn Sie dies nicht bis nächsteWoche aufklären, dann werden wir in der übernächstenWoche einen Untersuchungsausschuss beantragen; denndas Parlament darf sich durch Ihr organisiertes Verne-beln bei solchen Punkten nicht länger an der Nase he-rumführen lassen. Ich sage klipp und klar: Wenn sich dasnicht ändert, dann wird es einen Untersuchungsaus-schuss geben. Es liegt an Ihnen, ob sich zeigt, dass er nö-tig ist oder nicht.gPKDiF–wcHunhncssuahSRKudspaSwvakStbFhMpSbkh
Frau Merkel, das, was Sie zum Verbraucherschutzesagt haben, war nicht komplex genug. Wir finden dieolitik, die die Bayern da gemacht haben, schlicht zumotzen; das darf man bei diesem Thema wohl so sagen.Jetzt kommt plötzlich der Herr Seehofer und sagt:as Verbraucherinformationsgesetz muss jetzt her; dasst wunderbar und löst alle Probleme. Die Union und dieDP haben einen entsprechenden grünen Gesetzentwurf er ging übrigens weiter als der, den Seehofer mittler-eile vorgelegt hat – im Bundesrat vier Jahre lang blo-kiert und kaputtgemacht.
ätten sie dies nicht getan, wären wir jetzt schon weiternd das, was in Bayern insgesamt geschehen ist, wäreicht möglich gewesen.Ich kann zu Seehofer nur sagen: Herr Seehofer, manat Ihnen angemerkt, dass Sie der Verbraucherschutz garicht interessiert. Ich finde, dass wir keinen Verbrau-herschutzminister brauchen, der Gesundheitsministerein will; vielmehr muss er das, was seiner Aufgaben-tellung entspricht, wirklich mit Herz und Verstand tun.
Für die Kinderpolitik, Frau Merkel, gilt: Die Betreu-ng muss verbessert werden. Das Elterngeld ist das eine;ber die Situation der Betreuung von Kindern unter dreiat sich dadurch nicht verbessert. Ich sage Ihnen:chauen Sie sich unser Konzept der Kinderkarte und desechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz fürinder unter drei an! Nur wenn es eine bessere Betreu-ng für diese Kinder gibt, werden wir es schaffen, aufiesem Gebiet nicht mehr Entwicklungsland zu sein,ondern voranzuschreiten.
Unser letzter Vorschlag betrifft die Einwanderungs-olitik. Wer sich die internationale Forschung darübernschaut, wo auf der Welt wirtschaftlich erfolgreichetandorte sind, wird feststellen: Überall da auf der Welt,o Immigration von qualifizierten Menschen, aber auchon solchen Menschen, die in Not sind, gewollt ist, wolso bewusst gewünscht wird, dass fremde Menschenommen und etwas Neues aufbauen, sind erfolgreichetandorte. Ihr Einwanderungsgesetz müssen Sie in wich-igen Punkten dringend ändern, nämlich dort, wo Sielockiert haben. Ich nenne die Punkteregelung und dierage, wie viel Geld diejenigen mitbringen müssen, dieier einen Betrieb eröffnen wollen. Da haben Sie einodernisierungsdefizit. Wenn Sie das Gesetz nicht an-assen, dann werden Sie Deutschland eben nicht iminne unseres Mottos „Klug reformieren“ nach vornringen, sondern der Entwicklung insgesamt schaden.Damit komme ich zum Schluss. Liebe Frau Bundes-anzlerin, Sie waren erschreckend unkonkret. Sie habenier sehr viel allgemeines Zeug erklärt,
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Fritz Kuhn
aber nicht dargestellt, wie Sie Deutschland klug refor-mieren wollen. Das verlangen wir von Ihnen; denn wirmüssen weiterkommen. Der zarte Aufschwung, den wirheute haben, reicht da nicht.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSU-
Fraktion, Volker Kauder.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Am 21. Juni, als wir den Haushalt 2006 beraten haben,habe ich hier gesagt: Wir legen mit dem Haushalt 2006ein Konzept vor, wie wir unser Land voranbringen wol-len. Bei den Beratungen zum Haushaltsplan 2007 gehenwir diesen Weg konsequent weiter.
In den Beratungen zum Haushaltsplan 2006 im Junidieses Jahres und auch jetzt hat die Opposition herumge-meckert und herumgemäkelt, es sei alles nicht in Ord-nung und man könne bei dem, was in diesem Lande ge-schehe, gar nicht erkennen, wohin es gehe.
Ich habe noch sehr gut in den Ohren, was Sie, HerrBrüderle, hier vorgetragen haben. Was Sie heute, etwazehn Wochen später, gesagt haben, hat sich von dem,was Sie im Juni dargelegt haben, eigentlich überhauptnicht unterschieden.
Aber jetzt liegen die Fakten auf dem Tisch. Die hättenSie sich einmal anschauen sollen, bevor Sie an diesesPult im Deutschen Bundestag getreten sind.
Es gibt 426 000 Arbeitslose weniger als noch vor ei-nem Jahr. Zum ersten Mal seit vielen Jahren korrigierendie Sachverständigen die Wachstumsprognose, die sieim Januar und Februar gegeben haben, im Herbst nichtnach unten, sondern nach oben. Wann hat es das schoneinmal gegeben?
Wir legen einen Haushalt 2007 vor, der die Stabili-tätskriterien von Maastricht nicht nur einhält, sondernunterschreitet. Das hat uns niemand von Ihnen zu Be-gKsÜcbwuLRsaSsADWWSbHWdnBZhmIwldlsWJrdW
Zum ersten Mal seit vielen Jahren erleben wir in die-em Sommer, dass darüber gestritten wird, was wir mitberschüssen und zusätzlichen Steuereinnahmen ma-hen sollen.Alles das, was wir jetzt an positiver Entwicklung erle-en, hat etwas mit dieser großen Koalition zu tun, hat et-as mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel zu tunnd hat etwas damit zu tun, dass die Union in diesemand wieder regiert.
Lieber Kollege Struck, ich habe am Schluss Ihrerede aus Überzeugung geklatscht, als Sie nämlich ge-agt haben, Deutschland könne zuversichtlich sein, dennuf die SPD-Fraktion sei Verlass. Dem stimme ich zu.olange Sie mit uns in einem Regierungsboot sitzen,timmt diese Aussage.
ber als Sie mit den Grünen regiert haben, sahen dieinge bei weitem anders aus.Herr Kuhn, zu Ihnen muss ich Folgendes sagen:enn Sie während Ihrer Regierungsbeteiligung solcheirtschaftsdaten erreicht hätten, wie wir sie in diesemommer haben, dann hätten Sie sich mehrere Tage langesoffen oder, wie ich Sie kenne, sich besoffen geredet,err Kuhn.
ir bleiben aber ganz nüchtern, weil wir genau wissen,ass wir den Weg, den wir uns vorgenommen haben,och eine ganze Zeit lang gehen müssen.Man muss der Frau Bundeskanzlerin und der ganzenundesregierung dafür danken, dass wir einen Teil deriele, die wir uns in der Koalitionsvereinbarung gesetztaben, erreicht haben. Neun Monate sind noch nicht ein-al ein Viertel der Zeit, die wir uns dafür gesetzt haben.ch bin überzeugt, dass der Weg richtig ist. Wenn wir soeitermachen, gestaltet sich die Zukunft für Deutsch-and besser als in den vergangenen Jahren.
Wir stellen in diesen Tagen aber schmerzlich fest,ass die Zukunft unseres Landes nicht mehr ausschließ-ich davon abhängt, was wir hier in Deutschland tun,ondern ganz stark auch von den Krisenherden in derelt beeinflusst wird. Wenige Tage vor dem traurigenahrestag des 11. September müssen wir uns wieder da-an erinnern, was Ausgangspunkt für das Engagementer Bundeswehr in verschiedenen Teilen der Welt war.ir müssen uns daran erinnern, dass es in Afghanistan
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Volker Kauderkräftige Entwicklungen gegeben hat, die den internatio-nalen Terrorismus gespeist haben.Natürlich, Herr Kuhn, übersehen wir nicht, dass es inder Welt auch andere Entwicklungen gibt. Darüber kön-nen wir gerne noch miteinander reden. Aber alles hatnun einmal seine Zeit. Im Augenblick werden wir in ers-ter Linie vom internationalen Terrorismus bedroht.Darauf müssen wir eine Antwort geben und wir habeneine Antwort gegeben. Was über viele Jahre hinwegnicht gelungen ist, ist jetzt Wolfgang Schäuble gelungenund dafür sind wir ihm dankbar. Er hat hinsichtlich derBekämpfung des Terrorismus eine gemeinsame Linievon Bundesregierung und allen 16 Bundesländern er-reicht. Das ist eine großartige Leistung. HerzlichenDank, Herr Innenminister!
Das ist natürlich auch ein Ergebnis der Föderalis-musreform. Vorhin wurde darüber etwas gelächelt.Aber im Rahmen der Föderalismusreform haben wir– das hat vielleicht mancher überhaupt nicht so richtigwahrgenommen; da muss er einmal nachlesen; ein Blickins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung und dieTatsachenfindung, Herr Kuhn – nicht nur Kompetenzenan die Länder gegeben, sondern auch für den Bund eineneue Kompetenz der Terrorismusbekämpfung geschaf-fen. Deswegen ist diese Föderalismusreform in beiderleiHinsicht – Stärkung der Länder und Stärkung des Bun-des dort, wo es notwendig ist – eine richtige Entschei-dung gewesen.
Diese Föderalismusreform ist übrigens einer der ganzgroßen Erfolge in der kurzen bisherigen Regierungszeitder großen Koalition.Aber wenn wir uns ernsthaft an der Terrorismusbe-kämpfung beteiligen wollen, dann ist auch völlig klar,dass wir in diesem Herbst, wenn es um die Verlängerungdes Mandates in Afghanistan geht, ganz genau prüfenmüssen: Was haben wir in diesem Land erreicht? Washaben wir in Bezug auf die Sicherheitslage erreicht? Dahat Peter Struck doch völlig Recht: Natürlich sind wirnicht mit allen Entwicklungen in Afghanistan zufrieden.Aber was in diesem Land erreicht wurde, ist großartig,vor allem für die Menschen, die dort leben. Da kann ichnur sagen, Herr Lafontaine: Wer mit einem moralischenAnspruch antritt, aber glaubt, die Menschenrechte in derWelt seien teilbar, der hat keinen moralischen Anspruch.
Deutschland hat ein Interesse daran, dass aus Afgha-nistan nicht wieder terroristische Entwicklungen kom-men. Deswegen werden wir, wenn die Verlängerung desMandates ansteht, ganz genau prüfen, was wir tun.Aber von einem bin ich schon jetzt überzeugt, ohnemeine Fraktion hier vorab binden zu wollen: Wir werdendie Menschen in Afghanistan nicht sich selbst und Af-ghanistan nicht den Taliban überlassen dürfen, meinesehr verehrten Damen und Herren.nsiPRoNwddIme–SsDhsgieDagsgdwegABkifvkdsnrZs
Jetzt kommt der Einsatz im Nahen Osten, im Liba-on, auf uns zu und es wird die Frage gestellt: Wo willich Deutschland noch überall beteiligen? Darauf mussch die Antwort geben: Wir suchen uns das ja nicht aus.olitik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Dieealität ist manchmal grausamer, als sich das der eineder andere vorstellen kann. Wir haben erlebt, was imahen Osten passiert ist. Jetzt kommt es darauf an, dassir dort den Beitrag leisten, den wir leisten können.Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen außerordentlichankbar für die Umsicht und Sensibilität, mit der Sieieses Thema angegangen sind.
ch beziehe in diesen Dank den Bundesaußenministerit ein. Aber auch unser Verteidigungsminister macht ininer schwierigen Situation eine ausgezeichnete Arbeit.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, seienie ganz ruhig; ich komme gleich auf Sie zu sprechen.Ich zitiere noch einmal einen meiner Lieblingslehr-ätze: Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität.ie Realität ist doch, dass wir, was die Situation im Na-en Osten betrifft, vor außerordentlich schwierigen Ent-cheidungsvorgängen stehen. Diese Entscheidungsvor-änge spiegeln das Problem wider, das wir schon immerm Nahen Osten hatten: An einem Tag bekommt man dieine Antwort und am nächsten Tag eine andere Antwort.ie Regierung im Libanon hat es in der jetzigen Strukturuch nicht leicht. Deswegen muss der Bundesverteidi-ungsminister, muss die Bundesregierung ganz präsentein. Sie muss wissen: Heute kann es so kommen, mor-en anders.Bis jetzt sind wir noch gar nicht mit einer Entschei-ung konfrontiert worden. Ich bin gestern Abend gefragtorden – die Medien fragen ja so viel und wollen immerine Antwort, und zwar möglichst über Dinge, die nochar nicht anstehen –: Was glauben Sie denn, welchenntrag die Bundesregierung vorlegen wird, und wird dieundesregierung ein robustes Mandat verlangen? Daann ich nur sagen: So wie ich diese Bundesregierungm Umgang mit diesem Thema erlebt habe, bin ich derelsenfesten Überzeugung, dass sie uns einen Antragorlegen wird, der genau das ermöglicht, was in der kon-reten Situation gefordert wird. Über diesen Antrag wer-en wir dann beraten.Heute, Frau Bundeskanzlerin, kann ich Ihnen eineschon sagen: Wir werden die Details natürlich ganz ge-au prüfen, aber das Angebot, das Sie und die Bundes-egierung gemacht haben, kann unsere grundsätzlicheustimmung finden. Wir wollen unseren Beitrag zur Lö-ung der Probleme im Nahen Osten leisten.
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)Volker Kauder
Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, jederist natürlich für sein Verhalten selbst verantwortlich.
Ich habe eine Fraktion der Grünen in der rot-grünenKoalition erlebt, die, was außenpolitische Verantwortunganbelangt, in einem Maße gelernt hat, wie ich es nichtfür möglich gehalten hätte, Herr Kuhn – von der De-monstration auf der Straße gegen „Kriegseinsätze“ bishin zur ersten Entsendung der Bundeswehr in ein Kri-sengebiet. Bei der FDP erlebe ich im Augenblick etwasanderes. Sie macht zwar den Eindruck, verantwortungs-bewusst zu handeln; ich habe aber die Sorge, dass dasGegenteil passiert. Das kann für die FDP und für die Kli-entel, die Sie vertreten, nicht gut sein, Herr Westerwelle.
Aber eines sage ich auch – in aller Ruhe, aber auch in al-lem Ernst –: Man kann nicht ständig – was richtig ist –das Existenzrecht Israels im Munde führen, dann aber,wenn es ernst wird, zur Seite treten. Das kann nichtfunktionieren.
Wir werden einen solchen Einsatz sehr gewissenhaftprüfen. Wir wissen natürlich sehr genau – auch PeterStruck hat dies formuliert –, dass wir die Soldatinnenund Soldaten mit jedem Auftrag, den wir der Bundes-wehr übertragen, in eine Situation bringen, in der ihr Le-ben gefährdet sein kann. Deswegen prüfen wir ganz ge-nau, was wir tun. Es wird aber kein Weg daranvorbeiführen, dass wir als großes Land in der MitteEuropas unseren Beitrag zur Sicherheit leisten müssen.Wolfgang Schäuble hat einmal formuliert, innereund äußere Sicherheit seien nicht mehr voneinander zutrennen. Da die Bundesregierung den Auftrag hat – dasist die vornehmste Pflicht eines Staates –, für die Sicher-heit der Menschen in diesem Land zu sorgen, und da dieErkenntnis wächst, dass innere und äußere Sicherheitnicht mehr voneinander zu trennen sind, müssen wirschon im nationalen Interesse der Menschen in unseremLand, die innere Sicherheit zu erhalten, etwas für die äu-ßere Sicherheit tun. Deswegen sind unsere Beiträge, sowie wir sie leisten, im deutschen Interesse.
Wir werden mit dem Haushalt 2007 den Weg, diesesLand voranzubringen, konsequent weitergehen. Wir ha-ben gesehen, dass wir mit einem Teil der Maßnahmen,die wir umgesetzt haben, Erfolg haben. Peter Struck hatdas CO2-Gebäudesanierungssprogramm angespro-chen. In den neun Monaten, in denen dieses Programmnun aufgrund unseres gemeinsamen Beschlusses umge-setzt wird, ist mit einem Mitteleinsatz der KfW von rund250 bis 300 Millionen Euro ein Auftragsvolumen vonebEldQ–ShisUtnmwDfdmAnsnbmKgDSKsntltsÄsezfn
Wir werden die positive konjunkturelle Entwicklungn unserem Land durch entsprechende Maßnahmen kon-equent weiter unterstützen, zum Beispiel durch dienternehmensteuerreform. Wir wollen, dass die Un-ernehmen mit Steuersätzen antreten können, die zwaricht mit denjenigen in Rumänien und Bulgarien, aberit denjenigen in der Schweiz und Österreich wettbe-erbsfähig sind, damit sie hier Arbeitsplätze schaffen.Wir wollen vor allem den Mittelstand unterstützen.eswegen muss eine Erbschaftsteuerreform durchge-ührt werden, die den Mittelstand stärkt und durch dieie jeweilige Erbschaft bei Fortführung eines Unterneh-ens von der Erbschaftsteuer befreit wird. Dies sichertrbeitsplätze und ist deswegen im Interesse der Arbeit-ehmerinnen und Arbeitnehmer und der mittelständi-chen Unternehmen.
Wir wollen eine Unternehmensteuerreform, die eineneuen Anreiz schafft, in diesem Land zu investieren. Da-ei ist für uns völlig klar: Wir wollen nicht – darüberüssen wir noch reden –, dass in die ertragsabhängigeörperschaftsteuer substanzbesteuernde Elemente auf-enommen werden.
enn dies ist ein völlig falscher Weg.Dass wir natürlich dafür sorgen müssen – Petertruck, Sie haben das angesprochen –, dass wir denommunen ausreichend Finanzmittel zur Verfügungtellen, ist völlig klar. Das werden wir tun.Ich habe mit großem Interesse vernommen, was dereue Parteivorsitzende Kurt Beck zur Situation der Poli-ik in Deutschland gesagt hat: Leistung solle sich wiederohnen und es solle für Hartz-IV-Empfänger eine Leis-ungsverpflichtung geben. Solche Sätze haben wir in un-erem Programm schon vor langer Zeit formuliert. Dieußerung von Kurt Beck macht mich im Übrigen zuver-ichtlich, dass wir in dieser großen Koalition noch mehrrreichen und tun können als bisher.
Es ist richtig, denjenigen, die Leistung erbringen, etwasu geben. Wenn feststeht, dass bei der Bundesagenturür Arbeit Spielraum besteht, da ein Teil der Beiträgeicht für die Bezahlung von Leistungen benötigt wird,
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Volker Kauderdann sollte dieser Teil der Beiträge meiner Meinungnach – vergleichbar der Situation, dass die Beiträge,wenn die Anforderungen nicht reichen, erhöht werden –den Beitragszahlern zurückgegeben werden.
Das sollten wir uns aber erst einmal anschauen. ImGrunde genommen sind wir uns darin einig. Auch KurtBeck hat formuliert, dass wir das tun können. Es kommtjetzt auf die Entwicklung bei der Bundesagentur an. Siemuss nachhaltig sein; das ist völlig richtig.Zur Gesundheitsreform kann ich nur sagen: Wir sindjetzt dabei, die Eckpunkte umzusetzen. Das werden wirgewissenhaft machen. Wenn ich daran denke, dass Sie inder rot-grünen Koalition noch nicht einmal Eckpunktehatten, sondern dass Sie aus einem Palaver heraus Ge-setze gemacht haben, Herr Kuhn, dann kann ich nur sa-gen: furchtbar, furchtbar. Deswegen lassen Sie uns in al-ler Ruhe unsere Eckpunkte umsetzen. Wir werden denGesetzentwurf einbringen und dann werden Sie sehen,dass das, was Sie jetzt sagen, Unsinn ist. Es wird mehrWettbewerb geben. Das, was wir mit Fonds und Prämiemachen, dient doch dem Wettbewerb. Es soll der Wett-bewerb angekurbelt werden. Sie haben uns mit IhrenKonzepten, die Sie in Ihrer Regierungszeit umgesetzthaben, diese Situation hinterlassen. Da war von Wettbe-werb überhaupt keine Rede. Sie hätten ja in den siebenJahren etwas in puncto Wettbewerb machen können.
Ich sehe diese große Koalition auf einem guten Weg.Die große Koalition hat bereits jetzt mehr erreicht, alsihr viele zugetraut haben. Sie ist im Übrigen viel besser,als mancher in der Öffentlichkeit und in den Medienüber sie redet.Wir sehen sehr wohl, welche Aufgaben noch vor unsliegen; wir sehen sehr wohl, dass da noch das eine oderandere gemacht werden muss. Wir haben aber noch nichteinmal die erste Halbzeit dieser Legislaturperiode hinteruns. Was wir in den ersten neun Monaten vorgelegt ha-ben, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und vonUnion,
rechtfertigt noch einmal, dass wir im Herbst vergange-nen Jahres diese Regierungskoalition eingegangen sind.Sie bringt Deutschland voran.
Das Wort hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion,
Guido Westerwelle.
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Frau Bundeskanzlerin, ich stelle mir vor, wir hättenie Bundestagswahl zu dem ursprünglich geplanten Zeit-unkt durchgeführt, also in drei Wochen. Wir hätten hierine Debatte. Sie würden zu diesem Zeitpunkt an diesemlatz sprechen, unmittelbar vorher hätte der Bundes-anzler gesprochen; heute hat ja zu diesem Zeitpunkterr Kauder gesprochen. Bundeskanzler Gerhardchröder hätte der Opposition vorgeworfen – er hat dasft genug getan –: Sie reden das Land schlecht. Das ha-en ja auch Sie am Schluss Ihrer Rede an die Adresseer Opposition formuliert. Deswegen meine ich: Es ist jain richtiges Déjà-vu, wie sich die Dinge wiederholen.ch habe noch das Fernsehduell im Kopf. Fast auf denag genau vor einem Jahr standen Sie gegeneinander imernsehduell. Schröder: Sie reden das Land schlecht; dasst falsch und gefährlich. Merkel: Das ist der blankeohn.Offensichtlich hat sich die Betrachtungsweise geän-ert. Sie sind keine absolutistische Herrscherin. Wennir Sie kritisieren, reden wir das Land nicht schlecht.ir lieben unser Land, aber wir finden Ihre Regierungchlecht. Das haben wir mit der Mehrheit der Deutschenemeinsam.
Es ist erstaunlich, mit welchen Reflexen Sie hierommen. Sie reden mittlerweile wie Herr Schröder. Dasroblem ist nur: Sie handeln auch so. Und das ist viel ge-ährlicher.
Ich habe gerade davon gesprochen, wie das vor einemahr gewesen ist. Wir waren fast auf den Tag vor einemahr – ein paar hundert Meter von hier – zu dritt und ha-en darüber gesprochen, dass Deutschland einen Politik-echsel braucht. Wir wollten einen Politikwechsel. Soind wir damals angetreten; wir haben für einen Politik-echsel geworben. Einen Regierungswechsel hat es ge-eben. Auf den Politikwechsel wartet dieses Land im-er noch, und zwar vergeblich.
Das Problem ist, dass Sie weitermachen wie unterot-Grün.
Ehre, wem Ehre gebührt. Das Antidiskriminierungsge-etz ist doch von euch gemacht worden. Jetzt wird es
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Dr. Guido Westerwelleeins zu eins umgesetzt. Seid doch stolz auf das, was ihrgeleistet habt. Freut euch darüber, dass euer Geist immernoch über dieser Regierung schwebt.
Sie wechseln jetzt wiederholt die Überschrift IhrerAgenda. Das hätte Schröder – er wechselte die Über-schriften jedes Jahr – nicht besser gekonnt. Vor einemJahr sprachen Sie nach der Bundestagswahl in Ihrer ers-ten Regierungserklärung von „mehr Freiheit wagen“. Et-was später hieß es dann: „Deutschland ist ein Sanie-rungsfall.“ Heute liefern Sie die dritte Überschrift: „Wirdürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“Reden wir doch einmal über die Fakten, die im Haus-halt, den Sie heute in dieser Haushaltsdebatte eigentlichhätten verantworten müssen, enthalten sind. Frau Bun-deskanzlerin, die Steinkohlesubventionen – das zu Ih-rer Überschrift „Wir dürfen unsere Zukunft nicht ver-brauchen.“ – steigen nach dem Haushaltsansatz IhrerRegierung vom Jahr 2006 auf das Jahr 2007 um400 Millionen Euro. Sie verlängern die Vergangenheitmit Subventionen und sprechen trotzdem davon, dasswir die Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Die Zukunftwird dann verbraucht, wenn bei der Bildung gespart undwenn das Geld in den Schächten versenkt wird.
Reden wir nun über die mittelfristige Finanz-planung – darüber sollten wir eigentlich debattieren;viele von Ihnen und nicht nur die Vertreter der Opposi-tionsparteien, die natürlich nichts anderes im Kopf ha-ben, als das Land schlecht zu reden,
sehen es genauso –: In der mittelfristigen Finanzplanungvon 2007 bis 2010 – es handelt sich nur um eine Pla-nung; die Sondereinnahmen sind darin noch nicht ent-halten – wird von Steuermehreinnahmen in Höhe von16,6 Milliarden Euro ausgegangen. Im selben Zeitraumsieht die mittelfristige Finanzplanung einen Abbau derNeuverschuldung um 1,6 Milliarden Euro vor. Das Ver-hältnis ist also wie folgt: Sie nehmen in den nächstenJahren zehnmal mehr an Steuern ein, als Sie für dieRückführung der Neuverschuldung einsetzen möchten.Da kann von einem echten Schuldenabbau überhauptnicht die Rede sein. Wer Schulden macht, verbraucht dieZukunft. Sie verbrauchen die Zukunft in unserem Land.
Das sind die Fakten, an denen Sie nicht vorbeikom-men können. Wenn Sie es uns nicht glauben, hören Siedoch auf die Vertreter der entsprechenden Institutionenin Deutschland. Es ist doch keine oppositionelle Kritik,wenn Vertreter sämtlicher Wirtschaftsinstitute, auch dieSachverständigen der Bundesregierung und der Präsi-dent der Deutschen Bundesbank davor warnen, dass diejetzige Chance auf einen Aufschwung – jeder freut sichdarüber, dass sie da ist – durch die größte Steuererhö-hung in der Geschichte der Republik zerstört wird. Siew1baEDfdiumBvMaaiDddstinWgbndgdEgmanstSouwCaMC2
ie Mehrwertsteuererhöhung ist nicht nur ökonomischalsch, sondern sie ist auch unsozial. Sie ist außerdem fürie Staatsfinanzen gar nicht nötig.Wenn Sie es mir nicht glauben, dann lesen Sie einmaln Ihren eigenen Wahlkampfreden nach, meine Damennd Herren von der SPD.
Aber das wollen Sie ja nicht; denn Sie wollen nichtit dem konfrontiert werden, was Sie im Wahlkampf zurundestagswahl gesagt haben. Sie tun so, als ob sie imorletzten Jahrhundert stattgefunden hätte. Herrüntefering, der Vizekanzler dieser Regierung, vertrittllen Ernstes die Auffassung: „Wir werden als Koalitionn dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt wordenst. Das ist unfair.“ Kann sich noch irgendjemand ineutschland über Politikverdrossenheit wundern, wenner Vizekanzler dieser Republik der Meinung ist, dassas, was in Wahlkämpfen gesagt wird, durchaus gelogenein kann und dass man die Bürgerinnen und Bürger be-rügen kann? Es ist egal, was wir da gesagt haben! Wennhr uns jetzt daran messt, dann ist das unfair! – Unfair isticht, wenn die Bürger Sie an dem messen, was Sie imahlkampf gesagt haben; unfair ist, wenn Sie das Ge-enteil von dem tun, was Sie im Wahlkampf gesagt ha-en.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen dochichts anderes als das, was viele, zum Beispiel der Bun-esbankpräsident – das wird heute von den Agenturenemeldet –, sagen: Die Chance auf einen Aufschwung,ie wir jetzt in der Tat haben, sollten wir nicht durch dierhöhung der Mehrwertsteuer, weiterer Steuern und Ab-aben zum 1. Januar des nächsten Jahres zerstören. Wirüssten doch alle ein Interesse daran haben, dass sichus der Chance auf den Aufschwung – mehr ist es nochicht – im nächsten Jahr ein wirklich nachhaltiger Auf-chwung entwickelt, der zu einer wirklichen Erleich-erung auf dem Arbeitsmarkt führt, damit sich dieituation der Menschen, die einen Arbeitsplatz suchender um ihren Arbeitsplatz fürchten, verbessert.Das, was wir vorschlagen – das wissen Sie –, machenns andere Länder vor. Muss ich Ihnen denn vorlesen,as Herr Clement in der letzten Woche gesagt hat? Herrlement saß bis vor einem Jahr als Wirtschaftsministeruf der Regierungsbank. Sie haben ihm übrigens jedesal zugejubelt, wenn er hier gesprochen hat. Herrlement sagt, dass Sie sich in die Zeit vor der Agenda010 zurückentwickeln. Der alte Wirtschaftsminister)
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Dr. Guido Westerwellesagt Ihnen: Sie predigen zwar „Mehr Freiheit wagen!“;das Problem Ihrer Regierung ist aber, dass Sie das ge-naue Gegenteil tun.
Der alte Wirtschaftsminister Clement schreibt das auchden Sozialdemokraten ins Stammbuch.Deswegen sage ich: Das ist kein Teufelszeug! AndereNachbarländer – auf die wird ausdrücklich hingewiesen –machen es uns vor, wie durch niedrigere Steuern,durch ein einfacheres und gerechteres SteuersystemArbeitsplätze geschaffen werden können. Die Rahmen-bedingungen für Investitionen müssen verbessert unddie Kaufkraft gesteigert werden. Das ist der zwingendeZusammenhang. Das ist das Problem, das wir inDeutschland gemeinsam angehen sollten.Hier im Hause haben wir einen bemerkenswertenStreit erlebt. Ich meine damit nicht die kleinen Petitessenam Rande. Es ist ein Aufschwung da, so heißt es zumin-dest. Ich bin der Meinung, das ist bisher nur die Chanceauf einen Aufschwung. Ich hoffe, dass sich daraus einAufschwung entwickelt. Sofort geht es los: Herr Kaudersagt: Das ist der „Merkel-Aufschwung“. Herr Strucksagt: Das ist der „Schröder-Aufschwung“.
Sie haben noch gar nicht verstanden, dass der Auf-schwung in Wirklichkeit von den Menschen gemachtwird. Ihre Regierung hat am allerwenigsten damit zu tun.
Wenn es ein Aufschwung ist, dann ist es mit Sicherheitkein „Merkel-Aufschwung“ und auch kein „Schröder-Aufschwung“. Wenn, dann wurde die Situation durchdie Fußballweltmeisterschaft aufgehellt. Das ist dieWahrheit. Bei der echten Kaufkraft, bei der Binnenkon-junktur, bei dem, was unser Land nach vorne bringenkönnte, passiert leider immer noch gar nichts. Es wirdnoch schlimmer, wenn Sie die Binnenkonjunktur jetztnoch weiter schwächen und bei den Leuten abkassieren.
– Herr Kollege Kampeter, bitte! Noch so ein Zuruf, unddas Wort „Flaschengeist“ bekommt eine ganz neue Be-deutung.
Wir wollen noch einmal auf den Punkt aufmerksammachen, der in diesem Zusammenhang von Bedeutungist. Wir haben keine Verbesserung der Binnenkonjunk-tur. Die Binnenkonjunktur wird im Gegenteil zur Jahres-wende noch weiter beschädigt. Das muss man auf denPmvSeLKtLnuiwDOGzBalibeDlsanAmsaW–fK
Als Finanzminister sollten Sie, wenn Sie sich dieseedanken schon machen, eine ganz andere Konsequenziehen. Die Konsequenz müsste lauten: Wenn man denürgern mehr Eigenverantwortung für das eigene Alterbverlangen muss, dann muss der Staat auch für steuer-iche Entlastungen sorgen,
ndem er sich bei den Ausgaben zurücknimmt, sonst ha-en die allermeisten Familien nämlich gar keine Chance,igenverantwortlich fürs Alter vorzusorgen.
as ist der zwingende Zusammenhang.Sie haben heute keinen Ton zu den Fragen, die eigent-ich von Ihnen hätten angesprochen werden müssen, ge-agt. Hinsichtlich der Unternehmensteuerreform bleibtlles sehr nebulös. Was wird denn jetzt aus der Unter-ehmensteuerreform? Kommt sie? Ich wäre sehr dafür.
ber was wird dann mit dem Vorschlag aus dem Finanz-inisterium gemacht, der besagt, dass man für die Zin-en demnächst quasi Steuern zahlen muss, weil man siels Betriebsausgabe nicht mehr berücksichtigen kann?
ird das die Gegenfinanzierung oder nicht?
Sie sagen Nein. Halten wir das einmal fürs Protokollest.
Dann können Sie meine zweite Frage, Herr Kollegeauder, auch sofort beantworten.
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Dr. Guido Westerwelle– Ich stelle Ihnen, wenn Sie möchten, gerne lauter Fra-gen. Das gehört sich für eine bescheidene Opposition so.Die Frage bezieht sich auf die Erbschaftsteuer: Waspassiert denn hinsichtlich der Erbschaftsteuer? Wir sinduns doch alle darüber einig, dass die Übergänge von Be-trieben auf die nächste Generation erleichtert werdenmüssen; das ist sinnvoll. Aber was ist dann aus dem Vor-schlag, der aus dem Finanzministerium und aus der SPDohnehin gekommen ist, geworden, der lautet, man könnedie Stundung der Erbschaftsteuer – jedes Jahr 10 Prozentweniger, wenn der Betrieb fortgeführt wird – durchausmachen, allerdings nur dann, wenn dieser Betrieb eineArbeitsplatzgarantie für die nächsten zehn Jahre gibt?Ich kenne keinen Mittelständler in Deutschland, der inder Lage wäre, schon jetzt eine Garantie dafür zu geben,dass er dieselbe Anzahl an Arbeitsplätzen in zehn Jahrenhat.
So macht man den Mittelstand pleite, statt ihn nach vornzu bringen.
Sie hätten dazu eine Menge zu sagen.Sie haben von der Gesundheitspolitik gesprochen.Auch das ist ein Punkt, den man nur kurz streifen muss.Sie reden hier übrigens gegen die Meinung von80 Prozent der Bevölkerung und auch gegen die Kritik,die in Ihren eigenen Kreisen ausgesprochen wird. Sie lo-ben die Gesundheitsministerin. Das müssen Sie als Bun-deskanzlerin wahrscheinlich tun. Ich glaube nicht, dassSie dafür schon eine Mehrheit auf Ihrem eigenen Partei-tag hätten.
Aber das ist Ihre Angelegenheit; das werden Sie mit sichselber ausmachen müssen.
Beim Gesundheitsfonds geht es um etwas ganz an-deres. Nur dieser Bereich soll einmal erhellt werden. DerGesundheitsfonds soll künftig zum Teil dafür zuständigsein, Beiträge einzusammeln, und ist damit eine zweiteBürokratie für Beitragszahlungen. Das heißt, die Kas-sen müssen eine Bürokratie unterhalten, um Beiträgeeinzunehmen, und der Gesundheitsfonds muss das künf-tig auch tun. Es wäre das erste Mal in der Geschichte derMenschheit, dass zwei Bürokratien preiswerter sind alseine. Das kann nicht funktionieren.
Sie haben das Thema innere Sicherheit zu Rechtprominent angesprochen. Alles, was Sie über die Ent-wicklung der Welt in diesem Bereich und vor allen Din-gdnggetftPnwSbpgKgkWsDLrnHascdkewwWdKabFKbAdnh
issen Sie, mir persönlich können Sie gern alles unter-tellen. Aber wenn Sie Persönlichkeiten wie Hans-ietrich Genscher, Walter Scheel und Otto Grafambsdorff die außenpolitische Erfahrung und den inne-en Kompass absprechen, wird es meiner Meinung nachur noch albern.
Ich möchte gern noch einmal die Gründe für unserealtung nennen. Wir haben in diesem Hohen Hause diellermeisten Auslandseinsätze der Bundeswehr unter-tützt. Ich will Ihnen aber sagen: Angesichts der Tatsa-he, die gestern veröffentlicht wurde, dass 92 Prozenter Weltproduktion von Opium derzeit aus Afghanistanommen, erlauben Sie mir bitte die Frage, ob wir nichtinmal in diesem Hohen Hause darüber reden müssten,as dort wirklich stattfindet und passiert. Diese Fragenerden wohl noch gestellt werden dürfen.
ie es im Augenblick aussieht, schützen wir diese Pro-uktion.Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist derongoeinsatz, den wir bei der Abstimmung in der Tatbgelehnt haben. Den Afghanistaneinsatz hingegen ha-en wir unterstützt. Übrigens sind alle Bedenken, die dieraktion der Freien Demokratischen Partei gegen denongoeinsatz vorgetragen hat, in den letzten Wochenestätigt worden. Sie waren der Überzeugung, die bloßenwesenheit von europäischen Soldaten, darunter aucheutschen, reiche aus, um demokratische Wahlen in ei-em stabilen Umfeld stattfinden lassen zu können. Wiraben Ihnen damals gesagt, was passieren wird, wenn es
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Dr. Guido Westerwellewirklich zu Gefährdungen oder sogar Kampfeinsätzenkommen sollte.Genau das ist nach den ersten Wahlen bzw. vor derStichwahl geschehen. Unsere Befürchtungen sind einge-treten, und das – nebenbei bemerkt –, während der deut-sche Botschafter bei einem Außentermin war, von demer nur unter dem Schutz von Truppen in seine Residenzzurückgebracht werden konnte, und während der zustän-dige Kommandeur im Auslandsurlaub in Schweden war.Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Viel schlimmer aberist, dass der Verteidigungsminister der Republik nichtsdavon wusste. Sie sind in Ihrem Amt noch nicht ange-kommen, Herr Verteidigungsminister. Das ist das Pro-blem.
Nun will ich auf die Diskussion über den NahenOsten zu sprechen kommen. Frau Bundeskanzlerin,Herr Kauder, Sie sprachen heute Vormittag von derStaatsräson. Es war richtig, dass Sie die Staatsräson an-gesprochen haben. Die Staatsräson ist für das gesamteHohe Haus unverändert. Sie beinhaltet sowohl das Exis-tenzrecht Israels und das Recht der Bürger Israels, insicheren Grenzen zu leben, als auch das Selbstbestim-mungsrecht der Palästinenser. Niemand in diesemHause wird auch nur ansatzweise Zweifel daran haben,dass Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israelein Verbrechen sind und dass die Völkergemeinschaftsich hierzu klar und eindeutig äußern und handeln muss.Nur: Bis zum Sommer dieses Jahres gehörte zurStaatsräson der Bundesrepublik auch – das gilt für alleBundestage, alle Regierungen und alle Parteien, die bis-her in diesem Hause vertreten waren –, dass es keinenEinsatz bewaffneter deutscher Soldaten im Nahen Ostengeben sollte.
Eines möchte ich festhalten: Nicht die Freien Demokra-ten stellen etwas infrage, sondern Sie. Sie ändern einenKurs, der in diesem Lande jahrzehntelang unumstrittenwar.
Ich käme nie auf die Idee, Ihnen unlautere Motive zuunterstellen oder die Entscheidung von Kollegen, diediesem Einsatz zustimmen, im Menschlichen oder imPolitischen zu attackieren. Ich habe davor Respekt, wennSie zu einem anderen Ergebnis kommen als ich. Aberich erwarte denselben Respekt gegenüber denjenigen,die sagen, es sollte bei der Staatsräson bleiben, die bisherin Deutschland gegolten hat: keine bewaffneten deut-schen Soldaten im Nahen Osten.
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Eines möchte ich im Hinblick auf die Bedenken, dieir geäußert haben, feststellen: Ich persönlich habe ganzrundsätzliche historische Bedenken gegen einen Ein-atz deutscher Soldaten im Nahen Osten. Viele meinerolleginnen und Kollegen, die weniger aus historischererspektive argumentieren, kritisieren vor allen Dingenie Undeutlichkeit des Mandates. Das Mandat der Ver-inten Nationen ist nicht eindeutig.Ich stelle nur folgende Fragen: Wer soll eigentlich dieisbollah entwaffnen?
ie soll die Entwaffnung durchgeführt werden? Was ge-chieht, wenn die Bundeswehr auf See zum Einsatzommt und auf diesem Wege vielleicht das eine oder an-ere verhindern kann, wenn sich aber die Situation aufem Lande nicht ändert? Ist nicht die Gefahr viel zuroß, dass wir selbst im Nahen Osten zu einer Artriegspartei werden könnten? Ist damit nicht auch dieefahr viel zu groß, dass es tatsächlich zu militärischenuseinandersetzungen zwischen deutschen und israeli-chen Soldaten kommen könnte? Wäre das nicht eineurchtbare Vorstellung?Es handelt sich auch dann um einen Kampfeinsatz,enn er auf dem Wasser stattfindet. Deswegen benutzter Verteidigungsminister den Begriff „Kampfeinsatz“.b es zu einem Kampfeinsatz auf dem Boden oder zu ei-em Kampfeinsatz auf der See kommt, das ist wahrlichicht der entscheidende politische Unterschied, übrigensuch nicht für die Soldaten persönlich, die im Nahen Os-en eingesetzt werden.Frau Bundeskanzlerin, angesichts dessen, was wirissen, werden wir diesem Einsatz nicht zustimmen,nd zwar aus voller außenpolitischer Überzeugung underantwortung. Wir sind der Auffassung, dass es, wasen Einsatz deutscher Soldaten betrifft, bei der Staats-äson bleiben sollte, die in Deutschland bisher gegoltenat.Sie haben bestimmt zur Kenntnis genommen, wieich die Kolleginnen und Kollegen aus den anderenraktionen verhalten haben oder, besser gesagt, sichicht verhalten haben, als es um den Verteidigungs-inister ging. Von dieser Kritik, die nicht nur von derpposition geäußert wird, kann man auch Sie nicht aus-ehmen.Meine Damen und Herren, die Diskussion über be-affnete deutsche Soldaten im Nahen Osten ist nichtom Ausland an uns herangetragen worden, die habenir selber angefangen.
s muss einfach zur Kenntnis genommen werden, dasser Verteidigungsminister schon im Juli über den Einsatz
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Dr. Guido Westerwellebewaffneter deutscher Soldaten spekuliert hat. Er hat da-bei offensichtlich nicht bedacht, dass seine Reden jetztanders als in seinem vorherigen Amt im HessischenLandtag internationale Konsequenzen haben. Sie, FrauBundeskanzlerin, hätten diese Debatte im Sommer nichtlaufen lassen dürfen, Sie hätten sie sofort beenden müs-sen.
Das sage ich nicht – das wissen Sie auch – aus irgend-welchen pazifistischen Grundüberlegungen. Ich bin einAnhänger der wehrhaften Demokratie. Dennoch bleibtfestzuhalten: Das ist nicht gut gelaufen.Jetzt hören wir immer mehr dazu, welche Briefe dielibanesische Regierung jetzt schreiben will. Das, was indiesem Zusammenhang bekannt ist, bestärkt uns nochmehr in unserer Skepsis. Wie soll der Einsatz vonstattengehen? Wie soll die Einhaltung einer Siebenmeilen-schutzzone wirklich funktionieren? Wie sollen eigent-lich heikle Situationen verhindert werden? In der Sie-benmeilenschutzzone soll die libanesische Seite zurEntwaffnung der Hisbollah eingesetzt werden und Waf-fenschmuggeleien unterbinden. Wie sollen wir uns aberverhalten, wenn das nicht geschieht und dann beispiels-weise die israelische Seite eingreift? Wollen wir es denIsraelis wirklich übel nehmen, dass sie verhindern wol-len, dass Waffen an die Hisbollah geschmuggelt werden?Wie wollen wir uns in solchen Situationen verhalten?Ich sage Ihnen: Wir müssen nicht bei jedem Einsatzder Vereinten Nationen dabei sein.
Bei diesem Einsatz der Vereinten Nationen sollten wirnicht dabei sein. Es ist kein guter Vorgang, dass Sie be-haupten, Sie werden gerufen, obwohl Sie jetzt drei Malin der Woche im Libanon anrufen müssen, um nachzu-fragen, wann denn endlich der Ruf an Deutschlandkommt.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elke Ferner
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchtezunächst auf ein paar Äußerungen von HerrnWesterwelle eingehen,
weil ich denke, dass man sie so nicht stehen lassen kann.w4gsagsAkDm–KsSnssaZzmWH2hai–dzNsicrdnr–isM
as, was Sie heute gesagt haben, ist der blanke Populis-us, Herr Westerwelle.
Zur Mehrwertsteuer komme ich auch noch, Herroppelin.Sie, Herr Westerwelle, haben gerade von Déjà-vu ge-prochen. Wenn Sie in der Opposition sind, fordern Sieteuersenkungen und Ausgabenkürzungen, sagen abericht, wo genau gekürzt werden soll, ob es die Rentenein sollen oder ob andere Leistungen gekürzt werdenollen. Sie führen immer wieder die Steinkohlebeihilfenn, obwohl Sie genau wissen, dass es rechtsverbindlicheuwendungsbescheide gibt und man nicht einfach kür-en kann. Das, was Sie betreiben, ist blanker Populis-us.Wenn Sie aber in der Regierung sind, Herresterwelle, dann tragen Sie Steuererhöhungen mit.err Steinbrück hat gestern vorgerechnet, dass es0 Steuererhöhungen in Ihrer Regierungszeit gegebenat. Ich habe noch einmal nachgeschlagen: Fünf voncht Mehrwertsteuererhöhungen sind mithilfe der FDPm Deutschen Bundestag beschlossen worden.
Herr Koppelin, wir haben uns nie verweigert, wenn esarum ging, sicherzustellen, dass dem Staat Einnahmenufließen.
ur durch Einnahmen kann die öffentliche Daseinsvor-orge auf Dauer gesichert werden. Was Sie wollen, istm Prinzip, dass es keine oder deutlich weniger öffentli-he Daseinsvorsorge gibt. Das geht in den Bildungsbe-eich hinein, das geht in den Bereich der Infrastruktur,as geht in den Bereich der Forschung und, wenn esach Ihnen geht, auch in den Bereich der sozialen Siche-ungssysteme. Deshalb ist es gut, dass Sie nicht regieren.
Herr Koppelin, hat irgendjemand in diesem Haus ausrgendeinem Land, in dem die FDP mitregiert, den Vor-chlag gehört, dass man dort auf den Anteil aus derehrwertsteuererhöhung verzichten wolle?
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Elke Ferner
Ich habe nichts dergleichen gehört. Wenn die drei Län-der, in denen Sie noch mitregieren, auf ihren Anteil ver-zichteten, könnten wir vielleicht auf einen Teil derMehrwertsteuererhöhung verzichten – tun Sie es doch!
– Herr Koppelin, ich gehe davon aus, dass Sie in dieserHaushaltsdebatte noch Gelegenheit bekommen, dasWort zu ergreifen; Sie brauchen sich im Protokoll nichtmit Zwischenrufen zu verewigen.Wir haben mit dem Investitionsprogramm denGrundstein dafür gelegt, dass das, was an Wachstums-daten jetzt vorhanden ist, noch besser wird. Wir habenbewusst darauf verzichtet, in diesem Jahr drastische Ein-sparungen vorzunehmen, um mit dem Investitionspro-gramm – die Union hat das etwas anders gesehen; aberich bin froh, dass wir uns an dieser Stelle durchsetzenkonnten –
die Beschäftigung voranzubringen und zu sichern. Ge-rade das CO2-Gebäudesanierungsprogramm macht dassehr deutlich. Es ist nicht nur ein Beitrag zum Klima-schutz, es sichert – das darf man an dieser Stelle nichtvergessen – auch Beschäftigung: beim lokalen und re-gionalen Handwerk, weil es sich hier um private Investi-tionen handelt. Das, was wir an staatlichem Geld einset-zen, bewirkt ein Vielfaches an privaten Investitionen.
Ich glaube, man darf nicht so pessimistisch sein, wasdas Jahr 2007 anbelangt. Es ist nicht ohne Gefahr, daswissen wir auch, aber wir hoffen, dass der Aufschwungträgt und vor allen Dingen dass die Investitionen nichtnur beim Bund auf sehr hohem Niveau, sondern auchvon den Ländern und Kommunen auf höherem Niveaugetätigt werden; denn die Investitionseinbrüche, die wirhaben, liegen nicht am Bund – der Bund hat wirklich einsehr hohes Investitionsniveau –, sondern es sind die Län-der und Kommunen, wo die Investitionen nicht in demUmfang gemacht werden, wie es eigentlich notwendigist.Wir haben nicht nur im Bundeshaushalt das Problem,dass die Einnahmen nicht so sind, wie wir sie eigentlichbrauchen. Wir haben in den vergangenen zwei Wahl-perioden einiges an Vorschlägen zum Abbau von Steuer-subventionen gemacht. Diese Vorschläge sind im Bun-desrat leider immer hängen geblieben. Wäre das nicht sogewesen, würden wir heute besser dastehen. Wir habenein Einnahmeproblem auch bei den sozialen Sicherungs-systemen, insbesondere bei der gesetzlichen Kranken-versicherung. Ich habe mir die Zahlen einmal heraussu-chen lassen bzw. das Gesundheitsministerium hatte sie derKoalitionsarbeitsgruppe zur Verfügung gestellt: Wenndie Pflichtbeitragseinnahmen der gesetzlichen Kranken-versicherung sich von 1980 bis 2000 parallel zum Brut-teglshsdgenumsAspdgdVgrvdnvbdzddabsdssrmeblrmouslAs
Wir haben in den Verhandlungen über die Gesund-eitsreform versucht, da ein Stück weit Abhilfe zuchaffen. Es ist leider nicht so gekommen, wie wir unsas als SPD gewünscht hatten. Wir hatten vorgeschla-en, mit bis zu 24 Milliarden Euro eine zusätzliche, steu-rfinanzierte Säule des Gesundheitssystems aufzubauen –icht um dieses Geld sofort wieder auszugeben, sondernm ein Potenzial für Beitragssatzsenkungen zu bekom-en. Das ist mit der Union leider nicht möglich gewe-en.
uch wenn das in dieser Wahlperiode wohl nicht umge-etzt werden kann, bleibt es für uns nach wie vor auf derolitischen Tagesordnung.Wir haben zum Zweiten versucht, zu erreichen, dassie Solidarität im Gesundheitssystem nicht nur zwischenesetzlich Versicherten organisiert wird, sondern dassie doch sehr unterschiedlichen Einkünfte der privatersicherten mit in den Einkommensausgleich einbezo-en werden und dass die unterschiedlichen Krankheits-isiken – die in der PKV Versicherten haben bekanntlichiel günstigere Krankheitsrisiken – zwischen diesen bei-en Systemen ausgeglichen werden. Auch das ist leidericht möglich gewesen; aber auch das bleibt nach wieor politisches Ziel der SPD.Wir haben uns natürlich auch mit der Ausgabenseiteeschäftigt. Im Moment diskutiert ja die ganze Welt überen Fonds, den Beitragseinzug und alles Mögliche be-üglich der Finanzen. Niemand würdigt aber das, wasie Koalition vereinbart hat, um Strukturreformenurchzuführen. Wir sind hier deutlich weiter gekommen,ls wir selbst und viele andere das zu Beginn gedacht ha-en. Herr Kuhn, es stimmt nicht, dass kein Wettbewerbtattfindet. Mit der Gesundheitsreform werden wir esen Kassen ermöglichen, mehr Wettbewerb zu organi-ieren. Nach unserer Auffassung hätte dies noch mehrein können. Im Vergleich zum Gesundheitsmodernisie-ungsgesetz sind wir aber ein gutes Stück weiter gekom-en. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen:Die Kassen werden künftig die Möglichkeit haben,inzelne Arzneimittel und auch Wirkstoffe auszuschrei-en und dafür günstigere Preise bei den Pharmaherstel-ern zu erzielen. Diese werden Eingang in die besonde-en Versorgungsformen haben. Das bedeutet ein Stückehr Wettbewerb, der zur Kostensenkung beiträgt,hne dass es zu Einschränkungen bei den Patientinnennd Patienten kommt; denn wir haben mit dieser Reformichergestellt, dass es nicht zu Erhöhungen der Zuzah-ungen und zu Leistungsausgrenzungen kommen wird.lle werden auch künftig am medizinischen Fort-chritt teilhaben und die medizinische Versorgung be-
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Elke Fernerkommen können, die notwendig ist, egal, bei welcherKrankenkassen sie versichert sind und wie hoch ihr Ein-kommen ist. Das ist das oberste Ziel dieser Reform ge-wesen.
Im Gegenzug haben wir den Leistungskatalog sogarnoch erweitert. Wir haben die Palliativversorgung, diegeriatrische Reha, die Eltern-Kind-Kuren und die Imp-fungen, die die Ständige Impfkommission empfiehlt, inden Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversiche-rung hineingenommen. Das ist das Gegenteil von dem,was bei vielen anderen Gesundheitsreformen gemachtworden ist: Leistungen, die notwendig sind und auchGeld kosten, sind aufgenommen worden.Trotz all dieser Maßnahmen haben wir es geschafft– auch durch die Organisation des Wettbewerbs –, einEinsparpotenzial von 1,9 Milliarden Euro zu mobilisie-ren. Das hätte an einigen Stellen mehr sein können. Aneinigen Stellen wird es wahrscheinlich auch mehr sein,weil wir vorsichtig gewesen sind, nur das beziffert ha-ben, was man seriöserweise beziffern konnte, und keineLuftbuchungen durchgeführt haben.Dennoch kommen wir im nächsten Jahr nicht um eineBeitragssatzanhebung herum. Das liegt einfach daran,dass es uns nicht gelungen ist, die Einnahmebasis zu ver-breitern. Man muss aber auch bedenken, was passierenwürde, wenn wir jetzt nichts täten. Wenn wir jetzt nichtstäten, dann würden die Beitragssätze höher steigen. Nie-mand hat versprochen, dass die Beitragssätze durch dieVerwirklichung der Eckpunkte nicht steigen werden.Kurt Beck und Frau Merkel haben nach der Runde, inder die Einigung erzielt worden ist, ja deutlich gesagt,dass es Beitragssatzanhebungen geben muss; denn einesist klar: Die Einnahmen müssen die Ausgaben beimFondsstart decken und die Kassen müssen entschuldetsein. Das haben wir in der Koalition vereinbart. Die De-tails werden derzeit von einer kleinen Arbeitsgruppe derKoalition besprochen.Für uns ist dabei wichtig, dass der Fonds erst dannstarten kann, wenn der Risikostrukturausgleich bezüg-lich der Krankheitsrisiken, wie in den Eckpunkten ver-einbart, so organisiert ist, dass er deutlich zielgenauer alsdas ist, was wir heute haben.
Das ist nämlich auch eines der Probleme, die wir haben:Seit die Versicherten von Kasse zu Kasse wechseln kön-nen, gibt es natürlich sehr unterschiedliche Situationen.Die einzelnen Kassen zahlen sehr unterschiedliche Prä-mien an die Kassenärztlichen Vereinigungen, unabhän-gig davon, wie groß oder wie klein sie sind. Früher gingdas alles nach Größe. Daneben sind die Krankheitsrisi-ken sehr unterschiedlich verteilt. Es ist eben nicht egal,ob man junge oder alte Frauen oder Männer versichert,ob sie gesund oder krank sind und ob sie Leistungen vonder Krankenkasse brauchen oder nicht. Deshalb beste-hen wir darauf, dass der so genannte morbiditäts-orientierte Risikostrukturausgleich, also der bessere undzielgenaue Ausgleich der Krankheitsrisiken, mit demFuhEsmbnzBcFawdAsDBdzudlsdwdjtKdiDdhwknmsd–1dwzwSb
Natürlich gibt es auch Kritik. Wir haben Problemeit dem Zusatzbeitrag. Es wäre falsch, das hier zu ver-chweigen. Aber eines ist klar: Wir haben dafür gesorgt,ass der Zusatzbeitrag niemanden überfordert; er darfanalog zu der Chronikerregelung – nicht mehr alsProzent des Einkommens betragen. Auch haben wirafür gesorgt, dass der Fonds ausreichend gefüllt seinird, um den medizinischen Fortschritt weiterhin finan-ieren zu können. Ebenso ist sichergestellt, dass dann,enn die Beitragseinnahmen und die vorgesehenenteuermittel nicht ausreichen, die Beiträge der Ar-eitnehmer und der Arbeitgeber in gleichem Maße
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Elke Fernerangehoben werden. Es gibt keine Festschreibung derBeiträge auf Dauer. Für die Menschen ist wichtig, zuwissen: Sie werden auch in Zukunft mit den wachsendenKosten als Folge der demografischen Entwicklung unddes medizinischen Fortschritts nicht alleine gelassen.
Wir werden über die Gesundheitsreform in diesemJahr mit Sicherheit noch öfter debattieren: bei der Ein-bringung des Haushalts, in den Ausschussberatungen,bei der Anhörung und in der Schlussberatung. Ich binmir aber sicher, dass wir das Ziel erreichen können, dieReform zum 1. Januar 2007 in Kraft treten zu lassen.Wer bessere Vorschläge hat, möge sie auf den Tisch le-gen. Ich habe bisher noch keinen Vorschlag gehört, dereine vernünftige Regelung für bezahlbare Krankenversi-cherungsbeiträge enthält und gleichzeitig den medizini-schen Fortschritt für alle – nicht nur für diejenigen, dieüber ein gut gefülltes Portemonnaie verfügen – bezahl-bar macht.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Max
Straubinger das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. DerKollege Westerwelle hat zum Schluss seiner Rede, dieich aufmerksam verfolgt habe, den Eindruck zu vermit-teln versucht, dass sich die Bundesregierung und dieFraktionen, die die Bundesregierung in ihrem Bemühenunterstützen, Friedenseinsätze aufgrund ihrer interna-tionalen Verantwortung zu begleiten, aufdrängen wür-den. Ich möchte dies ausdrücklich zurückweisen.
Die Bundesregierung und die sie in dieser Frage unter-stützenden Fraktionen im Haus handeln in Verantwor-tung der außenpolitischen Gegebenheiten, auch derentstandenen außenpolitischen Fragen und Herausforde-rungen, und vor allen Dingen in Verantwortung für Frie-den und Freiheit in gefährdeten Regionen dieser Welt.Das ist meines Erachtens eine großartige Leistung derBundeskanzlerin und des Außenministers, die sie in denvergangenen Wochen und Monaten zustande gebrachthaben. Dies sollte nicht in ein schiefes Licht gerücktwerden, Herr Kollege Westerwelle.
Ich gebe unserem Fraktionsvorsitzenden VolkerKauder Recht: Man kann nicht große Reden darüber hal-ten, dass das Existenzrecht Israels zu unterstützen ist,aber dann, wenn es möglicherweise gefährdet ist, keinenBeitrag leisten. Ich glaube, wir sind in der Verantwor-tung, die nötigen Beiträge zu leisten. Darüber, wie dieseim Einzelnen aussehen sollen, kann man diskutieren. IchbezglddSwszsdlDdgrutuwgiudhkdDlghsdnADdgdHSdcA
Ich glaube, die bisherige Haushaltsdebatte zeigt sehreutlich, dass die Menschen der Bundesregierung unden sie tragenden Fraktionen, der CDU/CSU und derPD, Vertrauen entgegenbringen können. Die Wirtschaftächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Zahl der sozialver-icherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse nimmtu und die Haushaltssanierung schreitet voran. Wer hätteich das vor einem Jahr vorstellen können? Ich glaube,as konnten viele Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-and nicht.
as aber sind die wichtigen Botschaften und Signale, dieie Politik der großen Koalition nach zehnmonatiger Re-ierungstätigkeit den Bürgerinnen und Bürgern in unse-em Land zu vermitteln vermag. Für die Menschen innserem Land wird sichtbar, dass wir den Koalitionsver-rag – und damit auch den Koalitionsauftrag – in die Tatmsetzen. Das Investieren, Sparen und Reformierenird angegangen und punktgenau und zielorientiert um-esetzt.Auch der Haushalt 2007, der jetzt eingebracht wordenst, ist Ausdruck der Umsetzung des Koalitionsvertragesnd er hat bereits großartige Erfolge vorzuweisen. Dassie Maastrichtkriterien bereits in diesem Jahr einge-alten werden – das wurde bereits erwähnt, aber manann es nicht oft genug darlegen –, ist ebenfalls Aus-ruck der Regierungspolitik.
ass sie auch 2007 eingehalten werden, weil die Grund-age dafür heuer gelegt worden ist, ist wiederum einroßartiges positives Signal.Auch dass nach mehreren Jahren, in denen der Haus-alt nicht verfassungskonform war, jetzt ein verfas-ungskonformer Haushalt eingebracht worden ist undie Nettoneuverschuldung geringer ist als die Investitio-en, ist der neuen Bundesregierung, die seit Oktober immt ist, zu verdanken.
ass die Mehreinnahmen nicht nur über Steuern, son-ern vor allen Dingen auch durch erhebliche Einsparun-en erzielt werden, ist auch Ausdruck des Haushaltes,en wir heute beraten.Für mich ist aber auch entscheidend, dass in diesemaushalt zum Ausdruck gebracht wird, dass die sozialeicherheit der Menschen in unserem Land nicht ausem Blickfeld geraten ist. Im Gegenteil: Die soziale Si-herheit der Menschen wird weiter gestärkt. Auch das istusdruck der Koalition von CDU/CSU und SPD.
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Max StraubingerDas alles sind Kennzeichen einer soliden Finanzpoli-tik, der die Regierung Vorrang eingeräumt hat. Vielleichtkann Bayern, das erstmals einen ausgeglichenen Haus-halt verabschieden konnte,
als Vorbild für unsere Politik dienen, um das auch aufBundesebene zu erreichen.
– In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin, wo Siemitregieren, zeitigen sich ja die Ergebnisse. Wir wissenauch, was die CDU in Sachsen-Anhalt aufzuräumen hat.Das ist doch das Entscheidende.
Die Elemente des Dreiklangs „Investieren, Sparen,Reformieren“ bedingen einander. Ohne Investitionengibt es kein Wachstum. Ohne Sparen gibt es keinenSpielraum für zukünftige Investitionen in unserem Land.Ohne die Reform der sozialen Sicherungssysteme gibt eskeine Senkung der Lohnnebenkosten. Das zeigt sehrdeutlich: Wachstum ist – früher gab es Parteistrategen,die von Nullwachstum oder einem qualifizierten Wachs-tum gesprochen haben; das meine ich aber nicht – dieGrundlage für mehr Arbeitsplätze in unserem Land. Dasnun vorhandene positive Wirtschaftswachstum von1,8 Prozent – vielleicht gilt das sogar für das ganze Jahr;im Süden Deutschlands ist es noch intensiver undbesser – ist also eine gute Voraussetzung für das Entste-hen von Arbeitsplätzen.
Wir werden diese Entwicklung mit dem Bundeshaus-halt unterstützen. Wir fördern beispielsweise mit dem25-Milliarden-Euro-Programm Innovationen. Die For-schungsförderung hat ein Volumen von 6 MilliardenEuro bis zum Jahr 2009. Das dient der Innovationsförde-rung sowie der Stärkung des WissenschaftsstandortesDeutschland und der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Entscheidend ist ebenfalls, dass der Mittelstand wei-terhin in die Lage versetzt wird, große Investitionen zutätigen und dementsprechend die Zukunftsfähigkeit un-seres Landes zu stärken. Die große Koalition hat bereitsentscheidende Wegmarken gesetzt. Die verbesserten Ab-schreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschafts-güter sind ein entscheidender Faktor. Ich bin darüberhinaus der Meinung, dass die teilweise steuerliche Ab-setzbarkeit von Handwerkerrechnungen nichts anderesals ein Impulsprogramm ist und dafür sorgt, dass wir unsnun Gott sei Dank an einer besseren Auftragslage bei un-seren Handwerksbetrieben erfreuen dürfen.
Ich bin zudem überzeugt, dass der Abbau von bürokrati-schen Hemmnissen ein Erfolg sein wird. Ich danke aus-drücklich unserem Bundeswirtschaftsminister MichaelGlos für seinen Einsatz zugunsten der mittelständischenWirtschaft und unseres Wirtschaftsstandorts insgesamt.dlwissBedMdBAddtSwltgB4wIJgzcGmbAbvnefgmtnh
ch freue mich insbesondere über den Abbau derugendarbeitslosigkeit. Die Zahl der arbeitslosen Ju-endlichen ist um fast 100 000 zurückgegangen. Daseigt sehr deutlich, dass die Bundesregierung Jugendli-hen großartige Zukunftschancen eröffnet.
Wir haben vielfach über die Korrektur der Hartz-esetze gestritten. Ich glaube, dass die Hartz-Gesetzeehr Dynamik in die Vermittlung der Arbeitslosen ge-racht haben und dass der Umbau der Bundesagentur fürrbeit, der bisher durchaus positive Effekte mit sich ge-racht hat, weiter voranschreiten muss. Es wurden inielen Bereichen Korrekturen vorgenommen. Ich erin-ere an die Ich-AG und andere Dinge. Eines ist für michntscheidend: Wir sind ein sozialer Staat und wir tretenür die ein, die der sozialen Unterstützung bedürfen. Esilt aber auch, dem Missbrauch von sozialen Leistungenassiv entgegenzutreten.Am 30. August gab es in der Sendung „ZDF-Repor-er“ einen Bericht über zwei Sozialdetektive, –
Kollege Straubinger, die Geschichte können Sie jetzticht mehr zu Ende erzählen. Ihr Fraktionsvorsitzenderat Ihnen schon Zeit überlassen.
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4512 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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– die 150 Missbrauchsfälle mit einem Volumen von
über 500 000 Euro in kürzester Zeit aufgedeckt haben.
Das zeigt sehr deutlich, dass die Verwaltungen noch ef-
fektiver arbeiten müssen. In diesem Sinne lasst uns die
Arbeit angehen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Schwall-Düren für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Seit mehr als 50 Jahren ist Deutschland in die Euro-päischen Gemeinschaften eingebunden. Das prägte diePolitik der Bundesregierungen und das prägt die Politikauch dieser Regierung. Bundeskanzlerin Merkel hat dasheute Morgen eindrucksvoll dargelegt.Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union be-deutet Chancen, aber auch Herausforderungen. DieChancen haben sich schon zu Beginn der Mitgliedschaftergeben. Es ist uns allen bekannt, dass wir Frieden undSicherheit, kulturelle Vielfalt und Reichtum dieser Mit-gliedschaft zu verdanken haben, aber auch einen un-glaublich gesteigerten Wohlstand. Ich darf nur die eineZahl nennen, dass wir allein in den Jahren 1992 bis 2002900 Milliarden Euro zusätzlichen Wohlstand in Deutsch-land erreicht haben. Das bedeutet 6 000 Euro pro Haus-halt. Das ist sehr viel und das sollte von uns immer wie-der betont werden. Das war der Bevölkerung in früherenJahren bewusster. Aber in den letzten Jahren ist dieWahrnehmung der Chancen der Europäischen Union zu-nehmend schwächer geworden, und zwar einmal, weildie Errungenschaften selbstverständlicher sind, und zumanderen, weil es in Mode gekommen ist, Kritik an derEU zu üben.Brüssel wird schnell als Geldvernichtungsmaschineabqualifiziert, es wird Brüssel vorgeworfen, sich in na-tionale Angelegenheiten einzumischen oder ein Büro-kratiemonster zu sein. Auch wir Politikerinnen und Poli-tiker des Deutschen Bundestages sind nicht ganzunschuldig. Wenn Entscheidungen in Brüssel getroffenwerden, an denen wir über den Rat mitgewirkt haben,dann schieben wir manchmal gern die Schuld auf Brüs-sel und behaupten, an der Entscheidung nichts ändern zukönnen, weil das die Entscheidung von Brüssel sei. Daist es kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürgerverunsichert sind.Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren immer stär-ker die soziale Dimension infrage gestellt wird. Die Bür-ger mussten den Eindruck gewinnen, dass die Kommis-sion bei der Umsetzung des gemeinsamen Marktesimmer stärker von so genannten neoliberalen Vorstellun-gen geleitet wurde. Ein uns allen bekanntes Beispiel istdbpbGtbEimJa„arcndDuTgrbsund1MesGfvaAibSzbsggm
nd in diesem Herbst die Frage der Mindestlöhne nichtur sehr ernsthaft diskutieren, sondern auch entschei-end beantworten.
8 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union habenindestlöhne. Ich will darauf aufmerksam machen, dassin Land, das wir hier immer wieder wegen seiner wirt-chaftlichen Dynamik positiv hervorheben, nämlichroßbritannien, in diesem Zusammenhang sehr gute Er-ahrungen gemacht hat.
Leistungsträger, über die im Augenblick wieder sehriel gesprochen wird – auch in meiner Partei –, sinduch diejenigen, die als Geringqualifizierte täglich ihrerrbeit nachgehen. Auch diese Menschen müssen fürhre Arbeit einen anständigen, existenzsichernden Lohnekommen. Deswegen kann ich auch dem Vorschlag desachverständigenrates, das Arbeitslosengeld II zu kür-en, um so für eine geringe Anzahl von Personen Ar-eitsplätze zu schaffen, überhaupt nicht zustimmen.
Die Chancen, die die EU in der Vergangenheit mitich gebracht hat, müssen natürlich auch in der Zukunftenutzt werden. Die EU ist für uns Impulsgeber und sieibt uns eine Leitorientierung. Ich möchte hier noch ein-al das Beispiel des Stabilitäts- und Wachstums-
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Dr. Angelica Schwall-Dürenpaktes anführen. Dieser Pakt wurde vor allen Dingendurch deutsche Politiker gestaltet. Zwischenzeitlich warer für uns zu einer Last geworden. Letztendlich aber hater dazu beigetragen, dass der Druck, unseren Haushaltzu konsolidieren, aufrechterhalten wurde. Mit großerWahrscheinlichkeit in diesem Jahr, aber auf alle Fälle imkommenden Jahr wird es gelingen, das 3-Prozent-Defi-zit-Kriterium zu erfüllen.
Damit sichern wir die Chancen der zukünftigen Genera-tionen. Gleichzeitig haben wir durch die Reform des Sta-bilitätspaktes ermöglicht, dass in diesem Land wiederInvestitionen getätigt werden können und wir das vonder Koalition beschlossene 25-Milliarden-Euro-Pro-gramm umsetzen.Wir haben in diesem Herbst vor dem Hintergrund derLissabonstrategie noch das nationale Reformprogrammzu verabschieden. Die Bundesregierung wird einen ent-sprechenden Bericht in Brüssel vorlegen. Wir habennämlich erkannt – Frau Bundeskanzlerin hat das heuteMorgen schon ausgeführt –, dass die Globalisierung keinErfolg wird, wenn man nur die nationalen Interessenvertritt und wenn man sich bei Löhnen, Steuern undStandards gegenseitig unterbietet. Im Gegenteil. Was wirtun müssen, ist: Standards sichern, Qualität produzieren,Innovationen umsetzen. Das wird mit der Lissabonstra-tegie und in dem Rahmen mit dem nationalen Reform-programm angepackt. Dabei ist natürlich auch die wei-tere Modernisierung unserer Sozialsysteme zu nennen.Das haben wir im Bereich der Alterssicherung und desArbeitsmarktes schon angepackt und das müssen wir imBereich der Gesundheitspolitik weiter vorantreiben.Ganz entscheidend ist neben dieser Reform aber dieInvestition in die Köpfe. Die Lissabonstrategie hat unsaufgegeben, 3 Prozent unserer Mittel in Bildung undForschung zu investieren. Genau das tun wir. TrotzHaushaltskonsolidierung wird diese Regierung bis zumJahr 2010 dafür sorgen, dass die 3 Prozent in dem Be-reich erreicht werden.Ich möchte an dieser Stelle aber darauf hinweisen,dass wir bei der Weiterbildung noch mehr tun müssen,das stärker in den Blick nehmen müssen und diese He-rausforderung ebenfalls annehmen müssen. Dazu brau-chen wir aber auch die Unternehmen und dazu brauchenwir die Gewerkschaften, die ich ausdrücklich auffordere,sich dieser Aufgabe zu stellen.
In der ersten Hälfte des Jahres 2007 steht die deutscheRatspräsidentschaft an. Wir wollen uns wie 1999 auchbei dieser Ratspräsidentschaft wieder als gute Europäerzeigen. Das ist eine große Herausforderung. Wie Sie allewissen, ist der Verfassungsprozess ins Stocken geraten.Das ist ein Prozess, den wir aber unbedingt voranbringenmüssen, nicht um eines abstrakten Textes willen, son-dern weil wir diese Verfassung brauchen, damit in derEuropäischen Union mehr Bürgernähe, mehr Transpa-renz und mehr Effektivität erreicht werden können.llsgsdgzgihvEblKgBZFSnPrHrrbbrlPaistguzeagDwsapnmE
Deutschland wird eine hohe Kompetenz zugeschrie-en, etwas zur Friedenssicherung zu erreichen. Aberassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Diese hoheompetenz im Bereich der diplomatischen Verhandlun-en ist nur dann weiter akzeptiert, wenn es auch dieereitschaft Deutschlands gibt, sich aktiv, auch durchurverfügungstellung von Bundeswehrkräften, an derriedenssicherung zu beteiligen. Der Kollege Petertruck hat sehr deutlich gesagt, dass wir das natürlichur unter ganz klaren Bedingungen tun werden.Hierbei ist das Zusammenspiel mit den europäischenartnern ebenfalls sehr wichtig. Auch die UN-Friedens-esolution 1701 trägt sehr deutlich die europäischeandschrift. Das ist ein großer Erfolg, den wir mit unse-en europäischen Freunden erreicht haben.Lassen Sie mich noch einmal auf die Verfassung zu-ückkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir ha-en hier nicht nur eine schwierige Situation mit deneiden Ländern, in denen die Verfassung durch ein Refe-endum abgelehnt wurde – Frankreich und die Nieder-ande –, sondern wir haben auch Probleme mit anderenartnern – da kann man Großbritannien nennen, aberuch Polen –, mit denen es im Augenblick sehr schwerst, zu gemeinsamer Politik zu kommen. Bei allem Ver-tändnis für die polnischen Freunde, die besonders kri-isch auf die deutsche Politik schauen, ist dort auch eineewisse Unfähigkeit bezüglich einer Kommunikations-nd Kooperationsbereitschaft mit der deutschen Politiku erkennen. Nichtsdestotrotz müssen wir immer wiederin Dialogangebot machen; denn die Bevölkerung unduch die wirtschaftlichen Akteure sehen die Beziehun-en in keiner Weise kritisch. Im Gegenteil, das Anseheneutschlands ist in Polen in den letzten Jahren immereiter gestiegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem Verfas-ungsthema wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaftuch von wichtigen wirtschaftspolitischen und außen-olitischen Themen geprägt sein. Es wird um Fragen dereuen Nachbarschaftspolitik gehen und darum, dass wirit Russland unsere Kooperation optimal fortsetzen.Am 25. März 2007 blicken wir auf die europäischerfolgsgeschichte zurück, die mit der Unterzeichnung
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Dr. Angelica Schwall-Dürender Römischen Verträge vor 50 Jahren ihren Anfangnahm. Frieden, Stabilität und Wohlstand wurden hart er-arbeitet und erstritten. Der Jahrestag bietet die Möglich-keit einer europäischen Standort- und Zielbestimmung.Angesichts des historisch Erreichten sind wir in derPflicht, uns im weltpolitischen Maßstab neu zu verorten,alte Denkmuster vielleicht zu erneuern und den Blick aufdie politische Verantwortung Europas nach innen undaußen zu schärfen. Die von Außenminister Steinmeier„Generation Europa“ genannten jüngeren Menschen er-warten zu Recht Klarheit über den zukünftigen politi-schen Rahmen des europäischen Gesellschaftsmodells.
Kollegin Schwall-Düren, ich mache Sie nur darauf
aufmerksam, dass Sie jetzt auf Kosten Ihrer Kollegen
sprechen.
Ich komme zum Schluss. – Diese Klarheit können wir
nur gemeinsam mit unseren Partnern erreichen. Deswe-
gen gilt auch heute noch das Wort von Willy Brandt am
Ende seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969:
Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn … werden
im Inneren und nach außen.
Das werden wir mit dieser Regierung auch bleiben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Beauftragte für die Angelegenheiten
der Kultur und Medien, Herr Staatsminister Bernd
Neumann.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieBundesregierung wird der besonderen Stellung der Kul-tur in unserer Gesellschaft und ihrer Verantwortung fürdie europäische Kulturnation auch mit dem diesjährigenKulturetat gerecht. Für uns gilt: Kulturförderung istkeine Subvention, sondern Investition in die Zukunft. Sohaben wir es in den Koalitionsvertrag geschrieben undso handeln wir.Die Bundesregierung hat den Kulturhaushalt für dasJahr 2007 im Vergleich zu den im Vorjahr zur Verfügungstehenden Mitteln erneut erhöht.
Sie hat damit deutlich gemacht, wie ernst sie die Förde-rung von Kunst und Kultur in Deutschland auch ange-sichts der schwierigen Haushaltslage nimmt. Dies kanniisSbdkthtUKkNNudSpSkUwwKK„ljFtdHPruDthgMfrDm
Meine Damen und Herren, ich sehe es als meine be-ondere Aufgabe an, trotz der Notwendigkeit drastischerparmaßnahmen im Gesamthaushalt positive Rahmen-edingungen für Kultur und Medien zu sichern und sieort, wo sie ungenügend sind, zu verbessern. Hieronnte die Bundesregierung in den vergangenen Mona-en Beträchtliches erreichen. Ich erinnere an die Beibe-altung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Kul-urgüter, an das Folgerecht für den Kunsthandel, an diemsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz vonulturgut, an die Beseitigung der unseligen Bagatell-lausel im Urheberrecht, daran, dass wir die Deutscheationalbibliothek zukunftsfähig gemacht haben, an deneubau des Literaturmuseums der Moderne in Marbachnd nicht zuletzt an den Haushalt 2006, in dem wir füren Kulturbereich im Verhältnis zu 2005 ebenfalls eineteigerung zu verzeichnen hatten.Mit diesem Haushaltsentwurf 2007 und dem Finanz-lan 2010 setzt die Bundesregierung insgesamt – Herrteinbrück hat das gestern ausgeführt – ihren Haushalts-onsolidierungskurs fort. Gleichwohl konnte ich denmfang des Kulturhaushalts steigern.In einigen Bereichen konnten wichtige Erfolge erzielterden. Nicht immer lassen sie sich so konkret beziffernie bei der Förderung des deutschen Films, die dasabinett vor der Sommerpause beschlossen hat. Wie imoalitionsvertrag festgelegt, werden unter dem TitelAnreiz zur Stärkung der Filmproduktionen in Deutsch-and“ ab 2007 für die Dauer der Legislaturperiodeährlich 60 Millionen Euro für ein neues Konzept zurilmfinanzierung zur Verfügung gestellt. Das ist ein fan-astischer Erfolg für den Erhalt der Filmkultur und fürie Filmwirtschaft in Deutschland.
ier bedanke ich mich ausdrücklich bei Finanzministereer Steinbrück, der mich nicht gehindert hat, dies zu er-eichen, sondern der mich dabei unterstützt hat. Das istngewöhnlich.
amit erfüllt die Bundesregierung den im Koalitionsver-rag formulierten Auftrag, international wettbewerbsfä-ige, mit anderen EU-Ländern vergleichbare Bedingun-en für unsere Filmwirtschaft zu schaffen. Unsereaßnahme ist ein Bekenntnis zum deutschen Film. Er-olg und Qualität deutscher Filme in der letzten Zeitechtfertigen, so denke ich, dieses Bekenntnis.
Ein weiteres Bekenntnis der Bundesregierung gilt dereutschen Welle. Für sie ist die Zeit der unverhältnis-äßigen Sparauflagen vorbei. Der Auslandssender ist
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Staatsminister Bernd Neumannfür die Bundesregierung nach wie vor Deutschlandswichtigster Kulturbotschafter in der Welt.
Der Sender kann sich jetzt, wie der Haushalt 2007 be-weist, auf eine aufgabengerechte Finanzierung durch dieBundesregierung verlassen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hateine weitere wichtige Haushaltsentscheidung für dieKultur getroffen, die ab 2008 und in den Folgejahrenwirksam werden kann: Der Bund wird sich mit bis zu50 Millionen Euro an der Sanierung der StaatsoperUnter den Linden in Berlin beteiligen. Diejenigen, dieden Zustand des historisch wertvollen Gebäudes kennen,wissen, dass hier dringend gehandelt werden muss. Ber-lin sieht sich allein nicht in der Lage, diese Aufgabe zubewältigen.
Der Bund kommt damit seiner Mitverantwortung für diekulturelle Ausstrahlung seiner Hauptstadt wie auch derVerpflichtung für die Kulturnation Deutschland vorbild-lich nach.
Meine Damen und Herren, ich habe nur drei Beispielewegen ihrer besonderen finanziellen Dimension heraus-gehoben. Unser Haushalt hat im Regierungsentwurf2007 einen Gesamtumfang von rund 1,1 MilliardenEuro. Wir haben zwar als Beitrag zur Haushaltskonsoli-dierung eine globale Minderausgabe von rund 17 Millio-nen Euro zu erbringen, aber der Gesamtrahmen desHaushalts stellt sicher, dass wir auch in Zukunft unser fi-nanzielles Engagement bei Einrichtungen und Projektenvon gesamtstaatlicher Bedeutung fortsetzen können. Dasgilt für die kulturellen Leuchttürme in den neuen Bun-desländern ebenso wie für die bedeutenden Museen, dieGedenkstätten und die vielen innovativen Projekte in Li-teratur, Musik, darstellender und bildender Kunst.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschlie-ßend ein Wort zu einem Vorgang, der mich auch persön-lich sehr beschäftigt. Ich bedauere außerordentlich diedurch eine deplacierte Rede meines Abteilungsleiters beider Eröffnungsveranstaltung des Kunstfestes Weimarausgelösten Irritationen und die Betroffenheit, insbeson-dere bei den Opfern des KZ Buchenwald. Es war unver-zichtbar, bei einem solchen Anlass in jedem Falle derOpfer von Buchenwald würdig zu gedenken. Dies istHerrn Professor Schäfer klar; sein Versäumnis war eingroßer Fehler. Wer Herrn Professor Schäfer und seineArbeit als Historiker und langjähriger erfolgreicher Di-rektor des Hauses der Geschichte kennt, kann allerdingskeinen Zweifel an seiner politischen und moralischen In-tegrität haben.RpAwHVcDDrgJZdVgdfÄsmdsSBghhwk
ier steht die Bundesregierung in der Kontinuität ihrerorgängerregierung.
Die NS-Diktatur und der durch sie verursachte Holo-aust sind in ihrer menschenverachtenden, grausamenimension einzigartig und durch nichts zu relativieren.ie Erinnerung hieran wach zu halten, bleibt eine he-ausragende Aufgabe unserer Gedenkstättenpolitik. Hierehe ich von Ihrer aller Unterstützung aus.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
ochimsen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!unächst herzlichen Dank, Herr Staatsminister, dass Sieie Gelegenheit hier genutzt haben, auf die Vorfälle undorgänge anlässlich des Kunstfestes in Weimar einzu-ehen. Allerdings muss ich sagen: In der Weise, wie Sieas getan haben, ist genauso wenig Klärung herbeige-ührt worden wie durch Ihr Bedauern, das Sie nach denußerungen und der Entschuldigung von Herrn Profes-or Schäfer zum Ausdruck gebracht haben. Wiederussten wir hören, dass vor allen Dingen bedauert wird,ass Überlebende des Holocaust durch Äußerungen, wieie Herr Professor Schäfer gemacht hat, verletzt wurden.ie haben kein Wort zum Grundsatzthema „Gedächtnisuchenwald“ gesagt,
egen das Herr Professor Schäfer in Weimar angeredetat. Für das Verfehlen, nicht darauf eingegangen zu sein,at er sich bisher nicht entschuldigt.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich klarstellen: Auchenn auf dieser skandalösen Veranstaltung in Weimarein einziger Überlebender anwesend gewesen wäre,
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Dr. Lukrezia Jochimsenwäre die Rede von Professor Schäfer genauso provozie-rend und nicht hinnehmbar gewesen, wie sie es war.
In einigen Jahren werden wir die Situation haben, dassleider niemand mehr da ist, der zu den Überlebendenzählt. Deswegen ist es so wichtig, uns mit dem Thema„Gedächtnis Buchenwald“ auseinander zu setzen unduns auch dann zu entschuldigen, wenn wir gegen dasGedenken an Buchenwald verstoßen, und nicht nurdann, wenn wir Menschen, die betroffen sind, verletzen.Darum geht es.
Die Entschuldigung von Herrn Professor Schäfer, dieWorte des Staatsministers bisher und eben zu diesemThema waren dem nicht angemessen.
Jetzt möchte ich mich mit dem Kulturetat und denKulturinvestitionen auseinander setzen. Kultur sei eineInvestition in die Zukunft. Von diesem Grundsatz derBundeskanzlerin, die leider nicht mehr da ist
– ach, da ist sie –, ausgehend, den der Staatsminister ge-rade wiederholt hat, möchte ich die Haushaltsdebattenutzen, um Regierung und Parlament
einen Kulturinvestitionsvorschlag zu machen, der bit-ter notwendig ist.Gestern hat der Finanzminister von diesem Pult ausverkündet, alle zurückfließenden Milliarden müssten umunserer Kinder und deren Zukunft willen zum Abbau un-serer staatlichen Schuldenlast verwandt werden. Das istein richtiger Satz. Trotzdem kann ich ihn nicht mehr hö-ren, wenn ich bedenke, was den Kindern dadurch in zu-nehmendem Maße in unserem Land vorenthalten wird:
wahrhafte Teilhabe und Teilnahme an der großartigen,vielfältigen Kultur unseres Landes. Die kulturellen Defi-zite der Kinder und Jugendlichen sind beängstigend; alleUntersuchungen bestätigen dies. Dem muss endlich et-was entgegengesetzt werden.Deshalb mein Vorschlag: Nehmen Sie 1 MilliardeEuro aus den zurückfließenden Geldern
und setzen Sie ein Programm „Kultur für Kinder“ auf,
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„In Berlin haben wir das“; der Einwurf kommt sehr zuecht.Kultur für Kinder überall und überall in gleichen Ma-en – auf dem Land, in den Städten und in den Problem-ierteln: Darum geht es.
ort, wo es das gibt – wie in Berlin, Frau Kollegin –,uss es erhalten bleiben; wo es immer weniger wirdwie in Thüringen zum Beispiel –, muss es wiederher-estellt werden; wo es fehlt – das ist vielerorts in unse-em Land der Fall –, muss es endlich eingerichtet wer-en.
as wäre eine Investition in die Zukunft.Verweisen Sie jetzt bitte nicht auf die Kulturhoheiter Länder.
ie Landesregierung möchte ich nämlich sehen, die daeld vom Bund ablehnt.
ie Eltern und die Kinder werden das nicht mitmachen;
ie Wählerinnen und Wähler werden das nicht mitma-hen. Sie werden es einfordern.
Denken Sie auch daran, dass Sie damit Arbeit schaf-en würden, kostbare, kreative Arbeit. So viele jungeualifizierte Fachleute für Musik, Theater, bildendeunst, Film, Kunsthandwerk warten auf Aufgaben und
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4517
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Dr. Lukrezia Jochimsendie Chance, mit ihrem Können auch ihren Lebensunter-halt zu finanzieren.
Frau Kollegin Jochimsen, die Debatte darüber müssen
wir in die Ausschüsse verweisen. Sie müssen zum
Schluss kommen.
Ein Programm für Kinder, Jugendliche und junge
kreative Frauen und Männer wäre ein nationales Signal,
das unser Land als wahre moderne Kulturnation aus-
zeichnen würde.
Zum Schluss folgender Satz:
Man kann mit Politik keine Kultur machen, aber
vielleicht mit Kultur Politik.
Erinnert sich noch jemand, wer das gesagt hat? – Es war
Theodor Heuss, der erste Bundespräsident. Das wäre
auch eine Verpflichtung für uns heute.
Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Monika
Griefahn das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Der Haushaltstitel für Kultur undMedien ist mit einem Anteil von 0,4 Prozent am Ge-samthaushalt sehr klein.
Deswegen müssen wir umso sensibler mit den einzelnenPosten umgehen, gerade wenn uns – das haben Sie, HerrStaatsminister, angekündigt – die globale Minderaus-gabe trifft. Denn die vielen kleinen Projekte wären viel-leicht gar nicht mehr lebensfähig, wenn die Mittelgekürzt würden. Gerade diese vielen kleinen soziokultu-rellen Projekte, die Erziehungsprojekte, die musikali-schen Projekte – Sie haben sie erwähnt, FrauJochimsen – sind nämlich besonders wertvoll.
Das müssen wir uns noch anschauen.Wir werden uns im Bundestag und auch im Kultur-ausschuss sehr intensiv mit den politischen Schwerpunk-ten beschäftigen. Auch da müssen wir schauen, wie dieKürzungen umgesetzt werden.Herr Staatsminister Neumann hat aber auch auf posi-tive Aspekte hingewiesen. Ich möchte an dieser Stellemeinen Dank sowohl an den Staatsminister als auch anden Finanzminister dafür richten, dass die zusätzlichen6efWAdIiekimtAUduwsfesbKmgksgamSDBbPkaswdEdslwwSSw
as gibt uns die Möglichkeit zu schauen, wie wir dieseranche unterstützen und welche Marktanreize wir ge-en können. Ich denke zum Beispiel daran, dass einreis für die besten Computerspiele ausgelobt werdenann.Herr Neumann, Sie haben auch die Deutsche Wellengesprochen. Ich freue mich, dass Sie sich dafür einge-etzt haben, dass im Kernhaushalt des Senders keineeiteren Einsparungen erfolgen sollen. Ich glaube aber,ass die Verringerung der Investitionen um 3 Millionenuro schmerzhaft sein wird. Denn Investitionen in mo-ernste Technik sind in diesem Bereich sehr wichtig.Wenn wir über politische Schwerpunktsetzungenprechen, muss auch die Frage der Integration, die in denetzten Wochen intensiver diskutiert wurde, behandelterden. Da leisten Kultur und Medien einen besondersichtigen Beitrag. Ich erwähne das Projekt an der Rütli-chule – dieses Projekt gibt es auch an vielen anderenchulen, aber es ist durch die Rütli-Schule bekannt ge-orden –, das durch den Einsatz von Musik, Tanz und
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Monika GriefahnTheater zu einer wesentlich besseren Stimmung in derSchule beigetragen hat.
Es gibt auch türkische Rapgruppen, die eine gute Ver-mittlerrolle spielen. Das sind Projekte zur Integration,die wir sehr stark fördern müssen.Zu einem funktionierenden Zusammenleben gehörtdas wechselseitige Verstehen kultureller Unterschiede.Eine gezielte Förderung von interkultureller Kultur-arbeit und der Kulturarbeit von Migrantinnen undMigranten sowie – das ist das Wichtigste, was aber nochzum Teil fehlt – die Einbindung der Migrantinnen undMigranten in bestehende Strukturen ist eine wichtigebundespolitische Aufgabe. Da müssen wir noch stärkerKultur und Medien mit einbeziehen; wir dürfen nicht nurüber andere Bereiche diskutieren, wie das häufig der Fallist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die so-ziokulturellen Zentren hinweisen. Für diesen Bereichgibt es eine Bundesförderung. Wir sollten hier einmalanerkennen, dass mit wenigen Mitteln vor Ort viel ge-leistet wird.
Zu nennen ist auch die Kulturstiftung des Bundes, dieeine wichtige Bedeutung für die Vermittlung zwischenden Kulturen hat. Aus Mitteln des Fonds Soziokultur,der Stiftung Kunstfonds und des Deutschen Literatur-fonds werden viele Projekte gefördert, die einerseits in-novativ und von gesamtstaatlicher Bedeutung sind, dieandererseits im internationalen Kontext wesentlich zu ei-ner weltoffenen Vermittlung von Kunst und Kultur bei-tragen.Auch die Finanzierung von Einzelprojekten ist wich-tig – wie die Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom,das Deutsche Studienzentrum in Venedig oder die VillaAurora in Los Angeles und in Berlin –, weil diese dia-logfördernd sind: Verschiedene Künstler aus verschiede-nen Ländern kommen zusammen, tauschen sich aus undsind hinterher Multiplikatoren in ihren Ländern. DieseZusammenarbeit zu verstärken und mit den anderendeutschen Institutionen, die wir im Ausland haben, zuvernetzen, ist eine wichtige Aufgabe und wird jetzt an-gegangen. Zwischen Goethe-Institut und der Villa Au-rora wird beispielsweise eine ganz enge Kooperation an-gestrebt.Die Verständigung über Zukunft – das ist in den letz-ten Wochen deutlich geworden – ist abhängig von demWissen über Vergangenheit. Deswegen ist es sehr wich-tig, dass wir uns immer wieder vergegenwärtigen, wel-che Einrichtungen wir haben, die uns die Vergangenheitdeutlich machen, und welche pädagogische Arbeit dortgeleistet wird. Vor diesem Hintergrund müssen wir Ge-denkstätten, Gedenkorte, Museen, Institutionen und Pro-jekte, die Geschichte veranschaulichen und die Erinne-rung plastisch machen, ausreichend finanziell ausstatten.Ich glaube, wir haben mit unserem Gedenkstätten-konzept dafür eine sehr gute Grundlage geschaffen. WirhNINhidbckAgBgpMrKhegsütlWdrsNgemdEszdEg
Der Berliner Senat hat uns ein Konzept zum Geden-en an die Mauer vorgelegt, das auf eine Initiative vonbgeordneten aller Fraktionen des Deutschen Bundesta-es zurückgeht. Es entstand sozusagen im Auftrag desundestages. Deswegen müssen wir uns daran beteili-en und gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Projektrofessionell umgesetzt wird. Das Gedenken an dieauer sollte nicht von irgendwelchen Initiativen wildealisiert werden.In den nächsten Jahren werden wir viel zu tun haben.unst und Kultur sollen im Bundestag einen festen Platzaben. Sie sind nicht nur „Lebensmittel“; sie haben auchine wichtige Funktion für das Verstehen und Verständi-en. Vor allem in viel ärmeren Ländern ist der Wunschehr groß, andere Kulturen kennen zu lernen und sichber kulturelle Fragen auszutauschen. Das Goethe-Insti-ut hat diese Erfahrung in Afghanistan gemacht. In vie-en Ländern, in denen die Not sehr groß ist, ist derunsch, sich über Kultur auszutauschen, sehr stark. Ichenke, der Bundestag sollte das aktiv unterstützen. Da-über sollten wir konstruktiv diskutieren.Danke schön.
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünenpricht nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Natürlich ist es gut, dass die kulturellen Projekte ininem ersten Schritt mehr Geld bekommen. Dazu kannan ihnen nur gratulieren. Auch die Erhöhung der Bun-esfördermittel für den deutschen Film um 60 Millionenuro ist sehr erfreulich.
Auf der anderen Seite muss man trotzdem sagen – dasollte nicht verschwiegen werden –, dass dem auch Kür-ungen gegenüberstehen. Ich denke beispielsweise anie Leuchttürme Ost, das Bachhaus in Eisenach oder diernst-Barlach-Stiftung, denen am Ende ein Drittel weni-er Geld zur Verfügung steht.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4519
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Katrin Göring-Eckardt
Neben den Aufwüchsen muss meines Erachtens einanderer Aspekt, der im Koalitionsvertrag steht, insBlickfeld geraten, nämlich das, was Sie den Künstlerin-nen und Künstlern bezüglich ihrer Existenzgrundlageversprochen haben. Auf diesem Gebiet hat sich bishernichts getan. Wir stehen kurz davor, wieder von „brotlo-ser Kunst“ reden zu müssen. Es hilft nichts, wenn sichdie Künstler in einzelnen Projekten wieder finden. Esgeht um die Frage der sozialen Absicherung.
Man weiß, dass Künstlerinnen und Künstler, die vomArbeitslosengeld II leben, nicht auf der Suche nach ir-gendeinem Arbeitsplatz sind, sondern üben, Kunst ma-chen, sich selbst managen und versuchen, Aufträge zubekommen. Sie passen nicht in das Konzept der Bun-desagentur für Arbeit. Wir müssen dringend eine bessereLösung finden. Sie haben das im Koalitionsvertrag ver-sprochen. Das steht aber leider „nur“ im Kulturteil.Wenn man – wie ich es getan habe – beim Arbeitsminis-terium nachfragt, dann bekommt man von verschiedenenSeiten gesagt, man könne hier keinen Handlungsbedarferkennen. Ich finde, darüber sollten Sie sich mit dem Ar-beitsminister unterhalten. Hier muss sich tatsächlich et-was ändern.
Das Gleiche gilt für die Frage der Standortschließun-gen bei Künstlerdiensten und der Zentralen Bühnen-,Fernseh- und Filmvermittlung. Das fällt in den Zustän-digkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit. Für was,wenn nicht für die Vermittlung von Jobs, ist sie eigent-lich zuständig und mit welchem Recht sagt sie: Dasstreichen wir jetzt!? Herr Neumann, auch dazu hätte ichheute gerne etwas von Ihnen gehört. Denn dies ist einPunkt, an dem Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag ver-sprochen haben, endlich in die Tat umsetzen müssen.Ich will an dieser Stelle auf die Ereignisse beimKunstfest Weimar zu sprechen kommen, die mich inden letzten Wochen sehr beschäftigt haben. Dabei gehtes mir nicht nur um die Rede von Herrn Schäfer, sondernvor allem um das, was danach passiert ist. HerrNeumann, das bezieht sich übrigens auch auf Ihre heuti-gen Einlassungen. Sich hier nur hinzustellen und zu sa-gen, man bedaure die Irritationen, ist mir zu wenig. Ichbedaure die Rede, die dort gehalten wurde.
Ich will genau wissen, welche Schlussfolgerungen Sieeigentlich daraus ziehen. Sich hier nur hinzustellen undzu sagen, dass Sie nichts anders machen, das reicht mirnicht. Frau Jochimsen hat darauf hingewiesen. Die Ent-schuldigungen wurden von Mal zu Mal immer schlim-mer. Dem Ganzen die Spitze aufgesetzt hat, dass HerrSÜgWÜebwusNaHtDupidfwJcEWwuisDElslVrI
ir werden bald in einer Zeit leben, in der es keineberlebenden mehr gibt und niemanden, der aus seinerigenen Erfahrung heraus über die Zeit des Holocausterichten kann. Genau deswegen ist es so dringend undichtig, dass wir uns um eine neue Erinnerungskulturnd neue Schritte bemühen. Dazu haben Sie nichts ge-agt. Das halte ich für einen riesigen Fehler, Herreumann.
Man muss sich auch ansehen, welche Reaktionen vonnderer Seite diese Rede provoziert hat. Herr Neumann,err Schäfer hat in einer Pressemitteilung der NPD Un-erstützung bekommen.
ie laufen in Mecklenburg-Vorpommern damit herumnd wollen deutlich machen, dass sich in der Bundesre-ublik zum Glück etwas ändern wird. Ich will, dass wirn diesem Haus alle sehr deutlich sagen: Nein, daran än-ert sich nichts. Nein, wir haben unsere Verantwortungür die Zukunft in die Hand genommen, aus der machenir etwas, und gehen weitere Schritte, gerade was dieugendlichen und die Kinder betrifft.Die Fragen, die wir stellen müssen, lauten: Wie ma-hen wir das, wenn niemand mehr da ist, der aus eigenerrfahrung berichten kann?
ie machen wir das, wenn wir über angebliches Nicht-issen und Mitläufertum reden? Wie können wir damitmgehen, sodass Kinder und Jugendliche das heute fürhre eigene Zukunft erfahren?
Herr Neumann, ich möchte, dass wir unsere Ge-chichte mit all ihren Aspekten weiter ernst nehmen.azu gehören auch die Vertreibungen. Aber ohne einerinnerung in die Zukunft, ohne Klarheit, ohne Sensibi-ität und übrigens auch Wissen und Weitergabe von Wis-en über die nationalsozialistischen Gräueltaten ver-ieren wir Zukunft.
or allem verlieren wir einen ganz wichtigen Teil unse-es eigenen Selbstverständnisses und unserer eigenendentität.
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4520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Katrin Göring-Eckardt
Das bedeutet weit mehr als fröhliche Fähnchen am Autound vor allem ist es weit wichtiger.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion.
Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Schluss
ein paar kurze Bemerkungen machen, damit wir gleich
in die nächste Debatte einsteigen können. Ich will Bezug
auf die Debatte, die wir bisher geführt haben, nehmen.
Ich glaube, es war ein sehr berechtigter Vorwurf an
die FDP, den Herr Kauder hier erhoben hat und der auch
in anderen Reden vorkam.
Es wurde gesagt: Passen Sie auf, dass Sie die durchaus
großen und wichtigen außenpolitischen Traditionen Ih-
rer Partei nicht verspielen!
– Ich meine Herrn Scheel, Herrn Genscher und Herrn
Kinkel. Das waren Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland, die als Außenminister eine sehr verdienst-
volle Politik gemacht haben, übrigens in mehreren
Koalitionsregierungen, an denen Sie beteiligt waren.
Es ist etwas schwierig. Man kann sich vorstellen, dass
in ein paar Jahren Herr Scheel, Herr Genscher und Herr
Kinkel als Außenpolitiker und Außenminister dieser Re-
publik zwar noch in Erinnerung sein werden, dass man
sie aber nicht mehr mit der FDP in Verbindung bringen
wird.
Daher glaube ich, dass Sie da ein wenig aufpassen müs-
sen. Ich denke nämlich, dass sich in den letzten Monaten
bei den verschieden außenpolitischen Debatten, die wir
geführt haben, immer wieder etwas abgespielt hat, das
man, wenn man Zeitung gelesen und hier im Haus disku-
tiert hat, wie folgt wahrnehmen konnte: Die Fachpoliti-
ker entwickelten eine durchaus konstruktive politische
Haltung und dann kam Herr Westerwelle dazwischen.
Damit muss man sich auseinandersetzen. Bei der Ent-
scheidungsfindung hinsichtlich des Libanonmandates ist
Ähnliches zu beobachten. Ich jedenfalls habe schon ab-
gewogenere Gedanken gehört als diejenigen, die nun für
die Freie Demokratische Partei gelten sollen.
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Im Übrigen glaube ich, es ist, wenn man eine Rede
it der Erinnerung an gemeinsame Oppositionszeiten
eginnt, ganz gut, sich die Frage zu stellen, ob man nicht
ielleicht auch gemeinsam mit dem ehemaligen Opposi-
ionspartner etwas lernen kann. Hier wende ich mich an
errn Brüderle, der einen Spruch aus der gemeinsamen
ppositionszeit von FDP und Union wiederholt hat, von
em die Union heute weiß und sogar sagt, dass er nicht
timmte.
ch rufe Sie dazu auf, sich dieser Erkenntnis anzuschlie-
en.
Die Behauptung, die nicht stimmt, die aber in gewis-
er Wiederholung immer wieder auftaucht, lautet, dass
ie Einzelunternehmen bzw. die Personenunterneh-
en die Gebeutelten der Steuerreformen der Vergangen-
eit gewesen seien, dass sie nicht entlastet worden seien
nd dass nun zuallererst für diese Gruppe etwas getan
erden müsse.
Heute wissen wir alle: Durch die Einkommensteuer-
enkungen der letzten Jahre und die verbesserte Berück-
ichtigung der Gewerbesteuer haben vor allem die Ein-
elunternehmen bzw. die Personenunternehmen und der
ittelstand eine ganz deutliche Entlastung erfahren. Auf
ieser Erfahrung und Gesetzgebung können wir heute
ufbauen.
Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass es auch für
ie gut wäre, sich mit der neuen Wirklichkeit auseinan-
er zu setzen, die Erfolge der rot-grünen Koalition zur
enntnis zu nehmen und sich damit zu beschäftigen, wie
ir die Steuerpolitik weiterentwickeln können, statt über
twas zu reden, was sich so, wie Sie es darstellen, gar
icht ereignet hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Brüderle?
Ja.
Lieber Kollege Scholz, wären Sie bereit, zur Kenntnisu nehmen, dass ich von der beabsichtigten Unterneh-ensteuerreform der Koalition und nicht von der Ver-angenheit sprach?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4521
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Sie haben die Vergangenheit nie zur Kenntnis genom-men und eine falsche Bewertung der geplanten Unter-nehmensteuerreform vorgenommen. Denn Sie haben so-wohl unberücksichtigt gelassen, dass wir auch für diePersonenunternehmen noch etwas tun werden – das istübrigens in allen Beschlüssen der Regierung bzw. derKoalition zu diesem Thema nachzulesen –, als auch au-ßer Acht gelassen, dass die Steuersatzsenkungen derVergangenheit insbesondere dem Mittelstand große Ent-lastungen gebracht haben.Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer istvon 52 Prozent auf 42 Prozent gesunken,
der Eingangssteuersatz ist ebenfalls gesunken und dieAnrechnung der Gewerbesteuer wurde neu geregelt undverbessert. Darum glaube ich, dass es richtig ist – vor al-lem für eine Partei, die sich dem Mittelstand verpflichtetfühlt –, zu sagen: Der Mittelstand steht zu Recht im Mit-telpunkt der Politik der Regierung. Das gilt für die Poli-tik der vorigen Regierung wie auch für die Politik dieserRegierung.
Meine Damen und Herren, ich will nicht lange auf dieAusführungen von Herrn Lafontaine eingehen.
Aber ich will etwas zu der Idee sagen, dass vonseiten derRegierung etwas unternommen werden müsse, um denKonsum auf irgendeine Weise zu fördern. Das allesklingt nach groß angelegten Konjunkturprogrammen.Wenn man über solche Fragen diskutiert, macht esschon Sinn, sich zu überlegen, was man eigentlich will.Wir haben im Zusammenhang mit der Gebäudesanie-rung neue Möglichkeiten geschaffen, die sich massivausgewirkt haben, und die steuerliche Absetzbarkeit vonHandwerkerrechnungen eingeführt. Dadurch wollten wirdie Menschen dazu bringen, von der Schwarzarbeit zu-gunsten legaler Arbeit Abstand zu nehmen,
und darüber hinaus die wirtschaftliche Belebung unter-stützen.
Das waren wirksame Programme, durch die der Mittel-stand, die Wirtschaft, die Konjunktur und der Konsum inDeutschland gefördert wurden.
ndlAiIgIBdWDpptsEdMaebiSugWdSSbgegdBbiw
uch das ist für unsere Konjunktur sehr wichtig. Dennn den Gemeinden werden die für unser Land zentralennvestitionen getätigt.Die abstrakte Forderung nach einem Konjunkturpro-ramm kann man sich leicht ausreden.
ch empfehle Ihnen, einmal den Hamburger oder denremer Hafen zu besuchen und sich die Planungen füren neuen Hafen in Wilhelmshaven anzuschauen. Imesentlichen sind es nämlich die großen Häfen ineutschland, die von konsumfördernden Konjunktur-rogrammen profitieren. Mit der Frage, ob wir Arbeits-lätze in Taiwan, Südkorea oder Vietnam schaffen soll-en, muss sich Herr Lafontaine schon auseinanderetzen, wenn er solche Forderungen in den Raum stellt.
s wurde nicht dadurch klüger, dass die letzte Redneriner PDS diese eigenwilligen Vorstellungen mit einerilliarde, die sie sich heute Morgen beim Frühstückusgedacht hat, gestalten will. Sie hat gefordert, dieseine Milliarde zusätzlich für Kulturleistungen auszuge-en. Ich glaube, der geringe Ernst einer solchen Debattest offensichtlich und muss nicht weiter vertieft werden.
Es ist bereits viel geschafft worden. Ich nenne dastichwort Föderalismusreform. Für manchen Kritikernerwartet haben wir ein schwieriges Gesetz zustandeebracht.
ir haben aber auch bereits viel im Zusammenhang mitem Abbau von Steuersubventionen erreicht.
ie lassen das in Ihren Reden immer außer Acht, weilie sich ausschließlich auf die Steinkohle beziehen. Ha-en Sie denn nur Steinkohle vor den Augen? Tatsächlichibt es über die Kohlesubventionen hinaus seit Jahrenine ganze Reihe von Steuersubventionen, die nicht ab-ebaut wurden, weil es nicht möglich war, Mehrheitenafür zu finden, die sowohl im Bundestag als auch imundesrat gehalten hätten.Ich bin daher froh, dass wir es bereits geschafft ha-en, zahlreiche Steuersubventionen, die fast jede Partein diesem Hause hin und wieder einmal abschaffenollte, abzubauen. Wir haben damit das getan, was die
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4522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Olaf ScholzBürgerinnen und Bürger von der großen Koalition er-warten. Sie erwarten von uns, dass wir die Dinge, überdie wir uns einig sind, auch wirklich umsetzen. An die-ser Stelle ist uns das gelungen.
Deshalb ist es schlecht, wenn Sie an der Idee vom Be-ginn dieses Jahres, zur Mehrwertsteuer reden zu wol-len, festhalten, obwohl das diesbezügliche Gesetz bereitsbeschlossen worden ist.
Diese Idee ist nicht gut; denn die schwierigen Verände-rungen, die wir gemeinsam vornehmen wollten, habenwir bereits eingeleitet. Man wird Ihnen nicht zuhören,wenn Sie weiterhin Ihre alten Reden halten.Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Aus-wärtigen Amtes, Einzelplan 05.Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge-ordnete! Auf den fünften Jahrestag der schrecklichen Er-eignisse von New York ist bereits hingewiesen worden.Deshalb möchte ich nicht darauf zurückkommen.Gleichwohl möchte ich daran erinnern, dass sich seitdiesem Tag vieles verändert hat. Auch den letztenZweiflern ist klar geworden, dass spätestens seit dem11. September 2001 Außenpolitik mehr und mehr zurWeltinnenpolitik geworden ist. Klar ist auch: Friedenund Wohlstand in Deutschland hängen immer mehr da-von ab, wie es der übrigen Welt ergeht.Terroranschläge irgendwo auf der Welt können dieWeltwirtschaft insgesamt in Mitleidenschaft ziehen.Heute reden wir über den Bundeshaushalt. Deshalbmöchte ich darauf hinweisen, dass auch die Zahlen einesBundeshaushaltes durch Ereignisse, wie beispielsweisedie Krise im Nahen Osten, schlagartig Makulatur wer-den können. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse inDeutschland sage ich, dass wir die Gefahren in Regio-nalzügen und S-Bahnen nicht vollständig ausschließenkönnen. Ein weiteres Beispiel sind die Bürgerkriege inAfrika. Sie lösen Flüchtlingsströme aus, die Europa,auch uns, erreichen. Das macht deutlich: Es gibt keineentfernten Weltregionen mehr. Bei uns in Deutschlandleben Menschen aus allen Regionen und Nationen. Da-mit sind wir von Ereignissen in den Heimatländern die-ser Menschen direkt betroffen.Wir als Exportnation betreiben Handel mit fast je-dem Land der Erde. Deshalb haben wir ein ganz beson-düjzdAsvzrgmgetsmaKdzwRnilPsshzsaddzZwsWKnrNnp
Das sage ich auch, weil ich der Meinung bin, das haticht das Geringste mit einer Militarisierung der Außen-olitik zu tun. Ich finde, das Gegenteil ist richtig:
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Bundesminister Dr. Frank-Walter SteinmeierEuropäische Soldaten, vielleicht auch deutsche, könntenihren Beitrag dazu leisten, dass der Frieden im NahenOsten wieder eine Chance erhält. Wir könnten die Vo-raussetzungen dafür schaffen, dass die Tür zu einer Fort-setzung des Nahostfriedensprozesses wieder geöffnetwird. Wir sind natürlich klug genug, um zu wissen, dassdas nicht allein mit Soldaten erfolgen kann. Deshalbkommt es darauf an, einen möglichst klugen Mix aus mi-litärischem Beitrag auf der einen Seite – natürlich – und– natürlich auch – humanitärer Hilfe und unseren Ange-boten zum Wiederaufbau im Libanon auf der anderenSeite zu schaffen.
Ähnlich handeln wir auch in Afghanistan. Damit wiruns nicht missverstehen: Ich bin – das habe ich seit mei-ner Rückkehr aus Afghanistan gesagt – gegen jedesSchönreden der dortigen Situation. Die Situation, erstrecht vor Ort betrachtet, gibt in der Tat immer noch An-lass zu Sorge, in manchen Regionen Afghanistans sogarAnlass zu wachsender Sorge. Ich sage dennoch: Nach23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg in diesem Land ist dortetwas in Gang gekommen: eine gewisse Stabilisierungpolitischer Institutionen. Die Flüchtlinge können Gottsei Dank wieder in ihr Land zurückkehren, auch wenn anmanchen Stellen vielleicht mehr zurückkehren, als dasLand vertragen kann: Kabul hat eine Infrastruktur füretwa 1 bis 1,5 Millionen Menschen; jetzt leben circa4 bis 4,5 Millionen Menschen dort. Insofern kann esnicht erstaunen, dass die Versorgungssituation mehr alsnur schwierig ist.Wir tun mehr, als nur unseren militärischen Beitrag zuleisten. Wir leisten Hilfe zur Wiederherstellung der Was-serversorgung und der Elektrizitätsversorgung. Wie Siewissen, tun wir das gerade nicht nur mit Soldaten, son-dern auch mit Regierungsberatern, Lehrern und Ent-wicklungshelfern. Ich war froh, bei meinem Besuch zusehen, dass eine Schule mit insgesamt 7 000 Schülerin-nen jetzt sogar um einen naturwissenschaftlichen Zweigerweitert wird. Ich finde, diese Ergebnisse dürfen wirnicht durch verantwortungslose Diskussionen in der Öf-fentlichkeit preisgeben.
Ich weiß sehr wohl, dass einer der umstrittenstenPunkte hier im Bundestag unser Engagement im Kongowar und ist. Wir wollen nicht so tun, als sei das Engage-ment bereits zu Ende und ohne jedes Risiko. Ich findeaber, dass es sich bisher gelohnt hat. Nur durch die An-wesenheit der europäischen Truppenkontingente konntenach dem beginnenden Aufruhr Schlimmeres verhindertwerden. Wären die europäischen Truppen nicht dort ge-wesen, dann hätte die Unruhe nicht im Keim ersticktwerden können.
Ich füge hinzu: Auch dort sind unser Militär und unsermilitärischer Beitrag nur der kleinere Teil. Auch dortervwakAvdZdmmhEdlldgeHKAh„sgsALmMvTö
u meinem Bedauern muss ich sagen, dass ich das voner Linkspartei erwartet hatte. Ich hatte mir vorgenom-en, nichts Weiteres dazu zu sagen. Ich finde nur, dassan das, was Oskar Lafontaine in seiner Rede gesagtat, so nicht stehen lassen kann.
s ist unerträglich, dass Oskar Lafontaine hier den Ein-ruck erweckt, als seien diejenigen, die helfend ins Aus-and gehen, diejenigen, die für Terrorismus verantwort-ich sind. Das kann man nicht sagen.
Ich finde es unredlich, dass gerade diejenigen, die je-en Tag das Völkerrecht und die Vereinten Nationenegen eine schlechte Realität ins Feld führen, den Ver-inten Nationen dann die Hilfe versagen, wenn sie derilfe bedürfen. Das geht nicht. Das ist inkonsequent.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Dehm?
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
uswärtigen:
Ja.
Damit Ihr Zitat von Oskar Lafontaine nicht falsch ste-en bleibt, frage ich mit Bezug auf den ZwischenrufUnerhört!“: Wie unerhört ist es denn, wenn der bayeri-che Innenminister sagt, dass mit dem militärischen En-agement im Ausland die Wahrscheinlichkeit von An-chlägen im Inland wächst?Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desuswärtigen:Ich habe den Zusammenhang der Sätze von Oskarafontaine sehr genau gehört und ich hätte mich nichtit einem Beitrag zu Wort gemeldet, wenn ich nicht dereinung wäre, dass hier gegenüber der deutschen Be-ölkerung der Eindruck erweckt werden sollte, dass dererrorismus nicht die Ursachen hat, die wir landläufigffentlich diskutieren, sondern dass diese eher in
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeierunseren Entscheidungen liegen. Das muss ich mit allerSchärfe zurückweisen.
Herr Dehm, einen allerletzten Satz zu diesem Punkt.Vielleicht gebe ich mir zu viel Mühe; aber lassen Siemich noch sagen, dass ich es am Ende auch zynischfinde, dass Sie sagen, der internationale Beitrag zur Sta-bilisierung könne und dürfe nicht kommen – jedenfallsnicht mithilfe des Einsatzes deutscher Soldaten –, ob-wohl Sie wissen, dass der Waffenstillstand und das Endeder Kampfhandlungen nur durch eine Resolution er-reichbar waren, mit der sich die internationale Staaten-gemeinschaft zur Hilfe verpflichtet hat. Sie wissen sehrgenau: Wenn wir nicht so entschieden hätten, dann wäredas Kämpfen weitergegangen und weitere Menschenwären gestorben. Deshalb kann ich das so nicht ertragen.
Bei der FDP – das habe ich verstanden – ist das keineprinzipielle Haltung gegen Auslandseinsätze; ichglaube, so habe ich das richtig gezeichnet. Aber auch dahabe ich den Hinweis auf Umfragewerte und öffentlicheAkzeptanz zu kritisieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, je-denfalls nicht die Aufgabe einer Regierung, auf Umfra-gewerte zu schauen und danach zu entscheiden, ob wireinen Auslandseinsatz billigen oder nicht.
Erst recht unverständlich finde ich das, was ich in denletzten Tagen in der Presse gelesen habe, nämlich dassuns angeblich das Gesamtkonzept fehlt. Das ist ein billi-ges Argument. Die Wahrheit ist konkret: Den Schutzbrauchen die Menschen jetzt, nicht dann, wenn die FDPzu diesem Thema irgendwann ihre Weltformel gefundenhat.
Verzeihen Sie mir in diesem Punkt die Emotionen.Aber ich finde schon, dass wir hier miteinander Klartextreden müssen. Unsere Außenpolitik ist in sich konsis-tent. Niemals ist ein Kontingent deutscher Soldaten ineine Region mit dem Auftrag geschickt worden, dortLand zu zerstören oder den deutschen Machteinfluss zuvergrößern. Das war nie das Ziel deutscher Einsätze.Diese Regierung und auch die Vorgängerregierungen ha-ben mit ihren Entscheidungen immer versucht, entwederFriedensverträge zu überwachen, für die Menschen Sta-bilität zu schaffen oder Vertreibung und Massenmord zubeenden. Das ist die Verantwortung deutscher Politik.Das ist vielleicht auch das, was Europa als Botschaftin die Welt aussenden kann: Wir in Europa haben ge-lernt, auch über tiefe Gräben, über Mauern und auchüber Trümmerberge hinweg zusammenzufinden und zu-sammenzuwachsen. Wenn das die europäische und auchdddKhapesbmfsShWtswgdsadEsClbaRggmszdlmdFsäjnKk
Ganz in diesem Sinne verstehe ich unseren Beitrag,en wir in den letzten drei bis dreieinhalb Jahren imonflikt um das iranische Atomprogramm geleistetaben. Sie wissen: Ich stehe für die Bemühungen unduch für die Fortsetzung der Bemühungen um eine di-lomatische Lösung. Wir sind uns im Kreise der Sechsinig, dass es nicht hingenommen werden kann, dassich mit dem Iran im Mittleren Osten ein Staat atomarewaffnet, was zumindest in der ganzen Region ein ato-ares Aufrüsten zur Folge haben könnte. Deshalbreuen wir uns, dass vom Iran Verhandlungsbereitschaftignalisiert wird.Wir brauchen aber belastbare Signale. Belastbareignale heißt, dass entsprechend der Bitte des Sicher-eitsrates verhandelt wird. Das bedeutet aber auch:enn wir am Verhandlungstisch sitzen, können nichtäglich neue Fakten in Gestalt neuer Zentrifugen ge-chaffen werden. Diese Voraussetzungen müssen erfüllterden. Dazu muss die iranische Regierung ein Wort sa-en. Ich hoffe, dass dies in diesen Tagen im Gespräches iranischen Verhandlungsführers mit Solana ge-chieht.
Ich möchte in aller Kürze noch zwei weitere Themennsprechen. Wie Sie wissen, haben wir die Chance undie Verpflichtung zugleich, im nächsten Jahr sowohl dieU-Ratspräsidentschaft wie auch die G-8-Präsident-chaft auszuüben. Ich freue mich darüber, dass wir diesehance haben. Wir sind noch nicht an dem Punkt ange-angt, an dem wir in allen Details über die Agenda diesereiden Präsidentschaften reden sollten. Das werden wirn anderer Stelle ausführlich tun.Es geht um Folgendes: Wir müssen während der EU-atspräsidentschaft versuchen, das sicherlich deutlichesunkene Vertrauen der Menschen in Europa zurückzu-ewinnen. Die Menschen wissen im Augenblick nichtehr so richtig, ob und zu welchem Vorteil die Europäi-che Union für sie tätig ist. Viele empfinden Europa alsu bürokratisch. Manche sagen: Europäische Entschei-ungen haben mit meinem Alltag nichts zu tun. – Dasetzte Argument scheint insbesondere mit Blick auf dieangelnde soziale Sensibilität der entscheidende Grundafür gewesen zu sein, weshalb die Abstimmungen inrankreich und in den Niederlanden so ausgegangenind, wie sie ausgegangen sind.Man kann das im Augenblick nicht durch Befehl ver-ndern; das wissen Sie. Deshalb kann ich Ihnen natürlichetzt nicht sagen, wann die Verfassung, die wir nach mei-er Überzeugung so dringend wie nie zuvor brauchen, inraft treten wird.Aber ich glaube, dass wir von heute an die Zeit nutzenönnen, um auf der einen Seite die Sorgen und Ängste
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4525
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeierder Menschen, die sie im Umgang mit Europa haben,ernst zu nehmen und auf der anderen Seite mit ihnen zudiskutieren, um dann im ersten Halbjahr 2007 ein hof-fentlich substanzreiches Gespräch mit den neuen Mit-gliedstaaten, die dann noch nicht den Verfassungsver-trag ratifiziert haben, zu führen, um das, was nachmeiner Auffassung notwendig ist – die politische Sub-stanz des Verfassungsvertrags –, zu erhalten. Aber daswird nicht allein auf deutschen Schultern ruhen können.Das wird nur dann möglich sein, wenn alle in Europamitmachen.
Abschließend möchte ich noch einen Punkt anspre-chen. Ich weiß, dass die Generaldebatte in erster Liniedafür vorgesehen ist, einige Grundlinien der jeweiligenPolitikbereiche zu zeichnen. Das habe ich zwar getan,aber etwas abweichend von den Usancen.Auch wenn ich weiß, dass das eigentliche Gerangelum Haushaltspositionen erst im Haushaltsausschussstattfindet, möchte ich einige Bemerkungen vorwegschi-cken. Auch mit Blick auf das, was ich zu Beginn meinerRede ausgeführt habe, auf die wachsende Zahl der Kri-senherde und das damit einhergehende verstärkte Enga-gement des auswärtigen Dienstes, müssen wir, glaubeich, noch einmal neu darüber nachdenken, ob wir aufsolche Situationen bestmöglich eingestellt sind.Wenn das, was ich am Anfang festgestellt habe,stimmt – dass Außenpolitik mehr und mehr Weltinnen-politik geworden ist –, dann ist es ebenso logisch, dasswir jenseits von militärischen Beiträgen ein immer brei-teres und umfassenderes Herangehen an solche Situatio-nen brauchen und dass wir uns verständlicherweise nichtauf die jeweiligen Versuche werden beschränken kön-nen, nur aktuelle Krisen zu bewältigen. Deshalb – darinsind wir uns im Kabinett einig – werden wir uns mehrund mehr auch mit präventiver Diplomatie in die Re-gionen begeben müssen, um das Entstehen von Span-nungen möglichst ganz außen vor zu lassen
bzw. soweit unter Kontrolle zu halten, dass sich keineKrisensituationen wie jetzt daraus entwickeln können.Sie wissen, dass über die Konfliktherde, die wir jetztberührt haben, hinaus die Aufgaben des auswärtigenDienstes immens gewachsen sind. Ich freue mich da-rüber, dass die Botschaften bzw. der auswärtige Dienstdraußen in der Welt mehr und mehr als Türöffner für dieInteressen der Wirtschaft genutzt werden. Ich freue michauch darüber, dass der auswärtige Dienst zur Erarbeitungvon Konzepten etwa zur langfristigen Rohstoff- undEnergiesicherung in Europa herangezogen wird. Ichfreue mich auch darüber, dass die Mobilität der Men-schen in Deutschland immer mehr zunimmt. Aber dasberührt uns, den auswärtigen Dienst, in doppelter Hin-sicht. Je mehr Menschen unterwegs sind, umso stärkerwerden auch die Visa- und Konsularstellen genutzt, je-denfalls dann, wenn Notfälle auftreten. Sie haben geradeam Beginn dieses Jahres gesehen, dass die Mobilität ver-bunden mit den vielen Konfliktlagen letztendlich auchdSmhirsnmsndu–emütaBDrawIüdSAdcßepkAfiav
Ich sage das deshalb, um es mit einem Dank an dieje-igen zu verbinden, die dafür Sorge getragen haben. Ichöchte aber auch deutlich machen, dass sich auf Dauerolche Situationen nicht mit der gegenwärtig vorhande-en Ausstattung bewältigen lassen. Mit Hinweis darauf,ass wir seit 1990 circa 25 Auslandsvertretungen mehrnd 10 Prozent Beschäftigte weniger haben, sollten wir jedenfalls für die Zukunft; ich weiß, dass das nicht ininem Haushaltsverfahren erreicht werden kann – in einehrjähriges offenes und etwas fruchtbareres Gesprächber die Ausstattung des auswärtigen Dienstes eintre-en.
Sie wissen, dass es keine Macke von mir ist, wenn ichm Ende meiner Rede auf die auswärtige Kultur- undildungspolitik hinweise.
ieses Thema ist in den Debatten vielleicht nicht in aus-eichendem Maße vorgekommen. Ich jedenfalls halte dieuswärtige Kultur- und Bildungspolitik für eines derertvollsten Instrumente, die wir haben.
m Ausland erfolgt der erste Kontakt mit Deutschlandber die deutsche Kultur, weil die Menschen entwederie deutsche Sprache erlernen wollen, in eine deutschechule gehen oder ein Stipendium vom DAAD oder derlexander-von-Humboldt-Stiftung haben. 50 Prozenterjenigen, die im Ausland eine deutsche Schule besu-hen, studieren später in Deutschland, gehen anschlie-end in ihre Heimatländer zurück und gehören dort nachinigen Jahren entweder zur wirtschaftlichen oder zurolitischen Elite. Deshalb sage ich: Lasst uns das nichturzfristig betrachten! Hier lohnen sich Investitionen.nders gesagt: Mittel für Straßen und Schienen sowieür Forschung und Bildung sind sicherlich Investitionenn die Zukunft Deutschlands. Aber eine gute und gutusgestattete Außenpolitik ist ebenfalls eine Zukunftsin-estition.Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Außenpolitik hat einen solchen breiten Raum in derDebatte über den Kanzlerinetat eingenommen, dass mandie vorbereiteten Manuskripte getrost vergessen kannund sich lieber auf ein paar andere wichtige Punkte kon-zentrieren sollte.
Der geplante Libanoneinsatz spielt in der heutigenDebatte eine große Rolle. Ich war in der letzten Wochevon der Art und Weise beeindruckt, wie die Positionendazu bei uns intern aufeinander getroffen sind. Es sinddrei Argumentationslinien. Je mehr ich mich umhöre,desto mehr finde ich diese Linien zumindest in den klas-sischen Fraktionen wieder. Die Vertreter der ersten Ar-gumentationslinie sagen, dass mit der deutschen Einheit,dem Erreichen dieses großen Ziels, eine sehr große Ver-antwortung verbunden ist. Angesichts dessen und vordem Hintergrund unserer Geschichte tragen wir Verant-wortung für die Stabilität im Nahen Osten und müssendie Lebensverhältnisse der dort lebenden Menschen ver-bessern und ihnen eine Perspektive geben. Des Weiterenhaben wir eine große Verantwortung im Hinblick auf dasExistenzrecht Israels als jüdischen Staat in sicherenGrenzen sowie das Selbstbestimmungsrecht der Palästi-nenser. Das ist sicherlich richtig.Die Vertreter der zweiten Argumentationslinie sagen:Gerade wegen unserer geschichtlichen Verstrickungenkommt ein solcher Einsatz gar nicht infrage; denn wennder Konflikt eskaliert und es ernst wird, dann ergreifenwir selbstverständlich Partei und werden uns erst rechtnicht an einer Mission beteiligen, die Neutralität erfor-dert. Ich finde, das ist eine respektable Position. Diesedarf man nicht als Fundamentalverweigerung abtun, erstrecht nicht bei denjenigen, die zuvor bei anderen Aus-landseinsätzen deutlich gemacht haben, dass sie keineHemmungen haben, zuzustimmen, wenn es denn klugerscheint.Die Vertreter der dritten Argumentationslinie, zu de-nen ich mich bekenne, sagen: Ich schließe spätestensnach der Argumentation, die uns eine aktive Beteiligungauf dem Balkan gebracht hat, eine aktive Mitwirkung ander Problemlösung im Nahen Osten gar nicht aus. Fürmich ist es dann aber eine Frage der politischen Klug-heit, mit welchen Instrumenten deutscher Außenpolitikman sich engagiert.
Ich komme dabei zu dem Ergebnis, dass Deutschlandgut beraten ist – gerade weil sich die Bundeskanzlerinund der Bundesaußenminister heute dankenswerterweisewieder sehr stark dem politischen Prozess, um den esdort geht, zugewendet haben –, an die militärische Di-mFIgilsldezoawttPKAhgüangttzlPLhsiut–rtwwKsvewlnu
ch gehe jetzt gar nicht auf die Fragen ein, die verteidi-ungspolitischer Natur sind. Das kommt nachher.Die Auseinandersetzung um Briefe, die gegenwärtigrgendwo in der Welt kursieren, zeigt doch, dass sehreicht Situationen denkbar sind, in denen zweierlei pas-ieren kann: Entweder steht ein deutscher Soldat tatsäch-ich einmal einem israelischen Soldaten mit der Waffe iner Hand gegenüber bzw. es steht ein deutsches Schiffinem israelischen U-Boot gegenüber oder wir werdenur Ersatzzielscheibe für Heißsporne unter arabischender islamistischen Gewalttätern, die uns letztlich dochls Partei wahrnehmen. Ersatzzielscheibe zu sein, ist et-as, was ich den Soldaten der Bundeswehr nicht zumu-en möchte. Lassen Sie uns also differenziert argumen-ieren. Ich stelle fest, dass diese Diskussion in allenarteien stattfindet. Deswegen sollte man nicht die großeeule schwingen.
Die FDP hat im Übrigen eine Vergangenheit, was dieuslandseinsätze der Bundeswehr angeht. Den meistenaben wir zugestimmt. Wir haben bei einigen mit Neinestimmt, insbesondere beim Kongoeinsatz. Da hat sichbrigens an unseren Bedenken nichts geändert. Es gabuch Einsätze, zum Beispiel die Entsendung der ISAFach Kabul, denen wir zugestimmt haben, wo wir aberleichzeitig argumentiert haben, warum wir die Auswei-ung des Einsatzes nach Kunduz für sehr bedenklich hal-en, nämlich weil man nicht die Quadratur des Kreisesuwege bringen kann. Über Jahre hinweg sind die War-ords und Drogenbarone in eine außerordentlich günstigeosition gebracht worden – es geht hier nicht in ersterinie um die Drogenanbauer, sondern um die Drogen-ändler –,
odass diese mittlerweile 85 Prozent des Sozialproduktsn Afghanistan erwirtschaften, sie ihr Geld internationalnd national anlegen und entsprechend ihre Machtposi-ionen verfestigen. Man findet diese Damen und Herren ich weiß, wie sehr Sie das in Ihren Gesprächen mit Ih-en afghanischen Kollegen kritisieren – in den Kabinet-en und den Verwaltungsstrukturen dieses Landes. Des-egen muss es legitim sein, die Frage zu stellen, ob dasirklich in die richtige Richtung läuft. Ich betone dabei:einer von uns unterschätzt oder verleugnet gar die rie-ige Leistung, die Bundeswehr, Entwicklungshelfer undiele andere in Afghanistan erbracht haben.
Irgendwann aber kommt einmal der Punkt, an demine Statusabfrage fällig ist: Wo stehen wir denn? Seienir ehrlich, meine Damen und Herren: Auf internationa-er Ebene – übrigens ganz besonders stark in den Verei-igten Staaten, die uns, zumindest was ihre Think Tanksnd ihre Zeitungen angeht, in der kritischen Analyse der
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Dr. Werner HoyerLage manchmal weit voraus sind – gibt es längst eineDiskussion darüber, ob wir uns nicht möglicherweise aufeiner schiefen Ebene befinden und ob wir in der Be-kämpfung des internationalen Terrorismus nicht biswei-len mit den falschen Mitteln arbeiten. Möglicherweiseverprellen wir geradezu diejenigen, die in den verschie-denen Ländern und Organisationen gutwillig sind oderwären und die wir dringend brauchen, um zum Beispieleinen Friedensprozess im Nahen Osten herbeizuführen,wenn wir so vorgehen, wie manche vorgehen. Es stehtmir nicht an, ein Land, das um sein Überleben kämpftund gegenüber dem wir eine ganz besondere Verantwor-tung haben, hier billig zu kritisieren. Aber es macht mirganz einfach Sorge, dass unsere israelischen Freundekaum mehr jemanden in der Region haben, mit dem sieeinen vertrauensvollen Dialog führen könnten. Das warvor kurzem noch anders.Deswegen begrüße ich es, dass wir den politischenProzess in den Vordergrund rücken. Ich glaube, Deutsch-land wird dort eine sehr wesentliche Rolle spielen. Esgibt unter den größeren europäischen Partnern sehr we-nige, die für sich in Anspruch nehmen können, in Israelüber jeden Zweifel erhaben zu sein und zugleich ein gro-ßes Vertrauenskapital in der arabischen Welt zu besitzen.Das Kapital muss Deutschland nutzen. Ich glaube, diemilitärische Beteiligung kann da eher kontraproduktivsein.
Wenn ich hier anreiße, ob beispielsweise in Afgha-nistan manches schief läuft, dann meine ich damit nie-mals – das läge meinem Denken völlig fern – unilateraledeutsche Entscheidungen bzw. die Entscheidung, dieBundeswehr zurückzuziehen. Darum kann es nicht ge-hen. Ich sage aber gerade als Internationalist: Es gehtmir bisweilen auf den Keks – ich bin dankbar, dass Sievon Schönreden gesprochen haben –, dass wir uns beiden NATO-Treffen erst einmal versichern, wie toll undwichtig unser gemeinsames Engagement in Afghanistanist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die NATO zuBeginn der Periode nach dem 11. September 2001, alsder Bündnisfall festgestellt worden ist, unheimlich wich-tig für Afghanistan war, obwohl sie hinterher als Institu-tion nicht mehr genutzt worden ist. Heute scheint Afgha-nistan für die NATO unheimlich wichtig zu sein. DieRaison d’Être der NATO geht aber über das, was wir inAfghanistan tun, weit, weit hinaus. Ich bin daran interes-siert, dass dieses Bündnis aufrechterhalten und ausge-baut wird. Das gilt erst recht, da in den Vereinigten Staa-ten ein Paradigmenwechsel stattzufinden scheint, selbstbei der Bush-Administration, die offenbar wieder mehrauf Institutionen als auf Coalitions of the Willing setzenwill.Man muss sich angesichts dessen die Frage stellen:Geht in der Abrüstungspolitik nicht etwas granatenmä-ßig schief? Kann es wirklich sein, dass unsere amerika-nischen Freunde die indischen Atomwaffen aus nach-vollziehbaren wirtschaftlichen und globalstrategischenErwägungen geradezu segnen?
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ch frage: Wo gibt es eine Initiative auf diesem Gebiet,amit die Abrüstungspolitik endlich wieder in Gangommt?Ich mahne, bezüglich noch manch anderer Frage eineestandsaufnahme zu machen. Wir sollten uns kritischragen: Sind wir auf dem richtigen Wege oder sollten wirurskorrekturen vornehmen? Die Situation in Polenacht mir außerordentliche Sorge. Polen ist für uns einanz besonders wichtiger Partner. Die gegenwärtig herr-chende Sprachlosigkeit muss überwunden werden.
as ist teilweise eine Generationenfrage, aber teilweiseeht es auch weit darüber hinaus.Die Bedeutung des Verhältnisses zu Russland wirdon uns überhaupt nicht unterschätzt. Ich begrüße, dasseutschland im Hinblick auf die Präsidentschaft dort ei-iges vorbereitet. Aber eine werteorientierte Außenpoli-ik muss ihre strategischen Partnerschaften natürlichuch über einen Gleichklang bei Werten definieren. Ichoffe, dass es gelingt, auch das deutlich zu machen.
Herr Kollege!
Demokratieexport durch Wahlen und Marktwirt-
chaftexport durch einen freien Markt ohne eine funktio-
ierende Rechtsordnung können auf die Dauer nicht
unktionieren. Deswegen ist es wichtig, dass man sich
ber grundlegende Werte verständigt.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir haben heute Morgen über die positiven Entwicklun-en auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft nacheun Monaten großer Koalition gesprochen. Ich möchteit einer kurzen Zwischenbilanz im Hinblick auf die
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Dr. Andreas SchockenhoffAußenpolitik beginnen. Schon vor einigen Monaten hatdie „FAZ“ dazu geschrieben – ich zitiere –:Die Bilanz positiv zu nennen wäre eine Untertrei-bung.Lassen Sie mich kurz an drei Beispielen zeigen,welch deutliche Veränderung in der Substanz es gegebenhat:Erstens. Deutschland ist wieder ein geachteter und ge-fragter Partner in der internationalen Politik. Dastiefe Misstrauen im Bündnis und in der EU ist überwun-den. Wir können wieder der politischen und wirtschaftli-chen Bedeutung unseres Landes entsprechend Einflussnehmen und unsere Interessen voll wahren.
Dafür, dass dies wieder möglich ist, möchte ich der Bun-deskanzlerin, aber auch Ihnen, Herr Außenminister, ganzbesonders danken.
Zweitens. In den transatlantischen Beziehungengibt es ein neues Vertrauensverhältnis. Weil das so ist,können wir im Dialog auch wieder unterschiedliche Auf-fassungen – selbst in sehr sensiblen Fragen – im Geisteder Freundschaft und Partnerschaft austragen, so wie esdie Bundeskanzlerin zum Beispiel im Hinblick auf dieSituation in Guantanamo öffentlich getan hat. Das warunter einem grünen Außenminister trotz aller Menschen-rechtsbekenntnisse eben nicht möglich. So sehr war dasVertrauensverhältnis zerrüttet, dass jede – auch berech-tigte – Kritik gleich als Antiamerikanismus verstandenworden wäre.
Weil dieses Vertrauensverhältnis wieder da ist, ist esder Bundesregierung gelungen, die USA in der Iranfragewieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Wie wert-voll es ist, die großen Sechs, anders als im Irakkrieg, zu-sammenzuhalten und eine Spaltung des Sicherheitsratszu vermeiden, zeigt sich gerade in diesen Tagen, in de-nen es darum geht, dem Iran auch weiterhin geschlossengegenüberzutreten.Drittens. Da wir heute über den Haushalt 2007 spre-chen, möchte ich feststellen: Es ist gut, dass diese Bun-desregierung endlich den dramatischen Personalabbauim Auswärtigen Amt stoppt und umkehrt. 683 Stellensind in den letzten Jahren abgebaut worden mit der Folge– Herr Steinmeier, Sie haben zu Recht darauf hingewie-sen –, dass die Lücke zwischen dynamisch wachsendenAufgaben und personeller Leistungsfähigkeit immergrößer wird. Das ist nicht nur für die Mitarbeiter des Au-ßenministeriums unzumutbar; es schadet auch der Wah-rung und Durchsetzung deutscher Interessen.Wir wissen, dass wir das angesichts der Haushaltslagenur sehr mühsam korrigieren können. Gleichwohl müs-sen wir uns daranmachen. Ich will Ihre Schlussbemer-kDhftßdgddIdKWAjmSitzfzdbmKWHFlIbwDlzwb
Es gibt in der deutschen Außenpolitik keine Showef-ekte mehr. Das mag manchem Beobachter weniger un-erhaltsam erscheinen, aber dafür ist die deutsche Au-enpolitik wieder seriös, berechenbar, effizient undeshalb auch erfolgreich geworden.
Wenn wir in unserer Bevölkerung eine möglichstroße Unterstützung für die Entscheidung finden wollen,eutsche Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden,ann müssen wir deutlich machen, was dabei deutschenteressen sind. Was also sind unsere Interessen?Erstens. Wir haben ein klares Sicherheitsinteresse,ass die Region befriedet und stabilisiert wird. Jederonflikt dort hat unmittelbare Auswirkungen auf uns.ie nahe die Bedrohung sein kann – auch dazu hat derußenminister schon Stellung genommen –, haben alsüngstes Beispiel die Verhaftungen im Zusammenhangit den geplanten Kofferbombenattentaten gezeigt.Zweitens. Wir haben ein klares Interesse an dericherung des Existenzrechts Israels. Ich möchte in Er-nnerung rufen, was wir im Bundestag am 12. Mai letz-en Jahres mit großer Mehrheit beschlossen haben – ichitiere –:Der Deutsche Bundestag bekräftigt erneut, dass dasRecht der Bürger Israels, in sicheren Grenzen freivon Angst, Terror und Gewalt leben zu können, füruns einen elementaren Bestandteil der Solidaritätund Freundschaft darstellt.Es war richtig und gut, finde ich, dass wir das damalsast einstimmig beschlossen haben. Jetzt geht es darum,u zeigen, dass dies nicht nur Sonntagsreden sind, son-ern dass wir auch einen konkreten Beitrag leisten. Mitesonderem Blick auf unsere historische Situation ist derilitärische Beitrag zur Überwachung der libanesischenüste angemessen, damit nicht wieder auf dem Seewegaffen, Raketen oder anderes militärische Gerät an dieisbollah geliefert wird.Herr Westerwelle hat die ablehnende Haltung seinerraktion geradezu als Staatsräson bezeichnet. Liebe Kol-eginnen und Kollegen von der FDP, das Mandat zuSAF haben Sie 2001 und 2002 mit beschlossen. Sie ha-en es 2003 und 2004 abgelehnt. 2005 haben Sie dannieder zugestimmt.
ie Operation Enduring Freedom, verehrter Herr Kol-ege Hoyer, haben Sie 2001 abgelehnt. 2002 haben Sieugestimmt. 2003 haben Sie erneut abgelehnt und 2004ieder zugestimmt. So viel zur Berechenbarkeit der Li-eralen in der Außen- und Sicherheitspolitik.
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Dr. Andreas Schockenhoff
Im Übrigen: Herr Hoyer, Sie haben das wiederholt,was auch der Kollege Westerwelle heute Morgen ge-macht hat. Wenn Sie Ihre ablehnende Haltung damit be-gründen, bei dem vorgesehenen deutschen Beitrag könnees zu einem Feuergefecht zwischen deutschen und israe-lischen Soldaten kommen, dann müssen Sie schon ein-mal ganz konkret erklären, wie Sie das meinen und wieSie sich das vorstellen. Das haben Sie bisher nicht getan.Wenn Sie das nicht können, Herr Kollege Hoyer, dannsind abstrakte Spekulationen über eine militärische Aus-einandersetzung zwischen Deutschland und Israel si-cherlich kein Beitrag, in Israel das Vertrauen zu erzeu-gen, von dem Sie zu Recht gesprochen haben.
Drittens liegt es eindeutig nicht in unserem Interesseund auch nicht im Interesse der meisten Staaten der Re-gion, dass der iranische Präsident in der arabischenWelt an Popularität gewinnt, weil er dort als ein Führererscheint, der dem Westen die Stirn bietet. Es ist unserInteresse, dass durch bessere Regierungsführung undstabile Institutionen eine Grundlage geschaffen wird, aufder Pluralismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Men-schenrechte und Wohlstand entstehen und wachsen kön-nen. Dies mit einem differenzierten und sensiblen An-satz zu fördern, ist ein mühsamer Prozess, der langenAtem braucht. Aber er ist, wie die Erfahrung gezeigt hat,mit Sicherheit erfolgversprechender als lautstarke Rufenach schnellen Wahlen oder der Versuch, unliebsameRegierungen zu destabilisieren und zu schwächen.Viertens haben wir ein vitales Interesse daran, staat-liche Strukturen zu stärken. Denn wenn die Menschendie Erfahrung machen, dass der Staat ihnen Sicherheit,Wohlfahrt und Rechtsstaatlichkeit bietet, werden sie sichauch an staatlicher Politik und nicht an konfessionellenOrganisationen wie Hisbollah, Hamas oder Muslimbrü-dern orientieren. Zum anderen ist mit schwachen Staatenkeine verlässliche wirtschaftliche oder politische Part-nerschaft möglich; noch weniger lassen sich mit ihnenregionale Sicherheitsstrukturen aufbauen.Fünftens haben wir ein Sicherheitsinteresse an einerRegelung des Nahostkonfliktes. Die Wiederbelebungdes Nahostfriedensprozesses steht in unmittelbarerWechselwirkung mit der Befriedung im südlichen Liba-non und damit auch mit der Unterbindung der Waffenlie-ferungen an die Hisbollah.Sechstens haben wir aufgrund des Engagements vie-ler deutscher Unternehmen ein berechtigtes wirtschaft-liches Interesse an der Befriedung der Region.Was ist zu tun? Die Resolution 1701 nennt indirektdie Voraussetzungen für einen stabilen Frieden und da-mit die Ziele im Libanon: einen Libanon ohne die waf-fenstrotzende Hisbollah, einen Libanon außerhalb desEinflusses Syriens oder Irans, einen Libanon befreit ausddsHbvtuAgsheddSBrulRbDdsdetdIhtspFdetkwIwWssbnwz
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und durch die Umsetzung des Abkommens über Bewe-gung und Zugang, um in den palästinensischen Gebietendie Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung undein annähernd normales Leben zu schaffen.
Nicht nur um den Waffenschmuggel über die syrisch-libanesische Grenze zu unterbinden, ist es notwendig,Syrien in die Stabilisierungsbemühungen mit einzube-ziehen.
Im Gegensatz zum Iran ruft Syrien nicht zur ZerstörungIsraels auf. Wiederholt haben sich die Syrer für eineRückkehr an den Verhandlungstisch ausgesprochen. Esist zu hoffen, dass die Syrer über die Unterbindung ille-galer Waffenlieferungen hinaus einen überzeugendenBeitrag zur Stabilisierung der Region leisten. Wenn diesder Fall ist, sollte das Assoziierungsabkommen mit derEU, das ein wichtiger Anreiz zur ökonomischen Stabili-sierung des Landes ist, in Kraft gesetzt werden.Zusammengefasst heißt das:Erstens. Für die Befriedung der Region gibt es die Li-banonresolution 1701 und die Roadmap. Diese müssenin vollem Umfang angewendet werden. Nur dann wirdauch Vertrauen zwischen den Konfliktparteien entstehenkönnen.Zweitens. Für die Existenz Israels ist es wichtig, bere-chenbare Partner auf der anderen Seite zu haben. Des-halb liegt es im Interesse Israels, dass die RegierungSiniora stabil bleibt.Drittens. Solange es in der Region keine AkzeptanzIsraels gibt, wird es auch keine Befriedung geben. DasZiel bleibt die Existenz zweier souveräner, lebensfähigerund demokratischer Staaten Israel und Palästina, verbun-den in gemeinsamer Sicherheit und garantiert durch dieinternationale Gemeinschaft.Hierzu müssen und wollen wir unseren Beitrag leis-ten.Das alles zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dienächsten Jahre werden nicht die Zeit großer gestalteri-scher Visionen, sondern eine Periode harter Arbeit sein,die uns klare Zielvorstellungen, viel Geduld, ein sen-sibles Vorgehen und diplomatisches Geschick abverlan-gen wird.Das gilt auch für die Beziehungen zum Iran.Es ist besorgniserregend, mit welcher Arroganz derIran sich gegen die internationale Gemeinschaft stelltund deren Besorgnisse ignoriert. Auch wenn der Iranzum wiederholten Male gesagt hat, er wolle die Atom-energie nur zu friedlichen Zwecken nutzen, haben wirüberhaupt kein Vertrauen in solche Aussagen. Denn waswpPaiIefUrbzwRAssdswznSaPctwdneEpcksiKawlanKGv„tnu
nser Ziel muss bleiben, dass der Iran die Urananreiche-ung nachprüfbar stoppt.Deshalb ist es wichtig, dass die Sechs geschlossenleiben, um mit diplomatischem Druck auf den Iran ein-uwirken. Dafür sehe ich nach wie vor gute Chancen, so-ohl mit Blick auf die USA wie auch mit Blick aufussland. Auch die Russen wollen keine Mullahs mittomwaffen in ihrer Nachbarschaft – das ist das ent-cheidende gemeinsame Interesse –, und auch die Rus-en wollen sich in ihrer Autorität als ständiges Mitgliedes Sicherheitsrates nicht als Papiertiger düpieren las-en. Das sollte der Iran nicht übersehen.Die Tür zu Verhandlungen steht noch offen, selbstenn im Sicherheitsrat begonnen wird, über Sanktionenu reden. Aber – auch hier will ich dem Außenministerachdrücklich zustimmen – wir brauchen belastbareignale des Entgegenkommens.Meine Damen und Herren, wie mein Vorredner willuch ich zum Abschluss ein Wort zu unserem Nachbarnolen sagen. Es gab in der letzten Zeit an verantwortli-her Stelle in Polen Äußerungen zu Deutschland, die deratsächlichen Situation in unserem Land nicht gerechterden. Bei aller Sorge über solche Äußerungen war esennoch klug, darauf nicht öffentlich zu reagieren; denniemand hier hat ein Interesse an einer Eskalation und aniner Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses.s gibt zu viele Herausforderungen, bei denen wir Euro-äer Geschlossenheit und gegenseitiges Vertrauen brau-hen, als dass wir uns einen unnötigen Streit leistenönnten. Wenn aber dem Bundespräsidenten vorge-chrieben wird, wo er auftreten darf und wo nicht, dannst das für uns inakzeptabel und bedarf der öffentlichenommentierung.
Der Bundespräsident hat am Tag der Heimat eine sehrusgewogene Rede gehalten. Es wäre zu wünschen ge-esen, dass der polnische Ministerpräsident dazu Stel-ung bezogen hätte. Denn der Bundespräsident hat dazuufgerufen, die in Polen bestehenden Sorgen ernst zuehmen, gerade weil wir sie für unbegründet halten.eine ernst zu nehmende Kraft in Deutschland wolle dieeschichte umschreiben, wolle Ursache und Wirkungerdrehen. Wörtlich sagte der Bundespräsident, dass eskeinen Zweifel“ daran gebe, „dass das nationalsozialis-ische Unrechtsregime und der von Deutschland begon-ene Zweite Weltkrieg auslösende Ursache von Fluchtnd Vertreibung“ gewesen seien.
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Dr. Andreas SchockenhoffIch bin mir sicher, dass der polnische Ministerpräsi-dent an diesen Worten nichts auszusetzen hat. Umso un-verständlicher ist es dann aber, dass er wortwörtlich sagt,es bestehe „in Deutschland eine große, vom Staat unter-stützte Struktur, die ständig die Frage der polnischen Ge-biete anspricht, die einst zum Deutschen Reich gehörthaben“. Das ist falsch und kann nur zu einer Eskalationführen, die wir vermeiden sollten.Ich sage noch einmal: Deutschland und Polen habenso viele gemeinsame Anliegen, die sie in der Europäi-schen Union durchsetzen wollen, nicht zuletzt eine neueEU-Ostpolitik insbesondere gegenüber der Ukraine undWeißrussland. Hierauf sollten wir unsere Arbeit und un-sere Emotionen konzentrieren.Meine Damen und Herren, die Außen- und Sicher-heitspolitik der Bundesregierung orientiert sich klug andeutschen Interessen. Sie kann sich dabei auf die Unter-stützung der CDU/CSU-Fraktion verlassen.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche,
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenHerren und Damen! Herr Steinmeier, ich darf mich anSie wenden. Sie haben Recht, wenn Sie heute auf den11. September 2001 verweisen. Aber sind nicht fünfJahre nach dem Terroranschlag nahezu alle Beweise er-bracht, dass der Kampf gegen den Terror nicht mit Kriegzu gewinnen ist?
Das sieht man deutlich in Afghanistan. Über die Situa-tion dort ist zu sagen: Dies ist mit Waffen nicht zu schaf-fen. Schauen Sie sich den Irak an: Die innenpolitischeSituation ist einfach grauselig.Ich will auf den Libanon zu sprechen kommen. Am12. Juli entführte die Hisbollah zwei israelische Solda-ten. Stunden später antwortete Israel mit Krieg. Israelschlug mit einer militärischen Härte zu, die erschüttert.Israels Ziel: die Hisbollah zu zerschlagen. DiesesKriegsziel wurde verfehlt.Wir hegen keinerlei Sympathie mit der Hisbollah. DieHeimtücke der Anschläge durch Raketen der Hisbollah,aber auch das Ausmaß der Kriegsführung Israels veran-lassten uns Linke sofort zu einer zentralen Aussage: DieWaffen müssen schweigen; eine Konferenz für Friedenist einzuberufen.
Aber wollte die Regierung das? Ich denke, eher nein.Weder die Frau Bundeskanzlerin noch Sie, Herr Außen-minister Steinmeier, haben Ihre Ämter dazu genutzt, sichvheVrsslDcnnIcrScswAujsdsdilgRtdLseKatufngvDhC
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Sonst hat er keine Autorität, um gegen die Hisbollahvorzugehen und sie auf friedliche Weise in die Gesell-schaft zu integrieren.Wir haben also eine neue Lage. Die Eilfertigen in derRegierung, die sofort nach maritimer Präsenz gerufenund die gesamte Situation völlig unterkomplex behan-delt haben, haben sich meines Erachtens kräftig bla-miert. Lassen Sie also alle Pläne fallen, deutsche Schiffedorthin zu schicken! Machen Sie Berlin zum Austra-gungsort für eine Konferenz für Sicherheit undZusammenarbeit im Nahen Osten. Das ist meinesErachtens die anspruchsvollste Aufgabe, derer sichDeutschland angesichts seiner Geschichte in diesem Kri-sengebiet annehmen kann. Stellen Sie in das Zentrumdieses politisch-diplomatischen Bemühens die Kulturdes Dialogs, die Sicherheitsinteressen Israels und dasRecht der Palästinenser auf einen eigenständigen lebens-fähigen Staat. Denn neben den Folgeproblemen des Li-banonkrieges gleicht das Leben in Gaza dem in derApartheid. Solange hier nicht Recht und Friede einkeh-ren, gewinnt Israel keine Sicherheit.
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberFrank Steinmeier, ich habe eben genau hingeschaut, alsIhr Koalitionspartner Herr Schockenhoff gesprochen hat.Sie haben dabei ungefähr so ausgesehen wie FrauMerkel heute Morgen, als Fritz Kuhn gesprochen hat:leidend,
leidend angesichts von Formulierungen, mit denen ver-sucht werden sollte, Sie in einen Gegensatz zu IhremAmtsvorgänger zu bringen.
Deswegen will ich an dieser Stelle eines ganz deutlichsagen, lieber Herr Schockenhoff: Diejenigen, die die Au-ßenpolitik des damaligen Bundeskanzlers Schröder undvon Joschka Fischer als antiamerikanisch bezeichnet ha-bhInhwKSuhsaSaeheaAggBdFGretrmdavsebwDddckwsDkcdvKfRf
Lieber Frank Steinmeier, ich hätte mir gewünscht, dieeutige Debatte hätte den Raum dafür gelassen, die Vi-ion zu entwickeln, die Sie angekündigt haben. Aberuch da stehen Sie im Widerspruch zu Herrnchockenhoff, der gesagt hat, jetzt sei Durchwursteln,ber keine Visionen angesagt. Sie haben eine Vision fürine neue Ostpolitik angekündigt. Dieses Hohe Hausätte gerne einmal gehört, was sich hinter dem Begriffiner neuen Politik gegenüber Russland verbirgt, was danders werden und was beim Alten bleiben soll. Einentwort darauf sind Sie uns heute, wie gesagt, schuldigeblieben.Schuldig geblieben sind Sie uns auch die Vorstellun-en der Bundesregierung – das ist viel ernster – mitlick auf die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahres nächsten Jahres. Da gibt es eine ganze Reihe vonragen, die zu thematisieren wären. Ich erwähne nur einesetzgebungsvorhaben: Wie wird sich die Bundes-egierung in der Debatte um eine Energiestrategie undine Energiesicherheitsstrategie dieses Europas posi-ionieren? Oder wollen Sie auch in Europa das auffüh-en, was wir hier im Lande tagtäglich präsentiert bekom-en, nämlich die Inszenierung von Zerrissenheit, dieadurch gekennzeichnet ist, dass der eine Minister nichtsnderes im Kopf hat als die Verlängerung der Laufzeitenon Kernkraftwerken, während der andere Minister ver-ucht, eine rationale, ressourceneffiziente und an Erneu-rbarkeit orientierte Energiepolitik zu machen? Sie ha-en auch dazu geschwiegen.Sie haben auch zu Ihren Vorstellungen geschwiegen,ie man die institutionelle Blockade überwinden kann.as ist keine Diskussion über einen abstrakten Begriff,ie man im Seminar führen kann. Es ist eine Tatsache,ass es ohne eine Auflösung der institutionellen Blo-kade der Europäischen Union keine Perspektive, aucheine Friedensperspektive für den Balkan geben wird,eil schlicht und ergreifend weitere Beitritte ausge-chlossen wären. Auch dazu haben Sie geschwiegen.as finde ich fatal.Ich will noch auf einen weiteren Punkt zu sprechenommen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, wel-he wichtige Rolle Europa heute zukommt, wenn es umen Umgang mit Krisen und insbesondere mit Krisenor unserer Haustür geht. Ich nenne beispielsweise denonflikt zwischen Israel und Libanon. Da stellen wirest: Die Europäische Union spielt zwar eine positiveolle, sie ist aber in dieser Situation nicht so handlungs-ähig, wie es notwendig wäre. Wir haben keinen euro-
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Jürgen Trittinpäischen Außenminister; wir haben Javier Solana undFrau Ferrero-Waldner.Wir haben häufig eine sehr verzögerte Handlungsfä-higkeit. Das sage nicht ich, sondern es war der amtie-rende finnische Ratspräsident, der beklagte, dass es nichtgelungen sei, Ende Juli und in den ersten Augusttageneine gemeinsame Position des Rates für einen sofortigenWaffenstillstand zu verabschieden. Das zeigt, dass derZustand innerhalb der EU nicht überwunden worden ist,der schon den G-8-Gipfel geprägt hat. Dort ist die Forde-rung der Vereinten Nationen, sofort in einen beidseitigenWaffenstillstand einzutreten und ihn durch eine interna-tionale Schutztruppe abzusichern, am Widerstand derUSA gescheitert.Es ist zwar schön, dass Sie am Ende eine Vereinba-rung erreicht haben; da gibt es Verdienste gerade desdeutschen Außenministers. Aber angesichts dieser Zö-gerlichkeit frage ich Sie: Was wäre eigentlich anders ge-wesen, wenn man bereits am 19. Juli dazu gekommenwäre, die Waffen zum Schweigen zu bringen und ent-sprechende Truppen zur Verfügung zu stellen; ohnediese Truppen geht es nämlich nicht?
– Danke, dass Sie dafür applaudieren.
– Ich glaube, dass viele von Ihnen wissen, dass ich dies-bezüglich Recht habe.Was wäre der Unterschied gewesen? Der Krieg hätteweniger Menschen das Leben gekostet und es wäre we-niger zerstört worden. Alles andere war zu diesem Zeit-punkt schon offensichtlich, vor allen Dingen die Tatsa-che, dass der Versuch, die Hisbollah militärisch zuschlagen, ein aussichtsloses Unterfangen ist, weil es sichnämlich nicht um ein rein militärisches Problem handelt.Leider hat die Weigerung der G-8-Staaten, frühzeitigzu handeln, diesen Krieg meines Erachtens unnötig ver-längert. Dann ist es aber gelungen, ihn zu beenden. Andieser Stelle will ich anmerken, dass ich sehr deutlichsehe, dass sich Deutschland alle Mühe gibt, dieses Pro-blem in einen politischen Prozess einzubinden.Die Agenturen haben heute gemeldet, Frau Merkelhabe gesagt, man brauchte mehr Geld für die Bundes-wehr. Dazu sage ich mit Verlaub: Strukturiert die Bun-deswehr erst einmal um und modernisiert sie; haltetnicht länger am Alten fest und finanziert nicht das Neuemit zusätzlichem Geld. An einem solchen Tag mussdoch die Frage erlaubt sein, ob die Zusage Deutschlands,von den 730 Millionen Euro Soforthilfe für den Libanon22 Millionen Euro, also nicht einmal 3 Prozent, zu über-nehmen, der politischen Rolle Deutschlands eigentlichangemessen ist. Ich finde, nicht.
Der Friedensprozess im Libanon wird meines Erach-tens – das unterscheidet mich von den Mitgliedern derbeiden anderen Oppositionsfraktionen – nur dann erfolg-rUMwDgggPPrlgddihuaffIwgvsgSsndfFImsTcatdddSdlsKnnU
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Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Trittin, am Anfang
Ihrer Rede haben Sie den Außenminister ein wenig kriti-
siert. Ich möchte ganz deutlich sagen: Im ersten Mo-
ment, als der Krieg von Hisbollah auf Israel angefacht
worden war, hat der Außenminister, als die Reaktion aus
Israel kam, sofort gehandelt. Er hat die Region besucht.
Er war in Israel und Jordanien. Er hat versucht, mit
Syrien zu sprechen. Er war überall in der Region und hat
versucht, Fäden anzuknüpfen, wodurch die UN-Resolu-
tion 1701 erst in Kraft gesetzt werden konnte. Wie kann
er denn anders handeln, als zu versuchen, dagegen, dass
alle anderen sich unilateral verhalten, das heißt, auf ihre
eigene Kraft und Stärke setzen, ein multilaterales,
internationales Konzept zu stellen? Das hat er ge-
macht. 1701 ist nicht zuletzt deswegen zustande gekom-
men, weil er so unermüdlich dafür gekämpft hat. Lieber
Kollege Trittin, das ist nicht zu vergessen.
So etwas dauert nun einmal seine Zeit. Wir haben
doch gesehen, wie es in New York gelaufen ist. Jeder
von uns hat gesehen, wie die Schockstarre in Europa nur
Schritt für Schritt überwunden werden konnte. Ich
möchte ein Land nennen, das sich mit der Konferenz in
Rom zur Libanonkrise wirklich an die Spitze gestellt hat.
Italien hatte den Mut, sich als erstes Land deutlich zu
positionieren und zu sagen: Wir schicken unsere Solda-
ten im Rahmen des UNIFIL-Mandats sogar in den Liba-
non selbst. Ich finde, dass gerade Europa mit diesem
Moment zeigt, dass es bereit ist, gemeinsam zu handeln.
Der Anfang wurde von Frank-Walter Steinmeier ge-
macht. Dafür danken wir.
C
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ber, lieber Kollege Gehrcke, er sagt: Unser Problem im
ibanon ist, dass wir einen schwachen Staat haben; wir
assen uns entwaffnen, wenn der libanesische Staat stark
ird. Sind das nicht Anzeichen dafür, dass in der gesam-
en Region ein Nachdenken eingesetzt hat? So schlimm
ieser Krieg, diese 33 Tage und Nächte, auch waren,
etzt besteht wirklich die Chance, einen neuen Prozess
inzuleiten. Die UN-Resolution 1701 kann der Anfangs-
unkt dafür sein, dass dieser neue Prozess eine stabile
rundlage findet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Gehrcke?
Bitte.
Herr Kollege Weisskirchen, Ihre Feststellung, die ichehr vernünftig finde, kann ich nur unterstreichen. Ichrage Sie: Wenn sich selbst bei der Hisbollah der Ton än-ert, die Beurteilungen kritischer werden und man kei-en Siegesjubel anstimmt wie damals, als Israel aus demüden Libanons ausmarschiert ist bzw. als man Israelngeblich aus dem Süden Libanons vertrieben hat – Sieennen diese Töne –, wäre es dann nicht vernünftig undngemessen, wenn auch wir unseren Ton gegenüber die-en politischen Kräften ändern und auf einen Dialog set-
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Wolfgang Gehrckezen, um diese Entwicklung zu bestärken, statt, wie in derVergangenheit, nicht mit den Verantwortlichen zu reden?
Herr Kollege Gehrcke, ich würde Ihnen gerne glau-
ben. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, wie
zerklüftet das Land Libanon ist. Dort gibt es quasi-staat-
liche Strukturen, die sich mit Terror identifizieren lassen
und die vielleicht sogar die Ursache dafür sind, dass die
Probleme, die Israel jetzt militärisch beantwortet hat, so
sehr haben wachsen können.
Wenn Nasrallah in der Tat beginnt, sich politisch zu
verhalten, wenn er nicht versucht, auf die militärische
Karte zu setzen, und wenn er beginnt, darüber nachzu-
denken, ob Israel nicht doch ein Existenzrecht in der Re-
gion hat, damit seine Bürger in gesicherten Grenzen le-
ben können, statt ständig durch terroristische Angriffe
bedroht zu werden, dann, so meine ich, könnte hier ein
neuer Friedensprozess beginnen. Niemand wäre darüber
glücklicher als wir.
Ich finde es gut, dass Kurt Beck gesagt hat: Am Ende
eines solchen Prozesses brauchen wir so etwas wie eine
KSZE,
eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, wie
wir sie aus Europa kennen. Wir brauchen eine Nachbar-
schaft, bei der der eine Nachbar dem anderen Nachbarn
ein guter Nachbar ist. Das haben wir in Europa gelernt.
Warum sollte das nicht auch in dieser Region möglich
sein? Dafür kämpfen wir und dafür ist die UN-
Resolution 1701, wie ich finde, ein guter Anfangspunkt.
Nun, Kollege Gehrcke, komme ich auf den prakti-
schen Teil zu sprechen: Wenn es um das Mandat geht,
das zur Sicherheit auch durch Militär geschützt werden
muss, dann dürfen Sie sich nicht verweigern. Denn da-
durch würde die Art und Weise, wie Sie sich jetzt verhal-
ten, unglaubwürdig. Man kann nicht das eine wollen und
zum anderen Nein sagen. Das geht nicht. Auch das ge-
hört dazu.
Was die Frage betrifft, ob es einen Siegesrausch gebe,
empfehle ich Ihnen, lieber Kollege Gehrcke: Schauen
Sie sich die öffentliche Debatte bis in die Knesset und in
die Regierung hinein in Israel genau an. Dort gibt es kei-
nen Triumphalismus, vielleicht besteht dort sogar aus
der Sicht Kadimas die Gefahr, dass die Partei zerbrö-
ckelt. In der „Ha’aretz“ von heute wird ein Artikel über-
schrieben: Bye-bye Kadima. – Auf Wiedersehen
Kadima.
Was war denn der neue Konsens, nachdem Netanjahu
damals gesagt hat: Wir haben keinen Partner, deswegen
müssen wir unilateral handeln? Der Konsens bestand da-
rin, dass die Linke in Israel gesagt hat – Sie kennen die
Debatte –: Wir gehen raus aus den besetzten Gebieten.
Die Rechte hat gesagt: Wir können nur unilateral heraus-
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Das zu bedenken, gehört zu wirkungsvoller Politik,wenn neben der Stationierung von Soldaten am Ende et-was herauskommen soll. Jeder von uns weiß: DieHamas ist eine Organisation, die zu terroristischen Mit-teln gegriffen hat und auch gegenwärtig greift. Jederweiß, dass sie eine zutiefst soziale Verankerung hat. Egalaus welchem Grund: Jeder von uns weiß, dass sich diePalästinenser in den besetzten Gebieten zutiefst verletztgefühlt haben – auch die Israelis haben sich verletzt ge-fühlt – durch die terroristischen Angriffe. Aber wahr ist,dass in Gaza die soziale Lage der Palästinenser verbes-sert werden muss und dass Israel einen großen Beitragdazu leisten muss. Sonst werden auch Tausende von Sol-daten nicht helfen können, die Region zu stabilisieren.DfsrFgotbSmtnagwtdmsngJrbFsAKnsAupnsUtRdfnAmtsd
as muss man gegenüber dieser Region offen sagen dür-en.Wer von den großen Staatsmännern der Welt kannchon sagen, wie Russland und China am Ende reagie-en, nicht nur hinsichtlich Irans, sondern auch, was dieinanzierung der Hisbollah durch Iran und Syrien an-eht. Russland und China zeigen uns bisher nur, dasshne sie international nichts zu erreichen ist. Wir erwar-en aber, dass mit ihnen etwas gelingen kann. Beide ha-en erklärt, nach ihrer Überzeugung bräuchte man keineanktionen, sie seien in der Lage, das mit einem – wiean das neudeutsch nennt – Containment zu einem gu-en Ende zu bringen. Dann muss einmal ernsthaft mit ih-en gesprochen werden, dass sie uns das zeigen. Ich höreber von keiner internationalen Konferenz, dass so etwaseschehen würde. Dass Verschwiegenheit und eine ge-isse Konferenzsprache zu den Gepflogenheiten der in-ernationalen Diplomatie gehören, ist jedem klar. Aberas darf nicht dazu führen, dass überhaupt kein Wortehr an die Öffentlichkeit dringt, wie das Problem tat-ächlich gelöst werden kann. Israel erweitert jetzt mit ei-igen Baumaßnahmen seine Siedlungen wieder. Der Re-ierungschef erklärt: Ob man bei der Westbank imahre 2010 reagieren könnte, sei noch höchst fraglich.Wir haben es zur Staatsräson gemacht, das Existenz-echt Israels zu schützen. Dabei bleibt es. Aber wir ha-en die eindringliche Bitte an unsere israelischenreunde, es uns nicht so schwer zu machen, ihnen beizu-tehen!
uch das gehört zu einer offenen Aussprache hierher.Die bisherigen Erfolge und Bewertungen, die meinollege Hoyer angesprochen hat, will ich mangels Zeiticht mehr ausführen.Eine nüchterne Überprüfung der militärischen Ent-endung zeigt uns, dass wir sie am Balkan und auch infghanistan und anderswo weiter brauchen. Sie zeigtns aber eben auch – das ist mein Eindruck –, dass dieolitische Mühsal der entsprechenden Ebenen gewaltigachlässt, wenn in den Hauptstädten dieser Welt die Ent-cheidung, Militär zu entsenden, getroffen worden ist.nsere amerikanischen Freunde entsenden gerne Solda-en, aber ihre politische Anstrengung, in einer Regionahmenbedingungen zu schaffen, durch die das Lebener Menschen verbessert wird, und dafür Verbündete zuinden, ist etwas geringer ausgeprägt. Wir sollten unsicht daran gewöhnen, dass sich die einzige deutschentwort, die diskutiert wird – das war in diesem Fall be-erkenswert; jeden Tag wurde ja diskutiert, wie der Bei-rag aussehen könnte –, darin erschöpft. In diese Gefahrollten wir nicht kommen.Deshalb werbe ich für ein Bewusstsein bei uns allenafür – das ist insbesondere denjenigen gegenüber vor-
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Dr. Wolfgang Gerhardtzutragen, die jetzt entsenden wollen –, dass nicht einEntsendebeschluss gefällt wird und dann wieder Funk-stille in Sachen Beitrag zur entscheidenden politischenLösung in der Region herrscht. Wer entsendet, muss sichhinterher umso mehr um einen politischen Beitrag be-mühen. Mein Eindruck heute ist leider, dass die Haupt-städte dieser Welt diesen Beitrag zur Lösung der Grund-probleme nicht leisten. Das Israel-Palästina-Problem istfast ein symbolhaftes Beispiel, aber es kreiert nicht dasÜbel aller Welt. Alle anderen Beziehungen werden da-durch aber so schwierig. Das Problem muss im Kern ge-löst werden. Dafür wäre jetzt der Zeitpunkt.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich höre sofort auf. – Ich glaube, ich bin verstanden
worden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-gen! Es ist heute bereits viel über die Frage gesprochenworden, inwieweit es gerechtfertigt und geboten ist, UN-Friedenstruppen in den Libanon zu entsenden. Deswe-gen will ich mich schwerpunktmäßig auf die Entwick-lung der Europäischen Union und auf das, was dort inder nächsten Zeit wichtig ist, konzentrieren.
Lassen Sie mich vorneweg aber eine Anmerkung zumThema Libanon machen. Ich war heute Morgen etwasüberrascht, als von Kollegen aus der Opposition der Ein-druck vermittelt worden ist, dass sich die Bundesregie-rung geradezu darum gerissen hat, ein entsprechendesMandat zu erhalten. Ich glaube, wer das behauptet, derwird der Situation nicht gerecht. Alles andere ist nämlichrichtig: Zutreffend ist, dass wir uns der dortigen Situa-tion nicht entziehen können und dass wir auch und ge-rade im wiedervereinigten Deutschland bereit sein müs-sen, bestimmte Vorhaben in der Weltgemeinschaftmitzutragen.Ich verbinde das auch mit einer persönlichen Situa-tion. Als ich dem Bundestag noch nicht angehört habe,habe ich immer relativ schnell für mich entschieden,dass es richtig und klug ist, dass der Bundestag entspre-chend entscheiden wird. Beim Mandat für den Kongohatte ich zum ersten Mal selbst darüber zu entscheidenund ich rede bewusst nicht von einer Verlängerung vonAufträgen. Ich habe mir sehr viele Gedanken gemachtuedwwscSdlEndMdewiwpLtEEnhakatrzaDGsDRtwfvbGtdwdSstmf
Ich möchte aber an dieser Stelle dem Minister für Fi-anzen, Herrn Steinbrück, Dank sagen, der es geschafftat, die Maastrichtkriterien einzuhalten. Aber ich sageuch: Wer lobt, kann auch einmal eine kritische Anmer-ung machen. Ich halte es für nicht besonders klug unduch nicht für richtig, dass man die Europäische Zen-ralbank, die aus meiner Sicht in den vergangenen Jah-en durch ihre große Weitsicht, Vorsicht und Umsicht ge-eigt hat, dass sie einerseits dem Wirtschaftswachstum,ndererseits aber auch der Stabilität gerecht wird, warnt:ie Europäische Zentralbank sollte eine nicht zu straffeeldpolitik betreiben.Es ist angesprochen worden: Der Regierungsstil hatich gerade in der Außen- und Europapolitik verändert.eshalb glaube ich, dass wir gute Chancen haben, dieatspräsidentschaft im nächsten Jahr positiv zu gestal-en. Es gibt eine Vielzahl von Themen: von illegaler Zu-anderung über die Frage Energiesicherheit, Bekämp-ung des internationalen Terrorismus bis hin zum Abbauon Bürokratie. Das bedeutet für mich weniger den Ab-au von Personal, sondern den Abbau einer Vielzahl vonesetzen, Verordnungen und Richtlinien, die ihre Funk-ion in dieser Form nicht erfüllen.Ein ganz zentrales Thema wird sein: Gelingt es dereutschen Ratspräsidentschaft, den Verfassungsvertragieder anzuschieben, ihn so zu beleben und zu bewegen,ass es endlich zu einer positiven Entscheidung allertaaten zu diesem Verfassungsvertrag kommt? Ich weißehr wohl, dass einige Punkte in diesem Verfassungsver-rag als nicht so gut gelungen gelten können. Aber manuss sich immer wieder vergegenwärtigen: Dieser Ver-assungsvertrag wurde nicht nur zwischen den Parteien
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Ingo Schmitt
mit ihren ganz unterschiedlichen Auffassungen ausge-handelt, sondern letztlich waren daran 28 Staaten betei-ligt, die ganz unterschiedliche Ausgangspositionen, auchpolitisch unterschiedliche Traditionen und unterschiedli-che Staatsaufbauten haben.Wenn man all das berücksichtigt, so kommt man zudem Schluss, dass dies ein gelungener Vertrag ist.Schließlich werden dadurch wesentliche Ziele erreicht.Zunächst einmal wird der Vertrag von Nizza abgelöst,von dem wir alle wissen, dass er nicht gelungen war. Wirschaffen eine transparente und klare Kompetenzrege-lung. Der Menschenrechtskatalog wird in Kraft gesetztwerden. Wir würden damit auch ernsthaft – das ist ge-rade in der heutigen Debatte ein wichtiges Thema – ineine verbindliche gemeinsame Außenpolitik einsteigen.Es gibt natürlich auch Defizite, die wir in den nächs-ten Jahren angehen müssen. Ein Defizit dieser Verfas-sung war, dass man bestimmte Teile ausgeklammert hat.Wir sind längst weg von der Wirtschaftsgemeinschaftund haben uns – wie wir das alle wollten – zu einer Poli-tischen Union entwickelt. Das ging mal schneller, mallangsamer und mal war es ein schleichender Prozess.Wir wissen aber bis heute nicht – darüber diskutiert kei-ner laut, es sei denn im wissenschaftlichen Bereich –,was das Ziel sein soll.Wir sitzen in einem Zug und wir fahren in eine Rich-tung, aber wir wissen nicht, welches der Endbahnhofsein soll. Auch wissen wir nicht, wer während der Fahrtunter welchen Voraussetzungen zusteigen darf. Ich fragealso: Wie weit kann sich Europa erweitern? Wo solltendie natürlichen Grenzen sein? Die Frage, wohin dieFahrt mit wem geht, muss irgendwann einmal diskutiertund als Vision festgelegt werden. Was in 40 oder50 Jahren sein wird, sei dahingestellt.
Für mich gehört dazu auch die Frage, Herr Minister:Wie gehe ich mit den Anrainern um? Sie haben da dasentsprechende Signal gegeben. Beide Themenbereichemüssen miteinander kombiniert werden. Gleiches giltfür die Frage, wie die EU zukünftig mit Russland um-geht. Von daher gibt es in dem Jahr der Ratspräsident-schaft viele Chancen. Ich bin zuversichtlich, dass dieseBundesregierung diese Chancen auch aufgrund der vor-genommenen Klimaverbesserungen nutzen wird.Nichtsdestotrotz sollten wir neben dem halben Jahr, dasvor uns liegt, die großen Themen, die für die Gestaltungdieses Kontinents von Bedeutung sind, nicht aus denAugen verlieren, sondern irgendwann den Dialog da-rüber beginnen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich, Fraktion
Die Linke.
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Er begünstigt den europaweiten Sozialabbau und erhebtdie Militarisierung der EU in den Rang einer Verfas-sungspflicht.Wir wollen eine neue Debatte anschieben. Wir brau-chen eine neue verfassungsgebende Versammlung,weil der Zivilgesellschaft mit der außerparlamentari-schen Bewegung ein Neustart für die europäische Ver-fassung gelingen muss. Wir brauchen ein Europa, dasdemokratisch, friedvoll und sozial ist und eine ökologi-sche und solidarische Gemeinschaft darstellt. Wir wollenkeinen europäischen Superstaat, sondern einen Verbundeuropäischer Staaten und Völker auf der Basis desGleichheitsgrundsatzes und des Selbstbestimmungs-rechts.
Wir brauchen die europäischen Grundwerte Friedenund Wohlergehen der Völker. Diese müssen in der Ver-fassung verankert sein. Wir brauchen ein nachhaltigesEuropa mit ausgewogenem Wirtschaftswachstum, Preis-stabilität, Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt.Wir brauchen ein Europa, das tatsächlich die Armut be-kämpft und ein hohes Maß an Umweltschutz garantiert,ein Europa, in dem Wirtschaft und Wissenschaft geför-dert werden und andere Antworten auf energiepolitischeFragen gegeben werden als gegenwärtig in der Europäi-schen Union.
Die Zustimmung der Bürger zu Europa hängt abernicht nur von einer Verfassung ab. Vielmehr muss diePolitik auch bei aktuellen Entscheidungen die Ängsteund Sorgen der Menschen um Arbeitsplatzverluste undArbeitsplatzverlagerungen in die neuen EU-Länder ernstnehmen. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Beitrittslän-dtwEnrswwvgeUBNzcHutWHzzSizEdlDZdUdpmuskbDvgs
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich willuerst auf die Debatte eingehen, die von einem mögli-hen Libanoneinsatz stark geprägt ist. Herr Gerhardt underr Hoyer, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehörtnd gebe zu, dass ich Ihnen in Ihrer Analyse inhaltlicheilweise folgen kann. Dazu trägt auch Ihre Art undeise – Herr Gerhardt, Sie ganz bedächtig, und Sie,err Hoyer, recht erfahren – bei. Aber die Konsequen-en, die Schlussfolgerungen, zu denen Sie kommen, sindiemlich katastrophal. Man spürt förmlich, wie unwohlie sich fühlen, dass Ihr Vorsitzender Westerwelle dabeist, die außenpolitische Tradition der Genscher-FDP zuertrümmern.
r tut das beispielsweise dann, wenn er konsequent je-en UNO-Einsatz mit der Begründung ablehnt, Deutsch-and könne nicht ständig dabei sein. Tatsächlich stehteutschland an 32. Stelle, was solche Einsätze angeht.udem ist ISAF kein UNO-Einsatz. Wenn er etwas an-eres behauptet, dann zeugt das von außenpolitischernkenntnis.Sie haben sicherlich zu Recht darauf hingewiesen,ass die internationale Truppe im Libanon ohne einenolitischen Prozess keinen Erfolg haben kann. Aber Sieüssen doch wissen, dass es ohne eine solche Truppend die entsprechende Resolution gar keinen Waffen-tillstand in dieser Region gäbe. Dass man der PDS er-lären muss, dass man einen Waffenstillstand braucht,evor man politisch aktiv werden kann, wissen wir imeutschen Bundestag. Aber, meine Damen und Herrenon der FDP, Ihnen mit Ihrer Tradition sollte man das ei-entlich nicht erklären müssen. Unabhängig vom deut-chen Beitrag ist die internationale Truppe – dazu habe
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4540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Kerstin Müller
ich von Ihnen nichts gehört – absolut erforderlich. DieEntscheidung der Europäer in diesem Fall ist richtig.
Es stimmt, dass der politische Prozess entscheidendist. Wir brauchen eine Wiederbelebung des Quartetts derAußenminister. Und wir möchten Sie, Herr Außenminis-ter, darin bestärken, auf dem Weg der Einbindung Syri-ens fortzuschreiten. Wir brauchen eine Fortsetzung desinnerlibanesischen Dialogs; denn die Entwaffnung derHisbollah ist überhaupt nur im Rahmen eines politischenProzesses vorstellbar. Militärisch ist dazu niemand wil-lens und in der Lage.Wenn das nicht passiert – das ist für uns auch eineganz wichtige Bedingung –, dann wird man möglicher-weise spätestens in einem halben Jahr vor der Situationstehen, dass der Konflikt wieder aufbricht. Auch einneuer Bürgerkrieg im Libanon ist nicht ausgeschlossen.Es ist fast unvorstellbar, dass dann internationale Trup-pen, darunter möglicherweise deutsche, zwischen denFronten stehen. Von uns geht ganz klar die Aufforderungan die Bundesregierung, alles dafür zu tun, dass wir indiesem politischen Prozess weiterkommen.Mich treibt aber noch etwas anderes um, nämlich dassangesichts der Libanonkrise die Krisen in Afrika wiederin Vergessenheit geraten. Die Wahlen im Kongo habentrotz der EU-Mission und der deutschen Beteiligungkaum noch interessiert. Selbst der deutsche Oberkom-mandierende weilte im Urlaub, während es vor Ort zuersten Unruhen kam. In Darfur im Sudan geht der schlei-chende Völkermord vor den Augen der Weltöffentlich-keit weiter, aber es findet dazu weder eine Debatte in derdeutschen Öffentlichkeit statt, noch bereitet die Bundes-regierung dazu eine Diskussion vor. Wir haben doch beider Kongodebatte gesehen, wie fahrlässig und kurzsich-tig das ist.Ich habe hier damals ein politisches Gesamtkonzeptfür meine Fraktion und eine strategische Debatte darübergefordert, ob und warum es im europäischen und deut-schen Interesse ist, sich auch an friedenssichernden Ein-sätzen in Afrika zu beteiligen. Da ist leider Fehlanzeige.Stattdessen – das muss ich jetzt zitieren – kündigt derStaatssekretär des Herrn Jung, Herr Schmidt, vor derCSU-Landesgruppe an, man werde in jedem Fall nachvier Monaten aus dem Kongo abziehen. Begründung:die zusätzliche Belastung durch den Libanoneinsatz,nicht etwa die Sicherheitslage im Kongo. Jeder weiß,dass es nach den Stichwahlen im Oktober erst so richtiglosgehen kann, wie man im August gesehen hat.Ich meine, das ist nun wirklich das Gegenteil vonkonzeptioneller Politik, ganz zu schweigen von einer ko-härenten Afrikastrategie. Das bedeutet, dass Sie immernoch von Einsatz zu Einsatz stolpern, dilettantisch vor-bereitet durch den Herrn Verteidigungsminister undseine Mannen, ohne darzulegen, was die außen- und si-cherheitspolitischen Ziele sind, ohne eine Strategie fürden Nachbarkontinent Afrika zu entwickeln und ohnesich zum Beispiel im Rahmen der Debatte über dasWeißbuch Gedanken darüber zu machen, wie man denndbDztjsdggwstIddskKcmegnDMvktvvhnlgmtwFuwHzh
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4541
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Zweitens. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt istnach einem einstimmigen Beschluss der Staats- und Re-gierungschefs – die Finanzminister waren anwesend –geändert worden. Die Lobreden auf diese Änderungenhaben der österreichische Bundeskanzler Schüssel undder niederländische Ministerpräsident Balkenende, be-kanntlich Vertreter christlich-demokratischer bzw. kon-servativer Parteien, gehalten.Drittens. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber,Vorsitzender der CSU, war unmittelbar vor der Verab-schiedung der Reform des Stabilitäts- und Wachstums-pakts beim Treffen der Parteivorsitzenden der konserva-tiven Parteien, um gegen diese Änderung zu protestieren.Ihm wurde dort von allen anderen Vertretern der konser-vativen Parteien nachdrücklich gesagt, dass diese Ände-rung in Ordnung sei, insbesondere von Herrn Jean-Claude Juncker – Sie können ihn danach befragen – undvon Herrn Schüssel.Letztens. Die von uns gemeinsam getragene Bundes-regierung profitiert von der Reform des Stabilitäts- undWachstumspaktes; denn erst mit dieser Reform war esmöglich, ein weiteres Jahr bei schlechter Konjunktur zugewinnen und nicht bereits in diesem Jahr eine Politikmachen zu müssen – darauf hat Herr Steinbrück in seinerRede hingewiesen –, durch die die 3-Prozent-Grenzezwingend unterschritten wird. Nur dadurch wurde esmöglich, eine Politik zu betreiben, durch die erst dieWachstumskräfte stimuliert werden und dann die Konso-lidierung vorangebracht wird.Ich weise Sie darauf hin, dass die Einhaltung des Sta-bilitäts- und Wachstumspaktes – seine Kriterien sindnicht weich gemacht worden – für unsere Regierungnoch härter werden wird, weil wir das strukturelle Defi-zit jedes Jahr um 0,5 Prozent abbauen müssen. Das ist inder mittelfristigen Finanzplanung noch nicht voll abge-bildet. Das wird noch zu machen sein.
Herr Kollege Schmitt, zur Erwiderung, bitte schön.
Herr Kollege Eichel, Herr ehemaliger Finanzminister,
ich glaube, man muss dabei zwei Dinge sehr sorgfältig
auseinander halten.
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Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Niels
nnen von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich wieder derußenpolitik zuwenden. Ich will klar sagen: Die deut-che Außenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen voner Linksfraktion, ist Friedenspolitik. Ich finde, das hater Außenminister während der 32 Tage der Kampf-andlungen im Libanon eindrucksvoll unter Beweis ge-tellt.Die Priorität galt – da kann es gar keinen Zweifel ge-en – den Bemühungen um die Beendigung der Feind-eligkeiten. Spät, aber nicht zu spät konnte die Reso-ution 1701 verabschiedet werden. Auch ohne dasseutschland Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist, habenir, vor allem der Außenminister, sehr viel zum Zustan-ekommen dieser Resolution beigetragen.
as ist ein Grund für die Erwartungen, die heute an un-er Land gerichtet werden.Ich weiß aus sehr vielen Gesprächen, dass es in derevölkerung durchaus eine Verunsicherung über dieeltweiten Einsätze der Bundeswehr gibt. Deutsche Sol-aten sind in der Tat am Horn von Afrika, auf dem Bal-an und sogar in Afghanistan im Einsatz. Ich sage anieser Stelle ausdrücklich: Es geht auch darum, über dieolitischen Kriterien für solche Einsätze zu diskutieren.ier ist der Ort dafür, weil wir als Mitglieder des Bun-estags letztlich auch darüber entscheiden müssen, woeutsche Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden.s geht also um unsere Verantwortung und es geht umie Frage: Was liegt im deutschen Interesse? Ich will an-and der aktuellen Krise darstellen, warum ich glaube,ass unser Engagement in der Region im Nahen Osteninnvoll und richtig ist.Diese Region hat seit 1948 durchschnittlich alleechseinhalb Jahre einen Krieg durchlitten – mit
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4542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Niels Annendramatischen Folgen für die betroffenen Menschen, dieInfrastruktur, die wirtschaftliche Entwicklung und dieStabilität in einer Weltregion, die – bei ein wenigRückenwind – nicht mehr als dreieinhalb Stunden Flug-zeit von uns entfernt liegt.Es besteht kein Zweifel – das ist hier schon gesagtworden; ich stimme dem zu –: Auslöser der jüngstenKrise war die Entführung von zwei israelischen Soldatendurch die Hisbollah. Aber war die Entführung auch dieUrsache für diesen Konflikt oder hat vielmehr der ehema-lige amerikanische Sicherheitsberater Brent ScowcroftRecht, wenn er sagt – ich zitiere ihn –:Die Quelle des Problems ist nicht die Hisbollah.Das ist nur ein Ableger der Ursache, nämlich destragischen Konflikts über Palästina, …
Wie dem auch sei: Es ist richtig, glaube ich, dass un-sere Politik die Probleme des Libanon nicht isoliert be-trachtet. Wir müssen die Probleme um den besetzten Go-lan und um die Scheba-Farmen einbeziehen und wirmüssen letztlich auch die Debatte um die Eigenstaatlich-keit Palästinas berücksichtigen.
Für mich ist klar: Die Lösung der Palästinafragesteht im Mittelpunkt unserer Bemühungen.
Umgekehrt ist auch eindeutig: Die Lösung des palästi-nensischen Konflikts beinhaltet keine Zauberformel fürdie Lösung aller Konflikte in der Region.
Aber die Lösung des Konflikts würde – darauf kommtes mir an – all denjenigen die politische Legitimationentziehen, die heute ihre extremistische Politik mit demVerweis auf den Befreiungskampf des palästinensischenVolkes betreiben und begründen; die meisten von ihnenim Übrigen, ohne sich jemals wirklich um das Schicksalder palästinensischen Menschen gekümmert zu haben.
Hier geht es auch und nicht zuletzt um die Hisbollah.Das bedeutet, es geht um eine historische Entscheidungdieser Miliz, Bewegung, Partei – wie immer Siewollen –, ob sie sich zu einer zivilen politischen Kraftweiterentwickeln möchte – einiges deutet darauf hin; dieÄußerungen von Herrn Nasrallah sind erwähnt worden –oder ob sie den Weg in den Terrorismus weiter verfolgenmöchte.Das führt zu der Frage: Was für einen Charakter hateigentlich die aktuelle Auseinandersetzung an der Nord-grenze Israels? Die Israelis sehen sich mit einer dramati-schen Situation konfrontiert. Nach dem Rückzug der Ar-mssgvkhiidft2iDApekflTlnW1KdSHmtuzBsIzdBtlkkhSlvK
a bekommen die antisemitischen Hetzreden von Herrnhmadinedschad im wahrsten Sinne des Wortes eine ex-losive Bedeutung.Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Teheranine Mitverantwortung an der gegenwärtigen Krise zu-ommt. Deshalb habe ich persönlich großes Verständnisür diejenigen in Israel, die den Kampf gegen die Hisbol-ah auch als einen Kampf gegen einen bewaffneten Armeherans verstehen. Die Reden von Ahmadinedschad al-ein beantworten aber nicht die Frage, ob die Hisbollahun eine libanesische oder eine Agenda der schiitischeneltrevolution verfolgt.Wir müssen kurz vor dem fünften Jahrestag des1. September leider feststellen, dass die US-Politik desrieges gegen den Terrorismus eine ehrliche Analyseer Politikentwicklung in der Region behindert.
ie unterscheidet bei der Beurteilung der Politik vonamas und Hisbollah nicht zwischen regionalen undöglichen globalen Zielen, sondern subsumiert ganz un-erschiedliche Parteien, Bewegungen und Beweggründenter den Begriff des Terrorismus und kommt so leiderwangsläufig häufig zu falschen Schlüssen.Mein Eindruck ist zudem, dass die Auswirkungen desürgerkriegs im Irak auf die Region auch bei uns unter-chätzt werden. Die Bilder von tödlichen Anschlägen imrak werden in ihrer Dramatik von uns doch kaum nochur Kenntnis genommen. Was bei uns in wenigen Sekun-en im Nachrichtenüberblick zusammengefasst über denildschirm flimmert, wird jeden Tag in brutaler De-ailtreue über al-Dschasira und andere Netzwerke in Mil-ionen arabischer Haushalte übertragen. Welche Wir-ung das auf die benachbarten Länder mit all ihrenomplizierten politischen Gemengelagen und Minder-eitensituationen hat, brauche ich, glaube ich, an diesertelle nicht weiter auszuführen.Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stel-en heute ohne jede Genugtuung fest, dass die Politikon Bundeskanzler Gerhard Schröder, sich nicht amrieg im Irak zu beteiligen, richtig gewesen ist.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4543
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Niels Annen
Es gibt heute mehr Instabilität und mehr Terrorismus alsvor dem Irakkrieg. Hinzu kommt – ich glaube, das istwichtig – in den letzten Monaten ein mangelndes Enga-gement bezüglich der Lösung des Nahostkonfliktes. Dasuntergräbt die Legitimation der amerikanischen Politik.Wir brauchen die amerikanische Rolle. Aber gleichzeitigmüssen wir die europäische Rolle in dieser Situationstärken.Ich meine – um das abschließend zusammenzufas-sen –, dass der Außenminister die unterschiedlichenKomponenten des Konfliktes in dieser Situation betonthat.
Es ist auch richtig, dass wir die Bereitschaft signalisierthaben, uns an einem UNIFIL-Mandat zu beteiligen. Diepolitischen Voraussetzungen muss jedoch die libanesi-sche Regierung schaffen. Ich sage es auch mit Blick aufden Verteidigungsminister: Wir drängen uns nicht auf;aber wir beteiligen uns schon heute an der Lösung desProblems, und zwar mit ehrenamtlichen Helfern bei-spielsweise des THW, mit Entwicklungshelfern, durchtechnische und anderweitige Unterstützung. Meine sehrverehrten Damen und Herren, diesen Menschen, dieschon dort in der Region unterwegs sind, sollte unser ge-meinsamer Dank gelten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Markus Löning von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeFrau Müller, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zuIhren Anmerkungen zu unserer Tradition. Es ist immerTradition der Liberalen gewesen – und so wird es auchweiterhin sein –, Dinge differenziert zu betrachten.
Wir haben diese Debatte sehr intensiv geführt und dieKollegen sind in der Bewertung zu unterschiedlichstenErgebnissen gekommen. Aber wir lassen uns von Ihnennicht eine undifferenzierte Haltung vorwerfen.Wir sind alle froh, dass die Tradition Joschka Fischerendlich beendet ist; es wurde Zeit, dass diese TraditionIhrer Partei beendet wurde, auch an dieser Stelle.
Aber ich möchte daran erinnern, dass dieser Außen-minister noch bei seinem Amtsantritt die NATO infragegestellt hat. Ebenso möchte ich daran erinnern, dass HerrTrittin noch kurz vor seinem Amtsantritt die Bundes-wGEDtEEhTldSCbmIheMsbmgztbugfgEsVSuAdvWhmRctBrddbda
Meine Damen und Herren, mein Thema ist aber dieU-Präsidentschaft. Wir brauchen eine erfolgreicheU-Präsidentschaft. Herr Außenminister, Sie habeneute schon die erste Chance verspielt. Wir reden vonransparenz, wir wollen die Bürger mitnehmen, wir wol-en einen offenen politischen Prozess. Warum sagen Sieann hier, zu den Themen der Präsidentschaft könntenie jetzt leider noch nicht sehr viel sagen? Es wäre diehance gewesen, hier im Bundestag darüber eine De-atte zu führen. Es wäre die Chance gewesen, die Bürgeritzunehmen und eine öffentliche Resonanz hinsichtlichhrer Ziele in der Europäischen Union zu erzeugen. Ichätte mir gewünscht, dass Sie diese Chance heute hierrgriffen hätten.Wir sind – da sind wir uns, glaube ich, alle einig – dereinung, dass wir die Bürger stärker mitnehmen müs-en. Wir brauchen ein Europa der Erfolge; auch das ha-en wir hier schon öfter gesagt. Lieber Herr Schmitt, daöchte ich Ihnen ausdrücklich widersprechen: Ichlaube nicht, dass wir eine Debatte über Ziele und Gren-en brauchen. Wir können nicht nachfolgenden Genera-ionen vorschreiben, wie sie mit der EU umzugehen ha-en. Auch wir nehmen für uns in Anspruch, die EU nachnseren Vorstellungen und anders als vor 20 Jahren zuestalten. Eine Debatte, wie Sie sie einfordern, würdeehlgehen. Es wird an den zukünftigen Generationen lie-en, zu entscheiden, ob etwa die Ukraine Mitglied derU werden kann oder nicht. Es ist Unfug, das jetzt ab-chließend beschreiben zu wollen.Wir unterstützen die Bundesregierung, wenn sie denerfassungsprozess neu in Gang setzen will, Herrteinmeier. Wir brauchen in Europa mehr Transparenznd mehr Demokratie. Wir brauchen eine gemeinsameußenpolitik. Aber – auch das ist wichtig – wir könnenas klare Votum der Franzosen und der Holländer nichtöllig ignorieren. Das muss man sehr klar sehen.
ir drücken der Bundesregierung die Daumen, dass esier wirklich zu Ergebnissen kommt. Diese Debatteuss beendet werden; denn unsere Bürger fordern zuecht von Europa mehr als eine für sie in vielen Berei-hen theoretische Verfassungsdebatte. Sie fordern prak-ische Ergebnisse.Zu einem praktischen Ergebnis können auch wir alsundestag beitragen. Wir haben mit der Bundesregie-ung eine Vereinbarung über die frühzeitige Beteiligunges Bundestages geschlossen. Wir als Opposition werdeniese Beteiligung immer wieder einfordern. Aber es wirdei einer Koalition mit einer so erdrückenden Mehrheit iniesem Hause auch darauf ankommen – da appelliere ichn die Kollegen aus den Koalitionsfraktionen –, dass die
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Markus LöningKollegen den Mut haben, auch ihrer eigenen Regierungzu sagen: Wir wollen beteiligt werden. Darüber muss imAusschuss diskutiert und im Plenum debattiert werden.Es hängt von Ihnen ab, ob Sie diese Vereinbarung, diewir mit der Bundesregierung getroffen haben, auchwirklich mit Leben erfüllen. Wir werden darauf dringenund Sie mahnen, diese Forderung auch weiterhin zu un-terstützen.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, dieTransparenzinitiative der Europäischen Kommis-sion. Sie ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wirEuropa den Bürgern näher bringen können. Legen wirdoch offen, wer welches Geld aus der europäischenKasse bekommt! Was spricht denn dagegen, dass wir sa-gen: Es ist öffentliches Geld und wer öffentliches Geldbekommt, soll dies auch nach außen darstellen können.Ich wünschte mir – die FDP hat einen entsprechendenAntrag in den Bundestag eingebracht –, diese Bundesre-gierung würde aus vollem Herzen und mit voller Über-zeugung die Europäische Kommission an dieser Stelleunterstützen. Wir können eine Offenlegung sehr gut ver-tragen. Dann wird sich nämlich auch im Agrarbereichherausstellen, dass die vielen Behauptungen, die Bauernbekämen so viel, gerade für die kleinen bäuerlichen Be-triebe eben nicht zutreffen und dass dort oft und zu Un-recht Vorurteile gepflegt werden.
Der Lissabonprozess wurde bereits angesprochen.Wir haben schon oft darüber debattiert und ich will dasThema an dieser Stelle nicht vertiefen. Eines muss manallerdings dieser Bundesregierung immer wieder sagenund ins Stammbuch schreiben: Wir werden nicht zu ei-nem Erfolg in der Europäischen Union kommen, wenndiese Bundesregierung im wirtschaftlichen Bereich ihreHausaufgaben nicht macht. Ich werde wieder und wiedervon europäischen Kollegen angesprochen: Meine Güte,was macht ihr denn bei euch zu Hause? Die Nachbarnmachen es und sind erfolgreich. Warum kriegt ihr das inDeutschland nicht auf die Reihe?Die Rezepte liegen vor. Ich fordere Sie auf: Tun Siedas Notwendige! Nur so bekommen wir auf Dauer auchwieder unser politisches Gewicht in der EuropäischenUnion.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Außenpolitik trägt das Momentum in sich,dass wir uns mit Aufgaben konfrontiert sehen, die wiruns nicht selbst ausgesucht haben. Dennoch müssen wirAntworten finden auf Fragen, die uns berühren, und des-hwszwewudjmtHIErAmwewAewtwtwdiAztiweNvatfthltkdfiWge
enn wir uns vor Augen halten, dass dieser Konflikt einanz enormes Eskalationspotenzial beinhaltet, dann ists eben keine Selbstverständlichkeit, dass es relativ zü-
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Thomas Silberhorngig zu dieser Waffenruhe gekommen ist und dass bei-spielsweise keine israelische Bodenoffensive mit30 000 Soldaten mehr stattgefunden hat, weil der Druckund die Geschlossenheit der internationalen Gemein-schaft die Beteiligten dazu bewogen haben, der jetzt vor-liegenden UN-Resolution zuzustimmen.Das Ziel, um das es jetzt geht, ist schlichtweg, dieseWaffenruhe zu stabilisieren und in einen politischenProzess überzugehen, der sicherstellt, dass die Sicher-heit Israels und die Unabhängigkeit eines selbstständi-gen palästinensischen Staates gewährleistet werden kön-nen und die Stabilität in der gesamten Region weitergefestigt wird. Mir scheint, dass ein militärischer Beitrageine Komponente ist, um dieses Ziel zu erreichen. Wirsind uns sicher darin einig, dass das keine hinreichendeKomponente ist. Aber es ist eine notwendige.Mit einigem Bedauern sehe ich, dass die Kolleginnenund Kollegen von der FDP sich in dieser Frage ausge-rechnet mit der PDS
in einem Boot wiederfinden.
Vor dem Hintergrund der langen Tradition liberalerAußenpolitik von Theodor Heuss bis Otto GrafLambsdorff, der sich bei der Entschädigung jüdischerVerfolgter Verdienste erworben hat, sollten Sie IhrePosition nochmals überdenken.
Immerhin nehme ich zur Kenntnis, Herr Hoyer und HerrGerhardt, dass Sie sich deutlich vorsichtiger geäußerthaben als manche Kolleginnen und Kollegen aus derzweiten Reihe, wie in den Medien immer wieder zu le-sen und zu hören war.
– Sie weiten meine Kritik noch aus, Herr Hoyer. IhrenZuruf lasse ich unkommentiert.Infrage steht, ob sich Deutschland an einer seeseiti-gen Sicherung der Grenze des Libanon beteiligt. Ichbin der Auffassung: Das kann ein angemessener Beitragfür Deutschland sein, um die UN-Resolution 1701 um-zusetzen. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass dakein Automatismus entstehen kann, sondern dies eineautonome Entscheidung des Bundestages bleibt.Dafür fehlen uns derzeit noch die Voraussetzungen.Die erste Voraussetzung ist ein klares Mandat, mit demdie Kontrolle des Waffenembargos effektiv umgesetztwerden kann, einschließlich der Einsatzregeln, die wirnoch erwarten. Die zweite Voraussetzung ist – dasmöchte ich ausdrücklich erwähnen –, dass die libanesi-sche Regierung eindeutig den politischen Willen zumAadegdwmiHtasdwBhbIzEUSdwSmiucEsdDszdIKrttn
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norman Paech von
er Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ch erinnere mich noch an Ihre Rede auf dem Münchenerongress für Sicherheitspolitik im Februar dieses Jah-es, Herr Außenminister. Da stellten Sie Ihre Politik un-er die Devise des Einsatzes für Freiheit und Demokra-ie. Das klang alles etwas amerikanisch, aber das istoch keine Kritik.
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Dr. Norman PaechDass Sie damit Ihre gesamte Nahost- und Mittelost-politik in das Fahrwasser der US-Administration lenk-ten, das allerdings verdient entschiedenen Widerspruch.
Denn Sie besiegelten dadurch einen gravierenden Wan-del in der deutschen Außenpolitik. Militäreinsätze inder ganzen Welt – zur Sicherung welcher deutschen Inte-ressen eigentlich? –, das hat weder mit dem Grundgesetznoch mit Verteidigung zu tun. Sie holen sich damit auchalle Schwierigkeiten ins Haus, mit denen die Amerika-ner derzeit zu kämpfen haben, nämlich zunehmende Ge-walt, bürgerkriegsähnliche Zustände und Chaos in ihrenDe-facto-Protektoraten Irak und Afghanistan sowiewachsende Terrorgefahr auch im eigenen Land.Ihre sonst so sympathische Devise „Reden statt schie-ßen“ hat sich gefährlich gewendet. Nehmen wir nurAfghanistan, wo sich die Bundeswehr derzeit eingräbt,um offensichtlich die nächsten zehn Jahre dort für De-mokratie und Freiheit zu sorgen. Nach fünf Jahren hatsich dort eine Situation entwickelt, vor der wir immergewarnt haben. Sie war voraussehbar. Jetzt beklagt dieTruppe in Afghanistan selbst die dramatisch sinkendeZustimmung der Bevölkerung zum Einsatz der Bundes-wehr. Die Truppe fordert das, was wir immer schon ge-fordert haben, nämlich mehr zivile Entwicklungshilfeund Unterstützung für die zivilen Strukturen beim Auf-bau des Landes.
Sie, Herr Außenminister, preisen die neuen demokra-tischen Institutionen der Regierung Karzai. Das mag fürKabul so zutreffen, aber überhaupt nicht für ganz Afgha-nistan. Dort blühen der Mohn und die Freiheit der Dro-genhändler. Eine Steigerung der Ernte um fast 60 Pro-zent in diesem Jahr hat Afghanistan unter dem Schutzder ISAF und von „Enduring Freedom“ zum größtenOpiumlieferanten der Welt gemacht. Der Preis dafür istnicht etwa Stabilität, Sicherheit und Demokratie, son-dern Angst vor irakischen Zuständen. Alle Erfahrung dervergangenen Jahre hat uns gelehrt, dass man dem ebennicht mit Militär begegnen kann.
Auch in der Auseinandersetzung mit dem Iran hat dieviel beschworene Geschlossenheit mit den USA Sieletztlich in eine Sackgasse geführt. Denn es ist eine Illu-sion, immer noch zu glauben, dass Teheran von seinemAtomprogramm zu zivilen Zwecken abrücken wird.Vielleicht werden Sie ein Moratorium erreichen, nichtaber einen definitiven Verzicht. Es ist reine Symbolpoli-tik, wenn Sie Sanktionen fordern, Sanktionen, die in derGeschichte nachweisbar noch nie zu einem Erfolg ge-führt und nie einen Politikwechsel herbeigeführt haben.Sie schaden damit der Bevölkerung, ohne aber Ihr Zielzu erreichen.Ein Ausweg zeigt sich derzeit unseres Erachtens nur,wenn zwei Punkte erfüllt werden: Anerkennung desRechts auf Urananreichung zu zivilen Zwecken und un-ter der Kontrolle der IAEO sowie eine umfassende Si-cherheitsgarantie durch die USA. Doch die USA habensgHhsSefertgswwBwrjtuggvwTnaaDrSwsSktmtVRdnKdbgg
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Die OSZE-Schlussakte, die Charta der Grundrechte derEU und viele andere europäische Beschlüsse sind einewichtige Grundlage dafür. Sie sind eine Grundlage fürunsere gemeinsamen Ideen, Überzeugungen und Hoff-nungen. In unserem politischen Handeln müssen wir inder globalen Politik zu verstehen geben, dass für unsFreiheit, Frieden und Wohlstand für alle Menschenwichtig sind.Frieden braucht Vertrauen. Vertrauen schaffen wirnur, wenn wir die nationalen und kulturellen Unter-schiede der Menschen respektieren und nach gemeinsa-men Werten und Interessen suchen. An dieser Stellemöchte ich ausdrücklich dem diplomatischen Korps, denpolitischen und den anderen Stiftungen sowie den vielenzivilen Organisationen meinen Dank für ihren EinsatzuvMDbzsdrfassdKutvOmftsKggmbbniztZbdKdlnsaciEa
an kann ihre Leistung nicht hoch genug würdigen.urch den Einsatz vieler Organisationen weltweit blei-en der Menschheit viele militärische Auseinanderset-ungen und damit verbundene Opfer erspart.Dennoch muss ich zugeben, dass manch eine Organi-ation vor Ort für große Verwirrung sorgt, unter Umstän-en sogar kontraproduktiv arbeitet. Bei meiner langjäh-igen Friedensarbeit auf dem Balkan musste ich ofteststellen, dass Menschen, die in ihrer Not auf Hilfe vonußen angewiesen waren, zu Opfern gesellschaftspoliti-cher Experimente wurden. Ein Beispiel: Es kann nichtein, dass wir in Europa vom „Sozialmodell Europa“ re-en, während Vertreter der Wirtschaftsverbände in denrisengebieten von „Marktwirtschaft pur“ sprechen undns die Ergebnisse als angebliche Erfolgsmodelle anbie-en.
Meine Damen und Herren, Sie glauben nicht, wieiele Glücksritter ich während meiner Friedensarbeit vorrt erleben musste. Es war beschämend, beobachten zuüssen, dass manch ein so genannter Entwicklungshel-er nicht begriffen hat, dass er es mit am Boden zerstör-en Menschen zu tun hat.Deshalb möchte ich angesichts der kommenden deut-chen EU-Ratspräsidentschaft die Schaffung einer EU-oordinationsstelle für zivile Einsätze in Krisen-ebieten empfehlen. Diese soll in den Krisengebietenemeinsame europäische Werte und politische Ziele ver-itteln, sich vor Ort am Aufbau der zivilen Gesellschafteteiligen sowie die vor Ort aktiven Hilfsorganisationeneraten, unterstützen und ihre Einsätze sinnvoll koordi-ieren.Das Ziel Deutschlands und der EU muss es sein, diennere Stabilität zu sichern, ohne die globale Sicherheitu vernachlässigen. Deshalb müssen wir zur EU-Erwei-erung und zur europäischen Nachbarschaftspolitik inukunft klar Position beziehen. Gerade für den West-alkan muss die Beitrittsperspektive unmissverständlichefiniert werden. Es ist wichtig, den dortigen politischenräften deutlich zu machen, dass wir nicht tolerieren,ass die Menschenrechtsfragen nur auf dem Papier ge-öst werden, sondern eine aktive Bekämpfung der Natio-alismen vor Ort erwarten.
Wir müssen deshalb die demokratischen Kräfte unter-tützen. Diesbezüglich liegt mir die Jugend besondersm Herzen. Es kann nicht sein, dass der Jugend in man-hen Teilen Europas die Teilhabe an unseren Werten fürmmer verwehrt bleiben soll. Es ist wichtig, dass wir dieU-Nachbarschaftspolitik klar definieren und uns vorllem den jungen Menschen widmen. Sie müssen
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Josip Juratovicbegreifen, dass sie für die Gestaltung der Demokratie inihrem Land der wichtigste Hoffnungsträger sind.
Sie müssen begreifen, dass es in einer Demokratie nichtausreicht, nur das private Leben zu organisieren, sonderndass sie sich auch an der Organisation der Gesellschaftbeteiligen müssen. Dabei müssen wir ihnen helfen.Recht vielen Dank.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Joachim Hörster von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bittedie verehrten Kolleginnen und Kollegen um Nachsicht,dass ich mich, obwohl ich Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Parlamentariergruppe bin, heute nicht zumNahostkonflikt äußere. Dazu ist schon sehr viel gesagtworden. Außerdem denke ich, dass wir noch eine inten-sive Debatte darüber haben werden, wenn die Entschei-dung aufgrund eines konkreten Antrages der Bundes-regierung ansteht.Deswegen will ich unter dem Gesichtspunkt derNachhaltigkeit in der Politik zwei Themen ansprechen,die bereits bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltesfür das Jahr 2006, also für dieses Jahr, in der außenpoliti-schen Debatte eine Rolle gespielt haben. Einen Teil mei-ner Rede, die ich am 27. März gehalten habe, könnte ichjetzt wiederholen, weil der Herr Bundesaußenministerzum Schluss seiner Rede die auswärtige Kulturpolitikangesprochen hat, die so genannte dritte Säule der deut-schen Außenpolitik.Ich will jetzt nicht fragen, was aufgrund der Erkennt-nisse, die am 27. März dieses Jahres vorgelegen haben,bis heute geschehen ist. Denn es braucht einen gewissenVorlauf, um feststellen zu können, wie alle an der aus-wärtigen Kulturpolitik Beteiligten – das ist nicht derBundesaußenminister allein – sich bemühen, die auswär-tige Kulturpolitik mehr in den Mittelpunkt unserer aus-wärtigen Tätigkeit zu stellen und vielleicht auch die frü-here Philosophie über Bord zu werfen, dass dort, wo diedeutsche Sprache auf kommerzielle Weise durch pri-vate Institute erlernt werden kann, unsere Präsenz durchdas Goethe-Institut und ein entsprechendes Angebotnicht mehr notwendig seien. Man sollte vielmehr auf dierichtige Erkenntnis, die der Herr Bundesaußenministerheute kundgetan hat, zurückgreifen, nämlich die, dassdie Vermittlung von Führungskräften aus aller Welt nachDeutschland am ehesten dann zustande kommt, wenn siezuerst die deutsche Sprache gelernt haben. Deswegenmuss man ihnen das erleichtern. Genauso muss man esAusländern, insbesondere aus Staaten der Dritten Welt,erleichtern, in Deutschland studieren zu können. DennsdGdlsgasrDwulnhrLgcsdkvzdswmisagwdmkPaAeukrhadsfdsdVp
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Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Mark von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Wir haben bereits heute früh, als es um den Einzelplandes Bundeskanzleramtes ging, eine außenpolitische De-batte geführt. Jetzt führen wir erneut eine außenpoliti-sche Debatte zum Einzelplan des Auswärtigen Amtes.Ich weise allerdings darauf hin, dass wir uns eigentlichin der ersten Lesung des Entwurfs des Bundeshaushaltsfür das Jahr 2007 befinden.
Ich bin dem Außenminister sehr dankbar, dass er, wiezwei weitere Kollegen, den Haushalt angesprochen hat.Ich denke, das dient der Würdigung der Arbeit derer, diehierfür die Verantwortung tragen.Der Haushalt des Auswärtigen Amtes steigt von2006 auf 2007 um 6 Prozent an. Das macht insgesamt140 Millionen Euro aus. Davon sind bereits 81 MillionenEuro für Erhöhungen im Rahmen von VN-Pflichtbeiträ-gen reserviert. 34 Millionen Euro mehr als im vorigenHaushalt hängen mit der EU- und der G-8-Präsident-schaft zusammen, wobei schon heute abzusehen ist, dassdiese Mittel sehr wahrscheinlich nicht ausreichen wer-den.7,5 Millionen Euro der genannten Summe werden fürden Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds zur Verfü-gPBaamtdsd1kwugtHuzmtadiwHMwgtbHtsHuhdSushazdn
Das zweite Beispiel ist die Streulage einzelner Posi-ionen für eine Maßnahme oder einen Empfänger in ver-chiedenen Einzelplänen, und da selbst nach derzeitigeraushaltsstrukturvorgabe in verschiedenen Titelgruppennd Titeln. Ich denke, dass dies beim Lesen des Haus-altes sehr unübersichtlich ist, und rege an, dass manarüber nachdenkt, dies neu zu ordnen. Ich nenne nur alstichwort die Budgetierung.
Ein dritter Hinweis ist, dass verschiedene Fußnotennd Anmerkungen in den jeweiligen Titeln enthaltenind, die nicht unbedingt zielführend sind. Ich möchteier – man möge mir die Nennung der Zahl verzeihen –uf den Haushaltstitel 687 17, die Pflege kultureller Be-iehungen, hinweisen. Darin wird, wie auch in vielen an-eren Titeln, zwei Mal auf das Goethe-Institut Bezug ge-ommen. Das Goethe-Institut kommt aber auf der
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Lothar Markgesamten Seite nicht mehr vor, obwohl insgesamt16 verschiedene Positionen aufgezählt sind.Kollege Juratovic hat vorhin das Thema Präventionangesprochen. Ich wollte zu diesem Thema einige Aus-führungen machen. Da aber meine Redezeit etwas ge-schrumpft ist, will ich dies beiseite lassen und lediglichdarauf hinweisen, dass wir insgesamt gesehen verstärktüber Fragestellungen der Prävention nachdenken müs-sen.Wir haben uns im Juni dieses Jahres auf die Umset-zung eines Aktionsplans „Zivile Krisenprävention“ ver-ständigt, in dem aufgezeigt wird, wie wir mit der Krisen-prävention umgehen sollen. Darin sind so vieleHandlungshinweise enthalten, dass wir das Thema ver-stärkt in Angriff nehmen müssen. Wir müssen auch dievielen kritischen Anmerkungen, die hier immer wiedergemacht werden, sehr ernst nehmen. Es darf nicht derEindruck entstehen, dass die militärische Komponentean erster Stelle steht. Vielmehr sollten wir zeigen, dassintegrativ gearbeitet wird, um die Probleme in der Weltzu lösen.
Wir haben bereits im Jahr 2006 und für die Folgejahreden Haushaltstitel für humanitäre Hilfsmaßnahmenauf 50 Millionen Euro verstetigt. Den Haushaltsansatzfür Maßnahmen des humanitären Minenräumens habenwir auf 8,4 Millionen Euro festgezurrt. Wir wissen, dassdies nicht ausreichend ist. Andererseits muss der Haus-halt natürlich auch in diesen Bereichen den Gegebenhei-ten angepasst werden.Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Hörster undauch der Außenminister in ihren Beiträgen auf die Kul-turpolitik und auf die Bedeutung der Kultur hingewie-sen haben. Ich möchte darauf hinweisen, dass für dieAuslandskulturarbeit im Haushalt 2007 ein Zuwachs von4,4 Millionen Euro vorgesehen ist.
Die institutionelle Förderung für die allgemeine Aus-landskulturarbeit sinkt in 2007 auf die ursprüngliche Fi-nanzplanung, da 2006 aus besonderen Gründen eine ein-malige Verstärkung der institutionellen Förderung beimGI vorgenommen wurde.Ich will auch darauf hinweisen, dass wir eine Versteti-gung der Mittel für Maßnahmen der politischen Stiftun-gen im Ausland durchgeführt haben. Ihre Arbeit mussimmer wieder als segensreich für die Bundesrepublik an-gesehen werden. Wir sollten uns hierfür wieder verstärkteinsetzen.
Zum Goethe-Institut wäre viel zu sagen; in den letz-ten Wochen und Monaten ist in den Medien viel darübergeschrieben worden. Ich denke, die Kernaufgaben desGoethe-Instituts sind unbestritten. Die Zielformulierun-gen sind klar: Das Goethe-Institut muss zukunftssicheramrssdusowZkakRmgd2sHtidbadbgslIsugBHr
nd dass ab 2008 eine Totalbudgetierung des Goethe-In-tituts erfolgt. Meine Forderung war immer, alle Mittler-rganisationen zu budgetieren,
eil dadurch mehr Flexibilität entsteht.
ur Arbeit der weltweit 144 Goethe-Institute insgesamtann ich weiter nichts ausführen, weil meine Redezeitllmählich zu Ende geht.Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir über dieonzeptionellen Umstrukturierungen hinaus eineeform des Auslandsschulwesens ins Auge fassenüssen. Das Schulwesen insgesamt muss effizienterestaltet werden. Mit den 117 Schulen und 364 geför-erten Bildungseinrichtungen erreichen wir immerhin30 000 Schülerinnen und Schüler. Hier wären der Deut-che Akademische Austauschdienst, die Alexander-von-umboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische Insti-ut und viele andere Einrichtungen zu erwähnen.Ich darf einen Satz zur ODA-Quote sagen, weil siemmer eine große Rolle spielt. Die Maßnahmen, die fürie ODA-Quote angerechnet werden, sind nicht nureim BMZ angesiedelt, sondern auch in verschiedenennderen Ministerien. Auch das Auswärtige Amt trägt miten Mitteln für humanitäre Einsätze seinen Teil dazuei.
Herr Kollege, Sie haben die Zeit schon weit überzo-
en. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.
Ich darf zum Schluss dem Außenminister danken füreine ausgezeichnete Arbeit, die das Ansehen Deutsch-ands weiter hebt.
ch danke dem Haushaltsreferat des AA für die gute Zu-ammenarbeit. Ich danke auch allen Mitarbeiterinnennd Mitarbeitern im Auswärtigen Amt für ihren enga-ierten Einsatz weltweit. Schließlich danke ich meinenerichterstatterkollegen, insbesondere dem Kollegenerbert Frankenhauser, für die faire Verständigungsbe-eitschaft.Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Herbert Frankenhauser
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich über-nehme gerne die Ausführungen meines geschätzten Vor-redners Lothar Mark, inklusive aller Dankadressen;
das kann meine Redezeit etwas verkürzen.Ich habe dieser ebenso kurzen wie kurzweiligen De-batte über den Einzelplan 05
aufmerksam zugehört und festgestellt, dass zumindest inzwei Fragen völlige Übereinstimmung im Hause herrscht– zumindest von halb links bis zu den Liberalen –,
nämlich dass die deutsche Außenpolitik von herausra-gender Bedeutung ist und die auswärtige Kulturpolitikeinen ganz besonderen Stellenwert hat.
– Es freut mich, dass an dieser Stelle meiner Rede auchder Vertreter des Bundesfinanzministers den Saal wiederbetritt.
Ihn betrifft das nämlich am meisten; denn er ist der Ein-zige, der sich dieser allgemeinen Erkenntnis des HohenHauses bislang widersetzt hat.
Wenn wir aber weiter so geschlossen voranmarschieren,dann könnte es uns durchaus gelingen, auch noch denBundesfinanzminister in die Knie zu zwingen. Dazu for-dere ich Sie alle sehr herzlich auf.
– Ich glaube, ich bin heute der einzige, der von der Op-position beklatscht worden ist. Vielleicht hält das ja an,sodass wir endlich sowohl dem Einzelplan 05 als auchder darin enthaltenen auswärtigen Kulturpolitik einehalbwegs angemessene Dotierung zukommen lassenkönnen. Ich hoffe, dass sich die Kolleginnen und Kolle-gen, die sich immer in Feuilletons äußern, wenn über dieSchließung eines Goethe-Instituts nachgedacht wird, beider entsprechenden Abstimmung so verhalten werden,dass solche Schließungen gar nicht angedacht werdenmüssen.ühdimÜlüweAeUininananwm––ssAdnmHLlbbvdzensBnfs
Dann sind Sie wahrscheinlich eine Ausnahme.In der UN-Resolution zur Gründung der UNIFILdie Kosten dieser Mission, an denen wir auch beteiligtind, betragen etwa 268 Millionen Dollar pro Jahr –tand zwar, dass die Hisbollah entwaffnet werden soll.llgemein ist aber feststellbar, dass es in der Zeit, seitie UNIFIL vor Ort tätig ist, zur größten Wiederbewaff-ung und Aufrüstung der Hisbollah aller Zeiten gekom-en ist.
err Außenminister, ich bitte darum, nicht nur auf dieaufzeiten solcher Mandate zu achten, sondern viel-eicht auch etwas auf die Qualität.
Ich möchte noch etwas zur Europäischen Unionzw. zur Europäischen Gemeinschaft sagen. Sie habeneklagt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger etwas da-on entfernen. Das ist wohl wahr. Ich habe manchmalen Eindruck, die EU-Kommission sieht ihre Arbeitielgerichtet darin, die EU bewusst von den Bürgern zuntfernen. Ich darf Ihnen ein Beispiel aus der Praxis nen-en: Ich finde nur wenige Leute, die begeistert darüberind, dass die Europäische Union dafür sorgt, dass dieiersteuer erhöht wird. Das verstehen die Leute einfachicht; sie empfinden es auch nicht als besonders europa-örderlich. Daher bitte ich Sie dringend, Herr Staats-ekretär, sich dagegen auszusprechen.
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Herbert FrankenhauserAuch die neue Kennzeichnungspflicht in Bezug aufBier- und Weinflaschen freut die Leute nicht und fördertauch nicht ihre Nähe zu Europa. Ich weiß nicht, wel-chem Gehirn dies eingefallen ist; ich muss mich ja parla-mentarisch ausdrücken. Diese Pflicht fördert die ange-sprochene Einstellung der Bürger, insbesondere solangedie EU-Kommission bei gleichen oder noch stärkerenGefährdungspotenzialen keine Warnhinweise gibt, zumBeispiel bei Eisenbahnlokomotiven, die bekannterma-ßen auch gefährlich sind, wenn man gegen sie läuft,während sie in Fahrt sind, oder bei den durchaus belieb-ten Schwarzwälder Kirschtorten,
wobei ich als Nichtmediziner der festen Überzeugungbin, dass acht Schwarzwälder Kirschtorten gesundheits-schädlicher sind als acht Seidel Bier.
In diesem Sinne bitte ich Sie herzlich, daran mitzuwir-ken, dass die Europäische Union mehr auf ihre Bürgerzielt.Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich desAuswärtigen Amtes liegen nicht vor.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.Bevor ich das Wort erteile, bitte ich diejenigen Kolle-gen, die jetzt die Plätze wechseln wollen, dies zu tun, da-mit wir dem Verteidigungsminister anschließend unsereAufmerksamkeit schenken können. – Ich erteile jetztdem Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz JosefJung, das Wort.Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-gung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Verteidigungshaushalt ist insbesonderedurch die aktuellen Diskussionen im Hinblick auf dieAuslandseinsätze wieder etwas mehr in den Blickpunktder Öffentlichkeit geraten. Ich halte es für richtig undgut, dass wir uns hier inhaltlich über die Fragen derSicherheits- und Verteidigungspolitik auseinander set-zen; denn ich bin durchaus der Auffassung, dass dieBundeswehr auch und gerade durch die Auslandsein-sätze einen erheblichen Beitrag für unsere Sicherheitleistet. Aber von der Bundeswehr können nicht immermehr dieser Einsätze verlangt werden, wenn die dafürerforderlichen finanziellen Grundlagen nicht vorhandensind.Bevor diese Regierung ins Amt kam, musste inner-halb der letzten fünfzehn Jahre eine Reduzierung desAnteils des Verteidigungsetats am Gesamthaushalt umcirca ein Drittel hingenommen werden. Angesichts die-sht2slddsbwisucdtÜwsSmssnnddpntDtwlwWlAetsfEddddt
er um 525 Millionen Euro ansteigt – ohne Versorgungind dies 480 Millionen Euro – und in der Perspektiveis 2009/2010 um 1 Milliarde Euro. Dies ist auch not-endig; denn wenn wir unsere Soldatinnen und Soldatenm Interesse unserer Sicherheit in gefährliche Einsätzechicken, haben sie es verdient, eine gute Ausbildungnd eine gute Ausrüstung zu bekommen. Dafür brau-hen wir die notwendige finanzielle Grundlage.
Teilweise wurde die Frage angesprochen, woran sichie Auslandseinsätze der Bundeswehr eigentlich orien-ieren sollten. Diesbezüglich sollten wir schon einebereinstimmung erzielen. Die Auslandseinsätze sindertorientiert; sie dienen den nationalen Interessen undie entsprechen unseren internationalen Verpflichtungen.Aktuell befinden sich 7 850 unserer Soldatinnen undoldaten in Auslandseinsätzen. Wie Sie wissen, sind wirit dem stärksten Kontingent in Bosnien-Herzegowinaowie im Kosovo vertreten. Ich kann nur hoffen, dassich nach den im Oktober anstehenden Wahlen in Bos-ien-Herzegowina und den hoffentlich positiven Ergeb-issen der Statusverhandlungen hinsichtlich des Kosovoort eine Entwicklung abzeichnen wird, aufgrund derenie Region ihre Sicherheit und Stabilität in einer euro-äischen Perspektive selbst mit gewährleisten kann.Wir sind in einer nicht einfachen Mission in Afgha-istan. Es darf nicht vergessen werden, dass Afghanis-an ein Ausbildungszentrum für den Terrorismus war.ort sind jetzt erstmals seit mehr als 30 Jahren demokra-ische Parlaments- und Präsidentenwahlen durchgeführtorden. Die Strategie, die die Bundesrepublik Deutsch-and und unsere Soldatinnen und Soldaten jetzt dort ver-irklichen, nämlich im Norden Afghanistans mit fünfiederaufbauteams Stabilität und Sicherheit zu gewähr-eisten, aber auch die zivile Komponente – das heißt denufbau von Sicherheitsstrukturen der Polizei sowientwicklungspolitische und wirtschaftspolitische Initia-iven – mit im Blick zu behalten, lässt die Menschenpüren, dass die Stabilisierung und der Wiederaufbau er-olgen und damit letztlich Sicherheit und eine positiventwicklung gewährleistet werden. Ich glaube, das istie richtige Strategie einer vernetzten Sicherheitspolitik,ie wir in Afghanistan umsetzen. Ich hoffe und wünsche,ass sie auch Ihre Unterstützung findet, weil ich glaube,ass das der richtige Weg für einen Erfolg in Afghanis-an ist.
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Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
Wir haben über 2 700 Soldatinnen und Soldaten inAfghanistan. Herr Trittin ist nicht mehr da,
sonst hätte ich ihm sagen können, dass wir die Verant-wortung für den Norden übernommen haben, die italie-nischen Freunde die Verantwortung für den Westen, dieBriten die Verantwortung für den Süden und die Ameri-kaner die Verantwortung für den Osten. Insgesamt sinddort 37 Nationen engagiert.Ich habe das, was wir aus meiner Sicht dort beispiel-haft umsetzen, gerade mit meinem italienischen Kolle-gen besprochen. Unsere Freunde – auch unsere briti-schen Kollegen – sehen das genauso. Inzwischen denkenauch unsere amerikanischen Freunde so, sodass ichhoffe und wünsche, dass wir dort zu einer Stabilisierungder Lage und zu einer guten Entwicklung kommen. Manmuss aber auch deutlich machen, dass sich die Zahl derAnschläge gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat unddass im Hinblick auf die Sicherheit eine Risikolage be-steht. Deshalb habe ich angeordnet, dass wir dort nurnoch mit geschützten Fahrzeugen fahren, und deshalb istdie Aufklärung zusätzlich verstärkt worden. Der Schutzunserer Soldatinnen und Soldaten muss uns ein besonde-res Anliegen sein – auch und gerade in schwierigen Ein-sätzen wie in Afghanistan.
Über den Kongoeinsatz ist hier teilweise kritisch dis-kutiert worden. Aber ich glaube, man muss in aller Ruhefeststellen, dass dieser Einsatz dazu geführt hat, dass inder Zeit vom 21. bis 22. August der erneute Ausbruch ei-nes Bürgerkriegs verhindert werden konnte. Die Situa-tion war mehr als kritisch, als die Truppen Kabilas dieVilla des Vizepräsidenten Bemba umstellt hatten und esdort zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. In derVilla waren auch Botschafter. Als sich die Frage derEvakuierung stellte, haben sowohl die spanischen alsauch die polnischen Freunde mit unserer Unterstützungbei der Aufklärung dazu beigetragen, dass die Situationnicht in einen Bürgerkrieg umgeschlagen ist. Vielmehrkönnen wir jetzt wieder davon ausgehen, dass sich dieSituation stabilisiert hat. Ich hoffe und wünsche, dasswir diese Situation bis zu den Stichwahlen aufrechterhal-ten können, damit sie in einem friedlichen und stabilenUmfeld stattfinden können und die ersten demokrati-schen Wahlen nach über 45 Jahren in diesem Land ihrenpositiven Niederschlag finden.
Ich könnte noch alle anderen Einsätze, an denen diedeutsche Bundeswehr beteiligt ist, darstellen. Wie Siewissen, sind wir in beobachtender Mission im Sudan, inDarfur, und in Äthiopien und Eritrea. Wir sind im Rah-mDa1NasEaWmüHwidfgdnRsWfWLNGdMAmsu6AnhieigdßanwShBKd
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4554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Bundesminister Dr. Franz Josef JungZu den Aufgaben der Bundeswehr gehört natürlichauch der Schutz Deutschlands. Die Bundeswehr hilft beijeglicher Art von Katastrophen. Ihr Einsatzspektrumreicht – ich kann es nur schlagwortartig skizzieren – vonder Schneekatastrophe über die Vogelgrippe bis zumHochwasserschutz. Die Bundeswehr soll sicherlich nichtoriginäre Polizeiaufgaben übernehmen. Da man aberheute nicht mehr ohne weiteres zwischen innerer und äu-ßerer Sicherheit trennen kann, halte ich es für notwen-dig, dass die Bundeswehr dann, wenn die Fähigkeitender Polizei nicht mehr ausreichen, wenn es beispiels-weise um terroristische Anschläge aus der Luft oder vonSee oder um eine asymmetrische Bedrohung geht, ihreFähigkeiten zur Gewährleistung der Sicherheit und zumSchutz unserer Bürgerinnen und Bürger einsetzt. Dieswerden wir auch in Zukunft gewährleisten.
Wir zählen im Rahmen des Konzepts der zivil-militä-rischen Zusammenarbeit auf die Unterstützung derReservisten. Wir brauchen weiterhin Reservisten.1 800 finden jedes Jahr Verwendung in Auslandseinsät-zen. Die Reservisten sind ein wichtiger Transmissions-riemen für die Bundeswehr in die Gesellschaft. Sie ha-ben weiterhin unsere Unterstützung verdient. Deshalbmöchte ich hier meinen Dank an die Reservisten für denBeitrag, den sie zur Gewährleistung unserer Sicherheitleisten, zum Ausdruck bringen.
Weil das angesprochen wurde, möchte ich es aufgrei-fen: Ich bin dankbar, dass wir im Koalitionsvertragvereinbart haben, an der Bundeswehr als eine Wehr-pflichtarmee festzuhalten. Von der Richtigkeit diesesBeschlusses bin ich felsenfest überzeugt; denn die Wehr-pflicht hat sich in mehr als 50 Jahren Bundeswehr be-währt. Sie stellt eine Verbindung der Bundeswehr mitunserer Gesellschaft dar.Zur Bundeswehr gehört nicht nur die innere Führung,sondern auch die Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat sichals Wehrpflichtarmee über 50 Jahre hinweg positiv ent-wickelt. Ich bin der Auffassung, wir sollten auch in Zu-kunft an der Wehrpflichtarmee festhalten, weil die Ver-bindung mit der gesellschaftlichen Entwicklung fürunsere Armee positiv ist.
Von 60 000 Wehrpflichtigen, die wir im Jahr einzie-hen, verpflichten sich 25 000 freiwillig weiter. Auch dasist ein Gesichtspunkt, den man nicht aus dem Auge ver-lieren darf, wenn es um Strukturentwicklungen der Bun-deswehr geht. Ich möchte noch hinzufügen, dass wirauch im Hinblick auf die Investitionen einen erheblichenBeitrag leisten. Der Jahreswirtschaftsbericht beziffert siemit 6 Milliarden Euro.Natürlich befindet sich die Bundeswehr in einemTransformationsprozess. Natürlich müssen wir uns aufaktuelle Einsatzlagen einstellen und tun dies auch. DieBundeswehr steht vor einer enormen Herausforderung.Wenn ich aber in dem einen oder anderen Bericht lese–SBmdswmgsunsSrggdWBdmrdhEzHiPsmHt
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, be-
rüße ich in Ihrer aller Namen den indischen Verteidi-
ungsminister Pranab Mukherjee mit seiner Delegation,
ie auf der Diplomatentribüne Platz genommen haben.
Herr Minister, wir freuen uns sehr über Ihren Besuch.
ir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt in
erlin und fruchtbare Gespräche. – Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieeisten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ver-ichten ihren Dienst im Moment in den Kasernen und aufen Übungsplätzen in Deutschland, aber doch sind na-ezu 8 000 Soldatinnen und Soldaten heute schon iminsatz in Afghanistan, in Usbekistan, in Bosnien-Her-egowina, im Kosovo, in Georgien, im Kongo und amorn von Afrika. Ihnen allen gebührt unser Dank fürhre hohe Leistungsbereitschaft und ihre vorbildlicheflichterfüllung, die sie oft genug unter widrigen Um-tänden beweisen müssen.
Diese widrigen Umstände sind einerseits im Zusam-enhang mit den Einsatzländern zu sehen, andererseits,err Minister, beruhen sie auf mangelnder Führungsleis-ung Ihrerseits.
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Birgit HomburgerEine mangelhafte Führungsleistung ist es zum Beispiel,wenn Aufträge und Mittel nicht im Einklang stehen. Wirhaben im Jahr 2000 drei Auslandseinsätze der Bundes-wehr bei einem Etat von 23,2 Milliarden Euro gehabt.Im Jahr 2006 gibt es acht Auslandseinsätze bei einemEtat von 23,88 Milliarden Euro. Der erste Eindruck: eineSteigerung von 3 Prozent, zumindest nominal. Wennman allerdings die Inflationsrate herausrechnet, dann er-gibt sich real eine Reduzierung um über 10 Prozent, unddas vor dem Hintergrund mehrerer zusätzlicher gefährli-cher Aufträge.
Das geht zulasten der Ausrüstung. Das ist für die Truppeunzumutbar und politisch nicht mehr hinnehmbar.
Sie, Herr Minister, sagen, Sie brauchten mehr Geld.Das haben wir im Übrigen vor dem Beschluss über denKongoeinsatz auch schon von Ihnen gehört. Aber durch-gesetzt haben Sie es nicht. Jetzt wird die Forderung wie-der erhoben. Herr Minister, Forderungen allein nützennichts. Sie dürfen sich vom Finanzminister eben nichtwieder über den Tisch ziehen lassen. Sie müssen sichendlich einmal durchsetzen – bisher weit gefehlt!Der Gesamthaushalt 2007 steigt nach dem vorliegen-den Entwurf um 2,3 Prozent. Der Einzelplan 14 steigtum 2 Prozent, in Zahlen ausgedrückt: um 480 MillionenEuro. Herr Minister, 2007 wird die Mehrwertsteuer um3 Prozentpunkte erhöht. Das bedeutet für den Verteidi-gungshaushalt eine Zusatzbelastung von 300 MillionenEuro. Für die Bundeswehr heißt das unterm Strich, dassim nächsten Jahr trotz gestiegener Anforderungen realweniger Mittel zur Verfügung stehen als in diesem Jahr.Das, Herr Minister, ist nicht weiter zu verantworten.
Deshalb müssen Sie dafür sorgen, dass sich die Bun-desregierung hier eindeutig erklärt. Am saubersten wäreeine Lösung, die vorsieht, dass zusätzliche Einsätze ausdem allgemeinen Haushalt bezahlt werden. Das Ganzeliegt ohne Wenn und Aber in Ihrer Verantwortung. Ichsage Ihnen ganz deutlich: Sie schulden der Truppe Klar-heit in der Forderung und auch Durchsetzungsfähigkeit.Beides vermissen wir, nicht nur beim Haushalt.Beispielhaft verweise ich auf all das, was beim Ein-satz im Kongo schief gelaufen ist. Zuerst waren Sie ei-gentlich eher ablehnend und haben gesagt: nur Sanitäteroder nur Transport. Dann haben Sie gesagt: keine Füh-rungsrolle. Heute haben wir eine Führungsrolle. Dannhaben Sie gesagt: 500 Soldaten. Jetzt sind es 780. Dannhaben Sie gesagt: Der Einsatz ist auf vier Monate be-grenzt. Sie haben in der Vorbereitung des Kongoeinsat-zes einen Hickhack abgeliefert. Wenn man sich heute an-schaut, was in der Vorbereitung des von Ihnen geplantenNahosteinsatzes geschieht, dann muss man schlicht fest-stellen: Sie haben daraus nichts gelernt.
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Was die Wahlen angeht, haben Sie sich nach wie voricht um ein politisches Konzept gekümmert. Ich findes bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung nachem Beschluss im Deutschen Bundestag – ein wesentli-her Grund, warum wir, die FDP, ihm nicht zustimmenonnten, war, dass unserer Meinung nach ein politischesonzept für die Stabilität des Landes nach den Wahlenehlt – um das Thema Kongo schlicht und ergreifendicht mehr gekümmert hat. Dieses ganze Thema ist erstieder auf Ihrem Plan gewesen, als der deutsche Bot-chafter und andere in dieser gefährlichen Situation wa-en.
orher haben Sie sich darum nicht gekümmert. Das isticht hinnehmbar. Wer deutsche Truppen ins Auslandchickt, muss sich auch um eine politische Lösung küm-ern.
Das gilt im Übrigen auch für die Vorbereitungen einesinsatzes im Nahostkonflikt. Wir haben die Grundsatz-ebatte dazu im Rahmen der Beratung des Etats desuswärtigen Amtes geführt. Die Bundesregierung hatier in den letzten Wochen aus unserer Sicht Vorschlägeür eine politische Lösung und Hilfsangebote durch eineilitärangebotspolitik ersetzt. Herr Minister, Sie warenerjenige, der hier zuvorderst klar gesagt hat: „Wir kön-en uns dem nicht entziehen!“ und damit die Bundesre-ublik Deutschland in diese schwierige Situation ge-racht hat.Sie haben dann nahezu täglich für weitere Irritationenesorgt. In einem für den Auftrag und die Truppe ent-cheidenden Moment fehlen wieder Klarheit und Durch-etzungsfähigkeit. Ich wundere mich schon, dass Sie hier
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Birgit Homburgernichts zu der aktuellen Debatte über diese Sechs-Meilen-Zone sagen. Herr Minister, das hätte in diese Debatte ge-hört.
Wir stellen fest, der Libanon stellt Bedingungen. Ichhätte von Ihnen erwartet, dass Sie auch sagen: Diese Be-dingung ist nicht akzeptabel, weil eine effektive Kon-trolle und die Unterbindung von Waffenschmuggel esnicht zulassen, dass die libanesische Armee in einerSechs-Meilen-Zone zuständig ist. Das sagen Ihnen alleFachleute.
Beispielsweise hat Herr Gertz vom Bundeswehr-Ver-band deutlich gesagt, dass das nicht geht. Herr Minister,deswegen erwarte ich von Ihnen, dass Sie klar und deut-lich sagen, dass das nicht infrage kommt. Solange dieEinsatzregeln nicht klar sind und solange das Ziel einesEinsatzes, wie Sie es definieren, aufgrund der Rahmen-bedingungen gar nicht erreichbar ist,
ist es unverantwortlich, deutsche Soldaten in Gefahr zubringen.
Dazu erwarte ich eine klare Stellungnahme von Ihnen.
Ich möchte eine letzte Bemerkung zum ThemaAfghanistan machen. Herr Minister, die Situation in Af-ghanistan – auch Sie haben das angesprochen – hat sichverschärft. Ich erwarte, dass wir im Deutschen Bundes-tag im Rahmen der Diskussion über die Verlängerungdes ISAF-Mandats, das am 13. Oktober abläuft, endlicheinmal darüber sprechen,
welche politischen Ziele und welche Ziele im Land ei-gentlich erreicht sein müssen, damit die Bundeswehrwieder abziehen kann. Das sind Fragen, die beantwortetwerden müssen. Auch hierbei geht es um ein politischesGesamtkonzept und eine Diskussion mit unseren Part-nern. Das muss im Rahmen dieser Debatte im DeutschenBundestag gewährleistet werden.Hierzu müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, auchGespräche beispielsweise in Afghanistan. Sie warendort. Sie haben die Truppe besucht. Sie waren nicht inKabul. Das ist einer der weiteren großen Fehler IhrerAmtszeit.Herr Minister, in der heutigen Debatte geht es nichtnur um die Einbringung des Haushalts 2007, sondernauch um die Bilanz über ein Jahr Regierungstätigkeit.EnGsduhednSudghDdsgSdhsnIWiuP
ine klare Linie ist nicht erkennbar. Sie stolpern von ei-em Einsatz in den nächsten. Die dringend nötigerundsatzdebatte über Kriterien für einen Auslandsein-atz, die eigentlich anhand des Weißbuchs geführt wer-en müsste, haben Sie durch desaströses Managementnd unnötige Alleingänge an die Wand gefahren. Des-alb bitte ich die Bundeskanzlerin um eine Regierungs-rklärung zur Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr undie Sicherheitspolitik sind zu wichtig, um sie weiter ei-em angeschlagenen Minister allein zu überlassen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Fürns Verteidigungspolitiker ist es eine neue Erfahrung,ass in einer solchen Haushaltsdebatte eigentlich durch-ängig von morgens bis abends über deutsche Sicher-eits- und Verteidigungspolitik gesprochen wird.
as begrüßen wir. Das spiegelt auch die Veränderung iner Welt, in der Staatengemeinschaft wider.Frau Homburger, die sicherheitspolitische Welt, dieich rasant verändert, verändert sich nicht nach den Vor-aben der FDP. Das können Sie nicht steuern.
ie machen es sich hier in einer Art und Weise leicht miter Kritik, dass ich das, was Sie an Pfeilen losgesendetaben, zurückgeben will.Sie erheben hier den Vorwurf, Deutschland isoliereich durch sein internationales Engagement in der inter-ationalen Staatengemeinschaft. Darüber müssen Sie inhrer Partei schon noch einmal nachdenken.
ürden wir Ihren Ratschlägen folgen, wäre Deutschlandn der Staatengemeinschaft allein
nd würde sich nicht mehr mit seinen Freunden undartnern auf gemeinsame Vorgehensweisen gegen ge-
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Rainer Arnoldmeinsam erkannte Risiken verständigen. Das wäre un-verantwortlich.Wenn Sie genau nachdenken, werden Sie merken,dass Sie inzwischen manchmal doch nahe an der Argu-mentation der Kollegen der PDS bzw. der Linken sind.Da würde ich mich an Ihrer Stelle schon fragen, ob ichnicht etwas falsch mache.
Als ich heute Morgen den Sprecher aus dem Saarlandgehört habe, ist mir eingefallen, dass Willy Brandt– vielleicht haben wir ihn mal gemeinsam geschätzt –gesagt hat: links und frei. Er hat aber nicht gemeint: freivon Verantwortung. Diese Art der Politik „frei von Ver-antwortung“ betreiben diese beiden Oppositionsparteien,Linke und FDP, gerade miteinander.
So viel zum Einstieg.Wir alle merken, was sich auch für die Bundeswehrverändert hat. Wir haben in den Einsatzgebieten verän-derte Bedingungen und neue Aufgaben. Das gilt in ho-hem Maße für die Sicherheitslage in Afghanistan. Beiallen Erfolgen, die der Außenminister heute hier zuRecht beschrieben hat, gibt es keinen Grund, um die ei-gentlichen Probleme herumzureden. Im Süden des Lan-des herrscht in diesen Tagen letztlich wieder Krieg.Auch wenn es noch keine Irakisierung des Landes gibt,die Methoden sind in Afghanistan die gleichen wie imIrak: Sprengstofffallen, Selbstmordattentäter und vielesandere mehr. Dass dies auch im Norden durchschlägt,macht die Arbeit für die Soldaten und für die Bundes-wehr dort nicht einfacher. Deshalb ist es selbstverständ-lich, dass wir Politiker, aber auch die Truppe selbst, im-mer wieder darüber nachdenken, wo dieses Mandat einStück weit nachgebessert und neu justiert werden muss,wo neue Fähigkeiten benötigt werden, wo zusätzlicherSchutz für die Soldaten erforderlich ist.Aber am Ende bleibt doch die Erkenntnis, dass dieserAuftrag wirklich ohne Alternative ist.
Wenn wir diesen Auftrag nicht hinbekommen, fragenuns die Menschen eines Tages: Warum habt ihr zugelas-sen, dass sich Drogenkartelle, Terroristenausbildungs-camps und schlimmste Menschenrechtsverletzungen un-ter euren Augen wieder ausgebreitet haben? – Das wäredie Frage, die uns die nachfolgenden Generationen stel-len würden. Deshalb sage ich ausdrücklich: Wir müssenund werden alles tun, damit dieses Mandat zum Erfolggeführt wird.Ich weiß, dass das nicht primär eine militärische Auf-gabe ist. Es ist wichtig, dass die Soldaten das bekom-men, was sie brauchen. Sie haben dort 480 geschützteFahrzeuge. Es ist also keinesfalls so, dass wir sie ohneSchutz und alleine lassen. Wir wissen, dass das Basisla-gWMedmnksWGIHd–WezdtwddVdMTsäwgntfdamnm–egdudbig
ir werden in der nächsten Sitzungswoche ausführlichelegenheit haben, diese ein Stück weit zu verbreitern.ch denke, das ist die richtige Antwort angesichts dererausforderungen.Die zweite neue Herausforderung, die wir haben, istas Mandat im Kongo. Bei allen Schwierigkeitenaber wir sind ja dort, weil es schwierig ist – ist derahlprozess wie geplant verlaufen. Die Entsendung deruropäischen Truppe war richtig. Eines hat sich doch ge-eigt: Beim Aufkeimen von Unruhen hat sich die Theseer Staatengemeinschaft, dass eine stabile Gruppe benö-igt wird, die möglicherweise von außen noch verstärkterden kann, bestätigt und damit hat sich die Entsen-ung bewährt. Deshalb gibt es keinen Grund für Verän-erungen.Noch weniger Grund gibt es, schon jetzt über eineerlängerung des Mandats zu diskutieren. Ich glaube,ass die Verlässlichkeit bezüglich der Einhaltung desandats von vier Monaten für die Soldaten in derruppe, aber auch für die deutsche Öffentlichkeit einehr hohes Gut ist. Wenn die Situation sich wirklich ver-ndert, dann muss auch in New York neu nachgedachterden, wie MONUC ausgestaltet wird. Wir würdenern zu den im Einsatzbeschluss vorgesehenen vier Mo-aten stehen. Dies ist für die Verteidigungspolitiker na-ürlich ein sehr wichtiger Punkt.Frau Homburger, wenn Sie hier immer die angeblichehlenden politischen Konzepte anmahnen,
ann ist das keine Kritik am Verteidigungsminister unduch keine Kritik an der Bundesregierung. Es ist eine an-aßende Kritik der Weltmacht FDP an allen internatio-alen Organisationen und der internationalen Staatenge-einschaft insgesamt. Die Konzepte für den Kongodieses Mandat ist ja nur ein kleines Mosaiksteinchen;s gibt ein breites Konzept für den Kongo – und für Af-hanistan müssen hinterfragt und auch verändert wer-en. Ihre Kritik richtet sich in einer überheblichen Artnd Weise an all die Akteure,
ie sich in der internationalen Politik um diese Prozesseemühen. Ich halte die Kritik wirklich für absolut nichtn Ordnung.Es gibt eine dritte Veränderung – sie wurde schon an-esprochen –, und zwar den möglichen Einsatz im
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Rainer ArnoldLibanon. Wir wissen alle, dass das in erster Linie einehumanitäre Aufgabe ist, die schnell angegangen werdenmusste. Das Blutvergießen dort musste gestoppt werden.Der Maßstab, nach dem wir entscheiden, sollte nicht sosehr die historische Verantwortung sein. Die haben wir;ganz klar. Daraus kann man aber zwei unterschiedlicheErkenntnisse ziehen: Man kann sagen, wegen unsererGeschichte müssen wir uns dort heraushalten. Aber ge-nauso ethisch ist es zu sagen, gerade wegen unserer Ge-schichte müssen wir uns dort engagieren.Deshalb ist mein Maßstab – und ich denke, auch dervieler Kollegen – die Frage: Können wir einen ernsthaf-ten Beitrag zur Stabilisierung in dieser Region leisten?Können wir kurzfristig einen ernsthaften Beitrag zumBeenden des Blutvergießens leisten und langfristig einenProzess mit unterstützen, der zu einer nachhaltigen Frie-denslösung führt? Ich glaube, wenn wir gefragt werdenund das Mandat so ausgestaltet wird, dass es wirksamist, dann wird es keinen Dissens geben und dann werdenalle dieses Mandat unterstützen, auch der Verteidigungs-minister.
Dann werden wir am Ende gut daran tun, diese Aufgabezu übernehmen.All diese Veränderungen werden sich natürlich aufdie Bundeswehr auswirken. Ich glaube nicht, dass dieReform deshalb falsch ist. Aber wir haben ein objektivesProblem: Die Reform zielte auf das Jahr 2010 ff. ab; dieWelt hat sich aber schneller verändert. Deshalb glaubeich, dass wir sehr sorgsam miteinander über die Fragereden müssen: Welche Veränderungen sind kurzfristigerforderlich? Ich würde es für richtig halten, wenn wirsorgsam die Fragen untersuchen: Welchen zusätzlichenSchutz braucht die Truppe? Was kann die Truppe aus ei-gener Kraft noch zusätzlich erwirtschaften? Es gilt si-cherlich das Prinzip, dass man das Geld nur einmal aus-geben kann, aber es lohnt sich schon, zweimal darauf zugucken, wie man es ausgibt. Ich persönlich glaube aller-dings, dass das Strecken von Investitionen, das Setzenvon Prioritäten in den letzten Jahren sehr gut und schlüs-sig war und dass es daher nicht mehr viel Spielraum ge-ben wird.Auch wenn wir über 600 Millionen Euro für Aus-landseinsätze vorgesehen haben, gehe ich davon aus,dass dieses Geld am Ende für die neuen Aufgaben nichtreichen wird. Ich wäre auch nicht damit zufrieden, wenndie Bundeswehr gerade so mal eben alle diese Aufträgeerledigen kann. Soll die Truppe auch in Zukunft ein In-strument der Außen- und Sicherheitspolitik sein, musssie auch weitere Spielräume haben und darf in diesemBereich nicht von vornherein Einschränkungen unterlie-gen. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir sehr kon-zentriert, projektbezogen quantifizierbar im Etat nach-steuern und die Dinge beschaffen, die notwendig sind.Das ist der richtige Prozess, der dann auch nicht die be-fürchteten Kaskaden bei den anderen Ressorts weckenwird mit der Folge, dass die Begehrlichkeiten überallsteigen. Ich glaube, diesen Weg sollten wir miteinandergvmhhwsakÄZewvgrMswcBzkddFHktdFsABFmgnsSlfnlk
Bei all diesen Diskussionen vergessen wir nicht dieenschen in der Truppe. Wir müssen die Attraktivitätteigern. Wir müssen jetzt das Personal für morgen an-erben. Wir müssen uns jetzt Gedanken darüber ma-hen, dass es bei einem veränderten Arbeitsmarkt für dieundeswehr nicht einfacher wird, qualifiziertes Personalu bekommen. Wir müssen jetzt auch darüber nachden-en, ob Zeitsoldaten nicht vielleicht ein bisschen längerienen sollten. Ich halte das für richtig. Ich halte auchie Feststellung des Ministers für richtig, dass wir in derrage der Wehrpflicht das Thema Dienstgerechtigkeit iminterkopf haben müssen. Das darf am Ende aber aufeinen Fall zulasten der Zahl der Zeit- und Berufssolda-en gehen. An diesen Stellschrauben entlang gilt es zuiskutieren.Eines wissen wir aber auch: Alle diese materiellenragen sind wichtig, aber wir brauchen in unserer Ge-ellschaft eine breite Debatte über die Legitimation vonuslandseinsätzen. Das Weißbuch kann dazu eineneitrag leisten. Ich appelliere deshalb sehr dafür, denokus auf diese Frage und nicht so sehr auf eine Ver-engung zwischen äußerer und innerer Sicherheit zu le-en. Wir werden das tun müssen, was der Minister sagt,ämlich die Einsätze in der Luft und auf See verfas-ungsmäßig regeln. Dann ist es aus sozialdemokratischericht aber auch gut.Wir müssen den Fokus auf die Frage der Legitimationegen. Ich glaube, es ist nicht so schwer, diese Debatte zuühren. Ich habe heute hier ein paar Mal die Forderungach einem Kriterienkatalog gehört. Einen solchen Kata-og mit Häkchen für einen Einsatz wird es nicht gebenönnen.
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Rainer Arnold
Aber etwas muss geben.
– Das sage ich doch gerade, Frau Homburger. – Manmuss sich die Maßstäbe, nach denen wir entscheiden,noch einmal klar machen. Diese Maßstäbe beruhen beiallen Einsätzen auf drei Säulen:Die erste Säule ist die ethische Verantwortung. Wirdürfen nicht wegsehen, wenn Menschen in der Welt inBedrängnis sind, wenn Massenmord und Völkermorddrohen. Das ist eine Legitimation für Auslandseinsätze.Die zweite Säule ist die Frage von Interessen. Dabeigeht es nicht um partikulare nationale Interessen, son-dern um gemeinsame europäische Interessen. Frieden imLibanon und im Kongo liegt im Interesse eines jedenvernünftigen Menschen auf der ganzen Welt. Bei der Ge-wichtung von Interessen müssen wir aber auch fragen:Wo hat Deutschland eine besondere Verantwortung inder Welt, vielleicht weil das Krisengebiet in der Näheliegt oder aufgrund unserer besonderen Geschichte? Fürandere Länder stellen sich diese Fragen im Zusammen-hang mit ihrer Verantwortung gegenüber früheren Kolo-nien. So definiert würde die Debatte um Interessen einerichtige Debatte.Wir sollten den Fehler vermeiden, ökonomische Inte-ressen missverständlich herüberzubringen. Den Zugriffauf Ressourcen mit militärischer Gewalt will niemandhier. Aber es geht um ökonomische Interessen in folgen-dem Sinne: Die Stabilität im Kongo – um dieses Beispielzu nennen – ist eine Voraussetzung dafür, dass die deut-sche Wirtschaft die Türen geöffnet bekommt und mit ei-nem fairen Handel beginnen kann, der letztlich denMenschen im Kongo hilft und verhindert, dass mafiöseStrukturen dieses Land ausbeuten. Insofern geht es auchum ökonomische Interessen.
Die dritte Säule schließlich kommt in der Legitima-tion der deutschen Politik oftmals vielleicht zu kurz. Esgibt auch ein politisches Interesse für Einsätze. In derVergangenheit haben wir die ethisch-moralische Fragemanchmal ein bisschen überhöht. Vielleicht war diesaufgrund der deutschen Geschichte auch notwendig; eswar nicht einfach, plötzlich in den Kongo zu ziehen.Dies hat es manchmal nicht leichter gemacht. Aber na-türlich war der Einsatz in Osttimor in erster Linie poli-tisch und nicht operativ begründet.
Herr Kollege Arnold, denken Sie an Ihre Zeit.
Ja, ich komme zum Ende. – Ich halte es für richtig,
dass wir uns zu diesem politischen Interesse bekennen.
Denn dieses wirtschaftsstarke, wichtige Land in Mittel-
europa muss den Anspruch haben, bei internationalen
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4560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Aus den Einsatzszenarien des Kalten Krieges stam-en auch die Cluster- und Streubomben, deren verhee-ende Wirkung wir gerade im Libanon gesehen haben.ie werden von der Bundeswehr noch vorgehalten. Die-es gesamte Arsenal sollte unverzüglich ausgemustertnd vernichtet werden.
Um das zusammenzufassen: Ihre Losung scheint zuauten: Wir wollen alles, die alten schweren Waffensys-eme und Plattformen, zweites Los U-Boote, neue Fre-atten, Korvetten. Sie wollen die beste Hightech-Aus-üstung und Sie wollen die maximalen Anforderungener Nato für alle denkbaren Einsatzspektren bedienen.Eine wirkliche Konzeption der Streitkräfte sieht mei-er Überzeugung nach ganz anders aus. Es wäre rational,abei auch an tiefe Einschnitte in die vorhandenen Waf-enarsenale zu denken. Die Wahrheit ist nämlich: Rüs-ungsbarock können wir uns nicht mehr leisten. Dassine solche Konzeption mit Überlegungen über die Um-idmung militärischer Potenziale für zivile Zwecke ver-nüpft werden muss, das liegt auf der Hand. Wir müss-en also auch einmal wieder über Konversion reden,onversion bei Liegenschaften, Personal, Rüstungspro-uktion. Wir werden jede Initiative unterstützen, die inieser Richtung aktiv wird. Dies gilt nicht zuletzt für dieürgerinitiative, die sich für eine alternative Nutzunges Bombodroms in der Wittstocker Heide einsetzt; daserden wir unterstützen.
Ferner werden wir beantragen, in diesem Einzelplanut 2 Milliarden Euro einzusparen und die frei werden-en Mittel in Konversionsmaßnahmen, in den zivilenriedensdienst, in die Friedensforschung und nicht zu-etzt in die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zutecken. Da sind wir auch in guter Gesellschaft. Der ehe-alige amerikanische Präsident Bill Clinton wird heuteon den Nachrichtenagenturen mit den Worten zitiert,ass eine deutliche Aufstockung der Entwicklungshilfeoch entschieden billiger sei, als in den Krieg zu ziehen.o der Mann Recht hat, hat er Recht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf ei-en Punkt zurück, den ich eingangs erwähnt habe: Dieeutschen sind überwiegend skeptisch bis kritisch,enn es um Bundeswehreinsätze wie im Kongo oderetzt im Libanon geht.
teigende Rüstungslasten sind gewiss nicht das, was sieünschen. Ich muss leider feststellen, dass im Gegensatzazu der Hauptstrom der Meinungsmacher bei der Lo-ung „Mehr Geld für die Bundeswehr“ einen gewissen
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4561
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Paul Schäfer
Sexappeal entdeckt hat. Ich wundere mich nur, dass die-selben Autoren im gleichen Atemzug sagen: Es gibtKlärungsbedarf: Wo gehen wir mit der Bundeswehrhin? Warum? Was liegt in unserem Interesse, was nicht?Wenn wir nicht überall dabei sein können und wollen– andere tun das ja auch nicht –: Nach welchen Kriterienentscheiden wir über deutsche Beteiligung? Wo hat mili-tärisches Krisenmanagement geholfen, wo versagt?
– Das sind Fragen, die sich alle stellen müssen; völligklar. Ich denke nur: Man darf nicht den zweiten Schrittvor dem ersten tun, lieber Kollege Nachtwei. Wenn manfür mehr Auslandseinsätze und auch für mehr Geld fürdie Rüstung ist und erst danach fragt: „Wozu?“, ist dasetwas abstrus.Richtig ist: Deutschland ist wichtig in der Welt; dasinternationale Engagement der Deutschen ist wichtig.Aber richtig ist damit noch lange nicht, dass wir überallmilitärisch dabei sein müssen. Bewaffnete deutsche Sol-daten im Nahen Osten – das ist heute auch schon einpaarmal gesagt worden –, das ist nicht nur hoch riskant.Vielmehr würden sie auch einen Problemfaktor darstel-len. Wenn es daneben ginge, könnte das auch unsere be-sonderen Möglichkeiten zur Konfliktvermittlung gefähr-den. Deshalb sagen wir: Wir sollten uns auf unserenBeitrag zu diesem politischen Friedensprozess
und zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammen-arbeit in Nahost konzentrieren. Deshalb sagen wir:UNO-Mission ja, aber deutsche Beteiligung nein.Dass wir uns beschränken müssen, gilt erst recht fürdie Rüstungsexportpraxis. Wenn ich das richtig sehe,scheint diese Regierung aber mit dem Grundsatz, dassman keine Waffen in Spannungsgebiete liefern darf, end-gültig brechen zu wollen. Der Waffenhandel mit Indienkommt in Schwung. Während man auf der einen SeiteWaffenlieferungen an die Hisbollah unterbinden will,bekommt Israel zwei U-Boote zum Subventionspreis. Estut mir leid: Das ist keine Friedenspolitik.
Wir müssen darüber diskutieren, ob die Voraussetzun-gen für die weitere Erhöhung der Ausgaben für Rüstungund Bundeswehr gegeben sind. Dazu gehört an ersterStelle eine genaue und schonungslose Bilanz der bisheri-gen Bundeswehreinsätze. Auch das ist schon oft hier ge-sagt worden; wir müssen es nun endlich tun.Man könnte jetzt damit beginnen, darüber zu diskutie-ren, welche Kriegsziele im Kosovo ausgegeben wurdenund was unter dem Strich geblieben ist. Ich will mir dasan dieser Stelle ersparen. Tatsache ist jedenfalls: DieZahl der Militäreinsätze nimmt zu, die Bundeswehrbleibt überall länger als vorgesehen und eine nachhaltigeBefriedung ist oft nicht in Sicht. Daher muss doch dieFrage nach alternativen Krisenlösungskonzepten gestelltwerden dürfen. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, obman mehr hätte erreichen können, wenn man einen Teilder Summe von circa 9 Milliarden Euro, die seit 1992fmzSdkEh8fARcsSbvDHgduarWsDgblDhgEvTkswcDbbmIttIwIg
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4562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4563
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Inzwischen sind auch aus den Reihen der Koalitioninreichend viele Äußerungen zu vernehmen, die bestä-igen, dass es sich hierbei nicht nur um ein Problem derpposition handelt.
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Alexander Bonde
Ein schwacher Minister ist ein Problem für die Sicher-heitspolitik. Aber ein genauso großes Problem ist eineKanzlerin, die zu schwach ist,
daraus Konsequenzen zu ziehen und diesen Ministerdementsprechend zu behandeln.
– Herr Kampeter, Sie und ich wissen doch, dass dieKanzlerin aus Rücksichtnahme auf Roland Koch über-haupt nicht daran denken darf, diesen Minister anzutas-ten.
Ich komme zum Schluss. Vielleicht können wir es unsin den Einsatzgebieten leisten, der Bundeswehr zuzumu-ten, mit Ministern umgehen zu müssen, die ihre Funk-tion der Loyalität zu lokalen Stammesfürsten und War-lords verdanken. Wenn es aber um die Spitze deseigenen Ministeriums geht, können wir das nicht tun.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Hans Raidel, CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Minister, zuerst darf ich mich sehr herzlichbei Ihnen dafür bedanken, dass Sie die Probleme ganzklar, offen und deutlich ansprechen. Ich wünsche mir,dass Sie auch weiterhin allen Winden trotzen. Lassen Siesich nicht beirren.Lieber Herr Kollege Bonde, es kann sich keiner mehrblamieren, als dass man ihn reden lässt. Das haben Sie inhervorragender Weise geschafft.
Frau Kollegin Homburger, wenn man Ihnen zuhört,sehnt man sich nach unserem ehemaligen und großarti-gen Kollegen Günther Nolting zurück. Das waren nochZeiten in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich heute derTransformation der Bundeswehr, die im MittelpunktstggimdcwpndgwgtssNmRd2zvleAknSsdtwnmtdsvPlstMdSbdaIAtr
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ielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Elke Hoff, FDP-Frak-
ion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Jung,ie legen heute einen weiteren Verteidigungshaushaltor, der leider längst Makulatur ist. Er ignoriert die Ent-icklung der Materialerhaltungskosten, der Betriebsaus-aben und der Kosten für die laufenden Auslandsein-ätze. Der zu erwartende Einsatz der Bundeswehr imibanon kann, wenn überhaupt, in diesem Haushaltsjahr
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Elke Hoffnur überplanmäßig finanziert werden. Die in Ihrem Hausals dringend notwendig bezeichneten Maßnahmen zumEigenschutz der Soldaten in Afghanistan sind überhauptnoch nicht dargestellt.Genauso schwer wiegt, dass Sie mit diesem Haushaltin keiner Weise dem Anspruch gerecht werden, die Vor-gaben des Bundeswehrplanes 2007 umzusetzen. Damitsetzen Sie das Gelingen des Transformationsprozessesaufs Spiel, der doch der Dreh- und Angelpunkt der Neu-ausrichtung der Bundeswehr ist. Wenn man konservativrechnet, ergibt sich eine Unterdeckung des Verteidi-gungsetats bis 2010 von 3,34 Milliarden Euro. Die Fach-presse, in diesem Fall die August-Ausgabe der „Europäi-schen Sicherheit“, benennt sogar ein Defizit von15 Milliarden Euro bis zum Jahre 2011.Die große Koalition schreitet von einer Steuererhö-hung zur nächsten und entfernt sich trotzdem immerweiter von einer seriösen Finanzplanung für die Bundes-wehr. Zwar entdeckt nun auch die Bundeskanzlerin– man möchte sagen: endlich – ihr Herz für unsere Sol-datinnen und Soldaten, sie bleibt aber konkrete Verbes-serungs- und Finanzierungsvorschläge schuldig. Es istschon eine verkehrte Welt, wenn die amtierende und da-mit verantwortliche Regierungschefin den Zustand ihrerBundeswehr kritisiert, als lebe sie auf einem anderenStern.
Die Einbringung eines solchen Haushaltsentwurfs istAusdruck des mangelnden Rückhalts, den Sie, Herr Ver-teidigungsminister Jung, im Kabinett und in der großenKoalition genießen. Der Verteidigungsetat steigt in Rela-tion zum Gesamthaushalt unterdurchschnittlich, obwohldie Anforderungen an die Bundeswehr in rasantemTempo wachsen. Der investive Anteil steigt um magere1,5 Prozent. Sie können eine Neujustierung bei denwichtigsten Beschaffungsvorhaben nicht durchsetzen,obwohl der Generalinspekteur deren Notwendigkeitdeutlich anmahnt – wenn auch mit bedauernswerter Ver-spätung.Ohne eine Reduzierung der Stückzahl bei den Groß-projekten Eurofighter und A400M werden Sie im Haus-halt nicht die Spielräume erreichen, die notwendig sind,um kurzfristig das beschaffen zu können, was für dieEinsätze der Bundeswehr am dringendsten benötigtwird. Eine klare Priorisierung zugunsten der Sicherheitunserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz ist notwen-dig. Sie sind mit dem besten und sichersten Material,welches zur Verfügung steht, auszurüsten. Die Entschei-dung für Einsätze der Bundeswehr im Ausland ist nurdann zu verantworten, wenn für die Soldaten ein Opti-mum an Schutz und Wirkung gewährleistet wird.
Insofern sind der Mangel an gepanzerten Fahrzeugen,Hubschraubern und Transportkapazitäten sowie dermangelnde Feldlagerschutz unverantwortlich.Dem Vernehmen nach sollen in Ihrem Haus all dieje-nigen Beschaffungsvorhaben noch einmal auf den Prüf-stand gestellt werden, die noch keiner vertraglichen Bin-dFSmftsnfwbrielzzfnwnKbdreVdwtWbkfunfWMmwSrsESdthdA
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– Ich freue mich über so viel Zuspruch, obwohl ich nochgar nichts Inhaltliches gesagt habe.Zu Beginn eine kurze Anmerkung zur Kollegin Hoff:Ich halte Ihre Ausführungen zur Unterfinanzierung derBundeswehr für sehr interessant; allerdings passen IhreAzvwGKphigwwmmgndbwtPzBttEslGusmVdgHZhEdsgflndmKCAdf
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Lassen Sie mich darauf eingehen, was heute ausgeführtwurde. Der Kollege Raidel hat die Transformation alseine Reparatur am laufenden Motor bezeichnet. Das istzwar eine gängige, aber nicht die formale, offizielle Be-gründung. Darin heißt es, dass Transformation die Ver-besserung der Einsatzfähigkeit und die Anpassung an dieLage ist. Ich glaube, das beschreibt es genauer. Die Bun-deswehr wird nie fertig sein. Wir werden nie eine Armeehaben, die wir nach einem Bauplan erstellen nach demMotto „Wenn sie irgendwann fertig ist, stellen wir sie ir-gendwohin und sind stolz darauf“. Vielmehr werden wirdie Bundeswehr ständig anpassen müssen. Deswegenwird es ständig zu Veränderungen kommen. Darüber zustreiten, wie sinnvoll diese Veränderungen sind, ist sehrehrenvoll. Ich glaube jedoch nicht, dass man sich gegen-seitig etwas vorwerfen muss. Für mich sind verschie-dene Standpunkte durchaus möglich.Ein Blick in den Haushalt zeigt aber, dass die Risikenin diesem Haushalt größer geworden sind als die beste-henden Handlungsspielräume. Jetzt müssen wir uns da-mit auseinander setzen, wie man damit umgeht.In diesem Zusammenhang will ich aber auch daraufeingehen, dass wir neue Belastungen bewältigen müs-sen. Wir haben in der Vergangenheit mehr Geld für For-schung und Entwicklung und für militärische Beschaf-fung ausgegeben. Diese Mittel werden inzwischeninsbesondere von Auslandseinsätzen aufgefressen, diedie Bundeswehr durchführen muss. Dafür werden keinezusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt, sodass wirdas Geld anderweitig aufbringen müssen. Deshalb mussman diese Ausgaben näher betrachten.Der Einsatz in Afghanistan – das wurde schon er-wähnt – wird auf jeden Fall gefährlicher und teurer undwird stärkere Belastungen für die Soldatinnen und Sol-daten mit sich bringen. Hinzu kommen neue Einsätze imKongo und Libanon. Darüber und über die Sinnhaftig-keit dieser Einsätze ist schon viel gesagt worden. DesWeiteren wird über einen weiteren Auslandseinsatz inDarfur diskutiert.Ich glaube – so sinnstiftend der jeweilige Einsatz derBundeswehr in all diesen Regionen auch immer seinmag –, man muss sich genau überlegen, was der Bundes-wehr noch zugemutet werden kann und was wir finan-zieren können. Deswegen glaube ich, dass die Feststel-lung Gerhard Schröders immer noch gilt: Werirgendwann irgendwo hineingeht, muss auch wissen, wieen–ImwlnugddsDsMmtDdmfvunzswsgohEaemnRmmVkubwnhsiwdbwZz
Das hat mit Philosophie nichts zu tun, Herr Kollege.ch finde, das hat vielmehr etwas damit zu tun, wie manit der Planbarkeit bei der Bundeswehr umgeht. Es istichtig, künftig stärker zu bedenken, wie man aus Aus-andseinsätzen wieder herauskommt – ein Blick auf Bos-ien zeigt, wie man Entwicklungen verändern kann –nd wie wir alle dazu beitragen können. Ich persönlichlaube, dass wir uns verstärkt darum kümmern müssen,ie Einsätze der Bundeswehr enger mit den Maßnahmener Entwicklungshilfe zu verknüpfen. Wenn zum Bei-piel afghanische Bauern ihr Geld nicht mehr mit demrogenanbau verdienen können, dann müsste eigentlichofort die GTZ einfliegen und sich um gemeinsameaßnahmen bemühen.Die viel stärkere Verknüpfung der Entwicklungshilfeit den Einsätzen der Bundeswehr kann auch das Na-ion-Building und den Wiederaufbau vor Ort erleichtern.ie Aufgabenkritik in der Entwicklungshilfe ist aucheshalb nötig, um zu erkennen, inwiefern beides zusam-enpasst. Denn nur so kann man eine Perspektive schaf-en, dass der Einsatz der Bundeswehr bei Abwesenheiton Krieg dazu führt, dass vor Ort etwas passiert, wasns alle weiterbringt. Diese Aufgabe werden wir in denächsten Jahren verstärkt wahrnehmen müssen. Es istwar schon einiges passiert, aber ich glaube, dass nochehr viel mehr notwendig ist.Ich möchte noch einige Punkte ansprechen, die ich fürichtig halte. Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehrelber muss verbessert werden. Ich glaube, dass man an-esichts der Haushaltsrisiken darüber diskutieren kann,b wir die durch die Mehrwertsteuererhöhung entste-enden Mehrausgaben ersetzt bekommen und ob wir dieinsätze der Bundeswehr refinanzieren lassen. Es gehtber nicht an, zu fordern, dass der bei der Bundeswehrntstehende Mehrbedarf extern ausgeglichen werdenuss. Als Haushälter versichere ich Ihnen, dass dasicht funktioniert. In einem solchen Fall würden jedesessort und jeder Fachpolitiker folgen. Vielmehr solltean in Zukunft nachweisen, dass die für die vom Parla-ent beschlossenen Einsätze benötigten Mittel auch zurerfügung stehen.Das, was innerhalb der Bundeswehr erledigt werdenann, muss die Bundeswehr selber machen. Wir müssenns aber die Möglichkeiten genau anschauen und darü-er im Klaren sein, was wir wollen. Darüber, was wirollen, sind wir uns einig: mehr Schutz vor Ort durcheue Fahrzeuge, egal ob sie Dingo, Boxer oder Pumaeißen. Hier haben wir allerdings ein Problem. Wir be-tellen zwar alles. Aber das militärische Gerät steht erstn zehn bis zwölf Jahren zur Verfügung. Das heißt, alles,as bestellt wurde, wird erst dann vorhanden sein, wennie zurzeit bekannten Konflikte hoffentlich schon langeeendet sind. Das hilft der Truppe aber jetzt nicht. Wasir brauchen, sind größere Stückzahlen, die in kürzerereit geliefert werden. Dabei muss man über die Finan-ierung nachdenken.
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Johannes KahrsZurzeit haben wir verschiedene Systeme, die parallellaufen. Wir haben beispielsweise den Eurofighter undden Tornado. Die Eurofighter werden sicherlich planmä-ßig ausgeliefert werden. Aber es wird noch über einJahrzehnt dauern, bis der letzte Tornado verwertet wird,also nicht mehr fliegt. In diesem Zeitraum muss man aufdie Entwicklungskosten und die Materialerhaltungskos-ten genau achten. Das wird sich entsprechend summie-ren. Beim Heer ist die Situation ähnlich. Als ich 1984zur Panzergrenadiertruppe gekommen bin, war der Mar-der noch in Ordnung. Inzwischen ist er kein modernesGerät mehr. Aber er wird noch lange im Einsatz sein;denn bis der letzte Puma an die Truppe ausgeliefert ist,wird wieder eine Dekade vergehen. Es ist vielleichtnachdenkenswert, kurzfristig Fähigkeitslücken in Kaufzu nehmen. Beim Materialerhalt und bei den Betriebs-kosten haben wir jedenfalls ein echtes Problem. Dieseskönnen wir nur lösen, wenn wir bestimmtes Gerät früheraußer Dienst stellen.Eine Anmerkung sei mir zum Schluss noch gestattet.Der Staatssekretär Wichert ist gerade dabei, eine Ziel-struktur für die 75 000 Zivilbeschäftigten aufzubauen;das ist richtig. Aber wir müssen genau schauen, ob das,was dann kommt, auch das ist, was wir wollen. Ich habemir sagen lassen, dass daran gedacht wird, Dienstleis-tungszentren einzurichten. Das klingt nach Kundenori-entierung und Kundennähe. Das scheint also eine wun-derbare Sache zu sein. Aber in der Praxis bedeutet das,dass die Truppenverwaltung beispielsweise aus den Ba-taillonen vor die Tore der Kasernen verlagert und mit derStandortverwaltung zu einem Dienstleistungszentrumverschmolzen wird. Für den Standort Koblenz gibt esbereits ein solches Zentrum. Dorthin müssen die Solda-ten nun fahren. Andere müssen von Appen nach Ham-burg fahren. Für Hin- und Rückfahrt besorgt man sich imFuhrpark ein Fahrzeug. So etwas darf meines Erachtensnicht unter dem Begriff „Dienstleistung“ laufen; dennDienstleistung bedeutet Nähe zum Kunden. Ich bittedeshalb darum, das noch einmal zu überprüfen.Ich hoffe, dass wir die Transformation gemeinsamund vernünftig bewältigen – mit den Kollegen von derUnion werden wir es schon schaffen – und dass wir inder Lage sein werden, den Soldaten all das zur Verfü-gung zu stellen, was sie für ihre Einsätze benötigen. Ichbitte Sie, ernsthaft darüber nachzudenken, ob wir unsweitere Auslandseinsätze leisten können, solange andereAuslandseinsätze noch nicht beendet sind; denn das einepasst nicht zum anderen. Das habe ich schon im Zusam-menhang mit dem Kongoeinsatz gesagt. Hier sind wir imWort. Die an diesem Einsatz beteiligten Soldaten müssenWeihnachten zu Hause sein. Ansonsten haben wir alleein Problem.Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, dass Siemir ausnahmsweise ruhig zugehört haben. Glückauf!
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
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Mir ist bewusst, dass die Entwicklung in Afghanistaneist selektiv wahrgenommen wird. Es werden vor al-em die spektakulären Bad News wahrgenommen, abericht das, was sich langfristig und hinter den Kulissenut. Wer nimmt zum Beispiel die 7 Millionen Schülerin-en und Schüler wahr, die es inzwischen gibt? Das istnorm hoffnungsvoll, aber nicht so bilderträchtig.Trotzdem sind die Indikatoren inzwischen unüberseh-ar: Der Stabilisierungsprozess in Afghanistan steht aufer Kippe. Er droht innerhalb kurzer Zeit zu scheitern.eit der ISAF-Ausweitung nach Süden befinden sichATO-Truppen in Bodenkämpfen. Es ist überra-chend, dass das heute noch nicht erwähnt – da mögli-herweise nicht wahrgenommen – wurde. NATO-Trup-en befinden sich zum ersten Mal in der NATO-eschichte in Bodenkämpfen. Zum Drogenanbau gibt esnzwischen die neuesten Zahlen. Die Drogenanbauflächest in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um 59 Prozentestiegen. Das ist ein Desaster in dem Schlüsselbereicher Stabilisierung in Afghanistan.Was sind die Mindestschritte? Erstens brauchen wirine wirklich nüchterne, schonungslose Zwischenbilanzessen, was in den letzten fünf Jahren geschaffen wurde,ine Bilanz der Leistungen, aber auch der Defizite. Wirrauchen an sich gar nicht so viele Konzepte. „Afghanis-an Compact“ zum Beispiel gibt es, mit ehrgeizigen
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Winfried NachtweiZielen. Was notwendig ist, ist die Überprüfung der Stra-tegie am Boden. Die Umsetzung ist das Entscheidende.Zweitens. Die Drogenbekämpfung ist mit ihrem An-satz eindeutig gescheitert. Es kommt darauf an, jetzt diebisher prioritäre Feldervernichtung auszusetzen und al-les für die Entwicklung und Förderung alternativer Er-werbsquellen zu tun. Man muss die Entwicklungshilfeentsprechend breiter unterstützen. Die GTZ hat da fan-tastische Erfahrungen.Drittens. Wenn man vor Ort gewesen ist, dann weißman, was in der Entwicklungspolitik insgesamt schonGutes geleistet worden ist. Vieles ist aber noch zu wenigsichtbar, zum Beispiel in den Paschtunengebieten. Damüssen die internationale Gemeinschaft und wir bereitsein, der Entwicklungszusammenarbeit mehr Mittel andie Hand zu geben, um breiter angelegt und sichtbarerfür die Bevölkerung zu sein.
Viertens. Der Polizeiaufbau ist bekanntlich von stra-tegischer Bedeutung. Die Bundesrepublik leistet in ihrerFührungsrolle sehr viel Gutes. Aber die quantitativenund qualitativen Herausforderungen sind hier so riesig,dass wir nicht mehr mit 40 Beamten auskommen. Hiermüssen wir schlichtweg aufstocken. Es geht nicht umgroße Beträge, aber die wenigen Millionen Euro sind dasGeld wert.Schließlich wird all das, was ich gerade genannt habe– die Aufzählung ist nicht vollzählig –, nur ein Kampfgegen Windmühlenflügel sein, wenn die direkte Terror-bekämpfung im Süden und Osten nicht überprüft undnicht korrigiert wird. Bisher – die Meldungen sind ziem-lich eindeutig – scheint sie mehr zur Aufstandsförderungbeigetragen zu haben. Das ist von deutscher Seite aus– das muss man nüchtern sagen – schwierig zu themati-sieren, muss aber unter Verbündeten auf den Tisch. Siewissen: Ich neige nicht zu Alarmismus, aber wenn in denkommenden Monaten nicht zentrale Korrekturen undneue Anstrengungen unternommen werden, dann kannes im nächsten Jahr zu spät sein, und das darf es nicht.Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegin Susanne Jaffke, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-statten Sie mir zu Beginn, sicherlich im Namen aller, den7 700 Soldatinnen und Soldaten, welche sich im Aus-landseinsatz befinden, für ihr Engagement, für ihre Ein-satzbereitschaft und für ihre hervorragende Arbeit zudanken.UgwAsfjimnede1sEjöDdRdEBasdAAPcmEiHuHgSEtÜKz
nter zunehmend unruhigen und instabilen Bedingun-en leisten sie für die Bundesrepublik Deutschland einenichtigen und notwendigen Dienst und sie haben unserenerkennung und unseren Respekt verdient.Ich bedanke mich beim Kollegen Johannes Kahrs füreine charmante Einleitung und möchte in diesem Sinneortfahren.Nachdem wir uns mit unseren Haushaltsberatungenetzt in einem normalen Verfahren befinden und wir unsn der großen Koalition zusammengefunden haben,öchte ich hier darauf verweisen, dass der Etat des Fi-anzministers einen Aufwuchs erfährt. Dieser Aufwuchsrklärt sich zugegebenermaßen unter anderem dadurch,ass die Versorgungslasten aufgeteilt wurden. Dennochrfährt er im investiven Bereich einen Aufwuchs von,9 Prozent. Das bedeutet, dass er trotz der Mehrwert-teuererhöhung real wächst.
r wird auch nach der mittelfristigen Finanzplanungährlich um 1,2 Prozent aufwachsen.Die Haushälter der großen Koalition stimmen mit derffentlichen Positionierung der Bundeskanzlerin, Fraur. Merkel, überein, dass die Finanzausstattung der Bun-eswehr, gemessen an den zunehmenden Aufgaben imahmen der internationalen Einsätze, verbesserungsbe-ürftig ist. Vergleiche mit europäischen Partnern wiengland, Holland und Norwegen, die im Verhältnis zumruttoinlandsprodukt prozentual weit höhere Ausgabenls Deutschland in ihren Verteidigungsetats haben, müs-en deshalb gestattet sein.
Trotzdem: Innerhalb des Einzelplans 14 verzeichnenie verteidigungsinvestiven Ausgaben den stärkstenufwuchs. Auch die sonstigen Betriebsausgaben und dieusgaben für Materialerhaltung steigen, während dieersonalausgaben durch Personaleinsparungen erfreuli-herweise sinken.In diesem Zusammenhang möchte ich hier noch ein-al hervorheben, dass die Weisung des Ministers an dieinsatzkontingente, ihre Verpflichtungen ausschließlichn geschütztem Transportraum vorzunehmen, von denaushältern der Regierungskoalition uneingeschränktnterstützt wird. Erst im Juni hat die große Koalition imaushalt weiteren Beschaffungsvorhaben im Bereicheschützter Transportkapazität zugestimmt.Lassen Sie mich an dieser Stelle einen weiterenchwerpunkt, das Thema Finanzierung internationalerinsätze, ansprechen. Die Haushälter der großen Koali-ion sind sich dahin gehend einig – da befinde ich mich inbereinstimmung vor allen Dingen mit dem Kollegenahrs; wir kämpfen darum in unseren Gruppen –, dassunehmende internationale Verpflichtungen für humani-
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Susanne Jaffketäre und Friedenseinsätze, die durch die Bundeswehr ge-leistet werden, nicht mehr durch den aktuellen Etat desEinzelplans 14 zu erwirtschaften sind, wenn sie in einemlaufenden Haushaltsjahr als zusätzliche Aufgabe parla-mentarisch beschlossen werden. Es ist mit meinem parla-mentarischen Verständnis nicht in Übereinstimmung zubringen, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen unddazu auch zu stehen, das Bundesministerium der Vertei-digung bei der Finanzierung aber allein zu lassen.Wir erwarten als Parlamentarier, dass die Administra-tive darauf reagiert und Lösungsvorschläge unterbreitet,wie sie mit beschlossenen, in Kraft getretenen Etats inZukunft verfahren will, um entsprechend Vorsorge fürsolche außerplanmäßigen Finanzierungen zu treffen.
Wir erwarten als Haushälter deshalb in Zukunft, dass inden entsprechenden Regierungsvorlagen zu zusätzlichenAuslandseinsätzen ein entsprechender haushalterischerNachweis erbracht wird.
Gestatten Sie mir weiterhin einige Bemerkungen zumThema Betreiberlösungen. Die CDU/CSU im Haus-haltsausschuss wird den Prozess der Betreiberlösungenund der damit zusammenhängenden Finanzierung undKooperation mit der Industrie weiter kritisch begleiten.Die Devise „Outsourcing gleich billiger“ ist nicht immergültig. Die Beendigung des Modellversuchs „Truppen-verpflegung“ zeigt, dass es nicht immer wirtschaftlicherist, Aufgaben an Private zu geben.
Auch die Umstrukturierung des Bundeswehrfuhr-parks und das Kooperationsmodell für das Bekleidungs-management werden weiterhin in der Überprüfung blei-ben. Sie sind organisationsmäßig in der Abteilung M gutaufgehoben. Für mich ist allerdings wichtig, dass in Zu-kunft dem Controlling in diesen Bereichen mehr Auf-merksamkeit gewidmet wird.Ein weiterer Schwerpunkt bleibt für mich dieNeustrukturierung der zivilen Verwaltung der Bun-deswehr. Auch im Regierungsentwurf 2007 stehen den210 000 Berufssoldaten, 55 000 Wehrpflichtigen undfreiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden sowie2 500 Reservisten 106 800 zivile Mitarbeiter zur Seite.Das bedeutet, dass auf circa 2,5 Soldaten immer nocheine Verwaltungskraft kommt. Das ist einfach zu viel.Nun steht eine neue Strukturgröße von 75 000 Zivil-stellen im Raum. Bei der eben genannten Zahl von Mili-tärbediensteten bedeutete das, dass auf 3,5 Soldaten eineVerwaltungskraft kommt. Ich halte auch das für zu viel.Zum Jahresende soll uns Haushältern – so der Auf-trag – seitens des Verteidigungsministeriums eine Orga-nisationsstruktur für die Zivilbeschäftigten vorgelegtwerden. Ich gehe davon aus, dass man sich für den Be-reich der zivilen Verwaltung des Bundesverteidigungs-ministeriums wie in allen anderen Ressorts bei der Erar-bBvB7kogsVveVFKdüVnSgmedzsfnAdllhsEDssüAghme
iese Gesichtspunkte werden in Zukunft ohne Frage we-entlich stärker ihren Niederschlag in unserer Haushalts-truktur finden.Gemeinsam mit unseren Verbündeten denken wirber neue Formen der europäischen Finanzierung nach.uch im Rahmen der NATO werden wir unsere Anstren-ungen verstärken, durch Bündelung militärischer Fä-igkeiten, gemeinsame Beschaffung von Gerät und ge-einsame Finanzierung von Rüstungsvorhaben gegenine Zersplitterung zu arbeiten.
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Andreas WeigelEin gutes Beispiel hierfür ist die NAMSA, die seitFrühjahr dieses Jahres auf dem Flughafen in Leipzigzwei geleaste Antonov-Maschinen bereithält, um dieBundeswehr und ihre NATO-Verbündeten für den Luft-transport zu verstärken und dann in die Einsatzgebiete,zum Beispiel nach Afghanistan, zu fliegen. Das sindGroßraumflugzeuge aus Russland und der Ukraine. Dasbedeutet, dass wir hier einen erheblichen Rationalisie-rungseffekt haben. Solche Projekte machen auch in Zu-kunft Sinn. Es ist zum Beispiel sinnvoll, für logistischeLeistungen oder Beschaffungsvorhaben immer mehreuropäische oder transatlantische Organisationen einzu-binden.Das Gleiche gilt für die Aufgabenverteilung. Hier ha-ben zum Beispiel die Niederländer bereits eine Lösunggefunden, die, wie ich meine, Modellcharakter hat. Stattsich eigene Flugzeuge für den Lufttransport zu beschaf-fen und sich Folgekosten wie deren Wartung einzuhan-deln, haben sie ein Transportabkommen mit der Bun-desrepublik Deutschland geschlossen. Für ungefähr50 Millionen Euro nehmen sie entsprechende deutscheTransportleistungen in Anspruch. Dieses Transport-abkommen hat aus meiner Sicht allein deswegen Mo-dellcharakter, weil es erhebliches Einsparungspotenzialbietet. Natürlich führen Aufgabenverteilung und Spezia-lisierung zu gegenseitigen Abhängigkeiten im Handelnund Entscheiden. Dennoch liegen die Vorteile auf derHand.Es gilt, nationale Barrieren zu überwinden und inter-nationale Organisationen in die Finanzierung von Rüs-tungsprojekten stärker einzubinden. VergaberechtlicheFragen dürften dabei kein Hindernis sein. Damit werdenunsere Streitkräfte so aufgestellt und ausgerüstet, dass siedie von der Politik übertragenen Aufgaben und Aufträgeerfüllen können. Im Vordergrund steht hier aber nichtmehr die Optimierung der Fähigkeiten der einzelnenTeilstreitkräfte, sondern die Zusammenarbeit der Streit-kräfte. Das erfordert Interoperabilität in einer neuen Qua-lität.Dieses Anforderungsprofil hat weitreichenden Ein-fluss auf die notwendige Ausrüstung unserer Streitkräfte.Von zentraler Bedeutung sind hier die Bereiche For-schung, Entwicklung und Erprobung. In der Sicher-heitsforschung werden wir neue Wege beschreiten. InDeutschland existieren hervorragende wehrtechnischeKapazitäten. Zur Sicherstellung dieser Fähigkeit gilt es,zwei Aspekte zu berücksichtigen, und zwar einerseitsdie Anerkennung der Wehrtechnik als Hightechfähigkeitim Rahmen nationaler Wirtschaftspolitik, also die Erhal-tung industrieller Kernfähigkeiten, und andererseits dieKoordination der Verteidigungsforschung mit der Si-cherheitsforschung. Die Förderpolitik der Bundesregie-rung setzt hier neue Akzente.Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Blick aufdie Forschungslandschaft zeigt uns, dass wir noch eini-gen Diskussionsbedarf haben. Es ist zu fragen, ob For-schungsgelder noch effizienter aufgeteilt werden könnenund wie viel wir für Grundlagenforschung und wie vielfür angewandte Forschung bereitstellen. Im Übrigenmuss auch die Finanzierung der ForschungsinstituteüRvsFkEiDgsEpnwdvdaHdhAdaPAsdgdiSszKBfgsCmvlc
Ich erteile das Wort Kollegen Bernd Siebert, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichöchte am Anfang ein paar Worte zu dem Redebeitragon Kollegin Homburger sagen. Ich habe Ihre Aussagen,iebe Frau Homburger, für maßlos gehalten. Sie entspre-hen nicht der Realität in unserem Land.
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Bernd SiebertSie eignen sich höchstens für die Stammtische bestimm-ter freidemokratischer Mitglieder.
Auch das, was Sie zum Kongo gesagt haben, halte ichfür unverantwortlich, gerade weil wir in den letzten Wo-chen erlebt haben, welche hervorragende Leistung un-sere Soldatinnen und Soldaten und ihre europäischenKameraden im Kongo erbracht haben, sodass dort einefriedliche Situation erhalten werden konnte.
Mit Ihren Bemerkungen schaden Sie der Bundeswehr,den Soldaten und – ich gehe noch weiter – auch dem An-sehen Deutschlands in der Welt.
– Das ist ein Problem, das die FDP mit sich selbst auszu-machen hat. Aber wir haben ja vorhin schon an einerZwischenbemerkung erkannt, dass sie hier sicherlich nurfür einen Teil ihrer Fraktion geredet hat.
Ich möchte am Anfang – auch der eine oder andereKollege hat das getan; ich denke, es ist wichtig – auf dieSoldatinnen und Soldaten insgesamt eingehen. Sieleisten überall dort, wo sie eingesetzt sind – inzwischenschon viele Jahre in den Einsatzgebieten in Afghanistanund im ehemaligen Jugoslawien, nun seit einigen Wo-chen im Kongo –, hervorragende Arbeit. Diese hervorra-gende Arbeit muss auch hier entsprechend gewürdigtwerden. Das hat der Minister vorhin getan, das haben ei-nige andere getan, und auch ich möchte das für die Frak-tion der CDU/CSU und für meine Arbeitsgruppe in allerDeutlichkeit hier tun.
Sie haben mit ihren Leistungen das Ansehen der Bun-desrepublik Deutschland international gestärkt und ge-festigt, und sie haben den politischen Auftrag umgesetzt,den wir ihnen hier im Deutschen Bundestag gegeben ha-ben.Gerade unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatzhaben es verdient, dass wir den Verteidigungshaushaltmit besonderer Sorgfalt prüfen und gestalten. Sie habenein Anrecht darauf, dass die Politik sie mit dem best-möglichen Material zu ihrem Schutz ausstattet. DieseVerpflichtung und besondere Verantwortung hat jederEinzelne von uns übernommen, der den Einsätzen derBundeswehr zugestimmt hat. Weil wir diesen Einsätzenzugestimmt haben, stellen wir uns dieser Verantwortungin aller Deutlichkeit und nehmen am Prozess der Verän-derung der Bundeswehr und auch an der Veränderungder Haushaltsvolumina des Verteidigungshaushaltes teil.Mit dem Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2007stehen dem Bundesminister der Verteidigung insgesamt28,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind zwar rund4,4 Milliarden Euro mehr als 2006. Aber mit dem Weg-fPgm2tdtb2ssMAdldamdhrnFfStdr1hddcsfiSmddcmnnATtssbdb
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Ich bitte Sie: Kehren Sie zu manchen guten TraditionenIhrer eigenen Partei in der Außenpolitik – Sie können esnachlesen – zurück.üisdaKzz–peBdsnfvtesWwsidrBmdnsatadklzhsdsldddtklskawl
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Wir müssen der Hisbollah, die kaltblütig zivile Opfern Kauf genommen hat und sich nun als Helfer in derot gibt, den Nährboden entziehen. Bei dieser Aufgabest das Land auf internationale Unterstützung, auch aufnsere Unterstützung angewiesen. Wir werden den Liba-on deshalb wieder zum Partnerland unserer Entwick-ungszusammenarbeit machen. Das möchte ich für dieundesregierung an dieser Stelle ausdrücklich sagen.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die fragen: Müssenir eigentlich wiederaufbauen? Diesen Menschen sagech: Dort, wo Leid und Elend sind, ist es eine humanitäreflicht, den Menschen zu helfen. Der Frieden im Nahensten wird auch für unsere eigene Sicherheit von Bedeu-ung sein. Israel hat durch die Angriffe der Hisbollah inohem Umfang Schäden erlitten, für die es keine inter-ationale Hilfe anfragt. Israel will diese Schäden selbereseitigen. Aus all diesen Gründen sage ich: Es ist wich-ig, dass wir auf dem Gebiet des Wiederaufbaus des Li-anon gemeinsam tätig sind.Auf der Konferenz in Stockholm wurden für den Li-anon Mittel in Höhe von insgesamt 940 Millionen US-ollar zugesagt. Über die Hälfte davon kommt übrigenson arabischen Staaten. Das ist richtig und gut so. Aufieser Konferenz habe ich für die Entwicklungszusam-enarbeit in 2006 – Bereiche Wasserversorgung im Sü-en des Libanon und Förderung der beruflichen Bil-ung – 10 Millionen sowie weitere Mittel aus dem Haus-alt des Finanzministers für die Kontrolle an den Land-renzen zugesagt.Wir erbringen in diesem Jahr Unterstützungsleistun-en in Höhe von mindestens 22 Millionen Euro. Wireisten Unterstützung bei der Beseitigung der Ölver-chmutzung. Weitere finanzielle Unterstützung werden
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4576 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeulandere Ressorts unserer Regierung beschließen, sodassdie Mittel seitens der Regierung, auch meines Ministe-riums, im nächsten Jahr aufgestockt werden.Im Moment gefährdet nicht explodierte Streumunitiondas Leben von zurückkehrenden Flüchtlingen im Südendes Libanon. Blindgänger töten unschuldige Menschen,spielende Kinder und gefährden UNIFIL-Truppen. Siesind ein Problem für den Wiederaufbau. Lassen Sie unsan dieser Stelle gemeinsam sagen: Wir müssen alles da-für tun, dass Streubomben weltweit verboten werden!
Das muss eine unserer Schlussfolgerungen sein.Den Frieden in der Region werden wir aber nur errei-chen – das ist heute immer wieder deutlich geworden –,wenn der Kernkonflikt zwischen Israel und Palästinaeine Lösung findet. Israel hat ein selbstverständlichesRecht, in Frieden und ohne Furcht vor entsetzlichen An-griffen zu leben. Das Existenzrecht des Staates Israelmuss gesichert werden. Gleichzeitig geht es darum, ei-nen eigenständigen palästinensischen Staat zu verwirkli-chen, der in Frieden mit seinen Nachbarn lebt und Israelanerkennt.
Auf der Konferenz in Stockholm wurden für diehumanitäre Hilfe in Palästina – die Situation dort istinsbesondere für die Jugendlichen dramatisch – 450 Mil-lionen US-Dollar bereitgestellt. Wir haben den so ge-nannten Temporären Internationalen Finanzierungs-mechanismus mitfinanziert, dessen Ziel es ist, trotz derbestehenden Hamas-Regierung dafür zu sorgen, dass zu-mindest die Bedürftigsten eine Unterstützung erhalten.Auf diese Art und Weise werden bis Ende Septemberimmerhin rund 600 000 Menschen in Palästina Hilfe er-halten. Das ist richtig und gut so.Die europäische Erfahrung zeigt doch, dass es mög-lich ist, Hass und Gewalt zu überwinden. Warum solltedas, was in Europa, in der KSZE gelungen ist – wennauch unter völlig anderen Bedingungen –, nicht auch imNahen Osten möglich sein, wo doch die große Mehrheitder Menschen Frieden will. In einer dauerhaften Konfe-renz für Sicherheit und Zusammenarbeit im NahenOsten könnten Fragen der Sicherheitspolitik, der wirt-schaftlichen Zusammenarbeit und des menschlichen Zu-sammenlebens besprochen und geregelt werden. Enga-gieren wir uns gemeinsam für diesen Weg zum Frieden!
Nun zu einem Thema, das uns jeden Tag beschäftigtund immer aufs Neue beschäftigen muss. In dieser Weltsterben pro Tag 8 000 Menschen an Aids; so viele wür-den auch sterben, wenn jeden Tag zwanzig vollbesetzteJumbojets abstürzen würden. Die Aidskonferenz in To-ronto war wichtig, um die Aufmerksamkeit wieder aufdiese dramatische Situation zu lenken. Was tun wir ge-gen Aids? Wir werden – das habe ich auf der Konferenzau24ubueFWzHdnzzwzgAhguDGdidVrDkeBtdBdizhamzhrhnumE
Gleichzeitig geht es auch darum, dass wir die Pro-ramme stärker auf Frauen orientieren. Wir müssen unsnsere Programme sehr genau ansehen und vor alleningen mit dafür sorgen, dass in den Partnerländern dieremien, die über die Verteilung dieser Mittel entschei-en, tatsächlich mit Frauen besetzt sind und sie damithre Stimme erheben können.Die deutliche zweite Steigerung des Haushalts nachem Haushalt 2006 zeigt, dass wir unsere internationaleerantwortung und auch unseren Stufenplan zur Steige-ung der Entwicklungszusammenarbeit ernst nehmen.as sind keine Kosten, sondern Investitionen in die Zu-unft unserer Kinder, Investitionen in Gerechtigkeit, inine friedlichere Welt, in Armutsbekämpfung und dieewahrung der Schöpfung. Es sind gut investierte Mit-el. Es ist auch ein Signal in Richtung der EU-Ratspräsi-entschaft und der Präsidentschaft der G 8 durch unsereundesregierung im nächsten Jahr. Ich bin überzeugt,ass wir im nächsten Jahr weitere entschlossene Schritten diesem Sinne machen werden.Ich möchte mich bei der Koalition für die Unterstüt-ung bedanken. Eine breite parlamentarische Mehrheitat in diesen Fragen große Vorteile. Ich möchte michber auch bei der Opposition bedanken. Denn es ist im-er gut, wenn es weiteren Druck und weitere Unterstüt-ung gibt.Ich möchte zum Abschluss Kofi Annan zitieren. Erat gesagt: „Ob es Afrika gelingt, dem Ziel der Halbie-ung der extremen Armut näher zu kommen, wird in ho-em Maße von der Führungsrolle Deutschlands imächsten Jahr abhängen.“ – Dazu sollen dieser Haushaltnd unsere Verantwortung in EU und G 8 beitragen. Ichöchte an dieser Stelle Kofi Annan danken. Er wirdnde dieses Jahres aus seinem Amt ausscheiden. Er hat
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-ZeulGroßes für die Entwicklung und für den Frieden in die-ser Welt geleistet. Wir erwarten von ihm jetzt in seinemAmt, aber auch danach Großes für das gemeinsame Ziel.Ich bedanke mich sehr herzlich.
Ich erteile das Wort Kollegen Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichmöchte mich zunächst von ganzem Herzen den Gene-sungswünschen für den Kollegen Thilo Hoppe anschlie-ßen. Er soll bald wieder unter uns sein. Ich will Ihnen,Frau Ministerin – jedenfalls für unseren Teil der Opposi-tion –, gern zusagen, dass wir weiterhin Druck machenwerden, den Sie offenbar begrüßen.Frau Ministerin, Sie haben im Übrigen – wie häufig inder vergangenen Zeit – den Einsatz von Streubombendurch Israel kritisiert. Darüber kann man sicherlich dis-kutieren.Aber eines will ich Sie in diesem Zusammenhang fra-gen: Warum klagen Sie nur andere an? Vielleicht habendie Israelis ja lediglich das getan, was die Koalitions-fraktionen erst am 28. Juni dieses Jahres, allerdings fürdie Bundeswehr, gefordert haben: Streumunition einzu-setzen, allerdings nur dann, „wenn geeignete alternativeMunition nicht verfügbar ist“? Vielleicht hatten dieIsraelis auch nichts anderes, was geeignet war, zur Ver-fügung. So geht das jedenfalls nicht, meine Damen undHerren. Sie müssen schon Konsequenzen ziehen.
Sehen Sie sich Ihren Antrag an dieser Stelle noch einmalan und gehen Sie mit gutem Beispiel voran.Frau Ministerin, in den vergangenen Wochen konnteman häufig den Eindruck gewinnen – auch heute habenSie ihn wieder erweckt –, als seien unsere Haushalts-beratungen im Grunde genommen entbehrlich. Man hatimmer wieder gehört, was Sie alles versprochen haben– das haben Sie eben bestätigt –: 100 Millionen Euromehr für die Aids-Bekämpfung, wohlgemerkt aus künf-tigen Haushalten, 22 Millionen Euro hier, andere Be-träge dort usw. Sie haben Versprechungen gemacht – dasist okay –, aber dem Parlament haben Sie erst in aller-letzter Minute die Erläuterungen und Projektlisten zurBeratung Ihres Haushalts übersandt. Dafür mag esGründe geben. Aber eigentlich hätten wir schon eine Er-klärung erwartet.Ich weiß nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen ausden Koalitionsfraktionen, wie Sie das sehen, aber sokann man eigentlich keinen Haushalt beraten. Vielleichthaben Sie sich damit abgefunden, dass die Regierung„durchregiert“ und Sie faktisch nur noch zum Abnickenbestellt werden. Ich jedenfalls finde das nicht normaluzuJiCkzDwkett–IhdBeUpwlhckaesdsdzaG2dßmdsmabdfudl7
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Das ist ziemlich abstrus, meine Damen und Herren.Obendrein zahlen wir in diesen Topf noch mehr als dieFranzosen selbst.
– Nicht aus dem Entwicklungsfonds, sondern aus Struk-turfonds. Diese Mittel kommen noch dazu, Frau Kolle-gin.Noch schlimmer sind im Übrigen die Haushalts-risiken – über die ich hier schon mehrfach gesprochenhabe –, die das BMZ beim EEF in den letzten Jahrenheimlich, still und leise angehäuft hat. Sie, Frau Ministe-rin, haben per 1. Januar 2006 die offenen Forderungendes EEF auf über 4 Milliarden Euro beziffert – über4 Milliarden Euro! Nur ein Bruchteil davon ist gedeckt,nämlich das, was wir dieses Jahr in die Haushalte ein-stellen, also 661 Millionen Euro. Der Rest ist ungedeckt.Selbst wenn es stimmt, was Sie nun behaupten, die ab-sehbaren Abrufe des EEF seien im Haushalt des kom-menden Jahres berücksichtigt – 2005 stimmte es be-kanntlich nicht –, verschieben Sie doch damit dieProbleme nur in die Zukunft und lösen sie nicht. Das solluns hier dann als seriöse Haushaltsplanung verkauft wer-den? Das kann so nicht weitergehen.Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Ihnen jetztwieder nur einfällt, in Zukunft tiefer in die Taschen derBürger zu greifen, diesmal mit der geplanten Ticket-abgabe und anderen – wie Sie es dann nennen – innova-tiven Instrumenten. Wie wäre es stattdessen einmal mitSparen?SeGArTdwkpduidbzgkCKAb–jsBdDiHürlh
tampfen Sie beispielsweise das Ankerländerkonzeptin. – Frau Kollegin, helfen Sie dabei mit. Das kostet nureld und führt zu Zuständigkeitsstreitigkeiten mit demuswärtigen Amt, die Sie nicht gewinnen können. Hö-en Sie auf, immer mehr Geld in undurchschaubareöpfe und Fässer zu schütten. Setzen Sie Prioritäten, dieen Kernanliegen gerecht werden, die wir in der Ent-icklungspolitik durch die MDG vorgegeben haben:eine U-Bahnen, Autobahnen und sonstigen Prestige-rojekte mehr, weniger Beton, mehr für die Bürger inen Nehmerländern, mehr Impfstoffe, Medikamentesw.Sichern Sie den Haushalt ab gegen die Risiken, diech angesprochen habe. Wir sind gern bereit, Ihnen voner Opposition dabei zu helfen und gemeinsam nachzu-essern, wenn Sie zur Kooperation bereit sind. In der jet-igen Form jedenfalls – das kann ich Ihnen vorhersa-en – werden wir diesem Haushalt nicht zustimmenönnen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat nun der Kollege Christian Ruck, CDU/
SU-Fraktion.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebeolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Grund zurufregung. Ich bin Innenverteidiger der Bundestagsfuß-allmannschaft; ab und zu kracht es halt entsprechend.
Aber jetzt zum Thema, Herr Kolbow.Mit dem Haushaltsentwurf für 2007 – das möchte ichetzt nach den Ausführungen meines Vorredners voran-tellen – unterstreicht die schwarz-rote Koalition unterundeskanzlerin Merkel erneut ihr klares Bekenntnis,en Spielraum der Entwicklungspolitik zu erhöhen.urch das Engagement der Ministerin und ihres Hausesst es erneut gelungen, den Etat für den Einzelplan 23 imaushaltsentwurf signifikant zu erhöhen, und zwar weitber dem Wachstum des Gesamthaushalts.Damit hat Schwarz-Rot in zwei Jahren Haushaltsfüh-ung Steigerungen um fast 18 Prozent im Entwick-ungsetat beschlossen, während der Entwicklungshaus-alt unter Rot-Grün von 1998 bis 2005 um 1 Prozent
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Dr. Christian Ruckgesunken ist. Das, glaube ich, ist schon ein starkes Stückunserer neuen schwarz-roten Koalition.
Damit können wir bisher insgesamt 600 Millionen Euromehr einsetzen, um den gestiegenen entwicklungspoliti-schen Herausforderungen gerecht zu werden. Das isteine Meldung, die man, glaube ich, gut vertreten kannund mit der wir uns auf dem richtigen Weg befinden.
Die Ereignisse in diesem Jahr unterstreichen, dass dasstrategische Gewicht der Entwicklungspolitik gewach-sen ist. Die Entwicklungen im Kongo, in Afghanistan,im Nahen Osten, die Migrationsbewegungen in Afrikazeigen doch, wo die neuen, internationalen Herausforde-rungen für Deutschland liegen: Es gibt keine friedlicheWelt ohne Entwicklung.Die Steigerung der ODA-Quote, die wir alle anstre-ben, für die wir alle kämpfen, dient deshalb nicht nur derHerstellung von Gerechtigkeit in der Welt, sondern istauch ein signifikanter Beitrag für unsere eigene Sicher-heit. Der Haushalt des BMZ ist darüber hinaus ein in-vestiver Haushalt: Er sichert mindestens 200 000 Ar-beitsplätze im Jahr in der Bundesrepublik Deutschland.Deswegen hat er massive ökonomische Auswirkungenim eigenen Land. Das sollten wir auch der Öffentlichkeitimmer wieder sagen: Es geht nicht etwa um entwick-lungspolitische Träumereien, es geht auch um Sicherheitund es geht auch um unsere eigenen Arbeitsplätze.Mit dem Haushalt 2007 werden diese neuen, strategi-schen Ansätze konsequent fortentwickelt. Wir stehen imVorfeld des G-8-Gipfels und unserer Präsidentschaft imEuropäischen Rat. Da müssen wir – und werden wirauch – sowohl konzeptionell als auch finanziell etwasauf den Tisch legen. Herr Königshaus, ich gebe IhnenRecht – da habe ich Ihnen schon immer Recht gegebenund Sie mir auch, Gott sei Dank –, wenn Sie sagen: Geldist natürlich nicht alles, es geht auch um Effizienz. Wir– auch die Koalition – sind ständig aufgefordert, die Ef-fizienz gerade auch in diesem Politikbereich zu diskutie-ren.Da möchte ich etwas zu dem schon zitierten Gutach-ten sagen. Die Akteure der deutschen Entwicklungszu-sammenarbeit leisten Großartiges. Sie genießen großesAnsehen in der Welt; daran gibt es nichts zu rütteln.Aber die Strukturen auch der deutschen Entwicklungs-politik sind vielfach noch Strukturen, die vor 20,30 Jahren begründet worden sind, zum Teil kann man sa-gen: Strukturen vor dem Hintergrund der Notwendigkei-ten des Kalten Krieges. Die neuen Herausforderungenerfordern ein Umsteuern in der Zusammenarbeit – dashaben wir ja auch alle beteuert –: weg von der Projekt-arbeit allein hin zur Strukturpolitik, zum Verändern undzum Überwinden gesellschaftlicher und politischerStrukturen. Aus diesem Grunde ist es natürlich wichtig,dass wir immer wieder auch an der Optimierung derDurchführungsstruktur arbeiten, sie durchdenken. Dafürstellt das vorliegende Gutachten meiner Ansicht nacheine gute Diskussionsgrundlage dar für weitere SchrittezsanramdwBGdwBsFsawauaanHlmgMgudABwgmsmEksdugaKdfbwrveä
ir ist um die Auseinandersetzung mit dem Auswärti-en Amt nicht bange, wenn die besseren Argumente aufnserer Seite sind. Da befinden wir uns auch untereinan-er in der Diskussion darüber, was die Kriterien für dieseuswahl sein sollen. Ich glaube, das darf nicht nur dieedürftigkeit sein, sondern es müssen auch Kategorienie das Gefahrenpotenzial und das Potenzial für strate-ische Partnerschaften eine Rolle spielen. Man kann sichit wichtigen Schwellen- oder Ankerländern natürlichehr wohl über die weitere Zusammenarbeit unterhalten.Bei den begrenzten Mittel müssen wir natürlich im-er wieder auch die Frage stellen, was wirklich einentwicklung bewirkt und was die Armut wirklich be-ämpft. Gerade im islamischen Bereich existiert alleinchon durch die Vielzahl der arbeitslosen Jugendlichen,eren Anzahl jedes Jahr größer wird und die in die Weltnd in diese Gesellschaften drängen, ein Pulverfass. Ichlaube, viele islamische Länder sind auf die Zusammen-rbeit mit uns und darauf angewiesen, dass wir unsereonzepte im gegenseitigen Interesse austauschen. Es istoch vor allem für Entwicklungspolitiker völlig unbe-riedigend, wenn man zuerst zum Aufbau eines Landeseiträgt und danach dann alles zusammengeschossenird, sodass man wieder sagen kann: Gut, wir sind be-eit, das wieder aufzubauen. Das kann ja nicht das Endeom Lied sein. Vielmehr müssen wir eine vorausschau-nde Entwicklungspolitik betreiben und Strukturen ver-ndern. Das ist unsere Aufgabe.
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Dr. Christian Ruck
Dazu ist es natürlich auch erforderlich – das ist klar –,dass wir unsere Anstrengungen für ressortübergreifendeKonzepte und Koordinationen fortsetzen. Komplexe Si-tuationen wie im Kongo und im Nahen Osten erfordernnatürlich, dass alle Ressorts parallel an den richtigenStellschrauben drehen. Es reicht nicht allein aus, dassman Soldaten schickt oder die dortige Polizei ausbildet.Die Menschen in diesen Entwicklungsländern müssenauch spüren, dass sich der Einsatz für Demokratie, dasssich Wahlen und dass sich die Beachtung der Menschen-rechte lohnen. Deswegen ist es auch eine ganz entschei-dende Kernaufgabe der Entwicklungspolitik, in der Post-konfliktphase die Probleme schneller und besser zulösen, als das bisher gelungen ist.
Herr Königshaus, noch ein Punkt, in dem wir uns alleeinig sind: Zu dem Bereich der Effizienzsteigerung ge-hört auch eine bessere internationale Arbeitsteilung.Auch hier rennen Sie offene Türen bei uns ein. Das istaber eine Knochenarbeit. Wir müssen ja nicht uns selbervon der Notwendigkeit einer besseren Koordination inder EU überzeugen, sondern wir müssen vor allem dieEU-Partner davon überzeugen. Das ist eine Knochenar-beit. Wir haben uns heuer aber vorgenommen, geradediesen Punkt anzugehen. Lassen Sie uns doch erst ein-mal abwarten, wie weit die Ministerin und wir mit dieserKnochenarbeit kommen. Wir werden sie dabei jedenfallstatkräftig unterstützen.
– Danke.Dasselbe gilt natürlich auch für die Versuche, dasUN-System transparenter zu machen und zu straffen.Auch hier sind wir uns einig. Aber auch das ist eineKnochenarbeit. Das können wir nicht par ordre du muftiim Bundestag entscheiden, sonst hätten wir Koalitionäredas schon abgewickelt. Das dauert halt eine Weile. Hiermuss uns Kofi Annan auch noch zur Seite stehen.Wir wollen die Präsidentschaften – sowohl hinsicht-lich der G 8 als auch hinsichtlich der EU – nutzen, umauch unsere Themen vorwärts zu bringen. Das gilt vorallem für das Problem der Arbeitsteilung in der EU.Auch auf Afrika soll ein bestimmter Fokus gelegt wer-den. Wir treten aber auch dafür ein, dass die Diskussiontiefer gehen muss. Es darf nicht nur um Geldfragen ge-hen. Mit Geld allein sind die Probleme Afrikas ebennicht zu lösen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen weiterdenken und Konzepte anbieten und darüber diskutieren,wie ein mit Rohstoffen so reich gesegneter Kontinentwie Afrika viel mehr aus eigenen Kräften in der Lagesein kann, etwas daraus zu machen. Ich glaube, wir müs-sen einfach erkennen, dass eine schlechte Regierungs-führung auch in Afrika ein Hauptübel ist. Der Run aufdas Öl und andere Rohstoffe macht viele – auch unsereerdlredIawdaeiggdmS2dvLDigkQkVltdfddns
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Allerdings hat er dabei selbst Teile der Realität einfachausgeblendet.Der Nahe Osten ist eine der am höchsten gerüstetenRegionen der Welt. Nur ganz wenige aber sprechen da-rüber, woher diese Waffen kommen. Zahlreiche deutscheFirmen liefern mit Genehmigung der BundesregierungWaffen in diese Krisenregion, und zwar an alle Seiten.Bereits im Juli listete ein sehr guter Bericht des Magazins„Monitor“ zahlreiche dieser Waffenexporte auf, die un-ter anderem nach Ägypten, Jordanien, Kuwait und Saudi-Arabien gingen. Bilder zeigten palästinensische Hamas-Kämpfer mit deutschen Maschinenpistolen und G-3-Sturmgewehren. Es ist interessant, dass ausgerechnetVolker Kauder immer ein Lobbyist von Heckler & Kochwar, dem Hersteller der G-3-Gewehre,
weil er sich stets für den Erhalt deutscher Arbeitsplätzein dieser Firma eingesetzt hat.Wer weiß, wo diese G-3-Gewehre sonst noch gelan-det sind? Es gab nämlich auch offizielle Lizenzen für de-ren Produktion in Pakistan, Saudi-Arabien und Iran. Wo-her kommen die Waffen der Hisbollah?
Iran ist der Hauptwaffenlieferant der Hisbollah. Ange-sichts dessen stellt sich die Frage, wer die Verantwor-tung für die Aufrüstung in dieser Region übernimmt.Wir fordern einen sofortigen Stopp sämtlicher Waffen-exporte in diese Region und in sämtliche andere Krisen-regionen. Wer Waffen exportiert, ist immer mit dafürverantwortlich, dass sie eingesetzt und mit ihnen Men-schen getötet werden.
Das betrifft natürlich auch die andere Seite, in diesemFall Israel. Es gibt Lieferungen deutscher U-Boote an Is-rael und von deutscher Technik für israelische Kampf-panzer und Kampfjets. Diese Waffen wurden im Krieggegen den Libanon und sie werden in den besetzten pa-lästinensischen Gebieten eingesetzt, zum Beispiel imGazastreifen. In zahlreichen Fällen wurde zivile Infra-struktur bombardiert; ebenso wird die Zivilbevölkerungbombardiert. Es ist ganz klar, dass auch wir Verantwor-tung dafür tragen.Herr Ruck hat es gesagt: In den betroffenen Regio-nen, so in den palästinensischen Gebieten und im Liba-non, bauen wir mit EU-Geldern Entwicklungsprojekteauf – also auch mit deutschen Steuergeldern –, die an-schließend bombardiert und zerstört werden. Das Ab-surde daran ist, dass dies zum Teil mit deutschen WaffengenDLKbalsMagsZgfuEwHapwkGtasaZcKrWht
ir sind jetzt fast am Ende der Debatte und ich habeeute selber schon sehr viel anhören müssen.Ich möchte noch von unserer Ausschussreise berich-en. Wir waren mit dem Ausschuss in Israel und in den
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Heike Hänselbesetzten palästinensischen Gebieten. Ich denke, dieKolleginnen und Kollegen können es bestätigen: Mit ge-sundem Menschenverstand kann man erkennen, dass dieSituation der Unterdrückung bei den Palästinensern undPalästinenserinnen ständig Hass und damit auch Gewalt-bereitschaft erzeugt. Deshalb ist es überfällig – wirfordern das schon seit langem –, einen neuen umfassen-den Friedensprozess in der Region einzuleiten, an des-sen Ende zwei lebensfähige Staaten in sicheren Grenzenstehen müssen.Es war viel vom Existenzrecht Israels die Rede, daswir ganz klar unterstützen. Aber das Existenzrecht alleinist noch keine Garantie für die Sicherheit der israeli-schen Bevölkerung. Dafür brauchen wir eine umfas-sende Friedenspolitik. Denn die Sicherheit der israeli-schen Bevölkerung und die Sicherheit der Palästinenserund der Libanesen sind zwei Seiten einer Medaille. Wirmüssen beide zusammen bedenken. Deshalb haben wirdie Verantwortung, uns für eine Friedenspolitik in dieserRegion einzusetzen.Für mich war auf unserer Reise interessant, dass wirsehr viele mutige Menschen getroffen haben – Israel istauch eine multikulturelle Gesellschaft mit unterschiedli-chen Vorstellungen; Zehntausende haben gegen denKrieg in Israel demonstriert; das wird viel zu wenig er-wähnt –, die sich für einen Dialog auf palästinensischerwie auf israelischer Seite einsetzen. Diese Kräfte müssenwir unterstützen. Deshalb halte ich es für entscheidend,dass wir viel mehr Ressourcen in den Aufbau der Zivil-gesellschaft auf allen Seiten investieren.Sparen wir uns die unsinnige Libanonmission, dieüberhaupt keinen Sinn hat! Wir sollten das eingesparteGeld stattdessen direkt in Friedensprojekte in der Regionund den Aufbau des Libanon investieren.
Wir brauchen dringend eine Logik des Friedens gegendie Logik des Krieges. Das haben wir in den letzten Wo-chen erlebt.
Dazu kann die Entwicklungspolitik unserer Ansicht nacheinen entscheidenden Beitrag leisten. Es kann nicht sein,dass Militärmissionen uns jetzt sogar als humanitärerBeitrag und als Entwicklungsbeitrag verkauft werden.Es ist entscheidend, dass wir konsequent eine zivilePolitik entwickeln.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.
Viele Stimmen weltweit haben das längst erkannt. Sie
wurden bereits zitiert. Auch wir stehen auf dieser Seite
und halten es für unsinnig, wenn der Bundeswehretat
noch erhöht werden sollte. Wir setzen uns für eine aktive
Friedenspolitik ein.
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Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kol-
egin Beck.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Frau Kollegin, wer laut und aufgeregt argumentiert,
at nicht allein deswegen Recht. Wenn Sie vom Krieg
egen den Libanon sprechen, dann möchte ich das im
eutschen Bundestag so nicht stehen lassen.
Jeder, der sich mit der Frage beschäftigt, muss wissen
auch Sie als Parlamentarierin sollten das wissen –, dass
ie Hisbollah über Jahre hinweg im Süden des Libanon,
ls dort nach dem Abzug der israelischen Truppen ein
olitisches Vakuum entstanden war, Raketen aufgebaut
at, mit denen ständig, und zwar über einen langen Zeit-
aum, Angriffe auf den Norden Israels geflogen worden
ind.
Es war dann die Entführung von zwei israelischen
oldaten auf israelischem Boden und die Tötung von
cht Soldaten, die dazu geführt haben, dass Israel ange-
angen hat, sich zur Wehr zu setzen. Das will ich in die-
em deutschen Parlament richtig stellen. Es ging nicht
m einen Krieg gegen den Libanon. Wir wissen, dass die
ibanesische Regierung mit der schwierigen Situation le-
en musste, nicht mehr die Souveränität über das ganze
and zu haben. Das ist die Situation, in der nun die inter-
ationale Truppe ihre Funktion erfüllen soll.
Frau Kollegin Hänsel, Sie dürfen erwidern.
Frau Beck, das sehe ich ganz anders. Die Menschenm Libanon, die fast vier Wochen bombardiert wurden,ürften das ebenfalls anders sehen. In meinen Augenar es ein Angriffskrieg gegen die gesamte Bevölkerunges Libanon. Hat dieser Krieg die Hisbollah in irgendei-er Form ausgeschaltet? Nein. Die Hisbollah existierteiter. Es war ein gezielter Krieg gegen die zivile Infra-truktur – das sagt Amnesty International –, und zwarnter Inkaufnahme von über 1 000 toten Menschen iner Region. Das kann man nicht als einen Krieg gegenie Hisbollah bezeichnen. Egal welche internationaletimme Sie nehmen, es war ein Krieg gegen die gesamteevölkerung des Libanon.
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Das Wort hat die Kollegin Ute Koczy, Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen undHerren! Zum Haushalt des Bundesministeriums fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:7,8 Prozent Steigerung der Barmittel, ich finde, dies istein Schritt in die richtige Richtung. Dass auch Mittel be-treffend die Verpflichtungsermächtigungen für die bila-terale staatliche Entwicklungszusammenarbeit 2007 um430 Millionen Euro angehoben werden, ist ebenfallsrichtig.Ein Blick zurück, auf den Haushalt 2006, zeigt aber,in welchem Zustand sich die Finanzierung der Entwick-lungszusammenarbeit der Bundesregierung befindet: indem der Orientierungslosigkeit; denn noch in diesemJahr haben Sie die Mittel betreffend die Verpflichtungs-ermächtigungen für die bilaterale Entwicklungszusam-menarbeit um 130 Millionen Euro gekürzt. Das nenneich einen Zickzackkurs. Die Regierung müsste doch wis-sen: Um nach dem EU-Zeitplan das 0,7-Prozent-ODA-Ziel zu erreichen, kann sich Deutschland ein solchesHott und Hü gar nicht leisten. Uns läuft nämlich schonjetzt die Zeit davon. Unser gemeinsames Ziel ist die Um-setzung der Millennium Development Goals. Dabei istes wichtig, die Verpflichtungsermächtigungen genau insVisier zu nehmen; denn sie sind die Barausgaben vonmorgen und die Grundlage für neue Kooperationsange-bote, die Sie heute den Entwicklungsländern in den Re-gierungsverhandlungen machen können.Tun Sie, was Sie sich selbst im Koalitionsvertrag vor-genommen haben! Sie wollen den EU-Stufenplan mit derErhöhung der Haushaltsmittel, der Entschuldung der Ent-wicklungsländer und mittels der Einführung innovativerFinanzierungsinstrumente umsetzen. Wir unterstützenSie dabei nach besten Kräften. Damit Sie aber in Bewe-gung kommen, haben wir Ihnen eine Brücke gebaut undeinen Antrag auf Einführung einer Flugticketsteuer inden Bundestag eingebracht. Mit diesem Antrag tun wirnichts anderes, als Ihnen Ihre Koalitionsvereinbarungund die Erklärungen Ihrer Kanzlerin zur Entwicklungsfi-nanzierung ins Gedächtnis zu rufen. Aber was tun Sie?Sie verhindern mit der Koalitionsmehrheit die Befassungmit diesem Antrag in den Ausschüssen, auch im AwZ-Ausschuss.Sie begehen damit einen großen Fehler. Sie machensich international unglaubwürdig. Sie können nicht jah-relang mit unseren Partnern über innovative Finanzie-rungsinstrumente diskutieren und sich in der Pilotgruppefür die Einführung von Solidaritätsbeiträgen zugunstenvon Entwicklung tummeln, um dann, wenn andere wiebeispielsweise Frankreich, Brasilien und Südkorea Ernstmachen, unterzutauchen. Mittlerweile sind es schon18 Länder, die eine Ticketabgabe eingeführt oder dieseverbindlich beschlossen haben. Dabei ist zum BeispielSchweden gar nicht mitgezählt. Sie könnten in Deutsch-land durch eine Flugticketsteuer – wenn wir das Mini-m3sbtFdvEnbcdsGzfwHsGGUElus2umrHGfdhgzb–sIEuH
Alle anderen wurden erhöht, Herr Kollege, aber in die-em Bereich gibt es nur gute Worte und keine Taten.
ch finde, das ist verkehrt. Das muss geändert werden.
benso meine ich, dass die entwicklungsorientierte Not-nd Übergangshilfe besser ausgestattet werden muss.ier muss endlich etwas passieren.
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4584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006
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Ute KoczyIch wiederhole es gerne: Der von Ihnen vorgelegteEntwurf für den Einzelplan 23 weist zwar in die richtigeRichtung; trotzdem wird nicht erkennbar, wie Sie das0,7-Prozent-Ziel erreichen wollen. Dafür ist ein jährli-cher Mittelzuwachs von 1 Milliarde Euro für die ge-samte öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bis2015 nötig. Mit Trippelschritten ist dies nicht zu ma-chen.Die Kanzlerin hat hier im Bundestag ihr Bekenntniszum EU-Stufenplan mit folgenden Worten bekräftigt:Ich weiß, was ich da sage. Das sind ganz anspruchs-volle Ziele. Aber wir müssen lernen: Die Problemeereilen uns im Inland, wenn wir es nicht schaffen,die Probleme anderswo einer Lösung zuzuführen.Das ist ein Auftrag auch an die Entwicklungszusam-menarbeit. Das ist ein Auftrag an uns. Wir haben eineganze Menge zu tun. Den Sätzen ist nichts hinzuzufü-gen, außer dass wir nicht nur schöne Worte hören wol-len, sondern couragierte Taten erwarten. Die stehen im-mer noch aus.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wenn man den Worten der Opposition gefolgt ist,dann könnte man meinen, zu dem Haushaltsentwurf, derjetzt eingebracht worden ist und über den wir heute inerster Lesung, Herr Königshaus, diskutieren, wäre nichtsPositives anzumerken oder es wäre ein schlechter Ent-wurf. Ich muss sagen: Das Gegenteil davon ist der Fall.
Lassen Sie uns auf den Haushaltsentwurf zurückkom-men. Wir haben im Haushalt 2007 einen Aufwuchs von7,8 Prozent. Das sind 324 Millionen Euro, um es deut-lich zu machen. Das ist neben dem Etat des Familienmi-nisteriums der zweitgrößte Aufwuchs aller Ministerien.Auch das ist wichtig und richtig. Wie die Ministerin zuRecht betont hat, ist es eine Zukunftsinvestition, ein in-vestiver Haushalt, ein Haushalt, in dem sich die Aus-einandersetzung mit den Problemen dieser globalisiertenWelt widerspiegelt. Deshalb ist dieser Aufwuchs vonganz besonderer Bedeutung.
Dieser Haushalt ist auch ein Zeichen dafür, dass wirals Regierungskoalition das im Aktionsplan festge-schriebene Ziel, die ODA-Quote bis 2015 auf0,7 Prozent zu erhöhen, ernst nehmen, Frau Koczy. Dakönnen Sie uns etwas Vertrauen entgegenbringen.PsZelumndjGPsHsrgdtGvmse–StsMrwrrgtstDdmWSDem
Wir haben in diesem Haushalt einige wesentlicheunkte aufgegriffen, die die bilaterale Entwicklungszu-ammenarbeit angehen. Ich verweise auf die Technischeusammenarbeit. Die entsprechenden Verpflichtungs-rmächtigungen wurden ganz deutlich aufgestockt, näm-ich um 430 Millionen Euro. Das war ebenfalls richtignd wichtig. Es ist lange gefordert worden. Auch dasuss man der Ehrlichkeit halber sagen. Es war dringendötig und verschafft den Durchführungsorganisationenie nötige Planungssicherheit für ihre zukünftigen Pro-ekte. Auch daran wird die langfristige Planung sichtbar.
Frau Hänsel, Sie haben sicherlich Recht: Allein mehreld bringt es noch nicht. Ich möchte anhand einigerunkte, die gerade unsere bilaterale Entwicklungszu-ammenarbeit betreffen, deutlich machen, dass wir beimaushalt sehr wohl auf Qualität setzen. Der Barmittelan-atz bei der bilateralen EZ steigt um 10 Prozent. Wa-um steigt er? Weil wir mit diesen Mitteln zu Recht dieute Arbeit unserer Durchführungsorganisationen för-ern wollen und müssen.An dieser Stelle möchte ich vonseiten der SPD-Frak-ion den Durchführungsorganisationen – seien es KfW,TZ, INWENT, DED, CIM, Stiftungen, Kirchen oderiele andere Nichtregierungsorganisationen – noch ein-al ein Lob für ihre wirklich hervorragende Arbeit aus-prechen. Ich denke, auch in einer Haushaltsdebatte ists angemessen, dies einmal zu sagen.
Herr Königshaus, bei Ihnen bin ich mir nicht so sicher.ie widersprechen bei allem.
Unser Ausschuss hat sich für seine Arbeit sehr wich-ige Ziele gesetzt. Sehr wichtige Ziele enthält auch die-er Haushaltsentwurf: Bekämpfung der Armut,illennium Development Goals. Wir waren auf unse-en Reisen zum Beispiel in China und haben gesehen,ie sinnvolle Projekte durch die Arbeit der Durchfüh-ungsorganisationen, durch das, was wir für die bilate-ale Zusammenarbeit finanziell zur Verfügung stellen,eschaffen werden, die gerade den ländlichen Raum un-erstützen, die gerade dazu beitragen, nachhaltige Wirt-chaftsentwicklungen zu fördern, Menschen in die Situa-ion zu versetzen, sich selbst zu helfen, aber auchemokratie und zivilgesellschaftliche Strukturen zu för-ern. Das sind wichtige Punkte, die man nicht einfachit dem Satz „Na ja, durch unsere EZ passiert ja nichtsichtiges“ abtun kann. Wir tragen hier wirklich zutrukturveränderungen in den Partnerländern, auch imialog mit diesen Ländern, bei. Auch damit leisten wirinen Beitrag zur Erreichung der Millennium Develop-ent Goals.
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Dr. Bärbel KoflerIch möchte anhand von zwei Haushaltstiteln nochdarauf eingehen, dass wir sehr wohl Strukturveränderun-gen anstoßen und besondere Beiträge leisten. FrauKoczy, Sie haben angesprochen, dass Zuhörer den Ein-druck haben könnten, dass keine Mittel für zivilgesell-schaftliche Organisationen und private Träger in diesemEinzelplan vorgesehen sind. So mag es jemandem er-scheinen, der diesen Haushalt nicht kennt. Ich darf daranerinnern, dass dafür ungefähr 480 Millionen Euro zurVerfügung stehen.Ein Titel betrifft die Förderung der Sozialstrukturen.Auch dieser Titel wird in diesem Haushaltsentwurf auf-gestockt. Ich finde übrigens, es ist ein sehr wichtiger Ti-tel, weil durch ihn Mittel gerade für Institutionen zurVerfügung gestellt werden – ich verweise in diesem Zu-sammenhang auf das Bildungswerk des DGB –, die sichmit den Fragen von Sozialstandards, von Kernarbeits-normen auseinander setzen. Das sind Fragen, die wahr-scheinlich sehr viele Menschen innerhalb und außerhalbdieses Saales bewegen. Dabei geht es darum, wie wirweltweit das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeitdurchsetzen, wie wir entsprechende Arbeitnehmerrechteund Verbote der Diskriminierung am Arbeitsplatz orga-nisieren.
Auch das ist ein Titel, der in diesem Haushaltsentwurfaufwächst. Ich finde das positiv. Das ist auch etwas, wasvon der SPD-Arbeitsgruppe sehr positiv aufgenommenwurde.„Ziviler Friedensdienst“ ist ein weiterer Titel, derdeutlich aufwächst. In vielen Beiträgen, auch außenpoli-tischen Beiträgen, heute ist deutlich angeklungen, wiewichtig die Arbeit ziviler Friedensdienste in den ver-schiedensten Krisenregionen dieser Erde ist. Ich bin sehrfroh darüber, dass dieser Titel aufwächst, bei den Bar-mitteln und noch deutlicher bei den Verpflichtungser-mächtigungen. Damit wird eine Richtung für die nächsteZeit aufgezeigt und deutlich gemacht, dass wir Krisen-prävention, Konfliktnachsorge bei traumatisierten Men-schen und Ausgleich zwischen ehemaligen Konfliktpar-teien mit den Mitteln in unserem Haushalt besondersunterstützen wollen.Wenn man das alles in einer Zusammenschau sieht,dann stellt man fest: Der Entwurf des Haushalts 2007,den wir jetzt diskutieren, weist einen ordentlichen Mit-telaufwuchs auf. Die Verpflichtungsermächtigungen si-chern ordentliche Beiträge für die Zukunft. Mit demBarmitteleinsatz für die bilaterale EZ werden deutlicheAkzente gesetzt. Deshalb ist dieser Haushalt ein richti-ger und wichtiger Schritt für unsere Entwicklungszu-sammenarbeit in der Zukunft.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur mul-tilateralen EZ und zur künftigen Finanzierung machen.Herr Königshaus, ich habe schon fast befürchtet, dassSie wieder den EEF ansprechen. Es ist richtig und wich-tig, dass man sich mit europäischen Themen und euro-paanB7swudsdawK–dwFhsMdugdeRzfpedazEss
Eben.
Wir hatten, glaube ich, gar keinen Dissens darüber,
ass alle diese Länder im Fokus sein müssen und dass
ir dort, wenn erforderlich, auch helfen müssen. Die
rage ist nur: Muss das außerhalb der öffentlichen Haus-
alte stattfinden? Muss das in einer Konstruktion ge-
chehen, die parlamentarischer Kontrolle entzogen ist?
uss das in einer Form passieren wie hier, wo völlig un-
urchschaubar ist, wer entscheidet, wie entschieden wird
nd wann Mittel abgerufen werden? Darüber habe ich
esprochen. Ich habe doch gar nicht über die Ziele gere-
et.
Das ist die alte Strategie: Zuerst stellt man pauschaltwas in den Raum und im Nachhinein, bei der ersteneplik, rudert man mit seinen Äußerungen ein bisschenurück. Aber ich antworte gerne auf die Frage.Es geht natürlich darum: Wie können wir die Politikür die AKP-Staaten – Afrika, Karibik, Pazifik – in euro-äische Politik integrieren? Wenn es nicht sofort undinfach möglich ist, dies im EU-Haushalt zu tun – auchas bedarf der Abstimmung und der Koordination mitnderen Staaten –, dann ist es wichtig, weiter die finan-iellen Mittel und die Möglichkeiten zu haben, die derEF bietet.Was beim 10. EEF erreicht worden ist, was zum Bei-piel die Frage der so genannten Sunset-Clause angeht,teht in der Antwort auf die Anfrage der FDP.
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Dr. Bärbel Kofler– Das ist meist der Punkt. Aber ich zitiere das gernenoch einmal.
– Dann auch dazu noch einmal. Gehen wir auf den9. und 10. EEF ein. Nach dem Ende der Laufzeit sindkeine Mittel mehr abrufbar. Deckungsfähigkeit bestehtnur noch mit Titeln des VN-Etats, nicht mehr mit sol-chen der bilateralen EZ.Was die Evaluierung anbelangt: In der Antwort, dieSie von der Bundesregierung bekommen haben, stehtdeutlich, dass zum Beispiel Europe-Aid jährlich eineEvaluierung von Projekten vornimmt. Diese Evaluie-rung kann man sich auf der Internetseite von Europe-Aidansehen. Auch das ist ein Beitrag zur Transparenz. Esbesteht durchaus die Möglichkeit, einmal einen Blickdarauf zu werfen, Herr Königshaus.
Auch zur Flugticketabgabe einige Ausführungen;denn es ist natürlich eine wichtige Frage, wie wir zu-künftige Haushalte gestalten und wie wir den Mittelauf-wuchs, den wir alle dringend wollen und brauchen, fürunseren Etat bewerkstelligen können. Sie wissen alle,dass sich die Regierung im Februar/März dieses Jahresin Paris ganz aktiv an der Diskussion über innovativeFinanzierungsinstrumente beteiligt hat. Sie wissen, dasswir an der Leading Group beteiligt sind und dort ganzentscheidend mitwirken, um diese innovativen Finanzie-rungsinstrumente umsetzen und aufgreifen zu können,möglichst auf breiter Basis; denn je mehr mitmachen,umso erfolgreicher ist das Ganze.
Sie haben ja selber gerade ein paar Beispiele dafür aus-geführt.Wer sich den Finanzplan der Bundesregierung an-sieht, wird feststellen, dass die innovativen Finanzie-rungsinstrumente auch dort deutliche Erwähnung finden.Es ist vollkommen unstrittig, dass wir zur Erreichungdes 0,7-Prozent-Kriteriums diese innovativen Finanzie-rungsinstrumente brauchen. Das haben wir als SPD-Ar-beitsgruppe bei der letzten Haushaltsberatung gesagt unddas sagen wir selbstverständlich auch bei dieser Haus-haltsberatung. Ebenso stehen wir nach wie vor unverän-dert zur Flugtickettax.Ich möchte noch auf Ihren Antrag eingehen. Der An-trag, den Sie gestellt haben, ist nicht verhindert – er wirdim Ausschuss debattiert –, sondern vertagt worden, weiles da um eine Entscheidung geht, die man nicht übersKnie brechen kann, die man nicht am Rande einer Sit-zung kurz vor der Sommerpause in fünf Minuten abhan-deln kann, sondern die gebührender Aufmerksamkeit inden Beratungen bedarf. Die wird sie in der nächsten Zeitiv–pdsdpfaiDHWKdcddmdvcVzwuJted
Frau Koczy, es ist die erste Woche nach der Sommer-ause; wir klären das.Zusammenfassend möchte ich –
Frau Kollegin, Sie sehen aber schon, dass Sie Ihre Re-
ezeit deutlich überschritten haben.
– ich bin beim letzten Satz – deutlich darauf hinwei-
en, dass der Haushalt 2007 ein guter Haushalt ist. Ich
enke, wir werden in den Beratungen noch einige As-
ekte der Fachpolitiker positiv einbringen können. Ich
reue mich auf die interessante Debatte zur Flugticket-
bgabe und zu anderen Punkten in den nächsten Wochen
m Ausschuss.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und ein
ank geht an die Ministerin für ihr Engagement.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
artwig Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir sind am Ende eines Debattentages, an dem wir denanzlerhaushalt, den Haushalt des Außenministeriums,es Verteidigungsministeriums und jetzt der wirtschaftli-hen Zusammenarbeit diskutieren. Wer die Debatte überen gesamten Tag verfolgt hat, hat festgestellt, dassiese Koalition ganz deutlich Politik aus einem Gussacht. Das begann bei der internationalen Diplomatie,ie die Kanzlerin angesprochen hat, ging über die Prä-entionsdiplomatie, von der der Außenminister gespro-hen hat, und das Einbinden der Friedensmission durcherteidigungsminister Jung in diese Diplomatie bis hinur Eröffnung dieser Debatte durch unsere Ministerin fürirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.Nach meiner persönlichen Überzeugung zeigt sich fürns ein großes Problem. Wir haben in den vergangenenahren Naturkatastrophen erlebt, bei denen unser Minis-erium als Reparaturbetrieb herhalten musste. Es gibtine Vielzahl von bewaffneten Konflikten; auch da wirdieses Ministerium zu Reparaturarbeiten herangezogen.
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Hartwig Fischer
Das heißt, wir machen humanitäre Entwicklungspolitikund Krisenreaktion. Leider werden dadurch die Mitteleingeschränkt, die man bräuchte, um stärker perspekti-visch tätig zu werden. Wir müssen versuchen, auf demWege internationaler Diplomatie dahin zu kommen, dasswir mehr Mittel und Kapazitäten in den Bereich der Prä-vention einbringen können.Man muss sich einmal vor Augen führen, wie vieleKonflikte wir derzeit auf dieser Erde haben. Insgesamtsind es 39 Konflikte; die meisten in Entwicklungslän-dern. 90 Prozent der Konflikte seit 1945 haben in derDritten Welt stattgefunden. 15 kriegerische Konfliktegibt es derzeit in Asien und elf in Afrika.Meine Damen und Herren, das zeigt die besonderenHerausforderungen in der Folge der Konflikte für die Di-plomatie, aber auch für uns alle. Das heißt: Wir müssendie Entwicklungszusammenarbeit in Teilbereichen zen-tralisieren und effektiver gestalten.Wir haben beschlossen, in Zukunft mit weniger Staa-ten zusammenzuarbeiten. Wir wollen die Zusammenar-beit auf 60 Staaten reduzieren. Das bedeutet eine stär-kere Kooperation mit der EU und eine stärkereKooperation mit anderen Ländern. Wir müssen eine in-ternationale Arbeitsteilung vornehmen. Nicht jeder kannin jedem Land arbeiten; vielmehr sollten wir uns auf dieBereiche konzentrieren, in denen wir am besten Schwer-punkte setzen können, also insbesondere auf die Berei-che Infrastruktur, Grundversorgung bei Wasser und Nah-rung sowie Bildung und Gesundheit. Es bedeutetinsbesondere aber auch Capacity-Building bei der Unter-stützung von Staaten, um in weiten Bereichen vonschlechter Regierungsführung zu besserer Regierungs-führung zu kommen.Wir müssen uns multilateral engagieren. Dazu gehörtauch – das ist eine besondere Aufgabe, der wir uns stär-ker stellen müssen –, dass wir personell in den interna-tionalen Institutionen mit eingebunden sind, damit wirfrühzeitig auf diese Projekte einwirken können.
Wir sollten bei der Auseinandersetzung um die Ent-wicklungszusammenarbeit die deutschen Interessen mitin den Vordergrund stellen, damit die Partner wissen,dass wir Entwicklungspolitik auch im eigenen Interessemachen. Es gibt humanitäre Gründe, aber es gibt vor al-len Dingen auch Gründe, die wir derzeit jeden Tag anunseren Grenzen oder im Augenblick auf den kanari-schen Inseln erleben.Die Migration hat erschreckende Ausmaße ange-nommen. Migration ist ein Zeichen von Armut und vonHoffnungslosigkeit. Lassen Sie mich nur die Zahlen derletzten Tage noch einmal nennen: 399 Flüchtlinge am4. September, 1 433 Flüchtlinge am vergangenen Wo-chenende, 5 880 Flüchtlinge derzeit auf den kanarischenInseln. Weltweit gibt es zurzeit zwischen 20 Millionen– nach Angaben des UNHCR – und 40 Millionen – nachAngaben anderer Stellen – Flüchtlinge, davon über10 Millionen Flüchtlinge in Lagern. Das sind Menschen,dttWhadnu5g5NFlFLnfvdzMDHqdGjdmRgmdoddVbwKzdemgvg
Lassen Sie mich noch auf Folgendes hinweisen: Werie einige von Ihnen nicht nur die Situation in denriegsgebieten in Asien – in Indien allein in fünf Provin-en –, sondern auch im Kongo persönlich erlebt hat, werie Hoffnung darauf setzt, dass dort durch die Wahlenin Friedensprozess in Gang gesetzt wird, der wird mitir darin einig sein, dass wir jetzt eine Nachwahlstrate-ie zur Stabilisierung der dann gewählten Regierungorbereiten müssen.Das wäre zum Beispiel ein Projekt, bei dem man sichemeinsam mit anderen europäischen Staaten so
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engagieren kann, dass aus dieser Krisenregion mit über4 Millionen Toten in den vergangenen Jahren eine Zu-kunftsregion wird. Wenn man dann begleitend eine Roh-stoffökonomie betreibt, in deren Rahmen sich die Län-der international verständigen sollten – ich will diesausdrücklich sagen –, damit nicht ein Land wie Chinadort unkonditioniert Rohstoffe ausbeutet und andereLänder konditionierte Hilfen geben, wäre das nach mei-ner Überzeugung – ich sehe das Zeichen, dass ich aufhö-ren muss – einer der Ansätze für eine konstruktive Ent-wicklungszusammenarbeit.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Donnerstag, den 7. September 2006, 9 Uhr,
ein.
Ich wünschen allen hier im Hohen Hause einen schö-
nen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.