Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich zur Fortsetzung unserer Haushalts-debatte.Bevor ich den nächsten Einzeletat aufrufe, möchteich Ihnen mitteilen, dass es eine interfraktionelle Ver-einbarung gibt, die Tagesordnung um die in der Zusatz-punkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:ZP 1 a) Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfseines Vierten Gesetzes zur Änderung desConterganstiftungsgesetzesDrucksache 18/10378Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschussb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenSylvia Kotting-Uhl, Dr. Julia Verlinden,Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENAtomkosten verursachergerecht anlasten –Kernbrennstoffsteuer beibehalten undanhebenDrucksache 18/10034Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-cherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung strittigVon der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweiterforderlich, abgewichen werden.Tagesordnungspunkt V c soll abgesetzt werden.Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgli-che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-punkteliste aufmerksam:Der am 20. Oktober 2016 überwie-sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich demAusschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-kung der nichtfinanziellen Berichterstattungder Unternehmen in ihren Lage- und Kon-
Drucksache 18/9982Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und ReaktorsicherheitAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionDer am 10. November 2016 überwie-sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich demAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung zur Mitberatung überwiesenwerden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbauverzichtbarer Anordnungen der Schriftformim Verwaltungsrecht des BundesDrucksache 18/10183Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung Ausschuss Digitale AgendaDer am 10. November 2016 überwie-sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich demAusschuss für Kultur und Medien zurMitberatung überwiesen werden:
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Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Neunten Geset-zes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbe-werbsbeschränkungenDrucksache 18/10207Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale AgendaDer am 11. November 2016 überwiese-ne nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Gesundheit zur Mitberatungüberwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-lung von Ansprüchen ausländischer Personenin der Grundsicherung für Arbeitsuchendenach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch undin der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch So-zialgesetzbuchDrucksache 18/10211Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussAusschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionDer am 20. Oktober 2016 überwiesenenachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung zur Mitberatung überwiesenwerden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiter-entwicklung der steuerlichen Verlustverrech-nung bei KörperschaftenDrucksachen 18/9986, 18/10348Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GOIch frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind. – Dasist offenkundig der Fall.Wir setzen nun unsere Haushaltsberatungen – Tages-ordnungspunkt I – fort:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2017
Drucksachen 18/9200, 18/9202b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2016 bis 2020Drucksachen 18/9201, 18/9202, 18/9827Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt I.13 auf:Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-gieDrucksachen 18/9809, 18/9824Berichterstatter sind die Abgeordneten Thomas Jurk,Andreas Mattfeldt, Roland Claus und Anja Hajduk.Zum Einzelplan 09 liegen zwei Änderungsanträge derFraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 125 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Also verfahren wir so.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Bundesminister Sigmar Gabriel wird uns in etwaeiner halben Stunde wieder die gute wirtschaftliche Situ-ation in Deutschland erklären in Bezug auf Arbeitsmarkt,Steuereinnahmen, Wachstumsraten.
– Das habe ich auch nicht bestritten, Herr Kollege. – ImSeptember hat der Minister diese Betrachtung mit derEinschätzung abgerundet – ich zitiere ihn –:In der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik mussdie Bundesregierung also irgendetwas richtig ge-macht haben.Bescheiden wie wir ihn kennen! Nun frage ich einmalandersherum: Kann es nicht vielleicht auch sein, dass dieOpposition in Deutschland etwas richtig gemacht hat,
weil sie die Regierung regelmäßig von noch größerenFehlern abhält?
Wäre das nicht auch einmal einen Dank wert, meine Da-men und Herren? Sie müssen sich darüber gar nicht soaufregen; denn ich denke nicht nur an die Opposition imBundestag, sondern zum Beispiel auch an die CDU-Op-position in Nordrhein-Westfalen. Sie von der Union ha-Präsident Dr. Norbert Lammert
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ben doch immer den Hauptfeind in Düsseldorf ausge-macht.Zurück zu den wirtschaftlichen Leistungen. Leidersind die Früchte des Erfolgs sehr ungleich verteilt. FürMillionen von Beschäftigten und deren Kinder gilt leider:arm trotz Arbeit. Wer von seinem Lohn nicht leben kannund noch staatliche Hilfe braucht, wird verwaltungsmä-ßig „Aufstocker“ genannt. Das ist diskriminierend. HerrBundesminister und Parteivorsitzender, das kann Siedoch nicht kaltlassen. Da muss ein Wirtschaftsministerdoch etwas tun. Dafür gibt ihm das Parlament ja den Etatin die Hand.Mit diesem Etat bedient das Bundeswirtschafts- und-energieministerium erneut staatsnahe Monopolisten,zum Beispiel Flugzeugbauer. Das kritisieren wir regel-mäßig; das kennen Sie von uns. Aber mit diesem Etat tutdas Ministerium auch etwas für die Förderung des Mit-telstandes. Das Zentrale Innovationsprogramm Mittel-stand, ZIM, ist ein solches Programm, das von uns allenunterstützt wird. Insofern beantragt die Linke hier, dieMittel für dieses Programm im nächsten Jahr um 80 Mil-lionen Euro zu erhöhen.
Das ist ein Vorschlag, dem Sie sich anschließen sollten.Dass das Geld in diesem Lande da ist, sehen Sie dochallein daran, dass das Kabinett schon in der nächsten Wo-che einen Nachtragshaushalt für 2016 beschließen wird,über den wiederum Geld verteilt wird.Das Bundeswirtschaftsministerium fördert bekannt-lich auch die internationalen Wirtschaftsbeziehungen,unter anderem durch Zuschüsse an etwa 130 Außenhan-delskammern in aller Welt. Gerade von diesen Handels-kammern ergeht seit Jahren die Botschaft an das Minis-terium: Macht Schluss mit den Wirtschaftssanktionengegen Russland, unter denen insbesondere ostdeutschekleine und mittelständische Unternehmen leiden! Erfreu-lich ist, dass der Außenhandel zwischen Deutschland undRussland 2016 wahrscheinlich wieder anwachsen wird;aber noch immer beschäftigen Sie sich mit diesen Sank-tionen.Das Bundeswirtschaftsministerium ist auch das Ost-ministerium der Bundesregierung. Die ParlamentarischeStaatssekretärin Gleicke fungiert als Beauftragte der Bun-desregierung für die sogenannten – so der Begriff – neu-en Länder; mit dem komischen Begriff muss man auchirgendwann mal aufräumen. Ein völlig falsches Signalaber setzen Sie nun mit diesem Haushalt, in dem die Mit-tel für die Ostbeauftragte um exakt ein Viertel abgesenktwerden. Das ist doch ein absurdes Signal. Wenn man dasauf den Kalender von 2017 umrechnet, heißt das: Im Ver-gleich zu 2016 reicht das Geld dann gerade mal bis zumSeptember 2017, also bis zur Wahl. Und da wundern Siesich, wenn manche Kritiker daraus ableiten, dass hierwomöglich die Abschaffung einer Ostverantwortung inder Bundesregierung etatisiert wird. Das haben Sie vomWirtschaftsministerium bei der Beratung zwar vehementdementiert. Aber warum, frage ich Sie, gibt es dann ei-nen solchen Dilettantismus beim Haushalt? Auch hierzustellen wir einen Änderungsantrag. Das lässt sich ändern;da geht es nicht um so viel Geld. Folgen Sie unseremVorschlag, meine Damen und Herren!
Eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Energiepolitikist mit diesem Etat nicht möglich. Das weiß wohl auchBundesminister Gabriel. Eine andere Wirtschafts- undEnergiepolitik ist nötig, und sie ist auch möglich.Meine Damen und Herren, ich möchte Sie abschlie-ßend um Verständnis bitten: Ich kann der Debatte nichtbis zum Schluss folgen, weil ich zu einer Trauerfeier fürden verstorbenen langjährigen Stadtvorsitzenden meinerPartei in Halle, Frank Baier, fahren möchte. Ich bitte Sieum Verständnis dafür und danke Ihnen.
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Jurk.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Feststel-lung beginnen: Es steht einem sozialdemokratischen Mi-nister gut zu Gesicht, wenn er sich auch unter schwierigenRahmenbedingungen für den Erhalt von Arbeitsplätzeneinsetzt. Ich meine aktuell das Engagement von Bundes-wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beim Streit um dieZukunft der Filialen von Kaiser’s Tengelmann. Denn esist nicht selbstverständlich, nach all den Rückschlägenund trotz massiven Gegenwinds weiter am Ball zu blei-ben und mit den Gewerkschaften und unserem Altkanz-ler Gerhard Schröder eine Schlichtung auf den Weg zubringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieEinigung wird nun hoffentlich die Arbeitsplätze von15 000 Beschäftigten sichern. Herzlichen Dank für IhrenEinsatz, Herr Minister.
Auf die allgemeine wirtschaftliche Lage will ich hiernur kurz eingehen. Fakt ist: Die deutsche Wirtschaft be-findet sich auf einem soliden Wachstumskurs. Die Er-werbstätigkeit liegt auf hohem Niveau, und die Arbeits-losigkeit sinkt kontinuierlich. Ich verschweige nicht, dassleider immer noch viel zu viele Menschen trotz harterArbeit einen zu geringen Lohn beziehen. Dennoch: DieLöhne und Renten steigen, auch dank des von der SPDdurchgesetzten gesetzlichen Mindestlohnes, weshalbdie wirtschaftliche Entwicklung derzeit ganz wesentlichvom privaten Konsum getragen wird.Wenn wir über den Haushalt des Bundeswirtschafts-ministeriums, kurz: BMWi, sprechen, geht es immerdarum, wie wir mit den zur Verfügung stehenden Haus-haltsmitteln die deutsche Wirtschaft weiter stärken, In-novationen vorantreiben, unsere Fachkräftebasis sichernund stärker investieren. Kurz gesagt: Es geht darum, wiewir heute die Grundlagen für unseren Wohlstand vonmorgen sichern.Roland Claus
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Wir beraten in dieser Woche den letzten regulärenHaushalt dieser Wahlperiode. Das ist ein guter Anlass,eine Bilanz über die Entwicklung des BMWi-Haushal-tes seit 2013 zu ziehen. An unseren Haushaltszahlen lässtsich dies ja auch ganz gut ablesen. Danach haben wir indieser Wahlperiode im Wirtschaftsetat ganz zweifellosdie notwendigen Schwerpunkte bei Innovation und Di-gitalisierung gesetzt.Eine zentrale Aufgabe unserer Wirtschaftspolitik istes, die Leistungsfähigkeit des deutschen Forschungs-und Innovationssystems sicherzustellen. Deshalb habenwir im Einzelplan 09 die Ausgaben für anwendungs-orientierte Forschung und Entwicklung von 3 MilliardenEuro um rund 600 Millionen Euro auf 3,6 MilliardenEuro erhöht. Das ist eine Steigerung von 20 Prozent innur einer Wahlperiode.
Das ist eine beachtliche Leistung, die zeigt, dass wir esmit der Modernisierung unserer Volkswirtschaft ernstmeinen – wie ernst, das zeigt sich insbesondere bei derIndustriellen Gemeinschaftsforschung, IGF, und demZentralen Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, diewir massiv gestärkt haben. Für die IGF stehen im kom-menden Jahr nun 169 Millionen Euro bereit; das sind35 Millionen Euro mehr als im Jahre 2013.
Auch beim ZIM haben wir noch eine Schippe draufge-legt. Mit einem Titelansatz von 548,5 Millionen Euro so-wie dem Verstärkungsvermerk über weitere 20 MillionenEuro können 2017 für das ZIM bis zu 568,5 MillionenEuro eingesetzt werden.
– Der Beifall ist völlig richtig, Kollege Kahrs und liebeFreunde von der SPD-Fraktion; damit stehen im kom-menden Jahr beim ZIM etwa 58 Millionen Euro mehrzur Verfügung als zu Beginn dieser Wahlperiode. Daranmöchte ich noch einmal ausdrücklich erinnern.
– Ich freue mich auch über den Beifall von der rechtenSeite hier; denn das sind doch beachtliche Steigerungen,welche den hohen Stellenwert unterstreichen, den dieGroße Koalition der Förderung von Forschung und Ent-wicklung in kleinen und mittelständischen Unternehmeneinräumt.
Damit Deutschland ein wettbewerbsfähiger Indus-trie- und Produktionsstandort bleibt, müssen wir die Di-gitalisierung der Wirtschaft vorantreiben. Die dafür zurVerfügung stehenden Fördermittel haben wir deshalbin dieser Wahlperiode massiv erhöht, von 60 MillionenEuro im Jahre 2013 auf immerhin 173 Millionen Euro fürdas Jahr 2017. Davon profitieren nicht zuletzt kleine undmittlere Unternehmen und das Handwerk.Ich verweise hier beispielsweise auf das sehr erfolg-reiche Modellvorhaben „go-digital“, welches wir 2017zu einem bundesweiten Förderprogramm ausbauen wer-den. Mit „go-digital“ können kleine und mittlere Unter-nehmen und das Handwerk externe Beratungsleistungenin Anspruch nehmen, um fit für die digitalen Herausfor-derungen zu sein.
Zudem werden wir im kommenden Jahr eine bundeswei-te Abdeckung mit Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrenerreichen. Diese Kompetenzzentren sind eine große Un-terstützung für kleine und mittlere Unternehmen bei derDigitalisierung.
Die Fördermittel für die Digitale Agenda werden wirin den kommenden Jahren deutlich erhöhen, steigen wirdoch mit diesem Haushalt massiv in die strategische För-derung von Neuentwicklungen in der Mikroelektronikein. Hier sollen in den nächsten Jahren allein im Etat desBMWi bis zu 1 Milliarde Euro bereitstehen.Wenn wir von Innovationen sprechen, darf die Luft-und Raumfahrt nicht fehlen, die ein wichtiger Innovati-onstreiber für die gesamte Wirtschaft ist. Wir geben imkommenden Jahr für diesen Bereich 214 Millionen Euromehr aus als 2013. Besonders freut es mich, dass es unsgelungen ist, für den Betrieb von sechs neuen Institutendes Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt an ver-schiedenen Standorten zusätzlich dauerhaft 42 MillionenEuro jährlich bereitzustellen;
denn dies ist ein überaus wichtiger Beitrag zum AufbauOst, werden doch erstmals zwei neue DLR-Institute inden neuen Ländern angesiedelt.
Auch die maritime Wirtschaft statten wir finanziellbesser aus. Insgesamt stehen hier 2017 mehr als 17 Mil-lionen Euro bzw. 37 Prozent mehr Mittel als 2013 zurVerfügung. Wir setzen damit ein deutliches Zeichen füreine starke und innovative maritime Wirtschaft bei unsim Land.
In meiner gestrigen Rede sprach ich davon, dass wirden Zusammenhalt in Deutschland stärken müssen. Dazuhaben wir im Etat des BMWi einen wichtigen Beitraggeleistet. Wir haben die Mittel für die Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk-tur“, kurz: GRW, dem wichtigsten Förderprogramm fürstrukturschwache Regionen, insbesondere in Ostdeutsch-land, auf 624 Millionen Euro erhöht. Gegenüber der Fi-nanzplanung der Vorgängerregierung sind das sage undschreibe 55 Millionen Euro mehr. Auch das gehört zuunserer Leistungsbilanz dieser Wahlperiode.
Thomas Jurk
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Selbstverständlich haben wir den Mittelstand fest imBlick behalten: Für die Fachkräftesicherung der kleinenund mittleren Unternehmen steht im Vergleich zu 2013mehr als doppelt so viel Geld bereit. Wir haben die Mittelfür die immer bedeutsamer werdende Kultur- und Krea-tivwirtschaft um 5 Millionen Euro angehoben, und beiden Investitionen in überbetriebliche Fortbildungsein-richtungen haben wir den Ansatz um 8 Millionen Euro er-höht. Weil die Existenzgründer von heute der Mittelstandvon morgen sind, haben wir in diesem Bereich die Mittelseit 2013 massiv erhöht: beim Investitionszuschuss Wag-niskapital um 16 Millionen Euro auf 46 Millionen Euround bei den Existenzgründungen aus der Wissenschaft,bekannt unter „EXIST“, um knapp 7 Millionen Euro auf55 Millionen Euro.Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir dieKompetenzen zur Energiewende im BMWi gebündelt,für eine Politik aus einem Guss und eine bessere Verzah-nung der einzelnen Förderinstrumente. Wir haben seit-dem nicht nur das Strommarktgesetz verabschiedet unddas EEG weiterentwickelt. Wir haben auch die Ausgabenim Energiebereich deutlich erhöht. Neben den Mittelnaus dem Einzelplan des Bundeswirtschaftsministeriumsbewirtschaftet das Ministerium auch Mittel aus demEnergie- und Klimafonds. Das sind im Haushalt 2017für den Bereich der Energieforschung über 540 Millio-nen Euro, für die erneuerbaren Energien über 455 Milli-onen Euro und für die Energieeffizienz sage und schreibe2,43 Milliarden Euro; darin enthalten sind insbesondereMittel für die CO2-Gebäudesanierung, aber auch für dasAnreizprogramm Energieeffizienz.
Lassen Sie mich abschließend noch kurz auf den An-trag der Linken eingehen;
Kollege Claus hat ihn gerade begründet. Beantragt wirdeine Erhöhung der Mittel für „Schwerpunktaufgaben derBeauftragten für die neuen Länder“ um 950 000 Euro.
Der Sachverhalt – darauf hat Herr Claus richtigerweisehingewiesen – wurde bereits im Rahmen der Haushalts-beratungen hinreichend diskutiert. Kurz zusammenge-fasst: Bei Bedarf stehen ausreichend Haushaltsreste zurVerfügung.
Aber Sie wollen ja den Eindruck erwecken, wir würdenim Wirtschaftsetat nicht genug für den Osten tun. Des-halb möchte ich die Fakten kurz zusammenfassen: Al-lein beim ZIM und der IGF stehen für die neuen Länderin dieser Wahlperiode insgesamt mehr als 80 MillionenEuro zusätzlich bereit, und für die GRW stellen wir zu-sätzlich mehr als 123 Millionen Euro zur Verfügung.
Nicht zu vergessen die Förderung der Mikroelektronik,bei der voraussichtlich 80 Prozent der Investitionszu-schüsse in die neuen Länder fließen werden.
Bis 2020 sind das immerhin 800 Millionen Euro. Zur Be-deutung der DLR-Institute für den Osten habe ich schongenug gesagt. – Vor diesem Hintergrund hält sich meinVerständnis für Ihr kleines Karo nun wirklich in Grenzen.
Ehe mich der Präsident rügt, komme ich zum Schluss.Ich kann zusammenfassend feststellen: Unsere Bilanznach vier Jahren fällt sehr positiv aus. Wir haben wich-tige Weichenstellungen vorgenommen und den Etat desBundeswirtschaftsministeriums zu einem echten Zu-kunftshaushalt umgestaltet.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
die Kollegin Anja Hajduk das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir sprechen hier über den Haushalt des Wirt-schafts- und Energieministers. Ein Energieminister im21. Jahrhundert hat sicherlich die Verantwortung dafür,dass auch und gerade ein Industrieland wie Deutschlandseine eigenen Klimaschutzziele erreicht.
Da ist es schon ein großer Makel, Herr Minister, dass sichdie Experten bei der Verantwortungszuschreibung einigsind: Der Klimaschutz in Deutschland scheitert vor alleman der Kohlepolitik von Minister Gabriel.
Sie, der zuständige Minister, haben eine klare Ziel-setzung für den Kohleausstieg verhindert und FrauHendricks mit einem entkernten Klimaschutzplan nachMarrakesch geschickt. Ich betone da Ihre Verantwortung,weil es schon interessant ist, dass gerade ein SPD-Minis-ter, der für Energie verantwortlich ist, dies zulässt. Ichsage dazu: Man kann über den Zeitpunkt des Kohleaus-stiegs wahrlich streiten, und man muss ihn industrie- undarbeitsmarktpolitisch verantwortlich organisieren; daswissen auch wir Grünen, und wir werden deswegen überden richtigen Zeitpunkt streiten. Aber dass man den Zeit-punkt ganz killt und das Thema Kohleausstieg nicht alsZiel formuliert, ist keine richtige Politik im 21. Jahrhun-dert.
Thomas Jurk
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Herr Gabriel, ich muss Ihnen sagen: Gerade Sie als So-zialdemokrat haben da wirklich die Chance verpasst,einmal mutig und überraschend ein Innovationsziel zusetzen. Dazu fehlt Ihnen offensichtlich die Kraft. Da ma-chen Sie den Rücken nicht gerade.
Ich sage das vor dem Hintergrund, dass sich ande-re Länder solche Ziele gesetzt haben; in der Folge istDeutschland im Klimaschutz-Index von Platz 22 aufPlatz 29 abgerutscht, hinter Indien, Indonesien undÄgypten. Die kanadische Regierung zum Beispiel hatsich Anfang dieser Woche das Ziel gesetzt, 2030 aus derKohle auszusteigen. Offensichtlich brauchen wir in dernächsten Legislaturperiode eine andere Regierung, umhier auf einen Zukunftspfad zu kommen.
Aber, Herr Minister, es wird auch nicht besser, wennwir uns einmal genauer anschauen, wie es mit der Ener-gieeffizienz und der Wende dort aussieht; dieser Bereichist ja eigentlich der Riese der Energiewende. Da müssenwir feststellen, dass das, was Sie vorschlagen, im Grun-de gar nicht funktioniert. Mehr als eine halbe MilliardeEuro bleibt in 2016 ungenutzt, weil Ihr Energieeffizienz-fonds nicht funktioniert und weil die Mittel des Gebäude-sanierungsprogramms nicht richtig abfließen. Auch beimAnreizprogramm Energieeffizienz bleiben weit über100 Millionen Euro übrig.
500 Millionen Euro bleiben ungenutzt. Es gibt einWirrwarr an Zuständigkeiten und Programmen. Daslähmt die Energieeinsparung und die Unternehmen, diedaran Interesse haben. Natürlich gibt es aufgrund desNiedrigzinsumfeldes schwierige Rahmenbedingungen;aber das ist doch lange bekannt. Wenn also die Kampa-gnen und die Programme nicht wirken, dann muss mandoch einmal über die Instrumentenwahl nachdenken.
Da sagen wir ganz klar: Hier braucht es mehr Markt.Ausschreibungen zur Steigerung der Effizienz werdenlangsam – viel zu langsam – angegangen. Wir schlagenseit zwei Jahren vor, ein 800-Millionen-Euro-Programmaufzulegen. Sie fangen in diesem Jahr ganz zögerlich an.Von den geplanten 50 Millionen Euro sind 1,6 MillionenEuro in Anspruch genommen worden. Das ist doch einArmutszeugnis. Sie bekommen beim Thema Energieeffi-zienz keinen richtigen Drive hinein.
Ich will Ihnen ein kleines Beispiel nicht ersparen.Kanzlerin Merkel hat gestern gesagt, dass wir bei derBatterieherstellung grundsätzlich einen Nachholbedarfhaben. Aber das wirklich gut laufende Photovoltaik-Bat-teriespeicherprogramm bremsen Sie aus.
Die KfW kann von Oktober dieses Jahres bis Januarnächsten Jahres keine Förderung betreiben. In anderenBereichen des Ministeriums liegt das Geld unverbrauchtherum. Was ist das denn für eine Steuerung? Das ist dochein Armutszeugnis. Herr Jurk, da brauchen Sie sich über-haupt nicht auf die Schulter zu klopfen.
Wenn Sie dann einmal ein Programm auflegen und för-dern, dann ist es das falsche. Geht es um umweltschädli-che Subventionen und die Förderung fossiler Energieträ-ger, sind Sie immer ganz fröhlich und stramm dabei. Esfließen weiterhin Förderungen von über 280 MillionenEuro für Heizsysteme mit fossilen Brennstoffen, für Gas-und Ölheizungen. Wir behaupten ja nicht, dass wir aufsolche Heizungen sofort verzichten könnten;
der Markt läuft wirklich gut. Aber dass Sie hier För-dergeld hineinstecken, zeigt, dass Sie eine völlig falscheSteuerung betreiben. Innovation und Zukunft erkennenSie nicht. Auch das sind große verpasste Chancen beimThema Energieeffizienz.
Jetzt möchte ich noch etwas zum Thema Mittelstandsagen. Darüber haben wir ja auch in der ersten Lesunggesprochen. Herr Minister, Sie haben noch viele Tagespäter behauptet, ich hätte Sie da mit falschen Zahlenkonfrontiert. Nein, ich habe Sie mit Ihren eigenen Zielenaus der Digitalen Strategie 2025 konfrontiert, dass näm-lich die Mittel für das Zentrale InnovationsprogrammMittelstand, ZIM, auf 700 Millionen Euro gesteigertwerden sollen, während 200 Millionen Euro für die In-dustrielle Gemeinschaftsforschung bereitgestellt werdensollen. Die Zahlen sind und bleiben richtig. Sie habendann gesagt: Nein, ich habe die Priorität in meiner Förde-rung – hin zur Mikroelektronik – verschoben. – So weit,so gut. Auch das ist ein richtig wichtiger Bereich. Aberauf meine Frage hin, wie hoch der Anteil der kleinen undmittleren Unternehmen bei der Mikroelektronikförde-rung ist – die Sie jetzt als die Priorität haben, welche dieanderen Ziele, zeitlich gesehen, ersetzen soll –, musstenSie zugestehen: Es sind weniger als 5 Prozent, die dieseFörderung in Anspruch nehmen. Deswegen bleiben wirdabei: Industrielle Gemeinschaftsforschung muss bessergefördert werden. Sie haben es am Ende der Beratungenauch eingestanden und wenigstens 30 Millionen Eurohierfür draufgelegt. Das ist so gut wie gar nichts. Undauch beim ZIM sind Sie von Ihrem selbstgesteckten Ziel,dafür 100 Millionen Euro mehr bereitzustellen, weit ent-fernt.
Deswegen sage ich Ihnen: Auch da besteht dringendeHandlungsnotwendigkeit. Gerade bei der IndustriellenGemeinschaftsforschung – ich komme zum Schluss –Anja Hajduk
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handelt es sich um ein Programm mit einem qualitativhochwertigen Bewertungsverfahren. 70 Prozent der be-willigungsfähigen Projekte werden dort mangels Geldabgelehnt.
Es bleibt dabei: Wir brauchen eine andere Regierungfür eine erfolgreiche Doppelstrategie für den Mittelstand,für steuerliche Forschungsförderung und wirkliche Pro-jektförderung. Das muss vorankommen. Herr Gabriel,dies sind Sie in dieser Legislaturperiode leider schuldiggeblieben.Schönen Dank.
Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die CDU/
CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! FrauHajduk, auch wenn die Rollen zwischen Koalition undOpposition gerade bei Plenardebatten eindeutig geregeltsind, kann es nicht schaden, wenn Sie als Opposition abund an auch einmal die Wirklichkeit in Deutschland be-trachten und sich ganz gelassen die Frage stellen: Woranliegt es, dass Deutschland – vor allem auch im Vergleichzu unseren europäischen Nachbarn – um so viel besserdasteht als andere?Meine Damen und Herren, wir haben in Deutsch-land ein kontinuierliches, ja mittlerweile beständigeswirtschaftliches Wachstum, und wir sind eine der füh-renden Exportnationen weltweit. Wenn mir jemand vorzehn Jahren gesagt hätte, dass wir im Jahr 2016 mit rund2,5 Millionen Arbeitslosen die niedrigste Arbeitslosen-zahl seit 25 Jahren haben, dann hätte ich zumindest zudieser Zeit nur ungläubig den Kopf geschüttelt.Diese guten Daten sind nicht über Nacht und auchnicht von allein gekommen. Ich sage häufig ein wenigflapsig, dass bei hoher Arbeitslosigkeit und schlechtenwirtschaftlichen Daten in Deutschland immer und aus-schließlich – Sie haben das ja deutlich gemacht, FrauHajduk – die Regierungskoalition verantwortlich ist,während bei guten Arbeitsmarktdaten und hohem Wirt-schaftswachstum die Regierungskoalition hingegen – ge-rade aus Sicht der Opposition – überhaupt keinen Anteildaran hat. Das ist natürlich nicht richtig. Kluge und vo-rausschauende Entscheidungen, die wir in der vergange-nen und in dieser Legislaturperiode unter Führung derUnion mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin getroffenhaben, sind für die gute wirtschaftliche Lage – nicht nur,aber zu einem ganz großen Teil – verantwortlich. Des-halb ist es gut, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, auch füreine weitere Kanzlerschaft zur Verfügung stehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade inwirtschaftlich starken Zeiten tragen wir eine sehr großeVerantwortung. Gerade jetzt ist es unsere Pflicht, güns-tige Rahmenbedingungen zu erhalten, damit wir mitzukünftigen Herausforderungen auch in schlechterenZeiten besser zurechtkommen als vielleicht andere. Wirsollten dies auch tun – das ist mir sehr wichtig –, um denkommenden Generationen, die eben auch noch gestaltenund nicht bloß Schulden verwalten wollen, Raum füreigene Entscheidungen und vor allen Dingen für eigeneVisionen zu lassen. Darum ist es absolut richtig, in derjetzt guten konjunkturellen Lage keine neuen Schuldenaufzunehmen und sogar Schulden zurückzuzahlen.Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposi-tion, gerade in diesen Haushaltsberatungen, Herr Kolle-ge Claus, bei Ihren milliardenschweren Ausgabeanträgengemerkt, dass Ihnen die schwarze Null überhaupt nichtgefällt. Warum Ihnen das nicht gefällt, ist mir ein we-nig schleierhaft, aber nach Ihrer Interpretation gehört dasSchuldenmachen wohl zur Politik dazu.Wir als Union sehen das anders. Ich bin es auch ganzpersönlich meinen eigenen Kindern schuldig, dass unse-re Politikergeneration dauerhaft mit dem vermaledeitenSchuldenmachen aufhört.
Deutschland geht es vor allen Dingen auch deshalbbesser als anderen Ländern, weil Deutschland von einemstarken Mittelstand geprägt ist. Diese mittelständischenUnternehmen haben einen großen Anteil an der wirt-schaftlichen Stabilität Deutschlands, an unserer Innovati-onsfähigkeit und unserer Technologieführerschaft in sehrvielen Bereichen. Auch im Exportbereich ist der Mittel-stand ein starker Partner für ausländische Unternehmen.Er genießt mit seinen qualitativ hochwertigen Produktenhöchste Anerkennung. Die Marke „made in Germany“ –das erleben wir Parlamentarier gerade auf Auslandsrei-sen immer wieder – steht nach wie vor für Qualität undVerlässlichkeit, und sie verkauft sich ausgesprochen gut.Dennoch können wir in diesem Bereich, wie ich mei-ne, noch viel für kleine und mittelständische Unterneh-men machen, was nicht immer mit Haushaltsmittelnzu tun haben muss. So haben wir zum Beispiel mit derUnterzeichnung des Freihandelsabkommens mit Kanadaeinen ersten Schritt getan, um exporthemmende Regula-rien abzubauen und unsere Wirtschaft damit zu stärken.Gerade für eine Exportnation wie Deutschland sindsolche Freihandelsabkommen von größter Wichtigkeit.
Sie erleichtern in besonderem Maße den Zugang zu neuenMärkten. Außerdem können wir so gemeinsam mit Part-nern in der Europäischen Union und unseren transatlanti-schen Partnern in Zeiten der Globalisierung, die wirklichAnja Hajduk
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häufig nicht einfach sind, aktiv weltweite Standards undunsere Vorstellungen von Freihandel, Umweltschutz,Datensicherheit und Verbraucherschutz gegenüber Staa-ten wie zum Beispiel Russland und China durchsetzen.Ich sage deutlich: Weitere Abkommen sind aus deut-scher Sicht zwingend erforderlich, wenn wir unserenhohen Lebensstandard auch in Zukunft – mit enormenAusgaben für Soziales und Umwelt – halten wollen.
Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass gerade Sievon den Linken und insbesondere auch Sie von den Grü-nen – das gilt leider auch für Teile der SPD – das Abkom-men mit den Vereinigten Staaten bekämpft haben. LiebeKollegen der Grünen, in ganz ferner Zukunft mögen Sieauch einmal wieder Regierungsverantwortung tragen,und spätestens dann werden Sie lernen, dass man das,was man verteilen möchte, vorher erst erarbeitet habenmuss.
Das wird, so leid es mir tut, nur mit einer ganz starkenWirtschaft gehen. Ich bin mir ganz sicher: Irgendwannin der Zukunft blicken Sie nicht mehr selbstverliebt aufIhren Kampf gegen TTIP zurück; denn dieses heute nochnicht umgesetzt zu haben – da bin ich mir ganz sicher –,wird uns in der Zukunft erheblich belasten.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu denRahmendaten des Etats. Sehr vieles hat der Kollege Jurkrichtigerweise ja schon vorgestellt. Der Haushalt desWirtschaftsministeriums ist mit 7,73 Milliarden Euroausgestattet.Mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand,das angesprochen wurde, und der industriellen Gemein-schaftsforschung haben wir – da bin ich mir sicher – her-vorragende Instrumentarien, um den Mittelstand zu för-dern und zu unterstützen. Diese Programme werden sehrstark nachgefragt, sodass wir regelmäßig natürlich nichtalle Anträge bewilligen können und – das mag ja auchgar nicht verkehrt sein – die besten auswählen müssen.
Diese Programme helfen dem Mittelstand, Produktezu entwickeln und gegebenenfalls auch Spielräume zuschaffen, damit diese Produkte auch erfolgreich ver-marktet werden können. Das ZIM kann nach unseren Be-ratungen mit dem Haushaltsvermerk über 10 MillionenEuro mehr verfügen, und auch den Titel für die indus-trielle Gemeinschaftsforschung haben wir in den Bera-tungen von 210 Millionen Euro um 30 Millionen Euroangehoben. Das ist schon eine stattliche Summe.Ein weiteres Instrument für die Förderung von kleinenund mittelständischen Unternehmen sind die Auslands-messen. Viele Unternehmen haben oft nicht die finanzi-ellen und vor allen Dingen nicht die personellen Ressour-cen, um sich Auslandsmärkte gezielt zu erschließen. DieBeteiligung an Ausstellungen und Messen ist für vieleUnternehmen aber ein ganz wichtiger Vertriebsfaktor,um mit den qualitativ hochwertigen Produkten, die unserMittelstand herstellt, auch Umsätze zu generieren. Da-rum haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Mittel fürdas Auslandsmesseprogramm in diesem Jahr noch ein-mal um 1,5 Millionen Euro heraufgesetzt wurden.Einen ganz neuen und, wie ich meine, mutigen Schrittgehen wir, um große Auslandsprojekte strategisch besserzu begleiten. Wir werden im kommenden Jahr einen Ko-ordinator der Bundesregierung für strategische Auslands-projekte einsetzen. Er wird Großprojekte und vor allemauch Aufträge bei Infrastruktur- und Industrieprojektenmit herausragender Bedeutung für unsere Wirtschaftbegleiten. Dies tun wir vor allem, um unsere deutscheWettbewerbsfähigkeit auszubauen sowie Markanteile aufausländischen Märkten zu erschließen; denn entschei-dend für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Angebotein strategisch relevanten Bereichen ist – das mussten wirbei einem nicht erhaltenen U-Boot-Auftrag schmerzhaftlernen – heute mehr denn je die gezielte politische Be-gleitung. Deshalb, Herr Minister, müssen Großprojekteheute stärker politisch flankiert werden, als wir dies inder Vergangenheit getan haben. Ich bin froh, dass wir dasmit der Einsetzung eines Koordinators und einer kleinen,aber feinen Geschäftsstelle nun tun.Meine Damen und Herren, ich sprach anfangs vonklugen und vorausschauenden Entscheidungen, die wirfür zukünftige Generationen treffen müssen. Darumbin ich froh darüber, dass wir auch in den diesjährigenHaushaltsberatungen mit der Einrichtung von sechs For-schungsinstituten unter dem Dach des Deutschen Zen-trums für Luft- und Raumfahrt die Forschungslandschaftin Deutschland weiter stärken werden. Für diese sechsneuen Institute stellen wir zusätzlich 42 Millionen Eurobereit. Die Institute werden so wichtige Themen wie dasvirtuelle Flugzeug – unter dem Stichpunkt Industrie 4.0 –oder den Schutz maritimer Infrastrukturen mittels Satel-litentechnologie bearbeiten.Als Niedersachse – das sei mir abschließend er-laubt – möchte ich die maritime Wirtschaft natürlichnicht vergessen. Sie ist für uns ein großer und wichtigerWirtschaftszweig und schafft vor allen Dingen hochqua-lifizierte und sehr gut bezahlte Arbeitsplätze gerade beiuns in der Region.
Deutschland ist vor allen Dingen im Spezial- und Kreuz-fahrtschiffbau weltweit führend. Deshalb ist es richtiggewesen, dass wir den Ansatz des Regierungsentwurfesfür den innovativen Schiffbau von 15 Millionen Eurowieder auf 25 Millionen Euro heraufgesetzt haben.Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, zum Schlussmöchte ich mich für die – müssen wir jetzt schon sagen –sehr gute Zusammenarbeit in den vergangenen vier Jah-ren bei Ihnen persönlich, ganz besonders aber bei IhremStaatssekretär Herrn Rainer Sontowski bedanken. Auchbeim gesamten Haushaltsreferat möchte ich mich für dieAndreas Mattfeldt
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gute, vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeitbedanken.
Wir haben für das Jahr 2017 – wie auch in den ver-gangenen Jahren – einen sehr verantwortungsbewusstenund zukunftsweisenden Haushaltsplan aufgestellt, demjeder – das sage ich auch deutlich mit Blick in RichtungOpposition – in diesem Haus zustimmen könnte, und ichwerbe um Ihre Unterstützung.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der BundeswirtschaftsministerSigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bun-deshaushalt ist sozusagen in Zahlen geronnene Politik.Deswegen macht es auch Sinn, über die politischen Zu-sammenhänge zu sprechen, die hinter diesem Zahlen-werk stehen.Wir alle merken ja, dass die Welt in ganz unterschied-licher Hinsicht gerade neu vermessen wird. Wir erlebendas an der rasanten Veränderung der Digitalisierung. Wirerleben es in der Auseinandersetzung zwischen sozialenund liberalen Demokratien auf der einen Seite und demAnwachsen autoritärer Antworten auf der anderen Seite,nicht nur in anderen Teilen der Welt, sondern auch mit-ten bei uns in Europa. Wir erleben es auch im eigenenLand, indem wir trotz einer sehr guten wirtschaftlichenEntwicklung auch feststellen, dass die Nervosität, dieSorge von Menschen über ihre Zukunft gestiegen ist. Ichglaube, dass wir mit dem Bundeshaushalt jedenfalls eineganze Reihe von Angeboten geschaffen haben, um da-rauf zu reagieren.Auf Deutschland kommt sehr viel Verantwortung zu.Wir sind ein Anker der Stabilität, der seine Stabilität auchnutzt, um andere zu stabilisieren. Deutschlands Aufga-be ist eben auch die einer gefestigten Demokratie: Men-schen zu zeigen, dass sie trotz dieser Veränderungen inder Welt in unserem Land sicher und gut leben können.Ich will am Anfang sagen: Trotz allem, was wir in die-sen Monaten an Schwierigkeiten beobachten, trotz man-cher Dinge, die in unserer Gesellschaft an den Rändernpassieren, der Gewalt in der Sprache und der Gewalt imAlltag, die wir erleben: Dies ist nach wie vor eines derfriedlichsten, eines der sichersten und eines der demokra-tischsten Länder der Welt. Die Menschen dieses Landesin ihrer ganz überwiegenden Mehrheit gehen jeden Tagfleißig arbeiten, lesen ihren Kindern abends Bücher amBett vor, engagieren sich in Sportvereinen, für Flüchtlin-ge, für Kultur und in Wirtschaftsverbänden. Das ist dasDeutschland, finde ich, dessen Bild wir in der Öffentlich-keit stärken müssen, und nicht das, was wir ansonstenerleben.
Dieser Anker der Stabilität hat natürlich etwas mit derwirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes zu tun. Esstimmt: Sie ist ausgesprochen gut. Seit drei Jahren er-möglichen die Wachstumsraten, eine Beschäftigtenzahlin Deutschland zu erreichen, die es noch nie gegebenhat: 43,5 Millionen Menschen – im nächsten Jahr mögli-cherweise 44 Millionen Menschen –, die in DeutschlandArbeit und Beschäftigung bekommen, und zwar nicht,wie manche behaupten, steigend in prekärer Beschäfti-gung, sondern, im Gegenteil, in steigender sozialversi-cherungspflichtiger Beschäftigung, verbunden mit einerAbnahme prekärer Beschäftigung, mit steigenden Re-allöhnen, mit einer Rentenerhöhung, die wir gerade hat-ten, der höchsten seit 20 Jahren, und mit der niedrigstenArbeitslosigkeit seit 26 Jahren. Das ist das Pfund, mitdem wir wuchern und das es uns erlaubt, die gewaltigeAufgabe der Flüchtlingsintegration ohne Steuererhöhun-gen und ohne große Verteilungskämpfe, jedenfalls bis-her, zu bewältigen.Das zeigt auch, wie wichtig es ist, dass wir uns über dieFrage unterhalten: Was können wir tun, damit das nichtnur jetzt so gut ist, sondern auch in zehn Jahren nochso gut ist? Das, glaube ich, bedeutet, dass wir vor allenDingen mehr investieren müssen. Mit diesem Haushalttun wir das schon. Das Investitionsvolumen des Bundes-haushaltes hat sich in den Jahren, in denen wir Haushaltebeschlossen haben, um ein Drittel erhöht.Wir haben eine gewaltige Entlastung, zum Beispielder kommunalen Haushalte, mit Größenordnungen er-reicht, die es in der Geschichte der Republik bisher nichtgegeben hat. Länder und Kommunen haben wir in dieserLegislaturperiode mit 70 Milliarden Euro aus dem Bun-deshaushalt entlastet. Das ist deshalb wichtig, weil diegroße Investitionstätigkeit in der Regel in den Kommu-nen stattfindet: früher zu fast drei Viertel, heute geradenoch zu 50 Prozent. Deswegen war es gut, dass wir dieKommunen entlastet haben. Daran müssen wir weiterfesthalten.
Übrigens wird da eine Aufgabe auf uns zukommen, diewir, glaube ich, in der Gegenwart noch nicht richtig imBlick haben. Wir haben für vieles in unserer kommuna-len Entwicklung Parameter: Zahlen, wie viele Menschenin einem Ort leben müssen, damit bestimmte Einrichtun-gen der Daseinsvorsorge existieren; Zahlen für Kliniken,geburtshilfliche Abteilungen; Zahlen für Ämter, für Ge-richte vor Ort. Diese Zahlen wenden wir derzeit an. Dasführt dazu, dass wir Ämter schließen, Gerichte schließen,Kliniken schließen, geburtshilfliche Abteilungen dortschließen, wo der demografische Wandel dazu führt, dassdie Orte kleiner werden.
Andreas Mattfeldt
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Ich glaube, dass wir so nicht weitermachen können.Ich glaube, dass über die kommunale Entlastung hinaus,die wir jetzt erreicht haben, sichergestellt werden muss,dass die öffentliche Daseinsvorsorge auch in kleiner wer-denden Gemeinden existiert. Nicht nur die Kirche mussim Dorf bleiben, sondern zum Beispiel auch die Grund-schule.
Ich sage das wirklich, weil es keine soziale und libe-rale Demokratie ohne soziale und offene Gemeinden undDörfer gibt. Verwahrloste Städte und Gemeinden schaf-fen verwahrloste Köpfe und Seelen. Deswegen wird essehr darauf ankommen, die Kraft der Dörfer, der Ge-meinden, der Stadtteile und der Städte auch außerhalbder Ballungszentren deutlich zu stärken, damit Menschenwissen: Wir wissen, dass sie dort leben und auch lebenwollen, sodass sie dort eine Heimat finden. – Heimat istein moderner Begriff.
In einer Zeit, in der das Große wichtiger wird, wirdauch das Kleine wieder wichtiger. Menschen brauchensicheren Grund unter den Füßen, weil sie wissen, dassdie Veränderungen, mit denen sie konfrontiert sind, nichtaufhören werden. Deshalb war es so wichtig, in dieserPeriode die kommunale Finanzkraft und die kommunaleInvestitionskraft zu stärken.
Ich glaube, dass wir bei dieser Investitionstätigkeitdiese Herausforderungen in den kommenden Jahren wei-ter annehmen müssen. Im Bereich der Digitalisierung hatder Kollege Dobrindt schon vieles auf den Weg gebracht.Die digitale Infrastruktur wird sich aber noch weiter ent-wickeln müssen. Das gilt nicht nur für die Fläche, sondernvor allen Dingen auch für die Geschwindigkeit. Dort, woUnternehmen sie brauchen, um neue Geschäftsfelder zuentwickeln und wettbewerbsfähig zu bleiben, werden wirsie weiter ausbauen müssen.Wir haben einen gigantischen Sanierungsstau von34 Milliarden Euro im Bereich unserer Schulen. Wirbrauchen mehr Geld. Es ist gut, dass es mithilfe derBund-Länder-Finanzverhandlungen gelungen ist, dasKooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in derBildung wenigstens im Investitionsbereich zu lockern.Wir wollen dort in den nächsten Jahren mehr investieren.
Ich glaube übrigens, das ganze Thema Fachkräfteman-gel kann man nicht nur durch Zuwanderung lösen, son-dern man muss es vor allen Dingen auch dadurch lösen,dass wir da, wo wir immer noch Bildungsferne vererben,in den schwierigen Stadtteilen, mehr dafür tun, dass jun-ge Leute in unserem Land besser gefördert werden. Diebesten Schulen müssen in den schwierigsten Stadtteilenstehen. Da müssen sie Leuchttürme unserer Gesellschaftsein.
Auch da schaffen wir einiges. Ich bin dem KollegenSchäuble sehr dankbar dafür. Denn sozusagen ein biss-chen angehängt an den Haushalt jetzt machen wir denNachtragshaushalt. Dort erweitern wir noch einmal daskommunale Investitionsprogramm für finanzschwacheKommunen. Das soll gerade den Einstieg in die Sanie-rung von Schulen in schwierigen Stadtteilen mit verbin-den.Das heißt, wir zeigen in dem Haushalt überall, dassInvestitionen im Mittelpunkt stehen. Aber lassen Sie unsauch offen sagen, dass wir, gerade weil wir vor einemWahljahr stehen, alle miteinander aufpassen müssen,dass wir in diesem Wahljahr durch die unterschiedlichenMöglichkeiten, die man hat – um es einmal zurückhal-tend zu sagen –, nicht die Investitionsmöglichkeiten imnächsten und übernächsten Haushalt reduzieren. Denndie Wahrheit ist, dass es uns auch deshalb finanziell sogut geht, weil wir eine Niedrigzinsphase haben. Wir spa-ren 20 Milliarden Euro pro Jahr durch niedrige Zinsen.Ich glaube nicht, dass man davon ausgehen kann, dassdas dauerhaft so bleibt. Im Übrigen wollen wir sogar hö-here Zinsen, wegen anderer Themen, die uns auch be-lasten.Deswegen verbieten sich zwei Dinge. Ich sage dasauch an die Adresse meiner eigenen Fraktion. Es verbie-ten sich zu schnelle und zu große konsumtive Verspre-chungen neuer Ausgabenpakete, die man nicht nachhal-tig finanzieren kann.
– Ich wusste, dass die Kollegen aus der Union da klat-schen. – Aber wissen Sie, was sich auch verbietet? Gi-gantische Steuersenkungsversprechen, von denen mannicht weiß, ob man sie bezahlen kann.
Noch gefährlicher wird es, wenn wir uns – ausgelöstdurch die Probleme in Großbritannien – in Europa aufeine neue Runde der Senkung von Unternehmensteuerneinlassen.
Ich lese Ihnen einmal etwas aus der Süddeutschen Zei-tung von gestern vor. Da heißt es:Der Wettbewerb um Niedrigsteuern ist auch einWettbewerb um das richtige gesellschaftspoliti-sche Konzept. Die Regierungen in Washingtonund London wollen Unternehmen und Kapitalins Land holen, um zu beweisen, dass es richtigist, sich ins Nationale zurückzuziehen. Es ist anBundesminister Sigmar Gabriel
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den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Uni-on, mit einem gemeinsamen Steuerkonzept ihrer-seits zu beweisen, dass die Bürger davon profi-tieren, wenn sie einer Gemeinschaft angehören. Statt Deutschland zum Steuerparadies auszubau-en … Die Steuerpläne in den USA sollten die Eu-ropäer motivieren, sich endlich auf eine einheitlicheGrundlage zur Besteuerung von Unternehmen zueinigen. Es wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Steu-ergerechtigkeit.Mehr muss man zu diesem Thema eigentlich nicht sagen.
Hier ist in den unterschiedlichsten Reden oft von Maßund Mitte gesprochen worden. Ich finde, Maß und Mit-te heißt auch, mit den guten Zahlen, die wir jetzt haben,vorsichtig umzugehen, auch was konsumtive Ausgaben-versprechungen angeht. Ich finde zum Beispiel, dass dieKoalition gerade auf einem guten Weg ist, in der Renten-politik Maß und Mitte zu behalten. Das liegt an AndreaNahles, aber auch an dem Bewusstsein in der Koalition,dass da manches getan werden muss, aber dass wir nichtalles versprechen können.Maß und Mitte müssen wir aber auch in der Frage be-halten, wie wir mit Steuersenkungen umgehen. Statt mitder Gießkanne durch die Lande zu ziehen, ist es besser,Familien und Alleinerziehende gezielt zu entlasten, zumBeispiel durch die bundesweite Abschaffung von Kin-dertagesstättengebühren. Das ist besser für die Familienund bringt mehr als manches andere.
Ich sage das immer wieder vor dem Hintergrund,dass wir die Stabilität im Land bewahren müssen. Dasgeht nur durch Investitionen in die wirtschaftliche Zu-kunft unseres Landes. Der Kollege Mattfeldt hat ebengesagt – das wurde ein bisschen belächelt –: Offenbarmuss zuerst die Wirtschaft florieren, bevor wir über an-dere Fragen reden. – Da hat er recht. Wo wären wir jetztin der Flüchtlingsdebatte bei steigender Arbeitslosigkeitoder schlechtem Wirtschaftswachstum? Deswegen istes kein Widerspruch, gleichzeitig von wirtschaftlichemErfolg und sozialer Stabilität zu reden. Beides gehört zu-sammen; da hat er völlig recht. Das ist sehr wichtig; dennwir merken, dass es Abstiegsängste in Deutschland gibt,selbst bei denjenigen, denen es gut geht.Die FAZ hat vor ein paar Tagen etwas Richtiges ge-schrieben:Wenn es also etwas ernst zu nehmen gibt am Res-sentiment der Zukurzgekommenen, dann ist es nichtdas Ressentiment; es ist die Zukurzgekommenheit.Wir können trotz guter Entwicklung nicht übersehen,dass es Menschen bei uns gibt, die sich nicht beachtetfühlen, die nicht den Traum ihrer Eltern erleben, dassman durch Arbeit für sich und seine Kinder ein besseresLeben bekommt, sondern die kleine Einkommen haben,prekär beschäftigt sind und erleben, dass ihre Kindertrotz guter Ausbildung nur in Zeitarbeit sind, sowie, FrauKollegin Hajduk, die Sorge haben, dass die gemeinsamePolitik der hier im Bundestag vertretenen Parteien sie garnicht mehr beachtet.Ja, ich habe mit Absicht das Datum für den Kohleaus-stieg nicht genannt. Dazu bekenne ich mich ausdrück-lich. Wissen Sie, warum? Weil ich es für anständig halte,denen, die davon betroffen sind, zuerst eine reale Per-spektive für sich und ihre Kinder zu geben und sie nichtmit Gutachten zu vertrösten, um gleichzeitig den Tagfestzustellen, an dem sie ihren Job los sind. Das will ichnicht.
Sie können das hier im Bundestag und im Wahlkampfnoch ein paarmal behaupten. Jeder weiß, dass die Kli-maschutzziele bei der bisherigen Höhe der Kohleverstro-mung in Deutschland nicht zu erreichen sind. Das wissenauch die Betroffenen. Sie wissen, dass die Bedeutungder Kohle abnehmen wird. Aber ich, der ich aus einemGebiet komme, in dem ein Strukturwandel in den 70er-und 80er-Jahren stattgefunden hat, habe die Erfahrunggemacht, dass man von der Politik immer Versprechun-gen bekommt, wie viele Ersatzarbeitsplätze geschaffenwerden. Ich kann Ihnen die entsprechenden Stichwortedazu nennen. „Man muss die regionalen Potenziale he-ben“ und andere theoretische Formulierungen sind dannzu hören. Prognos und andere erstellen dann bändeweiseGutachten und verdienen sich daran eine goldene Nase.Aber am Ende passiert nur eines: Die Jobs sind weg, unddie Perspektiven sind auf dem Papier geblieben.
– Sie reden doch gleich, Herr Kollege. Dann höre ichIhnen wieder geduldig zu. Versuchen Sie es doch umge-kehrt auch einmal. Wir müssen ja nicht einer Meinungsein. Im Gegenteil: In dieser Frage ist es ganz gut, wennwir nicht einer Meinung sind.Wir haben in der Koalition deswegen sehr präzise be-schrieben, was wir machen wollen, und haben eine Kom-mission eingesetzt, um zu klären, wie die realistischenPerspektiven für Ersatzarbeitsplätze aussehen. Da stehtnicht, dass wir aus der Kohle aussteigen. Aber die Rei-henfolge ist wichtig.Ich sage Ihnen: Ich kenne zu viele Potenziale in derdeutschen Bevölkerung, die sich von uns nicht mehrwahrgenommen fühlen und deshalb in andere Richtungenschauen. Ich will nicht, dass diese Potenziale zunehmen.Die Arbeitsplätze, über die wir derzeit reden, sind sicher,tarifvertraglich gut bezahlt und in der Mitbestimmungverankert. Den betroffenen Menschen will ich nicht sig-nalisieren: Ihr interessiert uns gar nicht; uns interessiertausschließlich das Datum des Kohleausstiegs. – Deswe-gen habe ich das Datum herausgestrichen.
Sie haben noch gesagt, Kanada sei viel besser. Aberdann sagen Sie auch, dass Kanada für Fracking ist
Bundesminister Sigmar Gabriel
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– genau, auch für CCS – und dass in Kanada eine Ener-giepolitik betrieben wird, die Sie hier – übrigens aus gu-ten Gründen – bekämpfen. Die Alternative in Kanada zurKohle sind nicht die Erneuerbaren, sondern die unkon-ventionelle Gasförderung und Ölsande. Das verschwei-gen Sie in der Debatte. Im Übrigen gibt es kein Land derErde, das einen solchen detaillierten Klimaschutzplanauf den Tisch gelegt hat, wie wir ihn in der vorletztenWoche im Kabinett beschlossen haben – kein Land derErde! Wir sind die Einzigen, die das machen.
Frau Kollegin Hajduk, ja, das birgt ein Risiko. Wennman sich auf klare Ziele festlegt – Deutschland hat das injeder Regierung getan –, birgt das das Risiko, dass mandie Ziele auch verfehlt. Dann muss man – da haben Sievöllig recht, das ist auch Ihr Argument – darüber streiten:Ist das richtig gemacht worden? Sind die richtigen Maß-nahmen eingesetzt worden? Aber tun Sie nicht immer so,als würden wir uns keine Ziele setzen. Wir sind beim Kli-maschutz nicht so pflaumenweich in unseren Formulie-rungen wie der Rest der Welt. Wir müssen schon daraufachten, dass in diesem Land industrielle Arbeitsplätzeerhalten bleiben.Es gibt noch eine Gruppe, um die wir uns kümmernmüssen, auch im Zusammenhang mit dem Thema ETS,also Emissionshandel in Europa: Ich will nicht, dass dieStahlarbeiter in Deutschland den Eindruck haben, dieoffenen Märkte und der Klimaschutz seien uns wichtig,aber nicht ihre Jobs in der deutschen Stahlindustrie. Daswill ich nicht, dazu bekenne ich mich.
Ich finde, dass wir mit dem, was wir in der Regierungjetzt getan haben, beides auf den Weg bringen. Wir brin-gen auf den Weg, dass wir wirtschaftlichen Erfolg si-chern oder jedenfalls Bedingungen dafür schaffen wollenund gleichzeitig sozialen Zusammenhalt. Die Regierunghat hier in dieser Periode eben beides geschafft: Sie hatdie Investitionen ausgebaut. Frau Kollegin Hajduk, wirgeben übrigens in der Digitalisierung über 1 MilliardeEuro bis 2020 aus. Da sagen Sie, das gehe nicht an diekleinen und mittelständischen Unternehmen. Wissen Sieeigentlich, was passiert, wenn dieses Land in der Mikro-elektronik – –
– Ja, wissen Sie, der Unterschied zwischen uns beidenist: Wir schauen ab und zu hin, ob die Politik mit derPraxis in Einklang zu bringen ist. Wenn wir merken, dasssich die Praxis ändert, dann ändern wir das. So einfachist das.
– Ja, das stimmt, wir haben die Prioritäten geändert. Wis-sen Sie, warum? Wenn uns die Mikroelektronik verlo-ren geht, dann haben auch die kleinen und mittelständi-schen Unternehmen im Bereich der Digitalisierung keineChance mehr. Dann werden wir verlängerte Werkbank.Das ist der Grund, warum wir über 1 Milliarde Euro inden nächsten Jahren dort investieren.
Wenn Sie sagen: Da haben Sie Ihre Prioritäten ge-wechselt, dann sage ich: Wissen Sie was, Sie haben recht,weil es nötig war, haben wir es gemacht.
Herr Minister, darf die Kollegin Hajduk eine Zwi-
schenfrage stellen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Selbstverständlich.
Dass Moorburg nicht so ein Zukunftsprojekt ist, wieSie als SPD immer behauptet haben, das können Sie jetztauch nicht mehr laut sagen. Deswegen ist dieser Zwi-schenruf sowieso ein bisschen seltsam.Herr Minister, ich lege Wert darauf, dass Sie das auchernst nehmen, wenn ich sage, dass das mit der Mikro-elektronik wichtig ist und dass ich nicht kritisiert habe,dass es auch einmal sein kann, dass man die Prioritätenändert. Ich habe Sie nur mit Blick auf die kleinen undmittleren Unternehmen damit konfrontiert, dass Ihr eige-nes Ministerium auf meine Nachfrage gesagt hat: Richtigist aber, dass diese sogar milliardenschwere Förderungnur zu unter 5 Prozent kleine und mittlere Unternehmenerreicht. – Deswegen habe ich gesagt, dass es nicht alsErsatzmaßnahme für die Förderung von kleinen undmittleren Unternehmen taugt. Ich bitte Sie, diese Argu-mentation auch so zu verstehen, wie ich es gesagt habe.Dass das in Zukunft auch für die kleinen und mittle-ren Unternehmen Potenzial hat, wenn wir bei der Mikro-elektronik stärker werden, das erkenne ich an. Aber Siehaben auf diesen Umstand auch noch zu reagieren: Waserreichen wir eigentlich in den Jahren 2016/2017 an För-derungen für kleine und mittlere Unternehmen, wenn wirwissen, dass dort über 70 Prozent von förderfähigen An-trägen liegen bleiben?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Der Grund, warum wir die dafür vorhandenen Förder-programme ausgebaut haben, ist, dass beides notwendigist. Wenn Sie sagen, Sie finden es auch vernünftig für dieBundesminister Sigmar Gabriel
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Kleinen und Mittleren, sich in der Mikroelektronik nichtabhängen zu lassen – –
– Das hat sie vorher nicht gesagt.
– Sie dürfen jetzt nicht glauben, dass das alte Sprichwortmeiner Großmutter: „Was ich denk und tu, das trau ichjedem andern zu“, auch auf mich zutrifft.
Das war das, was Sie da versucht haben.Aber lassen Sie uns doch einfach feststellen: Wir bei-de sind uns einig: Die Förderung der Mikroelektronikist sinnvoll. Wir beide sind uns einig: Das hilft kleinenund mittleren Unternehmen. Und wir beide sind uns aucheinig: Es wäre gut, wenn wir die mittelständischen För-derprogramme noch mehr, als es diese Koalition bereitsgetan hat, ausbauen würden.
– Na, gucken Sie mal,
Sie nähern sich mit rasanter Geschwindigkeit wirt-schaftspolitisch meinen Auffassungen. Das finde ich gut.
– Ein bisschen Humor geht doch auch. Ihr habt dochgleich noch die Möglichkeit, mich zu beschimpfen, undwerdet sie auch nutzen.Ich will noch zwei Bemerkungen machen. Eines isthier etwas zu kurz gekommen, aber wir haben an andererStelle Gelegenheit, das auszuführen. Wir haben Gewal-tiges in der Energiewende geleistet. Übrigens ist keineder Prognosen, die zum Thema Windenergie aufgestelltwurden, eingetroffen – Ende des Ausbaus, Stopp der er-neuerbaren Energien –, als wir das EEG novelliert ha-ben. Wir nähern uns wieder Rekordjahren, zum Ärgervon Michael Fuchs. Ich finde, wir haben gerade dort denMarkt fit für die erneuerbaren Energien gemacht und dieerneuerbaren fit für den Markt.Übrigens, Frau Kollegin, ich bin deshalb gegen gro-ße Förderprogramme für Speichertechnologien, weil sienur eine Flexibilitätsoption darstellen. Sie haben sichan einer Stelle in Ihrer Rede massiv widersprochen. Siekönnen nicht für den Markt plädieren und dann mit einerTechnologie Markteingriffe machen. Damit befördernSie möglicherweise die falsche Technologie. Deswegenglaube ich, dass wir vieles richtig gemacht haben.
Der letzte Punkt. Ich glaube, dass es auch richtig war,mit Mindestlohn und vielen anderen Dingen zu zeigen,dass wir die soziale Marktwirtschaft in unserem Land er-neuern. Das stimmt, und das ist der Grund, warum ich fürdie 15 000 Beschäftigten bei Kaiser’s Tengelmann kämp-fe – offensichtlich jetzt mit ziemlich großem Erfolg.
Am Ende – das wird Frau Dröge nicht gefallen – istall das, was wir jetzt erreichen, nur durch die Ministerer-laubnis überhaupt erreichbar gewesen; sonst würden dienicht einmal miteinander reden. Sie würden sich weiterzulasten der Beschäftigten bekämpfen. Ich glaube, dassdas auch die Antwort auf die Verunsicherung in der Weltist. Die Menschen bekommen zwei Angebote. Das eineAngebot lautet: Pass dich an, die Globalisierung ist ebenso. – Das andere Angebot besteht darin, Mauern hoch-zuziehen.Wir geben ein drittes Angebot. Dazu zählt übrigensauch CETA. Wir geben das Angebot, für Rahmenbedin-gungen der sozialen Marktwirtschaft zu kämpfen, undzwar nicht nur national, sondern europäisch und inter-national. Das ist die beste Antwort, die in der Geschichteder Industrialisierung, in der Geschichte Europas und inder Geschichte unseres Landes überhaupt gegeben wur-de. Sie ist nicht aus dem 20. Jahrhundert; sie ist eine ganzmoderne Antwort auch auf die Herausforderungen des21. Jahrhunderts. Aber wir müssen unter Beweis stellen,dass wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Zusammenhaltund Sicherheit in unserem Land geleistet werden, damitandere diesem Versprechen trauen und ihm folgen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Schlecht für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! HerrMinister, wenn die 28-jährige Frau, die ein Studium her-vorragend absolviert hat und nach dem Studium zumdritten, vierten Mal nur in einem befristeten Job arbeitenkann, Ihre Rede gehört hätte, wenn der Leiharbeiter beiVW, dem wie 5 000 anderen Leiharbeitern in Aussichtgestellt worden ist, dass er demnächst bei VW über dieKlinge springen kann, unter anderem auch wegen desDieselskandals, Ihre Rede gehört hätte, in der Sie die Si-tuation hier in Deutschland so rosig malen, dann würdendie sich veräppelt fühlen oder in der Sprache der Betrof-fenen: Die würden sich verarscht fühlen.
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Entschuldigung, das ist jetzt nicht besonders parlamen-tarisch, aber das ist die Sprache der Menschen draußen,oder das ist die Denke da draußen.Es wird immer mit großer Betroffenheit viel über dieRechtsverschiebung in unserem Lande geredet. Es wirdauch gesehen, dass Leute Ängste haben usw., aber wennman sich dann immer wieder nur hinstellt und alles, washier in diesem Lande geschieht, beschönigt und so tut,als ob wir in der besten aller Welten leben würden, dannist das selbst ein Beitrag, um dieser RechtsverschiebungVorschub zu leisten und Wasser auf die Mühlen der rech-ten Populisten zu lenken.
Aber das viel größere Problem bei dieser ganzen Debat-te, auf das ich aufgrund der Zeit nur begrenzt eingehenkann, ist die Rechtsverschiebung, die wir in Europa ha-ben, und der Erfolg rechtspopulistischer Rattenfänger inanderen europäischen Ländern; denn diese Entwicklungbedroht die Idee eines friedlichen und sozialen und ver-einten Europas am meisten.Es wird immer wieder so getan – vor allen Dingenwird eine von Frankreich ausgehende Bedrohung gese-hen, dass dort möglicherweise ein weiblicher Trump aufden Schild gehoben wird –, als wäre das alles ein Pro-blem der anderen. Hier wird immer nur gesagt, unserewirtschaftliche Entwicklung sei so hervorragend. Warumist unsere wirtschaftliche Entwicklung denn so hervorra-gend? Sie basiert zentral darauf, dass seit 15 Jahren, po-litisch veranlasst, durch Deregulierung am Arbeitsmarkt,durch die Agenda 2010 Befristungen eingeführt wordensind, dass Leiharbeit, Werkverträge und vieles anderemehr ermöglicht worden sind und dass Deutschland inder Folge ein Land des Lohndumpings geworden ist.Trotz der verbesserten Lohnentwicklung der letztenzwei, drei Jahre, die Sie immer nur isoliert herausstellen,ist die Lohnentwicklung hierzulande heute nach wie vorkatastrophal. Im Vergleich zum Jahre 2000 ist das Re-allohnniveau bezogen auf den einzelnen Beschäftigtengerade einmal 1 bis 2 Prozent höher als damals. Auf deranderen Seite hatten wir in diesen 15 Jahren aber einenAnstieg der Profite von 60, 70 Prozent. Das ist ein ganzeklatantes Auseinandergehen. Das kommt natürlich auchbei den Menschen an; aber das hat auch etwas damit zutun, dass die vermeintliche ökonomische Stabilität aufeiner sehr fragilen und auf einer sehr zynischen Kon-struktion basiert, die wirklich skandalös ist.
Diese Entwicklung des Lohndumpings ist die zen-trale Ursache dafür, dass es vielen hier in Deutschlandzwar scheinbar gut geht, dass es aber gleichzeitig genü-gend Abgehängte gibt, über die Sie nur in Sonntagsredensprechen, ohne recht zu wissen, was man für sie machenkann. Der entscheidende Punkt ist, dass diese Lohnent-wicklung zentral dafür verantwortlich ist, dass Deutsch-land mit seiner überbordenden Konkurrenzfähigkeit dieÖkonomien anderer europäischer Länder niederkonkur-riert hat. Gleichzeitig ist mit der Beschneidung der Lohn-entwicklung hier in Deutschland die Binnennachfragestranguliert worden. Damit sind die Möglichkeiten vonUnternehmen anderer Länder, in Deutschland Absatz zufinden, deutlich beschnitten worden. Das Ganze drücktsich in einem Leistungsbilanzüberschuss aus, der mittler-weile skandalöse 9 Prozent beträgt usw. Ich kann daraufjetzt hier nicht weiter eingehen.Die scheinbare Stabilität in Deutschland hat also sehrviel damit zu tun; sie geht zulasten anderer Länder. Wenndas so weitergeht, dann ist die Stabilität dieses Europashochgradig gefährdet, und wir leisten damit einen Bei-trag, Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten in denanderen Ländern zu lenken. Das wird hier in Deutsch-land komplett ausgeblendet, und es wird auch komplettnegiert.Dabei wäre es so einfach, die Entwicklung hier zuändern. Wir müssten hier in Deutschland endlich, umunserer europäischen Verantwortung gerecht zu werden,eine solidarische Wirtschaftspolitik betreiben. Um aberauch den Abgehängten hier in Deutschland wieder ineiner positiven Weise zu begegnen, müssten wir all dieLohndumping-Maßnahmen wie Befristungen, Leiharbeitwieder zurückdrängen. Die Bundesregierung und auchder Herr Minister – er ist gerade nicht da – brüsten sichja damit, man habe so viel getan. Aber in den Ohren derBetroffenen klingt das doch nur wie Hohn. Die Lage aufdem Leiharbeitsmarkt ist schlechter geworden, das heißt,die Situation im Leiharbeitsbereich ist deutlich prekä-rer geworden. Wir bräuchten dringend eine Beendigungdieses Regimes der Leiharbeit; sie müsste eigentlichverboten sein. Ich finde, Sklavenarbeit gehört nicht ins21. Jahrhundert.
Sie müsste aber zumindest deutlich reguliert werden.Wir bräuchten endlich auch ein Verbot der sachgrund-losen Befristung, damit junge Leute selbst nach hervor-ragenden Berufsabschlüssen nicht mehr in Perspektiv-losigkeit, in Planlosigkeit geschickt werden. Das sindMaßnahmen, über die hier geredet werden muss, wennes darum geht, Rechtspopulismus in Deutschland zu be-kämpfen und vor allen Dingen den drohenden Machtver-schiebungen in Europa zu begegnen.Danke schön.
Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der
Kollege Joachim Pfeiffer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschlandgeht es in schwieriger werdendem Umfeld immer nocherstaunlich gut; das ist heute Morgen und auch gestern inder Debatte bereits deutlich geworden. Wir haben kon-tinuierliches Wachstum, höchste Beschäftigung, höchsteRenten, höchste Einkommen. Das, was Sie gerade skiz-ziert haben, Kollege Schlecht, hat nicht nur nichts mit denMichael Schlecht
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Fakten zu tun, sondern das ist wirklich aus einer anderenWelt. Diese Rede hätten Sie vielleicht vor 10, 15 Jahrenhalten können, in die heutige Zeit passt sie nicht mehr.
Warum geht es uns so gut? Wir haben innovativeUnternehmer, die diversifizierte Produkte entwickeln.Wir haben engagierte Unternehmer, die investieren. Wirhaben gut ausgebildete und produktive Arbeitnehmer.Unternehmer und Arbeitnehmer schaffen attraktive Pro-dukte und Dienstleistungen, die wir in Deutschland undweltweit vermarkten. Das ist das Geheimnis unseres Er-folgs.Die Politik versucht, Rahmenbedingungen zu schaf-fen, so auch mit diesem Haushalt, indem sie – die Kolle-gen haben es schon vorgetragen – in vielfältigster WeiseInnovation, Forschung und Entwicklung sowie die Digi-talisierung fördert, die Infrastruktur ausbaut und kleineund mittlere Unternehmen und Weiteres mehr fördert.All die guten Produkte und Dienstleistungen helfenuns aber nicht, wenn wir keinen Markt haben, auf demwir sie verkaufen können. Der deutsche Markt ist zuklein. 80 Millionen Menschen reichen nicht aus, um un-serer Volkswirtschaft mit den Produkten und Dienstleis-tungen, mit unserer Wertschöpfung als Markt zu dienen.Deshalb ist Deutschland nicht nur auf den Binnenmarktangewiesen – der im Übrigen sehr gut läuft, der Binnen-markt war einer der Wachstumsfaktoren in den letztenJahren, aber allein reicht er eben nicht –, sondern wirbrauchen auch andere Märkte, in Europa und in der Welt.Ich möchte Ihnen das gerne anhand einiger Zahlen dar-legen: Die Exporte Deutschlands haben nach der Wieder-vereinigung 1991 bei 1,5 Billionen Euro Bruttoinlands-produkt rund 340 Milliarden Euro betragen. Das warenrund 25 Prozent. 2012 betrugen die Exporte 1,1 BillionenEuro bei einem Bruttoinlandsprodukt von 2,7 BillionenEuro. Das waren 41 Prozent, also knapp doppelt so viel.Jeder vierte Arbeitsplatz ist direkt vom Export abhängig,in der Industrie jeder zweite.Im Jahr 2016 wird Deutschland mit 1,3 Billionen Euround vielleicht sogar noch mehr wiederum Exportwelt-meister vor China, und zwar nicht nur relativ, sondernauch in absoluten Zahlen. Dem stehen aber auch Impor-te in Höhe von rund 1 Billion Euro gegenüber. Handelund offene Märkte führen zu gegenseitigen, komparati-ven Vorteilen und internationaler Arbeitsteilung. Es isteben nicht fix und eine Verteilung, so wie Herr KollegeSchlecht uns hier weiszumachen versucht, dass der einenur etwas mehr haben kann, wenn er dem anderen et-was wegnimmt. Das Gegenteil ist der Fall. Nur mit Pro-dukten und Vorleistungen, Dienstleistungen aus anderenLändern sind unsere deutschen Produkte so gut und sowettbewerbsfähig, dass wir sie wiederum exportierenkönnen. Deshalb brauchen wir freie, offene Märkte inEuropa und in der Welt.
Deshalb ist die Rolle des Freihandels so wichtig. Ab-schottung, Protektionismus und nationale Lösungen sindkeine Lösungen im 21. Jahrhundert.
Wenn wir es historisch betrachten, dann stellen wirfest: In Zeiten, in denen die Märkte offen waren, in denendie internationale Arbeitsteilung begonnen hat – ich willnur 100 Jahre zurückblicken, ins Zeitalter der Industriali-sierung bis zum Ersten Weltkrieg –, war die Welt so ver-flochten wie nie zuvor. Dann kam der Erste Weltkrieg mitall seinen Folgen. In den 1920er-, 1930er-, 1940er-Jah-ren waren Abschottung, Protektionismus, Nationalismus,Zurückziehen, Isolationismus das Maß der Dinge – et-was, das wir jetzt zum Teil wieder sehen.
– Ich komme gleich zu Ihnen; denn Sie sind da mit imgleichen Boot. – Heute sehen wir zum Teil wieder ähnli-che Tendenzen. Wozu das geführt hat, haben wir erlebt.Deshalb: Was ist zu tun? Ich glaube, zuerst brauchenwir geostrategische Sicherheit und auch Ruhe. Das heißt,wir als Deutschland, als Europa müssen unsere Rolle inder Welt spielen. Es geht nicht nur darum, dass Seewegefür den Handel gesichert sind und werden, sondern auchdarum, dass Frieden erhalten bleibt; denn ohne Friedengibt es keine wirtschaftliche Entwicklung, keine Nach-frage, keinen Export, sondern Flüchtlinge, wie wir ananderer Stelle gesehen haben. Deshalb ist das sicher dieerste Aufgabe.Die zweite Aufgabe ist, multilaterale Ansätze mög-lichst wiederzubeleben oder zu forcieren. Die WTO hatdies versucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Bret-ton Woods, GATT, die Doha-Runde, anderes mehr diesenFortschritt, diese Wohlstandsentwicklung insbesonderefür uns in Deutschland ermöglicht. Die WTO ist multi-lateral aufgestellt, aber seit Jahren in der Krise. Deshalbmüssen wir alles unternehmen, dass diese multilateralenAnsätze wieder an Gewicht gewinnen.Dort, wo wir multilateral bisher nicht weiterkamen,gibt es bilaterale Lösungen wie CETA. Das ist Gott seiDank das beste Abkommen, glaube ich, das wir weltweitals Vorbild haben. Das gilt es jetzt zügig zu ratifizieren.Es ist ja noch nicht ratifiziert, sondern dieser Prozessgeht erst los. Da bin ich mal gespannt. Die Grünen ha-ben angekündigt, im Bundesrat dagegenzustimmen. Siesind diejenigen, die gegen Freihandel, gegen Gestaltungder Globalisierung sind. Sie setzen sich mit den Linkenzusammen in dasselbe Boot wie Le Pen und Trump. Dasist das, was Sie tun.
– Doch! Mit dem, was Sie in den letzten Jahren inDeutschland betrieben haben, setzen Sie sich in dasselbeBoot.
Dr. Joachim Pfeiffer
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– Ja genau, da kennen Sie sich aus; denn Sie sind einBestandteil davon.
Ansonsten gilt es – das ist angesprochen worden –,TTIP, Handelsabkommen mit China, ASEAN zu nutzen,dranzubleiben; denn auch dort gilt es, die Globalisierungzu gestalten. Wir müssen neue Chancen nutzen. Wir alsKoalitionsfraktionen – nicht nur aus Deutschland, son-dern auch aus Europa – haben in der nächsten Woche einGespräch mit dem neuseeländischen Botschafter. Neu-seeland hat ein Interesse an einem Freihandelsabkom-men mit der Europäischen Union.
Neuseeland hat zwar nur ein Außenhandelsvolumen vonrund 3 Milliarden Euro, aber es ist bereit, etwas zu tun.Das müssen wir nutzen und gestalten. Das ist die Antwortauf das Fallenlassen von TPP, das Donald Trump ange-kündigt hat. Es gilt, mehr miteinander zu reden, mehrmiteinander zu machen und nicht in Nationalismus undProtektionismus zurückzufallen.
Der Kollege Ernst möchte eine Zwischenfrage stel-
len. – Bitte schön.
Danke, Herr Pfeiffer, dass Sie die Frage zulassen. –
Bleiben wir beim ersten Punkt: CETA und TTIP. Wir ha-
ben erlebt, dass eine Region wie die Wallonie berechtigt
fragt: „Welche Folgen hat dieses Freihandelsabkommen
zum Beispiel für uns?“, sich sperrt und dann, ich sage
mal, mehr oder weniger überrollt wird.
Ich stimme Ihnen zu, dass es notwendig ist, ein ver-
nünftiges Europa zu organisieren, sodass vernünftige
Verhältnisse entstehen, Frieden entsteht. Glauben Sie
nicht, dass diese, ich sage mal, Haltung des Restes von
Europa – nicht der Menschen, sondern der Regierungen,
übrigens auch des Präsidenten des Europäischen Parla-
ments – dazu führt, dass die Menschen sagen: „Moment
mal! Wollen wir wirklich so ein Europa, wie uns da vor-
geschrieben wird? Wollen wir wirklich, dass unsere regi-
onalen Bedürfnisse vollkommen außer Acht bleiben?“?
Ich kann mich daran erinnern, dass die CSU einmal vom
Europa der Regionen gesprochen hat. Was wird mit die-
sem Europa der Regionen, wenn die Interessen einer Re-
gion, wenn die Interessen der Menschen in Diskrepanz
zu diesem Handelsabkommen geraten, die Menschen
dies spüren und ihnen dieses Abkommen trotzdem über-
gestülpt wird? – Sie wissen, wie der Prozess war.
Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte, Herr
Pfeiffer. Sie haben gerade von den tollen Entwicklungen
im internationalen Außenhandel gesprochen. Ich gebe Ih-
nen einmal zu bedenken: Stellen Sie sich einmal vor, Sie
sind Deutschland und Herr Fuchs ist der Rest der Welt.
Sie verkaufen Herrn Fuchs dauernd mehr, als Herr Fuchs
bei Ihnen kauft.
Plötzlich haben Sie das Problem, dass Herr Fuchs – ich
will es ihm nicht andienen – pleite ist, weil er andauernd
bei Ihnen kauft, Sie aber ihm nichts abkaufen. Deshalb
steht im Stabilitätsgesetz: ausgeglichene Handelsbilan-
zen. Die haben wir nicht. Also, wenn Sie nicht Herrn
Fuchs bzw. den Rest der Welt in eine Krise führen wol-
len, dann müssen wir als Bundesrepublik Deutschland
dazu beitragen, dass wir ausgeglichene Handelsbilanzen
haben, Herr Pfeiffer.
Herr Kollege Ernst, darf ich noch einmal daran erin-
nern, dass sich eine Kurzintervention von einer Regie-
rungserklärung auch durch die Prägnanz der Fragestel-
lung unterscheiden sollte?
Bitte schön, Herr Kollege Pfeiffer.
Aber sie bedarf natürlich einer gebotenen Antwort da-rauf. Die wollen wir dann nicht abkürzen.Was es mit dem Kollegen Fuchs zu tun hat, weiß ichnicht. Den lassen wir jetzt einmal außen vor.
Es ist eindeutig, dass internationale Arbeitsteilung al-len Vorteile bringt. Es ist nicht nur so, dass wir expor-tieren, sondern wir importieren auch. Wir importierenVorleistungen. Andere Länder können andere Dinge bes-ser als wir. Deshalb haben wir nachher ein gegenseiti-ges Mehr. Zwei plus zwei ist im internationalen Handelnicht vier, sondern fünf. Das sind die Synergieeffekte,die wir dadurch erzielen. Es ist so, dass Deutschlandoder die Europäische Union zu unterschiedlichen Län-dern unterschiedliche Handelsbilanzen haben. Auch wirhaben beispielsweise zu China oder Ländern, von denenwir Energie importieren, eine negative Handelsbilanz.Insgesamt ist es aber trotzdem eine positive Entwicklungfür beide Seiten, weil wir die Energie beziehen, mit derwir hier Wertschöpfung schaffen und wiederum Produk-te und Dienstleistungen, die in diesen Ländern weitereEntwicklungen ermöglichen. Das ist das Einmaleins desHandels und einer internationalen Arbeitsteilung.Herr Ernst, es ist in Europa überhaupt niemandem et-was aufgestülpt worden. Wir haben im Vertrag von Lissa-bon eine Arbeitsteilung verabredet. Wir haben gesagt, esgibt Aufgaben, die die Europäische Union wahrnimmt.Es war vorher von Klimaschutz die Rede. Da kritisiertees niemand. Die Europäische Union verhandelt für Eu-Dr. Joachim Pfeiffer
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ropa den Klimaschutz. Genauso verhandelt die Europäi-sche Union Handelsverträge. Selbst bei der WTO vertrittdie Kommission die Europäische Union. Sie hat einenAuftrag der Länder bekommen, ein Verhandlungsman-dat. Dieses Verhandlungsmandat führt sie aus. Wo wirdetwas aufgestülpt? Das versuchen Sie zusammen mit derEmpörungsindustrie den Leuten einzureden. Sie reden esden Leuten ein. Sie sagen, dass die Demokratie ausgehe-belt wird von Geheimverhandlungen, von Paralleljustiz.Wo sind denn die Paralleljustiz und die Geheimverträgebei CETA? Da liegt es auf dem Tisch. Es ist das moderns-te Abkommen, das wir haben. Deshalb wollen wir weite-re solche Abkommen. Das Gegenteil ist kein Abkommen.Das Gegenteil ist keine Gestaltung der Globalisierung.Es ist ein Zurückfallen in Abschottung, in Protektionis-mus und die Haltung, den anderen die Gestaltung zuüberlassen. Das ist nicht die Politik der Union.
Es wird hoffentlich nicht die Politik Deutschlands undder Europäischen Union.Was ist weiter zu tun? Neue Chancen nutzen – Neu-seeland habe ich gerade angesprochen –, eine Koalitionder Willigen zu bilden, mit denen wir die Globalisierunggestalten müssen und wollen. Wir müssen alte Märkteneu erschließen. Ich nenne beispielsweise den Iran, dersich aus der Welt abgemeldet hatte, der jetzt aber zurück-will, traditionell mit besten Beziehungen zu Deutschland.Dieses Potenzial müssen wir nutzen. Es gilt, neue Märktezu erschließen. Ich nenne hier Afrika. Afrika ist nicht nurein amorpher Kontinent, wo es nur Flüchtlinge und Pro-bleme gibt. Es gibt Länder in Afrika, die befinden sichin Bezug auf Korruption vor Ländern der EuropäischenUnion. Die haben hohe Wachstumsraten. Wir waren indiesem Jahr mit dem Ausschuss in Südafrika. Wir wa-ren in Mosambik und haben gesehen, welcher Wille zurGestaltung vorhanden ist. Deshalb – Kollege Mattfeldthat es ausgeführt – stärken wir die Auslandshandels-kammern, die Instrumente, mit denen wir neue Märkteerschließen. Afrika wird das Asien des 21. Jahrhunderts.Im Jahr 2100 werden in Afrika über 5 Milliarden Men-schen leben. Diesen Markt müssen wir uns ebenfalls er-schließen.
Wir müssen den europäischen Binnenmarkt stärken.Wir geben mit diesem Haushalt allein für Außenhan-dels- und Außenwirtschaftsförderung und wirtschaft-liche Zusammenarbeit beim Auswärtigen Amt, beimWirtschaftsministerium und beim Ministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit – die Instrumente wurdengenannt – rund 6 Milliarden Euro direkt aus. Um daseinmal in eine Relation zu setzen: Das sind bei einemHaushaltsvolumen von gut 300 Milliarden Euro, genauergesagt 330 Milliarden Euro, gut 5 Prozent, die wir dafürausgeben.
– Haben Sie aufgepasst? Sehr gut!
– Also wie viel Prozent? 2 Prozent. – Wir geben also2 Prozent der Haushaltsmittel dafür aus. Das kann sichsehen lassen.
Herr Kollege.
Wir sorgen auch für eine Hebelwirkung: Beispiels-
weise setzen wir für Hermesbürgschaften, Exportkredite,
dreistellige Milliardenbeträge ein.
Mit den genannten Punkten stärken wir den Freihan-
del, stärken wir unser Engagement. Ich glaube, das ist die
Zukunft: Über Offenheit, Austausch und internationale
Arbeitsteilung können wir unseren Wohlstand nicht nur
sichern, sondern auch weiter stärken. Dafür brauchen wir
einen starken Binnenmarkt. Wir brauchen freie Märkte,
freien Welthandel, Offenheit, um auch in Zukunft Frie-
den und Wohlstand für uns und in der Welt zu schaffen.
Vielen Dank.
Kerstin Andreae ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esist nicht meine Aufgabe und auch nicht mein Wunsch,das Land schlechtzureden. Es ist richtig, dass die Arbeits-losenzahlen gut sind und dass wir in der EuropäischenUnion im Vergleich wirtschaftlich gut dastehen. Aber wirmüssen doch konstatieren, dass wir eine Gesellschaft derzwei Gesichter haben: Wir haben auf der einen Seite guteArbeitslosenzahlen, aber auf der anderen Seite eine sehrverfestigte Struktur bei den Langzeitarbeitslosen. Wir ha-ben die reichste Rentnergeneration und auf der anderenSeite immer mehr alte Menschen, die von Armut bedrohtsind. Wir haben die Situation, dass wir viele MilliardenEuro für die Familienförderung ausgeben, aber trotzdemjedes fünfte Kind armutsgefährdet ist. Und wir haben dieSituation, dass die Digitalisierung eine der notwendigenindustriepolitischen Strategien ist und auf der anderenSeite menschliche Arbeitskraft entwertet wird und sichArbeitsplatzsituationen verändern. Das ist die Gesell-schaft der zwei Gesichter, und da müssen Sie Antwortengeben.
Ich frage mich schon, ob sich diese Bundesregierungden Herausforderungen eigentlich wirklich stellt. Neh-men wir die Digitalisierung: Innovationszyklen werdenimmer kürzer, die Arbeitswelt verändert sich. Wir habenbezüglich dieser Veränderungsprozesse offene Fragen:Sind unsere sozialen Sicherungssysteme angesichts glo-baler Arbeitsmärkte überhaupt noch in der Lage, Antwor-ten zu geben?Dr. Joachim Pfeiffer
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Es gibt aber auch schon Lösungen, die wir immer wie-der diskutieren. Eine der Fragen ist – wir werden Ihnenmorgen einen entsprechenden Antrag vorlegen –: Schaf-fen wir es, neben der Projektförderung endlich die steuer-liche Forschungsförderung zu etablieren? Heute darf ichim Handelsblatt lesen, dass Sie dort laut StaatssekretärMachnig einen Vorschlag machen, nämlich „eine Zula-ge von zehn Prozent auf die Personalkosten“ erreichenwollen, weil die Innovationsausgaben des Mittelstandes,wie er sagt, Jahr für Jahr sinken. Dann frage ich Sie:Kommen Sie morgen endlich zum Schwur und stim-men einem grünen Entschließungsantrag zu, der da sagt:„Bringt endlich die steuerliche Forschungsförderung aufden Weg“? Wir müssen das Innovationspotenzial desMittelstandes nutzen. Kreativität lebt davon, dass sie sichfrei entfalten kann. Ich hoffe, dass Sie morgen – es wäredringend an der Zeit – endlich mal zu Ihren Ankündi-gungen stehen und der steuerlichen Forschungsförderungden Weg frei machen.
Ungeduldig werden wir wirklich auch beim ThemaKlimawandel. Es ist ja richtig, dass man Fragen des Kli-maschutzes und der ökologischen Industriepolitik nichtmit Zeiten und Zeitpunkten beantwortet.
Und es ist richtig, dass das Ganze natürlich in eine Strate-gie eingebunden sein muss, die die Menschen mitnimmtund die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes sehr ernstnimmt. Aber seit 2010 gibt es die Nationale PlattformElektromobilität, damals mit dem Ziel, bis 2020 1 Mil-lion Elektrofahrzeuge, bis 2030 potenziell 6 Millionen,auf die Straße zu bringen. Davon sind wir meilenweitentfernt.Meilenweit entfernt sind wir auch von vielem ande-rem; denn es geht ja nicht nur darum, Autos zu bauen,sondern es geht auch darum, darum herum eine Strategiezu entwickeln: Ausbau der Stromnetze, Batteriezellpro-duktion, Aufbau von Ladeinfrastruktur, Rohstoffsiche-rung. Natürlich geht es auch um die Frage der Beschäf-tigung. Aber eine so umfassende Strategie ist von derNationalen Plattform Elektromobilität überhaupt nichtangefasst worden. Wir dagegen haben eine Vision, wirhaben ein Ziel. Deswegen ist es richtig, dass meine Parteigesagt hat: Wir schaffen Planungssicherheit. Und diesePlanungssicherheit beinhaltet: Ab 2030 werden nur nochemissionsfreie Autos zugelassen. Und was passiert? DieIndustrie fängt an zu handeln. Sie braucht solche Visio-nen und Ziele. Und Planungssicherheit dafür muss auchvom Wirtschaftsminister kommen.
Natürlich erwarten wir eine ökologische Finanzre-form. Wir erwarten, dass Sie im wahrsten Sinne des Wor-tes umsteuern. Es werden jedes Jahr 52 Milliarden Eurofür umweltschädliche Subventionen ausgegeben. Es gehthier gar nicht darum, Subventionen abzubauen, um mehrGeld für den Haushalt zu bekommen. Vielmehr geht esdarum, dass wir endlich umsteuern, dass wir ökologischschädliches Verhalten besteuern und dass wir ökologischkluges und vernünftiges Verhalten fördern. Wir müssenhier etwas anbieten. Ich nenne nur die Bereiche Dienst-wagenbesteuerung, Kerosinsteuer, Brennelementesteuerund Industrierabatte. Es gäbe so viel zu tun, aber dieseBundesregierung packt nichts davon an, gar nichts! Mitökologischer Industriepolitik hat das überhaupt nichtsmehr zu tun.
Die dritte Herausforderung ist schließlich die demo-grafische Entwicklung. Wenn Sie sich mit Unternehmernunterhalten, dann sagen diese: Wir haben zwei große Pro-bleme: Bürokratie und Fachkräftemangel. Dass die Rentemit 63, die Sie am Anfang der Legislatur hier verabschie-det haben, ein ziemlicher GAU war, darüber haben wirzur Genüge diskutiert. Auch dass die Mütterrente, diejetzt wieder von der CSU thematisiert wird, uns ein wei-teres Loch in der Rentenkasse bringen wird, ist auch einThema.
Ich konzentriere mich aber darauf, zu sagen: Wir müssenden Arbeitsmarkt so gestalten, dass er für Frauen zugäng-licher wird, dass er für Migranten zugänglicher wird,dass es Aufstiegsmobilität gibt.Wir werden auch ein Einwanderungsgesetz brauchen.
Die Botschaft ins Ausland muss doch sein: Fachkräf-te sind hier willkommen. Wir machen es euch einfach.Ihr könnt hierherkommen, und dann könnt ihr euch umeinen Job bemühen – und zwar nicht aus dem Auslandheraus, sondern dann, wenn ihr hier seid, könnt ihr euchhier einen Arbeitsplatz suchen. – Bringen Sie ein Ein-wanderungsgesetz auf den Weg! Ich bin ja froh, dass dieSPD sich an dieser Stelle bewegt. Aber auch Sie von derUnion müssen Ihre Position zu diesem Thema endlichändern. Deutschland ist ein Einwanderungsland, und wirbrauchen ein vernünftiges Einwanderungsgesetz.
Angesichts der Herausforderungen Klimawandel, Di-gitalisierung und Demografie müssen wir uns im Übrigenauch über die haushalterische Situation in den kommen-den Jahren Gedanken machen. Wenn Sie von der Unionernsthaft glauben, wir könnten es uns leisten, 30 Milliar-den Euro nach dem Gießkannenprinzip auf die Steuer-zahler zu verteilen, und nicht in der Lage sind, zu überle-gen: „Wer braucht wirklich Unterstützung? Wo sind dieMenschen, die unsere Hilfe brauchen?“, dann machenSie genau den Fehler, der letztlich zu Politikverdrossen-heit führt: Sie versprechen irgendetwas, was Sie nie ein-halten werden, was Sie auch nicht einhalten können undwas Sie auch nicht einhalten sollten.
Frau Kollegin.Kerstin Andreae
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Machen Sie eine Politik, die sich tatsächlich an den
Menschen orientiert, die Unterstützung brauchen. Ma-
chen Sie eine Politik, die Antworten auf die Herausfor-
derungen durch Klimawandel, Digitalisierung und De-
mografie gibt. Das wäre zukunftsgewandte Politik, die
dieses Land wirklich nach vorne bringt.
Frau Kollegin!
Was Sie machen, ist rückschrittlich, und das machen
wir nicht mit. Ich hoffe, dass wir beim nächsten Haushalt
mit grüner Regierungsbeteiligung hier andere Schwer-
punkte setzen.
Vielen Dank.
Hubertus Heil ist für die SPD-Fraktion der nächste
Redner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Zwei Tage vor der Wahl in den Vereinigten Staa-ten von Amerika gab es eine, wie ich finde, leider sehrhellsichtige Dokumentation in der ARD mit dem Titel„Warum Trump Clinton schlagen kann“. In dieser Do-kumentation – das war eine Reise durch die VereinigtenStaaten von Amerika – wurden Szenen aus dem soge-nannten Rust Belt gezeigt, aus den Staaten an den Ap-palachen, in denen früher dank der Kohleförderung, derMontanindustrie und vor allen Dingen der Stahlindustriedas industrielle Herz Amerikas schlug. Die Bilder vonden zerfallenden Industriebrachen waren eine Antwortdarauf, warum viele Menschen, die früher aus Überzeu-gung demokratisch gewählt haben, die sogar 1980, alsReagan kandidierte, immer noch Carter gewählt haben,weil ihre Gewerkschaften gesagt haben: „Wählt demo-kratisch, das ist besser für Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer“, dieses Mal Trump gewählt haben.Deindustrialisierung, meine Damen und Herren, istetwas, was uns in Deutschland aus guten Gründen nichtpassieren darf. Sie ist Nährboden für Radikalismus, fürRechtspopulismus. Deshalb setzen wir auf Industriepo-litik.
Das heißt allerdings, wir dürfen uns auf den guten Da-ten – wir haben derzeit einen Anteil der Industrie in Höhevon 22 Prozent an der Wertschöpfung – nicht ausruhen;denn der Strukturwandel wird weitergehen. Ich kann esam Beispiel meiner Heimatregion, die Sigmar Gabrielvorhin angesprochen hat, weil das auch seine Heimat-region ist, des Südostens Niedersachsens, sagen: Wirhaben in den 70er-, 80er-Jahren einen Strukturwandelin der Stahlindustrie erlebt. In den nächsten Jahren wirder aber noch beschleunigt durch die Digitalisierung undneue Antriebe, beispielsweise in der Automobilindustrie.Die Ankündigung des Unternehmens Volkswagen, bis2025 24 000 Stellen abzubauen – Gott sei Dank nichtdurch betriebsbedingte Kündigungen in den Stammbe-legschaften,
aber bei den Leiharbeitern – warten Sie doch mal einenMoment ab –, ist für meine Region ein ziemlich harterSchlag, und für andere VW-Standorte auch. Gleichzeitigkündigt VW Gott sei Dank auch an, 9 000 neue Stellen zuschaffen. Diese Ankündigung ist aber nicht nur eine Kon-sequenz aus dem Dieselgate, sondern auch bedingt durchdie Tatsache, dass die Automobilindustrie durch die Di-gitalisierung und neue Antriebe – Stichwort „Elektromo-bilität“, Stichwort „Wasserstoff“ – vor einem massivenStrukturwandel steht. Das gilt für die ganze industrielleBasis unseres Landes.Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Struktur-wandel ist nicht aufzuhalten, Strukturwandel darf auchnicht aufgehalten werden durch konservierende Politik,
Strukturwandel muss vielmehr gestaltet werden, und des-wegen bedingt Strukturwandel auch Strukturpolitik.
Ich will Ihnen sagen, was ich damit meine: Es gehtbeispielsweise um die Frage, welche Qualifikationengebraucht werden. Wenn die Bedeutung des Verbren-nungsmotors in den Wertschöpfungsketten der deutschenAutomobilindustrie zurückgeht, ist das nicht nur für dieAutomobilhersteller, sondern auch für die gesamte Zu-lieferkette eine ziemliche Herausforderung, auf die mansich einstellen muss. An dieser Stelle geht es ja zum Bei-spiel um Getriebe, um die Motorenproduktion oder dieTeileproduktion. Wir werden uns den Fragen widmenmüssen: Welche Qualifikationen werden zukünftig ge-braucht? Was kann getan werden, damit kleine und mit-telständische Unternehmen, die Teil der Zuliefererkettesind, sich auf den Weg machen können?Bei all dem geht es um Forschung und Entwicklung.Deshalb ist es richtig, dass wir mit diesem Bundeshaus-halt die notwendigen Investitionsmittel bereitstellen. DieInvestitionsquote des Bundeshaushalts ist seit 2013 kräf-tig gestiegen, und zwar um 45 Prozent. Ich sage es Ihnenauch in Beträgen ausgedrückt: von 24,8 Milliarden Euroauf 36 Milliarden Euro.Ich will zunächst ein Beispiel nennen, das mit Quali-fikationen zu tun hat: Es ist jetzt endlich gelungen, dasKooperationsverbot im Bereich der schulischen Bil-dung durch die Bund-Länder-Finanzvereinbarung auf-
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zubrechen. Wir stellen noch in dieser Legislaturperiode3,5 Milliarden Euro zusätzlich für die Schulsanierungund -modernisierung bereit. Deshalb habe ich eine herz-liche Bitte an Sie, Frau Kollegin Andreae – Sie kommenja aus Baden-Württemberg –:
Helfen Sie mit, dass der Ministerpräsident von Ba-den-Württemberg dieses Vorhaben nicht weiter blockiertund damit kaputtmacht; denn wir brauchen Qualifikatio-nen in Deutschland.
Es kann ja nicht sein, dass Sie hier schöne Reden halten,aber dort, wo die Grünen regieren, genau das nicht ge-macht wird. Das geht nicht.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir müssen zusehen,dass wir im Bereich der Bildung, der Qualifikationen, diein dieser neuen Zeit gebraucht werden, vorankommen.Nun komme ich zu dem, was Sie zum Bereich For-schung und Entwicklung gesagt haben, Frau Andreae. Dabin ich ja ganz bei Ihnen. Wir haben – das muss man sa-gen; das können Sie auch mal loben – im Bundeshaushaltfür die anwendungsorientierte Forschung, beispielsweisein den Fraunhofer-Instituten oder in den DLR-Zentren imBereich Mikroelektronik, eine ganze Menge geschaffen,um die Industriepolitik im Sinne einer modernen Indus-triepolitik voranzubringen. Es geht dabei um Dinge, diewir dringend brauchen, wie die Digitalisierung der Mi-kroelektronik oder die Erforschung von Batteriezellen-technologien. Wenn wir über Elektromobilität sprechen,dann wissen wir, dass ein großer Teil der Wertschöpfungüber die Batteriezellentechnik erfolgt. Daher muss esunser Ziel sein, eine Batteriezellenproduktion der neuenGeneration in Deutschland hinzubekommen; denn dasist der wesentliche Teil der Wertschöpfung. Es ist auchwichtig, dass wir in der Mikroelektronik nicht den An-schluss verlieren. Daher müssen wir als Staat Anstößegeben, damit es vorangeht. Genau das tut die Bundesre-gierung. Da wäre ein bisschen Lob von Ihnen großzügiggewesen.
– Man kann ja auch über Gutes reden.Zum Schluss will ich Folgendes sagen: Diese Bun-desregierung hat im Bereich der Wirtschafts- und Ener-giepolitik eine ganze Menge vorangebracht. Der zustän-dige Minister hat sich wirklich für vieles reingehängt: fürein faires Handelsabkommen, für eine kluge Energiepo-litik, für die Beschäftigten im Einzelhandel. Aber er setztin seinem Haushalt auch Schwerpunkte im Hinblick aufeine moderne, zukunftsgerichtete Industriepolitik. Es istnotwendig, sich dieser Aufgabe zu stellen, meine Damenund Herren, um einen Zustand, den es bei uns in Deutsch-land leider gibt, zu überwinden, nämlich den komischenWiderspruch zwischen einer guten wirtschaftlichen Lageund wahnsinnigen Zukunftsängsten in diesem Land.
Herr Kollege.
Wir wollen, dass sich die Menschen auch morgen wie-
der freuen können. Dafür stellen wir die Weichen, auch
in der Wirtschaftspolitik.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter
für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichdenke, wir stehen vor dem Ende des fossilen Energiezeit-alters. Ich denke auch, dass uns allen das eigentlich klarist. Vielleicht kommt das Ende schneller, als wir es uns,als Sie es sich wünschen.
Einige von Ihnen, die das steinzeitliche Energiezeitalterhinauszögern wollen, sind auf die eine oder andere Artmit der fossilen Energieindustrie verbandelt. Wir spre-chen davon, dass viele Menschen vor Ort schlicht undeinfach Angst vor dem Wandel haben. Das wissen auchwir; das ist heute schon angesprochen worden. Ich kennediese Angst. Wir, die Linken, nehmen sie ernst.
Das hat aber auch etwas mit Unwissen und Misstrau-en gegenüber Ihrer Politik zu tun. Ich kann mich nocherinnern, dass ich kurz vor meiner Zeit im Bundestag aufeiner IG-Metall-Schulung war.
Da ging es um die Verhinderung bzw. Vernichtung vonArbeitsplätzen durch nicht betriebenen Umweltschutz.
Heute haben regenerative Energien im Strombereich ei-nen Anteil in Höhe von 33 Prozent.Ich habe Herrn Gabriel gerade genau zugehört undmuss sagen: Natürlich sind uns Jobs wichtig
Hubertus Heil
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– Sie sollten uns nicht immer das Gegenteil unterstel-len –, und natürlich wollen wir keine Deindustrialisie-rung. Aber ich sage an dieser Stelle auch: Wir wollenexistenzsichernde Arbeitsplätze. Wir wollen zukunfts-fähige Arbeitsplätze. Wir wollen keine Minijobs, undwir wollen nicht solche Jobs, wie es sie bei bestimmtenZulieferern gibt, bei denen alle Beschäftigten Aufstockersind. Wir wollen so auch Altersarmut verhindern. Ichdenke, es gibt genug Möglichkeiten, entsprechende Jobszu schaffen, gerade im regenerativen Bereich.
Wenn wir über die Entwicklung und das Potenzi-al der erneuerbaren Energien sprechen, dann sprechenwir wahrscheinlich über die innovativste, wachstums-freudigste und kreativste Branche, die wir haben. DieBranche der erneuerbaren Energien könnte in den kom-menden Jahrzehnten zusätzlich – ich betone: zusätzlich –230 000 Arbeitsplätze schaffen – dazu gibt es Studien –,und dabei handelt es sich um zurückhaltende Berechnun-gen. Natürlich sollen diese Arbeitsplätze unter Tarif fal-len, und natürlich muss es einen Betriebsrat geben; dasist doch gar keine Frage.
Dabei sind übrigens die zusätzlichen Arbeitsplätze in derBaubranche – Stichwort „Gebäudesanierung“ –, in derEnergiedienstleistungsbranche und in der Effizienzbran-che noch nicht einberechnet.Ich sagte „könnte“, weil die Bundesregierung alles tut,um dies zu verhindern. Sie bremsen, Sie blockieren denAusbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor; dabeibrauchen wir den Stromsektor künftig auch für Mobilitätund Wärme. Sie gefährden auch bestehende Arbeitsplät-ze bei der Kraft-Wärme-Kopplung, wo wahrscheinlichdurch die überstürzte Einführung von Ausschreibungenein Fadenriss entsteht; das haben auch die Anhörungengezeigt.Wir stehen im Energiebereich, auch im Verkehrsbe-reich vor einem gewaltigen ökologischen Umbau. ImAutomobilbereich steckt Innovationspotenzial in derUmstellung auf ökologische Antriebe. Deutschlandkönnte hier Vorreiter sein. Das gilt übrigens auch fürdie Klimakiller Luftfahrt und Schifffahrt, wo noch vielpassieren muss. Ich frage mich halt: Wo ist denn da dieBundesregierung, die den Rahmen für eine umweltver-trägliche Mobilität vorgibt? Aber was soll man von ei-nem CSU-Verkehrsminister erwarten, der noch immerseine schützende Hand über die Manipulationen der hei-mischen Autoindustrie legt? Aber vielleicht gehört das jaschon zur Vorstufe zum Paradies; das könnte auch sein.
Jetzt ist der VW-Konzern durch die Abgasaffäre of-fenbar aufgewacht, will verstärkt in die Elektromobilitäteinsteigen – und das ist gut so. Aber mit dem angekün-digten Abbau von 23 000 Stellen allein in Deutschlandlässt der Konzern die Beschäftigten für die Verlustedurch den Abgasskandal bluten. Das ist nicht fair. DieKolleginnen und Kollegen fühlen sich verkauft. Dabeihandelt es sich nicht nur um die Kernmann- und -frau-schaften, sondern natürlich auch um all die Leiharbeiterund die Zulieferer, deren Einkünfte man sowieso immerdrückt. Herr Gabriel, dazu, zu VW, habe ich von Ihnengar nichts gehört.Die Braunkohlewirtschaft hat ja den gravierendenStellenabbau schon hinter sich. Gerade deshalb sollte nunein Kohleausstieg ohne weitere Strukturbrüche erreichtwerden. Dazu haben wir Anträge zum Haushalt gestellt.Wir wollen 250 Millionen Euro im Jahr für einen Struk-turfonds; der ist notwendig, damit dieser Strukturwandeleingeleitet werden kann.
Frau Bulling-Schröter, lassen Sie noch eine Zwischen-
frage zu?
Wir wollen ja nicht sofort aus der Kohle aussteigen,
aber wir wollen den Strukturwandel befördern.
Hier geht es um Arbeitsplätze, hier geht es um den Kli-
maschutzplan, und hier geht es um die Zukunft von ganz
vielen Menschen, auch um die Zukunft der Kindeskinder.
Des Weiteren geht es auch um gute Arbeitsplätze sowie
um armutsfeste Renten. All das gehört zusammen. Sozi-
ales und Ökologie können nicht mehr getrennt werden.
Das Wort erhält nun die Kollegin Barbara Lanzinger
für die CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribü-nen! Haushalt 2017: wiederum keine Neuverschuldung,stark steigende Investitionen. Ich sage einfach nur: Cha-peau! Das ist keineswegs selbstverständlich bei durchausvielen Begehrlichkeiten und Forderungen. Dahinter ste-cken harte Arbeit und ein hartes Ringen um die richtigenWeichenstellungen und die richtigen Inhalte.Die Kunst dabei ist es immer, zu sparen, zu investie-ren, das dringend Notwendige nicht zu vergessen undeine gesunde Balance zu halten – so wie es jedes Unter-nehmen beständig tun muss, um, wie vor allem unseremittelständischen Betriebe, ausgezeichnete Arbeit ab-zuliefern mit dem wichtigsten Potenzial, das sie haben,mit gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,und somit gut für die Zukunft aufgestellt zu sein undjederzeit auf der Basis solider Finanzen bereit zu sein,zu investieren. Dort wie hier bei unserem Haushalt gilt:Wachstum auf Pump funktioniert nicht.Ich denke schon, dass wir sehr selbstbewusst sagenkönnen, dass dies ein sehr solider Haushalt ist. Ebensogilt auch für den gut aufgestellten Mittelstand, dass erEva Bulling-Schröter
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sich beständig darum kümmern muss, starke und nach-haltige Investitionen zu tätigen, gerade im Bereich derinnovativen Technologien, in Digitalisierung und Fort-schritt, um gut für den Wettbewerb aufgestellt zu sein.Deswegen – ich wiederhole dies heute noch einmal sehrbewusst – liegt die Investitionsquote des kommendenHaushalts so hoch wie seit 16 Jahren nicht mehr, nämlichbei rund 11 Prozent der Gesamtausgaben. Allein im Ver-gleich zu 2016 investieren wir 4,6 Milliarden Euro mehr,insgesamt 36 Milliarden Euro.
Wir setzen mit unseren Haushaltsmitteln ein starkesZeichen für das Zugpferd Mittelstand und Handwerk inDeutschland. Sie sind das Rückgrat der deutschen Volks-wirtschaft. Allein in Bayern zählen zum Mittelstand über600 000 Unternehmen mit mehr als 3,6 Millionen sozial-versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Dazu kommen190 000 Ausbildungsstellen in Stadt und Land. UnserZiel dabei muss es sein, die Investitionskraft und die in-ternationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Mittelstandszu befördern, um dieses hohe Niveau der Arbeitsplätze,der Ausbildung sowie bei Innovationen halten zu kön-nen. Der Bereich Forschung und Entwicklung ist hierbeibesonders wichtig. Vor allem kleinen und mittelstän-dischen Unternehmen – auch das wurde heute schongesagt – fehlt hierzu oftmals das notwendige Kapital.Deshalb haben wir im Haushalt darauf hingewirkt, nocheinmal 40 Millionen Euro mehr zur Verfügung zu stellen,als es im letzten Haushalt der Fall war.Nicht vergessen dürfen wir dabei auch unseren Tou-rismus. Der Tourismus schafft mehr Arbeitsplätze als dieAutomobilindustrie.
Mit 32 Millionen Euro dafür haben wir einen, wie ichdenke, sehr gesunden Ansatz. Der Tourismus in Deutsch-land boomt. Diese Wirtschaftsbranche wächst ohne Ende.
Das Programm ZIM wurde schon erwähnt. Ich nennees „Zugpferd im Mittelstand“. Es ist eines der am meis-ten nachgefragten Programme für marktorientierte For-schung, für Technologietransfer und für die Vernetzungvon Wissenschaft und Wirtschaft.Daneben nenne ich auch noch einmal das Programm„Industrielle Gemeinschaftsforschung“ – kurz: IGF. Ge-rade für die KMU, die kleinen und mittelständischen Un-ternehmen, ist es enorm wichtig, die Forschung voranzu-treiben, die der Produktentwicklung vorgelagert ist, ummit neuen Trends auf den Markt gehen zu können.Aufgestockt wurden auch die Mittel für „go-digital“.Vor allem unsere kleinen und mittelständischen Unter-nehmen müssen sich der Digitalisierung stellen. Für siekann dieses Programm ein ganz toller Unterstützungs-faktor sein, sich im Bereich der Informationstechnik fitzu machen.Ich denke, eines sollten wir heute hier auch festhalten:Neben der Industrie sind es gerade unsere kleinen undmittelständischen Unternehmen bzw. unsere Handwerks-betriebe, die mit ihren Mitarbeitern bzw. ihren Familiendas Rückgrat, den Mittelbau unserer Gesellschaft bilden.Bei all unseren Überlegungen gilt es, auch diesen Mittel-bau zu fördern und zu fordern, damit hier wirklich keineProbleme entstehen; denn diese Betriebe tragen die Lastder Herausforderungen, die vor uns liegen, am allermeis-ten auf ihren Schultern.
Sie warten darauf, dass wir das, was wir ihnen verspro-chen haben, auch angehen, zum Beispiel Steuersenkun-gen. Wenn es nach dem Haushalt möglich ist, sollten wirdafür sorgen. Dies ist auch ganz wichtig für unsere künf-tige Arbeit.Eines muss für uns auch glasklar sein: Investitionspro-gramme, vor allem für Gründerinnen und Gründer, sindnur dann effizient und hilfreich, wenn damit keine neuenund oftmals unnötigen Anforderungen geschaffen wer-den. Das Unwort heißt hier für mich „Bürokratieschaf-fung“. Unser Fraktionsvorsitzender Kauder hat es ges-tern sehr schön gesagt: Bürokratie liegt manchmal wieMehltau über allem; macht es klebrig und lässt einfachkeinen Schwung zu. – Ich denke, mit unseren Bürokratie-entlastungsgesetzen gehen wir hier erste wichtige Schrit-te. Sie reichen aber noch lange nicht aus.Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der Haus-halt setzt die richtigen Prioritäten – ohne neue Schul-den und mit Investitionen in die Zukunft. Wir gestaltenZukunft. Unsere bisherige Bilanz – das wurde schonerwähnt, und ich denke, das müssen wir immer wiederganz selbstbewusst wiederholen, damit es bei den Men-schen auch ankommt – lautet: Wir haben Rekordbeschäf-tigung, wir haben eine so niedrige Arbeitslosigkeit wienie seit der Wiedervereinigung, wir haben solides Wachs-tum der Wirtschaft, es gibt massive Investitionen in dieInfrastruktur, es gibt einen stärkeren Anstieg von Löh-nen, Gehältern und Renten.All das ist nicht gottgegeben; das ist nicht selbstver-ständlich. Wir können und dürfen uns darauf auch nichtausruhen. Wir stellen uns nicht hin und reden einfach al-les schön, aber wir reden auch nicht alles schlecht, HerrSchlecht.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns ein klaresProfil und klare Ansagen, die Orientierung geben. DieserHaushalt ist eine klare Ansage hinsichtlich Handlungsfä-higkeit, Kompetenz und Zuverlässigkeit. Ich würde mirwünschen, dass wir alle sagen: Wir sind dafür und nichtdagegen.In diesem Sinne: Danke schön für Ihre Aufmerksam-keit.
Julia Verlinden ist die nächste Rednerin für die Frakti-on Bündnis 90/Die Grünen.Barbara Lanzinger
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Es sind viele Investitionen in die Infrastrukturunserer Energieversorgung notwendig. Die Energiever-sorgung wird zukünftig dezentraler, sie wird vielfältiger,es gibt mehr Akteure – und das ist gut so. Aber dieseAkteure brauchen Orientierung und Planungssicherheit.Sie wollen sehr viel Geld in die Hand nehmen, um dieEnergieinfrastruktur zu modernisieren. Das sind Inves-titionen, die für lange Zeiträume getätigt werden. Beider Erdgasinfrastruktur zum Beispiel spricht man vonInvestitionszyklen von über 40 Jahren. Deswegen istes zum Beispiel wichtig, vorher zu entscheiden, welcheRolle das Erdgasnetz in Zukunft haben wird. Solch einePlanungssicherheit müsste die Bundesregierung gebendurch Klarheit in den Zielen, die sie wirklich gemein-sam – und damit meine ich mit allen Ressorts gemein-sam – erreichen will.
Das Klimaschutzabkommen von Paris verlangt nochmehr Anstrengungen als bisher. Doch Sie, Herr Gabriel,verweigern eine konsequente Klimaschutzpolitik. Oderwarum sonst sind Sie erneut vor der Kohlelobby einge-knickt und haben den Klimaschutzplan Ihrer KolleginHendricks bis zur Unkenntlichkeit zerfleddert?
Sie haben eben gesagt, die Arbeitsplätze seien Ih-nen wichtig. Ich glaube, die sind Ihrer ParteikolleginHendricks ebenfalls äußerst wichtig. Deswegen ver-schließt Ihre Kollegin Hendricks eben nicht die Augendavor, dass sich die Welt verändert.
Letztes Jahr gab es mehr Investitionen in erneuerbareals in fossile Energien. Sehr viele Unternehmen – Ro-ckefeller, der Allianz-Konzern und viele andere – ziehenGeld aus den fossilen Energieträgern ab; das nennt manDivestment. Damit verändern sie die Energieversorgung,damit verändern sie die Richtung von Geldströmen. Undja, genau dafür – für den Strukturwandel, für eine mo-derne Industriepolitik – muss man Konzepte erarbeitenund sie auch arbeitsmarktpolitisch begleiten. Aber ein-fach darauf zu hoffen, dass wir noch jahrzehntelang Zeithätten, weil Sie sich das so wünschen, geht nicht.
Zur Planungssicherheit für Investitionen gehört aucheine Konsistenz von verlässlichen energiepolitischenRahmenbedingungen. Dazu gehört zum Beispiel einKraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, das die richtigen In-vestitionen anreizt. Leider haben Sie auch dieses Themanun wieder auf die lange Bank geschoben, nachdem dieAnträge bereits zehn Monate herumlagen und Unterneh-men Arbeitsplätze abbauen und Investitionen abschrei-ben mussten. Erst in einem halben Jahr sollen die De-tails für die Ausschreibung von KWK-Anlagen von 1 bis50 Megawatt vorliegen.Außerdem müsste die Bundesregierung mit ihrerHaushaltspolitik und ihren Förderprogrammen konse-quent die richtigen Signale setzen. Aber Sie verpassendieses Mal schon wieder die Chance, die Energiewendeendlich in allen Bereichen beherzt anzupacken.Sie haben die wettbewerblichen Ausschreibungenfür Energiesparmaßnahmen eingeführt, stellen aber imHaushalt viel zu wenig Mittel dafür zur Verfügung. Unddann gestalten Sie die Regeln für diese wettbewerblichenAusschreibungen auch noch so kompliziert, dass Unter-nehmen abgeschreckt werden. Das Ergebnis sieht dannso aus: In der ersten Ausschreibungsrunde gab es geradeeinmal 18 Anträge. 18 Anträge! Das ist eine Ohrfeige fürIhr Ausschreibungsverfahren.
Ihre Politik ist ebenso widersprüchlich, wenn es umden Umstieg auf Erneuerbare im Wärmesektor geht. Esnützt doch zum Beispiel nichts, wenn Sie den Leuteneinen roten Aufkleber auf die alte Heizung packen undgleichzeitig das Heizöl niedriger besteuern, als es in fastjedem anderen EU-Land besteuert wird.
Damit benachteiligen Sie im Übrigen auch die Erdgas-industrie. Woher soll da der Impuls kommen, die ineffi-ziente alte Ölheizung durch eine Heizung auf der Basiserneuerbarer Energien zu ersetzen? Damit nicht genug.Sie halten sogar an Fehlanreizen fest. Wenn die alte Öl-heizung dann kaputtgeht, bekommt man für den Einbaueiner neuen Ölheizung auch noch Steuergelder über dieKfW.Wer jetzt noch fossile Heizungen fördert, zemen-tiert klimaschädliche Strukturen für die nächsten 20 bis30 Jahre. Die Energiewende darf aber nicht im Heizungs-keller stecken bleiben. Deswegen fordern wir: SteckenSie das Geld lieber in den Ausbau von erneuerbaren Hei-zungstechnologien! Dann bewegt sich endlich mal wasim Wärmemarkt.
Mein letzter Punkt: Viele Menschen wollen bei derEnergiewende mitmachen. Sie können aber nicht, weilihnen die Gebäude, in denen sie wohnen, nicht gehören,weil sie den Strom, den sie nutzen, nicht selbst erzeugenkönnen, und weil sie die Gebäude, in denen sie leben,nicht selbst sanieren können. Hier muss die Bundesre-gierung endlich liefern. Sie, Herr Gabriel, haben es in derHand, vernünftige Bedingungen für Mieterstrommodellezu schaffen. Sie haben es in der Hand, die energetischeSanierung ganzer Quartiere mit einem entsprechendenFörderprogramm voranzutreiben.
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Frau Kollegin.
Und Sie haben es in der Hand, mehr Möglichkeiten für
die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Sanie-
rungen und dem Ausbau Erneuerbarer zu schaffen. Eine
erfolgreiche Energiewende kann nur gelingen, wenn wir
sie gemeinsam mit den Menschen gestalten.
Also, legen Sie endlich los!
Frau Kollegin.
Legen Sie uns einen Haushaltsplan vor, der für die In-
vestition in die Dekarbonisierung unserer Energieversor-
gung klare Anreize setzt.
Vielen Dank.
Wenn Sie noch viel schneller geredet hätten, wäre es,
glaube ich, unverständlich geworden.
So aber haben unsere bewährten Stenografinnen und
Stenografen den Text im Protokoll sicher präzise er-
fasst. – Nun ist der Kollege Mark Hauptmann der nächste
Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Ver-
ehrte Gäste! Mit dem Bundeshaushalt 2017 legen wir
zum vierten Mal in Folge einen ausgeglichenen Bundes-
haushalt vor. Sehr geschätzte Kollegin Andreae, wir ma-
chen hier nicht etwa falsche Versprechen und posaunen
etwas hinaus, was wir am Ende nicht halten können.
Wir sind angetreten und haben gesagt: Wir wollen einen
nachhaltigen Bundeshaushalt, wir wollen einen generati-
onengerechten Haushalt.
Wir wissen, dass unsere Kinder nicht auf Schulden-
bergen spielen können. Deswegen wollen wir dafür sor-
gen, dass wir endlich einen Paradigmenwechsel vollzie-
hen – den ersten seit 1969 in diesem Land. Wir wollen
uns daran halten, woran sich auch jeder private Konsu-
ment hält: Er kann einfach nicht mehr ausgeben, als er
selber in der Tasche hat. Für diesen Paradigmenwechsel
steht diese Bundesregierung.
Mein Dank gilt dem Bundesfinanzminister Wolfgang
Schäuble und der gesamten Bundesregierung, die dafür
sorgen, dass wir diese schwarze Null haben. Das ist eine
vorausschauende Finanzpolitik und kein Sparzwang als
Selbstzweck, sondern uns geht es darum, die Bedürfnisse
der künftigen Generation in Deutschland zu berücksich-
tigen.
Sehr geehrte Frau Kollegin Verlinden, Sie haben wahr-
scheinlich dem Minister Sigmar Gabriel gerade nicht zu-
gehört. Er hat doch gesagt: Natürlich gehen wir diesen
Weg der Energiewende in Deutschland. – Ich glaube, wir
haben einen gesellschaftlichen Konsens in diesem Haus,
in Zukunft aus der Kernenergie und den fossilen Energie-
trägern Schritt für Schritt auszusteigen und stattdessen in
die erneuerbaren Energieformen einzusteigen.
Doch der Unterschied zwischen unseren Parteien ist
vielleicht der, wie wir diesen Weg beschreiten. Unser An-
satz ist: Wir wollen diesen Weg mit Augenmaß beschrei-
ten, um die Wirtschaft nicht vor den Kopf zu stoßen, um
durch diesen strukturellen Umbruch nicht eine ganze
Region und die darin lebenden Menschen, die wir dann
nicht auffangen können, zurückzulassen. Wir wollen
stattdessen die Menschen mitnehmen und ihnen Ange-
bote machen. Wir wollen sie im 21. Jahrhundert in Lohn
und Arbeit haben. Wir wollen die Zahl von 43 Millionen
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Zukunft er-
höhen und nicht reduzieren.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann war das
gerade von Ihnen ein Plädoyer für höhere Steuern. Sie
haben gesagt: Heizöl muss stärker besteuert werden. –
Da frage ich mich schon, ob Sie Ihr Ohr wirklich bei den
Menschen haben, die das am Ende des Monats bezahlen
müssen. Das ist genau der Grund, warum diese Bundes-
regierung hier maßvoll vorgeht.
Wir sagen: Die Energiewende muss bezahlbar sein.
Sie muss sozial verträglich sein, und sie muss wirtschaft-
lich verkraftbar sein; denn wir wollen in der Zukunft
nicht nur noch die Einsen und Nullen im Finanzplan ver-
schieben, sondern wir wollen industrielle Wertschöpfung
in unserem Land halten. Deswegen, glaube ich, sind Sie
auf dem falschen Weg, wenn Sie wieder einmal höhere
Steuern und höhere Abgaben fordern – was vor allem für
sozial Schwächere mehr Belastung bedeutet –,
aber nicht berücksichtigen, dass das am Ende des Tages
jemand bezahlen muss.
Herr Kollege Hauptmann, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Dr. Verlinden?
Gerne.
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Danke, Herr Hauptmann, dass Sie die Zwischenfrage
zulassen. – Nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich wortwört-
lich gesagt habe, dass derzeit das Heizöl in Deutschland
niedriger besteuert wird als in fast jedem anderen EU-
Land? Tatsache ist: 6 Cent pro Liter beträgt derzeit die
Heizölsteuer für leichtes Heizöl in Deutschland; 18 Cent
ist der Durchschnitt in den EU-Ländern.
Vor allen Dingen habe ich darauf hingewiesen, dass es
eine interessante Ungleichbesteuerung zwischen Heizöl
und Erdgas gibt. Wenn Sie umrechnen, wie viel Heizöl
derzeit pro Tonne CO2 an Steuern kostet und wie viel
Erdgas pro Tonne CO2 an Steuern kostet, dann gibt es da
einen Unterschied. Auf diese Differenz habe ich hinge-
wiesen. Wenn man eine konsistente Klimaschutzpolitik
machen möchte, dann wäre es meiner Ansicht nach klug,
eine einheitliche Steuer bezogen auf den CO2-Ausstoß
anzustreben, weil damit der Anreiz entsteht, dass die
Brennstoffe, die weniger CO2 emittieren, stärker nach-
gefragt werden.
Frau Kollegin, ich habe Ihre Punkte sehr wohl zurKenntnis genommen. Aber bitte nehmen Sie zur Kennt-nis, dass wir in Deutschland 30 Prozent höhere Energie-kosten als Frankreich und 50 Prozent höhere Energiekos-ten als die USA haben. Mit diesen Ländern stehen wirim Wettbewerb. Hier geht es uns darum, überhaupt nochwirtschaftlich konkurrenzfähig zu sein.
– Geschätzter Kollege, wer schreit, hat immer unrecht.
Es lohnt sich, jenseits der Heizölkosten sich die Ge-samtbilanz anzuschauen. In der Gesamtbilanz der Ener-giekosten gab es in den letzten Jahren – bedingt durch dieEnergiewende, die wir wohl alle in diesem Hause mit-tragen – einen stetigen Anstieg für private Verbraucherund für Industrieunternehmen. Deswegen müssen wirdas maßvoll gestalten, wie wir das auf Regierungsseiteauch wollen, statt mit übertriebenen Forderungen seitensder Opposition.
Sehr geehrte Damen und Herren, seitens der Opposi-tion kommt immer wieder der Vorwurf, dieser Bundes-haushalt investiere nicht genug. Ich frage mich, wie Siezu diesem Schluss kommen. Denn in den relevanten Po-litikbereichen in unserem Land haben wir die Investitio-nen des Bundes seit 2013 kontinuierlich gesteigert, unddas wird bis 2020 fortgesetzt.Wir haben allein in diesem Jahr die Investitionen um4,6 Milliarden Euro auf 36 Milliarden Euro erhöht, unddas alles – noch einmal – ohne neue Schulden. Wir ha-ben darauf geachtet, dass wir besonders die Bereiche derWirtschaft unterstützen, die in dem Prozess der Transfor-mation in eine neue Zukunft starten möchten, und zwardurch eine kluge Investitionspolitik für den technischenFortschritt.Wir greifen dabei auch unserem forschenden Mittel-stand unter die Arme. Wir haben die Mittel für die In-dustrielle Gemeinschaftsforschung um 30 MillionenEuro erhöht und das ZIM-Programm um 10 MillionenEuro erweitert. Informieren Sie sich doch einmal in IhrenWahlkreisen darüber, wie die Förderung des Bundes beiden Unternehmen vor Ort ankommt! Ich finde das immerwieder phänomenal. Ich habe mir die Mühe gemacht, mirin meinem südthüringischen Wahlkreis vor Ort ein Bilddavon zu machen. Es gibt 248 geförderte Projekte. Über30 Millionen Euro an ZIM-Mitteln gehen an die Unter-nehmen, und die Unternehmen verdoppeln diesen Anteilnoch einmal. Das heißt, hier entsteht, angetrieben durchden Mittelstand, wirklich Forschung „made in Germa-ny“, die uns international wettbewerbsfähig macht.
Das ist, glaube ich, ein sehr vernünftiger Ansatz, den wirhier verfolgen.Aber wir setzen noch einen anderen Schwerpunkt,und zwar mit einem Dreiklang: Wir wollen die Digitali-sierung, die Automatisierung und Internationalisierung.Was den ersten Punkt, die Digitalisierung, angeht, ist,glaube ich, jedem klar, dass wir in ein neues Zeitalterübergehen, wobei wir es in Deutschland nicht geschaffthaben, Weltmarktführer bei den Plattformanwendungenzu werden. Sie werden alle durch die USA betrieben.Hier sind wir nicht dabei.Aber jetzt stehen wir vor der Frage, wie wir bei ei-ner hohen Industriedichte und einem unglaublich großenKnow-how in unseren Hochschulen ansetzen können,um die Industrie mit den Plattformen der Zukunft undder Digitalisierung verknüpfen zu können, und wie wirzukunftsfähige Modelle schaffen können, um in Zukunftauf einer globalen Ebene wettbewerbsfähig zu sein.Der zweite Punkt – Automatisierung – ist nicht min-der spannend. Auch hier lohnt ein Blick in die mittelstän-dische Unternehmenskultur. Ich spreche also nicht vonden großen DAX-30-Konzernen, sondern von Familien-unternehmen mit 20 oder 30 Beschäftigten, die vor denHerausforderungen des demografischen Wandels unddes Fachkräftemangels in unserem Land stehen und dieAutomatisierung nutzen wollen, um zusätzlich Wettbe-werbsfähigkeit zu generieren.Der dritte Punkt ist ein Thema, das dieses Haus in denDebatten immer wieder sehr emotional berührt, nämlichdie Internationalisierung. Wir von der Union – ich bindankbar, dass die Bundesregierung das genauso sieht –sagen: Wir wollen uns nicht international abschotten. Wirwollen nicht, wie es aktuell der neugewählte amerikani-sche Präsident als erste Maßnahme der neuen Regierungvorgeschlagen hat, Mauern hochziehen, Zölle einführenund uns vor dem internationalen Handel verstecken.Wir glauben an die Mehrwirtschaft. Im internationa-len Handel ist zwei plus zwei nicht gleich vier, sondern
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gleich fünf. Ich nenne ein praktisches Beispiel dafür.Schauen wir uns das Freihandelsabkommen zwischender Europäischen Union und Südkorea an. Der Zuwachsbeim Handelsvolumen beträgt 55 Prozent, und das aufbeiden Seiten, getrieben durch Export und Import. Wirverkaufen mehr nach Südkorea, kaufen aber auch mehraus Südkorea. Das ist ein Benefit, ein Zugewinn für Süd-korea, aber auch für Deutschland und die EU. Der größteBedenkenträger im Vorfeld, die deutsche Automobilin-dustrie, gehört nun zu denjenigen, die am meisten davonprofitieren. Es lohnt sich also, ins Detail zu gehen.Wir sind mit unseren 1 600 Hidden Champions imMittelstand besser gerüstet als jedes andere Land derWelt, nicht nur um den Prozess der Globalisierung ak-tiv zu gestalten, sondern auch um im Wettbewerb zu be-stehen. Deswegen wollen wir fairen Handel. Aber fairerHandel bedingt freien Handel. Mit Zollschranken undAbschottung lässt sich kein fairer Handel auf der Weltgenerieren. Wir stehen auf der Seite derjenigen, die welt-weit für fairen und gerechten Handel einstehen.Wir wollen internationale Freihandelsabkommen. Wirwollen unsere hohen europäischen Standards zu golde-nen Standards auf der Welt machen. Deswegen kämpfenwir auf der Seite der Bundesregierung mit der EU-Kom-missarin Cecilia Malmström so vehement um eine sozialgerechte Definition der Regeln des 21. Jahrhunderts. Wirnehmen aber auch unsere Unternehmen mit und gebenihnen die besten Chancen im internationalen Wettbe-werb. Dafür sorgen diese Bundesregierung und dieserHaushalt. Deswegen verdient er volle Zustimmung.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege
Peter Stein.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Gäste! Wirtschaftlich stehen wir in Deutsch-land nach nun elf Jahren CDU/CSU-geführter Regierungunter der Kanzlerschaft von Angela Merkel so gut da wienoch nie. Besonders nach den letzten drei Jahren in ei-ner Großen Koalition mit der SPD lässt sich festhalten:Die Beschäftigung ist so hoch wie noch nie. Die Lohn-steigerungen sind so hoch wie noch nie in den letzten25 Jahren. Gleiches gilt für die Rentenerhöhungen. DieSteuereinnahmen sind auf allen Ebenen – Bund, Länderund Gemeinden – auf einem mehr als gesunden Niveau.Hinzu kommt eine ganze Legislaturperiode ohne Neu-verschuldung. Mit diesem Ergebnis können wir in dasWahljahr 2017 sehr selbstbewusst starten.Im Gegensatz zu anderen Ländern um uns herum ha-ben wir stabile politische, soziale und wirtschaftlicheVerhältnisse. Wir leben und praktizieren eine freiheitli-che und tolerante Demokratie sowie eine soziale Markt-wirtschaft mit einem stabilen, zukunftsfesten und vollausfinanzierten Sozialsystem. Damit das so bleibt, setzenwir auf eine starke Wirtschaft. Wir stärken unsere klei-nen und mittelständischen Unternehmen, insbesonderedie Handwerksbetriebe. Wir investieren aber auch so vielwie noch nie in Ausbildung, Bildung und Hochschulen.Wir haben einen guten, starken Wirtschaftsstandort miteiner weltweit einzigartig guten Infrastruktur und beson-ders hochqualifizierten Menschen.Beim Blick in den Haushalt des Ministeriums fürWirtschaft und Energie lassen sich für die Zukunft vieleneue, gute Ansätze erkennen. Ich möchte als Abgeord-neter aus Mecklenburg-Vorpommern mit der maritimenWirtschaft beginnen. Die Koalition unterstützt die mari-time Branche in diesem Haushalt zusätzlich mit 1,9 Mil-liarden Euro. Wir, die Union, erweisen uns einmal mehrals verlässlichster Partner der maritimen Branche inDeutschland.
Den ehemals geplanten Kürzungen im Investitionsförde-rungsprogramm für den Schiffbau setzen wir eine Erhö-hung der Mittel für dieses Programm um 10 MillionenEuro entgegen. Nur so können wir unsere Werften undZulieferer stärken. Das ist die maritime Handschrift derUnion.
Mein Dank gilt an dieser Stelle ausdrücklich und be-sonders unseren Haushältern rund um Eckhardt Rehberg.Wir zeigen hier einmal mehr gemeinsam, dass sich diemaritime Wirtschaft auf die Union verlassen kann. Wirsetzen auch in der maritimen Branche auf Innovations-und Technologieführerschaft. Genau deshalb werden dieHaushaltsmittel in der Innovationsförderung im BereichSchiffbau und Meerestechnik auf hohem Niveau verste-tigt. Übrigens befindet sich ein nicht unerheblicher Teilder Zulieferbranche der maritimen Industrie im Südender Republik. Das ist also keineswegs nur ein Küstenthe-ma.
Flankiert werden diese Investitionen in unsere Wirt-schaft durch Investitionen in die Infrastruktur. Dazumöchte ich beispielhaft die doch mit über 750 MillionenEuro sehr gut ausgefallene Ausstattung des Bundesver-kehrswegeplanes für den Nordosten erwähnen. Wir fin-den darin die Seekanalvertiefung des Seehafens Rostockebenso wie die Fahrrinnenvertiefung des Hafens Wismar.Das sind wesentliche Voraussetzungen, um die Wettbe-werbsfähigkeit unserer Seehäfen zu erhalten und diePosition als Logistikdrehscheibe in der südlichen Ostseeund im gesamten Ostseeraum zu erhalten und zu stärken.Ich nehme auch das Thema Klimaschutz nicht aus.Der Bund übernimmt beispielsweise bezüglich des Bausvon LNG-betriebenen Schiffen eine Vorbildfunktion imHinblick auf die Erfüllung der zukünftig strengeren Wer-te in Nord- und Ostsee. Bei diesem Projekt arbeiten dasDeutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie Indus-triepartner, aber auch die Endnutzer – übrigens schon seit2012 – erfolgreich zusammen. Gemeinsam mit dem Be-schluss zur Gründung des neuen DLR-Instituts für denSchutz maritimer Infrastrukturen in Bremerhaven erhältMark Hauptmann
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dieses wichtige Thema ein neues, zukunftsfähiges Fun-dament.Auch im Bereich Forschung und Entwicklung hat sicheiniges getan. Auch hier hat sich wieder die Union alszukunftsorientierter Impulsgeber in den Haushaltsbera-tungen gezeigt. Mit der Erhöhung der Grundfinanzierungbei der Fraunhofer-Gesellschaft um 60 Millionen Eurostärken wir die anwendungsorientierte Forschung derFraunhofer-Institute. Wir werden die Weichen stellen fürdie zukünftige Entwicklung beispielsweise der selbst-ständigen Fraunhofer-Einrichtung in der HansestadtRostock, wo man sich mit dem Thema Großstrukturenin der Produktionstechnik beschäftigt. Professor Wan-ner leistet da unglaublich gute Arbeit, besitzt hoch aner-kannte Expertise und wird mittlerweile in der gesamtendeutschen Industrie geschätzt. Das ist dann – darauf kön-nen wir ein bisschen stolz sein – die erste selbstständigeFraunhofer-Einrichtung in Mecklenburg-Vorpommern.Hier geht mein ganz herzlicher Dank an die Haushälter,die das ermöglicht haben.
Der Ausbau der wirtschaftsnahen Forschung in mei-ner Heimatstadt Rostock ist vor dem Hintergrund derin Mecklenburg-Vorpommern immer noch nicht ausrei-chend vorhandenen Großindustrie und des hohen Stel-lenwerts der maritimen Industrie im Norden Deutsch-lands von immenser Bedeutung. Es ist gelungen, dieInnovationsförderung für die neuen Bundesländer aufinsgesamt 159 Millionen Euro anzuheben. Das ist einsehr gutes Signal – gerade auch in die ostdeutsche Indus-trielandschaft.Gut ist auch, dass wir dem forschenden Mittelstandinsgesamt weitere 40 Millionen Euro zur Verfügung stel-len können. Dabei erhält die Industrielle Gemeinschafts-forschung, mit der auch kleine und mittlere Unternehmendurch Forschungseinrichtungen in ihrer Forschungs- undEntwicklungsarbeit unterstützt werden, einen Aufwuchsvon 30 Millionen Euro. Im ZIM, im Zentralen Investiti-onsprogramm Mittelstand – dazu ist heute schon einigesgesagt worden, deshalb kann ich das abkürzen –, stellenwir ebenfalls mehr Geld zur Verfügung – seit Beginn die-ser Legislatur fast 60 Millionen Euro zusätzlich.
Zusammengerechnet kann unser forschender Mittelstanddamit über insgesamt 35 Millionen Euro mehr verfügenals ursprünglich vom Minister selbst beantragt. Auch hiergeht mein ganz herzlicher Dank an unsere Haushälter,die das im Haushalt ermöglicht haben und entsprechendePrioritäten gesetzt haben.
An dieser Stelle auch ein ganz herzlicher Dank an denKollegen Mattfeldt, der sich für diese Erhöhung ganz be-sonders stark eingesetzt hat. Wir haben oft darüber gere-det. Das ist wie ein roter Faden in deiner Arbeit. Herzli-chen Dank!In einem Bereich muss ich allerdings auch etwasWasser in den Wein gießen, da hätte ich mir mehr Mutgewünscht. Das ist das Thema Elektromobilität. DiesesThema umfasst wahrscheinlich den Bereich, bei dem ge-rade im etablierten industriellen Kern um die Automo-bilindustrie herum die stärksten Veränderungen passierenwerden – und das unaufhaltsam.Ich mache kein Geheimnis daraus, dass mir persönlichdie Kaufanreizregelung für E-Mobilität nicht besonderspositiv erscheint. Ich halte sie für ungeeignet, um an die-ser Stelle den richtigen Hebel anzusetzen. Wir brauchenviel dringender Investitionen in Ladestellen-Infrastruk-tur. Wir müssen rechtliche – auch baurechtliche – undsoziale Hemmnisse beseitigen, um in Innenstädten oderauch in Mietwohnungsanlagen diese elektrischen La-destellen möglich zu machen und zu erlauben. Es kannnicht sein, dass Wohnungsgemeinschaften in Mietwoh-nungsanlagen mehrheitlich entscheiden können, dass eineinzelner Elektrofahrzeugbesitzer keine Ladestelle in sei-ne Tiefgarage bauen kann. Das muss erleichtert werden.Da ist sicherlich der rechtliche Rahmen zu verändern.
Wir müssen nicht zuletzt in Forschung und Entwick-lung im Bereich der Batterie- und Wasserstofftechnik in-vestieren. Da hängt, nebenbei bemerkt, unsere gesamteZulieferindustrie dran, weil in einem Elektroauto bis zu50 Prozent weniger Bauteile verbaut sind. Wir müssenuns in Deutschland über den Zulieferer der Zukunft Ge-danken machen; denn es sind nicht gerade wenige Ar-beitsplätze, die da auf dem Spiel stehen. Bei uns, bei un-seren deutschen Unternehmen, kauft momentan noch diegesamte internationale Automobilbranche viele Bauteileein. Das darf sich nicht grundlegend ändern, das müssenwir erhalten.Abschließend möchte ich sagen: Wir haben seit 2005,also seit elf Jahren, eine CDU/CSU-geführte Regierung.Seitdem sind 5 Millionen zusätzliche sozialversiche-rungspflichtige Arbeitsverhältnisse geschaffen worden.In der Zusammenarbeit mit der SPD in den letzten dreiJahren ist ein erheblicher Teil davon zustande gekom-men. Daher ein ganz herzlicher Dank für die gute Zusam-menarbeit in den letzten drei Jahren im Bereich der So-zial- und Wirtschaftspolitik und der Arbeitsmarktpolitik.
Das ist ein starker Ausdruck dessen, dass sich in Deutsch-land die gesamte Situation der Beschäftigung und damitauch der Einkommensverhältnisse durch gute Regie-rungsarbeit der CDU/CSU gemeinsam mit der SPD ver-bessert haben.Eine starke Wirtschaft und gute Arbeitsplätze sind dasbeste sozialpolitische Fundament, auf dem wir auch inZukunft bestehen können. Unser aktueller wirtschaftli-cher Erfolg gibt uns nämlich die Spielräume im Haushalt,die wir nun nutzen, um den strukturellen Herausforde-rungen zu begegnen. Eine gute und soziale Wirtschafts-politik gestaltet die eigene Zukunft stärker und nachhal-tiger als die meisten anderen Politikfelder.Peter Stein
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Abschließender Redner zum Einzelplan 09 ist der
Kollege Professor Dr. Heinz Riesenhuber für die CDU/
CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-legen! Die Debatte hat mir schon Freude gemacht. Daswar ein wohlerwogener Streit. Auf zwei Punkte werdeich noch eingehen, liebe Frau Andreae.Ich habe mich besonders über die Rede des Vizekanz-lers gefreut. Das war eine schöne Ergänzung zur Rededer Kanzlerin. Bei den meisten Stellen konnten wir mitFröhlichkeit mitklatschen – ein Zeichen für die brüderli-che Einmütigkeit dieser vorzüglichen Regierung.
An einem einzigen Punkt haben wir vielleicht einekleine Differenz. Aber vielleicht streiten wir uns darü-ber im Wahlkampf. Steuersenkungen macht man nichtdeshalb, um Menschen glücklich zu machen – wir habennicht vor, Menschen glücklich zu machen –, aber wir ha-ben gelernt, dass das Geld, das bei den Leuten bleibt, diees erarbeitet haben, am klügsten, am effizientesten undam besten von ebendiesen Leuten eingesetzt wird.
Wenn das Geld bei den Leuten bleibt, dann läuft der La-den. Insofern war es eine großartige Sache, dass wir indieser Periode keine Abgaben erhöht haben, außer denenfür die Pflegeversicherung, die wir vereinbart hatten. Wirhaben keine Steuern erhöht. Die Leute atmen ein biss-chen leichter. Wenn die Fröhlichkeit der Menschen zu-nimmt, dann wächst das Land.
Wolfgang Schäuble – Entschuldigung: der hochver-ehrte Herr Bundesfinanzminister – hat zu Beginn derWoche gesagt: Wir müssen unsere Zukunftsfähigkeit be-wahren. – Jawohl, das ist in vielen Bereichen der Fall.Auch die Fröhlichkeit der Menschen gehört dazu. Dazugehören die Arbeit und die Arbeitsplätze, die uns zu-wachsen. Dazu gehören tüchtige Familien, die fröhlicheKinder heranziehen. Dazu gehört der Frieden im Land.Aber dazu gehören auch der Wohlstand und die Zuver-sicht, dass er weiter wachsen kann. Dafür ist der stärksteAnker in unserem Land in einer immer noch und, wiewir hoffen, auch weiterhin offenen Welt ein Vorsprungin Wissenschaft und Technik und in der Gestaltung derZukunft mit Blick auf Arbeit und Umwelt. Da haben wirin den letzten fast zwölf Jahren eine großartige und steti-ge Arbeit hingelegt. Die entsprechenden Forschungsaus-gaben des Bundes sind gestiegen – das wurde mehrfachgepriesen –, sie wurden fast verdoppelt in dieser Zeit.Schön. Aber das Geld wurde auch ziemlich intelligenteingesetzt. Geld ersetzt Intelligenz nur begrenzt, aberwenn man Geld und Intelligenz zusammenbringt, dannkann das hilfreich sein.
Ich sehe, welche Schwerpunkte wir gesetzt haben,auch in diesem Haushalt. Mehrere Kollegen haben zuRecht gepriesen, dass der Mittelstand eine Säule unsererWirtschaft ist. Mark Hauptmann sprach von den HiddenChampions. Aber es gibt eben auch ein breites Feld derer,die die Sorge haben – auch dies ist kurz angesprochenworden –, dass die Innovationsfähigkeit des Mittelstan-des nachlässt. Es ist richtig, dass wir für die Industriel-le Gemeinschaftsforschung 2017 30 Millionen Eurozusätzlich bereitgestellt haben. Fast noch wichtiger ist,dass wir die entsprechenden Verpflichtungsermächtigun-gen um 48 Millionen Euro erhöht haben. Ich sage „wir“,obwohl ich kein Mitglied des Haushaltsausschusses bin.Andreas Mattfeldt und Thomas Jurk sind kluge Bericht-erstatter.
Sie denken im gleichen Geist wie die Fachpolitiker hier,und das ist gut für Deutschland. Wir haben die Sache alsodurchaus ausgebaut.Frau Andreae, Sie mahnen die steuerliche Forschungs-förderung an.
– Schön, dass Sie mir applaudieren. Sie wissen, dass ichim Herzen dabei bin.
– Sie auch? – Das wird schon sehr gut. Dann wollen wires einmal alle in unsere Wahlprogramme schreiben.
Wer auch immer nach der Wahl koaliert, wird hier eininteressantes Arbeitsfeld in den Verhandlungen mit demFinanzminister haben.
Jetzt ist dafür nicht der Kairos, der rechte Moment.Wir haben aber jetzt – das läuft leise, aber es istwahr – mit Zustimmung des Finanzministers den Erhaltder Verlustvorträge für die Wagniskapitalgesellschaftenbei Beteiligungen an jungen Technologieunternehmenin einen vernünftigen Arbeitsprozess gebracht. Der Fi-nanzminister sagt: 600 Millionen Euro mag das im Jahrkosten. – Daran haben wir seit mittlerweile zehn Jahrengearbeitet. Mit dem früheren Finanzminister Steinbrückwaren wir uns hier schon einmal einig gewesen. Alle ha-ben uns gesagt: Das ist europafest. – Das war aber nichtganz der Fall.Peter Stein
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Dass wir bei allem, was wir tun, die Schwerpunktein der Zusammenarbeit mit Europa sinnvoll abstimmen,ist auch eine wichtige Sache. Vom Mikroelektronikpro-gramm sehen wir im jetzigen Haushalt nur die Spitze desRüssels.
Dessen Anfinanzierung umfasst Mittel in Höhe von50 Millionen Euro – viel Geld. Aber der Wirtschaftsmi-nister hat insgesamt rund 1 Milliarde Euro bis 2020 vor-gesehen, und das ist nur ein Teil des gesamten Elefanten.Die deutsche Wirtschaft wird zusätzlich 2,4 MilliardenEuro bereitstellen. Die anderen Partner in Europa wollendas Ganze auf 6,5 Milliarden Euro aufstocken. Das ge-schieht auf einem Feld, auf dem wir noch ziemlich starksind und stark engagiert sind, etwa bei Aktoren, Senso-ren, Leistungselektronik, Halbleiterelektronik. Es ist alsoein großer Bereich.Hier hat die Europäische Kommission, über die wiruns bei den Verlustvorträgen herzlich geärgert haben, alspolitische Kommission durchaus politische Intelligenzgezeigt; denn sie hat wichtige Projekte gemeinsamen eu-ropäischen Interesses – dieser gehört dazu – definiert, beidenen die Frage der Beihilfeprüfung nach anderen ver-nünftigen Kriterien erfolgt. Europa stand sich manchmalselbst im Weg.
Das ist schade, auch weil es die Leidenschaft der Men-schen für Europa nicht immer hinreichend befeuert.
Dennoch: In kritischen Situationen einen politischenKonsens über wichtige Dinge zu erreichen, das ist einegute Sache.Es gibt viele wunderbare Themen. Wir müssten hierüber die Industrie 4.0 sprechen – eine geniale Vision. DieIdee ist, dass man hier eine Spitzmarke setzt, um das, wasdigital in der Produktion geschehen muss, wirklich zu ei-nem Thema zu machen, bei dem sich jeder einzelne Un-ternehmer überlegt: Was bedeutet das? Was bedeutet dasfür meinen Zugang zum Markt, für mein Verhältnis zuden Zulieferern und für meine Vernetzung? Wie kann ichmeine Strategien anlegen? Dies wächst jetzt erst langsamheran. Dass wir noch Rahmenbedingungen setzen müs-sen, dass wir internationale Standards bekommen müs-sen, dass wir gemeinsame Infrastrukturen erhalten, dasswir hier Plattformen aufbauen – wir haben neun Plattfor-men und zwei Foren –, die Gesellschaft, Wirtschaft undWissenschaft wirklich zu einem gemeinsamen Verständ-nis und zu einem gemeinsamen Handeln heranziehen,das gehört entscheidend dazu.Dies alles wird auch in den nächsten Jahren ziemlichviel kosten. Wir haben unsere Aufwendungen für For-schung – ich sagte es zu Beginn – in den vergangenenzwölf Jahren nahezu verdoppelt, und die Wirtschaft hatmitgezogen. Was passiert, wenn wir vorangehen und unsniemand folgt? Herr Vizekanzler, Sie sprachen davon,dass wir uns ein Beispiel an Korea nehmen sollten, woheute 4,3 oder 4,4 Prozent des Bruttosozialprodukts fürdie Forschung ausgegeben werden. Im Innovationspro-gramm Ihrer Partei, der Sie ja angehören –
ich spreche sonst nicht parteipolitisch zu Ihnen –, steht,dass wir im Jahr 2025 auf 4,0 Prozent kommen müssen.Solche Ziele bedeuten, dass der Bund mit seinem BudgetSchritt hält, sonst funktioniert es nicht. Das sind enormeBeträge. Dies hier klarzumachen, bevor wir in die nächstePeriode gehen, sodass jeder weiß, welche Schwerpunktezu setzen sind, das wird eine der großen Aufgaben sein.Das dürfen wir nicht leise machen, das muss durch dieFaszinationskraft der Zukunft erkennbar werden.Die Kanzlerin sprach von der digitalen Welt, in diewir gehen. Hierbei die Menschen mitzunehmen, ist eineder großen Aufgaben. Es geht nicht nur darum, technischerfolgreich zu sein. Der Digitalpakt, den die Bildungs-ministerin andenkt, ist ein wichtiges Element. Wir hof-fen, dass die Länder dabei mitziehen. Dies alles muss zueiner einzigen Strategie zusammenfließen, die deutlichmacht, dass wir mit Vernunft und Augenmaß die Zukunftbewältigen können, in der jeder sein Leben aus Freudean den eigenen Aufgaben gestalten kann. Wir alle zusam-men sind eine Gemeinschaft mit unterschiedlichen Mei-nungen, über die wir uns in einem fröhlichen Streit imParlament austauschen und dann Entscheidungen treffen,zu denen wir stehen. Das ist die Grundlage dafür, dassdie Menschen auch in Zukunft glücklich in diesem Landleben.
Herzlichen Dank, auch dafür, dass der Fröhlichkeits-faktor in diesem Hohen Hause nachprüfbar gehoben wor-den ist. Ich darf versichern, dass weiterhin mit Hochtech-nologie am Redepult gearbeitet wird.
Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 09 – Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-gie – in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungs-anträge vor.Wir beginnen mit zwei Änderungsanträgen der Frakti-on Die Linke. Zunächst der Änderungsantrag auf Druck-sache 18/10401. Wer stimmt für diesen Änderungsan-trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerÄnderungsantrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-ke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksa-che 18/10402. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt,den bitte ich um das Handzeichen – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist damitmit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bünd-nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke abgelehnt.Dr. Heinz Riesenhuber
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Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10403.Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmenvon CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 09 in der Ausschussfassung. Wer für diesen Einzel-plan stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 09 istdamit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegendie Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.14 auf:Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung und For-schungDrucksachen 18/9821, 18/9824Berichterstatter sind die Kollegen Swen Schulz,Anette Hübinger, Roland Claus und Ekin Deligöz.Zu dem Einzelplan 30 liegen je ein Entschließungs-antrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vor, über die wir morgen nach derSchlussabstimmung abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Widerspruchdagegen erhebt sich keiner. Dann ist das somit beschlos-sen.Deshalb eröffne ich auch sofort die Aussprache underteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin NicoleGohlke für die Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist schon komisch: Da wirft die Koalitionmit Eigenlob und Superlativen in den Beratungen zumBildungshaushalt nur so um sich und scheint doch selbstganz genau zu wissen, dass ihre eigene Bildungspolitikdie großen Probleme im Kern ungelöst lässt. Oder wiesonst ist es eigentlich zu verstehen, dass wir seit Wocheneine Debatte darüber haben, in welchem Bildungsbereichmehr Geld fehlt, ob jetzt die Ausstattung der Schulen mitIT Priorität hat oder zum Beispiel die Sanierung von ma-roden Schulbauten? Offenbar sind die jahrelangen Ver-säumnisse im Bildungsbereich mittlerweile so gravie-rend, dass nicht einmal mehr die Union sie leugnen kann,und offenbar löst dieser Bildungshaushalt, den wir heutein zweiter Lesung beraten, die großen Probleme in derBildung nicht. Das wirkt sich für die Menschen, insbe-sondere für die junge Generation, fatal aus. Diese Politikder dauerhaften Unterlassung macht die Linke nicht mit.Diese Politik muss sich endlich ändern.
Sie haben in den letzten Wochen mit der Digitalisie-rung und der Schulsanierung zwei sehr wichtige The-men angesprochen. Es ist, ehrlich gesagt, auch höchsteEisenbahn, dass die Koalition mal die Bildung für sichentdeckt. Bei den letzten Reden von Ministerin Wankaoder auch bei der Schwerpunktsetzung im Haushalt hatteman das Gefühl, dass sie sich eigentlich nur und einsei-tig als Forschungsministerin sieht. Schule, frühkindlicheBildung, Weiterbildung, das alles scheint für sie Neben-sache zu sein. Das taucht bei Ihnen so gut wie gar nichtmehr auf.
Jetzt, pünktlich zum Wahljahr, fällt Ihnen ein, was esnoch so zu tun gäbe. Aber so durchsichtig die Wahl desZeitpunktes auch sein mag: Wir sagen natürlich: bessereine späte Erkenntnis als gar keine.
Aber das Problem ist: Ihrer neuen Entdeckung vonwichtigen Themen folgt wenig Konkretes. Eventuellsollen jetzt 3,5 Milliarden Euro für Schulsanierung übereinen Nachtragshaushalt zur Verfügung gestellt werden.Aber weil Sie ideologisch zu verbohrt sind,
um das Verbot der Zusammenarbeit von Bund und Län-dern in der Bildung aufzuheben, muss dieses Geld überein Sondervermögen abgewickelt werden und soll nurfinanzschwachen Kommunen zur Verfügung stehen. Ausideologischen Gründen gehen Sie schon wieder den Wegder Sonderfinanzierung und nicht der Regelfinanzierung.Dafür gibt es nicht ein Argument auf Ihrer Seite.
Legen Sie endlich die ideologischen Scheuklappen ab,
und schaffen Sie das Kooperationsverbot ab!
Auch zum großangekündigten Digitalpakt von FrauWanka findet man im Haushalt keine Angaben. Es heißt,die Ministerin hoffe auf die kommenden Koalitionsver-handlungen, damit es in der nächsten Legislaturperiodelosgehen kann. Das sind wirklich Wahlkampfplattitüdenin Reinkultur. Das hat nichts damit zu tun, dass man diedrängenden Aufgaben jetzt anpackt. Verschieben Sie dasPolitikmachen nicht auf PR im Wahlkampf oder auf denSankt-Nimmerleins-Tag, sondern machen Sie eine Bil-dungspolitik, die den Menschen jetzt zugutekommt undvon der die Menschen jetzt etwas haben!
Die aktuelle Debatte verweist doch auch auf eines: DieMissstände quer über alle Bildungsbereiche sind enorm.Die Unterfinanzierung der letzten Jahre, die Sie poli-tisch zu verantworten haben, hat an vielen Stellen eineVizepräsident Johannes Singhammer
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dramatische – das ist keine sprachliche Übertreibung –Situation hinterlassen. Ich kann der Digitalisierung undSchulsanierung noch eine lange Liste von unerledigtenAufgaben hinzufügen. Wir brauchen dringend mehr Geldfür die Ausbildung und vor allem eine bessere Bezahlungvon Erzieherinnen und Erziehern. Wir brauchen gebüh-renfreie Kitas, damit man anfangen kann, ernsthaft vonWahlfreiheit zu sprechen.
Wir brauchen eine Lösung dafür, wie der Ausbau vonGanztagsschulen vom Bund gefördert werden kann undwie wir endlich zur Umstellung auf barrierefreie undinklusive Bildungseinrichtungen kommen. Die sozialeSchere in der Bildung muss endlich überwunden werden.
Es kann doch nicht sein, dass dieser Bundesregierungnichts dazu einfällt, dass Kinder aus finanziell schwa-chen Familien nach wie vor so viel schlechtere Chancenhaben, ein Abitur zu machen und zu studieren, als Kinderaus Akademikerhaushalten.
Die Baustellen beim BAföG fassen Sie nicht an, aberam unsinnigen Deutschlandstipendium und der Eliten-förderung halten Sie fest. Das ist ein Unding.
Die prekären Beschäftigungsbedingungen von Wis-senschaftlerinnen und Wissenschaftlern müssen beendetwerden. Wir brauchen endlich mehr feste Stellen in derWissenschaft, vor allem neben der Professur.Eines ist auch klar: Es muss endlich etwas anderes ausdem Ministerium kommen als die Politik von befriste-ten Pakten und Programmen. Es wird beim Digitalpaktauch nicht ausreichen, die Hardware in einem einma-ligen Kraftakt zur Verfügung zu stellen, aber dann dieWartung und Erneuerung den Kommunen zu überlassen.Der Bund muss sich endlich dauerhaft an solchen Auf-gaben beteiligen können und wollen. Im Falle der Digi-talisierung ist es Ihnen jetzt schon möglich. Artikel 91cdes Grundgesetzes erlaubt die Beteiligung des Bundesbeim Betrieb informationstechnischer Systeme. NutzenSie das. Lassen Sie die Kommunen und die jungen Men-schen nicht im Regen stehen.
Ich finde, es ist endlich an der Zeit, einen Rahmenzu schaffen, in dem gute Bildung nicht am Geldbeutelder Eltern, nicht an Schuldenbremsen und nicht an derschwarzen Null von Herrn Schäuble scheitert. WennSie jetzt wieder nicht wissen, woher das Geld kommensoll, dann gebe ich Ihnen gerne einen Hinweis zu denDimensionen, mit denen wir es hier zu tun haben. Dasreichste Promille in Deutschland – das sind 40 000 Haus-halte – besitzt 17 Prozent des Vermögens. Allein mit demgeschätzten Privatvermögen der Familie Quandt, dieder Union regelmäßig Hunderttausende Euros Spendenbeschert, ließe sich der Investitionsstau an Schulen undHochschulen auf einen Schlag auflösen. Familie Quandthätte dann immer noch 10 Milliarden Euro übrig. Es isthöchste Zeit, dass Sie sich einmal an eine Millionär- undordentliche Erbschaftsteuer herantrauen. Es geht nämlichum das Wohl und die Zukunft aller und nicht nur um dievon Quandt und Co. Das und nichts weniger ist die Auf-gabe einer Regierung.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Anette
Hübinger.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe FrauGohlke, ich komme jetzt einmal zur Realität und lassedie Ideologie fernab.
Heute beraten wir zum letzten Mal in dieser Legisla-turperiode den Einzelplan 30 für Bildung und Forschung.Ich denke, wir können mit dem Geld, das wir zur Ver-fügung haben, zufrieden sein: 17,6 Milliarden Euro. Alsich 2005 in den Bundestag kam, standen uns 7,6 Milli-arden Euro zur Verfügung. Jetzt sind es 10 MilliardenEuro mehr. Der Haushaltsausschuss hat in seiner Berei-nigungssitzung sogar noch etwas draufgelegt, nämlich86 Millionen Euro.Dies darf man nicht als Normalität ansehen; denn diestetig wachsenden Investitionen in Bildung und For-schung sind eine bewusste Priorisierung dieser Bundes-regierung, die es auch in künftigen Jahren fortzusetzengilt.
Die außen- und innenpolitischen Herausforderungen,denen Deutschland gegenübersteht, bedürfen dieser be-sonderen Anstrengung in Bildung und Forschung, umdie Wettbewerbsfähigkeit, die Konkurrenzfähigkeit unddie Wachstumsmöglichkeiten unserer Wirtschaft zu ge-nerieren. Dabei ist Bildung das beste Rüstzeug, das wirunserer jungen Generation mitgeben können.
Der Bund hat – das sage ich auch in Richtung derFraktion Die Linke – enorme neue finanzielle Verantwor-tung übernommen. Es geht dabei auch um Aufgaben, dieursprünglich den Ländern zugeteilt waren, so im Haus-halt für Bildung und Forschung zum Beispiel die gänz-liche Übernahme der Kosten des BAföGs oder auch dieZusage, dass die Kosten des Aufwuchses der Mittel zurFinanzierung der Forschungsinstitutionen um 3 Prozentgänzlich vom Bund getragen werden.Nicole Gohlke
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Insofern müssen wir als Haushälter – da schaue ichmal zu meinen Kolleginnen und Kollegen – in Zukunftstärker darauf achten, dass der Bund auch seine Kern-aufgaben im Bereich Bildung und Forschung, für dieder Steuerzahler ihm Gelder zur Verfügung stellt, erfül-len kann. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir, wennGeld an die Länder weitergegeben wurde, hinsichtlichder Verwendung der Mittel eine gewisse Kontrollfunk-tion übernehmen dürfen und können, damit die Mitteldann auch zweckgebunden – also für den Zweck, für denwir sie an die Länder oder auch an die Kommunen wei-tergegeben haben – eingesetzt werden.
Der Bereich Bildung und Forschung ist nicht nur fi-nanziell, sondern auch inhaltlich sehr gut aufgestellt; wirhaben zwar noch einige wenige Veränderungen vorge-nommen, die meisten beziehen sich allerdings auf denForschungsbereich. Dafür möchte ich der Ministerin inAbwesenheit – Frau Ministerin Wanka ist erkrankt; vondieser Stelle unsere besten Genesungswünsche –
ganz herzlich danken.Ein zentrales Anliegen der Unionsparteien ist die Bil-dungsgerechtigkeit. Beim Thema Bildungsgerechtigkeitmuss man auch die Erwachsenen im Blick haben, die –aus welchen Gründen auch immer – einer Grundbildungim Bereich der Lese- und Schreibfähigkeit bedürfen.Deswegen haben wir die Mittel für den entsprechendenAnsatz im Rahmen der nationalen Dekade für Alphabeti-sierung um 2 Millionen Euro angehoben.Mit dem Konzept „Chance Beruf“ wird das berufli-che Bildungssystem verbessert und seine intensive Be-rufs- und Bildungsorientierung ausgebaut. Damit wollenwir die immer noch zu hohe Zahl von Ausbildungs- undStudienabbrüchen reduzieren und jungen Menschen anihren Potenzialen orientiert den Weg in das Berufslebenermöglichen.
Auch eine Integration von Menschen, die in den letz-ten Monaten zu uns gekommen sind, klappt am bestenüber Bildung. Das BMBF hat im vergangenen Jahr beste-hende Programme ausgebaut und entsprechend den Er-fordernissen der Flüchtlinge modifiziert. Dazu gehörenunter anderem das Programm „Berufsorientierung fürFlüchtlinge“, Projekte von „Kultur macht stark“ und dasProgramm „Integra“ des DAAD für Studierende. DieseProgramme sind sehr gut angelaufen und werden auchbedarfsgerecht weiter finanziert.In der Bildung wertschätzen wir die akademische unddie duale Ausbildung gleichermaßen.
Gerade unter dem Aspekt des Fachkräftemangels müs-sen wir dafür sorgen, dass die berufliche duale Ausbil-dung weiter gestärkt wird. Denn Handwerk und Indus-trie bieten den Absolventen sichere Arbeitsplätze mitZukunftsperspektiven, wie gerade die RegionaldirektionRheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeitbestätigt hat.Weil die berufliche Ausbildung mit der DigitalisierungSchritt halten muss, haben wir den digitalen Ausbau derüberbetrieblichen Bildungsstätten mit 10 Millionen Euroweiter gestärkt.
Ich danke Ministerin Wanka auch dafür, dass sie die Stär-kung der beruflichen Ausbildung mit zu ihrem Thema ge-macht hat. Denn wir sehen, es ist für unsere Jugend einsehr wichtiges Thema.Langjährige Schwerpunkte wie die Verstärkung von in-ternationalen Forschungskooperationen und Hochschul-kooperationen, wie beispielsweise DAAD-Programmezum Studierenden- und Wissenschaftleraustausch, blei-ben bestehen, und der Dreiklang von Exzellenzinitiative,Hochschulpakt und Pakt für Forschung und Innovationist weiterhin zentraler Ankerpunkt. Erst dieses Jahr wur-den beispielsweise durch die Humboldt-Professur inter-nationale Spitzenforscher aus den Bereichen Mathema-tik, Ökologie und Physik für Deutschland gewonnen.Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchsesbleibt ein Kernanliegen der Unionsparteien und der Bun-desregierung.
– Auch der SPD, genau. – Die Zeiten, in denen es vor-rangig Meldungen gab, dass deutsche Spitzenforscherihrer Heimat den Rücken kehren, sind Gott sei Dankvorbei. Mit einem neuen Bund-Länder-Programm wer-den ab nächstem Jahr, also ab 2017, 1 000 neue Te nure-Track-Professuren in Deutschland strukturell verankert.Konkret in Zahlen heißt das, dass über eine Laufzeit von15 Jahren 1 Milliarde Euro dafür eingesetzt wird.
Ich möchte an die Hochschulen den Appell richten, dieseMöglichkeit auch zur Verbesserung der Frauenquote zunutzen.
Wie der Bereich Bildung, ist auch der Bereich For-schung gut aufgestellt, dennoch haben wir einige Ver-änderungen vorgenommen, sei es durch Umschichtungoder durch Aufstockung der Mittel. Bei der Fraunho-fer-Gesellschaft haben wir zum Beispiel die Mittel um60 Millionen Euro aufgestockt, die in deren Grundfinan-zierung fließen sollen. Das ist gut angelegtes Geld; denndie angewandte Forschung ist sehr stark nachgefragt undleistet einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichenAnette Hübinger
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Wachstum, aber auch zur Verbesserung der Konkurrenz-fähigkeit.
Das Programm „Unternehmen Region“, das die Inno-vationsförderung in den neuen Ländern zum Inhalt hat,wird um 2 Millionen Euro auf 161 Millionen Euro aufge-stockt. Auch die Leibniz-Forschungsmuseen – ein Anlie-gen meines Kollegen Swen Schulz – wurden berücksich-tigt. Sie bekommen 5 Millionen Euro zur Umsetzung des„Aktionsplans Forschungsmuseen – Orte von Bildungund Wissenstransfer“. 3 Millionen Euro gehen an dasMuseum für Naturkunde in Berlin für eine Kooperationmit der Fossilienlagerstätte Bromacker.
Neu in den Einzelplan 30 wurde die Einrichtung ei-nes Forschungsverbundes zum Thema SED-Unrechtaufgenommen, mit dem Ziel, für die zeitgeschichtlicheForschung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine neueStruktur zu schaffen.
Finanziert wird dies mit 5 Millionen Euro. Für die Grün-dung eines Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhaltwird 1 Million Euro bereitgestellt.Die sehr gute Gesamtstruktur des Bundeshaushaltessowie die gute Einnahmesituation ermöglichen es, unserLand zu modernisieren und Zukunftsthemen wie zumBeispiel die Digitalisierung noch stärker anzupacken.Letzte Woche war ich auf dem Nationalen IT-Gipfel,der in meinem Wahlkreis Saarbrücken stattgefunden hat.Bei diesem IT-Gipfel ging es vor allem um die digitaleBildung. Es war beeindruckend, zu sehen, was das Bun-desministerium für Bildung und Forschung hier bereitsleistet – mit den Smart Schools, mit den neuen Lehrer-programmen, mit den Forschungsthemen zur Bedeutungvon IT im Arbeits- und Alltagsleben der Bürgerinnen undBürger. Für diese Zukunftsperspektive wurde unter ande-rem ein neuer Titel mit über 70 Millionen Euro angelegt.Auch das neu zu gründende Deutsche Internet-Institutsowie das Programm „Digitales Lernen in der berufli-chen Bildung“ fallen darunter.
Aber nicht nur die digitalen Herausforderungen, auchdie Herausforderungen des globalen Wandels, bei denenwir unsere Forschungsanstrengungen vertiefen müssen,werden in diesem Haushalt berücksichtigt. Die Mittel fürden gesamten Forschungsbereich Klima und Nachhaltig-keit wurden in den letzten acht Jahren kontinuierlich umüber 220 Millionen Euro auf knapp 548 Millionen Euroaufgestockt.Im Forschungsfeld Gesundheit hat sich auch vielesgetan. Ganz besonders glücklich bin ich, dass wir einenationale Wirkstoffinitiative verankern konnten, geför-dert über die nächsten vier Jahre mit 21 Millionen Euro.Bei der Initiative geht es darum, Bedrohungen durch An-tibiotikaresistenzen und Krankenhauskeime zu bekämp-fen. Dafür sollen neue Wirkstoffe erforscht werden.So steht fest: Mit diesem Haushalt für Bildung undForschung können wir gut in das neue Haushaltsjahr bli-cken, da alle wichtigen und zukunftsweisenden Themenadressiert und finanziert sind. Das BMBF hat die Priori-sierung, die wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben,gut umgesetzt.
Zum Schluss danke ich unserem Hauptberichterstat-ter Swen Schulz und meinen Mitberichterstattern EkinDeligöz und Roland Claus – er ist leider aus persönlichenGründen nicht anwesend – für die gute Zusammenarbeit.Ich bedanke mich ebenso sowohl bei den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern unserer AGs, die immer Nacht-schichten einlegen mussten, als auch bei unserem Hausfür die konstruktive Kooperation.Vielen Dank.
Nächster Rednerin ist die Kollegin Ekin Deligöz für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Staatssekretär Rachel, bitte richten Sie auchvon uns die besten Genesungswünsche an die Ministerinaus. – Dem Dank meiner Kollegin Hübinger an die Be-richterstatter des Bildungs- und Forschungsetats schließeich mich natürlich an. Das war wie immer ein sehr gutesZusammenarbeiten. Insbesondere unser Hauptberichter-statter, Herr Schulz, hat mit gewohnter Professionalitätmoderiert. – Danke schön.
Seit der ersten Lesung des Bildungsetats hat sich imWesentlichen nur eines verändert, und das betrifft dieSchulen. Der Ehrlichkeit halber müssen wir aber sagen,dass das Ergebnis der Bund-Länder-Verhandlungen überdie Schulen nicht vom Bundesbildungsministerium ein-gebracht wurde, sondern der Hartnäckigkeit der rot-grünregierten Länder und auch der SPD-Fraktion zu verdan-ken ist.
Insofern ist das ein Erfolg. Wir von der grünen Bundes-tagsfraktion tragen das absolut mit. Wir finden, dass diemaroden Schulgebäude der Vergangenheit angehörenmüssen, dass unsere Kinder die besten Bedingungen fürsLernen verdienen. Wir sind übrigens auch der Meinung,dass wir dabei nicht stehen bleiben dürfen, sondern einekomplette Abschaffung des Kooperationsverbots brau-Anette Hübinger
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chen, damit wir auch seitens des Bundes endlich wiederin die Bildung in diesem Land investieren können.
– Darauf habe ich jetzt gehofft. Noch besser wäre es, Siewürden mir eine Frage stellen; dann hätte ich eine Rede-zeitverlängerung.
– Aber das gönnen Sie mir nicht.Sie sagen jetzt: Was sagt MinisterpräsidentKretschmann?
Wissen Sie, Herr Kretschmann und wir sind uns einig,dass die Länder Planungssicherheit brauchen. Es ist ihmund uns wichtig, dass wir die Länder nicht von Pro-gramm zu Programm hoppeln lassen, ohne eine gewissePlanungssicherheit zu gewährleisten. Herr Kretschmannund ich bzw. wir als Fraktion sind uns auch einig,
dass wir in die Strukturen von Bildung und Wissen-schaft investieren müssen. Dafür arbeitet auch er als ba-den-württembergischer Ministerpräsident.
Über den Weg, wie wir dahin kommen, gibt es tatsäch-lich eine Differenz; aber die gibt es nicht nur zwischenden Grünen und dem Ministerpräsidenten, sondern diegibt es generell zwischen Bund und Ländern. Es ist unserAuftrag, das gemeinsam zu verhandeln und den bestenWeg zu suchen.
Darüber müssen wir streiten. Die Art und Weise, wie Siediese Debatte blockieren, bringt uns nicht weiter. DasKooperationsverbot haben wir übrigens Ihrer Fraktion zuverdanken. Und jetzt versuchen Sie, die Scherbenhaufen,die Sie angerichtet haben, irgendwie wieder zusammen-zusetzen. Angriff ist nicht immer die beste Verteidigung.Manchmal fliegt einem das auch um die Ohren, HerrKollege.
Wir sind uns mit den Ländern übrigens auch darübereinig, dass es selbstverständlich im Kompetenzbereichder Länder liegt, über Inhalte und das Funktionieren derSchulsysteme zu bestimmen. Eine Differenz gibt es anfolgender Stelle: Wir von der Bundestagsfraktion beto-nen immer wieder, dass der Bund auch mit Finanzmit-teln in die Schulfinanzierung in den Ländern hineingehenmuss. Warum fordern wir das? Weil wir in diesem Landdringend eine Dynamik des sozialen Aufstiegs durch Bil-dung brauchen.
Diese Dynamik des sozialen Aufstiegs durch Bildungmuss unabhängig vom Elternhaus, also vom Einkommender Eltern und von der Herkunft der Kinder, funktionie-ren.
Für viele Kinder ist das die einzige Möglichkeit, spätererwerbstätig zu sein, den Armutskreislauf zu durchbre-chen und teilzuhaben an dieser Gesellschaft. Das ist einehohe Verantwortung. Hätten Sie es 2006 nicht verbockt,hätten Sie mit Ihrer Grundgesetzänderung damals Ko-operationen zwischen Bund und Ländern nicht verhin-dert, wären wir schon viel weiter. Ihnen haben wir dieverpassten Chancen der vergangenen Jahre zu verdan-ken, und zwar Ihnen alleine.
Fast alle Reden von Vertretern der Koalition begannenin dieser Woche damit, wie toll es ist, dass die Mittel fürden Etat des Bildungsministeriums gesteigert wurden.
Ja, das finde ich wichtig. Das ist richtig. Aber es gehtnicht nur darum, mehr Geld auszugeben und mehr Leutezu bedienen, sondern auch darum, wie das Geld, das aus-gegeben wird, wirkt.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, Bundes-rechnungshofberichte zu lesen. Der Bundesrechnungshofsagt, dass er große Zweifel daran hat, dass die Ausga-be der vielen Fördermillionen vom Ministerium ausrei-chend überwacht und kontrolliert wird, dass messbareZiele formuliert werden. Auch bei den Großprojekten,bei denen viel Geld draufgeht – die Stilllegung atoma-rer Forschungsanlagen, der Teilchenbeschleuniger FAIRin Darmstadt –, gibt es große Versäumnisse, und diebleiben. Das sind die Hausaufgaben, die Sie erledigenmüssen. Noch schlimmer kommt es, wenn man sich dieSituation beim Kernfusionsreaktor ITER anschaut. Dafließen Milliarden hinein. Jetzt sagen Sie: Wir vom Bil-dungs- und Forschungsministerium sind dafür gar nichtdirekt verantwortlich.
Aber das Ministerium ist maßgeblich dafür verant-wortlich, welche Position die Bundesregierung diesbe-Ekin Deligöz
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züglich einnimmt. Sie wollen das Projekt politisch un-terstützen. Ob ITER jemals Energie erzeugt, steht aberin den Sternen. Es gibt inzwischen sogar den Witz vonder Fusionskonstante; ich weiß nicht, ob Sie den kennen.
Egal welchen Experten Sie fragen, ab wann mit ITERStrom produziert wird, kommt immer die Antwort: In 40bis 50 Jahren. – Bis dahin kostet das Geld.
Es werden jetzt 5 Milliarden Euro zusätzlich vom eu-ropäischen Steuerzahler dafür erbracht werden müssen,dass es womöglich auch in 40 Jahren noch heißt: In40 Jahren. – Hier müssen Sie dringend umsteuern.
Wenn Sie die Debatte zum Wirtschafts- und Energieetatvorhin gehört hätten, wüssten Sie, dass wir dieses Geldeigentlich viel dringender in die erneuerbaren Energi-en und in innovative Technologien investieren müssten,auch hier in Deutschland, damit wir da mithalten können.Diese Chance für unser Land haben Sie verpasst.
Inhaltlich haben wir einen Dissens, und wir teilen auchIhre Prioritätensetzung nicht. Ich frage mich manchmal,von wem das Haus und die Ministerin sich eigentlich be-raten lassen.
Interessanterweise frage das nicht nur ich, sondern dasfragt inzwischen auch der Bundesrechnungshof. LiebeKolleginnen und Kollegen, warum nennt das Bildungs-ministerium die Namen seiner externen Beratungsunter-nehmen eigentlich nicht? Wir wollen wissen: Wer sinddie Einflüsterer?
Was für Eigeninteresse haben diese Unternehmen, vondenen Sie sich beraten lassen? Wer sind diese Berater?
Ich frage Sie: Was verschweigen Sie?
Warum fällt es Ihnen so schwer, zu klären und uns mitzu-teilen, wie viele Beratungsverträge Sie wirklich an wenvergeben haben?
Der Bundesrechnungshof schreibt in seinem Bericht,dass diese Strukturen im Beraterwesen potenziell geeig-net sind, die Integrität der Bundesverwaltung zu beein-trächtigen. Sie schulden der Öffentlichkeit, den Abge-ordneten, den Menschen hier eine Antwort. Transparenzdient der Herstellung von Akzeptanz.
Aber so, wie Sie vorgehen, unterstützen Sie dieses Anlie-gen mit der Politik Ihres Hauses nicht. Das ist ein Haus-halt der verpassten Chancen. Deshalb werden wir nichtzustimmen.
Nächster Redner ist der Kollege Swen Schulz für die
SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundes-tag hat in den letzten Jahren im Rahmen der Haushalts-beratungen immer wieder einiges am Regierungsentwurfgeändert. Wir haben, wie man so schön sagt, einen gutenEntwurf noch verbessert. Doch in diesem Jahr haben wiruns selbst übertroffen.
Es ist wirklich außergewöhnlich und – das kann man sosagen – krass, was wir geschafft haben.Schon der Regierungsentwurf sah eine Erhöhung derMittel für Bildung und Forschung um über 1 MilliardeEuro vor.
Wir haben noch fast 100 Millionen Euro für das nächsteJahr obendrauf gepackt.
Zusammengerechnet mit den zusätzlichen Mitteln für dieFolgejahre ist das ein Vielfaches. Diese Koalition setzteinen klaren Schwerpunkt bei Bildung und ForschungEkin Deligöz
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und damit bei den wichtigsten Zukunftsinvestitionenüberhaupt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es ist gesagt worden: Dies ist der letzte reguläre Haus-haltsplan in dieser Legislaturperiode; darum kann manschon einmal Bilanz ziehen. Die Entwicklung des Haus-halts in den letzten Jahren ist beeindruckend und gehtdeutlich – wirklich deutlich – über das hinaus, was dieVorgängerregierung von CDU/CSU und FDP ursprüng-lich geplant hatte.
2013 sah die Finanzplanung von Schwarz-Gelb für dasJahr 2017 Ausgaben für Bildung und Forschung in Höhevon 13,5 Milliarden Euro vor. Ich wiederhole: 13,5 Mil-liarden Euro.
Jetzt sind es 17,6 Milliarden Euro.
Das sind über 4 Milliarden Euro mehr.
Ich will nun nicht behaupten, dass das alles auf die SPDzurückgeht,
aber das meiste schon, meine sehr verehrten Damen undHerren.
Einige Bereiche will ich ansprechen. DeutschlandsWirtschaft ist stark. Das ist sie im internationalen Wett-bewerb nur mit Forschung und Entwicklung. Der Staatleistet dabei mit den Hochschulen und außeruniversitä-ren Einrichtungen unverzichtbare Beiträge. Wir habenmit der Exzellenzinitiative, mit der Initiative für Nach-wuchswissenschaftler, mit dem Pakt für Forschung undInnovation, mit der Hightech-Strategie usw. usf. Jahrfür Jahr die Finanzierung verbessert, in diesem Haushaltzum Beispiel durch die zusätzliche Erhöhung der Mittelfür die Fraunhofer-Gesellschaft, damit sie ihre anwen-dungsorientierte Forschung ausbauen kann.
Es spricht zwar kaum jemand darüber, aber es liegt aufder Hand: Ohne die Forschung stünden wir bei weitemnicht so gut da. Das ist das Verdienst der Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler, und wir schaffen die Vo-raussetzungen dafür. Dass das so gut klappt, ist auch eingroßer Erfolg der Politik – unserer Politik, meine sehrverehrten Damen und Herren.Uns geht es aber nicht ausschließlich um die Wirt-schaft. Darum fördern wir die Wissenschaft in ihrerganzen Vielfalt und Breite. Es geht eben auch zum Bei-spiel um Gesundheit, um die Bekämpfung von Krank-heiten und Seuchen. Insbesondere meine Kollegin AnetteHübinger hat erneut darauf geachtet, dass da in dennächsten Jahren so viel wie möglich gemacht wird.Weiter geht es um gesellschaftliche Fragen bei denGeistes- und Sozialwissenschaften, die wir auch in die-sem Jahr noch einmal gestärkt haben, insbesondere mitBlick auf die Migrations- und Friedensforschung – kleineFächer – und auf neue Zentren für Islamische Theologie.Wir finanzieren auch ein neues Institut für gesell-schaftlichen Zusammenhalt in Sachsen.
Das ist wirklich nötig und dort sicher auch gut angelegtund gut angesiedelt, meine sehr verehrten Damen undHerren. Bei der Forschungsförderung geht es auch umThemen wie Klima und Umwelt, Energie, Zukunft derArbeit, soziale Innovation, Sicherheit usw. Es geht umdie großen gesellschaftlichen Herausforderungen, diewir ohne Wissenschaft nicht bewältigen können.Natürlich kümmern wir uns auch um die Bildung.Auch in diesem Bereich sind wir deutlich über die Ver-einbarungen im Koalitionsvertrag von CDU, CSU undSPD hinausgegangen. Von einer BAföG-Erhöhung standdarin nämlich nichts. Wir haben das im Deutschen Bun-destag trotzdem geschafft.
Gerade uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-kraten ist Chancengleichheit wichtig. Dazu gehört eben,dass alle – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern – diegleiche Bildung erhalten können. Wir fördern akademi-sche Bildung mit Studierenden-BAföG, Hochschulpakt,Begabtenförderung usw. Genauso wichtig ist uns aberdie berufliche Bildung. Darum haben wir in der Koali-tion das Meister-BAföG, die Begabtenförderung berufli-che Bildung, die Förderung überbetrieblicher Berufsbil-dungsstätten und anderes mehr verbessert. Wir kümmernuns aber auch – das betone ich ausdrücklich – um die, dieganz grundlegende Angebote brauchen. Darum fördernwir Alphabetisierung und Grundbildung. Wir haben dieMittel für das Programm „Kultur macht stark“ verstetigt,und wir machen Angebote für Geflüchtete.Von der Grundbildung bis zum Nobelpreis, von derKita bis zur Universität, vom kleinen Unternehmen etwain Sachsen-Anhalt bis zur Sozialwissenschaft in der Sub-sahara: Hier wird großartige Arbeit geleistet. Ich dankeheute allen herzlich für ihr Engagement in diesem Feld.
Wir haben es in der Großen Koalition – bei allen un-terschiedlichen Auffassungen – immer vermocht, zusam-Swen Schulz
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menzukommen und die Sache voranzubringen. Und dochgibt es eben Unterschiede zwischen den Parteien, und diezu benennen ist wichtig für unsere parlamentarische De-mokratie. Deutlich wird das etwa bei dem Thema Schule.Wir von der SPD wollen eine Grundgesetzänderung, diees Bund und Ländern ermöglicht, gemeinsam die Schu-len zu verbessern, sie zu sanieren, gute Ganztagsangebo-te zu schaffen und Schulsozialarbeit zu organisieren. Eskann doch nicht sein, dass die Schulen herunterkommen,wir aber zum tatenlosen Zuschauen verdonnert sind. Daskann so nicht bleiben.
Ministerin Wanka hat immerhin einen Impuls für einenDigitalpakt gegeben. Allerdings habe ich in den Haus-haltsberatungen eine konkrete Initiative der Bundesre-gierung vermisst.Trotzdem scheinen wir auf der Zielgeraden dieserWahlperiode immerhin für die Schulsanierung etwashinzubekommen. Dafür gibt es 3,5 Milliarden Euro vomBund. Das ist großartig. Allerdings gibt es noch ein paarUnwägbarkeiten. Der größte Gegner dieser Politik – daskann ich Ihnen, liebe Frau Deligöz, nun nicht ersparen –ist der grüne Ministerpräsident Kretschmann aus Ba-den-Württemberg.
Der will ja auch, lieber Kai Gehring, Studiengebühren.Ich kann nur sagen: Eine moderne Bildungspolitik gehtanders als bei Grün-Schwarz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt fürBildung und Forschung ist wirklich gut, und dennochbraucht es in der nächsten Dekade sehr viel mehr. Ichspreche über eine Größenordnung von mindestens10 Milliarden Euro jährlich, die wir für eine bessereBildung aufwenden müssten. Bessere Kitas, Schulen,Berufsschulen und Hochschulen benötigen eben qualifi-ziertes Personal und eine entsprechende Ausstattung. Esgibt sehr viele Studien darüber, was verbessert werdenmüsste. Das alles ist erörtert worden.Lassen Sie mich das einmal ein bisschen persönlichausdrücken: Ich habe Kinder. Die bekommen gute För-derung. Sie haben beste Chancen. Denn wir, ihre Eltern,haben Geld, Bildung und Interessen – alle Möglichkei-ten. Meine kleine Tochter – sie ist drei Jahre alt – hat zuHause fast schon eine ganze Bibliothek mit Büchern, ausdenen sie morgens, nachmittags und abends vorgelesenbekommt. Das ist nicht in allen Familien so. Und für mei-ne große Tochter sind Klassenreisen, Sprachaufenthalte,Sportaktivitäten oder Anschaffung von technischen Ge-räten kein Problem. Den meisten Familien sind hier je-doch ganz andere Grenzen gesetzt.Hier entstehen Belastungen, Ungerechtigkeiten undBenachteiligungen. Dies wollen wir durch eine entspre-chende Unterstützung und Angebote für alle Kinder, Ju-gendlichen und Familien so gut es geht verhindern.
Dafür brauchen wir einen ganz neuen Angang, eine neueBildungsoffensive für Deutschland, die nicht an Geldund auch nicht an einem Zuständigkeitsgerangel im Fö-deralismus scheitert.
Zum guten Schluss bedanke ich mich bei den Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern und der Leitung des Bun-desministeriums für Bildung und Forschung, bei denMitarbeitern des Bundestages und bei meinen Kollegin-nen und Kollegen für ihre jeweiligen Beiträge zum Ge-lingen des Haushaltsplans 2017.Danke schön.
Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentari-
sche Staatssekretär Thomas Rachel das Wort.
T
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Wir befinden uns inmitten großer Verän-derungsprozesse: Globalisierung, Digitalisierung, großesBevölkerungswachstum, Flüchtlingsbewegungen, Kli-mawandel. – Dies sind einige der Stichworte, die für Un-sicherheiten in unserer Bevölkerung sorgen.Brauchen wir in diesem Zusammenhang Wissen? Istes vielleicht ein menschliches Grundbedürfnis, den Din-gen auf den Grund zu gehen?Gestern hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den gro-ßen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz zi-tiert, der damals formulierte:Wir sind umso freier, je mehr wir der Vernunft ge-mäß handeln, und umso mehr geknechtet, je mehrwir uns von der Leidenschaft regieren lassen.
Vielleicht hat dieses Zitat eine größere Aktualität, alsman auf den ersten Blick erkennt;
denn gerade in diesen Monaten erleben wir auch in un-serem Lande eine stark emotionalisierte und selektiveWahrnehmung. Erleben wir hier den Übergang von derlange gepriesenen Wissensgesellschaft zur emotionali-sierten Gesellschaft, die vornehmlich selektiv Fakten zurKenntnis nimmt? Es gibt zwar das „Recht auf eine eigeneMeinung“, aber eben nicht das „Recht auf eigene Tatsa-Swen Schulz
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chen“, wie es vor einiger Zeit in einem klugen Kommen-tar formuliert wurde.
Nicht der emotionale Reflex, sondern die Wahrneh-mung der Realität, der Dinge, wie sie sind, und die fak-tenbasierte Analyse sind geeignete Basis, um Verände-rungen nicht einfach hinzunehmen, sondern zu gestalten.Offenheit für Sichtweisen, Erfahrungen und Erkenntnis-se, die sachorientiert in unserer Gesellschaft diskutiertwerden: Das zeichnet eine Wissenschaftsgesellschaft undeine Wissensgesellschaft aus. Ob diese Offenheit unserLand auch künftig prägen wird, haben wir alle gemein-sam in der Hand.Die Wissenschaft liefert Antworten und Innovatio-nen, damit wir die beschriebenen Veränderungsprozessefaktenbasiert und mit Vernunft gestalten können. Wis-senschaft zum Wohle von Menschen und um Fortschrittzu ermöglichen, ist für unser Land hochrelevant; dennin Deutschland lebt zwar nur rund 1 Prozent der Welt-bevölkerung, aber wenn es um die global wettbewerbs-fähigsten Staaten geht, liegen wir in der Spitzengruppe,nämlich auf Platz vier.Die Fähigkeit, Wohlstand zu generieren, hängt immerstärker von Innovationen ab. Im globalen Wettbewerbwird in absehbarer Zeit nicht mehr zwischen Industrie-staaten auf der einen Seite und weniger entwickeltenLändern auf der anderen Seite unterschieden, sondernstattdessen zwischen den innovationsreichen und den in-novationsärmeren Ländern.Wettbewerbsfähigkeit lässt sich auch an Investitionenin Forschung und Entwicklung und das Bildungswesenermessen. Hier stehen wir gut da. Bildung und Forschungsind Prioritäten dieser Bundesregierung.
Seit 2005, seitdem Angela Merkel Bundeskanzle-rin ist, ist der Etat für Bildung und Forschung mehr alsverdoppelt worden. Auch im nächsten Jahr wird er umsage und schreibe 1,2 Milliarden Euro steigen. Deswegenfand ich die Bewertung dieses Haushalts durch die grüneFraktion, ehrlich gesagt, ein Stück vermessen.
Die Forschungsförderung des BMBF steht auch fürVerlässlichkeit. Mit dem Pakt für Forschung und Innova-tion steigen die Mittel für die beteiligten Wissenschafts-organisationen Jahr für Jahr um 3 Prozent. Wir über-nehmen als Bund den Aufwuchs der finanziellen Mittelallein, um die Länder zu entlasten.Die Hightech-Strategie haben wir zu einer ressort-übergreifenden Innovationsstrategie ausgearbeitet. Al-lein aus dem Forschungsetat stehen dafür 2,7 MilliardenEuro bereit. Im Rahmen dieser Strategie werden techno-logische Innovationsfreude und Themen von besonderergesellschaftlicher Bedeutung gebündelt. Beispielhaftnenne ich nur die Kopernikus-Projekte für die Energie-wende, das Förderkonzept Medizininformatik oder dasneue Rahmenprogramm zur Mikroelektronik für die Di-gitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.Wir wollen die Hochschulen in ihrer wichtigen Rol-le als Treiber technologischer und sozialer Innovationenstärken. Wir nutzen die neuen Kooperationsmöglichkei-ten des Artikels 91b Grundgesetz gemeinsam mit denLändern. Auf Initiative von Forschungsministerin FrauProfessor Wanka haben wir gemeinsam mit den Länderneine neue Exzellenzstrategie vorgelegt. Auf Initiativevon Frau Professor Wanka legen wir die Förderinitiati-ve „Innovative Hochschule“ vor und das Programm zurFörderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Mitdiesem Tenure-Track-Programm eröffnen wir endlichverlässliche Karrierechancen und steigern damit auch dieAttraktivität des Standorts Bundesrepublik Deutschland.
Neben Spitzenforschung und Spitzenuniversitäten ha-ben wir natürlich auch die kleineren Hochschulen undFachhochschulen im Blick; denn wir wollen flächen-deckend für gute Bildungs- und auch Karrierechancensorgen. All das dient dazu, die internationale Spitzenstel-lung des deutschen Wissenschaftssystems weiter auszu-bauen. Ja, Deutschland gehört zu den leistungsstärkstenund innovativsten Ländern dieser Welt. Aber damit dasso bleibt, gilt es, weiter am Forschungsfortschritt zu ar-beiten, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf die Chan-cen, die sich aus der weltweiten Digitalisierung ergeben.Schließlich beeinflusst der digitale Wandel sämtlicheunserer Lebensbereiche: wie wir arbeiten, wie wir Frei-zeit genießen, wie wir forschen, wie wir reisen, wie wirGesundheit organisieren, wie wir uns miteinander aus-tauschen.Beim IT-Gipfel in Saarbrücken hat Bildungsministe-rin Frau Professor Wanka den Startschuss für eine SmartSchool gegeben. Diese setzt verstärkt auf digitale Tech-nologien im Schulalltag und kann Beispiel für anderesein. Das Programmieren wird Schülern künftig eineganz neue Welt eröffnen.Nun ist Schulbildung Ländersache, aber mit dem Di-gitalpakt bieten wir als Bundesregierung den Ländern an,sie bei der digitalen Ausstattung der Schulen zu unter-stützen.
Im Mittelpunkt des digitalen Wandels muss weiterhinder Mensch stehen: der Lernende und der Lehrende. Siestehen im Mittelpunkt des staatlichen Bildungsauftrags.Das bedeutet, dass das Primat der Pädagogik vor der di-gitalen Technik gilt. Ausstattung ist nach unserem Ver-ständnis im Bildungs- und Forschungsministerium zwarwichtig, aber kein Selbstzweck. Ohne passende InhalteParl. Staatssekretär Thomas Rachel
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und Konzepte wird die digitale Technik nicht leisten kön-nen, was wir zu Recht erhoffen.
Souverän und selbstbestimmt mit digitalen Medienumgehen zu können, gehört heute einfach dazu, meineDamen und Herren, das ist eine Basiskompetenz wieSchreiben, Lesen und Rechnen. Diese Basiskompetenzentscheidet künftig auch über berufliche und gesell-schaftliche Teilhabe.Digitalisierung heißt eigentlich, einzugestehen, dasswir alle hinzulernen müssen. Schulen und Bildungsein-richtungen werden sich darauf einstellen müssen. Siemüssen jüngeren wie auch älteren Menschen den Schlüs-sel zur digitalen Welt in die Hand geben, damit sie dortihren Platz finden können.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, Bildungschancen für alle zu erschließen, undzwar auch Integration durch Bildung zu ermöglichen –und zwar heute –, ist sehr wichtig. Wenn die Integrati-on der nach Deutschland Geflüchteten nicht ernst genuggenommen oder auf morgen verschoben wird, dann istdas ein großes Problem für die betroffenen Menschen.Im Übrigen wird das dann für unsere Gesellschaft teurer.Wir müssen heute in die Integration durch Bildunginvestieren und haben deshalb ein umfassendes Maßnah-menpaket aufgelegt, mit dem wir zweierlei unterstützen:den Erwerb der deutschen Sprache und die Integration inAusbildung, in Studium und Beruf, indem wir auf denvorhandenen Potenzialen und Kompetenzen der betrof-fenen Menschen aufbauen und sie fördern.Über ein Jahrzehnt sind die Ausgaben für Bildung undForschung kontinuierlich gestiegen, ein Aufwuchs, wiewir ihn in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-land noch nie erlebt haben, meine Damen und Herren.
Deutschland steht auch dank dieser Prioritätensetzunghervorragend da. Diese doch positive Erfahrung solltenwir auch für die Zukunft nutzen. Wissenschaft darf ebennicht abseitsstehen und nur beobachten, was in der Ge-sellschaft, gerade auch in diesen Wochen, passiert. Nein,nach meinem Verständnis muss Wissenschaft ein aktiverTeil dieses diskursiven Prozesses in der Gesellschaft sein.Statt Vorgaben oder geistigen Fesseln von Autokratenin anderen Staaten wollen wir hier in der BundesrepublikDeutschland auch künftig Freiheit der Forschung ermög-lichen. Statt Abschottung wollen wir auch die Sichtweiseund die Neugier anderer in unserem Land willkommenheißen.
Hier gilt die Feststellung von Bundeskanzlerin AngelaMerkel: „Gelebte Vielfalt ist die logische Konsequenzvon Freiheit.“ – Recht hat sie.Faktenbasierter Diskurs und Respekt vor Erfahrungenund Kenntnissen anderer: Das formt eine demokratischeund eine offene Gesellschaft. Für diese lohnt es sich ein-zustehen.Herzlichen Dank.
Der Kollege Ralph Lenkert spricht als Nächster für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Reicht das, was dieser Haushalt für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung bein-haltet, wirklich aus? Ich denke, nein.
Müssen wir uns nicht fragen, welche Folgen zu we-nig oder falsch eingesetztes Geld bei Bildung und For-schung für unsere Gesellschaft haben? Welche Folgenhat es, wenn sich viele Bürgerinnen und Bürger im de-mokratischen System ausgegrenzt fühlen? Wieso habensie Angst und fürchten die Zukunft? Wieso wählten vieleMenschen in den USA aus Verzweiflung oder Überzeu-gung Donald Trump und in Deutschland AfD?
Trump gewann in Regionen mit Abwanderung undResignation, mit maroden Schulen und Hochschulen. Ergewann bei Menschen, die Hilfe brauchen, aber sie nichterhalten.
Da wächst auch bei uns die Zahl der Rechtspopulistenam stärksten.
Woher kommt die Bereitschaft, Fakten zu verdrängenund menschenverachtenden Heilsverkündigungen zu fol-gen?
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn nicht jetzt,wann dann müssen wir selbstkritisch hinterfragen: Ha-ben wir Fehler gemacht? Was müssen wir tun, um glaub-würdige Antworten und Veränderungen anzubieten?
Vermitteln wir zu viel reines Faktenwissen statt An-regungen zum Denken? Sprechen wir die Sprache derMenschen? Werden wir verstanden, und verstehen wir?Dabei spielt das Internet eine wachsende Rolle. Wiegehen wir mit den Gruppendynamiken des Internet um?Im Internet bleiben Gruppen unter sich. Dank der Algo-rithmen von Google und Facebook finden sie im Netzständige Selbstbestätigung. Immer mehr Menschen kli-cken weg, was nicht ins eigene Weltbild passt – auchmanche Abgeordnete –, oder verunglimpfen anonym imNetz.Einer der fatalen Fehler ist die Fixierung auf Leucht-türme und das Abschreiben des Restes des Landes.
Die derzeitige Verteilung von Exzellenz- und For-schungsmitteln verschärft die Spannung zwischen denLeuchttürmen und dem Rest. Die Fortschreibung derExzellenzinitiative dient längst nicht mehr der Förderungneuer Exzellenz, sondern wird zum Dauerzuschuss fürdie derzeitigen Nutznießer. Diese planen jetzt langfris-tiger, aber die anderen Hochschulen haben Pech gehabt.In Zahlen bedeutet dies: Baden-Württemberg erhältpro Jahr und Einwohner 8,16 Euro Exzellenzmittel,Sachsen-Anhalt dagegen 0,0. Und meine Heimat Thürin-gen kann je Einwohner und Jahr ganze 69 Cent Exzel-lenzmittel nutzen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schipanski?
Ja.
Nein, Herr Kollege, ich komme nicht mit Thürin-
gen. – Aber wenn Sie von Leuchttürmen sprechen und
sagen, dass Sachsen-Anhalt nichts bekommt, frage ich
mich, ob Sie die Zahlen kennen und wissen, dass wir ein
Programm „Unternehmen Region“ haben, dessen Mittel
in Höhe von 161 Millionen Euro in diesem Haushaltsjahr
nur in die neuen Länder fließen,
und dass wir Hochschulen haben, die primär vom soge-
nannten ZIM-Programm profitieren, das in diesem Jahr
mit 558 Millionen Euro gefördert wird. Das Gleiche gilt
für das Programm „INNO-KOM“, für das 71 Millionen
Euro vorgesehen sind.
– Hören Sie ruhig zu! Das bildet auch die Grünen.
Des Weiteren bekommt Jena, Ihr Wahlkreis, ein neu-
es DLR-Institut mit der ersehnten 90-Prozent-Förderung
und 7 Millionen Euro im ersten Jahr.
Wieso verschweigt man das? Ist das kein Geld, das in
die neuen Länder fließt, wo vielleicht nicht so viel Exzel-
lenz ausgelebt wird?
Sehr geehrter Herr Kollege Schipanski, das ZIM-Pro-gramm steht allen Bundesländern offen und wird in allenBundesländern reichlich und gut genutzt.
Es ist ein hervorragendes Programm. Zu Ihrer Informa-tion: Wir reden gerade über die Exzellenzinitiative desForschungsministeriums. Das ZIM-Programm ist aberein – sehr gutes – Programm des Wirtschaftsministeri-ums.Zum nächsten Punkt: Selbst wenn jetzt in Jena dasDLR-Zentrum eingerichtet wird, dann steigt der Thü-ringer Anteil an den Exzellenzmitteln von 69 Cent auf72 Cent pro Jahr und Einwohner. Das ist schon etwas,aber es ist bei weitem noch kein Ausgleich der Nachteile.Wenn Sie meiner Rede weiter folgen, dann werdenSie merken, dass mit diesen derzeitigen Maßnahmen dieUngleichgewichte in der Bundesrepublik verschärft wer-den statt verringert. Und – das ist das Problem – dieseUngleichgewichte sorgen dafür, dass sich Regionen ab-gehängt fühlen und dass dort eben nicht mehr mit Argu-menten gearbeitet werden kann, sondern dass das Gefühlder Benachteiligung gegenüber allem anderen überhand-nimmt.
Die Strukturierung von Forschungsgeldern für MaxPlanck, Fraunhofer, Leibniz und Helmholtz ist ähnlich.Das starke Baden-Württemberg musste 2014 nur 30 CentEigenmittel einsetzen, um 1 Euro Bundesforschungs-geld zu erhalten. Das wirtschaftlich schwächere Rhein-land-Pfalz braucht 91 Cent Eigenmittel für 1 Euro Bun-desgeld. Thüringen benötigt 79 Cent. Diese Nachteilemüssen abgeschwächt werden, statt sie zu verschärfen.
Ralph Lenkert
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Die Linke fordert: weniger Exzellenzförderung undstattdessen mehr Grundfinanzierung für die Hochschu-len.
So macht es das rot-rot-grün regierte Thüringen vor. Essteigert jetzt die Grundfinanzierung seiner Hochschulenum jährlich 4 Prozent: ein Vorbild für die Bundesrepu-blik.
Wir fordern zusätzliche Forschungsmittel für die For-schung in benachteiligten Regionen. Außerhalb der Bal-lungszentren unserer Republik ist Landwirtschaft oft dieeinzige Einnahmequelle. Das zeigt ein ausführliches Bei-spiel aus diesem Bereich.Alle Leibniz-Landwirtschaftsforschungseinrichtun-gen sind außerhalb der großen Zentren: In Dummerstorf/Mecklenburg ist das Institut für Nutztierbiologie, in Pots-dam-Bornim das Institut für Agrartechnik und Bioöko-nomie, in Müncheberg/Brandenburg das Zentrum fürAgrarlandschaftsforschung, und das Institut für Gemüse-und Zierpflanzenbau, IGZ, ist in Großbeeren/Branden-burg und Erfurt/Thüringen. 1998 wurden alle in Leibnizintegriert. Leider ist die Agrarforschung nicht nobelpreis-verdächtig, und das ist ein Problem. All diese Institutestehen wegen nicht ausreichender wissenschaftlicher Be-deutung für die Leibniz-Gemeinschaft auf der Kippe.
Das IGZ in Erfurt wird bereits abgewickelt. Die Bauern-höfe, der Gartenbau und die Agrarunternehmen brauchenwissenschaftliche Unterstützung bei der Anpassung anden Klimawandel, für neue Anbaumethoden ohne Gen-technik und mit weniger Chemie sowie für eine artge-rechte Tierhaltung.
Die genannten Institute leisten genau dies hervorragend.Aber gerade deshalb erfüllen sie nicht die Evaluierungs-auflagen der Leibniz-Gemeinschaft.
Bevor Deutschland die Agrarforschung verliert, solltenwir den Vorschlag meiner Kollegin Tackmann umsetzen:Befreien wir die Leibniz-Gemeinschaft von der Agrar-forschung! Überführen wir die genannten Institute inklu-sive deren Budgets in eine neu zu gründende Akademiefür Landwirtschaft!
Thüringen wird die Bundesregierung bei der Überfüh-rung des IGZ unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wennSie den Klimaplan und die Energiepolitik der Bundesre-gierung mittragen, dann wird spätestens 2050 eine Erd-gasnutzung unmöglich und Fracking überflüssig.
Herr Kollege Lenkert, gestatten Sie zum Schluss Ihrer
Redezeit eine Zwischenfrage des Kollegen Lengsfeld?
Nein. Es reicht.
Abgesehen von den Gefahren der Frack-Chemikalien
für Grundwasser und anderen Risiken ergibt es keinen
Sinn, 4,75 Millionen Euro für eine Geschäftsstelle zur
Fracking-Bewertung und Bürgerkommunikation auszu-
geben. Streichen wir diesen Posten und nutzen das Geld
für die Gründung einer Akademie für Landwirtschaft.
Bildung ist mehr als Wissen. Sorgen wir dafür, dass
nicht das reine Eintrichtern, sondern Bildung mehr Raum
gewinnt.
Vielen Dank.
Der Kollege Lengsfeld hat die Gelegenheit zu einer
Kurzintervention.
Überhaupt nicht. – Vielen Dank, Herr Präsident. –Herr Kollege Lenkert, es ist sogar besser, dass ich mei-ne Bemerkung am Ende Ihrer Rede machen kann. Ichverstehe zwar, dass Negativismus zur DNA der Links-partei gehört. Aber ich hätte mir schon gewünscht, dassder Abgeordnete Ralph Lenkert als Mitberichterstatterfür den Bereich Technikfolgenabschätzung wenigstenserwähnt hätte, dass wir nach 25 Jahren und intensivenDiskussionen – das war keine leichte Übung – beim Etatdes Büros für Technikfolgen-Abschätzung eine deutlicheAnpassung vorgenommen haben, und zwar im Konsensund über alle Fraktionsgrenzen hinweg.
Obwohl es formal nicht zu diesem Etat gehört, ist es dochunser Bereich. Ich hätte mich gefreut, wenn es erwähntworden wäre. Aber vielleicht ist das zu positiv für dieLinkspartei.
Ralph Lenkert
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Herr Kollege Lenkert, Sie haben die Möglichkeit, da-
rauf zu erwidern.
Vielen Dank, Herr Kollege Lengsfeld, für Ihre Kurz-
intervention, die mir Gelegenheit gibt, Ihnen an dieser
Stelle zuzustimmen. Meine Redezeit war leider zu Ende
bzw. zu knapp bemessen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Haushäl-
tern danken für die Aufstockung des Etats des Büros für
Technikfolgen-Abschätzung, das sich unter anderem mit
dem Thema befasst, wie über künstliche Computerpro-
gramme im Internet, über Social Bots, Meinungen beein-
flusst werden können und wie wir damit umgehen sollen.
Es gab eine sehr gute Zusammenarbeit der Kolleginnen
und Kollegen. Dafür möchte ich den Kolleginnen und
Kollegen sowie insbesondere den Haushältern danken.
Ich danke auch Ihnen, Herr Lengsfeld, für Ihre Kurzin-
tervention, die mir Gelegenheit gegeben hat, diesen Dank
auszusprechen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ernst Dieter
Rossmann für die SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esmacht den Reiz von Haushaltsberatungen aus, dass siezwischen dem ganz Konkreten und dem sehr Grund-sätzlichen hin- und herwechseln können. Ich gehe nunmehr auf das Grundsätzliche ein. Ich möchte an das an-knüpfen, was die Regierung und die Koalition bei ihrerGewichtung zugunsten von Bildung und Forschung inden letzten vier Jahren getragen hat, und vier Grundsätzenennen.Der erste Grundsatz ist: Wir sind deshalb so stark inBildung und Forschung, weil wir es nicht nur im Bil-dungs- und Forschungshaushalt sind. Vielmehr handeltes sich hier um eine Aufgabe der gesamten Regierung.Um aufzunehmen, was Kollege Schipanski gesagt hat:Das Wirtschaftsministerium hat über das DLR sechs zu-sätzliche Forschungsinstitute angestoßen, zwei im Osten,drei im Norden, eines im Süden. Das hat zudem eine aus-gleichende Funktion.Weil wir Frau Kramme dort sehen: Frau Nahles ist ak-tiv in der Weiterbildung, was sehr wichtig ist, ebenso wiein der Flüchtlingsintegration und in nachgeholter Bildungfür bis dahin nicht mit der zweiten, dritten Chance positivIdentifizierte. Frau Ferner, Sie haben bei Flüchtlingen inSachen C1 dafür gesorgt, dass sie den Hochschulzugangbekommen. Sie machen sehr viel in Bezug auf Bildungund Sprachförderung für Kinder, die in der Kindertages-stätte sind. Diese Ganzheitlichkeit macht diese Regie-rung und die Bildungs- und Forschungspolitik so stark,weil sie in alle Ressorts hineinspielt und alle Ressorts sieaufnehmen,
und unser Haushalt trägt das dann mit 3,7 MilliardenEuro obendrauf als Haushalt des Leit-Ministeriums nachvorn.Das Zweite. Es muss nachhaltig, verlässlich und dyna-misch sein. Deshalb zur Größe des Pakts für Forschungund Innovation – 3 Prozent Zuwachs, 5 Prozent Zu-wachs, 3 Prozent Zuwachs –: Wenn wir ihn durchfinan-ziert haben, dann geben wir 5,8 Milliarden Euro in eineverlässliche Gestaltung – zwar nicht durch das Ministe-rium. Jedenfalls schaffen wir dort auch eine Dynamik.Da gebe ich Frau Hübinger und Herrn Schulz recht: Dasmuss weitergeführt werden. Da können wir nicht auf 1oder 2 Prozent zurückgehen, da müssen wir mindestensweiter bei 3 Prozent für die Zukunft liegen. Wenn wir denHochschulpakt ins Auge fassen: Da geben wir 20 Milli-arden Euro seitens des Bundes, 2,4 Milliarden Euro imJahr. Und wenn der Hochschulpakt ausläuft, müssen wiralle wissen: Jedenfalls die SPD will es konstant fortge-setzt haben. Es darf nicht in den Sollüberschuss oderanderswo hineinfließen, sondern es muss an den Hoch-schulen bleiben können – zur Stabilisierung, zur verläss-lichen, dynamischen Stärkung des Hochschulwesens inDeutschland.
Mein dritter Punkt. Da muss man auch mit anderenzusammenarbeiten können, und man muss auch gönnenkönnen. Herr Rachel, deshalb freuen wir uns über denPakt für wissenschaftlichen Nachwuchs. Da darf sich anerster Stelle das Parlament freuen, weil es dazu die Ini-tiative ergriffen hat. Dass die Ministerin es gut umgesetzthat, freut uns auch.
Dieser Geist, auch gönnen zu können und koopera-tiv miteinander umzugehen, ist wichtig in Bezug auf dieBund-Länder-Gestaltung; denn das macht auch die Stär-kung der Bildungs- und Forschungspolitik mit aus. Haus-hälter haben ausgerechnet – Frau Hübinger, ich glaube,bei Ihnen habe ich die Zahl gehört –: 43 Milliarden Eurosind in dieser Legislaturperiode als Entlastung an dieLänder und Kommunen geflossen. Mit dem, was jetzt dieMinisterpräsidenten mit der Kanzlerin vereinbart haben,sollen noch einmal 10 Milliarden Euro an die Länderfließen. Das ist doch auch gut für Bildung und für For-schung; denn wenn wir uns ehrlich machen, dann wissenwir, wo die entscheidenden Finanzierungen für Bildungund Forschung in der Breite stattfinden. Um es nur nocheinmal bei Bildung in Erinnerung zu rufen: 53 Prozentder Aufwendungen übernehmen die Länder, 19 ProzentPrivate und Wirtschaft, 15 Prozent Kommunen, 13 Pro-zent Bund.All das, was wir an die Länder und Kommunen geben,wird von denen ja auch anteilig in mehr Lehrerstellen, inmehr Strukturförderung, auch in die Bildungseinrichtun-gen hinein, umgesetzt. Deshalb ist es gut – da greife ichden vierten Punkt auf –, dass jetzt die Bundesregierung
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in Sachen Gestaltung etwas sehr Konkretes aufgegriffenhat. Wir müssen bei der Bildungs- und Forschungspolitikauch immer die Bundesgestaltung hochhalten, weil sie zuzielgerichteter Politik führt.Aber nun hat mich eines gewundert: Gestern habenwir hier eine Debatte erlebt – die Grünen wissen, waskommen könnte –, zu der unser Fraktionsvorsitzender al-les Wesentliche gesagt hat, was Herr Kauder dann nocheinmal getoppt hat, indem er gesagt hat, es wundere ihndoch, dass die Grünen nicht ihren einzigen Ministerprä-sidenten mit verteidigen würden. Mich wundert bei derheutigen Debatte, dass die Vertreter von CDU/CSU – seies aus Regierung oder Parlament – nicht mit einem Wortdas verteidigen, was diese Bundesregierung mit 3,5 Mil-liarden Euro gezielter Förderung für Bildung und Schul-infrastruktur in finanzschwachen Kommunen machenwill. Herr Kauder, Sie dürfen sich auch selbst verteidigenfür das, was Sie jetzt gut mit auf den Weg bringen wollen:
3,5 Milliarden Euro als Investitionsförderung für finanz-schwache Kommunen, damit dort Schulinfrastruktur ver-bessert werden kann. Wenn Sie es nicht verteidigen – unsmacht es nichts aus; denn es wird auf jeden Fall kommen.
Es wird kommen. Es wird den Gesichtspunkt sozialerGerechtigkeit in die Bildungsförderung hineinbringen.In diesem Sinne ganz selbstbewusst: Die SPD hatdiese vier Jahre Haushaltspolitik mitgestalten können.Wir werden ganz sicher auch weiter Haushaltspolitik fürBildung und Forschung in Deutschland mitgestalten kön-nen, und wir verteidigen auch alles Gute, was wir dortmachen.Danke schön.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Kai Gehring.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Letzte Woche war ich in einer Grundschule in meinerHeimat Essen anlässlich des bundesweiten Vorlesetags,der alljährlich großartigen Aktion der Stiftung Lesen. EinPferd namens Milchmann habe ich vorgelesen. Die Viert-klässler waren begeistert und haben mich mit Fragen ge-löchert: Was tun Sie für den Tierschutz? Was macht derBundestag für Flüchtlinge? Wie sieht Ihr Arbeitsalltagaus? Bei den Kids waren mir gute und ehrliche Antwor-ten ganz besonders wichtig.Bei einer Frage war das besonders schwer, nämlich:Was macht der Bundestag für Schulen? Der eine oderandere hier im Haus hätte wohl mit ordnungspolitischenGrundsätzen oder föderaler Prinzipienreiterei geantwor-tet. In leichter Sprache: Is’ nicht meine Aufgabe. – Aberdas ist aus meiner Sicht weder eine gute noch eine ehrli-che Antwort.
34 Milliarden Euro beträgt der Sanierungsstau an denSchulen, schätzt der Deutsche Städte- und Gemeinde-bund – eine gewaltige Summe, zweimal so viel wie derBund 2017 für Bildung und Forschung insgesamt aus-geben will. Allein schon vor diesem Hintergrund ver-blassen die großen Aufwüchse der Bildungs- und For-schungsausgaben der letzten 15 Jahre.
Dieser krasse Sanierungsstau treibt mich um, und dasmuss auch eine Bundesbildungsministerin Wanka end-lich umtreiben, sonst soll sie sich nur noch Forschungs-ministerin nennen.
Die erwähnte Grundschule in Essen war auch dankSchüler-, Eltern- und Lehrerengagements durchaus gut inSchuss. Aber anderenorts wird in Räumen unterrichtet, indie es hineinregnet, in denen der Schimmel blüht und wodie Kinder sich ekeln, auf die Toilette zu gehen. So etwasmuss schnell geändert werden.
Wenn das Problem so flächendeckend und so milliar-denschwer ist, dann bringt man Eltern und alle Steuer-zahler mit Aussagen wie „Das ist nicht meine Aufgabe“zu Recht in Rage. Mit einem Investitionsstau in dieserGröße wird Deutschland kein Innovationsspitzenreiter.
Wir müssen mehr investieren in gute Bildungsinfrastruk-tur von der Kita bis zur Volkshochschule.Wir haben konjunkturelles Glück: keine Massenar-beitslosigkeit und Steuerüberschüsse. Das ist eine guteAusgangslage, Deutschland zu modernisieren und diekrasse soziale Kluft auch durch mehr Bildungsgerechtig-keit endlich zu kitten.
Umso enttäuschender ist es, dass Union und SPD die-se gute Ausgangslage wenig nutzen; sie versemmelnvielmehr eine Chance nach der nächsten. Sie haben dieChance verpasst, mit uns gemeinsam das unsäglicheKooperationsverbot in der Bildung gänzlich abzuschaf-fen. Entscheidend ist doch, dass Kinder und Jugendlichebundesweit von guter Bildung profitieren, unabhängigvon ihrer sozialen und regionalen Herkunft, ob mit deut-schem Pass oder mit Fluchterfahrung.
Dr. Ernst Dieter Rossmann
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Deswegen wollen wir, dass Bund, Länder und Kom-munen für die Bildung unter Wahrung der Länderhoheitgemeinsam Verantwortung übernehmen können, koope-rativ statt konfrontativ. Bildung integriert und stimuliert;daher dürfen Chancen nicht von der Postleitzahl abhän-gen.
Sie haben die Chance verpasst, für bessere Infrastruk-turen in Bildung, Ausbildung und Hochschulen zu sor-gen. Wir wollen gute Infrastrukturen für die Wissensge-sellschaft und stärker in diese investieren. Wir haben imHaushalt ein 10-Milliarden-Euro-Sanierungsprogrammfür die Schulen und ein Sanierungsprogramm in gleicherHöhe für die Universitäten und Fachhochschulen vorge-schlagen. Das sollte gemacht werden, das brächte Fort-schritt.
Sie haben die Chance verpasst, das BAföG nachhaltigzu stärken. Ihre Reform hat jahrelanges Nichtstun undNullrunden lediglich leidlich kompensiert. Ein Plus fürStudierende und ein Plus für Bildungsgerechtigkeit, dasgeht anders. Wir wollen dagegen das BAföG noch 2017um 10 Prozent erhöhen und danach regelmäßig und auto-matisch. Das muss jetzt kommen.
Sie haben die Chance verpasst, die Forschung von klei-nen und mittleren Unternehmen zu stimulieren. Die In-vestitionsaktivität der KMU fällt seit Jahren. Wir wollenihnen einen Steuerbonus gewähren. Das wollen auch IhreWahlprogramme, Ihre Expertenkommission Forschungund Entwicklung und auch unser aller Alterspräsident,Herr Riesenhuber. Die steuerliche Forschungsförderungendlich zu beschließen, wäre ein Push für F-und-E vonKMU und eine Weihnachtsfeier für uns Grüne und HerrnRiesenhuber.
Es ist eine verpasste Chance, bei der Forschungsförde-rung alleine auf Hightech zu fokussieren anstatt auf diegroßen globalen Herausforderungen. Demografie, Kli-makrise, Energiewende sind im vollen Gange, und dasbeschäftigt die Leute. Von Digitalisierung bis Dekarboni-sierung: Wir brauchen mehr kreative Antworten aus derWissenschaft. Wir wollen die Chancen dieser Verände-rung herausarbeiten und Deutschland ökologisch, nach-haltig und sozial modernisieren.
Im letzten Haushalt dieser Koalition gibt es nix ex-tra für bessere Studienbedingungen oder sichere Karri-erewege für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,sondern Ministerin Wanka hangelt sich von Pakt zu Pakt.Das Problem der stagnierenden Grundfinanzierung derHochschulen lässt sie aber ungelöst. Auch das ist eineverpasste Chance.
Zurück in meine Essener Grundschule. Ein Neunjäh-riger fragte mich: Wie ändert sich die Welt mit PräsidentTrump? – Ich kann nur mutmaßen, war meine Antwort,und ich versuchte, ihn zu beruhigen: Im Bundestag sitztkeine Fraktion, die sich von Vorurteilen leiten lässt undFakten komplett leugnet.
In der Tat, diesen Konsens haben wir weitestgehend. Wirwerden nicht zulassen, dass unter der Parole „Lügenwis-senschaft“ Wissenschaftsfeindlichkeit und postfaktischeDiffamierung von Forscherinnen und Forschern um sichgreifen; denn das macht unser Land kaputt. Wissen-schaftsfreiheit ist ein Wert und ein Kennzeichen einerfreien und demokratischen Gesellschaft hierzulande undweltweit.
Wir stehen inmitten dieser fundamentalen Auseinan-dersetzung, und wir stehen vor der Herausforderung,unser Land gemeinsam zusammenzuhalten. Wir müssender klaffenden sozialen Spaltung mit einem neuen Wohl-stands- und Aufstiegsversprechen entgegenwirken. Derdafür notwendige Bildungsaufbruch steht noch aus. Wirwollen ihn 2017 einläuten, damit unser Land wenigerAbgehängte und mehr Dichter und Denker hervorbringtund damit wir eine starke Demokratie und eine starke so-ziale Marktwirtschaft bleiben.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Albert
Rupprecht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! An dieser Stelle auch von unserer Seiteein herzliches Dankeschön an das Haus für den Haus-halt 2017, verbunden mit einem Dank an die Ministerin.Auch von mir an sie die besten Genesungswünsche! Ichbedanke mich auch bei den Berichterstattern aller Frak-tionen. Ganz besonders bedanke ich mich am heutigenTag bei Anette Hübinger, unserer Haushaltsberichterstat-terin. Sie hat angekündigt, nicht mehr für den DeutschenBundestag zu kandidieren. Das ist heute sicherlich ihreletzte Haushaltsberatung. Liebe Anette, es war immersuperschön und angenehm, mit dir als Haushaltsbericht-erstatterin und als Fachpolitikerin zusammenzuarbeiten.Ein herzliches Dankeschön an dich!
Kai Gehring
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Es ist heute eine besondere Debatte, weil es die letztein dieser Legislatur ist. Es ist aus der Sicht der Unions-fraktion aber auch eine Debatte, in der wir – 2005 kamenwir in die Regierung – auf elf Jahre zurückschauen undin diesem zeitlichen Horizont darstellen können, welchePrinzipien, welche dominanten Elemente und Bausteinewir hatten. Das möchte ich in dieser Debatte über dieaktuelle Situation des Haushalts 2017 hinaus machen.Darüber hinaus möchte ich in die Zukunft schauen. Wirhaben als Fachpolitiker der Unionsfraktion seit der Klau-sur im Frühjahr ein „Ideenpapier 2018“ vorgelegt, dasinzwischen 40 Seiten umfasst und sich tagtäglich weiter-entwickelt. Darin legen wir als Fachpolitiker unsere Vor-stellungen dar, wie wir diesen Bereich in den nächstenJahren gestalten wollen.Zu den Schwerpunkten, zu den prägenden Merkma-len dieses Haushalts gehört natürlich, dass wir im For-schungs- und Bildungsbereich einen massiven finanziel-len Aufwuchs haben – die Zahl wurde genannt –: DerBMBF-Etat ist seit 2005 – ich beziehe mich auf denlangen zeitlichen Horizont, seit wir an der Regierungsind – von 7,5 Milliarden Euro auf 17,6 Milliarden Eurogestiegen. Das heißt, er hat sich mehr als verdoppelt: DieSteigerung liegt bei 133 Prozent.
Ich finde, das ist ein herausragendes Ergebnis.Bevor ich einen Vergleich mit anderen Ländern, aberauch mit einzelnen Bundesländern ziehe, zunächst einVergleich mit den USA, dem Maßstabsland, wenn es umInnovationskraft geht: Die USA forschen in der Tat aufsehr hohem Niveau, auch was die Finanzausstattung be-trifft. Richtig ist aber auch – das erkennt man, wenn mansich die Zahlen anschaut –, dass die Ausgaben im Bun-deshaushalt der USA von 2005 bis 2016, also im besag-ten Zeitraum, um 13 Milliarden Euro gesunken und nichtgestiegen sind; das heißt, sie sind um fast 10 Prozentzurückgegangen. Also: Bei uns sind sie um 133 Prozentgestiegen, in den USA sind sie um 10 Prozent gesunken.Insofern ist es schon eine klare Ansage, wenn wir inGesprächen mit Wissenschaftlern in den USA erfahren,dass sie dort zwar sehr gut forschen können und dass dasNiveau dort hoch ist, dass sie aber mit Neid und Bewun-derung nach Deutschland schauen und sagen: Die Dyna-mik, die ihr habt, haben wir bei uns nicht. – Ich glaube,das kann uns ermutigen.
Zum Vergleich mit den Bundesländern – nur für denBildungsbereich; Frau Gohlke, Sie sagen, wir tun nichtsfür die Bildung –, die originär für die Bildung zuständigsind: In den Jahren 2005 bis 2015 ist der Bundeshaushaltum 112 Prozent gestiegen. Ihrer Meinung nach ist dasnichts. 112 Prozent Steigerung sind nichts? Diejenigen,die originär dafür zuständig wären, die Bundesländer,hatten im selben Zeitraum lediglich eine Steigerung um36 Prozent.
Inzwischen sind Sie im postrealistischen Zeitalter ange-kommen.
Es gibt auch Unterschiede zwischen den Bundeslän-dern. In meinem Heimatland Bayern ist die Welt noch einganzes Stück in Ordnung.
Dort gab es eine überdurchschnittliche Steigerung um54 Prozent, in Nordrhein-Westfalen hingegen eine un-terdurchschnittliche Steigerung um lediglich 35 Prozent.
Wer behauptet, die Länder und Kommunen seienklamm, der Bund hätte ja das Geld, der sollte die Reali-täten und Fakten zur Kenntnis nehmen; das führt zu einerrealistischen Sicht. Ja, die Steuereinnahmen des Bundessind in diesem Zeitraum um 45 Prozent gestiegen; daswar ein erheblicher Zuwachs aufgrund der wirtschaftlichstarken Situation. Aber die Einnahmen der Länder sindum 51 Prozent und die Einnahmen der Kommunen sogarum 53 Prozent gestiegen. Deswegen ist es nicht primäreine Frage der Steuereinnahmen der jeweiligen Länder,sondern es ist eine Frage des politischen Willens und derPrioritätensetzung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Zahlen beweisen auch, dass das ständige Geschreides linken Blocks hier im Haus,
der Bund müsse endlich etwas für Bildung machen unddeswegen müsse das angebliche Kooperationsverbotendlich weggeräumt werden, nichts anderes als ideologi-scher Blödsinn ist, der mit der Realität überhaupt nichtszu tun hat.
Die Fakten zeigen, dass es im Nachkriegsdeutschlandmateriell nachweislich noch nie so viel Kooperation zwi-schen Bund und Ländern gab.
Die Zahlen, die der Bund für die Bereiche zur Verfügungstellt, in denen er Länderaufgaben in Milliardenumfangübernimmt – –
– Ja, habe ich schon, und zwar gute bayerische Schulen.
Albert Rupprecht
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Was wollen wir – das „Ideenpapier 2018“ werden wirIhnen in den nächsten Wochen gern zum Lesen und zurIdeenanreicherung zur Verfügung stellen – in der nächs-ten Legislaturperiode machen? Wir werden Forschungund Bildung auch künftig, so unsere Vorstellung, stärken.Wir haben lange darüber diskutiert.
– Zuhören, es ist spannend.Bis 2025 wollen wir die Forschungs- und Entwick-lungsausgaben auf 3,5 Prozent des BIP steigern. Daswürde in der Konsequenz für die nächste Legislatur ei-nen zusätzlichen Betrag für Forschung – allein im Bun-deshaushalt – von 8 bis 10 Milliarden Euro bedeuten.
Der zweite prägende Baustein in den letzten elf Jahrenwar die massive Expansion in die Breite. Herr Lenkert,wenn Sie hier das Szenario malen „Nur Spitze und keineBreite“, dann ist das wider jegliche Realität. Dann ken-nen Sie schlicht die Fakten nicht. Die Zahlen belegen es:Seit 2005 ist die Zahl der Studierenden in Deutschlandum 40 Prozent angestiegen, von 1,9 auf 2,7 Millionen.Die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter an denHochschulen ist in dieser Zeit um 60 Prozent gewachsen,
und das in der Breite des Landes, nicht an wenigen Ex-zellenzuniversitäten. An den außeruniversitären For-schungseinrichtungen betrug der Zuwachs bei denwissenschaftlichen Mitarbeitern im selben Zeitraum42 Prozent.
Dieser Anstieg in der Breite unseres Landes wäre nie undnimmer möglich gewesen – wiederum Stichwort: Ko-operation –, wenn der Bund nicht in den letzten Jahrenmit Milliarden Euro Unterstützung geleistet hätte.
Was wollen wir in den nächsten Jahren machen? DerHochschulpakt läuft 2020 aus. Künftig kann es nichtmehr darum gehen, mit Bundesmitteln neue Studienplät-ze zu finanzieren, sondern die freiwerdenden Mittel müs-sen anderweitig verwendet werden:Erstes Motto: Qualität statt Quantität an den Hoch-schulen.
Zweitens. Wir wollen ein dem Tenure-Track-Pro-gramm für die Universitäten analoges Programm für dieFachhochschulen.
Dritter Punkt. Ein Teil der Gelder muss zur Stärkungder beruflichen Bildung umgeschichtet werden.
Wer von Gleichwertigkeit von akademischer und berufli-cher Bildung redet, jedoch die eine mit Milliarden unter-stützt und zu der anderen sagt: „Ihr kriegt noch ein paarKrümel ab“, der meint es nicht ernst. So geht das nicht.Deswegen muss man da auch klare Kante zeigen und sa-gen: Was machen wir, wenn der Hochschulpakt ausläuft,mit den freiwerdenden Mitteln?
Sehr geehrte Damen und Herren, der dritte prägen-de Baustein war die Exzellenz. Denn wir brauchen Ex-zellenz. Ohne wissenschaftliche Spitzenleistung gibt eskeinen Wohlstand. Ohne führende Hochschulen wie Har-vard, MIT oder Stanford gäbe es Facebook, Google undviele andere Unternehmen in den USA nicht. Deswegenbraucht Deutschland wissenschaftliche Breite, ja, aberauch wissenschaftliche Spitze. Sie ist notwendig, wennwir den Wohlstand in Deutschland sichern und erhaltenwollen.
– Das außerdem.Mit der Exzellenzinitiative haben wir 2005 eine Dyna-mik angestoßen, und trotzdem stellen wir 2016 fest, dasskeine deutsche Universität bei den namhaften weltweitenRankings auf einem der ersten 40 Plätze ist.
Lediglich die Max-Planck-Gesellschaft als außeruni-versitäre Forschungseinrichtung spielt ganz vorn in derWeltspitze mit.Deswegen war es richtig, die zeitlich befristete Exzel-lenzinitiative zur dauerhaften Exzellenzstrategie weiter-zuentwickeln. Deswegen war es richtig, dass wir 2009die Alexander-von-Humboldt-Professuren eingerichtethaben und viele andere Maßnahmen ergriffen haben.
Was heißt das für die nächste Legislatur? Um nur weni-ge Punkte zu nennen: Wir brauchen weitere Formate, umdiese Exzellenz auszubauen oder an der Weltspitze mit-zumarschieren, und bestehende Formate müssen gestärktwerden. Deswegen wollen wir die Zahl der AvH-Profes-suren verdoppeln. Wir unterstützen die Einrichtung vonMax-Planck-Schools. Wir wollen ein Spitzeninstitut zurEntwicklung von Algorithmen in gemeinsamer Träger-schaft mehrerer außeruniversitärer und universitärer Ein-richtungen.
Das sind drei Beispiele für Formate, die wir brauchen,um in den einzelnen Fachbereichen auch an der Weltspit-ze dabei zu sein.Albert Rupprecht
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Abschließend, sehr geehrte Damen und Herren: Esgab eine Befragung der britischen Regierung zu der Fra-ge: Welches Land bietet jungen Menschen die meistenChancen?
Wir erinnern uns an die Situation von vor zehn Jahren:5 Millionen Arbeitslose in Deutschland, Jugendarbeits-losigkeit bei 15 Prozent. Wir haben die Jugendarbeitslo-sigkeit auf 6 Prozent im Jahr 2016 gesenkt. Bei der Frage„Welches Land bietet Jugendlichen die meisten Chancen:auf dem Arbeitsmarkt, bei Freiheit, bei demokratischerTeilhabe, bei Aufstiegsmöglichkeiten und im Bildungs-system?“ hat Deutschland in dieser Befragung den Platzeins erreicht.
Das hat mit den Menschen im Land zu tun, sehr ge-ehrte Damen und Herren, aber das hat sehr wohl auchmit dem zu tun, was wir in diesem Haus politisch, auchbildungspolitisch, machen, und darauf können wir stolzsein.Danke schön.
Der Kollege Martin Rabanus spricht als Nächster für
die SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So ein bisschenist man versucht, etwas Ähnliches zu machen, nämlichdie Haushaltsberatung hier mit einem Parteitag zu ver-wechseln,
sei es von der CSU oder von der Linkspartei. Nun sagtOscar Wilde: Widerstehe nie einer Versuchung. Du weißtnicht, ob sie wiederkommt. – Ich ahne, dass, je näherwir an die Bundestagswahl kommen, diese Versuchun-gen wieder entstehen. Deshalb will ich ihr heute nichterliegen, sondern ich möchte gern fokussieren, und zwarauf einen Bereich der Bildungspolitik, der mir besondersam Herzen liegt, der uns auch als Fraktion in besondererWeise am Herzen liegt. Das ist die Weiterbildung.
Es stimmt nicht, liebe Frau Gohlke, dass da nichtspassiert sei. Ganz im Gegenteil: Die Weiterbildung istein wichtiger Teil des Bildungsbereichs; klar. Stichwortewie: „Wirtschaft 4.0“, „Dynamik des Wissens“ legen dasnahe und machen es zur Binsenweisheit, dass wir in demBereich arbeiten müssen. Wir haben das getan – als Frak-tion und als Koalition, und zwar in allen Bereichen derWeiterbildung: von der Einstiegsqualifizierung, der Al-phabetisierung, der Grundbildung – die Stichworte sindgenannt worden – bis hin zur Aufstiegsfortbildung. Mitder substanziellen Reform des Meister-BAföGs habenwir einen wichtigen Beitrag geleistet.
Ich will daran erinnern: 2015 hat der Bundeshaushalt181 Millionen Euro für diesen Bereich vorgesehen; 2017sieht er 264 Millionen Euro vor. Das ist eine Steigerungum 40 Prozent. Das ist nicht nichts, liebe Frau Gohlke.Auch in der Einstiegsqualifizierung wurde vieles ge-tan – darauf hat mein Kollege Ernst Dieter Rossmannschon hingewiesen –, und zwar über Ressortgrenzenhinweg. Das Arbeitslosenversicherungsschutz- und Wei-terbildungsstärkungsgesetz ist ein wichtiger Beitrag zurStärkung der Weiterbildung im Rahmen der Einstiegs-qualifizierung. Dafür haben wir zusätzliche Haushalts-mittel zur Verfügung gestellt, die Jahr für Jahr ansteigenund nach Lage der Dinge im Jahre 2019 die 200-Millio-nen-Euro-Marke überschreiten werden.
Das ist für die Weiterbildung ein großer Schritt nach vor-ne.
Ich könnte weitere Beispiele anführen, will aber nur si-gnalisieren: Wir sind auf dem Weg, und zwar auf einemguten Weg.Ich will stichwortartig drei Punkte für künftige Akti-vitäten im Bereich der Weiterbildung nennen, die uns alsSPD-Fraktion und mir persönlich sehr wichtig sind:Erstens. In einer sozialdemokratisch gestalteten Zu-kunft sind nicht nur die Studierenden an den Hochschu-len von Studiengebühren befreit. In einer solchen Zu-kunft sind auch Meisterschülerinnen und Meisterschülervon den Gebühren für die Meisterkurse befreit.
Zweitens. In einer sozialdemokratisch gestalteten Zu-kunft sind die Förderbedingungen von BAföG und Meis-ter-BAföG nicht nur einander angenähert – das haben wirin dieser Wahlperiode geschafft –, sondern tatsächlichgleich.
Das wollen wir gerne in der nächsten Wahlperiode er-reichen.Drittens. In einer sozialdemokratisch gestalteten Zu-kunft schaffen wir es, über die Feststellung von Berufs-qualifizierungen – auch über informell erworbene – al-len Menschen eine Weiterbildung anzubieten und sie inWeiterbildung zu bringen, die ihnen ein selbstbestimmtesund unabhängiges Leben ermöglicht. Ich betone dabei:alle Menschen, nicht die eine oder die andere Gruppe,schon gar nicht die eine Gruppe gegen die andere Grup-Albert Rupprecht
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pe. Wir brauchen weniger Gegeneinander und mehr Mit-einander.
Das ist die Aufgabe, die wir in diesem Land erledigenmüssen. Dann haben wir eine Perspektive, die uns wei-terbringt.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU spricht jetzt Sven
Volmering.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Dramatiker Christian Friedrich Hebbelsagte einmal:Es gibt Leute, die nur aus dem Grunde in jeder Sup-pe ein Haar finden, weil sie, wenn sie davor sitzen,so lange den Kopf schütteln, bis eins hineinfällt.Diese Weisheit passt zur heutigen Oppositionsvorstel-lung, wie ich nun, liebe Frau Gohlke, am Beispiel derdigitalen Bildung zeigen werde.Letztes Jahr haben die Grünen beispielsweise behaup-tet, dass der Bund gar kein Interesse habe, Konsequen-zen aus der Computerstudie ICILS zu ziehen. Nach derVorstellung des Digitalpakts durch Frau Wanka vor demIT-Gipfel wurde es noch ein bisschen grotesker. Da hießes, Deutschland sei ein Entwicklungsland beim Lernen inder digitalen Welt, alles sei verfrühtes Wahlkampfgetöseund die Bildungsministerin lasse die Länder allein.
Zum allerersten Mal, seitdem ich nicht mehr in der Schu-le unterrichte, habe ich mich ernsthaft gefragt, ob Sieüberhaupt aufgepasst haben, was der Bund und die GroßeKoalition in diesem Bereich alles getan haben.
Nach Herrn Kretschmann steht nun auch Frau Löhrmannauf der Liste der Grünen, auf die die eigene Bundestags-fraktion nicht hört; denn Frau Löhrmann hat den Digital-pakt von Frau Wanka gelobt.Zur Erinnerung: Im Juli 2015 hat der Bundestag aufAntrag der Koalition Bund und Länder beauftragt, eineStrategie „Digitales Lernen“ zu entwickeln. ProfessorEickelmann, eine der Hauptverantwortlichen für dieseinternationale Computerstudie, sagte bei der entspre-chenden Anhörung im Ausschuss dazu:Die Maßnahmen, die in dem Antrag verschriftlichtworden sind, sind wirklich zielführend und zumgroßen Teil wirklich das, was wir aus der Wissen-schaft auch genauso empfehlen würden.Auf dieser Grundlage haben dann Bund und Ländergearbeitet. Nachdem Frau Wanka ihre Offensive vorge-stellt hat, werden die Länder am 8. Dezember nachzie-hen. Diese Konzepte müssen nun in Einklang gebrachtwerden. Frau Bogedan beispielsweise setzt eine Zielmar-ke, indem sie vom Jahr 2018 spricht. Von daher sind wirjetzt in der Situation, dass die Bundesländer unabhängigvon der Bundestagswahl 2017 aufgefordert sind, denBall, den Frau Wanka ihnen butterweich zugespielt hat,im Tor zu versenken.Die Bedingungen sind klar: Sie müssen pädagogischeKonzepte liefern, die Aus- und Fortbildung von Lehrernmuss gestärkt werden, und sie müssen gemeinsame tech-nische Standards umsetzen. Die CDU/CSU legt dabeisehr großen Wert darauf, dass es Bundesgeld nur danngibt, wenn klare Kriterien, Verfahren sowie Kontroll-und Sanktionsmöglichkeiten mit den Ländern festgelegtwerden. Dass die Länder, wie beim BAföG, die Gelderzum Stopfen von Haushaltslöchern zweckentfremden,werden wir beim Digitalpakt nicht zulassen.
Das Geld soll nicht für die Länderfinanzminister, sondernfür die Schulen und die Zukunft unserer Kinder sein.Nun, da wir erkannt haben, dass die Digitalisierungdes Bildungssystems eine sehr notwendige Maßnahmefür unser Land, für unsere Zukunftsfähigkeit ist, darf esnicht dazu kommen, dass die Debatte zur Umsetzung alsSteigbügelhalter genutzt wird, um weitere Milliardenpa-kete für andere Bereiche der Bildungspolitik zu fordern.Die Länder müssen schon noch ihre eigenen Hausaufga-ben machen.
So können sie beispielsweise jedem Schulkollegium zu-mindest mal eine Digitalfortbildung finanzieren. Einevernünftige Fortbildung in diesem Bereich kostet zwi-schen 1 500 und 2 000 Euro. Die Länder müssten in derLage sein, die 60 bis 80 Millionen Euro, die das kostenwürde, zu stemmen. Im Übrigen weist beispielsweiseauch das SPD-geführte Wirtschaftsministerium in seinerBildungsbroschüre darauf hin, dass es bereits jetzt mög-lich ist, Bundesgelder aus dem 4-Milliarden-Euro-Breit-bandförderprogramm sowie aus der Digitalen Dividen-de II – in Höhe von 600 Millionen Euro – für digitaleBildung zu erhalten. Die 3,5 Milliarden Euro für Schul-sanierungen hat Herr Rossmann gerade erwähnt. Dasalles geht ohne Grundgesetzänderung, die hier wie einFetisch wirklich in jeder Debatte angeführt wird.Jedem Skeptiker, der wirklich meint, es passiere zuwenig, sei ein Blick in die BMBF-Broschüre zur digita-len Bildungsoffensive empfohlen. Es sind wirklich alleBildungsbereiche abgedeckt. Digitale Bildung spielt eineRolle beim Programm „Kultur macht stark“; sie wird beider Qualitätsoffensive Lehrerbildung ausgebaut. Es gibtzahlreiche Wettbewerbe. Es gibt die Förderbekanntma-chung „Erfahrbares Lernen“. Die Initiative Berufsbil-dung 4.0 ist schon mehrmals erwähnt worden. Es gibt dasF-und-E-Programm „Zukunft der Arbeit“; es wird dauer-Martin Rabanus
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haft mit über 1 Milliarde Euro gefördert. Das Hochschul-forum Digitalisierung legt nächste Woche Vorschläge vor.Es gibt die Förderbekanntmachung „Medienbildung 2“,den Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hoch-schulen“. Digitale Bildung wird in den Bildungsberichtaufgenommen. Wir fördern eine OER-Informationsstel-le. Wir starten ein Schul-Cloud-Pilotprojekt. Es wird einInternetinstitut geben. Wir werden bis zu 20 Kompe-tenzzentren für Digitalisierung einrichten. – Diese Maß-nahmen, verehrte Kollegen der Opposition, haben dochnichts mit einem Entwicklungsland zu tun, sondern sindAusdruck unseres Ziels, die Chancen der Digitalisierungin Deutschland erfolgreich zu gestalten.
Ja, manches dauert seine Zeit; aber Gründlichkeit gehtvor Schnelligkeit.
Wenn Sie den Digitalpakt kritisieren, dann stellen Siesich in eine Reihe mit Herrn Spitzer, der gesagt hat, dassei eine Maßnahme zur Verdummung. Wenn Sie mitHerrn Spitzer in einer Reihe stehen wollen – herzlichwillkommen in dieser Reihe! Wir, die CDU/CSU, stehenfür Zukunft; Sie stehen für Herrn Spitzer.Zum Abschluss eine Anmerkung in Richtung HerrnHeil, der am Sonntag getwittert hat: „16 Jahre Merkel?Warum eigentlich? Und wofür?“ Die Antwort ist auchaus bildungs- und forschungspolitischer Sicht sehr ein-fach: Damit wir weitere vier Jahre einen ausgeglichenen,generationengerechten Bundeshaushalt mit steigendenBildungs- und Forschungsausgaben haben. Rot-Rot-Grün wird das nämlich mit Sicherheit nicht hinbekom-men.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Dr. Simone Raatz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist ja schön, dass wir eine sehr lebendigeund teilweise auch sehr laute Debatte haben. Ich denke,dass mein Redebeitrag ein bisschen zur Ruhe beitragenwird.Ich starte mit einem Satz aus dem aktuellen Jahresbe-richt zum Stand der Deutschen Einheit, der uns kürzlichvon Iris Gleicke vorgelegt worden ist:Der Erfolg von Volkswirtschaften, Regionen undUnternehmen hängt im 21. Jahrhundert wesentlichvon der Innovationskraft ab.Ich denke, das ist keine ganz neue Weisheit, aber einwichtiger Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen; denngerade wir in Deutschland sind in hohem Maße vomtechnologischen Fortschritt abhängig. Doch wenn wiruns die Innovationsintensität unserer kleinen und mittel-ständischen Unternehmen anschauen – Herr Rachel, aberauch Herr Gehring sind teilweise darauf eingegangen –,dann stellen wir fest, dass sie seit Jahren rückläufig ist.Insbesondere bei jungen KMUs sanken die Innovations-ausgaben in den letzten Jahren deutlich. An dieser Stellehat unser Bildungs- und Forschungsetat die sehr wich-tige Funktion, diesem Negativtrend etwas entgegenzu-setzen. Ich denke, dass die eben von Herrn Gehring an-gesprochene steuerliche Forschungsförderung nicht dasNonplusultra ist,
auch wenn das Thema immer wieder angeführt wird, umdie Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen zu ge-währleisten.
– Ich möchte jetzt nicht lauter sprechen; ich habe auf diesehr laute Debatte verwiesen. Lassen Sie uns in künftigenDebatten sachliche Argumente austauschen.
Rein quantitativ geht unser Haushalt in die richtigeRichtung. Viele haben die Zahl schon erwähnt: Wir stel-len mehr als 17,6 Milliarden Euro allein für Bildung undForschung zur Verfügung. Das ist einfach großartig. Ichfinde, das kann man an dieser Stelle ruhig noch einmalsagen.
Doch wir müssen die Mittel auch so einsetzen, dass diegewünschten Innovationsprozesse angeschoben werdenund auch bei den Menschen in unserem Land ankommen.Was wir meines Erachtens in Zukunft brauchen, istein klares Bekenntnis zur sogenannten Third Mission,der dritten Aufgabe unserer Wissenschaft. Neben Leh-re und Forschung muss der Transfer von Innovationenin Wirtschaft und Gesellschaft zur selbstverständlichenAufgabe unserer Hochschulen und außeruniversitärenForschungseinrichtungen werden. Hier gibt es nicht nurNachholbedarf; vielmehr braucht es einen grundlegen-den Kulturwandel. Wenn die durchschnittliche Unter-nehmensgröße in Ostdeutschland – das muss man sichwirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen – neunPersonen beträgt und die Unternehmen seit über 15 Jah-Sven Volmering
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ren nicht wachsen, dann macht das doch deutlich, wiewichtig an dieser Stelle der Wissenstransfer ist.
Der vorliegende Haushalt versucht, dem an wichti-gen Stellen mit deutlichen Mittelaufwüchsen Rechnungzu tragen. So erhöhen wir die Mittelansätze für beson-ders transferfreundliche und anwendungsbezogene For-schung. Allein die Fraunhofer-Gesellschaft wird in dennächsten Jahren 68 Millionen Euro mehr bekommen,nicht nur 60 Millionen Euro, wie viele Kollegen hiergesagt haben, da wir den Pakt für Forschung und Inno-vation und den automatischen Aufwuchs von 3 Prozentmit berücksichtigen müssen. 68 Millionen Euro mehr proJahr, das ist doch was. Ich denke, damit kann man etwasanfangen.
So sollen aktuelle Forschungsthemen wie zum Beispieldie Batterieforschung nachhaltig gestärkt und der Wis-senstransfer gesichert werden. Ich glaube, es ist ganzwichtig, den Fraunhofer-Instituten mehr auf die Fingerzu schauen, als wir das bisher gemacht haben.Darüber hinaus wird auch das Wirtschaftsministeriumim kommenden Jahr seine Programme zur Forschungs-förderung ausweiten. Mein Kollege Schipanski wird da-rauf noch eingehen; er hatte ja schon in seiner Frage dazueiniges untergebracht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tragen mitdiesem Haushalt nicht nur dem Bedarf an technischemFortschritt Rechnung. Vielmehr müssen wir auch im Be-reich der Geistes- und Sozialwissenschaften den Transferausbauen. Es ist sicher nicht nur für uns zutiefst beun-ruhigend, dass wissenschaftliche Erkenntnisse scheinbarnicht mehr zu allen Menschen durchdringen und plattenParolen mehr Glauben geschenkt wird; Herr Rachel hatdazu schon einiges gesagt. Daher begrüße ich es außer-ordentlich, dass wir mit diesem Haushalt auch Mittelbereitstellen, um die gesellschafts- und sozialpolitischeForschung durch den Aufbau eines neuen Instituts für ge-sellschaftlichen Zusammenhalt in Sachsen zu stärken; ichmöchte nicht vertiefen, warum ich das gerade in Bezugauf Sachsen als sehr zielführend erachte. Im kommendenJahr werden 1 Million Euro zur Verfügung gestellt – dasist ein guter Start –, in den Folgejahren 36 MillionenEuro. Ich glaube, da kann etwas draus werden. Im Übri-gen: Wenn wir das Konzept für dieses Institut demnächsterhalten könnten – ich blicke in Richtung BMBF –, dannwäre das sehr schön.
Frau Kollegin Raatz, es wäre jetzt auch schön, wenn
Sie zum Schluss kommen würden.
Ja, ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir sind auf dem richtigen Weg zu mehr Trans-
fer von Innovationen in Gesellschaft und Wirtschaft. Wir
müssen diesen Weg in Zukunft weitergehen und noch et-
was entschlossener agieren.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Tankred
Schipanski, CDU/CSU-Fraktion.
Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Kollege Rossmann hat es gesagt:Die Haushaltsdebatte ist dazu da, um auch einmal etwasgrundsätzlicher auszuführen. Das will ich tun, und zwarbei zwei Themen: Chancengerechtigkeit und Bund-Län-der-Finanzvereinbarung, die schon angesprochen wurde.Zu Beginn muss ich aber auf das „postfaktische Zeit-alter“ eingehen. Ich dachte, wir hätten das gestern mitSahra Wagenknecht erlebt, aber heute haben wir das vonIhrer Seite, liebe Frau Gohlke und Herr Lenkert, wiedererleben müssen. Ich kann Sie nur ermahnen, nicht wiedie AfD mit Populismus und Propaganda Unsicherheitbei den Leuten zu schüren. Das, was da betrieben wird,ist unmöglich. Ich glaube, die Redner aller anderen Frak-tionen haben die Fakten zum Bereich „Bildung und For-schung“ hier dargelegt.
Noch etwas in Richtung der Linken. Herr Schulz hatgesagt, dass wir die Forschung im Bereich der Sozial-und Geisteswissenschaften stärken. Heute wurde abernoch nicht betont, dass wir ganz bewusst einen For-schungsverbund zum Thema SED-Unrecht auflegen. Wirstarten mit 5 Millionen Euro. Das Volumen soll in dennächsten Jahren auf 25 Millionen Euro steigen. Ich haltees für sehr notwendig, dass wir diesen Forschungsver-bund auflegen, insbesondere wenn man sich vor Augenführt, dass die von Rot-Rot-Grün in Thüringen verspro-chene Aufarbeitung nicht stattfindet.
Zum Thema Chancengerechtigkeit. Bei allen Maß-nahmen, die wir im Bildungs- und Forschungsbereich er-greifen, haben wir die Chancengerechtigkeit aller Bürge-rinnen und Bürger im Blick. Das bedeutet, dass wir allengleichermaßen den Zugang zu einem Bildungsangebotermöglichen wollen, den sozial Benachteiligten eine be-sondere Förderung zuteilwerden lassen, aber eben auchden Begabten. Dass das Ganze gelingt, hat unser Nati-onaler Bildungsbericht 2016, über den wir in der letztenPlenarwoche debattiert haben, gezeigt.Wir streben nach Chancengerechtigkeit für alle. Dasheißt aber nicht Ergebnisgleichheit, wie das von Rot-Rot-Grün sehr oft propagiert wird.
Alles Ungleiche abschaffen zu wollen, kann nicht dasZiel von demokratischer Politik sein. In unserer Gesell-schaft spielt das Individuum mit seinen Entfaltungsmög-Dr. Simone Raatz
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lichkeiten glücklicherweise eine große Rolle. Dem wer-den wir in der Bildungspolitik gerecht.
Wer die Ungleichheiten unter den Menschen vonStaats wegen beseitigen will, landet zwangsläufig in Un-terdrückung und Diktatur.
Das stellte Hubertus Knabe in einem Tweet sehr treffendfest. Im Übrigen twitterte er das zum Bundesparteitag derGrünen.
Es muss uns vielmehr darum gehen, die Menschen mitihren individuellen Fähigkeiten bestmöglich zu fördern.Dazu haben wir ein vielseitiges Bildungssystem, beidem es um optimale Bildung geht, aber nicht um gleicheAbschlüsse für jeden. Es geht um Wahlmöglichkeiten. Esgeht um verschiedene Bildungswege. Unser Stichwortlautet: „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Dass das Gan-ze funktioniert, zeigen – Kollege Rupprecht hat es ange-sprochen – die Studierendenzahlen. Der Bund hat sich inder dritten Phase des Hochschulpakts noch einmal betei-ligt und freiwillig 9,9 Milliarden Euro in den Hochschul-pakt investiert. Auch die Mittel für das BAföG erhöhenwir jetzt noch einmal. 2017 geben wir 2,6 Milliarden Eurodafür aus. Auch die Mittel für das Aufstiegs-BAföG, dasehemalige Meister-BAföG, werden um rund ein Viertelauf 265 Millionen Euro erhöht. Das verdeutlicht, wasauch die OECD festgestellt hat: In Deutschland ist Bil-dung für Privatpersonen so erschwinglich wie in kaumeinem anderen OECD-Land. – Das ist ein gutes undwichtiges Zeichen.
Der nächste Themenblock betrifft die Bund-Län-der-Finanzvereinbarung vom 14. Oktober 2016. Da gibtes in der Tat Unterschiede zwischen den Koalitionspart-nern. Ich kann für die Union nur feststellen: Unkondi-tioniertes Geben von Geld ist falsch. „Unkonditioniert“meint: ohne konkrete Bedingungen, ohne konkrete Ziele.Unkonditioniertes Geld kennen wir aus dem Bürgerli-chen Recht. Da heißt es Taschengeld, § 110 BGB. Wirsagen ganz deutlich: Bundesgeld ist kein Taschengeld.
Von daher kann man nicht über jede Entscheidung vom14. Oktober 2016 froh sein. Wir sagen: Geld des Bundesmuss zielgerichtet eingesetzt werden und einen Mehr-wert bringen. Es darf nicht mit der Gießkanne ausge-schüttet werden.Zur Umsetzung dieser Bund-Länder-Vereinbarungbedarf es einer Änderung des Grundgesetzes. Nun wirdviel darüber spekuliert, ob das etwas mit der generellenFrage nach der Zuständigkeit des Bundes für den Bil-dungsbereich zu tun hat, und es wird die Frage nach demvermeintlichen Kooperationsverbot aufgeworfen. Das istein völlig falsches Wort, das Rot-Rot-Grün in dieser De-batte verwendet.
Ein Kooperationsverbot steht nicht im Grundgesetz, aberZuständigkeitsregelungen und eine Aufgabenverteilung.Und „Bundesstaat“ bedeutet kooperatives Zusammen-wirken im Rahmen der Zuständigkeiten und der Aufga-ben. Der Bund kooperiert in einem hohen Maße. AlbertRupprecht hat aufgezeigt, bei wie vielen Pakten der Bunddabei ist. Wir kooperieren also, und da gibt es keine Ver-bote. Aber wir haben Zuständigkeiten und Verantwort-lichkeiten.Die Menschen in Deutschland, meine Damen undHerren, sehen ein ganz anderes großes Defizit, nämlichbei Schulabschlüssen und Schulausbildung. Da fehlt esan einer Vergleichbarkeit der Abschlüsse, an verbind-lichen Bildungsstandards, an Mobilität zwischen denBundesländern. Dieses Defizit kann man nicht mit Ta-schengeld des Bundes beseitigen, sondern nur mit einerreformierten Kultusministerkonferenz bzw. mit einemLänderstaatsvertrag, den wir seit vielen Jahren fordern,um endlich vergleichbare Abschlüsse zu schaffen und ge-meinsame Prüfungsaufgaben und verbindliche Bildungs-standards festzulegen.
– Da kann man klatschen; das ist sehr richtig. – In diesemBereich sind dem Bund nämlich die Hände gebunden. Dahilft auch keine Grundgesetzänderung, um dieses Defi-zit zu beseitigen; das sollten Sie den Menschen ehrlichsagen. Wir brauchen keine Grundgesetzänderung, umin diesen Bereichen besser zu werden. Es braucht einenLänderstaatsvertrag und weiterhin eine koordinierendeRolle des Bundes.
Meine Damen und Herren, am Ende noch eine positi-ve Nachricht, auch mit Blick auf die Bund-Länder-Ver-einbarung: Der Bund hat aus dem BAföG-Desastergelernt und in den Verhandlungen mit den Ländern einKontrollrecht bei der Mitfinanzierung von Länderaufga-ben erstritten. Der Bundesrechnungshof soll künftig auchdie Länderhaushalte prüfen können. Das ist wichtig, unddas ist gut. Da hat die Politik einmal gelernt.In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam-keit.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Rainer Spiering,SPD-Fraktion.
Tankred Schipanski
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! LiebeZuschauerinnen und Zuschauer! Vorab – auch nach die-sen teilweise sehr rhetorischen Ausflügen –: Ich glaube,man muss diesem Haushalt ein großes Kompliment ma-chen. Es ist ein gelungener Entwurf. Ich werde gleich aufein paar Kritikpunkte zu sprechen kommen. Sie gehören,finde ich, dazu; aber man kann sie gemäßigt und in Ruheansprechen.Eine Gruppe von uns ist in Argentinien und Chile un-terwegs gewesen; auch Herr Lenkert und Herr Gehringwaren dabei. Ich glaube, die Komplimente, die wir vomAusland im Hinblick auf die deutsche Forschung bekom-men haben, waren so gewaltig, dass wir ganz glücklichsein können, wie wir da aufgestellt sind. So sollten wirdieses Thema auch behandeln.
Wenn ich noch eine Bemerkung loswerden darf: HerrRupprecht, das ständige Länder-Bashing, vor allen Din-gen mit dem Fokus auf Nordrhein-Westfalen, ist in einerDebatte zum Bundeshaushalt nicht unbedingt dienlich.Ich finde es schade, dass wir uns auf diese Ebene bege-ben.
Heute haben wir den Fokus vor allen Dingen auf dieForschung gelegt; das ist auch gut so. Aber der Aus-schuss heißt ja nicht „Ausschuss für Forschung“, sondern„Ausschuss für Bildung und Forschung“. Ich möchte mitIhnen einen Ausflug in die Berufsbildung mit dem Fokusauf Berufsschulen wagen.Die Berufsschule ist mit 2,5 Millionen Schülern diegrößte eigenständige Sek-II-Schulform, die wir haben.Mich wundert immer wieder, dass wir sie so wenig imFokus haben. Berufsschulen haben einige Hundert bisetliche Tausend Schüler. Die Schule, von der ich kom-me, ein reines Technikum, hat 4 500 Schüler. Ohne die-ses Technikum wäre meine Region wirtschaftlich nichtdenkbar.Übrigens, Herr Rupprecht: Es gibt auch außerhalbBayerns erfolgreiche Regionen in Deutschland. Wir zumBeispiel haben eine Jugendarbeitslosenquote von 3 Pro-zent und eine Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent; beiuns herrscht damit Vollbeschäftigung. Wissen Sie, wo-durch das möglich wurde? Wir haben eine Kooperationzwischen SPD und CDU; seitdem funktioniert das. Ichwäre also sehr vorsichtig, immer Bayern als Vorbild zubezeichnen.
Die Schulform Berufsschule umfasst Berufsfachschu-le, Berufsvorbereitungsschule, Berufsschule, Fachober-schule, Fachgymnasium, Technikerschule und einigesmehr. Der große Vorteil einer Berufsschule ist, dass sieein sozialer Raum ist, der nicht abgegrenzt ist. Wir habenviele Schulformen, in denen soziale Ausgrenzungen oderAbgrenzungen stattfinden. Das ist in Berufsschulen nichtder Fall. Sie ist ein Campus, auf dem sich alle Menschenmit all ihren Betroffenheiten und allen Vorteilen treffen.Die Berufsschule ist von Hause aus integrativ, interaktivund häufig übrigens auch inklusiv, und das tradierend.Ich würde mich freuen, wenn wir der Berufsschule einbisschen mehr Aufmerksamkeit schenken würden. Wirkönnen das allerdings nur dann richtig tun – bei allemRespekt –, wenn wir das Kooperationsverbot abschaffen.
– Ja, das ist schon einen Applaus wert.
Bei der Debatte um Bildung habe ich mit Verwunde-rung festgestellt, dass Frau Wanka jetzt doch den Ansatzzeigt, in die allgemeinbildenden Schulen Geld zu inves-tieren. Das ist eine richtige Entscheidung. Der Finanzmi-nister hat das unterstützt. Erstaunlich aber ist, dass diesder Wirtschaftsminister dieses Landes in der Funktionseines Amtes für einen zentralen Bereich der deutschenBildung einfordern muss. Ich glaube, dass man FrauWanka bei ihren Gedankengängen durchaus noch helfenkann, ihren Fokus mehr auf die Berufsschulen zu legen,weil wir sie als Bildungsstandard brauchen.
Die Berufsschule steht übrigens im Gegensatz zu denanderen Schulformen, die wir haben, in direktem Kon-text mit dem Bundesgesetzgeber. Die Berufsschule hängtdirekt am Berufsbildungsgesetz. Ich kann überhauptnicht verstehen, dass wir in einem zentralen Bereich, indem wir Gesetzeskompetenz haben, nicht dazu in derLage sind, dies dann vor Ort materiell und immateriellzu unterlegen. Da machen wir Fehler, Kolleginnen undKollegen.
„Dual“ bedeutet immer „zwei“. Wir haben hier in allenDiskussionen den Fokus auf den wirtschaftlichen Zweiggelegt. Die materielle Leistung kommt vom Staat. Waswäre eigentlich Berufsausbildung in Deutschland ohneBerufsschulen? Das muss man sich einmal vergegenwär-tigen. Es würde überhaupt nicht funktionieren. Deswe-gen appelliere ich an dieser Stelle an den Staat bzw. anden Bundesgesetzgeber und die Bundeshaushälter: Neh-men Sie Ihre Aufgabe gegenüber den Berufsschulen inDeutschland ernst! Wertschätzen Sie die Arbeit der Kol-leginnen und Kollegen dort! Helfen Sie den Schulen inden schwächeren Regionen mit materiellen Zuweisungendes Bundes, damit diese sowohl im IT-Bereich als auchbei der räumlichen Ausstattung klarkommen!Lassen Sie mich zum Ende kommen. Stärken Sie Be-rufsbildungsforschung! Fördern Sie die Qualitätsoffen-sive für Berufsschullehrer! Verbessern Sie endlich dietechnischen Ausstattungen! Fördern Sie Schulsozialar-beit! Die Berufsschulen sind das Aushängeschild unseresBerufsbildungswesens. Bringen Sie es durch Taten dazu,dass das auch zur Kenntnis genommen wird!
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Danke schön.
Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Oliver Kaczmarek,
SPD-Fraktion, die Gelegenheit, die Debatte zu diesem
Einzelplan abzuschließen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natür-lich dokumentiert der Haushalt die großartigen Leistun-gen der Großen Koalition in dieser Wahlperiode. Dazugibt es unterschiedliche Bewertungen. Ich möchte aberdarauf hinaus, dass er auch Entscheidungen für die Zu-kunft aufzeigt. Dazu möchte ich wenige Beispiele nen-nen.Erstens. Natürlich ist die Lockerung des Kooperati-onsverbots für die Wissenschaft ein Meilenstein in dieserWahlperiode gewesen. Wir sind jetzt in der Tat – HerrRupprecht hat es angesprochen – an der Stelle, wo wirdarüber nachdenken müssen, wie wir die entsprechendeGrundgesetzänderung ausgestalten. Dabei geht der Blickin das Jahr 2020: Der Hochschulpakt sowie der Pakt fürForschung und Innovation laufen aus. Da ist viel Geldim Topf. Wir müssen Klarheit darüber schaffen, wie eseigentlich weitergehen soll. Das ist eine politische Ent-scheidung, eine Entscheidung, die nicht in den Ministeri-en fällt, sondern die Parlamente treffen müssen.
Die Vorstellung der SPD-Fraktion ist, dieses Geldbzw. diese Instrumente in eine dauerhafte, vielleichtleicht geänderte Finanzierungsarchitektur zu überführen;denn die Botschaft muss sein: Dieses Geld ist Geld fürdie Wissenschaft und muss Geld für die Wissenschaftbleiben. Ich war bei Ihrer Ankündigung, Herr Rupprecht,nicht mehr Quantität, sondern nur noch Qualität zu för-dern, etwas verwundert; denn ich glaube, dass das Unsi-cherheit an den Hochschulen schafft, die in den nächstenJahren mit genau diesen Einnahmen planen müssen.
Für die SPD-Fraktion ist klar: Wir wollen nicht nur Ex-zellenz fördern. Wir haben die Exzellenzinitiative. Sieist wichtig; sie wird weiter gefördert und ist dauerhaftgesichert. Aber es braucht doch einen Beitrag zur Brei-tenförderung. Der Bund darf sich nicht aus seiner Ver-antwortung für gleichwertige Lebensverhältnisse verab-schieden.
Zweitens. Ich habe mich, ehrlich gesagt, über die De-batte bezüglich der Lockerung des Kooperationsverbotesin der Bildung gewundert. Ich glaube, dass die Möglich-keit, in Schulen zu investieren, ein großer Durchbruchist, und frage mich, warum alle anderen Fraktionen – au-ßer der SPD-Fraktion – versuchen, das kleinzureden. Dasist ein großer Durchbruch.
Wir werden noch in dieser Wahlperiode darüber ent-scheiden, das Grundgesetz zu ändern, weil alle Minis-terpräsidenten und die Bundeskanzlerin das miteinanderbesprochen und verabschiedet haben. Dann werden wirdie Möglichkeit haben, auch finanzschwache Kommu-nen bei ihren Investitionen in Bildungsinfrastruktur zuunterstützen. Damit verbunden sind 3,5 Milliarden Euro,die wir zusätzlich für die Schulsanierung mobilisierenwollen.
Angesichts der Debatte, die ich hier gehört habe, frageich mich manchmal, ob dieses Geld eigentlich irgendwernicht haben will. Ich glaube, es ist gut angelegtes Geld.Investitionen in Bildungsinfrastruktur bedeuten Investi-tionen in Ganztagsschulen, in das Schaffen von Barri-erefreiheit sowie in digitale Infrastruktur in den Schul-räumen. Das sind Zukunftsinvestitionen. Das ist eineweitreichende Entscheidung, und ich bin froh, dass derBund da zukünftig mithelfen darf.
Dritter Punkt. Ich glaube, in dieser Wahlperiode istdeutlich geworden – das wird auch im Haushalt doku-mentiert –, Chancengleichheit ist wieder ein Schwer-punkt der Bundesbildungspolitik. Das zeigt sich insbe-sondere an der BAföG-Novelle, die in diesem Haushaltja erstmals ihre volle Wirkung entfaltet und ganz realbei den Studierenden ankommt. Es war nötig, dass wirdas gemacht haben, weil die Vorgängerregierung beimBAföG nicht – zumindest nicht substanziell – tätig ge-worden ist.
Wir müssen nun aber auch schauen, wie wir das indie Zukunft transportiert bekommen. Das BAföG istdas wichtigste Instrument zur Herstellung von Chancen-gleichheit, das der Bund hat,
und wir müssen es jetzt noch besser darauf ausrichten,veränderte Lebenslagen und veränderte Bildungsbiogra-fien zu berücksichtigen. Es geht hier um die Berücksich-tigung von vollzeitschulischen Ausbildungen und auchTeilzeitstudien. Die Hochschulrektorenkonferenz hatdazu eine Empfehlung ausgesprochen. Daneben geht esauch um die Altersgrenzen.
All das soll deutlich machen: Das BAföG ist undbleibt das wichtigste Instrument für Chancengleichheit.Deswegen müssen wir es auch prioritär und zeitgemäßweiterentwickeln. Das ist die Aufgabe für die nächsteWahlperiode.
Rainer Spiering
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Ich würde gerne auch noch etwas zu den Fachhoch-schulen sagen, weil ich mich über die Ankündigung derMinisterin gefreut habe, sie zum Schwerpunkt der letztenEtappe dieser Wahlperiode zu machen. Das werden wirals SPD-Fraktion am nächsten Montag auf einem Kon-gress diskutieren, zu dem ich Sie alle herzlich einlade.Die Fachhochschulen sind ein Qualitätsmerkmal unseresWissenschaftssystems.
Am Ende ist folgende Botschaft wichtig – wenn ichdas noch eben sagen darf, Frau Präsidentin –: Ich glaube,es nützt nichts, wenn wir uns einfach nur auf dem Erfolg,den wir in dieser Wahlperiode erreicht haben, ausruhenund ihn immer wieder betonen. Wir müssen uns auch denHerausforderungen der Zukunft stellen. Vielleicht schaf-fen wir das in der nächsten Debatte.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 30 – Bundesministerium für Bildung und For-schung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEinzelplan 30 ist mit den Stimmen der Koalitionsfrakti-onen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich brauche jetzt noch einmal Ihre Konzentration, weilwir eine Reihe von Abstimmungen durchzuführen haben.Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV sowie die Zu-satzpunkte 1 a und 1 b auf: IV. Beratung des Antrags der Abgeordneten PeterMeiwald, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENzu den Entwürfen der Kommission fürzwei Rechtsakte zur Festlegung wissen-schaftlicher Kriterien für die Bestimmungendokrinschädigender Eigenschaften imZusammenhang mit Pflanzenschutzmit-
hier: Stellungnahme gegenüber der Bun-desregierung gemäß Artikel 23 Ab-satz 3 des GrundgesetzesSchutz vor Hormongiften verbessern – DieKriterien für endokrine Disruptoren müs-sen dem Vorsorgeprinzip entsprechenDrucksache 18/10382Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-cherheit
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für GesundheitZP 1 a) Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfseines Vierten Gesetzes zur Änderung desConterganstiftungsgesetzesDrucksache 18/10378Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschussb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenSylvia Kotting-Uhl, Dr. Julia Verlinden,Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENAtomkosten verursachergerecht anlasten –Kernbrennstoffsteuer beibehalten undanhebenDrucksache 18/10034Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-cherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung strittigEs handelt sich hierbei um Überweisungen im ver-einfachten Verfahren ohne Debatte.Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-sungen: Tagesordnungspunkt IV sowie Zusatzpunkt 1 a.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an diein der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-weisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/10382 – Tages-ordnungspunkt IV – soll federführend an den Ausschussfür Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheitüberwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ichsehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen sobeschlossen.Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der dieFederführung strittig ist: Zusatzpunkt 1 b. Interfraktionellwird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10034 mit dem Titel„Atomkosten verursachergerecht anlasten – Kernbrenn-stoffsteuer beibehalten und anheben“ an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. DieFraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh-rung beim Finanzausschuss. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss fürUmwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.Ich lasse nun zuerst über den Überweisungsvor-schlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen.Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Über-weisungsvorschlag bei Zustimmung der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen und Ablehnung durch den Rest desHauses abgelehnt.Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derFraktionen CDU/CSU und SPD, Federführung beimFinanzausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesenOliver Kaczmarek
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Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen dieStimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte V a und b sowie dbis j auf. Es handelt sich hierbei um die Beschlussfas-sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-hen ist.Tagesordnungspunkt V a:– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zu dem Protokoll vom 27. Juni1997 zur Neufassung des InternationalenÜbereinkommens vom 13. Dezember 1960über Zusammenarbeit zur Sicherung derLuftfahrt „EUROCONTROL“Drucksache 18/9877– Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom8. Oktober 2002 über den Beitritt der Eu-ropäischen Gemeinschaft zum Internatio-nalen Übereinkommen vom 13. Dezember1960 über Zusammenarbeit zur Sicherungder Luftfahrt „EUROCONTROL“ ent-sprechend den verschiedenen vorgenom-menen Änderungen in der Neufassung desProtokolls vom 27. Juni 1997Drucksache 18/9878Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
Drucksache 18/10314Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturempfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 18/10314, den Gesetzentwurf der Bun-desregierung auf Drucksache 18/9877 anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratungmit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/DieGrünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-men.Damit kommen wir zurdritten Beratungund zur Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von denPlätzen zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthältsich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit demgleichen Stimmenverhältnis angenommen.Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu demProtokoll vom 8. Oktober 2002 über den Beitritt der Eu-ropäischen Gemeinschaft zum Internationalen Überein-kommen vom 13. Dezember 1960 über Zusammenarbeitzur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ ent-sprechend den verschiedenen vorgenommenen Änderun-gen in der Neufassung des Protokolls vom 27. Juni 1997.Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/10314 empfiehlt der Ausschuss für Ver-kehr und digitale Infrastruktur, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksache 18/9878 anzunehmen.Zweite Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD undBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt V b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Beteiligung des Bundes an den Kostender Integration und zur weiteren Entlastungvon Ländern und KommunenDrucksachen 18/9980, 18/10264, 18/10307Nr. 12Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-haltsausschusses
Drucksache 18/10397Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vor.Bevor wir zu den weiteren Abstimmungen kommen,erteile ich das Wort zu einer Erklärung gemäß § 31 derGeschäftsordnung dem Kollegen Eckhardt Rehberg.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte mein Abstimmungsverhalten zum Gesetz zurBeteiligung des Bundes an den Kosten der Integrationund zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommu-nen für meine Fraktion wie folgt erklären.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Paket um-fasst gut 20 Milliarden Euro für die nächsten vier Jah-re, die Integrationspauschale von dreimal 2 MilliardenEuro. Das sind keine verbesserten Steuereinnahmen. Icherkläre für meine Fraktion, dass wir schon erwarten, dassdiese 2 Milliarden dort, wo es keine Spitzabrechnung beiden Flüchtlingskosten zwischen Bund und Ländern gibt,dazu dienen, die Kommunen vor Ort zu entlasten.
Wenn ich mir die Debatte in dieser Woche anhöre, ge-winne ich den Eindruck, dass der Bund die Finanzver-antwortung für die Kommunen trägt. Liebe Kolleginnenund Kollegen, nach Artikel 28 des Grundgesetzes tragendie Länder die Finanzverantwortung für die Kommunen.
Inhalt ist die Spitzabrechnung: dieses Jahr – 2016 –2,6 Milliarden Euro, für nächstes Jahr ein Abschlag von1,2 Milliarden Euro und insgesamt die Übernahme derVizepräsidentin Ulla Schmidt
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Kosten der Unterkunft für asylberechtigte Flüchtlingevon 2,6 Milliarden Euro.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe heute einInterview in der Ostsee-Zeitung gelesen, in dem derKämmerer von Oberhausen, Herr Apostolos Tsalastras,SPD-Mitglied, zu Wort kommt. Er beklagt sich darüber,dass der Bund – Stichwort: Flüchtlingskosten, Stichwort:Grundsicherung im Alter, Stichwort: Unterhaltsvor-schuss – keine Kosten der Kommunen trägt. Liebe Kol-leginnen und Kollegen, wenn so argumentiert wird wievon diesem Kämmerer, dann muss ich annehmen, dassin Nordrhein-Westfalen die Gelder nicht durchgereichtwerden.
– Entschuldigung. – Wisst Ihr, warum ich das sage undwarum ich das anführe?
Wir reden über Folgendes: Wir reden unter anderem da-rüber, dass in dieser Legislaturperiode, wie es SigmarGabriel heute Morgen gesagt hat, 70 Milliarden Euro anEntlastungen für Länder und Kommunen auf dem Tischliegen. Meine Berechnungen liegen bei 90 MilliardenEuro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer wie dieserKämmerer so tut, als ob der Bund die Kommunen im Re-gen stehen ließe, der nährt Verdruss vor Ort. Diese Be-hauptung entspricht auch nicht den Tatsachen.
In diesem Gesetz ist auch das 5-Milliarden-Euro-Pa-ket für das Jahr 2018 zur Entlastung der Kommunen ent-halten. Jetzt haben sich die Länder da 1 Milliarde Euroabgezwackt. Thomas Oppermann hat gestern gesagt, erhabe den Kampf mit den Ländern aufgenommen. Es gibtdabei nur ein Problem: Dieses Gesetz ist zustimmungs-pflichtig. Ich habe den SPD-Kollegen gesagt: Wenn ihrmir die Unterschriften der Ministerpräsidenten gebt, dassdie 1 Milliarde Euro wieder an die Kommunen zurück-kommt, habe ich nichts dagegen. – Die Unterschriftenhabe ich nicht bekommen.Eine zweite Anmerkung zu diesem 5-Milliarden-Eu-ro-Paket. Die Bundesarbeitsministerin sitzt hier imRaum. Ich rate jedem, der leichtfertig in die Bundesauf-tragsverwaltung gehen will, indem wir mehr als 50 Pro-zent der Kosten für die Unterkunft übernehmen, sich mitihr darüber zu unterhalten, was das für Folgen hat.Die Kosten für die Unterkunft belaufen sich aktuellauf 1,24 Milliarden Euro, der Umsatzsteueranteil liegtbei 2,76 Milliarden Euro. Auch mir wäre eine andere Ver-teilung als über die Umsatzsteuer lieber. Aber ich mussdann natürlich wissen, bevor ich eine solche Verteilungvornehme: Muss ich dafür das Grundgesetz ändern?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine trivialeGeschichte.
Letzte Bemerkung. Wir werden das 3,5-Milliar-den-Euro-Programm noch debattieren müssen. Wir ha-ben die Kosten für die Grundsicherung im Alter komplettübernommen. Von den 3,5 Milliarden Euro für das kom-munale Investitionsprogramm sind bis zum heutigen Tagnicht einmal 50 Millionen Euro abgeflossen. Die Lauf-zeit ist um zwei Jahre verlängert. Die Laufzeit des Pro-gramms für Investitionen in Kindergärten in Höhe von780 Millionen Euro haben wir um ein Jahr verlängert,obwohl auch da der Abfluss sehr mangelhaft war, usw.usf. Die pauschale Entlastung der Kommunen in den Jah-ren 2016, 2017 und 2018 beträgt 8,5 Milliarden Euro.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man anfängt,darüber zu reden, der Bund tue hier nichts und der Bundtue da nichts, dann kann ich Ihnen sagen: Mit den 7 Mil-liarden Euro für die Grundsicherung im Alter und dieKommunalentlastung hätte man Schwimmhallen, Schu-len und Kindergärten sanieren können. Der Bund hatnoch nie so viel für Länder und Kommunen getan wie indieser Legislaturperiode.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Sevim Dağdelen
das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen undKollegen! Auch ich möchte hier eine Erklärung zum Ab-stimmungsverhalten meiner Fraktion zum Integrations-kostenbeteiligungsgesetz abgeben. In der ersten Lesungdes Gesetzentwurfs sagte der Bundesfinanzminister, dieBundesregierung habe vom ersten Moment an alles ge-tan, um die Herausforderungen im Zusammenhang mitden nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen zumeistern. Diese Aufgabe habe oberste Priorität für dieBundesregierung, und sie werde entsprechend finanziert.Herr Innenminister de Maizière sagte, dass dies bishergut gelungen sei.Ich muss für meine Fraktion sagen: Die Bundesregie-rung redet sich die Welt schön. Die Wahrheit ist nämlich:Der Bund und auch ein Teil der Bundesländer haben sichaus der Verantwortung gestohlen. Monatelang haben sieüber die Verteilung der Kosten gestritten und die Kom-munen sich selbst überlassen. Die Kommunen haben sichvielerorts nach Kräften um Lösungen bemüht und auchbemühen müssen. Dass ihnen das halbwegs gelungen ist,liegt gerade auch an den vielen ehrenamtlichen Helferin-nen und Helfern vor Ort. Deshalb gebührt ihnen an dieserStelle unser großer Dank.
Dass es nun eine Vereinbarung gibt, ist beileibe keinVerdienst dieser Bundesregierung. Sie kommt, weil dieEckhardt Rehberg
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Kommunen und auch die Bundesländer Druck gemachthaben. Doch was die Bundesregierung anbietet, ist derSituation unseres Erachtens nicht angemessen. Zu Rechtnennt der Finanzminister des Landes Brandenburg,Christian Görke, diesen Kompromiss lediglich eine Ar-beitsgrundlage, welche noch ausgebaut werden muss.
Jetzt schlagen die Bürgermeister in Nordrhein-West-falen erneut Alarm. Mein Vorredner hat darauf hingewie-sen. Die Städte an Rhein und Ruhr sind mit der Aufgabe,Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren, vollkommen über-fordert. So sagt beispielsweise der Vorsitzende des Städ-tetages Nordrhein-Westfalen, Pit Clausen – übrigens einSPD-Mitglied –: „Die besten Integrationspläne werdenMakulatur, wenn das Geld fehlt, sie zu verwirklichen.“
In Essen beispielsweise lebten Anfang 2015 rund1 350 Syrer. Heute sind es mehr als 8 000. Der Oberbür-germeister der Stadt Essen, Thomas Kufen von der CDU,sagt: „Essen allein hat mehr Flüchtlinge aufgenommenals ganz Polen.“ Es liegt auf der Hand: Essen kann dasso nicht schaffen.
In einem Brandbrief warnen Kufen und die anderen Bür-germeister in NRW, die Kommunen seien nicht in derLage, für die notwendigen Investitionen in Kinderbetreu-ung, Schulen, für Sprachkurse und im Wohnungsbau auf-zukommen. Die Integrationspauschale reicht nicht, undsie kommt auch leider nicht immer vor Ort an.So schafft man das nicht, meine Damen und Herren.Deshalb glaube ich, dass der Bund sich auf Nachbesse-rungsforderungen der Länder einstellen muss, je früher,desto besser.
Die Linksfraktion wird diese Forderungen auf jeden Fallunterstützen. Wir fordern vom Bund, beispielsweise dieHälfte der Integrationskosten pauschal zu übernehmen.Das käme der Problematik, zu helfen, am nächsten.
Ich möchte noch einen letzten Punkt erwähnen. DasProblem bei der Integration ist nicht nur die Finanzie-rung; ein Problem sind auch unsinnige Gesetze wie dasIntegrationsgesetz, das am 1. August 2016 in Kraft ge-treten ist; einige Neuregelungen treten am 1. Januar inKraft. So wollen Sie beispielsweise mit diesem Integra-tionsgesetz eine neue Wohnsitzauflage für Flüchtlingeumsetzen. Davon sind vor allem Menschen betroffen, dievor längerem in ein anderes Bundesland gezogen sind,wo sie Verwandte oder Freunde und ein soziales Netz-werk haben, und deren Kinder inzwischen in Schulenund Kindergärten gehen. Sie besuchen Integrationskurseund haben einen eigenen Wohnraum gefunden. Jetzt wer-den sie aber durch das von Ihnen verabschiedete Gesetzgezwungen, in das Bundesland zurückzukehren, das ih-nen für die Durchführung des Asylverfahrens zugewie-sen worden ist. Viele Familien nehmen das Gesetz alschaotisch wahr. Erste Städte in Nordrhein-Westfalen bei-spielsweise rücken von diesem Gesetz ab. Dazu gehörenauch Städte, die von der SPD regiert werden. Mülheiman der Ruhr zum Beispiel lehnt dieses Gesetz generell ab.Gelsenkirchen will es nicht umsetzen, weil man meint,das schaffe nur Chaos.Also, meine Damen und Herren, es geht nicht nur umdie Finanzierung. Hören Sie auch auf, unsinnige Gesetzewie das Integrationsgesetz mit der Wohnsitzauflage zuverabschieden! Denn das fördert die Integration in un-serem Land nicht, sondern es erschwert die Integration.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Weil einige Kollegen Zwischenfragen
stellen wollten: Es handelt sich hierbei um Erklärungen
nach § 31 unserer Geschäftsordnung. – Jetzt hat der Kol-
lege Bernhard Daldrup das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will auch für meine Fraktion eine Erklärung abge-ben. – Ich muss etwas ausholen, Herr Rehberg. Sie brau-chen ja diese Feindbildnummer. Aber der Kämmerer vonOberhausen, ein Sozialdemokrat, ist in der Frage der Be-wältigung von Integrationsaufgaben genauso zuverlässigwie der Oberbürgermeister von der CDU. Es hat gar kei-nen Sinn, dass Sie diese Leute beschimpfen.
– Ja, doch. Ich komme darauf zurück.Wir beschließen zum heutigen Zeitpunkt im Bundein Gesetz – das ist das eigentlich Wichtige –, das dieLänder und Kommunen um round about 20 MilliardenEuro entlastet. Dabei geht es um Punkte, die zum Teileinen akuten Bedarf auslösen: dreimal 2 Milliarden Eurozur Deckung der Integrationskosten, 2,6 Milliarden Eurozur Deckung der Unterkunftskosten bei Flüchtlingen undzusätzlich 1 Milliarde Euro für den Wohnungsbau. Dasalles sind gute und vernünftige Sachen. Vor allem treffenwir eine Entscheidung – es ist wichtig, dass wir darüberdiskutieren und das noch einmal erklären –, die auf Dau-er angelegt ist, nämlich die Entlastung der Kommunenum 5 Milliarden Euro jährlich. Mit dieser Entscheidungsetzen wir ein wichtiges Vorhaben aus dem Koalitions-vertrag um. Wir können also gemeinsam feststellen: Wirhalten Wort.
Sevim Dağdelen
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Unser besonderes Augenmerk gilt dabei finanzschwa-chen Kommunen wie Oberhausen. Anders als der Bundkönnen sie ihre Situation kaum eigenständig ändern. Siebrauchen den Bund.
– Darauf komme ich zurück. – Die Hilfen des Bundeskönnten vielleicht etwas günstiger ausfallen, wenn wireine strukturell auskömmlichere Kommunalfinanzierunghätten. Das hat nicht nur etwas mit den Ländern zu tun.Wir leisten sehr oft programmorientierte Hilfen, durchdie die Kommunen teilweise von dem entlastet werden,was wir ihnen zuvor als Belastung in den Rucksack ge-packt haben.
Das ist auch jetzt der Fall. Dann beschweren wir unsüber Umsetzungsdefizite. Man muss die gesamte Situa-tion wahrnehmen. Bei dem Schritt hin zu einer besserenstrukturellen Finanzierung der Kommunen ist eine dau-erhafte Unterstützung der Kommunen immens wichtig.Mit anderen Worten: Wir machen seitens der Koalitionetwas Gutes, um die Investitionsmöglichkeiten und -fä-higkeiten der Kommunen jedenfalls ein bisschen zu ver-stärken.Wir haben den Schlüssel kritisiert. Wir haben gesagt,dass die Verteilung der 5 Milliarden Euro nicht zielgenauerfolgt; ich habe schon in der Vergangenheit darauf hin-gewiesen. In der Tat hätte es bessere Wege gegeben, un-ter anderem eine anteilige oder vollständige Übernahmeder KdU, wie es im sogenannten Scholz/Schäuble-Papiersteht.
Andere Vorschläge betrafen eine Bundesauftragsverwal-tung oder eine Änderung des Grundgesetzes. Wir Sozial-demokraten wären viele Wege mitgegangen und hättendementsprechend entschieden. Aber leider konnten wiruns mit Ihnen, unserem Koalitionspartner, nicht verstän-digen.Gestern hat die Bundeskanzlerin gesagt, das Geld sol-le besser nach Bedürftigkeit als mit der Gießkanne ver-teilt werden. Sie hat recht. Aber warum entscheiden wires dann nicht anders?
Herr Rehberg, Sie sagen: Bringt mir die Unterschriften!Weil nicht alle Länder einverstanden sind, machen wirdas nicht. – Welches Selbstbewusstsein als Parlamentari-er haben wir eigentlich?
Der Bundestag ist genauso ein Verfassungsorgan wie derBundesrat. Aber die Ministerpräsidentenkonferenz ist esnicht. Ich bin fest davon überzeugt – Thomas Oppermannhat recht –: Wenn wir heute eine andere Entscheidungtreffen würden, dann würde sie vom Bundesrat akzep-tiert, weil sonst die Länder Finanzierungsprobleme be-kämen.
Viele stellen sich hierhin und sagen – Herr Rehbergist ein Musterbeispiel dafür –: Die Länder haben kleb-rige Finger. – Sie tun so, als ob die Länder keine Finan-zierungsprobleme hätten. Wer so redet, muss aber auchseine eigenen Entscheidungsspielräume nutzen. Es nutztnichts, nur den Mund zu spitzen. Man muss auch pfeifen,Herr Rehberg, wenn es dazu eine Möglichkeit gibt. DieseMöglichkeit hätte es gegeben.
Dieses alte Länder-Bashing zu betreiben, hilft uns nichtweiter.Nordrhein-Westfalen hat längst beschlossen, die kom-munale Finanzmasse um die anteiligen Mittel des Bundeszu verstärken. Diese Mittel hat das schwarz-grüne Hes-sen schon früher kassiert. Das macht das grün-schwar-ze Baden-Württemberg zum gegenwärtigen Zeitpunktebenfalls. Hier muss man etwas genauer hinschauen.Vorsicht an der Bahnsteigkante!
Wenn der Bundestag nur so entscheidet, wie die MPK esvorgibt, dann können wir es lassen. Unser Maßstab warHilfe nach Bedürftigkeit und nicht das Wunschkonzertder Länder.
Die Länder haben von den 5 Milliarden Euro 1 MilliardeEuro für sich beansprucht und wollen sie den Kommunengeben. Allerdings sage ich in Richtung der Länder: Werdas Recht haben will, hat auch die Pflicht. Wir werdennachprüfen, wo die Milliarde landet. Am besten machenwir Sie, Herr Rehberg, zum Beauftragten dafür, und zwarin Hessen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vor-pommern.
– Ja, auch in Nordrhein-Westfalen.Apropos Pflichten. Nicht alle Länder geben die Inte-grationspauschale vollumfänglich weiter. Bayern zumBeispiel will die Mittel nicht an die Kommunen weiter-geben. Ich kann auch andere Länder nennen.
– Es gefällt Ihnen nicht, wenn Sie eine Antwort auf Ihrklassisches NRW-Bashing bekommen. Aber dieses Ba-shing lassen wir uns nicht bieten. Merken Sie sich das!
In allen Ländern leisten die Kommunen Integrations-arbeit. Deshalb ist es richtig, zu fordern, dass die Kom-Bernhard Daldrup
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munen seitens der Länder an der Integrationspauschalebeteiligt werden.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen, Kollege
Daldrup.
Ja, sofort. – Ich will trotz aller kritischen Bemerkun-
gen feststellen, dass wir hier gemeinsam ein gutes Gesetz
auf den Weg bringen, das für eine wichtige und dauerhaf-
te Entlastung sorgt, auch wenn wir im Detail unterschied-
licher Auffassung sind.
Wir Sozialdemokraten wollen gleichwertige Lebens-
bedingungen durch mehr Chancengleichheit, durch mehr
Teilnahme und Teilhabe der Bevölkerung in allen Teilen
des Landes.
Darauf hat auch Sigmar Gabriel heute hingewiesen. Des-
wegen werden wir diesem Gesetz selbstverständlich trotz
der Mängel zustimmen.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Als Letzte hat jetzt die Kollegin Britta
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Da einige vorhin fragten: Warum jetzt mitAussprache? – Ich meine, dass die Aussprache in der Tatbisher deutlich gemacht hat, warum es zwingend notwen-dig ist, dass dazu zwei oder drei Sätze verloren werden.
Ich fand es ein bisschen schade, dass zuerst nur wirdarauf drängen mussten, dass das stattfindet; denn es istein Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung, der na-türlich für die Länder, für die Kommunen und für unsalle von ganz großer Bedeutung ist, da er zwei Elementebeinhaltet: die Frage der Entlastung der Kommunen ins-gesamt und die Frage der Leistungen des Bundes für dieBeteiligung an den Kosten der Integration. Es ist ganzzentral, dass der Bund hier seine Verantwortung gegen-über den Ländern und Kommunen übernimmt.
Ich will heute deutlich machen, warum ich trotz erheb-licher Bedenken, was die Frage des Verteilungsschlüsselsangeht – die sind massiv, und die sind in diesem Gesetz-entwurf, der jetzt vorliegt, nicht gut geregelt –, dennochmeiner Fraktion die Zustimmung zu diesem Gesetzent-wurf vorgeschlagen habe und wir deshalb heute auchin zweiter und dritter Lesung zustimmen. Es ist einfachüberfällig. Schon im Jahr 2012 haben sich Bund undLänder darauf verständigt, bei der Verabschiedung desFiskalpaktes zu sagen: Wir wollen alle gemeinsam dafürsorgen, dass die Kommunen um 5 Milliarden Euro über –so sagten wir damals noch – die Eingliederungshilfe ent-lastet werden. Daraus wurde bis heute faktisch nichts.Das muss man deutlich sagen. Diese Vereinbarung haltenSie mit diesem Gesetzentwurf auch nicht ein.Zum einen redet niemand mehr über die notwendigeEntlastung durch den Bund bei der Eingliederungshilfe,
sondern wir reden nur noch über das Bundesteilhabege-setz – ohne Finanzierungsfragen vonseiten des Bundes.Zum anderen reden wir hier inzwischen nicht mehr über5 Milliarden Euro für die kommunale Ebene, sondernplötzlich nur noch über 4 Milliarden Euro. Das ist einPunkt, bei dem – das haben wir doch so vereinbart – die-ses Parlament ein Wörtchen mitzureden hat.
Da kann man doch nicht einfach sagen: Das haben dieMinisterpräsidentinnen und -präsidenten auf der MPKmit der Kanzlerin nun einmal so verhandelt. – Klamm-heimlich werden jetzt aus den 5 Milliarden Euro nurnoch 4 Milliarden Euro für die Kommunen. Das halte ichfür falsch, dafür gibt es keine sachliche Begründung.
Das war so vereinbart, und das halten wir an dieser Stellenicht ein.Zweiter Punkt: Gestern in der Generaldebatte zumBundeshaushalt hat die Bundeskanzlerin selbst in Bezugauf die kommunale Ebene noch gefragt, Herr Rehberg:Wie können wir eigentlich punktgenau helfen? – Jederund jede von uns, der oder die hier sitzt und sich mit demThema kommunale Entlastung und Weitergabe von Bun-desmitteln an die Kommunen befasst, weiß ganz genau,dass Ihr Verteilschlüssel keine punktgenaue Hilfe ist;
denn für die finanzschwachen Kommunen findet mit Ih-rem Verteilschlüssel weniger Entlastung statt als für diefinanzstarken Kommunen. Wie wollen Sie den finanz-schwachen Kommunen denn diesen Finanzschlüssel er-klären?
Wir haben nach dem Verteilungsschlüssel, den Siehier vorschlagen, die Situation, dass Frankfurt amMain – ich nenne nur ein paar Beispiele, wir könntenauch viele andere Städte erwähnen – mit 127 Euro proEinwohnerin und Einwohner entlastet wird. Düsseldorfwird mit 102 Euro pro Einwohnerin und Einwohner ent-lastet, während zum Beispiel strukturschwache Städtewie Gelsenkirchen oder Herne mit 75 oder 62 Euro ent-lastet werden. Wo sind denn da punktgenaue Hilfen, HerrRehberg? Wo ist das denn?
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– Doch, das stimmt; denn Sie legen ja viel mehr Wertauf den Umsatzsteueranteil als auf den Kosten-der-Un-terkunft-Anteil. Deshalb ist es genau so, wie ich sage.Wir können das auf alle anderen Städte und Gemein-den beziehen. Die Städte und Gemeinden, die es wirklichnötig hätten, die strukturschwach sind, in denen Arbeits-losigkeit herrscht, die besondere Strukturhärten und hoheKosten der Unterkunft haben, werden weniger entlastetals diejenigen, die gewerbesteuer- und einkommensteu-erstark sind. Das ist Fakt, und das ist ein Fehler in diesemGesetz und im Verteilschlüssel.
Da nützen auch alle Appelle der Kanzlerin, dass wir keinGießkannenprinzip wollen, nichts; denn faktisch setzenSie das im Verteilschlüssel um.Dennoch wird meine Fraktion heute zustimmen; dennes geht um eine Entlastung der kommunalen Ebene.
Deshalb haben wir gesagt: Es ist wichtig, dass der Bundseine Verantwortung übernimmt, sowohl bei den Kostender Integration als auch bei der Entlastung der Kom-munen, auch wenn der Verteilschlüssel falsch ist undes mich ärgert, dass wir als Parlament nicht so selbst-bewusst waren, die Auseinandersetzung mit der Minis-terpräsidentenkonferenz zu suchen. Die kommunalenSpitzenverbände werden sich jetzt im Hinblick auf denVerteilschlüssel an die Länder wenden müssen.
Vielen Dank. – Damit kommen wir zur Abstimmung.Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/10397, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9980 und18/10264 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen vonCDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthal-tung der Fraktion Die Linke angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-menverhältnis angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/10398. Wer stimmt dafür? – Die Grünenund die Linken. Wer stimmt dagegen? – SPD und CDU/CSU. Enthaltungen? – Damit ist der Entschließungsan-trag abgelehnt.Ich rufe die Tagesordnungspunkte V d bis j auf. Wirkommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitions-ausschusses.Tagesordnungspunkt V d:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 375 zu PetitionenDrucksache 18/10266Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 375 ist einstimmig an-genommen.Tagesordnungspunkt V e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 376 zu PetitionenDrucksache 18/10267Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 376 ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen derFraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt V f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 377 zu PetitionenDrucksache 18/10268Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 377 ist bei Enthaltung derFraktion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkt V g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 378 zu PetitionenDrucksache 18/10269Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 378 ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt V h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 379 zu PetitionenDrucksache 18/10270Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 379 ist gegen die Stim-men von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt V i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Britta Haßelmann
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Sammelübersicht 380 zu PetitionenDrucksache 18/10271Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 380 ist gegen die Stimmender Fraktion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkt V j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 381 zu PetitionenDrucksache 18/10272Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 381 ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-sition angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf:Wahlvorschlag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENWahl der Mitglieder des Nationalen Begleit-gremiums gemäß § 8 Absatz 3 des Standort-auswahlgesetzesDrucksache 18/10377Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/10377 vor. Wer stimmt für diese Wahl-vorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.Wir können die Haushaltsberatungen fortsetzen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.15 auf:Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und SozialesDrucksachen 18/9811, 18/9824Berichterstatter zu diesem Einzelplan sind die Abge-ordneten Ekin Deligöz, Axel E. Fischer, Ewald Schurerund Dr. Gesine Lötzsch.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-nen Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlossen.Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen. – Ich er-öffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Gesine Lötzsch,Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Sie, Frau Ministerin Nahles,haben gerade in den Medien davor gewarnt, unhaltbareRentenversprechungen zu machen, und Sie haben schoneinmal kräftig in Richtung Linke ausgeteilt.
dpa zitiert Sie:Das kann sich nur die Linkspartei leisten, die sicheinen feuchten Kehricht darum kümmert, was eskostet.
– Gut, dass Sie dazu klatschen. – Ich sage Ihnen, FrauNahles: Das ist eine grandiose Fehleinschätzung. WirLinke haben ein durchgerechnetes Rentenkonzept.
Außerdem müssen wir noch einmal betonen: Die Grund-lage für eine gute Rente sind gute Löhne.
Sorgen wir endlich gemeinsam dafür, dass die Menschennicht mehr in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungenwerden.Die Kanzlerin hat in den vergangenen Wahlkämpfenden Ostdeutschen immer wieder gerechte Renten ver-sprochen. Auch dieses Rentenversprechen ist gebrochenworden, und das ist nicht hinnehmbar.
Im Jahr 2013 hat der Spitzenkandidat der SPD, HerrSteinbrück – er ist damals gescheitert –, die Angleichungder Ostrenten an das Westniveau versprochen. Es wäreIhre Aufgabe gewesen, Frau Nahles, dieses Versprechenendlich umzusetzen.
Schon über ein Vierteljahrhundert werden die Menschenim Osten hingehalten. Ich kann Ihnen sagen, wie sie dasempfinden: Die Menschen empfinden das als permanen-ten Wahlbetrug, und das sollte sich hier niemand leisten.
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein solidari-sches Netz, das vor Altersarmut schützt. Deshalb sagt dieLinke: Wir brauchen eine solidarische Mindestrente von1 050 Euro im Monat. Das wäre der richtige Weg. Stim-men Sie zu. Beschließen wir gemeinsam die solidarischeMindestrente.
Wir müssen zuerst das Rentenniveau stabilisieren und esdanach wieder auf lebensstandardsichernde 53 Prozentanheben.
– Zur Finanzierung will ich Ihnen noch Folgendes sagen:Eine solidarische Rente gibt es nur, wenn wir endlichauch den Reichtum in unserem Land anfassen.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Diese Erkenntnis hatten Sie, liebe Kolleginnen und Kol-legen, vor der Bundestagswahl 2013; aber danach habenSie sie nicht umgesetzt. Frau Nahles, für Ihre Vergess-lichkeit können Sie die Linke nicht kritisieren.
Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Aufgaben, und lassenSie bitte unfaire Unterstellungen.
Eigentlich hatten Sie angekündigt, noch vor Ende derHaushaltsberatungen, Ihre Rentenvorschläge auf denTisch zu legen. Ich glaube, es ist Taktik, dass das ver-schoben wurde; denn andernfalls hätten wir diese Vor-schläge hier besser, konkreter und auf den Haushalt be-zogen diskutieren können.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung be-tont gern – das werden wir gleich wieder hören –, wieviel Geld im Bereich Arbeit und Soziales ausgegebenwird. Machen wir einmal ein Gedankenexperiment.Schauen wir uns einmal den Haushalt Ihres Ministeriumsohne den Rentenzuschuss an, und vergleichen wir danndas, was übrig bleibt, mit dem Rüstungshaushalt.
– Man muss ja im Zusammenhang denken. Das ist unsereAufgabe als Politikerinnen und Politiker: sich nicht nurmit Einzelfragen zu beschäftigen.
Der Etat des Verteidigungsministeriums umfasst37 Milliarden Euro. Das ist wirklich ein Ausgabenre-kord. Damit ist es der zweitgrößte Haushalt aller Mi-nisterien. Wenn wir, wie gesagt, den Rentenzuschusshe rausrechnen, ist im Haushalt von Arbeit und Sozialesnur noch wenig mehr drin. Der Höhepunkt war für michin der Schlussrunde, in der Bereinigungssitzung, dass imBereich Arbeit und Soziales noch einmal um 1 MilliardeEuro gekürzt wurde, während bei Frau von der Leyen fürdie Bundeswehr 1,5 Milliarden Euro draufgelegt wurden.Das ist eine völlige Fehlgewichtung. Das ist die Höhe.Das können wir nicht hinnehmen.
In einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung ha-ben die Autoren festgestellt – ich zitiere mit Erlaubnisder Präsidentin –:Wir waren überrascht, dass trotz steigender Be-schäftigung in Europa das Armutsrisiko, auch inDeutschland, nicht geringer wird.Meine Damen und Herren, wir alle müssen uns dochernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, warum IhrePolitik trotz Wachstums eben nicht das Armutsrisiko ver-ringert. Das hängt doch mit prekären Arbeitsverhältnis-sen zusammen, mit zu niedrigen Löhnen und damit, dassdie Menschen nicht planen können. Gerade junge Men-schen stolpern von einem Minijob oder Praktikum in dasandere. Damit muss endlich Schluss sein. Die Menschenmüssen ihr Leben wieder planen können.
Abschließend: Wir haben im Rahmen der Haushalts-debatte auch über die Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes ge-sprochen. Völlig klar ist: Dieser Satz ist zu niedrig.
Die Linke fordert in einem ersten Schritt, den Betrag auf560 Euro anzuheben.
Das Zweite, was uns ungeheuer wichtig ist: Es mussendlich Schluss mit den Sanktionen für Arbeitslose sein.Die Sanktionen, die immer noch ausgeübt werden, wi-dersprechen unserem Menschenbild.
Hartz IV ist das Mindestniveau. Wer vom Mindestniveaunoch etwas heruntersanktioniert, der handelt gegen dasGrundgesetz. Darum sind wir der Auffassung: Die Sank-tionen verstoßen gegen das Grundgesetz. Hier müssenwir endlich wieder grundgesetzkonform handeln.
Sie erinnern sich vielleicht, Kolleginnen und Kollegenvon der SPD, dass der damalige Minister Müntefering imJanuar 2010 während Ihrer Fraktionssitzung gesagt hat:Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. – Die Aufregungin Ihrer Fraktion war damals groß.
Diese Aufregung sollte nicht nur verbal sein. Setzen Siees endlich um! Machen Sie Schluss mit der Sanktions-praxis!Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung hat jetzt Bun-desministerin Andrea Nahles das Wort.
Dr. Gesine Lötzsch
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Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inpuncto Arbeitsmarkt stehen wir in Deutschland hervorra-gend da. Die Beschäftigung ist auf Rekordniveau. Nie inden letzten 25 Jahren war die Arbeitslosigkeit so niedrig.Die soziale Sicherung ist für dieses und auch das nächsteJahrzehnt fest und verlässlich aufgestellt.
– Ich muss sagen: Dass Sie schon das Ansehen der Wahr-heit aufregt, sollte Ihnen zu denken geben. Sie haben of-fensichtlich ein schräges Bild von unserem Land.
Denn ich habe hier nichts als die Wahrheit gesagt. Dasheißt ja nicht, dass wir nichts zu tun hätten. Wir ruhenuns darauf nicht aus; das ist nicht unser Selbstverständ-nis. Wir gehen die Zukunftsaufgaben an, damit wir auchweiter in Wohlstand und sozialem Frieden leben, damitin Zukunft alle – ich betone: alle, auch die, die jetzt nochnicht die Chance dazu haben – am Arbeitsmarkt teilha-ben können. Das ist das Herzstück des Haushalts, den wirheute vorlegen, sein Charakter. Mit rund 138 MilliardenEuro setzen wir einen erheblichen Teil des Gesamthaus-halts dafür ein, das Leben der Menschen zu verbessern.Es ist geradezu ein Witz, wenn Sie, Frau Lötzsch, ein-fach mal den Rentenzuschuss herausrechnen. Sollen wirden jetzt ein Jahr lang nicht auszahlen, oder was meinenSie?
Das ist doch ein ganz wesentlicher Punkt des Haushalts,der die soziale Sicherheit in diesem Land gewährleistet.Deswegen ist es gut, dass wir so viel Geld in die Handnehmen. Das sorgt gerade bei den Kernversprechen desSozialstaates, nämlich bei der Rente und bei der Integra-tion derjenigen, die zurzeit noch nicht die volle Teilhabegenießen können, für Verlässlichkeit.Es ist uns gelungen, gerade die Mittel, die wir für dasProgramm „Soziale Teilhabe“ ausgeben, das gezielt fürdie besonders Benachteiligten am deutschen Arbeits-markt eingesetzt wird, noch einmal massiv aufzustocken.Darüber freue ich mich ganz persönlich. Das wird vielenMenschen eine echte Chance geben.
Mehr und bessere Arbeit, das ist unser Ziel. Die Di-gitalisierung bietet uns auch Chancen dazu. Das ist fürmich die eigentliche Zukunftsaufgabe, auch im Hinblickauf die Rente. Da, wo die Wirtschaft Arbeit schafft, wodie guten Löhne entstehen müssen, damit wir am Endeauch gute Renten auszahlen können, spielt jetzt eineMenge Musik, die wir in Dur begleiten müssen und nichtin Moll.Ich sage Ihnen ganz klar: Das Weißbuch „Arbei-ten 4.0“, das ich in der nächsten Woche vorlegen werde,nach einem langen Dialogprozess, der mit dem Grün-buch begonnen hat, in dem wir viele Fragen gestellt ha-ben, wird vielleicht wegweisende Antworten darauf ge-ben. Eine der wegweisenden Antworten ist, massiv in dieQualifizierung und die Weiterbildung der Menschen indiesem Land zu investieren.Es ist gut, dass es uns gelungen ist, Frau Wanka undmir, durch die Bildungsketten genau an dieser Stelle,auch in den Schulen schon für eine ordentliche Berufs-orientierung zu sorgen. Darauf müssen wir weiter auf-bauen. Wir brauchen eine umfassende Weiterbildungs-strategie für dieses Land, um den Transformationsprozess„Arbeiten 4.0“ erfolgreich zu gestalten.
Das zweite große Thema, das sich in diesem Dialog-prozess zu „Arbeiten 4.0“ herauskristallisiert hat, ist dieArbeitszeit. Wie kommen wir da eigentlich zu Arrange-ments, die einerseits die Flexibilisierungsbedürfnisse inden Unternehmen, die vorhanden sind, die in der globali-sierten arbeitsteiligen Welt auch erwartbar sind, mit mehrselbstbestimmter Zeit für die Beschäftigten andererseitsverbinden? Die Beschäftigten haben nämlich auch andereArbeitszeitwünsche als in der Vergangenheit. Das erken-nen wir insbesondere, wenn wir uns angucken, wie dieVereinbarkeit von Familie und Beruf in den Familien imAlltag gemanagt wird. Deswegen – das will ich an dieserStelle klar sagen – brauchen wir mehr selbstbestimmteZeit, brauchen wir auch das Gesetz zur Rückkehr ausTeilzeit in Vollzeit; das werde ich hier in Kürze vorlegen.
Wir wollen gemeinsam gesellschaftliche Anstrengun-gen für mehr Weiterbildung unternehmen; das ist gar kei-ne Frage. Übrigens: Da machen wir schon vieles. Manwundert sich manchmal, dass es kaum Beachtung findet.Das AWStG – so hieß das Gesetz in schönster Abkür-zung – haben wir hier mal eben so durchgeschoben. Esgibt jetzt eine Weiterbildungsprämie. Da haben wir einesehr wichtige Sache miteinander verabredet, nämlichdass die Bundesagentur jetzt auch fördern kann, wenndie berufliche Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeiterfolgt. Das war für den Mittelstand eine ganz wichtigeVerabredung. Sie sehen also: Wir kündigen nicht nur fürdie Zukunft an; wir haben hier auch schon einiges be-schlossen. Darüber freue ich mich.
Hinzu kommt: Was die Zukunft der Arbeit angeht, ha-ben wir wahrscheinlich mit mehr Formen selbstständigerArbeit zu tun, mit neuen Formen, die durch die Plattfor-misierung der Ökonomie entstehen, die die Konsumentennutzen; darüber kann man klagen, wie man will. Airbnbist auch in Deutschland eine Erfolgsgeschichte, Helplingund andere ebenso. Damit müssen wir uns auseinander-setzen. Ob wir das alles gut oder schlecht finden, ist erstdie zweite Frage.Es wird genutzt. Das bedeutet: Viele Arbeitnehmermüssen in dieser Form ihr Einkommen erzielen. Da gibtes Schutzlücken; das sage ich ganz klar. Wir brauchendeswegen für Selbstständige Zugänge zu einer anständi-gen Altersversorgung. Das werden wir auch vorschlagen.Da gibt es für mich noch eine Menge zu tun. Ich wäre
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froh, wenn wir an dieser Stelle in der Koalition noch ge-meinsam etwas anpacken könnten.
Die Integration der Flüchtlinge wird in diesem Haus-halt natürlich in zentraler Weise abgebildet. Wir habenganz klar darauf gesetzt, dass wir den Spracherwerb ver-bessern und dass die Angebote, die Kapazitäten für dieSprachkurse nach oben gefahren werden. Das ist einegemeinsame Anstrengung des BMI, das für die Integra-tionskurse zuständig ist, und des BMAS, das für die be-rufsbezogenen Sprachkurse zuständig ist. Das baut auf-einander auf. Ich will sagen: Wir sind hier schon enormvorangekommen, aber wir sind noch nicht ganz am Ziel.Wir bauen weiter Kapazitäten auf. Es lohnt sich.Es gibt zum ersten Mal seit langem eine valide Unter-suchung des IAB. Die hat uns Fachleuten Hoffnung ge-macht. Die Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass viele,die zu uns gekommen sind, keinen formalen Abschluss,wie wir ihn hier gewohnt sind, aber Berufserfahrung ha-ben. Hier können wir aufsetzen. Das tun wir auch. Es gibtzum Zweiten auch ganz viele junge Menschen, für die essich allemal lohnt, eine Tür aufzustoßen, um hier eineordentliche Ausbildung zu machen. Mit diesem Haushaltstellen wir die nötigen Mittel zur Verfügung. Das ist eineganz wichtige Integrationsanstrengung, die in den nächs-ten Jahren vor uns liegt.Es sei gesagt: Gemeinsam können wir das schultern,aber es ist nicht im Sprint zu schaffen. Deswegen werdenauch die Passivleistungen in diesem Haushalt angehobenwerden müssen; denn wir müssen die Leute unterstützen.Aber es ist eine Erkenntnis, dass wir wissen: Wir schaf-fen es, aber es dauert. Das ist ganz simpel. Das müssenwir ehrlich sagen. Es ist eine Anstrengung, die vor unsliegt. Aber ich mache mir, seitdem ich die Ergebnissevom IAB gehört habe, große Hoffnung, dass uns das er-folgreich gelingen wird.
Wenn ich „uns“ sage, dann lassen Sie mich sagen:Damit ist nicht nur die politische Seite gemeint, sonderndamit sind auch die Unternehmen, die Handwerkskam-mern, die Industrie- und Handelskammern, diejenigen,die vor Ort ehrenamtliche Patenschaften übernommenhaben, und viele Sozialverbände, die sich kümmern, ge-meint. Wir alle sehen, dass das nur gemeinsam zu schaf-fen ist.In der nächsten Woche beraten wir das BTHG. Dasist ein großer Schritt hin zu mehr Teilhabe für Menschenmit Behinderung. An dieser Stelle ist auch zu diskutie-ren – hier müssen Sie sich keine Sorgen machen –, dasswir die parlamentarischen Wünsche, die noch in Arbeitsind, finanziell absichern müssen. Das ist ganz klar, daswerden wir auch tun.Schließlich ist die Rentenpolitik ein großes Thema.Morgen werde ich mein Gesamtkonzept vorstellen. Ichmöchte Ihnen an dieser Stelle nur sagen: Wir brauchenaus meiner Sicht Verlässlichkeit. Wir müssen etwas ge-gen Altersarmut tun. Wir müssen vor allem aber auchVerlässlichkeit bei den Beiträgen schaffen. Das ist genau-so wichtig. Wir müssen auch Verlässlichkeit beim Siche-rungsniveau schaffen. Das ist für alle wichtig. Deshalbspreche ich von einer doppelten Haltelinie und werde andieser Stelle ganz konkrete Vorschläge unterbreiten, diewir dann selbstverständlich im parlamentarischen Raumdiskutieren werden.Sie sehen also, diese Bundesregierung legt mit diesemHaushalt gerade im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozi-alpolitik eine wesentliche Grundlage für eine verlässli-che Sozialpolitik, für eine gute Integration der Menschenund vor allem für die Zukunft der Arbeit. Das ist für michder Dreh- und Angelpunkt, damit wir eine ausgesprochengute Arbeitsmarktlage, die wir jetzt haben, auch in Zu-kunft ermöglichen können. Daran machen sich dann auchverteilungspolitische Wünsche, die wir haben, fest. Daseine hängt mit dem anderen zusammen. Deswegen binich auch froh, anders als es bei vielen anderen Ländernder Welt ist, in denen es einen Arbeits- und einen Sozial-minister gibt, dass ich das bei all den Schwierigkeiten inKombination sein darf. Das passt und gehört zusammen.Mit diesem Haushalt legen wir für die Zukunft einen gu-ten Grundstein.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner für Bündnis 90/Die
Grünen ist Markus Kurth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin Nahles, ich habe ein gewisses Verständ-nis dafür, dass Sie angesichts einer guten Beschäfti-gungslage das betonen und ein Stück weit für sich ver-einnahmen, obwohl man trefflich darüber streiten kann,ob die gute Beschäftigungslage trotz oder wegen IhrerPolitik da ist.
Ich finde es problematisch, wenn man einfach so tut,als ob die Zahl der arbeitenden Armen nicht angestiegensei, was sie nämlich ist, als ob trotz der guten Beschäfti-gungslage die Zahl der Langzeitarbeitslosen und die Zahlvon armen Kindern nicht auf einem erschreckend hohenNiveau verbleiben. Wenn man das nicht sieht und es ein-fach ausblendet, weil man sich an guten Zahlen berau-schen möchte, dann trägt man leider einen Gutteil dazubei, dass viele Menschen in diesem Land der Auffassungsind, die Politik nehme Probleme nicht wahr, und dassollten wir vermeiden.
Dann nimmt man auch Handlungsnotwendigkeiten undauch Chancen nicht wahr. Das ist der Grund, warum wirhier von einem Haushalt der verpassten Chancen spre-chen müssen.
Bundesministerin Andrea Nahles
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Wann, wenn nicht jetzt, wäre zum Beispiel die Zeit,um massiv gegen Langzeitarbeitslosigkeit vorzugehen?Die Konjunktur ist gut, die Steuereinnahmen sind nichtgerade schlecht, der Arbeitsmarkt einigermaßen aufnah-mefähig. Warum wird nicht einmal im Rahmen einesModellprojekts der Versuch unternommen, das Arbeits-losengeld in einen Arbeitskostenzuschuss umzuwandelnund den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer für beson-ders schwer vermittelbare Arbeitslose zu fördern? Wann,wenn nicht jetzt, wäre die Zeit, um so etwas wenigstensmal auszuprobieren –
in den Regionen, die besonders betroffen sind?Meine Damen und Herren, das Ende der Wahlperiodeist so langsam absehbar, und mit diesem Haushalt ist klar,dass auch diese Legislaturperiode als eine der verpasstenChancen in die Geschichte eingehen wird. Abgesehenvon einer Ausnahme, der Einführung des gesetzlichenMindestlohns, bleibt von der Großen Koalition der Jah-re 2013 bis 2017 inhaltlich nichts,
was diese Zeit überdauern und die nächsten Jahre prägenwird.
Das Einzige, was diese Zeit – leider – überdauern wird,sind die dicken Kostenverpflichtungen aus dem Renten-paket, das die Koalition zu Anfang geschnürt hat: 10 Mil-liarden Euro pro Jahr, die noch dem nächsten und über-übernächsten Bundestag Kopfschmerzen bereiten werden.Ansonsten bringen Sie von Union und SPD keineStrukturentwicklung in sozialpolitischer Hinsicht wirk-lich voran. Die Regierungsfraktionen haben leider inetwa die Dynamik einer Herde satter Wasserbüffel: Brä-sig stehen Sie im Brackwasser Ihrer unambitioniertenVorhaben.
Dabei wäre jetzt die Zeit der Chancen.
Verpasste Chancen gibt es auch in der Rentenpolitik.Jetzt wäre die Zeit, um ein wichtiges Sicherungsverspre-chen der Rentenversicherung zu erneuern. Wir Grüne ha-ben es vor zehn Tagen in einem Parteitagsbeschluss for-muliert: Wer über Jahrzehnte gearbeitet, Kinder erzogen,Eltern gepflegt hat, soll im Alter eine Rente erhalten, dievor Armut schützt. – Wir nennen es Garantierente.
Und wir sagen auch: Wer es in Jahrzehnten trotz kleinerVerdienste und Erwerbsunterbrechungen geschafft hat,privat etwas fürs Alter zurückzulegen, zum Beispiel übereinen Riester-Vertrag oder eine Betriebsrente mit Eigen-beteiligung, soll diese Sparleistung im Alter auch behal-ten dürfen.
Und das geht mit unserem Modell der Garantierente, weildiese keine nachrangige Sozialhilfeleistung darstellt,sondern eine echte Rente, die durch Mitgliedschaft in derRentenversicherung entstanden ist. Das ist für uns einezentrale Frage der Gerechtigkeit.Was macht diese Regierung? Nichts. Im Gegenteil:Sie gibt sogar ein Vorhaben auf, das wenigstens dem An-spruch nach die Zielsetzung gehabt hätte, den beschrie-benen jahrzehntelang Arbeitenden, die dann trotzdem indie Grundsicherung fallen, unter die Arme zu greifen:Ihre solidarische Lebensleistungsrente.
– Na ja, Sie von der Koalition haben sie immer hervor-gezogen, um denen, die trotz eines langen Arbeitslebensnur Grundsicherung erhalten, das künftige soziale Ru-hekissen zu zeigen. Dabei wissen Sie selbst, dass dieLebensleistungsrente unrealistisch hohe Zugangsvo-raussetzungen hat, dass sie in Wirklichkeit den Charmeeiner verschimmelten Matratze hat und nicht den einesRuhekissens.
Darum kann man ja auch froh sein, dass Sie sie jetzt ent-sorgt haben.
Ich glaube nicht, dass Sie in dieser Legislaturperiodenoch etwas Belastbares vorlegen – außer Versprechungenfür die nächste Legislaturperiode.Leider muss ich jetzt zum Schluss kommen; meineRedezeit steht in keinem Verhältnis zur Zahl der verpass-ten Chancen dieser Koalition, über die ich noch redenmüsste.
Wir können nur hoffen, dass nach der nächsten Bundes-tagswahl weniger träge Büffel hier sind und mehr Platzfür die schnelle grüne Gazelle bleibt.Danke.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetztAxel E. Fischer das Wort.
Markus Kurth
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Axel E. Fischer (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Kompliment! Kompliment andie Bundesregierung für diesen Haushaltsentwurf für denBundeshaushalt 2017, der in guter Zusammenarbeit derverschiedenen Ministerien, vor allem unter Führung desFinanzministeriums, zusammengestellt wurde. Kompli-ment aber auch an das Bundesministerium für Arbeit undSoziales für eine gute Zusammenarbeit bei der Erstellungdes Entwurfs des Einzelplanes 11 zum Thema Arbeit undSoziales. In der Haushaltsberatung hat sich für uns da garkein so großer Änderungsbedarf ergeben; denn wir konn-ten schon im Vorfeld in einer guten Zusammenarbeitmit den Arbeitsgruppen Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion die Dinge vorberei-ten. Jetzt werden wir den vorliegenden Haushaltsentwurfder Bundesregierung noch ein bisschen besser machen.Der Entwurf, über den wir heute diskutieren, zeigtdeutlich die Früchte der von der Großen Koalition ein-geleiteten Modernisierung am Arbeitsmarkt und imBereich sozialer Sicherung. Er ist zukunftsgerichtet, erzeigt Wege zur besseren Teilhabe behinderter Menschensowie zur Bewältigung des durch die Flüchtlingsströmeeinhergehenden Integrationsbedarfs auf. Zugleich ist erein weiterer Schritt zur Fortsetzung des Konsolidierungs-pfades, den Finanzminister Schäuble nach überwundenerWirtschafts- und Finanzkrise eingeleitet und vor allemdurchgehalten hat; und das war nicht einfach. Deshalbrichte ich meinen Glückwunsch auch an Bundesfinanz-minister Dr. Wolfgang Schäuble.Ein paar Zahlen müssen sein, das gehört einfach mitdazu. Der Sollansatz für den Einzelplan 11 für das kom-mende Jahr lag bei den Ausgaben bei 138,6 MilliardenEuro. Wir sind in der Einzelplanberatung auf 137,6 Mil-liarden Euro gekommen. Das sind 42 Prozent der gesam-ten Ausgaben des Bundes im kommenden Jahr. DieseMittel, meine Damen und Herren, sollen für Hartz IV, fürdie Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, für die Be-teiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft undVerpflegung, für Zuschüsse zur Rentenversicherung, fürdie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderungsowie für die Förderung der Inklusion von Menschen mitBehinderungen im kommenden Jahr ausgegeben werden.Aus dem parlamentarischen Verfahren ergibt sich da-mit gegenüber dem Regierungsentwurf eine Absenkungum rund 1 Milliarde Euro. Das ist unser Beitrag für ei-nen ausgeglichenen Bundeshaushalt, für eine verant-wortungsvolle Ausgabenpolitik ohne Neuverschuldung,mit der wir finanzielle Lasten heute ausgleichen und sieeben nicht einseitig auf den jüngeren Bevölkerungsteilund deren Nachkommen abwälzen. Dass dies möglichgeworden ist, liegt vor allem an zwei Faktoren: Einer-seits brummt der Arbeitsmarkt – Kollege Mattfeldt hatdarauf bereits hingewiesen –, und andererseits verursa-chen die Flüchtlinge deutlich weniger Kosten als bislangangenommen.Zum Arbeitsmarkt. Auch dank der guten Wirtschafts-politik der vergangenen Jahre und natürlich – auch dasmuss man offen ansprechen – des freundlichen Zinsum-felds ist die Zahl der Erwerbstätigen auf das Rekordni-veau von knapp 44 Millionen gestiegen. Allein in denvergangenen drei Jahren stieg die Zahl der Erwerbstäti-gen um weit über 1 Million Menschen, von 42,5 Milli-onen im September 2013 auf nunmehr 43,7 Millionen.Und der Ausblick auf die weitere Entwicklung am Ar-beitsmarkt
ist weiterhin gut. Nach den aktuellen Erwartungen derBundesregierung aus der Herbstprojektion wird die Zahlder Erwerbstätigen im Jahr 2017 bis auf 44 MillionenMenschen ansteigen. Das ist doch etwas!Die positive Entwicklung resultiert aber allein ausdem Anstieg der Zahl der sozialversicherungspflichtigBeschäftigten, die in den letzten Jahren um 1,6 Millionenangewachsen ist. Dies kann nicht deutlich genug her-vorgehoben werden; denn nur allzu oft höre ich – auchhier im Hause, so vorhin schon mehrfach – ungerecht-fertigte Klagen über vermeintliche Fehlentwicklungenam Arbeitsmarkt. Diese sind aber derzeit überhaupt nichtangebracht. Im Gegenteil: Spiegelbildlich zu den neuenBeschäftigungsrekorden ist selbstverständlich auch dieArbeitslosigkeit gesunken, wenn auch nicht im gleichenUmfang. Im Oktober dieses Jahres jedoch lag die Zahlder Arbeitslosen mit 2,5 Millionen auf dem niedrigstenStand seit der Wiedervereinigung. In den letzten dreiJahren ist sie um 260 000 gesunken. Auch hier sind dieweiteren Aussichten derzeit rosig. Wir gehen von ei-nem weiteren Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um100 000 Personen im Jahr 2016 aus.Meine Damen und Herren, angesichts dieser positi-ven Entwicklungen konnten wir in unseren Haushaltsbe-ratungen in den vergangenen Wochen deutlich wenigerAusgaben für Arbeitslose veranschlagen, als noch imRegierungsentwurf vorgesehen war. Im Gegenzug habenwir die Mittel für das Bundesprogramm „Soziale Teil-habe am Arbeitsmarkt“, das insbesondere auf die Inte-gration arbeitsmarktferner Personen ausgerichtet ist, umweitere 150 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro imnächsten Jahr verdoppelt. Damit haben wir ein Zeichenfür die Integration von Langzeitarbeitslosen gesetzt.Auch wenn jemand lange arbeitslos war, gilt: Wer denWeg zurück in den ersten Arbeitsmarkt finden will, demhelfen wir dabei. Wir unterstützen ihn nach Kräften. Wol-len muss er aber selbst.Meine Damen und Herren, damit komme ich zumzweiten Faktor, der uns die Einsparungen ermög-licht hat: die seit der Schließung der Balkanroute imMärz 2016 und dem EU-Türkei-Abkommen von EndeMärz 2016 deutlich gebremste Flüchtlingszuwanderung.Im Regierungsentwurf vom Frühjahr, als man noch von400 000 Flüchtlingen im Jahr 2017 ausgegangen war, wa-ren noch Flüchtlingsmehrbedarfe in Höhe von 1,2 Mil-liarden Euro gegenüber dem alten Finanzplan für dasGesamtbudget SGB II vorgesehen. Aufgrund der neuenAnnahmen zur Flüchtlingszuwanderung ist der Bedarfnatürlich nach unten angepasst worden. Nunmehr wer-den 900 Millionen Euro zur Entlastung der Kommunenund Länder zur Übernahme flüchtlingsbedingter Kostender Unterkunft bereitgestellt.
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Meine Damen und Herren, der brummende Arbeits-markt sowie die insgesamt positiven wirtschaftlichenEckdaten haben sich auch bei den Zuschüssen zur Ren-tenversicherung bemerkbar gemacht. Trotz erheblicherRentenerhöhungen im Sommer konnten wir im Saldo dieAusgaben hier um rund 150 Millionen Euro verringern.Auch den Ansatz für die Grundsicherung im Alter undbei Erwerbsminderung konnten wir um gut 40 MillionenEuro vermindern. Vorgesehen sind jetzt an Leistungen andie Rentenversicherung gut 91 Milliarden Euro sowie gut7 Milliarden Euro für die Grundsicherung im Alter undbei Erwerbsminderung. Zusammen sind das rund 30 Pro-zent der vorgesehenen Ausgaben des Bundes oder, andersformuliert: Fast jeden dritten Euro werden wir im kom-menden Jahr für Rente und Grundsicherung ausgeben.Das ist doch neben den enormen Beitragsleistungen derArbeitnehmer eine sehr beachtliche Leistung des aktivenBevölkerungsteils für das Wohlergehen der älteren Ge-neration in unserem Land, die man durchaus würdigensollte.Meine Damen und Herren, bei den Beratungen habenwir auch über andere Einsparpotenziale gesprochen, zumBeispiel bei der Datenverarbeitung. In Zukunft solltenwir uns auch über neue Finanzierungsformen Gedankenmachen. Die klassische Form des Kaufes könnte mitalternativen Preismodellen verglichen werden. Aus Un-ternehmen gibt es Beispiele, die zeigen, dass eine Kos-tensenkung im Bereich der IT-Bereitstellung durchauserreichbar sein könnte.Darüber hinaus haben wir gemeinsam dafür gesorgt,dass wir die Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversi-cherungswahlen stärken.
Wir haben strukturelle Änderungen vorgenommen, weilwir glauben, dass dies eine wichtige Aufgabe ist, diedurchgeführt werden muss. Ich danke hier allen Bericht-erstattern, weil wir das im Konsens über alle Fraktionenhinweg gemacht haben.Zum Abschluss möchte ich Ekin Deligöz Dank sagen,die als Hauptberichterstatterin die Hauptarbeit bei derVorbereitung unserer Sitzungen getragen hat, meinemFreund und Kollegen Ewald Schurer und auch GesineLötzsch. Gemeinsam haben wir, glaube ich, gute undfaire Beratungen durchgeführt. Ich bin sicher, dass die-ser Haushalt eine gute Richtung für das kommende Jahrvorgibt.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Jetzt hat Ewald Schurer, SPD-Frakti-
on, die Gelegenheit, das Wort zu ergreifen. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Der Einzelplan des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales wird heute vor demHintergrund einer extrem guten Arbeitsmarktsituationberaten.Erster Punkt. Nachdem ich die ersten Beiträge vonFrau Dr. Lötzsch und Herrn Kurth gehört habe, würdeich mich spontan bereitfinden, Sie beide nächste Wocheeinzuladen – ich habe da noch ein bisschen Zeit –, umden Haushalt gemeinsam mit Ihnen durchzugehen
und Ihnen die Erfolge, die wir erzielt haben, noch einmalauf eine nette Art und Weise zu erklären. Ich glaube, daswürde uns allen helfen.
– Das war ein nettes Angebot, das Sie annehmen sollten.Ich zahle auch den Kaffee usw.
Zweiter Punkt. 2,5 Millionen Menschen in Deutsch-land sind noch arbeitslos. Diese Zahl lag schon einmalbei 5 Millionen und höher. Frau Ministerin, mit Rechthaben Sie betont, dass dies der Bestwert im letzten Vier-teljahrhundert ist.
Das sollte man sagen dürfen, und das muss man auchbetonen, weil es das Ergebnis einer Interaktion, einerZusammenarbeit ist: zwischen Bundesagentur für Arbeit,Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und allen anderen, diedaran beteiligt sind. Vor diesem Hintergrund können wireinigermaßen zufrieden sein. Allerdings wissen wir, dasses immer noch viele langzeitarbeitslose Menschen gibtund wir im Hinblick auf die Aufgaben im Zusammen-hang mit Flucht und Migration in den nächsten Mona-ten und Jahren eine Menge Leistungen werden erbringenmüssen.Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland hat mit43,8 Millionen einen Höchstwert erreicht; auch das isteinsame Spitze. Davon sind 31,5 Millionen Menschensozialversicherungspflichtig beschäftigt. Am Arbeits-markt, werte Kolleginnen und Kollegen, gibt es Schät-zungen zufolge im Augenblick einen Bedarf an über1 Million Facharbeitskräften. Alleine von der Agentur fürArbeit werden etwa 750 000 Facharbeitskräfte gesucht,aber es gibt noch weitere Nachfrage. 1 Million Menschenwerden in gewissen Segmenten der Wirtschaft derzeitschon gesucht, um Facharbeitsplätze, die offen sind, zubesetzen.Eine ganz große Herausforderung ist natürlich dieIntegration der geflüchteten Menschen. Die öffentlicheDiskussion darüber wird ja zum Teil sehr schrill undsehr populistisch geführt. Ganz klar ist: Wir brauchenAxel E. Fischer
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eine Beschleunigung der Asylverfahren. Ein bisschen hatdas in diesem Jahr mit dem BAMF schon geklappt – ichsage das etwas hintergründig –, aber nicht so gut wie pro-gnostiziert.Wir müssen die Sprachförderung – Frau Ministerin,Sie haben es gesagt: 410 Millionen Euro werden dafürallein im Haushalt für 2017 zur Verfügung gestellt – in-tensivieren. Ohne Sprache geht nichts. Die beruflicheQualifizierung, die Arbeits- und Ausbildungsvermittlungund natürlich auch die Bereitschaft der Firmen und Be-triebe, also der Wirtschaft draußen, sind entscheidend da-für, dass wir diese Aufgabe wirklich bewältigen können.Die Herausforderung ist groß. Wir haben deshalb denAnsatz für 2017 im Hinblick auf die Unterbringung derFlüchtlinge um 1,4 Milliarden Euro auf 6,5 MilliardenEuro erhöht, um für eine Entlastung der Länder und Kom-munen zu sorgen und sie bei der Erfüllung dieser wich-tigen Aufgabe zu unterstützen. Auch mit Blick auf dieJobcenter und die flüchtlingsbedingten Mehrausgabenund Mehraufwendungen haben wir eine Menge gemacht.Künftig werden mit den bereitgestellten 300 MillionenEuro zum Beispiel 90 zusätzliche Jobcenter bedient, umden von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen zu helfen,Integrationskurse anzubieten und Angebote zu machen.
Liebe Freundinnen und Freunde – hier im Parlamentzähle ich ja fast alle dazu –,
der soziale Zusammenhalt dieser Gesellschaft ist auchder Grund, wieso wir Sozial- und Rentenpolitik machen.Die rentenpolitische Debatte ist eine ganz wichtige. DieRente ist für die Menschen ein Indikator für soziale Ge-rechtigkeit; das muss man sehen. In diesem Zusammen-hang hat Frau Lötzsch eine wichtige Zahl vergessen: Wasden Rententitel betrifft, mussten die Zuführungen auf-grund der guten Arbeitsmarktsituation gekürzt werden.Das war also überhaupt nicht politisch induziert. Der Zu-schuss des Bundes an die Rentenversicherung im Haus-halt 2017 beträgt 91 Milliarden Euro; zusätzlich werden7,1 Milliarden Euro für die Grundsicherung im Alter undbei Erwerbsminderung zur Verfügung gestellt. Was diemittelfristige Finanzplanung angeht, so wird prognosti-ziert, dass dieser Zuschuss von rund 98 Milliarden Euroauf circa 110 Milliarden Euro im Jahr 2020 steigen wird.Zum realen Rentenniveau – die Zukunftsfrage derRente – wird die Frau Ministerin morgen der Öffentlich-keit Bausteine aufzeigen. Ich bin gespannt. Ich kann mirvorstellen, dass dabei Verbesserungen bei der Sicherunggegen Altersarmut oder auch der letzten Haltelinie beimRentenniveau, indem sie sich an den Nettolöhnen derMenschen in der Volkswirtschaft orientiert, eine Rollespielen werden.Meine letzte Aussage, meine Damen und Herren, ist:Rente ist eine Grundsatzfrage der Gesellschaft. Das The-ma fällt in den Bereich „Arbeit und Soziales“. Es gehtaber auch um politische Grundsatzentscheidungen, diedie Bereiche Wirtschaft, Gesundheit und Pflege betreffenund damit die Bundeskanzlerin und das gesamte Parla-ment angehen. Will ich, dass die gesetzliche Rente künf-tig gestärkt wird? Und verstehe ich endlich, dass Rentenicht irgendwie vom Wesen her ein fremdes Staatssystemist, sondern darauf beruht, dass sich die Menschen ihreRentenanteile ein Leben lang erarbeiten, und zwar sehrhart?
Mit Bundeszuschüssen kann ich gewisse soziale Fakto-ren – eben eine Mütterrente; aber auch Maßnahmen imKampf gegen Armut – induzieren und die Rente somitleistungsmäßig so verbessern, dass die Menschen im Al-ter ein lebenswertes Dasein haben. Das geht nur mit einerstabilisierten gesetzlichen Rente.Deswegen spreche ich mich zum Schluss explizit da-für aus, dass die Rentenformel in Zukunft so verändertwird, dass sich die Produktivitätsgewinne der Volkswirt-schaft in der Rente wiederfinden.
Das ist meine persönliche Vision. Dies ist eine politischeAufgabe für uns alle.
Ich bin für eine gesetzliche Rente, die den Menschen dasLeben ermöglicht.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Wenn man Ihnen hier zuhört, denkt man, Sie le-ben in einer anderen Welt. Ich als Gewerkschafterin er-fahre täglich, dass die Wirklichkeit ganz vieler Menschenvöllig anders ist.Frau Nahles, ich muss Ihnen hier einige andere Zahlennennen, die Sie immer gerne weglassen, weil sie nichtin Ihr Bild hineinpassen: Jeder zehnte Beschäftigte inDeutschland arbeitet zu einem Armutslohn. Jeder Sechs-te über 65 Jahre ist von Armut bedroht.
Jedes siebte Kind lebt von Hartz IV. In Ostdeutschlandist es sogar jedes fünfte Kind. Mindestens 14,5 MillionenMenschen haben seit Einführung von Hartz IV mindes-Ewald Schurer
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tens einmal diese Leistung bezogen. Viele dieser Men-schen können sich ab Mitte des Monats kein warmesMittagessen mehr leisten. Sie haben Angst, am Ende desMonats die Stromrechnung nicht bezahlen zu können.Sie fühlen sich in ihrer Würde verletzt. Sie sind verletzt,meine Damen und Herren. Und Sie? Sie tun überhauptnichts dagegen!
Wenn Sie hier immer so schön davon reden und an-preisen, dass es 43 Millionen Beschäftigungsverhältnis-se gibt, kann ich Ihnen nur entgegnen: Erzählen Sie daseinmal meinem Kollegen Leiharbeiter in Zwickau – derarbeitet nämlich bei einem Automobilzulieferer, weil wirein VW-Standort sind –, der drei Jobs hat. Er sagt immerzu mir: Sabine, von den 43 Millionen Jobs gehören mirallein drei. Das finde ich so ungerecht. Und da stellenSie sich hier hin und sagen, dass Sie es geschafft haben,dass es 43 Millionen Beschäftigungsverhältnisse gibt.Deutschland bedeutet bei uns, dass viele in einem Zweit-job arbeiten müssen.
Es gibt nämlich in Deutschland 2,6 Millionen Menschen,die noch in einem Zweitjob arbeiten. Das ist ihre Reali-tät! So sieht es nämlich aus.
Fest steht: Deutschland ist wie nie zuvor in Arm undReich gespalten.Die Tafeln, die Kleiderkammern, die Suppenküchen –Herr Weiß, Sie können ja einmal dort hingehen und sichanschauen, was dort für ein Andrang herrscht –, die ha-ben Hochkonjunktur und haben sogar Probleme, den Be-darf zu decken. Das ist die Realität!Es ärgert mich hier an dieser Stelle, dass Sie die Armutnicht sehen wollen. Sie können da nicht weggucken. Siekönnen sich da auch nicht verstecken. Die Armut ist dain Deutschland! Sie aber sehen zu, wie die Rentnerinnenund Rentner mit 500 Euro nach Hause gehen und damitihren Lebensabend bestreiten müssen,
wenn Kinder kein Geld haben, um am Klassenausflugteilzunehmen, weil die Eltern das eben nicht finanzie-ren können, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmertrotz Vollzeitjob am Ende des Monats nicht mehr wissen,wie sie über die Runden kommen sollen. Und Sie? Siesehen da einfach zu. Sie sehen zu, wie 1 Million Lang-zeitarbeitslose schon seit vier Jahren oder länger in derErwerbslosigkeit gefangen sind.Denken Sie allen Ernstes, dass das Einzelfälle sind?Ich sage Ihnen, Sie irren sich ganz gewaltig. Das sindkeine Einzelfälle, es handelt sich hier um Millionen vonMenschen, die keine Perspektive mehr haben.
Sie lassen diese Menschen einfach in der Statistik ver-schwinden. Das ist das Resultat Ihrer Politik in den letz-ten Jahren.
Dass sich diese Bundesregierung beharrlich weigert,etwas gegen diesen Missstand zu tun, finde ich unerträg-lich.
Der linke Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten,Professor Dr. Christoph Butterwegge, sagte,
dass die Bundesregierung Reichtumsförderung statt Ar-mutsbekämpfung betreibt; recht hat er. Er hat auch recht,wenn er sagt:Seit der „Agenda 2010“ und den sog. Hartz-Geset-zen herrscht soziale Eiseskälte in Deutschland.
Frau Ministerin Nahles, Sie sind mit dem Versprechenangetreten, deutlich mehr für langzeiterwerbslose Men-schen zu tun und sie eher und schneller in Arbeit zu brin-gen. Was haben Sie erreicht? Nichts haben Sie erreicht.
Die Langzeiterwerbslosigkeit stagniert auf einem hohenNiveau; es sind immer noch knapp 1 Million Menschen.Wir brauchen endlich deutlich mehr Mittel für Unter-stützungsleistungen. Wir brauchen eine Vermittlung aufAugenhöhe, sodass die Erwerbslosen eben nicht als Bitt-steller in die Jobcenter kommen,
und wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbil-dung. Zudem fordern wir immer noch die Schaffung ei-nes öffentlich geförderten Beschäftigungssektors; anderesagen „sozialer Arbeitsmarkt“ dazu.
Das entwürdigende Hartz-IV-System muss abgeschafftwerden. Wir brauchen eine sanktionsfreie Mindestsiche-rung. All das fordert die Linke.
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik muss den Menschenwieder in den Mittelpunkt stellen. Warum haben dieRechtspopulisten solchen Zulauf? Die Motive, rechtspo-pulistisch zu wählen – ob nun in Deutschland, in ande-ren EU-Ländern oder in den USA –, sind soziale Aus-grenzung, Perspektivlosigkeit und Abstiegsängste. DieseBundesregierung hat nicht verstanden, was die meistenMenschen in Deutschland bewegt. Sie haben wertvolleSabine Zimmermann
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Zeit verschenkt. Kein zentrales Problem haben Sie ge-löst. Die Spaltung zwischen Arm und Reich wird immergrößer.
Auch der Mindestlohn kam zu spät und ist viel zuniedrig. 12 Euro ohne Ausnahmen: Das wäre hier derrichtige Schritt.
Und: Schaffen Sie die Leiharbeit ab! Gute Arbeit,unbefristete Beschäftigung und Löhne, von denen manleben und seine Familie ernähren kann: Das fordert dieLinke. Nur so würde es gehen.Stärken Sie die gesetzliche Rente! Sie muss armuts-fest sein.
Das Rentenniveau muss wieder angehoben werden. Rausmit den Kürzungsfaktoren! Weg mit der Rente ab 67!
Wir brauchen eine solidarische Mindestrente von1 050 Euro;
denn ich finde, unsere Rentnerinnen und Rentner habenes verdient, nach einem harten Arbeitsleben keine Zei-tungen austragen oder in Müllcontainern wühlen zu müs-sen, um die Flaschen dort einzusammeln.
Eine Riesenschande ist die zunehmende Kinderarmut.Aber auch hier tun Sie nichts. Lediglich eine Kindergel-derhöhung um 2 Euro pro Monat waren Ihnen die Kinderwert.
Die Linke fordert Sofortmaßnahmen, um diesen unwür-digen Zustand zu beenden.
Ja, all das kostet Geld, aber dieses Geld ist im System.Es muss nur ordentlich verteilt werden. Sie verteilen esfalsch. Wir brauchen unbedingt eine Vermögensteuer.
Ich komme zum Schluss. Nachdem die Kanzlerin nungesagt hat: „Ich mache weiter“, wissen wir, dass alles sobleibt, wie es ist. Dazu sagen wir: Nein! Sozial geht an-ders. Was wir brauchen, ist ein Politikwechsel, und dergeht nur mit der Linken.Danke schön.
Danke. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Karl Schiewerling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Zimmermann,ich bin fast geneigt, auf Ihre Rede einzugehen,
aber ich werde dem widerstehen. Ich habe nur gera-de einmal nachgeguckt, wie viele Nebenjobs FrauDr. Wagenknecht hat. Ich glaube, wir müssen da dochnoch etwas an den Diäten tun. Es ist ja doch eine schwie-rige Angelegenheit, wenn sie noch so viel nebenbei ver-dienen muss.
Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarkt- und So-zialpolitik der Union hat folgende Prinzipien der Christli-chen Soziallehre zur Grundlage: die Personalität, wonachdie Würde des Menschen im Mittelpunkt stehen soll, dieSubsidiarität, wonach zunächst jeder das tun soll, was erkann, um mit seiner Hände Arbeit den Lebensunterhaltfür sich und die Seinen zu verdienen, und die Solidarität,wonach jeder, der dringend auf die Hilfe der Gemein-schaft angewiesen ist, sie auch erhält. Es geht aus un-serer Sicht um Teilhabe und Chancengerechtigkeit. DerHaushalt, den die Bundesarbeitsministerin vorgelegt hat,der Haushalt, den wir jetzt verabschieden, spiegelt dies inzahlreichen Punkten sehr konkret wider.
Meine Damen und Herren, in der letzten Zeit hat dasThema Alterssicherung hohe Wellen geschlagen undschlägt sie immer noch. Die Bundesarbeitsministerinwird ja morgen ihr Konzept vorstellen. Dann werden wirsehen, wohin der Weg aus ihrer Sicht gehen kann.Ich sage Ihnen: Die Grundlagen der Alterssicherung –ob es die umlagefinanzierte Rente, die private Alters-vorsorge oder die betriebliche Altersvorsorge ist, bei derwir übrigens gerade dabei sind, viel zu unternehmen –stehen unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung derWirtschaft, aber auch unter dem Gesichtspunkt der De-mografie. Diesen Gesichtspunkten kann sich kein Alters-rentensystem – egal wie man es organisiert – entziehen.Deswegen ist es wichtig, dass wir eine gute wirtschaft-liche Entwicklung haben, dass wir gute Arbeitsmarkt-zahlen – solche, wie wir jetzt haben – vorlegen können,dass wir gute Perspektiven eröffnen. Kollege Fischer hatvorhin darauf hingewiesen: Das sind Perspektiven, unterSabine Zimmermann
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denen man Arbeitsmarkt und Sozialpolitik gut organisie-ren kann.
Weil wir hohe Beschäftigung und hohe Einnahmenund übrigens auch exzellente Tarifabschlüsse haben, ha-ben wir auch entsprechende Einnahmen und Rücklagenim Bereich der Rentenversicherung und damit ein relativgutes und stabiles System.Die Diskussion um die Altersvorsorge, die Diskussi-on darüber, wie denn die Menschen in Zukunft im Alterwerden leben können, wird im Augenblick in einem Stilgeführt, als sei die Rentenversicherung völlig durch denWind.
Das ist unerträglich. Wir machen den Menschen Angst.Das stimmt hinten und vorne nicht. Bis 2030 sind dieDinge geregelt. Alle Zahlen sind besser, als sie prognos-tiziert wurden,
und zwar sowohl die Rücklage als auch der Beitragssatzals auch das Rentenniveau, das jetzt auf 48 bzw. perspek-tivisch auf 48,1 Prozent ansteigt. Die Kolleginnen undKollegen von der Linken rechnen immer die heutige Si-tuation hoch, als würde sich nichts tun, als gäbe es keineDynamik in dem System.
Und Sie stellen das Ganze nur deshalb immer so grausigdar, damit es in Ihr unerträgliches Weltbild passt.
Meine Damen und Herren, wir haben innerhalb derRentenversicherung klare Grundlagen. Ich will sehrdeutlich sagen: Die umlagefinanzierte Rente ist kein In-strument zur Bekämpfung der Altersarmut. Die umlage-finanzierte Rente ist ein Versicherungssystem,
in das man Beiträge einzahlt und aus dem man seine Ren-te erhält. All das, was Menschen brauchen, um später vonihren Alterseinkünften leben zu können, wird nicht in derRente grundgelegt. Es wird grundgelegt in der Erziehung,es wird grundgelegt in der Bildung. Es wird grundgelegtin einer guten Qualifizierung und damit verbunden gutenArbeitsplätzen, die zu Einnahmen führen, von denen mandann im Alter leben kann.
Meine Damen und Herren, wir haben zur Sicherungder Rente im Rahmen der Diskussionen, die wir im Au-genblick führen, natürlich viele Fragen zu lösen, undzwar für die Zeit ab 2030 bis 2045 oder 2050, sofern mandie Dinge so weit vorausschauend betrachten kann. Wasaber in der gesamten Debatte nicht geht, ist eine Diskus-sion unter der Hauptüberschrift „Auf keinen Fall!“, also:Auf keinen Fall darf das Rentenniveau sinken! Auf kei-nen Fall darf der Beitragssatz steigen!
Auf keinen Fall darf der Zuschuss zur Rentenversiche-rung steigen! Auf keinen Fall darf das Regeleintrittsalterin die Rente steigen. – Mit einer solchen Herangehens-weise bekommen wir das System der Deutschen Renten-versicherung nicht in den Griff.
Deswegen rate ich dringend dazu, diese Frage orientiertam Aspekt der Generationengerechtigkeit anzugehen,ohne Schaum vor dem Mund, mit vernünftigen Annah-men, damit es finanzierbar bleibt für alle: für die zukünf-tige, die jüngere Generation, die den Beitrag erbringt, fürdie ältere Generation, die davon leben können soll, füralle an diesem System Beteiligten. Ich bin sicher, dasswir dieses Problem ordentlich lösen können, und zwarzusammen mit der Frage der betrieblichen und der priva-ten Altersvorsorge.
Meine Damen und Herren, ich will einige Sätze zumZuschuss zur Rentenversicherung sagen. Wir geben inder Tat circa 98 Milliarden Euro – so steht es im Haus-halt – als Zuschuss für die Rentenkasse aus, davon ent-fallen 7,2 Milliarden Euro auf die Kosten für die Grund-sicherung im Alter. Diese ziehe ich einmal ab. Ein Blickauf den Haushaltsplan für die Rente – daran liegt mirsehr viel – zeigt die Zahl von 13,2 Milliarden Euro fürdie Kindererziehungszeiten einschließlich des Entgelt-punktes im Zusammenhang mit der Mütterrente. Diese13,2 Milliarden Euro decken im Jahr 2017 die Ausgaben.Die Behauptung, dass die Mütterrente und der zusätz-liche Entgeltpunkt ausschließlich von Beitragszahlern,also von den Arbeitgebern und den Versicherten, finan-ziert würden, ist eine Mär. Auch dafür stellen wir Bun-deszuschüsse bereit.
Diese Zuschüsse werden wir im Jahr 2018 – so ist esvereinbart – um weitere 2 Milliarden Euro anheben. Dashaben wir festgelegt, und so wird es kommen.Karl Schiewerling
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Meine Damen und Herren, im Bereich der Arbeits-marktpolitik stellt sich die Frage: Was werden wir tun,damit die Menschen weiterhin gut in Beschäftigung blei-ben? Ich darf darauf verweisen, dass wir im Rahmen derFlexirente in der Tat Instrumente – Stichworte: Präventi-on und Rehabilitation – verabschiedet haben, mit derenHilfe es den Menschen ermöglicht werden soll, in Be-schäftigung zu bleiben. Hierbei wollen wir die Menschenunterstützen.Uns treibt natürlich die Frage um: Was machen wirmit den Langzeitarbeitslosen, und was ist zu tun, damitdiese Menschen wieder in Arbeit kommen? Die Bun-desarbeitsministerin hat vorhin völlig zu Recht auf dieInstrumente hingewiesen, die jetzt greifen. Eines dieserInstrumente, mit denen wir den Menschen helfen, istdie soziale Teilhabe. Die Frage, ob hier ein Aktiv-Pas-siv-Tausch, wie wir so schön sagen, oder eher ein verfes-tigter sozialer Arbeitsmarkt hilft, lässt sich vielleicht aufdem Papier theoretisch beantworten. Aber die anderenFragen, die wir ebenfalls beantworten müssen, sind: Wastun wir, damit Menschen den Weg in den ersten Arbeits-markt finden? Wie halten wir die Situation so dynamisch,dass die Menschen den Weg dahin finden?Wir erleben, dass viele Menschen, die langzeitarbeits-los sind, den Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden.Unsere Aufgabe besteht darin, gerade diejenigen, dielange arbeitslos sind, mit Assistenz und Unterstützungzu begleiten, damit sie diesen Weg tatsächlich gehen unddamit sie möglichst lange in Beschäftigung bleiben.
An diesem Punkt arbeiten wir. Die Instrumente wirken.Ich hoffe sehr, dass das Ganze auf Dauer funktioniert undentsprechende Früchte trägt.
Mit Blick auf die Gesamtentwicklung will ich aufzwei Punkte hinweisen. Erster Punkt: In der Tat befindenwir uns in der Debatte um die Arbeit 4.0. Es geht um dieDigitalisierung. Keiner kann richtig abschätzen, welcheWirkungen sie de facto in welchen Bereichen hat. Nureins ist klar: Es wird nicht ohne Weiterbildung und Qua-lifizierung gehen. Da tragen nicht nur der Staat, sondernauch der Betrieb und der Tarifpartner Verantwortung. Andiesem Punkt müssen wir alle zusammenarbeiten. Des-wegen glaube ich, dass wir diese Entwicklung nicht nurgut begleiten, sondern auch deutliche Akzente setzensollten.Der zweite Punkt, der mich umtreibt. Wir diskutierenzurzeit intern das Bundesteilhabegesetz. Der Gesetzent-wurf wird bald in zweiter und dritter Lesung vom Par-lament behandelt werden. In diesem Zusammenhangdiskutieren wir die steigende Zahl von Menschen mitBehinderung. Was mich umtreibt, ist die Frage der Zu-nahme der Zahl der psychischen und seelischen Erkran-kungen in unserer Gesellschaft. Ich sage Ihnen sehr deut-lich: Das betrifft nicht nur Betriebe und die Arbeitswelt.Das ist eine Frage der Entwicklung unserer Gesellschaft.In dieser Situation will ich, weil wir uns immerhin kurzvor dem ersten Advent und damit vor der Begehrlichkeitbefinden, möglichst jeden Sonntag alle Geschäfte langezu öffnen, auf Folgendes hinweisen: Ich halte es für un-erträglich, wie wir in unserer Gesellschaft Leitplankenniederreißen, die den Menschen Hilfe und Orientierunggeben. Ich habe, unabhängig von der Verfassungsfrage,kein Verständnis dafür, die Sonntage nach Beliebigkeitzur Disposition zu stellen.
Herr Kollege.
Ich glaube, dass es sich lohnt, in dieser Frage gezielt
weiterzuarbeiten.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit und bin
sicher, dass wir im nächsten Jahr den erfolgreichen Kurs
der Bundesregierung mit diesen Koalitionsfraktionen
fortsetzen.
Das ist ein wichtiger Aspekt, Herr Kollege, den Sie
zum Schluss angesprochen haben. Trotzdem muss ich ein
bisschen auf die Zeit drängen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Matthias W.
Birkwald gewünscht. – Herr Birkwald.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr KollegeSchiewerling, Sie haben eben den Eindruck erweckt, dieLinke könne nicht rechnen und wir seien gegen Beitrags-erhöhungen bei der Rentenversicherung.
Ministerin Nahles hat behauptet, die Linke schere sicheinen feuchten Kehricht darum, was Leistungsverbesse-rungen in der Rente kosten, und der FinanzstaatssekretärSpahn behauptet in der Presse die Unwahrheit, wenn esum Kinderarmut und Altersarmut geht.Deswegen will ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen jetztnoch einmal vorzurechnen, wie man das Rentenniveauauf lebensstandardsichernde 53 Prozent anheben kannund wie man es hinbekommt, dass die Beschäftigtendabei sogar weniger Geld ausgeben müssen. Das gehtso: Aktuell haben wir ein Rentenniveau von 48 Pro-zent. Wenn man das jetzt auf 53 Prozent anhöbe, dannmüssten durchschnittlich verdienende Beschäftigte mit3 022 Euro brutto 33 Euro mehr im Monat in die Ren-Karl Schiewerling
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tenkasse einzahlen, ihr Arbeitgeber ebenso, und dannhätte eine Standardrentnerin oder ein Eckrentner heute127 Euro mehr.Dazu muss man aber wissen: Sie gehen mit Ihremunsäglichen Dreisäulenmodell davon aus, dass dieseroder diese durchschnittlich verdienende Beschäftigte120 Euro im Monat in die Riester-Rente steckt. Davonmuss man die steuerlichen Zulagen abziehen – ja, HerrSpahn, ich denke daran –; dann bleiben 108 Euro übrig.Diese 108 Euro braucht der durchschnittlich verdienen-de Arbeitnehmer oder die durchschnittlich verdienendeArbeitnehmerin dann nicht mehr auszugeben, muss dannaber 33 Euro mehr in die gesetzliche Rente zahlen.Das heißt auf Deutsch: Die Beschäftigten hätten75 Euro mehr im Monat, die sie ausgeben können.
Das wäre erstens ein gutes Konjunkturprogramm, undzweitens hätten wir wieder eine lebensstandardsicherndeRente.Wenn ich die Zeit hätte, dann könnte ich Ihnen vor-rechnen, dass das auch im Jahr 2029 funktioniert. Daliegen die Zahlen nämlich bei 99 Euro für den Arbeitneh-mer und 99 Euro für den Arbeitgeber, und man spart sich164 Euro für die Riester-Rente.
– Kollege Stegemann, ich habe drei Minuten Redezeit. –Das heißt, wir haben ein durchgerechnetes Rentenkon-zept.Herr Spahn vertritt hier nicht die Interessen der jungenMenschen, sondern die seines Ministers, der Wirtschaft,der Arbeitgeber und der Versicherungswirtschaft. Des-wegen darf man ihm das nicht durchgehen lassen.
Wir haben hier eine Möglichkeit, die gesetzliche Ren-te zu retten. Tun Sie das, statt nur zu reden!Danke schön.
Herr Schiewerling, wünschen Sie das Wort zur Erwi-
derung?
Nur einige Sätze dazu. – Erstens. Dass Sie rechnen
können, haben Sie gerade mit Zahlen belegt. Aber Sie
müssen dazusagen: Auch wenn die Menschen mehr in
der Tasche haben, muss das Geld irgendwo herkommen.
Das bezahlen in dem Fall die Arbeitgeber und andere;
das bezahlt letztlich der Steuerzahler.
Zweitens. Sie haben Ihr Modell durchgerechnet, ohne
die demografische Entwicklung zu berücksichtigen. Sie
gehen von der jetzigen Situation aus und rechnen, wie
Sie es immer tun, die jetzige Situation hoch. Das machen
Sie bei der Armutsdiskussion, bei der Rentendiskussion
und bei allem anderen.
Drittens. Ihre Aussage ist falsch: Die Altersarmut
liegt bei 3 Prozent; die Kinderarmut hochgerechnet bei
14 Prozent.
– Doch, das haben wir wohl, Herr Birkwald. Deswe-
gen sind Ihre Annahmen unter dem Gesichtspunkt auch
falsch.
Den Linken passt die Lebenswirklichkeit in Deutsch-
land mit dem Aufwuchs an Beschäftigung, der gut aus-
gestatteten Rentenkasse und der guten Entwicklung im
Rentensystem in der derzeitigen Situation vielleicht
nicht in die politische Argumentation, weil die Menschen
dann nicht so richtig dazu zu bewegen sind, dagegen an-
zugehen. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die
Annahmen, von denen Sie ausgehen, nur unter ganz be-
stimmten Kautelen zutreffen, während wir die Aufgabe
haben, für alle Menschen in Deutschland für eine gute
Grundlage zu sorgen.
Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vielen Dank für das Vertrauen, das Sie mir als Haupt-berichterstatterin entgegengebracht haben. Ich gebe denDank zurück an meine Mitberichterstatter.138 Milliarden Euro standen zur Beratung an. Diesehat viele Stunden gedauert und war sehr intensiv. Wieich gerade gehört habe, kann Herr Schurer davon nichtgenug bekommen und will noch eine Runde drehen.
So kann man das zwar machen. Aber ich denke, dasswir bereits sehr verantwortungsvoll und intensiv beratenhaben. Im Verfahren hat es einige Änderungen gegeben.Diese betreffen im Wesentlichen die Anpassungen an dieHerbstprognose und die Steuerschätzung. Damit kommeich zu meiner politischen Beurteilung.Leider hat sich an vielen Stellen, wo dringender Hand-lungsbedarf besteht, wenig bewegt. Ich nenne als Bei-spiele Langzeitarbeitslosigkeit, Jobcenterfinanzierung,Altersarmut und angemessener Regelsatz. Das alles sindBaustellen, die wir bereits vor vier Jahren hatten. Dieschwarz-rote Regierung ist, obwohl die Rahmenbedin-gungen, Frau Ministerin, wirklich gut sind, keine der He-rausforderungen angegangen, um etwas zu verbessern.Sie haben die Chance vertan. Das werfen wir Ihnen vor.
Ich will einen Punkt aus dem Rentendisput heraus-greifen und veranschaulichen. Wir diskutieren gerade da-rüber, ob es Altersarmut gibt oder nicht. Natürlich gibt esAltersarmut. Die einen verweisen darauf, dass die Alters-Matthias W. Birkwald
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armutsquote bei nur 3 Prozent liege. Andere behaupten,die Zahl der in Altersarmut Lebenden sei deutlich höher.Aber darum geht es nicht. Vielmehr geht es um den Fakt,dass die Mittel für die Grundsicherung im Alter jährlichum 8 Prozent ansteigen werden. Wir als Haushälter wis-sen das, weil so viel Geld in der mittelfristigen Finanz-planung vorgesehen ist. Das ist ein Hinweis darauf, dassMenschen in diesem Land nicht nur dann in Altersarmutleben, wenn sie kein kontinuierliches Erwerbsleben auf-weisen können, sondern unter Umständen auch dann,wenn sie regelmäßig gearbeitet haben. Arm trotz Arbeit,das ist ein Problem. Deshalb schlagen wir eine Garantie-rente vor. Wir müssen hier beherzter vorgehen.
Frau Ministerin, Sie kündigen für morgen wieder Er-gebnisse weiterer Rentengespräche an. Die Lebensleis-tungsrente, die hier einmal in Rede gestanden hat, wur-de immer wieder ins Gespräch gebracht. Aber uns fehltinzwischen der Glaube, dass am Ende etwas mehr he-rauskommt als nur eine kosmetische Veränderung. WennSie das wirklich gewollt hätten, wären Sie das viel früherangegangen. Das haben Sie aber nicht getan. Entwederkönnen Sie sich nicht einigen, oder Sie sehen die Not-wendigkeit nicht. Am Ende werden die von Altersar-mut bedrohten Menschen verlieren. Die Altersarmut ist,selbst wenn sie geringer vorkommt als die Kinder- undFamilienarmut, ein dringendes Thema. Wir müssen jetztdie Chancen nutzen und zugunsten der Menschen um-steuern.
Kommen wir zum Arbeitsmarkt. Die Jobcenterfinan-zierung bleibt ein Dauerthema, weil die entsprechendenMittel aus politischen Gründen gedeckelt sind. Sie passenzwar die Mittel für die Flüchtlingsintegration an. Aberdarüber hinaus bleibt die Unterfinanzierung der Jobcenterim Grundsatz bestehen. Was bedeutet das? Das bedeutet,dass auch im nächsten Jahr knapp eine halbe MilliardeEuro aus den Eingliederungsmitteln auf den Ansatz zurDeckung der Verwaltungskosten übertragen wird. Dasbraucht die Verwaltung, um die bestehenden Kosten auf-zufangen. Nun sagen manche, diesen Verschiebebahnhofgebe es nur, weil das Ganze personalintensiv sei. Nach-dem wir aber Jahr für Jahr dieses Spielchen spielen, fehltlangsam nicht nur mir, sondern auch vielen Experten undPraktikern der Glaube, dass das stimmt.
Unterfinanzierung ist nun einmal Unterfinanzierung.Diesen deutlichen Hinweis bekommen Sie inzwischennicht nur von uns. Auch der Bundesrechnungshof ver-weist darauf, dass hier eine Unterfinanzierung vorliegt.In seinem neuen Bericht, der am 17. November in derSüddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, steht, dieVermittlung sei „noch deutlich verbesserungswürdig“,und die Förderprogramme seien „oft nur zufällig erfolg-reich“. Das bedeutet: Entweder machen die Jobcenterihre Arbeit schlampig, oder sie haben nicht die notwen-digen Mittel, um die Arbeit so zu leisten und die Vermitt-lung so voranzubringen, wie man es in unserer Gesell-schaft tun müsste.
Kommen wir zum sozialen Arbeitsmarkt. HerrSchiewerling, mir hat einiges von dem, was Sie gesagthaben, gut gefallen. Wenn Sie das ernst meinen: Warumhaben Sie kein einziges Modellprojekt im Bereich dessozialen Arbeitsmarktes durchgeführt? Das wäre docheine Gelegenheit gewesen, um sich ehrlich zu machen.
– Ja, es geht um eine sinnvolle Teilhabe. – Es geht darum,Menschen Möglichkeiten zu eröffnen, sodass sie nichtmehr komplett abgehängt sind. Aber Sie haben nichtsgetan. Ich wünsche mir, dass Sie sich den Rat des ge-schätzten Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur fürArbeit, Herrn Weise, zu Herzen nehmen. Er hat gesagt:Da müssen wir dringend etwas tun; hier besteht Hand-lungsbedarf. – Sie aber zeigen sich beratungsresistent –Chance vertan!
Eine wirkliche, ehrliche Entbürokratisierung derGrundsicherung haben Sie in der Koalition übrigens auchnicht hinbekommen. Sie haben eine Scheinänderung ge-macht, aber die Arbeit in den Jobcentern bleibt damit im-mer noch bürokratisch und damit belastet. Auch hier gilt:Chance vertan!
Ich will zum Schluss noch auf den Regelsatz einge-hen. Die Regelbedarfsermittlung befindet sich jetzt in derBeratung, und wir werden darüber noch intensiv reden.Meine Fraktion hat den Antrag eingebracht, dass wir zu-mindest die Referenzgruppe für die Bedarfsermittlungvon 15 auf 20 Prozent der unteren Einkommensgruppenerweitern müssen. Das klingt jetzt tatsächlich etwas tech-nisch, ist es aber gar nicht. Es geht darum: Wie berech-nen wir ein realistisches Existenzminimum? Was heißteigentlich Existenzminimum in diesem Land?Existenzminimum sollte immer auch mit fairer Teilha-be zusammengehen. Was Sie machen, ist, den Regelsatzkleinzurechnen. Wenn Sie alle einzelnen Posten bis zurUnkenntlichkeit minimieren, dann werden die Zahlen amEnde stimmen, aber die Menschen werden die Teilhabe-chancen nicht erhalten. Genau darum muss es am Endegehen: dass wir in diesem Land auch Menschen in sozialschwierigen Situationen die soziale Teilhabe ermögli-chen. Das hat übrigens auch ganz viel mit Demokratiefä-higkeit eines Landes zu tun.
Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wirhaben in den ganzen Debatten dieser Tage sehr viel überdie auseinanderfallende Gesellschaft, über Armut undReichtum geredet. Wir haben über die soziale Spaltungund darüber geredet, was die Ursprünge von Populismussind. Ich finde, dass Demokratie auch davon lebt, dasswir in diesem Land sozialen Ausgleich ermöglichen. Da-für müssen wir handeln. In diesem Haushalt wären vieleEkin Deligöz
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Baustellen gewesen, bei denen wir hätten handeln kön-nen. Sie haben die Chance vertan. Den Preis dafür, dasswir nichts ändern, werden wir alle gemeinsam zahlen.Ich setze darauf, dass in der nächsten Wahlperiodemehr gehandelt wird, und das ernsthaft.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat Dr. Carola Reimann das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Heute reden wir hier über den erfreulichstenHaushalt dieser Legislaturperiode. Ich glaube, das istin vielen Redebeiträgen in dieser Haushaltswoche auchschon deutlich geworden.Ich möchte im Bereich Arbeit und Soziales ein be-sonderes Projekt herausgreifen: Mit der Verabschiedungdes Bundeshaushaltes schaffen wir die Grundlage für dieFinanzierung einer der umfangreichsten Sozialrechtsre-formen der letzten Jahrzehnte. Ich rede vom Bundesteil-habegesetz. Es geht um einen neuen Blick auf Menschenmit Behinderung – nicht auf das, was sie nicht können,sondern auf das, was wir tun können, damit sie teilhabenkönnen.Das Bundesteilhabegesetz wird neben der Reform derEingliederungshilfe auch die Leistungsseite der Betrof-fenen einbeziehen. Die deutliche Verbesserung bei derEinkommens- und Vermögensanrechnung wird durch dieHerausführung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsor-gesystem ermöglicht.
Damit entfällt zum Beispiel auch die Anrechnung vonEinkommen und Vermögen der Partner – ein langge-hegter Wunsch der Betroffenen. Durch das Gesetz wirddarüber hinaus das Verfahrensrecht des Sozialgesetzbu-ches IX endlich den Bedürfnissen der Menschen ange-passt. Das wird dazu führen, dass Rehabilitationsleis-tungen wie aus einer Hand erbracht werden und dabeipassgenau den individuellen Gesamtbedarf abdecken.Es wird neue unabhängige Beratungsstellen geben, indenen vor allem Beratung auch durch behinderte Men-schen stattfinden wird. Das stärkt deren Position undwird dazu führen, dass die Leistungsberechtigten, wiewir sie technisch nennen, mehr als Experten in eigenerSache wahrgenommen werden und mehr mit ihnen stattüber sie geredet wird.Dafür sieht der Bundeshaushalt im kommenden JahrMehrausgaben von 160 Millionen Euro vor. Dieservom Bund aufzubringende Beitrag wird bis 2020 rund700 Millionen Euro betragen. Ich finde, das ist eine sehrbeachtliche Summe. Wenn man in diesem Zusammen-hang hört, dass es sich um ein Spargesetz handele, wiedas behauptet wird, dann darf man auch mal den Kopfschütteln.Es gibt viel Kritik, auch von Verbänden, an diesemGesetz. Dazu möchte ich ausdrücklich feststellen: DieseBedenken werden von uns sehr ernst genommen.
Wir haben mit unserem Koalitionspartner in den letztenWochen und bis in die letzten Stunden, will ich sagen,mit sehr großem Engagement und mit sehr großer Kol-legialität die offenen Punkte im Sinne der Betroffenenberaten. Wir werden nächste Woche die erarbeiteten Än-derungen hier vorstellen.Zum Inhalt nur zwei Anmerkungen. Wir werden si-cherstellen, dass niemand schlechtergestellt wird. Auchwenn sich mit dieser Reform vieles verändern wird: Wirwerden den Kreis der anspruchsberechtigten Personendefinitiv nicht einschränken.
Dafür werden wir den gesamten Umsetzungsprozessdieses Gesetzes aufwendig wissenschaftlich begleitenlassen und evaluieren. Hierzu sind in der Bereinigungs-sitzung der Haushälter die finanziellen Mittel merklichaufgestockt worden. Deshalb will ich an dieser Stelleunseren Haushältern einen ganz herzlichen Dank sagen.
Wenn wir über den Einzelplan 11 reden, kommenwir alle an einem Thema nicht vorbei, der Rente. Hierwerden nicht Millionen, sondern Milliarden ausgegeben.Das ist viel Geld, auch aus dem Bundeshaushalt, aber esist sinnvoll eingesetztes Geld, damit Menschen im Altergut leben können. Die Debatte darüber, wie dieses auchin Zukunft gewährleistet werden kann, welchen Preisbzw. welchen Beitragssatz wir alle dafür zu zahlen bereitsind, ist in vollem Gange. Ich kann nur sagen: Ich hoffesehr, dass wir eine rationale, maßvolle und generationen-gerechte Lösung finden – und das, wenn ich das wün-schen darf, möglichst parteiübergreifend.
Ich will in diesem Zusammenhang auf zwei Perso-nengruppen besonders hinweisen, bei denen ausgespro-chener Handlungsbedarf besteht. Das sind zum einendie Erwerbsgeminderten. Für die erwerbsgemindertenArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben wir bereitsmit dem Rentenpaket I einiges getan. Das war gut, aberda müssen wir jetzt nachlegen.Zum anderen geht es um die Selbstständigen. Ja, esgibt Selbstständige, die im Alter gut abgesichert sind. Wirdürfen aber die Augen nicht davor verschließen, dass wireine zunehmende Zahl von Selbstständigen haben, dienicht in der Lage sind, ohne staatliche Hilfe auszukom-men, geschweige denn, für ihr Alter vorzusorgen. AusEkin Deligöz
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meiner Perspektive geht da an einer Pflichtversicherungin der gesetzlichen Rente eigentlich kein Weg vorbei.
Ich hoffe, Kollege, dass wir das im Rahmen eines Ge-samtkonzepts, das in Kürze vorgestellt wird, bald hier indiesem Hause intensiv beraten können.
Ich danke fürs Zuhören.
Als nächster Redner hat Mark Helfrich für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wie immer inden letzten Novemberwochen: Wir debattieren und be-schließen den Bundeshaushalt für das kommende Jahrmit seinen Einzelplänen für die Ressorts. Wie immerweist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales da-bei den größten und umfangreichsten Einzeletat auf. Wieimmer sind der Opposition die vorgesehenen Leistungs-ansätze zu niedrig. Wie immer wähnt sie wieder einmalunseren Sozialstaat am Ende. Same Procedure as everyYear.
Unsere Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage ist seit Jah-ren unverändert gut. Wir haben ein gesundes Wirtschafts-wachstum, zuletzt von 1,8 Prozent. Das Ergebnis sindfast 43,8 Millionen Beschäftigte – Rekord. Gleichzeitiggeht der Stellenaufbau weiter. Erstmals in der Geschich-te der Bundesrepublik waren mehr als 31,4 MillionenMenschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. DieZahl der Erwerbslosen hat sich in den letzten zehn Jah-ren halbiert, und das ist ein Vierteljahrhunderttief. Nurdank dieser guten Ausgangslage können wir heute darü-ber debattieren, wofür wir Geld in der Arbeitsmarkt- undSozialpolitik einsetzen.Wir müssen uns aber auch ins Gedächtnis rufen, dasseine solche gute Arbeitsmarktlage alles andere als einSelbstläufer ist. Grundlage dafür ist und bleibt eine sta-bile Wirtschaft. Ich erinnere an die Zeit vor gut zehn Jah-ren, als es 5 Millionen Arbeitslose gab und die Situationin der Wirtschaft und bei den Sozialversicherungsträgernkatastrophal war. Niemand möchte diese Zeiten wieder.Also lassen Sie uns gemeinsam darauf achten, dass diesegute Entwicklung so bleibt, wie sie ist. Lassen Sie unsendlich aufhören, richtige Arbeitsmarktreformen dervergangenen Jahre peu à peu zurückzudrehen, zum Bei-spiel durch die Frühverrentung gut qualifizierter ältererArbeitnehmer.Im Sommer habe ich mich in meinem Wahlkreis beiUnternehmen und Betrieben umgeschaut. Die Stimmungist gut. Die Auftragsbücher sind voll. Doch die Sorge,Stellen in Zukunft nicht mehr besetzen zu können, treibtalle um. Der Fachkräftemangel ist das Hauptproblemder Betriebe und setzt die Wirtschaft weiter unter Druck.Deutschlandweit haben nach einer aktuellen Studie49 Prozent der Unternehmen massive Probleme, offeneStellen zu besetzen.Klar ist inzwischen: Das Gros der Flüchtlinge kannaufgrund mangelnder Bildung und auch mangelnderSprachkenntnisse auf absehbare Zeit unser Problem desFachkräftemangels nicht lösen. Damit das aber mittel-fristig gelingt, ist es umso wichtiger, dass wir im nächs-ten Jahr zusätzlich 4,3 Milliarden Euro für die Integrati-on der Flüchtlinge ausgeben. 1,6 Milliarden Euro davonentfallen auf die aktive Eingliederung der Flüchtlinge inden Arbeitsmarkt. Deutsch lernen ist für die Integrationder Flüchtlinge der Dreh- und Angelpunkt. Darüber sindwir uns in diesem Hause einig. Deshalb werden wir dieAnzahl der berufsbezogenen Sprachkurse von derzeit20 000 auf 200 000 verzehnfachen.Innerhalb der Union sind wir uns darüber im Klaren:Es darf keine Wiederholung der Flüchtlingszuwanderungnach Deutschland wie im letzten Jahr geben; vielmehrmüssen wir uns auch weiterhin gezielt um hochqualifi-zierte Fachkräfte aus Europa und Drittländern bemü-hen. Aus der ganzen Welt können seit 2013 bei einemJobangebot Facharbeiter mit einer abgeschlossenen Aus-bildung in einem Mangelberuf in Deutschland arbeiten.Auch Hochqualifizierte in den MINT-Berufen sowieHochschulabsolventen können bei einem entsprechen-den Mindesteinkommen in Deutschland arbeiten. Wirverfügen damit bereits heute im internationalen Vergleichüber sehr offene und liberale Zuwanderungsregelungen.Deutschland ist nach den USA bereits das zweitgrößteEinwanderungsland der Welt.Den Befürwortern eines Einwanderungsgesetzes miteinem Punktesystem kann ich in diesem Zusammenhangnur eines sagen: Wir brauchen eine passgenaue Zuwan-derung in den Arbeitsmarkt und nicht in die Arbeitslo-sigkeit.
Wer Menschen nach Deutschland holen will, ohne vor-her die Arbeitsplatzfrage zu klären, der ignoriert die In-teressen unseres Landes und vor allem auch die Sorgenund Bedürfnisse der Menschen. Für die meisten Bürgerstehen derzeit eher Fragen von Recht und Ordnung imMittelpunkt, etwa die Frage, wie sich die Ausreise von200 000 Menschen, die kein Bleiberecht in Deutschlandhaben, organisieren und durchsetzen lässt.Vor allem die links regierten Bundesländer tun sichdamit schwer. Sie verfahren leider nach dem Motto: Ein-mal in Deutschland, immer in Deutschland. Die den Ber-liner Senat tragende Koalition hat den Abschiebestoppfür Ausreisepflichtige sogar im Koalitionsvertrag festge-schrieben.
Dr. Carola Reimann
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Das ist rot-rot-grüne Politik.Nein, geltendes Abschieberecht muss konsequentdurchgesetzt werden – jetzt hören Sie bitte zu –, auch umdie Akzeptanz für Arbeitsmigration in der Bevölkerungnicht zu gefährden.
Wir müssen unseren Blick aber genauso auf die Situ-ation der Menschen richten, die schon lange ohne Arbeitsind. Für Eingliederung in Arbeit und für die Betreuungund Vermittlung stellen wir knapp 8,9 Milliarden Eurozur Verfügung. Es ist auch gut, dass wir in diesem Haus-halt diesen Ansatz für das Programm „Soziale Teilha-be am Arbeitsmarkt“ um 150 Millionen Euro auf dann300 Millionen Euro verdoppeln. Auch das ist ein wichti-ges Signal, dass wir angesichts der Flüchtlinge die Lang-zeitarbeitslosen nicht vergessen.Unerwähnt bleiben darf auch nicht das Bundespro-gramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit, für daswir im nächsten Jahr 160 Millionen Euro zur Verfügungstellen. Ich habe mich in meinem Wahlkreis davon über-zeugen können, dass dieses Programm gut funktioniertund bei den Menschen ankommt.Bei mir in Schleswig-Holstein hat das Jobcenter Dith-marschen mit großem Einsatz tolle Erfolge erzielt. Eskonnten mehr Langzeitarbeitslose in Arbeit vermitteltwerden als geplant. Deshalb hat das BMAS auch nochzusätzliche Mittel bereitgestellt. – Herzlichen Dank nachDithmarschen und herzlichen Dank an das BMAS.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist einreiches Land. Kein Mensch mit Herz und Verstand will,dass Senioren ihren Lebensabend in Altersarmut verbrin-gen. Und doch zwingen ein paar Fakten zum Handeln.Die Menschen werden immer älter. Dadurch beziehen sieimmer länger Rente.
Die Jüngeren, die mit ihren Beiträgen und Steuern dieRenten bezahlen, werden immer weniger. Das ist daseigentliche Problem, vor dem wir die Augen nicht ver-schließen dürfen. Es lässt sich auch nicht ideologischlösen.
Franz Müntefering brachte es bereits 2006 auf denPunkt – Zitat –:Da muss man kein Mathematiker sein, da reichtVolksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssenirgendetwas machen.Ja, meine Damen und Herren, das müssen wir.
Ziel muss es aber sein, dass künftig weder die Versiche-rungsbeiträge noch die Steuerzuschüsse in die Renten-versicherung durch die Decke schießen. Also hören Sieauf mit dem Überbietungswettbewerb zulasten jüngererGenerationen.
Wichtig ist doch, dass die Beiträge zur Rentenversiche-rung auch für Jüngere bezahlbar bleiben müssen. Deshalbbraucht Deutschland ein atmendes Rentensystem, das diesteigende Lebenserwartung berücksichtigt. Ich sage den-jenigen, die das nicht akzeptieren können, wollen oderdürfen: Das ist kein sozialpolitischer Unfug, sondern ausgutem Grund in vielen europäischen Ländern sozialpoli-tische Realität.
Sehr verehrte Damen und Herren, wir müssen aufpas-sen, dass aus der Rentenkomödie der jetzigen Rentnerge-neration keine Tragödie für die Jüngeren wird. Deshalblassen Sie uns auch beim Thema Rente Politik für Gene-rationen machen.Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin hat Kerstin Griese für die
SPD-Fraktion das Wort
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Arbeits- und Sozialetat ist groß. Es sind fast 138 Mil-liarden Euro; wir haben es schon gehört. Das sind 42 Pro-zent des gesamten Bundesetats. Das zeigt, wie wichtiguns die Aufgabe des sozialen Zusammenhalts unsererGesellschaft ist; denn zur öffentlichen Sicherheit, überdie in dieser Haushaltsdebatte viel diskutiert wird, gehörteben auch die soziale Sicherheit. Deshalb investieren wirda so viel.Gerade angesichts unserer Debatten über Rechtspo-pulismus, über irrationale Diskurse, über Ängste ist esumso wichtiger, keine Ängste zu schüren, damit sich dieMenschen sicher fühlen. Wir wollen sie vor den großenLebensrisiken wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Ar-beitslosigkeit schützen. Sie sollen auch im Alter gut le-ben können. Genau das tun wir. Darum kümmern wir unsim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Deshalb investie-ren wir hier viel, und das ist gut so.
Wir Politikerinnen und Politiker sind doch allesamtdafür verantwortlich, etwas gegen die allgemeine Verun-sicherung zu tun; denn wir sorgen dafür, dass Menschensicher und gut miteinander leben können, auch was ihresoziale Situation und ihren Arbeitsplatz angeht. Daranarbeiten wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales sehrMark Helfrich
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fleißig, zusammen mit dem Ministerium. Neun Gesetzehaben wir 2014 verabschiedet, darunter so wichtige Din-ge wie den Mindestlohn und das Rentenpaket. Neun Ge-setze waren es 2015, und neun haben wir auch in diesemJahr schon geschafft. Mit dem Bundesteilhabegesetz, denSGB-II-Regelsätzen und der großen und wichtigen Ren-tendebatte liegen noch viele wichtige Themen vor uns.Die Rente ist uns wichtig und teuer. Dafür stehen indiesem Haushalt 98,4 Milliarden Euro zur Verfügung.Das zeigt noch einmal, wie wichtig uns soziale Siche-rung ist.
Der Arbeitsmarkt – auch das haben wir schon gehört –ist in sehr guter Verfassung. 5,8 Prozent Arbeitslosigkeitist ein neuer Niedrigstand, der beste Stand seit 25 Jahren.Das zeigt, dass wir hier gute Politik machen. Dafür dankeich zuallererst unserer Ministerin Andrea Nahles sowieallen, die im Ausschuss durch konstruktive Zusammen-arbeit daran mitwirken, aber auch durch Kritik; dennauch dadurch kann man besser werden.Fast 900 000 Menschen sind zu uns geflohen. Geradeweil der Arbeitsmarkt in so guter Verfassung ist, hattenwir die Chance, hierauf gut zu reagieren. Nicht immerging alles sofort oder schnell genug, aber mit dem In-tegrationsgesetz konnten wir wichtige Weichen stellen,damit sich die Menschen durch das Lernen der Sprache,durch Arbeit, durch Ausbildung integrieren können. Ichglaube, das A und O ist, dass sie in Arbeit kommen.Aus einer aktuellen Studie will ich Ihnen eine sehr er-munternde, gute Zahl zitieren: 96 Prozent der Flüchtlin-ge sagen: Wir wollen in einem demokratischen Systemleben, wir wollen freie Wahlen, die Gleichberechtigungvon Frauen und Männern und die Bürgerrechte. – Daszeigt, dass Integration bei uns gut gelingen kann. Darü-ber habe ich mich sehr gefreut.
Integration kostet Geld, und das stellen wir in diesemHaushalt bereit: Erhöhung der Mittel für die Sprachkurse,für die Integrationskurse, für die Jobcenter. Mir ist sehrwichtig, zu sagen: Deswegen wurde keinem Arbeitslo-sen, keinem Stadtteilprojekt, keiner sozialen MaßnahmeGeld gestrichen. Im Gegenteil: Wir erhöhen die Mittel,um Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu geben. Wirverdoppeln die Mittel für das Programm „Soziale Teilha-be“, bei dem es gerade darum geht, Langzeitarbeitslosendie Möglichkeit zu geben, in Arbeit zu kommen. Auchdas schafft Sicherheit; auch das schafft Integration.
Beides gehört zusammen: die Integration der Men-schen, die zu uns kommen, aber auch das Kümmern umdie Menschen bei uns, die hier aufgewachsen sind undsich abgehängt fühlen. Beides gehört zusammen; beidesschafft soziale Sicherheit. Deshalb noch einmal: Es ist sowichtig, dass wir gerade in einer Situation, wo es wirt-schaftlich gut geht, viel für die Menschen tun, die sichabgehängt fühlen, gerade für die Langzeitarbeitslosen.Ich will allen ganz herzlich danken, die im Aus-schuss – ich will das ausdrücklich sagen – außerordent-lich konstruktiv und in guter Atmosphäre zusammen-arbeiten. Das werden wir weiter tun – für den sozialenZusammenhalt in unserem Land.Vielen Dank.
Tobias Zech hat als nächster Redner für die CDU/CSU
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauKollegin Zimmermann, wenn ich Sie vorhin richtig ver-standen habe, dann haben Sie eine andere Wahrnehmungder Realität in diesem Land als ich. Wenn man Ihre Redeverfolgt hat, dann muss man davon ausgehen, dass wirTristessen haben, leere Ladenzeilen, Arbeitslose, dieganze Stadtteile beherrschen, dass wir in einem Land dessozialen Abstiegs leben, in einem Land, dessen sozialeSicherungssysteme komplett versagt haben. Entschuldi-gung, Frau Zimmermann, Sie arbeiten hier populistischmit Angst. Das hat mit der Realität und mit der Situationin diesem Land überhaupt nichts zu tun. Man darf nichtzulassen, dass so etwas hier behauptet wird.
Die Wahrheit ist, dass wir eine Rekordbeschäftigunghaben – Rekordbeschäftigung! Noch nie seit der Wendewaren so wenige arbeitslos.
Vor zehn Jahren waren es noch doppelt so viele.Wir haben hohe Renten. Die Rentenerhöhung in die-sem Jahr, meine Damen und Herren, war die höchste seit23 Jahren. Auch das gehört zur sozialen Sicherung.
Das können Sie zu Hause auch mal erzählen.Und wir haben Rekordsteuereinnahmen. Wir habennoch nie so viel Geld eingenommen wie jetzt und habensomit auch gut gefüllte Sozialkassen.
– Frau Zimmermann? Ach so. Ich dachte, Sie winken mir.
Zum vierten Mal haben wir einen ausgeglichenenHaushalt. Dieser ausgeglichene Haushalt ist generatio-nengerecht. Das ist ein Erfolg. Kollege Kurth, Sie habendas vorhin angesprochen: Trotz oder wegen der Politikder Arbeitsministerin? – Wir sollten uns hier schon einigsein, dass wir eines nicht zulassen, nämlich dass gesagtwird: Immer dann, wenn es in Deutschland gut läuft, istKerstin Griese
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die Wirtschaft dafür verantwortlich. Immer dann, wennes schlecht läuft, sind wir schuld. –
Sowohl zum einen wie zum anderen gehören beide.
Herr Kollege Zech, wenn Sie mal einen Moment
Luft holen – genau! –, dann kann ich Sie fragen, ob Sie
eine Zwischenfrage zulassen.
Frau Zimmermann wahrscheinlich.
Ja, Frau Zimmermann.
Ja, klar. Bitte.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen,
Herr Zech.
Herr Zech, nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Statis-
tiken des Statistischen Bundesamts bzw. meine Anfragen
an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mir
die Zahlen geliefert haben, dass 2,6 Millionen Menschen
auch noch in einem Zweitjob arbeiten,
weil sie mit dem Einkommen aus dem ersten Job nicht
klarkommen, dass über 500 000 Menschen in der Grund-
sicherung sind? Sie erzählen immer, dass ich hier so ein
dunkles Bild von Deutschland male.
Das ist auch so.
Das sind die Zahlen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass
2,5 Millionen Kinder in Armut leben? Nehmen Sie zur
Kenntnis, dass 3,5 Millionen Kinder im Sommer nicht
mal eine Woche Urlaub machen können, weil ihre Eltern
so arm sind? Das sind nicht Zahlen, die die Linke erfin-
det, sondern das sind Zahlen, die mir von der Bundesre-
gierung zur Verfügung gestellt worden sind.
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das die realen Zahlen von
Deutschland sind, oder denken Sie wirklich, dass wir die-
se Zahlen erfinden?
Wissen Sie, Frau Zimmermann, ich möchte Ihnen ei-nes sagen:
– Okay, die nehme ich noch mit. – Wir leben aus meinerSicht im besten Sozialstaat dieser Welt. Es ist unbestrit-ten: Auch wir haben Probleme. Wenn wir über Alters-armut sprechen, dann können Sie nicht nur der Statistikglauben, sondern dann müssen wir auch über verschämteArmut sprechen,
also über diejenigen, die nicht zum Amt gehen und ebennichts sagen.
Das ist uns alles bewusst. Nur: Ein Bild zu zeichnen istimmer eine Komplettaufnahme. Sie beschreiben jedochnur Probleme und bringen keine Lösungen.
Sie zeichnen kein Gesamtbild. Nicht mehr und nicht we-niger habe ich gesagt. Machen Sie den Menschen in die-sem Land keine Angst.
Wir sind auf einem guten Weg, und wir sehen die Pro-bleme. Wir arbeiten daran. Ich bin noch nicht am Endemeiner Rede. Ich komme noch auf einige Lösungsansät-ze zu sprechen.Was die Langzeitarbeitslosen betrifft, sehen Sie, dassdie Mittel im Bundeshaushalt stabil sind. Mit diesemThema beschäftigen wir uns seit Jahrzehnten in diesemLand.
Wir werden auch nicht aufhören, uns mit diesem Themazu beschäftigen.
Ich darf fortfahren. Die Steuereinnahmen, über diewir jetzt sprechen, sind verdient worden von den Arbeit-nehmern in diesem Land. Sie haben sie mit ihrem Fleiß,ihrer Innovationskraft und ihrer Leistung möglich ge-macht. Denen gilt es Dank zu sagen. Der gilt aber auchden Arbeitgebern in diesem Land. Ich spreche jetzt be-wusst den Mittelstand, das Handwerk und den Handelan, aber natürlich auch die Familienunternehmen, diedurch nachhaltiges Wirtschaften in ihren Unternehmenfür Pros perität sorgen. Denen müssen wir auch die Mög-Tobias Zech
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lichkeit geben, weiterhin in diesem Land gute Geschäftezu machen.
Das heißt, dass wir mit unserer Politik – lieber PeterRamsauer, ich bitte, es nicht falsch zu verstehen – auchsehr viel Wirtschaftspolitik machen. Deswegen ist esrichtig, dass Arbeit und Soziales zusammengehören. DerAusschuss für Arbeit und Soziales hat wahrscheinlich diegrößten Nebenwirkungen in allen Ausschüssen im Deut-schen Bundestag. Vernünftiges Wirtschaften in Deutsch-land muss möglich sein im Spannungsfeld zwischenSicherheit und Flexibilität. Also, wir sind gut gerüstet.Gut gerüstet müssen wir auch sein; denn wir haben vieleHerausforderungen zu bewältigen.Wir haben heute schon einige Male über den demo-grafischen Wandel gesprochen. Wir werden immer älterund immer weniger.
Darauf müssen wir reagieren. Die Veränderungen spie-len sowohl bei der sozialen Sicherung als auch bei derArbeitsmarktpolitik eine Rolle. Wir haben heute schonmehrmals über die Rente gesprochen. Man kann dendemografischen Wandel natürlich nicht in unserem Ren-tensystem negieren. Auf der anderen Seite hat die Deut-sche Rentenversicherung zwei Weltkriege überstanden.Deswegen, Herr Kollege Birkwald, den demografischenWandel werden wir auch gut begleiten, wenn wir klu-ge Politik machen, aber im Gegensatz zu Ihrer Positionnicht mit Revolution, sondern mit Evolution. Das ist einUnterschied. An dieser Evolution, an dieser Weiterent-wicklung arbeiten wir.Hier muss ich zwei Fragen beantworten.
Niemand, der sein ganzes Leben lang in die soziale Si-cherung in Deutschland eingezahlt hat, darf von Alters-armut bedroht sein. Frage eins: Wie schaffen wir das?Frage zwei: Wie schaffen wir es, Beiträge nicht so festzu-legen, dass niemand mehr von seinem Netto leben kann,weil die Beiträge zu hoch sind? Beides ist gleich wichtig.
Wir brauchen somit – die Ministerin und auch dieKanzlerin haben es angesprochen – eine doppelte Hal-telinie, die nicht nur die Rente nach unten begrenzt, son-dern die Beiträge auch nach oben.
Das eine bedingt das andere. Das eine ohne das andereist unmöglich und wäre generationenfeindlich und somitnicht zukunftsfähig. Daher gibt es nur diese eine Mög-lichkeit. An der werden wir arbeiten.Ein weiteres Thema: Wir haben natürlich jetzt auchvor, die dritte Säule, der betrieblichen Altersvorsorge,weiterzuentwickeln. Die BAV – das haben wir im Koali-tionsvertrag festgeschrieben – soll erweitert werden. Dasist richtig. Wir brauchen eine starke dritte Säule. Aller-dings müssen wir darüber nachdenken, ob der steuerli-che Freibetrag, Herr Finanzstaatssekretär, von 7 Prozentnicht noch Luft nach oben hat.
Hier müssen wir richtig ansetzen.Wir müssen auch über die Enthaftung sprechen. Einegrundsätzliche Enthaftung ist anzustreben. Allerdingssage ich Ihnen auch: Wenn wir einmal zu dem Punktkommen, dass wir die Enthaftung brauchen und die gro-ßen Versicherungsunternehmen nicht mehr zahlungsfä-hig sind und der Protektor zusammengebrochen ist, dannhaben wir in diesem Land ganz andere Dinge zu bespre-chen.Wir haben auch das Thema Solo-Selbstständige an-gesprochen. Hier sind wir wieder bei dem großen Wi-derspruch zwischen Freiheit auf der einen Seite undSicherheit auf der anderen Seite. Frau Dr. Reimann, Siehaben die Notwendigkeit angesprochen, für Solo-Selbst-ständige, die nicht in dem Maße für sich vorsorgen kön-nen und von Altersarmut bedroht sind, eine Verpflichtungzur Vorsorge festzuschreiben. Da bin ich bei Ihnen. Ichbin nicht bei Ihnen – darüber haben wir schon vor einpaar Wochen diskutiert –, wenn Sie fordern, dass dieszwangsweise über die Deutsche Rentenversicherunggeschehen soll. Ich glaube, wir können den Menschenin diesem Land schon zutrauen, dass sie selber für sichentscheiden, welche Vorsorgemöglichkeiten sie nutzen.
Das kann neben einer Einzahlung in die Deutsche Ren-tenversicherung, die man ermöglichen sollte, auch derErwerb privaten Immobilienbesitzes oder eine andereeigenständige Vorsorge aus dem Angebot der deutschenVersicherungswirtschaft sein. Es ist nicht notwendig,dass wir immer alles bis zum letzten Punkt und Kommafür die Menschen in diesem Land regeln. Sie sind in derRegel klug genug, für sich selbst zu sorgen.Ich möchte auch noch auf den Bereich Arbeitsmarktzu sprechen kommen. Wir werden im Zusammenhangmit Arbeit 4.0 vielen Herausforderungen gegenüberste-hen; wir warten jetzt gespannt auf das Weißbuch. Insbe-sondere sollten wir das Thema Arbeitszeit nicht wie eineMonstranz vor uns hertragen, sondern – da bin ich demBMAS dankbar – offen darüber sprechen. Wir brauchenmehr Flexibilität bei der Arbeitszeit, wir brauchen mehrTobias Zech
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Flexibilität beim Arbeitsort, wir müssen den Menschenin diesem Land die Möglichkeit zum lebenslangen Ler-nen geben und die Betriebe beim Know-how-Transferbesser unterstützen. Das ist notwendig, weil wir als sozi-ales Land, als soziale Marktwirtschaft im internationalenVergleich und in Europa wettbewerbsfähig bleiben wol-len; das ist unser Ziel.Dass wir hier Diskussionen über die Verteilung vonMitteln führen können, verdanken wir den Menschenin diesem Land, die täglich zur Arbeit gehen und Steu-ern zahlen. Wir müssen somit diesen Menschen und denBetrieben in diesem Land die Möglichkeit geben, wei-ter Geld zu verdienen. In der Arbeits- und Sozialpolitikgibt es keine All-inclusive-Pakete. Das heißt, wir werdenimmer zwischen verschiedenen Interessen abwägen müs-sen. Aber wir haben nicht nur große Herausforderungenvor uns, sondern auch die Mittel, um sie mit einer klu-gen Politik anzugehen. Die schwarze Null, die wir jetzthaben, ist da nicht nur ein Ziel, sondern die notwendigeBedingung für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Las-sen Sie uns für diese Bedingung auch in den nächstenJahren kämpfen. Dann mache ich mir weder um die sozi-ale Sicherung noch um den Wohlstand der Menschen indiesem Land Sorgen, trotz aller Probleme, über die wirhier mehr als gut Bescheid wissen und die wir auch inZukunft lösen wollen.Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin hat Katja Mast für die SPD-Frak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Der Haushalt 2017 des Bundesarbeitsministeriums ist einHaushalt für Zusammenhalt und Solidarität in Deutsch-land.
Im Gegensatz zu dem, was meine grünen Kolleginnenund Kollegen die ganze Zeit erzählen, ist das, was indiesem Haushalt steht, was wir in der Arbeitsmarkt- undSozialpolitik machen, ein Chancenfinder- und Chancen-umsetzerprogramm.
Natürlich hätten wir Sozialdemokratinnen und Sozi-aldemokraten uns an der einen oder der anderen Stellemehr vorstellen können; das liegt in der Natur der Sache.
Natürlich hätten wir uns darüber gefreut, wenn wir eshingekriegt hätten, beim Thema Langzeitarbeitslosigkeitendlich den Passiv-Aktiv-Transfer,
also die Finanzierung von Arbeit anstatt von Arbeitslo-sigkeit, umzusetzen oder zumindest zu erproben. Aberdafür haben wir ja bald wieder Wahlkampf und könnenuns darüber auseinandersetzen, und wir hoffen, dass wirfür dieses Konzept 50 Prozent der Stimmen bekommen.
Aber ich sage ganz klar: In der Arbeitsmarkt- undSozialpolitik haben wir in dieser Legislaturperiode eineganze Menge hinbekommen, viel mehr als in anderenLegislaturperioden, und auch viel mehr als das, was wirhier als in Haushaltszahlen gegossene Politik debattieren.
Wir haben nämlich die Würde und den Wert der Arbeitin den Mittelpunkt der Arbeitsmarktpolitik zurückgeholt.Ich will es ganz klar sagen: Wir haben den flächen-deckenden gesetzlichen Mindestlohn endlich eingeführt.Wir sind die Stärkung der Tarifautonomie und damitlangfristig auch der Tarifbindung angegangen. Wir be-kämpfen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträ-gen. Wir haben die berufliche Weiterbildung und Bildungmassiv gestärkt und ausgebaut. Wir haben mit dem Ren-tenpaket I die erste Leistungsverbesserung für Rentnerin-nen und Rentner seit Jahrzehnten zusammen auf den Weggebracht. Wir haben mit den flexiblen Übergängen einekluge Antwort darauf gegeben, dass Menschen länger ar-beiten können, wenn sie wollen; aber sie müssen ebenauch nicht. Und wir haben mit dem Integrationsgesetzendlich Regelungen geschaffen, die wir gerne anderthalbJahre früher auf den Weg gebracht hätten: Wir setzen da-rauf, dass Menschen durch Spracherwerb, Bildung undArbeit in Deutschland integriert werden. Das alles habenwir gemeinsam auf den Weg gebracht.
Wir haben noch mehr vor. Wir werden wahrscheinlichin der nächsten Sitzungswoche gemeinsam über das Bun-desteilhabegesetz diskutieren. Es geht um eine riesengro-ße Sozialreform, um Menschen mit Behinderung mehrTeilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Wirwerden das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeitgesetzlich verankern; es geht darum, dass Frauen nicht inder elendigen Teilzeitfalle landen. Wir werden gemein-sam die betriebliche Alterssicherung stärken, und wirTobias Zech
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werden auch die gesetzliche Rentenversicherung stärken;zumindest werden wir eine Debatte darüber führen.
Ich hoffe, dass wir gemeinsam so mutig sind, weite-re Schritte im Kampf gegen Altersarmut zu gehen. Wirwerden über die zentralen Fragen des Wandels in derArbeitswelt durch die Digitalisierung diskutieren undentsprechende Regelungen in Bezug auf Arbeiten 4.0 aufden Weg bringen.All das sind wichtige Debatten, um den Wert und dieWürde der Arbeit zu schützen. Deshalb kann ich nursagen: Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundes-republik Deutschland ist in unseren Händen und in denHänden von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles gutaufgehoben.
Antje Lezius hat als letzte Rednerin in dieser Ausspra-
che das Wort für die CDU/CSU.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als letzteRednerin muss man ein bisschen zusammenfassen, abergerne möchte ich auch ein paar Akzente setzen.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Bundes-haushalt 2017 ist zunächst eine überaus gute Nachrichtverbunden: Zum dritten Mal in Folge legen wir einenHaushalt ohne neue Schulden vor. Gleichzeitig tätigenwir wichtige Investitionen: in die Sicherheit, in die In-tegration, in den Arbeitsmarkt, in Bildung und in Infra-struktur. Der Haushalt hat die Zukunft unseres Landesim Blick. Unser Staat bleibt bei allen Herausforderun-gen handlungsfähig. Der aktuelle Haushalt stellt erneutunter Beweis, dass eine aktiv gestaltende Politik undHaushaltskonsolidierung sehr wohl Hand in Hand gehenkönnen.In meinem Wahlkreis in Rheinland-Pfalz gibt es zahl-reiche strukturschwache Kommunen. Deswegen ist esmir wichtig, dass diese im Bundeshaushalt auch bedachtwerden. Auch in diesem Haushalt dient fast jeder fünfteEuro der Entlastung von Ländern und Kommunen. Trotz-dem wird bis 2020 die schwarze Null fortgeführt. Das istnicht selbstverständlich, meine Damen und Herren, dasist das Resultat der unionsgeführten soliden Haushaltpo-litik, die mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstseinhandelt. An dieser Stelle möchte ich Herrn Bundesmi-nister Schäuble und den Kollegen im Haushaltsausschussfür ihre hervorragende Arbeit herzlich danken.
Ein wesentlicher Aspekt in Haushaltsberatungen istdie Frage der Gerechtigkeit. Was gerecht ist, darüberwird intensiv debattiert. Besonders die Linke dieses Hau-ses verweist häufig auf die Gerechtigkeitsfrage als Ar-gumentationsmuster. Aber Gerechtigkeit ist beileibe keinlinker Gesinnungsbegriff. Gerechtigkeit ist auch Leitbildfür christdemokratische Politik. Wir als CDU lassen unsdiesen Begriff nicht von den Linken wegnehmen.
Wir haben die Belastungen im Blick, und wir gehen da-mit verantwortungsbewusst um.Im Bereich Arbeit und Soziales treibt uns besondersdie Frage der Generationengerechtigkeit an. Der demo-grafische Wandel ist eine Tatsache: Die Bevölkerungs-pyramide wird auf den Kopf gestellt. So kommen imJahr 2050 nur noch zwei Personen im erwerbsfähigenAlter auf einen Rentner. Generationengerechtigkeit istdas Gebot aus dieser Entwicklung.Arbeit und Soziales weist den höchsten Einzeletat auf.Hier lässt sich bereits heute der demografische Wandelablesen: Für das Jahr 2017 sieht der Bundeshaushalt91,2 Milliarden Euro für Rentenzahlungen vor. Das isteine stattliche Summe. So wichtig und selbstverständ-lich soziale Sicherung ist: Wir müssen sie aber auchzukunftsfähig halten. Im Zeichen der Generationenge-rechtigkeit müssen wir diejenigen achten, die die Rentenerwirtschaften. Weder die aktuelle noch die zukünftigenGenerationen der Beitragszahler dürfen wir über Ge-bühr belasten. Das sind wir unseren Kindern und Enkelnschuldig.Auch die andere Seite müssen wir im Blick behal-ten: die Unternehmen. Sie erwirtschaften diese Beträgegemeinsam mit ihren Beschäftigten. 59 Prozent allerregulär Beschäftigten arbeiten in kleinen und mittlerenUnternehmen. Das Vermögen der Unternehmer ist oft inden Betrieben gebunden. Die rot-rot-grüne Lieblingsideeeiner Vermögensteuer ist Gift für die KMUs. Selbst einThorsten Schäfer-Gümbel erkennt, dass sie die Unter-nehmen in ihrer Substanz gefährden würde. Es bleibt zuhoffen, dass sich diese Einsicht in der SPD durchsetzt.
Im Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit undSoziales ist aber nicht nur Soziales enthalten. Das verges-sen manche Parteien gerne. Dabei ist die Arbeit essenzi-ell für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Uns geht esum mehr als um kurzfristige Erfolge bei den Kennzahlendes Arbeitsmarktes. Wir stellen mit dem vorliegendenHaushalt die Weichen für die Zukunft der Arbeit. Wir dis-kutieren vor dem Hintergrund des demografischen Wan-dels über ein neues Leitbild der Arbeit. Auch das machtGenerationengerechtigkeit aus. Das Bundesministeriumfür Arbeit und Soziales und wir als CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion sind seit längerem mit diesem Thema be-fasst. Gemeinsam mit den Tarifpartnern entwerfen wir aneinem Tisch die Strategien dazu. Unter dem Schlagwort„Arbeit 4.0“ erarbeiten wir Ideen für die Arbeitswelt derZukunft. Dabei geht es um neue Arbeitszeitmodelle, umdie Frage der Work-Life-Balance, um neue Anforderun-Katja Mast
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gen an soziale Absicherung von Arbeit oder auch denStellenwert von Arbeit, die nicht Erwerbsarbeit ist; dazuzählt die Pflege von Angehörigen, aber auch die ehren-amtliche Tätigkeit.Der Betrieb der Zukunft stellt nicht nur Fragen angrundsätzliche Anforderungen wie flexible Arbeitszeiten,verbesserten Arbeitsschutz und intelligente Netzwerke,sondern es geht auch darum, wie wir den Fachkräftenach-wuchs sichern können. Wie gelingt uns die Integrationvon Flüchtlingen mit Bleibeperspektive? Wie motivierenwir ältere Menschen, ihren Erfahrungsschatz länger denBetrieben zur Verfügung zu stellen, Stichwort „Flexiren-te“? Wie ermöglichen wir Frauen bessere Aufstiegschan-cen? Und wie verbessern wir die Work-Life-Balance unddie Schnittstelle zwischen Familie und Beruf?
Wir gehen einen Schritt in diese Richtung, indem wirden Fokus auf gute Bildung und gute Ausbildung legen.Ich freue mich sehr darüber, dass im vorliegenden Haus-haltsentwurf der Bereich der beruflichen Bildung einengroßen Stellenwert einnimmt.
Wir stellen über die Initiative „Bildungsketten bis zumAusbildungsabschluss“ Mittel zur Verfügung. So un-terstützen wir gemeinsam mit den Ländern mit 70 Mil-lionen Euro Jugendliche in der Orientierungsphase vorEintritt in den Beruf. Ich habe selbst als Unternehmerinjunge Menschen ausgebildet. Deswegen weiß ich, wasbenötigt wird. Kleine und mittelständische Unternehmenbrauchen speziell auf sie zugeschnittene Weiterbildungs-angebote, Beratung und weniger Bürokratie. Wir för-dern überbetriebliche Berufsbildungsstätten in 2017 mit62 Millionen Euro.Darüber hinaus bleibt der Fachkräftemangel einegrundlegende Fragestellung für uns.
Mit dem Meister-BAföG geben wir darauf eine Antwort.Aus dem Etat des BMBF fördern wir 170 000 jungeMenschen mit 265 Millionen Euro.Dann gibt es die Studienabbrecher. Ihr Potenzial dür-fen wir nicht verschenken. Hier weist die Initiative zurGewinnung von Studienabbrechern für die beruflicheBildung eine neue Perspektive auf. So stärken wir unserSystem der dualen Ausbildung und eröffnen mehr Ju-gendlichen den Weg zu einer Berufsausbildung.
Frau Ekin Deligöz muss ich leider widersprechen. Ichhabe in dieser Woche ein Gespräch mit Vertretern der re-gionalen BA in meiner Heimat geführt. Es freut mich, zuhören, dass für die Arbeit vor Ort, sowohl für die Aus-stattung der Arbeitsagenturen als auch für die Integrationin den Arbeitsmarkt, zurzeit genügend Mittel vorhandensind, um Menschen in Arbeit zu bringen.
Wir können es uns nicht leisten, Potenziale zu verschen-ken. Deswegen erhalten all diejenigen Unterstützung, diesie benötigen. Auch das trägt zum gesellschaftlichen Zu-sammenhalt bei.
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, der Bundes-haushalt 2017 ist gut und solide finanziert. Er beweist,dass sich Konsolidierung und Investitionen nicht aus-schließen. Gerade im Bereich Arbeit und Soziales stär-ken wir die Talente, die unser Land voranbringen. Wirfinden gemeinsam eine Balance zwischen Stabilität undWachstum, und wir stärken den Gedanken der Gerech-tigkeit zwischen den Generationen; denn das macht dieCDU als Partei der Mitte aus.Danke schön.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe dieAussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 11 – Bundesministerium für Arbeit und Soziales – inder Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der Einzel-plan 11 in der Ausschussfassung mit den Stimmen derKoalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-men.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.16 auf: Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendDrucksachen 18/9816, 18/9824Berichterstatter für diesen Einzelplan sind die Ab-geordneten Michael Leutert, Alois Rainer, UlrikeGottschalck und Ekin Deligöz.Zu dem Einzelplan 17 liegt ein Entschließungsan-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die-sen Entschließungsantrag werden wir morgen nach derSchlussabstimmung abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. Gibt es dazuWiderspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das sobeschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hatMichael Leutert von der Fraktion Die Linke das Wort.
Antje Lezius
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, wir beraten heute abschließend denHaushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend. Der Begriff „Kinder“ taucht im Ti-tel nicht auf. Aber Kinder sind natürlich elementarer Be-standteil vieler Familien. Das ist auch ein Grund dafür,dass viele Leistungen für Kinder in Ihrem Haushalt ange-siedelt sind. Eine Leistung, die alle Familien mit Kindernkennen, ist das Kindergeld bzw. der Kinderfreibetrag.Dort gibt es eine Schieflage. Ich möchte jetzt dafür wer-ben, dass wir diese Schieflage beseitigen.
Es geht um zweierlei:Erstens. Kindergeld bekommen alle Familien, auchdiejenigen mit höherem Einkommen, zum Beispiel wirAbgeordneten. Da bei uns aber die Freibeträge ziehen,müssen wir das Kindergeld in der Steuererklärung ange-ben und es zurückzahlen. Das hat trotzdem den Effekt,dass diejenigen mit höherem Einkommen aufgrund derFreibeträge vom Staat besser behandelt werden als dieje-nigen, die ein geringeres Einkommen haben und nur dasKindergeld beziehen. Das sollten wir nicht so lassen. Ichbin schon der Meinung, dass uns alle Kinder gleich vielwert sein sollten.
Die zweite Schieflage ist: Beim Kindergeld gibt eseine Differenzierung. Für das erste und zweite Kind gibtes 190 Euro, für das dritte Kind 196 Euro und ab demvierten Kind 221 Euro. Es ist unklar, warum es für dieersten zwei Kinder weniger Kindergeld gibt als für dasdritte und vierte Kind. Ich möchte allerdings darauf hin-weisen: Bei den Freibeträgen gibt es diese Differenzie-rung nicht. Es ist also nicht etwa so, dass es für das ersteKind einen Freibetrag von 5 000 Euro, für das zweiteeinen Freibetrag von 6 000 Euro und für das dritte einenFreibetrag von 7 000 Euro gibt, sondern die Freibeträgesind für alle Kinder gleich hoch und belaufen sich aufetwas mehr als 7 000 Euro. Auch diese Schieflage mussbeseitigt werden.
Wir brauchen also ein höheres Kindergeld, und die be-schriebene Differenzierung muss abgeschafft werden,weil uns alle Kinder gleich viel wert sein müssen.Es gibt aber auch Kinder, die es ein wenig schwererhaben. Ich spreche von Kindern, die mit nur einem El-ternteil aufwachsen müssen; meistens ist es der Vater, dernicht mehr da ist. Es ist schon eine schwierige Situation,ohne Vater aufzuwachsen; auch für die alleinerziehendeMutter ist die Situation schwierig. Aber wenn der Va-ter zudem auch nicht zahlt, wird die Sache noch etwasschwieriger.Um das auszugleichen, gibt es den Unterhaltsvor-schuss. Der Unterhaltsvorschuss wird für Kinder bismaximal zum Ende des zwölften Lebensjahres und fürmaximal sechs Jahre gezahlt. Man könnte auch sagen: Erwird gezahlt, bis das Kind 13 oder 14 Jahre alt ist, unddie Bezahlung erfolgt maximal über einen Zeitraum von7 der 8 Jahren. Diese Grenzziehung ist völlig willkürlich.Niemand kann das erklären.Wir sind der Meinung, dass der Unterhaltsvorschussreformiert werden soll. Es gibt nun einen Gesetzentwurf.Danach wird gezahlt, bis die Kinder 18 Jahre alt sind, unddie Zahlung erfolgt maximal 18 Jahre lang. Liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der CDU, man liest ja jetzt vonIhnen hin und wieder, dass es da noch Gesprächsbedarfgeben würde oder dass dieser Gesetzentwurf handwerk-lich schlecht gemacht wäre. Ich kann nicht sehen, wasman da handwerklich schlecht machen kann. Ich möchteSie auffordern, hier – auch was die Länder betrifft – nichtzu blockieren.
Denn niemand kann erklären, dass wir im Bundestag be-reit sind, Milliardenbeträge für Banken- und Euro-Ret-tung oder auch für Sicherheit – gestern haben wir denVerteidigungshaushalt mit einem Plus von 2,3 MilliardenEuro beschlossen – auszugeben, während bei der sozi-alen Sicherheit gespart wird. Auch soziale Sicherheitist eine wichtige Sicherheit. Diese Reform würde uns100 Millionen Euro kosten. Das sollte es uns wert sein.
Wir beschließen mit diesem Haushalt auch das Bun-desprogramm „Demokratie leben!“. Dieses Bundespro-gramm ist in den letzten Jahren – was auf unsere Zustim-mung stößt – immer weiter ausgebaut worden. Wir habenjetzt dafür im Haushalt einen Betrag von über 100 Milli-onen Euro verankert. Ich möchte noch einmal daran erin-nern, wie wichtig das ist.In dieser Woche ist der Sachsen-Monitor öffentlichvorgestellt worden, der die Ergebnisse einer Umfrageumfasst. Mit Sachsen beschäftigen wir uns, was dieseFrage angeht, ja immer wieder. Ich möchte hier zweiZahlen daraus nennen: Auf die Frage „Ist die Bundesre-publik Deutschland durch Ausländer überfremdet?“ ant-worteten in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt18 Prozent der Befragten mit Ja. In Sachsen waren es58 Prozent.
Die Frage „Braucht Deutschland eine starke Partei, diedie Interessen der Volksgemeinschaft insgesamt ver-tritt?“ wird in der gesamten Bundesrepublik Deutschlandvon 23 Prozent der Befragten mit Ja beantwortet. Das istschon ein Wert, der mich bedenklich stimmt. In Sachsenhaben auf diese Frage 62 Prozent mit Ja geantwortet. Da-ran sieht man, dass das Programm wichtig ist und dasswir es weiter ausbauen müssen.Im Übrigen zeigen die Zahlen auch noch etwas ande-res: dass nämlich nicht nur die sogenannten Abgehängtensolche Meinungen vertreten. Vielmehr ist es so, dass das
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leider in der breiten Mitte der Gesellschaft salonfähig ist.Dem müssen wir etwas entgegensetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das muss auf eineverlässliche Grundlage gestellt werden. Deshalb brau-chen wir ein sogenanntes Demokratieförderungsgesetz.Ich hoffe doch, dass dieses Demokratieförderungsgesetznoch in dieser Legislaturperiode hier im Plenum behan-delt wird.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifftdas Personal. Frau Ministerin, es ist meines Erachtensextrem wichtig, dass gerade in Ihrem Haus und dennachgeordneten Behörden die Menschen möglichst un-befristet beschäftigt werden. In einigen nachgeordnetenBehörden – zum Beispiel im Bundesamt für Familie undzivilgesellschaftliche Aufgaben – sind 30 Prozent der Ar-beitsverhältnisse befristet. Das ist natürlich ein wesent-lich zu hoher Prozentsatz. Dort bessern wir derzeit nach.Vielleicht werden wir auf 25 Prozent kommen. Das wäreschon mal nicht schlecht.Ich möchte in dem Zusammenhang aber auch daraufhinweisen, dass es Institute – zum Beispiel das DeutscheJugendinstitut; es begleitet viele Programme wissen-schaftlich – gibt, wo 66 Prozent der Arbeitsverhältnissebefristet sind. Bei den Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftlern beträgt der entsprechende Prozentsatz 75 Pro-zent, selbst bei den Sachbearbeiterinnen und Sachbear-beitern sind es noch 38 Prozent. Das sind im Übrigenmeistens junge Frauen. Und genau denen wollen wir einePerspektive geben, um eine Familie gründen zu können.Ich bitte darum, an diesem Punkt noch Abhilfe zu schaf-fen.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die BundesministerinManuela Schwesig für die Bundesregierung das Wort.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Es gibt ja eine gute Regel indiesem Haus, wonach kein Gesetz dieses Haus so ver-lässt, wie es hier hineingekommen ist – auch nicht dasHaushaltsgesetz. Das freut mich aus Sicht des Bundes-familienministeriums natürlich besonders; denn in denHaushaltsberatungen wurden zusätzlich zu den Mitteln,die ich schon in den regierungsinternen Beratungen ver-handelt habe, weitere Mittel bewilligt. Das ist ein sehrgutes Signal. Im Zuge der parlamentarischen Haushalts-beratungen haben wir für das Bundesfamilienministeri-um eine Aufstockung auf 9,5 Milliarden Euro erreicht.Das sind über 2 Milliarden Euro mehr als zu Beginn derLegislaturperiode und zeigt eines: Uns sind die Familienim Land wichtig. Das ist ein gutes Signal für die Famili-en in unserem Land.
Die Mehrmittel kommen unter anderem dadurchzustande, dass in Deutschland nach 15 Jahren endlichwieder mehr Kinder geboren wurden. Das ist eine guteNachricht. Auch eine in den letzten Wochen veröffent-lichte Studie hat gezeigt, dass die überwiegende Mehr-heit der Menschen in unserem Land sagt: Unser Land istfamilienfreundlicher geworden. – Das ist gut und freutuns.Darauf wollen wir uns aber nicht ausruhen; wir wollennoch mehr für die Familien tun. Wir wollen insbesonde-re, dass die Familien mehr Zeit füreinander haben, dasssie eine gute Infrastruktur für ihre Kinder vorfinden –zum Beispiel Ganztagskitas – und dass sie natürlich auchmehr Geld bekommen. Diese drei Dinge gehören zu ei-ner guten Familienpolitik, und dafür sorgen wir auch.Erstens. Wir geben mehr Geld aus, damit die Familienmehr Zeit füreinander haben. Dafür sorgen wir insbeson-dere mit dem Elterngeld. Auch das neue Elterngeld Pluswird viel besser angenommen, als wir es gedacht haben.Deswegen stocken wir die Mittel dafür auf.Zweitens. Wir geben mehr Mittel denn je für die In-frastruktur aus. Während wir als Bund in 2013 noch1,5 Milliarden Euro für die Kindertagesbetreuung aus-gegeben haben, sind es in 2017 2,5 Milliarden Euro fürden Bau von Kitas und für die Verbesserung der Qualitätin den Kindertagesstätten und in der Kindertagespflege.Wie Sie alle wissen, haben wir uns mit den Ländernauf eine Qualitätsoffensive verständigt. Alle Länder bisauf das Land Hessen sind dabei.
Deshalb freut es mich auch, dass wir mit diesem Haushalteinen ersten richtigen Schritt in diese Richtung gehen.Wir geben nämlich erstmalig auch für die Finanzierungvon Plätzen für über Dreijährige Geld aus. Außerdemgeben wir Geld für die Verbesserung der Sprachförde-rung in den Kitas aus; denn Sprache ist der Schlüssel fürBildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dasfängt schon bei den Kleinsten an.
Ich freue mich deshalb, dass wir die Anzahl der soge-nannten Sprach-Kitas verdoppeln können. 3 500 weitereKitas werden zukünftig zusätzliche Erzieherinnen undErzieher für die Sprachförderung bekommen.Drittens. Natürlich sollen die Familien auch finanziellgut unterstützt werden. Das Kindergeld ist hier die be-liebteste Leistung. Es gibt aber Familien, bei denen dieEltern jeden Tag arbeiten gehen, aber ein so kleines Ein-kommen haben, dass sie selbst mit dem Lohn und demKindergeld nicht klarkommen und zum Amt müssen, umSozialleistungen zu beantragen. Gerade diesen Elternmüssen wir besser helfen.Michael Leutert
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Deshalb freue ich mich, dass wir schon in diesem Jahrden Kinderzuschlag um 20 Euro aufgestockt haben undin 2017 noch einmal nachlegen werden. Diese Familienwerden zukünftig mit dem erhöhten Kindergeld und demerhöhten Kinderzuschlag 360 Euro im Jahr mehr haben.Das ist ganz wichtig; denn das ist ein wichtiger Beitragzur Bekämpfung der Kinderarmut. Kinder, deren Elternarbeiten gehen, dürfen nicht erleben, dass die Eltern undKinder trotz Arbeit arm bleiben.
In einer aktuellen Diskussion geht es um die Verbes-serung des Unterhaltsvorschusses. Ich weiß, dass sichalle Fraktionen für dieses Thema einsetzen, und ich freuemich sehr, dass sich Bund und Länder im Rahmen derdoch sehr komplizierten Bund-Länder-Finanzbeziehun-gen darauf verständigt haben, dass wir den Unterhalts-vorschuss verbessern wollen.Sie alle kennen die Situation. Eine alleinerziehendeMutter hat mir vor kurzem ihre Situation beschrieben:Erst hat sich mein Partner aus dem Staub gemacht – erhat noch nicht einmal für das Kind gezahlt –, und jetzt,da mein Kind 13 Jahre alt wird, macht sich der Staat ausdem Staub, weil der Staat eben nur bis zur Vollendungdes zwölften Lebensjahres und maximal sechs Jahre langfür den Unterhalt einspringt. – Jeder von uns, der Kinderhat, weiß: Gerade zu dieser Jahreszeit braucht man eineneue Winterjacke und ein Paar neue Winterschuhe. Da-durch sind ganz schnell 100 bis 200 Euro weg, und damithat man das Geld noch nicht einmal sozusagen verprasst.Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir diesen Unterhalts-vorschuss ausbauen und auch nicht mehr begrenzen.Und ja, wir müssen uns dazu noch mit den Ländernüber die Finanzen verständigen. Der Finanzminister undich sind uns mit dem Kanzleramt einig, dass der Vor-schlag des Finanzministers gut ist, das, was der Bundzukünftig bei Sozialleistungen einspart – weil wir damitalleinerziehende Mütter und Väter aus dem Sozialleis-tungsbezug herausholen –, an die Länder weiterzugeben.Wir wollen auch Verbesserungen beim Eintreiben desUnterhaltsvorschusses. An der Stelle stehe ich an der Sei-te des Finanzministers, dass dieses Angebot im Rahmender Gesamtfinanzbeziehungen, wo der Bund ja zukünftigrund 10 Milliarden Euro pro Jahr geben soll, gut ist. Des-halb wollen wir an der Stelle weiterverhandeln.
Ich verstehe auch die Kommunen, die sagen: Wir brau-chen Zeit für die Umsetzung. – Das ist richtig. Deshalbwollen wir mit den Kommunen auch über eine gewisseÜbergangszeit für die Bearbeitung sprechen. Die Leis-tung kann auch rückwirkend gewährt werden. Niemanderwartet, dass alle sofort am 2. Januar den Bescheid unddas Geld bekommen. Was wir aber nicht machen sollten,ist, das Inkrafttreten infrage zu stellen; denn dann wür-de den Alleinerziehenden die Leistung verloren gehen.Keine Alleinerziehende, kein Alleinerziehender darf dieLeistung verlieren. Darum geht es bei einer Lösung.
Deshalb werbe ich sehr dafür, dass wir jetzt mit Kom-munen und Ländern sprechen, damit wir hier gemeinsameine gute Lösung für die Alleinerziehenden hinbekom-men, die viel leisten, jeden Tag für ihre Kinder da sind –oft allein –, aber finanzielle Probleme haben. Sie habenunsere Unterstützung besonders verdient.
Frau Ministerin, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Dörner zu?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Ja, selbstverständlich. – Geht das von meiner Redezeit
ab?
Nein, keine Sorge.
Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie die Zwischen-frage zulassen. – Sie haben richtigerweise gesagt – daskann ich auch für die Grünen sagen –, dass wir die Inhal-te der Reform im Sinne der Alleinerziehenden uneinge-schränkt unterstützen. Wir haben aber leider erleben müs-sen, dass das Unterhaltsvorschussgesetz in dieser Wochevon der Tagesordnung genommen wurde und – jedenfallsausweislich der mir vorliegenden Planung – auch nichtauf der Tagesordnung der nächsten Woche steht. KönnenSie uns erläutern, wie jetzt noch – auch mit Blick auf dienotwendigen Beratungen im Bundesrat – ein Inkrafttre-ten zum 1. Januar 2017 gelingen soll?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Es wäre ja möglich, es nächste Woche noch zu be-schließen. Ich bin sicher, dass, nachdem Bundestagund Bundesrat mehrfach bewiesen haben, dass milli-ardenschwere Bankenrettungspakete hier ganz schnelldurchgehen, die Beratung dieses Gesetzentwurfes für dieAlleinerziehenden genauso zügig durchgeführt werdenkann.
Dies wäre eine große Unterstützung. Ich bin mir ganz si-cher, dass die Koalitionsfraktionen diese Sache auf denWeg bringen; denn wir sind uns ja auch in der Bundesre-gierung einig.Der Finanzminister und ich haben die Formulierungs-hilfe gemeinsam ins Kabinett eingebracht, und sie ist dortbeschlossen worden. Aber an der Stelle – ich weiß, dassdie Grünen die Idee auch unterstützen – wäre es natürlichBundesministerin Manuela Schwesig
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super, wenn ich mich nicht nur auf die Koalitionsfrakti-onen verlassen könnte, sondern wenn Sie – und auch dieLinken – dort, wo Sie in den Ländern Regierungsverant-wortung tragen, darum bitten würden, den Prozess derVerhandlungen zu beschleunigen. Dann würden wir eingroßes Stück vorankommen.
Bisher gibt es von keinem einzigen Land ein Go. Das istdas Problem.
Letzter Punkt, den ich gern ansprechen möchte: Siewissen, dass unser Haus auch ein Gesellschaftsministe-rium ist, das insbesondere das Ehrenamt und die zivil-gesellschaftlichen Kräfte unterstützt, die unser Land zu-sammenhalten.Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,wir alle erleben eine Verrohung in unserer Gesellschaft.Wir alle erleben, dass mittlerweile Hass und Hetze dasNetz und die Straße bestimmen. Wir müssen daher ge-meinsam dafür sorgen, dass die große Mehrheit, diediesen Hass und diese Hetze nicht will, die sich deshalbvielleicht auch zurückzieht, stark gemacht wird. Dennwer Hass und Hetze im Wort betreibt, schürt letztend-lich auch Gewalttaten, und dagegen müssen wir uns ge-meinsam stellen. Wir müssen die vielen Ehrenamtlichenund Hauptamtlichen, die in diesen Bereichen arbeiten, inunseren Vereinen, in den Verbänden, besser unterstützen.
Dieses Zeichen haben Sie mit dem Etat gesetzt, den wirheute hier beraten und dann auch verabschieden.Wir werden die Mehrgenerationenhäuser besser unter-stützen. Die Mittel werden nicht nur verstetigt, sondernes können auch 100 neue Mehrgenerationenhäuser ent-stehen. Dort wird Zusammenhalt gelebt, und dies müssenwir stärken.
Wir haben gemeinsam dafür gesorgt, dass es für dasProgramm „Demokratie leben!“ jetzt zu einer Verdoppe-lung der Mittel gekommen ist, und dass wir gerade auchfür die Jugendarbeit die notwendige Mittelaufstockungerreicht haben. Das ist ein wichtiges Signal an die jungenMenschen in unserem Land.Wer daran glaubt, dass es trotz aller Kritik an derDemokratie und in der Demokratie besser ist, friedlich,freiheitlich und solidarisch zusammenzuleben, wer daranglaubt und sich in unserem Land in Vereinen, in Verbän-den, in Mehrgenerationenhäusern, in Nachbarschaftshil-fen engagiert, der hat uns an seiner Seite, der wird vonuns unterstützt – nicht nur mit Worten, sondern auch ganzkonkret materiell. Das ist ein ganz wichtiges Signal, daswir heute hier gemeinsam senden. Wir wollen mit denMenschen, die an unser Land glauben und sich dafür ein-setzen, dieses Land gegen Hass, Hetze und Gewalt weiterstark machen.
Sie sehen also, meine sehr geehrten Damen und Her-ren: Wir haben hier einen Haushalt, mit dem es möglichist, auch im nächsten Jahr Familien zu stärken und fürden Zusammenhalt in unserem Land zu sorgen.Deshalb noch einmal herzlichen Dank für die gutenBeratungen. Ich freue mich auf die Umsetzung im nächs-ten Jahr.
Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz für die Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Ministerin! Erst einmal herzlichen Dank fürdie guten Beratungen, vor allem an unseren Hauptbe-richterstatter Michael Leutert, der uns durch das Verfah-ren geführt hat. Wir sind am Ende des vierten Haushalts-verfahrens dieser Legislaturperiode. Als Kurzbilanz istzu sagen: Grundsätzlich schätze ich die inhaltliche Aus-richtung des Familienministeriums und die Programme,die hier vorgestellt wurden. Auch fachpolitisch ist dasHaus an sich gut aufgestellt.Aber es gibt ein sehr gravierendes Problem, FrauMinisterin: Sie werden zunehmend zu einer Ankündi-gungsministerin. Zwei Tage vor der Bereinigungssitzunghaben Sie einen längeren Gastbeitrag in der FrankfurterRundschau herausgebracht, in dem steht, was familien-politisch alles möglich und nötig wäre. Nur bleibt IhrHandeln weit hinter dem zurück, was Sie dort angekün-digt haben.In dem Gastbeitrag steht zum Beispiel, dass mehr zurZeitpolitik für Familien geschehen muss. Die Regierungaber liefert nicht. In dem Artikel steht: Das Familiengeldmuss her. Die Regierung aber liefert nicht. Da steht, dassein Rechtsanspruch auf Schulkindbetreuung geschaffenwerden müsste. Die Regierung aber liefert nicht. In demArtikel steht auch, dass eine Reform der Familienförde-rung dringend notwendig ist. Die Regierung aber liefertnicht.Dann versprechen Sie zum 1. Januar 2017 die Ent-fristung des Unterhaltsvorschusses. Die entscheidendenRegelungen zur Finanzierung hätten Sie aber schon vielfrüher mit den Ländern angehen und besprechen kön-nen – haben Sie aber nicht. Sie sind eine Ankündigungs-ministerin.
Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.Wir als Grüne haben mehrere Anträge eingebracht,unter anderem auch zum Bereich Zeitpolitik. Uns geht esBundesministerin Manuela Schwesig
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darum, zu zeigen, wie man die Chancen nutzen kann, umgesellschaftspolitisch voranzukommen, selbstverständ-lich auch – aber nicht nur – im Sinne der Alleinerzie-henden. Vielmehr müssen wir alle gemeinsam etwas tun.Zur Familienarbeitszeit haben Sie zum Beispiel indem Artikel geschrieben, sie müsste eingeführt werden,auch weil das Elterngeld Plus nicht flexibel und weitge-hend genug ist. Sie bleiben da aber im Konjunktiv. Wirhaben ein Papier vorgelegt, in dem steht, wie man es ma-chen kann. Unser zeitpolitisches Paket besteht aus dreiPunkten: erstens Flexibilität in der gemeinsamen Kinder-erziehung, zweitens eine vernünftige Pflegezeit, drittensdie Bildungszeit. Machbar, konkret, sofort umsetzbar!Liefern Sie!
Zur Kindertagesbetreuung. Das, was Sie mit demSprach-Kita-Programm machen – das ist auch ausgewei-tet worden –, unterstütze ich ausdrücklich. Das finde ichgut. Sie und auch wir alle wissen, dass das nur ein Bau-stein ist. Wenn wir wirklich etwas nach vorne bringenwollen, dann brauchen wir bundesgesetzlich geregelteQualitätsstandards. Diese brauchen wir nicht übermor-gen, sondern diese brauchen wir jetzt, und zwar flächen-deckend und mit einer Finanzierungsgrundlage.Jetzt reden Sie davon, dass eine Initiative mit den Län-dern zur Kinderbetreuung ab 2020 entstehen könnte. Wiedas erfolgen soll, wie das finanziell unterlegt ist und inwelchem Kostenrahmen das geschehen soll, ist noch un-gewiss. Es kommt zu spät und gleicht einem ungedeck-ten Scheck. Sie liefern nicht.
Sie schreiben, dass wir dringend etwas gegen Fami-lienarmut tun müssten. In diesem Zusammenhang spre-chen Sie explizit von „Kindergeld, Kinderzuschlag“ und„Steuern“. Da sind wir ganz bei Ihnen. Das müssen wirtatsächlich angehen. Aber wo ist die Initiative? Wie siehtes bei Ihnen konkret aus? Wo bleibt denn die Reform vonFamilien- und Eheförderung? Über die Jahre hinweg ha-ben Sie in Ihrem Haus Evaluationen durchführen lassen.Die Ergebnisse sind glasklar, aber die Konsequenzen lie-gen verschleiert in weiter Ferne. Es nur anzukündigen,heißt noch lange nicht, es auch gut zu machen. Das reichtuns nicht; Sie müssen auch liefern und konkret werden.
Jetzt komme ich zum Unterhaltsvorschuss. Die Ent-fristung des Unterhaltsvorschusses wäre tatsächlicheine überfällige Maßnahme gegen Armut. Dass wir dieAlleinerziehenden, die primär von Armut bedroht sind,nicht alleine lassen, fordert meine Fraktion übrigens seitzwei Jahren. Wir haben dazu – auch im Haushaltsaus-schuss – mehrere Anträge eingebracht. In den letztenzwei Jahren wurden all diese Anträge von Ihnen brüskzurückgewiesen.Jetzt kommen Sie selber kurz vor Jahresende mitdiesem Thema daher. Ein Schelm, wer an das Wahljahrdenkt! Das tun wir gar nicht, sondern wir sind total be-geistert über dieses Umdenken und darüber, dass die Ar-gumente bei Ihnen angekommen sind. Das freut uns, undwir unterstützen Sie gerne dabei. Die Sache hat nur einenHaken: Haben Sie denn vorher ein einziges Mal mit denLändern, die die Hauptkosten zu tragen haben, geredet?
Haben Sie ein einziges Mal mit ihnen verhandelt? Wa-rum kommen Sie eigentlich erst dann, wenn sämtlicheLänder ihre Haushaltsverfahren eigentlich schon abge-schlossen haben, statt dann, wenn sie noch laufen?
Sie wissen genau wie ich: Der Bund wird dadurch Ent-lastungen haben. Da die Systeme unterschiedlich sind,werden viele Kommunen, aber insbesondere die Länderdie Kosten tragen müssen. Was die Länder beschlossenhaben, läuft ab 2020. Die Finanzierungsgrundlage habenSie aber nicht beschlossen. Mir ist kein Protokoll oderÄhnliches darüber bekannt. Das hätten Sie tun sollen;das wäre Ihre Hausaufgabe gewesen. Sie haben es abernicht getan.
Deshalb wissen wir jetzt nicht, ob das tatsächlich zum1. Januar in Kraft treten kann. Selbst wenn es so wäre:Die Kommunen müssen auch eine realistische Chancebekommen, das Ganze umzusetzen und dafür Mitarbeitereinzustellen. Wenn Sie es wirklich von ganzem Herzenernst gemeint hätten, dann hätten Sie in den letzten dreiJahren sehr viel Zeit gehabt, das zu verhandeln und um-zusetzen. Das haben Sie aber nicht getan.
SPD und Union wollen nächstes Jahr als Parteien derFamilien auftreten. Sie haben aber in den Haushaltsvor-schlägen, die Sie vorgelegt haben, diese Chance vertan.Sie haben mehr angekündigt, als Sie tatsächlich umset-zen.
Alois Rainer hat als nächster Redner für die CDU/
CSU das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hinter uns lie-gen lange, harte, aber auch faire Haushaltsberatungen.Deshalb gleich zu Beginn ein herzliches Dankeschön anmeine Mitberichterstatter Michael Leutert, Ekin Deligözund Ulrike Gottschalck. Vielen Dank für die gute Zusam-menarbeit!Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen sagen,dass wir mit dem Ergebnis zufrieden sein können. Auchin diesem Jahr und damit das dritte Jahr in Folge einenEkin Deligöz
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Haushaltsplan ohne neue Schulden vorzulegen, ist allesandere als eine Selbstverständlichkeit.
Das heißt, dass der Bund im nächsten Jahr erneut mit denEinnahmen seine Verpflichtungen erfüllt und ohne Neu-verschuldung auskommen wird. Durchaus stolz dürfenwir auch sagen, dass das richtig und gut ist und dass dieKoalition die Finanzen fest im Griff hat.In den nächsten Jahren steht die Finanzpolitik gesamt-staatlich dennoch vor großen Herausforderungen. Umdie finanziellen Belastungen der nächsten Jahre tragen zukönnen, bedarf es deshalb auch weiterhin ein Stück weitHaushaltsdisziplin.Wer in den letzten Tagen an den Plenarsitzungen teil-genommen hat, hat vieles gehört, darunter hier und dadie Aussage: Wir investieren in Deutschland zu wenig.Tatsächlich investieren wir so viel wie nie zuvor. Die ge-samtstaatliche Investitionsquote liegt bei 11 Prozent. Dasspiegelt sich auch im Einzelplan 17 wider. Trotz vielergesetzlicher Aufgaben wird investiert. Wir investierenweit über 2 Milliarden Euro in die Kitas und die Kinder-tagesbetreuung; die Ministerin hat das gerade angespro-chen. Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinwei-sen, dass dies eigentlich originäre Länderaufgaben sind.Wir unterstützen die Länder und Kommunen dabei. Wirmachen das gern. Wir investieren hier in unsere Zukunft,in unsere Kinder und unsere Jugendlichen.Das Volumen des Einzelplans 17 beläuft sich auf circa9,5 Milliarden Euro. Vom Finanzvolumen her ist er damitder siebtgrößte Etat des Bundes. Das ist nicht ohne; daskann sich sehen lassen. Im Vergleich zum Regierungs-entwurf wurden die Mittel für diesen Einzelplan um cir-ca 330 Millionen Euro angehoben. Der Aufwuchs desEinzelplans geht im Wesentlichen auf Verbesserungender gesetzlichen Leistungen und der Inanspruchnahmebei Kinder- und Elterngeld zurück. Das Elterngeld istwahrlich ein Erfolgsmodell. Man kann freudig feststel-len, dass die Geburtenrate in Deutschland steigt. Darü-ber freuen wir uns, genauso wie über die Tatsache, dassder betreffende Ansatz auf 6,4 Milliarden Euro angeho-ben wurde. Ich freue mich, dass wir bei den gesetzlichenLeistungen nachbessern konnten – und auch nachbessernmussten –; denn das zeigt eindrucksvoll, dass die gesetz-lichen Leistungen, die wir anbieten, wirken.Weiterhin ist es im parlamentarischen Verfahren ge-lungen, zusätzliche Impulse für bürgerschaftliches En-gagement zu geben und im Rahmen der vielfältigenProgramme weitere Akzente zu setzen. Uns alle hat be-sonders gefreut, dass wir bei der Jugendverbandsarbeitden Stand des letzten Jahres wiederherstellen konnten.
Dies war uns Berichterstattern besonders wichtig. Uns istes bewusst, aber vielen Menschen außerhalb des Parla-ments ist es nicht bewusst, welch gute Arbeit die Jugend-verbände in unserem Land leisten. Sie unterstützen nichtnur, sondern schaffen auch Vertrauen und geben Halt undvor allem Kameradschaft.
Nicht nur die Jugendverbandsarbeit wurde aufgewer-tet. Vielmehr erfährt der gesamte Kinder- und Jugendplaneine Erhöhung von circa 30 Millionen Euro im Vergleichzum Regierungsentwurf. Damit steht ein Gesamtvolu-men von circa 178 Millionen Euro in diesem Bereichzur Verfügung. Mit diesen Mitteln konnten beispielswei-se – wie gewünscht – die Erhöhung der Mittel für die Ju-gendmigrationsdienste oder die dringend notwendige Er-höhung der Mittel für die C1-Sprachkurse durchgeführtwerden. Zudem ist es uns gelungen, die BundesstiftungMutter und Kind weiterhin zu unterstützen.Als viertem Redner ist es mir natürlich wichtig – daswird heute noch oft angesprochen werden –, zum Un-terhaltsvorschussgesetz zu sprechen. Ich denke, wir allesind uns einig: Eine Verbesserung muss her. Wir wollendie Alleinstehenden weiterhin unterstützen. Wir alle sinduns einig, dass eine Begrenzung der Dauer auf sechs Jah-re und eine Beendigung ab dem zwölften Lebensjahr desKindes fast antiquiert erscheinen.Über die finanzielle Belastung der Länder wurde gera-de schon gesprochen. Es gibt anscheinend eine Einigung.Aber mir geht es explizit um die Belastung derjenigen,die das Unterhaltsvorschussgesetz vollziehen müssen,nämlich um die Kommunen. Überlegen wir es mal: Wirhaben bereits Ende November. Wenn es schnell geht,kommen wir Mitte Dezember zur Beschlussfassung. AbJanuar nächsten Jahres soll das wirken. Die Kommunenmüssen es dann umsetzen. Es fehlt vor allem am notwen-digen Personal. Ich bin absolut dabei. Es geht mir nichtum die 100 Millionen Euro, die hier investiert werdenmüssen. Das tun wir sehr gerne.Aber ich habe Bedenken, ob das in der Kürze der Zeitdurchzuführen ist. Bei aller Wertschätzung, Frau Ministe-rin, selbst wenn die Kommunen das rückwirkend durch-führen, werden Erwartungen bei denjenigen geweckt, dieden Unterhaltsvorschuss erhalten sollen. Wenn die Kom-munen es erst innerhalb eines Vierteljahres oder eineshalben Jahres rückwirkend auszahlen, dann verursachtdas riesengroßen Ärger, der auf uns zurückfällt.
Darum bitte ich, hier noch einmal neu zu überlegen.Vor allem müssen wir – es ist ein Unterhaltsvorschuss –über die Rückholquote nachdenken. Da steht noch garnichts. Ich habe das jedes Mal angesprochen. Bei einerRückholquote in Bayern von 36 Prozent und in Bremenvon 11 Prozent sehen wir, dass es in unserem Land ir-gendwo einen Verbesserungsbedarf gibt, meine liebenFreunde.
Das muss einfach geregelt werden, und dann sind wir unsalle einig. Dann sind wir mit dabei, diese Verbesserungendurchzuführen.Zum Programm „Demokratie leben!“: Lieber Michael,natürlich sind wir da beieinander. Es ist immer notwen-diger: Der Extremismus kommt von allen Seiten auf unszu. Hier müssen wir dieses Programm „Demokratie le-ben!“ mit weiteren guten Programmen im wahrsten Sin-ne des Wortes mit Leben erfüllen. Dann sehe ich einegute Chance für dieses Programm.Alois Rainer
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Ich sagte eingangs, dass wir mit diesem Ergebnis zu-frieden sein können. Aber wenn wir über den Etat desMinisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugendsprechen, dann müssen wir auch ein Stück weit über Ge-nerationengerechtigkeit sprechen. Generationengerech-tigkeit bedeutet für mich auch, auf Dauer – so lange esgeht – nur das Geld auszugeben, das uns zur Verfügungsteht. Das heißt: keine neuen Schulden. Es ist auch sofestgehalten. Für mich persönlich wäre es gut, wenn wirin den Schuldenabbau ein Stück weit tiefer einsteigenwürden: Wenn wir uns verpflichten, jährlich eine gewisseSumme einzustellen, dann geht das. Das wäre machbar.Natürlich gehört ein Stück weit eine Steuerentlastungmit dazu, aber auch eine Rücklagenbildung. Irgendwannmüssen wir damit anfangen, dass wir das Geld, das derdeutsche Steuerzahler erwirtschaftet hat und über das wirverfügen dürfen, anlegen, damit wir nicht, wenn es ab-sehbar ist, dass es uns in einem oder zwei Jahren schlech-ter geht, sofort wieder mit Steuererhöhungen kommenmüssen. Es wäre angesagt, das ein Stück weit auszuglei-chen. Das ist für mich generationengerechte Politik fürunsere Zukunft, für unsere Jugend.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Men-schen in Deutschland wollen eine stabile Politik, siewollen eine stabile Finanzpolitik, die einen nachhaltigen,maßgeblichen Beitrag für die Gesellschaft bei uns leis-tet. Für eine solche stabile Finanzpolitik steht die jetzigeRegierungskoalition. Ich bedanke mich nochmals für diegute Zusammenarbeit und sage vielen Dank für die Auf-merksamkeit.Danke schön.
Als nächste Rednerin spricht Ulrike Gottschalck für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Sie sehen mich heute ein wenig wehmütig, weildies der letzte Haushalt ist, den ich für das Familienmi-nisterium verhandeln konnte.2014 hatte unser Etat 7,9 Milliarden Euro; wir habenes schon gehört. Heute, nach drei Jahren guter Arbeit derMinisterin und der Großen Koalition, ist er mit 9,5 Mil-liarden Euro so groß wie nie zuvor. Und das ist gut so;denn viele Menschen profitieren, und jeder Cent ist gutangelegt.
Ekin Deligöz, auch wenn du gerade nicht zuhörst:„Ankündigungsministerin“ weise ich mit Ekel und Ab-scheu zurück. Schau dir alleine diese 2 Milliarden EuroAufwuchs an. Das haben wir einer taffen Ministerin zuverdanken, die mit vielen Initiativen nach vorne gegan-gen ist und umgesetzt hat.
Weitere Stichworte: Elterngeld Plus, „Demokratie le-ben!“ – all das haben wir der Ministerin zu verdanken.Ekin Deligöz, vielleicht redest du auch mal mit deinengrünen Freunden in den Ländern: Diese Kitaqualitätsof-fensive – das betrifft die Qualitätsstandards – wird zumBeispiel in Hessen und in Baden-Württemberg abge-lehnt, in Baden-Württemberg sogar vom grünen Frauen-ministerium.
Vielleicht müsstet ihr euch da einmal ein bisschen ein-mischen.
Das Elterngeld mit 6,4 Milliarden Euro ist uns liebund teuer, aber es wirkt. Die Geburtenziffer steigt wieder.Hurra, wir haben endlich wieder mehr Babys in Deutsch-land, und das freut mich als siebenfache Großmutter na-türlich ganz besonders; denn Kinder sind einfach nur toll.
Deshalb ist es klar, dass wir Mütter und Väter in derRushhour ihres Lebens auch zukünftig unterstützen undweiter in Familie investieren müssen. Kinder großziehen,Eltern betreuen, das Haus abbezahlen und dann noch za-ckig Karriere machen funktioniert eben nicht so neben-bei.
Deshalb ist der Vorstoß der Ministerin nach einer Fami-lienarbeitszeit richtig und sinnvoll. Hier ist aber auch dieWirtschaft gefordert; denn auch die muss moderne Ar-beitszeitkonzepte anbieten, anstatt immer nur über Fach-kräftemangel zu jammern.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kinder sindeinfach nur toll. Deshalb muss man ihnen den bestenStart ins Leben ermöglichen. Ich bin sehr froh darüber,dass wir die Bundesstiftung Mutter und Kind, die dazubeiträgt, die Lebenslage von schwangeren Frauen in Notzu verbessern und ungeborenes Leben zu schützen, bes-ser fördern können. Wir haben für diese wertvolle Arbeitin der Bereinigungssitzung gemeinsam 4 Millionen Eurozusätzlich bereitgestellt.Den besten Start für Kinder ermöglichen wir und dieVereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen wirinsbesondere mit dem Sondervermögen „Kinderbetreu-ungsausbau“, welches wir um weitere 450 MillionenEuro anheben. Das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“wird ebenfalls aufgestockt.Alois Rainer
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Sehr dankbar bin ich auch, dass die Initiative der Mi-nisterin, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten – wiedereine Initiative von ihr –, zwischenzeitlich Realität wird.260 000 Kinder können davon profitieren. Es ist, andersals eben dargestellt, nicht mehr die Frage des Ob, sonderneine Frage der Zeitschiene. Wir haben das so beschlossenund mit den Ländern verhandelt. Übrigens gab es bei denMinisterpräsidenten der Länder einen 16 : 0-Beschluss.Die Ministerpräsidenten sind – das wissen Sie alle –im Moment ein bisschen als moderne Raubritter unter-wegs. In den Vereinbarungen zu den Finanzbeziehungenwurde beschlossen, dass dafür die Länder den Unter-haltsvorschuss hinnehmen müssen. An Vereinbarungenhat man sich zu halten. Auch da empfehle ich den Grü-nen, vielleicht einmal mit ihrem grünen Ministerpräsi-denten zu reden.
Kinder sind einfach toll, aber aus Kindern werdeneben auch schnell Jugendliche. Daher ist der Kinder- undJugendplan des Bundes das zentrale Förderinstrument.Bei der Einbringung des Haushalts – ich erinnere da-ran – waren wir alle wirklich sehr erschrocken, dass unswichtige Maßnahmen im KJP, die die Haushälter im letz-ten Jahr erstritten hatten, fehlten, weil sie nicht vom Fi-nanzministerium in den Haushaltsentwurf übernommenwurden. Nach einem engagierten Einsatz der Haushäl-ter – danke auch an Alois Rainer, an Michael Leutert undEkin Deligöz – konnten wir erreichen, dass wir wiederErfolge verkünden können. Wir Haushälter haben dasbereinigt. Ich liebe das Wort „bereinigt“. In der Berei-nigungssitzung sorgten wir dafür, dass alle Kürzungenfür 2017 zurückgenommen wurden: 2 Millionen Euro fürJugendverbände,
8 Millionen Euro für die Jugendmigrationsdienste und15 Millionen Euro für die wichtigen C1-Sprachkurse fürbesser gebildete Flüchtlinge.Auch die Träger der freien Wohlfahrtspflege sindüber die Ergebnisse der Bereinigungssitzung sehr er-freut; denn die Wohlfahrtsverbände vor Ort erhalten auchweiterhin 2 Millionen Euro extra. Mit dem Bundespro-gramm werden die Wohlfahrtsverbände für die Beratungund Betreuung von Flüchtlingen und damit die wichtigenFolteropferzentren auch zukünftig mit 6 Millionen Euromehr gefördert.
Ein weiteres positives Signal im Bereich der Kinder-und Jugendpolitik ist die Erhöhung für das Deutsch-Pol-nische Jugendwerk um 1 Million Euro auf 6 MillionenEuro. Nachdem wir den Bundesfreiwilligendienst bereitsim letzten Jahr sehr gestärkt haben, freue ich mich beson-ders, dass wir nun auch die anderen Jugendfreiwilligen-dienste gut ausstatten können, weil damit das ehrenamtli-che Engagement der jungen Leute noch weiter gefördertwird. Dazu wird die Kollegin noch etwas sagen.
Angesichts der Radikalisierungstendenzen müssenJugendliche natürlich auch gestärkt und geschützt wer-den. Daher werden die Mittel für das Bundesprogramm„Demokratie leben!“ auf über 100 Millionen Euro ver-doppelt. Ich denke, besser geht es kaum noch. Bereits beider ersten Beratung dieses Einzelplans konnten wir unsauf eine Förderung von zusätzlich 100 Mehrgeneratio-nenhäusern einigen, was dazu führt, dass wir jetzt bun-desweit 550 wichtige Mehrgenerationenhäuser fördern.Wir verabschieden heute einen Haushalt, der sich mei-ner Meinung nach wirklich sehen lassen kann. Auch derOpposition empfehle ich dringend, ihm zuzustimmen.Die Opposition hat ja auch allen Anträgen, die wir vor-gelegt haben, zugestimmt. Deswegen wundert es mich,dass jetzt hier das große Messer herausgeholt wird, je-denfalls von einer Oppositionsfraktion.
Familien, Kinder und Jugendliche werden profitieren,und der gesellschaftliche Zusammenhalt wird gestärkt.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich lade Sieein: Stimmen Sie unserem Haushalt zu. Ich danke allen,die an diesem Haushalt konstruktiv mitgearbeitet haben,und bedanke mich sehr für die gute Zusammenarbeitbei Alois Rainer, bei Michael Leutert, bei Ekin Deligöz,beim ganzen Team des Ministeriums, und ich danke Ih-nen, meine Damen und Herren, für Ihre geschätzte Auf-merksamkeit.Vielen Dank.
Jörn Wunderlich hat als nächster Redner für die Frak-
tion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich hatte heute Morgen noch einen Bürgerin meinem Büro zu Gast. Wir kamen auch auf den Haus-halt zu sprechen. Da sagte ich beiläufig: Heute steht nochdie Debatte zum Haushalt der Familienministerin auf derTagesordnung. – Daraufhin sagte er zu mir: Na, es gibtdoch Schlimmeres.
Dazu sage ich: Recht hat der Mann – es gibt Schlimme-res.
Gleichwohl müssen wir den Haushalt einmal unter dieLupe nehmen – wir haben es ja jetzt mehrfach gehört –:Ulrike Gottschalck
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Dies ist der neuntgrößte Einzelplan. Er wurde aufge-stockt um 400 Millionen Euro. Er umfasst jetzt 2 Milliar-den Euro mehr als zu Beginn der Legislatur. – Es reichtnicht aus, immer nur zu sagen: Wir geben mehr dafüraus. – Wir müssen auch schauen, wofür. Es wird nichtautomatisch alles gut.Es gibt positive Signale im Einzelplan 17; das will ichgar nicht bestreiten. Unsere Forderungen hier im Hausenach Rückgängigmachung der Kürzungen in der Jugend-verbandsarbeit – das sind gar nicht einmal nur Forderun-gen der Linken – sind in der Bereinigungssitzung, wiebereits gesagt, umgesetzt worden – zum Glück, mussman sagen.
Mein Kollege Müller hat in der ersten Lesung des Ein-zelplanes schon ausführlich ausgeführt, wie mit der Ju-gendverbandsarbeit umgegangen wird. Das ist nun zumGlück geändert worden. Wir wissen doch fraktionsüber-greifend alle, welche Parteien in die Breschen springen,die wir durch aufgegebene Jugendverbandsarbeit entste-hen lassen. Ich gehe davon aus, dass wir alle in diesemHaus solche Jugendarbeit nicht wollen.
Gut. Das wurde in der Bereinigungssitzung geklärt.Was positiv zu erwähnen ist – auch das ist schon an-gesprochen worden –, ist der Ausbau des Unterhaltsvor-schusses als eines wichtigen Schrittes im Kampf gegenKinderarmut. Auf der Ministerpräsidentenkonferenzwurde, wie schon gesagt, im Rahmen dieses Gesamtpa-kets ein entsprechender Beschluss mit 16 : 0 gefasst. Esist auch im Kabinett beschlossen worden. Letzte Wochesollte der betreffende Gesetzentwurf hier auf die Tages-ordnung. Jetzt fehlt er immer noch im Parlament; er istzurückgezogen worden.
Nach meiner Kenntnis blockt im Moment die CDU/CSU-Fraktion – weil Kinderarmut vielleicht doch nichtso ihr Thema ist –,
mit der Begründung: Diesen Gesetzentwurf bringen wirwegen Schlampigkeit nicht ein. Jetzt frage ich mich: Wasist dabei schlampig zu machen?
– Ja, Herr Grund passen Sie einmal auf: Ich ersetze dieZahl 12 durch die Zahl 18. Ich erweitere die Bezugnahmevon Ziffer 1 und 2 auf Ziffer 3 und lasse den einen Para-grafen entfallen, der das Ganze begrenzt.Frau Schwesig hat ja auch schon auf die Finanzen ver-wiesen.
– Herr Grund, regen Sie sich doch nicht so auf. MeineGüte! Lebenslanges Lernen – hören Sie zu!
Man kann letztlich den Kommunen und den Ländernnoch Angebote machen im Rahmen dieser Verhandlun-gen. Wesentlich ist, dass der Anspruch jetzt kommt. AloisRainer sagt ja auch: Bevor wir rückwirkend zahlen, zah-len wir lieber nichts. – Das ist CDU-Politik.
Wie sieht es mit der SGB-XIII-Reform aus? DiesesJahr sollte noch ein Referentenentwurf vorgelegt wer-den, und das Gesetzesvorhaben soll noch in dieser Le-gislaturperiode verabschiedet werden. Wir wissen dochauch, dass bei dieser Reform, wenn sie nicht zulasten vonKindern und Jugendlichen gehen soll, ordentlich Geld indie Hand genommen werden muss. Aber diese Investiti-onen finden sich im Haushalt nicht wieder. Oder geht esdoch nur darum, im Rahmen dieser Reform Gelder aufKosten der Qualität einzusparen? Das legten die diversenArbeitsentwürfe, die im Sommer kursierten, nahe. Um eskurz zusammenzufassen: unterschiedliche Qualitätsstan-dards nach Kassenlage der Länder.Ebenso ist es beim Kitaausbau: Es kommt eben nichtnur auf Quantität, sondern auch auf Qualität an. Früh-kindliche Bildung ist ein Rädchen im Gesamtmechanis-mus, um Kinderarmut zu verhindern. Hier ist der Bundin der Verantwortung, um eine qualitativ gleichwertigeBetreuung und Bildung zu gewährleisten.
Das kann nicht auf Länder und Kommunen abgewälztwerden. Letztlich wird es dann auf dem Rücken der Mit-arbeiter ausgetragen.Ich möchte etwas zitieren:Dafür müssen wir auch weiterhin zusätzliche Ki-ta-Plätze schaffen, da die Nachfrage der Elternsteigt, mehr Kinder geboren werden und auch diezu uns geflüchteten Kinder einen Kita-Platz zurschnellen Integration benötigen. ... Daher werdenwir einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuungvon Kita- und Grundschulkindern einführen – mitfinanzieller Beteiligung des Bundes und einer siche-ren Entlastung der Kommunen. Wir wollen mehr indie Qualität von Kitas und in qualifiziertes Personalinvestieren. Durch ein bundesweites Qualitätsgesetzwollen wir die Qualität der frühkindlichen Bildungverbessern. Wir werden schrittweise die Kita-Ge-bühren in Deutschland abschaffen.Das ist aus dem SPD-Programmpapier „Fortschritt undGerechtigkeit – Chancen für alle“, verfasst im VorgriffJörn Wunderlich
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auf den nächsten Bundestagswahlkampf. Sind es wiedernur Versprechungen, die dann aufgrund von Koalitions-zwängen nicht gehalten werden können?Wenn wir über ein Kitaqualitätsgesetz bundeseinheit-lich frühkindliche Bildung intensiv fördern, die Arbeits-bedingungen für die Beschäftigten und den Betreuungs-schlüssel verbessern, die Elterngebühren entfallen lassenund ein kostenloses Mittagessen gewährleisten wollen,dann reichen die aufgeführten Investitionsprogrammeoder Sprachprogramme – bei allem Respekt vor diesen,das muss man anerkennen – nicht aus. Aber im Haushaltfür 2017 findet sich das nicht wieder.Die Haushaltsmittel aus dem Sondervermögen „Kin-derbetreuungsausbau“ reichen eben nicht aus. Wenn wirden Auftrag der frühkindlichen Bildung ernst nehmen,dann kann sie nur beitragsfrei sein. Das ändert auch nichtsan der Wertschätzung von Kindertagesstätten, nach demMotto: „Was nichts kostet, kann nichts wert sein“; denndann wären unsere Schulen ja auch nichts wert.Schlimm ist es auch, was die Frauenhäuser betrifft.Traurig, dass sie erforderlich sind, aber das ist im Mo-ment noch so. Die Linke fordert eine bundesweit einheit-liche und bedarfsgerechte Finanzierung der Schutzhäuserund Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauenein.
Es muss endlich eine Pflichtaufgabe von Bund, Ländernund Kommunen sein, diese Einrichtungen personell undfinanziell in ausreichendem Maße zu finanzieren. Aberauch dazu findet sich im Haushalt leider nichts. Wennman das Haushaltsgesetz elektronisch nach dem Wort„Frauenhaus“ abscannt, gibt es null Treffer.
– Machen Sie mich nicht nervös; ich bin gerade erst überder Zeit.Wir wollen den Menschen eine Zukunft ermöglichen,in der sie frei von Sorgen vor Arbeitslosigkeit, Altersar-mut oder Krankheit leben können. Damit müssen wir vonAnfang an beginnen, und dafür müssen wir auch Investi-tionen tätigen. Das sind keine Kosten, sondern das ist gutangelegtes Geld mit einer Dividende, die unbezahlbar ist,nämlich glücklichen, zufriedenen Menschen in einer so-zialen Gesellschaft. Daran können wir mitwirken. Aberdafür müssen wir umdenken. Einige gute Ansätze sindim Einzelplan 17 enthalten – unbestritten –, aber es fehltauch noch Etliches, und zwar Wichtiges.Die Linke ist bereit, in die Zukunft dieses Landes, inseine Menschen zu investieren, um eine gesicherte Zu-kunft zu gewährleisten. Die Antwort dazu liefert der Ein-zelplan 17 leider nur partiell. Schade!
Lieber Herr Kollege Wunderlich, es mag ja für deneinzelnen Redner immer wenig erscheinen, das kann ichnachvollziehen. Aber wenn es sich summiert – alleine beidieser Debatte sind es 13 Minuten, und wir haben mehre-re Haushalte –, sind wir ganz schnell bei Stunden.
Es werden alle gleichbehandelt. Jeder bekommt das Zei-chen der Präsidentin, wenn die Redezeit überschrittenist. Wenn es danach noch zu lange dauert, gibt es aucheine Ermahnung der Präsidentin. – Jetzt hat die KolleginNadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! In der letzten Haushaltsdebatte und auchin den letzten Wochen haben wir angesichts politischerEreignisse auch in anderen Ländern viel über den Zu-sammenhalt der Gesellschaft gesprochen. Wir stellen unsdie Frage: Wie sichern wir den gesellschaftlichen Zusam-menhalt in einer Zeit, in der unsere Wirtschaft schnellenEntwicklungen wie der Digitalisierung ausgesetzt ist, inder es Terror und in vielen Ländern Krieg gibt, in derdie Welt globaler und komplexer geworden ist? Für vieleMenschen ist das nicht einfach. Wir wollen deshalb mitdiesem Haushalt ein besonderes Zeichen setzen, dass unsder Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig ist. Das fängtbei der kleinsten Zelle der Gesellschaft an, nämlich derFamilie. Denn geht es den Familien in unserem Land gut,dann geht es auch der Gesellschaft gut.Deshalb fördern wir mit unserem Haushalt in nie zu-vor dagewesener Höhe Familien in ihrem tagtäglichenLeben und Zusammenleben. Das fängt beim Finanziellenan; denn wirtschaftliche Sicherheit und Stabilität sind dieGrundlage eines guten Familienlebens.Die Mittel für das Elterngeld steigen um 200 Millio-nen Euro auf über 6,4 Milliarden Euro.Wir haben den Kinderzuschlag zum 1. Juli erhöht, under wird zum 1. Januar noch einmal erhöht. Der Kinderzu-schlag ist für Familien, die arbeiten, sehr wichtig, damitsie nicht wegen der Kinder in Hartz IV fallen. Das istein wichtiges Signal an alle, gerade an die Familien, de-ren Einkommen knapp oberhalb der Hartz-IV-Schwelleliegt und die es wirklich besonders schwer haben, weildie Eltern arbeiten, weil sie jeden Morgen aufstehen, ihreKinder zum Kindergarten, zur Schule bringen, dann zurArbeit fahren und diesen Spagat tagtäglich leisten müs-sen – und das bei geringem Einkommen. Deshalb ist eswichtig, dass wir den Kinderzuschlag deutlich angeho-ben haben.
Wir haben das Kindergeld und den Kinderfreibetrag indieser Legislaturperiode erhöht, auch den Freibetrag fürAlleinerziehende.Was heute in der Debatte schon öfter genannt wur-de: Auch der Unterhaltsvorschuss ist uns ein wichtigesAnliegen. Marcus Weinberg wird nachher noch daraufeingehen. Herr Wunderlich, nur zwei Sätze. Wenn manso eine Reform macht, ist es natürlich wichtig, dass sieJörn Wunderlich
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gut vorbereitet und auch besprochen ist. Das betrifft dieFinanzierung, und das betrifft die Umsetzung. Sie sagen:Da sind nur zwei Ziffern im Gesetz zu ändern. – Das istwirklich ein Hohn.
Wichtig ist, dass das, wenn wir es ins Gesetz schreiben,vor Ort auch umzusetzen ist. Wenn sich die Zahl der An-tragsteller durch die Änderung verdoppelt, dann heißtdas, dass wir in den Kommunen doppelt so viele Leutebrauchen, die diese Fälle bearbeiten.
Da sitzen ja nicht Leute, die nur darauf warten, dass sieendlich mal Arbeit bekommen und Anträge bearbeitenkönnen, sondern Personal muss eingestellt werden. DieAnträge müssen bearbeitet werden. Deshalb gehen wirdavon aus, dass Bundesregierung und Länder gemeinsamzu einem Konzept finden, das genau das ermöglicht.
– Bitte?
– Das ist noch einmal typisch Linke. Sie sagen, dass wirPersonal einsparen. Der Unterhaltsvorschuss wird in denKommunen vor Ort bearbeitet und nicht vom Bund.
Das heißt, selbst wenn wir im Familienministerium noch100 Menschen einstellen würden, dürften die nicht dieAnträge zum Unterhaltsvorschuss bearbeiten.
Das ist Föderalismus. Deshalb muss man alles, was manhier ankündigt, proklamiert und mit stolzgeschwellterBrust ins Gesetzblatt schreiben will, so machen, dass esvor Ort umgesetzt werden kann, und daran arbeiten wir.Wir verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Be-ruf dadurch, dass wir die Betreuungsinfrastruktur weiterausbauen. Wir haben mehr Kitaplätze. Wir haben bessereKitaplätze. Wir haben die Sprachprogramme in den Kin-dergärten. Ich bin sehr froh, dass wir mit der Änderungbeim Kitasprachprogramm jetzt endlich auch die Kitasim ländlichen Raum erreichen, die bisher nur sehr schwerzu erreichen waren.
Mit dem Elterngeld Plus schaffen wir Zeit für Famili-en, und auch das ist wichtig.Insgesamt fördern wir mit diesen Maßnahmen die Fa-milie als kleinste Zelle der Gesellschaft und fördern so-mit das gesellschaftliche Miteinander.Miteinander wird aber auch an anderer Stelle gelebt.Damit spreche ich das Miteinander der Generationen an,das Miteinander in der Bevölkerung. In vielfältiger Wei-se tritt man selbstverständlich, oft auch ehrenamtlich,füreinander ein, hilft sich gegenseitig dort, wo es fehlt,ist man ehrenamtlich füreinander da.Stichwort „Jugendverbände“. Hier wird genau dasgelebt. In Jugendverbänden engagieren sich Jugendlicheehrenamtlich, engagieren sich auch Erwachsene für Ju-gendliche. Deshalb ist es total richtig, dass wir die Mit-tel für die Jugendverbände in den letzten Jahren immeraufgestockt haben. Wir haben im letzten Haushalt 2 Mil-lionen Euro draufgelegt, und wir haben das im parla-mentarischen Verfahren zu diesem Haushalt noch einmalgemacht. Es ist sehr schade – da gebe ich Ihnen recht –,dass das nicht bereits im Regierungsentwurf stand. Aberwir haben es gemeinsam geschafft, die Gelder noch ein-mal aufzustocken. Das haben die Jugendverbände ver-dient; denn hier wird wirklich großartige Arbeit geleistet.
Wir fördern die politischen Jugendorganisationen mit1,5 Millionen Euro und unterstützen so, dass sich jungeMenschen politisch engagieren. Was mir besonders amHerzen liegt, ist der Bundesfreiwilligendienst, bei demsich Menschen jeder Generation für andere engagierenkönnen. Hier investieren wir rund 200 Millionen Euro.Bei den normalen Freiwilligendiensten investieren wirrund 92,6 Millionen Euro. Auch da geht es um Engage-ment, insbesondere von Jugendlichen, aber auch überdie Generationen hinweg. Das ist gelebtes Miteinanderebenso wie bei den Mehrgenerationenhäusern, wo wirdie Mittel verstetigen und zusätzliche Häuser einrich-ten. Überall dort wird Demokratie, wird Gemeinschaft,gesellschaftlicher Zusammenhalt gelebt. Deshalb ist eswichtig und gut, dass wir an diesen Stellen den Schwer-punkt unserer Förderung setzen.Das Stichwort „Extremismusprävention“ ist oft ge-nannt worden. Wir haben dafür über 100 Millionen Euroin den Haushalt eingestellt. Ich will einen Punkt erwäh-nen, der mir sehr wichtig ist: Es ist gut, wenn wir vorOrt tätig sind. Aber wir alle wissen, dass Extremismus,dass Radikalisierung, dass Gewalt zunehmend auch imNetz stattfinden. Deshalb ist mir wichtig, dass von den100 Millionen Euro möglichst viel Geld in Angebote imNetz fließt; denn im Internet entsteht Radikalität, entstehtHass. Über das Stichwort „Hate Speech“ diskutieren wirin diesen Tagen viel. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsmit diesen Programmen zur Extremismusprävention aufdas Internet konzentrieren und mit unseren Angebotendie Menschen erreichen, die sich im Netz bewegen. Wirmüssen dafür Sorge tragen, dass mit diesen Geldern Mo-delle entwickelt werden, um Extremismus im Netz zu be-kämpfen, aber auch Modelle, wie man lernt, Zivilcoura-ge im normalen Leben wie auch im Netz zu zeigen. Dasist gar nicht so einfach. Das erfordert Mut. Das erfordert,dass wir die Augen nicht zumachen, sondern hinsehen,Lösungsstrategien entwickeln und die Menschen starkmachen.Ich will vom Internet nicht nur als bösen Ort sprechen,wo viel Schlimmes passiert; das Internet bietet auchNadine Schön
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Chancen. Das Netz ist ein Ort, an dem man auch Hilfefindet. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir mit diesemHaushalt neue Projekte fördern können. Meine BerlinerKollegin Christina Schwarzer hat sich unter anderemsehr für das Projekt gewaltlos.de eingesetzt, ein Angebotim Internet, wo Mädchen und Frauen, die von häuslicherGewalt betroffen sind, Hilfe bekommen, wo sie sich mitExperten austauschen können, ein Chat, der rund um dieUhr zur Verfügung steht. Es ist wichtig, dass wir dieseAngebote im Netz ausbauen. Ich bin sehr dankbar, dasswir in diesem Haushalt gewaltlos.de erstmalig mit einerguten Summe fördern. Das gilt auch für [U25], die On-lineberatung für suizidgefährdete Jugendliche. All dasbrauchen wir viel mehr als bisher; denn Jugendliche be-wegen sich tagtäglich im Netz. Wir müssen mit unserenHilfs- und Unterstützungsangeboten dort sein, wo sichdie Jugendlichen bewegen, und deshalb brauchen wirverstärkt Angebote im Netz.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dankbar,dass wir das mit diesem Haushalt realisieren. Wir för-dern damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt in derFamilie, aber auch in der Zivilgesellschaft. Ich dankefür die guten Beratungen und auch dafür, dass wir in denHaushaltsberatungen vieles erreichen konnten. Ich dankeIhnen für die konstruktive Arbeit, die wir nicht nur in denletzten Wochen, sondern das ganze Jahr über gemeinsamgeleistet haben – für die Familien in unserem Land undfür den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Vielen Dank, Nadine Schön. – Schönen Nachmittag,liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben Sie es eineWeile mit mir zu tun.
In diesem Sinn gebe ich das Wort an Dr. FranziskaBrantner für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen undHerren! Wir haben jetzt oft gehört, wie sehr wir es feiern,dass es in diesem Einzelplan einen Aufwuchs gibt. Ichmöchte doch darauf hinweisen, dass der größte Batzendavon auf eine gesetzliche Leistung zurückzuführen ist.
– Sie ist auch gut, und wir tragen sie mit. Trotzdem istder Aufwuchs nicht unbedingt das Verdienst einer Mi-nisterin, sondern eher all der Kinder, die in diesem Landgeboren sind, und der Väter, die sich entschieden haben,mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Es ist einegesetzliche Leistung. Belassen wir es doch einfach beiden Fakten. Dann ist es immer noch etwas Positives; aberman muss es nicht hochjubeln.
Sie alle haben erwähnt, dass im Nachhinein – darü-ber sind wir sehr froh – doch wieder mehr Mittel für Ju-gendmigrationsdienste und die entsprechenden Verbändein den Haushalt aufgenommen wurden. Ich muss sagen,ich finde es erst mal ganz schön krass, dass diese Mittelvorher herausgestrichen worden sind. Wo ist denn da diestarke Ministerin, die Herrn Schäuble klar sagt: „Sorry,aber die Jungendmigrationsdienste brauchen die Gelderfür ihre Arbeit, die gerade in diesen Zeiten extrem wich-tig ist“? Gut, dass wir es geschafft haben, die Mittel wie-der aufzunehmen.Erlauben Sie mir eine Anmerkung zum Unterhaltsvor-schuss. Wir stehen da inhaltlich komplett an Ihrer Seite.Frau Gottschalck, Sie haben es erwähnt: Wir müssen in al-len Ländern daran arbeiten, weil bis jetzt noch kein Landzugestimmt hat. Von daher sind wir alle in der Pflicht,uns dafür einzusetzen. Egal ob Ramelow, Kretschmannoder wie sie alle heißen, wir werden gemeinsam daranarbeiten müssen. Aber wir müssen festhalten, dass jetztEnde November ist, in fast allen Ländern die Haushalteverabschiedet sind und es für sie extrem schwierig ist,das jetzt noch hinzubekommen. Die zeitliche Verzöge-rung war nicht notwendig, und das fällt schon auf dieseRegierung zurück.
Frau Schön, vorhin wurde erwähnt, dass es doppelt soviele Anträge auf Unterhaltsvorschuss geben wird. Dasist ja nicht wahr. In den meisten Fällen kann der Bezugweiterlaufen; das ist genau der Punkt. Es geht darum,dass man den Bezug nicht unterbricht und sagt: Jetzt istIhr Kind aber leider zu alt, deswegen gibt es kein Geldmehr. – Man braucht keinen neuen Antrag zu stellen,sondern der Bezug läuft weiter.
Deswegen ist es nicht korrekt, zu sagen, dass sich dieZahl der Anträge verdoppelt. Man muss aufpassen, wel-che Zahlen man da benutzt.Trotzdem müssen sich die Kommunen natürlich da-rauf einstellen. Deswegen kritisieren wir, dass es erst sospät zu einer Regelung kommt. Aber auch dort gilt: Blei-ben wir bei den Fakten! Gehen wir die Punkte wirklichan! Schauen wir, was da bezogen auf den Bundeshaus-halt möglich ist, und geben wir damit ein klares Signalan die Länder! Man kann auch in einem Gesetz festlegen,dass die Kosten nicht mehr im Verhältnis zwei Drittelzu einem Drittel verteilt werden, sondern im Verhältnis50 : 50. Man kann auch kreativ sein und sich überlegen:Wie können wir die Länder bis 2020 auch da entlasten?
Nadine Schön
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– In den Vereinbarungen steht ja nichts zur Finanzierung;da sind wir uns wohl alle einig. Da steht: „Wir wollen dasmachen“; aber es steht kein Satz zur Finanzierung drin.Das ist ja, wie wir jetzt alle erkennen, das Manko. Manhätte das damals verhandeln sollen. Vielleicht wurde esja auch hinter verschlossenen Türen mitverhandelt; aberes steht eben nicht drin. Das ist natürlich ein Problem.Erlauben Sie mir, noch ein Thema anzusprechen, dasuns sehr wichtig ist und zu dem wir auch Anträge ge-stellt haben. Uns geht es darum, wie wir die Kinder undJugendlichen, die in den letzten Monaten zu uns gekom-men sind, wirklich integrieren und wie wir es den Kitasund Schulen ermöglichen, sich darauf einzustellen undgut damit umzugehen. Denn es ist nicht immer einfach,wenn in der Kita oder in der Schule auf einmal eine grö-ßere Vielfalt da ist, wenn andere Sprachen gesprochenwerden, wenn Kinder da sind, die Schwieriges erlebt unddurchgemacht haben. Wir möchten Gelder zur Verfügungstellen, um den Erzieherinnen und Erziehern, den Lehre-rinnen und Lehrern dabei zu helfen, mit dieser schwieri-gen Situation umzugehen, und zu ermöglichen, Vielfaltvor Ort so zu leben, dass es ein Gewinn für uns alle wird.Dafür fordern wir in unseren Anträgen 125 MillionenEuro. Schade, dass Sie nicht zugestimmt haben!
Eine Sache, die wir Grüne schon lange thematisierthaben: Der Bund hatte die Gelder für die Betreuung wäh-rend der Integrationskurse gestrichen. Das war absolutbescheuert, weil es dazu geführt hat, dass viele Mütterde facto nicht an den Integrationskursen teilgenommenhaben. Jetzt wird das zum Teil rückgängig gemacht. Aberaus welchem Topf kommt das Geld? Aus dem Topf mitden Kitageldern, die eigentlich für die Flexibilisierungder Öffnungszeiten gedacht sind. Ich finde es schade,dass wir dieses Geld, das notwendig ist – es braucht eineBetreuung während der Integrationskurse –, aus diesemTopf nehmen und nicht extra zur Verfügung stellen. Dasheißt, ein Fehler wird korrigiert, aber mit einem neuenFehler. Schade, dass man es hier nicht richtig gemachthat.
Ganz zum Schluss jetzt mal kein Haushaltsthema. Ichhoffe, dass wir da als Kinder- und Familienpolitiker viel-leicht gemeinsam etwas gestalten können. Wir alle habendie Bilder und Nachrichten aus Syrien aus den letztenTagen vor Augen. Es gibt kein einziges funktionierendesKrankenhaus mehr in Aleppo. In vielen Städten steheninsgesamt 1 Million Menschen unter Belagerung. Undwir haben es immer noch nicht ermöglicht, dass die Sy-rer, die hier in Deutschland sind, ihre Kinder nachholenkönnen. Sie müssen zwei Jahre warten, bis sie einenAntrag stellen dürfen, dass ihre Kinder nachkommenkönnen. Wenn wir diesen Krieg schon nicht verhindernkönnen, könnten wir dann nicht wenigstens gemeinsamdafür sorgen, dass die Kinder aus dieser Hölle heraus-kommen? Können wir da nicht eine Veränderung auf denWeg bringen? Ich finde, das wäre im Sinne der christli-chen Vorweihnachtszeit angebracht.
Vielen Dank, Franziska Brantner. – Die nächste Red-
nerin: Svenja Stadler für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir sprechen heute über den Haushaltsplandes Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauenund Jugend. Dieses Ministerium ist übrigens auch dasfederführende „Engagementministerium“.Wissen Sie, ich wurde durch die Kirche sozialisiert.Als junges Mädchen habe ich in unserer Kirchengemein-de Kinder- und Jugendkreise geleitet, Familienfreizeitenbetreut, und ich war Ansprechpartnerin in der Kinder-und Jugendseelsorge. In dieser Zeit ist mir eines sehrdeutlich geworden – ich habe es sozusagen selbst erfah-ren –: Wer anpackt, will auch mitbestimmen. Dieser Satzdrückt aus, dass Menschen, die sich für das Gemeinwe-sen einsetzen, einen Mitgestaltungsanspruch einfordern.Sie wollen aktiv gestalten. Mich persönlich macht essehr stolz, zu sehen, wie sich Menschen für Menscheneinsetzen – eigensinnig, freiwillig und unentgeltlich. Siebeweisen nicht nur Mitgefühl, sondern auch Vertrauen inunsere freien demokratischen Werte.
Wer anpackt, will auch mitbestimmen. Dieser Satz drücktauch aus, welche Bedeutung bürgerschaftliches Engage-ment für unsere Gesellschaft, für unsere Demokratie hat.All den Millionen in Deutschland bürgerschaftlich Enga-gierten möchte ich an dieser Stelle danken: Danke, dasses Sie gibt, danke für Ihren Einsatz.
Mit dem Haushalt zum Einzelplan 17 senden wir einstarkes Signal an die aktive Zivilgesellschaft. Wir er-höhen die Mittel für die Mehrgenerationenhäuser um3,5 Millionen Euro. Das heißt, zukünftig können rund550 Einrichtungen gefördert werden.
Wir schreiben die Erhöhung der Mittel für die Jugend-verbände in Höhe von 2 Millionen Euro und die für dieJugendmigrationsdienste in Höhe von 8 Millionen Eurofort. Wir stellen zusätzliche Mittel für die Wohlfahrtsver-bände zur Verfügung. Ihr besonderes Potenzial liegt inder Verknüpfung von Haupt- und Ehrenamt. Ihre Arbeitist daher unschätzbar wertvoll. Wir verdoppeln die Gel-der für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ aufüber 100 Millionen Euro für das Jahr 2017. Damit för-dern wir Demokratiezentren, kommunale Partnerschaf-ten für Demokratie und zivilgesellschaftliche Organisa-tionen in ihrer Arbeit für Demokratieförderung und diePrävention von Extremismus. Denn Demokratie ist nichtselbstverständlich. Am Bestand der Demokratie gilt esDr. Franziska Brantner
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unablässig zu arbeiten. Demokratie muss immer wiedererläutert, erlernt und erfahren werden.
Die Demokratie kann mitunter nerven, ja, und sie kannauch anstrengend sein; aber ohne sie wären wir unfreiund der Willkür von Macht bedingungslos ausgeliefert.Was mir besonders am Herzen lag, war der Ausbau derJugendfreiwilligendienste. Gerade deshalb freut es michumso mehr, dass es gelungen ist, die Mittel für das Frei-willige Soziale Jahr um 2 Millionen Euro zu erhöhen. Fürdas Freiwillige Ökologische Jahr und den InternationalenFreiwilligendienst gibt es zusätzlich jeweils eine halbeMillion Euro. Warum diese Form des bürgerschaftlichenEngagements besondere Aufmerksamkeit verdient? Be-stimmt konnte jeder von Ihnen, liebe Kolleginnen undKollegen, in seinem Wahlkreis oder in einem anderenZusammenhang mit jungen Menschen zusammentref-fen, die einen Freiwilligendienst absolvieren oder ab-solviert haben. Wenn ja, dann wissen Sie, warum wiruns so massiv für die Mittelerhöhung eingesetzt haben:Junge Menschen, die einen Freiwilligendienst gemachthaben oder machen, sind in vielen Fällen der Inbegriffvon Mitgliedern einer aktiven Bürgerschaft. Dabei spieltes kaum eine Rolle, ob sie sich in einem Pflegeheim, inder Flüchtlingshilfe oder in einem Kindergarten engagie-ren. Sie wollen anpacken, sie wollen mitbestimmen, siewollen mitreden, sie wollen sich einmischen – sie wollenunsere Gesellschaft aktiv mitgestalten.
Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit ist es, die dasBeste in diesen jungen Menschen hervorholt, sie dazubringt, sich noch mehr als vorher für die Menschen umsie herum zu interessieren und sich für sie einzusetzen.Diese Erfahrung ist es, die in vielen Fällen aus Freiwilli-gendienstleistenden und anderen Engagierten echte Stüt-zen für unsere Gesellschaft macht. Aber dafür braucht eshandfeste Unterstützung. Diese haben wir, wie ich finde,mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf geleistet. Dafürmöchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei un-serer Haushälterin Ulrike Gottschalk, aber auch bei ihrenMitstreiterinnen und Mitstreitern bedanken.
Sie sehen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kol-leginnen und Kollegen, der Einzelplan 17 bietet uns diebesten Voraussetzungen, die moderne Politik für unsereGesellschaft fortzusetzen; denn wir bieten mehr jungenMenschen die Gelegenheit, Engagement, Beteiligungund Selbstwirksamkeit aus erster Hand zu erfahren. Wirunterstützen die bunte und solidarische Zivilgesellschaftsowie die Engagierten in unserem Land. Wir stärken aufdiesem Weg die Selbstheilungskräfte der demokratischenGesellschaft gegenüber antidemokratischen Tendenzen,damit unsere Gesellschaft das bleibt, was sie heute ist:engagiert, solidarisch und weltoffen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Svenja Stadler. – Der nächste Redner:
Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Frau Brantner, ein bisschen Eupho-rie müssen Sie uns heute schon gönnen. Sie haben Ihreheimliche Liebe zur Großen Koalition ja in Ihrer Beklei-dung ausgedrückt: in Schwarz und Rot.
Ich glaube, es ist wichtig, in einer HaushaltsdebatteFolgendes zu sagen: Die wesentliche Botschaft für dieNachkommenden, für die Kinder und Jugendlichen, ist,dass wir keine neuen Schulden machen. Das ist das besteErgebnis für die Kinder und Jugendlichen. Damit eröff-nen wir Handlungsspielräume und Gestaltungsspielräu-me; denn die Familienpolitik muss sich weiterentwi-ckeln, weil sich die Familien weiterentwickeln, weil dieVielfalt an Familien sich ändert. Deshalb brauchen wirdringend Gestaltungsspielräume, und zwar für großeMaßnahmen – ich darf daran erinnern, dass wir 6,4 Milli-arden Euro für das Elterngeld ausgeben, also noch einmal400 Millionen Euro mehr; dieses Geld muss da sein –,aber auch für wichtige kleine Maßnahmen – ich schaueunseren Haushaltspolitiker Alois Rainer an –, die wirdurchgesetzt haben, weil uns diese Themen wichtig sind.Diesen Gestaltungsspielraum müssen wir uns erhalten.Deshalb ist eine Neuverschuldung von null richtig undwichtig.Weil alle Zahlen präsentieren, tue ich das jetzt auch –wir haben die Erhöhung schon angesprochen –: 420 Mil-lionen Euro mehr als 2016, 327 Millionen Euro mehrals im Entwurf – wir haben also gut nachverhandelt –;insgesamt sind es 9,5 Milliarden Euro. Wenn ich zurück-schaue, stelle ich fest, dass wir 2005 4,5 Milliarden Euroim Haushalt hatten. Wir haben den Haushalt also mehrals verdoppelt. Natürlich zählt nicht nur das Geld. Nein,wir haben auch spezifiziert. Unsere Maßnahmen sindzielgenauer. Wir schauen: Was brauchen Familien? Wobrauchen sie mehr Freiheit? Wir sagen: Das Elterngeldwar eine zentrale Maßnahme, die zielgenau ist. – Ichkomme nachher noch zum Unterhaltsvorschuss; HerrWunderlich, keine Angst, ich habe Sie nicht vergessen.Wichtig ist die Botschaft, dass wir von der Großen Koa-lition es geschafft haben, mit diesem Haushalt die Teilha-be, die Selbstständigkeit der Familien zu stärken, damitsie ihre Fähigkeiten entfalten können. Im Hintergrundaller Maßnahmen steht, dass wir die Freiheit der Fami-lie gewährleisten wollen. Wir, der Staat bzw. der Nacht-wächterstaat muss dann eingreifen, wenn es notwendigist; aber im Kern müssen wir Familien in ihrer FreiheitSvenja Stadler
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stärken. Das heißt, wir brauchen eine gerechte und soli-darische Gesellschaft.Damit bin ich bei der Zielgenauigkeit und den Fragennach Gerechtigkeit und Solidarität. Herr Wunderlich, wirals Union haben immer gesagt – CDU und CSU habendazu schon vor Jahren auf ihren Parteitagen Beschlüs-se gefasst –: Der Unterhaltsvorschuss muss ausgeweitetwerden. Dazu stehen wir auch heute ganz klar, weil dasfür uns ein wichtiges Thema ist.
Auch aus unserer Sicht ist es ein gesellschaftlicher Skan-dal, dass über 70 Prozent der Partner – in der Regel sinddas Männer – sich aus dem Staub machen und nicht fürden Unterhalt ihrer Kinder aufkommen. Daran müssenwir arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rückhol-quote erhöht wird. Eine Rückholquote zwischen 11 bis36 Prozent ist auch ein Skandal. Auch daran muss gear-beitet werden, und das werden wir tun.
Herr Wunderlich, jetzt reden wir einmal über Politik-verdrossenheit in diesem Land. Sie erklären uns hier, dassei ganz einfach, man müsse nur die „12“ streichen undstattdessen eine „18“ einfügen.
Nein, Politik ist etwas komplexer. Ich sage es Ihnen ganzdeutlich: Sie sehen die „begeisterten“ Ländervertreter.Richtig ist: Es fand eine Sitzung des Koalitionsausschus-ses statt, und es gibt einen Beschluss der Länder und desBundes, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. Deswe-gen stehen die Länder genauso in der Verantwortung wieder Bund.Aber eines ist uns wichtig: Was ich nicht möchte undwas wir nicht möchten – das wurde unter dem Begriff derErwartungshaltung angesprochen –, ist, dass irgendwannein schlechtgelaunter Mitarbeiter eines Jugendamtes ei-ner mit einer gewissen Erwartungshaltung ausgestattetenAlleinerziehenden sagen muss: Ich habe eine deutlicherhöhte Zahl von Anträgen zu bearbeiten – wenn es viel-leicht nicht die doppelte Zahl ist, Frau Brantner –; bisdein Antrag bearbeitet ist, dauert es vielleicht zwei, dreioder vier Monate. – Dann kommt nämlich eine bestimm-te Stimmungslage auf, und es heißt: Die da in Berlin ha-ben es zwar groß angekündigt; aber um die Umsetzunghaben sie sich nicht gekümmert. – Es ist wichtig, dasswir bei allen noch so guten und richtigen Maßnahmen,die wir ergreifen, klare Strukturen schaffen und sowohldie Finanzierung als auch die Umsetzung gut vorberei-ten. Deswegen ist uns am Ergebnis eines wichtig: DieserSchritt wird kommen. Bei allem Respekt: Alois Rainerhat nie gesagt, dass es nicht zum 1. Januar nächsten Jah-res kommt. Das Geld kann allerdings auch nachgezahltwerden; das ist uns wichtig. Wir müssen aber darauf ach-ten, dass die Kommunen in der Lage sind, diese Maßnah-me umzusetzen, und darauf werden wir tunlichst achten.Wir werden die Länder bei den nächsten Gesprächenbitten, eigene Angebote zu machen. Ich weiß ja nicht,was Thüringen empfohlen hat. Thüringen hätte den Un-terhaltsvorschuss auch von sich aus schon lange auswei-ten können. Ich weiß nicht, warum das nicht passiert ist;aber das können Sie ja interpretieren.
Ich finde, es ist schon ein skandalöser Vorwurf, wir –gemeint sind die CDU/CSU und die Große Koalition –würden nichts für Alleinerziehende tun. Allein der Aus-bau der Kindertagesbetreuung ist für Alleinerziehendeein zentraler Punkt; denn damit eröffnen wir ihnen dieMöglichkeit, wieder in die Erwerbstätigkeit zu kommen.Außerdem haben wir den Entlastungsbetrag deutlich er-höht. Dieser Schritt kam zehn Jahre zu spät – das ist si-cherlich richtig –; aber die Erhöhung von 1 308 Euro auf1 908 Euro war in diesem Zusammenhang ein richtigesund wichtiges Signal. Das heißt, wir kümmern uns umdie Familien.
Ich will noch einmal ausdrücklich betonen: Dabei dis-kutieren wir nicht darüber, wie die Familien leben. DieMenschen, die morgens aufstehen, ihre Kinder in die Kitaoder Schule bringen, den ganzen Tag hart arbeiten, ihreKinder abholen, sich um ihre Kinder kümmern und dannmöglicherweise noch ehrenamtlich beim Fußballvereinoder bei der Flüchtlingshilfe aktiv sind, sind diejenigen,für die wir Politik machen. Das sind die Familien, die wirstärken. Ob sie verheiratet sind, alleinerziehend sind oderohne Trauschein zusammenleben, hat dabei nicht oberstePriorität, sondern es geht darum, diejenigen zu stärken,die etwas für Kinder und für diese Gesellschaft tun. DerHaushalt spiegelt das auch deutlich wider.Ein Hauptpunkt ist natürlich das Elterngeld. Es isteine Erfolgsgeschichte. Hierfür stellen wir 6,4 Milliar-den Euro und damit 400 Millionen Euro zusätzlich zurVerfügung. Das ist viel, viel Geld. Aber das Ergebnis istdurchaus positiv. Dass der Herr Staatssekretär im Finanz-ministerium immer unterschreiben muss, wenn von unswieder einmal ein bisschen mehr gefordert wird, machtuns natürlich glücklich; denn das heißt, dass in Deutsch-land mehr Kinder zur Welt kommen. Auch das war einPunkt, der uns immer wichtig war.Ich will auf zwei, drei weitere wichtige Punkte zusprechen kommen, sowohl auf das Elterngeld und dasElterngeld Plus als auch auf das Programm „KitaPlus“.Viele Eltern, gerade solche, die wie ein Polizist imSchichtdienst tätig sind – das war immer ein Problem –,haben uns gefragt: Wie soll ich denn abends die Kinder-betreuung mit meiner Arbeit vereinbaren? – Mit demProgramm „KitaPlus“ zeigen wir ganz deutlich: Wir wis-sen, wo eure Probleme sind; jetzt habt ihr punktuell undtemporär mehr Möglichkeiten. – Auch der Ausbau derMarcus Weinberg
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Kindertagesbetreuung war, wie ich glaube, mit Blick aufdie Zukunft ein sehr wichtiger Schritt.Die Politik wird sich verändern müssen, und auch dieFamilienpolitik wird sich verändern müssen. Es geht da-bei insbesondere um die Frage: Wie können wir Familienmit Kindern stärken, zum Beispiel unter steuerrechtli-chen Gesichtspunkten oder bei der Zielgenauigkeit vonLeistungen? Wir müssen uns die Effizienz der Leistun-gen anschauen; auch das wird eine Aufgabe der nächstenJahre sein. Hinzu kommt die Schnittstellenproblematik.Es gibt, wie Sie wissen, deutlich mehr als 156 familien-und ehepolitische Leistungen. Wir werden uns fragenmüssen: Welche Leistung hat eigentlich welchen Mehr-wert, und wo kommt das Geld zielgenau an? Was denUnterhaltsvorschuss angeht, habe ich gesagt: Er ist eineder zielgenauesten Leistungen, die es gibt. Aber auchandere Leistungen müssen überprüft werden. Wir wer-den uns auch Gedanken darüber machen müssen, welcheErwartungshaltung Familien haben. Ein Beispiel ist dieselbstgenutzte Wohnimmobilie. Es geht nicht nur darum,dass wir sagen: Das ist für Familien gut. – Vielmehr ist esauch mit Blick auf die Alterssicherung denkbar, dass wirhier weitere Vorschläge erarbeiten.Nun noch einmal zu den Geldern für Jugend und Prä-vention. Es ist richtig: Wir haben wahrgenommen – dasfanden wir negativ –, dass wir in dem von der Bundes-regierung eingebrachten Haushaltsentwurf gewisse The-men nicht wiedergefunden haben, bei denen wir vorherklar adressiert hatten, dass sie uns wichtig sind. Beispielesind die Jugendverbandsarbeit und die Jugendmigrati-onsdienste. Ein herzliches Dankeschön an die Haushäl-ter – an alle, aber natürlich insbesondere an unsere –, diediese Fehler Gott sei Dank behoben haben.
Ich sage ganz deutlich: Wir können durchaus ein biss-chen stolz darauf sein, dass wir es geschafft haben, fürdie Jugendverbandsarbeit wieder 2 Millionen Euro be-reitzustellen und dass wir die Mittel für die Jugendmigra-tionsdienste gerade in dieser Zeit in einem solchen Um-fang aufstocken konnten, dass sie an der richtigen Stelleankommen.Sie sehen also: Dieser Haushalt lebt davon, dass wirHandlungs- und Gestaltungsspielräume haben. Deswe-gen ist die Grundsatzfrage der Neuverschuldung für unszentral. Wenn wir eines Tages wieder in eine Situationkommen sollten, in der wir nicht die gleiche wirtschaftli-che Stabilität wie heute haben, in der es kein Wachstumgibt und in der wir nicht über finanzielle Zuflüsse wiederzeit verfügen, dann müssen wir uns Gestaltungs- undHandlungsspielraum möglicherweise hart erstreiten.
Ich sage ganz deutlich: Wir geben gerne möglichst vielGeld aus. Aber andere müssen das erwirtschaften. Wirsollten uns daher sorgsam überlegen, wie wir das Geldausgeben. Deswegen muss man Politik ernsthaft gestal-ten, Herr Wunderlich. Ihr Politikverständnis nach demMotto, mal ganz schnell irgendetwas zu machen, ist nichtdas unsere.
Wir wollen etwas für die Familien tun, wir wollen siestärken. Insbesondere die Kinder und Jugendlichen wol-len wir für die Zukunft stärken. Das machen wir auch,aber verantwortungsbewusst. Nichts wäre schlimmer –ich komme noch einmal auf den Unterhaltsvorschusszurück –, wenn eines Tages eine richtige und wichtigeMaßnahme, die wir alle gewollt haben, deshalb nicht beiden Menschen ankommt, weil wir sie schlecht vorberei-tet haben. Politik lebt auch davon, dass in der Strukturvorbereitet wird. Ich gehe fest davon aus, dass wir dasmit dem Unterhaltsvorschuss hinbekommen werden,weil Länder und Kommunen auch ein Interesse daranhaben, dass es den Familien gut geht. Deshalb bin undbleibe ich da guter Hoffnung.Insgesamt ist das ein toller Haushalt. Ich kann nurnoch einmal sagen: Vielen Dank für das Nacharbeiten,mit dem gelungen ist, was vor ein paar Wochen noch inder Vorbereitung war.Danke.
Vielen Dank, Marcus Weinberg. – Nächster Redner ist
Sönke Rix für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Ich bin Mitglied im erstenNSU-Untersuchungsausschuss gewesen. Jetzt bin ichstellvertretendes Mitglied im zweiten NSU-Untersu-chungsausschuss. Heute hatte ich wieder die Ehre, dabeizu sein und einen Kollegen zu vertreten. Die Beamtendes BKA sowie andere haben noch einmal genauestensgeschildert, wie dieses Trio gearbeitet hat, welche Ver-brechen es begangen hat und mit welcher Skrupellosig-keit dabei vorgegangen wurde. Bei der Gelegenheit habeich aber auch wieder mitbekommen, wie wichtig es ist,dass die Gesellschaft um solche Personen herum auf-merksam ist, damit so etwas eben nicht passiert.
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass die Gesell-schaft – das gilt auch für die Medien – immer alarmiertist und darauf achtet, dass die Werte unserer Verfassung,unseres Grundgesetzes beachtet werden.Wir erleben gerade im rechtspopulistischen Bereich,zum Beispiel bei der AfD, dramatische Entwicklungen,die deutlich machen, dass wir in diesen Punkten aufholenund immer wieder deutlich machen müssen, wie wichtigMarcus Weinberg
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die Werte unserer Demokratie und unserer Verfassungsind. Deshalb begrüße ich sehr, dass wir die Mittel fürDemokratieförderung auf das Maß erhöht haben, daswir schon im Abschlussbericht des ersten NSU-Untersu-chungsausschusses als erforderlich festgehalten haben.Dieses Geld ist wertvolles Geld zur Stärkung unserergemeinsamen Demokratie und unserer Werte, liebe Kol-leginnen und Kollegen.
Mein Dank gilt an dieser Stelle dem ganzen Haus. Dasbetrifft die überfraktionelle Arbeit in dem Untersu-chungsausschuss, aber auch die Unterstützung, die esjetzt für die Demokratieförderung gibt. Wir müssen gera-de in dieser Frage deutlich machen, dass die Demokratensich da nicht auseinanderdividieren lassen.Ich war auch lange Zeit im Unterausschuss Bürger-schaftliches Engagement tätig. Peter Struck, ein wertge-schätzter ehemaliger Vorsitzender unserer Fraktion – erschaut uns vielleicht von oben zu –, der übrigens denSpruch geprägt hat, den Sie, Frau Schwesig, vorhinvorgetragen haben – kein Gesetz verlässt den Bundes-tag so, wie es hineingekommen ist! –, hat mir einmal aufdie Frage, was eigentlich Engagementpolitik ist, geant-wortet: Sind wir nicht eigentlich alle als Politiker enga-giert? – Ja, natürlich. Immer dann, wenn wir vor Ort beiunseren Ortsvereinen und ehrenamtlichen Kommunalpo-litikern vorbeischauen, dann sehen wir die Kärrnerarbeitder Demokratie. Diese Menschen – Frau Stadler hat sievorhin erwähnt – bewirken mehr als diejenigen, die sichnur aktiv in Verbänden, Parteien und Gewerkschaften or-ganisieren. Sie arbeiten frei, emanzipiert, projektorien-tiert und selbstständig in vielen Bereichen. Deswegen binich froh, dass wir auch im Bereich der Freiwilligendiens-te eine Erhöhung hinbekommen haben. Auch dafür sageich herzlichen Dank an den Haushaltsausschuss.
In dieser Debatte hat auch der Föderalismus eine Rollegespielt. Jörn Wunderlich hat uns zum Beispiel vorge-worfen, dass im gesamten Text des Haushalts das Wort„Frauenhäuser“ nicht auftaucht. Ein Blick auf die Geset-zeslage würde deutlich machen, dass wir dafür auch nichtzuständig sind. Das liegt nicht an uns.
– Wir sind nicht allein der Gesetzgeber, lieber JörnWunderlich. Auch der Bundesrat ist Gesetzgeber, undder lehnt es mit 16 : 0 Stimmen ab, dass wir als Bund da-für zuständig sind. Man sollte also immer auch mit demFinger in die eigene Richtung zeigen. Ihr seid auch anLandesregierungen beteiligt.
Ich komme zum Thema Unterhaltsvorschuss. Auchhier nützt es nichts, wenn wir uns gegenseitig vorwerfen,dass wir blockieren. Damit spielen wir doch genau denenin die Karten, die sowieso sagen, dass wir es nicht auf dieReihe bekommen. Es gibt einen eindeutigen Beschlussvon 16 Ministerpräsidenten, die alle aus unterschiedli-chen Landesregierungen kommen. Sie haben gemeinsammit der Bundesregierung beschlossen, dass es zum 1. Ja-nuar 2017 Verbesserungen beim Unterhaltsvorschussgeben soll. Ich finde, daran darf auch nicht gezweifeltwerden. Es wäre fatal, wenn wir einen solchen von sowichtigen und demokratisch gewählten Persönlichkeiteneinstimmig gefassten Beschluss zum 1. Januar 2017 ein-fach nicht umsetzen würden. Deshalb ist es auch unsereVerantwortung, das zu tun.
Frau Schwesig hat von der Frau gesprochen, die ihrgeschrieben hat: Erst hat mich der Mann verlassen, dannhat er mir das notwendige Geld nicht zur Verfügung ge-stellt, und nun verlässt mich der Staat. – Wenn sie jetztauch noch sagen muss: „Jetzt hat der Staat mich auchnoch beschissen, indem er mir nur versprochen hat, dassder Unterhaltsvorschuss zum 1. Januar 2017 neu geregeltwird“, dann wird diese Frau ein viertes Mal enttäuscht,und dagegen sollten wir angehen.
Im Ganzen ist es ein Haushalt, der wieder zeigt, dasswir unserer gesamten Bandbreite gerecht werden: Wirunterstützen die Zivilgesellschaft, die Integrationsarbeitund die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier sindwir auf einem sehr guten Wege.Ich will es an dieser Stelle auch noch einmal sagen:Herzlichen Dank nicht nur für den guten Entwurf, den wirzu bearbeiten hatten, sondern besonders auch ans Parla-ment, das diesen guten Entwurf noch besser gemacht hat.Ganz besonders danke ich auch den Haushältern und spe-ziell dir, liebe Ulrike. Du hast ja leider gesagt, dass diesdein letzter Haushalt ist, den du bearbeitest. Selbst wenndu noch einmal antreten würdest, würdest du nicht nocheinmal für den Familienhaushalt zuständig sein können,weil ja das Rotationsprinzip gilt. Wir bedauern das aberauf jeden Fall sehr.Ganz herzlichen Dank.
Vielen Dank, Sönke Rix. – Die nächste Rednerin:
Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viel-leicht als Erstes: Bevor man etwas verkündet, sollte manauch alles in trockenen Tüchern haben. Dann hätten wirhier jetzt auch nicht das Problem mit den Zahlungen andie Alleinerziehenden;
Sönke Rix
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denn in der Sache sind wir uns hier ja alle einig.
Sie haben von meinen Vorrednern schon viel über diehohen Summen, die wir hier in Familien investieren,über die Projekte unserer Familienpolitik und darübergehört, wie wir unsere finanziellen Spielräume im Haus-halt 2017 nutzen. Als Familienpolitikerin freue ich mich,dass wir auch Projekte unterstützen können, die einenniederschwelligen Zugang zu Hilfsangeboten bieten.Eine gute Ergänzung zum Hilfetelefon gegen Gewaltist nun die Möglichkeit der Beratung für Gewaltopferüber das Internet. Hier können die Opfer in einem On-linechat niederschwellige Beratungen von Fachleutenbekommen.Ein anderes Beispiel ist das Projekt „U25“, durch dasjunge Leute im Alter von 16 bis 25 Jahren ausgebildetwerden, um anderen jungen Menschen zu helfen, die sichmit Selbstmordgedanken quälen. Da Verständnis und Zu-gang unter Gleichaltrigen oft einfacher sind, versprechensich die Experten von diesem Ansatz eine wirkungsvol-lere Hilfe. Gerade junge Leute, die sich so einer belasten-den Aufgabe stellen, verdienen besonderen Dank.Mit 17,5 Millionen Euro fördern wir 560 Mehrgenera-tionenhäuser in ganz Deutschland. Wir setzen damit einZeichen dafür, dass wir den Zusammenhalt der Generati-onen stärken wollen.Den Zusammenhalt der Generationen stärken wir aberauch in den Familien. Die Familienpflegezeit hilft Men-schen, sich um einen pflegebedürftigen Angehörigen zukümmern. Die Mittel für Darlehen während der Fami-lienpflegezeit werden nun um 1,5 Millionen Euro auf8,1 Millionen Euro weiter erhöht.Die Jugendverbandsarbeit wird im kommenden Jahrmit 18,7 Millionen Euro gefördert. Dadurch stärken wirdie Jugendarbeit vor Ort in den Städten und Gemeinden.Der Etat für den Garantiefonds Hochschule bleibtauch 2017 mit 22,9 Millionen Euro auf einem sehr hohenNiveau.Durch qualifizierte Beratungsangebote und die nöti-gen Sprachkurse ermöglichen wir bereits gut ausgebil-deten Flüchtlingen, sich weiterzuqualifizieren. Sie kön-nen dadurch ein Studium aufnehmen und so möglichstschnell auf eigenen Beinen stehen.Auch die Jugendmigrationsdienste können ihre guteArbeit fortsetzen und werden in diesem Haushalt mit gut50 Millionen Euro finanziert.Bereits in meiner Rede zum vergangenen Haushalthatte ich betont, dass das Programm „Demokratie le-ben!“ Gelder mitunter an die falschen Projekte vergibt.Mit 104,5 Millionen Euro kann man viele Demokratie-projekte fördern. Es wird aber immer wieder berichtet,dass islamische Verbände wie die DITIB oder islamisti-sche Vereinigungen, die junge Menschen zum radikalenIslam bekehren wollen, dadurch eine Bühne bekommenund dort Projekte gefördert werden, die wir nicht ge-fördert wissen wollen. Zum Beispiel gab es die Zusam-menarbeit mit dem Deutsch-Islamischen VereinsverbandRhein-Main in Hessen. Diese wurde nach Medienrecher-chen glücklicherweise im Sommer gestoppt. Mit DITIBbekam in diesem Jahr in Hamburg und Schleswig-Hol-stein eine Organisation über eine viertel Million Euro,die direkt dem Religionsministerium des türkischen Prä-sidenten Erdogan untersteht. Solche finanziellen Unter-stützungen darf es nicht geben.
Diese Projekte sollen schließlich von Radikalisierung ab-halten und unsere demokratischen Werte vermitteln undfördern. Ich hoffe, dass das Ministerium bessere Kon-trollmechanismen gewährleistet und dass zukünftig kei-ne Mittel mehr an solche Träger vergeben werden.Ich möchte noch auf eine Erfolgsgeschichte hinwei-sen, bei der wir durch die Finanzierung sprichwörtlichLeben retten. Sie alle können sich noch an die Argumen-te für und gegen die vertrauliche Geburt erinnern. Am1. Mai 2014 ist das Gesetz zum Ausbau der Hilfen fürSchwangere und zur Regelung der vertraulichen Ge-burt in Kraft getreten. Dadurch erhalten Schwangere dieMöglichkeit, ihr Kind anonym und sicher in einer Klinikoder bei einer Hebamme auf die Welt zu bringen. Wäh-rend der Schwangerschaft und danach werden sie vonSchwangerschaftsberatungsstellen und Fachpersonal be-treut und begleitet.Mit diesem Gesetz haben wir Schwangeren in Extrem-situationen einen Ausweg aufgezeigt. Wir haben Kinder-leben retten können, Kinder, die womöglich ausgesetztoder – schlimmer noch – getötet worden wären. Seit In-krafttreten des Gesetzes sind 262 Kinder vertraulich ge-boren worden. Allein in diesem Jahr sind 99 Kinder indieser Form – sauber und gut – geboren worden, und wirhaben damit Leben retten können.
Ich habe bei der Polizei in meinem Wahlkreis nachge-fragt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes gab es im UmkreisDüsseldorfs nicht ein totes Baby. Ich freue mich sehr,dass 262 Kinder dank des Gesetzes gerettet worden sind.Wir können alle gemeinsam stolz darauf sein, dass wirdas damals hier gegen viele Argumente auf den Weg ge-bracht haben.
Schwangeren in Konfliktsituationen zur Seite zu ste-hen, ist eine wichtige Aufgabe. Es freut mich sehr, dasswir auch im kommenden Jahr die Projektförderung vonDonum Vitae für schwangere Frauen auf der Flucht mit1,2 Millionen Euro unterstützen.Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch auf etwasGrundsätzliches hinweisen. Für mich ist die Familienge-staltungsfreiheit der Eltern das zentrale Ziel einer moder-nen Familienpolitik. Wir wollen Eltern die Möglichkeitgeben, ihre Familien individuell nach ihren Bedürfnissenauszugestalten.Im neuen Haushalt werden wir auch die Sprach-Kitasweiter fördern. Wir erhöhen den Ansatz dafür noch ein-mal um 150 Millionen Euro. Mit insgesamt 278 Millio-Sylvia Pantel
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nen Euro fördern wir dann die Qualifizierung von Erzie-herinnen und Erziehern.Mit dem Elterngeld und dem Elterngeld Plus habenwir zwei erfolgreiche Programme, die Eltern darin un-terstützen, den für sie richtigen Weg zu finden. Für 2017haben wir mit 6,4 Milliarden Euro die Grundlage dafürgeschaffen.Wenn ich mit Eltern spreche, berichten sie mir häufig,dass sie sich gern mehr selbst um die Betreuung ihrerKinder kümmern würden. Dieser Wunsch scheitert aberhäufig an der wirtschaftlichen Situation der Eltern. Mitunseren Förderungsmechanismen unterstützen wir der-zeit zu einseitig den Kitabesuch. Stellen wir damit wirk-lich das Wohl des Kindes an die erste Stelle? Sollte un-sere Politik nicht viel mehr darauf abzielen, den Elternbeides, sowohl die Eigen- als auch die Fremdbetreuung,gleichermaßen zu ermöglichen? Das Bundesverfassungs-gericht hat das Betreuungsgeld des Bundes aus formalenGründen gekippt, weil es in die Zuständigkeit der Ländergehört. Die obersten Richter haben aber auch eindeutiggeklärt, dass der Staat keine Kinderbetreuungsform be-vorzugen darf. Es geht um Wahlfreiheit. Damit hat unsdas Bundesverfassungsgericht einen Handlungsauftraggegeben.
Die Bayerische Staatsregierung hat das verstandenund eine Vorreiterrolle übernommen. Das Landesbetreu-ungsgeld des Freistaates Bayern ist ein großer Erfolg.
Schon 100 000 Eltern haben es beantragt.
Es ist in der öffentliche Debatte kaum präsent, dass derKitabesuch im Schnitt zwischen 900 und 1 200 Euro imMonat pro Kind vom Staat bezuschusst wird. So gesehenist das eine sehr ungleiche staatliche Förderung nur einesbestimmten Erziehungsmodells. Für uns sollte das Kin-deswohl immer an erster Stelle stehen.
Dafür werde ich mich weiterhin einsetzen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Es ist so, dass wir einen sehr guten Haushalt aufge-
stellt haben, dass wir zusätzliche Modelle entwickeln
müssen, die weiter gehen, sodass Eltern wählen können.
Frau Kollegin.
An dieser Stelle möchte ich mich bei unserem Haus-
hälter, Alois Rainer, für seine hervorragende Arbeit herz-
lich bedanken.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin, auch wenn es viel länger
war. – Christina Schwarzer ist die letzte Rednerin in die-
ser Debatte für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! HerrWunderlich, lassen Sie mich zwei Sätze zum Unterhalts-vorschussgesetz sagen, weil mir das sehr wichtig ist. Ichweiß nicht, ob Sie sich einmal den Spaß gemacht habenund sich von dem Jugendamt Ihrer Kommune die Zahlenhaben ausrechnen lassen. Mein Jugendamt hat mir dieZahlen mitgeteilt: In meiner Kommune –
– das ist kein Spaß, richtig – mit 320 000 Einwohnerngibt es derzeit 2 300 Fälle. Sie werden von knapp 17 Mit-arbeiterstellen bearbeitet. Wenn das Gesetz in Kraft tritt,wovon wir alle ausgehen, ist mit einem Aufwuchs auf4 800 Fälle zu rechnen. Damit wäre ein Zuwachs auf35 Mitarbeiter verbunden, um diese Fälle zu bearbeiten.Das ist derzeit nicht zu leisten. Deswegen müssen wiruns die Rahmenbedingungen genau anschauen.
Aber wir sprechen jetzt über den Haushalt. Über denvielen Gesprächen, langen Verhandlungen und gutenDiskussionen einer langen Haushaltsdebatte – sie ist fürheute gleich zu Ende – schwebt im Kern eine konkreteFrage: Was ist eigentlich eine gute Politik für Familien,Senioren, Frauen und Jugend in unserem Land? Oder an-ders ausgedrückt: Wie investieren wir denn das Geld, dasuns zur Verfügung steht? Was wollen wir mit unserer Po-litik erreichen? Welche Leistungen sind nötig, um dieseübergeordneten Ziele zu erreichen?Eine erste Antwort gibt der hier vorgelegte Haushalt:Erneut investieren wir mehr als im vergangenen Jahr.Aber einfach nur mehr Geld ausgeben, reicht bekanntlichnicht. Die wichtige Frage lautet: Wofür geben wir es aus?Und vor allen Dingen: Welche Botschaft vermitteln wirdamit?Meines Erachtens lautet eine wichtige Antwort: Wirmüssen Politik so gestalten und finanzieren, dass es un-seren Familien ermöglicht wird, ihr Leben so zu orga-nisieren, wie sie es sich wünschen. Wie sie ihr Zusam-menleben für sich organisiert, weiß eine Familie in derSylvia Pantel
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Regel am besten. Der Staat darf nur Unterstützer undNotfallhelfer sein. Das gilt für die Aufteilung von Arbeit,Familie und Freizeit ebenso wie für die Kindererziehungund die Pflege von Angehörigen. Die Familie priorisiertihr persönliches Lebensmodell, nicht die Politik.Die zweite Antwort auf die Frage, wofür wir das Geldunserer Bürger ausgeben dürfen, lautet meines Erachtens:zur Unterstützung derer, die Unterstützung brauchen. Fürunseren Bereich haben wir dabei eine ganz besondereVerantwortung. Daher bin ich sehr froh, dass wir mitdiesem Haushalt drei Projekte fördern, die sich auf ganzunterschiedliche Art und Weise die Unterstützung vonHilfsbedürftigen auf die Fahne geschrieben haben. AloisRainer, noch einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie sichfür diese drei Projekte eingesetzt haben! Der Dank kamheute sozusagen auch schon in Ihr Büro.
– Da müssen Sie Herrn Rainer fragen. Die NeuköllnerBlutwurstmanufaktur hat Leckeres geliefert. – Dankdieses Einsatzes werden aus dem Bundeshaushalt unteranderem die Projekte „gewaltlos.de“, „U25“ und eineKampagne gegen häusliche Gewalt an Kindern finan-ziert. Aber was steckt konkret dahinter?Beim Projekt „gewaltlos.de“ – Kollegin Schön hat esschon angesprochen – erhalten Mädchen und Frauen, dievon häuslicher Gewalt und Stalking betroffen sind, Bera-tung und Hilfe in Krisensituationen. Das ist eine wichtigeAufgabe; denn Mädchen und Frauen machen Gewalter-fahrungen überwiegend im häuslichen Bereich. Auchvom Phänomen Stalking sind immer mehr betroffen. DieZahl derer, die sich an Beratungsstellen oder die Polizeiwenden, ist sehr gering. Gerade bei solchen Problemenscheint die Hemmschwelle, um Hilfe zu bitten, beson-ders groß zu sein. „gewaltlos.de“ schafft einen einfachenZugang zum Hilfesystem. Die Beratung findet nämlichim Internet statt, das sozusagen rund um die Uhr geöffnetist; man kann dort mit Beratern chatten. Darüber hinauswerden Fragen und Themen in einem Forum besprochen.Seit 2005 haben insgesamt 14 000 Mädchen und Frauendieses Angebot genutzt.Sehr geehrte Kollegen, morgen ist der InternationaleTag gegen Gewalt an Frauen, ohne Zweifel ein wichti-ges Datum. Ich habe mir vorgestern den Spaß erlaubt,ein nettes Foto von Paul Lehrieder und mir zu posten,und ich habe meine Follower gefragt, wer die Telefon-nummer vom Hilfetelefon kennt. Es gab eine Antwort,nämlich die von Paul Lehrieder. Er wusste nämlich dieAntwort.
– Genau, sehr vorbildlich. – Ich glaube, es liegt an uns,das Hilfetelefon und auch „gewaltlos.de“ noch viel stär-ker bekannt zu machen, dass mehr Frauen dieses Ange-bot nutzen können.
Gleiches gilt aber auch für das Projekt „U25-on-line-Suizidprävention“, das sich an eine Zielgruppewendet, die ebenfalls schwer Zugang zum Hilfesystemfindet, nämlich suizidgefährdete Jugendliche. Die Kolle-gin Pantel hat schon darauf verwiesen. Alle fünf Minutenversucht in Deutschland ein Mensch, sich das Leben zunehmen. Bei jungen Menschen ist die Zahl noch viel hö-her. Ich hoffe, dass wir einen kleinen Anteil daran haben,den jungen Menschen helfen zu können.Mit „gewaltlos.de“ und „U25“ werden zwei Online-beratungsprojekte gefördert, was ich als Digitalpolitike-rin für einen wichtigen Schritt halte. Angebote im Netzsind für viele Betroffene ein wichtiger Einstieg, um ausihrem Teufelskreis herauszukommen. Mir ist es beson-ders wichtig, dass zwei so großartige Projekte in Zukunfteine regelmäßige Förderung bekommen.Ein drittes Projekt, das wir im Bundeshaushalt nunfördern, ist eine Kampagne gegen häusliche Gewalt anKindern. Diese ist in Deutschland immer noch traurigerAlltag. Ursache ist oft eine Überforderung der Eltern mitder häuslichen Situation. Es kommt zu Stresssituationen,und manche Eltern sind sich gar nicht bewusst, was sieihrem Baby schon dann antun, wenn sie es nur einmalganz kurz schütteln. Deswegen wünsche ich mir eineflächendeckende Kampagne sozusagen gegen das Baby-schütteln, in der darauf hingewiesen wird, dass man einBaby auch nicht aus Wut, Aggression oder vielleicht auchaus einer Überlastungssituation heraus schütteln darf.Es gibt gute Projekte in den Kommunen. Auch daraufkann eine flächendeckende Kampagne in ganz Deutsch-land hinweisen. In meinem Bezirk in Berlin-Neuköllngibt es eine Schreibabyambulanz. Ich persönlich war nurzwei Stunden mit einem schreienden Baby dort und binschwitzend und sozusagen mit grauen Haaren heraus-gegangen. Es gibt Babys, die schreien 24 Stunden lang.Diese Eltern müssen wir abholen und ihnen sagen, dasssie ihre Kinder nicht schütteln dürfen.
So können wir im Übrigen nicht nur die Eltern sensibi-lisieren, sondern auch Freunde, Nachbarn und sonstigeBekannte, die ihrerseits die Familien sensibilisieren kön-nen.Diese drei genannten Projekte stehen auf ganz unter-schiedliche Art und Weise für den Schutz von Schwä-cheren ein. Dass die Projekte über den Bundeshaushaltgefördert werden, ist ein sehr gutes Zeichen. Denn Prä-vention, ob online oder offline, ist auch haushalterischimmer eine gute Maßnahme. Alles, was wir durch prä-ventive Projekte abfedern können, wird später nicht ganzso teuer.Meine persönliche Bitte an Sie: Machen Sie dieseProjekte bekannt! Sprechen Sie über „gewaltlos.de“, dasHilfetelefon und „U25“! Dann wird die Welt vielleichtfür viele noch ein kleines Stück besser.Danke.
Vielen Dank, Christina Schwarzer. – Damit schließeich die Aussprache.Christina Schwarzer
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Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan17 – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauenund Jugend – in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEinzelplan 17 ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/DieGrünen und die Linke.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:Einzelplan 10Bundesministerium für Ernährung und Land-wirtschaftDrucksachen 18/9810, 18/9824Berichterstatter sind die Abgeordneten Cajus Caesar,Ulrich Freese, Heidrun Bluhm und Sven-ChristianKindler.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Bevor ich der ersten Rednerin das Wort gebe, begrüßeich oben auf der Tribüne 22 Schülerinnen und Schüler,die im Rahmen eines Programms der Landeszentrale fürpolitische Bildung Baden-Württemberg hierhergekom-men sind; sie kommen aus Tübingen. Thema ist „Streit-kultur“.
Ich glaube, Sie sind hier genau richtig. Wenn es umLandwirtschaftspolitik geht, dann wird immer heftig ge-stritten. Ich freue mich. Ich bin irgendwie immer diejeni-ge, die hier oben sitzt, wenn es abgeht.Meine Damen und Herren, jetzt zeigen Sie einmal denjungen Leuten, wie eine gute Streitkultur aussieht. Dieerste Rednerin ist Heidrun Bluhm für die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Herr Minister! Sehr geehrte junge Leute, wollenwir einmal sehen, ob ich dem Streitkulturthema heute ge-recht werde. Das können Sie hinterher vielleicht irgend-wie signalisieren, soweit Sie das dürfen.Dass der Haushalt des Ministeriums für Ernährungund Landwirtschaft bereits im Entwurf mit über 300 Mil-lionen Euro und nach der Bereinigungssitzung noch ein-mal mit 100 Millionen Euro auf nun insgesamt 6 Milliar-den Euro aufgestockt wird, ist, wie die Linke findet, eingutes Zeichen.
Ich freue mich, dass in der Bereinigungssitzung desHaushaltsausschusses noch einmal Fortschritte gemachtwerden konnten, insbesondere beim BundesprogrammLändliche Entwicklung; das ist ein Thema, das michganz besonders interessiert. Man sollte am Anfang im-mer das Positive hervorheben.Bei genauerem Hinsehen aber ist der Aufwuchs auchein Zeichen der Hilflosigkeit der Regierung,
: Oh!)
weil die Maßnahmen insbesondere in der Milchkri-se nur die Behandlung von Symptomen sind, HerrAuernhammer. Der Minister hat in der ersten Haushalts-beratung das Problem eigentlich sehr deutlich angespro-chen und geradezu kämpferisch Änderungen bei denLieferbeziehungen angemahnt, sie gar zur Bedingung fürseine Hilfen gemacht. Er sagte:Aber es kann keiner erwarten, dass ich um des lie-ben Friedens willen nur Geld organisiere und dieProbleme nicht angegangen werden.Da kann ich ebenfalls nur zustimmen. Aber wo sinddie grundlegenden Veränderungen bei den Vermark-tungsstrukturen? Wie sorgen wir dafür, dass nicht balddie nächste Milchkrise ins Haus steht und am Ende nichtwieder Steuergelder helfen müssen? Wie sorgen wir alsofür nachhaltige und faire Milchpreise? Viele Fragen, HerrMinister! Aber Sie reden noch nach mir. Ich werde Ihnenzuhören.Wenn ich sehe, dass selbst 2015 von 58 MillionenEuro Bundesmitteln innerhalb der GAK für den Bau vonMilchkuhställen nachweisbar mindestens 51 MillionenEuro mit Kapazitätserweiterungen verbunden waren –so die Zahlen aus Ihrem Ministerium –, wenn man alsodavon ausgehen muss, dass mindestens 90 Prozent die-ser Bundesmittel in den letzten Jahren das Problem so-gar noch verschärft haben, also mit öffentlichen Mitteln,während wir an anderer Stelle mit vielen Steuermillionendie Brände löschen, dann fehlt da zumindest bei mir dasVerständnis.
Die deutliche Kritik, die Herr Priesmeier vor zweiWochen am eigenen Hilfsprogramm gefunden hat, warebenso bemerkenswert für uns. Offensichtlich scheintselbst in der Koalition große Uneinigkeit darüber zu be-stehen, welche geeignete Medizin angewendet werdensoll, um den kranken Patienten Milchmarkt zu heilen. Siehaben den Tropf mit den Schmerzmedikamenten etwasaufgedreht, unterlassen aber Strukturveränderungen undOrdnungspolitik, die eine wirkliche Heilung versprechenwürden.
Stattdessen setzen Sie nach wie vor auf alte Rezepteder Exportlogik. Die Linke will aber eine Abkehr von derneoliberalen Exportpolitik, die auch im Agrarbereich nurfür menschenunwürdige Gehälter und Einkommen einer-seits und Profite in Händen weniger andererseits sorgt.
Die Linke will die Marktkartelle im Lebensmitteleinzel-handel und in den Vermarktungsketten brechen und dieKonzentration von Marktmacht verhindern. PermanenteHilfsprogramme sind dafür keine Lösung.
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Die Landwirtschaft hängt mehr und mehr am Sub-ventionstropf der EU, des Bundes und auch der Länder.Was nicht gefördert wird, rechnet sich in der Landwirt-schaft schon längst nicht mehr. Wir sind also meilenweitentfernt von Marktwirtschaft, vor allem von sozialerMarktwirtschaft. Das sage ich besonders auch im Hin-blick auf die Agrarstrukturen. Wenn am Ende nur nochgroße Investoren in Besitz von Land und Betrieben sindund kleine Familienunternehmen unterliegen, wennWertschöpfung an nicht landwirtschaftliche Investorenohne Bindung an die Region abfließt, wenn nur nochKonzerne und Großbetriebe den Ton angeben, wenn diePreisspirale am Bodenmarkt immer weiter gedreht wird,wird am Ende nur Rendite das Maß bestimmen. Dannwird die Agrarwirtschaft noch weniger Akzeptanz in derGesellschaft finden, als sie heute schon hat. Wir wollenverantwortungsbewusste Landwirte, keine renditegetrie-benen Großinvestoren, wir wollen Agrarstrukturen, dieeine ökologisch und sozial nachhaltige Landwirtschaftermöglichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entwicklung derländlichen Räume ist vor allem auch eine soziale Frage;denn der Frust ist greifbar. Ich zitiere aus der Süddeut-schen Zeitung zu einem Ort in meinem Bundesland kurzvor der Landtagswahl. Wie Sie wissen, sind die Ergebnis-se für die etablierten Parteien, allerdings auch einschließ-lich meiner, nicht besonders gut gewesen. Da heißt es:Wenn man mit Koblentzern spricht,– so heißt der Ort –beschweren sie sich über ignorante Behörden undungleiche Verhältnisse. Über den Euro. Über AngelaMerkel. Über den Schulbus ... Über den Umstand,dass einfach nichts besser werde, nicht mal die alteDorfstraße, die ein holpriges Chaos aus Kopfstein,Asphaltflecken und Sand ist. Und ein Dorfbewoh-ner gibt offen zu: „Ich habe die NPD gewählt. Weilsonst hier nichts passiert. Wir haben ja nicht ausÜberzeugung die NPD gewählt.“– Sagt er. –„Die sollten mal einen Schrecken bekommen.“ Unddiesmal? ... „Ich wähle die AfD.“
Hier wird deutlich: Der soziale Zusammenhalt unsererGesellschaft zeigt sich sehr konkret in der Lebensrealitätvieler Menschen, vor allem an der alltäglichen Ausgren-zung. Wenn Schulen, Kitas und Krankenhäuser nur nochin großen Städten gebaut werden und anderswo dafürschließen müssen, wenn der Staat sich zurückzieht undsoziale Infrastruktur nicht mehr erreichbar ist, wenn Men-schen in vielen kleinen Gemeinden weniger Perspektivenhaben als andere, ihre Lebensleistung scheinbar von ge-ringerem Wert ist, wenn Grundstückspreise sinken unddamit viele private Vermögen schmelzen und die eigenenKinder nur noch in Stuttgart, Hamburg oder München ei-nen Job finden, wenn Menschen schlicht abgehängt wer-den und dies nicht ein paar wenige betrifft, sondern breiteMassen, dann schafft das Zukunftsangst und Frust. Dannist die Demokratie in Gefahr. Die Grundversorgung mussin Stadt und Land gesichert sein. Darüber sind wir unsvon der Zielstellung her einig. Nur der Weg dahin trenntuns ein wenig.Jetzt werden Sie mir gleich sagen, dass das alles nichtüber den Einzelplan 10 zu leisten sei und damit längstnicht alle Probleme gelöst werden könnten, die im länd-lichen Raum bestehen. Ja, das stimmt. Alle Ressortssind in der Pflicht, und alle machen ein bisschen: GAK, LEADER, ELA, ILE, GRW, Breitbandförderung, BULE,Förderprogramm „Kleine Städte und Gemeinden“, Land-zukunft, Landaufschwung, MORO – ich könnte hiernoch zehn Minuten weitermachen. Wer soll das überbli-cken? Wer redet eigentlich einmal mit den Bürgermeis-tern vor Ort und den Bäuerinnen und Bauern kleinererGemeinden und fragt, wie es ihnen eigentlich gelingensoll, in diesem Förderdschungel noch durchzublicken?Ich sage: Wir brauchen eine ganzheitliche Politik für denländlichen Raum.
Wir müssen die fachliche Fragmentierung aufheben.Wir brauchen eine Förderung aus einem Guss, keine20 Modellvorhaben oder Placebos oder Konkurrenz zwi-schen Herrn Schmidt und Frau Hendricks oder Profilie-rungen. Wir brauchen auf ministerialer Ebene eine deut-liche Verankerung der ländlichen Entwicklung. Deshalbfordern wir, mindestens 200 Millionen Euro mehr in dieGAK, in die zweite Säule, für die ländlichen Räume zustecken, um einen sichtbaren Anfang zu setzen.
In Mecklenburg-Vorpommern haben wir seit kurzemeinen Staatssekretär für Vorpommern. Ich finde, es wäreauch im Bund eine gute Lösung, einen Minister für denländlichen Raum zu benennen, der die Strukturförderungbündelt. Das wäre die richtige Antwort. Vielleicht könntedas Herr Schmidt sein. Die ländliche Entwicklung darfkein Nebenprodukt der Agrarpolitik bleiben.Einen letzten, bedeutenden Aspekt will ich noch ganzkurz ansprechen.
Aber kurz.
Ganz kurz. – Es darf nicht eindimensional nur um dieMenschen im ländlichen Raum gehen, sondern es mussauch um die Tiere gehen, die nicht zur einfachen Warepervertiert werden dürfen und möglichst renditeträchtigproduziert und vermarktet werden. Uns geht es also letzt-lich darum – das fordert die Linke –, die Landwirtschaftsozial und ökologisch auszugestalten, für lebendige Räu-me, für Mensch, Tier und Natur.Herzlichen Dank.
Heidrun Bluhm
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Vielen Dank, Heidrun Bluhm. – Darf ich die Kollegin-
nen und Kollegen angesichts der fortgeschrittenen Zeit
bitten, sich wirklich an die Redezeit zu halten? Wir haben
jetzt schon eine irre Verspätung. Daran sind die anderen
schuld, aber ich bitte Sie einfach, wenn das Lichtlein
blinkt, das nicht als freundlichen Gruß zu verstehen, son-
dern als definitive Aufforderung, die Rede zu beenden.
Jetzt hat Kollege Caesar für die CDU/CSU das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Mein Gruß gilt natürlich auch den jungen Leutenauf der Tribüne. 650 Millionen Euro mehr in den letztenbeiden Jahren für den Einzelplan 10, für Landwirtschaft,für Gartenbau, für Forstwirtschaft und für die Fischerei,ist schon etwas ganz Besonderes. Das kann sich sehenlassen. Das ist eine auf Zukunft ausgerichtete Politik derUnion und der Koalition.
In der Bereinigungssitzung haben wir dafür gesorgt,58 Millionen Euro für das Liquiditätsprogramm, 35 Mil-lionen Euro zusätzlich für die ländliche Entwicklung,2 Millionen Euro für die Abfederung der Fischereiflotteund 250 000 Euro für den Bundesverband der Regional-bewegung, aber auch weiteres Geld für Personalkosteneinzusetzen. Ich glaube, hier haben wir Zeichen gesetzt.Dies sind Zeichen für die vor Ort lebenden und arbeiten-den Menschen und für eine Entwicklung des ländlichenRaums. Das ist Zukunft für die Union.
Wir wollen auch die Digitalisierung. Im Verkehrsetathaben wir dafür 4 Milliarden Euro vorgesehen. Aber auchim Landwirtschaftsetat haben wir für die IT-Plattform10 Millionen Euro zusätzlich angesetzt. Auch das ist derrichtige Weg. Im Rahmen der Digitalisierung insgesamtmuss auch das schnelle Internet vor Ort ankommen. Dagibt es Initiativen auch aus meinem Landkreis, aus demKreis Lippe. Wir sind auf einem guten Weg, auch die ein-zelnen Dörfer anzubinden. Zusammen mit der stellver-tretenden Landrätin Kerstin Vieregge haben wir intensiveGespräche geführt.Aber die IT-Plattform Landwirtschaft bedeutet auchpassgenaues Ausbringen, und es bedeutet, dass wir Um-weltschutz und wirtschaftliche Entwicklung im ländli-chen Raum gleichermaßen verbinden. Ich glaube, dasist der richtige Weg. Wir müssen diesen modernen Weggehen: schnelles Internet und gleichzeitig IT auch in derLandwirtschaft.
Wir wollen insbesondere IT auf den Acker bringen,aber auch in den Stall. Wir können das Futter dann an dasTier bringen, wie es benötigt wird. Wir sehen auch, wokranke Tiere sind. Wir können also auch dort im Sinnevon Umweltschutz und Tierwohl handeln.Wir wollen Innovation und Nachhaltigkeit. Wennman sich den Haushalt einmal anschaut, dann sieht man,dass wir dort Akzente gesetzt haben: 619,7 MillionenEuro plus 53,2 Millionen Euro, das ist doch die richtigeAntwort: auf Nachhaltigkeit setzen, auf Innovation set-zen. Franz-Josef Holzenkamp hat das immer gefordert.Johannes Röring hat gesagt: Cajus, setz dich dafür ein. –Wir als Koalition, wir als Union haben das umgesetzt.Ich glaube, auch das ist der richtige Weg.
Ich denke, insgesamt muss man sagen: Nicht Parolenund Ideologien, wie sie an mancher Stelle vorgebrachtwerden, sind das Richtige; wir wollen vielmehr auf dieBäuerinnen und Bauern vor Ort setzen. Deshalb gilt meinbesonderer Dank natürlich unserem Minister ChristianSchmidt, den Staatssekretären an seiner Seite, aber auchdem Haushaltsreferat, das uns stets unterstützt hat, de-taillierte Antworten auf die Fragen zu finden, die sichaufgetan haben. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank.In diesen Dank darf ich natürlich insbesondere auchunsere Arbeitsgruppe – Franz-Josef Holzenkamp, AloisGerig und die anderen Vertreter der Union von CDU undCSU – einbeziehen. Das ist eine tolle Arbeit gewesen,eine gute Zusammenarbeit. Eine solche Zusammenarbeitbedeutet eben auch eine erfolgreiche Arbeit.
Wir haben beispielsweise für das Modellvorhaben„Demonstrationsbetriebe integrierter Pflanzenschutz“mehr Geld eingesetzt. Hier gibt es 64 Praxisbetriebe, diedavon profitieren. Wir haben für die Früherkennung vonNitratfrachten 1,2 Millionen Euro eingesetzt, und wir ha-ben zusätzliche Mittel insbesondere dort eingesetzt, wolandwirtschaftliche Betriebe das für die Abfederung vonbesonderen Herausforderungen brauchen.150 Millionen Euro für ein Bürgschaftsprogramm, ichdenke, das ist richtig. 58 Millionen Euro für das Liquidi-tätsprogramm – richtig ist auch, die EU-Mittel dafür zuverdoppeln. 50 Millionen Euro für steuerliche Erleichte-rungen zu planen, auch das ist richtig. 78 Millionen Eurofür die landwirtschaftliche Unfallversicherung einzuset-zen – hier wird der Beitrag um 37 Prozent abgefedert –,auch das ist richtig.Außerdem haben wir zentrale Maßnahmen ergriffen,um Schäden zu vermeiden, beispielsweise beim präventi-ven Hochwasserschutz. Dort jährlich 100 Millionen Eurozu verankern, und zwar im Miteinander – Kooperationund nicht Konfrontation; es geht darum, die dort Wirt-schaftenden mitzunehmen und dem Wasser mehr Raumzu geben –, das ist die Politik seitens der Union undseitens der Koalition. Wir wollen das Miteinander undgleichzeitig eine auf Zukunft ausgerichtete Politik. Ichglaube, das ist die richtige Vorgehensweise.
Ich möchte unserem Minister noch einmal ausdrück-lich dafür danken, dass er sich für das neu eingerichtete
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Institut für Kinderernährung beim Max-Rubner-Instituteingesetzt hat.
Hier gab es ja beim letzten Mal noch einige Zweifel, obes denn mit den Stellen klappt. Wir haben in der Bereini-gungssitzung dafür gesorgt; die notwendigen fünf Stellensind da. Es stehen die nötigen Mittel zur Deckung derentsprechenden Personalkosten zur Verfügung. Es stehenauch die nötigen Mittel zur Deckung der entsprechendenSachkosten zur Verfügung. Sämtliche Vermutungen hierseitens der Opposition, dass es nicht klappt, haben sichals falsch herausgestellt: Es hat geklappt. Wir haben un-sere Hausaufgaben gemacht. Ich glaube, das ist der rich-tige Weg. Das gilt auch für die Strategie zur Reduktionvon Zucker, Salz und Fetten. Dafür wurde zusätzlichesGeld eingesetzt. Auch für den Ökolandbau wurde zusätz-liches Geld eingesetzt. Wir wollen ja konventionellenLandbau und Ökolandbau nebeneinander. Wir wolleneine erfolgreiche, moderne Landwirtschaft.
Natürlich haben wir uns auch um die Forstwirtschaftgekümmert; sie ist für immerhin 30 Prozent unserer Flä-che verantwortlich. Viele vergessen: Unsere Forstwirt-schaft liegt im europäischen Vergleich nach dem Ma-schinenbau und der Ernährungsindustrie auf dem drittenPlatz. Für die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffeund für andere Projekte in diesem Bereich, zum Beispielfür Bauen mit Holz, die uns am Herzen liegen, zusätzli-ches Geld im Sinne des Klimaschutzplanes einzusetzen,mit bewirtschafteten Wäldern das Klima zu schützen, ichdenke, das ist der richtige Weg auch hier.
Wir sind sehr dankbar, dass auch die Gespräche mitden Verbänden in der Landwirtschaft, mit dem Bauern-verband und mit anderen Verbänden in der Forstwirt-schaft, mit dem Bund Deutscher Forstleute, aber natürlichauch mit dem Waldbesitzerverband, mit dem DeutschenForstwirtschaftsrat, mit all denjenigen, die hier aktiveund gute Arbeit leisten, seitens der Union sehr fruchtbarverlaufen sind. Wir haben uns austauschen können. Wirhaben auch da unsere Hausaufgaben gemacht, und wirsind auch dort auf dem richtigen Weg, indem wir näm-lich die vor Ort Arbeitenden und gleichzeitig die Wissen-schaftler am Thünen-Institut einbinden.Hier haben wir personell und finanziell vieles ge-schaffen; denn immerhin kommen die Institute in diesemHaushalt mit 350 Millionen Euro vor. Wir haben in dieserLegislaturperiode auch insgesamt im Landwirtschafts-ministerium, aber vor allem bei den Instituten 340 neueStellen geschaffen, die dort wissenschaftlich begleitetgute Arbeit für die Land- und Forstwirtschaft, den Gar-tenbau und die Fischerei leisten. Das ist eine tolle Leis-tung.
Wir wollen auch Energieeffizienz und Umweltschutz imGartenbau. Deshalb haben wir hier noch einmal einigeMillionen Euro draufgelegt. Das ist uns sehr wichtig.Ein zentrales Thema für uns ist natürlich der ländli-che Raum. Deshalb haben wir, die Union, in besondererWeise das Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“betrachtet. Ich bin sehr dankbar, dass unser Sprecher imHaushaltsausschuss, Eckhardt Rehberg, dieses Themavorangetrieben hat. Es war eine tolle Leistung, dass wirdas Programm in dieser Form noch einmal um 35 Milli-onen Euro haben aufstocken können. Damit können wireinzelne Projekte vor Ort umsetzen; dort gibt es runde Ti-sche, an denen gute Ideen entwickelt werden. Auch hiermachen wir eine Politik, die auf die Zukunft ausgerichtetist,
die insbesondere das aufnimmt, was die Menschen vorOrt bedrückt, wenn sich beispielsweise kleine Ortsteileüberlegen, wie sie sich für die Zukunft aufstellen können.
Wir machen eine Politik für die ländliche Entwicklung.Damit wollen wir Arbeitsplätze erhalten und schaffen.
Wir machen eine Politik, die die Dorfkerne nicht zer-stört und alleinlässt, sondern entwickelt. Wir machen einePolitik, die Wohnraum für Familien und Ältere schafft.Wir machen eine Politik, die insbesondere die ländlicheEntwicklung voranbringt. Leistungsfähig und lebenswertwollen wir den ländlichen Raum gestalten. Ich denke, da-mit sind wir in der Union auf dem richtigen Weg.Herzlichen Dank.
Vielen herzlichen Dank, Cajus Caesar. Sie haben dieRedezeit auf die Sekunde eingehalten. – Nächster Rednerist Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Landwirtschaftsminister ist ein Teilzeitjob, je-denfalls unter der CSU. – Das habe ich nicht ich gesagt,das ist ein Zitat von jemandem, der es wissen muss, näm-lich von Horst Seehofer. Das hat er vor ein paar Wochenim Beisein von Ihnen, Herr Schmidt, bei der CSU-Klau-sur gesagt. Jetzt weiß ich persönlich nicht, wie viel ZeitSie für Ihre Arbeit aufbringen. Nach drei Jahren kann ichnur betonen – es ist ja auch Zeit, Bilanz zu ziehen –: Großaufgefallen im Amt sind Sie jedenfalls nicht. Angesichtsder großen Herausforderungen, vor denen die Landwirt-schaft steht, war das deutlich zu wenig.
Cajus Caesar
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Drei Jahre Landwirtschaftspolitik unter Ihnen, HerrSchmidt: Die Bilanz ist leider verheerend. Wir sehen einestarke Exportorientierung in der Landwirtschaft. Das zer-stört regionale, bäuerliche Märkte weltweit. Das führt zueiner großen Konzentration in der Landschaft, besondersin der Tierhaltung. Massentierhaltung geschieht unterschlimmen Bedingungen. Wir sehen, dass immer mehrVerbraucherinnen und Verbraucher das Vertrauen verlie-ren. Wir sehen, dass die Natur leidet. Wir sehen, dass dieMilchpreise im Keller sind. Und wir sehen, dass das Hö-festerben ungebremst weitergeht.
Jeden Tag schließen im Durchschnitt zehn Höfe inDeutschland ihre Pforten. Die Landwirtschaftspolitik derCSU produziert extrem viele Verlierer. Das waren dreiverlorene Jahre für die Landwirtschaft in Deutschland.
Herr Schmidt, am Anfang Ihrer Amtszeit haben Siegesagt: Am Ende meiner Amtszeit muss es den Tierenbesser gehen als jetzt. – Davon sind wir meilenweit ent-fernt.
Im Sommer konnten wir das verschiedenen Medienentnehmen. In einem Panorama-Bericht war zu sehen,welche Zustände zum Teil in deutschen Großställen herr-schen: übelste Tierquälerei, Tiere mit klaffenden Wun-den, tote Tiere, die in Gängen liegen, die nicht entferntwurden, Ferkel, die erschlagen wurden, schwerverletzteTiere in den Ställen.Professor Matthias Gauly, Mitglied Ihres Wissen-schaftlichen Beirats für Agrarpolitik im Bundeslandwirt-schaftsministerium, hat zu diesen Bildern von Panoramagesagt:Zusammengefasst stellt das so die schlechtesteForm der Schweinehaltung dar, die man sich vor-stellen kann, mit einem hohen Potenzial an Tierleidund katastrophalen hygienischen Bedingungen.Das sagt also Professor Gauly aus Ihrem Wissenschaftli-chen Beirat für Agrarpolitik. Ich sage: Er hat recht. DieseForm der Tierhaltung ist inakzeptabel.
Jetzt sagt die Union immer sehr gern, es seien einzelneschwarze Schafe, bei denen das passiert. In diesem Fall,über den Panorama berichtet hat, über den der Spiegelberichtet hat, waren es führende Funktionäre der Agrar-industrie, führende Funktionäre des Bauernverbands undauch führende Landwirtschaftspolitiker von der CDUaus dem Deutschen Bundestag.
Wenn es um die Spitzen der deutschen Agrarindustrie,die Spitzen der Massentierhaltungsindustrie geht: Dassind keine schwarzen Schafe. Das zeigt, dass die Tier-quälerei in der Landwirtschaft System hat.
Ich sage: Dieses System ist kaputt. Es muss endlich be-endet werden.
– Getroffene Hunde bellen. Es ist so. Ich finde, für dieseForm der Landwirtschaft muss man sich eigentlich schä-men; die sollte man als Union nicht verteidigen.
Herr Minister Schmidt, was war stattdessen Ihre Maß-nahme für den Tierschutz in der Landwirtschaft? Sie ha-ben gesagt, dass Sie ein freiwilliges staatliches Tierwohl-label schaffen wollen. Da ist immer noch nichts passiert.Wie das passieren soll, wann das passieren soll, das allesist nicht klar. Das wird nachher nicht mehr sein als Sym-bolpolitik.Ich sage Ihnen: Freiwilligkeit allein wird nicht rei-chen. Wir brauchen klare, verbindliche Regeln. Wirbrauchen eine grundlegende Wende in der Tierhaltung,also eine deutliche Überarbeitung des Tierschutzgeset-zes, verbindliche statt freiwillige Tierhaltungskennzeich-nung, keine Wohlfühlkampagne, sondern endlich harte,ordentliche Regeln beim Tierschutz.
Herr Schmidt, während Sie bei vielen großen He-rausforderungen, vielen wichtigen Themen nahezu un-sichtbar waren, waren Sie bei einem wichtigen Themain den letzten Wochen sehr aktiv. Sie haben skrupellosden Klimaschutzplan von Frau Hendricks zusammenge-strichen – und das in einer unheiligen Allianz mit HerrnDobrindt, mit Herrn Gabriel und mit Herrn Schäuble.Was haben Sie herausgestrichen? Ich zitiere: Kritikan den viel zu geringen Maßnahmen zur Emissions-minderung. Das haben Sie gestrichen. Reduzierung derÜberschüsse bis 2030 auf 50 Kilogramm Stickstoff proHektar. Das haben Sie gestrichen. Stopp des fortwähren-den Flächenverbrauchs. Das haben Sie gestrichen. Über-gang zur Flächenkreislaufwirtschaft bis 2050. Das habenSie gestrichen. Alles Konkrete, alles mit Biss, alle dieseMaßnahmen haben Sie rausgestrichen. Die Frage ist: Wiesoll Klimaschutz in der Landwirtschaft eigentlich funk-tionieren, wenn Sie das alles herausstreichen? So gehtKlimaschutz nicht. Das ist ein Versagen Ihrer Politik inder Landwirtschaft.
Es könnte auch anders gehen. Unsere grünen Land-wirtschaftsminister in den Ländern, zum BeispielChristian Meyer in Niedersachsen, zeigen, wie es andersSven-Christian Kindler
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geht, wie man eine Agrarwende mit den Bäuerinnen undBauern vor Ort umsetzen kann.
– Das schmerzt Sie; ich weiß. Aber Niedersachsen undandere Länder zeigen, wie es gehen kann. Wir sind stolzauf unsere Landwirtschaftsminister in den Ländern.
Wir haben in den Haushaltsberatungen gezeigt, wie esanders gehen kann. Man kann die Mittel für die GAK um250 Millionen Euro erhöhen, etwa für einen Umbauplanfür bäuerlich-ökologische Landwirtschaft. Wir zeigen,wie man die Tierhaltung umbauen kann, wie man dieländlichen Räume stärken kann – durch eine Gemein-schaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“. So muss manLandwirtschaftspolitik machen. Wir müssen die bäuerli-chen Betriebe und die ländlichen Räume stärken.
Sie sehen: Es geht anders. Es geht anders in den Län-dern. Es geht anders im Haushalt. Wir müssen endlichaus der Agrarindustrie, aus der Massentierhaltung aus-steigen. Wir müssen Politik machen für Bäuerinnen undBauern. Wir müssen Politik machen für Verbraucherin-nen und Verbraucher, für unsere Umwelt, für die Tiere.Wir brauchen endlich eine Agrarwende in Deutschland.Vielen Dank.
Vielen Dank, Sven-Christian Kindler. – Jetzt sind die
jungen Leute schon weg. Schade.
Denn jetzt geht hier mal richtig was ab. Das ist lebendi-
ges Parlament. Dazu wird sicher auch der nächste Red-
ner beitragen. Ich gebe das Wort Ulrich Freese für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Bühne ist leer, Herr Kindler.
Das hätten Sie sehen können. Da hätten Sie sich einenTeil der Rede sparen können.
Es war wie immer; das will ich Ihnen sagen. Wir ha-ben sehr oft das Vergnügen miteinander.
Mein Problem mit Ihnen ist: Im Parlament haben wir im-mer diese Fensterreden; die Sacharbeit im Detail, wennwir in den Berichterstattergesprächen sind, wie auch im-mer, wenn man etwas fordert, Projekte hinterlegt, sichmit dem Minister auseinandersetzt, das habe ich an denAbenden, in den Stunden, in denen wir beieinander sit-zen, selten erlebt.
Ich zumindest, Herr Kindler, will mich beim Ministe-rium für die gute kollegiale Zusammenarbeit in den letz-ten drei Jahren für vier Haushalte bedanken. Wir habenam Anfang sehr intensiv miteinander darüber geredet:Wie gehen wir miteinander um? Welche Karten legenwir? Welche Projekte und Ziele setzen wir um? Wir ha-ben uns in hohem Maße am Koalitionsvertrag orientiert.Dass wir all das, was Cajus Caesar vorgetragen hat,umsetzen konnten, ist die Basis einer vertrauensvollenZusammenarbeit. Cajus Caesar hat natürlich immer alsCDU-Chefberichterstatter geredet. Aber 80 oder 90 Pro-zent dessen, was du hier als Erfolg verkauft hast, warnicht ein Erfolg der CDU und CSU alleine, sondern es istauch ein Teil durch uns getrieben maßgeblich nach vornegebracht worden.
Eckhardt Rehberg klatscht mit Freude. Er erinnert sichan manche Haushaltssitzung, in der wir aneinandergera-ten sind, um Dinge, die uns Sozialdemokraten am Herzengelegen haben, voranzutreiben.Ich sage noch einmal: In diesem Haushalt stehen mitt-lerweile 6 Milliarden Euro zur Verfügung. Aber diese6 Milliarden Euro allein sind nicht alles, was an öffent-lichen Mitteln in die Landwirtschaft, in die Entwicklungländlicher Regionen hineinfließt. Weitere gut 5 Milliar-den Euro – wir liefern sie erst nach Brüssel und holen siedann zurück – fließen in die Landwirtschaft hinein. Damitwerden etwa 12 Milliarden Euro in unterschiedlicher Artund Weise in die Landwirtschaft, in die Forstwirtschafthineingegeben, um in Deutschland denen, die für uns daswichtigste Gut bearbeiten, nämlich unsere Mutter Erde,die unsere Landschaft pflegen, die unsere Gewässer inOrdnung halten und sie ordentlich bewirtschaften, auchein anständiges und ordentliches Leben zu ermöglichen.
Wenn ich die Daten und Zahlen richtig begreife, dannhaben wir in der landwirtschaftlichen Unfallversiche-rung immer noch 1,5 Millionen angemeldete Betriebe.Wir haben in der Krankenversicherung immer noch über600 000 Mitglieder. Es ist nicht so, dass wir von einerkonzentrierten Landwirtschaft in Deutschland domi-niert werden. Wir haben noch viele kleine, bäuerliche,mittelständische Betriebe. Wir haben natürlich auch un-Sven-Christian Kindler
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terschiedliche Unternehmensformen. Dieser Punkt liegtmir am Herzen, wenn wir über Hilfemaßnahmen, überSteuerglättung, Gewinnglättung reden. Wir haben Fami-lienbetriebe, die personengeführt sind und Einkommen-steuer zahlen. Wir haben aber gerade in Ostdeutschlandaufgrund der historischen Entwicklung auch andere Un-ternehmensformen, die keine Einkommensteuer zahlen,die Körperschaftsteuer zahlen und über Gewinnglättungnicht von dem partizipieren, was wir auf den Weg brin-gen wollen.
– In Brandenburg werden zwei Drittel der Milchkühe indiesen Unternehmensformen gehalten. Von daher müs-sen wir genau überlegen, wenn wir helfen wollen, waszwingend erforderlich ist. Um Milchwirtschaft auch inBrandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen,in Sachsen-Anhalt und Thüringen zu erhalten, müssenwir diese Unternehmensformen in unsere Betrachtungeneinbeziehen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, die nach mir reden,werden aus fachlicher Sicht zu vielen Punkten – zumTierwohl, zu ländlicher Entwicklung, zum ökologischenLandbau – reden.
Ich will an dieser Stelle, weil es dein letzter Haushaltist, Cajus – du hast selbst erklärt, nicht mehr für den Bun-destag zu kandidieren –, dir ganz persönlich recht herz-lich dafür danken, dass du kollegial, offen, immer bereitwarst, unsere Ideen mitzunehmen und unsere Ideen auchmit umzusetzen. Ich kann mich als Sozialdemokrat beimeinem schwarzen Bruder nur herzlich bedanken für diegute kollegiale Zusammenarbeit.
Alles Gute! Und hoffen wir, dass wir mit unserer Haus-haltspolitik einen Meilenstein für eine zukunftsorientier-te Landwirtschaft in Deutschland gelegt haben.
Vielen Dank, Ulrich Freese. – Jetzt hat das Wort für
die Bundesregierung der Minister für Ernährung und
Landwirtschaft, Christian Schmidt.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Präsidentin, es steht mir natürlich in keiner Weise
zu, mich über Hinweise der Präsidentin weiter zu äußern.
Aber wenn ich verstehen sollte, dass wir angesichts der
fortgeschrittenen Zeit nicht vergessen sollten, dass eine
ausgewogene und regelmäßige Ernährung auch für Mit-
glieder des Deutschen Bundestages notwendig ist,
dann könnte ich der Frau Präsidentin in dieser Ansicht
nur folgen.
Also, das habe ich jetzt nicht so ganz verstanden.
Ich stoppe jetzt mal die Redezeit. Was haben Sie ge-
meint? Dass ich Ihre Lebkuchen essen soll, oder was? –
Zeit für Lebkuchen.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Frau Präsidentin, Sie haben gesagt: Redet nicht so lan-
ge, sodass wir auch noch Zeit haben, etwas zu essen. So
habe ich Sie verstanden.
Nein, das habe ich gedacht; an das Essen habe ich ge-dacht.
Aber recht hat er. – So, die Redezeit läuft.Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Mit dem Bun-deshaushalt 2017 erhält mein Ressort die angemesseneGrundlage für eine strategische Ausrichtung der Agrar-,Forst und Fischereipolitik. Ich werde die sehr bemerkens-werte parlamentarische Unterstützung – den Berichter-stattern aus dem Haushaltsauschuss und den Kolleginnenund Kollegen, die dem Haushalt zustimmen, sei hier ge-dankt – für den Aus- und Umbau des Bundeslandwirt-schaftsministeriums zu einem Mehrthemenhaus nutzen.Die wichtigste Botschaft aus den Haushaltsberatungenlautet: Auf diese Koalition ist in ihrem nachhaltigen Wir-ken für Bauern, Fischer, Verbraucher, Waldunternehmer,ja, auch für Bürgerinnen und Bürger im ländlichen RaumVerlass. Erstmals steigt der Etat meines Hauses – es wur-de gesagt – über die Marke von 6 Milliarden Euro; dasist übrigens im Verhältnis zum Beginn dieser Legislaturein Anstieg um 13,9 Prozent. Sehr herzlichen Dank demhohen Haus für diesen Weg.
Bevor ich zu den Schwerpunkten unserer Arbeit 2017komme, möchte ich auf die aktuelle Herausforderung invielen Teilen unseres Landes eingehen: die Geflügelpest.Wir nehmen den Ausbruch der Geflügelpest in Deutsch-Ulrich Freese
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land alle sehr ernst. Es gilt jetzt alle Anstrengungen zubündeln, um weitere Einträge aus der Wildvogelpopula-tion in das Nutzgeflügel möglichst zu verhindern.Mit der Reform der Geflügelpest-Verordnung, die ausden Erfahrungen der Jahre 2005, 2006 und folgende re-sultiert, haben wir den Ländern und dem Bund wirksameInstrumente an die Hand gegeben, um zielgerichtet undeffektiv gegen die Ausbreitung des Virus vorzugehen.Ich stelle in der Praxis fest, dass es da und dort immernoch Verbesserungsbedarf gibt – dem werden wir nach-gehen –, aber er hält uns nicht davon ab, dass wir ge-meinsam, Bundesländer und Bund, die erforderlichenMaßnahmen ergreifen und transparent informieren.Auf Bundesebene habe ich eine ganze Reihe vonMaßnahmen veranlasst. Vorneweg ist unser renommier-tes Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit auf derInsel Riems dabei, die Länder rund um die Uhr mit sei-ner Analytik und seiner wissenschaftlichen Expertise zuunterstützen.Ich habe den Zentralen Krisenstab Tierseuchen ein-berufen. Die Bund-Länder-Taskforce wurde aktiviert,und ich habe eine Eilverordnung zur Verschärfung vonBiosicherheits- und Hygienemaßnahmen erlassen. Auchdie Fachleute sind sich einig: Biosicherheitsmaßnahmen,gerade auch bei den kleinen Geflügelhaltungen, spieleneine zentrale Rolle zur Vermeidung der Ein- und Ver-schleppung der Tierseuchen. Im Krisenstab haben wiruns mit den Ländern auf ein risikoorientiertes Vorgehenverständigt. Wo es notwendig ist, da handeln wir prä-ventiv und zugleich entschieden. Wir sind im ständigenAustausch mit den Ländern, den Wissenschaftlern undweiteren Experten der Branche. Weitere angemesseneSchritte bleiben vorbehalten. Sie werden zur rechten Zeitdann sofort erfolgen.An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen,allen Beteiligten Dank zu sagen für die konstruktive Zu-sammenarbeit nahezu rund um die Uhr.Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissengibt es keine Hinweise darauf, dass das Vogelgrippevirus,das gegenwärtig kursiert, für den Menschen gefährlichist. Trotzdem appelliere ich an die Verbraucherinnen undVerbraucher, beim Umgang mit Geflügelfleisch – wie im-mer – auf die Einhaltung von Hygieneregeln zu achten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen besonderenSchwerpunkt im Haushalt setzen wir bei der Förderungder ländlichen Regionen; das wurde schon angespro-chen. Ich blicke auf Ecki Rehberg und manche anderehier: Das war ein Kraftakt à la bonne heure. HerzlichenDank! Wenn ich daran denke, dass das Bundesprogramm„Ländliche Entwicklung“, das ich vorgeschlagen habe,vor drei Jahren mit gerade einmal 10 Millionen Euro ge-startet ist, muss ich sagen, dass wir hier eine super Ent-wicklung haben. Danke sehr!
Die Sicherung der Attraktivität unserer Heimat aufdem Land wird ein zentrales Thema der nächsten Jahresein. Wenn Menschen das Gefühl haben, abgehängt zusein, müssen wir darauf Antworten finden, subjektiv undobjektiv, faktisch und auf der Gefühlsebene. Deswegenbrauchen wir eine Trendwende hin zum Land. Unser Zielmuss es sein, die Herstellung gleichwertiger Lebensver-hältnisse in ganz Deutschland als Verfassungsauftrag zuverstehen. Daran müssen alle mitarbeiten.Nicht diese Große Koalition, sondern die in den60er-Jahren hat mit dem guten Duo Franz Josef Straußund Karl Schiller eine Entwicklung in Gang gesetzt, diein der Idee einer konzertierten Aktion mündete. Der Ge-danke ist heute wieder aufzunehmen. Es ist erneut Zeitfür eine konzertierte Aktion für den ländlichen Raum.Wir werden diese konzertierte Aktion – vernetzt und ver-bindlich – zur Hebung des Entwicklungspotenzials desländlichen Raums beginnen.
Zu einer aktiven Politik für die ländlichen Räumegehört natürlich auch, dass wir das Förderspektrum derGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruk-tur und des Küstenschutzes“ ausbauen und anpassen.Wir haben seitens des Bundes im kommenden Haushalt765 Millionen Euro dafür zur Verfügung – so viel wie niezuvor. Wir müssen im PLANAK, das ist der Planungs-ausschuss von Bund und Ländern, natürlich auch überdie Länderprogramme diskutieren. Da wird, Frau Kolle-gin Bluhm, auch die Frage zu stellen sein, wie wir in derMilchpolitik dafür sorgen können, dass wir neben dennotwendigen Verbesserungen in Form von technischenInnovationen den Markt nicht aus den Augen verlieren.In der Tat wird die Frage lauten: Wie orientieren wir uns?Orientieren wir uns nur an der Mengenausweitung? Daskann es nicht sein. Wir müssen uns auch über solchePunkte offen miteinander unterhalten und die Karten aufden Tisch legen.Ein Weiteres: Die Bodenpolitik tut not, selbstverständ-lich rechtsformneutral. Lieber Kollege Freese, Sie habenvöllig recht, wir können die unterschiedlichen Bedingun-gen nicht beiseiteschieben. Wenn es aber dazu kommensollte, dass durch Abenteurertum und Hedgefonds Struk-turen auf Dauer beschädigt werden, dann müssen wir unsauch darüber unterhalten, was wir wie unterstützen. Dannmüssen wir offen darüber diskutieren, wie wir es schaf-fen können, dass ein Nutzungswechsel nicht stattfindet.Dabei geht es auch um die Frage der Kompensationen fürNutzungen außerhalb der Landwirtschaft und darum, wiewir diesen Landverbrauch – es waren einmal 70 Hektarpro Tag; zwischenzeitlich sind es noch 60 Hektar – stär-ker reduzieren können. Diesbezüglich gehe ich mit derKollegin Hendricks übrigens in die gleiche Richtung.40 Millionen Euro sind speziell für Maßnahmen zurEntwicklung des ländlichen Raums vorgesehen. Das istgut so. Wir werden ein Ministerium für die ländlichenRegionen brauchen. Mit Blick auf die nächste Legisla-turperiode sage ich: Das sollten wir auch im Namen desMinisteriums sichtbar machen.
Auch damit würden wir ein starkes Signal an die ländli-chen Räume senden.Bundesminister Christian Schmidt
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir eine Poli-tik für die ländlichen Regionen aus einem Guss wollen,müssen wir auch das System der Gemeinschaftsaufgabenstrategisch weiterdenken. Wir kommen hier perspekti-visch nicht um eine Grundgesetzänderung herum.
Die zentrale Zukunftsaufgabe ist, gleichwertige Lebens-verhältnisse zu schaffen. Wir haben einen ersten gutenSchritt in dieser Legislatur gemacht. Aber wir braucheneine Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung undDemografie“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesellschaftverlangt, dass die Landwirtschaft nachhaltig, umwelt-schonend und tiergerecht arbeitet. Sie verlangt allerdingsauch, lieber Kollege Kindler, dass die wirtschaftlicheTragfähigkeit der Tierproduktion bei uns nicht aus denAugen gelassen wird. Ich fand es sehr gut, wie Ihr Kol-lege Hofreiter gestern in der Haushaltsdebatte in einemAnflug von Nachdenklichkeit
sich selbst gefragt hat – ich übersetze das in meine Wor-te –, ob man die Menschen, wenn man ihnen zunächsterzählt, dass alles schlecht, falsch und ungut ist, wirklichdorthin bringt, wo man sie haben will.
Deswegen sollten Sie meine Idee, das Prinzip der ver-bindlichen Freiwilligkeit – Freiwilligkeit ist doch dasIdeal der grünen Basisdemokratie –, doch nicht soschlechtreden.
Seien Sie dankbar, dass es einen Minister gibt, der geradebei Ihnen anknüpft und Sie beim Wort nimmt. Ich warteauf die „Hofreiterei“ der Zukunft; dann werden wir kräf-tig darüber streiten. Ich hoffe, dass die Schülergruppedann noch einmal da ist und sieht: Konstruktive, sach-liche Diskussion ist das, was wir brauchen und wollen.
Wir werden im Jahr 2017 in diesem Ressort eine gan-ze Reihe weiterer Maßnahmen umsetzen können; dieReduktionsstrategie im Bereich Ernährung sei nur kurzerwähnt. Vielen Dank, Kollege Freese, für Ihr Insistie-ren im Hinblick auf die Kinderernährung. Ich glaube, wirbeide können auch in Anbetracht der fünf zusätzlichenStellen gemeinsam sagen: Wir haben den richtigen Wegeingeschlagen.
– Habe ich „Dortmund“ gehört?
– Ach so. – Welche Entscheidungen bezüglich der weite-ren Strukturen getroffen werden, werden wir dann sehen.Das Max-Rubner-Institut wird seinen Dienst leisten.Ich bedanke mich für die große Unterstützung im ge-samten Haus und dafür, wie Sie diesen Haushalt ausge-stattet haben. Er gibt uns die Möglichkeit, zukunftsori-entiert – ich denke da nicht an eine Agrarwende – unserVerständnis von einer neuen Ausrichtung der Landwirt-schaft und der Ernährung fortzuentwickeln.Herzlichen Dank. Ich freue mich, Frau Präsidentin,dass ich für die 1:37 Minuten, die ich überzogen habe,nicht gerügt wurde.
Das ist wegen der Lebkuchen. – Vielen Dank,
Christian Schmidt.
Nächste Rednerin: Dr. Kirsten Tackmann für die Lin-
ke.
Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen undKollegen! Von der Landwirtschaft wird ja eine Mengeverlangt. Sie soll sicherstellen, dass wir mit gesundenund bezahlbaren Lebensmitteln versorgt werden, sie solldie Energiewende mitgestalten, die Natur schonen undzu lebendigen Dörfern beitragen. All das ist richtig. Beialler notwendigen Kritik, finde ich, sollten wir auch nievergessen: Sie schafft unsere Lebensgrundlage, und wirbrauchen sie als Verbündete für alle Veränderungen, diewir herbeiführen wollen.
Aber gerade deshalb muss es uns doch alarmieren, wennausgerechnet die Landwirte nicht von ihrer Arbeit lebenkönnen. Hier wäre entschlossenes Handeln der Bundes-regierung wirklich notwendig. Aber irgendwie schiebtsie die Verantwortung immer ab: an die Länder, an dieWirtschaft oder an wen auch immer. Ich nennen einmalein paar Beispiele.Beispiel Milchviehhalterinnen und -halter. Sie blei-ben aufgrund der niedrigen Milchpreise seit anderthalbJahren und länger auf mindestens der Hälfte der Produk-tionskosten sitzen. Sie haben schlicht keine Chance ge-gen die erpresserische Marktübermacht von Handel undMolkereien. Seit Jahren weist die Linke auf diese Fehl-konstruktion des Marktes hin. Aber statt diese zu besei-tigen, werden millionenschwere sogenannte Hilfspaketein Brüssel und Berlin geschnürt. Nur, das Geld kommtgar nicht oder viel zu spät in den Betrieben an. Aus SichtBundesminister Christian Schmidt
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der Linken ist es deshalb vor allen Dingen wichtig, dieMacht der Handels- und Molkereikonzerne zu brechen.
Sie dürfen nicht weiter auf Kosten der Milchviehbetriebeleben; denn das ist Ausbeutung von Mensch und Tier undgehört beendet, und zwar sofort.
Beispiel Herdenschutz. Auch hier entzieht sich derBund seiner Mitverantwortung. Hier trifft es die Wei-detierhaltung. Sie hat zwar die höchste gesellschaftlicheAkzeptanz und wird für die Pflege der Deiche und derKulturlandschaft dringend gebraucht. Trotzdem sind hierdie Einkommen die niedrigsten in der gesamten Land-wirtschaft. Hier ist Überlebenskampf Alltag. Geradedeshalb brauchen diese Landwirte Unterstützung beimSchutz ihrer Tiere vor dem Wolf. Die Länder allein sinddamit klar überfordert – finanziell, aber auch inhaltlich.Hier muss der Bund in die Verantwortung,
weil eine bundeseinheitliche Strategie gebraucht wird,weil bundeseinheitliche Standards gebraucht werdenund weil Kenntnislücken geschlossen werden müssen,zum Beispiel: Was schützt die Herden? Was ist unsicher?Auch müssen Haftungsfragen geklärt werden. Deshalbfordert die Linke seit 2011 alljährlich ein Herden- undWolfsschutzkompetenzzentrum – leider auch dieses Jahrwieder vergeblich.Das Umweltministerium hat übrigens unterdessen einInformations- und Dokumentationszentrum – aber nurfür den Wolf. Beim BMEL gibt es nicht einmal ein einzi-ges Forschungsprojekt. Das hat mir die Bundesregierunggerade auf eine parlamentarische Anfrage geantwortet.Ich finde, das grenzt an unterlassene Hilfeleistung undmuss sich ändern.
Beispiel drei. Agrarkonzerne sind eine Existenzbe-drohung für die ortsansässigen Landwirtschaftsbetriebe.Die Linke sagt das seit Jahren, unterdessen sagt das auchdie Bundesregierung. Nur hält sie sich auch hier wiedernicht für zuständig. Dabei geht es aber doch um länder-übergreifende Agrarkonzerne. Was soll denn da ein Fli-ckenteppich von Landesregelungen ausrichten? Schlim-mer noch: Die Anteilskäufe bei Agrarbetrieben sind auchnoch Steuerschlupflöcher. Jährlich geht ein siebenstelli-ger Betrag verloren. Das muss endlich beendet werden.
Übrigens könnte man mit dem Geld das Herdenschutz-kompetenzzentrum finanzieren.Beispiel vier. Das bislang vom Bund und von denLändern finanzierte Institut für Gemüse- und Zierpflan-zenbau in Erfurt ist akut gefährdet. Es passt nicht in dieVorstellung von „Exzellenz“ der Leibniz-Gemeinschaft.Es wird aber – darin sind sich Thüringen und der Bundsogar einig – dringend gebraucht. Aber der Bund fühltsich wieder nicht zuständig. Er will zwar das Geld zurVerfügung stellen, Verantwortung soll aber allein Thü-ringen übernehmen. Als Linke fordern wir dagegen eineBeibehaltung der Bund-Länder-Zuständigkeit. Und dasgeht auch, wenn man will.
Der Bund darf weder die Beschäftigten in Erfurt im Stichlassen noch die Gartenbaubetriebe, die auf diese wissen-schaftliche Expertise dringend angewiesen sind.Als Linke machen wir uns auch grundsätzlich Sorgenum die Agrarforschung. Mein Fraktionskollege RalphLenkert hat heute Vormittag schon darauf hingewiesen.Sie wird im elitären Wissenschaftsbetrieb unterbewertetund droht unterzugehen. Ich denke, wir brauchen eine ei-gene Struktur. Meinetwegen können wir diese auch Aka-demie der Landwirtschaftswissenschaften nennen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kirsten Tackmann. – Nächster Redner:
Dr. Wilhelm Priesmeier für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mich überfälltnoch keine Demut, aber es ist die letzte Haushaltsrede,die ich hier in diesem Deutschen Bundestag halte. Ichspreche jetzt zu dem 15. Haushalt. Ich glaube, es ist jetztZeit, auch ein bisschen Bilanz zu ziehen. Eine Bilanz be-steht immer aus Soll und Haben. Ich meine aber nichtdie Bilanz meiner Tätigkeit hier im Bundestag, sonderndie Bilanz dessen, was wir in diesen Haushalt hineinge-schrieben haben.Über die Größe des Haushaltes – er umfasst knapp6 Milliarden Euro – ist schon dreimal gesprochen wor-den. Ich mache aber noch einmal darauf aufmerksam,dass es die schwarz-rote bzw. rot-schwarze Regierungwar, die den entsprechenden Zuwachs beschlossen hat.Im Gegensatz zu dem, was die gelb-schwarze Koalitionerreicht hat, handelt es sich – das muss man konstatie-ren – um einen erheblichen Zuwachs. Das ist natürlichvor allem der Aufgabenstellung im ländlichen Raumgeschuldet, der wir großes Gewicht beigemessen haben.Das ist ein klares und deutliches Bekenntnis zur Land-,Ernährungs- und Forstwirtschaft sowie auch zur Fische-rei.Über eines bin ich ein bisschen traurig. Ich hatte imSeptember letzten Jahres den Vorschlag gemacht, eingrößeres Bürgschaftsprogramm für die bedrohten bzw.betroffenen landwirtschaftlichen Unternehmen im Be-reich der Veredelung aufzulegen. Das machen wir nunmit diesem Haushalt. Wir kommen da – weiß Gott! –14 Monate zu spät. Wir hätten in vielen Betrieben viel-leicht für Erleichterung sorgen können und denen auchdas Leben einfacher machen können. Wir hätten, wennwir das rechtzeitig letztes Jahr gemacht hätten, dafür sor-Dr. Kirsten Tackmann
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gen können, dass Liquidität in diese Betriebe geflossenwäre.
Ich glaube aber, es ist noch nicht ganz zu spät. Die Be-triebe, die jetzt betroffen sind, werden dieses Programmnoch nutzen können.Die von den Ländern in diesem Zusammenhang auf-gelegten Programme sind bislang nur zögerlich genutztworden. Ich hoffe, dass die Bedingungen für diesesProgramm so gestaltet werden, dass all die Betriebe inder Bonitätsklasse 1 bis 4 dieses Programm – es um-fasst immerhin 300 Millionen Euro; 100 Millionen Eurokommen aus dem Bereich des Bundes, wobei er für dieHälfte bürgt – nicht zur Umschuldung, sondern eben fürdas laufende Geschäft nutzen werden, um so eine neuePerspektive für ihr weiteres Wirtschaften zu haben. Wiralle sehen ja, dass die Milchmarktkrise noch nicht über-wunden ist.Den Betrieben fehlen 6 bis 7,5 Milliarden Euro ausden letzten zwei Jahren. Das ist eine erhebliche Belas-tung. Die Politik kann das aber nicht zur Gänze ausglei-chen. Deshalb freue ich mich, dass wir weitere 58 Millio-nen Euro in den Haushalt eingestellt haben, damit wir dasvon der EU angebotene und auf nationaler Ebene umzu-setzende Milchmengenreduktionsprogramm unterstützenkönnen. Das ist auch im Hinblick darauf, dass zum ge-genwärtigen Zeitpunkt die Lagerbestände abgebaut wer-den, sicherlich eine vernünftige und richtige Maßnahme.Zu den sonstigen Maßnahmen, die zur Erleichterungangedacht waren, kann ich Ihnen nur sagen: Es ist müh-sam, das Einkommensteuerrecht zu nutzen, um damitRisikovorsorge zu betreiben. Nach vielen und reiflichenÜberlegungen haben wir uns aber zumindest jetzt daraufverständigen können, dass wir das befristet tun wollen.Wenn nach der Bewertung im BMJV keine weiterenverfassungsrechtlichen Probleme auftauchen, werdenwir den entsprechenden Gesetzentwurf in der nächstenWoche hoffentlich auch hier im Deutschen Bundestagdurchbringen können, damit die Länder dazu Stellungbeziehen können. Die Position der Bundesländer dazuist an sich sehr kritisch. Vielleicht gelingt es aber, dieseRegelung auch mit schweren Bedenken durchzubringen.Zumindest nach den heutigen Gesprächen bin ich hierrecht hoffnungsfroh. Auch das demonstriert, dass dieKoalition handlungsfähig ist.
Ich glaube, auch bei der Gesetzgebung im BereichGentechnik werden wir einen vernünftigen Konsens fin-den, der tragfähig ist, indem ich darauf verweise, dasswir dieses Problem nicht ungelöst lassen können. DieBundesländer haben sich ja schon darauf eingestellt, dassauch dieser Gesetzentwurf in erster Lesung durch denBundestag gehen wird, damit die Weiterberatung dazuim Bundesrat erfolgen kann.Es ist wichtig und richtig, dass wir vor allen Dingenfür den ländlichen Raum Geld in die Hand nehmen. Des-halb freue ich mich ganz besonders, dass es gelungen ist,den Ansatz für BULE, das Bundesprogramm „LändlicheEntwicklung“, auf 55 Millionen Euro anzuheben. Das istdie Instrumentenkiste, die wir brauchen, um mit Modell-vorhaben Dinge auszuprobieren bzw. zu erproben, dieden ländlichen Raum in Gänze voranbringen. Ich bin mirsicher: Die Erkenntnisse daraus werden die Entwicklungdes ländlichen Raumes auch in Zukunft ganz entschei-dend mit beeinflussen. Es geht darum, die Stakeholder –so nennt man das ja Neudeutsch – in ihren Bestrebungenund Bemühungen zu unterstützen. Mit unserer finanzi-ellen Unterstützung werden wir dafür sorgen, dass derländliche Raum eine Perspektive behält.
Aus unserer Sicht betrifft das hier vor allen Dingen diesoziale Infrastruktur, die Arbeitsstrukturen, die Arbeits-plätze und die Wertschöpfung.Im Hinblick auf verschiedene Programme, die wirim Konsens umsetzen wollten und auch noch umsetzenkönnten, hätte ich mir ein bisschen mehr erwartet. Mirfehlt immer noch etwas im Bereich „Tierschutz und Ver-braucherschutz“, mir fehlt ein einheitlicher Rechtsrah-men zur Tierhaltung und zu Tierarzneimitteln, mir fehltein Tierschutz-TÜV, und ich vermisse eine nationaleNutztierstrategie. All das sind Aufgaben, die wir nur imKonsens und nicht im Dissens bewältigen können. Ichglaube, deshalb sollten wir uns hier ans Werk machenund das nächste halbe Jahr nicht im Streit verschenken,sondern im Konsens beenden.Vielen Dank.
Vielen Dank, Dr. Priesmeier. – Nächster Redner:
Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, das istlaut Horst Seehofer Ihr letzter Haushalt im BMEL – unddas ist auch gut so.Kürzlich titelten die Zeitungen „Dramatischer Rück-gang: Tiere verschwinden von der Erde“. Laut einerWWF-Studie gibt es heute nur noch ein Fünftel der Fi-sche und Frösche, die vor 40 Jahren existierten. Bei derInsektenbiomasse sieht es nicht besser aus. Warum sageich das? Der ökologische Zustand unserer Welt hängtentscheidend auch davon ab, wie wir Landwirtschaft be-treiben, unsere Lebensmittel erzeugen und was wir essen.Aber die Chance, hier etwas zu ändern, verpasst dieserHaushalt erneut.
Das gilt auch für den Klimaschutz; Kollege Kindlerhat es schon ausgeführt. Anfang Oktober hatten wir unshier im Hohen Haus verpflichtet, die Erderwärmung zubegrenzen, die Klimakrise aufzuhalten, aber Sie, HerrMinister Schmidt, haben dann dafür gesorgt, dass dieLandwirtschaft eben nicht den notwendigen BeitragDr. Wilhelm Priesmeier
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zum Klimaschutz leisten muss. Sie haben aus BarbaraHendricks’ Klimaschutzplan einen Klimaschmutzplangemacht.
So sieht auch dieser Haushalt aus. Es werden schonwieder keine Investitionen in Zukunftsprojekte gestartet.Schon wieder werden die Chancen verpasst, umzusteu-ern, und wie die letzten Jahre verharren Sie im Weiter-so,das doch schon bisher nichts gebracht hat. Das haben wirbei der Einbringung des Haushalts kritisiert, und auchjetzt sind hier keine Fortschritte zu verzeichnen, auchwenn es die Kolleginnen und Kollegen anders darstellenwollen. Es bleibt bei Kleckerbeträgen, die nichts mit denAnkündigungen zu tun haben.Zum Beispiel beim Ökolandbau: 20 Prozent habenSie, Herr Schmidt, angekündigt erreichen zu wollen.Das klingt gut, das klingt zukunftsgerecht. Die Mittelfür das Bundesprogramm Ökologischer Landbau werdenerhöht – wunderbar –, aber Sie satteln gerade einmal ein-malig 3 Millionen Euro drauf, und damit bleibt das Pro-gramm mit 20 Millionen Euro bei einem mauen Drittelder Beträge, die sogar der Bauernverband im letzten Jahrfür den ökologischen Landbau gefordert hat und die auchwir für sachgerecht halten.
Viel schlimmer ist aber, dass auch die vorhandenenGelder dem Ökolandbau nur zum Teil zugutekommen.Zwei Drittel der Forschungsmittel im BÖLN sind imletzten Jahr in andere Formen der nachhaltigen Land-wirtschaft geflossen, und das allein zeigt doch schon:Sie wollen gar nicht, dass da etwas vorangeht. Sie wol-len kein funktionierendes Gentechnikgesetz. Sie wollennicht mehr Tierschutz, Sie wollen auch keine Stärkungdes Ökolandbaus. Vielmehr reden Sie nur davon.In anderen europäischen Ländern boomt die Biole-bensmittelwirtschaft und verzeichnet Rekordzuwächse,in Frankreich beispielsweise plus 23 Prozent und in Dä-nemark plus 34 Prozent. Und Sie haben die letzten zweiJahre was gemacht? Eine Debating Society zur Zukunftdes Ökolandbaus gespielt. Jetzt soll bald eine Strategiefertig sein. Aber schade, zur Umsetzung haben Sie kei-nen Cent im Haushalt eingeplant.
Mit dem Umsetzen hapert es da ja immer. Vor zweiWochen haben wir hier das Saatgutverkehrsgesetz be-schlossen. Ihr Haus, Herr Schmidt, hat die Änderungenangepriesen: Sie stärke gartenbauliche Betriebe, denErhalt alter Obstsorten und den traditionellen Anbauregionaler Sorten. Gute Ziele – unterstützen wir. Aberhaben Sie eigentlich gemerkt, dass die Umsetzung auchGeld kostet? Das Gesetz regelt zum Beispiel die Erstel-lung einer Gesamtliste alter Obstsorten, inklusive Be-schreibung. Dazu braucht es Fachwissen, dazu brauchtes viel Arbeit. Es sind vor allem die bürgerschaftlichenErhaltungsinitiativen, die diese alten Sorten mit viel En-gagement pflegen. Die müssen von uns dabei unterstütztwerden. In Ihrem Haushalt finden wir dafür aber genaunichts.
Heute ist schon klar, dass das zuständige Bundessor-tenamt den hier entstehenden Arbeitsaufwand überhauptnicht leisten kann. Und was machen Sie? Sie kürzen demBundessortenamt schon wieder die Mittel, statt sie auf-zustocken. Da müssen sich doch sowohl die ehrenamt-lichen Aktiven als auch die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter des Bundessortenamts verschaukelt vorkommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koali-tion, mit Verlaub: Die SPD feiert das BundesprogrammBiologische Vielfalt im Etat des Umweltministeriums.Schön, bringt aber wenig, wenn gleichzeitig das BMELkeine Mittel in die Forschung an nichtchemischem Pflan-zenschutz und die Beratung der Landwirte zur Nutzungalternativer Pflanzenschutzmethoden steckt. Denn derchemische Pflanzenschutz – das sagen die Wissenschaft-ler nach wissenschaftlichen Analysen – ist neben Struk-turverlusten eine Hauptursache für den Rückgang derbiologischen Vielfalt; und da müssen wir ran.
Wir begrüßen es, dass es ein Bürgschaftsprogramm fürin ihrer Existenz bedrohte landwirtschaftliche Betriebe inden Haushalt geschafft hat. 58 Millionen Euro! Rechnenwir es doch einmal auf die einzelnen Betriebe herunter.Wenn alle mitmachen wollen, sind das 900 Euro pro Be-trieb. Das funktioniert doch nur, wenn Sie einkalkulieren,dass die Mehrzahl der Betriebe keine Anträge mehr stellt,weil der Strukturwandel hier schon schneller war. Daszeigt: Statt nachlaufender Hilfen brauchen wir endlichpolitische Rahmenbedingungen, die Betriebe eben nichtin den ruinösen Kampf um die Preisführerschaft und zumExport drängen. Wir müssen rechtzeitig vorher grundle-gend ansetzen, wenn wir unsere Betriebe erhalten wollen.
Wir müssen umsteuern. Wir brauchen die Agrarwen-de sowohl aus ökologischer wie auch aus ökonomischerSicht. So müssen wir auch den Haushalt des Ministeri-ums ausrichten. Im Haushalt müssen Schwerpunkte ge-setzt werden, zum Beispiel durch Zweckbindungen imBudget für Forschung und Innovationen im Ökoland-bau, für den nichtchemischen Pflanzenschutz, für mehrTierwohl. Wir brauchen mehr Mittel für zukunftsfähigeTierhaltung und eine bäuerliche Landwirtschaft statt ei-nen steuerlich geförderten Ressourcenverbrauch, einebessere Förderung der ökologischen Land- und Lebens-mittelwirtschaft – hören Sie doch auch an dieser Stelleeinmal auf den Deutschen Bauernverband – und eine an-gemessene Mittelausstattung für ländliche Entwicklungund regionale Vermarktung.Dieser Haushalt der verpassten Chancen hat wiedereinmal gezeigt: Die Große Koalition mitsamt ihremLandwirtschaftsminister will es nicht, und sie kann esnicht. Es ist höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden.Danke schön.
Harald Ebner
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Vielen Dank, Harald Ebner. Jetzt erst einmal Luft ho-
len. – Der nächste Redner: Johannes Röring für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevorich einsteige, möchte ich einen herzlichen Dank an CajusCaesar loswerden, der sich für diesen Haushalt enormeingesetzt hat, will aber großkoalitionär auch HerrnFreese in meinen Dank einbeziehen.
Das war gerade gut dargestellt, es geht also doch zusam-men.
Natürlich möchte ich in meinen Dank auch Bundesmi-nister Schmidt einbeziehen. Ich glaube, ein Haushalt miteinem Volumen von knapp 6 Milliarden Euro, der einedicke Steigerung erfahren hat, verbunden mit der Ge-wissheit, dass das Geld sinnvoll eingesetzt wird,
ist ein großer Erfolg. Vielen Dank, Cajus, für den letztenHaushalt, den du als Berichterstatter mitbegleitest.
Meine Damen und Herren, verschiedene Zahlen desHaushaltes wurden schon genannt. Ich möchte auf einenPunkt im Speziellen eingehen, der mir besonders wichtigist. Wir spüren, dass sich die Ansprüche der Verbrauche-rinnen und Verbraucher, der Gesellschaft, wie man soschön sagt, in Bezug auf die Landwirtschaft verändern.Der emotionalste Punkt in diesem Zusammenhang istnatürlich die Nutztierhaltung. Diesem Punkt tragen wirim Haushalt deutlich Rechnung: über 33 Millionen Eurofür den Bereich Tierschutz, für Forschungsförderung,für Modell- und Demonstrationsvorhaben und für dieEntwicklung eines staatlichen Tierwohllabels. Verbrau-cher sind bereit, mehr zu zahlen für tiergerecht produ-ziertes Fleisch, heißt es in zahlreichen Studien. An derLadenkasse zeigt sich dies allerdings leider noch nicht.
Ein staatliches Tierwohllabel soll die wandelndengesellschaftlichen Anforderungen aufgreifen. MinisterSchmidt, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßtund unterstützt Ihr Vorhaben, ein solches Label zu ent-wickeln. Die Wirtschaft wartet, die Erzeuger wollen es.Eine solche Initiative schaffen wir aber nur im Schul-terschluss mit den Erzeugern, mit unserer heimischenLandwirtschaft. Die Landwirte sind nämlich diejenigen,die die Vorgaben eines solchen Labels umsetzen müssen.Wir brauchen daher ein konstruktives Miteinander undkeine Wahlkampfparolen. Dafür haben wir ja gerade einBeispiel gehört. Herr Kindler, bleiben Sie lieber bei denZahlen als bei der Landwirtschaft.
Sie haben mich persönlich angegriffen, und das kreideich Ihnen an.
Wenn mein Vater noch leben würde und das gehört hätte:Wissen Sie, was er zu Ihnen gesagt hätte? Der ist ja nochgrün hinter den Ohren!
Noch nie eine Kuh von hinten gesehen und beurteilt vonBerlin aus unsere Tierhaltung; das kann ja wohl nichtwahr sein.
Um es Ihnen noch einmal deutlich zu sagen: DasLandgericht Hamburg hat dem Norddeutschen Rundfunkverboten, die Bilder aus unserem Stall zu zeigen oderweiter zu veröffentlichen. Wissen Sie, warum? Weil keinVerstoß gegen den Tierschutz vorgelegen hat. Deswegenkann ich Ihnen und auch Herrn Ebner nur empfehlen:Lassen Sie die pauschale Verunglimpfung der Bauernfa-milien in Deutschland, vor allem die der Tierhalter.
Ich wiederhole das, was ich in meiner letzten Rede ge-sagt habe: Unterstehen Sie sich, Wahlkampf auf dem Rü-cken unserer Bauernfamilien zu machen. Das haben siewirklich nicht verdient.
Herr Minister Schmidt, ich kann Sie nur ermutigen:Gehen Sie beim staatlichen Tierschutzlabel voran. DieBranche wartet und ist bereit. Der große Zuspruch fürdie wirtschaftsgetragene Brancheninitiative Tierwohl hatbereits eindrucksvoll gezeigt, dass es unsere Landwirtesind, die an einer Weiterentwicklung der Nutztierhaltunginteressiert sind und sie offensiv und entschlossen ange-hen. Die Initiative funktioniert und wirkt im Übrigen.Wir sind zurzeit dabei, die Verträge für die Zeit von 2018bis 2020 abzuschließen. Die Verträge werden in diesenWochen unterschrieben.Ein staatliches Tierwohllabel darf aber nicht mit derBrancheninitiative im Wettbewerb stehen. Ich biete Ih-nen an, Herr Minister, gemeinsam mit Ihnen die vorhan-denen Synergieeffekte und gemeinsame Infrastrukturenim Bereich von Kontrolle und Organisation zu nutzen.Bereits zur Grünen Woche in knapp zwei Monaten wol-
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len Sie, Herr Minister Schmidt, erste Eckpunkte vorstel-len. Das ist ein ambitionierter Zeitplan. Wir wollen Siegerne dabei unterstützen, um das Tierwohl in der Breitevoranzubringen.Meine Damen und Herren, der Einzelplan 10 steht fürLandwirtschaft und Ernährung, aber auch – das ist mirwichtig – für den ländlichen Raum. Ich bin selber einJunge vom Lande – ich komme aus dem Kreis Borken –,und ich bin sehr stolz darauf. Manche Stadtmenschenschauen allerdings etwas überheblich aufs Land, aber zuUnrecht.
Ich darf ganz kurz für meine Heimat sprechen: DieArbeitslosenquote liegt unter 3 Prozent; das ist fastVollbeschäftigung. Wir haben bei uns in der RegionWeltmarktführer im Bereich Landwirtschaft bzw. land-wirtschaftliche Lösungen. Wir haben vier schuldenfreieStädte und Gemeinden. Das ist nicht vom Himmel ge-fallen. Wir alle haben in unserem Heimatkreis tagtäglichhart daran gearbeitet und machen das auch weiterhin, da-mit es dabei bleibt.Zwar gehören zu einer so guten Lage auch gute Ge-samtumstände, aber gute Umstände werden offenbarvon manchen besser genutzt als von anderen. Deswegenmüssen wir bei allem Stolz auf meinen Heimatkreis auchfesthalten, dass es viele Kreise gibt, in denen es wenigergut zugeht. Hier braucht es konkrete Unterstützung, unddie leisten wir mit dem Haushalt, nicht zuletzt durch dasschon erwähnte Bundesprogramm „Ländliche Entwick-lung“, das um 45 Millionen Euro auf ein Gesamtvolumenvon 55 Millionen Euro aufgestockt worden ist.Es ist unser zentrales Anliegen als Unionsfraktion,den ländlichen Raum als Lebens- und Wirtschaftsraumweiter zu stärken. Nicht jedem ist nämlich geläufig, wiewichtig die ländlichen Räume sind. Teilweise mangeltes an Wertschätzung und vor allen Dingen auch an Ver-ständnis. Eine mangelnde Wertschätzung ländlicher Räu-me kann zu tiefgreifender Entfremdung führen. DieseEntwicklung haben wir gerade bei den Präsidentschafts-wahlen in Amerika erlebt. Das Wahlergebnis zeigt uns,wie wichtig der von uns eingeschlagene Weg ist, uns fürden ländlichen Raum und die dortige Landwirtschaftstarkzumachen. Aber gesellschaftliche Wertschätzungist das eine; finanzielle Hilfen, erst recht in Krisenzeiten,sind das andere.Seit Monaten arbeiten wir in der CDU/CSU-Bun-destagsfraktion am Pakt für die Landwirtschaft. Es gehtdarum, in einer ökonomisch schwierigen Situation einZeichen der Unterstützung zu geben, zum Beispiel durchdie Verdoppelung des EU-Hilfspakets von 58 Millionenauf 116 Millionen Euro, durch die Erhöhung der Entlas-tung bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung auf178 Millionen Euro und durch 150 Millionen Euro fürdas Bürgschaftsprogramm.Wichtig wäre auch die Gewinnglättung. Ich glau-be, die Verantwortlichen wissen, dass nicht in Zukunft,sondern jetzt Liquidität gebraucht wird. Deswegen kannich nur sagen: Macht voran, damit das Paket noch verab-schiedet werden kann!Vor allem aber geht es darum, die Landwirte, die mitdem Rücken zur Wand stehen, nicht noch zusätzlich zubelasten. Während wir nämlich an Unterstützungen ar-beiten, wird gleichzeitig die Abschaffung der Direktzah-lungen, die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleischund vieles andere gefordert.Mit anderen Worten: Während die einen den Bauerndas Leben noch schwerer machen wollen, hat die CDU/CSU konkret gehandelt. Konkretes Handeln, zukunftsge-richtet, stabil und verlässlich, ist das, was sich im Einzel-plan 10 und übrigens auch im gesamten Bundeshaushaltwiderspiegelt – das vierte Jahr in Folge ohne neue Schul-den. Die CDU/CSU ist der Partner des ländlichen Raumsund der Bauernfamilien.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Röring. – Ich hoffe, Ihnen ist
nicht so kalt wie mir. Ich finde es heute extrem kalt hier. –
Sie finden auch, dass es kalt ist. Also frieren nicht nur wir
hier oben. Dann fahren wir schnell fort, damit wir schnell
in die Wärmestube kommen. – Ich komme übrigens auch
vom Land, nur dass das klar ist, aus einem kleinen Ort
mit 4 800 Einwohnern.
Nächste Rednerin: Elvira Drobinski-Weiß, SPD.
Frau Präsidentin, Sie haben recht: Es ist kalt. – Sehrgeehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Vor zwei Wochen hat die Lebensmittelwirtschafteine Studie veröffentlicht, mit der sie wohl beweisenwollte, wie sehr sich die Menschen durch die Politikbeim Essen bevormundet fühlen. Ampel, Zuckersteuer,eine Höchstgrenze für Salz in Lebensmitteln, all das wur-de abgefragt. In allen Fällen kam heraus – vielleicht zumLeidwesen der Lebensmittelindustrie –: Die Mehrheitder Verbraucherinnen und Verbraucher empfindet dieseDinge gar nicht als Bevormundung. Mich verwundertdas nicht; denn ich mache immer wieder die Erfahrung,dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher gesund undnachhaltig essen wollen. Aber das fällt ihnen im Alltagschlichtweg schwer. Deshalb brauchen wir Maßnahmen,die das Lebensmittelangebot in der Breite gesünder undbesser machen. Die nationale Strategie zur Reduktionvon Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln ist eine da-von. Ich freue mich, dass auf Druck der SPD-Fraktiondafür 2017 insgesamt 3 Millionen Euro, also 1 MillionEuro mehr als im vergangenen Jahr, zur Verfügung ste-hen.
Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, das sind besteVoraussetzungen, um endlich loszulegen. In den nächs-ten Monaten sollten konkrete Schritte mit der Wirtschaftvereinbart werden. Wir stellen Ihnen, Herr Minister,selbstverständlich die Ergebnisse unseres Expertenge-Johannes Röring
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sprächs bzw. Fachgesprächs zum Thema Reduktions-strategie sehr gern zur Verfügung. Die Expertinnen undExperten auf dem Podium machten deutlich: Vor allemZucker und Salz müssen reduziert werden. – Das ist auchmachbar für die Wirtschaft. Beginnen kann man überall:beim Salzgehalt von Brot, beim Zuckergehalt von Früh-stücksflocken oder beim Fettgehalt von Fertigprodukten.Gerade bei Lebensmitteln für Kinder ist noch vielLuft zur Rezepturveränderung. Eine gesunde Ernährungvon Anfang an ist eine der wichtigsten Voraussetzungenfür ein gesundes, langes, aktives Leben. Ich kann michnur wiederholen: Wir unterstützen Menschen am besten,wenn wir die gesündere Wahl zur leichteren machen,wenn wir gesunde Verhältnisse schaffen, statt allenthal-ben Broschüren mit guten Tipps zu verteilen und gleich-zeitig der Lebensmittelindustrie zu erlauben, die größtenZuckerbomben schon an die Allerkleinsten zu vermark-ten.Selbstverständlich brauchen wir für alles, was wir tun,solide wissenschaftliche Daten, gerade wenn es um dieKinderernährung geht. Deshalb bin ich sehr erleichtert,dass die Finanzierung des Instituts für Kinderernährungnach langem Hin und Her endlich steht. Die SPD-Frakti-on hat mit viel Nachdruck darauf gedrängt.
Wir erwarten jetzt, dass der schrittweise Aufbau inner-halb des Max-Rubner-Instituts in Karlsruhe – ich betone:Karlsruhe – über die nächsten Jahre kontinuierlich statt-findet.Es ist der letzte Haushalt in dieser Legislaturperiode.Rückblickend hätte ich mir vom Minister eine viel muti-gere Ernährungspolitik mit viel mehr Ideen und Gestal-tungswillen gewünscht. Aber ein paar Monate verbleibennoch, genug Zeit, um einige wichtige Vorhaben voranzu-bringen, Herr Minister.Vielen Dank.
Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß. – Nächster Red-
ner: Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/CSU-Frakti-
on.
Frau Präsidentin, herzlichen Dank für das Lob für un-sere Truppe, dass wir eine so gesunde Streitkultur haben.Ich kann nur sagen: Wir sollten mit Respekt um die besteLösung streiten. Wenn wir uns alle bemühen, tun wir unsund der Gesellschaft einen großen Gefallen.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen undHerren! Wir beraten über den letzten Haushalt in dieserLegislaturperiode. Für mich ist es zugleich die letzteHaushaltsrede, wie du weißt, Wilhelm Priesmeier. Ichbin dabei sehr gut gelaunt. Wir können zuerst einmal all-gemein feststellen: keine neuen Schulden, keine Steuer-erhöhungen und freiwerdende Mittel zusätzlich investiveingesetzt. So macht man es richtig, damit Deutschlandweiter nach vorne kommt.
Wir haben insbesondere den investiven Bereich wei-terentwickelt. Mit dem Bundeshaushalt 2017 haben wirdie höchste Investitionsquote seit vielen Jahren – ichglaube, seit 15 oder 16 Jahren – erreicht. Davon profitiertin besonderem Maße der ländliche Raum. Deshalb gehtan dieser Stelle mein persönlicher Dank – das ist mir einHerzensanliegen – an Cajus Caesar und Uli Freese.Ich will auch Eckhardt Rehberg explizit einbeziehen,der viel getan hat gerade für die Mittel im ländlichenRaum in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium,lieber Christian Schmidt, mit deinem Haus. Das war eingutes Stück Arbeit, das war erfolgreich. Herzlichen Dankdafür.
Ich will auf drei Schwerpunkte eingehen, zunächst kurzauf die Stärkung der Landwirtschaft und des ländlichenRaums. Es ist nicht neu, dass wir uns in dieser Krisen-situation vehement für ein Gesamthilfspaket eingesetzthaben, wissend, dass wir Märkte nicht steuern und auchPreise nicht festlegen können. Dies spiegelt sich auch imHaushalt 2017 wider, in dem wir das Bürgschaftspro-gramm auf den Weg bringen, den Bundeszuschuss fürdie landwirtschaftliche Unfallversicherung noch einmalverstetigen und vor allen Dingen die GAK-Mittel nocheinmal wesentlich erhöhen. Von den Grünen wurde daskritisiert. Erinnern Sie sich einmal an die Zeit zurück, inder Sie Verantwortung hatten. Da war die GAK ein grü-ner Steinbruch. Mit uns wird das wieder aufgebaut. Dasist vernünftige Politik, und das ist die Wahrheit.
Insbesondere das BULE-Programm, das Bundespro-gramm „Ländliche Entwicklung“, zeigt, dass wir imländlichen Raum richtig unterwegs sind.
Wilhelm, du hast darauf hingewiesen: Wir werdennächste Woche die Tarifglättung vornehmen und auch dieMittel aus dem zweiten EU-Hilfspaket verdoppeln, damitwir unseren krisengebeutelten Landwirten insbesonderein der Milchwirtschaft helfen können. Lieber Uli Freese,was die Rechtsformneutralität angeht: An uns hat es nichtgelegen. Das will ich an dieser Stelle auch offen sagen.Auch das entspricht der Wahrheit.Meine Damen und Herren von den Grünen, immerwieder kommt die Mär vom Export. Ich will das nocheinmal deutlich sagen: Die Land- und Ernährungswirt-schaft produziert in erster Linie für den heimischenMarkt. Aber die Menschen bei uns essen auch jede Men-ge Lebensmittel aus allen Ländern der Welt. Und andereLänder in der Welt freuen sich über Lebensmittel „madein Germany“.
Elvira Drobinski-Weiß
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Wir müssen doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein,wenn wir diese Wünsche nicht erfüllen. Das müssendoch auch Sie endlich einmal verstehen!
Meine Damen und Herren, zu dem Thema Umwelt-schutz und Tierschutz: Beim Düngepaket – bestehendaus Düngegesetz und Düngeverordnung – gilt es nocheine Frist bis Ende dieses Monats abzuwarten, in der manStellungnahmen zum strategischen Umweltgutachteneinbringen kann. Ich gehe davon aus, dass wir es dannendlich – das sage ich ganz bewusst – zügig umgesetztbekommen. Das ist ein ordentlicher Beitrag zum Klima-schutz, zum Umweltschutz und auch zum Wasserschutz.Ich will aber auch sagen – darüber haben wir langehin und her diskutiert und auch manchmal gestritten –:Gleichzeitig wollen wir natürlich auch gewährleisten,dass Landwirte ihre Pflanzen vernünftig ernähren kön-nen. Deshalb sagen wir auch mit Blick auf die Landwirt-schaft: so wenig wie möglich, aber auch so viel wie nö-tig – eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Wir haben die Mittel für den Bereich Forschung, In-vestitionen, Praxis- und Demonstrationsvorhaben auf34 Millionen Euro erhöht. Das zeigt, dass wir mit un-serem Vorgehen, Lösungen zu suchen statt Verbote aus-zusprechen, auf dem richtigen Weg sind. So geht es undnicht mit einer reinen Verbotspolitik.
Wir wissen natürlich, dass wir uns in einem großenVeränderungsprozess befinden, was Landwirtschaft an-geht, was die Art und Weise der Lebensmittelproduktionangeht. Da befinden wir uns in einem regelrechten Trans-formationsprozess. Natürlich spielt auch Ordnungsrechteine Rolle. Christina Jantz, wir haben gestern über Pelz-tiere und über das Verbot der Schlachtung trächtiger Rin-der gesprochen, was wir umsetzen wollen und in Kürzeauch werden. Aber wir müssen uns vor allen Dingen umLösungen bemühen, die dann auch wirklich in der Praxisumsetzbar sind. Darauf kommt es an. Meine Damen undHerren von den Grünen, dazu haben wir von Ihnen leiderüberhaupt nichts gehört.
Deshalb ist es richtig, dass Bundesminister Schmidteine Nutztierstrategie entwickelt. Da stehen wir am An-fang eines großen Transformationsprozesses.
Das ist auch hinsichtlich der Gesetzgebung eine sehrgroße Herausforderung. Zunächst geht es um längerfris-tige Planungssicherheit und um eine umfangreiche undkomplexe Aufgabe. Es geht nämlich nicht nur um Tier-schutz, es geht auch um Baurecht, um Umweltrecht, umEmissionsschutzrecht, und es geht um Flächenverbrauch.Das alles muss in einem Konsens zu einer gemeinsamenLösung hin entwickelt werden. Da gibt es Zielkonflikte.Mein Wunsch und mein Appell an Sie alle ist: Las-sen Sie uns diesen Weg wirklich gemeinsam gehen, undzwar lösungsorientiert, nicht ideologisch; denn wenn wirdiesen Weg nicht gehen, werden wir Strukturbrüche imländlichen Raum erleben, und das wollen wir alle nicht.
Sie, insbesondere liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen, beklagen immer wieder, wir machten hierund da zu wenig für die Ökologie.
Wir haben zum Beispiel für den Bereich „Nachhaltigkeit,Forschung und Innovation“ über 600 Millionen Eurovorgesehen. Die Mittel für die institutionelle Förderungunserer Forschungseinrichtungen haben wir um über50 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Mittel für dieEiweißförderung herausgenommen. Diese Mittel werdenfür die Förderung der ökologischen Landwirtschaft ein-gesetzt. Viele andere Dinge mehr haben wir getan. Die-ser Bereich kann sich auch bei den Mitteln für die GAKbedienen. Es gibt somit vielfältige Möglichkeiten. Daherist Ihre Darstellung der Dinge einfach nicht richtig. WeilSie immer ausschließlich von ökologischer Förderungsprechen,
sage ich Ihnen ganz offen: Da haben wir tatsächlich einunterschiedliches Verständnis von Landwirtschaft. Wirsehen Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft und Forst-wirtschaft ganzheitlich,
Sie hingegen betreiben offensichtlich Klientelpolitik.Dafür sind wir nicht zu haben.
Ich finde es richtig, die Arbeit an dem Tierschutzla-bel – Johannes Röring ist darauf eingegangen – fortzuset-zen. Ich will aber auch ganz offen sagen, Christian: Wirmüssen aufpassen, dass wir unseren eigenen Bauern inDeutschland, unseren Erzeugern in Deutschland keinenBärendienst erweisen. Deshalb muss dieses Labeling vonStandards mit einer Herkunftskennzeichnung einherge-hen. Ich hoffe, dass bei der Frage zumindest fraktions-übergreifend Konsens herrscht.
Abschließend ein Satz zu einer Sache, die uns imnächsten Jahr sehr beschäftigen wird: Wie finanzierenwir diesen Transformationsprozess, an dessen Beginnwir stehen? Da spielen natürlich auch die europäischenGelder eine riesengroße Rolle. Ich bekenne, dass die ArtFranz-Josef Holzenkamp
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und Weise der Ausgleichszahlungen so nicht zukunftsfä-hig ist. Die Ausgleichszahlungen erfolgen nicht differen-ziert genug. Ich finde, so sind sie der Gesellschaft nichtüberzeugend genug vermittelbar. Ob man deshalb vonder ersten zu der zweiten Säule switchen sollte, lasse icheinmal außen vor. Ich glaube, es gibt vielleicht intelli-gentere Möglichkeiten, zum Beispiel innerhalb der erstenSäule. Die Säulen sollten kein Selbstbedienungsladen fürunsere Bundesländer sein.Meine Damen und Herren, der Haushalt 2017 ist einGrund zur Freude.
Dank an alle Haushälter. Die Unionsfraktion bekenntsich – diese Bemerkung ist mir abschließend wichtig – zueiner modernen und wettbewerbsfähigen, aber vor allenDingen familiengeführten Landwirtschaft. So stellen wiruns Landwirtschaft vor. Wir werden den Veränderungs-prozess aktiv gestalten – mit verlässlichen Bedingungenfür die Landwirtschaft, damit die Landwirte wissen, wasin fünf oder zehn Jahren ist,
und sie Planungssicherheit haben. Zu dieser Gestaltunglade ich Sie alle ein; denn mit einer einfachen Wende istes nicht getan.
Herr Kollege.
Sie müssen sagen, wohin Sie sich wenden wollen. Zu-
rück in die Höhlen, das hilft uns nicht.
Vielen Dank.
Ich bin gnädig heute. Bitte halten Sie sich zukünftig
an die Redezeit. – Jetzt kommt Christina Jantz-Herrmann
für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! DenSpaß, der gerade hier Einzug gehalten hat, kann ich inmeiner Rede nicht gänzlich aufrechterhalten. Sie könnensich sicherlich vorstellen, dass ich mich als Tierschutzbe-auftragte meiner Fraktion insbesondere dem Tierschutzwidmen möchte. Im Haushalt für das nächste Jahr habenwir hierfür 33 Millionen Euro eingeplant. Das ist wie-der ein Anstieg, wie auch schon in den Jahren zuvor, undzeigt, welchen Wert wir auf dieses Thema legen.
Wir legen natürlich insbesondere Wert darauf, dass wirTierversuche vermeiden. So stützen wir erneut die ZE-BET.Wir legen weiterhin Wert darauf, den Folgen der in-dustriellen Tierhaltung zu begegnen. So stützen wirbeispielsweise weiter die Forschung zum sogenanntenZweinutzungshuhn, und wir legen weiterhin Wert darauf,Modell- und Demonstrationsvorhaben zu unterstützten.Hier werden zum Beispiel gute und innovative Tierhal-tungsmethoden erprobt. Der nächste Haushalt ermöglichtes uns, weiterhin Anreize zu schaffen, die Forschung an-zustoßen, Wissensvermittlung zu finanzieren und nocheiniges mehr.Doch gerade in diesem Bereich sind die Haushalts-mittel nur eine Seite der Medaille. Mit ihnen kann derTierschutz vorangetrieben werden. Doch mindestensgenauso wichtig ist – das klang vorhin schon an – dieRechtsetzung. Deshalb möchte ich hier nicht weiter Zah-len referieren, sondern betonen: Wir müssen das Tier-schutzgesetz maßvoll und bedarfsgerecht novellieren.Wir müssen fehlende Verordnungen auf den Weg brin-gen, wenn bereits entsprechende Ermächtigungen in denGesetzen vorhanden sind. Diese Verordnungen muss dasMinisterium, Herr Schmidt, erlassen. Außerdem müssenwir endlich auch – gerade da ist das Ministerium gefor-dert – die Prüf- und Zulassungsverordnung für Haltungs-systeme auf den Weg bringen.
Die SPD-Bundestagsfraktion steht bereit für progres-sive Veränderungen. Aber wo brauchen wir Gesetzesver-besserungen ganz konkret? Hier möchte ich zwei Bei-spiele nennen.Das Töten von Eintagsküken ist das erste Beispiel.Noch immer werden in Deutschland zig Millionen Ein-tagsküken getötet. Das ist keine neue Information. DasGanze geschieht offensichtlich aus Kostengründen. Mi-nister Schmidt, Sie hatten für Anfang 2017 den Ausstiegaus dieser grausamen Praxis angekündigt. Viel Geld ist indie Forschung zur Geschlechterbestimmung im Ei geflos-sen. Aber der Ausstieg Anfang 2017 ist nicht absehbar.Von daher möchte ich Sie wirklich bitten, Herr Schmidt:Ziehen Sie sich nicht weiter hinter die Forschung zurück.Hier erwarte ich vielmehr mehr Entscheidungsfreudeund ein zuverlässiges Verbot.
Das zweite Beispiel, das ich ansprechen möchte – Kol-lege Holzenkamp hat es schon erwähnt –, ist das Verbotder grausamen Pelztierhaltung und auch der Schlachtunghochträchtiger Rinder. Auch hier wurde bereits vor einemJahr angekündigt, dass die letzten Pelztierfarmen aufdeutschem Boden geschlossen werden und das Schlach-ten hochträchtiger Rinder unterbunden wird. Das istaktuell immer noch erlaubt; man glaubt es kaum. Wennträchtige Tiere geschlachtet werden, verendet dabei dasungeborene Tier aufgrund des Sauerstoffmangels elendigim Mutterleib. Herr Minister, hier haben Sie in der Tateinen guten Vorschlag geliefert. Ich hoffe sehr, liebe Kol-leginnen und Kollegen der Union, dass Sie nicht weitermauern. Ich nehme das Signal von Herrn HolzenkampFranz-Josef Holzenkamp
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so wahr, dass wir dazu jetzt endlich die entsprechendenRegelungen auf den Weg bringen.
Aber bleiben wir bei der Nutztierhaltung. Die land-wirtschaftliche Tierhaltung steht unter Druck. Die Land-wirtschaft weiß, dass sich die Gesellschaft einfach mehrTierschutz wünscht. Aber die Landwirtschaft muss auchwissen – ich glaube, auch da sind wir uns in der Koaliti-on einig –, wohin die Reise gehen soll; denn sie brauchtOrientierung, sie braucht Planungssicherheit. Geradedeshalb brauchen wir aus unserer Sicht eine langfristigeNutztierhaltungsstrategie.
Leider erleben wir hier noch zu häufig propagierte Stag-nation. Vor den Problemen werden die Augen verschlos-sen.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, bitte öff-nen Sie Ihren Blick für die notwendigen Veränderungen.Auch ich habe das Signal von Herrn Röring hinsichtlichdes staatlichen Tierschutzlabels, das ich hier schon vor,glaube ich, einem Jahr gefordert habe, mit Wohlwollenaufgenommen. Ich hoffe, dass das kein Lippenbekennt-nis bleibt.
An die Kollegen und Kolleginnen der Opposition, ins-besondere der Grünen, gerichtet, möchte ich sagen – wirhaben es heute wieder erlebt –: Bitte zeichnen Sie nichtweiter so ein verklärtes Bild der Landwirtschaft. KlagenSie nicht immer an. Eine übertriebene Zuspitzung hilftim Ergebnis auch dem Tierschutz nicht weiter.
Redezeit.
Sie sehen, meine Damen und Herren, wir müssen auf
verschiedene Arten den Tierschutz voranbringen: durch
finanzielle Anreize – ja, selbstverständlich –, aber auch
durch die notwendige Rechtsetzung. Lassen Sie uns die
verbleibende Zeit in dieser Legislaturperiode dazu nut-
zen, den Tierschutz auch weiterhin zu stärken.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Jantz-Herrmann. – Nächster Red-
ner: Alois Gerig für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Schade, einige Kollegen haben heu-te Abend die Chance verpasst, lobende Worte für einegute Politik zu finden.
Ich sage sehr bewusst: Der Sache wegen wäre es mehr alsangemessen gewesen. Herr Kindler, wie war das mit dengetroffenen Hunden, die bellen?
Ich möchte den Minister und sein Haus für eine guteAgrarpolitik loben. Ich möchte unseren ChefhaushälterCajus Caesar für seinen Einsatz loben, ebenso seinenKollegen Freese. Ich möchte auch BundesfinanzministerDr. Schäuble in dieses Lob einbeziehen, der es geschaffthat, mit einer soliden Finanzpolitik endlich neue Zeichenzu setzen.
Unser Ressort hat einen Aufwuchs von über 300 Mil-lionen Euro erfahren. Das ist auch ein Zeichen der Wert-schätzung der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft unddes ländlichen Raums.Worum geht es, meine Damen und Herren? 50 Pro-zent der Menschen leben in ländlichen Regionen, welche90 Prozent der Gesamtfläche umfassen. Ein Drittel istWald. Es geht um das Ausbalancieren, um das Herstellengleicher Lebensbedingungen, wie es schon im Grundge-setz steht, und um eine vielfältige Kulturlandschaft. Esgeht aber auch um die Produktion hochwertiger Lebens-mittel. Deshalb ist das Geld im Etat des BMEL gut ange-legt. Es wird klug und effizient eingesetzt. Ich sage nocheinmal Danke.
Die Landwirtschaft in Deutschland ist arg gebeu-telt: Wetterkapriolen, schlechte Erzeugerpreise und Be-schimpfungen. Die Einkommen liegen deutlich hinterdem Vergleichslohn. Der Strukturwandel ist groß. Gera-de einmal 1,5 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in derLand- und Forstwirtschaft. Manche Partei scheint dieseKlientel aufgegeben zu haben. Sehen wir aber das Ganze,werden wir erkennen, dass es mit den vor- und nachge-lagerten Gewerken insgesamt 11 Prozent sind, die einemächtige wirtschaftliche Position darstellen.Ich sehe die Sorge, wenn es um den Verlust der fa-miliengeführten bäuerlichen Betriebe und, genausoschlimm, um nationale Beschränkungen geht. Eine feh-lende finanzielle und moralische Unterstützung kann zueiner Abwanderung der Produktion führen. Das wäre derSuper-GAU, insbesondere für die Menschen in Deutsch-land.Lieber Kollege Kindler, lieber Kollege Ebner und Ge-sinnungsgenossen, merken Sie sich das.
Christina Jantz-Herrmann
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Wir brauchen eine ausgewogene Politik mit Augenmaßund nicht nur mit Verboten.
Das BMEL mit seinen Maßnahmen und Mitteln hilftnicht allumfassend, aber es werden sehr gute Signale ge-sendet. Ich sage sehr bewusst: Auch die Branche mussihren Teil dazu beitragen.
Der zweite Schwerpunkt ist der ländliche Raum. Hiergibt es ohne Zweifel Problemzonen: den demografischenWandel, den Trend hin zum Ballungszentrum, zur Urba-nisierung. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass eineUmkehr möglich ist. Das betrifft nicht nur unser Ministe-rium, das geht quer durch den gesamten Bundeshaushalt.Es geht auch um Straße, Schiene und schnelles Internet.Allein für den Breitbandausbau hat der Bund 4 Milliar-den Euro bis 2020 zur Verfügung gestellt. Das ist För-derung des ländlichen Raums. Dort werden diese Mitteleingesetzt. Das alles sind doch sehr starke Signale, insbe-sondere aus den unionsgeführten Ressorts.Natürlich brauchen wir auch Bildung. Es geht um diemedizinische Nahversorgung. Ich glaube daran, dass einesich ändernde Mobilität und die Digitalisierung uns bis-her ungeahnte Möglichkeiten für den ländlichen Raumeröffnen werden. Ganz neue Modelle und Chancen wirdes geben. Leben und Arbeiten dort, wo andere Urlaubmachen – und das in einem relativ friedfertigen Um-feld mit Ehrenamt und Vereinskultur. Das ist für michder ländliche Raum der Zukunft. Ich freue mich, dassich mittendrin sein darf. Wir sehen doch schon jetzt beider Integration von Flüchtlingen, dass wir im ländlichenRaum häufig sehr viel besser in der Lage sind, Problemezu lösen, als es in der Stadt machbar ist.Bauern, Mittelstand und Handwerk, das ist das wirt-schaftliche Rückgrat im ländlichen Raum. Die Mit-tel wurden genannt; ich will jetzt keine Summen mehrnennen. Liquidation, LUV, GAK, BULE, Hochwasser-schutz, Nachhaltigkeit, Forschung, Innovation – das al-les sind Programme und Bereiche, die im Sinne auch desländlichen Raums besser ausgestattet wurden. Da sageich immer noch: Das sind starke Signale. Ich hoffe, dasswir gemeinsam auch das wichtige Thema Gewinnglät-tung – wegen der volatilen Einkommen in der Landwirt-schaft – lösen können.Der dritte Block: die Ernährung. Verbraucherschutz,Lebensmittelsicherheit, Maßnahmen gegen Lebensmit-telverschwendung wurden ebenfalls gestärkt, und dasist gut so. Das steht ganz oben auf der Agenda unseresMinisteriums. Die Finanzmittel, die zum Beispiel in dasBundeszentrum für Ernährung gesteckt werden oder fürdas Forschungsinstitut für Kinderernährung eingesetztwerden, sind ebenfalls sehr gut angelegt. Schon wegender erwarteten präventiven Gesundheitsvorsorge werdensich diese Mittel nach meiner festen Überzeugung ganzschnell rechnen; wir werden sie wieder hereinbekom-men.Eine Win-win-Situation, meine Damen und Herren,entsteht dann, wenn es uns gelingt, Erzeuger, Verbrau-cher und Handel zusammenzuführen. Etwas mehr finan-zielle Wertschätzung für die in Deutschland produziertenLebensmittel schafft Luft für weitere positive Verände-rungen in der Lebensmittelproduktion. Darauf müssenwir alle gemeinsam hinarbeiten. Nehmt doch die Bauernweg vom Pranger! Da gehören sie, weiß Gott, nicht hin,liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Organisationen,die ihr draußen unterwegs seid.
Es liegt doch auf der Hand: Die weltweit besten Le-bensmittel werden bei uns produziert. Die kann und darfes in Zukunft nicht weiterhin zum Schnäppchenpreis ge-ben.Auch mit unseren Ansätzen zur Ernährungsbildungsind wir auf dem richtigen Weg. Bei den Kindern müssenwir anfangen.Liebes Ministerium und lieber Herr Minister, sehr vie-les ist gut gemacht worden. Lassen Sie uns gemeinsamauf diesem Weg weitergehen! Für mich ist es zweitran-gig, ob unser Ministerium in der nächsten Legislaturpe-riode „Ernährung und Landwirtschaft“ oder „LändlicherRaum und Landwirtschaft“ heißt; wichtig ist mir, dasswir weiter ein Ministerium haben, das die Aufgaben imländlichen Raum so gut im Blick hat wie bisher.Danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Alois Gerig. – Nächste Rednerin:
Jeannine Pflugradt für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! So eine Haushaltsdebatte bietet uns Rednern im-mer sehr viele Möglichkeiten, unsere speziellen Themenin den Fokus zu rücken. Meist fordern wir Abgeordnetemehr Geld und sind mit dem vorgelegten Entwurf desHaushalts gar nicht so zufrieden. Ich werde weder fürmehr finanzielle Mittel eintreten noch den Entwurf, denwir verabschieden werden, im negativen Sinne ausein-andernehmen. Mir geht es vielmehr darum, wie immerbei meinen Reden zum Thema Ernährung etwas Gehörzu bekommen.Die Bundesregierung bemüht sich seit Jahren um dasThema „Kita- und Schulverpflegung“. Das vom Bundes-ministerium für Ernährung und Landwirtschaft geschaf-fene Bundeszentrum für Ernährung übernimmt ab 2017unter anderem die Projekte des Nationalen AktionsplanesIN FORM, der seit 2008 auf unterschiedlichen Ebenenumgesetzt wird, und baut seit Juli dieses Jahres das Nati-onale Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schuleauf. Es soll die bereits bestehenden Maßnahmen rund umKita- und Schulverpflegung koordinieren. Dafür stehender übergeordneten Bundesanstalt für Landwirtschaftund Ernährung ab 2017 jährlich mehr als 20 MillionenEuro zur Verfügung. Dass der Nationale Aktionsplan INAlois Gerig
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FORM weitergeführt wird, ist erfreulich, wenngleich iches mir gewünscht hätte, dass das BMEL die zahlreichenvoneinander unabhängigen Projekte in der Mitte derLaufzeit auf deren Wirkung bewertet hätte. Dann könn-ten wir zielführender, zeitiger und vor allem gründlicherauf das Ziel des Aktionsplanes, nämlich Gesundheitsför-derung und Prävention lebensstilbedingter Krankheitendurch ausgewogene Ernährung, vor allem ausreichendBewegung und weniger Stress, eingehen.
Auf den ersten Blick klingt die Initiative des BMELgut. Sie will sich stärker um Qualität ausgewogener Er-nährung für Kinder und Jugendliche und deren Wissendarüber kümmern. Leider orientiert sich das BZE an demAnsatz, eher das Verhalten der Menschen ändern zu wol-len, anstatt die Verhältnisse der jeweiligen Lebenswelt zubetrachten.
Es ist für Kinder leichter, sich ausgewogen zu ernähren,wenn Kitas und Schulen ausgewogene Mahlzeiten anbie-ten und ihnen gleichzeitig das Wissen vermitteln, warumdas eine gesünder ist als das andere. Ob Kinder daranteilnehmen, obliegt allein der Verantwortung der Eltern.Aber jedes Kind besitzt erst einmal die Möglichkeit, da-ran zu partizipieren, weil die Verhältnisse in der Schulegeschaffen sind; denn es ist so wichtig, dass Kinder frühlernen, woraus eine ausgewogene Ernährung besteht.
Ich werbe deshalb dafür, kostengünstige oder sogar kos-tenfreie Verpflegung in Kitas und Schulen bei gleichblei-bender Qualität zur Verfügung zu stellen. Wir alle wissenum die hohen Kosten, die auf unser Gesundheitssystemzukommen werden, wenn wir das Problem ernährungs-bedingter Krankheiten nicht positiv beeinflussen können.Das Nationale Qualitätszentrum wird zusätzlich einenQualitätsnachweis für Caterer sowie Anbieter für Kita-und Schulessen entwickeln, der auf der Grundlage derDGE-Verpflegungsstandards entsteht. Die Verbreitungder Standards als verpflichtendes Element der Verpfle-gung wird eine Hauptaufgabe des Nationalen Qualitäts-zentrums werden. In Zusammenarbeit mit Vernetzungs-stellen gäbe es die Möglichkeit für Schulen, sich beratenzu lassen und ihre Speisepläne diesem Qualitätscheck zuunterziehen. Leider ist dieses Angebot noch freiwillig.Freiwilligkeit allein hilft aber nicht immer weiter; daswissen wir.Die 16 Vernetzungsstellen der Bundesländer fungie-ren als Zweigstellen zwischen den durchführenden Part-nern – Kommunen, Trägern, Schulen – und dem Natio-nalen Qualitätszentrum. Daher bleiben sie unberührt inder Hoheit der Bundesländer. Deshalb sollten wir – hierspreche ich ganz speziell unseren Koalitionspartner an –noch einmal über eine Lockerung des Kooperationsver-botes für den Bereich „Verpflegung und Aufklärung“nachdenken.
Es ist doch längst überfällig, Synergien zwischen Bundund Länderkompetenzen effektiv zu bündeln.Aber eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt einProblem: Es sind die Eltern, die die Verantwortung füreine gesunde Ernährung ihrer Kinder tragen, aber leidernicht oft genug wahrnehmen. Wenn ich sehe, wie vie-le Schulkinder sich beim Bäcker morgens ihr Schulbrotoder – soll ich lieber sagen? – ihr Schulzuckerbrot kau-fen, dann weiß ich, was bei ihnen im Elternhaus los ist. Inder nächsten Legislaturperiode müssen wir deutlich mehrGeld für Aufklärung in Kitas, Schulen und der Eltern in-vestieren. Das ist leider bitter nötig, aber langfristig kos-tensparend für unser Gesundheitssystem.Vielen Dank.
Vielen Dank, Jeannine Pflugradt. – Der letzte Redner
in der Debatte: Willi Brase für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich gehöre zudem Club der heutigen Redner, der zum letzten Mal zumHaushalt 2017 redet.Ich möchte zuerst Ulrich Freese, unserem Haushälter,danken, weil er uns in Fragen ländlicher Entwicklungdurchaus sehr gut unterstützt hat, zum Beispiel wenn wirversuchten, den Ländern die Möglichkeit zu eröffnen, dieMittel, die der Haushalt 2016 zur Verfügung gestellt hat,auch noch im nächsten Jahr abzugreifen. Ich glaube, dasist richtig.
Ich bin dem Minister dankbar, dass er den Begriff„ländliche Entwicklung und Weiterentwicklung des Mi-nisteriums“ ein Stück weit nicht nur heute hier, sondernauch gestern bei der Konferenz auf den Weg gebracht hat.Ich will Alois Gerig widersprechen: Es gibt nicht mehrviele Regionen, in denen die Landwirtschaft das Zentrumder wirtschaftlichen Stärke ist.
Dem ist leider so. Ich zum Beispiel komme aus Südwest-falen und kann nur sagen: Die dortige Struktur bestehtaus kleinen und mittelständischen Betrieben. Im wirt-schaftlichen Zentrum stehen die KMU. Sie sind das Herzder Region, und das gilt auch für andere Regionen inDeutschland.
Wenn wir über ländliche Regionen sprechen, dannmüssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir bei unserenneu hinzukommenden Programmen wesentlich differen-zierter und manchmal sogar kleinteiliger agieren müssen.Es gibt nicht mehr den großen Rundumschlag. Dafür ha-Jeannine Pflugradt
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ben sich die Bereiche zu unterschiedlich entwickelt. Egalob ich nach Mecklenburg-Vorpommern, nach Branden-burg, nach Bayern, nach Nordrhein-Westfalen oder nachNiedersachsen blicke: Ich stelle fest, wie unterschiedlichsich die einzelnen Regionen entwickelt haben. Wenn derMinister sagt: „Ich möchte mich in meiner Arbeit auf dieländlichen Regionen, auf Landwirtschaft und Ernährungkonzentrieren“, dann ist das richtig. Wir stellen fest, dassPolitik für ländliche Regionen auch Querschnittspolitikist.
Im Altenbericht der Bundesregierung, der uns jetztvorliegt, steht, dass von Bund und Ländern konzentrierteMaßnahmen ergriffen werden müssen, um zum Beispieldie Kommunen zu unterstützen; all diese Punkte sindvon meinen Vorrednerinnen und Vorrednern in unter-schiedlicher Art und Weise schon angesprochen worden.Ja, die Situation ist sehr differenziert zu betrachten. Undwenn man sagt: „Politik für ländliche Regionen ist Quer-schnittspolitik“, dann darf es auch erlaubt sein, nachzu-fragen: Ist Landwirtschaft eigentlich noch eine besonde-re wirtschaftliche Produktionsweise?
– Lassen Sie mich doch ausreden. – Müssen wir dielandwirtschaftliche Erzeugung nicht auch ein Stück weitgleichsetzen zum Beispiel mit der Automobilindustrieoder der Stahlindustrie? Ich kann verstehen, dass dieUnionskollegen sagen: Um Gottes willen, das ist unsereKlientel. Aber wenn der Minister die ländlichen Regio-nen weiterentwickeln will, dann gibt es erst einmal kei-ne Denkverbote. Dazu gehört es auch, zu überlegen, wieman die Politik zukünftig strukturiert und wo die Quer-schnittsbereiche liegen. Wenn man dann zu der Auffas-sung gelangt: „Ja, die Landwirtschaft gehört auch weiter-hin dazu“, dann sollten wir etwas unternehmen. Aber ichbin absolut dagegen, dass man sagt: „Das geht gar nicht“,weil man vielleicht Parteiinteressen verfolgt, liebe Kolle-ginnen und Kollegen.
Ich will auf diejenigen eingehen, die sagen: Wir brau-chen nur noch den ökologischen Landbau. – Ja, die Welt-bevölkerung wächst, und die Frage ist: Wie schaffen wires, alle mit vernünftigen Lebensmitteln zu versorgen?Das ist ein Riesenproblem. Mir gefällt bei der Debatte,die von den Grünen ausgeht, nicht, dass völlig verges-sen wird, was eigentlich mit den Menschen ist, die in derLandwirtschaft und in der Ernährungsindustrie beschäf-tigt sind.
Diese Koalition hat den Mindestlohn auch auf den Weggebracht, um den in der fleischverarbeitenden Industriearbeitenden Menschen mehr Rechte einzuräumen undmehr Geld zu geben.
Und gute Arbeit ist für meine Fraktion ein wesentlicherPunkt,
und wir wollen die Entwicklung, egal in welcher Form,entsprechend voranbringen.Ich danke allen, die hier diskutiert haben. Ich dankeden Haushältern, und ich danke auch dem Finanzminis-ter. Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, zu sagen: Wirsind aus der Krise 2008/2009 gekommen, weil es damalsSPD-Minister waren, die die richtigen Pflöcke einge-schlagen haben.Vielen Dank fürs Zuhören.
Vielen Dank, Willi Brase. – Damit schließe ich die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 10 – Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft – in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-
für? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es
keine. Der Einzelplan 10 ist angenommen. Zugestimmt
haben die CDU/CSU und die SPD, dagegengestimmt ha-
ben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Damit ist der
Einzelplan 10 angenommen.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag,
den 25. November 2016, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Jetzt: Guten Appetit!