Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, muss nochein vakanter Stellvertretersitz im Verwaltungsrat derFilmförderungsanstalt nachbesetzt werden. Die Frak-tion der SPD schlägt hierfür die Kollegin MonikaGriefahn vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich hörekeinen Widerspruch. Damit ist Kollegin Griefahn alsstellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Film-förderungsanstalt gewählt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieverbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punktesind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufge-führt:
Sofort- und Wiederaufbauhilfe für Kuba nach demWirbelsturm Michelle – Drucksache 14/7597 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeHaushaltsausschuss2. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung desals Bundesrecht fortgeltenden Rechts der Deutschen De-mokratischen Republik – Drucksache 14/6811 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
– Drucksache 14/7570 –
Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim HackerAndrea VoßhoffHans-Christian StröbeleRainer FunkeDr. Evelyn Kenzlerb)Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Marken-rechtsvertrag vom 27. Oktober 1994 – Drucksache14/7044 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
– Drucksache 14/7574 –
Berichterstattung:Abgeordnete Dirk ManzewskiDr. Norbert RöttgenVolker Beck
Rainer FunkeSabine Jünger3. – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen derSPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach-ten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001– Drucksache 14/7064 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Versorgungsänderungs-
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses
– Drucksache 14/7681 –
Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Peter KemperMeinrad BelleHelmut Wilhelm
Dr. Max StadlerPetra Paub) Bericht des Haushaltsausschusses gemäߧ 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 14/7693 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Werner HoyerGunter WeißgerberCarl-Detlev Freiherr von HammersteinOswald MetzgerDr. Christa Luft4. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Straf-
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
– Drucksache 14/7679 –
Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer
Joachim StünkerNorber GeisVolker KauderVolker Beck
Jörg van EssenDr. Evelyn KenzlerVon der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweiterforderlich – abgewichen werden.20195
205. SitzungBerlin, Donnerstag, den 29. November 2001Beginn: 9.00 UhrAußerdem mache ich auf eine nachträgliche Aus-schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-merksam:Der in der 201. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlichdem Sportausschuss zur Mitberatung überwiesenwerden.Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zurGleichstel-lung behinderter Menschen und zur Änderunganderer Gesetze – Drucksache 14/7420 –überwiesen:Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
InnenausschussSportausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungHaushaltsausschussSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Wir setzen die Haushaltsberatungen – Punkt I – fort:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2002
– Drucksachen 14/6800, 14/7537 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Haushaltsausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2001 bis 2005– Drucksachen 14/6801, 14/7324, 14/7538 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannHans Georg WagnerOswald MetzgerJürgen KoppelinDr. Christa LuftIch rufe dazu Punkt I. 20 auf:Einzelplan 11Bundesministerium fürArbeit und Sozial-ordnung– Drucksachen 14/7311, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Konstanze WegnerHans-Joachim FuchtelAntje HermenauJürgen KoppelinDr. Christa LuftEs liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der PDSsowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion derCDU/CSU und der Fraktion der FDP vor. Über die Ent-schließungsanträge werden wir am Freitag abstimmen.Außerdem rufe ich Punkt I. 21 a und b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionender SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurBestimmung der Schwankungsreserve in derRentenversicherung der Arbeiter und Ange-stellten– Drucksache 14/7284 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Arbeit und Sozialordnung
– Drucksache 14/7598 –Berichterstattung:Abgeordnete Erika Lotz
– Drucksache 14/7637 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim FuchtelJürgen KoppelinDr. Christa LuftDr. Konstanze WegnerAntje Hermenaub) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-nung zu dem Antrag der Abgeord-neten Karl-Josef Laumann, Horst Seehofer,Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSUKeine systemwidrigen Eingriffe bei derSchwankungsreserve– Drucksachen 14/7292, 14/7598 –Berichterstattung:Abgeordnete Erika LotzNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem schon war-tenden Kollegen Hans-Joachim Fuchtel das Wort.Hans-Joachim Fuchtel (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Der Bundesfinanzminister hat hier am Diens-tag durch einen Wust von Papier versucht, seine Positiondarzustellen. Dem möchte ich natürlich etwas folgen las-sen. Ich habe einmal ein Flugblatt der IG Metall mitge-bracht, auf dem zu lesen ist, was vor der Bundestagswahlverkündet wurde. Hier hat es geheißen: „Am Abbau derMassenarbeitslosigkeit muss sich eine SPD-Regierung
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Präsident Wolfgang Thierse20196
messen lassen.“ Ich zeige dieses Flugblatt vor allem Bun-desminister Riester, weil hier unten steht: „Abgemacht.IG Metall.“ Wer war damals eigentlich Spitzenfunktionärder IG Metall? Sie haben diesen Vertrag auf der anderenSeite quer geschrieben.
Jetzt weisen Sie hier Daten vor, die Sie nach die-sen Abmachungen am heutigen Tag niemals vorweisendürften.
Wenn das Ihr Ernst ist, Herr Minister Riester, was damalsgegolten hat und was wohl nicht nur bei schönem Wettergelten kann, haben Sie versagt. Ich glaube, Sie haben ge-dacht, es ist immer schönes Wetter in Deutschland, wennSie regieren. Dem ist dann doch nicht so gewesen. Nachden Leistungen, die Sie vorzuweisen haben, müssten Sieeigentlich so klein mit Hut hier herkommen.
Sie sind gemessen an dem, was versprochen wurde undwas dann gehalten wurde, der schwächste Minister dieserRegierung. Und das will bei dieser Regierung etwasheißen, meine Damen und Herren!
Wir haben schon sehr frühzeitig, als die ganzen Ent-wicklungen eingetreten sind, beispielsweise Ihren Staats-sekretär Andres gefragt, warum es so gekommen ist. Da-mals hieß es – man höre und staune –, die BSE-Krise seischuld an dieser Entwicklung. In der Zwischenzeit ist esdie Weltwirtschaftskrise.
Richtig hingegen ist: Erstens. Andere Länder habenweit reichende Reformen im Steuer- und Sozialbereichdurchgeführt und rechtzeitig die Substanz geschaffen, umin Krisenzeiten reagieren zu können. Bei Ihnen fehlt dieSubstanz, die hier für notwendig wäre.
– Da brauchen Sie hier gar nicht dazwischenzurufen.
Erst haben Sie, als Sie damals in der Opposition waren,alles blockiert; hinterher haben Sie nicht gehandelt.
Das ist die Wahrheit. Das kann man überhaupt nicht inAbrede stellen.
Zweitens. Sie haben sich ausschließlich auf eineExportkonjunktur zulasten eines schwachen Euro ver-lassen. Früher, als Waigel noch der Regierung angehörte,war der Euro stärker. Damals war es auch viel schwieri-ger als jetzt, den Export zu gestalten. Nun haben Sie Pro-bleme, weil der starke Export nur durch den schwachenEuro in diesem Maße möglich war. Wenn Sie damit nichtmehr zurechtkommen, dann haben Sie überhaupt keinenSpielraum mehr, um etwas zu tun, damit sich die Kon-junktur in dieser Phase verbessert. Das ist die zweiteWahrheit, die heute Morgen gesagt werden muss.
Hätten Sie die Binnenkonjunktur so entwickelt, wie es inanderen Ländern Europas geschehen ist, dann hätten Siein der jetzigen Phase auch mehr Wachstum und wenigerProbleme mit den Sozialversicherungssystemen.Drittens. Sie haben sich in Ihrer wertvollen Regie-rungszeit in Koalitionsstreitigkeiten verzettelt. Darüberwird zwar nicht gesprochen; aber es ist doch nicht mehrnormal, welche Diskussion die ganze Zeit über geführtwerden und von welchen Abhängigkeiten all Ihre Ent-scheidungen geprägt sind. Es ist doch nicht mehr normal,dass man alles Mögliche so ausgeklügelt zusammenbin-den muss, dass man grundsätzlich nur bei Kompromissenlandet, die nichts anderes als Kosmetik sind. Diese Situa-tion ist unbefriedigend, wenn man sich gleichzeitig vorAugen hält, dass es notwendig gewesen wäre, in dieserZeit große Reformen zu beginnen, zum Beispiel die zen-trale Reform auf dem Arbeitsmarkt durchzuführen. Dasist nicht gemacht worden.
Viertens. Sie hatten eine Chance, die Sie nicht genutzthaben. Sie heißt Bündnis für Arbeit. Sie haben es zu ei-ner Schaunummer verkommen lassen. Es gab nur großeAnkündigungen. Aber was ist bis zum heutigen Tag he-rausgekommen?
Ich sage Ihnen ganz klar: Die entscheidende SchwächeIhres Bundeskanzlers besteht darin, dass er eigentlich garnicht bündnisfähig ist. Er macht einmal etwas mit derGroßindustrie und dann wieder etwas mit den Gewerk-schaften. Er führt diese Initiativen aber nicht zusammen,wie es einem Bündnis entspräche. Sie haben die Chanceeines Bündnisses schlichtweg versäumt und das Ziel ver-fehlt. Das ist sehr schade für Deutschland,
weil es dadurch in Zukunft schwer sein wird, neue Bünd-nisse dieser Art zu schließen, die dann tatsächlich wirk-sam werden.In Deutschland haben sich in den letzten drei Jahrenganz seltsame Verhältnisse entwickelt.
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Hans-Joachim Fuchtel20197
Wir sind zum einen das einzige Land der Welt, in dem ander Tankstelle über die Rentenkasse entschieden wird. Esmuss doch jedem Rentner ins Gesicht schlagen,
wenn eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Ren-tenkassen davon abhängig ist, wie viel getankt wird.
– So, wie Sie schreien, ist Ihre Politik: unkultiviert undkonzeptionslos.
Wir sind zum anderen das einzige Land in der Welt, indem bei 4Millionen Arbeitslosen die Greencard für Pfle-geberufe eingeführt werden muss. Bei 4 Millionen Ar-beitslosen braucht man die Greencard für Hilfskräfte, fürDienstleistungskräfte. Herr Minister, das müsste Ihnendoch zu denken geben. Sie aber haben kein Konzept, umdiese freien Stellen im Land zu besetzen, sondern stellennur noch Überlegungen in der Richtung an, dass Sie dieseLöcher auf dem Arbeitsmarkt stopfen wollen, indem SieLeute von außerhalb hereinholen. Das ist doch keine Po-litik zugunsten der Beitragszahler, die darauf warten, dasssie weniger Beiträge zahlen müssen, keine Politik zuguns-ten der Arbeitslosen, die hoffen, dass sie wieder Arbeit be-kommen. Bemühungen in dieser Hinsicht wären notwen-dig, nicht aber eine derartige Greencard.Ich muss einen weiteren Punkt anmerken, der mir inden Debatten der letzten Tage zu kurz gekommen ist. Eshieß einmal: Bei uns wird die Entwicklung in Ost-deutschland zur Chefsache erklärt. Aber was stellen wirfest? Der Chef hat hier nahezu überhaupt nicht Stellunggenommen. Heute darf der Herr Schwanitz einmal in derzweiten Reihe sitzen und er ist auch tatsächlich da; sonstspürt man ja gar nichts von ihm. Ich möchte Ihnen denHerrn einmal vorstellen: Er ist seit drei Jahren Staatsmi-nister.
Auch die ostdeutschen Kollegen fragen noch nach demNamen dieses Ministers. Niemand kennt ihn. Keine Wir-kung geht von ihm aus. Er bringt es nicht einmal fertig,seinen Kanzler an die Stellen in Ostdeutschland zu führen,an denen es wirklich brennt.
Der Kanzler kommt nur dorthin, wo Sonnenscheinherrscht, und das auch nur zwei- bis dreimal im Jahr.Herr Minister Riester, Sie und Herr Schröder habenOstdeutschland vernachlässigt. Das kann man nicht län-ger akzeptieren. Wir brauchen in diesem Bereich ganzneue Maßnahmen.
Wir brauchen völlig neue Arbeitsmarktbrücken zwischenden neuen und den alten Bundesländern. Wir braucheneine Vernetzung derArbeitsmarktpolitik und nicht eineEinbahnstraße. Wir brauchen eine Brücke und Sie organi-sieren die Einbahnstraße der Abwanderung von Men-schen aus Ostdeutschland in die westlichen Bundesländer.
Das darf so nicht weitergehen. Schon allein das wäre einGrund dafür, dass diese Regierung abgelöst werden muss.
Sie machen zusammen mit Herrn Eichel eine Politiknach dem Motto: Wir sparen, koste es, was es wolle. Wirsparen durch Schönfärbung des Bundeshaushalts. – Des-wegen hätte ich auch überhaupt keine Sorge, Herr Riester,dass Sie nach dem Verlust des Ministeramts wieder einenJob bekommen. Ich bin sicher, Sie kämen als Assistent ei-nes Beraters für Schönfärberei locker auf dem Arbeits-markt unter; denn das tun Sie auch in diesem Haushalt.Sie gehen her und verlagern Aufgaben, die im Haushaltenthalten waren, in die Bundesanstalt für Arbeit. Täten Siedas nicht, hätten Sie mehr Spielraum, um in Deutschlandetwas ganz Wichtiges zu erreichen,
nämlich eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenver-sicherung, was dringend notwendig wäre.
Ich fordere nicht Ihren Rücktritt, Herr Riester – ich binHaushälter; ich weiß, dass wir dann nach der Nr. 8 auchnoch die Nr. 9 finanzieren müssten –, aber eines muss Ih-nen gesagt werden: Wer den Leuten so viel verspricht unddann so wackelige Gesetze zur Rentenversicherungmacht, der sollte nicht hergehen und einen Katalog vonAusreden vortragen, sondern der sollte sich erst einmal zuseinen Fehlern und den Ursachen bekennen.
Darauf müssen wir bestehen. Wir haben jetzt zwei Tagelang Ausreden gehört. Wir wollen endlich einmal Kon-zeptionen hören.
Die Sozialabgabenquote muss unbedingt auf 40 Pro-zent gesenkt werden.
Bei der Rentenversicherung – das wissen wir in der Zwi-schenzeit – schaffen Sie das auf keinen Fall, bei der Kran-kenversicherung schon gar nicht und bei der Pflegeversi-cherung geht es auch nicht. Es muss bei derArbeitslosenversicherung gelingen, die Beiträge zu sen-ken, damit wir das Ziel einer Absenkung der Sozialabga-benquote in Deutschland erreichen. Das ist das Ziel, daswir als CDU/CSU erreichen wollen.Wie ich schon gesagt habe, betreiben Sie eine Politiknach dem Motto: Wir sparen, koste es, was es wolle. – IndiesemHaushalt – hier einWort alsHaushälter – haben Sie
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Hans-Joachim Fuchtel20198
draufpacken und draufpacken müssen. Sie haben die Zah-len geschönt. Die Zahlen, die Ihren Berechnungen jetztzugrunde liegen, sind immer noch nicht die Zahlen, dieden Realitäten entsprechen. Das heißt, dass der Sozial-haushalt natürlich die größten Unsicherheiten beinhaltet.Herr Eichel kann noch so schöne Erklärungen abgeben:Am Ende des Jahres wird es nicht so gut aussehen. Siewerden die wesentliche Ursache dafür geschaffen haben.Sie haben bei der Arbeitslosenhilfe schon im letztenJahr falsch gelegen. Sie haben bei den Zuschüssen fürdie Bundesanstalt für Arbeit draufsatteln müssen. Siewerden noch erheblich mehr draufsatteln müssen. Sie ge-hen einfach nicht her und machen das, was notwendig ist.Die entscheidenden Reformen auf dem Arbeitsmarktfürchten Sie wie der Teufel das Weihwasser. Aus diesemGrund wird es mit dieser Regierung keine Verbesserunggeben. Die neuesten Prognosen besagen, dass Sie bei derArbeitslosenzahl frühestens im Jahr 2005 dort ankommenwerden, wo Sie im Jahr 2002 ankommen wollten. Solange kann Deutschland nicht warten!
Ich erteile Kollegin
Konstanze Wegner, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Der Kollege Fuchtel hat fürseine Verhältnisse heute eine außerordentlich maßvolleRede gehalten.
Ich habe genau zugehört. Was hat er eigentlich gesagt?
Ich frage mich, lieber Kollege Fuchtel, ob Sie sich nichtlieber statt dem Parlamentarismus Ihrem eigentlichenHobby, der Kamelzucht, widmen sollten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt desJahres 2002 des Bundesministeriums für Arbeit und So-zialordnung enthält aus der Sicht der Haushalts- undSozialpolitiker durchaus Erfreuliches, aber auch Proble-matisches – das geben wir durchaus zu –, wenngleich kei-neswegs so viel Problematisches, wie man aufgrund derSchwarzmalerei, die von der rechten Seite des Hauses be-trieben wird, glauben könnte.In der Tat musste der zunächst mit Null angesetzte Zu-schuss für die Bundesanstalt für Arbeit dann doch mit2 Milliarden Euro festgesetzt werden. Ebenso musste derAnsatz für die Arbeitslosenhilfe um 1,3 Milliarden Euroaufgestockt werden. Ursache ist die ungünstige Entwick-lung am Arbeitsmarkt, die für 2002 rund 400 000 Ar-beitslose mehr bringen wird, als bei der Aufstellung desHaushalts erwartet wurde.
Zu den erfreulichen Veränderungen gegenüber demEntwurf gehört die Aufstockung der Mittel für Sprach-kurse um 10 Millionen Euro. Diese 10 Millionen sinddazu gedacht, die bisherige Teilnehmerzahl an denSprachkursen trotz gestiegener Honorarkosten zu stabili-sieren. Außerdem sollen Modellprojekte in diesem Be-reich finanziert werden.
Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Insofern sinddiese 10Millionen Euro, die auch auf Wunsch unserer So-zialpolitiker in den Plan hineingekommen sind, sicher gutangelegtes Geld.
Auch die Mittel für den Behindertenbeauftragtenwurden aufgestockt. Er erhält fünf Personalstellen zusätz-lich, um seine sehr engagierte und erfolgreiche Arbeitfortsetzen zu können.Nun einige Bemerkungen zur Lage am Arbeitsmarkt:Wer die Bundesregierung so lautstark kritisiert, wie Siedas hier tun, sollte sich doch daran erinnern, welche Si-tuation am Arbeitsmarkt die Regierung Kohl nach ihrer16-jährigen segensreichen Tätigkeit hinterlassen hat.
Im Januar 1998 hatten wir 4,8 Millionen Arbeitslose. Daswar die Erbschaft, die Sie uns hinterlassen haben.
Mit Beginn der rot-grünen Regierung ist die Arbeitslosig-keit dann 39 Monate lang kontinuierlich zurückgegangen.Das hat es unter Ihrer Regierung überhaupt nicht gegeben.
Leider steigt die Arbeitslosigkeit seit Mitte des Jahres2001 wieder an. Die Hauptursache dafür ist nach überein-stimmender Meinung des Präsidenten der Bundesanstaltfür Arbeit, Jagoda, und des Sachverständigenrats die seitdem Sommer 2001 zurückgehende Konjunktur, die ihrer-seits wieder sehr stark von der negativen wirtschaftli-chen Entwicklung in den USA abhängig ist. ZusätzlicheBelastungen entstanden durch die Ölkrise und die BSE-Krise.Meine Damen und Herren, eine Regierung kann je-weils nur Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Ar-beitslosigkeit schaffen. Die Hauptverantwortung für denErhalt der bestehenden Arbeitsplätze und für die Schaf-fung neuer Arbeitsplätze liegt bei der Wirtschaft und beiden Tarifparteien.
Das muss man sich immer wieder vor Augen führen.
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Hans-Joachim Fuchtel20199
Die Regierung Schröder hat in der Tat viele Rahmen-bedingungen geschaffen, die zur Bekämpfung der Arbeits-losigkeit notwendig sind. Ich will Ihnen einiges in Erinne-rung rufen, auch wenn Sie so etwas nicht gerne hören.Erstens. Sie hat das Bündnis für Arbeit ins Leben ge-rufen, das vielleicht nicht alles erreicht hat, was manzunächst erhofft hatte.
– Doch eine ganze Menge, Frau Kollegin Schwaetzer. Icherinnere an die Schlechtwettergeldregelung, an die Ver-einbarung im Bereich Aus- und Weiterbildung
und an die niedrigen und maßvollen Tarifabschlüsse derletzten Jahre, die Sie doch immer wieder fordern. Daranwar das Bündnis für Arbeit ganz entscheidend beteiligt.
Zweitens. Die Regierung hat die aktive Arbeitsmarkt-politik auf hohem Niveau verstetigt. Im dritten Jahr derRegierungszeit dieser Bundesregierung stehen der Bun-desanstalt für Arbeit etwa 44 Milliarden DM zur Verfü-gung. Wir haben mit dem Gießkannenprinzip und demStop-and-go-Prinzip der Regierung Kohl endlich Schlussgemacht, die nach Wahlkampfgesichtspunkten angewen-det wurden.
Natürlich ist nicht jede ABM, die in diesem Landedurchgeführt wird, sinnvoll. Wer will das bestreiten? Aberwer hier sagt, Strukturmaßnahmen und ABM seien über-flüssig oder zu teuer und man könne sie einfach einstel-len, der muss auch sagen, welche Alternative er vor allemfür den Osten Deutschlands vorschlägt. Dort ist die Alter-native die reine Arbeitslosigkeit. Das kann eigentlich nie-mand, der seine fünf Sinne zusammen hat, wollen.
Drittens. Die Regierung Schröder hat Modellversuchezur Beschäftigung von gering Qualifizierten und zur bes-seren Zusammenarbeit der Arbeits- und Sozialämter aufden Weg gebracht.
Diese Modellversuche
zu verschiedenen Formen des Kombilohns finden bis-lang leider keine besonders große Akzeptanz. Sie sollenaber fortgesetzt und ausgeweitet werden,
weil ein abschließendes Urteil über ihre Wirkung in sokurzer Zeit nicht möglich ist. Dafür stehen bis 2005 im-merhin rund 394 Millionen Euro aus Bundesmitteln undMitteln des Europäischen Sozialfonds zur Verfügung.Viertens. Die Regierung setzt auch in diesem Jahr ihrerfolgreiches Programm zur Bekämpfung der Jugend-arbeitslosigkeit fort.
Dieses Programm hat in der Zeit von 1999 bis Mitte 2001über 330 000 jungen Leuten zu einer Lehrstelle verholfenund ihnen damit eine Lebensperspektive eröffnet.
Das machen Sie uns erst einmal nach!Fünftens. Die Regierung hat schließlich gerade dasJob-Aqtiv-Gesetz verabschiedet, mit dem unter anderemArbeitsvermittlung und Beratung intensiviert und derLangzeitarbeitslosigkeit vorgebeugt werden sollen.Sechstens. Nicht zuletzt hat die Regierung mit ihrerUnternehmen- und Einkommensteuerreform die Vo-raussetzung für vermehrte Investitionen und eine bessereBinnenkonjunktur geschaffen. Man hat allerdings häufigden Eindruck, dass die Großunternehmen zwar die Vor-teile der Steuerreform gerne entgegengenommen haben,dabei aber weiterhin kontinuierlich Personal abbauen.Wenn parallel zu dieser Entwicklung die Bezüge der Spit-zenmanager deutlich aufgestockt werden, dann schafftdas Verbitterung bei den Arbeitslosen und bei denen, dienoch Arbeit haben. So wird die Basis für moderate Tarif-abschlüsse, die viele doch fordern, ruiniert.
Natürlich – wer würde das bestreiten? – besteht nebenden bisher ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung derArbeitslosigkeit weiterer Handlungsbedarf. Vorbild kannin diesem Punkt nach unserer Meinung nicht die USAmitihrer Maxime „Streichen wir doch recht viele Leistungen,dann macht jeder alles“ sein. Wir könnten weit mehr ler-nen von den Niederlanden und unseren skandinavischenNachbarn, die ein Sozial- und Kulturverständnis haben,das dem unseren wesentlich näher steht.
In den Niederlanden wird zum Beispiel die privateArbeitsvermittlung durchaus positiv gesehen. Die pri-vate Arbeitsvermittlung – wir konnten uns auf einer Reisedavon überzeugen – arbeitet unbürokratisch und pass-genau mit der staatlichen Arbeitsvermittlung zusammen.
Die Gewerkschaften haben dort etwas erreicht, was beiuns in dieser Weise noch nicht erreicht wurde: Diejenigen,die in einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt sind, haben eineähnliche soziale Absicherung, wie diejenigen, die in ei-nem normalen Betrieb arbeiten.
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Dr. Konstanze Wegner20200
– Nein, das wollen wir nicht. Wir sind für die Idee durch-aus offen, den Umfang von Zeitarbeit in vernünftigemMaße auszudehnen.
Eine der Hauptursachen für die Stagnation am Arbeits-markt – da stimme ich mit dem Kollegen Fuchtel überein –ist die Schwarzarbeit. Sie ist für die beteiligten Arbeit-nehmer und Arbeitgeber einfach weitaus günstiger als alleKombimodelle. Nach Schätzungen arbeiten etwa 5 Milli-onen Menschen in unserem Land als so genannte Voll-schwarzarbeiter und dem Fiskus gehen nach Schätzungenetwa 300 Milliarden Euro pro Jahr an Steuereinnahmenverloren.
Deshalb ist es außerordentlich zu begrüßen, wenn die Re-gierung jetzt eine entsprechende Initiative ergreift, diesich vor allem auf den Bereich der Bauwirtschaft er-streckt.
Was könnte man noch tun, meine Damen und Herren?Jährlich fallen bei uns 1,8 Milliarden Überstunden an,von denen ganz gewiss zumindest ein Teil in reguläre Be-schäftigung umgewandelt werden könnte.
3,8 Millionen Arbeitslose und 1,8 Milliarden Überstun-den – das passt in der Tat nicht zusammen.
Was könnte man weiter tun? Das System der Lohn-ersatzleistungen bei uns ist kompliziert und bürokratisch.
Wir haben Arbeitslosengeld, wir haben Arbeitslosenhilfe,wir haben ergänzende Sozialhilfe und wir haben Sozial-hilfe.
– Ganz recht, Herr Niebel.
Vielfach beraten hier unterschiedliche Institutionen an-einander vorbei den gleichen Personenkreis. Wir werdennach Möglichkeiten der Vereinfachung suchen.
– Wir werden das tun. – Allerdings muss man dann dabeidarauf achten, dass auf gar keinen Fall die Kosten derLangzeitarbeitslosigkeit einseitig den Kommunen aufge-drückt werden.
Meine Damen und Herren, der Sozialhaushalt des Jah-res 2002 enthält durchaus auch Risiken. Niemand vermagheute zu sagen, ob der jetzt vorgesehene Zuschuss an dieBundesanstalt für Arbeit und für die ArbeitslosenhilfeEnde 2002 wirklich ausreichen wird.
Die Zahlungen des Bundes an die Rentenversicherungsteigen weiter an, auch in der mittelfristigen Finanz-planung. Schon jetzt beträgt der aus dem Bundeshaushaltfinanzierte Teil der Renten über 35 Prozent. Hier liegt inder Tat – da stimme ich mit dem Kollegen Metzger über-ein, der ebenfalls darauf hingewiesen hat – ein trotz derRentenreform ungelöstes Strukturproblem, das wir nichtaus den Augen verlieren dürfen.
Mit einem Volumen von nunmehr rund 92 MilliardenEuro ist der Sozialhaushalt nach wie vor der bei weitemgrößte Einzelhaushalt und umfasst mehr als ein Drittel desGesamtetats. Er beschreibt mit aller Deutlichkeit die Pro-bleme, die wir im Bereich der Arbeitslosigkeit und derRenten haben. Er ist zugleich aber auch ein Dokument dersozialen Verantwortung dieser Regierung.
Das können Sie nicht bestreiten: Die SPD wird nun ein-mal in der Bevölkerung als die Partei mit der größten so-zialen Kompetenz betrachtet.
Das ist gut so. Dass das auch so bleibt, wünsche ich miranlässlich meiner letzten Rede zum Sozialhaushalt.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
Kollegin Irmgard Schwaetzer, FDP-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Mit-glieder der Regierungskoalition heute Morgen Zeitunggelesen haben, dann konnten sie mit den Schlagzeilen somancher Zeitungen nicht zufrieden sein.
Besonders drastisch und deutlich hat „Die Woche“ ihrenLeitartikel überschrieben, nämlich mit „Die Job-Kata-strophe“. Die prognostizierte Arbeitslosenzahl zu
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Dr. Konstanze Wegner20201
Beginn des nächsten Jahres beläuft sich auf 4,2 MillionenMenschen, die dann nach Arbeit suchen. Die Antwort,Frau Wegner, die dieser Bundeshaushalt, den Sie geradebegründet haben, darauf gibt, ist wirklich nicht mehr alsein Armutszeugnis. Es ist keine Schwarzmalerei derOppositionsfraktionen, wenn wir hier mehr Aktivitätenanmahnen; denn bei der gerade von Ihnen vorgeführtenAnalyse handelt es sich um eine dramatische Fehlein-schätzung der Auswirkungen Ihrer eigenen Politik.
Die Begründungen, die Sie dafür liefern, sind genausounzureichend. Da war zum einen der Hinweis auf die Ver-gangenheit; das klingt so, als wären Sie nur Testaments-vollstrecker. Das offenbart aber die gesamte Fantasielo-sigkeit Ihrer Politik; das ist wohl wahr.
Da ist zum anderen der immer wiederkehrende Hin-weis auf die Weltwirtschaft, als wären wir nicht auch einaktiver Teil dieser Weltwirtschaft und könnten sie mit be-einflussen, als bestünde nicht die Notwendigkeit und alshätten wir nicht auch die verdammte Pflicht und Schul-digkeit, national etwas zu tun.
Meine Damen und Herren, diese Argumentation, dieHerr Riester sicherlich gleich wieder anbringen wird unddie gestern der Bundeskanzler angebracht hat, ist nichtnur hilflos, sondern für die Betroffenen auch katastrophal.Die Betroffenen erwarten keine Hinweise auf die angeb-lich nicht zu beeinflussende Weltwirtschaft, sondern er-warten, dass die Regierung handelt. Das tun Sie nicht unddas ist eine sträfliche Vernachlässigung Ihrer Aufgaben.
Obwohl der Bundeskanzler und der eine oder andere inder SPD-Fraktion vielleicht ahnt, was denn jetzt zu tunwäre, haben Sie nicht den Mut, das Richtige zu tun.
Die auch vom Sachverständigenrat angemahnte Flexibi-lisierung des Arbeitsmarktes lässt sich mit konkretenMaßnahmen belegen und die FDP hat sie in ihren An-trägen auch vorgeschlagen. Es geht nicht, wie der Bun-deskanzler gestern fälschlich behauptet hat, um die Ab-schaffung des Kündigungsschutzes, sondern um eineLockerung für Kleinbetriebe, damit die mehr Menscheneinstellen können und damit weniger Überstunden ge-macht werden.
Es geht nicht um die Abschaffung des Betriebsverfas-sungsgesetzes, sondern um mehr Mitarbeiter- und weni-ger gewerkschaftliche Mitbestimmung.
Es geht in drei Punkten allerdings auch um die Ab-schaffung von Gesetzen, die Sie eingeführt haben, undzwar um die Abschaffung des Rechtsanspruchs auf Teil-zeitarbeit, weil er die Einstellungschancen von Frauenmindert,
um die Abschaffung der Regelung bezüglich der 630-Mark-Jobs sowie um die Abschaffung der Behinderungder Selbstständigkeit in Ihrem Gesetz gegen die Schein-selbstständigkeit.
Das alles sind Flops, die negative Auswirkungen auf demArbeitsmarkt haben.Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit undSozialordnung steigt 2002 um 5 Prozent. Das heißt, stattStrukturreformen in den Sozialversicherungssystemendurchzuführen, wie Sie sie angekündigt haben und wie sieauch notwendig gewesen wären – auch dazu hat die FDP-Fraktion konkrete Anträge eingebracht –, flüchten Siesich in die Ausweitung der Steuerfinanzierung der So-zialpolitik. Das, meine Damen und Herren, ist genau derfalsche Weg.
Die sozialpolitischen Maßnahmen machen jetzt36 Prozent des gesamten Haushalts aus. Das ist keinesoziale Großtat, sondern eine Verletzung des Genera-tionenvertrags. Sie verfrühstücken den finanziellen Spiel-raum der nächsten Generation, meine Damen und Herren.
Auch in einem anderen Punkt sind Sie mit IhrenAnkündigungen zu vollmundig gewesen und haben an-schließend nicht den Mut gehabt, die notwendigen Maß-nahmen zu ergreifen. Sie haben angekündigt, die gesamteBeitragsbelastung in der Sozialversicherung auf unter40 Prozent zu senken. Am Ende dieses Jahres gibt es eineGesamt-Beitragsbelastung von mehr als 41 Prozent, ohnedass dabei die anstehenden massiven Erhöhungen derKrankenversicherungsbeiträge und die unausweichlicheErhöhung der Rentenversicherungsbeiträge im nächstenJahr berücksichtigt sind. Das, meine Damen und Herren,ist das Versagen der Sozialpolitik von Herrn Riester aufder gesamten Linie.
– Es geht doch nicht um die Vergangenheit. Die Arbeits-losen interessiert nicht die Vergangenheit, sondern sie in-teressiert das, was Sie machen, und das ist zu wenig.Frau Wegner hat noch einmal gesagt, Sie wollten dieArbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenlegen.Das hat Herr Riester vor drei Jahren in seiner Regie-rungserklärung angekündigt. Nichts ist passiert. Jetzt
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Dr. Irmgard Schwaetzer20202
wollen Sie irgendwelche Modellversuche machen. Wozudenn? Die Regelungen liegen längst auf dem Tisch; Siemüssen nur unserem Antrag zustimmen.
Sie haben mit dem Job-Aqtiv-Gesetz neue anspruchs-begründende Maßnahmen eingeführt. Das heißt, Sie ha-ben noch einmal eine zusätzliche Belastung entweder derBeitragszahler oder der Steuerzahler vorgenommen, undzwar ebenfalls mit wenig absehbarem Erfolg.Nehmen Sie nur einmal Ihr JUMP-Programm, dasheute sicherlich von vielen Rednern wieder hoch gelobtwerden wird. Für fast 2 Milliarden DM sind in diesemProgramm 1 000 junge Leute in den ersten Arbeitsmarktvermittelt worden. Das, meine Damen und Herren, kannman wirklich nicht als eine Erfolgsstory bezeichnen.
– Wenn Sie sagen, das stimme nicht, dann sage ich Ihnen,dass dies die Zahlen des Arbeitsministeriums sind, die Sienur nachlesen müssten.
Die Bundesregierung wollte den Zuschuss an dieBundesanstalt für Arbeit in 2002 eigentlich streichen.Stattdessen sind sowohl für dieses wie auch für dasnächste Jahr deutlich höhere Bundeszuschüsse zu erwar-ten: für 2001 statt 1,2 Milliarden DM voraussichtlich3,6 Milliarden DM und für 2002 rund 4 Milliarden DM.Diese Zahlen gelten aber nur dann, wenn sich Ihre imDurchschnitt des Jahres berechnete Arbeitslosenzahl von3,95 Millionen halten lässt. Es gibt inzwischen aber ernstzu nehmende Prognosen, die aussagen, dass wir im nächs-ten Jahr eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von über4 Millionen Menschen erreichen werden. Dann wird derZuschuss noch einmal höher sein müssen. Deswegen wie-derhole ich: Statt Strukturreformen durchzuführen, flüch-ten Sie sich in die Steuerfinanzierung. Das ist die falschePolitik.
Sie sollten stattdessen alle Leistungen, die jetzt ausBeitragsmitteln finanziert werden und die eigentlich nichtin die Arbeitslosenversicherung gehören, wie zum Bei-spiel die aktive Arbeitsmarktpolitik oder die Strukturan-passungsmaßnahmen, auf ihre Effizienz prüfen und in denBundeshaushalt übernehmen. Dann würden Sie schnellfeststellen, dass Sie hier deutlich Mittel einsparen können,und zwar sowohl auf der Seite der Steuer- wie auf derSeite der Beitragsmittel.Wir haben einen Antrag eingebracht, um die versiche-rungsfremden Leistungen präzise dem Bundeshaushaltzuzuordnen. Dadurch könnten wir den Beitragssatz inder Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2002 von6,5 Prozent auf 5,5 Prozent senken. Ich bitte Sie: StimmenSie dieser auch ordnungspolitisch richtigen Weichenstel-lung zu. Damit tun Sie wirklich etwas für die Arbeitslo-sen. Damit können erstens zusätzliche Arbeitsplätze ge-schaffen werden. Die Arbeitnehmer haben dann zweitensmehr Geld in der Tasche; das wird die Konjunktur natür-lich positiv beeinflussen.
Insgesamt würden den Arbeitgebern und den Arbeitneh-mern dadurch 13 Milliarden DM mehr zur Verfügung ste-hen. Das ist wahrlich der richtige Weg.Der Zuschuss zurRentenversicherung steigt im Jahr2002 von 135 Milliarden DM auf 141 Milliarden DM.Noch einmal wollen Sie, statt Strukturreformen anzuge-hen, die unselige Ökosteuer erhöhen und dieses Geld indie Rentenversicherung einschleusen. Damit haben Siebei der Rentenversicherung in zwei Jahren einen Anstiegder Steuerfinanzierung um 11 Prozent bewirkt. Trotzdemgelingt es Ihnen nicht, das einzuhalten, was Sie an-gekündigt haben, nämlich eine Absenkung desRentenversicherungsbeitrages von 19,1 Prozent auf19,0 Prozent.Im Gegenteil: Sie müssen zusätzlich Tricks anwenden.
– Zu diesen Tricks komme ich sofort. – Eine gesetzlicheAbsenkung der Schwankungsreserve ist zunächst zwarkein Trick, aber der falsche Weg. Alle Sachverständigenhaben Ihnen in der Anhörung gesagt, dass eine kurzfris-tige Unterschreitung der derzeitigen gesetzlich vorgese-henen Rücklage von einer Monatsausgabe zwar zu ak-zeptieren ist – das hat die alte Bundesregierung ja auchgetan –, dass aber eine dauerhafte Absenkung – diese be-wirken Sie mit einem Gesetz, das die Schwankungs-reserve dauerhaft auf 80 Prozent festschreibt – der falscheWeg ist, weil Sie gegen Ende des Jahres immer an derZahlungsunfähigkeit der Rentenversicherung entlang-schrammen.
Wenn Sie sich dann auf die Bundesgarantie, die wireingeführt haben, berufen, dann bedeutet das nichts ande-res als Trickserei, die Sie offensichtlich auch für dasnächste Jahr vorgesehen haben. Ihre noch immer zuoptimistischen Annahmen für den Haushalt, den wirjetzt verabschieden, werden nämlich dazu führen – das sa-gen Ihnen alle Sachverständigen –, dass Sie vor dem22. September nächsten Jahres, also dem Wahltag, denRentenversicherungsbeitrag eigentlich um mindestens0,1 Prozent erhöhen müssten. Das scheuen Sie wie derTeufel das Weihwasser. Deshalb werden Sie lieber den ge-samten Bundeszuschuss vor den Wahltag vorziehen, umnach dem Wahltag richtig zuzuschlagen.
Das nenne ich Täuschung und Trickserei. Das ist der Of-fenbarungseid in der Sozialpolitik dieses Arbeitsmi-nisters.
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Dr. Irmgard Schwaetzer20203
Der jetzige Haushalt bestätigt wieder einmal die Fixie-rung von Rot-Grün auf die Einnahmenseite der Sozial-versicherungssysteme. In allen Sozialversicherungssys-temen gibt es aber auch eine Ausgabenseite. Angesichtsder Tatsache, dass sich die demographischen Struktu-ren in unserer Gesellschaft ändern, ist es sträflich nach-lässig, Strukturreformen in den Sozialversicherungssys-temen nicht wirklich anzupacken.
Sie haben drei Jahre verstreichen lassen. Der Bundes-kanzler und der Bundesarbeitsminister haben großeAnkündigungen gemacht, zum Beispiel in der Regie-rungserklärung nach der Wahl 1998. Die Gewerkschaftenund die gewerkschaftsorientierte SPD-Fraktion haben ih-nen aber alles zusammengestrichen. Deswegen gibt esnichts anderes als Beitragssatzerhöhungen.
Sie brauchen gar nicht weit in die Vergangenheit zuschauen. Sie wollten zwar nicht alles anders, aber vielesbesser machen. Sie erhöhen die Beiträge insgesamt aufein in dieser Höhe noch nie gekanntes Beitragssatzniveaubis zum Ende dieser Legislaturperiode,
weil Sie nicht den Mut gehabt haben, das, was Siezunächst als richtig erkannt haben, auch tatsächlichdurchzuführen.Ihre Politik, Herr Riester, ist auf der ganzen Linie ge-scheitert. Gut gemeint, schlecht gemacht! Arbeitslose undSteuerzahler müssen die bittere Zeche zahlen. Wir wollenund wir werden dies – leider erst in der nächsten Le-gislaturperiode – ändern.
Auch darum wird im nächsten Wahljahr gerungenwerden.Danke schön.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Herr Kollege Fuchtel, Sie haben danachgefragt, ob wir das eingelöst haben, was wir vor der Wahlversprochen hatten. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Wirhaben vor der Wahl versprochen, dass wir den gigan-tischen Reformstau, den Sie uns hinterlassen haben, auf-lösen werden, und wir haben in den letzten drei Jahren mitRiesenschritten damit begonnen. Man kann diese letztendrei Jahre als Jahre der Reformen in den zentralen wirt-schaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Bereichenbezeichnen.
Die Rentenreform – das wurde vorhin schon ange-sprochen – war nicht nur eine überfällige Reform,
sondern auch eine Reform, bei der wir als Koalition denMut aufgebracht haben, gemeinsam einen Systemwech-sel in die deutsche Sozialpolitik einzuführen. Dieser Sys-temwechsel musste der Tatsache Rechnung tragen, dasswir in dieser Republik demographische Probleme habenund dass wir von Ihnen eine Rentenkasse übernommenhaben, bei der für die Zukunft nicht vorgesorgt wurde. ImGegenteil: Sie war zulasten der Zukunft ausgelegt. Das istder erste Punkt.
Wir haben in den letzten drei Jahren allein im BereichArbeit und Soziales mehrere große Reformprojekte ange-packt: Die Rentenreform – ich erwähnte sie bereits – ha-ben wir im ersten Jahr durchgeführt. Daran schloss dieReform des Betriebsverfassungsgesetzes an und nun folgtmit dem Job-Aqtiv-Gesetz – das wollen Sie immer nochignorieren; Herr Fuchtel, ich bin wirklich enttäuscht – dieReform der Arbeitsmarktpolitik.
– Frau Schwaetzer ruft dazwischen, das bisschen sei dochkeine Reform.
Frau Schwaetzer, ich erinnere mich an die Diskussion derletzten Wochen.
Tatsache ist, dass Ihre Partei Politiker aus unseren Reihen,die wesentlich für die Reformen verantwortlich waren– ich nenne beispielsweise die Rentenreform und dieSteuerreform –, abwerben wollte. So schlecht kann unserePolitik also nicht gewesen sein.
Ich habe noch nie gehört, dass irgendjemand einen Fi-nanz-, Haushalts- oder Sozialpolitiker der FDP geschenkthaben möchte.
Der Grund liegt doch auf der Hand: Sie von der FDPhaben 29 Jahre lang Ihre Gesellenstücke geliefert. Was istaber gerade in der Arbeits-, Sozial- und Finanzpolitik da-
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Dr. Irmgard Schwaetzer20204
bei herausgekommen? Es gab eine Steigerung der Sozial-versicherungsbeiträge um 13 Prozent und Steuererhö-hungen. Sie haben sich in diesen Jahren als Partei der Stei-gerung der Sozialbeiträge und der Steuererhöhungenqualifiziert. Trotzdem behaupten Sie, wir würden bei derRentenreform und bei anderen Reformen auf Kosten derZukunft handeln. Sie haben uns einen gigantischenSchuldenberg in Höhe von 1,5 Billionen DM – ich weißgar nicht, wie viele Nullen die Zahl 1,5 Billionen hat –hinterlassen.
Sie haben auf Kosten der zukünftigen Generationen ge-lebt. Das ist die Wahrheit.
Wir haben auf dieser Basis eine Politik der Konsoli-dierung und der Nachhaltigkeit eingeleitet, und zwar miteinem sozialen Gesicht. Diese Politik beinhaltet unter an-derem die Senkung der Steuersätze, die permanente Erhö-hung des Kindergeldes und die Erhöhung des steuerfreienExistenzminimums, sodass Familien mit zwei Kindernund einem durchschnittlichen Verdienst im nächsten Jahr3 000 DM mehr in der Tasche haben. Wir haben auf die-ser Basis der Schulden eine Sozialreform eingeleitet, diegerade den Beziehern von kleinen Einkommen mehr Geldin die Kasse bringt.
Herr Fuchtel, Sie haben doch von höchster Stelle, näm-lich vom Bundesverfassungsgericht, bescheinigt bekom-men, dass Ihre Politik familienfeindlich war. Sie habenbescheinigt bekommen, dass Sie die Arbeitslosengeldbe-zieher jahrelang um Zahlungen geprellt haben, die sie ei-gentlich aufgrund der Beiträge für die Einmalzahlungenhätten erhalten müssen. Auch diese soziale Unge-rechtigkeit haben wir auf der Grundlage der Konsolidie-rung abgeschafft.
Natürlich reden wir über die Realität am Arbeits-markt. Sie ist ungeheuer schwierig und zurzeit auch un-befriedigend.
Wir haben – das ist wahr – in diesem Jahr, abweichendvon allen Prognosen, übrigens auch von Ihren eigenen,ein um etwa 2 Prozent geringeres Wachstum. Daswirkt sich natürlich auf den Arbeitsmarkt aus. In den Mo-naten der höchsten Arbeitslosigkeit, Januar und Februar,werden wir unsere Zielprognose möglicherweise um300 000 bis 500 000 Arbeitslose überschreiten. Das istüberhaupt nicht schön. Aber setzen wir das einmal, umredlich zu bleiben, in Relation zu den gleichen Monatenzu der Zeit, als wir die Regierung übernommen haben:
Wir werden im Vergleichszeitraum immer noch500 000 Arbeitslose weniger haben und wir werden etwa1 Million, wenn nicht gar mehr, zusätzliche Arbeitsplätzehaben. Auch das muss man sehen.Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, kann manfeststellen, dass wir auch in der Struktur eine positive Ent-wicklung hatten.
– Das will ich Ihnen sagen, Herr Kolb. In den 39 Mona-ten, in denen sich der Arbeitsmarkt Monat für Monat ent-spannt hat,
ist etwas eingetreten, worauf Sie jahrelang gewartet ha-ben: Auch die stille Reserve hat sich verringert; Men-schen, vor allen Dingen Frauen, die jahrelang außerhalbdes Arbeitsmarktes waren, haben wieder Mut bekommen.
Sie haben noch etwas anderes angesprochen. FrauSchwaetzer, da muss ich mich nicht wundern; denn Siewollen das Jugendsoforthilfeprogramm, JUMP, hier nachwie vor schlechtreden. Sie reden von 1 000Arbeitsplätzenim ersten Arbeitsmarkt.
Wir haben mit dem JUMP-Programm 330 000 jungeLeute erreicht,
die arbeitsmarktfern waren. Wir haben sie in etwa elf un-terschiedliche Maßnahmen gebracht. Wir haben diesenjungen Leuten, die es in ihrer Zukunft immer schwerergehabt hätten, in den Arbeitsmarkt oder in berufliche Qua-lifikation zu kommen, eine Chance auf dem Arbeitsmarktgegeben.Wir haben in den letzten Jahren – auch das muss mansehen – 14 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaf-fen. Wir haben von Ihnen nicht nur einen Berg von Ar-beitslosen übernommen, sondern auch ein vermufftesArbeitsförderungsrecht, das sich den Realitäten des Ar-beitsmarktes, zum Beispiel der Jugendarbeitslosigkeit,überhaupt nicht gestellt hat. Aktive, aktivierende Arbeits-marktpolitik war für Sie ein Fremdwort.
Wir haben mit dem Job-Aqtiv-Gesetz einen Einstiegin das geschafft, was seit Jahren überfällig war, nämlichMenschen, die arbeitslos werden, von der ersten Stundean ein Hilfsangebot entsprechend ihrer Qualifikation zumachen.
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Dr. Thea Dückert20205
Frau Schwaetzer, was hat die FDP in dem Zusammen-hang vorgeschlagen? Sie haben es nicht nur abgelehnt,sondern – darüber muss ich mich wundern, obwohl ichmich bei der FDP eigentlich über fast gar nichts mehrwundere – Sie haben das Bürokratiemonster der regel-mäßigen Meldepflicht wieder einführen wollen, was kei-nen zusätzlichen Arbeitsplatz bringt und allenfalls die Ar-beitsvermittler beschäftigt.
Wir wollen Arbeitsvermittler, die sich aktiv und direkt mitden Arbeitslosen auseinander setzen können. Deswegenwerden wir – dagegen können Sie auch nichts mehr unter-nehmen – zum Beispiel das Instrument der Eingliede-rungspläne einführen.In dem Zusammenhang haben wir neue und moderneInstrumente in der Arbeitsmarktpolitik eingeführt, zumBeispiel die Jobrotation. Auch diese haben Sie abge-lehnt, obwohl Sie gleichzeitig
das Kunststück vollbracht haben, die Urheberschaft dafürzu beanspruchen. – Da kommt der Zwischenruf. HerrNiebel, es ist wahr. – Ich weiß nicht, wodurch Sie die Ur-heberschaft in der Realität beanspruchen können;
sicherlich nicht durch Ihre Regierungstätigkeit, vielleichtdurch Ihre Tätigkeit in Ihrem Ortsverein.
Meine Damen und Herren, es ist wahr, dass der Re-formbedarf gerade am Arbeitsmarkt groß ist. Deswegenplädieren wir für eine Arbeitsmarktpolitik Plus.
Arbeitsmarktpolitik Plus bedeutet, dass wir mit der Re-form und mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
die zentralen Instrumente reformiert haben und – „Plus“ –zusätzliche beschäftigungspolitische Schritte gehenwollen.
Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode, das istangesprochen worden,
die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenlegen.
Unsere Zielperspektive, die der Grünen, ist dabei übri-gens die Einführung einer Grundsicherung. Im Gegen-satz zu Ihnen reden wir nicht nur darüber, sondern habenbereits mit den Vorarbeiten, und zwar mit Modellprojek-ten, begonnen. Diese Modellprojekte sind weit über dieBundesrepublik verstreut. In ihnen werden Erfahrungenmit der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe unter einemDach gewonnen.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus plädierenwir dafür, dass schwierige Beschäftigungsverhältnisseund schwierige Bereiche am Arbeitsmarkt neue Chancenerhalten und neue Brücken gebaut bekommen.
Warum soll es nicht möglich sein, dass Sozialhilfeemp-fänger und Langzeitarbeitslose jede zweite Mark, die siezeitlich befristet dazuverdienen, behalten können?
– Herr Niebel, ich freue mich wirklich sehr, dass Sie indieser großen Deutlichkeit dazwischenrufen. Meine Da-men und Herren von der FDP, ich glaube, Sie haben in den29 Jahren Ihrer Regierungszeit genug Chancen gehabt,genau dieses sozialpolitische Anliegen umzusetzen.
Darüber hinaus will ich noch sagen, dass es notwendigsein wird, auch etwas gegen die Teilzeitmauer, die beiJobs über 630 DM einsetzt, zu unternehmen.
Es wird sinnvoll sein, die Sozialversicherungsbeiträgedort so zu subventionieren, dass sie quasi sanft, nicht alsMauer einsetzen, sodass weitere Anreize für Arbeitslosegegeben werden, in diesen Bereichen eine Beschäftigungaufzunehmen.
Der nächste Punkt ist, dass wir die Entbürokratisie-rung weitertreiben müssen.
Das wollen wir auch. Ich glaube, dass wir im Bereich der630-DM-Jobs durchaus entbürokratisieren und das Mel-deverfahren leichter machen können.
– Frau Lenke, wir wollen aber bestimmt nicht wieder inden Zustand zurückkehren, den Sie uns hinterlassen ha-
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Dr. Thea Dückert20206
ben, dass es nämlich in diesem Bereich Arbeitsverhält-nisse gab, die nicht sozialversicherungspflichtig waren.
In diesem Zusammenhang haben wir viel zu tun.Der letzte Punkt ist beschäftigungspolitisch zentral,weswegen ich ihn hier noch kurz anmerken möchte:
Wir werden und wollen das Ziel der Senkung der Lohn-nebenkosten nicht aus den Augen verlieren. Wir werdenweiter dafür streiten, weil es gerade im Zusammenhangmit der Beschäftigungspolitik ganz zentral ist.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! SPD und Bündnisgrünehaben in letzter Zeit gerne erklärt, dass sie gemeinsamdiese Republik verändert hätten.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, da mögen Sie wohlRecht haben.
Ob allerdings die Menschen außerhalb dieses Hauses überdiese Veränderungen froh sind, wage ich ernsthaft zu be-zweifeln.
Das Ergebnis Ihrer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik istjedenfalls keine Erfolgsbilanz, sondern eine Mängelliste,und das ist einfach zu wenig. Sie werden es nicht einmalschaffen, Ihre wichtigsten und die Wahl entscheidendenVersprechungen von 1998 einzulösen. Für mehr sozialeGerechtigkeit wollten Sie sorgen. Außerdem wollten SieIhre Regierungsfähigkeit an der sinkenden Arbeitslosig-keit messen lassen. Nichts davon haben Sie erreicht. Da-mit haben Sie die vielen Menschen, die auf Sie gesetzt ha-ben, bitter enttäuscht.4 Millionen Arbeitslose lassen sich nicht einfach mitder Weltkonjunktur entschuldigen, zumal Sie dann erklä-ren müssten, warum es eigentlich allen unseren Nachbar-ländern in Europa besser geht. Nein, 4 Millionen Arbeits-lose in der Bundesrepublik sind das Ergebnis falscherpolitischer Weichenstellungen und fehlender Initiativenin der Beschäftigungspolitik.ImKonsens mit den Gewerkschaften und denArbeitge-bernwollten Sie dieArbeitslosigkeit bekämpfen.Doch imBündnis für Arbeit sind Sie keinen Schritt vo-rangekommen: keineVereinbarung, endlich dieMilliardenÜberstunden abzubauen, um neue Arbeitsplätze zu schaf-fen, nichts Verbindliches gegen denMangel an qualifizier-tenAusbildungsplätzen undkeinKonzept gegen die beson-ders dramatische Arbeitsmarktlage in den neuen Ländern.Stattdessen verabreden Sie Modellversuche im Nied-riglohnsektor. Wissen Sie eigentlich, was die Menschen inOstdeutschlandverdienen?DerdurchschnittlicheStunden-lohn in Ostdeutschland beträgt 62 Prozent des durch-schnittlichen Stundenlohnes, der imWesten gezahlt wird.
Das ist ein riesiger Niedriglohnsektor, ohne dass es dortmehr Beschäftigung gäbe. Solche Konzepte sind absolutuntauglich.
Sie gehören ebenfalls zur Negativbilanz Ihrer Politik.Auch die Vorleistungen Ihrer unternehmerfreundlichenSteuerreform haben sich weder beschäftigungs- nochverteilungspolitisch positiv ausgewirkt. Im Gegenteil, siehaben die soziale Spaltung in dieser Gesellschaft weiterverstärkt. Dies geschah unter Ihrer Verantwortung und dasfinde ich blamabel. Neben dem Handwerk sind es näm-lich gerade die großen Unternehmen, die von Ihrer Poli-tik besonders profitiert haben. Aber Siemens und dieCommerzbank zum Beispiel haben für das kommendeJahr Massenentlassungen in enormer Größenordnung an-gekündigt.In dieser Situation hat der Bundesarbeitsminister eineIdee: Er verkündet die größte Vermittlungsoffensive allerZeiten.
Wohin soll denn bitte schön vermittelt werden? Wo sinddenn die Unternehmen, die auf diese Ihre Offensivewarten?
Ich kann sie nicht finden. Wenn ich mir Ostdeutschlandanschaue, dann weiß ich, dass dort Arbeitsplätze fehlen,und Sie wissen das genauso gut wie ich.Was wir jetzt brauchen, ist eine arbeitsmarktpolitischeOffensive und eine Qualifizierungsoffensive. Das Job-Aqtiv-Gesetz – ich glaube, Frau Dückert, dass dies nochkeine „Arbeitsmarktpolitik plus“ ist – könnte da vielleichteinige Impulse setzen. Warum aber haben Sie dafür imHaushalt keine müde Mark eingestellt? Meinen Sie esalso wirklich ernst damit? Nein, liebe Kolleginnen undKollegen, die PDS will die arbeitsmarktpolitischenMaßnahmen wirklich ausbauen. Deshalb fordern wir,den Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit um 1 Milli-arde Euro zu erhöhen.
Ein Zweites ist uns in diesem Zusammenhang wichtig:Man kann über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen strei-ten, aber die Menschen in Ostdeutschland werden nochauf Dauer auf diese Maßnahmen angewiesen bleiben.Deshalb ist es einfach falsch, dass Sie wieder keine Sach-kostenzuschüsse für arbeitsmarktpolitische Maßnahmeneinstellen. Wir werden das beantragen.
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Dr. Thea Dückert20207
Schließlich fordern wir erneut den Einstieg in den öf-fentlich geförderten Beschäftigungssektor. Sie wissenwie wir, dass viel Arbeit im sozialen, kulturellen und öko-logischen Bereich ungetan bleibt, weil sie sich fürgewinnorientierte Unternehmen einfach nicht rechnet.Diese Arbeit ist aber für die Daseinsvorsorge und die Le-bensqualität der Menschen unverzichtbar. Deshalb sagenwir: Ehe Sie, Herr Minister, Greencards für den Pflegebe-reich und andere soziale Bereiche ausgeben, tragen Sielieber endlich mit dazu bei, dass hier hoch qualifizierteund vor allen Dingen gut bezahlte Menschen Arbeit fin-den. Dies sind die notwendigen Zukunftsinvestitionen füreine immer älter werdende Gesellschaft, mit der wir unsauf vielen Feldern zu beschäftigen haben.
Es geht aber nicht nur darum, dass Sie mit Ihrer ge-scheiterten Beschäftigungspolitik Millionen Arbeitsloseenttäuschen und Millionen Beschäftigte verunsichern.Das soziale Sicherungssystem in der Bundesrepublik iststärker als in vielen anderen Ländern an Löhne undGehälter gekoppelt. Deshalb sinken bei Beschäftigungs-abbau auch die Einnahmen der Sozialversicherungen.Deshalb können Sie Ihr zweites wichtiges Wahlver-sprechen nicht einlösen: Die Sozialversicherungs-beiträge werden bis zum Jahre 2002 nicht unter 40 Pro-zent sinken. Dies gilt auch für die versprochene Senkungdes Rentenversicherungsbeitrags; und dies trotz der Leis-tungskürzungen in der Rente und trotz der unsozialenTeilprivatisierung. Dies halte ich für die größte Blamage.Es verschafft mir wirklich keine Genugtuung, dass ichhinsichtlich Ihrer Jahrhundertreform Recht behalten habe,es ärgert mich aber, wie viel Verunsicherung und Unge-rechtigkeit Sie damit geschaffen haben, ohne irgendetwaszu erreichen. Jetzt ist es sogar so, dass Sie die eigentlichnotwendige Beitragserhöhung nur durch den Griff in dieRücklage der Rentenversicherung verhindern können.Von Beitragssenkungen – das sagen Ihnen alle Experten –werden Sie in den nächsten Jahrzehnten nicht sprechenkönnen.WarumstehenSie überhaupt vor dieserEntscheidung?–Weil Sie Ihre unsoziale Rentenpolitik für alternativlos ge-halten haben, weil Sie nicht mehr in Alternativen denkenund Sie keinen Moment darüber nachgedacht haben, obman möglicherweise die Gruppe der Beitragszahlerinnenvergrößern oder die Einnahmen durch die Einbeziehunganderer Einkommen verbessern könnte. Das ist das Di-lemma, in dem Sie jetzt stecken.Zum Schluss will ich Ihnen sagen: Einzelplan 11 bleibtohne Antwort auf die gegenwärtige Krise, ohne Aussichtauf mehr soziale Gerechtigkeit und vor allen Dingen – dashalte ich für das Schlimmste – ohne Hoffnungsschimmerfür die Menschen in diesem Land, die weder Faulenzernoch altes Eisen sein wollen. Deshalb werden wir ihn ab-lehnen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Ewald Schurer, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Im neuen Programm
„Chancen für die Jugend“ der Bundesregierung heißt es
unter anderem: „Erwerbsarbeit sichert die materiellen Le-
bensgrundlagen und trägt wesentlich zur Zufriedenheit
junger Menschen bei.“ Die Bundesregierung hat daher
den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu einem
ihrer Schwerpunkte gemacht.
In der Tat muss man sich fragen, über was wir reden,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Wir re-
den über die Integration junger Menschen in diese Ge-
sellschaft. Wir reden über die soziale Einbindung junger
Menschen in Familie und Gesellschaft, über Bildung und
Ausbildung als eine entscheidende Grundlage für die Be-
rufs- und Zukunftschancen der jungen Generation.
– Herr Kollege, auch Sie sollten sich des Zuhörens be-
fleißigen.
Bildung und Ausbildung sind wichtig für die Ent-
wicklung der Persönlichkeit junger Menschen. An der
Stelle muss ich einmal ganz klar sagen: Frau Schwaetzer,
so einfach, wie Sie sich das machen, ist es nicht. Ihre Be-
hauptung aus dem Nichts, dass das JUMP-Programm nur
1 000 Jugendliche in betriebliche Ausbildung gebracht
hätte, werde ich im weiteren Verlauf meiner Rede deutlich
widerlegen.
Es geht darum, dass Jugendpolitik eine Querschnitts-
aufgabe ist. So sieht es auch die Bundesregierung. In Um-
setzung dieser Philosophie haben wir eine ganze Menge
getan.
– Hören Sie doch einmal zu. Sie haben es dringend nötig.
Kollege Schurer, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn von
der PDS-Fraktion?
Ja.
Herr Kollege Schurer, ich
habe eine recht einfache Frage. Ist Ihnen bekannt, dass
trotz des JUMP-Programms die Jugendarbeitslosigkeit in
Sachsen noch nie so hoch war wie jetzt und dass das Land
Brandenburg bei der Jugendarbeitslosigkeit ein Wachs-
tum von 16 Prozent hat?
Werter Kollege, ich werde imLaufe meiner Rede auch darauf eingehen. Dann werde ichIhnen den genauen Entwicklungsverlauf erklären.
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Dr. Heidi Knake-Werner20208
Die Bundesregierung hat die Bekämpfung der Ju-gendarbeitslosigkeit zu einer Gesamtaufgabe gemacht.Das heißt, wir haben zum Beispiel durch die Familien-förderungsgesetze im steuerlichen Bereich etwas getan,um die Voraussetzungen für Bildung und Ausbildungauch in den Familien zu verbessern. Es gibt neue Freibe-träge für die Betreuung, die Erziehung und – das möchteich betonen – die Ausbildung der jungen Menschen. Abdem 1. Januar 2002 gibt es pro Kind einen Freibetrag voninsgesamt 11 340 DM für Erziehung und Ausbildung.Wir haben die BaföG-Leistungen zum 1.April 2001 nachzehn Jahren Stagnation kräftig erhöht. Es gibt das neueGesetz zur Elternzeit und den Rechtsanspruch auf Teil-zeitarbeit. Es gibt das Aktionsprogramm „Jugend für De-mokratie und Toleranz“ und natürlich auch das JUMP-Programm.
Ich sage noch einmal: Sie müssen sich der Sache schonseriös – das gilt auch für Sie, Kollege Niebel – annehmen.Es geht darum, jungen Menschen in schwierigen Zeitenund bei einer schwächeren Konjunktur Sicherheit undChancen für ihre materielle Lebensführung, für ihre so-ziale Anerkennung und den menschlichen Zusammenhalt– auch Solidarität genannt – zu geben.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mitden Freunden von Bündnis 90/Die Grünen waren es doch,die Anfang 1999 mit dem Sofortprogramm JUMP einmassives Programm aufgelegt haben, um den jungenMenschen diese Chancen zu ermöglichen.
Wenn wir zur aktuellen Diskussion kommen, dannmüssen Sie feststellen – ich will jetzt die Frage beantwor-ten –: Im Oktober dieses Jahres sind knapp 17 000 jungeMenschen neu ins Programm gekommen. Das sind für dasJahr 2001 bislang 123 000 junge Menschen, von denensich im Augenblick 93 000 konkret in Fördermaßnahmenbefinden. Die durchschnittliche Dauer solcher Förder-maßnahmen beläuft sich je nach Bestimmung und Art derMaßnahme im Augenblick auf 240 Tage.Das Ergebnis der Begleitforschung – jetzt kommenwir zur Substanz – ist eindeutig: In diesen drei Jahrenwurden als Nebeneffekt durch die Beratungstätigkeit ins-gesamt 40 000 neue betriebliche Ausbildungsverhält-nisse geschaffen. Im Jahr 1999, Kollegin Dückert, warenes 14 000, im Jahr 2000 17 000 und in diesem Jahr warenes bislang 9 000 weitere betriebliche Ausbildungsplätze.Seit dem 1. Januar 1999 bis zum Sommer dieses Jahreshaben insgesamt – das wurde schon gesagt –333 000 junge Menschen an diesem Programm teilge-nommen. Von den Jugendlichen, die heuer in diesem Pro-gramm sind
– hören Sie es sich an, damit Sie die Ergebnisse der Be-gleitforschung mitbekommen –, wurden 33 000 jungeMenschen mit Lohnkostenzuschüssen in den ersten Ar-beitsmarkt integriert.
27 000 Jugendliche traten in Qualifizierungs-AB-Maß-nahmen ein. 21 000 junge Menschen starteten Trainings-maßnahmen. 17 000 Jugendliche nahmen Qualifizie-rungsmaßnahmen in Anspruch. Für die Frage zuOstdeutschland ist noch wichtig: 4 500 junge Menschenkonnten über die Mobilitätshilfen zur auswärtigen Ar-beitsaufnahme gebracht werden.In der Folge der Vereinbarung des Bündnisses für Ar-beit haben wir – das habe ich schon gesagt – nicht 1 000,sondern 40 000 neue betriebliche Ausbildungsplätze ge-schaffen. Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohrenschreiben. Sie reden hier wirklich – ohne Kenntnis derFakten – ins Leere. Das, was Sie betreiben, ist unverant-wortlich gegenüber den jungen Menschen.
Ganz entscheidend ist die Tatsache, dass von den93 000, die sich momentan in konkreten Maßnahmen be-finden, 80 Prozent arbeitslos waren. Davon waren 30 Pro-zent länger als sechs Monate arbeitslos.
Es geht darum, jungen Menschen, die sich in einer Situa-tion der Chancenlosigkeit befinden, ganz gezielt Perspek-tiven zu erschließen. Das tun wir im Augenblick und auchim Osten.Ich möchte jetzt auf die Finanzen zu sprechen kom-men, weil wir uns ja in einer Haushaltsdebatte befinden.Im Jahr 2000 wurden circa 1,9 Milliarden DM in dasJUMP-Programm investiert. Bis jetzt sind bereits 2,3Mil-liarden DM konkret in Maßnahmen gebunden. EinSchwerpunkt des Programms – es wäre schön, wenn derKollege zuhören würde; denn das, was ich jetzt sage, istein Teil der Antwort auf seine Frage – waren die neuenLänder. Im letzten Jahr wurden knapp 44 Prozent allerMittel des JUMP-Programms in die neuen Bundesländerinvestiert. Bis Anfang November des laufenden Jahreswaren sogar knapp 55 Prozent der Mittel des gesamtenProgramms in Maßnahmen in den neuen Bundesländerngebunden.
Das bestätigen auch die Aussagen der Bundesanstalt fürArbeit.Eine wichtige Ergänzung: In Zeiten einer konjunktu-rellen Abschwächung ist es ganz besonders wichtig, dieJugendlichen nicht – so, wie Sie es gemacht haben – ir-gendwo stehen zu lassen, sondern sie – das tun wir mitdem JUMP-Programm – entsprechend zu qualifizieren.Auch das ist ein Teil meiner Antwort auf Ihre Frage. Ichweiß, dass die momentane Situation im Osten im Hinblickauf die Ausbildungsverhältnisse sehr schwierig ist. Aberumso mehr ist die Bedeutung des JUMP-Programms an-zuerkennen, in dessen Rahmen junge Menschen durch
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Ewald Schurer20209
verschiedene Maßnahmen – betriebliche Ausbildungs-plätze gibt es im Osten Deutschlands nämlich zu wenige –für eine spätere Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt qualifi-ziert werden. Lassen Sie sich das, bitte schön, auch nocheinmal von mir im Guten sagen.
Noch eines zum Schluss: Ein halbes Jahr nach demAusscheiden aus dem Programm – das ist ein wichtigerZeitpunkt, weil man dann feststellen kann, wie die Maß-nahmen auf die jungen Menschen gewirkt haben – haben24 Prozent der Geförderten einen ungeförderten Arbeits-platz – das ist ein wirklich großer Erfolg –, haben rund13 Prozent einen betrieblichen Ausbildungsplatz, machencirca 7 Prozent – durch die Maßnahmen animiert – eineweitere schulische Ausbildung und sind rund 22 Prozentder jungen Menschen in Fördermaßnahmen. Dass dannnoch immer 25 Prozent der jungen Menschen, die an denMaßnahmen teilgenommen haben, leider wieder arbeits-los sind, ist nur zu verstehen, wenn man weiß, dass sie zueiner Klientel gehören, die bisher – mit einer ganzenReihe von Handicaps kämpfend – alles andere als privile-giert gewesen ist. Unter diesen Jugendlichen befindensich viele, die aus sozial benachteiligten Verhältnissenkommen und die deswegen im Rahmen der För-dermaßnahmen einer besonderen Fürsorge bedürfen.
Wichtig ist, dass das JUMP-Programmeine Philosophiehat – deswegen ist es auch so erfolgreich, was im Wider-spruch zu Ihrer partiellen und sehr autistischen Wahrneh-mung steht –: Die Jugendlichen werden individuell undentsprechend ihren persönlichen Bedürfnissen gefördert.
Kollege Schurer, Sie
haben Ihre Redezeit überschritten.
Ich komme zum Ende, Herr
Präsident. – Diese Philosophie ist übrigens die gleiche wie
die im neuen Job-Aqtiv-Gesetz. Es geht darum, den jun-
gen Menschen Perspektiven zu vermitteln, indem man
versucht, mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen ganz
individuell auf ihre Situation einzugehen, sie dort abzu-
holen, wo sie sich befinden, um sie für ihr späteres Leben
zu qualifizieren, um ihnen eine Teilhabe an der Gesell-
schaft zu ermöglichen. Junge Menschen sind erst dann in
der Gesellschaft integriert, wenn sie qualifiziert und aus-
gebildet worden sind und somit eine berufliche Grundlage
haben.
Ich bedanke mich bei der Arbeitsverwaltung, bei der
Bundesregierung für das konzertierte und erfolgreiche
JUMP-Programm. Ich wünsche allen jungen Menschen,
die in diesem Programm gefördert wurden und noch ge-
fördert werden, viel Erfolg für ihre berufliche und gesell-
schaftliche Zukunft.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wortdem Kollegen Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion.
Horst Seehofer (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Der Haushalt des Bundesarbeitsmi-nisters
ist ein ganz trübes Kapitel. Walter Riester ist der teuersteWeihnachtsmann, den sich diese Republik jemals geleis-tet hat.
Kein einziges Versprechen dieses Arbeitsministers istin Erfüllung gegangen. Versprochen war ein kräftiger Ab-bau der Arbeitslosigkeit; erreicht wurde ein deutlicherAnstieg. Wir werden nach der Jahreswende deutlich über4 Millionen Arbeitslose haben. Hinzuzurechnen sind1,7 Millionen Menschen, die zu den verdeckten Arbeits-losen gehören, die nicht in der Statistik erscheinen, weilsie sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und inKurzarbeit befinden.
Es sind Millionen von Menschen in der Arbeitslosig-keit. Millionen von Menschen in Deutschland fürchtenum ihren Arbeitsplatz, und das bei einer Regierung, dieangetreten ist, mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschlandzu realisieren. Drei Jahre Rot-Grün haben gereicht, umein hohes Maß an sozialer Ungerechtigkeit in Deutsch-land zu realisieren.
Versprochen war die Senkung der Sozialabgaben.
– Eingetreten ist ein Sozialabgabenniveau wie nie zuvorin der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, wir werden am 1. Januardeutlich über 41 Prozent Gesamtsozialversicherungsbei-trag haben. Dazu haben Sie die 630-Mark-Jobs sozialver-sicherungspflichtig gemacht und den Menschen 7 Milli-arden DM abgezockt.
Dazu werden Sie am 1. Januar des nächsten Jahres 28Mil-liarden DM Ökosteuer ohne Umsatzsteuer erheben. Das
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Ewald Schurer20210
sind insgesamt 35 Milliarden DM zur Finanzierung derSozialhaushalte. Gleichzeitig steigen die Sozialabgaben.Nie zuvor sind die Menschen zur Finanzierung der So-zialhaushalte so zur Kasse gebeten worden wie unter derRegierung von Rot-Grün. Da dürfen Sie sich nicht wun-dern, wenn die Konjunktur zusammenbricht.
Vor wenigen Tagen erklärte der SozialverbandDeutschlands, steigende Beitragssätze seien nur dann ver-tretbar, wenn dafür auch mehr oder bessere Leistungen fürdie Versicherten gewährt würden. Bei der rot-grünen So-zialpolitik sei aber bisher das Gegenteil der Fall: Stei-gende Beiträge und sinkende Sozialleistungen.Das ist das, was die Menschen in Deutschland ärgert:Steigende Beiträge und weniger Gesundheitsleistungen,steigende Beiträge und weniger Pflegeleistungen, stei-gende Beiträge und weniger Rente, steigende Beiträgeund weniger Leistungen in der Arbeitslosenversicherung.Das ist Ihre Bilanz.
Höhere Arbeitslosigkeit, höhere Sozialbeiträge undsinkende Leistungen – alle denkbaren Übel hat diese Re-gierung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gleichzeitigerreicht. Das hat noch keine Regierung in Deutschland ge-schafft.
Diese beklemmende Entwicklung ist auf einen Kardi-nalfehler dieser Regierung zurückzuführen. Sie hat näm-lich von Anfang an dem Irrglauben nachgegeben, dassman alle wirtschaftlichen und sozialen Prozesse inDeutschland durch zentralistische Planung und bürokrati-schen Vollzug steuern könnte. Das ist der Kardinalfehlerdieser Regierung.Man darf sich nicht wundern, wenn man die 630-Mark-Jobs und die Scheinselbstständigkeit so bürokratisiert,wie es diese Regierung getan hat, dass man Arbeitsplätzein Deutschland vernichtet und dass nur ein Bereich Kon-junktur hat, nämlich die Schwarzarbeit. Man darf sichnicht wundern, wenn man den Abschluss von befristetenArbeitsverträgen erschwert, dass die Betriebe nichtArbeitsplätze schaffen, sondern in Überstunden auswei-chen. Die Ursache für die Überstunden haben Sie, HerrRiester, durch die Bürokratisierung der Arbeitsmarktpoli-tik geschaffen.
Man darf sich nicht wundern, wenn man in Deutsch-land einen unbedingten Rechtsanspruch auf Teilzeitschafft, dass dann niemand mehr in Deutschland Arbeits-plätze schafft, weil jeder befürchten muss, dass sofort derRechtsanspruch auf Teilzeitarbeit realisiert wird.
Sie haben durch den Irrglauben, alles zentralistisch zuplanen und bürokratisch zu vollziehen, eine gigantischeBürokratie in Deutschland geschaffen. Sie haben durchIhre Politik nicht Arbeitsplätze geschaffen, sondern Siehaben Arbeitsplätze vernichtet. Die Probleme, die unsjetzt auf dem Arbeitsmarkt beschäftigen, sind eindeutigauf Politikversagen von Rot-Grün zurückzuführen.
Noch keine Regierung hat Gutachter beauftragt – diesie sich sogar selbst ausgesucht hat, einschließlich der Ge-werkschaftler –, die ihr ein solches Zeugnis ausgestellt ha-ben, was die Arbeitsmarktpolitik betrifft. Vor 14 Tagen isthier das Job-Aqtiv-Gesetz verabschiedet worden.
Der Arbeitsminister hat am Rande des SPD-Parteitags er-klärt, mit dem neuen Job-Aqtiv-Gesetz gebe es seitens derBundesregierung nun eine große Kampagne der ganzschnellen Vermittlung von Arbeitskräften. Solche Äuße-rungenweckendieHoffnung,mitdieserWunderwaffeJob-Aqtiv-Gesetzkönneesendlichgelingen,dassdie23000ar-beitslosen Pflegekräfte in Deutschland in die offenenStellen vermittelt werden. Das war die große Hoffnung.
Am gleichen Tag erklärt derselbe Arbeitsminister, erwerde jetzt Arbeitserlaubnisse für Pflegekräfte aus Osteu-ropa ausstellen, weil die Pflegearbeitsplätze in Deutsch-land mit den hier lebenden Arbeitslosen nicht zu besetzenseien. Herr Riester, das ist eine Bankrotterklärung hin-sichtlich der Wirksamkeit Ihres Job-Aqtiv-Gesetzes.
Sie glauben selbst nicht an die Wirkung Ihres eigenen Ge-setzes.Bei in der Statistik offen ausgewiesenen 4MillionenAr-beitslosen, bei 1,7 Millionen verdeckten Arbeitslosen, diean arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnehmen, küm-mern Sie sich nicht darum, dass die hier lebendenArbeits-losen inArbeit gebracht werden. Sie haben nur Bürokratieund Paragraphen geschaffen. Deshalb wiederhole ichheute: Sie haben ein erotisches Verhältnis zu Paragraphen.
Sie haben aber die Langzeitarbeitslosen völlig aus demBlick verloren. In dieser Situation stellt Ihr Bundeskanz-ler fest, wir bräuchten mehr Innovationen in den Vor-standsetagen der deutschen Wirtschaft.
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Horst Seehofer20211
Wissen Sie, wo wir mehr Kreativität und Innovationenbrauchen? – In der Chefetage dieser Regierung.
Sie haben in den letzten drei Jahren jede Chance ver-tan, den verkrusteten deutschen Arbeitsmarkt kreativ zureformieren. Nachdem Sie uns jetzt pausenlos hilfloseFragen stellen, was wir denn tun würden – es ist ein Ar-mutszeugnis für eine Regierung, wenn jeder Redner derRegierungskoalition die Opposition fragt, was getan wer-den soll –,
antworte ich Ihnen: Sie müssten nur das berücksichtigen,was wir vorschlagen. Sie haben den ersten Fehler ge-macht, indem Sie unsere Reformen nach der Regierungs-übernahme 1998 zurückgenommen haben. Der zweiteFehler besteht darin, dass Sie unsere Vorschläge, die wirin den letzten zwei Jahren unterbreiteten, nicht aufgegrif-fen haben.Es gab noch keine Opposition, die zur Reform desdeutschen Arbeitsmarktes so konkrete Vorschläge ge-macht hat, wie sie von CDU/CSU und FDP in den letztenzwei Jahren vorgelegt wurden.
Wir wiederholen diese Vorschläge heute: Streichen Sie alldie überflüssigen Paragraphen und bauen Sie Bürokratieab. Verwirklichen Sie die von uns vorgeschlagenen Maß-nahmen, um die verkrusteten Strukturen des Arbeits-marktes aufzulösen.
Dazu müssten Sie auch alle von Ihnen getroffenen Maß-nahmen im Hinblick auf 630-Mark-Jobs und befristeteArbeitsverträge zurücknehmen.
Wir haben in Deutschland das große Problem, dassArbeitsplätze im Niedriglohnbereich nicht besetzt wer-den. Wir haben Millionen Arbeitsplätze mit einem Entgeltbis zu 630 DM und verhältnismäßig wenig Arbeitsplätzemit einem Einkommen zwischen 630 DM und 2 500 DM.Diese Misere werden wir nur überwinden, wenn wir unsdiesem Niedriglohnbereich und den Langzeitarbeitslosen,also den Menschen, die länger als ein Jahr ohne Arbeitsind, zuwenden.Herr Riester, alle Sachverständigen, alle Wirtschaftsin-stitute erklären Ihnen genauso wie die Opposition seitJahren, dass dies nur mit den so genannten Kombilöhnenfunktioniert. Wenn zu dem erzielten Arbeitseinkommenein Zuschuss gewährt wird, wird der Anreiz zur Arbeits-aufnahme für diejenigen Menschen verstärkt, die in demvon mir angesprochenen Bereich einen Arbeitsplatz be-kommen könnten,
Die Kombination aus dem Niedriglohn und dem Zuschussdes Sozial- oder Arbeitsamtes ergäbe ein gegenüber derpuren Sozialleistung höheres Erwerbseinkommen.
Wie wir von den Sozialämtern wissen, würde es beiden Kommunen und bei den Arbeitsämtern Geld sparen,weil es besser ist, statt einer 100-prozentigen Sozial- oderArbeitslosenhilfe nur einen Zuschuss von bis zu 20 Pro-zent zu geben.
Eine solche Regelung würde die Menschen auch motivie-ren, Arbeit aufzunehmen. Das schlagen Ihnen alle Sach-verständigen vor. Sie wollen diesen Vorschlag aus reinerRechthaberei nicht realisieren, obwohl Sie den Bundes-ländern jetzt ständig anbieten, dafür mehr Geld zur Ver-fügung zu stellen.Hören Sie auf mit Ihren Modellen und Versuchen. DieArbeitslosen, die heute keine Arbeit haben, und jene, dieum ihren Arbeitsplatz fürchten, haben von diesen Versu-chen die Schnauze voll. Sie wollen, dass ihnen im Falleder Arbeitslosigkeit konkret geholfen wird. Das muss jetztgeschehen.Dazu gehört auch, Herr Arbeitsminister: Wenn jeman-dem ein Arbeitsplatz angeboten wird, wenn jemandemeine Hilfe in Form des Kombilohns gegeben wird, dannmuss im Fall der Ablehnung der Sozialanspruch entfallen.Menschen, die Angebote und Hilfe bekommen, diese aberablehnen, haben keinen Anspruch auf solidarische Hilfe.Auch das muss realisiert werden.
Ein ganz schlimmes Kapitel ist die Rente.Wir erlebenhier eine Welturaufführung. Mit großen Hochämtern istdie Rentenreform verabschiedet worden. Eine Welturauf-führung ist es insofern, als schon vor ihrem In-Kraft-Tre-ten alle zugrunde liegenden Prognosen und Daten über-holt sind. Herr Riester, geben Sie zu: Sie haben imnächsten Jahr, dem ersten Jahr der Rentenreform, in derRentenversicherung ein Finanzloch von 10 Milliar-den DM. Das liegt daran, dass Sie viel zu optimistischeWirtschafts- und Einkommensprognosen zugrunde gelegthaben. 10 Milliarden DM, bevor die Rentenreform über-haupt in Kraft tritt!
Jetzt macht er einen Trick – wir kennen das aus demJahr 1998 –,
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Horst Seehofer20212
weil er auf den Wahlmonat sieht.
Eigentlich müssten Sie die Beiträge im nächsten Jahr um0,5 Punkte erhöhen. Man muss das einmal in der Summesehen: 0,5 Punkte in der Krankenversicherung und0,5 Punkte in der Rentenversicherung, das ist ein vollerBeitragspunkt. Sie müssten auch die Beiträge zur Pflege-versicherung erhöhen, wenn Sie nicht die Rücklagen inder Pflegeversicherung angegriffen hätten, die wir Ihnen1998 übergeben haben. Das ist die Situation!
Nun macht man ein wahltaktisches Manöver in derFrage: Wie kommt man über den September des Jahres2002, über die Bundestagswahl?
Das macht man dadurch, dass man zunächst einmal in ei-nen Sparstrumpf, nämlich in die Rücklagen der Renten-versicherung, greift.
Schwankungsreserven hatten auch in unserer Regie-rungszeit immer eine bestimmte Funktion. Sie sind malunter- und mal überschritten worden,
aber immer mit dem Ziel, sie wieder aufzufüllen.
Sie aber senken die Schwankungsreserve jetzt durch Ge-setz von 100 Prozent auf 80 Prozent. Das ist erstmalig so.
Durch diesen Griff in den Sparstrumpf hat Herr Riester6 Milliarden DM. Bleiben aber immer noch 4 Milli-arden DM. Diese 4 Milliarden DM – Frau Schwaetzer, dahaben Sie völlig Recht – retten Sie über die Wahl. DerSozialbeirat der Bundesregierung – nicht wir – schreibt inseinem Gutachten: Eine Nachfinanzierung dieses Defizitsdurch höhere Beiträge spätestens 2003 hält der Sozialbei-rat für unausweichlich.
Das heißt, meine Damen und Herren: Sie schwindelnsich über den September und müssten nach der Bundes-tagswahl – dazu werden Sie aber keine Gelegenheit mehrhaben – die Beiträge noch einmal erhöhen.10 Milliarden DM Finanzloch in der Rentenversiche-rung: Diese Wahrheit verschweigen Sie der Öffentlich-keit. Sie wiederholen den Rentenbetrug aus dem Jahr1998. Das ist Ihre Politik, Herr Riester!
Jetzt sage ich Ihnen noch, welchen Betrug Sie schonhinter sich haben. Sie haben vor der Bundestagswahl ge-nau wie der Bundeskanzler erklärt, dass Sie die Rentenunangetastet lassen. Sie haben den Rentnern versprochen,dass sie einen Kaufkraftausgleich bekommen, das heißteine Rentenerhöhung, die mindestens die Preissteigerungin Deutschland ausgleicht.
Auch dieses Versprechen haben Sie gebrochen. In denletzten zwei Jahren, also heuer und im letzten Jahr, betrugdie Preissteigerungsrate in Deutschland zusammenge-nommen 4,4 Prozent. Die Anhebung der Renten betrug indiesen beiden Jahren aber nur insgesamt 2,5 Prozent. Dasheißt: Die Renten haben in Ihrer Regierungszeit an Kauf-kraft verloren, weil Sie das Versprechen gebrochen haben,den Rentnern mindestens einen Kaufkraftausgleich zu ge-währen.Jetzt lässt sich Herr Riester für eine Selbstverständ-lichkeit, die es seit 40 Jahren gibt, feiern. Dass am 1. Julieines Jahres die Renten steigen, ist in der BundesrepublikDeutschland seit 40 Jahren so. Er verschweigt aber, dasser vorher, ab 1. Januar, durch die Erhöhung der Ökosteuerdie Rentner wiederum abzockt und dass durch die Er-höhung der Krankenversicherungsbeiträge ein großer Teilder Rentenerhöhung wieder verloren geht; die Rentnermüssen ja auch ihren Beitrag zur Krankenversicherungzahlen.Unter dem Strich werden die Rentner auch im nächs-ten Jahr unter Walter Riester in der Kombination vonÖkosteuer, Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträgeund Inflation wiederum weniger haben. Das ist das Er-gebnis Ihrer Rentenpolitik!
Herr Riester, Ihre Bilanz ist niederschmetternd.
Was noch schlimmer ist, meine Damen und Herren: Es istüberhaupt keine Philosophie erkennbar in der Frage, wiedie Regierung aus diesem Dilemma herauskommenmöchte. Es gibt kein Konzept.Sie haben ein hohes Maß an sozialer Ungerechtigkeitdadurch geschaffen, dass Sie immer mehr Leute in die Ar-beitslosigkeit jagen und immer mehr Menschen in dieAngst versetzen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Jedervierte Deutsche hat heute Angst um seinen Arbeitsplatz.Sie haben die Leute durch höhere Steuern, durch höhereAbgaben und durch eine Verbürokratisierung der 630-DM-Arbeitsverhältnisse abgezockt. Was die Alterssiche-rung angeht, so glaubt niemand daran, dass die Rentenkurz-, mittel- oder langfristig sicher sind. Sicher ist nurdie nächste Rentenreform, die notwendig wird, weil Siedie erste vermurkst haben. Herr Riester, Sie sind ein be-gnadeter Murkser.
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Horst Seehofer20213
Nun zu einem weiteren Trugschluss: Nachdem Sie dreiJahre auf mehr Bürokratie und mehr zentralistische Pla-nung gesetzt haben, sagen Sie jetzt in allen Interviews,dass Sie auf den nächsten Aufschwung warten. Nur,Deutschland wird das, was jetzt durch Untätigkeit ver-spielt wird, lange nicht mehr aufholen können.Herr Riester, Sie und Ihre politischen Bataillone habenvor der Bundestagswahl, in der Zeit, als Sie die Mehrheitim Bundesrat hatten, wichtige Maßnahmen zum WohleDeutschlands blockiert, insbesondere die Steuerreform.
Zwei Jahre lang haben Sie über Ihre Mehrheit im Bun-desrat blockiert; seitdem Sie die Mehrheit im DeutschenBundestag haben, machen Sie falsche Politik.
Das ist die Bilanz: insgesamt fünf Jahre – zwei Jahre Bun-desratmehrheit, drei Jahre Regierung – zum SchadenDeutschlands!
Deshalb, Herr Riester, teile ich die Meinung des Kol-legen Fuchtel: Wir müssten aus parteipolitischen Gründeneigentlich ein Interesse daran haben, dass wir Sie bis zumSeptember behalten. Aber das beste Beschäftigungs-programm für Deutschland wäre, dieser Arbeitsministerwürde seinen Job verlieren. Verlassen Sie sich darauf,meine Damen und Herren: In den nächsten Monaten wer-den wir alles dafür tun, dass Sie Ihren Job verlieren, da-mit in Deutschland wieder gute Arbeits- und Sozialpolitikgemacht wird.
Ich erteile das WortBundesminister Walter Riester.Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber HorstSeehofer, machen Sie sich mal keine Sorgen um meinenJob. Wenn Sie meinen, mir ein erotisches Verhältnis zuParagraphen vorwerfen zu müssen, so haben Sie geradedokumentiert, dass Sie ein erotisches Verhältnis zu Kata-strophenberichten haben.
Ein Deutschland, wie Sie es schildern, möchte ich nicht.Das erinnert mich an Sonthofen. Wir werden einiges dafürtun, dass Sie dieses Deutschland nicht so herrichten kön-nen, wie Sie es im Moment schildern. Da können Sie ganzsicher sein.
Nun komme ich zur Wirklichkeit, zu unserer Haus-haltspolitik, zur Arbeitsmarktpolitik, zur Rentenpolitik,zur Politik für die Menschen in diesem Lande.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und So-zialordnung, den wir heute besprechen, ist in der Tat dergrößte Einzelplan. Damit zeigt diese Regierung auch,dass ihr Soziales am meisten am Herzen liegt. 180 Milli-arden DM setzen wir für die großen Bereiche Arbeits-markt, Politik für behinderte Menschen, Sozialpolitik ein.Ich werde mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt,der in den Diskussionen der letzten Tage – zu Recht,denke ich – große Bedeutung beigemessen wurde, begin-nen. Zunächst wiederhole ich ein Zitat, das gestern HerrWesterwelle brachte. Er hat den Kanzler an seine Aussageim „Spiegel“ und an seine Regierungserklärung erinnert,aus der ich zitiere:Wir wollen uns jederzeit – nicht erst in vier Jahren –daran messen lassen, in welchem Maße wir zur Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.Sie kennen mich wahrscheinlich als einen Politiker, derzu den Worten der Regierung steht; deswegen will ich dieBilanz ziehen, und zwar nicht nebulös, Herr Niebel,
sondern auf der Basis von Fakten und Zahlen. Woran las-sen wir uns messen? Zuerst einmal möchte ich auf Fol-gendes hinweisen: Wir stehen in Konkurrenz zu einer ab-gewählten Regierung.
Betrachten wir, wie sich die Arbeitslosigkeit während derletzten Legislaturperiode, in der Sie regiert haben, ent-wickelt hat.
– Jetzt wird diese Gruppe nervös. –
Wie hat sich die Arbeitslosigkeit entwickelt? 1995 gab es3,6 Millionen Arbeitslose; das entsprach einer Arbeitslo-senquote von 9,4 Prozent. 1998 – das Jahr, in dem Sie ab-gewählt worden sind – lag die Zahl der Arbeitslosen imJahresdurchschnitt bei 4,3 Millionen; das entspricht einerArbeitslosenquote von 11,1 Prozent.
Das mussten wir übernehmen.
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Horst Seehofer20214
Ich wiederhole: Damals gab es 4,3 MillionenArbeitslose.Nun ziehen wir Bilanz:
– Das hören Sie vielleicht nicht gern, Frau Schwaetzer. –Heute haben wir 424 000 Arbeitslose weniger. Die Ar-beitslosenquote ist von 11,1 Prozent – diesen Wert habenwir übernommen – auf jetzt 9,2 Prozent gesunken.
Das sind die ersten Fakten, auf die ich hinweisen möchte.Nächster Punkt: Beschäftigung. 1994, also zu Beginnder letzten Legislaturperiode, in der Sie regiert haben, lagdie Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigtenbei 28,2 Millionen. 1998 lag diese Zahl bei 27,2 Milli-onen. Innerhalb einer Legislaturperiode wurde die Zahlder Arbeitsverhältnisse also um 1 Million abgebaut.
Diese Hinterlassenschaft haben wir übernommen. Mitt-lerweile gibt es 660 000 sozialversicherungspflichtige Ar-beitsverhältnisse – es geht nicht um 630-Mark-Jobs –mehr. Das ist fürwahr eine Bilanz, mit der wir bei dernächsten Wahl antreten können.
Jetzt gehe ich auf den Zwischenruf „Schönung“ ein.
Dass Sie seinerzeit überhaupt etwas zustande gebracht ha-ben, war eine Fälschung. Das war darauf zurückzuführen,dass Sie den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt imJahr 1998 über die Finanzierung von ABM durch Milliar-denbeträge aufgebläht haben. Die ganze Republik hat von„Wahlkampf-ABM“ gesprochen.
Sie haben es in einem Jahr geschafft – mehr haben Sienicht zustande gebracht –, den öffentlich geförderten Ar-beitsmarkt auf 520 000 Stellen aufzublähen.
– Das geschah mit Ihrer Hilfe, Frau Schwaetzer. Die FDPhat dazu die Hand gereicht.
Wenn die Zahl derartiger Stellen jetzt noch genauso hochwäre, dann läge die Anzahl der registrierten Arbeitslosenschon jetzt bei unter 3,5 Millionen.
Das ist die Wahrheit.
– Ja, da dreht sich dem Horst Seehofer der Magen um. Dabekommt er einen roten Kopf.
Zur Bilanz Ihrer Politik gehört natürlich auch die Frageder Finanzierung. Wir sind in einer Haushaltsdebatte. Siekonnten diesen Schwindel nur finanzieren, weil Sie in denletzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit den Bundeszu-schuss für die Bundesanstalt für Arbeit auf, wenn man esaddiert, 38 Milliarden DM angehoben haben, und zwartrotz einer starken, von den USA gestützten Konjunktur.
Man bedenke, dass Sie Milliardenbeträge in den AufbauOst gesteckt und riesige Schulden gemacht haben.Wir haben in vier Jahren – 1999 bis 2002 – den Bun-deszuschuss auf insgesamt 16 Milliarden DM begrenzenkönnen. Zu unserer positiven Bilanz gehört also, dass wirden Bundeszuschuss um insgesamt 22 Milliarden DM re-duziert haben. Das ist wahre Haushaltspolitik!
Kollege Riester, ge-statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn vonder PDS-Fraktion?Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-zialordnung: Entschuldigung, nein. Ich möchte jetzt imZusammenhang vortragen.
Ich komme nun auf das zu sprechen, was wir für dieje-nigen Menschen tun, die allein aufgrund von Wirtschafts-wachstum noch lange keinen Arbeitsplatz bekommen:
Jugendliche zum Beispiel, die keinen Hauptschulab-schluss haben und die vielleicht ein- oder zweimal ver-geblich versucht haben, eine Lehrstelle zu bekommen.Um diese Jugendlichen haben wir uns gekümmert. FrauSchwaetzer, ich komme nun auf Zahlen – dafür interes-sieren Sie sich ja – und auf das JUMP-Programm zu spre-chen. Wir haben über dieses Programm in zweieinhalbJahren 335 000 Jugendliche erreicht. 250 000 davon sindzwischenzeitlich in Ausbildung, in Weiterbildung oder imersten Arbeitsmarkt.
Frau Schwaetzer, Sie haben hier die Zahl ins Spiel ge-bracht, dass davon lediglich 1 000 im ersten Arbeitsmarktseien, und sich dabei verlogenerweise noch auf das Ar-beitsministerium berufen. Nun will ich Ihnen die Zahlen
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Bundesminister Walter Riester20215
nennen: Allein in diesem Jahr haben wir 92 840 Teilneh-mer am JUMP-Programm. Nun die genaue Aufschlüsse-lung: 33 526 haben mithilfe von Lohnkostenzuschüsseneine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt allein in die-sem Jahr erhalten, 38 500 sind in Ausbildungs- und Quali-fizierungsmaßnahmen und 20 400, also das kleinere Drit-tel, ist in Qualifizierungs-ABM, um den Sprung in denersten Arbeitsmarkt schaffen zu können. Das ist JUMP.
Nun zu einer weiteren Gruppe von Menschen, die un-serer Unterstützung bedürfen: Langzeitarbeitslose. Bi-lanz: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist in den letztenzweieinhalb Jahren um 300 000 gesunken.
Wer weiß, wie schwierig es ist, Menschen, die über12 Monate arbeitslos sind, in eine Beschäftigung zu ver-mitteln, kann die Leistung, die dahinter steht, einschätzen.
Eine weitere Gruppe, die allein durch Wachstum nichtin Arbeit kommt: Schwerbehinderte. Mit unserem Gesetzzum Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter habenwir die klare Zielmarke verbunden, die unerträglich hoheZahl arbeitsloser Schwerbehinderter, die wir von Ihnenübernommen haben – insgesamt 194 400 schwerbehin-derte Menschen waren nämlich 1998 arbeitslos –, um50 000 abzusenken. Die Zwischenbilanz lautet, dass dieZahl dieser Arbeitslosen auf 163 900, das heißt um30 500, abgesenkt werden konnte.
Dafür gilt unser Dank all den Betrieben, die sich hier ak-tiv einbringen. Der Dank gilt aber auch all denen in denArbeitsämtern, die zusätzliche Stunden leisten und sichder Sache verschreiben. Das sind die eigentlichenLeistungsträger. Bei denen können wir uns bedanken.
Es geht weiter: Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz – ja, da ha-ben Sie völlig Recht – legen wir ab dem 1. Januar die bis-her größte Vermittlungsoffensive auf.
Im Moment werden die Leute geschult, die als Vermittlereingesetzt werden; es handelt sich dabei um 2 000 zusätz-liche Vermittler in den Arbeitsämtern und außerhalb derArbeitsämter wird noch einmal die Kapazität von 1 000Vermittlern eingesetzt.Nun war die Frage der PDS, wohin denn die Menschenvermittelt werden sollten. Die Arbeitsämter haben in die-sem Jahr insgesamt 3,3 Millionen Menschen vermittelt.Wir haben im Moment noch 440 000 offene Stellen.
Die Wirtschaft erklärt – ob das stimmt, weiß ich nicht –,1,5 Millionen Stellen seien offen. Ich kann dazu nur sa-gen: Es ist die Pflicht der Wirtschaft, diese auch den Ar-beitsämtern zu benennen.
Eine Vermittlungsoffensive wird nämlich nur dort greifen,wo offene Arbeitsplätze auch gemeldet werden. Das ist al-lerdings die Bringeschuld der Wirtschaft.
Wir werden neben der Vermittlungsoffensive eineQualifizierungsoffensive starten. Die ist notwendig, da-mit ältere Menschen ihre Arbeitsplätze behalten. Dasnämlich ist der zweite große Punkt des Job-Aqtiv-Geset-zes: Wir bieten Qualifizierungsmaßnahmen für über50-Jährige in Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten an.Sie bekommen dafür auch finanzielle Unterstützung vonder Bundesanstalt für Arbeit. Das ist Mittelstandsförde-rung in der Arbeitsmarktpolitik. Wir schwätzen nicht nurdarüber, sondern machen konkret etwas.
– Das war ein schöner Zwischenruf der Frau Schwaetzer.Sie sagt, das alles sei ihr noch zu wenig. Sie hat vorhin ge-sagt: „Und das bisschen nennen Sie Reform?“
Wie Sie das nennen, Frau Schwaetzer, ist mir ziemlichegal. Ich will Ihnen aber sagen, wie das Volk Ihre Politik1997 genannt hat. Das Wort des Jahres 1997 war „Re-formstau“.
So hat das Volk Ihre Politik genannt. Dafür sind Sie abge-wählt worden.
Dafür, meine Damen und Herren, dass Sie sich erneutgegen die Steuerreform, gegen die Rentenreform und ge-gen die Arbeitsmarktreform stellen, werden Sie nichtmehr wiedergewählt;
denn die Menschen wollen Reformen. Sie wollen keineOpposition, die nur dasitzt und schreit, aber nichts tut.
Herr Seehofer, angesichts der wirklich katastrophalenBilanz, die Sie abgeliefert haben, werden Sie sicherlichverstehen, dass wir Ihre Vorschläge nicht gerne auf-nehmen.
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Bundesminister Walter Riester20216
Ich komme nun zum zweiten wichtigen Politikbereich,und zwar zur Politik für behinderte Menschen. Ich habedas Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwer-behinderter angeführt. Ich bedanke mich nochmals fürdas, was wir damit für die Integration Schwerbe-hinderter geschafft haben. Insgesamt konnten rund110 000 Schwerbehinderte in dieser kurzen Zeit vermit-telt werden.
Den großen Bereich der Rehabilitationsmaßnahmenhaben wir über das Sozialgesetzbuch IX für behinderteMenschen so servicefreundlich geregelt, dass sich der be-hinderte Mensch nicht mehr wie früher herumstreitenmuss, wer seine Maßnahmen bezahlt, sondern dass dieMaßnahme für ihn konkret organisiert wird. Das ist wahreUnterstützung für behinderte Menschen. Das Gleichstel-lungsgesetz, das wir eingebracht haben, wird der drittegroße Wurf einer umfassenden Politik für Menschen mitBehinderungen.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur drit-ten großen Säule, und zwar zur Rentenversicherung. Icherinnere mich noch daran, welche Vorwürfe erhoben wur-den, als wir für das zusätzliche Element, die Kapital-deckung, Mindestvoraussetzungen in das Gesetz schrie-ben. Jetzt schreit die ganze Truppe: Welche Vorkehrungenhabt ihr denn für den Fall getroffen, dass die Versiche-rungsunternehmen kommen? Genau deswegen haben wirdie Mindestvoraussetzungen festgeschrieben und im Ge-setz festgelegt, dass jedem mindestens seine Einzahlunggesichert bleibt und dass jeder anschließend eine monat-liche Zusatzrente bekommt.Die Dynamik, die sich jetzt am Markt entwickelt, stelltsich wie folgt dar: Zwischenzeitlich sind mehr als 70 Ta-rifverträge für mehr als 10 Millionen Menschen abge-schlossen, die dieses Element aufnehmen. Wir werdeneine Renaissance der betrieblichen Altersvorsorge erle-ben, wie es sie noch nie gegeben hat. Betriebliche Alters-vorsorge war in den 16 Jahren Ihrer Arbeit ein Auslauf-modell. Jetzt wird nicht nur in Großbetrieben, sondernauch in Tausenden von Kleinbetrieben die Einrichtung be-trieblicher Altersvorsorge erfolgen. Wäre man das, waswir gemacht haben, vor 15 Jahren angegangen, dann wür-den die Leute ganz anders dastehen, weil sie schon heutezusätzlich zu ihrer Sozialversicherungsrente eine zweiteSäule hätten.
Nun komme ich zur Rentenanpassung, zu der HerrSeehofer Rechnungen angestellt hat, die bloß amüsieren.
– Herr Seehofer, gehen wir doch einmal die Zahlenreihendurch und schauen uns die Rentenanhebungen der letztenvier Jahre, in denen Sie regiert haben, an: 1995 waren es0,5 Prozent, 1996 0,9 Prozent, 1997 1,6 Prozent und1998 0,4 Prozent.
Addiert ist das eine Rentenanhebung von rund 3,5 Pro-zent in vier Jahren. Nun schauen wir uns an, was Sie kri-tisiert haben: 1999 waren es 1,3 Prozent, 2000 0,6 Pro-zent, 2001 1,9 und 2002 höchstwahrscheinlich rund2 Prozent. Addiert sind das 5,8 Prozent. Herr Seehofer,jetzt müssen Sie einem Rentner einmal klarmachen, dassdie 5,85 Prozent, um die wir die Renten erhöht haben,weniger sind als die rund 3,5 Prozent, um die Sie die Ren-ten erhöht haben.Nun hat uns Herr Seehofer weismachen wollen, dieSozialversicherungsabgaben seien aufgebläht wie nie zu-vor. Übernommen haben wir von diesen feinen HerrenSozialversicherungsbeiträge von – das möchte ich beto-nen – 42,1 Prozent. Nun bezeichnet Herr Seehofer die vonuns erreichten 41 Prozent als aufgebläht wie nie zuvor.Herrlich!
Nun komme ich zu dem wichtigen Punkt der Schwan-kungsreserve. Herr Westerwelle hat uns da gestern dienassforschen Sätze gesagt – ich zitiere ihn –:Ich stelle mir einmal vor, die alte Regierung wäre andie Schwankungsreserve so herangegangen, wie Sie– also wir –das jetzt tun. Das hätte zu einem Aufstand auf der lin-ken Seite dieses Hauses geführt, aber davon wollenSie auch nichts mehr wissen.
Sie irren sich; wir wollen davon sehr wohl etwas wis-sen.
Deswegen sage ich Ihnen jetzt, wie es mit der Schwan-kungsreserve war: 1996 haben in der Schwankungs-reserve 9,5Milliarden DM gefehlt, 1997 ebenso und 19988,4 Milliarden DM.
Das bedeutet: Über drei Jahre hinweg haben Sie das Volkbelogen. Das hätte ich Ihnen nicht durchgehen lassen,wenn ich zu dieser Zeit schon hier gesessen wäre.
Der Rentenversicherungsbeitrag war künstlich um0,5 Prozentpunkte heruntergerechnet worden. Ihre Politikwar: tricksen und täuschen, tricksen und täuschen undnoch einmal tricksen und täuschen.
Das gibt es bei uns nicht! Wir wollen klare Verhältnisse.
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Bundesminister Walter Riester20217
In Abstimmung mit den Rentenversicherungsträgernwerden wir die Schwankungsreserve auf das 0,8-fache ei-ner Monatsausgabe der Rentenversicherung einpendeln.
Nicht Sie haben die Schwankungsreserve aufgefüllt, son-dern wir.
Wir haben die Rücklagen im Jahre 2000 um 10 Milli-arden DM und in diesem Jahr um 9 Milliarden DM auf-gefüllt.
– Herr Seehofer, darauf gehe ich gerne ein: Die Rückla-gen liegen jetzt 9MilliardenDM höher als die, die wir vonIhnen übernommen haben. Selbst im nächsten Jahr wer-den wir bzw. die Rentner 6,7 Milliarden DM mehr haben,als wir von Ihnen übernommen haben. Darüber bin ichfroh.
Wir machen eine Politik der Solidität und legen einensoliden Haushalt vor. Dadurch wird endlich aufgezeigt,dass diejenigen, die uns jetzt ein katastrophales Bild un-terstellen,
eine Katastrophe hinterlassen haben, und wie die Al-ternative einer ehrlichen Politik ausschaut.Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Frak-
tion, das Wort.
Herr Bundesarbeitsminister,
ich gestatte mir eine Vorbemerkung: Nach meiner Auffas-
sung ist es unangemessen und nicht Aufgabe eines Minis-
ters, eine vor drei Jahren abgewählte Regierung zu
kritisieren, statt auf den Haushalt des Jahres 2002 näher
einzugehen.
Die Situation ist ernst genug. Das zu erwartende Ergebnis
wird zeigen, dass man sich darauf konzentrieren muss,
darzustellen, was zu tun ist.
Herr Bundesarbeitsminister, meine konkrete Frage: Sie
haben die Mittel für die Bundesanstalt für Arbeit um
4 Milliarden DM aufgestockt. Das entspricht nach Aus-
kunft der Bundesanstalt für Arbeit der Höhe der Mittel,
die für das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe der
neu hinzukommenden 400 000 Arbeitslosen aufgebracht
werden müssen; für 100 000 Arbeitslose müssen nämlich
1Milliarde DM angesetzt werden. Sie haben also für diese
zusätzlichen 400 000 Arbeitslosen – wahrscheinlich wer-
den es mehr werden; das ist jetzt schon abzusehen – nicht
eine müde Mark für den Bereich der Arbeitsförderung –
ich nenne das Job-Aqtiv-Gesetz und die Eingliederungs-
pläne – übrig. Es gibt zwar eine Aufstockung der Stellen
bei der Bundesanstalt für Arbeit aufgrund des Job-Aqtiv-
Gesetzes. Dabei sind die 400 000 zusätzlichen Arbeits-
losen aber nicht berücksichtigt.
Ich frage Sie deshalb: Können Sie erklären, wie diese
Maßnahmen angesichts von 400 000 weiteren Arbeits-
losen – wahrscheinlich werden es mehr sein – finanziert
werden sollen?
Herr Minister, Sie ha-
ben Gelegenheit zur Antwort.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Grehn, zunächst eine kurze Bemer-
kung. Sie müssen schon mir überlassen, ob ich den Maß-
stab für den Erfolg meiner Politik auch an die Politik der
alten Bundesregierung anlege, die versagt hat und deshalb
abgewählt wurde.
Das habe ich in meiner Rede zum Haushalt getan. Ich
habe in diesem Zusammenhang aufgezeigt, was wir ma-
chen und was wir in Zukunft machen werden.
Nun komme ich zu Ihrer Frage. Der Bundeszuschuss in
Höhe von 4 Milliarden DM, 2 Milliarden Euro, ist erfor-
derlich geworden, weil wir Mehrausgaben für die zu er-
wartenden zusätzlichen Arbeitslosen haben, was vor ei-
nem Jahr noch nicht unterstellt werden konnte.
Die Maßnahmen für die aktive Arbeitsmarktpolitik sind
nicht eingeschränkt worden.
Man muss sehen, dass wir das Volumen der Maßnah-
men konstant lassen, obwohl wir schon in einem ganz er-
heblichenMaße die Reduzierung derArbeitslosigkeit, wie
ich aufgezeigt habe, realisiert haben. Der Mitteleinsatz,
den wir erbringen, ist also deutlich gesteigert worden.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Lieber Herr Bundesarbeitsmi-
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Bundesminister Walter Riester20218
nister, mit Tricksereien und Taschenspielertricks werdenSie nicht davon ablenken können, dass Sie es vermurkstund verriestert haben und dass Sie im Endeffekt Ihre ge-samten Wahlversprechen nicht erreicht haben. Sie habenim Bereich der Arbeitsmarktpolitik komplett versagt.
Seit Beginn dieser Legislaturperiode erzählen Sie im-mer nur, was für eine schlimme Erbschaft Sie übernom-men haben. Es hat Sie keiner gezwungen, diese Erbschaftanzutreten. Sie haben das gewollt. Nun klagen Sie auf ho-hem Niveau. Sie regieren aber seit über drei Jahren undmüssen sich an Ihren Taten messen lassen, die Sie in Ih-rer Regierungszeit nicht zustande gebracht haben.Sie haben von Anfang an gesagt, das wichtigste Ziel seider Abbau der Arbeitslosigkeit. Ich komme nachher nochauf den Bundeskanzler und sein Interview im „Spiegel“seinerzeit zurück. Ihre gesamten Gesetzgebungsverfahrenhaben nicht dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu schaffenund Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie haben hier zwar einetolle Statistik vorgetragen. Aber Sie haben vergessen, dasswir im Saldo 675 000 Abgänge aufgrund der demogra-phischen Entwicklung hatten.
Jedes Jahr verlassen mehr Menschen den Arbeitsmarkt,als neu hinzukommen.
Das verkaufen Sie uns hier als Ihren Erfolg.Herr Bundesarbeitsminister Riester, Sie haben nichtberücksichtigt, dass Sie weit über zwei Jahre eine hervor-ragend brummende Konjunktur gehabt haben,
die darüber hinweg getäuscht hat, dass Sie in der Arbeits-marktpolitik kläglich versagt haben.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hatam Anfang der Woche zu dem von Ihnen viel gepriesenenTeilzeitpflichtgesetz eine Umfrage veröffentlicht, wonach250 000 Arbeitsplätze nicht geschaffen worden sind. Die-ses Gesetz führt dazu, dass vor allem wieder Frauen dis-kriminiert werden;
denn 87 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten sind nun ein-mal Frauen.
Wenn jemand, der einen Arbeitsplatz anzubieten hat,Gefahr läuft, dass ein potenzieller neuer Arbeitnehmeroder neue Arbeitnehmerin nach sechs Monaten Vollzeit-arbeit einen Teilzeitarbeitsplatz gesetzlich durchsetzenund vor Gericht einklagen kann, dann überlegt man sichdoch zweimal – gerade weil es in vielen Bereichen einenFachkräfte- und Arbeitskräftemangel gibt –, ob man dieseArbeitnehmer einstellt.
Dieses vielleicht gut gemeinte Gesetz zum Schutz vonFrauen richtet sich also vor allem wieder gegen diejeni-gen, die Sie eigentlich schützen wollen. Das zieht sich wieein roter Faden durch Ihre gesamten Schutzgesetze.Sie haben es nicht geschafft, die Sozialversicherungs-beiträge deutlich zu senken. Wir werden im nächsten Jahrwieder über 41 Prozent liegen. Sie haben auch bei diesemWahlversprechen kläglich versagt. Das liegt unter ande-rem daran, dass Sie die Arbeitslosenversicherung immerwieder mit gesamtgesellschaftlichen Aufgaben belastethaben.
Das so genannte JUMP-Programm, von dem Sie er-zählen, dass es der große Renner sei, hat gemäß Ihremwissenschaftlichen Begleitbericht nur 1 000 Menschenin den ersten Arbeitsmarkt gebracht. Die Zahlen, die Siehier angeführt haben, sind kurzfristige Maßnahmen vonbis zu einem Jahr, die nicht dauerhaft in den ersten Ar-beitsmarkt integrieren. Das ist eine Monstranz, die Sie vorsich hertragen!
Ihr Sachverständigenrat hat Ihnen vorgeworfen, dassohne weitere Reform und Flexibilisierung auf dem Ar-beitsmarkt kein positives Ergebnis erzielt werden kann.Sie haben alles getan, um nicht zu flexibilisieren. Sie ha-ben alles getan, um weitere bürokratische Hemmnisseaufzubauen. Das ist die funktionärische Mitbestimmung,die nicht dazu führt, dass die Betriebe tatsächlich in dieLage versetzt werden, ihre Mitarbeiter zu beteiligen, son-dern nur dazu, dass die Wahlkampfunterstützung desDeutschen Gewerkschaftsbundes von 50 Millionen DMzurückgezahlt wird.
Sie haben mit der so genannten Greencard eine Sai-sonarbeiterlösung für Menschen geschaffen, die nichtSpargel stechen müssen. Diese Patchworkpolitik setzenSie jetzt mit der von Ihnen angekündigten Greencard fürPflegekräfte fort. Es ist natürlich bemerkenswert, dass wirdiese Stellen bei 22 000 arbeitslos gemeldeten Pflege-kräften nicht besetzen können. Aber besonders bemer-kenswert ist ein ganz anderer Umstand, Herr Riester: Siewollen mit Touristenvisum eingereiste Menschen, die il-legal beschäftigt sind, legalisieren; aber diejenigen, dielegal in diesem Land sind, die sich hier aufhalten dürfen,die Sozialleistungen beziehen müssen, weil sie nicht ar-beiten dürfen, wollen Sie nicht legalisieren. Das müssenSie erst einmal jemandem erklären.
Wir haben – damit komme ich auch noch zu den Grü-nen, die wahrscheinlich ihre letzte Haushaltsberatung alsRegierungsfraktion hier erleben – im Bereich des Nied-riglohnsektors und bei den Kombilöhnen keine Fort-schritte erzielt.
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Dirk Niebel20219
Nur, weil Ihr Bundesvorsitzender jetzt durch die Gegendläuft und das Einstiegsgeld fordert, heißt das noch langenicht, dass Sie in diesem Bereich irgendetwas Konstruk-tives getan hätten.
Hätten Sie das gewollt, dann hätte er, als er noch im Land-tag von Baden-Württemberg saß, die Einführung des Ein-stiegsgeldes dort unterstützen können. Jetzt läuft er durchseinen neuen Wahlkreis – zu dem er nur den Bezug hat,dass seine Frau in Heidelberg studiert hat – und weiß nochnicht einmal, dass das Einstiegsgeld von Baden-Würt-temberg in diesem Wahlkreis bereits seit über einem Jahrerfolgreich erprobt wird, eingeführt von der CDU/FDP-Regierung in Baden-Württemberg, ein erfolgreiches Kon-zept, durch das Menschen aus der Transferleistung in denArbeitsmarkt geführt werden und mit der Kombinationvon Arbeitseinkommen und eingesparter Sozialversi-cherungsleistung ein existenzsicherndes Einkommen er-reichen.
Insgesamt muss man angesichts der Bilanz feststellen– diese letzte Haushaltsberatung ist sozusagen die BilanzIhrer Regierungszeit –, dass Sie das Hauptziel Ihrer Re-gierung nicht erreicht haben – auch wenn Sie immer sotun, als wenn Sie gar nicht in der Lage wären zu ent-scheiden. Sie hätten regieren können, Sie hätten handelnkönnen und Sie hätten tatsächlich etwas bewegen können,wenn Sie den Mumm dazu gehabt und sich nicht auf diealte Linke verlassen hätten, sondern tatsächlich Politik fürdie Neue Mitte gemacht hätten.Der Bundeskanzler hat am 21. September 1998 im„Spiegel“-Interview gesagt – damit komme ich zumSchluss –: Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosen-zahlen signifikant zu senken, dann haben wir es nicht ver-dient, wiedergewählt zu werden, und dann werden wirauch nicht wiedergewählt werden. – Ich muss Ihnen sa-gen: Recht hat er, der Bundeskanzler!
Alsnächste Rednerin hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardtvon Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
gen! Herr Niebel, dann machen wir das doch einmal, dannlassen wir uns doch einmal an den Taten messen und zie-hen eine Bilanz bzw. schauen uns an, was der Sachver-ständigenrat als Zwischenbilanz dieser Regierung gezo-gen hat.Der Sachverständigenrat hat zu Recht gesagt, dasdrängendste Problem sei die Situation auf dem Arbeits-markt und hierfür müssten vernünftige Rahmenbedin-gungen geschaffen werden.
Das sieht diese Regierung genauso.
Der Sachverständigenrat nennt dafür Bedingungen. Ersagt, dass das Abschneiden im Standortwettbewerb im in-ternationalen Vergleich für Deutschland das Entschei-dende sei.
Weiter kann man im Gutachten des Sachverständigen-rates lesen: Die Weichenstellungen dieser Regierung imBereich Steuerreform und im Bereich Rentenreform sindzukunftsweisend. – Auch das müssen Sie bitte zur Kennt-nis nehmen, wenn Sie sich hier auf solche unabhängigenGutachten berufen.
Der entscheidende Punkt in dieser Frage ist und bleibtdie Beitragssatzentwicklung und die Frage der Lohnne-benkosten. Da sind wir wahrscheinlich nach wie vor ei-nig. Ich höre von Ihnen seit Jahren – seit wir an der Re-gierung sind – nur eines: Es ist zu wenig. Sie machenkeine eigenen Vorschläge.
Während Ihrer Regierungszeit habe ich aber nur eines er-lebt:
Sie haben darüber geredet und die Beiträge sind immerweiter gestiegen. Hier hat die Regierung einen Kurs-wechsel vorgenommen. Das haben Sie zur Kenntnis zunehmen.
Wenn wir uns das Gutachten des Sachverständigenratsnoch einmal genauer anschauen, dann sehen wir, dass erdie Steuer- und Rentenreform als „effizienzsteigernd“und „zukunftsweisend“ für den ProduktionsstandortDeutschland bezeichnet. Es geht um eine nachhaltigeUnterstützung des Arbeitsmarktes durch die Senkung derLohnnebenkosten. Das ist die Antwort der Bundesregie-rung auf das, was in dieser Situation konjunkturell not-wendig ist.Der Sachverständigenrat hat zu Recht gesagt, dasskurzfristige Maßnahmen es nicht bringen werden.Durch sie können keine weiteren Reformen eingeläutetwerden. Es ist richtig, dass die Bundesregierung nichtsanderes machen kann, als im Bereich des Arbeits-markts Rahmenbedingungen zu setzen. Für die Schaf-fung von Arbeitsplätzen muss nach wie vor die Wirt-schaft sorgen.
Die Bundesregierung ist nicht für Wunder zuständig;Walter Riester ist nicht Jesus Christus. Auch wenn Sie hier
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Dirk Niebel20220
vom Weihnachtsmann reden, müssen Sie das zur Kennt-nis nehmen.
Es ist deshalb richtig, dass wir mit dem Angreifen derSchwankungsreserve deutlich gemacht haben, dass dieSenkung der Lohnnebenkosten weiterhin ein zentralesAnliegen der Regierung ist. Es gibt in der Tat einen Un-terschied zu dem, was Sie vor den letzten Wahlen hier ver-anstaltet haben. Auch Sie haben gesagt, dass Sie an dieSchwankungsreserve herangehen würden. Der Unter-schied besteht aber darin, dass wir ohne Trickserei eintransparentes Gesetz machen.
Wir machen es für alle Menschen in diesem Land durch-schaubar und wir sichern ab.
Sie haben Wahl-ABM gemacht und Trickserei betrieben.Wir stellen die Weichen langfristig.Deswegen haben wir mit den Rentenversicherungenund allen Sachverständigen darüber geredet, wie wir einetatsächlich seriöse Absenkung der Schwankungsreserveerreichen können, ohne dass die Rentenversicherung inLiquiditätsschwierigkeiten kommt,
wie dies während Ihrer Regierungverantwortung, FrauSchwaetzer, tatsächlich geschehen ist.
Ich kann Sie gerne daran erinnern: Mit 0,58 Monatsaus-gaben hat die Schwankungsreserve in den Jahren 1996und 1997 ihren Tiefstand erreicht. Ich erinnere Sie auchgerne daran, wie das in den Jahren 1984 und 1985 war.
Zu dieser Zeit musste ein Kassenverstärkungskredit auf-genommen werden, damit die Liquidität gewährleistetwerden konnte. Auch in den Jahren 1996 und 1997 betrugdie Schwankungsreserve nur 60 Prozent; wenn man nurdie liquiden Mittel nimmt, sogar nur 50 Prozent. Das müs-sen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Das haben Sie ohneeine gesetzliche Regelung gemacht. Sie haben auch nichtdeutlich gemacht, wie hier tatsächlich die Liquidität ab-gesichert werden kann.Ich glaube, dass wir mit der Rentenreform nicht nur ak-tuell, sondern – schauen Sie sich die Situation an! – auchüber viele Jahre hinaus deutlich gemacht haben, welch ho-hen Stellenwert die Lohnnebenkosten für uns, für dieWirtschaft und für diese Regierung haben. Deswegen ha-ben wir gesagt, dass die Beitragssatzmarken von 20 Pro-zent bis zum Jahre 2020 und von 22 Prozent bis zumJahre 2030 nicht überschritten werden dürfen.
– Nein, es ist heute keine Makulatur. – Wir haben hiermitdeutlich gemacht, wo für uns die Grenze liegt, und wir ha-ben es gesetzlich festgelegt. Alle Prognosen – auch dieschlechten, die Sie immer anführen – geben uns hierbeiweiterhin Recht.
Herr Seehofer, in einem gebe ich Ihnen Recht: Das al-les ist nicht das Ende der Reformen. – Man muss, wennman sich anschaut, welches Desaster Sie uns hinterlassenhaben, schon sagen, dass man das alles nicht innerhalbvon drei Jahren reparieren kann. Das werden Sie uns zu-gestehen. Natürlich sind weitere Reformen notwendig; siestehen an. Wir haben gute Grundlagen dafür gelegt undwerden die Reformen fortführen.Es braucht weitere Reformen im Bereich des Arbeits-marktes, zum Beispiel zur Flexibilisierung. Herr Niebelist jetzt leider nicht mehr da. Der Unterschied zwischender Flexibilisierung, die die FDP vorgibt, und der, diediese Bundesregierung vorsieht, besteht darin, dass Siegegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer flexibili-sieren wollen, während wir dies für und mit den Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern wollen. Das ist dertatsächliche Unterschied.
Hinzu kommt natürlich, dass wir weitere Reformen imBereich der Steuern und der Rente brauchen. Diese Re-formen werden wir angehen, aber nicht mit dem Gerede,welches Sie nach Ihrer Regierungszeit von 16 Jahren – indiesen Jahren haben wir steigende Beiträge, die Wahl-ABM und das Gequatsche von der sozialen Hängematteerlebt – immer wiederholen. Wir werden sie für die Men-schen machen und nicht gegen sie. Das ist der Unter-schied.Vielen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Pia Maier von der PDS-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Im Armuts- und Reichtumsbericht hat
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Katrin Göring-Eckardt20221
die Bundesregierung festgestellt, dass in Deutschland bis1998 in fast allen Lebenslagen soziale Ausgrenzung zu-genommen und Verteilungsgerechtigkeit abgenommenhat. Wenn Sie daran in den letzten drei Jahren etwas geän-dert hätten, müsste man das eigentlich an diesem Haushaltsehen. Die Reden zum Haushalt vonseiten der SPD warenaber, abgesehen vom Minister, durch die Reden von Haus-hältern und nicht von Sozialpolitikern und Sozialpolitike-rinnen bestimmt. Meine These ist: Dieser Haushalt wirddie soziale Schieflage noch verstärken.
Die meisten Menschen bekommen Sozialhilfe, weil siearbeitslos sind und ein zu geringes Einkommen haben.Aber auch Menschen, die arbeiten, sind in zunehmendemMaße auf eine ergänzende Sozialhilfe angewiesen, näm-lich jene, die zu wenig verdienen. Dies ist vor allem imOsten der Fall, und das trotz Vollzeiterwerbsarbeit. IhreAntwort darauf ist nicht etwa ein gesetzlicher Mindest-lohn. Vor allem die Grünen wollen neue Kombilohnmo-delle und den Ausbau des Niedriglohnsektors, anstatt Ar-beit zu schaffen, von der die Menschen leben können.In Ihren Absichtserklärungen sind die Menschen mitBehinderungen für Sie immer sehr wichtig. Aber auch siesind – das ist im Armutsbericht wissenschaftlich nachge-wiesen – von Armut betroffen.Sie haben mehrere Gesetze zur Gleichstellung einge-bracht, bei denen aber die Finanzierung ebenso wie beimJob-Aqtiv-Gesetz offen bleibt. Auch beim neuen Gleich-stellungsgesetz ist die Finanzierung nicht geklärt.Wer hat dann zum Beispiel die Mehrausgaben für dieHerstellung der Barrierefreiheit zu tragen? Das sind, wieso oft, die Kommunen. Sie finanzieren die Arbeitslosig-keit mit, bekommen immer weniger Einnahmen aus derGewerbesteuer, werden zuerst ausgeblutet, wenn dieSteuereinnahmen zurückgehen. Trotzdem bemühen sichwenigstens die Kommunen darum, einer der am meistenvon Armut und Sozialhilfe betroffenen Gruppe zu helfen:den allein stehenden Frauen mit Kind. Mittlerweile redenwir schon vom „Armutsrisiko Kind“; das ist doch wirk-lich ein Armutszeugnis für diese Gesellschaft.
Frauen mit Kindern bekommen Kindergeld. FürSozialhilfeempfängerinnen ist das aber bereits das Pro-blem. Das Kindergeld wird nämlich als Einkommen ge-wertet. Von der Kindergelderhöhung, mit der Sie sich sobrüsten, kommt bei diesen Frauen fast nichts an. Für siestellt dies keine Veränderung ihrer Einkommenssituationdar. Es bedeutet nur, dass das Sozialamt jetzt weniger zah-len muss, weil der Bund einen Teil davon übernimmt. Vonder schönen Kindergelderhöhung sind bei den Sozialhil-feempfängern und Sozialhilfeempfängerinnen mit Kin-dern per Ausnahmeregelung gerade einmal 20 DM imMonat angekommen. Immerhin wird diese Regelung ver-längert. Damit aber flicken Sie nur an einer ungerechtenRegelung, ohne das System wirklich zu verändern.
Dabei könnten Sie ein existenzsicherndes Kindergeldeinführen. Sie könnten die steuerlich wirksamen Kinder-freibeträge abschaffen, die insbesondere denen zugutekommen, die viel verdienen. Im Gegenzug könnten Siedas Kindergeld deutlich erhöhen oder eine Grundsiche-rung für Kinder einführen. Nichts dergleichen ist passiert.
Sie selbst haben doch einen Weg eingeschlagen, denSie nur weitergehen müssten: Die Grundsicherung kannfunktionieren. Bei der Rentenreform haben Sie eineGrundsicherung beschlossen, die die Rente in Höhe derSozialhilfe sichert, und zwar ohne weitere Amtsgänge undohne dass die Kinder im Zweifelsfall zahlen müssen.Die PDS-Fraktion schlägt vor, eine solche Grundsiche-rung auch in der Arbeitslosenversicherung einzuführen.Für alle Arbeitslosen soll gelten, dass sie in die Arbeitslo-senversicherung gehören und ihnen Leistungen in Höheder Sozialhilfe zustehen. Welcher Topf angezapft werdensoll, das können die Ämter untereinander klären. Dieserbescheidene Schritt wäre endlich ein Signal an Arbeitsloseund an arbeitslose Sozialhilfeberechtigte, dass ihre Situa-tion wirklich grundsätzlich verändert werden soll.
Armut und Ausgrenzung sind ohne deutliche Korrek-turen in der Sozial- und Finanzpolitik nicht zu bewältigen.Sie rühmen sich ja damit, dass Sie auch einen Reichtums-bericht vorgelegt haben. Wenn Sie daraus nur endlicheinmal Konsequenzen ziehen würden!Ich möchte nur ein Beispiel nennen: 10 Prozent derdeutschen Haushalte besitzen 42 Prozent des gesamtenPrivatvermögens. Durch die Aussetzung der Vermögen-steuer gehen jährlich 9 Milliarden DM Steuereinnahmenverloren. Die IG Metall hat jüngst sogar ausgerechnet,dass es bei einer Vermögensteuer von 1 Prozent zu Mehr-einnahmen in Höhe von 10 bis 15 Milliarden Euro kom-men würde. Ohne diese großen Vermögen heranzuziehen,wird nie genug für eine Verteilungspolitik von oben nachunten bleiben.Genauso haben Sie eine Initiative der Länder ausge-schlagen, die Erbschaftsteuer zu verändern. In den nächs-ten Jahren werden reichlich große Vermögen vererbt. Siekönnten die großen Vermögen, insbesondere die großenImmobilienvermögen, anders besteuern, um dadurch Ein-nahmen zu erzielen, die Sie dann zur Finanzierung einerVerteilungspolitik einsetzen könnten. Die Bezieher höhe-rer Einkommen müssen in die Finanzierung der sozialenSicherheit einbezogen werden, sonst werden all Ihre Ren-ten- und Arbeitslosenversicherungsreformen Stückwerkbleiben und das System nicht grundlegend verändern.Sie wollen hier eine Haushaltskonsolidierung auf Kos-ten der Ärmsten verabschieden. Unsere Unterstützung er-halten Sie dafür nicht.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Renate Jäger von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Die Vorsitzende der CDU-Partei be-
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Pia Maier20222
gann ihre Rede gestern im Bundestag mit dem Vorwurf andie Regierungsseite, keinen einzigen neuen Gedanken zuhaben. Auch Herr Fuchtel hat unentwegt neue Wege ein-gefordert.Ich habe mir erlaubt, einmal in dem Diskussionspapierder CDU von Ende August, das also recht jung ist, mitdem Titel „Neue Soziale Marktwirtschaft“ nach neuenGedanken im sozial- und arbeitsmarktpolitischen Bereichzu suchen: In dem Abschnitt „Arbeit für alle ermögli-chen“ kommen solche Vorschläge wie: Der Beschäftigtemuss auf dem Arbeitsmarkt Risiken eingehen. Es solltendie Zehnstundentagesgrenze der Arbeitszeit abgeschafftund mehr Öffnungsklauseln durch die Tarifpartner ver-einbart werden können. Das neue Betriebsverfassungs-gesetz soll zurückgenommen und quasi ganz außer Kraftgesetzt werden. Der Kündigungsschutz wird infrage ge-stellt und befristete Arbeitsverhältnisse sollen bis auf vierJahr ausgedehnt werden können.Dies sind allesamt Vorhaben, von denen nicht eines denBeweis erbracht hat, dass dadurch mehr Arbeitsplätze ent-stehen. Und neu sind diese Vorhaben schon gar nicht. ImGegenteil: Das ist ein Zeichen für die alte ungerechte De-regulierungspolitik aus der Zeit vor 1998, die mit uns sonicht zu machen ist.
Die Forderung der CDU in ihrem Papier, Langzeitar-beitslose und Sozialhilfeempfänger durch Weiterqualifi-zierung und effektive Vermittlung wieder in den erstenArbeitsmarkt einzugliedern, ist richtig, aber neu ist sienicht. Wir haben das längst im Job-Aqtiv-Gesetz mit ei-ner ganzen Reihe von Instrumenten umgesetzt. Ich nennenur einige: Jobrotation bei betrieblicher Freistellung fürWeiterbildung, Lohnerstattung für Arbeitgeber, die geringqualifizierte Arbeitnehmer einstellen und qualifizieren,Weiterbildung in Teilzeitform, berufliche Weiterbildungvon älteren Arbeitnehmern. Außerdem haben wir das Kin-derbetreuungsgeld für Erziehende bei Weiterbildungs-maßnahmen von 250 DM installiert.Um die Vermittlung effektiver zu gestalten, werden inden nächsten Jahren 3 000 zusätzliche Vermittler – dassind 30 Prozent mehr als bisher – ihre Tätigkeit in den Ar-beitsämtern aufnehmen.
Diese Vermittler haben die Aufgabe, nicht nur auf die der-zeit gemeldeten 443 000 Stellen zu vermitteln, sondernauch die geschätzten 1,5 Millionen offenen Stellen zu er-schließen und passgenauere Vermittlungen zu ermögli-chen. Dies haben Sie trotz Ihres eigenen Wunsches poli-tisch nie möglich gemacht.Auch die CDU-Forderung, dass sich Arbeitnehmer beiabsehbarer Arbeitslosigkeit sofort zwecks Erarbeitung ei-nes Hilfskonzeptes an das Arbeitsamt wenden sollen, istzwar löblich, aber bereits durch die Eingliederungsver-einbarung in unserem Gesetz erfüllt, die den Betroffenengrößtmögliche Beschäftigungschancen bietet.
Hinsichtlich der Zusammenführung von Arbeitslosen-hilfe und Sozialhilfe hat die CDU die banalste Idee: Ab-senkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau.
Ob dies sachgerecht ist, wage ich allerdings zu bezwei-feln.
Wir jedenfalls werden die begonnenen 29 Modellprojekteordnungsgemäß zu Ende führen,
auswerten und danach eine sachgerechte Lösung erarbei-ten. Das ist solide Politik.
Wenn die CDU/CSU Kinder und Behinderte aus derSozialhilfe herausführen will, dann kommen Sie auch hieretwas zu spät; denn die Regierungskoalition ist längst aufdem Weg dorthin.
In drei Jahren haben wir das Kindergeld um 80 DM er-höht, die Freibeträge für Familien heraufgesetzt, die Ein-kommensteuer gesenkt, das Wohngeld verbessert und dieBAföG-Sätze erhöht. All das entlastet Familien mit Kin-dern.
Außerdem sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass seitunserem Regierungsantritt die Zahl der Sozialhilfeemp-fänger insgesamt deutlich zurückgegangen ist. ImJahr 2000 war es bereits ein Rückgang von 8 Prozent. Wasdie Behinderten betrifft, so hat unser Gesetz zur Bekämp-fung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter bereits sol-che Erfolge gezeigt, dass in zwei bis drei Jahren die Ziel-größe von 50 000 zusätzlichen schwerbehindertenBeschäftigten voraussichtlich überschritten werden wird.All diese Realisierungen Ihrer eigenen Ziele haben Sie imBundestag abgelehnt. Das ist symbolhaft für den ZustandIhrer Partei.
Die CDU spricht auch die regional unterschiedlichenBeschäftigungschancen an. Diese gibt es tatsächlich. Unsallen bereitet die besonders hohe Arbeitslosigkeit imOsten große Sorge. Jedoch Vorschläge für Beschäfti-gungs- und Infrastrukturentwicklung in den neuen Län-dern sind bei ihr nicht zu finden. Es ist bekannt, dass eingroßer Teil der Arbeitslosigkeit des Ostens auf den Abbauder Überkapazitäten im Bau sowie im öffentlichen Dienstzurückzuführen ist. Das eine ist ein Erbe der Kohl-Zeit,das andere immer noch Erbe aus SED-Zeiten. Trotz die-ser Erblasten ist es uns gelungen, die Arbeitslosigkeit in
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Renate Jäger20223
allen neuen Bundesländern seit 1998, wenn auch gering,zu senken. Zu Ihrer Zeit betrug die Arbeitslosigkeit in al-len neuen Ländern zwischen 21 und 24 Prozent.
Nunmehr beträgt sie in allen neuen Ländern zwischen15 und maximal 19 Prozent.
Das konnte nur erreicht werden, weil wir die aktiveArbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau verstetigt haben
und weil wir das Sofortprogramm zum Abbau der Ju-gendarbeitslosigkeit mit 50 Prozent im letzten Jahr finan-ziert haben und mit über 50 Prozent im kommenden Haus-halt in den neuen Ländern finanzieren werden. Auch vondem neuen Instrument der Beschäftigung schaffendenInfrastrukturförderung werden in Zukunft besonders dieneuen Länder profitieren.Beschäftigung schaffen wir auch durch solche Förder-maßnahmen wie das Investitionsprogramm Verkehrsin-frastruktur mit einem Volumen von 34,9 Milliarden DM,das Zukunftsinvestitionsprogramm für Schiene undStraße von 8,7 Milliarden DM, das Wohnungsmoderni-sierungsprogramm, das Programm „Stadtumbau Ost“, fürdas bis 2009 4,3Milliarden DM zur Verfügung stehen, so-wie die Städtebauförderung mit erhöhtem Budget für denOsten.
Frau Kol-
legin Jäger, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Dr. Luft von der PDS?
Ich möchte gerne meine Rede
zu Ende führen. Ich denke, die Sitzung wird heute lange
genug dauern.
Dann
kommen Sie bitte zum Ende.
Im innovativen Bereich haben
wir das Programm „Innovative regionale Wachstums-
kerne“.
Wir fördern das Programm FUTOUR weiter. Wir haben
das wesentlich umfassendere Inno-Regio-Programm, bei
dem durch neue Verbünde zwischen Forschung, Wirt-
schaft und Verwaltung die Entwicklung marktfähiger Pro-
dukte und Dienstleistungen im Osten gefördert wird. Das
ist ein ganz neues Instrument, von welcher Art ich in
Ihrem Papier nichts gefunden habe.
Frau Kol-
legin Jäger, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sie sehen also:
In nahezu allen notwendigen Bereichen machen wir Poli-
tik für die neuen Länder: nicht mit Stop-and-go, sondern
stetig, solide und zuverlässig.
Vielen Dank.
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Dr. Christa Luft
von der PDS-Fraktion das Wort.
Ich bitte um Entschuldigung.Ich hätte mich ja auf eine kurze Frage beschränkt. Dannwäre alles viel fixer gegangen.Frau Kollegin Jäger, ich habe mich zu meiner Kurz-intervention animieren lassen, weil Sie gesagt haben, dieArbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern sei in denletzten Jahren statistisch heruntergegangen. Ich bitte,keine Legenden zu verbreiten. Es geht nicht nur um Zah-len, sondern auch um deren Interpretation. Sie könnendoch nicht außer Acht lassen, dass von 1998 bis heute eineerhebliche Abwanderung vor allem qualifizierter und mo-biler junger Menschen stattgefunden hat, die deshalb dieArbeitslosenstatistik Ostdeutschlands nicht belasten. Essind außerdem sehr viele frühverrentet worden, die eben-falls aus der Arbeitslosenstatistik herausgefallen sind. Wirdürfen das, was Sie eben statistisch dargestellt haben,nicht feiern.Hinzu kommt, dass es in den neuen Bundesländern ei-nen außerordentlich großen Niedriglohnbereich gibt – dieZahlen sind schon genannt worden –, in dem das durch-schnittliche Verdienstniveau bei 62 Prozent der Brut-tolöhne liegt, die in den alten Bundesländern gezahlt wer-den. Das alles darf man nicht außer Acht lassen. Man darfdie Lage in den neuen Bundesländern nicht schönen. Das,was dort stattfindet, ist eine absolute Katastrophe.
Um die dortige Misere zu beheben, braucht man andereInstrumente als das Job-Aqtiv-Gesetz; denn das reichtnicht.Da bisher niemand gefragt hat, weshalb im Haushalt2002 für die Umsetzung des Job-Aqtiv-Gesetzes nichteine müde Mark veranschlagt worden ist, frage ich: Wieist das möglich, wenn man bedenkt, dass zusätzlich 2 000Vermittler – 1 000 weitere sollen durch Umverteilung beider Bundesanstalt für Arbeit mobilisiert werden – vonaußen gewonnen und eingestellt werden sollen? Manmuss doch wohl unterstellen, dass ein Vermittler im Jahrzwischen 50 000 und 60 000 DM kostet, wenn man denArbeitgeberanteil einrechnet. Das wird Kosten von bis zu
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Renate Jäger20224
120Millionen DM verursachen, die offenbar dem Etat derBundesanstalt für Arbeit und folglich auch für eine aktiveArbeitsmarktpolitik verloren gehen.Außerdem gilt: Man kann niemanden vermitteln, wennes keine Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt.
Frau Kol-
legin Jäger, wollen Sie erwidern? – Bitte schön.
Frau Dr. Luft, ich glaube, man
muss es nicht als eine Beschönigung deuten, wenn ich ei-
nige Fakten nenne. Ihre Behauptung, ich hätte etwas be-
schönigt, weise ich zurück. Wir sind uns der Probleme im
Osten wohl bewusst.
Nur, wie sähe die Entwicklung im Osten nach dem Zu-
sammenbruch der sozialistischen Wirtschaft aus, wenn
wir all diese Maßnahmen nicht durchgeführt hätten? Sie
wissen besser als wir, dass die strukturelle Entwicklung
im Osten durch die sozialistische Wirtschaft verursacht
worden ist. Sie sollten anerkennen, dass wir uns bemühen,
im bildungspolitischen, im wirtschaftspolitischen, im in-
frastrukturellen sowie im sozial- und arbeitsmarktpoliti-
schen Bereich Schritte zu machen, um die Entwicklung
voranzubringen.
Das Worthat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann von der CDU/CSU-Fraktion.Karl-Josef Laumann (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Gestern fand ich im Ticker einedpa-Meldung. Laut dieser wurden auf die Frage, mit wemaus der aktuellen Regierungsmannschaft Schröder weiter-hin zusammenarbeiten sollte, am häufigsten abgelehnt:Herr Trittin, Herr Scharping und der sozialdemokratischeArbeitsminister Riester.
Herr Riester, dass Sie auf dieser Beliebtheitsskala mitScharping gleich aufliegen, sollte Ihnen wirklich zu den-ken geben.
Wissen Sie, warum das so ist? Das ist deswegen so,weil es außer Ihrem Politikbereich keinen anderen inDeutschland gibt, in dem das, was Sie in den letzten dreiJahren veranstaltet haben, so weit von dem entfernt ist,was Sie im Wahlkampf 1998 gesagt haben.
Sie merken das auch – das betrifft Ihre Partei – an eineranderen Tatsache: Die Arbeitsgemeinschaft der sozial-demokratischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerkommt in Deutschland nicht mehr vor. In der ganzenWahlperiode hat der Vorsitzende dieser wichtigen Ar-beitsgemeinschaft Ihrer Partei noch in keiner einzigen so-zialpolitischen Debatte von Ihrer Fraktion das Wort imDeutschen Bundestag erhalten,
weil Sie genau wissen, dass diese Arbeitsgemeinschaftnicht mehr bereit ist, die Politik, die Sie hier in den letz-ten Jahren durchgesetzt haben, zu verteidigen, mit zu ver-antworten und mit zu vertreten. Es ist wirklich ein einzig-artiger Vorgang, den es unter den Arbeitnehmergrup-pierungen im Deutschen Bundestag bis jetzt noch nichtgegeben hat, dass der Vorsitzende der AfA in der14.Wahlperiode noch in keiner einzigen sozialpolitischenDebatte das Wort ergriffen hat.
Herr Riester, Sie haben eben hier sehr lange geredet.Als Bundesarbeitsminister haben Sie in Ihrer Rede keinWort zum Arbeitsmarkt in Ostdeutschland gesagt.
Hier geht es um einen Arbeitsmarkt, auf dem wir – beiknapp 15 Millionen Einwohnern – 1,3 Millionen Arbeits-lose haben, auf dem wir heute 200 000 Arbeitslose mehrhaben als 1998. Der Arbeitsminister dieses Landes hälteine Haushaltsrede und beschäftigt sich mit Dingen ausdem Jahr 1998, sagt aber zu den Menschen in den neuenBundesländern kein Wort darüber, wie es mit ihnen wei-tergehen soll.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum Sie das nicht getanhaben: Weil in den neuen Ländern die Kurzarbeit gegen-über dem Vorjahr um 50 Prozent gestiegen ist, weil die Ar-beitsvermittlung in den neuen Ländern per Oktober 2001gegenüber dem Vorjahr um 16 Prozent zurückgegangenist. Sie haben in Ostdeutschland eine katastrophale Situa-tion auf dem Arbeitsmarkt, und Ihr Bundesarbeitsministersagt in dieser wichtigen Debatte kein Wort zu den Men-schen in den neuen Ländern. Das ist wirklich eine Bank-rotterklärung.
Herr Riester, Sie haben hier Zahlen mit Rentener-höhungen aus der Zeit der CDU-Regierung und Ihrer Re-gierung gebracht. Ich will gar nicht fachsimpeln, aber Siewissen ganz genau, dass unter unserer Regierung die Ren-ten so gestiegen sind wie die Nettolöhne und wir die Ren-tenformel ganz sauber eingehalten haben.
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Dr. Christa Luft20225
Sie haben im ersten Regierungsjahr schon die Renten-formel gebrochen, indem Sie die Renten nicht mehr wiedie Nettolöhne erhöht haben, sondern wie die Inflations-rate aus dem Vorjahr.
Aber die Wahrheit ist: Wenn Sie die Rentenerhöhungenvon 2000 und 2001 zusammennehmen, dann stellen Siefest, dass die Menschen 2,5 Prozent Rentenerhöhung be-kommen haben, aber wir zur gleichen Zeit in diesem Landeine Inflationsrate von 4,4 Prozent haben. Das heißt, dieMenschen können sich wegen dieser Differenz von 2 Pro-zent weniger kaufen als vorher, weil Sie mit Ihrer Renten-erhöhung der Inflationsrate hinterherlaufen.
Die Zahlen, die Sie hier vorlegen, sind in vielen Berei-chen frisiert. Sie sagen: „Es gibt eine Entlastung auf demArbeitsmarkt“, verschweigen dabei aber, dass seit IhremRegierungsantritt aufgrund der demographischen Ent-wicklung in Deutschland jedes Jahr 200 000 Menschenmehr in Rente gehen, als aus den Schulen, Lehrwerkstät-ten und Universitäten auf den Arbeitsmarkt entlassen wer-den. Bei Ihrer Regierung ist das so: Ein Bundeskanzler,der sich die Haare färbt, frisiert auch jede Statistik. Das istdie Wahrheit.
Jetzt will ich Ihnen etwas zum Job-Aqtiv-Gesetz sa-gen. Ich habe die Beratungen im Ausschuss, die Anhörungund die Debatten, die wir dazu geführt haben, alle erlebt.Die Mitglieder Ihrer Partei konnten nur noch von Quan-tensprüngen erzählen. Dann wurde das Job-Aqtiv-Gesetzim Deutschen Bundestag beschlossen.Aber Ihnen ist völlig entgangen, dass der Wirtschafts-ausschuss des Bundesrates die Einberufung des Vermitt-lungsausschusses zu diesem Gesetz auch mit den SPD-Stimmen gefordert hat, weil der Wirtschaftsausschuss desBundesrates erstens gesagt hat: Wir brauchen für arbeits-marktpolitische Maßnahmen eine angemessene Finanz-verteilung zwischen dem Bund und der Bundesanstalt fürArbeit. Das heißt, auch Ihre Leute im Bundesrat haben Siedafür geohrfeigt, dass Sie mittlerweile alle Ihre Vorhaben– Langzeitarbeitslosenprogramm, Strukturanpassung, Ar-beitslosengeld – nicht mehr über Steuermittel finanzieren,sondern nur noch über die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer und ihre Chefs, nämlich über Beiträge.
Zweitens. Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrateshat gesagt: Wir brauchen den Vermittlungsausschuss, weilwir eine Angleichung von Arbeitslosenhilfe und Sozial-hilfe sowie die Einführung von Kombilöhnen benötigen.
Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates hat mit denStimmen der SPD genau das gefordert, was CDU, CSUund FDP immer wieder verlangt haben. Was ihr beim Job-Aqtiv-Gesetz gemacht habt, war nicht falsch, aber nichtsanderes als eine Verwaltungsreform, nicht aber eine Re-form der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland.
Herr Riester, ich will Ihnen auch sagen, warum das soist. Seitdem Sie Minister sind, laufen die Sozialpolitikund die Arbeitsmarktpolitik folgendermaßen:
Sie gehen bei Ihren Reformen genau so weit, wie es Ihrealten Kumpels beim DGB, Herr Zwickel und HerrSchulte, zulassen.
Das ist die Wahrheit. Wenn es so weit ist, dass eine si-cherlich wichtige gesellschaftliche Gruppe das Tempo derReformen in der Sozialpolitik in Deutschland allein be-stimmt, dann ist das eine Bankrotterklärung hinsichtlichdes Selbstverständnisses der Politik.
Wir reden hier über den Bundeshaushalt. Selbst Sie,Herr Riester, können nicht leugnen, dass wir diese Haus-haltsdebatte zu einem Zeitpunkt führen, zu dem sich dieArbeitsmarktdaten dieses Landes von Stunde zu Stundeverschlechtern.Als Sie den Haushalt einbrachten und an diesem Red-nerpult begründeten, gingen Sie noch von 2,5 ProzentWachstum aus. Der Haushaltsplan, den wir heute beraten,nimmt diese Wachstumsprognose auf Ihren Vorschlaghin von 2,5 Prozent auf 1,25 Prozent zurück. Das ist zwarauch noch geschönt, aber Sie haben im Ausschuss für Ar-beit und Sozialordnung über Ihren Staatssekretär selbererklären lassen, dass Sie von 400 000 Arbeitslosen mehrals zum Zeitpunkt der Haushaltseinbringung ausgehen.Das sind 400 000 Schicksale. Ihre Antwort auf diese He-rausforderung ist, abgesehen von einigen fiskalischenVeränderungen, einfach null.
Es gibt auch nicht das eine Instrument, um diese Pro-blematik in den Griff zu bekommen. Sie brauchen dafürein Sammelsurium von verschiedenen Instrumenten un-terschiedlicher Politikbereiche. Ich will mich nur auf dieDinge beschränken, die im Kompetenzbereich der Ar-beits- und Sozialpolitiker liegen.Es ist doch einfach wahr, dass Ihnen die Beamten derNürnberger Bundesanstalt für Arbeit sagen: Wir haben inDeutschland ungefähr 600 000 Jobs in Bereichen, in de-nen man zugegebenermaßen wenig Geld verdient, dieaber nicht mit Inländern besetzt werden. Man glaubt so-gar, dass die Zahl solcher Arbeitsplätze um ein Vielfaches
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Karl-Josef Laumann20226
stiege, wenn die vorhandenen besetzt werdenkönnten. Das ist unter allen Arbeitsmarktwissenschaft-lern unstrittig. Was hindert uns also daran?
Es ist doch unstrittig, dass wir in den unteren Lohn-gruppenbereichen Brutto und Netto über Kombilöhneund die degressive Gestaltung von Sozialversicherungs-beiträgen näher zusammenführen müssen. Ich rede garnicht von außertariflichen Löhnen. Sie können in meinemBüro eine Liste von Tarifverträgen, bei denen die Stun-denlöhne unter 13 DM liegen, anfordern. Die Liste um-fasst eine ganze DINA4-Seite. Damit wir uns richtig ver-stehen: Diese Jobs sind in Deutschland nicht besetzt.Alle Länder um uns herum sind diese Wege gegangen.Nur ein Land hat dies nicht getan: Deutschland. Das ist so,weil Herr Zwickel und Herr Schulte Herrn Riester nichtweiter gehen lassen.
Dass sich die Grünen, die mit ihren Parteitagsbe-schlüssen zu dieser Frage gar nicht weit von der Be-schlusslage meiner Partei entfernt sind, in dieser Koali-tion überhaupt nicht mehr durchsetzen, ist in den letzten14 Tagen mehr als offenkundig geworden.
Ich habe sie in der Arbeitsmarktpolitik ebenso abgehakt,wie man sie auch auf allen anderen Gebieten abhakenmuss.Was hindert uns eigentlich, Herr Riester, einmal ohneIdeologie darüber nachzudenken, was wir im Hinblick aufden Arbeitsmarkt und die Beschäftigung regulieren bzw.nicht regulieren müssen?
Ich kann Ihnen nur sagen: Der von Ihnen gesetzlich fest-gelegte Teilzeitanspruch für alle hat uns nichts gebracht.
Im Gegenteil, es gab Verstimmung.
Ich hätte den Teilzeitanspruch auf die Leute beschränkt,die eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe wie dieKindererziehung wahrnehmen, ihn aber nicht generellfestgeschrieben.
Was ist denn das für ein Land, in dem wir auf der einenSeite über die Einwanderung von Fachkräften und auf deranderen Seite über Teilzeitarbeit reden? Haben wir ei-gentlich noch alle Tassen im Schrank?
Bei einer Reform des Betriebsverfassungsgesetzeshätte ich auch nicht die Zahl der Betriebsratsmitglieder er-höht. Das wollte niemand – außer der IG Metall, weil siemit 8 Millionen DM Wahlkampfunterstützung für dieSPD einige Funktionäre von der Arbeit freistellen wollte.Sonst wollte es in diesem Lande niemand! So bekommenSie keine Stimmung für Einstellungen hin!
– Ich habe nichts gegen Betriebsräte. Sie müssen nur nichtgrößer werden. Wir verkleinern in der nächsten Wahlperi-ode den Deutschen Bundestag, aber die gleiche Regierungerhöht die Zahl der Betriebsratsmitglieder. Das ist dochIrrsinn!
Wir müssen auch einmal über Fragen reden, die schongestern Morgen in der Debatte Schröder/Merkel eineRolle gespielt haben: Kündigungsschutz.
– Regen Sie sich doch nicht so auf! Wenn der HerrSchreiner noch hier säße, dann hätte ich in ihm einen An-sprechpartner, dann hätte ich in ihm jemanden, mit demich mich über Sozialpolitik unterhalten könnte, aber mitt-lerweile kommt er ja zu keiner sozialpolitischen Debattemehr, weil er Ihr Gefasel nicht mehr ertragen kann, und erist immerhin Chef der AfA in Deutschland!
Gestern Morgen hat in der Debatte im Deutschen Bun-destag die Frage der Arbeitnehmerrechte eine Rolle ge-spielt. Wir von der Union wollen – um das ganz klar zusagen –, dass auch die Arbeitnehmer ein planbares Lebenhaben und dass das unbefristete Arbeitsverhältnis das Re-gelarbeitsverhältnis ist. Wir wollen in Deutschland aucheinen bestimmten sozialen Kündigungsschutz behalten.Aber der bedeutet doch – das ist auch wahr –: Wenn einMensch mit 53 Jahren arbeitslos wird, weil die Firma, beider er arbeitet, insolvent wird, dann hat er aufgrund alldieser Dinge kaum noch eine Einstellungschance.
Was wäre denn so schlimm daran, wenn wir hier einGesetz verabschieden würden,
in dem steht, dass für diese Menschen der Kündigungs-schutz nicht vereinbart wird, in dem aber auch steht, wie
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Karl-Josef Laumann20227
dann, wenn das Beschäftigungsverhältnis beendet wird,die Mindestabfindung pro Beschäftigungsjahr aussieht?Wenn wir uns dabei an das halten, was die Arbeitsgerichteheute festlegen, nämlich pro Beschäftigungsjahr ein hal-ber Monatslohn,
dann liegen wir mit einem solchen Gesetz genau auf derLinie, auf der mittlerweile 99 Prozent aller Arbeitsge-richtsprozesse in Deutschland enden.
Was würden wir auf der einen Seite an Arbeitnehmer-rechten verkaufen, auf der anderen Seite aber an Flexibi-lität gewinnen, wenn wir das täten, was ich hier vor-schlage?
Aber Sie sind zu gar nichts mehr bereit!
Deswegen hoffe ich sehr, dass es in wenigen Monatenso weit ist, dass Sie die Oppositionsrolle wahrnehmen undwir dann endlich eine schwungvolle Reformpolitik im Ar-beitsministerium durchsetzen.Schönen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Franz Thönnes von der SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Bei all dem Geschrei, dasSie hier veranstalten,
wäre es ganz redlich, wenn Sie einmal bei den Zahlenblieben, die in Ihrer Regierungszeit maßgeblich gewesensind, was die Frage angeht, in welchem Maß die Rentenerhöht worden sind und wie die Preissteigerungsratenwaren. Ich will Ihnen das einmal deutlich sagen, damithier keine Märchen, die Sie uns ja zu erzählen versuchen,im Raum bleiben.1994 war die Preissteigerungsrate 2,7 Prozent und wardie Rentenanpassung 0,5 Prozent.
Für die nächsten Jahre lauten die Zahlen wie folgt: 1995:1,8 Prozent und 0,95 Prozent, 1996: 1,4 Prozent und0,95 Prozent. 1997 haben Sie es hinbekommen, dass dieRentenanpassung bei 1,65 Prozent lag, obwohl die Preis-steigerungsrate 1,4 Prozent betrug. Über Jahre hatten dieRentnerinnen und Rentner weniger Geld im Portemon-naie, weil die Rentenanpassung unter der Preissteige-rungsrate lag. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik gewesen!Da sollten Sie heute nicht so dicke Backen machen undbehaupten, alles besser regeln zu können!
Die Menschen wissen auch, dass Sie die Arbeitslosig-keit von 3,7Millionen auf 4,3Millionen hochgefahren ha-ben. In Ihrer Regierungszeit ist die Zahl der Sozialhilfe-empfänger von 2,2Millionen auf 2,9Millionen gestiegen.
Das ging Monat für Monat so. Jetzt erwecken Sie mit Ih-rer Rede den Eindruck, als wären hier ferngesteuerteFunktionäre aus irgendwelchen Gewerkschaftszentralen.
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, welche Politik Siebetreiben. Der Deutsche Industrie- und Handelskammer-tag fordert, die Einschränkung bei befristeten Arbeitsver-hältnissen wieder zu lockern und zurückzunehmen undden Rechtsanspruch auf Teilzeit ersatzlos zu streichen.
Was sagt Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender HerrRauen in der „Financial Times Deutschland“? Nach ei-nem Wahlsieg im kommenden Jahr würde die UnionRauen zufolge die Lohnfortzahlung im Krankheitsfallwieder einschränken und die Schwelle für die Befreiungvom Kündigungsschutz von derzeit fünf wieder auf zehnBeschäftigte erhöhen. Außerdem sollen der Rechtsan-spruch auf Teilzeitarbeit und die Einschränkung bei derBefristung von Arbeitsverhältnissen wieder rückgängiggemacht werden.Das geht so munter weiter. Herr Hundt fordert, dass dierückwärts gewandten Änderungen durch die Novellie-rung des Betriebsverfassungsgesetzes umgehend zurück-genommen werden müssen. Was haben Sie zu tun? VonIhrer Seite kommt nichts anderes als das, was gestern auchFrau Merkel hier gesagt hat: Die Änderungen werdenwieder zurückgenommen.Was fordert die Arbeitgeberseite? Die Arbeitgeberseitesagt: Mittelfristig muss die Form künstlicher Beschäfti-gung durch ABM ganz entfallen. Und was sagt Ihr Frak-tionsvorsitzender? Er sagt: ABM muss zurückgefahrenwerden. An den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wirdKritik geäußert,
obwohl Sie, die Koalition von CDU/CSU und FDP, vonJanuar 1998 bis September 1998 die Zahl der ABM-Stel-len um 160 000 bis 170 000 erhöht haben. Heute tun Sieso, als sei das alles Teufelszeug. Wir haben die Zahlensukzessive den Arbeitsmarktbedingungen angepasst. Ichdenke, das ist auch vernünftig.
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Karl-Josef Laumann20228
Es geht nicht, dass Sie sich hier hinstellen und eine Po-litik formulieren, bei der Sie auf der einen Seite sagen, Siewollten Arbeitnehmerrechte schrittweise einschränken,während Ihr Fraktionsvorsitzender auf der anderen Seitesagt, Sie wollten keine Arbeitnehmerrechte einschränken.Das wurde besonders in dem Beitrag des KollegenLaumann noch einmal deutlich.Mit fällt in diesem Zusammenhang der Roman „Ger-minal“ von Emil Zola ein, in dem es um eine Auseinan-dersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern imlothringischen Bergwerksbereich Ende des 19. Jahrhun-derts geht. Darin wird geschildert, dass die Arbeitnehmervor den geschlossenen Werkstoren stehen und der Arbeit-geber munter sagt: Macht mir Angebote. Wer bereit ist, zuden geringsten Löhnen zu arbeiten, den nehme ich. – Da-raufhin unterbietet man sich Stück für Stück. Nichts an-deres ist das, was Sie gerade noch einmal gefordert haben.
Der Vorschlag, dass ältere Arbeitslose gegen ein Hand-geld bereits im Einstellungsgespräch auf den Kündigungs-schutz verzichten sollen, ist ein Rückfall in das 19. Jahr-hundert
und entspricht nicht den Verhältnissen eines Sozialstaats,wie wir ihn nach dem Krieg hier aufgebaut haben.
Der Kollege Seehofer sagt, man müsse das Stempelnauf dem Arbeitsamt wieder einführen. Sie wollen das Ar-beitsamt wieder zu einer Stempelbude degradieren. Damitsind Sie schon in Ihrer Regierungszeit gescheitert. UnsereAntwort darauf ist
das Job-Aqtiv-Gesetzmit dem Eingliederungsvertrag, indem Rechte und Pflichten auf beiden Seiten festgeschrie-ben werden. Fördern und Fordern sind gefragt und nichteine Diffamierung von Arbeitslosen, wie Sie das machen.
Der CDA-Vorsitzende hat das im Übrigen begriffen.Nachdem wir deutlich gemacht haben, dass wir 3 000 zu-sätzliche Stellen schaffen werden,
1 000 durch Umschichtung und weitere 2 000 durch dieÜbertragung der Vermittlung an Dritte sowie durch zu-sätzliche Beschäftigung, hatte er nichts Besseres zu tun,als zu sagen, dafür müssten 12 000 eingestellt werden.Was haben Sie eigentlich in Ihrer Regierungszeit an die-ser Stelle geleistet?
Sie haben die Zahl der Beschäftigten in der Arbeitsver-waltung abgebaut. Das ist die Realität.
Weil Frau Luft fragt, woher das Geld kommt, will ichdeutlich machen, dass 44 Milliarden DM für aktive Ar-beitsmarktpolitik, ungefähr 27 Milliarden DM im Ein-gliederungstitel, ausgewiesen sind. Das ist Geld, das füraktive Beschäftigungspolitik zur Verfügung steht.An dieser Stelle möchte ich unserer KolleginKonstanze Wegner für ihre verantwortungsvolle Arbeit,die sie in den letzten Jahren im Haushaltsausschuss fürArbeitsmarktpolitik und für Sozialpolitik geleistet hat,danken. Dabei handelte es sich immer um ein ausgewo-genes Verhältnis zwischen finanzpolitischer Verantwor-tung und sozialpolitischer Vernunft.
Ich will Ihnen sagen, worauf es in den nächsten Wo-chen ankommt und wo die Verantwortung liegt: Bei denArbeitsämtern sind 500 000 offene Arbeitsplätze gemel-det. Die Arbeitgeberseite sagt: Wir brauchen Fachkräfte.Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, alle offenenStellen, nochmals gut 1 Million, zu melden. Wenn es inDeutschland 1,5 Millionen offene Stellen gibt und wir dieVermittlungsaktivitäten verstärken, dann gelingt es auch– da bin ich mir sicher –, die Arbeitslosen mithilfe vonQualifizierung, Weiterbildung und Trainingsmaßnahmenpassgenau in neue Beschäftigungsverhältnisse zu brin-gen. Ich bin davon überzeugt, dass das Projekt Job Aqtivein Erfolg wird, wenn der Wille auf beiden Seiten vor-handen ist.
Ferner darf die Politik nicht nur an die Menschen, diekeine Arbeit haben, Forderungen stellen; sondern siemuss auch von den Arbeitgebern fordern, endlich einStück weit einen Beitrag dazu zu leisten – man kann vonihnen nicht alles fordern; das weiß jeder –, dass 1,8 Mil-liarden Überstunden reduziert werden. Die Überstundenmüssen in Beschäftigung umgesetzt werden. Die Flexibi-lität von Tarifverträgen muss genutzt werden. Das Einfor-dern von Flexibilität fällt auf die Arbeitgeber zurück. Siemüssen die Vereinbarungen, die sie mit den Tarifvertrags-parteien, also mit den Betriebsräten und den Gewerk-schaften, geschlossen haben, endlich in die Praxis um-setzen.
Letztendlich bleiben bei aller Kritik und aller Schwie-rigkeit, der wir bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik ge-genüberstehen, folgende Fakten: Wir haben 1,1 Milli-onen Beschäftigte mehr seit dem Regierungsantritt; dieZahl der Sozialhilfeempfänger ist um 200 000 gesunken;das Verhältnis zwischen der Nachfrage nach und dem An-gebot an Ausbildungsplätzen ist ausgeglichen; die Lohn-nebenkosten sind in diesem Jahr von 42,5 Prozent auf vo-raussichtlich 41,3 Prozent oder 41,4 Prozent gesunken.Der wichtigste Punkt ist: Die Zahl der Arbeitslosen – dakönnen Sie reden, so viel Sie wollen – ist um 400 000 ge-sunken. Deswegen werden wir an unserem Kurs, mehr
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Franz Thönnes20229
Beschäftigung zu schaffen und für mehr Gerechtigkeit zusorgen, festhalten. Das gilt auch angesichts des schwieri-gen Fahrwassers, in dem wir uns zurzeit befinden.
Als
nächster Redner hat der Kollege Andreas Storm von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Was kommt heraus, wenn man einerentenpolitische Bilanz vor Beginn Ihres letzten Amtsjah-res, Herr Minister Riester, zieht – eine einzige Kette ge-brochener Versprechen!
Versprechen Nummer eins: In seiner Aschermitt-wochsrede im Februar 1999 verkündete der Bundeskanz-ler, er stehe persönlich dafür ein, dass die Renten auch inZukunft so wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmersteigen. Fakt ist: Drei Monate später war das Versprechendes Bundeskanzlers das Papier nicht mehr wert, auf demes gedruckt stand. Die Rentenformel wurde kurzerhandauf dem Altar des Sparpakets geopfert und sollte willkür-lich für zwei Jahre ausgesetzt werden.Versprechen Nummer zwei: Die Rentner sollten – dahaben Sie kalte Füße bekommen – im vergangenen Jahrwenigstens einen Inflationsausgleich erhalten. Fakt ist:Tatsächlich wurden die Renten im vergangenen Jahr umnur 0,6 Prozent erhöht. Die Inflationsrate stieg aber– nicht zuletzt dank Ihrer Regierungspolitik, Stichwort„Ökosteuer“ – mehr als dreimal so stark, nämlich auf1,9 Prozent.
Von Inflationsausgleich konnte also keine Rede sein. ImGegenteil: Die Rentner mussten einen herben Kaufkraft-verlust hinnehmen.
Versprechen Nummer drei: Sie haben angekündigt,dass mit jeder weiteren Stufe der Ökosteuer die Renten-beiträge gesenkt werden. Fakt ist: Am 1. Januar desnächsten Jahres ziehen Sie den Bürgern nochmals 6 Mil-liarden DM aus der Tasche. Von einer Senkung des Ren-tenbeitrags ist aber keine Spur mehr zu sehen – im Ge-genteil. Fakt ist auch: Die Rentenbeiträge müssen zum1. Januar sogar massiv angehoben werden, und zwar vonjetzt 19,1 Prozent auf 19,5 Prozent. Das hat Ihnen der So-zialbeirat in diesen Tagen vorgerechnet. Das versteht manbei Rot-Grün unter Senkung der Lohnnebenkosten!
Nun greifen Sie tief in die Trickkiste und wollen an die ei-serne Reserve der Rentenkassen ran. Trickkiste hin – Ma-nipulation her; das dicke Ende kommt in jedem Fall un-mittelbar nach der Bundestagswahl.
Aus der Senkung der Rentenbeiträge auf deutlich unter19 Prozent, wie Sie es, Herr Minister, ja noch im Frühjahrbei der Verabschiedung Ihrer angeblichen Jahrhundert-rentenreform versprochen haben, wird nach Ihrem eige-nen Rentenversicherungsbericht aus der letzten Wochebis zum Ende der gesamten nächsten Wahlperiode nichtsmehr. Ich wiederhole: Bis zum Ende der nächsten Wahl-periode sinken die Rentenbeiträge nach Ihrer eigenen Ein-schätzung nicht. Das nenne ich einen rentenpolitischenOffenbarungseid.
Meine Damen und Herren, die Rentenversicherungsträ-ger haben vor zwei Wochen bei der Anhörung zumSchwankungsreservengesetz deutlich gemacht, dass sie al-lenfalls eine vorübergehende Senkung der Schwankungs-reserve gutheißen können.
Mittelfristig – da waren sich die Experten unisono einiggewesen – sollte der Zielwert von einer Monatsausgabeunbedingt wieder eingehalten werden, um der Gefahr vonLiquiditätsengpässen vorzubeugen.
Ihr Gesetzentwurf trägt dazu aber überhaupt nichts bei; imGegenteil: Sie wollen die Reserven dauerhaft herunter-fahren.Zugleich haben die Rentenversicherungsträger klarge-stellt, dass angesichts der derzeitigen Unsicherheiten hin-sichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung ein sehr vor-sichtiger Umgang mit den Annahmen für die Entwicklungder Rentenfinanzen angesagt ist. Mit anderen Worten: ImZweifelsfalle sollte man lieber eine etwas pessimisti-schere Prognose zugrunde legen. Ihre von Ihnen selbstspürbar nach unten korrigierten Berechnungen sind aberimmer noch zu optimistisch. Das hat Ihnen der Sozialbei-rat in der vergangenen Woche mehr als deutlich gemacht.Er kommt zu folgendem Befund:Falls sich die Prognosen des Sachverständigenrates... hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung imnächsten Jahr bewahrheiten sollten, wird es zu einemAbschmelzen der Schwankungsreserve Ende 2002auf 0,73 Monatsausgaben kommen. Dies wiederumhätte einen Auffüllbedarf von knapp 0,1 Monatsaus-gaben in 2003 zur Folge, was einen Beitragssatzan-stieg um 0,1 Prozentpunkte in 2003 nach sich ziehenwürde.So weit der Sozialbeirat.Damit, meine Damen und Herren, haben Ihnen Ihre ei-genen Experten dokumentiert: Auch der jüngste Manipula-
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Franz Thönnes20230
tionsversuch wird sich als Mogelpackung erweisen. IhrGriff in die Rentenkassen reicht nämlich schlicht und er-greifend nicht aus, um die Beitragsversprechen der Bun-desregierung zu erfüllen, die ja mittlerweile schon mehr alsbescheiden geworden sind. Sie haben Ihr Ziel, die Sozial-beiträge unter die 40-Prozent-Marke zu senken, massivverfehlt. Im nächsten Jahr erreichen wir einen Beitragssatzvon mindestens 41,4 Prozent. Die Beitragserhöhungswellebei den Krankenkassen läuft. Ohne den Griff in die Rück-lagen der Rentenversicherung und auch der Pflegeversi-cherung wären wir im nächsten Jahr bereits wieder bei ei-nem Sozialbeitrag von 42 Prozent. Hinzu kommt, dass dieÖkosteuer, wenn man sie auf die Sozialbeiträge umrechnet,noch einmal eine Zusatzbelastung von 1,7 Prozentpunktemit sich bringt. Das heißt, wir hätten ohne den Griff in dieReserven mit weit über 43 Prozent Belastung von Arbeit-nehmern und Wirtschaft einen historischen Höchststand inder Geschichte der Bundesrepublik. Das ist die tatsächlicheBilanz nach drei Jahren Amtszeit von Riester!
Meine Damen und Herren, das Bundesarbeitsministe-rium hat ja nun behauptet, es gebe keinen Grund, seinePrognosen für die Festsetzung des Rentenbeitrags imnächsten Jahr nach unten zu korrigieren. Sie hören nichtauf Ihre eigenen Experten. Das muss man sich einmal ver-gegenwärtigen: Der Bundesarbeitsminister, der innerhalbeines halben Jahres seine Beitragsprognose für das kom-mende Jahr um 0,5 Prozentpunkte korrigieren musste – imFrühjahr haben Sie noch gesagt, nächstes Jahr liege derSatz bei 19,0 Prozent; im Herbst heißt es nun, ohne Griffin die Reserve liege er bei 19,5 Prozent –,
verkündet, man habe alles im Griff, die eigenen Berech-nungen für das kommende Jahr seien zuverlässig genug.Herr Riester, ich weiß nicht, ob Sie sich in letzter Zeit zuhäufig mit Harry Potter beschäftigt haben. Ich glaube aberkaum, dass Sie plötzlich den Stein der Weisen gefundenhaben, mit dem Sie die finanziellen Probleme einfachwegzaubern können, wenn es eng wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Art von Igno-ranz und Realitätsblindheit ist einfach unerträglich. Zuder offenkundigen Tatsache, dass der Arbeitsminister wiemit Scheuklappen durch die Gegend rennt, hat Ihnen derKommentator der „Frankfurter Rundschau“ am Montag,dem 26. November, Folgendes ins Stammbuch geschrie-ben:Wozu hält sich die Bundesregierung einen Sachver-ständigen- und einen Sozialbeirat, wenn sie derenPrognosen einfach ignoriert? Der Verdacht, das Mi-nisterium habe genau so kalkuliert, dass die Regie-rung noch bis zur Bundestagswahl durchkommt,liegt nahe.So weit die „Frankfurter Rundschau“, und da hat sieRecht; denn genau darum geht es: Sie wollen einfach nurnoch über die Runden kommen. Nach mir die Sintflut, dasist das Motto von Rot-Grün.
Diese Bundesregierung hat abgewirtschaftet. Das rot-grüne Projekt ist gescheitert, auch und gerade in der Ren-tenpolitik. Um ein Land zu regieren, braucht es eben mehrals tagespolitisches Flickwerk. Es braucht vor allen Din-gen zukunftsweisende Konzepte. Aber die fehlen Ihnen,Herr Riester, an allen Ecken und Enden. Deshalb ist esZeit für einen rentenpolitischen Neubeginn.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz vom Bündnis 90/Die
Grünen.
HerrPräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines hat dieOpposition immer noch nicht begriffen: Einen Haushaltaufzustellen, der den Zusatz „generationengerecht“ ver-dient, heißt immer auch, Prioritäten zu setzen, heißt im-mer auch, Schwerpunkte zu setzen und das Geld nichtnach dem Gießkannenprinzip auszuschütten.
Eine Priorität von Rot-Grün liegt eindeutig auf der Un-terstützung von Familien. Um dieses Ziel zu erreichen,sind wir konzentriert vorgegangen. Ich nenne an dieserStelle nur einige Beispiele, und zwar das steuerfreie Exis-tenzminimum, die Reform des Bundeserziehungsgeldge-setzes, die Aufwertung von Erziehungsleistungen in derRentenversicherung, die immer gerne unter den Tisch fal-len gelassen werden, den Betreuungsfreibetrag, den wirauf 3 024 DM jährlich angesetzt haben, sowie die Er-höhung des Kindergeldes auf 300 DM, eine Erhöhung um30 Prozent innerhalb von drei Jahren.
Was bedeutet die Steuerpolitik der Koalition für die Fa-milien in Zahlen? Sie bedeutet, dass eine Durchschnitts-familie im Jahre 2002 trotz der Ökosteuer, die Sie angrei-fen, um 3 000 DM entlastet wird.Sie bedeutet aber auch, dass wir neben dieser materiel-len Komponente der Familienentlastung eine weitere,zentrale Komponente für die Eltern in diesem Landeberücksichtigt haben: dass Kindererziehung Zeit braucht,und zwar mehr Zeit, als für sie manchmal offenbar aufge-wendet wird. Dafür haben wir jetzt mit der Neuregelungder Teilzeitarbeit wichtige Signale gesetzt. Die Teilzeit-arbeit als einen gesetzlichen Anspruch zu verankern, alsodas Recht auf Teilzeit für Eltern, heißt nicht, dass Frauendiskriminiert werden oder keine Stellen bekommen, wieSie immer behaupten. Es heißt auch nicht, dass es zumAbbau von Stellen geführt hat – das ist Ihre Interpretation,für die Sie keinen Beweis haben –,
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Andreas Storm20231
sondern es heißt, dass die Erziehung von Kindern fürFrauen und Männer in Teilzeit möglich wird, dass Elternalso schwerpunktmäßig mehr Zeit für ihre Kinder auf-bringen können. Teilzeitarbeit ist in diesem Land drin-gend erforderlich, wie jeder erkennen wird, wenn wiretwa einen Vergleich mit den Nachbarländern Frankreichoder Dänemark anstellen.
Mehrfach ist hier das Einwanderungsgesetz ange-sprochen worden. In diesem Zusammenhang möchte icheines betonen: Wenn wir den Bevölkerungsstand vonDeutschland bis zum Jahre 2050 auf dem derzeitigen Ni-veau halten wollen, dann müsste derzeit jede gebärfähigeFrau 3,8 Kinder in die Welt setzen.
Wahlweise müssten 180 Millionen Menschen einwan-dern. Eine konstante Bevölkerungszahl ist so gesehen un-realistisch. Das heißt aber auch, dass wir für unserenArbeitsmarkt und für die Erhaltung unserer Bevölke-rungszahl ein Einwanderungsgesetz brauchen.Wir benötigen zudem Maßnahmen für die Personen inunserer Gesellschaft, die sich für ein Zusammenleben mitKindern entscheiden. Dazu bedarf es in Zukunft mehr Un-terstützung von Staat und Gesellschaft. Eine der Kernfra-gen in der Arbeitsmarkt- und in der Wirtschaftspolitik lau-tet, wie wir in Zukunft dem Wunsch junger Familien,einerseits Kinder zu bekommen und andererseits berufs-tätig zu bleiben und Karriere machen zu können, gerechtwerden können.
Im Rahmen der reformierten Arbeitsförderung bzw.des Job-Aqtiv-Gesetzes gelten fortan Zeiten des Mutter-schutzes und der Kindererziehung als Beitragszeiten inder Arbeitslosenversicherung. Zukünftig gibt es zudemim Sinne des Prinzips des lebenslangen Lernens mehrGeld im Falle von Weiterbildungs- und Trainingsmaß-nahmen für die Kinderbetreuung. Von der Opposition be-kommen wir ständig zu hören, wir sollten im Bereich deslebenslangen Lernens mehr unternehmen. Wir sprechennicht nur darüber; für uns ist das keine Theorie geblieben.Wir setzen dies vielmehr um; wir haben ein entsprechen-des Konzept vorgelegt. Anstatt dass Sie sagen, hier werdeetwas umgesetzt, kritisieren Sie uns, wobei Sie diese po-sitiven Punkte schlichtweg ignorieren.
Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört vielmehr. Dazu gehört die Zusammenarbeit von Wirtschaftund Gesellschaft. Dies verlangt beispielsweise, dass be-triebliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten geschaffenwerden und dass in Deutschland ein kinderfreundlichesManagement existiert. Es gibt dafür hervorragende Bei-spiele in zahlreichen Firmen, die sich in diesem Bereichmächtig ins Zeug legen. Hier setzt ein weiterer Aspekt an:In der Arbeitsmarktpolitik sind weitere Anreize für einenflächendeckenden Wandel im Sinne einer familien-freundlichen Unternehmenskultur zu schaffen. Geradehier haben wir wichtige Maßnahmen in Gang gesetzt.Eines muss man deutlich sagen: Wenn wir tatsächlichwollen, dass Eltern arbeiten können und dazu die dafürnotwendigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten existieren,müssen wir massiv in entsprechende Betreuungseinrich-tungen investieren. Das ist nicht billig und schon gar nichtumsonst zu haben. Es kostet eine ganze Menge Geld. Ichwage einmal einen Blick in die Zukunft: Die Reform desEhegattensplittings, die zweifelsfrei sinnvoll ist, erfährthier im Hause inzwischen einen breiten Konsens.
– Dies ist ein Blick in die Zukunft; auch das darf man tun.
Die Reform des Ehegattensplittings wird von der FDP un-terstützt, in der SPD debattiert und von den Grünen längstgefordert.
Die Weichen für eine kinderfreundliche Gesellschaft,für eine familienfreundliche Arbeitsmarktpolitik und füreine zukunftsfähige Gesellschaft haben wir mit diesemHaushalt gelegt. Jetzt kommt es darauf an, auf diesemeingeschlagenen Weg gemeinsam weiterzugehen. Wirsind also auf dem besten Wege und werden diese Politiknicht nur in dieser Wahlperiode, sondern auch in der kom-menden Wahlperiode gemeinsam fortsetzen.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von der SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutigeDebatte über den Einzelplan 11 hat gezeigt: Die Sozial-und Arbeitsmarktpolitik der Koalition ist auf einem gutenWeg.
Sie von der Opposition auf der rechten Seite dieses Hau-ses haben in Form von Bierzeltreden die Arbeit der jetzi-gen Regierungskoalition beklagt.
Sie haben es aber nicht für nötig gehalten, zur Regie-rungskoalition zu sprechen. Sie haben sich nur an sichselbst gewandt. Damit haben Sie sich selbst entlarvt. Das
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Ekin Deligöz20232
waren nichts als Wahlkampfreden. Sie haben keine kon-struktiven Beiträge geleistet.
Die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Koalition istauf einem guten Weg,
weil wir durch die große Rentenreform, durch die Reformder Betriebsverfassung, durch die Neuordnung der Be-hindertenpolitik und nicht zuletzt durch das Job-Aqtiv-Gesetz Meilensteine gesetzt haben.
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Diese Reformen he-ben sich kilometerweit von der einseitigen Politik der Vor-gängerregierung ab; sie sind erfolgreich.Ich will in diesem Zusammenhang nur an das Unwortdes Jahres 1997/98 – der Bundesarbeitsminister hat da-rauf hingewiesen –
erinnern: Reformstau.
Ein Markenzeichen unserer Koalition ist
die Reform.
Wenn die Menschen in der Vergangenheit das Wort Re-form gehört haben, dann haben sie ganz schnell die Händeauf die Taschen gelegt und die Portemonnaies geschlos-sen, weil sie wussten: Wenn Sie von Reform reden, grei-fen Sie ihnen in die Tasche; die Menschen verbanden mitReform Sozialabbau. Die Menschen hatten daher Angstvor Reformen.
Wir haben den Reformstau aufgelöst.
Unsere sozialpolitische Strategie ist nicht einseitig; sieverbindet vielmehr die notwendige Flexibilität für die Ar-beitgeber mit dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer.Unsere Leitlinie der Reform ist Fördern und Fordern.Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz bieten wir individuell zuge-schnittene Hilfen für Arbeitslose. Gleichzeitig fordern wiraber auch Arbeitslose auf, für die Überwindung der Ar-beitslosigkeit ihren Beitrag zu leisten.
In der Sozialhilfe haben wir ebenfalls die ersten großenErfolge zu verzeichnen; denn bereits 400 000 Sozialhilfe-empfänger gehen einer vom Sozialstaat geförderten Be-schäftigung nach. Das ist die Hälfte derjenigen, die über-haupt arbeitsfähig sind. Keiner kann sich einfach auf denSozialleistungen ausruhen. Unsere Politik greift.
Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in nur drei Jahren ge-genüber 1998 um etwa 230 000 – das sind 15 Prozent –zurückgegangen.
Auch die Rehabilitation und die Behindertenpolitik gehenwir zielgerichtet an.
Den Weg der Aktivierung treten wir offensiv an.So weit möglich, wollen wir, dass die Teilhabe am Ar-beitsleben gefördert wird. Zu diesem gesellschaftspoliti-schen Konzept gehört es auch, die Wünsche der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer mit zu berücksichtigen.Der Trend zur Teilzeitarbeit ist in unserem Land nämlichungebrochen. Wer jetzt über den Rechtsanspruch auf Teil-zeitarbeit klagt, vertritt einseitige Positionen;
denn der Arbeitgeber kann den Wunsch der Arbeitnehmerablehnen, wenn betriebliche Gründe dem entgegenstehen.
Kleinbetriebe bis 15 Beschäftigte – das wissen Sie – sindohnehin ausgenommen. Fördern und Fordern – das sageich ausdrücklich – ist nur möglich, wenn auch die Arbeit-geber ihren Beitrag leisten. Dazu fordere ich die Arbeit-geber an dieser Stelle ausdrücklich auf.
Es steht fest, dass von einer Überforderung bei einemsolch ausgewogenen Gesetz nun wahrlich keine Rede seinkann. Viele Arbeitgeber nutzen die Angebote der neuenGesetze viel zu wenig. Das ist zwischenzeitlich klar ge-worden. Denn mit dem Gesetz über Teilzeitarbeit und be-fristete Arbeitsverhältnisse stehen flexible Instrumentezur Verfügung, um zum Beispiel Überstunden abzubauen.Diese Instrumente werden nicht genutzt. Ich appelliere andie Opposition, die Arbeitgeber nicht beim Klagen undJammern zu unterstützen, sondern sie aufzufordern, denÜberstundenabbau endlich ernst zu nehmen und mitzu-helfen, diesen sozialen Skandal zu beenden.
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Klaus Brandner20233
Im Job-Aqtiv-Gesetz gibt es zahlreiche Elemente, diegeeignet sind, Entlassungen zu vermeiden oder zumin-dest ihre Zahl zu verringern. Beschäftigungspläne stattSozialpläne muss das politische Ziel sein. Statt Ent-lassungsankündigungen sollten gemeinsame Lösungender Tarifvertragsparteien auf der Tagesordnung stehen.
Vorbildlich waren die Tariffonds zur betrieblichen Al-tersversorgung. Vorbildlich ist auch der Tarifvertrag beiVW – 5 000 mal 5 000 –, der jetzt unter Dach und Fachist.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn das Bündnis für Arbeitauf oberster Ebene noch einmal ein positives Signal fürdie Beschäftigungsförderung setzen würde. Beschäfti-gungssicherung und Qualifizierung sind jetzt auch imBetriebsverfassungsgesetz verankert. Das ist kein Ballast,meine Damen und Herren von der Opposition, sonderndas ist eine Chance; das ist kein Bremsklotz, sondern einguter Standortvorteil in unserem Land.
Die Wirkungen der Sozialpolitik hängen auch von ih-rer Finanzierung ab. Wir haben die beitragsfinanziertenLeistungen gebremst, um schädliche Rückwirkungen aufden Arbeitsmarkt zu vermeiden. Wir halten an dem Kursfest, die Beiträge so weit wie möglich zu senken.
Immerhin ist der Beitragssatz zurRente bei 19,1 Prozentgehalten worden. Ohne unsere Rentenreform wäre derBeitragssatz bei fast 22 Prozent geblieben, wie eswährend Ihrer Regierunszeit der Fall war.
Hätten wir Ihre Forderungen umgesetzt – Stichwort Öko-steuer, Stichwort 630-DM-Jobs –, dann lägen wir heutebei einem Rentenversicherungsbeitrag von 24 Prozent.
Das ist aus meiner Sicht ein Zeugnis absoluter Regie-rungsunfähigkeit.
Sie von der Opposition haben Erfahrungen im Ab-bruch, wir haben Ideen zum Aufbau. Mit Ihren Rezeptensind Sie in der Vergangenheit gescheitert. Bei Ihnen ist dieArbeitslosigkeit drastisch gestiegen. Die Steuern wurdenerhöht, die Sozialkosten allein in den 90er-Jahren um6,5 Prozent, und das bei einem gleichzeitigen deutlichenAbbau der Leistungen. Ihre Rezepte sind Gift für dieMenschen in unserem Land.Deshalb werden sie im Übrigen nicht nur von uns ab-gelehnt. Norbert Blüm, Ihr langjähriger Sozialpolitiker,ein erfahrener Sozialpolitiker, hatte Recht, als er auf demMitte des Jahres stattgefundenen CDA-Bundeskongressvon Ihrer Konzeptionslosigkeit sprach und wörtlich sagte:Die Sozialstaatskommission der CDU dämmert seitüber drei Jahren vor sich hin. Außer ein paar Blähun-gen ihres Vorsitzenden Christian Wulff habe ich nochnicht viel Brauchbares gehört.Dem ist nichts hinzuzufügen!
Im Übrigen haben Sie, Herr Seehofer, gerade auch indas Kapitel Blähungen eingestimmt. Sie fordern zum Bei-spiel, dass Arbeitsverhältnisse bis 2 500 DM durch eine20-prozentige Zulage gefördert werden sollen. Allein die-ses Fördervolumen bedeutet 24 Milliarden zusätzlicheAusgaben. Bei den Schuldenlasten, die Sie uns hinterlas-sen haben, sollten Sie solche unqualifizierten Vorschlägenicht machen.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Ja. Zum Schluss: Unsere ver-
antwortungsvolle Haushaltspolitik zeigt sich darin, dass
wir die konjunkturbedingten Mindereinnahmen und
Mehrausgaben am Arbeitsmarkt solide gegenfinanzieren.
Die Bundesanstalt für Arbeit erhält in diesem Jahr wie-
derum einen Zuschuss von 2 Milliarden Euro, damit sie
ihren Aufgaben auch in schwierigen Zeiten gerecht wer-
den kann. Die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik
bleiben bei 22,5 Milliarden Euro konstant. Die Arbeits-
ämter können darüber, wie Sie wissen, weitgehend selbst-
ständig entscheiden. Auf der Basis des Job-Aqtiv-Geset-
zes werden Brücken in den ersten Arbeitsmarkt gebaut
werden.
Unsere solide Konsolidierungspolitik werden wir bei-
behalten und fortsetzen. Eine Verstetigung und Verläss-
lichkeit der Politik ist das neue Markenzeichen dieser Re-
gierung. Das gilt für die Sozialpolitik und für die Politik
insgesamt. Ich darf unserem Bundesarbeitsminister, unse-
rer Haushälterin Konstanze Wegner – ihr ist bereits ge-
dankt worden – und meiner Fraktion dafür danken, dass
sie diesen Weg des Konsolidierungskurses geschlossen
mitgehen.
Danke schön.
Ichschließe die Aussprache.
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Klaus Brandner20234
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 11,Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, in derAusschussfassung. Es liegen drei Änderungsanträge derFraktion der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache14/7670? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktio-nen bei Zustimmung der PDS-Fraktion abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache14/7671? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Än-derungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen beiZustimmung der PDS abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache14/7673? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch die-ser Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnisabgelehnt.Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Einzelplan 11 in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Einzel-plan 11 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-gen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.Wir kommen unter Tagesordnungspunkt I Nr. 21 a zurAbstimmung über den von den Fraktionen der SPD unddes Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-wurf zur Bestimmung der Schwankungsreserve in derRentenversicherung der Arbeiter und Angestellten,Drucksache 14/7284. Der Ausschuss für Arbeit und So-zialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussem-pfehlung auf Drucksache 14/7598, den Gesetzentwurfanzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiterBeratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-gen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen der übrigen Fraktionen angenommen.Wir kommen unter Tagesordnungspunkt I Nr. 21 b zurAbstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag derFraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7292 mit demTitel: Keine systemwidrigen Eingriffe bei der Schwan-kungsreserve. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 14/7598, den An-trag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und FDP angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte I.22 und I.24 auf:I. 22 Einzelplan 09Bundesministerium fürWirtschaft undTechnologie– Drucksachen 14/7309, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Manfred HampelDankward BuwittFranziska Eichstädt-BohligDr. Werner HoyerDr. Christa LuftI. 24 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Feststellung des Wirtschaftsplans des
– Drucksache 14/7259 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 14/7608 –Berichterstattung:Abgeordnete Dagmar WöhrlZum Einzelplan 09 liegen je zwei Änderungsanträgeder Fraktion der CDU/CSU, der Fraktion der FDP und derFraktion der PDS vor. Über einen Änderungsantrag derFraktion der CDU/CSU werden wir später namentlich ab-stimmen. Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag derFraktion der FDP vor, über den wir am Freitag abstimmenwerden.Zu Tagesordnungspunkt I.24 liegt ein Entschließungs-antrag der Fraktion der PDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Sind Sie da-mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Dankward Buwitt von der CDU/CSU-Fraktiondas Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! „Ich mache mir Sorgen um dieWettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft“ –Herr Minister Müller, das ist eine späte Einsicht. Wir sa-gen das schon länger. Bei dieser Feststellung von Ihnensind wir einer Meinung.Alle Akteure der Volkswirtschaft – die Wirtschafts-,Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik – müssen inno-vativ zusammengreifen, um unsere wichtigste Aufgabe,die deutliche Senkung der Arbeitslosenzahlen, zu er-reichen. – Dies wiederum ist ein Zitat aus der Regierungs-erklärung des Kanzlers Schröder von vor drei Jahren.Zwar will ich die Zahl der Übereinstimmungen mitMinister Müller nicht inflationieren, aber ich bin genauwie Sie der Meinung, dass die Bundesregierung all dieseZiele verfehlt hat.
Sie haben der alten Bundesregierung Reformstau vor-geworfen, den Sie durch den als Wahlkampfgremium be-nutzten Bundesrat jedoch selbst verursacht haben. Nun,nach drei Jahren Ihrer Regierungszeit, müssen Sie sich
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms20235
durch das Jahresgutachten 2001/2002 des Sachverständi-genrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung völlig zu Recht Ihre verpassten Reform-chancen aufzeigen lassen.Der Bundeskanzler hat dieses Sachverständigengut-achten gestern in der Debatte sehr gelobt. Allerdings stelleich mir die Frage, ob er es überhaupt richtig gelesen hat.Pikanterweise ist nämlich eines der zentralen Kapitel indiesem Gutachten – es umfasst zehn Seiten – mit dem Ti-tel „Verpasste Reformchancen“ versehen. Viel verheeren-der hätte das Gutachten für die Bundesregierung nichtausfallen können.Das ganze Jahr über – nicht erst seit dem 11. Septem-ber – haben Sie die Wachstumszahlen korrigiert. Mit ei-nem prognostizierten Wachstum von nur 0,6 Prozent indiesem und von nur 0,7 Prozent im nächsten Jahr bildetDeutschland das Schlusslicht in der Europäischen Union.Es gab unter Helmut Schmidt Zeiten, in denen die Sozial-demokraten das Wort Minuswachstum erfanden. Ich bingespannt, welche Wortschöpfung sich die Sozialdemo-kratie unter Gerhard Schröder für diesen Zustand einfal-len lässt.
Es wurde argumentiert, dass die USA an dem schwa-chen Wachstum in Deutschland schuld seien,
dass sie nur wieder schnell auf den alten Wachstumspfadzurückkehren müssten, damit es auch in Deutschland wie-der aufwärts gehe. Diese Argumentation ist falsch. DerExport ist dank der Euro-Schwäche nach wie vor rechtgut, aber die Binnenkonjunktur lahmt stärker als in allenanderen europäischen Ländern, und zwar selbstverschul-det. Ich mutmaße allerdings, dass einige derer, die dieseForderung bezogen auf die USA lautstark erheben, vornoch gar nicht so langer Zeit „Ami go home“ an dieWände gesprüht haben.Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärungbei Übernahme der Regierungsverantwortung gesagt: Wirmachen dieses Land wieder zu einem Bewegungsort. Imvom Kanzler zu Recht gelobten Sachverständigengutach-ten steht dazu:Es war daher bereits ein Fehler, dass die jetzige Bun-desregierung das Wenige an Deregulierung des Ar-beitsmarktes, das die Vorgängerregierung zustandegebracht hatte, glaubte rückgängig machen zu müs-sen. Noch enttäuschender ist, dass dieser Weg hin zueiner intensiveren Regulierung fortgesetzt wurde:mittels verschärfter Bedingungen für befristete Be-schäftigungsverhältnisse, durch die Einführung ei-nes Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit und über einedeutliche Ausweitung der Arbeitnehmermitbestim-mung in Betrieben. Wir– der Sachverständigenrat –hatten aus gesamtwirtschaftlichen Überlegungen he-raus davor gewarnt, leider vergeblich.Besser, als es in diesem Gutachten ausgedrückt wordenist, kann man die Politik dieser Regierung gar nichtbeschreiben.
Als neu berufener Wirtschaftsminister hat es sich HerrMüller gefallen lassen, dass die Grundsatzabteilung desWirtschaftsressorts dem Finanzminister zugeordnet blieb.Die Wirtschaftspolitik hat sich der Fiskal- und Sozialpo-litik unterzuordnen. So haben wir einen Wirtschaftsmi-nister, der in dieser wirtschaftlich so schwierigen Zeit amKabinettstisch keine Rolle spielt. Die Wirtschaft und da-mit die arbeitenden und arbeitssuchenden Menschenbrauchen jedoch eine starke Lobby.
Die Entscheidungen dürfen nicht danach getroffen wer-den, was gut für die Gewerkschaften ist, sondern danach,was gut und richtig für die Arbeitnehmer, die Unterneh-men und damit für Deutschland ist.Sie haben die Rahmenbedingungen für die Arbeits-plätze systematisch verschlechtert und sind deshalb aufdie konjunkturell schwache Zeit, die wir im Moment ha-ben, am schlechtesten in Europa vorbereitet. Sie nennendie eklatanten Verschlechterungen der Rahmenbedingun-gen ihre sozialen Errungenschaften. Ihnen ist nicht klar– das ist Ihr alter, grundsätzlicher Fehler –, dass nur dasverteilt werden kann, was erwirtschaftet worden ist. WennSie nicht endlich begreifen, dass Sie handeln müssen,dann laufen wir Gefahr, aus der Rezession direkt in dieDepression zu gleiten.
Anfangs hat Bundeskanzler Schröder den Aufbau Ostzur Chefsache erklärt. In diesem Sommer hat er eine Reisedurch die neuen Bundesländer gemacht, aber anscheinendohne die Probleme dort zu erkennen. Sonst wäre ihm auf-gefallen, dass sich die Kluft zwischen Ost und West inFragen der Wirtschaftsentwicklung, der Arbeitslosigkeitsowie bezogen auf die Angleichung der Lebensbedingun-gen nicht weiter verkleinert hat, sondern wieder größergeworden ist.
Es ist verständlich, dass der Aufbau Ost Herrn Schröderbei seiner Rede kein Wort wert war. Er hätte sonst näm-lich erklären müssen, warum zum Beispiel die Unterstüt-zung der neuen Bundesländer durch die GA Ost im Zeit-raum von 1998 bis 2002 fast halbiert worden ist.
Leider haben Sie unsere Minimalforderung, die GAOst wenigstens auf dem Vorjahresniveau zu halten, abge-
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Dankward Buwitt20236
lehnt. Sie können diesen Fehler aber durch Ihre Zustim-mung am heutigen Tag korrigieren.Finanzminister Eichel hat in seiner Rede behauptet,von der CDU/CSU sei während der Haushaltsberatungennicht ein einziger Antrag auf Ausgabenkürzung gestelltworden. Das ist schlicht und einfach unwahr. Wir habenzum Beispiel beantragt, die 179 Millionen Euro – immer-hin ungefähr 360 Millionen DM – für die zusätzlicheEXPO-Finanzierung, die der ehemalige Ministerpräsi-dent von Niedersachsen dem jetzigen zugeschoben hat, zustreichen.Wie ich Ihnen schon vorhin bei meinem Zitat aus derRegierungserklärung des Bundeskanzlers vor Augen ge-führt habe, war eine stärkere Beteiligung des Bundes anden Kosten von Auslandsmessen sogar explizit in der Re-gierungserklärung erwähntes Ziel der Regierung. Ichfrage mich nur, warum Sie dann diese Beiträge seit Be-ginn Ihrer Regierungszeit kontinuierlich senken. 1998 be-lief sich die Ist-Ausgabe noch auf 38 Millionen Euro, um-gerechnet ungefähr 76 Millionen DM. In der mittel-fristigen Finanzplanung sehen Sie für die nächsten Jahrenur noch ganze 27 Millionen Euro für die Auslandsmes-seförderung vor.
Dies ist keine Unterstützung kleiner und mittlerer Unter-nehmen für deren Marktauftritt im Ausland!
Was ist aus der in der Regierungserklärung von vor dreiJahren als Schwerpunkt Ihrer Wirtschaftspolitik bezeich-neten Förderung von Forschung, Entwicklung und Inno-vationen im Mittelstandsbereich geworden? Was hattenSie nicht alles versprochen! Schwerpunkt sollte sie sein,die Ausgaben sollten sich verdoppeln und mit 150 Milli-onen Euro jährlich sollte der Wirtschaftshaushalt von derInnovationsmilliarde profitieren.Vergleicht man die Ist-Zahlen von 1998 mit den Ansät-zen für 2002 für alle relevanten Titel, dann stellt man fest,dass nicht 150 Millionen Euro mehr, nicht 100 Milli-onen Euro mehr und auch nicht 50 Millionen Euro mehr,sondern 65 Millionen Euro weniger für diese wichtigeAufgabe zur Verfügung gestellt werden. Dabei ist natür-lich zu befürchten, dass angesichts der durch Ihre Ver-handlungen während der Haushaltsberatungen vorgenom-mene Verdopplung der pauschalen Minderausgaben nochmit weiteren Kürzungen bei der Forschungsförderung zurechnen ist. So fördern Sie keine Wirtschaft und so schaf-fen Sie auch keine Arbeitsplätze.Was die Wirtschaft in Deutschland – und hier ganz be-sonders die kleinen und mittleren Betriebe – dringenderals je zuvor braucht, ist:Erstens. Die Wirtschaftspolitik muss wieder ein Ge-wicht am Regierungstisch bekommen. Sie darf nicht fis-kalischen oder gewerkschaftlichen Gesichtspunkten un-tergeordnet werden.Zweitens. Sie braucht eine zeitnahe steuerliche Entlas-tung und keine Versprechungen für das Jahr 2005.Drittens. Sie braucht eine sofortige Befreiung von un-nötigen bürokratischen Hemmnissen und flexiblere Mög-lichkeiten der Arbeitszeitgestaltung.Viertens. Sie braucht eine Erleichterung für kleine Be-triebe in Bezug auf Kündigungsmöglichkeiten, weil diesdie Voraussetzung für neue und für mehr Einstellungenist.Fünftens. Sie braucht ein unternehmerfreundlichesKlima für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze.
Herr Schlauch hat gestern die Opposition aufgefordert,Deutschland nicht schlecht zu reden. Meine Damen undHerren, das Schlechtreden ist nicht das Problem. Unserwahres Problem ist, dass Deutschland durch Ihre Politikin einer so schlechten Lage ist. Wir brauchen eine Umkehrder Politik. Dies wird Rot-Grün zum großen Schaden fürDeutschland leider nicht schaffen.Recht herzlichen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Manfred Hampel von der SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Durch die Abschaffung des Kohlepfen-nigs und die Finanzierung aus dem Bundeshaushalt ist dieSituation für den Einzelplan des Bundeswirtschaftsminis-ters unverändert schwierig. Einerseits muss natürlichauch dieser Einzelplan seinen Beitrag zur Erreichung desKonsolidierungsziels eines ausgeglichenen Haushalts biszum Jahre 2006 leisten; ich gebe Ihnen Brief und Siegeldarauf, dass wir dieses Ziel erreichen werden. Anderer-seits ist durch den hohen Anteil der vertraglich vereinbar-ten Steinkohlezuwendungen – wir stehen ohne Wenn undAber zu dieser vertraglichen Vereinbarung, da gibt es keinVertun – ein erheblicher Teil des BMWi-Haushalts ge-bunden und bietet keine Einsparungspotenziale. Trotzoder – besser gesagt – wegen dieser schwierigen Aus-gangslage haben wir im Einzelplan deutliche Verbesse-rungen vorgenommen, und zwar ohne dafür den Gesamt-haushalt auszuweiten.
ImGegenteil: Der Etat des Bundes konnte um 300Mil-lionen Euro gesenkt und die Nettokreditaufnahme von21,1 Milliarden Euro beibehalten werden. Das ist wiederein guter Schritt auf dem Weg zu einem ausgeglichenenHaushalt im Jahr 2006. Obwohl das Volumen imHaushaltsinkt, konnten in einigen Ressorts durch den Einsatz vonZinsersparnissen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzenwiederum Verbesserungen in den Bereichen Infrastruktur– Schiene und Straße –, Forschung und Bildung, Energie-forschung, Gebäudesanierung und CO2-Minderung er-reicht werden.Auch für das Jahr 2003 ist und bleibt die Fi-nanzierung der genannten Vorhaben beschlossene Sache.
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Dankward Buwitt20237
Das ist erneut ein wichtiger Beitrag, um deutlich zumachen, dass Sparen kein Selbstzweck ist, sondern mitder Rückführung und dem Abbau von Schulden wieder fi-nanzielle Spielräume geschaffen werden, die Handlungs-optionen ermöglichen und damit Gestaltungsspielräumein einem Haushalt eröffnen.
Im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers haben wirin den parlamentarischen Beratungen Verbesserungen ineinem Gesamtumfang von 217,6 Millionen Euro erzielenkönnen. Rechnet man die Erhöhung der globalen Minder-ausgabe von 21,2 Millionen Euro dagegen, bleibt immernoch ein Saldo von 196,4 Millionen Euro mehr.Ein Wort zur globalen Minderausgabe. Mich wundert,dass der Kollege Buwitt nicht darauf eingegangen ist. Ichwar eigentlich sicher, dass die Opposition darauf herum-reiten würde. Auch mir gefällt es nicht, dass sie wegen derForderungsausfälle im BTU-Programm auf 41,2 Milli-onen Euro erhöht werden musste. Sie bleibt aber damit im-mer noch um rund 5 Millionen Euro niedriger als im letz-ten Haushalt.Wenn Sie diese Höhe stören sollte, meine Damen undHerren von der CDU/CSU- und von der FDP-Opposition,dann empfehle ich Ihnen, sich die GMA in diesem Haus-halt im Vergleich zu den letzten Jahren anzusehen, in de-nen Sie die Regierungsverantwortung getragen haben.
Ich möchte ein paar Zahlen nennen, die ich wegen derVergleichbarkeit in Eurowerte umgerechnet habe. Noch ein-mal zur Erinnerung: Bei uns beträgt die globale Minderaus-gabe im Jahr 2002 41,2Millionen Euro. Wie sieht es bei Ih-nen aus? Im Jahr 1996 betrug sie 63,9 Millionen Euro, dasEineinhalbfache, 1997: 134,4 Millionen Euro, mehr als dasDreifache, 1998 – im sicherlich für lange Zeit letzten JahrIhrer Regierungsverantwortung –: 104,6 Millionen Euro,immer noch das Zweieinhalbfache. Sie sollten also bei die-sem Thema ganz ruhig sein.
Beim Kohlekompromiss ist es der Bundesregierunggelungen, diesen für die Restlaufzeit des EGKS-Vertragesabzusichern. Es ist davon auszugehen, dass eine neue EU-Regelung die Umsetzung des Kohlekompromisses bis2005 ermöglichen wird. Damit kann und wird die imJahre 1997 geschlossene Vereinbarung konsequent umge-setzt. Ich führe dies nur kurz an, weil seitens derCDU/CSU- und FDP-Opposition in den Diskussionendieser Kompromiss immer wieder infrage gestellt wird,obwohl die Vereinbarung unter Ihrer Regierungsverant-wortung geschlossen wurde. Aber so ist es: Kaum sind Siein der Opposition, wollen Sie Ihre eigenen Vereinbarun-gen nicht mehr kennen.
Auf einige einzelne Veränderungen, die wir im Laufeder parlamentarischen Beratungen beschlossen haben,gehe ich im Detail ein. Für die Förderung des Absatzesostdeutscher Produkte, auch für die Inlandsmesseförde-rung, haben wir den Baransatz von 9 auf 10 Millio-nen Euro erhöht. Wir haben dies für notwendig erachtet,da ostdeutsche Produkte und Dienstleistungen hinsicht-lich ihres Anteils am gesamtdeutschen Absatz noch im-mer einen erheblichen Nachholbedarf haben. Insofern ha-ben wir für die ostdeutschen Anbieter den wichtigenFaktor Inlandsmessen gestärkt. Das gilt übrigens auch fürden Bereich Auslandsmesseförderung, den wir um 4 Mil-lionen Euro auf 33,4 Millionen Euro erhöht haben.
Die Mittel für Forschungs- und Entwicklungsvorhabenim Bereich der erneuerbaren Energien haben wir im Um-fang von 20 Millionen Euro erhöht.
Damit ist wiederum ein wichtiger Beitrag zum Ausstiegaus der Kernenergie und zur stärkeren Nutzung alterna-tiver Energiequellen geleistet worden.Im gleichen Zusammenhang steht die Erhöhung derMittel für das Marktanreizprogramm für regenerativeEnergiequellen um 100 Millionen Euro.
Dieses Programm ist in den vergangenen zwei Jahren sostark angenommen worden, dass die im Haushaltsentwurf2002 eingestellten 100 Millionen Euro nie ausgereichthätten, um die enorme Nachfrage zu befriedigen. Im Übri-gen ist dies wieder ein Beleg dafür, dass sich unsere Pro-gramme als zukunftssicher, innovativ und beschäfti-gungswirksam erweisen.
Ich hoffe, dass die nunmehr bereitgestellten 200 Milli-onen Euro ausreichen, die Förderanträge zufrieden stel-lend zu bedienen. Der Run auf diese Programme zeigtdoch, welches enorme Nachholpotenzial im Bereich dererneuerbaren Energien steckt. Unter Ihrer Regierung,meine Damen und Herren von der rechten Seite, wärendieses Potenzial und die damit verbundenen Arbeitsplätzenie geschaffen worden.
Erwähnenswert ist auch, dass wir innerhalb dieses Ti-tels die Gewinnung von Energie aus Biomasse bis zu ei-ner Höhe von 35 Millionen Euro fördern. Sollte sich derBedarf als höher erweisen, gehe ich davon aus, dass imHaushaltsvollzug die entsprechenden Prioritäten gesetztwerden. Das kann nur ein Appell an den Bundeswirt-schaftsminister sein.
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Manfred Hampel20238
Im Bereich der neuen elektronischen Medien habenwir die Barmittel um 3 Millionen Euro erhöht, damit dieFortführung des Programms „Internet für alle“ gesichertist. Diese Aktion hat sich im laufenden Haushaltsjahr alsüberaus erfolgreich erwiesen. Es sollen auch im kom-menden Jahr alle gesellschaftlichen Gruppen bürgernahund umfassend über die neuen Informations- undKommunikationstechniken, insbesondere über den Um-gang mit dem Internet, informiert werden können.
Diese Maßnahmen erfolgen weiterhin unter Einbeziehungund in enger Abstimmung mit den Aktivitäten der Wirt-schaft und anderer gesellschaftlicher Gruppen.Für die Forschungsförderung haben wir insgesamt23,3 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. Davon sind2 Millionen Euro für die industrielle Gemeinschaftsfor-schung. 1,5 Millionen Euro sind für die Sicherheitsfor-schung im Bereich kerntechnischer Anlagen gedacht.10Millionen Euro sind für Forschung und Entwicklung inden neuen Bundesländern. 7 Millionen Euro sind für dieindirekte Förderung der Forschungszusammenarbeit undder Unternehmensgründungen gedacht. Nicht zuletztwerden 2,8Millionen Euro für das neue Programm „Netz-werkmanagement-Ost“, kurz NEMO genannt, bereitge-stellt.
Damit wird die Forschungsförderung auf einem hohenNiveau insbesondere in den neuen Ländern fortgeführt.Durch den neuen Förderwettbewerb „Netzwerkma-nagement-Ost“ soll in den neuen Bundesländern die Bil-dung von innovativen Netzwerken durch die Förderungsachkompetenter technologischer und betriebswirtschaft-licher Managementleistungen unterstützt werden. Es sol-len leistungsfähige Netzwerke angestoßen werden, wiesie bereits in den alten Bundesländern wirksam sind. Sol-che Netzwerke bieten gerade kleinen und vorwiegendjungen innovativen Unternehmen die notwendigen Kos-tenvorteile und Marktchancen für ihre Forschungs- undEntwicklungsarbeit. Nur im Rahmen solcher Netzwerkesind sie in der Lage, die zunehmende Nachfrage nach Sys-temlösungskompetenz zu decken.Für die Forschung zur Sicherung kerntechnischer An-lagen gegen terroristische Übergriffe sind im Rahmen derMaßnahmen, die im Zusammenhang mit der Terroris-musbekämpfung ergriffen worden sind, 5 Millionen Euroim Einzelplan 60 bereitgestellt.Das ERP-Sondervermögen hat sich in den letztenJahren zum zentralen und erfolgreichen Element der fi-nanziellen Mittelstandsförderung des Bundes entwickelt.Mit seinem Förderangebot setzt Deutschland vor allemauch dank der ERP-Förderung Maßstäbe in Europa. Des-halb werden auch im kommenden Jahr die bewährtenERP-Programme für Existenzgründer sowie die Pro-gramme für bestehende und wachsende Unternehmen aufeinem bedarfsgerecht hohen Niveau fortgeführt.
Im Wirtschaftsplan 2002 des ERP-Sondervermögensstehen 5 Milliarden Euro für ERP-Kredite und Beteili-gungskapital zur Verfügung. Weiterhin enthält der ERP-Wirtschaftsplan 2002 die Ermächtigung, im Rahmen desProgramms „Beteiligungskapital für kleine Technolo-gieunternehmen“ ein mobilisiertes Eigenkapital vonrund 1 Milliarde Euro bereitzustellen.Der vorliegende ERP-Wirtschaftsplan 2002 zeigt aucherneut, dass wir auf die speziellen Finanzierungsproblemevon Existenzgründern und mittelständischen Unterneh-men in den neuen Ländern in besonderem Maße eingehen.
Knapp die Hälfte der finanziellen Fördermittel aus demERP-Plan von rund 5 Milliarden Euro kann bei Bedarfvon dortigen Unternehmen in Anspruch genommen wer-den. Die ERP-Förderung bleibt damit ein stabiles und ver-lässliches Instrument für Gründer und mittelständischeUnternehmen in Deutschland.Auch die Mittel für die Förderung des A 380 wurdenaus dem Bundeshaushalt in das ERP-Sondervermögenverlagert. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden.Wir hatten jedoch bei der im letzten Haushaltsjahr gefun-denen Lösung eines direkten Darlehens aus dem Bundes-haushalt diese Mittel qualifiziert gesperrt, um unserenparlamentarischen Einfluss darauf zu sichern, wie und inwelchem Umfang Zulieferer aus den alten und den neuenBundesländern an diesem Programm partizipieren.Mit der Verlagerung in das ERP-Vermögen ist dieserparlamentarische Einfluss dahin. Stattdessen ist nundie Bundesregierung aufgefordert, diese Aufgabe wahr-zunehmen und dem Haushaltsausschuss periodisch überdie erreichten Ergebnisse zu berichten.
Wir erwarten von diesem Programm eine direkte, nach-haltige Beschäftigungswirkung von 15000 bis 16 000 Mit-arbeitern bei der EADS und den circa 600 Zulieferfirmen.Wir erwarten aber auch von der EADS, dass sie den An-teil der Zulieferungen aus den neuen Bundesländern wei-ter erhöht. Ob und wie dies geschieht, muss Inhalt derkünftigen Berichte der Bundesregierung sein.Für die Werftindustrie haben wir vorsorglich einequalifiziert gesperrte Verpflichtungsermächtigung inHöhe von 24Millionen Euro eingestellt, da auf EU-Ebeneüber eine Wiederaufnahme der Wettbewerbshilfe fürSchiffswerften erst in der kommenden Woche entschiedenwird, also zu einem Zeitpunkt, an dem unsere ab-schließende Beratung des Haushaltes 2002 bereits statt-gefunden hat. Für den Fall einer positiven Entscheidungist es ein formaler Akt, die qualifizierte Sperre Anfangkommenden Jahres aufzuheben.Den Antrag der CDU/CSU-Fraktion werden wir natür-lich ablehnen. Ich sage Ihnen auch gleich, warum.
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Manfred Hampel20239
Erstens geht er von Beträgen aus, die durch nichts un-terlegt sind. Die von uns eingestellte Verpflichtungser-mächtigung basiert auf Zahlen, die wir in intensiven Ge-sprächen mit der Werftindustrie abgestimmt haben.Zweitens. Sie wollen den Bund-Länder-Anteil wiederauf 50:50 setzen. Dabei haben Sie selbst den Anteil zu-gunsten des Bundes verändert, obwohl der Wertschöp-fungsanteil schon damals bei mehr als zwei Dritteln imBereich der Zulieferindustrie lag.In Ihrem Antrag sprechen Sie von Bayern und Baden-Württemberg. Haben Sie schon einmal mit Ländern da-rüber gesprochen? Hierfür sind vorab intensive Bund-Länder-Gespräche notwendig. Ich gehe davon aus, dassSie diese natürlich nicht geführt haben.Drittens. Wenn Sie es mit dieser Sache wirklich ernstmeinen, dann starten Sie doch über die Länder Bayern undBaden-Württemberg, die sich bisher nicht an den Lastenbeteiligt haben, gemäß Ihrem Antrag aber vorwiegenddurch die Wertschöpfung von den Küstenländern profitie-ren, eine Bundesratsinitiative, die deren prozentualen An-teil angemessen berücksichtigt.
Ich bin sehr neugierig, wie erfolgreich Ihre Bemühungensein werden. Sie können aber nicht im Ernst daran glau-ben, dass wir einen derart unseriösen Antrag unterstützen.Für die künftigen Jahre ist es notwendig, sich unab-hängig von der Entscheidung der EU dazu Gedanken zumachen, wie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen undeuropäischen Werftindustrie gegenüber den Billiganbie-tern aus Fernost gesichert werden kann.In den technisch hochwertigen Schiffen aus Europasteckt ein hohes Maß an Forschungskapazität, welchesvon der Werftindustrie fast ohne jede Förderung erbrachtwird. Andere Industriezweige wie die Automobil- oderdie Computerindustrie partizipieren in einem wesentlichhöheren Maße von Forschungsförderung als der Schiff-bau, bei dem fast jedes Schiff ein Prototyp ist.Ich fordere deshalb die Bundesregierung ausdrücklichauf, tragfähige und einfache Förderkriterien zu definieren,die einen unkomplizierten und schnellen Zugang auchdieses Industriezweiges zu den Fördermitteln ermögli-chen.
Da es sich ausschließlich um anwendungsorientierte For-schung handelt, sollte eine Etatisierung im Bereich desBundeswirtschaftsministers erwogen werden.Im Bereich Außenwirtschaftsförderung haben wirsowohl bei den Auslandmessen als auch bei den Außen-handelskammern den Etat erhöht. Die Auslandmessenwerden damit in einem Umfang gefördert, der ungefährdem Ist dieses Jahres entspricht. Bei den Außenhandels-kammern ist diese Förderung mit 34 Millionen Euro so-gar ein wenig höher als in diesem Jahr.Für die Erstellung von Projektstudien zur Vorbereitungdes Engagements von kleinen und mittleren Unternehmenim Ausland sollen 1 Million Euro zielgerichtet eingesetztwerden. Dabei sind insbesondere solche Projekte förde-rungswürdig, die ein hohes Potenzial für spätere deutscheZulieferungen und Investitionen aufweisen.Die CDU/CSU-Fraktion hat für die Gemeinschaftsauf-gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“einen Antrag auf Erhöhung der Mittel gestellt, den ich un-ter der Rubrik „Populismus“ ablege und den wir natürlichablehnen werden.
Diese Mittel sind zur Hälfte durch die Länder kofinanziert.Eine einseitige Erhöhung ohne Abstimmung mit den Län-dern, insbesondere mit den neuen Ländern, die mit der Ko-finanzierung Probleme haben, macht wirklich keinen Sinn.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, da ich demneuen Bundestag nicht mehr angehören werde, war dieserHaushalt mein letzter ordentlich beratener Haushalt. Anden Beratungen über den Haushalt des Bundeswirt-schaftsministers habe ich in den letzten acht Jahren teil-genommen; wie erfolgreich oder weniger erfolgreich dieswar, müssen letztlich andere beurteilen.In diesem Jahr können wir mit dem Haushalt des Bun-deswirtschaftsministers im Großen und Ganzen zufriedensein. Wir konnten in wesentlichen Punkten deutliche Ver-besserungen erreichen. Dieser Haushalt ist damit ein Bei-trag, die derzeit eher mäßigen Konjunkturaussichten zuverbessern. In diesem Sinne werbe ich um Zustimmung.Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Der Schrumpfhaushalt des Wirtschafts-ministers ist bereits heute Makulatur. Das für das nächsteJahr prognostizierte Wachstum von 1,25 Prozent, dasauch dem Einzelplan 09 zugrunde liegt, ist Illusion. Dasbestätigen alle nationalen und internationalen Konjunk-turforscher. Herr Müller, gehen Sie daher mit HerrnEichel noch einmal in Klausur und berücksichtigen Sieunsere vernünftigen Änderungsanträge.Wir wollen das Bundeskartellamt stärken, damit derWettbewerb ein kräftiges Rückgrat bekommt. Das ist beidieser Bundesregierung und bei diesem Minister leider bit-ter notwendig. Das jüngste Beispiel zeigt, wie wenig derBundeswirtschaftsminister mit der Idee des Wettbewerbsanfangen kann. Noch bevor das Bundeskartellamt die ge-plante Fusion in der Mineralölwirtschaft überhaupt geprüfthatte, wedelte er bereits mit einer Ministererlaubnis.
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Manfred Hampel20240
Der Minister übersieht: Gingen Shell, DEA undBP/Aral zusammen, dann beherrschten sie über 50 Pro-zent des deutschen Marktes. Da lohnt es sich im Interessedes Wettbewerbs schon, genauer hinzusehen. Deshalbfordere ich Sie auf, Herr Müller, die Marktbereinigung beiden Tankstellen doch dem Markt zu überlassen. DieGroßen werden mit der Fusion, die sie unbedingt wollen,vom Wettbewerbsdruck befreit, wenn der Druck auf dieKleinen verschärft wird.
Ganz offensichtlich setzt Herr MonopolministerMüller hier auf eine Flurbereinigung allein zulasten desMittelstandes. Das ist ungeheuerlich.
Deshalb sage ich: Hände weg von dem Holzhammer-instrument Ministererlaubnis! Der Schutz des Wettbe-werbs verlangt eine saubere wettbewerbspolitische Prü-fung.
Berücksichtigen sollten Sie auch unseren Vorschlag,die Grundsatzabteilung vom Finanzministerium wiederin das Wirtschaftsministerium zurückzugliedern.
Es wird immer deutlicher: Ihnen fehlt nicht nur die Auto-rität im Kabinett; Ihnen fehlt auch das Fachwissen aus derGrundsatzabteilung.
Ich zitiere den Direktor des Instituts der deutschenWirtschaft, Herrn Professor Fels: Wir haben einen Haus-haltsminister. Wir haben einen Gewerbeminister. Aber wirhaben keinen, der sich um die Konjunktur kümmert. – Dasist es!
Mit anderen Worten. Der Regierung fehlt schlichtweg derChefökonom. Niemand kümmert sich um die Wachstums-und Beschäftigungskrise, in die Grün-Rot Deutschlandgeführt hat. Das ist eine der Ursachen für die schlechtewirtschaftspolitische Performance.Das Kompetenzgerangel zwischen Wirtschafts- undFinanzministerium der Vergangenheit hat der Politik zu-sätzlich geschadet. Es fehlt die klare ordnungspolitischeLinie.
Niemand weiß so recht, wohin die Reise geht. Deshalbmuss das Wirtschaftsministerium wieder das werden, wases früher war: das ordnungspolitische Gewissen der Re-gierung.
Dazu bedarf es des entsprechenden Unterbaus, nämlichdes Sachverstandes.Die Liste der ordnungspolitischen Sünden ist lang:Verlängerung des Briefmonopols – kein Beitrag, um denWirtschaftsstandort zu stärken –, Vorstoß für nationalenEnergiesockel – nichts anderes als der Versuch, demWettbewerb auszuweichen –, „Pennerprämie“ für dieStadtwerke im KWK-Vorschaltgesetz, Holzmann-Bürg-schaft, Liberalisierungsstau; auf der letzten Meile immernoch zu 99 Prozent ein Telekom-Monopol. Glücklicher-weise ist das Zwangspfand gescheitert. Aber auch in an-deren Bereichen sind die bürokratischen Regelungen derfalsche Weg. Deshalb ist die Ordnungspolitik der ent-scheidende Punkt. In der Wirtschaftspolitik muss es wie-der einen Kompass geben.
Es darf nicht eine Politik nach Gutsherrenart sein, beider derjenige, der gerade am Kanzler vorbeigeht, ein Bon-bon bekommt.Interessant war gestern die Vorstellung des Energiebe-richts der Bundesregierung aus dem Hause Müller. DieUmstellungskosten zur Erreichung der Klimaziele bezif-ferte Energiefachmann Müller auf etwa 500 Milliar-den DM für die deutsche Volkswirtschaft. Auf diese mu-tige Äußerung des Ministers folgten natürlich sofort dieBeißreflexe der Grünen. Dabei legen gerade die Grünendie Axt an die Klimaschutzziele.
Jährlich lassen sich durch die nukleare Energieerzeugung100 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Doch ge-nau aus dieser Technologie wollen die Grünen aussteigen.Stattdessen werden Subventionen in Milliardenhöhe indie erneuerbaren Energien hineingepumpt.Die Liberalisierungsgewinne in der Stromwirtschaftsind durch Grün-Rot in drei Jahren praktisch verspielt.Aus den gut 15 Milliarden Ersparnissen, primär für dieKleineren – die Großkonzerne haben nie Tarif gezahlt –ist wieder eine Zusatzbelastung von 12 Milliarden gewor-den. Das ist eben grün-rote Energiepolitik.Jetzt kommt noch die Kraft-Wärme-Kopplung. DasKWK-Gesetz hätte ich und hätte auch Walter Hircheheute gern mit Ihnen leidenschaftlich debattiert. Aber Siehaben es wieder von der Tagesordnung genommen, weilSie sich nicht einigen können, weil Sie keine Linie haben,weil Sie nicht wissen, was Sie wollen, weil die Eiertänzeweitergehen.
Der müllersche Entwurf geht insbesondere den Grünenoffenbar nicht weit genug. Mit dem Gesetz wird die kom-munalpolitische Kundschaft der SPD bedient. Den Grü-nen wird es als Klimaschutzprogramm verkauft und diefallen auch noch darauf herein.Das Ganze soll nach der Vorstellung von Herrn Müllerbis zum Jahr 2010 9 Milliarden DM kosten. Damit wirdein weiterer Preistreiber im Energiemarkt auf den Weg
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Rainer Brüderle20241
gebracht. Offensichtlich reichen diese PreistreibereffekteGrün-Rot nicht. Es soll noch draufgesattelt werden. DerMarkt muss noch mehr belastet werden. Offenbar gibt esnoch nicht genügend Entlassungen in diesem Land.Herr Müller, Sie werden es schwer haben, in der Ener-giepolitik nur halbwegs kostengünstige Strukturen zu hal-ten. Ihren Energiebericht haben insbesondere die GrünenIhnen um die Ohren geschlagen. Herr Loske spricht voneiner Provokation, Frau Hustedt spricht von tendenziösenFakten, Herr Kuhn ist sowieso dagegen und der SPD-Fraktionsvize Müller spricht von einem Chaosbericht
eines Ministers der eigenen Regierung.
All das zeigt: Der zuständige Fachminister wird von denKoalitionsfraktionen nicht mehr ernst genommen. Eszeigt aber auch: Die grün-rote Energiepolitik ist an dieWand gefahren worden.
Insgesamt wird der Etat von Monopolminister Müllerum über 12 Prozent zusammengestrichen. In keinem an-deren Ressort wird so viel gekürzt wie bei ihm. Daranwird sich auch bei Nachverhandlungen nichts mehr än-dern. Aber der Wirtschaftsetat ist das Sinnbild für denRang der Wirtschaftspolitik bei Grün-Rot; sie ist nämlichSchlusslicht.
Wirtschaftspolitik ist hier ein Mauerblümchen, ein läs-tiger, vernachlässigbarer Restposten, und das in einer Zeit,in der wir uns auch nach Meinung des Sachverstän-digenrats in einer Rezession befinden, viele MenschenAngst um ihren Arbeitsplatz haben und wir auf über 4Mil-lionen Arbeitslose zusteuern. Wenn Sie die vielen ABM-Maßnahmen noch hinzurechnen, haben wir in Wahrheit ei-nen Bedarf von gut 5 Millionen Arbeitsplätzen inDeutschland. Und vor diesem Hintergrund diese Politik!Monatelang wurde die prekäre wirtschaftliche Lagehartnäckig geleugnet. Was wurden wir hier beschimpft alsSchwarzredner, als wir – im Mai schon – gewarnt haben.Als Herr Eichel noch davon träumte, mit 2,75 Prozent rea-lem Wachstum die Wirtschaft gestalten zu können, habenwir gesagt: Seien Sie froh, wenn Sie 1 Prozent kriegen. Dawurden wir heruntergemacht als Opposition, die nurschlechtredet. Heute liegen Sie unter 1 Prozent. Sie kön-nen froh sein, wenn Sie mit 0,6 Prozent, wie es der Sach-verständigenrat sagt, davonkommen. Dabei wird immernur die positive Variante der Prognose des Sachverständi-genrats zitiert. Er hat nämlich zwei Varianten vorgestellt,eine unter den drei Prämissen, dass der Ölpreis weitersinkt, die amerikanische Wirtschaft mindestens 1,3 Pro-zent Wachstum hat und moderate Lohnabschlüsse verein-bart werden. Zu den Lohnabschlüssen versprechen dieGewerkschaften schon tönend, das sei nicht möglich. Nurunter diesen drei Prämissen kann ein Plus von 0,6 Prozentherauskommen. Die zweite Variante des Sachverständi-genrats lautet minus 0,6 Prozent, das verschweigen Sievöllig. In Wahrheit liegen wir wahrscheinlich dazwi-schen, ungefähr bei 0 Prozent.Vor diesem Hintergrund muss etwas getan werden. Siestehen vor einem Scherbenhaufen Ihrer Wirtschaftspolitikund Ihres Nichtstuns.
Der Bundeskanzler spricht bei bald 4 Millionen Arbeits-losen in Deutschland verniedlichend von einer Delle. HerrEichel, der Ratlose, versteckt sich hinter seiner Buchhal-tung und will sich mit Steuererhöhungen über die Rundenretten. Das ist eine Art brüninghafter Reflex. Meine Da-men und Herren, weniger Investitionen und höhere Steu-ern, eine solche falsche Politik hat schon einmal die deut-sche Volkswirtschaft an die Wand gefahren. Das kann derWeg nicht sein!
Jetzt werden Tabaksteuer, Versicherungssteuer, Mineral-ölsteuer und Stromsteuer erhöht und der Wirtschaftsmi-nister sagt nichts Kritisches dazu, sondern heißt es nochgut.
Das ist sein Signal an die Wirtschaft. Das ist das falsches-te Signal, das man in der jetzigen Situation geben kann,
nämlich Steuern zu erhöhen statt einen Weg zu finden,durch den die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. DasGegenteil wäre richtig. Sie müssten jetzt die Steuerreformvorziehen, sie müssten jetzt Gas geben, bevor wir nochtiefer ins Loch hinein fallen.Ihren Haushalt können Sie sowieso nicht halten. DieSteuereinnahmen gehen dramatisch zurück. Die Sach-verständigen gehen noch von 32 Millionen Steuerausfallin diesem und im nächsten Jahr verteilt über die Gebiets-körperschaften aus und das ist eher an der unteren Grenzedessen, was man schätzen kann. Wahrscheinlich werdenes mehr sein. Aber selbst bei dieser Größenordnung hal-ten Sie den Haushalt nicht. Sie rechnen ihn sich schön mitWachstumsraten, die völlige Träumerei sind.Die Soziallasten steigen von Monat zu Monat, weil dieArbeitslosigkeit in Deutschland seit Januar jeden Monatsteigt. Sie halten die Linie nicht. Statt Ihren Haushaltdurch Nichtstun kaputtzumachen, sollten Sie ihn konsoli-dieren, indem Sie etwas tun, indem Sie steuerliche Im-pulse geben.
Ich wiederhole meinen Vorschlag: Machen Sie den Ansatzmit Steuerschecks. Das ist kein Geschenk, das sind Ab-schlagszahlungen auf Steuersenkungen. Statt den Mit-telstand zu diskriminieren und schlecht zu behandeln,sollten Sie die schon beschlossenen Steuersenkungen vor-ziehen oder eine Abschlagszahlung geben, damit dieMenschen spüren, dass sich in Deutschland etwas ändert,
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Rainer Brüderle20242
damit ein Stück Bewegung hineinkommt. Sie können denHaushalt konsolidieren, indem Sie aktiv etwas tun. DasNichtstun gefährdet die Konsolidierung natürlich nochdramatischer.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Sehr gern; denn ich bin fast
am Ende meiner Rede. Herr Kollege Hinsken, das ist So-
lidarität.
Wie ich gerade
sehe, hatten Sie Ihre Redezeit schon überschritten. Ich
bitte Sie, nur noch diese Nachfrage zu beantworten.
Selbstverständlich, und zwar
mit großer Freude, Frau Präsidentin.
Sehr geehrter Herr Kol-
lege Brüderle, Sie beklagen zu Recht die schlechte Steu-
erpolitik für den Mittelstand. Sie erinnern sich aber si-
cherlich genauso gut wie ich an den 14. Juli des
Jahres 1999: Damals haben doch Sie den großen Durch-
bruch verkündet. Sie haben immer wieder gesagt, wir
müssten diese Vorschläge unterstützen, damit die Bundes-
regierung diese Steuerreform – die Sie jetzt kritisieren –
umsetzen könne. Das passt doch nicht zusammen.
Herr Hinsken, für diese
Frage bin ich Ihnen sehr dankbar. Ich werde sie gern in der
gebotenen Klarheit beantworten.
Wir standen vor der Frage, ob Deutschland überhaupt
nichts zustande bringt. Wir waren international schon die
Lachnummer.
Die ganze Welt sagte: Deutschland kann nichts bewegen.
Die „New York Times“ schrieb in einem Leitartikel: Ein
Land, das 30 Jahre über die Abschaffung des Laden-
schlusses diskutiert und das nicht einmal eine Teilreform
zustande bringt, hat die Zeichen der Zeit nicht ver-
standen.
Wir haben erreicht, dass zusätzlich 7Milliarden DM an
Steuererleichterungen hinzukamen. Das war ein ent-
scheidender Punkt; denn es bestand eine zum Himmel
schreiende Ungerechtigkeit für den deutschen Mittel-
stand:Gerade die kleinen und mittleren Handwerker hat-
ten ihre Lebensplanung darauf ausgerichtet, ihren Betrieb
im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit zum halben Steuer-
satz verkaufen zu können, um mit den Einnahmen aus die-
sem Verkauf ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Obwohl Handwerker und Mittelständler jahrzehntelang
ihre Lebensplanung darauf ausgerichtet hatten, hat Grün-
Rot diese Möglichkeit einfach gestrichen.
Diese Ungerechtigkeit zurückzunehmen und für alle
eine zusätzliche Steuerentlastung in Höhe von 7 Milliar-
den DM zu schaffen, war meines Erachtens ein Ansatz
wenigstens für eine Teillösung.
Ich habe nie gesagt, dass diese Teillösung befriedigend ist,
Herr Hinsken, aber der andere Weg, gar nichts zu machen,
wäre noch schlimmer gewesen.
Die politische Konstellation sah leider so aus, dass
Grün-Rot – ich habe die wirklich nicht gewählt; ich bin
unschuldig – eine Mehrheit hat. Unter diesen Umständen
musste man versuchen, wenigstens eine Teillösung zu fin-
den. Mir wäre natürlich eine ganz andere Lösung lieber
gewesen; aber die gefundene Lösung war zumindest ein
Ansatz. Durch die erreichte Verbesserung haben wir uns
wenigstens nicht völlig blamiert.
Jetzt befinden wir uns in einer neuen Situation. Mitt-
lerweile ist die Konjunktur „abgeschmiert“. Nötig wäre
es, die weiteren Stufen der Steuerreform vorzuziehen.
Herr Kollege,
Sie überschreiten Ihre Redezeit.
Ich muss die Frage beant-
worten. Das hätte zwei Effekte: Man würde ein Stück Un-
gerechtigkeit ausgleichen und – das ist der Kernpunkt –
man würde ein weiteres „Abschmieren“ der Konjunktur
verhindern. Tatsache ist, dass nun, da sowohl die ameri-
kanische als auch die japanische Wirtschaft in einer Re-
zession stecken, auch Deutschland in eine Rezession hin-
einrutscht. Deshalb ist jetzt Handeln geboten.
Herr Kollege,
jetzt fahren Sie aber mit Ihrer normalen Rede fort. Den-
ken Sie an die Zeit, bitte.
Der Respekt vor dem Abge-ordneten Hinsken gebietet es natürlich, seine Frage kor-rekt zu beantworten, Frau Präsidentin.
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Rainer Brüderle20243
Der Abgeord-
nete Hinsken fühlte sich, glaube ich, schon genug berück-
sichtigt.
Nein, Herr Hinsken kann nie
genug von mir hören. Ich weiß das.
Entscheidend wird sein, den Trend umzukehren. Dafür
können Sie nur sorgen, indem Sie Erwartungen verän-
dern. Dazu gehört Psychologie. Was Grün-Rot perfekt be-
herrscht, ist, Psychologie zu missachten. Ich weiß nicht,
ob 50 Prozent Psychologie für die Trendwende aus-
schlaggebend sind; auf jeden Fall braucht es viel Psycho-
logie. Herr Müller, Sie haben noch eine Chance – auch
wenn Sie im Kabinett isoliert sind und von den Grünen in
merkwürdiger Art und Weise beschimpft werden –: Brin-
gen Sie Ihr Gewissen ins Reine! Sagen Sie die Wahrheit!
Korrigieren Sie das, was Sie öffentlich sagen! Wenn Sie
das tun, dann können Sie Ihr Amt eines Tages aufrechten
Ganges verlassen und Ihre berufliche Tätigkeit in der
Energiewirtschaft fortsetzen.
Das Wort hat die
Abgeordnete Michaele Hustedt.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein we-sentlicher Bestandteil der Wirtschaftspolitik ist die Ener-giepolitik. Da uns Grünen die Energiepolitik, weil sie imZentrum jeder Nachhaltigkeitsstrategie steht, besondersam Herzen liegt, möchte ich mich darauf konzentrieren.Frau Eichstädt-Bohlig wird die anderen wesentlichenPunkte ansprechen.Vorweg möchte ich doch noch etwas zu Herrn Brüderlesagen: Ihre Partei hat 28 Jahre mitregiert. Ich kann wahr-lich nicht verstehen, wie Sie sich vor diesem Hintergrundhier so aufplustern können. Trotz schlechter Weltwirt-schaftslage, die uns als Exportnation naturgemäß unver-schuldet besonders trifft,
sind die während unserer drei Jahre Regierungszeit vonuns erzielten Ergebnisse immer noch wesentlich besserals Ihre Bilanz.
Wir konsolidieren den Haushalt, wir haben die größteSteuerreform seit Jahrzehnten umgesetzt. Menschen undUnternehmen zahlen weniger Steuern als während IhrerRegierungszeit. Familien und Kinder werden, seitdem wiran der Regierung sind, stärker gefördert als zu Ihrer Zeit.Die Arbeitslosigkeit ist zwar nicht so stark gesunken, wiewir uns das gewünscht hätten, aber seit dem Regie-rungswechsel immerhin von 4,3 auf 3,8 Millionen.
Ich finde, unsere Bilanz kann sich durchaus sehen lassen.
Zur Energiepolitik: Deutschland ist inzwischen welt-weit Spitze bei der Förderung erneuerbarer Energien.Zurückzuführen ist das natürlich auf das Gesetz zur För-derung erneuerbarer Energien und das Marktanreizpro-gramm. Die Hälfte des in Europa erzeugten Windkraft-stroms wird inzwischen in Deutschland produziert.
Im Fünfjahresprogramm – das müsste die PDS besondersfreuen – des 100 000-Dächer-Programms liegen wir gutim Plan, wir werden den Plan sogar übererfüllen. Das giltauch für die Förderung von Biomasse. Es wurden zumBeispiel in diesem Jahr 1 500 Biogasanlagen gebaut; dasist eine Verdoppelung innerhalb eines Jahres. Das Poten-zial ist hier immer noch sehr groß: Auf lange Sicht kön-nen wir 10 Prozent unseres Energieverbrauchs inklusiveWärme und Treibstoffe durch den Einsatz von Biomassedecken. Darin steckt großes Potenzial. Diesen Pfad habenwir jetzt geöffnet.
Ähnlich sieht es bei den solarthermischen Anlagen aus:In der letzten Zeit wurden etwa 120 000 Solaranlagen mit950 000 Quadratmetern installiert.
Dafür wurden 1,5 Milliarden DM investiert. Von daherwar es natürlich ein Schock für die junge Branche, in derviele neu gegründete Unternehmen ohne Rücklagen tätigsind, dass die Mittel für das Marktanreizprogramm von300 Millionen DM auf 180 Millionen DM zusammenge-strichen wurden. Wir haben es jetzt wieder auf 400 Milli-onen DM bzw. 200 Millionen Euro aufgestockt. Für dieseVerbesserung beim Marktanreizprogramm möchte ichmich ganz ausdrücklich bei den Haushältern FranziskaEichstädt-Bohlig, Oswald Metzger, Hans Georg Wagnerund auch bei Ihnen, Herr Hampel, bedanken.
Ich finde, das ist ein hervorragendes Beispiel für unsereLinie, gleichzeitig zu sparen, aber auch Prioritäten in denBereichen zu setzen, wo wir Wirtschaft und Umwelt vor-anbringen wollen.
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Ich gehe jetzt davon aus, dass nach dieser Aufstockungauch die Förderbedingungen für solarthermische Anlagenwieder vorsichtig verbessert werden.Nach der sehr starkenVerschlechterung der Förderbedingungen hat es ja einendeutlichen Rückgang der Zahl der Anträge gegeben. Ichgehe davon aus, dass wir jetzt zwar nicht ganz wieder dasfrühere Niveau, aber doch eine deutliche Verbesserung derFörderbedingungen durch Aufstockung der Mittel er-reichen.DasGleiche sollte für dieWärmeversorgungdurchBiomasse, also durch Biogasanlagen und Holzpellets, gel-ten. Hier sollten wir die Fördermittel deutlich erhöhen.
Insgesamt wurden die Mittel für das Marktanreizpro-gramm deutlich aufgestockt. Aber auch der DeutschenEnergie-Agentur wurde eine stabile Grundlage gegeben,die insbesondere im Bereich Energieeinsparung undEnergieeffizienz tätig sein soll, indem die Mittel für sieauf insgesamt 15 Millionen DM aufgestockt wurden.Wie schon gesagt wurde, haben wir die Energiefor-schung um 40Millionen DM bzw. 20Millionen Euro auf-gestockt. Das ist gerade für den Forschungsbereich einsehr wichtiger Punkt. Nicht unwichtig ist auch, dass wirdie Energieberatung vor Ort von 9 Millionen DM auf15 Millionen DM aufgestockt haben. All das ist ein be-achtliches Zeichen in Richtung umweltfreundliche Ener-gieerzeugung.
Insgesamt reiht sich dieser Haushalt in eine Energie-politik ein, die auf den Atomausstieg setzt, die gleichzei-tig aber auch zeigt, dass Klimaschutz machbar ist.Im Bereich erneuerbarer Energien haben wir bereits120 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Inzwischen ar-beiten in dieser Branche mehr Menschen als in der Atom-industrie, weit abgeschlagen mit 40 000, und es sind mehrals in der Kohleindustrie.
– Jetzt rufen Sie „Subventionen“ dazwischen. Daraufhabe ich natürlich gewartet. Der Kohlekompromiss istvon Ihrer Regierung ausgehandelt worden, auch wenn Siedavon nichts mehr wissen wollen.
Faktisch ist es so, dass wir in diesem Jahr in Bund undLand zusammen 8 Milliarden DM für 50 000 Arbeits-plätze ausgeben. Bei den erneuerbaren Energien beträgtdie Umlage in der Tat 1,7 Milliarden DM pro Jahr, undzwar degressiv für 120 000 Arbeitsplätze. Das ist eine Bi-lanz, die sich auch unter arbeitsmarktpolitischen Ge-sichtspunkten durchaus sehen lassen kann.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms?
Ja.
Frau Kollegin
Hustedt, wo Sie nun die Erfolge der rot-grünen Energie-
politik aufzählen, haben Sie dabei nicht einen besonderen
Erfolg vergessen, nämlich die Garantie für die vorher so
umstrittene Atomenergiewirtschaft, für weitere 30 Jahre
in Deutschland arbeiten zu können?
Das ist doch ein besonderer Erfolg der rot-grünen Politik.
Herr Solms, ich finde Ihre Frage, ehrlich gesagt, etwaspeinlich. Inzwischen sollte auch bei Ihnen angekommensein, dass es nicht um ein Weiterlaufen für weitere30 Jahre, sondern um die Gesamtlaufzeiten geht. Dass Siedas immer noch nicht verstanden haben, zeigt, dass Sie indiesem Thema nicht besonders bewandert sind.
Sogar Herr Grill hat schon verstanden, dass es jetzt nurnoch um 20 Jahre geht und dass nach 20 Jahren das letzteAtomkraftwerk vom Netz gehen wird. In der nächsten Le-gislaturperiode werden die ersten Atomkraftwerke vomNetz gehen. Nach knapp zwölf Jahren wird die Hälftealler Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gegangensein. Damit ist Deutschland weltweit das Land, das amschnellsten aus der Atomkraft aussteigt. Ich finde, damitkann man sich sehen lassen.
Das Altbausanierungsprogramm bringt nach konserva-tiver Schätzung 125 000 Arbeitsplätze, verteilt auf zehnJahre. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag, um der Not lei-denden Bauwirtschaft zu helfen.Die Ökosteuer ist nicht nur ökologisch, sondern wirdnach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirt-schaftsforschung bis 2010 auch bis zu 250 000 neueArbeitsplätze schaffen.Insgesamt setzen wir auch in der Energiepolitik aufneue Technologien, auf Wind, Biomasse, Photovoltaik,Solarthermie, Geothermie, Brennstoffzelle, Mikroturbineund andere hocheffiziente Technologien für fossileBrennstoffe.Das Niedrigenergie- und das Nullenergiehaus, ja dieNullemissionsfabrik, all das sind Zukunftsperspektiven,ebenso Treibstoff aus Raps, Biodiesel, Erdgasfahrzeuge,in der Perspektive die Brennstoffzelle mit solarerzeugtem
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Michaele Hustedt20245
Wasserstoff. Hier entsteht ein gigantisch wachsender Zu-kunftsmarkt. Die Vorreiterrolle im Klimaschutz, die wirweiterhin einnehmen wollen, ist keine Belastung für denStandort Deutschland, sondern eine Chance, Zukunfts-märkte bzw. Innovationsmärkte zu besetzen.
Die rot-grüne oder, wenn Sie es so wollen, die grün-rote Energiepolitik spricht dabei eine deutliche Sprache.Die Ökosteuer als ein Anreiz zum Energiesparen funktio-niert. Tatsächlich geht der Verbrauch von Benzin und Die-sel deutlich zurück. Es gibt das Gesetz zur Förderung er-neuerbarer Energien, das 100 000-Dächer-Programm, dasMarktanreizprogramm, die Energieeinsparverordnung,das Altbausanierungsförderprogramm und jetzt auch nochperspektivisch das Gesetz zur Förderung der Kraft-Wärme-Koppelung.Die Bilanz dieser Regierung kann sich in diesem Be-reich wahrlich sehen lassen. Der Reformstau ist aufgelöst,die Modernisierung ist angestoßen, neue Arbeitsplätzewerden geschaffen und der Umwelt- und Klimaschutzwird vorangebracht. Damit können wir uns sehen lassen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe KolleginHustedt, Sie haben mich auf den Fünfjahresplan ange-sprochen. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Sie sind vor-sichtig geworden. Sie haben sich für fünf Jahre auf eineeinzige Position festgelegt. Würden Sie den gesamtenHaushalt als Fünfjahresplan verabschieden, würden Siewahrscheinlich das gleiche Ergebnis ernten, wie wir esdamals geerntet haben, was die Erreichung des damit ver-bundenen Ziels betrifft.
Zu Beginn meiner Rede möchte ich aber ein anderesProblem ansprechen: Ein oft vorgetragener Vorwurf andie PDS lautet, wir unterbreiteten keine Vorschläge. Aber,liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Tatsa-che ist, dass wir bereits am 11. Oktober dieses Jahres imWirtschaftsausschuss Anträge eingebracht haben, die vonIhnen allesamt abgelehnt wurden.
Nicht weniger als neun dieser Anträge – Herr KollegeHeil, Sie haben wieder einmal voreilig geklatscht – wer-den heute als Empfehlungen der Koalition mit DatumMitte November Gesetz. Ich frage Sie: Wo bleibt da IhreEhrlichkeit im Umgang mit den Vorschlägen, die wir un-terbreiten?
Natürlich freue ich mich darüber, dass letztlich auchdurch unsere Anträge der ökologische Umbau notwen-dige zusätzliche Impulse erhält, dass die Kürzung der fürdie Förderung von Innovationen in kleinen Unternehmenvorgesehenen Mittel weitgehend abgewendet ist und dassnicht zuletzt eine nachhaltige Schwächung der Hilfen fürKleinbetriebe in Ostdeutschland verhindert werden kann.Ein Erfolg ist es ohne Zweifel auch, dass endlich die seitJahren diskutierte Förderung des NetzwerkmanagementsNEMO auf den Weg gebracht wird.
Zur Haushaltsehrlichkeit gehört es aber auch, zu sagen,dass damit in erster Linie eine Begrenzung von Schädenerreicht wurde, die von den Ministern Eichel und Müllerim Rahmen ihrer indiskutablen Haushaltsansätze geplantwaren.Eine Reihe von Problemen bleiben – das wissen auchSie –: Ich meine beispielsweise den Umgang des Bundesmit den regionalpolitischen Folgen der so genanntenBundeswehrreform. Länder und Kommunen sollen ein-fach sich selbst überlassen bleiben. Regionen sterben; dasist nicht übertrieben. Es geht um einige 1 000 Arbeits-plätze bzw. um einige 1 000 Menschen, denen die Zu-kunftsperspektive genommen wird.Dabei wäre für die Konversion tatsächlich Geld vor-handen. Ich meine unter anderem – das ist vorhin ange-sprochen worden – den Nachschlag von 179 MillionenEuro, den der Kanzler seinem Heimatland für die EXPOgewähren will. Wie wollen Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von der Koalition, den Menschen in Osterode,in Oldenburg oder auch in Eggesin erklären, dass zwar fürEXPO-Bosse, die für Missmanagement, wirtschaftlicheFehlkalkulation und großzügige Gehälter sowie Abfin-dungen verantwortlich sind, Geld vorhanden war, dassaber dann, wenn es um die Sorgen der Menschen in die-sem Lande geht, der Geldbeutel leer ist?
Die mit der EXPO verbundenen positiven strukturellenEffekte kamen und kommen doch zuallererst demGroßraum Hannover zugute. Das belegen übrigens auchdie Studien der Landesregierung. Deshalb wäre es vielsinnvoller, mit dem EXPO-Zuschlag einen Konversions-fonds des Bundes aufzulegen.Auch die umfassende Rüstungsaltlastensanierung– Sie wissen, es geht insbesondere um Fundmunition aufTruppenübungsplätzen oder auch in Städten und Gemein-den – könnte damit in Angriff genommen werden. Dasfordert schließlich auch der Bundesrat in einem vor weni-gen Tagen beim Bundestag eingegangenen Gesetzent-wurf.Ich werbe deshalb nachdrücklich um Zustimmung fürunseren zu diesem Thema vorgelegten Änderungsantrag.Reden Sie nicht nur, sondern handeln Sie auch!
Lassen Sie uns gemeinsame Freiräume für die Zukunftschaffen, statt Abenteuer der Vergangenheit zu vergolden,zumal mit diesem Wirtschaftshaushalt eine Reihe völligunkalkulierbarer Abenteuer eingegangen werden. DerEtat des Wirtschaftsministers soll künftig das Ausfallri-
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Michaele Hustedt20246
siko für Kredite und Zinsen in Höhe von 2 Milliar-den Euro des nur bedingt rückzahlbaren Darlehens für dieEntwicklung des Superairbus tragen. Diese Summe ent-spricht in etwa dem derzeitigen jährlichen Volumen deraktiven Wirtschaftspolitik des Ministers. Wenn dieseBürgschaft fällig werden sollte – nach dem 11. September2001 ist so etwas nicht völlig auszuschließen –, dann wäredas der Offenbarungseid. Dieses Risiko, wenn es dennüberhaupt übernommen werden soll, kann nur in der Ver-antwortung des Bundes als Ganzes getragen werden, alsoim Einzelplan 32. Das muss auch für den Kredit gelten.Eine entsprechende Bereitstellung aus dem ERP-Son-dervermögen – das sehe ich anders als Sie, Herr KollegeHampel – wirft in zweifacher Hinsicht ein bezeichnendesLicht auf die Politik der Bundesregierung. Es muss schonverwundern, dass sie einerseits uneingeschränkte Solida-rität mit den USA beschwört und andererseits zur selbenZeit auf die Mittel des einstigen Marshallplans zurück-greift, um das größte deutsche Unternehmen in dertechnologischen Auseinandersetzung mit seinem USA-Konkurrenten unterstützen zu können.
Andererseits, liebe Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, istes bemerkenswerte Mittelstandspolitik, wenn über 1 Mil-liarde Euro als Kredit an die Tochter von Daimler-Chrys-ler dem Fonds für Existenzgründer und Mittelstandsför-derung entnommen werden. Ich weiß, es handelt sichdabei nicht um eine ERP-Förderung. Rund ein Drittel derseit Jahren schrumpfenden Liquidität dieses Sonder-vermögens wird damit aber langfristig bei einem Unter-nehmen angelegt, das gewiss mit vielem, aber überhauptnichts mit Mittelstand zu tun hat.
Anders als bei den sonst üblichen Bankguthaben wer-den die Spielräume des ERP-Sondervermögens so nach-haltig eingeschränkt. Es fehlen damit dringend notwen-dige Fördermittel, um auf die Steigerung der Nachfragebei Existenzgründern und Mittelständlern reagieren zukönnen. Statt dass ERP als Schattenhaushalt des Bundesmissbraucht wird, muss über eine Reform dieser Förder-kulisse konsequent nachgedacht werden. Gibt es Ihnen,liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wirk-lich nicht zu denken, dass zur Förderung in Ost-deutschland 1994 11 Milliarden DM, im vergangenenJahr aber nur noch 3 Milliarden DM ausgereicht wurden?Kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument von derKonjunktur und dass sich die Bedingungen verändert hät-ten. Die Bedingungen haben sich in vielen Bereichen sehrwohl verändert. Was die wirtschaftliche Tätigkeit betrifft,haben sie sich aber eher verschlechtert.Auch im Westen ist die Entwicklung nicht besser. EinRückgang der Nachfrage um 32,6 Prozent spricht dochBände. Die wirtschaftliche Situation ist bekannt: von po-sitiver konjunktureller Entwicklung keine Spur.Die sinkende Nachfrage signalisiert, dass offen-sichtlich das Angebot nicht mehr stimmt, weder imExistenzgründungs- noch im Mittelstands- oder im Um-weltbereich. Wenn dann für die Erprobung neuer Förder-konzepte ganze 10 Millionen Euro bei einem Gesamt-volumen der ERP-Förderung von 5 Milliarden Euro mo-bilisiert werden, ist das für meine Fraktion schlicht nichtakzeptabel.
Schließlich muss es heute mehr denn je darum gehen, mitden beschränkten öffentlichen Mitteln ein Maximum anArbeitsplätzen zu schaffen und sichern zu helfen.Natürlich ist auch der PDS klar, dass die drohende Re-zession – wir wollen die Situation nicht schlecht reden;aber wir müssen die Dinge beim Namen nennen – nichtvorrangig mit Wirtschaftsförderung zu bekämpfen ist. Ichmeine aber auch, Herr Brüderle, dass alte Rezepte – Siehaben sie wieder angesprochen – wie das Vorziehen derSteuerreform, also Steuersenkungen, für die Bekämpfungder Wirtschafts- und Beschäftigungskrise untauglich sind.Die Entwicklung in den USA beweist doch: Steuersen-kungen sind machtlos gegen Angst und Unsicherheit.Mehr Geld in der Tasche landet nicht im Konsum oder inInvestitionen, sondern höchstens im Sparschwein oder beiSpekulationsgeschäften.Sich nicht an der abenteuerlichen Kriegspolitik derUSA zu beteiligen wäre die beste Konjunkturstütze. Ichplädiere für den Ausstieg aus hoch riskanten Infrastruktu-ren. Ich plädiere für einen wirklichen Einstieg in mehrdezentrales Wirtschaften und damit Stärkung der Regio-nen. Das würde nicht nur schnell zusätzliche Arbeits-plätze schaffen. Es wäre auch das beste Antiterror-programm.Viele Menschen im Lande erwarten vernünftige Rah-menbedingungen, damit sie ihr Wollen in bezahlte undexistenzsichernde Arbeitsplätze, ja auch in Selbstständig-keit umsetzen können. Dafür tragen wir alle gemeinsampolitische Verantwortung. Dieser Verantwortung wird derHaushalt 2002 nicht gerecht.Danke schön.
Das Wort hatjetzt der Herr Bundesminister Werner Müller.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Da beißt die Maus keinen Faden ab: Die konjunkturelleLage ist unerfreulich. Fragt man sich, was die tieferenGründe sind, kann man in jedem Falle zwei feststellen:
Der erste Grund: Die Investitionstätigkeit der Unter-nehmen lässt zu wünschen übrig. Woran liegt das? Die In-vestoren sind verunsichert. Sie haben gewisse Zweifel,was die Zukunft anbelangt. Es liegt jedenfalls nicht daran,dass beispielsweise nicht genügend Investitionskapital zuüberaus niedrigen Zinsen zur Verfügung stünde. Wir ha-ben es in den USA erlebt: Sechsmalige Zinssenkungenhintereinander haben es nicht verhindert, dass das Inves-
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Rolf Kutzmutz20247
titionsklima anhaltend schlecht ist und sich nicht verbes-sert hat.Der zweite Grund für die konjunkturelle Schwächeliegt darin, dass wir insgesamt – und das auch global – zuwenig Konsumausgaben haben, obwohl die Kaufkraftder Bürger vorhanden wäre. Insbesondere haben wir dasin den USA erlebt. Dort sind die von Herrn Brüderle fa-vorisierten Steuerschecks im Sommer in die Haushaltegesandt worden, mit dem Ergebnis, dass das Konsum-klima nach jüngsten Umfragen an einem absoluten Tief-punkt ist. Stattdessen sind die Steuervergütungen auf diehohe Kante gelegt worden.Das heißt, die Verschlechterung des Verbraucherkli-mas hat nichts damit zu tun, dass die Kaufkraft der Leutegenerell nicht vorhanden wäre. Der tiefere Grund für diekonjunkturelle Schwäche liegt nicht etwa in einem Man-gel an Investitionskapital oder an Kaufkraft der Haus-halte, sondern in der allgemeinen Verunsicherung
und in einem gewissen mangelnden Vertrauen in diewirtschaftliche Zukunft.
Das ist seit dem 11. September besonders ausgeprägt undteilweise durchaus verständlich.
Ich betone: Es ist ein globales und keineswegs ein isolier-tes deutsches Phänomen.
Nun fragen wir uns und vielleicht auch Sie sich, wasnun eigentlich hilft, wenn die Ursache unserer wirtschaft-lichen Schwierigkeiten eine tiefe Verunsicherung von In-vestoren und Verbrauchern ist.
Meinen Sie, es hilft unserer konjunkturellen Entwicklung,wenn Sie die Situation angesichts einer solchen Aus-gangslage noch schlechter beschreiben, als sie tatsächlichist?
Hilft es unserer Konjunktur, wenn Sie den Versuch star-ten, eine Krise herbeizureden
– ist doch so; ich habe hier ja nun lange genug zugehört –,
in der Erwartung, dass Sie zum Schluss ein Krisenge-winnler wären? Sie werden kein Krisengewinnler sein;das kann ich Ihnen schon jetzt prognostizieren.Oder hilft es in dieser Zeit der Verunsicherung, wennaus Ihren Reihen seitens der Ministerpräsidenten immernur der Vorschlag kommt, die Steuerreform vorzuziehen,während die Finanzminister derselben Länder veröffentli-chen, das dürfe auf keinen Fall gemacht werden?
Sie tragen in dieser Gesellschaft mit Sicherheit nicht zueiner größeren Zuversicht in die Zukunft bei, wenn per-manent so widersprüchliche Äußerungen kommen. Auchdas will ich Ihnen deutlich sagen.
Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Christa
Luft?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ja.
Herr Minister, wie erklärenSie sich, dass der Zuwachs der Zahl der Erwerbstätigen inder Bundesrepublik Deutschland nach dem Gutachten derfünf Weisen und auch nach der Statistik, die man nachle-sen kann, in diesem Jahr 0,1 Prozent betragen wird,während es in Frankreich, das unter den gleichen welt-wirtschaftlichen Bedingungen lebt, einen Zuwachs derZahl der Erwerbstätigen von 1,6 Prozent gibt? Kann dasdamit zusammenhängen, dass man in Frankreich ein Ge-setz zur Verkürzung der Arbeitszeit eingeführt hat? Kanndas damit zusammenhängen, dass man für Unternehmen,die arbeitsintensive Dienstleistungen anbieten, den Mehr-wertsteuersatz gesenkt hat? Kann es auch an solchen Din-gen liegen oder wie erklären Sie sich das? Denn nur anden Überkapazitäten des Bauwesens im Osten kann esnicht liegen. Der Bundeskanzler hat gestern gesagt, sieleisteten einen Beitrag von 0,6 Prozent zum Abschwung.Wenn man 0,6 Prozent zu 0,1 Prozent addiert, kommt manimmerhin auf 0,7 Prozent, die der Erwerbstätigenzuwachsbei uns betragen müsste. Wir haben aber gegenüberFrankreich dann noch immer eine große Lücke.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Ich will, Frau Professor Luft, nicht inAbrede stellen, dass man mit dirigistischen Eingriffen inden Arbeitsmarkt – zum Beispiel dem Verbot von Über-stunden, das ja hierzulande manchmal diskutiert wird –kurzfristig Arbeitsplätze schafft. Aber man würde die ge-samtwirtschaftliche Entwicklung – das werden Sie auchin Frankreich erleben – weiter abwürgen. Das wollen wirnicht; denn Arbeitsplätze werden im Grunde nur geschaf-fen, wenn wir wieder auf einen Wachstumspfad kommen.
Ich habe gefragt, was es nützt, wenn Sie vor dem Hin-tergrund des mangelnden Zukunftsvertrauens als eigentli-
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cher Ursache unserer konjunkturellen Situation mit un-ausgegorenen Vorschlägen kommen oder die Lage nochschlechter reden, als sie ist, wie Sie es in Ihren Re-debeiträgen hier im Bundestag zurzeit permanent tun. Ichwill Ihnen sagen: Das nützt unterm Strich überhauptnichts.
Was in Zeiten der Verunsicherung und des mangelndenVertrauens der Investoren und Konsumenten in die Zu-kunft wirklich hilft, ist einzig eine Politik der Berechen-barkeit und Planbarkeit. Umso wichtiger ist deshalb dieBotschaft, die die Bundesregierung mit ihrem Haushaltfür das Jahr 2002 Wirtschaft, Bürgern, Investoren undKonsumenten gibt:
Die Grundsätze einer soliden Wirtschafts- und Finanzpo-litik haben sich nicht verändert. Der Bundeshaushalt 2002ist solide und er wird solide bleiben.
Steuerausfälle und konjunkturbedingte Mehrbelastun-gen werden im Bundeshaushalt verkraftet. Die Nettokre-ditaufnahme wird planmäßig weiter zurückgeführt. DieBundesregierung bleibt also bei ihrer Politik der Konso-lidierung; denn nur so lassen sich Freiräume für die Be-wältigung zentraler Zukunftsaufgaben schaffen. Sie bleibtaus Überzeugung bei dieser Politik, weil nur so dieWachstumskräfte unserer Volkswirtschaft nachhaltig ge-stärkt werden können. Ich sage noch einmal: Wir bleibenbei dieser Politik, um ein Signal des Vertrauens zu setzenund um für Vertrauen zu werben.
Herr Minister,darf ich Sie einen Moment unterbrechen? – Mir ist signa-lisiert worden, dass man Sie schlecht verstehen kann. –Können die Herren am Apparat den Ton etwas lauter stel-len? – Ansonsten müssten Sie etwas lauter reden.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Frau Präsidentin, ich habe in den letz-ten Tagen häufiger erlebt, dass man mich schlecht ver-steht.
Eine verlässliche Wirtschafts- und Haushaltspolitik istdie beste Antwort auf Zukunftszweifel in Wirtschaft undGesellschaft. Meine Damen und Herren, lassen Sie michdeswegen ganz sachlich einige Punkte zu dem Haushaltdes Bundeswirtschaftsministers vortragen:Die intensiven Beratungen im Haushaltsausschuss ha-ben zu nicht unerheblichen Veränderungen im Haushaltgeführt. Im Ergebnis steigt der Ihnen vorliegende BMWi-Haushalt gegenüber dem Regierungsentwurf um insge-samt 217 Millionen Euro. Davon sind rund 60 Milli-onen Euro zur Bedienung von Altverpflichtungen aus demBeteiligungsprogramm technologischer Unternehmens-gründungen vorgesehen. Dieses Programm hat in der Ver-gangenheit ganz erheblich zur Entwicklung des Beteili-gungskapitalmarktes für junge Technologieunternehmenin Deutschland beigetragen. Als Beitrag zur Gegenfinan-zierung dieses BTU-Mehrbedarfs musste allerdings dieglobale Minderausgabe verdoppelt werden. Dies belastetnatürlich leider die Haushaltsführung des nächsten Jahresnicht unerheblich. Daran ist aber wohl nicht zu rütteln.Worin bestehen nun die weiteren Veränderungen? Ichkomme erstens zum Energiebereich: Mit der Aufstockungder Mittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbareEnergien um rund 100 Millionen Euro stehen nun zurFörderung regenerativer Energiequellen und der rationel-len Energieverwendung insgesamt 200 Millionen Eurozur Verfügung. Ich will aber deutlich sagen: Ich sehekeine Möglichkeit, die spezifischen Sätze der Förderungzu erhöhen; denn wir bekommen auch nach Absenkungder Fördersätze unverändert an die 2 000Anträge pro Wo-che. Ich hoffe, dass wir mit den erhöhten Mitteln alle An-träge werden befriedigen können.
Im Übrigen muss ich auch deutlich sagen: Wenn bei ge-senkten Fördersätzen unverändert viele Nachfrager vor-handen sind, macht es keinen Sinn, die Sätze zu erhöhen.
Zudem wurde der Bereich der Energieforschung mit20 Millionen Euro verstärkt. Damit können wir inklusiveder Mittel aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm insge-samt 135 Millionen Euro für die Energieforschung ausge-ben.Ich möchte noch etwas in Sachen Energie sagen. Siebezeichnen mich ja gerne als Monopolminister. GestattenSie mir, dass ich dem Weinbauminister a. D. kurz etwassage:
Zwischen Mineralöl und Benzin auf der einen undWein auf der anderen Seite gibt es Unterschiede.
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Herr Brüderle, der größte Unterschied ist ganz einfach:Wein haben wir in unserem deutschen Land, Rohöl nicht.Wenn Sie diesen Sachverhalt einmal intellektuell richtigverarbeitet haben, werden Sie ferner feststellen, dass zwi-schen dem Weinvertrieb und dem Benzinvertrieb gewisseUnterschiede bestehen.
Der größte Unterschied ist vielleicht der: Benzin brau-chen wir alle, Wein – na ja!
Ich will fortfahren: Zweitens ist erfreulich, dass zur In-novationsförderung für den Mittelstand sowie zur Förde-rung der Nutzung neuer Medien zusätzlich 25 MillionenEuro bereitstehen.Drittens ermöglicht die Aufstockung der Mittel im Be-reich der Außenwirtschaft in Höhe von 6 Millionen Euro,die Förderprogramme für die Außenwirtschaft auf hohemNiveau fortzuführen und sogar auszubauen.Darüber hinaus wurde viertens für die Fortsetzung derWerftenförderung vorsorglich eine zusätzliche Verpflich-tungsermächtigung von 24 Millionen Euro eingestellt.Dies ist notwendig geworden, um dem Kommissionsvor-schlag, zusätzlich zu einer WTO-Klage gegen Korea be-fristet Beihilfen zu gewähren, national folgen zu können.Schließlich wurden fünftens die notwendigenVerpflichtungsermächtigungen zur Absicherung der Fi-nanzierung des ERP-Darlehens für die gesamten Ent-wicklungskosten des A 380 in Höhe von insgesamt rund2 Milliarden Euro ausgebracht.Mit diesen Verbesserungen wird in schwieriger kon-junktureller Situation seitens der Wirtschafts- und Tech-nologiepolitik ein wirksamer Beitrag geleistet.Meine Damen und Herren, der überwiegende Teil derHaushaltsmittel des Einzelplans 09 kommt, rechnet mandie Mittel für den Steinkohlenbergbau nicht hinzu, demMittelstand zugute. Darauf sind die meisten Förderpro-gramme zugeschnitten.Gerade die innovativen Unternehmen und die dynami-schen kleinen und mittleren Unternehmen, einschließlichder Start-ups, leisten einen wichtigen Beitrag zur wirt-schaftlichen Erholung. Wir unterstützen sie dabei durchdie bewährte Mittelstands- und Existenzförderung überdas ERP-Sondervermögen und die beiden Förderbanken,die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Deutsche Aus-gleichsbank. Aus diesem Grunde ist heute auch über dasERP-Wirtschaftsplangesetz 2002 zu entscheiden.Im Wirtschaftsplan 2002 des ERP-Sondervermögensstehen 5 Milliarden Euro für ERP-Kredite zur Verfügung.Hinzu kommt noch 1 Milliarde Euro für mobilisiertes Ei-genkapital im Rahmen des Programms „Beteiligungska-pital für kleine Technologieunternehmen“. Zudem wer-den die beiden Förderbanken jeweils Kredite vonmindestens noch einmal 5 Milliarden Euro zur Verfügungstellen. Mit der Annahme des ERP-Wirtschaftsplangeset-zes 2002 kann die finanzielle Förderung des Mittelstandesverlässlich und auf hohem Niveau fortgesetzt werden.Hier wird immer wieder erwähnt, dass die KfW derFirma Hochtief einen normal verzinslichen Kredit gege-ben hat. Ich will anmerken, dass wir es mit den Mitteln derKfW und der Deutschen Ausgleichsbank bewerkstelligenkönnen, das, was wir im Fall Holzmann getan haben, be-zogen auf den Mittelstand tagtäglich abertausendmal zuwiederholen.
Die Förderung des Mittelstandes ist wichtig. Dies istaber nur ein Element unserer Politik für kleine und mitt-lere Unternehmen. Die Bundesregierung wird sich mitNachdruck dafür einsetzen, negative Auswirkungen aufdie Mittelstandsfinanzierung durch die Baseler Eigenka-pitalrichtlinie zu vermeiden. Im Laufe der Baseler Kon-sultationen konnten wir schon deutliche Verbesserungendurchsetzen. Die Verlängerung dieses Prozesses werdenwir nutzen, um weitere Ziele zu erreichen, zum Beispieldie Beseitigung der bisherigen Diskriminierung von lang-fristigen Krediten und die Erhöhung des Kreditvolumensfür das Retail-Portfolio. Zur aktiven Mittelstandspolitikgehört auch die Möglichkeit der steuerfreien Reinvestiti-onsrücklage für Personenunternehmer, die Gewinne ausVeräußerungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften er-zielen.Mein Haus hat sich von Anfang an für diese Regelungund deren mittelstandsfreundliche Ausgestaltung einge-setzt. Ich will allerdings zugestehen, dass es aus meinerSicht besser gewesen wäre, wenn man dem einstimmigenVotum des Wirtschaftsausschusses gefolgt wäre und einenanderen Plafond hinsichtlich der Höhe der Mittelverwen-dung vorgeschlagen hätte.Durch die Erhöhung der Ansätze unseres Haushaltshaben sich die Gewichte positiv verschoben, und zwar inRichtung moderner Technologien, der Förderung der In-novationskraft und der internationalen Wettbewerbs-fähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Aufstockung derMittel im Innovationsbereich bedeutet ein deutliches Si-gnal. Damit unterstützen wir kleine und mittlere Unter-nehmen, im globalen technologischen Wettbewerb zu be-stehen und neue zukunftsfähige Arbeitsplätze zuschaffen. Um die innovativen Unternehmen zu stärken,setzen wir auf Starthilfen für die Gründung von techno-logieorientierten Unternehmen, auf Forschungskoopera-tionen und die Entwicklung innovativer Netzwerke. Beider Mittelverwendung meines Haushalts für diesen Be-reich haben die neuen Länder eine ganz besondere Prio-rität.
Um dies weiter zu verstärken, bringen wir für den Auf-bau von innovativen Unternehmensnetzwerken in denneuen Ländern ab dem Jahre 2002 ein neues Förderpro-gramm mit dem Namen „Förderwettbewerb Netzwerk-management Ost“ auf den Weg. Dies war auch ein beson-derer Wunsch im Haushaltsausschuss.
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Auch die Nutzung der neuen Medien, insbesonderedes Internets, durch Mittelstand und Verwaltung werdenwir weiter forcieren. Hierzu dienen strategisch wichtigeProjekte für den Aufbau elektronischer Wirtschafts- undVerwaltungsstrukturen.Ein positives Beispiel für den Erfolg unserer Förder-politik ist die Biotechnologie. Hier gab es in den letztenJahren eine äußerst dynamische Entwicklung, vor allembei den Unternehmensneugründungen. Auch dank derFörderpolitik meines Hauses nehmen wir heute bei denUnternehmensgründungen im Bereich Biotechnologieeine führende Position in Europa ein.
Bevor ich schließe, möchte ich den Berichterstatternfür meinen Haushalt und allen voran Ihnen, lieber HerrHampel, sehr herzlich danken.
– Was heißt hier „Oh“? Ich bin von außen zu meinem po-litischen Amt gekommen und wusste am Anfang garnicht, was ein Berichterstatter eigentlich ist. Ich habe eserstens kennengelernt – manchmal auch kennenlernenmüssen – und zweitens, insbesondere was Sie, HerrHampel, anbelangt, auch überaus schätzen gelernt.
Ich weiß selber noch nicht genau, inwieweit ich persön-lich Ihre Arbeit demnächst vermissen werde. Sie haben jagesagt, dass Sie hier nicht mehr tätig sein werden. Aufjeden Fall wünsche ich Ihnen alles Gute. Ohne Ihre per-manente Begleitung unseres Hauses wäre vieles nicht sogeregelt worden, wie wir es regeln konnten.
Ich darf in den Dank auch Sie, Herr Wagner, herzlicheinschließen. Ich jedenfalls habe mich über Ihre Unter-stützung sehr gefreut.
Es ist auch Ihr Verdienst, dass der BMWi-Haushalt2002 wichtige wirtschaftspolitische Akzente setzt undgleichzeitig einen großen Beitrag – den größten eines Ein-zelhaushalts – zur Konsolidierung des Bundeshaushaltesleistet. Nur so können wir die Steuerreform finanzieren,Freiraum für Privatinitiative schaffen und die Zukunfts-aufgaben bewältigen.Die Zukunft dagegen verspielt – das will ich auch ein-mal sagen –, wer – wie ich das seitens der Opposition er-lebt habe – im Haushaltsausschuss Änderungsanträge aufÄnderungsanträge stellt, die alle in eine Richtung gehen:immer mehr Subventionen für die Wirtschaft. Dies kannnicht oberste Richtschnur der Wirtschaftspolitik sein.Deshalb bin ich ganz erfreut, dass viele Ihrer manchmalüberhaupt nicht sinnigen Subventionsforderungen imHaushaltsausschuss von der Mehrheit abgelehnt wordensind.
Der mit dem Zukunftsprogramm 2000 der Bundes-regierung eingeschlagene Kurs der Konsolidierung unddes Gestaltens wird mit dem Bundeshaushalt 2002 weiterfortgesetzt.Man kann das Sachverständigengutachten so oder sosehen, darf aber nicht nur die wenigen kritischen Sätze se-hen, sondern muss erst einmal die Hauptkapitel und viel-leicht freundlicherweise auch die Überschrift dieses Gut-achtens lesen. Die Überschrift des Gutachtens erteiltjedweder aktionistischen Wirtschaftspolitik, irgendwel-chen kurzfristigen Hauruck-Konjunkturprogrammen eineklare Absage. Wenn Sie also das Gutachten des Sach-verständigenrates zitieren, seien Sie konsequent und zi-tieren Sie ehrlich.
Gleiches gilt übrigens für die OECD. Die OECD hat inden letzten Tagen die Grundlinien der deutschen Wirt-schafts- und Finanzpolitik ausdrücklich positiv gewür-digt. Wenn Sie fair argumentieren, sollten Sie das auch sozitieren.Es gibt also auch nach Auffassung internationaler undnationaler Sachverständiger keine Alternative zu einerReformpolitik, die auf nachhaltige Verbesserung der wirt-schaftlichen Rahmendaten abzielt.
Der Entwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2002einschließlich des Haushaltsentwurfs für den Bundeswirt-schaftsminister schafft die notwendige Voraussetzung,um unsere Reformpolitik konsequent und auch erfolg-reich fortzuführen.Lassen Sie mich abschließend auf meine Eingangs-bemerkung zurückkommen. Wir werden für diese Politikum Vertrauen bei Bürgerinnen und Bürgern werben, undzwar umso stärker, je mehr Sie Misstrauen säen.Danke.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Matthias Wissmann.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Wenn man einen Eindruck vom Zu-stand der Wirtschaftspolitik in Deutschland bekommenwill, von ihrer Stärke, ihrer Durchsetzungskraft, ihrerKreativität und ihrer Perspektive, dann hat man HerrnMüller zuhören müssen.
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Bundesminister Dr. Werner Müller20251
Aber uns allen ist nicht nach reiner Polemik zumute,sondern wir wissen: Wir reden keine Krise herbei; wirsind mitten in einer Krise.
Wir haben die Probleme nicht erst seit den Ereignis-sen vom 11. September, die sicherlich das Vertrauen er-schüttert und die Verunsicherung gestärkt haben. SeitHerbst 2000 gehen die Wachstumszahlen in Deutsch-land kontinuierlich zurück. Seit Januar 2001 steigt sai-sonbereinigt die Arbeitslosenzahl.Die wahre Analyse finden wir in dem Vergleich zu un-seren europäischen Partnern. Natürlich waren wir schonin den 90er-Jahren durch die enormen Folgeprobleme derMisswirtschaft in der früheren DDR beim Wachstumnicht an der absoluten Spitze Europas. Wir waren auf ei-nem mittleren Platz. Jetzt sind wir im EU-Vergleich beimWachstum auf dem letzten Platz. Damals lagen wir im eu-ropäischen Vergleich bei der Preissteigerung auf demvierten Platz. Jetzt sind wir auch als Folge von Ökosteuerund vielen anderen Belastungen, die diese Regierung ver-anlasst hat, auf den siebten Platz abgerutscht. In SachenArbeitslosigkeit sind wir auf Platz zehn, dem denkbarschlechtesten Platz für eine große Industrienation wieDeutschland.Die „FAZ“ hat den Bericht über die gestrige Debattemit dem Satz überschrieben: „Schröder sieht sich macht-los gegenüber wachsender Arbeitslosigkeit“. Die „Süd-deutsche Zeitung“ schrieb vor wenigen Tagen unter derÜberschrift „Der hilflose Kanzler“:Wie lange noch soll das so gehen? Wie lange nochwill die Regierung tatenlos zusehen, wie Deutsch-land die Kräfte schwinden?Man muss es ganz klar sagen: Neben den internationa-len Faktoren, die keiner bestreitet, ist unser Kernproblem,dass wir keine kreative, eigenständige und starke Wirt-schaftspolitik in Deutschland haben, mit der der Kriseentgegengetreten wird.
Wir besitzen nicht den Mut, die eingefahrenen Gleise zuverlassen: bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes, derweiteren Liberalisierung der Energiemärkte in Europa,den gezielten Steuersenkungen, die dazu beitragen könn-ten, dem Mittelstand, der am meisten leidet, auf die Beinezu helfen. Eine Insolvenzwelle wie nie zuvor geht durchunser Land. Die kleinen und mittleren Betriebe haben vonder Steuerreform nichts mitbekommen, im Gegenteil: Siesind über zum Teil veränderte Möglichkeiten der Ab-schreibungen zusätzlich belastet worden.Das hat mit den handelnden Personen zu tun. Aber eshat auch mit einer völlig falschen Architektur Ihrer Wirt-schafts- und Finanzpolitik zu tun. Die Wirtschaftspolitikist jetzt endgültig zu einem Wurmfortsatz der Finanz-politik geworden. Sie hat kein eigenständiges Profil mehr.
Herr Müller, Ihnen sind die Grundsatzabteilung und dieeuropäischen Zuständigkeiten genommen worden. Sie unddie Regierung lassen es zu, dass man über eine vergleichs-weise zweitrangige Frage wie der nach dem Ver-waltungsratsvorsitz bei dem durch Fusion der Kreditan-stalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbankentstehenden Institut – geht er an Sie oder den Finanzmi-nister – monatelang streitet, ohne eine Einigung zu erzie-len. Wie will denn jemand, der schon so kleine Problemenicht lösen kann, die großen Probleme der Arbeitsmarkt-und Wirtschaftsentwicklung glaubwürdig angehen?
Ich richte mich bei diesem Punkt – ich möchte fair sein –nicht nur an die Adresse des amtierenden Wirtschafts-ministers. Versuchen Sie sich einmal zurückzubesinnen:Wann hat man in guten Zeiten gute Wirtschaftspolitik ge-macht und in schlechten Zeiten rechtzeitig reagiert? – Daswar in der Zeit, als es eine Balance zwischen Finanz-und Wirtschaftspolitik gab, als das Wirtschaftsminis-terium neben dem Finanzministerium ein eigenständigesProfil und eine Leuchtturmfunktion hatte. Das war in den50er-Jahren, als Ludwig Erhard und Fritz Schäffer Minis-ter waren, in den 60er-Jahren, als Karl Schiller und FranzJosef Strauß Minister waren, und während der RegierungKohl der Fall, als Gerhard Stoltenberg und Otto GrafLambsdorff Minister waren. Heute gibt es weder einekraftvolle Finanzpolitik noch eine kreative Wirtschafts-politik. Das ist unser Dilemma, wenn es um die Zukunftunseres Landes geht.
Das hat zur Folge, dass der Wirtschaftsminister zwaran einigen Stellen durchaus richtige Anmerkungen zurWirtschaftspolitik machen darf – ich erinnere an seinefrühen Anmerkungen zur Novellierung des Betriebs-verfassungsgesetzes –, dass er sich aber am Ende nichtdurchsetzen kann. Alle mittelstandspolitischen Folter-instrumente der letzten Jahre – 630-Mark-Gesetz, Gesetzzur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit, das Be-triebsverfassungsgesetz und „Zwangsteilzeit“, um nur ei-nige zu nennen – sind verabschiedet worden. Es findet aufbreiter Front eine Reregulierung unserer Volkswirtschaftstatt. Es gibt keine Liberalisierung, keine Freisetzung derKräfte, keine Ermutigung des Mittelstands und keineStärkung der kleinen und mittleren Betriebe. Ich glaube,das müssen Sie sich, Herr Müller, leider vorwerfen lassen.Notwendig wäre eine Entrümpelungsaktion. Sie, HerrMüller, müssen die novellierten Gesetze, von denen ichgerade gesprochen habe, rückgängig machen und gleich-zeitig auch den Mut besitzen, fragwürdige steuerpoli-tische Instrumente zu beseitigen. Gestern hat Ihnen dieEuropäische Kommission mitteilen lassen, dass die Öko-steuer mit ihren ganzen bürokratischen Feinziselierungennicht auf ihre Zustimmung stößt. Schaffen Sie endlich dieÖkosteuer ab oder setzen Sie wenigstens die nächste Stufeder Ökosteuer aus, die am 1. Januar 2002 in Kraft tretensoll.
Einen ähnlichen ungelösten Widerspruch verkörpertIhre Energiepolitik. Sie haben in diesen Tagen einen
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Energiebericht vorgelegt, der letztlich nur eine Botschafthat: Die Energiepolitik der Regierung ist gescheitert. EineKehrtwende ist dringend erforderlich. Es war zwar nur einRandaspekt dieser Debatte, aber er war bemerkenswert:Der Wirtschaftsminister der rot-grünen Bundesregierunghat genau in den zehn Minuten den Saal verlassen, in de-nen die energiepolitische Sprecherin der Grünen ihreKonzeption dargelegt hat.
Herr Müller darf zwar etwas sagen und bei bestimmtenGelegenheiten Richtiges schreiben. Aber er darf Wirt-schaftspolitik nicht durchsetzen. Das spüren wir auch inder Energiepolitik.
Wir alle – das gilt parteiübergreifend – wissen, dass diein den 90er-Jahren durchgesetzte Liberalisierung desStrom- und Gasmarkts zu deutlichen Strompreissenkun-gen in Höhe von 20 Milliarden DM geführt hat. Nicht nurder Industriekunde und nicht nur der mittelständische Be-trieb, sondern auch der Normalbürger hat diese Entlas-tung gespürt. Es sprach alles dafür, diesen Weg weiter-zugehen. Inzwischen haben aber die von Rot-Grünbeschlossenen Marktinterventionen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das KWK-Vorschaltgesetz, denVerbraucher mit zusätzlich 4 Milliarden DM belastet.Hinzu kommen die Belastungen aus der Stromsteuermit derzeit rund 11 Milliarden DM. Wenn ich die derzei-tigen Belastungen eines durchschnittlichen Vier-Perso-nen-Haushaltes durch die Energiepolitik der Bundes-regierung zusammenrechne, komme ich für das Jahr 2001auf eine zusätzliche Belastung in Höhe von 630 DM:
Stromsteuer, Heizungskosten, Ökosteuer auf Benzin undvieles andere. Das Gesetz zur Kraft-Wärme-Kopplung,das eigentlich in dieser Woche verabschiedet werdensollte, würde den Verbrauchern zusätzlich 8,7 Milliar-den DM aus der Tasche ziehen.Verdeckte Strompreiserhöhungen sind nicht nur denVerbrauchern nicht mehr zuzumuten, sie sind auch ord-nungpolitisch der falsche Weg. Vertrauen Sie in den rot-grünen Reihen stärker auf die Kräfte des Marktes. SeienSie mutiger bei der weiteren Liberalisierung von Märktenund lassen Sie sich nicht bei jeder Gelegenheit eine ideo-logische Finte einfallen, wie man den Bürger und die Be-triebe wieder stärker belasten kann! Das ist der falscheWeg in unsere Zukunft.
Meine Damen und Herren, auch in der Steuerpolitikfällt Ihnen nichts Weiterführendes ein. Sie müssten jetztwenigstens einen Teil der Entlastungen für den Mittel-stand vorziehen, die für 2003 und 2005 geplant sind. Siehandeln nicht. Wir sagen noch einmal mit allem Nach-druck: Jetzt wäre es richtig, die Steuerentlastungsstufevon 2003 auf 2002 vorzuziehen – um ein Signal zu geben!
Ludwig Erhard hat zu Recht gesagt: Die Hälfte der Wirt-schaftspolitik ist Psychologie. – Wenn Sie nicht handeln,dann verletzen Sie dieses Gesetz. Sie gehen den falschenWeg, meine Damen und Herren.
Sie als Bundesregierung tragen auch für den investivenBereich eine Verantwortung. Die Investitionsquote imHaushalt sinkt seit 1998. In den neuen Ländern geben Siein jedem Land inzwischen mehr Geld für den zweiten Ar-beitsmarkt aus als für Investitionen in unsere Zukunft: In-frastruktur, Hochschulen, Technologie, Stadtsanierung.Das hat zur Folge, dass seit 1998 das Volumen der Inves-titionen in den neuen Ländern kontinuierlich sinkt.Ich habe noch einmal die neun Punkte nachgelesen, indenen die Sozialdemokraten im letzten Wahlkampf ihrewichtigsten Versprechungen zusammengefasst hatten.
Die drei wichtigsten wirtschaftspolitischen Verspre-chungen will ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen.Die erste Versprechung hieß: mehr Arbeitsplätze; Ar-beitslosigkeit kann man bekämpfen. Ergebnis: Wir wer-den in diesem Winter leider 4,2 Millionen Arbeitslose ha-ben. Sie hatten ein ganz anderes Ziel im Auge. Sie habenIhr Versprechen nicht gehalten.
Die zweite wichtige Versprechung: Der Aufbau Ostwird zur Chefsache und mit einem gebündelten Zukunfts-programm vorangetrieben.
Ergebnis: Die Investitionen in die neuen Länder sinkenseit 1998. Sie sind in diesem Jahr wegen eines Streits zwi-schen Rot und Grün nicht einmal in der Lage, die vorge-sehenen Bahninvestitionen für die Infrastrukturerneue-rung ordnungsgemäß abfließen zu lassen.
Versprechung Nummer drei: Deutschland als Ideenfa-brik durch Verdoppelung der Investitionen in Bildung,Forschung und Wissenschaft in fünf Jahren. Herr Müller,ich stelle fest: In Ihrem Haushalt sind seit 1998 die For-schungsinvestitionen um über 120 Millionen DM gesun-ken und der Gesamthaushalt ist weit, weit weg von dieserVersprechung.Wenn man viel Sinn für Ironie hätte, könnte man in die-sen Tagen sagen: Sie halten sich an eine fragwürdige Le-bensweisheit. Es wäre ja noch schöner, den Menschenzweimal eine Freude zu machen: indem man ihnen erst et-was verspricht und dies dann auch noch hält.
Meine Damen und Herren, es liegt an einer schwachen,einfallslosen, unkreativen Wirtschaftspolitik, aber auchan einer falschen Architektur dieser Regierung, die wir
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ändern müssen, wenn wir zu den notwendigen Entschei-dungen für Arbeitsplätze, für den Mittelstand und für eineErneuerung unserer Volkswirtschaft kommen wollen.
Das Wort hatjetzt die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig.
Kollegen! Sehr geehrter Kollege Wissmann, es ist wirk-lich fantastisch, wie solche altgedienten Marktwirtschaft-ler wie Sie hier ständig „mehr Staat, mehr Staat“ rufen.Jahrelang wollten Sie uns beibringen, die Privaten könn-ten alles besser, der Staat solle sich heraushalten – mög-lichst wenig Staat! – oder am liebsten ganz verschwinden.
Ich habe wirklich das Gefühl, die Keynesianer in IhrenReihen sind alle wieder aufgewacht, nachdem sie vorherdas Gegenteil gepredigt haben.Selbst altgediente und gelernte Marktwirtschaftler re-den ständig diese hochentwickelte WohlstandsökonomieDeutschlands in Grund und Boden. Herr Buwitt: „Es istnicht nur eine Rezession, wir sind schon fast in der De-pression.“ Frau Merkel: „Schlusslicht“, „Wir sind in derKrise.“
Angesichts dessen frage ich mich, was hier eigentlichlos ist; denn wenn ich den Kudamm entlanggehe, habe ichkeineswegs das Gefühl, ich sei in der Dritten Welt und un-ser Land breche zusammen.
Wir sollten sehr ernsthaft über unsere Probleme reden.Es ist aber unverantwortlich, wenn Sie die Wirtschaft un-seres Landes dauernd in dieser Weise schlechtreden; denndamit tragen Sie dazu bei, dass die Investitionskraft derUnternehmen geschwächt wird. Es ist wirklich unmög-lich!
Tatsache ist, dass das Wirtschaftswachstum schwächerals zunächst prognostiziert ausfällt. Aber wir sind weitentfernt von einer Rezession. Ich weiß nicht, ob Sie die-sen kleinen Unterschied überhaupt begriffen haben.Über ein zweites Problem sollten wir ebenfalls ernst-haft reden. Wir haben Probleme mit der Arbeitsmarktent-wicklung, aber das liegt ganz einfach daran – auch dassollten Sie wissen –, dass in guten Zeiten Arbeitsplätzeabgebaut werden, um die Wettbewerbsfähigkeit derUn-ternehmen zu stärken, während in schlechten ZeitenArbeitsplätze wegen der Konjunkturschwäche abgebautwerden.
Arbeitsplätze werden nicht nur durch Wachstum ge-schaffen und deswegen haben wir – hier würde ich auchMinister Müller ein wenig widersprechen wollen – sehrwohl die Aufgabe, arbeitsplatzintensive Wirtschafts-zweige zu stärken, damit die Wettbewerbsfähigkeit nichtzulasten von Arbeitsplätzen, sondern mit Arbeitsplätzenorganisiert wird. Zur Erfüllung dieser Aufgabe haben wirauch einiges getan. So haben wir bereits das Job-Aqtiv-Gesetz auf den Weg gebracht. Das ist ein sehr guter undwichtiger Schritt.Wir Grünen sagen – auch in Richtung des Koalitions-partners –, wir glauben schon, dass wir weitere Schritteauf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik gehen müssen,dass beim Thema Kündigungsschutz etwas mehr Flexibi-lität Einzug halten muss und dass im Niedriglohnsektoreine ergänzende Finanzierung nötig wird, um Arbeitslo-sigkeit und Sozialhilfe nicht gegenüber Niedriglöhnen zubegünstigen.
Wir sind der Auffassung, dass wir im Bereich der niedrigentlohnten Jobs, bei denen ein Einkommen zwischen630 DM und etwa 1 700 bis 1 800 DM erzielt wird, einStück weit abgestufte Sozialversicherungsbeiträge orga-nisieren müssten, um gerade in diesem Bereich mehr Fle-xibilität zu erreichen.Wir behaupten also nicht, wir hätten nichts zu tun, aberwir behaupten andererseits auch nicht, in Zukunft schaffeder Staat und nicht die reguläre Privatwirtschaft dieArbeitsplätze.Lassen Sie mich einen zweiten Punkt nennen. In derHaushaltsberatung hier höre ich regelmäßig, dass Siequasi die Quadratur des Kreises wollen. Sie wollen ers-tens, dass wir die Steuerreform vorziehen, und habennoch keinmal gesagt, wie das bezahlt werden soll.
Frau Merkel hat sich hier gestern enorm darüber be-schwert, dass die Kommunen zu wenig Geld haben, dassdie öffentlichen Hände insgesamt zu wenig Geld haben.Wie wollen Sie da ein Vorziehen der Steuerreform – obSie es „Steuerscheck“ oder „Vorziehen“ nennen, ist egal –finanzieren? Sie wollen zweitens, dass wir die Investiti-onskraft durch öffentliche Konjunkturprogramme stei-gern. Das haben Sie mehrfach gefordert, ohne zu sagen,wie es finanziert werden soll. Die dritte Frage ist: Wie sol-len wir mit der Nettoneuverschuldung umgehen? Ich ver-stehe das so, dass Sie die Staatsverschuldung massiv wei-ter anheben wollen, um kurzfristige Wahlerfolge zuerreichen.
Das kann nicht verantwortliche Politik sein. Von daher:Nehmen Sie es endlich ernst! Sie haben uns diese hohenStaatsschulden hinterlassen. Wir arbeiten kontinuierlicham Rückgang der Staatsschulden und das ist auch nötig.
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Erst dann, wenn man wieder ein volles Portemonnaie hat,kann man über solche Instrumente reden,
aber nicht dann, wenn man einen solch riesigen Schul-denberg abtragen muss, wie Sie ihn uns hinterlassen ha-ben.
Lassen Sie mich einen dritten Punkt nennen, nämlichdas berühmte Pingpongspiel: Sozialversicherungs-beiträge versus Ökosteuer. Wir bekommen hier immerwieder die Empfehlung – eben auch vom KollegenWissmann –, wir mögen doch die Ökosteuer aussetzenoder abschaffen; einige wollen, dass wir sie rückgängigmachen. Da sind Sie noch nicht einmal solide in IhrerArgumentation. Wenn Sie das empfehlen, dann sagen Sieden Bürgern aber auch endlich, dass Sie den Rentenversi-cherungsbeitrag eigentlich wieder auf 20,5 Prozent anhe-ben wollen.
Nur dann stimmt Ihre Rechnung. Sie führen hier einefalsche Argumentation, weil Sie den Bürgern gegenübernicht ehrlich sagen, dass auch Sozialversicherungs-beiträge gezahlt werden müssen.Von daher bleibt unser Konzept „Energie verteuern,um Arbeit zu verbilligen“ die richtige Strategie. Daraufsetzen wir. Sie sehen: Die Ölscheichs haben schon nach-gegeben und setzen mit ihrer Preispolitik nichts oben-drauf.
Ich sage jetzt nichts mehr zu den Punkten, die sowohlder Kollege Hampel als auch Herr Minister Müller vorge-tragen haben, nämlich dass wir sehr engagiert gerade auchim parlamentarischen Verfahren die Mittelstandsför-derung in vielen Punkten weiter gestärkt und ausgebauthaben,
dass wir die ostdeutsche Wirtschaft, ganz besonders wie-der in den Bereichen der Mittelstandsförderung und derForschung, gestärkt haben. Sie sagen zwar immer wieder,der Mittelstand breche weg, aber das ist nicht wahr. Wirtun etwas für den Mittelstand.
Wir haben sehr sorgfältig Punkt für Punkt daran gearbei-tet. Es wäre gut, wenn Sie das einmal zur Kenntnis näh-men. Ich weiß allerdings nicht, ob Sie dazu in der Lagesind, geschweige denn dazu, das zu honorieren.Von daher: Bitte nicht ständig schwarz malen, sonderndie Dinge so nehmen, wie sie sind! Wir sind ein selbstbe-wusstes und wirtschaftsstarkes Land und das wollen wirauch weiter bleiben. Dafür arbeitet diese Koalition. Siewird es auch in den vier Jahren nach der nächsten Wahltun. Machen Sie sich da mal keine Sorgen! Sie haben jetztgenau nachgewiesen, dass Sie überhaupt nichts zu bietenhaben.
Als Letztes möchte ich den Kollegen Mitberichter-stattern ganz herzlich danken. Ich möchte auch demWirtschaftsministerium und dem Herrn Minister für diegute Zusammenarbeit danken. Insbesondere aber – daschließe ich mich den Vorrednern an – danke ich demKollegen Hampel für sein Engagement. Es war einetolle Zusammenarbeit. Wir haben gemeinsam viel ge-schafft.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Dagmar Wöhrl.
Die letzten Redner vor der Abstimmung haben es im-
mer schwer, die letzten Rednerinnen noch ein bisschen
schwerer. Ich bitte die Kollegen daher, den Geräuschpe-
gel ein bisschen zu senken. Das würde sehr helfen.
Frau Wöhrl, Sie haben das Wort. Bitte.
Vielen Dank. – FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kol-legin Eichstädt-Bohlig, Sie können es noch so schönre-den, wie Sie wollen: Ich habe bei Ihren Worten wirklichdas Gefühl, dass Sie in einer Art Fantasiewelt leben.
Wir von der Union sind draußen vor Ort. Wir reden mitden Menschen. Wir sind in den Betrieben. Wir sehen, waslos ist:
Wir haben eine schrumpfende Wirtschaft. Wir haben ex-plodierende Sozialkosten. Wir haben bei den Pleitenolympische Rekorde.
Allein in diesem Jahr haben wir 33 000 Pleiten.
Das ist die höchste Zahl seit Jahrzehnten.Sie werden es erleben: Demnächst wird in irgendeinemArbeitsamt in Deutschland der viermillionste Erwerbs-lose registriert werden. Ein Werbegeschenk von HerrnRiester wird er wohl nicht bekommen.Wo ist denn die ehemals stolze deutsche Wirtschafts-nation? Wo ist denn die ehemals stolze Konjunkturloko-motive Europas? Wir haben uns in Europa blamiert. Un-ter Ihrer Regierung sind wir Wachstumsschwächling,Letzter beim Wirtschaftswachstum geworden. Liebe Kol-legen von Rot-Grün, es ist wirklich zu dumm, dass Sie
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Franziska Eichstädt-Bohlig20255
dafür nicht die flaue Weltwirtschaft verantwortlich ma-chen können, auch wenn Sie es immer wieder probieren.Wieso wächst denn der Export in diesem Jahr um über5 Prozent?
Sie nehmen England als Vergleich. England wird meinesWissens in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von2,25 Prozent haben,
obwohl dieses Land einen viel höheren Handelsaustauschmit Amerika hat als wir. Wir hingegen schaffen geradeeinmal 0,7 Prozent. Ich glaube, mehr Worte bedarf esnicht, um zu belegen, wer für diese Misere verantwortlichist: Das ist nun einmal Rot-Grün.
Der Kanzler aber bleibt untätig, er ist gleichgültig ge-genüber den Problemen in unserem Land.
Der ist doch inzwischen auf den außenpolitischen Olympentrückt. Er merkt doch überhaupt nicht, dass wir unserLand auf Titanic-Kurs steuern. Das ist ihm doch voll-kommen gleichgültig.
Die Wirtschaftsexperten streiten unterdessen nur noch umdie Frage: Ist es schlimm oder ist es schlimmer, taumelnwir am Abgrund einer Wirtschaftskrise oder schlittern wirbereits herein?
Viel gefährlicher noch als die schlechte Wirtschafts-lage ist die Krise des wirtschaftspolitischen Sachverstan-des dieser Regierung, ist ihr Abschied von der Wirklich-keit.
Wir brauchen doch bloß Ihren Bundeshaushalt, der unsjetzt vorliegt, anzuschauen. Das ist genau die gleiche Fik-tion wie der letzte Haushalt – ein Spuk, der auf herbei-fantasierten Annahmen basiert: Sie gehen immer nochvon 1,25 Prozent Wirtschaftswachstum aus. Herr Eichelist wirklich der Einzige, der an ein Erreichen dieser Zahlnoch glaubt. Sie gehen auch bei diesem Entwurf noch vonArbeitslosenzahlen aus, von denen Sie genau wissen, dasssie nicht zu halten sein werden. Hinzu kommen nebulöseTransaktionen, Luftbuchungen und Zaubertricks. DieserHaushaltsplan liest sich wie Harry Potter; bloß den Steindes Weisen findet man darin nicht.
Schauen Sie es sich doch an: Wir haben 1,5 Prozentmehr Ausgaben als im letzten Jahr.
Ich dachte, Sie wollten sparen!
Frau Kollegin,
Sie sind nur sehr schwer zu verstehen. Vielleicht können
wir die Techniker darum bitten, die Tonanlage etwas lau-
ter zu stellen. – Danke.
Herzlichen Dank, FrauPräsidentin! Der SPD-Parteitag war ein Beispiel organi-sierter Ratlosigkeit.
Wieder einmal ist klar geworden: Diese Regierung hatkeinen Kompass und kein Konzept. Während in Ländernwie Spanien, Holland, Irland, ganz zu schweigen vonAmerika und Großbritannien, systematisch liberalisiertund flexibilisiert wird, machen Sie eine Politik der Unter-lassungssünden und der gebrochenen Versprechen.Wo bleibt denn die versprochene Arbeitslosenzahlvon weniger als 3,5 Millionen? Wo bleiben denn Ihremassiven Steuersenkungen für den Mittelstand? Wobleibt denn die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes? Wobleibt denn die Senkung der Lohnnebenkosten auf we-niger als 40 Prozent? Wo bleibt denn der Abbau vonBürokratie? Wo bleibt denn eine zupackende Privatisie-rung?
Und vor allem: Wo sparen Sie denn?
Das möchte ich wirklich einmal wissen. Wir haben über100 Milliarden DM mehr Schulden am Ende dieser Le-gislaturperiode; ohne UMTS-Erlöse wären es sogar200 Milliarden DM mehr Schulden. Inzwischen haltenSie es ja schon für einen Fortschritt, wenn Sie beim Rück-wärtsgehen nicht fallen.
Rückwärts – das ist Ihre Richtung!Es rächt sich, dass Sie unsere Reformen zurückgenom-men haben. Wir werden es nicht mehr schaffen, die Sozi-alversicherungsbeiträge zu senken. Es rächt sich, dassSie die nötige Reform im Gesundheitswesen nicht ange-hen. Es rächt sich, dass Sie die Rentenreform nicht mutigangegangen sind. Es rächt sich auch, dass Sie das Auf-kommen aus der Arbeitslosenversicherung für alle mögli-chen kuriosen Programme heranziehen, obwohl diese ausdem Bundeshaushalt finanziert werden müssten. So uferndie Sozialversicherungsbeiträge im nächsten Jahr aufüber 41,2 Prozent aus. Das heißt: Die Lohnnebenkostensteigen, die Arbeit wird teurer, es wird auch wieder zumehr Entlassungen kommen.Sie haben die Bundesanstalt für Arbeit inzwischen alspolitische Manövriermasse missbraucht. Der Minister
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DagmarWöhrl20256
Riester erzählt, die Bundesregierung habe die Rahmenbe-dingungen für mehr Jobs geschaffen. Das ist angesichtsder hoffnungslosen „Verriesterung“ des Arbeitsmark-tes doch ein Witz. Allein das 630-Mark-Gesetz hat700 000 Arbeitsplätze gekostet. Der Teilzeitanspruch hat250 000 Neueinstellungen verhindert. Das neue Betriebs-verfassungsgesetz hat unseren kleinen Betrieben nochmehr Bürokratie und Kosten gebracht. Das sind mittel-standsfeindliche, jobvernichtende Maßnahmen, die Sieauf den Weg gebracht haben.
Anstatt das Grundübel zu beseitigen – Ihre Unterneh-mensteuerreform hat wirklich nicht die mittelständischenBetriebe und die Familienbetriebe, sondern nur diegroßen Kapitalgesellschaften entlastet –, geben Sie mehrals 41Milliarden DM für Arbeitsförderung und ABM aus.Was ist dabei herausgekommen? Das Gebirge hat gekreißtund nicht einmal eine Maus geboren! Der zweite Arbeits-markt wird höchstens künstlich aufgebläht. Dem erstenArbeitsmarkt helfen Sie damit nicht.Sie verantworten eine weitere wirtschaftspolitischeIdiotie: Als einziges Land erhöht Deutschland die Steu-ern!
Ab dem 1. Januar 2002 kommen auf uns weitere Steuer-erhöhungen zu, und zwar in Höhe von mehr als 10 Mil-liarden DM. Die Ökosteuer wird erneut erhöht. Hinzukommen die Erhöhungen von Tabaksteuer und Versiche-rungsteuer.
Diese Maßnahmen entziehen die Kaufkraft, die wir jetztso dringend brauchen. All dies verdeutlicht das Bild Ihrerrot-grünen Politik: starke Schultern entlasten und schwa-che Schultern belasten.Ist dies das neue Selbstverständnis der Sozialdemokra-tie? Liebe Kollegen von Rot-Grün, entweder sind Sie da-mit beschäftigt, den Leuten das Geld aus der Tasche zuziehen, oder Sie tun gar nichts. Sie schielen auf Amerikaund hoffen tatenlos auf Konjunkturgenesung von außen.Sie gedenken, die akute Lage mit den Händen in der Ta-sche einfach auszusitzen.Ich prophezeie Ihnen: Sie können die Probleme nichtaussitzen; Sie werden ihnen erliegen. Nun, dann werdenwir halt die Probleme nach der Wahl anpacken müssen.
Im Gegensatz zu Ihnen werden wir unsere Zusagen undVersprechungen halten.Vielen Dank.
Ich schließe dieAussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09,Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, inder Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträgevor, über die wir zuerst abstimmen.Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Än-derungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-che 14/7572. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt na-mentliche Abstimmung.Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich denKolleginnen und Kollegen bekannt geben, dass noch wei-tere, jedoch nicht namentliche Abstimmungen folgen. Essollten also noch einige im Saal bleiben.Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,ihre Plätze an den Urnen einzunehmen. Sind die Urnenbesetzt? – Das ist der Fall.Ich eröffne die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen späterbekannt gegeben.Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort:Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 14/7584. Wer stimmtdafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ände-rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionengegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS abge-lehnt worden.Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionder FDP auf Drucksache 14/7642. Wer stimmt dafür? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantragist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung derPDS abgelehnt worden.Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionder FDP auf Drucksache 14/7649. Wer stimmt dafür? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantragist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und derPDS gegen die Stimmen von FDP und CDU/CSU abge-lehnt worden.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/7677. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmendes Hauses gegen die Stimmen der PDS, die zugestimmthat, abgelehnt worden.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/7678. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist mit denStimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS, die zu-gestimmt hat, abgelehnt worden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
DagmarWöhrl20257
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichenAbstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.
Die unterbro-chene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung über den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU bekannt. Abgegebene Stimmen 600. Mit Ja ha-ben gestimmt 282, mit Nein haben gestimmt 318. Es gabkeine Enthaltungen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer20258
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 600;davonja: 282nein: 318JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtHans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankDr. Heribert BlensPeter BleserDr. Norbert BlümAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerSylvia BonitzJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeGeorg BrunnhuberKlaus Bühler
Hartmut Büttner
Dankward BuwittCajus CaesarManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Leo DautzenbergWolfgang DehnelHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelUlf FinkIngrid FischbachDirk Fischer
Axel E. Fischer
Klaus FranckeDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisGeorg GirischMichael GlosPeter GötzDr. Wolfgang GötzerKurt-Dieter GrillHermann GröheManfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGottfried Haschke
Gerda HasselfeldtNorbert Hauser
Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkeErnst HinskenPeter HintzeKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekJosef HollerithDr. Karl-Heinz HornhuesSiegfried HornungJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbSteffen KampeterDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner KuhnDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampDr. Paul LaufsKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzEduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Julius LouvenDr. Michael LutherErich Maaß
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzHans MichelbachMeinolf MichelsDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Dr. Peter PaziorekAnton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzMarlies PretzlaffThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheErika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberFranz RomerHannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenKarl-Heinz ScherhagDr. Gerhard ScheuNorbert SchindlerBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt
Michael von SchmudeDr. Andreas SchockenhoffDr. Rupert ScholzReinhard Freiherrvon SchorlemerGerhard SchulzDiethard Schütze
Clemens SchwalbeWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferHeinz SeiffertDr. h. c. Rudolf SeitersBernd SiebertWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerAndreas StormDorothea Störr-RitterMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Michael StübgenDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzAndrea VoßhoffPeter Weiß
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer20259
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschBernd WilzWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingPeter Kurt WürzbachWolfgang ZeitlmannBenno ZiererFDPIna AlbowitzRainer BrüderleErnst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachPaul K. FriedhoffHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannDr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptDr. Helmut HaussmannUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Detlef ParrCornelia PieperGerhard SchüßlerDr. Irmgard SchwaetzerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsJürgen TürkDr. Guido WesterwellePDSDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausHeidemarie EhlertDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeDr. Barbara HöllCarsten HübnerUlla JelpkeSabine JüngerGerhard JüttemannDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzUrsula LötzerDr. Christa LuftHeidemarie LüthPia MaierManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserChristine OstrowskiDr. Uwe-Jens RösselGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseRainer Brinkmann
Bernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnUrsula BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenDetlef DzembritzkiDieter DzewasDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelAlfred HartenbachAnke HartnagelKlaus HasenfratzHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike HovermannChristel HummeLothar IbrüggerBarbara ImhofBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzDr. Uwe JensVolker Jung
Ulrich KasparickSabine KaspereitSusanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertSiegrun KlemmerHans-Ulrich KloseFritz Rudolf KörperKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderWaltraud LehnRobert LeidingerKlaus LennartzDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggSiegmar MosdorfMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingVolker Neumann
Gerhard Neumann
Dr. Edith NiehuisDr. Rolf NieseDietmar NietanGünter OesinghausEckhard OhlLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickJoachim PoßKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterChristel Riemann-HanewinckelReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Birgit Roth
Marlene RupprechtDer Änderungsantrag ist damit abgelehnt worden.Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Einzelplan 09 in derAusschussfassung insgesamt zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerEinzelplan 09 ist damit mit den Stimmen von SPD undBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen derCDU/CSU, der FDP und der PDS angenommen worden.Tagesordnungspunkt I. 24, Abstimmung über den vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset-zes über die Feststellung des Wirtschaftsplans desERP-Sondervermögens für das Jahr 2002. Das sind dieDrucksachen 14/7259 und 14/7608. Berichterstattung:Abgeordnete Dagmar Wöhrl. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungmit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmender PDS angenommen worden.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Werdagegen stimmt, der möge sich jetzt erheben. – Der Ge-setzentwurf ist damit angenommen worden.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/7655. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit denStimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS,die zugestimmt hat, abgelehnt worden.Ich rufe den Punkt I. 25 auf:Einzelplan 30Bundesministerium für Bildung und Forschung– Drucksachen 14/7318, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterSiegrun KlemmerAntje HermenauDr. Werner HoyerDr. Christa LuftEs liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der FDPund zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Kein Wider-spruch? – Dann ist auch so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst derAbgeordnete Kampeter.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer20260
Thomas SauerGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Dr. Frank Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellWalter SchölerKarsten SchönfeldFritz SchösserOttmar SchreinerGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltAntje-Marie SteenLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold Strobl
Dr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesUta Titze-StecherAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrichvon WeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVolker Beck
Angelika BeerMatthias BerningerGrietje BettinEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Joseph Fischer
Katrin Göring-EckardtRita GrießhaberGerald HäfnerWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Helmut LippeltDr. Reinhard LoskeKerstin Müller
Christa NickelsCem ÖzdemirSimone ProbstChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
FraktionsloseAbgeordneteChrista Lörcher
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist derletzte Etat, mit dem die Bundesministerin für Bildung undForschung Edelgard Bulmahn die Bildungs- und For-schungspolitik beeinflussen wird.
Frau Bundesministerin, was Sie vor ein paar Wochen,als es um die Einbringung dieses Etats ging, vorgetragenhaben, war eine wortreiche Verschleierung der mangel-haften und politisch wirkungslosen Tätigkeit, die Sie inden vergangenen drei Jahren in diesem Amt ausgeführthaben.
Drei Jahre nach der Bundestagswahl sollte der rot-grünenKoalition mehr einfallen als die Mär, dass erst mit demRegierungswechsel die Bildungs- und Forschungspolitikrichtig angefangen hat. Gemessen an den Ausgaben desGesamthaushaltes lag der Anteil der Ausgaben für Bil-dung und Forschung in den Etats von Frau Bulmahn undHerrn Müller bei 3,3 Prozent, als sie 1998 die Regierungübernommen haben. Bei 3,3 Prozent liegt der Anteil derBildungsausgaben in diesem Jahr und 3,3 Prozent wirdder Anteil der Bildungs- und Forschungsausgaben – zu-mindest nach Aussagen der bisherigen Bundesregierung –am Ende des Finanzplanungszeitraums sein.
Die Regierung ist mit der Ankündigung angetreten, dieAusgaben im Bildungs- und Forschungsbereich zu ver-doppeln.
Am Ende der Regierungszeit wird der Anteil der Bil-dungs- und Forschungsausgaben nicht höher sein als zurZeit des Regierungswechsels.
Das ist ein Zeichen der Stagnation und der politischenWirkungslosigkeit.
Es zeigt, dass wieder einmal ein Wahlversprechen in ei-nem wichtigen Politikbereich gebrochen wird.
Wie kannmanda allenErnstes in Presseerklärungenbe-haupten, es handele sich um eine Rekordausgabe? Wennman die in den Etats desWirtschafts- und des Bildungsmi-nisteriums angesetzten Forschungsausgaben zusammen-zählt – in der letzten Debatte über den Wirtschaftsetat istdarauf hingewiesen worden –, wird man feststellen, dasshier in Wahrheit eine Stagnation und in Teilen sogar einRückgang stattfindet. Vom Zukunftsinvestitionspro-gramm redet heute kein ernsthafter Politiker mehr.
Die mit viel Tamtam aus dem gescheiterten UMTS-Priva-tisierungsdeal finanzierten Programme stellen keinen we-sentlichen Impuls dar. Ohne den UMTS-Impuls würdendie Forschungsausgaben real und nominal sogar sinken.
Angesichts der Trickserei an allen Ecken und Enden die-ses Haushaltes ist dies kein Wunder.Die Programmwut dieses Bildungsministeriums führtdazu, dass Programme mit einem riesigen Volumen an-gekündigt werden, ohne dass die dafür notwendigen ad-ministrativen Kompetenzen überhaupt vorhanden sind.Die Programme laufen langsam und schleppend an. DieMittel, die die Bundesministerin schon fünfmal in Pres-seerklärungen angekündigt hat, fließen überhaupt nicht ab
und werden dem Finanzminister zum Jahresende wiedergutgeschrieben. Dies ist ein Schaulaufen und keine se-riöse Politik. Diese Programmwut zeigt eher die Gedan-kenlosigkeit und die Konzeptionslosigkeit der For-schungspolitik der Regierung.
Ein Beispiel, das dies illustriert, ist das ProgrammInno-Regio. Uns wird zwar erzählt, es laufe zögernd an;das wird gar nicht verschwiegen. Dann wird aber seit Mo-naten gesagt, nächste Woche würden die entsprechendenEntscheidungen fallen. Diese Woche verschiebt sich vonMonat zu Monat. Ende Oktober sind Mittel in Höhe von40 Prozent der für das Jahr 2001 vorgesehenen Gesamt-etatsumme abgeflossen. Es muss schon ein richtiges No-vemberfieber sein, wenn man diese Mittel noch sinnvollausgeben will. Das sind Luftballons und Worthülsen; dasist keine realistische Forschungspolitik.
Dies ist der vierte Haushalt, den die rot-grüne Macht-erhaltgemeinschaft vorgelegt hat.
Man kann sich beim vierten Haushalt nur noch schlechtmit Vergangenheitsvergleichen retten, selbst wenn esstimmen würde, dass es galt – was wir entschieden be-streiten –, eine Erblast in Bildung und Forschung zu über-nehmen. Wir Politikerinnen und Politiker in Deutschlandwerden nicht als Testamentsvollstrecker gewählt, sondernwir werden dafür gewählt, Politik kraftvoll zu gestalten.
Wenn man Politik kraftvoll gestalten will, dann muss maneigene Akzente setzen, die wir aber bei dieser Bundesmi-nisterin nicht erkennen können.
Es geht dabei nicht nur um Geld, sondern auch umpraktische Politik. Deswegen will ich einige Beispielenennen, die, glauben wir, zeigen, dass Bildung und For-schung eher eine Misserfolgsgeschichte denn eine Er-folgsgeschichte dieser Regierung ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001 20261
Das erste Beispiel, das ich anführen will, ist die Studi-enfinanzierung, insbesondere das BAföG. Es war die Er-wartung geweckt worden, als würde man in dieser Legis-laturperiode zu einer umfassenden, tragfähigen und vonallen Parteien getragenen BAföG-Reform kommen. Damitwäre eine auch von uns nicht verschwiegene Verbesserungder strukturellen Schwäche der Studienfinanzierung mög-lich gewesen. Allerdings hat das übliche Vorgehen – näm-lich nicht gemeinsam mit der Opposition zu handeln, son-dern im politischen Alleingang Dinge durchs Parlament zupeitschen – dazu geführt, dass selbst in der Bundesregie-rung die Zustimmung für eine große BAföG-Reform nichtvorhanden war. Die jetzt auf den Weg gebrachte kleineBAföG-Reform ist eher ein Misserfolg, zumindest dann,wenn man sie an den Ankündigungen misst.
Die Ausgaben im Jahre 2001 sinken gegenüber denAnkündigungen der Ankündigungsministerin EdelgardBulmahn. Die Ausgaben des Jahres 2002 für das BAföGwurden bereits im Regierungsansatz gegenüber Ihren bis-herigen Planungen, Frau Bulmahn, um 100Millionen DMnach unten korrigiert. 100 Millionen DM nehmen Sie denStudierenden weg, weil Ihre Reform auf unzutreffendenAnnahmen aufbaute und weil für weitere notwendige po-litische Reformen bei der Studienfinanzierung sowohl diepolitische Unterstützung des Finanzministers als auch dieIhres Landsmannes, des Bundeskanzlers, fehlte.Um der ganzen Sache die Krone aufzusetzen, sind imZuge der Haushaltsberatungen aus diesem eh schon ge-schröpften BAföG-Titel von den Koalitionären noch ein-mal circa 40 Millionen DM weggenommen worden.
Da helfen auch keine Ausreden, dass es jetzt angeblich ei-nen Antragsstau gebe. Es wird von 25 Prozent Zuwachsgeredet. Sie selbst aber gehen davon aus, dass der BAföG-Titel nicht so schnell wachsen wird und dass eine struktu-relle Reform nicht erreicht wird. Die Gefördertenquotedürfte kaum steigen. In der Frage der Studienfinanzierungsind Sie auf der ganzen Linie erfolglos.
Daran ändert im Übrigen die Tatsache auch nichts,dass Sie eine sehr teure und eine den Öffentlichkeitsetatnahezu ausschöpfende Werbekampagne für das BAföGmit Guildo Horn durchgeführt haben. Ich glaube, er istohne die „Orthopädischen Strümpfe“ zur UnterstützungIhrer Regierungspolitik angetreten. Diese Kampagne warsehr teuer. Ich befürchte, dass sie ergebnislos sein wird.Mit PR-Maßnahmen wird man nämlich Studierende inDeutschland nicht überzeugen. Da muss man schon eineanständige Politik machen.
Ein zweites Beispiel. Ich will darauf hinweisen, dassSie die Hochschulbauausgaben nach einem Zwi-schenhoch im Jahre 2001 im Jahre 2002 gegenüber der Fi-nanzplanung zurücknehmen. Nach diesem Zwischenhochgehen Ihnen trotz UMTS-Sonderspritze die Finanzmittelfür Ihre Hochschulbaupolitik aus. Auch die im Übrigenschon seit Jahren von allen Fraktionen – schon vor demRegierungswechsel – angemahnten Überlegungen zurStrukturreform der Hochschulbaufinanzierung sind nochnicht weiter vorangekommen. Die Grundüberlegungenzur Entflechtung scheinen von Ihnen nicht engagiert ge-nug vertreten worden zu sein. Auch beim Hochschulbaugibt es keine Entwarnung. Dort stehen wir vor großenStrukturproblemen. Doch die Politik in dieser Legislatur-periode ist zur Lösung dieses Problems ein glatter Ausfallgewesen.
Der dritte Ausfall, auf den ich hinweisen möchte, ist dieDienstrechtsreform. Auch hier hat Ihnen die Oppositiondie Hand gereicht, um gemeinsam zwischen Koalitionund Opposition ein tragfähiges Reformwerk vorzuberei-ten und in das Bundesgesetzblatt zu bringen. Es war Ih-nen offensichtlich aber bisher nicht möglich, allein schondie SPD-regierten Bundesländer von der NotwendigkeitIhrer Vorschläge zu überzeugen.Deswegen kommen Sie in die politisch schwierige Si-tuation, dass nicht sicher ist, ob dieses von Ihnen in derersten Lesung als „Jahrhundertwerk“ charakterisierte Re-formwerk morgen überhaupt eine Mehrheit im Bundesraterhalten wird. Der Vermittlungsausschuss droht und an-schließend droht das Diktat der Finanzminister. Dannkann das, was Sie als Jahrhundertwerk angekündigt ha-ben, leicht zur Jahrhundertpleite für Bildung und For-schung werden.Es gibt einen vierten Ausfall: Sie haben die Dienst-rechtsreform lange angekündigt, aber bis heute haben Sieoffensichtlich noch keine Mehrheit dafür, dass sie insBundesgesetzblatt kommt.Ich will in diesem Zusammenhang auf ein weiteres Po-litikfeld hinweisen, bei dem die Union mit großer Sorgeauf die Entwicklung blickt, nämlich die Gen- und Bio-technologie. Wir sind der Auffassung, dass man die Mög-lichkeiten dieser neuen Technologien für Deutschlandnutzbar machen sollte, ohne die Bedenken von breitenTeilen der Bevölkerung zu unterschlagen. Dies gilt für diegrüne ebenso wie für die rote Gentechnik. Im Bereich dergrünen Gentechnik blockiert Ihr Koalitionspartner. Ange-kündigte Entscheidungen stehen an. Im Bereich der rotenGentechnik wird heute wohl der von Ihnen zwar nicht ein-gesetzte, aber bezahlte Gentechnikbeirat
– „Ethikrat“ – eine erste Beschlussempfehlung vorlegen,die nach Ankündigungen in der Sache ein entschiedenesSowohl-als-auch bedeuten wird.Ich glaube nicht, dass die Verlagerung von politischenEntscheidungen aus dem Parlament heraus in Experten-gremien – Sie haben ja auch weitere Gremien, beispiels-weise den Innovationsbeirat – hilfreich ist. Dies ist eineungute Entwicklung. Entscheiden muss das Parlament.
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Steffen Kampeter20262
Wir werden mit der notwendigen Sensibilität und imÜbrigen auch mit dem dafür erforderlichen Sachverstandin allen Fraktionen eine richtige und akzeptable Lösungfinden. Dafür wollen wir Sie gewinnen.
Allerdings betreiben Sie die außerparlamentarischeForschungspolitik, glaube ich, mit einer gewissen Ziel-setzung. Es gab in den vergangenen Jahren eine ganzeReihe von Vorhaben, insbesondere im Bereich derForschungspolitik, bei denen Sie versucht haben, das Par-lament – das betrifft offensichtlich alle Fraktionen – vorvollendete Tatsachen zu stellen. Ich erwähne die Grün-dung der Stiftung „Friedensforschung“, über die das Par-lament erst informiert worden ist, als die Sache schon un-ter Dach und Fach war. Ich nenne die Neuordnung dergeisteswissenschaftlichen Forschungsinstitute, von derdas Parlament ebenfalls nur aus der Presse erfahren hat.Ich nenne die Reform der Großforschungseinrichtungenoder die Fusion von GMD und Fraunhofer-Gesellschaft.
In all diesen Fällen kann man fühlen, dass Sie ein Miss-trauen nicht nur in die Opposition haben, dass sie nicht alldas bejubelt, was Sie machen, sondern auch in Ihre eigeneRegierungskoalition, die Sie genauso spät informieren.Ich glaube aber, dass das der Mehrheitstauglichkeitvon solchen Vorhaben wie beispielsweise der Neuord-nung der Großforschungseinrichtungen, bei der wir in derSache eher zustimmen, aber hinsichtlich des Verfahrensunsere Bedenken haben, eher schadet als nutzt.Wir sehen auch an dem Abstimmungsverhalten Ihrereigenen Partei, dass dieser von mir mehr als autistisch in-terpretierte Politikstil der Sache nicht dienlich ist.
Auf dem Bundesparteitag der Sozialdemokraten sind Siein der Frage der Studienfinanzierung nicht nur von denDelegierten im Regen stehen gelassen worden, sondernauch von der gesamten SPD-Führung. Das ist eine bittereNiederlage für Sie
und ein Zeugnis für den offensichtlich nicht sehr hohenStellenwert der Amtsinhaberin im Bereich Bildung undForschung.Übersetzt auf den Bereich des Parlaments heißt dies:Wenn Sie noch nicht einmal in der Lage sind, die SPD-Führung von der Richtigkeit Ihrer politischen Konzeptezu überzeugen, wie soll es Ihnen dann gelingen, darzu-stellen, dass Sie eine engagierte Anwältin von Bildungund Forschung im Parlament und weit darüber hinaussind? Das ist unglaubwürdig. Sie sind keine solche An-wältin.
Entgegen der von mir kritisierten Zusammenarbeitzwischen Regierung und Parlament hat es innerhalb desParlaments eine sehr gute Zusammenarbeit gegeben, ins-besondere auf der Berichterstatterebene. Ich begrüße indiesem Zusammenhang ausdrücklich, dass es gelungenist, ein Forschungsprojekt zum Thema „Hormon-ersatztherapie bei Frauen nach der Menopause“ unstreitigüber Fraktionsgrenzen hinweg mit einem ausreichendenMittelansatz zu versehen. Ebenfalls einvernehmlich un-terstützt wird die Neuorientierung der Bereederung unse-rer Forschungsschiffe sowie in der Sache die Neugliede-rung der Helmholtz-Gemeinschaft, die auch durch diekompetente Personalentscheidung an der Spitze auf breiteZustimmung innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion gestoßen ist.
An dieser Stelle will ich mich ausdrücklich bei der Be-richterstatterin der Mehrheitsfraktion, der KolleginKlemmer, für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ich tuedies auch vor dem Hintergrund, dass sich die KolleginKlemmer aus freien Stücken entschieden hat, den Deut-schen Bundestag zu verlassen. Von daher wird es dieletzte gemeinsame Haushaltsberatung sein. Mir hat siestets Spaß gemacht, weil sie über alle Parteigrenzen hin-weg von gegenseitigem Respekt geprägt war.
Gleichwohl muss ich in dieser Zusammenarbeit poli-tisch anmerken, dass ich Sorge habe, dass im For-schungsbereich immer stärker Klientelpolitik betriebenwird. So haben die Grünen durchgesetzt, dass unter demDeckmantel der Umweltforschung Gelder in einer Grö-ßenordnung von 12 Millionen DM für Öko- und Umwelt-gruppen eingesetzt worden sind. Weil der eine Koaliti-onspartner befriedigt werden musste, hat man gleich nochden vor allem von den Gewerkschaften in Anspruch ge-nommenen Innovationstitel mit zusätzlichen 5 Millionenausgestattet. Ich halte dies für eine gefährliche Entwick-lung, weil an anderen Stellen, zum Beispiel im Bereichder Fachhochschulen oder bei der wirtschaftsnahen For-schung, das Geld fehlt. Dass sich gleichzeitig so viel Geldfür die Befriedigung von Klientelinteressen im Haushaltbefindet, kann nicht unsere Zustimmung finden.
Lassen Sie mich einiges zur beruflichen Bildung sa-gen. Frau Bundesministerin, auch das ist ein schwierigesFeld; insbesondere die Situation beim Meister-BAföG.Vor einigen Jahren ist es Ihnen nicht gelungen, dieKompetenzen für das Meister-BAföG in Ihrem Haus zubehalten. Sie haben es an den Wirtschaftsminister abge-geben. Der Wirtschaftsminister ist jetzt finanziell mau ge-worden. Aus Ihren bisherigen Mitteln haben Sie wiederGelder herausnehmen müssen, um dem Wirtschaftsminis-ter auszuhelfen. Wenn das Forschungsministerium zurReservekasse des Wirtschaftsministeriums wird, ist dasnatürlich kein Ausweis der politischer Stärke, sonderneher ein Ausweis der politischen Schwäche. So weit sindwir in Deutschland schon gekommen.
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Steffen Kampeter20263
Meine sehr verehrten Damen und Herren, viermal ha-ben Sie hier als Rednerinnen und Redner der Koalition aufdie tolle Steigerung der Ausgaben und die tolle QualitätIhrer Bildungs- und Forschungspolitik hingewiesen.
Der Regierungsentwurf und das, was heute verabschie-det wird, unterscheiden sich allerdings um keine Markund keinen Pfennig, das heißt, dass wir während der ge-samten Haushaltsberatung in diesem Bereich keine ma-terielle Veränderung – zum Beispiel eine zusätzliche Fi-nanzspritze – herbeiführen konnten. Man kann vielleichtsagen, dass sie eher nutzlos gewesen ist. Allerdings sindKlientelinteressen befriedigt worden. Eine kraftvolleHaushaltspolitik oder gar eine Verdoppelung sowie einhoher Stellenwert für Bildung und Forschung waren indiesen und den vorangegangenen Haushaltsberatungenleider nicht zu erkennen. Von diesen leeren Verspre-chungen haben wir genug und von dieser Politik schonlange.Wir lehnen den Etat ab.
Das Wort hat
jetzt die eben gelobte Kollegin Klemmer.
Sehr geehrte Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Plafond desEinzelplans 30, den wir jetzt beraten und der einen der po-litischen und finanziellen Schwerpunkte unserer Politikdarstellt,
beläuft sich für das Jahr 2002 auf nahezu – ab jetzt redenwir nur noch von Euro – 8,4 Milliarden Euro. Im nächs-ten Jahr werden wir für Bildung und Forschung 223 Mil-lionen Euro mehr ausgeben als im laufenden Haushalts-jahr. Gegenüber 1998 haben wir die Mittel um21,5 Prozent erhöht. Das sind die reinen Zukunftsinvesti-tionsmittel
und natürlich nicht die Mittel für Personal, Bürobedarfusw. Davon war auch nie die Rede.Daher muss ich die unzutreffenden Äußerungen desKollegen Austermann vom Dienstag dieser Wochezurückweisen.
Sie sagten, im letzten Jahr der alten Koalition, nämlich1998, seien die Mittel für Bildung, Forschung und Tech-nologie höher gewesen als heute.
Selbst wenn ich die von Ihnen genannten Mittel für Tech-nologie einrechne – Sie wissen natürlich, dass die Mittelfür Technologie jetzt im Einzelplan 09 eingestellt sind –,lagen sie 1998 bei 7,6 Milliarden Euro. Wir geben heutefür Bildung und Forschung – ohne Technologie – knapp8,4 Milliarden Euro aus.
Jetzt erklären Sie mir bitte, wie 7,6 mehr sein kann als 8,4.
Ich will Ihnen einmal sagen, welche Situation wir 1998nachdergewonnenenBundestagswahlvorgefundenhaben.
– Natürlich, Herr Westerwelle, Sie mögen es nicht gernehören, aber das gehört zur historischen Wahrheit.Wir haben einen heruntergewirtschafteten Haushaltmit einer Rekordverschuldung und erdrückend hoheZinslasten übernommen.
– Ich weiß, dass Sie das nicht hören möchten. Es mussaber immer wieder gesagt werden.
Wir hatten kaum Gestaltungsspielraum. Das Urteil desBundesverfassungsgerichts zur Familienpolitik hat unsgezwungen, das, was Sie auf diesem Gebiet versäumt ha-ben, nachzuholen. Die Mittel im Einzelplan 30 betrugen,wie ich bereits sagte, 7,2 Milliarden Euro. Die Anzahl derBAföG-Empfänger – darauf gehe ich später näher ein – istnach der Wiedervereinigung kontinuierlich auf einenStand von 340 000 gesunken. Im Bereich der modernenZukunftstechnologien hatten wir unter der Ägide des vonIhnen zum „Zukunftsminister“ hochstilisierten HerrnRüttgers total den Anschluss verloren. – Das war die Bi-lanz, mit der Sie nach 16 Jahren aus der Regierungsver-antwortung verabschiedet worden sind.
Wir haben die Ärmel hochgekrempelt, den Haushalt inschwierigsten Zeiten auf einen Konsolidierungskurs ge-bracht und dennoch unsere Wahlversprechen gehalten,
indem wir in die Zukunft unseres Landes, in Bildung undForschung investiert haben.
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Steffen Kampeter20264
Schlimm ist jedoch, dass Sie seitdem offensichtlich garnichts dazugelernt haben.
Was hatte die Opposition in den letzten Haushaltsberatun-gen zum Einzelplan 30 als Alternative zu bieten? Alle Op-positionsfraktionen wollten – wunderbar – die Mittel desEinzelplans 30 erhöhen: die PDS um 15,6 Millionen Euro,
Sie von der Union um knapp 120 Millionen Euro und dieFDP– eine kleine Fraktion, aber doch sehr mutig – um un-glaubliche 834 Millionen Euro.
Zur Wahrheit gehört, dass die PDS als einzige Fraktionhalbwegs akzeptable Vorschläge zur Gegenfinanzierunggemacht hat.
Die Union hat gerade in den Bereichen kräftig draufge-sattelt, in denen wir bereits 1998 die Mittel enorm aufge-stockt haben. Und was macht die FDP? Sie machen essich ganz einfach. Sie stellen Änderungsanträge mit ei-nem Volumen von 834 Millionen Euro. Was aber ist mitVorschlägen zur Finanzierung? – Fehlanzeige.
Stattdessen verstecken Sie sich hinter dem Argument,Ihren angeblich – schon nach drei Jahren; dazu war vielZeit – radikalen Kurswechsel im Bereich Bildung undForschung durch die Streichung von Subventionen finan-zieren zu wollen. Wie ernst dürfen wir diesen Vorschlagnehmen vor dem Hintergrund, dass Sie die Erhöhung derHaushaltsmittel durch die Streichung gerade der Subven-tionen finanzieren wollen, die Ihr damaliger Wirtschafts-minister Rexrodt ausgehandelt hatte?Die föderale Struktur in Deutschland bringt es mit sich,dass der Bereich Bildung und Forschung auf Bundes- undLänderebene gestaltet wird. Gerade im Forschungs- undWissenschaftsbereich haben wir es mit einer heterogenen,nicht einfachen Community mit vielen Partikularinteres-sen zu tun, die Reformen nicht sofort begeistert durch ihreUnterstützung folgt. Umso mehr kann ich mit großer Ge-nugtuung und mit Stolz vortragen, welche Leistungen wirauf dem Gebiet der Bildung und Forschung vorzuweisenhaben.
– Nein, als seriöse Haushälterin bleibe ich immer unmit-telbar bei der Wahrheit. Das wissen Sie doch, Herr Kol-lege Kampeter.
Rechtzeitig zum Sommersemester dieses Jahres ist dieBAföG-Reform in Kraft getreten. Dank einer begleiten-den erfolgreichen Aufklärungskampagne wissen Jugend-liche und ihre Eltern, „dass sich BAföG wieder lohnt“.Selbstverständlich ist es weiterhin nötig – das merken wirregelmäßig zum Semesterbeginn –, die jungen Menschendavon zu überzeugen, ein Studium aufzunehmen.Während nämlich der Anteil eines Jahrgangs, der ein Stu-dium beginnt, im Jahr 1999 auf 28 Prozent gesunken war,liegt diese Quote zum Beispiel in den USAbei 44 Prozent,in Israel bei 49 Prozent und in Finnland bei 58 Prozent.Diese Entwicklung darf nicht so bleiben. Durch die Re-form können wir die Zahl der Geförderten endlich spür-bar erhöhen.
Gab es zu Beginn unserer Regierungsübernahme340 000 BAföG-Empfänger, so kehrt sich der Trend all-mählich um. Im Jahre 2000 gab es bereits 360 000 Geför-derte. Zum jetzigen Zeitpunkt können die BAföG-Ämter – Ländereinrichtungen – noch keine absolutenZahlen für das Jahr 2001 angeben.
Die Studierenden aber – Sie müssen doch nur wie ich te-lefonieren, um das abzufragen – rennen den BAföG-Äm-tern zum ersten Mal seit Jahrzehnten endlich wieder dieTüren ein.
Die Ausgabenzuwächse beim BAföG, gemessen anden Mitteln, die die Länder abrufen, ergeben gegenüberdemselben Vorjahresmonat folgende Zahlen: Septemberplus 43 Prozent; Oktober plus 48 Prozent, November plus55 Prozent. Ich lese Ihnen auch gerne vor, was Mitarbei-ter von BAföG-Ämtern von unserer Reform halten.Allein der Bund stellt für 2002 insgesamt 810 Milli-onen Euro zur Verfügung. Das sind 4 Prozent mehr als imlaufenden Jahr. Ich denke, wir können sagen: BeimBAföG ist die Wende zum Guten eingeleitet, auch wennsie noch nicht geschafft ist.
Was den Studierenden sowie den Schülerinnen undSchülern recht ist, soll den Berufstätigen billig sein. Wirhaben das so genannte Meister-BAföG im Aufstiegsfort-bildungsförderungsgesetz, welches in der beruflichenBildung das Pendant zum herkömmlichen BAföG bildet,ebenfalls auf gesunde Beine gestellt. Fortbildungswilligekönnen unabhängig von ihren wirtschaftlichen Verhält-nissen ihre Fähigkeiten und Neigungen entfalten. Wirleisten mit dieser Novelle vor allen Dingen einen Beitragzur Förderung des Mittelstandes.
Dank der gerade im Bundestag verabschiedeten Reform,die zum 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten wird,erhöhen wir die Zahl der Geförderten von derzeit 50 000auf 60 000 bis zum Jahr 2004.
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Siegrun Klemmer20265
Zusammen mit dem Anteil des BMWi kommen 850 Mil-lionen Euro zusammen, die jungen Berufstätigen zur Ver-fügung gestellt werden können.
Eine andere Reform – lange überfällig und erfolgreichgestartet – ist die Dienstrechtsreform.
Wir dürfen getrost von einem Jahrhundertwerk sprechen,bricht sie doch mit überalterten, unzeitgemäßen Verfahrenaus dem 19. Jahrhundert.
Anstelle der Habilitation wird es die Juniorprofessur ge-ben, die es jungen Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftlern ermöglicht, in ihren kreativsten Jahren selbst-ständig zu lehren und zu forschen. Während der zweimaldrei Jahre andauernden Professur können sie als vollwer-tige Mitglieder des Lehrkörpers
Drittmittel für eigene Forschungsprojekte einwerben undsich ohne Abhängigkeit von einem Professor entfalten.Wir wollen es nicht länger hinnehmen, dass Akademikerin Deutschland erst mit Anfang 40 eine Professur antretenkönnen.
Ein im Zeitalter der wissenschaftlichen Globalisierungwesentliches Element, das unsere Hochschulen attrakti-ver und leistungsfähiger macht, ist Internationalität.Wirwünschen uns einen regeren Austausch zwischen deut-schen und ausländischen Studierenden sowie Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlern. Da es gerade beimAustausch zwischen Deutschland und den mittel- und ost-europäischen Ländern ein starkes Ungleichgewicht von1:4 gibt, haben wir den Ansatz auf 63,5Millionen Euro er-höht. Wir hoffen, dass wir unserer zentralen Lage in Eu-ropa als wichtiges Bindeglied vor allen Dingen zu denmittel- und osteuropäischen Ländern und der EU auch aufdiesem Feld nachhaltig gerecht werden können.
Der Herr Kollege Kampeter hatte es schon erwähnt:Ein wichtiger und mir besonders am Herzen liegenderPosten im Haushalt wird das neue mittelgroße eisrand-fähige Forschungsschiff sein. Es wird 2004 vom Stapellaufen und dazu beitragen, Deutschlands hervorragendesinternationales Renommee in den Geowissenschaften, inder Klimaforschung und in der Meeresbiologie zu unter-mauern.
– Die Küste ist zufrieden, aber ich denke, nicht nur die.Der Bund investiert im kommenden Jahr 10,3 Milli-onen Euro und damit seinen Anteil von 75 Prozent. DieKüstenländer Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bre-men und Schleswig-Holstein übernehmen 25 Prozent, so-dass bis zum Jahre 2005 42,2 Millionen Euro zur Verfü-gung stehen werden.Ich komme zu einem weiteren wichtigen Bereich die-ses Haushalts. Liebe Kolleginnen und Kollegen, geradeauch von der CDU/CSU, trotz vieler Unkenrufe kommenwir bei der Raumfahrt nicht nur unseren internationalenVerpflichtungen nach. Im Gegenteil: Wir haben unsererMinisterin als der neuen Vorsitzenden der EWO-Minis-terratskonferenz kräftig den Rücken gestärkt und dendeutschen Beitrag an die Europäische Weltraumorganisa-tion um 30 Millionen Euro auf über 561 Millionen Euroerhöht.
Allerdings – das soll an dieser Stelle deutlich betont wer-den – verknüpfen wir mit unserem Engagement die sehrkonkrete und eindringliche Forderung an die Industrie,mittelfristig mehr Eigenmittel aufzubringen.Im Bereich Gesundheitsforschung – wir nennen dasForschung für den Menschen – stehen im kommendenJahr für Forschung zur Gesundheitsvorsorge, die Ent-wicklung neuer Therapien und Präventionsverfahren beiden so genannten Volkskrankheiten mehr als 200 Milli-onen Euro zur Verfügung. Erneut, Herr KollegeKampeter – eigentlich wissen Sie es, aber Sie haben hieretwas anderes behauptet –, haben wir die Mittel für denBereich Biotechnologie erhöht.
Deutschland gehört mittlerweile zu den führenden Natio-nen in Europa: In keinem anderen Land gibt es mehr Bio-technologieunternehmen als bei uns.
Für das nächste Jahr sind 115Millionen Euro in den Haus-halt eingestellt. Für den gesamten Bereich der Lebens-wissenschaften geben wir mehr als 320 Millionen Euround haben damit nur für dieses Segment seit 1998 die Mit-tel um fast 60 Prozent erhöht.
Ein Wort zu den neuen Bundesländern. Neben ihremselbstverständlichen Anteil an allen Programmen habenwir für die neuen Bundesländer zusätzliche Förderinstru-mente aufgelegt: Inno-Regio geht in seine entscheidendePhase.
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Siegrun Klemmer20266
– Frau Kollegin Pieper, Sie haben gleich Gelegenheit, sichdazu positiv zu äußern. – Deshalb haben wir 10 Milli-onen Euro zusätzlich gegeben. Wir unterfüttern das mitden innovativen regionalen Wachstumskernen, die ausdem Zukunftsinvestitionsprogramm finanziert werden.Hier stehen weitere 25 Millionen Euro bereit, um endlichschlagkräftige, attraktive regionale Zentren aufzubauen.
Wir hoffen, dass dadurch moderne, attraktive Arbeits-plätze entstehen. Wir hoffen gleichzeitig, dass dadurchdas Angebot an junge Ostdeutsche verstärkt wird und sieveranlasst werden, in ihrer Region zu bleiben. Es hilft, dieAbwanderung aufzuhalten.
Insgesamt fließen aus dem Einzelplan 30 1,5 Milliar-den Euro in die neuen Länder.
Die Vergleiche mit den Daten von 1998 belegen, wiestark Rot-Grün die Bildungs-, Forschungs- und Wissen-schaftslandschaft seit Regierungsantritt verändert hat.Es sind aber nicht nur finanzielle Aufwüchse, sondernauch moderne und tragfähige Konzepte, die Verbesserun-gen bewirken.Was bei der heutigen Opposition während ihrer Regie-rungszeit doch meist nur Worthülsen waren, sind bei unsProjekte und Perspektiven.
Ich erinnere Sie an Worte wie Zukunftsminister,
Stärkung der Innovation, Bildung und Forschung alsoberste Priorität. Wir haben diese Vokabeln mit Inhalt ge-füllt.
Sehen Sie sich die Reformen, die wir angepackt haben, an.Sie müssten bei ehrlicher Betrachtungsweise überzeugtsein: Bildung und Forschung haben bei Rot-Grün Prio-rität. Das hatten wir vor der Wahl versprochen. Das habenwir gehalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, freundlicherweisehat der Kollege Kampeter schon darauf hingewiesen, dassdies meine letzte Haushaltsrede ist. Darum will ich michganz herzlich bei dem Haushaltsreferat des BMBF undganz besonders bei Herrn Kleine-Arndt bedanken.
Ich bedanke mich aber auch bei den Mitberichterstatte-rinnen und Mitberichterstattern der Grünen-Fraktion,aber auch den anderen, auch wenn wir nicht immer zugleichen Ergebnissen gekommen sind und natürlich un-terschiedliche Konzepte hatten. Eines will ich den Oppo-sitionskollegen zugestehen: Es war trotz aller Differenzeneine kollegiale Zusammenarbeit. Ich habe bemerkt, dassSie für den Bereich Bildung und Forschung durchaus En-gagement zeigen, aber Sie kommen zu den falschen Er-gebnissen.
Es wäre angesichts Ihres Engagements nur konsequent,wenn Sie es uns gleichtäten und dem Einzelplan 30, die-sem Rekordhaushalt, zustimmten.Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Steffen
Kampeter.
Die von mir persön-
lich sehr geschätzte Kollegin Klemmer hat eine Behaup-
tung aufgestellt, zu der ich kurz Stellung nehmen möchte.
Sie hat bezweifelt, dass der Zuwachs bei den Etats Wirt-
schaft und Technologie sowie Bildung und Forschung
sehr groß sei. Ich möchte deswegen noch einmal die Zah-
len nennen: Bei der Übernahme der Regierung durch Rot-
Grün im Jahre 1998 sind in den Etats der Einzelpläne 09
und 30 zusammen 31,8 Milliarden DM ausgewiesen
worden. Wenn man heute die beiden Etats zusammen-
rechnet, dann kommt man auf die Summe von 29,3 Milli-
arden DM. Damit sind die zusammengerechneten Ansätze
für die Etats Wirtschaft und Technologie sowie Bildung
und Forschung um 2,5 Milliarden DM niedriger als beim
Regierungswechsel. Selbst wenn die Kohlesubventionen
herausgerechnet werden, ergibt sich nicht die von der
Bundesministerin angekündigte Verdoppelung der Inves-
titionen für Bildung und Forschung.
Hinsichtlich der BAföG-Zahlen möchte ich der deut-
schen Öffentlichkeit zur Kenntnis geben, dass unter dem
Titel „BAföG-Zuschuss an Studierende“ im Etat der Bun-
desbildungsministerin für das laufende Jahr rund 419Mil-
lionen DM etatisiert sind. Trotz der als Jahrhundertwerk
angekündigten BAföG-Reform verzeichnet dieser Titel
im Jahr 2002 aufgrund der beabsichtigten Senkung, die
auch die Kollegin Klemmer begründet hat, keine wesent-
liche Steigerung.
Dies alles diente der Klarstellung des Sachverhalts und
musste deswegen gesagt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau KolleginKlemmer, bitte zur Erwiderung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Siegrun Klemmer20267
Zuerst zum BAföG: Herr
Kollege Kampeter, die wichigste Zahl ist nicht die, an der
sich der finanzielle Aufwand ablesen lässt, sondern die
der Geförderten. Das wissen Sie eigentlich ganz genau.
Es gab in der Bundesrepublik Zeiten, in denen die Zahl
der Geförderten mit der Zahl der Studierenden fast
deckungsgleich war. Das hieß natürlich nicht, dass alle ein
hohes BAföG bekommen haben. Es gab damals vielmehr
nur einen relativ kleinen Beitrag als Studienunterhalt. Das
betraf vor allen Dingen den Zeitraum von 1980 bis 1985.
Bedingt durch die Wiedervereinigung – die Zahl der Stu-
dierenden stieg und damit auch die der Geförderten – gab
es zwar 1991 einen Aufwuchs. Aber danach ging es bis
1998 deutlich bergab. Die Zahl der Geförderten sank von
605 000 im Jahre 1991 auf 340 000 im Jahre 1998. Dies
stand in gar keinem Verhältnis mehr zu der Entwicklung
der Zahl der Studierenden; denn diese hatte sich nur un-
wesentlich verändert.
Wir sind jetzt dabei, die Zahl der Geförderten und die
der Studierenden in ein ordentliches Verhältnis zu brin-
gen. Im Jahre 2000 gab es 360 000 Bezieher von BAföG
und ungefähr 1,7 Millionen Studierende.
Ich möchte jetzt auf das eingehen, was – das wissen Sie
als Haushälter ganz genau – in Ihrer Argumentation unse-
riös ist.
Sie wissen ganz genau, dass das BAföG auf der einen
Seite ein Leistungsgesetz und auf der anderen Seite ein
Schätztitel ist. Da die Bestimmungen des BAföG durch
die Länder und deren Studentenwerke umgesetzt werden
und somit dem unmittelbaren Zugriff des Bundes entzo-
gen sind, sind wir auf die Zuarbeit der Länder angewie-
sen. Wir haben es im Vergleich zu Ihnen damals jetzt mit
16 Ländern und mit einer viel größeren Zahl an Studen-
tenwerken zu tun.
Viel wichtiger ist aber die Tatsache, dass seit diesem
Sommer, seit der erfolgreichen Informationskam-
pagne – das haben wir gemerkt –, das Interesse am
BAföG enorm zugenommen hat.
– Mit wem auch immer! Wenn junge Leute Sympathie für
Guildo Horn haben, dann ist das gut. Es spielt für uns
überhaupt keine Rolle, wenn sie über Guildo Horn zum
BAföG kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Klemmer, jetzt ist Ihre Zeit für die Erwiderung auf die
Kurzintervention leider beendet.
Wir bemerken allerdings
– das ist eine Form von Politikverdrossenheit, zu der Sie
beigetragen haben –,
wie wenig Vertrauen junge Leute und ihre Eltern noch in
die Leistungsfähigkeit des Staates hatten. Sie sind gar
nicht mehr davon ausgegangen, dass sie überhaupt einen
BAföG-Anspruch haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Klemmer, ich
bitte Sie, zum Schluss zu kommen.
Das in ihre Köpfe zu brin-
gen ist unsere momentane Aufgabe. Sie gelingt uns.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist Kollegin Pieper für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Solange wir in diesem DeutschenBundestag solche Diskussionen zur Bildungs- und For-schungspolitik, geführt von Haushaltspolitikern, hören,die in Zahlenfuchserei enden, werden wir den Investiti-onsschub für Bildung, Wissenschaft und Forschung, denwir in Deutschland brauchen, wenn wir im internationa-len Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen wollen, nieerreichen. Das ist mir bei dieser Debatte ganz klar ge-worden.
– Sie können das sehen, wie Sie wollen.Ihre Ministerin Bulmahn hat in der Tat zu Anfang ihrerRegierungszeit angekündigt, sie wolle den Haushalt fürBildungs- und Forschungsaufgaben verdoppeln.
Dann hat sie korrigiert, es sollten Zukunftsinvestitionenverdoppelt werden. Sie hatte zunächst gesagt, sie wolleden Haushalt verdoppeln. Ich sage deutlich für dieFDP-Bundestagsfraktion: Wir wollen, dass Zukunftsin-vestitionen verdoppelt werden. Wir wollen mehr Bil-dungsausgaben. Wir wollen mehr Investitionen in dieKöpfe.
Deswegen ist dieses Anliegen Ihrer Ministerin eigentlichein ehrenwertes Anliegen. Das muss unterstützt werden.Aber es muss auch glaubwürdig bleiben.Schauen wir in Ihren Haushalt hinein: Es ist einTäuschungsmanöver. Da können Sie sagen, was Sie wol-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 200120268
len. Die Kollegen von der Union haben das hier schon be-kräftigt.
– Herr Tauss, in der ersten Lesung des Haushalts sagtenSie, dass der Haushalt zum vierten Mal in Folge gestiegensei. Sie haben aber im Jahr 2000 ein Absinken des Haus-halts um rund 2,4 Prozent beschlossen.Ich erkenne an, dass es in dieser Legislaturperiode imHaushalt von Frau Bulmahn eine Aufstockung um 2 Mil-liarden DM gibt, aber insgesamt kann man weder von ei-ner Verdopplung des Haushalts noch von einer Verdopp-lung der Zukunftsinvestitionen sprechen. Das ist aufkeinen Fall so, wie Sie es gesagt haben.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministe-rin Bulmahn, der Finanzminister überlässt Ihnen denFeldherrenhügel ganz ohne jede Attacke nicht.
Nein, er hat Ihnen bereits stillschweigend und von vielenunbemerkt einen Gifttropfen in das BAföG getan.Während Sie sich über ein erhöhtes Kindergeld und des-sen Nichtanrechnung auf das Einkommen bei der BAföG-Berechnung freuen, wird der bislang gewährte Ausbil-dungsfreibetrag von 4 200 DM pro Jahr für außer Hauswohnende Studierende ab 1. Januar 2002 auf 1 807 DMabgesenkt.
Das bedeutet für die Eltern spürbare Mehrbelastungen,die durch das erhöhte Kindergeld gerade nicht abgefangenwerden.
Wissen Sie, was das ist? Das ist das Prinzip Ökosteuer:Wir stecken dem Steuerzahler in die eine Tasche etwas hi-nein und aus der anderen Tasche ziehen wir ihm das Dop-pelte wieder heraus. Das ist das Prinzip Ihrer Politik.
Wenn Sie von den Wohnheimplätzen für ausländischeStudierende reden, Frau Klemmer, vergessen Sie bittenicht: Es fehlen insgesamt 21 000 Wohnheimplätze fürausländische Studierende in Deutschland. Nehmen Siesich doch auch einmal dieser Herausforderungen an undreden Sie nicht alles schön.
Frau Ministerin, auch die Finanzminister der Ländermissgönnen Ihnen Ihren kleinen Pyrrhussieg bei den dies-jährigen Haushaltsberatungen. Die Finanzminister einig-ten sich auf ihrer letzten Tagung im Oktober auf eine Re-duzierung der Bildungsausgaben in den Ländern undverspielten somit die einmalige Chance, den demogra-phisch bedingten Rückgang der Schülerzahlen für eineQualitätsverbesserung der Bildung zu nutzen. Das machtdeutlich: Die Finanzminister haben die Zeichen der Zeitnicht verstanden. Investitionen in die Köpfe entscheidenüber den wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland. Ich kannnur appellieren, dass wir als Bildungspolitiker uns diesergroßen Herausforderung endlich bewusst werden.Auch wenn wir uns noch so sehr über die zusätzlicheMilliarde aus den UMTS-Zinsersparnissen im Einzel-plan 30 des Bundeshaushalts freuen – es bleibt ein Wer-mutstropfen. Diese Milliarde steht uns für eine befristeteZeit zur Verfügung. Über diesen kleinen Zeitkorridormüssen wir uns heute schon im Klaren sein.Ich rufe in Erinnerung: Sie müssten nicht Herrn Eicheleinen Dankesbrief dafür schreiben, dass Sie mit IhremHaushalt von diesen Zinsersparnissen profitiert haben,sondern unserem ehemaligen BundeswirtschaftsministerRexrodt, der die Liberalisierung des Telekommunikati-onsmarktes überhaupt erst durchgeführt hat.
Sonst würden Sie gar nicht von diesen Zinsersparnissenprofitieren. Meine Damen und Herren, Sie haben in derVergangenheit dagegen gewettert. Daran können wir unsnoch genau erinnern.Frau Ministerin, der vorliegende Haushalt 2002 zeigtmir aber auch, dass Sie mit der Steigerung der Bildungs-ausgaben weder den Anschluss an das internationale Ni-veau erreichen noch mit dem Ihnen zur Verfügung ste-henden Geld wirklich gestalten wollen.
Es ist unbefriedigend, dass Deutschland mit einer Stu-dierendenquote in Höhe von 28,2 Prozent nach wie vornur im unteren Mittelfeld der europäischen Staaten liegt.Bereits heute nehmen nur noch 41 Prozent der Studier-willigen unmittelbar nach der Hochschulreife ein Studiumauf. Nur 2,6 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutsch-lands studiert.
Damit liegen wir nicht nur hinsichtlich des Wirtschafts-wachstums, sondern auch im Hinblick auf die akademi-sche Ausbildung an letzter Stelle in Europa. Der Anteil derberufstätigen Bevölkerung mit Hochschulabschluss liegtmit 13 Prozent nur im internationalen Mittelfeld. In denUSA beträgt dieser Anteil 24 Prozent und in den Nieder-landen 21 Prozent.
Hier erwarten wir Ihre Strukturreformen, die Sie ebennicht auf den Weg gebracht haben, meine Damen undHerren von der Koalition. In diesem Zusammenhang kannich Ihnen viele Fakten aufzählen. Das Durchschnittsalterder Hoch- und Fachhochschulabsolventen ist weltweitnoch immer Spitze. Es gibt auch Strukturreformen, diekein Geld kosten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Cornelia Pieper20269
Wir haben in Deutschland zu lange Schulzeiten. Daskann man nicht alles auf die Länder schieben.
Auch Sie regieren in den Ländern mit. Sie müssen endlichdafür Sorge tragen, dass das 13. Schuljahr in Deutschlandabgeschafft und in der gesamten Bundesrepublik das Abi-tur nach dem 12. Schuljahr eingeführt wird.
Sehr geehrte Frau Kollegin Bulmahn, meine Fraktionhat mit ihrem Bildungsscheckmodell einen wichtigenSchritt in Richtung auf Bildungsreformen aufgezeigt. IhreKollegen aus der SPD-Fraktion, aber auch die Grünen ha-ben das Modell im zuständigen Ausschuss grundsätzlichabgelehnt. Die SPD-Minister in Rheinland-Pfalz undNordrhein-Westfalen wollen dieses Modell jedoch nichtnur einführen, sondern wenden sich damit auch offen ge-gen das von Ihnen geplante Studiengebührenverbot.
Die Grünen spitzten ebenfalls den Mund und schlugen einStudiengutscheinmodell vor.Noch haben Sie Zeit, meine Damen und Herren von derKoalition, auf den fahrenden Zug aufzuspringen,
denn wir werden dieses Thema in diesem Hause noch ein-mal behandeln und seine Umsetzung voranbringen. Dasverspreche ich Ihnen. Sie vergessen aufzuspringen. Siesetzen die Reformen weder in Gang noch setzen Sie sieum.
– Herr Tauss, ich weiß, Sie tönen immer sehr laut, aber esreicht nicht aus, nur schöne Worte zu machen, sondern esist erforderlich, sie durch Taten umzusetzen. Diese Tatensind jetzt gefragt.
Schneiden Sie endlich einmal diese alten ideologischenZöpfe in der Bildung, geboren in der 68er Generation, ab.
Eine Verlagerung der Prioritätensetzung bedeutet zu-gleich eine kontinuierliche Mittelbereitstellung. Ihnen istdoch bekannt, dass die FDP-Fraktion einen Antrag einge-bracht hat. Wir wollen staatliche Subventionen insbeson-dere für den Steinkohlebergbau zurückführen und geradediese Mittel für Bildung, Wissenschaft und Forschungeinsetzen. Die Halbierung der Erhaltungssubventionenbis zum Jahr 2005 würde eingesparte Mittel in Höhe von7,9 Milliarden Euro für Investitionen in die Bildung, aberauch in die Mobilität zur Verfügung stellen.Das ist der richtige Weg. Das haben wir vorgeschlagen.
– Das ist nicht unseriös.
Das ist mutig. Wir brauchen mutige Reformen in diesemLand, um voranzukommen,
und nicht dieses kleinkarierte Denken, das uns von Ihnenzum Teil vorgetragen wird, meine Damen und Herren vonder Regierungskoalition.Wir brauchen auch den Blick für die großen Problemeim Osten. Die Zustände in den neuen Bundesländernsind in der Tat beängstigend, auch was die Ausbildungs-platzsituation anbelangt. Ich sage noch einmal: Allein derWanderungsverlust von 17 000 Menschen im vergange-nen Jahr
macht deutlich, dass sich junge Frauen und Männer Aus-bildungs- und Arbeitsplätze in den alten Ländern suchenmüssen, weil sie in den neuen Ländern keine Zukunftmehr haben.
Das ist unter anderem auch Ihrer mittelstandsfeindlichenPolitik zu verdanken. Sie belasten nicht nur die Bürger,Sie belasten auch die kleinen Unternehmen, ob nun mitÖkosteuer oder mit der Steuerreform.
Das geht auch zulasten der Ausbildung junger Menschen.Nehmen Sie diese Gesetze endlich zurück!Wir haben einen Antrag gestellt mit dem Ziel, die Zahlder Ausbildungsstellen aufzustocken. Diesen Antrag ha-ben wir Ihnen vorgelegt. Das Ausbildungsstellenangebotim Osten Deutschlands ist insgesamt um 6,9 Prozent zu-rückgegangen. Das ist alarmierend. Das Bund-Länder-Programm hat 16 000 neue Lehrstellen schaffen wollen.Hierfür wollte die Bundesregierung in den nächsten dreiJahren zusätzlich rund 108 Millionen Euro bereitstellen.Das bedeutet einen zusätzlichen Mittelaufwuchs in Höhevon 36 Millionen Euro pro Jahr. Das ist aber nicht pas-siert. Unsere Forderung ist, dass das passiert. Wir wollen,dass junge Menschen eine Zukunft haben, indem sie einenAusbildungsplatz finden, und zwar auch da, wo betriebli-che Ausbildungsplätze nicht vorhanden sind.Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-tion, noch ein Wort zu dem berühmten Inno-Regio-Wett-bewerb. In der Tat, die Idee ist gut.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Cornelia Pieper20270
Dagegen spricht sich auch niemand aus. Aber der vomBMBF vorgelegte Sachstandsbericht zur Förderung die-ser regionalen Innovationsinitiativen ist nicht befriedi-gend. Er zeigt zwar viele Defizite auf, verschweigt aberbewusst, wie die Vergabepraxis in Wirklichkeit aussieht.
Aus meinem Heimatland Sachsen-Anhalt sind mir Be-scheide bekannt, in denen dem Antragsteller – es geht umlaufende Forschungsprojekte – entgegen seinem Antragauf gleichmäßige Verteilung der Mittel von 2001 bis 2005für 2001 4 Prozent der Mittel, für 2002 7 Prozent der Mit-tel, für 2003 keine Mittel, für 2004 keine Mittel und für2005 89 Prozent der Mittel zugesagt worden sind.
Das heißt, solche Unternehmen müssen auf Jahre hinausvorfinanzieren, haben aber gar kein Eigenkapital. Was Siehier machen, ist unglaubwürdig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Pieper,
Sie müssen jetzt auf die Redezeit achten.
Frau Präsidentin, es gibt noch
viel mehr, was an Kritik, auch an konstruktiver Kritik,
vorzutragen wäre.
Ich vermisse bei der rot-grünen Bundesregierung
Glaubwürdigkeit bei der Bildungsreform, aber auch Mut
zu wirklichen Reformen. So kommen wir in den Fragen
zum Standort Deutschland ganz gewiss nicht weiter.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Hans-
Josef Fell.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Haushaltsdebatten zum Bildungs- und Forschungsbereichsind meine Lieblingsdebatten. Hierzu kann Rot-Grün je-des Jahr Zahlen auf den Tisch legen, die die Erfolge un-serer Bildungs- und Forschungspolitik eindeutig belegen.
Die ewig Unzufriedenen in den ehemaligen Regierungs-fraktionen von CDU, CSU und FDP
kann ich nur daran erinnern, welch schauriges Erbe sieuns hinterlassen haben. 1998, im letzten schwarz-gelbenHaushaltsplan
– hören Sie zu, Herr Kampeter! –, gab das BMBF 10 Mil-liarden DM für die Forschung aus. Dies entsprach demBetrag von 1993. Stagnation über fünf Jahre unter IhrerRegierung!
Vier Jahre und einen Regierungswechsel später werdendie Forschungsmittel 12Milliarden DM betragen. Hinzukommen die Mittel in Höhe von fast 1 Milliarde DM, dieseit dem Regierungswechsel beim Bundeswirtschafts-ministerium veranschlagt sind.Die Bildungsmittel stiegen im gleichen Zeitraum um24 Prozent, um fast 5,5 Milliarden DM.
– Herr Kampeter, wenn Sie diese Zahlen nicht kennen,dann muss man Ihre Fraktion fragen, ob Sie an der richti-gen Stelle sind.
Ich weiß nicht, ob die Union gut beraten ist, einen Haus-hälter mit solcher Unkenntnis zu unterstützen.
Die FDP, Frau Pieper, hat nun einen noch stärkerenAufwuchs gefordert. Eigentlich hatten Sie ja 29 JahreZeit, das umzusetzen. Aber ich sage Ihnen auch ganz kon-kret: Schade, dass Ihr Gegenfinanzierungsvorschlag un-seriös ist.
Sie sagen, Sie wollen die Kohlesubventionen dafür neh-men. Ich erinnere Sie daran, dass Ihr WirtschaftsministerRexrodt die Kohlesubventionen bis 2005 vertraglich fest-geschrieben hat.
Nun verlangen Sie von der Nachfolgeregierung einen Ver-tragsbruch. Das halte ich schlichtweg für unseriös.
Darum müssen wir neue Wege gehen.Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie die Nettoneu-verschuldung Jahr für Jahr erhöhten, während die For-schungsausgaben sanken. Bei uns ist es umgekehrt: Rot-Grün erhöht die Mittel für Bildung und Forschung undsenkt die Nettoneuverschuldung.
Die Stagnation der früheren Bundesregierung hatteschwerwiegende Folgen. 1991 lag der Anteil der For-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Cornelia Pieper20271
schungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt in Deutsch-land noch über 2,6 Prozent, 1998 waren es nur noch2,3 Prozent. Damit rutschte Deutschland auf den siebtenPlatz in der OECD ab. Die USA und Japan gaben, bezo-gen auf das Bruttoinlandsprodukt, rund ein Viertel mehrfür Forschung aus, Schweden sogar 70 Prozent mehr.Die durch die rot-grüne Bundesregierung wieder ver-stärkten Forschungsanstrengungen führten auch zu höhe-ren Forschungsausgaben in der Wirtschaft. Bereits 1999stieg der Anteil der Forschungsausgaben am Brutto-inlandsprodukt wieder auf 2,4 Prozent. Er dürfte mittler-weile – genaue Zahlen liegen noch nicht vor – bei etwa2,6 Prozent liegen. Das haben wir erreicht. Damit habenwir das Ziel natürlich noch nicht vollständig erreicht, aberim Gegensatz zu Ihrer Politik stimmt die Richtung endlichwieder.
Meine Damen und Herren, viele sagen, nach dem11. September sei alles anders. Ich möchte betonen, dassvieles eigentlich schon seit September 1998 anders ist.
Hierzu zählt zum Beispiel die Förderung der Friedens-forschung.Unter Kohl und den Liberalen wurde der Frie-densforschung der Geldhahn zugedreht. Wenn friedens-politische Meinungen geäußert wurden, die Kohl nichtpassten, haben die schwarzen Forschungsminister dieMittel radikal gestrichen. Rot-Grün dagegen kann wiederverstärkt auf Vorschläge zur Friedensforschung und zurKrisenbewältigung zurückgreifen.
Gleich nach dem Regierungswechsel haben wir die Frie-densforschung wieder ins Leben gerufen. Als nächsterSchritt wurde eine Friedensstiftung eingeführt, für dieauch 2002 wieder 15 Millionen DM eingestellt werden.
– Sie sollten genau zuhören und Sie sollten uns zu diesemSchritt gratulieren und angesichts dieser Weltlage auchdanken.
Wir greifen zum Beispiel mit Blick auf Mazedonien aufKonzepte der Friedensforschung zurück. Diese Strategiehat dazu geführt, dass wir bis heute – Gott sei Dank – dorteinen Bürgerkrieg verhindern konnten.
Kommen wir zur Biotechnologie. Im Haushalt desBMBF werden bei der menschlichen Stammzellenfor-schung nur Mittel für die Forschung mit adulten Stamm-zellen ausgegeben. Forschung an humanen embryonalenStammzellen wird nicht unterstützt und wir wollen, dassdas so bleibt.
Allerdings hat das Europäische Parlament gerade be-schlossen, dass im 6. Forschungsrahmenprogramm dieForschung an embryonalen Stammzellen finanziert wer-den soll.
Das Europäische Parlament befürwortet sogar die For-schung an Stammzellen, zu deren Gewinnung Embryonenerst noch getötet werden müssten.
Ich möchte unsere Ministerin Frau Edelgard Bulmahneindringlich bitten, im Ministerrat gegen eine Finan-zierung der embryonalen Stammzellenforschung zu vo-tieren.
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dassder Bundestag Anfang nächsten Jahres einen Beschlusszur Stammzellenforschung fassen wird. Es wäre nichtnachzuvollziehen, wenn zuvor mit deutscher Zustim-mung auf europäischer Ebene schon vollendete Tatsachengeschaffen würden, die den Empfehlungen der Enquete-Kommission des Bundestages zuwider laufen.
Bündnis 90/Die Grünen sind für die Nutzung der Gen-technik in der Gesundheitsforschung, wenn ethischeStandards eingehalten werden. Daneben haben wir unsimmer für eine Stärkung der gentechnikunabhängigenGesundheitsforschung eingesetzt. Es freut mich dahersehr, dass der Umfang der gentechnikunabhängigen Ge-sundheitsforschung deutlich zugelegt hat. 2002 werdenwir hierfür 10 Millionen DM mehr als dieses Jahr undsogar 27 Millionen DM mehr als 1998 zur Verfügungstellen. Damit können bedeutend mehr Mittel für dieGesundheitsvorsorgeforschung, für die Pflegeforschungoder für die Krebsnachsorgeforschung bereitgestelltwerden.
Wir wollen nicht nur mehr Geld für die Forschung,sondern wir wollen – im Gegensatz zu einer liberalen Par-tei – auch, dass die Mittel verantwortlich eingesetzt wer-den. Daher ist für uns die Technikfolgenabschätzung be-sonders wichtig. Da wir im Gegensatz zu unserenVorgängern nicht nur reden, sondern auch handeln, habenwir die Mittel für die Technikfolgenabschätzung in denletzten drei Jahren mehr als verdoppelt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Hans-Josef Fell20272
Mit besonderer Freude ziehe ich auch die Bilanz imHinblick auf die Umweltforschung: Die Mittel für dieNachhaltigkeitsforschung werden auch 2002 wieder er-höht. 2002 werden wir rund 40 Millionen DM mehr als1998 ausgeben.
– Frau Flach, Sie sprechen die Energieforschung zuRecht an. Sie haben in der ersten Lesung darauf hinge-wiesen, dass auf diesem Gebiet möglicherweise ein Defi-zit auftaucht. Nun fordere ich Sie auf, uns zu loben; dennes gelang uns – wie in den Haushaltsberatungen eines je-den Jahres –, die Mittel für die Energieforschung deutlichaufzustocken.
2002 werden 65MillionenDM mehr für die Forschung imBereich erneuerbare Energien und Energieeffizienztech-nologien ausgegeben als 1998, als Ihre Parteien regierten.
Besonders stolz bin ich auch darauf, dass wir im For-schungshaushalt für die Grundlagenforschung im Bereicherneuerbarer Energien einen Fonds einrichten konnten,der die Vernetzung zwischen den Forschungseinrichtun-gen unterstützt. Dies alles sind sehr wichtige Maßnah-men.Meine Damen und Herren der CDU/CSU und der FDP,Sie hatten 16 bzw. 29 Jahre Zeit, eine bessere Bildungs-und Forschungspolitik zu machen.
Das ist Ihnen nicht gelungen. Jetzt mäkeln Sie an unsererrot-grünen Erfolgsbilanz herum,
von der Sie in den letzten Regierungsjahren nicht einmalzu träumen gewagt hätten.Frau Präsidentin, ich danke Ihnen vor allem dafür, dassSie die Uhr angehalten haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Maritta Böttcher von der Fraktion der PDS.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Runter mit dem BAföG, rauf mit der
Weltraumforschung – das, meine Damen und Herren der
Koalition, ist Ihre Kernaussage nach den Änderungen am
Bildungs- und Forschungsetat.
Während die BAföG-Ausgaben um 20 Millionen Euro
gekürzt werden, steigen die Beiträge und Leistungen an
die Europäische Weltraumorganisation um 30 Millio-
nen Euro. So steht es im Haushaltsgesetz.
Frau Ministerin, als neue Vorsitzende des ESA-Minis-
terrats haben Sie für eine stärkere Beteiligung der Indus-
trie an den Kosten der Weltraumforschung geworben;
trotzdem sollen die Ausgaben des Bundes im kommenden
Jahr weiter ansteigen. Fast jeden zehnten Euro aus dem
Bildungs- und Forschungshaushalt wollen Sie im Welt-
raum verpulvern. Das eherne Gesetz der Haushaltskonso-
lidierung gilt unter dieser Bundesregierung offensichtlich
nur bei Investitionen in die Köpfe. Bei Investitionen in die
Rüstung ist es offenbar außer Kraft gesetzt.
Unter dem Strich wollen SPD und Grüne die
BAföG-Ausgaben jetzt nur noch um 3,9 Prozent steigern.
Das ist im Ergebnis nicht viel mehr als ein großzügig be-
messener Inflationsausgleich. Verkaufen Sie uns das nicht
länger als bildungspolitischen Erfolg!
„Einfach – besser – mehr“, so soll uns die Werbekam-
pagne das neue BAföG schmackhaft machen. Doch auch
der 2 Millionen DM teure Einsatz von Guildo Horn – er
ist heute schon genannt worden – hat es nicht vermocht,
dafür zu sorgen, dass wirklich alle Anspruchsberechtigten
einen BAföG-Antrag stellen. Längst haben sie den Glau-
ben daran verloren. Ohnehin gilt: Für viele Studierende
springen nur drei oder vier Nussecken mehr im Monat he-
raus.
Vier von fünf Studierenden gehen völlig leer aus. Etli-
che Auszubildende aus Familien mit mehreren BAföG-
berechtigten Kindern mussten zum 1. April feststellen,
dass ihnen das neue BAföG sogar weniger Geld bringt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Böttcher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Tauss?
Aber selbstverständlich.
Das ist der Unterschied zwischen
Ihnen und Frau Böttcher. Aber bei Frau Böttcher setze ich
immer noch eine gewisse Lernfähigkeit voraus.
Danke, Herr Kollege.
Wir sind ja hier im Bildungsbe-reich.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Hans-Josef Fell20273
Frau Kollegin Böttcher, ich bedauere es ein bisschen,dass Sie jetzt mit dieser Schärfe zum Thema BAföG Stel-lung genommen haben. Ich habe gerade eine E-Mail be-kommen – ich will jetzt den Namen des Mannes nicht ver-lesen, das gehört sich bei E-Mails nicht, aber ich kann sieIhnen nachher gerne geben –, in der steht: Was das BMBFtut, ist hervorragend, einmalig. Die Reform zum BAföGist gelungen. Ich arbeite seit 22 Jahren im BAföG-Amtund kann sagen: Nie war das BAföG so wertvoll wieheute.Wie wollen Sie denn diese Erfahrungen eines seit über20 Jahren im BAföG-Amt tätigen Mitarbeiters mit dem inÜbereinstimmung bringen, was Sie uns gerade hier gesagthaben?
Ich bin mir nicht sicher, wo-her Sie diese E-Mail haben; ich könnte Ihnen auch andereE-Mails zeigen. Das ist aber überhaupt nicht mein Pro-blem. Es handelt sich um Tatsachen, Kollege Tauss – daswissen Sie auch –, die ich hier vorgetragen habe. Im Übri-gen bin ich nicht dafür da, die Regierung für das zu loben,was möglicherweise gut ist an diesem Haushalt, sondernich möchte bitte schön sagen können, welche Reserven esnach wie vor gibt. Insofern sind wir uns am Ende, wie ichglaube, wieder einig, wenn ich sage: Die BAföG-Reformwar nicht mehr als ein Reförmchen. Dabei bleibe ichauch.
– Das ist dann nun wieder Ihr Problem, Herr Kollege.Noch einmal zurück: Nicht einfach, besser und mehr,sondern kompliziert, schlechter und weniger ist das neueBAföG für viele geworden. Doch damit nicht genug.
– Hören Sie doch vielleicht einmal zu, dann könnten Siedie Reserven vielleicht auch erkennen.Angesichts der anhaltenden Diskussion um Studien-gebühren werden es sich viele Abiturientinnen undAbiturienten, insbesondere aus Familien mit geringenElterneinkommen, ganz genau überlegen, ob sie die un-kalkulierbaren Risiken eines Hochschulstudiums heutenoch auf sich nehmen. Bemerkenswert ist ja, dass sich dieSPD auf ihrem jüngsten Parteitag der klaren Position derPDS angeschlossen hat
– ich freue mich, dass Sie sich darüber so freuen, HerrTauss –, nämlich die vor 30 Jahren unter sozialdemokra-tischer Regierungsverantwortung erreichte Gebühren-freiheit des Studiums zu verteidigen, und zwar ohne Wennund Aber.
Den Worten müssen aber jetzt wirklich Taten folgen.Es reicht nicht aus, verehrter Kollege Tauss, mit den net-ten jungen Leuten vom fzs Kaffee zu trinken.
Sie müssen hier im Deutschen Bundestag endlich das um-setzen, was SPD und Grüne vor drei Jahren versprochenhaben und die PDS schon zweimal vergeblich beantragthat, nämlich Studiengebühren gesetzlich auszuschließen.
Ihren Landesministern Oppermann, Zöllner und Behlerwerden Sie beibringen müssen, dass ihre GebührenträumeSchäume bleiben müssen. Die SPD-Basis hat es so be-schlossen. Mit immer neuen Ankündigungen ist den Stu-dierenden also nicht geholfen.Das gilt auch für die immer wieder versprocheneAbsicherung der verfassten Studierendenschaft. Wiehalten Sie es eigentlich mit der Demokratie an deutschenSchulen und Hochschulen? Auch wenn Sie unsere Kritikam Afghanistan-Krieg nicht teilen, Bedenken, Kritik undWiderstand zu artikulieren muss in einer demokratischverfassten Gesellschaft möglich sein und möglich blei-ben.
Wir nehmen nicht hin, dass demokratisch gewählte Stu-dierendenvertretungen, die sich kritisch mit den allge-meinpolitischen Themen Krieg und Terrorismus ausei-nander setzen, einen Maulkorb umgebunden bekommen.Ebenso wenig dürfen wir akzeptieren, dass Lehrerinnenund Lehrer, die an ihrer Schule die Politik von USA oderNATO kritisieren, vom Dienst suspendiert werden. Möch-ten Sie Duckmäuser oder mündige Bürger?
Ich möchte die Gelegenheit heute nutzen, von hier ausden Berliner Hochschullehrern, die vergangene Woche ander Freien und an der Technischen Universität aus Protestgegen den Krieg für zwei Wochen den regulären Lehrbe-trieb unterbrochen haben, meinen Respekt aussprechen.
Dem Regierungswechsel von 1998 ist bis heute keinwirklicher Politikwechsel in der Bildungs- und Wissen-schaftspolitik gefolgt.
Der Bundeshaushalt trägt immer noch die Handschrift Ih-rer Vorgängerregierung. Auch bei der Neuordnung desHochschuldienstrechts haben Sie nicht einmal für dienotwendige Absicherung der Dienstrechtsreform imBundeshaushalt gesorgt. Das Förderprogramm zur Aus-stattung von Juniorprofessuren ist nur eine halbe Sache.
Es deckt nur die Sachausstattung, nicht aber die Personal-kosten der neu einzurichtenden Juniorprofessuren ab. Ge-
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Jörg Tauss20274
nau darauf käme es aber an; das wissen Sie auch. Die fürdie neuen Stellen infrage kommenden Mittel sind derzeitnämlich durch die alten Assistentenstellen gebunden.Auch aus der Ausbildungsplatzmisere insbesondere inden neuen Ländern hat die Bundesregierung noch keinenAusweg gefunden. Dazu der Fakt: Ende Septemberwurden immer noch über 20 000 Jugendliche ohne Aus-bildungsplatz registriert. Den 7 324 ostdeutschen Ju-gendlichen ohne Ausbildungsplatz standen ganze 758 be-triebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung. Wie mandiese beiden Tatsachen als Erfolg feiern kann, bleibt mirschleierhaft.
– Die Zahlen interessieren mich dabei nicht. Im Endeffektinteressiert mich, dass die Jugendlichen einen Ausbil-dungsplatz erhalten.
– Hören Sie mir doch einmal bis zum Ende zu; ich sage esIhnen jetzt. Seien Sie doch nicht so aufgeregt. Seien Siedoch einmal ruhig.Für viele Jugendliche im Osten ist die Hoffnung längstgestorben.
Und da kommen Sie mit einem notdürftigen Trostpflaster,mit diversen Ersatz- und Sonderprogrammen, um die Bi-lanz auszugleichen;
denn – das will ich noch einmal deutlich sagen – mit derGleichwertigkeit dieser Erwerbsmaßnahmen ist es nichtweit her, wenn ich zugrunde lege, wie sich die Vermittel-barkeit auf dem Arbeitsmarkt darstellt.Wir erwarten daher von der Bundesregierung, dass siedas duale System endlich zu einem gleichwertigen, plura-len Ausbildungssystem ausbaut, in dem für alle Ausbil-dungsgänge gemeinsame Grundsätze für Zugang, Qua-litätssicherung und Finanzierung gelten.
Solange die Unternehmen – ich betone: die Unternehmen –nicht endlich durch eine Ausbildungsumlage dazu angehal-ten werden, ihre Verpflichtung zur Ausbildung zu erfüllen,wird die PDS die vorgesehene Kürzung der Lehrstellen-programme für die neuen Bundesländer ablehnen.
Von einer weiteren Aufstockung des Programms ummehr als ein Drittel, wie die FDP sie vorschlägt, ginge al-lerdings ein völlig falsches Signal für die Unternehmenaus. Sie würden sich noch weiter aus ihrer Verantwortungzurückziehen.Im Übrigen halte ich es für bemerkenswert, dass unsdie FDP-Fraktion mit immer neuen Anträgen in Richtungeiner zentralstaatlichen Regulierung unseres föderativenBildungssystems beschäftigt, gleichzeitig aber dort, wosie in Regierungsverantwortung ist oder diese, wie in Ber-lin, anstrebt, einer hemmungslosen Deregulierung dasWort redet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn Siewollen, dass Ihre Anträge ernst genommen werden, müs-sen Sie sich endlich auf eine klare Linie im Bund und inden Ländern festlegen.
Was die Weiterbildung betrifft, meine Kolleginnen undKollegen, bleibt die PDS bei ihrer Forderung nach einemRahmengesetz zur Weiterbildung, das die öffentlichenAufgaben bestimmt und für deren Finanzierung der Bundaufzukommen hat.Die Koalition ist 1998 mit dem Ziel angetreten, einen„Aufbruch für Innovation und Qualifikation“ zu unter-nehmen. Der Entwurf der Bundesregierung für den Bil-dungs- und Forschungshaushalt 2002 ist weit von ihremWahlversprechen entfernt. Die Partei des DemokratischenSozialismus sagt deshalb Nein zu dieser Politik des Still-stands.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt dieBundesministerin für Bildung und Forschung, EdelgardBulmahn.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
dentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! GuteBildungs- und Forschungseinrichtungen haben ihrenPreis. Wer nicht bereit ist, diesen Preis zu zahlen, wirdspäter ein Vielfaches dafür zahlen müssen.
Diese Feststellung ist nicht ganz neu, aber der Unter-schied zu Ihnen, meine sehr geehrten Herren und Damenvon der Opposition, ist der, dass die Kolleginnen und Kol-legen von der Koalition es ernst nehmen und bereit sind,mehr Mittel in Bildung und Forschung zu investieren.
Deshalb erhöhen wir den Haushalt für Bildung und For-schung in diesem Jahr zum vierten Mal.Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von derOpposition, haben zwar auch darüber geredet, aber Siehaben in Ihrer Regierungsverantwortung das genaue Ge-genteil getan.
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Maritta Böttcher20275
Sie haben in Ihrer Regierungsverantwortung, HerrKampeter, den Haushalt für Bildung und Forschung umrund 700 Millionen DM gekürzt. Das sind die Tatsachen.
Wir erhöhen also den Haushalt für Bildung und For-schung.Herr Kampeter, was Sie vorhin gemacht haben, – dengesamten Wirtschaftshaushalt dem Haushalt für Bildungund Forschung zuzuschlagen –, ist schlichtweg eine Ver-dummung der Leute. Ich finde, das sollte man gerade ineiner bildungspolitischen Debatte nicht tun.
Ich halte es für richtig, dass wir eine neue Weichen-stellung durchgeführt haben. Wir haben gesagt: Weg vonden Subventionen, hin zu den Investitionen in Bildungund Forschung! Wer dagegen ist, der muss das hier offenbenennen. Ich halte diese Weichenstellung für richtig undstehe für sie ein.
Herr Kampeter, wenn ich mir anschaue, wie sich derAnteil des Haushaltes für Bildung und Forschung amBundeshaushalt verändert hat, muss ich feststellen: ImJahre 1998, im letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwor-tung, hatte der BMBF-Haushalt einen Anteil von3,11 Prozent.
Im Jahre 2002 wird er einen Anteil von 3,39 Prozent ha-ben. Wenn ich die reale Vergleichsbasis heranziehe, näm-lich den Darlehensanteil des BAföGs einbeziehe – dasmüsste ich eigentlich, weil er im Haushalt 1998 noch ent-halten war –,
dann komme ich sogar auf 3,62 Prozent. So sind die Fak-ten. Ich bitte Sie, diese zur Kenntnis zu nehmen und nichtan Ihre selbst gestrickten Mythen zu glauben. Das ist näm-lich das Allerletzte!
Worum geht es uns dabei? Wir wollen durch Investi-tionen in Bildung und Forschung neue zukunftsfähigeArbeitsplätze schaffen. Wir wollen unsere Wirtschaftwettbewerbsfähig machen. Vor allen Dingen wollen wirjungen Leuten in unserem Land die Chance geben, ihr Le-ben erfolgreich zu gestalten.
Das ist die Zielsetzung, die wir verfolgen.Eine gute Ausbildung – auch das lassen Sie mich hierklar sagen – beginnt nicht erst in der Lehre oder an derUniversität, sondern bereits im Kindergarten und in derSchule.
Jahrelanger Stillstand und die bildungspolitischen Gra-benkämpfe der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt,dass wir heute in wichtigen Bereichen unseres Bildungs-wesens nicht mehr in der internationalen Spitzengruppesind – wo wir eigentlich hingehören –, sondern uns imOECD-Mittelmaß bewegen.
Die Bundesregierung hat diesen Zustand nicht einfachhingenommen und die Hände in den Schoß gelegt, so wiedas meine Vorgänger über Jahre hinweg getan haben.
Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit das Forum Bildungins Leben gerufen.
Wissenschaftler, Gewerkschaftler, Kultusminister, Wirt-schaftsmanager, Vertreter der Kirchen, Eltern und Schülerwurden dadurch an einen Tisch gebracht.Gestern habe ich gemeinsam mit meinem KollegenZehetmair,
der als Vertreter aller Länderminister an dieser Veranstal-tung teilgenommen hat, Empfehlungen zur Erneuerungunseres Bildungswesen vorgestellt.
Bund und Länder, und zwar unabhängig davon, ob sie zurA-Seite oder zur B-Seite gehören, das heißt, unabhängigdavon, ob sie CDU- bzw. CSU- oder SPD-regiert sind,
stimmen darin überein, dass unser gesamtes Bildungssys-tem, also vom Kindergarten bis zur Hochschule, grundle-gend reformiert werden muss.
Wir stimmen darin überein, dass Kinder schon im Kin-dergarten und in der Grundschule besser, das heißt stärkerauf ihre individuellen Voraussetzungen eingehend, geför-dert werden müssen
und dass wir, wie in vielen anderen Ländern üblich, schonin der ersten Klasse mit dem Erlernen einer Fremdsprache
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn20276
beginnen müssen. Das bezieht sich im Übrigen auch aufdas Erlernen der Mathematik. Die Debatte vorhin hat jadeutlich gezeigt, dass das dringend notwendig ist.
Unsere Schulen brauchen mehr Selbstständigkeit, so wiewir von der Bundesseite das bereits für die Hochschulenund die Forschungseinrichtungen umgesetzt haben.Herr Kampeter, wenn Sie nicht begreifen, dass maneine erfolgreiche Bildungspolitik nicht durchführen kann,wenn dabei Kindergärten und Schulen ausgeklammertbleiben, und dass zu einer erfolgreichen Bildungspolitikein Miteinander, ein Zusammenwirken zwischen Bundund Ländern nötig ist, dann haben Sie – es tut mir Leid –einen wesentlichen Teil davon, was Bildung bedeutet,verpasst.
Unsere Schulen brauchen mehr Selbstständigkeit. Wirwollen auch erreichen, dass gute Leistungen der Lehre-rinnen und Lehrer künftig besser belohnt werden.
Jugendliche ohne Schul- und Ausbildungsabschluss sol-len künftig eine zweite Chance erhalten und, wenn es not-wendig ist, auch noch eine dritte.
Genau das tun wir in der beruflichen Bildung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sofort. Ich möchte nur noch diesen Ge-
danken zu Ende bringen.
Wir wollen durch eine bessere Betreuung der an den
Hochschulen Studierenden sicherstellen, dass wir die ho-
hen Studienabbrecherquoten, die es leider in einer ganzen
Reihe von Fächern gibt – im Übrigen nicht nur in den Na-
turwissenschaften –, erheblich verringern. Auch das
gehört zu den notwendigen Veränderungen in unserem
Bildungssystem.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kann Frau Kolle-
gin Flach ihre Frage stellen.
Danke schön, Frau Ministerin.Sie wissen, dass das, was im Forum Bildung vertretenwird, Allgemeingut unter Deutschlands Bildungspoliti-kern ist.
Das ist nicht weiter erstaunlich. Es gab die interessanteEmpfehlung, Kindergartenplätze in Zukunft gebühren-frei anzubieten. Ich würde ganz gerne Ihre Meinung dazuerfahren. Wie verhalten Sie sich zu diesem Vorschlag?Werden Ihre Länderminister diesen Vorschlag unterstüt-zen? Wie sollen Kindergartenplätze finanziert werden?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Die Empfehlungen des Forums Bildungmüssen ausführlich geprüft werden.
Wir sind der Auffassung, dass wir hier zu Veränderungenkommen müssen.
Da ich Mitglied des Forums Bildung bin, ist dies auchmeine Auffassung.
Es ist weiterhin meine Auffassung, dass wir ein erheb-lich größeres Gewicht gerade auf die frühkindliche Erzie-hung und Bildung legen müssen und dass die Kindergär-ten auch einen Bildungsauftrag haben. Das ist nicht indem Sinne zu verstehen, dass die Kinder an einem Schul-tisch sitzen müssen, sondern so, dass sie in spielerischerForm Sprachen auch im Kindergarten vermittelt bekom-men.
Wir müssen die sprachlichen Defizite, die leider geradeviele Kinder und Jugendliche aus Emigrantenfamilien ha-ben, früher beheben und nicht erst dann, wenn sie 8, 9oder 10, 12 Jahre alt sind.Wir haben in diesen Empfehlungen sehr detaillierteVorschläge gemacht. Wir haben damit eine neue Grund-lage geschaffen. Ich bin sehr froh, dass uns dies jenseitsder Grabenkämpfe der letzten 20 Jahre und auch jenseitsvon Zuständigkeiten gelungen ist. Es ist nämlich einewichtige Voraussetzung, dass die Empfehlungen aufge-griffen und umgesetzt werden.Da wir uns im Frühjahr auch darauf verständigt haben,dass wir die Umsetzung der Empfehlungen begleiten wer-den, werden wir die Diskussion auch in den nächsten
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn20277
Jahren fortsetzen und sicherlich auch häufiger im Bun-destag führen. Ich hoffe und wünsche mir, dass ich auchdie Unterstützung der Oppositionsparteien habe, damitdie Empfehlungen in den Ländern auch tatsächlich umge-setzt werden. Ich kann Ihnen zusichern, dass wir in derSPD dafür Sorge tragen werden, dass dieses geschieht.
Ich hoffe, dass dieses Vorgehen von der Opposition be-gleitet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ministerin, es
gibt den Wunsch nach einer zweiten Zwischenfrage der
Kollegin Flach. Lassen Sie auch diese zu?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja.
Ich bitte um die Beantwortung
der Frage: Werden Sie in dieser Legislaturperiode beim
Thema Kindergartengebühren initiativ, Frau Bulmahn?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sie wissen, dass der Bund keine Kinder-
gartengebühren erhebt.
Deshalb müssen wir in unseren Parteien dafür Sorge tra-
gen, dass diese Richtung auch in der Kommunalpolitik
durchgesetzt wird. Dann können wir erreichen, dass ein
Kindergartenbesuch nicht an finanziellen Hürden schei-
tert.
Ich habe vorhin ausdrücklich betont, dass dieses Vorhaben
nur gemeinsam gelingen wird, weil in vielen Ländern und
Gemeinden die CDU die politische Verantwortung trägt.
Auch die FDP wird dabei eine Rolle spielen. Deshalb
hoffe ich auf Ihre Unterstützung bei diesem Vorhaben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ministerin, es
gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage,
diesmal von dem Kollegen Hauser. – Bitte.
Frau Minister,auch ich möchte Sie fragen: Werden Sie in dieser Rich-tung aktiv?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Weil die Empfehlungen des Forums Bil-dung Empfehlungen des Bundes, aller Länder und derSozialpartner sind, werden wir gemeinsam einenVorschlag entwickeln müssen, wie wir dieses umsetzenkönnen. Ich gehe davon aus, dass die Umsetzung Schrittfür Schritt erfolgt.
Wir stehen zurzeit – das ist für jeden spürbar – in un-serem Lande vor einer paradoxen Situation: Auf der einenSeite gibt es viele Menschen, die einen Arbeitsplatz su-chen, auf der anderen Seite klagen rund 10 Prozent derUnternehmen darüber, dass sie offene Stellen nicht beset-zen können. Als wir die Regierung übernommen haben,haben wir deshalb schnell gehandelt und haben mit demJUMP-Programm den Jugendlichen ein Qualifizie-rungsangebot gemacht,
was inzwischen über 330 000 Jugendliche genutzt haben.Für viele dieser Jugendlichen war das der entscheidendeSchritt ins Arbeitsleben.
Für andere hat sich dadurch der Zugang zu einer berufli-chen Ausbildung entscheidend verbessert.Wir haben ein Zweites geschafft. Erstmals seit 1995überstieg Ende Dezember 2000 die Zahl der unbesetztenAusbildungsstellen die Zahl der noch nicht vermitteltenBewerber. Auch in diesem Jahr erhält jeder Jugendliche,der arbeiten kann und arbeiten will, einen Ausbildungs-platz. Das ist ein Erfolg, Frau Böttcher.
Auch in den neuen Bundesländern wird jeder Jugendlicheund jede Jugendliche, der und die kann und will, einenAusbildungsplatz erhalten. Es gibt zurzeit mehr als1 000 Ausbildungsplätze, die noch nicht besetzt sind.
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn20278
Ich habe aber in diesem Haus immer auch sehr deutlichgesagt, dass mir die Entwicklung in den neuen Bundes-ländern Sorge bereitet, dass ich mit ihr nicht zufrieden binund dass wir deshalb durch eine ganze Reihe von konkre-ten Unterstützungsprogrammen auch Betriebe dazu brin-gen wollen, mehr Ausbildungsplätze anzubieten. Darübergibt es überhaupt keinen Dissens.
Ich halte es für falsch, bei den Jugendlichen in denneuen Bundesländern den Eindruck zu erwecken, dass siekeinen Ausbildungsplatz erhalten würden. Sie haben dieGarantie, dass sie einen Ausbildungsplatz erhalten.
Wir haben für diese Maßnahmen in den letzten Jahreninsgesamt mehr als 6 Milliarden DM zur Verfügung ge-stellt und wir werden diese Programme auch in den Jah-ren 2002 und 2003 fortsetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ministerin, jetzt
gibt es noch eine Zwischenfrage – ich mache den Vor-
schlag, dass das die letzte Zwischenfrage im Rahmen die-
ser Rede ist –,
und zwar von der Kollegin Böttcher.
Frau Ministerin, über das,was Sie eben ausgeführt haben, gibt es zwischen uns of-fenbar keinen Dissens. Den Dissens gibt es an der Stelle– ich möchte Sie fragen, was Sie in Zukunft dagegen un-ternehmen wollen –, dass die überbetriebliche Ausbildunggegenüber der dualen Ausbildung als – ich sage das malin Anführungszeichen – zweite und dritte Wahl angesehenwird, und zwar nicht von uns und nicht von denen, die sieanbieten, sondern dergestalt, dass Betriebe Jugendlichemit einer solchen Ausbildung nicht so gerne einstellen wieJugendliche, die aus einer dualen Ausbildung kommen.Es geht um die Gleichwertigkeit der Ausbildungswege.Diese ist, zumindest im Osten, nicht gegeben.Der zweite Teil dieser Frage: Wieso, glauben Sie, wan-dern Jugendliche aus dem Osten für 5 000 DM in denWesten ab, wenn jeder im Osten einen hochwertigen Aus-bildungsplatz erhalten kann?Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wir habendas Recht auf freie Berufswahl in unserem Land. Ich plä-diere nachdrücklich dafür, es dabei zu belassen,
weil das die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass jederJugendliche und jede Jugendliche seinen und ihren Berufauswählen kann.Der andere Punkt: Gerade weil wir wollen, dass dieAusbildung in einer überbetrieblichen Ausbildungsstätteder dualen Ausbildung gleichwertig ist, gehen wir in denneuen Bundesländern ganz konsequent den Weg,Ausbildungsverbünde zu schaffen und den BetriebenUnterstützung zu geben, damit mehr betriebliche Ausbil-dungsplätze entstehen. Es gibt heute in allen außer-betrieblichen Ausbildungsstätten sehr hohe Anteile vonAusbildung in den Betrieben selber. Diesen Weg sind wirgegangen und wir werden ihn konsequent weitergehen.Deshalb ist es falsch, wenn Sie sagen, dass die außerbe-triebliche Ausbildung in diesen Verbünden, die wir jetztgeschaffen haben, minderwertig ist. Sie hat einen sehr ho-hen Qualitätsstand und sie wird von den Betrieben nichtnur akzeptiert, sondern auch anerkannt und für gut gehal-ten, weil die Betriebe selber bei dieser Ausbildung mit-wirken.Dass das so ist, zeigt sich schon daran, dass wir bei denneuen Berufen, zum Beispiel den Informations- undKommunikationsberufen, auch in den neuen Bundeslän-dern erhebliche Zuwächse haben. Wir haben in Deutsch-land insgesamt einen erheblichen Fortschritt erreicht. Siewissen, dass die Zahl der Ausbildungsplätze von 14 000auf 60 000 gestiegen ist.
Solche Fortschritte gibt es inzwischen auch in den neuenBundesländern.Das ist das Entscheidende: dass wir die Jugendlichenso ausbilden, dass sie mit ihrer Berufsausbildung an-schließend gute Berufschancen haben. Das stellen wirdurch die Form der Ausbildung, wie wir sie jetzt organi-siert haben, sicher.Ein weiterer zentraler Baustein unserer Bildungsoffen-sive ist das Meister-BAföG, das ich hier nur beispielhaftfür den gesamten Weiterbildungsbereich nennen will. DieBundesregierung stellt hierfür bis zum Jahr 2005 mehr als660 Millionen zur Verfügung. Diese Reform ist nicht nurein wichtiger Beitrag zur Qualifizierung. Sie ist auch einwichtiger Beitrag zur Mittelstandsförderung und zurGründung neuer Unternehmen. Damit schaffen wir wie-derum neue Arbeits- und Ausbildungsplätze.Wir brauchen aber nicht nur mehr qualifizierte Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Fachkräfte inder beruflichen Bildung, sondern wir brauchen auchmehr Hochschulabsolventen und Naturwissenschaftler.Ich weise immer wieder darauf hin, dass wir in Deutsch-land vor den gleichen Herausforderungen stehen wieauch andere Länder. Hoch qualifizierte Wissenschaftlerund Studierende werden inzwischen weltweit umwor-ben. Deshalb müssen wir – das machen wir auch –die Hochschulen für junge Leute wieder attraktivermachen.Alleine im Rahmen der „Zukunftsinitiative Hoch-schule“ investieren wir bis zum Jahre 2003 1 Milli-arde DM zusätzlich für die internationale Ausrichtung un-serer Hochschulen, für die Verbesserung des Studiumsund für die Vernetzung und Ausstattung mit den neuenMedien. Weitere Stichworte wurden schon genannt, zumBeispiel die BAföG-Reform. Sie kommt hinzu. Für sie al-lein haben wir insgesamt mehr als 1,3 Milliarden mobili-siert.
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn20279
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte esfür verantwortungslos, dass hier so getan wird, als seidiese BAföG-Reform ein Reförmchen.
Ich bitte Sie darum, bei der Wahrheit und den Fakten zubleiben. Wir erreichen im September eine Steigerung derAusgaben um 63 Prozent. Das ist alles andere als ein Re-förmchen.
Das ist ein riesiger Schritt nach vorn.
Herr Kampeter, Sie wissen, dass das BAföG ein Leis-tungsgesetz ist. Das heißt, jeder Antragsteller erhält dasBAföG, sofern der Antrag bewilligt wird.
Das BAföG wird gezahlt. Darüber gibt es überhaupt keineDiskussion.
Ein weiteres zentrales Reformprojekt ist die Dienst-rechtsreform, die Anfang 2002 in Kraft treten soll.
Mit dieser Dienstrechtsreform brechen wir verkrusteteStrukturen auf und verbessern die Qualität von Forschungund Lehre.
Mit der Juniorprofessur ermöglichen wir jungen Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlern, in Zukunft durch-schnittlich zehn Jahre früher als bisher eigenverantwort-lich zu forschen und zu lehren.Wir sorgen für eine höhere Leistungsgerechtigkeit beider Besoldung. Es passt nicht mehr in die heutige Zeit, al-leine nach dem Lebensalter zu besolden.
Ich bedauere es sehr, dass der Opposition in den letz-ten zwei Jahren der Mut verloren gegangen ist, dieseDienstrechtsreform mitzutragen.
Wir haben in der Expertenkommission gemeinsam dieVorschläge erarbeitet. Sie, Ihre Länder und Ihre Parteien,waren ein halbes Jahr lang bei der Erarbeitung der Exper-tenvorschläge dabei.
Wenn aber eine Entscheidung getroffen werden muss,verlässt Sie der Mut und Sie stellen sich hinter diejenigen,die in diesem Land nichts ändern wollen.
Ich bedauere, dass Sie so wenige Courage in dieser Fragezeigen. Wir werden ja sehen, wie es weitergeht.Die Frage, wie wir nach den Terroranschlägen in denUSA der Konjunktur bei uns wieder neue Impulse gebenkönnen, um der Rezession entgegenzuwirken und umwieder ein Wirtschaftswachstum zu erreichen, steht ganzoben auf der politischen Tagesordnung.
In einer globalisierten Weltwirtschaft kann ein einzel-nes Land allein nicht Konjunkturlokomotive spielen. Hierstimme ich meinem Kollegen Hans Eichel ausdrücklichzu. Das wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der so-gleich verpuffen sowie unseren finanziellen Spielraumunnötig einschränken würde. Wir brauchen deshalb auchkeinen Aktionismus, sondern solide Grundlagen.
Wenn wir auf Dauer wirtschaftlich wettbewerbsfähigbleiben wollen, dann benötigen wir vor allem effizienteStrukturen und Innovationen. Deshalb, Herr Kampeter,habe ich zum Beispiel die HGF, die Großforschungsein-richtungen, reformiert und die Finanzierung sowie dieRahmenbedingungen völlig verändert. Sie haben zehnJahre darüber diskutiert, dass die Großforschungs-einrichtungen besser gestaltet und effizienter organisiertwerden müssen. Zehn Jahre lang sind Sie zu keinem Er-gebnis gekommen. Wir haben es innerhalb von zwei Jah-ren geschafft.
Wir brauchen in unserem Land eine starke Forschungund eine schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissenin neue Produkte und Dienstleistungen. Das ist für uns le-bensnotwendig. Damit neue Forschungsergebnisse nichtlänger in den Schubladen verschwinden, schaffen wirzum einen durch die Änderung des Hochschullehrerprivi-legs und zum anderen durch den Aufbau leistungsfähigerPatentierungs- und Verwertungsstrukturen bessere Vo-raussetzungen für die Nutzung von Forschungsergeb-nissen.
Bei der Forschungsförderung konzentrieren wir unsauf die Zukunftsfelder. Die Gesundheitsforschung hat beiuns erheblich an Gewicht gewonnen. Wir geben damit einklares Signal, dass wir ein leistungsfähiges und bezahlba-res Gesundheitswesen wollen, sodass Kranke möglichstoptimal behandelt werden können. Das können wir ohneForschung und Qualitätsverbesserungen nicht leisten.Deshalb haben wir hier einen Schwerpunkt gesetzt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn20280
Mit den UMTS-Zinsersparnissen haben wir das natio-nale Genomforschungsnetz aufgebaut. Die biotechnolo-gische Forschung, die Genomforschung, in Deutschlandist inzwischen gut vorangekommen. Hier haben wir un-sere Position erheblich verbessert.
Wir liegen an der Spitze, auch was den Arbeitsplatzzu-wachs in diesem Bereich angeht. Allein im Jahre 2000wurden hier 31 Prozent neue Arbeitsplätze geschaffen.Diese erfolgreiche Entwicklung werden wir weiter unter-stützen.Wir werden auch bezogen auf die Informations- undKommunikationstechnologien unsere erfolgreiche Poli-tik der letzten drei Jahre fortsetzen. Wir wissen, dass dieInformations- und Kommunikationstechnologien Schlüs-seltechnologien sind. Sie sind in vielen unserer Branchen,zum Beispiel in der Automobilbranche, der chemischenIndustrie und dem Maschinenbau, entscheidend für derenWettbewerbsfähigkeit. Deshalb haben wir die Mitteldafür deutlich erhöht.Außerdem bauen wir einen neuen Forschungsbereichauf, und zwar die Nanotechnologie, die an der Schwellezur Anwendungsreife steht. Durch die öffentlich finan-zierte Forschung helfen wir den deutschen Unternehmen,ihre Startposition auf dem Weltmarkt zu verbessern.Kurzum: Wir ruhen uns nicht auf den Lorbeeren derletzten drei Jahre aus, im Gegenteil.
Wir haben einen langen Atem und noch viele gute Ideen.Diese werden wir auch umsetzen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kollege
Dr. Martin Mayer spricht jetzt für die CDU/CSU-Frak-
tion.
FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin,Sie haben fast so lange über Schulen und Kindergärten ge-sprochen, für die die Länder zuständig sind,
wie über die Forschung. Das ist doch ein Zeichen für denniedrigen Stellenwert, den Sie der Forschung zumessen.
Sie haben bezogen auf die Dienstrechtsreform Punkteangesprochen, die nicht strittig sind, aber die Punkte, diestrittig sind, schamhaft verschwiegen,
so zum Beispiel, dass Sie die Habilitation abschaffenwollen und die Mindestgehälter zu niedrig ansetzen.
– Bitte beruhigen Sie sich wieder!Die Beratung über den Haushalt ist natürlich immer An-lass für eine Generalaussprache. Sie möchten aber nichtgerne hören, dass der Bundeskanzler vor der Wahl eine Ver-doppelung der Investitionsmittel im Bildungs- und For-schungsbereich versprochen hat. Gestern hat er nämlichschon wieder ganz kleine Semmeln gebacken und nur nochvon 15 Prozent gesprochen. Es gibt also einen Unterschiedzwischen Ihren Versprechungen und dem, was Sie halten.
Seitens der Bundesregierung gibt es offensichtlich eineDiskrepanz zwischen Ankündigung und Wirklichkeit. DieBundesregierung hat bei ihrem Amtsantritt einen Aufbruchim Bereich Innovation und Bildung angekündigt. Heutewissen wir: Die Bildungs- und Forschungsministerin hatgute Initiativen ihres Vorgängers Rüttgers, zum Beispielden Bio-Regio-Wettbewerb, weiterentwickelt. Von dergroßen Aufbruchstimmung aber ist nichts mehr zu spüren.
Von der Euphorie der ersten Monate ist wenig übrig ge-blieben. Der letzte Bericht zur technologischen Leis-tungsfähigkeit Deutschlands stellt nüchtern fest:Trotz einer Reihe positiver Entwicklungen steht dienachhaltige Festigung der Innovationskraft der deut-schen Wirtschaft im weltweiten Technologiewettbe-werb noch aus.Der Bericht erinnert an die nach wie vor bestehendenSchwächen im Bildungswesen, die erhebliche Nach-wuchsprobleme mit sich bringen. Diese Nachwuchs-probleme möchte die Bundesregierung neuerdings mehrund mehr mit Greencards lösen. Der neueste Vorschlagdes Bundesarbeitsministers heißt: Greencard für Pflege-kräfte. Das ist meiner Ansicht nach eine Bankrott-erklärung für die Arbeitsmarkt- und die Bildungspolitik.
Mir kann niemand erzählen, dass von den 4 MillionenArbeitslosen nicht einige 10 000 bereit sind, in Pflege-berufen zu arbeiten. Diese könnte man entsprechend aus-bilden, wenn das Bildungs- und Umschulungssystem miteinem vernünftigen Mittelansatz bedacht würde.
– Wieso brauchen Sie dann eine Greencard, wenn dasschon mit dem Job-Aqtiv-Gesetz gemacht wird?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn20281
Wir werden bald eine Greencard für Kabinettsmitgliederbrauchen; denn bei Ihrem Verschleiß werden wir denBedarf in Zukunft nicht mehr aus dem Inland deckenkönnen.
Ich möchte heute in erster Linie über die Forschungsprechen, und zwar über ein Thema, das viele von uns auf-wühlt, nämlich die Forschung an embryonalen Stamm-zellen. Die Nachricht aus den USA über das Klonenmenschlicher Zellen hat erneut erschreckt. Ich will abernicht über das Klonen, sondern über die Stammzellen-forschung, über die der Deutsche Bundestag bald eineEntscheidung treffen muss, sprechen.Das Europäische Parlament hat mittlerweile mit Mehr-heit entschieden, dass die Mittel aus dem 6. Forschungs-rahmenprogramm auch für die Forschung an embryo-nalen Stammzellen des Menschen verwendet werdendürfen, sofern die Rechtslage der Mitgliedstaaten daszulässt. Die Fragen, was der Mensch darf und was For-scher dürfen, müssen nun auch in Deutschland gestelltund beantwortet werden.Für die CDU/CSU kann ich zu diesem Thema einesvorwegstellen: Der Schutz der Menschenwürde und desmenschlichen Lebens hat für uns höchsten Stellenwert.Was die Forscher dürfen, hängt entscheidend davon ab, obder frühe Embryo bereits ab der Befruchtung oder erst abder Einnistung eine menschliche Person im Sinne vonArt. 1 des Grundgesetzes ist.
– Ich spreche für mich.
Wenn ich für meine Fraktion spreche, spreche ich fürmeine Fraktion. Wenn ich für mich spreche, mache ich dasdeutlich.Ich neige nach reiflicher Abwägung mehr zur zweitenMöglichkeit, nämlich zur Einnistung, weil der Menschmehr ist als die Summe seiner Gene, weil kein Menschoder kein Embryo ohne seine Mutter zum Mensch werdenkann und erst mit der Einnistung des Embryos die Ent-wicklung zum Menschen unumkehrbar wird.Die Entscheidung über die Frage, wann der Embryoeine menschliche Person ist und welche Folgerungen da-raus zu ziehen sind, wird jedes Mitglied des DeutschenBundestags hier in eigener Abwägung treffen müssen. Beidieser Entscheidung spielt für viele auch eine Rolle, wel-che Haltung die Kirchen einnehmen. Ich habe mich sehreingehend mit der Haltung der katholischen Kirche ausei-nander gesetzt, weil ich selbst dieser Kirche angehöre.Die katholische Kirche stellt sich auf den Standpunkt, be-reits die befruchtete Eizelle sei eine menschliche Person;ihr müsse deshalb der volle Schutz nach Art. 1 des Grund-gesetzes zukommen. Deshalb müsse die Forschung anembryonalen Stammzellen verboten werden.Nun hat die Kirche ohne den geringsten Zweifel denAuftrag und die Verpflichtung, Hilflosen und Schwachen,zu denen auch die Ungeborenen gehören, zu helfen. Die-ser Auftrag ergibt sich aus dem Evangelium. Bei der Fragejedoch, ob der Embryo bereits ab der Befruchtung odererst bei der Einnistung eine Person ist, hat sie nicht diegleiche Autorität; denn die Antwort hierzu kann nicht ausdem Evangelium abgeleitet werden. Hier muss die Kirchemit der Kraft ihrer Argumente überzeugen. Ich kannmeine Kirche nur inständig bitten und beschwören, dasssie in dieser Frage auch auf die beiden Theologen Profes-sor Gründel und Professor Kummer hört, die eine etwasandere Auffassung vertreten als die Kirche selbst.Die Feststellung, wann ein Embryo ein Mensch ist, istim Übrigen eine Setzung durch den Menschen. Die jahr-hundertelange Diskussion in der katholischen Kirche überdie Beseelung des Menschen ist ein Beweis dafür, dassdiese Setzung von den naturwissenschaftlichen Erkennt-nissen abhängig ist. Im Lichte der neuen biomedizini-schen Erkenntnisse muss die Argumentation deshalb drin-gend überprüft werden. Das gilt übrigens auch für dieAussagen von Verfassungsjuristen aus den 70er-Jahrendes vergangenen Jahrhunderts.Die weltweite Forschung an embryonalen Stammzel-len – das ist eine wichtige Forschungsfrage – kann in derbiomedizinischen Forschung zu einem Durchbruch füh-ren. So mancher, der uns heute dazu drängt, diese For-schung zu verbieten, wird uns, wenn irgendwo der Durch-bruch gelingt, in den USA, in Großbritannien, in Israel, inAustralien, in Indien, in Schweden und vielen anderenLändern, wo diese Forschung erlaubt ist, den Vorwurfmachen, dass wir nicht rechtzeitig erkannt haben, was indieser Frage an Potenzial steckt.
Frau Bundesministerin, man kann feststellen, dass dieBundesregierung in dieser Frage handlungsunfähig ist– das gilt auch für viele andere Fragen – und keine eigeneMehrheit hat.
– Die Bundesregierung muss in dieser Frage die Mehrheithaben.Es ist im Übrigen unstrittig – jetzt spreche ich für dieFraktion –, dass wir in Deutschland eine hervorragendeForschung haben. Dennoch gibt es viele Alarmsysteme.Dabei geht es nicht nur ums Geld. Ich zitiere:Deutschland hat seine Stellung als ehemals weltweitführender Forschungs- und Entwicklungsstandort fürdie pharmazeutische Industrie eingebüßt und liegtnur noch im Mittelfeld.So eine Studie der Boston Consulting Group. Das wurdein dieser Woche veröffentlicht. Die Gründe dafür sinddie Defizite bei der biomedizinischen Grundlagen-forschung und bei der klinischen Forschung. Um wie-der an die Spitze zu gelangen, müssen die Mittel für dieGrundlagenforschung deutlich aufgestockt werden unddie Verteilung leistungsorientierter geschehen. Letztlich
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Dr. Martin Mayer
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müsste eine bessere Ausbildung mit modularen Studien-gängen erfolgen.
Auch eine grüne Gesundheitsministerin hat ihren Bei-trag zu dieser Entwicklung in der pharmazeutischen For-schung geleistet. Die negative Haltung der Grünen ziehtsich wie ein roter Faden durch die Forschungspolitikder Bundesregierung. Auch bei der grünen Gentechnikherrscht ein frostiges Klima.
Dabei sind Bio- und Gentechnik für Ernährung, Gesund-heit und Umwelt eine der Schlüsseltechnologien des neu-en Jahrhunderts.Die EU-Kommission ergreift neue Initiativen. PositiveSignale kommen aus anderen Regionen dieser Welt. InDeutschland hingegen herrscht Stillstand. Während dieEU-Kommissare Byrne und Fischler dazu aufgerufen ha-ben, Europa solle weltweit eine führende Rolle in der Dis-kussion um die Anwendung der Gentechnik übernehmen,hat der Bundeskanzler seine ursprünglich geplante Initi-ative, die einen neuen gesellschaftlichen Diskurs auslösensollte, im Januar 2001 vorübergehend ausgesetzt. Seitherhat man nichts mehr gehört.Während die EU-Kommission im September vorigenJahres das Konsultationspapier „Eine strategische Visionfür Biowissenschaften und Biotechnologie“ entwickelthat, wird in Deutschland das Thema immer mehrzurückgedrängt. Ich fordere Sie auf, Frau MinisterinBulmahn, sich von Ihren grünen Ministerkollegen nichtstoppen zu lassen, sondern in Zukunft für die grüne Gen-technik viel vehementer einzutreten.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Fusionsfor-schung. Eine der größten Herausforderungen dieses Jahr-hunderts ist die Weltenergieversorgung. Neue Energienmüssen durch verantwortungsvolle Vorsorge erschlossenund entwickelt werden.
Auch wenn die Energie der Fusionsforschung erst Mittedieses Jahrhunderts zur Verfügung stehen kann, ist sieeine ganz wichtige Option; denn sie hat praktisch keineSchadstoffe und ein relativ geringes Risiko.An dieser Kernfusion wird in Deutschland seit vierJahrzehnten geforscht. Hier hat Deutschland mit denInstituten in Greifswald, Jülich, Karlsruhe und Garchingbei München eine führende Stellung in Europa. Die EUfördert die Fusionsforschung mit einem überproportiona-len Anteil. Ich finde es deshalb unglaublich, dass die Grü-nen in Europa darauf gedrängt haben, dass diese For-schungsmittel, von denen Deutschland in höchstemUmfang profitiert, gekürzt werden.
Ich bitte Sie, Frau Ministerin Bulmahn, dass Sie im Eu-ropäischen Ministerrat, der in dieser Frage endgültig ent-scheiden wird, dem Vorschlag des Europäischen Parla-ments folgen, das eine Erhöhung der Mittel gefordert hat.Die Blockadepolitik der Grünen gefährdet auch einewichtige Forschungseinrichtung, die erst in diesem Som-mer fertig gestellt worden ist, nämlich den Forschungs-reaktor in Garching bei München, der als Neutronen-quelle für die deutsche und die internationale Forschungund Entwicklung dienen soll. Die Gemeinschaft, die sogenannte Community, der Wissenschaftler in Deutsch-land und auf der ganzen Welt bejaht diese Forschungs-einrichtung und wartet darauf, dass sie dieses Projekt nut-zen kann. Die Neutronenquelle in Garching bei Münchenist eine wichtige Voraussetzung für neue Erkenntnisse inder Materialkunde, in der Physik, insbesondere in derNanotechnologie, in der Biologie und in der Medizin.Die Sicherheitsfragen sind minutiös geprüft worden.Der Reaktor ist fertig. Er könnte in Betrieb gehen. Wis-senschaftler aus Deutschland könnten mit ihren For-schungsarbeiten beginnen – sie könnten, wenn nicht einBundesumweltminister mit ideologischen Scheuklappendie dritte Teilgenehmigung, die Betriebsgenehmigung,mit immer neuen Schikanen verzögern würde.
Das kostet Millionen. Hier wird Geld einfach verpulvert.Das ist angesichts der knappen Gelder für die Forschungin Deutschland skandalös.
Noch viel schlimmer als das Verschleudern von Geldsind die anderen Folgen. Die jungen Forscher, die sichdarauf eingestellt hatten, dass sie zum Ende dieses bzw.zu Beginn des nächsten Jahres mit der Forschung inGarching beginnen können, wandern allmählich ab, weilsie nur Zeitverträge haben und nicht zu lange warten wol-len. Sie werden in andere Länder gehen und werden dortdie schlimme Kunde verbreiten, dass man mittlerweile inDeutschland wegen eines grünen Ideologen in der Bun-desregierung bei den Forschungsinvestitionen unbere-chenbar geworden sei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mayer,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?
Nein.
Der Bundesumweltminister fügt dem Forschungsstandort
Deutschland großen Schaden zu. Deshalb muss diese rot-
grüne Bundesregierung abgelöst werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erteile dem Kolle-gen Fell das Wort zu einer Kurzintervention.
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Dr. Martin Mayer
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Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Mayer, ist Ihnen eigentlich bekannt, dass
es einen jahrzehntelangen Streit über den Forschungsre-
aktor in Garching bei München gibt, weil dort kernwaf-
fentaugliches Material eingesetzt werden soll? Seit 1980
haben unter anderem die USA ein Programm zur Verhin-
derung der Weiterverbreitung von atomwaffentauglichem
Material – das ist hoch angereichertes Uran – aufgelegt.
Genau mit diesem Material soll der Forschungsreaktor in
Garching bei München in Betrieb genommen werden.
Ist es nicht auch aus Ihrer Sicht richtig, dass wir ange-
sichts der Ereignisse vom 11. September dieses Jahres al-
les tun müssen, um die Weiterverbreitung von atomwaf-
fentauglichem Material zu verhindern und um die USAzu
unterstützen, die genau dies seit über 20 Jahren tun? Be-
denken Sie, dass Deutschland das erste Land auf der Welt
wäre, das die erfolgreichen Bemühungen der USA auf
dem Gebiet der Nichtverbreitung torpedieren würde,
wenn der Reaktor in Garching bei München in Betrieb
genommen würde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mayer
zur Erwiderung, bitte.
Ich
kann es relativ kurz machen. Auch Ihnen, Herr Kollege
Fell, ist sicherlich bekannt, dass in Deutschland und in al-
len internationalen Kontrollkomitees Übereinstimmung
darüber besteht, dass von dem Reaktor in Garching bei
München, der mit HEU betrieben werden soll, wegen der
Überwachung durch internationale Organisationen nicht
die geringste Gefahr der Weiterverbreitung ausgeht und
dass es allenfalls eine symbolische Bedeutung hätte, wenn
man es anders machen würde. Auch in den USA gibt es
noch eine große Anzahl von Forschungsreaktoren, die mit
hochangereichertem Uran, HEU, betrieben werden.
Die Frage des Flugzeugabsturzes und eines terroristi-
schen Anschlags ist jedenfalls bei Kernkraftwerken von
wesentlich größerer Bedeutung oder ist – anders ausge-
drückt – bei dem Forschungsreaktor von wesentlich ge-
ringerer Bedeutung, weil die radioaktive Masse, die im
Forschungsreaktor verwendet wird, nur ein Bruchteil des-
sen ist, was in einem Kernkraftwerk verwendet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat Herr Kollege
Jörg Tauss das Wort, und zwar von hier vorn.
Frau Präsidentin! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! LiebeKollegen! Nachdem wir uns die Reden unserer Opposi-tion heute angehört haben, bin ich in der Tat dafür, dasswir die Greencard ein bisschen ausweiten. Ich würde sa-gen, wir machen eine Greencard für die Opposition. Viel-leicht finden wir im Ausland eine bessere.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich willmich fast abschließend – Kollege Loske kommt nochnach mir – aus zwei Gründen zu Wort melden, einmal,um kurz ein paar Dinge zusammenzufassen, auch wasIhre Zahlen anbelangt, was die Schwarzmalerei anbe-langt,
und zum anderen, um mich an dieser Stelle recht herzlichzu bedanken.Siegrun Klemmer, hier war gerade eine etwas voreiligeEntwicklung eingetreten. Der Blumenstrauß, der herein-gegeben wurde, war für dich bestimmt. Es war heutedeine Abschiedsvorstellung, deine letzte Rede in einerHaushaltsdebatte. Du kandidierst nicht mehr für den Bun-destag. Ich werde dir den Strauß im Anschluss überrei-chen, aber ich sage dir schon jetzt: Diesen Strauß Blumenhast du dir verdient. Du hast dich um Bildung und For-schung in diesem Land verdient gemacht. Ganz herzli-chen Dank!
Wir haben heute auch schon einen Haushälter aus derOpposition gehört – ich habe zurzeit ein wenig Problememit meiner Ersatzbrille; ich sehe ihn gerade nicht –,
dem ich keine Blumen überreichen möchte, ich glaube,auch nicht überreichen könnte. Verdient hätte er sie nicht.Denn Siegrun Klemmer hat sich ganz im Gegensatz zumKollegen Kampeter zu Ihrer Regierungszeit tatsächlicherfolgreich und nachhaltig für Bildung und Forschungeingesetzt. Bildung und Forschung leben eben nicht vonschwarz-gelben oder PDS-rosa Blütenträumen, Schau-fensteranträgen und Sonntagsreden nach dem Muster„Man müsste mal, man sollte mal, man könnte mal“, son-dern sie leben ganz konkret vom Einsatz der Haushälte-rinnen und Haushälter, der Ministerin und des Finanzmi-nisters. Da brauchen wir uns von Ihnen überhaupt keineVorwürfe machen zu lassen. Da sollten Sie still schweigenund eigentlich auf das neidisch sein, was wir hier erreichthaben und heute vortragen können.
Was haben wir erreicht? Wir werden trotz Ihrer Erblast,einer riesigen Schuldenlast, die zu mehr als 80 MilliardenDM Zinsbelastung im Jahr führt, in diesem zentralen Be-reich erneut – –
– Kollege Lensing, seien Sie nicht so aufgeregt. Sie sindeiner der wenigen hier, die aus der Bildungspolitik kom-men. Sie müssten sich doch eigentlich über das freuen,was wir tun. Wir haben wieder ein großes Stück für Bil-
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dung und Forschung und Zukunftsinvestitionen herausge-schnitten. Das ist doch eine Leistung, auf die wir gemein-sam stolz sein können, auch die Opposition.
Ich kann es Ihnen auch gerne noch einmal in Zahlensagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor Sie das tun,
frage ich Sie erst einmal, ob Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pieper zulassen.
Selbstverständlich, liebe Kollegin
Pieper.
Lieber Herr Kollege Tauss,
ich frage Sie, ob es richtig ist, dass die rot-grüne Koalition
vorhat, den Ausbildungsfreibetrag für Studierende zum
1. Januar 2002 von ehemals 4 200 DM auf 1 807 DM zu
senken, und ob Sie das für eine bildungspolitisch freund-
liche Maßnahme für Studierende in diesem Land halten.
Liebe Frau Kollegin Pieper, ichbin Ihnen für diese Frage dankbar, denn sie weist daraufhin, dass wir in dem gesamten Bereich des Familienlas-tenausgleichs erhebliche Verbesserungen vornehmenwerden. Wir werden das Kindergeld weiter erhöhen. Wirhaben das BAföG erhöht. Es gibt in der Tat in dem einenoder anderen Bereich Umschichtungen, aber unter demStrich werden die Familien und die Studierenden – dieZahlen haben Sie gehört – wesentlich besser gestellt. Dasist der Erfolg unserer Politik und den lassen wir uns nichtkleinreden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt kom-men wir in der Tat zu den Zahlen. Der Haushalt für Bil-dung und Forschung hat die 16-Milliarden-Grenze über-schritten. Er umfasst konkret 16,41 Milliarden DM oder– gewöhnen wir uns daran – 8,391 Milliarden Euro. AmEnde Ihrer Regierungszeit – ich will es noch einmal beto-nen, auch wenn Herr Kampeter es jetzt nicht mehr hörenkann; aber wenn es um Bildung geht, ist er ohnehin nichtmehr da – waren es 2,2 Milliarden DM weniger. Das warder kampetersche Erfolg. – Ist er noch da? Dann bitte ichum Entschuldigung; es hat wohl doch an der Brille gele-gen. Herr Kollege Kampeter, dann hören Sie doch zu: ZuIhrer Zeit waren es 2,2 Milliarden weniger; in dem vonuns verantworteten Haushalt sind es 2,2 Milliarden mehr.Man kann das von dieser Stelle aus nicht oft genug sagen.
Zahlen sind manchmal schwer lesbar. Ich kann es Ih-nen auch einmal anhand der Kurve darstellen, die ich Ih-nen hier zeige. – Das war Ihre Kurve.
– Nein, das war Ihre Kurve. Sie geht nach unten. UnsereKurve verläuft in der Tat anders herum. Sie geht nachoben. So sieht es aus!
Ihre Kurve dümpelte vor sich hin, während unsere Kurveeinen Aufwärtstrend verdeutlicht.Frau Präsidentin, ich zeige es Ihnen hier hinter mir imPräsidium auch einmal, damit Sie sich überzeugen kön-nen, was hier los war.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch für dieneuen Länder tut sich jede Menge. 3MilliardenDM wer-den für den Bereich Bildung und Forschung in den neuenBundesländern, für die Innovationskraft, für Fördermaß-nahmen zur Verfügung gestellt. Das Stichwort für eineganz besondere Form dieser Förderung lautet innovativeRegionen. Der Ansatz dafür wuchs in diesem so genann-ten Sparhaushalt um 40 Prozent. Wir werden zusätzlich50Millionen DM für die regionalen Wachstumskerne auf-bringen. Wenn man das alles zusammenrechnet – mankann es in der Kürze der Zeit gar nicht vortragen; die mirverbleibende Redezeit beträgt noch zwei Minuten und43 Sekunden –, so ergibt sich für die Zeit unserer Regie-rungsverantwortung in diesem Bereich Bildung und For-schung ein Aufwuchs von 21,5 Prozent.
Also, Leute, hört doch auf, hier herumzumäkeln, das istnicht korrekt!Was will nun die Opposition? Sie fordert ohne Rück-sicht auf Verluste. Die FDP hat auch viele Forderungengestellt. Herr Brüderle hat bereits Schecks über 1 000 DMfür jeden versprochen, Freibier für das Volk oder wieauch immer. Meines Erachtens sollten Sie besser seriösbleiben.Die Mittel, die für die Förderung der Kohle aufzu-bringen sind – ein Posten, den Sie, Frau Kollegin Pieper,in der Art einer tibetanischen Gebetsmühle beklagen –,können wir nicht kürzen, selbst wenn wir es wollten. Da-mit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin für eineEnergieversorgung auf der Grundlage einheimischer Res-sourcen.
Diese Fördermittel könnten Sie gar nicht in die Bildungstecken, selbst wenn Sie es wollten, weil der bekanntlichzu Ihrer Regierungszeit geschlossene Steinkohlevertrageben diese Ausgaben vorsieht, die Sie heute streichenwollen. Das zu erwähnen gehört ebenfalls zur Seriosität.
Was das BAföG anbelangt, Frau Kollegin Böttcher:Ich rede hier nicht anders als im Ortsverein, im Ortsver-ein nicht anders als auf dem Parteitag, auf dem Parteitagnicht anders als im Parlament. Das ist nicht immer be-quem, dafür bekommt man nicht immer Beifall, aber manbleibt seriös und kann die eigene Linie aufrechterhalten.
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Jörg Tauss20285
Wir haben das BAföG in der Tat allein durch die Darle-hensobergrenze von 20 000 DM in verlässlicher Weisegestaltet. Wer heute BAföG kassiert, wenn er als Studie-render an die Hochschule geht, der weiß, dass seineSchulden nicht höher als 20 000 DM sein werden. Das isteine verlässliche Grundlage.
Zu Ihrer Zeit gingen diese Schulden nach oben. Deswe-gen hatten wir auch den bekannten Rückgang beimBAföG.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Tauss,
jetzt gibt es wieder eine Frage an Sie, und zwar von der
Kollegin Flach.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich die
letzte Frage in dieser Debatte, denn wir müssen ein biss-
chen Rücksicht auf die Kolleginnen und Kollegen aus den
anderen Ressorts nehmen. Ich bitte um eine kurze Frage
und eine kurze Antwort.
Da haben Sie Recht, Frau Präsi-
dentin. Ich würde selbstverständlich alle Fragen zulassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Interessenlage ist
etwas unterschiedlich.
Selbstverständlich. – Bitte, Frau
Kollegin Flach.
Lieber Herr Kollege Tauss, ich
lege großen Wert darauf, dass wir hier mit richtigen Wer-
ten arbeiten. Ist auch Ihnen in Baden-Württemberg zu Oh-
ren gekommen, dass nach dem Jahr 2005 selbstverständ-
lich eine hohe Verhandlungsmasse im Hinblick auf die
Kohlesubventionen besteht und der ursprüngliche Ver-
trag bis zu diesem Zeitpunkt natürlich neu formuliert wer-
den kann?
Sie sind ja noch nicht einmal in der Lage, sich dafür
auszusprechen, die Subventionen nach dem Jahr 2005
herunterzufahren.
– Da hat Herr Heinrich allerdings Recht.
Frau Kollegin Flach, wir haben inBaden-Württemberg stillgelegten Salzbergbau. Trotzdemverstehe ich ein wenig von Bergbau. Man war auch daseine oder andere Mal dort.Selbstverständlich ist mir bekannt – ich habe es dochhier gesagt –, dass der Vertrag 2005 ausläuft und also neuverhandelt werden muss.
Ich bin dennoch dafür, dass nicht alles, was in diesem Be-reich angedacht ist, beliebig zu einer Verhandlungsmassegemacht wird, sondern dass wir uns gerade unter dem Ein-druck der Ereignisse vom 11. September überlegen, wel-che Strukturen wir im Bereich der einheimischen Ener-gieträger aufrecht erhalten müssen. Die Kohle ist der ein-zige Energieträger, den wir haben.Aber Sie haben Recht: Wenn der Vertrag ausläuft, läufter aus. Dann wird neu verhandelt. Auch mir wäre es recht,wenn wir in diesem Land eine Entwicklung hätten, bei deralles ginge: Kohle und Internet, Bildung und Wissenschaftund trotzdem eigene und sichere Energieversorgung. Daswäre die Lösung der Zukunft. Die Haushälterinnen undHaushälter werden uns dabei hoffentlich helfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was Sie zumThema Dienstrechtsreform gesagt haben, war schonrichtig putzig. Da gibt es natürlich ein großes Geschiedereund Gemayere aus Bayern. Ich sage Ihnen: Trotz IhresWiderstandes machen wir die Hochschulen für die Zu-kunft fit. Frau Flach, ich werde die Flasche Spätburgun-der auch gewinnen, um die wir miteinander gewettet ha-ben. Ich will es nur noch einmal für das Protokollfesthalten. Wir werden die Dienstrechtsreform und dieReform der Hochschulen selbstverständlich durchsetzen.Liebe Damen und Herren von der CDU/CSU, die An-hörung hat doch deutlich gezeigt: Für unsere Reform wa-ren alle diejenigen, die als junge Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler vor den Verkrustungen und der Büro-kratie in Ihrer Zeit ins Ausland geflüchtet sind. Alle habengesagt: Da muss sich etwas tun. Nur die, die im Land ge-blieben sind, die Verbandsfunktionäre sind,
haben gesagt: Das ist ja ganz entsetzlich und furchtbar. Esdarf sich nichts ändern. – Muff von tausend Jahren unterden Talaren! Ihnen die Verkrustungen, uns die Zukunft –dann werden wir auch in diesem Bereich erfolgreich sein.
Ganz besonders kurios finde ich noch etwas. Der Kol-lege Rachel ist ja auch da. Was habt ihr gegen die Reformim Helmholtz-Bereich polemisiert! Was habt ihr uns vorOrt Schwierigkeiten gemacht! Was habt ihr in der Lokal-presse herumpolemisiert! Was habt ihr die Leute in Jülichund anderswo aufgehetzt! Und heute sagt ihr: Das habenwir mit zum Erfolg gebracht.Lieber Kollege Rachel, mit der Ministerin und mit mirwerden Sie jetzt in den Helmholtz-Senat eintreten. Will-kommen, Herr Senator! Meines Erachtens wäre es aberkorrekt gewesen, an dieser Stelle zu sagen: Wir haben unsgeirrt. Eure Reform war gut. Jetzt machen auch wir mitund helfen dem Senat, um die Reform weiter zum Erfolgzu führen.
Das wäre ehrlicher gewesen als das, was heute vorgetra-gen worden ist.
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Jörg Tauss20286
Ich bekomme von der Präsidentin schon ein Zeichen,dass meine Redezeit zu Ende ist. Ich sage jetzt nichtsmehr zu den Innovationen in der Arbeitswelt, zu Grup-penarbeit, zu moderner Arbeit. Alles das haben wir geför-dert. Sie waren immer dagegen, Herr Kampeter.Wir halten fest: Noch nie waren Bildung und For-schung einer Bundesregierung und den Koalitionsfraktio-nen so viel wert wie heute. Dabei wird es bleiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Reinhard Loske für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich wollte eigentlich eine bildungspolitische Grundsatz-rede halten, aber ich gehe jetzt lieber auf die Argumenteein, die hier gekommen sind. Sie waren zum Teil soschlecht, dass ich sie so nicht stehen lassen kann.
Ich beginne
mit dem Kollegen Kampeter. Wo ist er? – Da oben. Hallo,Kollege Kampeter! – Sie haben hier ein schönes mathe-matisches Spielchen gemacht. Sie haben den BMWi-Haushalt und den BMBF-Haushalt zusammengezogenund gesagt: Guckt einmal! 1998 war es so. 2002 ist esmehr oder minder stabil. – Dabei haben Sie natürlich un-terschlagen, dass bei uns die Kohlesubventionen als derLöwenanteil sehr wohl sinken, die Bildungsinvestitionenum 21 Prozent und die Forschungsinvestitionen um fast30 Prozent steigen. Das verhält sich wie ein System kom-munizierender Röhren. Wir investieren eben in die Zu-kunft. Das haben Sie bei Ihrer Rechnung leider übersehen.
Die FDPwar auch ein schönes Beispiel. Sie stellen sichhier hin, nehmen die Kohle quasi als unendliche Energie-quelle für Ihre Zwecke und fordern, die Subventionen zustreichen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wir Grüne sindda gebrannte Kinder. Bei uns war das früher der Jäger 90.
Es wurde ja schon gesagt, dass Herr Rexrodt als Wirt-schaftsminister damals diese Regelung bis 2005 gezeich-net hat. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Debattein diesem Hohen Hause vor eineinhalb Jahren, als es umdie Förderung hoch effizienter Kraftwerke ging. In derDebatte hat Herr Möllemann eine Rede gehalten wie einBergbauarbeiterführer. Das war wirklich unter aller Ka-none!
Die gleiche FDP stellt sich jetzt hin und nutzt die Kohle-subventionen sozusagen als schier unendliche Finanzie-rungsquelle für ihre Vorschläge zur Bildungspolitik. Dasnenne ich eine Politik der gespaltenen Zunge.Frau Pieper, zweitens zu Ihnen, zu den Bildungsgut-scheinen. Ich selbst bin schon seit langem, seit Anfangder 90er-Jahre, ein Anhänger dieses Konzepts der Bil-dungsgutscheine oder Studienkonten oder wie man esnennen will. Das ist eine gute Sache. Allerdings müssendie hinreichend ausgestattet werden, nicht nur im Hin-blick auf Regelstudienzeit; es muss auch die Möglichkeitbestehen, zum Beispiel ein Studium generale zu machenoder zu wechseln. Das heißt, diese Kontingente müssenhinreichend sein. Das halte ich für einen ganz vernünfti-gen Ansatz, das ist überhaupt keine Frage. Die FDP hatdarauf aber kein Patentrecht; denn das haben andere auchschon gesagt. Bei Ihnen stört mich ein bisschen – genauwie bei Ihrer Kollegin Homburger in der Umweltpolitik –,dass Sie gar nicht über die Ziele reden. Sie reden nur überdie Instrumente. Sie müssen über Ziele reden, das ist vielwichtiger.
– Das ist eine sehr schöne Antwort. Die Antwort von FrauPieper auf den Hinweis, sie müsse über Ziele reden, ist:mehr Wettbewerb. Meine Güte, ist denn das alles? Bil-dung ist doch nicht nur Wettbewerb. Es geht doch auchum gewisse humanistische Ideale!
Ich weiß, dass Sie eine Priorität für den gut geföhnten,koffertragenden BWL-Studenten haben, der schon im ers-ten Semester danach fragt, wie lange denn das Studiumdauert, und der sich ansonsten vor allen Dingen fürAktienkurse interessiert. Das kann man ja machen, ichhabe überhaupt nichts dagegen, ich bin selber Ökonom.Ich glaube aber, unser Leitbild von Studierenden sollte soaussehen, dass die Leute zu Eigenständigkeit erzogenwerden, dass sie auch einmal Nein sagen können, dass siesich in die Gesellschaft einmischen und nicht nur auf dieKarriere gucken.
– Wie die Grünen? Ich bin gern bereit, meine Berufsbio-grafie mit Ihnen zu besprechen.
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Jörg Tauss20287
Drittens. Frau Böttcher, mich stört wirklich, dass Siedas BAföG hier so herunterreden. Sie wissen genau, dassdie Grünen weitergehende Vorschläge hatten. Tatsache istdoch: In den 70er-Jahren wurden die Türen der Universi-täten für die Arbeiterkinder weit aufgestoßen – das hatteauch mit dem BAföG zu tun – und in den 90er-Jahrenwurden diese Türen von den Herrschaften, die damals re-gierten, systematisch geschlossen.
Diese Türen wollen wir jetzt wieder öffnen. Das tun wirmit unserem Gesetz. An einem Punkt haben aber alleRedner Recht: Die jungen Leute sind systematisch demBAföG entwöhnt worden. Sie assoziieren damit nurSchulden, Bürokratie und anderes mehr. Deshalb dauertes jetzt natürlich eine Weile, bis wir den Take-off, einenAnstieg, hinkriegen. Deswegen reden Sie das BAföGnicht runter, sondern helfen Sie dabei mit, dass es wirk-sam wird. Ich glaube, das wäre vernünftig.
Zu den Studiengebührenmuss ich ganz ehrlich sagen:Mit Fundamentalisten – entschuldigt, liebe Genossinnenund Genossen, hätte ich fast gesagt – wie Peter Glotz kannich nichts anfangen. Aber mit einer Position „alles für allefür immer umsonst“ kann ich auch nichts anfangen.
Ich kann überhaupt nicht einsehen, dass es umsonst ist,wenn beispielsweise große Unternehmen ihre Werkstu-denten ins öffentliche Bildungssystem schicken und wirSteuerzahler das bezahlen. Warum soll das umsonst sein?Dafür gibt es keinen Grund. Das ist nicht plausibel.
Ich will noch auf zwei Themen der Rede des KollegenMayer eingehen. Sie sehen schon, ich komme nicht zumeiner grundsatzpolitischen Rede. Sie haben – zwar nuram Rande – die grüne Gentechnik angesprochen. Sie ha-ben uns wieder als die Fortschrittsverweigerer hingestellt.Die Realität ist doch ganz anders. In unserer Bevölkerunggibt es aus nachvollziehbaren Gründen ganz große Vorbe-halte gegen die grüne Gentechnik. Selbst diejenigen, diedieser Technologie zum Durchbruch verhelfen wollen,sollten einsehen, dass das nur mit Dialog, mit Transparenzund mit Offenheit möglich ist. Nach dem Motto „mittendurch die Tür“ oder mit dem Kopf durch die Wand wirddas nicht gehen. Damit kommen Sie nicht durch.
– Wir sind nicht dialogfähig? Mit Ihnen habe ich darübernoch nie geredet. Wie wollen Sie wissen, ob ich auf demGebiet dialogfähig bin?
Ich komme zum letzten Punkt, zur Fusionsforschung.Seit 40 Jahren gibt es die Fusionsforschung, seit 40 Jah-ren wird uns erzählt, in 40 Jahren stehe der erste Reaktor.Ich glaube, wir haben bessere Alternativen. Wir haben dieEnergieeffizienz, wir haben die Energieeinsparung, wirhaben die erneuerbaren Energien. Die Brücke ins postfos-sile Zeitalter ist die solare Brücke und nicht die nukleareBrücke. Das ist unsere Position.
Deswegen stellen wir für diese Forschung auch nichtübermäßig viel Geld ein. Forschungsfreiheit ist ein hohesGut, das man nicht ideologisch überfrachten soll. Das istgar keine Frage. Aber man muss auch fragen: Was hatAussicht auf Erfolg? Was hat Aussicht auf Realisierung?Was hat Aussicht darauf, einen Beitrag zur Lösung vongesellschaftlichen Problemen zu leisten? Danach – dasgestehe ich gerne ein – steht die Fusionsenergie nicht ganzoben auf unserer Liste. Das ist die Realität.Ich komme zum Schluss, da ich noch genau 0,0 Se-kunden zur Verfügung habe; insofern vollziehe ich einezielgenaue Landung. Im Bereich Bildung und Forschungkönnen wir natürlich noch besser werden; das ist über-haupt keine Frage.
Dieser Bereich zeigt jedoch in ganz besonderer Weise,dass wir in Richtung Ausbau der Zukunftsfähigkeit gehen.Diesen Kurs werden wir auch in Zukunft verfolgen.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30,Bundesministerium für Bildung und Forschung, in derAusschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor,über die wir zuerst abstimmen werden.Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-che 14/7645: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist bei Ent-haltung der CDU/CSU-Fraktion und gegen die Stimmender FDP abgelehnt.Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-che 14/7653: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegendie Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Frak-tion abgelehnt. Die PDS-Fraktion hat sich enthalten.Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-che 14/7654: Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist ge-gen die Stimmen der FDP-Fraktion und der PDS-Fraktionabgelehnt.Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-che 14/7656: Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Dr. Reinhard Loske20288
dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist ge-gen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung derCDU/CSU-Fraktion und der PDS-Fraktion abgelehnt.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/7669: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegendie Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/7672: Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Antrag ist ge-gen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.Abstimmung über den Einzelplan 30 in der Ausschuss-fassung: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Einzelplan 30 ist gegen die Stimmender CDU/CSU-Fraktion, der FDP-Fraktion und derPDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe Punkt I. 26 auf:Einzelplan 10Bundesministerium für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft– Drucksachen 14/7310, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Uwe-Jens RösselIris Hoffmann
Josef HollerithFranziska Eichstädt-BohligJürgen KoppelinEs liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion derCDU/CSU, vier Änderungsanträge der Fraktion der FDPund ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Übereinen Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU wer-den wir später namentlich abstimmen. Die Fraktion derFDP hat einen Entschließungsantrag eingebracht, überden morgen nach der Schlussabstimmung abgestimmtwird.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-lege Josef Hollerith für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus der Sichteines Haushälters empfinde ich den Ablauf der Haus-haltsberatungen zum Einzelplan 10 als gänzlich unparla-mentarisch. Die Kolleginnen und Kollegen von SPD undGrünen haben die Vorlagen der Bundesregierung prak-tisch kritiklos abgenickt. Sie haben weder Gestaltungs-willen noch Gestaltungskraft erkennen lassen.
Ich bedaure dies. Ich empfinde die Drohung desSPD-Generalsekretärs Müntefering, wer nicht pariere, derlaufe Gefahr, einen schlechteren oder sogar gar keinenListenplatz zu erhalten, als schweren Anschlag auf dasSelbstverständnis der Parlamentarier und als höchst pro-blematisch. Ich weise ein solches Verständnis, das derSPD-Generalsekretär öffentlich äußerte, als mit demGrundgesetz und mit dem Selbstverständnis des Parla-mentarismus unvereinbar nachdrücklich zurück.
Die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünensind auch beim Thema regenerative Energien und Bio-masse über den Tisch gezogen worden.
War ursprünglich vereinbart, dass von dem Ansatz inHöhe von 200 Millionen Euro beim Bundeswirtschafts-minister 35 Prozent für Biomasse zu verwenden sind – dashätte 70 Millionen Euro entsprochen –, so hat Rot-Grünjetzt den falschen Entschluss gefasst, dass nur noch35 Millionen Euro für die Biomasse zur Verfügung ge-stellt werden. Dies ist ein schwerer Schlag gegen dieLandwirte, die sich mithilfe von Biogasanlagen ein wei-teres Standbein schaffen wollten. Dies ist ein schwererSchlag gegen mittelständische Betriebe, die in diesenMarkt im Vertrauen auf die Zusage, dass Subventionen inHöhe von 35 Prozent von 200 Millionen Euro in diesemBereich gewährt werden, eingestiegen sind.
Es ist auch volkswirtschaftlich Unsinn, denn von100 DM, die in Biomasseanlagen investiert werden, be-kommt der Finanzminister vorneweg bereits 16 DM auf-grund der Mehrwertsteuer, erst im Nachgang erhaltendann die Investoren etwa 12 DM pro investierten 100 DMan Förderung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir unter-stützen die Entscheidung, dass der Verbraucherschutz indas Landwirtschaftsressort eingegliedert worden ist.
Wir unterstützen ausdrücklich die Gründung des Bundes-amtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheitund der Zentralstelle für Risikobewertung. Allerdingssind wir im Gegensatz zu Rot-Grün der Auffassung, dassdie dafür benötigten Stellen aus dem nachgelagerten Be-reich der Anstalten und der Forschungseinrichtungen desBundeslandwirtschaftsministeriums hätten erwirtschaftetwerden können. Immerhin gibt es in diesem Bereich rund3 700 Stellen, sodass es aus meiner Sicht möglich gewe-sen wäre, diese Stellen durch Umschichtungen zu erwirt-schaften, statt den Personalkegel, wie es Rot-Grün be-schlossen hat, weiter aufzublähen.Rot-Grün hat seit 1998 die Landwirtschaft stranguliertund den Strukturwandel in der Landwirtschaft drama-tisch beschleunigt.
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Vizepräsidentin Petra Bläss20289
Ich erinnere an die Belastungen durch die Ökosteuer– 1 Milliarde DM –, an die Absenkung der GasölbeihilfeimZugeder Steuerreform–eineweitereMilliardeDMBe-lastung –, an die negativen Auswirkungen der schlechtenBeschlüsse im Rahmen der Agenda 2000, die die Land-wirtschaft mit 1 Milliarde DM belasten, an die jüngst be-schlossene Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, dieauf dem Rücken der Landwirte umgesetzt wurde, und andie noch im Vermittlungsausschuss anhängige Entschei-dung – ich hoffe, dass hier noch eine Korrektur erfolgt –über die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf Futter-mittelzusatzstoffe, die, wenn sie denn umgesetzt würde,die ohnehin schon strangulierte Landwirtschaft noch ein-mal mit 100 Millionen DM belasten würde. Das trifft hiervor allem die bäuerliche Landwirtschaft, weil diesedafür optiert hat, dieMehrwertsteuer pauschal abzuführen,während größereBetriebe so optieren konnten, dass sie dieMehrwertsteuer auf Futtermittelzusatzstoffe über die Vor-steuer zurückerhalten. Hier werden wiederum die bäuerli-chen Betriebe in unserem Land einseitig belastet.
Zu diesen Belastungen kommt der Ökowahn der neuenBundeslandwirtschaftsministerin Frau Künast. Ich emp-finde es als unseriös und sachlich falsch,
dass praktisch zwischen den angeblich guten Betrieben,nämlich den Ökobetrieben, und den angeblich schlech-ten Betrieben, nämlich den konventionell wirtschaften-den Betrieben, unterschieden wird. Die konventionellwirtschaftenden Betriebe haben bewiesen, dass sie Le-bensmittel höchster Qualität für den Verbraucher erzeu-gen.
Es ist schlicht unseriös, zu unterstellen, dass sie schlechteNahrungsmittel erzeugten. Es ist auch ungerecht, eineSpaltung des bäuerlichen Berufsstandes auf diese Art zuversuchen.Ich zitiere in diesem Zusammenhang den LandwirtJürgen Donhauser aus dem Landkreis Amberg-Sulzbach,der über seine Erfahrungen als Ökobauer Folgendes ver-öffentlicht hat. Er schreibt – ich zitiere auszugsweise –: Bei der Zuchtsauenhaltung dagegen stellt sich dieökologische Wirtschaftsweise als absoluter Irrwegdar. Durch unsere eigenen Erfahrungen können wirheute sagen, die Öko-Sauenhaltung ist weder gesün-der noch artgerechter. Im Gegenteil, die Anzahl derverkauften Ferkel pro Sau ist um 30 Prozent gesun-ken und die Tierarztkosten haben sich verdoppelt.Weiter schreibt er:Die zugekaufte Futtergerste– Öko-Gerste –wies so hohe Schimmelpilzgehalte auf, dass sie füruns nicht mehr als Futter verwertbar war und entsorgtwerden musste.Abschließend schreibt er:Der Pilztoxingehalt konnte sogar im Blut der Sauennachgewiesen werden und führte zur allgemeinenImmunschwäche. Die Sauen waren nicht mehr in derLage, kleine Infektionen abzuwehren, und erkrank-ten wegen jeder Kleinigkeit.
– Wo bleibt der Tierschutz? Das ist die Realität, beschrie-ben von dem Landwirt und Ökobauern Jürgen Donhauserzum Thema Ökolandwirtschaft bei der Sauenhaltung.
Wie wir aufgrund der Praxis erkennen, ist das ein Öko-wahn, der offiziell aus dem Ministerium auf die Bauernniedergeht. Dies äußert sich im Haushalt durch die Sen-kung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe um 70Mil-lionen Euro und durch eine globale Minderausgabe inHöhe von 21Millionen Euro. Damit finanzieren praktisch90 Prozent der bäuerlichen, konventionell wirtschaften-den Betriebe fragwürdige Ökoprogramme der MinisterinKünast, und zwar für den Ökolandbau 35 Millionen Euround für die Modellregionen 26 Millionen Euro mitVerpflichtungsermächtigungen in Höhe von 50 Milli-onen Euro.Wie fragwürdig diese Programme sind, zeigt ein Blickauf die zu finanzierenden Maßnahmen aus dem so ge-nannten Modellregionen-Programm. Darin ist zu lesen,dass damit die Betreuung verhaltensauffälliger Kinder aufBauernhöfen finanziert werden soll. Nun ist das sicherlichein ehrenwertes Ziel, aber es ist zu hinterfragen, ob einesolche Aufgabe aus dem Etat der Bundeslandwirtschafts-ministerin zu finanzieren ist.
Darin steht, dass aus dem Etat der AgrarministerinSchulbauernhöfe finanziert werden sollen. Schulbauern-höfe sind sicherlich wünschenswert, aber die Finanzie-rung kann doch nicht die Aufgabe des Bundes sein.
Es ist allenfalls eine Länderaufgabe oder eine kommunaleAufgabe.Weiterhin ist zu lesen, dass eine Zusammenarbeit zwi-schen Landwirtschaft und Garten- und Landschaftsbau zufinanzieren ist. Als ob dies nicht schon so erfolgte! Einerweiteren Finanzierung bedarf es nicht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die falsche,einseitige Ausrichtung in Richtung Öko jetzt zulastenvon 90 Prozent der Betriebe, ohne dass ein Gewinn anNahrungsmittelqualität und Verbrauchersicherheiterzielt wird, im Gegenteil: Es ist eine Belastung, weiletwa das Verbot von Futterzusatzstoffen und Fettersatz-stoffen von Frau Ministerin Künast europaweit nichtdurchgesetzt werden konnte. Dass die Nahrungsmittel,die von solchen Tieren stammen, weiterhin im Binnen-markt exportiert werden dürfen und auch auf dem Tischder deutschen Verbraucher landen, ist eigentlich der
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Josef Hollerith20290
Skandal. Es wäre Aufgabe desjenigen, der das ernstmeint, dieses zu verhindern und mit dem Verbraucher-schutz wirklich Ernst zu machen.
Dem wird dadurch noch die Krone aufgesetzt, dass derWissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium fürVerbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ge-schlossen zurückgetreten ist.
– Das ist ein Signal. Das hat es in der Geschichte der Bun-desrepublik Deutschland noch nie gegeben, dass ein Gre-mium geschlossen zurückgetreten ist, weil dieses Gre-mium es satt hatte, die Bevormundung der Ministerin zuerdulden.
Deswegen wäre es an der Zeit, dass Frau MinisterinKünast wieder zu dem zurückkehrt, von dem sie etwasversteht, und von ihrem Amt als Ministerin für Verbrau-cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zurücktritt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin in
der Debatte ist die Kollegin Iris Hoffmann für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin!Sehr geehrte Damen und Herren! Über Verbraucherschutzund Landwirtschaft ist im zurückliegenden Jahr nicht nurviel geredet und geschrieben worden, sondern in diesemBereich hat sich in nur einem Jahr Grundsätzliches getan.Seit im letzten Jahr der erste BSE-Fall in Deutschland auf-trat, war es das politische Gebot der Stunde, die Verknüp-fung von Verbraucherschutz und Landwirtschaft neu zudefinieren.
Alle Seiten waren hier in der Verantwortung: zum einendie Futtermittelhersteller und die Landwirte selbst, zumanderen setzte auch bei den Verbrauchern ein Umdenkenein.Uns ist es durch die auf nationaler und europäischerEbene zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit ein-geleiteten Maßnahmen gelungen, dass die Verbraucherlangsam wieder Vertrauen zu Rindfleisch und Rind-fleischerzeugnissen gefasst haben.
Ziel rot-grüner Politik durch die herbeigeführte Agrar-wende ist es, den Verbraucherschutz zu stärken und denökologischen Landbau zu fördern, aber auch der konven-tionellen Landwirtschaft Raum zu lassen. Dem haben wirmit dem vorliegenden Haushalt Rechnung getragen. ImAgrarhaushalt wurden bereits im Regierungsentwurf150 Millionen DM für die Agrarwende zur Verfügung ge-stellt.
Im Jahre 2003 sind dies noch einmal 180 Millionen DM.Im parlamentarischen Verfahren haben wir erreicht, dassdurch Umschichtungen innerhalb dieses Einzelplanes indiesem Jahr fast 50 Millionen DM zur Durchsetzung derAgrarwende eingesetzt werden konnten.Die Mittel für die Verbraucherpolitik haben wir im Ver-gleich zu 2001 um 55 Prozent auf insgesamt 33,2 Milli-onen Euro aufgestockt. Davon profitieren insbesondereder Bundesverband der Verbraucherzentralen und die Ver-braucherverbände im Rahmen der institutionellen Förde-rung. Aber auch die Stiftung Warentest erhält einen Zu-schuss. Insbesondere wurden zur Unterrichtung derVerbraucher außerhalb des Ernährungsbereiches fast2,3 Millionen Euro mehr eingesetzt.
Allein für die objektive Verbraucherinformation über dasÖkosiegel stellen wir 7,7 Millionen Euro zur Verfügung.Darüber hinaus werden Informationskampagnen zur Be-kanntmachung neuer Qualitätssiegel in der Öffentlichkeitund zur Information über deren Inhalte möglich.Diese Aufzählung mitsamt den Anstrengungen auf EU-Ebene zur Weiterentwicklung der Ökoverordnung ließesich fortführen, würde aber den Rahmen der Debatte hiersprengen. Es ist wohl unbestritten, dass wir als Koalitiondeutliche Zeichen für die Neuausrichtung der Verbrau-cherpolitik gesetzt haben.
Der Bundeskanzler selbst hat die Präsidentin desBundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wedel, gebeten, einGutachten zur Organisation des gesundheitlichen Ver-braucherschutzes zu erarbeiten. Die Ergebnisse diesesGutachtens haben wir sehr ernst genommen. Diese Er-kenntnisse einschließlich der Vorarbeiten des Ministe-riums haben wir bereits in den Haushalt 2002 einfließenlassen.Die Schwachstellenbeseitigung liegt klar im Interessedes Gemeinwohls; dem sind wir alle verpflichtet. Denn esgeht um Gefahrenprävention und Gefahrenabwehr. Diesmuss auch organisatorisch und institutionell durch dieEinrichtung effizienter und schlagkräftiger Behörden er-folgen. So wird ein Bundesinstitut für Risikobewertungaufgebaut. Es wird entsprechend seiner Aufgabenstellungangemessen personell ausgestattet werden. Um die not-wendige Unabhängigkeit zu gewährleisten, wird es einenhohen Grad an Selbstständigkeit und Weisungs-unabhängigkeit haben. Das Bundesinstitut wird einebreite Öffentlichkeitsarbeit leisten und in einen offen-siven Dialog mit den Verbrauchern treten, um frühzeitigüber mögliche gesundheitliche Risiken zu informieren.Zu seinem Start stellen wir im Haushalt 2002 etwa600 000 Euro als Grundausstattung bereit.
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Josef Hollerith20291
In Umsetzung des Gutachtens von Frau Dr. von Wedelwird zum 1. Januar 2002 die Bundesanstalt für Verbrau-cherschutz und Lebensmittelsicherheit errichtet. Hierstellen wir mehr als 1,7 Millionen Euro zur Verfügung. Eswird als selbstständige Bundesoberbehörde hoheitlicheAufgaben im Bereich des Risikomanagements als Zulas-sungsstelle für Stoffe, die gesundheitliche Risiken in sichbergen und in einem engen Zusammenhang mit der Le-bensmittelsicherheit stehen, wahrnehmen. Mittelfristigmuss der Aufbau dieser Einrichtung abgeschlossen sein.Ich denke, es liegt klar auf der Hand: Wir als rot-grüneKoalition haben die Umstrukturierung des Verbraucher-schutzes und bei der Lebensmittelsicherheit auf den Weggebracht und werden die Verbraucherschutzpolitik weiterstärken.
Auch in der Agrarpolitik zeigen wir deutlich, dass dieWende einen hohen Stellenwert hat. Die Mittel für dieModell- und Demonstrationsvorhaben wurden gegen-über dem Vorjahr um fast 18 Millionen Euro aufgestockt.Sie sollen unter dem Motto „Regionen aktiv – Land ge-staltet Zukunft“ zum Tragen kommen, um beispielhaft inausgewählten Regionen die neuen Politikansätze regiona-ler Entwicklung zu demonstrieren.Die Zielrichtung dieser Projektförderung ist vorrangig,die Verwirklichung einer verbraucherorientierten nach-haltigen Produktion und die Vermarktung gesunder,hochwertiger Nahrungsmittel sichtbar zu machen. DemAufbau regionaler Verarbeitungs- und Vermarktungs-strukturen kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu,aber auch der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspektenin den Angeboten von Bildung, Weiterbildung und Bera-tung. Dies ist lediglich eine Auswahl des umfangreichenProgramms und seiner Wirkung, belegt aber deutlich,dass Rot-Grün nicht nur von einer Agrarwende redet, son-dern sie auch in die Tat umsetzt,
dies kurzfristig und dennoch zukunftsorientiert. Die hoheZahl von über 200 Bewerbungen ist ein deutliches Zei-chen für das Interesse an diesem Projekt.Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an denökologischen Landbau, der durch die rot-grüne Koali-tion gestärkt und ausgedehnt wurde.
Er ist eine tragende Säule unserer neuen Agrarpolitik. Da-rüber hinaus ist der ökologische Landbau nachhaltig,umweltgerecht und bietet den Agrarbetrieben sowie denländlichen Regionen auch langfristig neue Einkommens-chancen und eine Existenzgrundlage.
Wir verfolgen das Ziel, den ökologischen Landbau inzehn Jahren von jetzt 3,2 Prozent auf 20 Prozent der land-wirtschaftlichen Fläche auszudehnen.
Wir legen ein Bundesprogramm ökologischer Landbaumit 35 Millionen Euro im Jahre 2002 auf.
Dieses Programm soll entscheidende Impulse für denDurchbruch des ökologischen Landbaus geben. Hierzusind vornehmlich Investitionen im Kopf notwendig, umBarrieren abzubauen und den Blick für neue Chancen zueröffnen.
Deswegen gibt es Informations- und Beratungsangeboteim Internet, auf Messen, bei Multiplikatoren und in Se-minaren, kurzum: auf breiter Front.
Daneben gilt es, Forschungslücken zu schließen, um dieWettbewerbsfähigkeit als entscheidenden Faktor für Er-folg auf den Märkten zu stärken.Andere EU-Mitgliedsstaaten haben bereits in der Ver-gangenheit gezeigt, dass mit einem gut abgestimmten Ak-tionsprogramm eine deutliche und effiziente Verbreite-rung des Marktanteils ökologischer Produkte erreichtwerden kann. Darum wollen wir dieses Bundesprogrammauch 2003 fortführen.All das Genannte ist ein Beleg dafür, dass Rot-Grün aufdem richtigen Kurs ist. Diesen werden wir halten.
Von der Opposition war hier wenig oder gar nichtszu hören. Kurt Tucholsky sagte einmal sinngemäß: Allesist richtig, auchdasGegenteil.NurdieWorte „zwar ..., aber...“ sind immer falsch. –MeineDamen undHerren von derCDU/CSU-Fraktion, diese Worte sind Spiegelbild IhresHandelns. Sie haben weder Konzepte noch Alternativen,um eineAgrarwende zu gestalten. Darum sindAgrar- undVerbraucherpolitik bei uns auch in guten Händen.
Da ist es schon mehr oder weniger peinlich, dass Siehier einen Antrag zur namentlichen Abstimmung stellen,in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, rund300 Millionen DM für ein Hilfsprogramm für BSE-Folgekosten aufzulegen. Der CDU-Politiker ManfredRommel sagte einmal: Halb richtig ist meistens ganzfalsch. – Recht hat der Mann. Sie wollen nämlich mitIhrem zwielichtigen Antrag der Öffentlichkeit suggerie-ren, dass der Bund hier vorrangig in der Pflicht stünde.Dies lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
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Ich will Ihrem Gedächtnis gerne auf die Sprünge hel-fen: Richtig ist nämlich, dass der Bund im Frühjahr über900 Millionen DM zusätzlich für BSE-Kosten bereit-gestellt hat. Die Länder, die zunächst orakelten, es werdeeine unübersehbare Kostenexplosion geben, mussten ihreKostenschätzungen im Laufe der Zeit immer weiter nachunten korrigieren und lagen zum Schluss weit unter denAusgaben, die der Bund übernommen hat.Es ist eine klare, verfassungsrechtlich zugewieseneAufgabe der Länder, über weitere Hilfsprogrammeentsprechend ihren finanziellen Spielräumen nach-zudenken. Dies hat man offensichtlich in Bayern auchgetan. Ich erinnere an das zu Beginn des Jahres angekün-digte 600-Millionen-DM-Programm „Verbraucherinitia-tive Bayern für sichere Lebensmittel und gesundeLandwirtschaft“. Dies war ohnehin weitgehend eineMogelpackung oder vielleicht auch der Versuch der Be-seitigung von Sünden der Vergangenheit. Dieses Pro-gramm wurde nunmehr einer Haushaltssperre unterzo-gen, um die noch freien Mittel zur Stärkung der innerenSicherheit einzusetzen.Ich kann sehr gut verstehen, wenn man sich bei derAbwägung gegen das Interesse einzelner Gruppen, derBauern, und für das Gemeinwohl entscheidet. Dannaber hier scheinheilig einen aussichtslosen Antrag auf Be-reitstellung von Bundesmitteln für ein Notprogrammzur namentlichen Abstimmung zu stellen ist schonein dreistes Stück aus dem bayerischen Komödianten-stadl.
Ein Wort zur Gemeinschaftsaufgabe. Die Mittel fürdie Gemeinschaftsaufgabe wurden mit 13 Millionen Euroveranschlagt. Sie konnten gegenüber dem Regierungsent-wurf um fast 31 Millionen Euro abgesenkt werden, weilsich die Einführung der so genannten Modulation nachden Verhandlungen mit den Bundesländern um ein Jahrverzögert und nunmehr 2003 beginnen soll.Gleichzeitig musste bei der Gemeinschaftsaufgabeeine globale Minderausgabe von knapp 1 Millionen Euroausgebracht werden. Dies war notwendig geworden,nachdem einige Bundesländer bei ihren Finanzbedarfsan-meldungen nicht in der Lage waren, einen ihrem Schlüs-sel entsprechenden Betrag anzumelden, um die bereitste-henden Bundesmittel abzurufen.
– Gut gemerkt.
Nun möchte ich Ihren Blick auf die landwirtschaftli-che Unfallversicherung lenken. Auch hier möchtedie CDU/CSU-Fraktion den Mittelansatz um 100 Milli-onen Euro anheben. Das zeigt doch deutlich, dass Sie kon-zeptionslos sind und überhaupt keine Antworten auf dieFragen der Zeit haben. Martin Buber sagte einmal: EchteVerantwortung gibt es nur da, wo es wirkliche Antwortengibt. – Diese hat die rot-grüne Politik, aber nicht dieCDU/CSU.
Zu Ihrer Regierungszeit haben Sie sich gerade bei derlandwirtschaftlichen Unfallversicherung stets in derFlachwasserzone, im Nichtschwimmerbereich, bewegt.Sie haben hier keine Reform, keine strukturelle Verände-rung, nein, rein gar nichts zuwege gebracht.
Wissen Sie, in der Realität ist es so, dass das Fahrwassermit roten und grünen Tonnen markiert ist, genauso wiewir unsere Politik markieren. Aber schwarze und gelbeTonnen markieren gefährliche Untiefen, womit Sie sichwieder in der Flachwasserzone bewegen. Sie haben dasSchwimmen nie gelernt.
Die landwirtschaftliche Unfallversicherung lässt sichnämlich nicht durch unseriöse Mittelaufstockung struktu-rell reformieren. In der nächsten Zeit erwarten wir dasversicherungsmathematische Gutachten, das uns zeigenwird, in welcher Form und mit welchem finanziellen Auf-wand die landwirtschaftliche Unfallversicherung modifi-ziert fortgeführt werden kann.Das ist solide Haushaltspolitik. Deshalb machen wirIhren Populismus nicht mit und lehnen Ihren Antraghierzu ab.
Rot-grüne Verbraucher- und Agrarpolitik hat gerade inden diesjährigen Haushaltsberatungen deutlich gezeigt,dass sie Verbraucher und Landwirte zusammenführt, zu-kunftsorientiert investiert und die Agrarwende als einenfesten Bestandteil ihrer Politik sieht.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade gehört,in welcher Form und welchem Umfang die Umschichtun-gen im Haushalt erfolgen sollen. Offensichtlich wird hiereinseitig Politik gemacht. Man versucht, im Haushalt ein-seitig den ökologischen Bereich in den Vordergrund zustellen.Verehrte Frau Ministerin, wenn Sie schon keine Lusthaben, sich mit 97 Prozent der deutschen Landwirtschaftauseinander zu setzen, dann hätte man wenigstens
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erwarten können, dass Sie sich als Verbraucherministerinpositiv betätigen. Aber auch da sind Sie eine Enttäu-schung.
Sie sind eine Enttäuschung für die Verbraucherin und denVerbraucher, weil der Verbraucherschutz keineswegs bes-ser geworden ist. Ihre Informationspolitik, die Sie als Ver-braucherministerin machen müssen, ist nicht so, wie manes zu erwarten müsste. In wichtigen Bereichen der Ver-braucherinformation findet schlichtweg nichts statt,
weder Verbraucherinformation zur Euroumstellung nochInformationen zu den wichtigen Sozialgesetzen oder zumDatenschutz. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sindenttäuscht.Glauben Sie nicht, dass der Fleischskandal, der erstletzte Woche öffentlich geworden ist, in Zusammenhangmit 2 500 fehlenden Lebensmittelkontrolleuren zu brin-gen ist?
Ich sage Ihnen: Nicht nur die Verbraucherinnen undVerbraucher sind enttäuscht, sondern auch die Verbrau-cherverbände, Stiftung Warentest zum Beispiel. DerenMittel kürzen Sie um 1,5 Millionen.
Wir wollten ein Aufstocken der Mittel für die Stiftung Wa-rentest, sodass die Stiftung unabhängig von der Politikentscheiden kann, was mit den eigenen Einnahmen ge-schehen soll. So verstehen wir Verbraucherpolitik. Siesollte nicht am Tropf der Politik hängen und darum bet-teln müssen, dass Geld kommt. Das ist Ihr Versäumnis.
Ihr Verbraucherinformationsgesetz – es ist noch keinGesetz, Sie haben nur Eckwerte vorgelegt – ist eine reinePR-Nummer.
Sie arbeiten jetzt ein halbes Jahr daran und sind in derLage, nur Eckwerte vorzulegen. Sie planen, im nächstenFrühjahr einen Gesetzentwurf vorzulegen, und bilden sichein, dass Sie das Gesetz noch in dieser Legislaturperiodeverabschieden können. Der Bundesrat muss zustimmen.Sie wissen ganz genau, dass Sie das nicht in der letztenSitzungswoche vor der Sommerpause hinbekommen.
Das ist eine Enttäuschung der hohen Erwartungen, die Siegeweckt haben.
Die Auswirkungen dieser Politik und der Umstruktu-rierungen im Ministerium sind der Bevölkerung bisherverborgen geblieben. Wir wissen nicht, was der ent-sprechende Ansatz ist und wo Verbesserungen stattfindensollen.Frau Künast, neben den Verbrauchern haben Sie auchdie Landwirte enttäuscht. Die Vernachlässigung undBenachteiligung der konventionellen Landwirtschaft, dieinternational wettbewerbsfähig sein muss, ist offensicht-lich. Sie führen einen ideologischen Stellungskrieg mitder Begründung, dass eine Agrarwende notwendig sei.Ihre Betrachtungsweise können wir nicht nachvollziehen;denn die Marktanteile, die wir im Wettbewerb innerhalbEuropas verlieren, können wir nicht mehr zurückholen.Das führt zur Existenzvernichtung. Frau Künast, Sie sindnicht nur blind.
– Sie sehen mich.Sie sind nicht nur blauäugig, sondern auch grünäugig.
Die so genannte Agrarwende hat bis jetzt zu 50 Prozentaus der Ökokennzeichnung – das haben wir in den Dis-kussionen hören können – und zu 50 Prozent aus der Le-gehennenhaltungsverordnung bestanden. Mehr wurdebisher nicht erreicht. Das Ökosiegel bleibt bezüglich desQualitätsstandards, der Dokumentationspflicht sowie derVerbrauchersicherheit weit hinter dem Qualitätssiche-rungszeichen zurück, das die Wirtschaft jetzt einführenwill. Sie orientieren sich an alten Instrumenten, die manvor zehn Jahren diskutiert und eingeführt hat. Die moder-nen Möglichkeiten der Datenerfassung und der Daten-banken werden hier nicht genutzt. Die Weitergabe derwichtigen Dokumentation zum Zwecke der Verbraucher-sicherheit findet nicht statt.Frau Künast, Sie schmücken sich mit dem Ökosiegel,als wäre das ein Verdienst Ihrer Politik.
Ich sage Ihnen: 1994 ist auf europäischer Ebene entschie-den worden, eine entsprechende Richtlinie für Pflanzeneinzuführen; 1999 geschah das für Fleisch. Sie wurde nurin nationales Recht umgesetzt. Das einzige Verdienst vonIhnen ist, dass Sie die Richtlinie umgesetzt haben.
Inhaltlich haben Sie nichts dazu beigetragen.Mit der Legehennenhaltungsverordnung, dem zwei-ten Aushängeschild der Agrarwende, haben Sie einen Pyr-rhussieg errungen. Ich kann Ihnen sagen: Keine einzigeHenne wird aus den zu engen Käfigen befreit werden. DieProduktion geht ins Ausland und die Eier werden impor-tiert. So wird hier Politik gemacht: Arbeitsplätze werdenexportiert und Nahrungsmittel importiert.
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Ihre Aufgabe wäre es gewesen, sich sachlich zu infor-mieren und Gesamtbilanzen aufzustellen. Man darf nichtnur einseitig die Henne im Käfig betrachten, sondern essind weitere Faktoren zu berücksichtigen. Dies ist auf eu-ropäischer Ebene auch geschehen. Dadurch kam man zudem Schluss, dass eine Weiterentwicklung des Käfigs er-forderlich ist. Auch wir wollen nicht, dass es in Zukunftnoch enge Käfige gibt. Für die Maßnahmen auf europä-ischer Ebene hat man als Enddatum das Jahr 2012 ge-nannt; das war vernünftig und richtig. Parallel dazu solleine Alternative entwickelt werden.Sehen Sie sich doch einmal in den Hennenhaltungsbe-trieben um! Sie werden feststellen, dass diese Betriebeentweder aufhören oder ins Ausland gehen. Das ist dieeinzige Alternative, die ihnen bleibt. Im Übrigen erfüllenSie mit den Hennen, die in der von Ihnen propagierten al-ternativen Form gehalten werden, den Anspruch, den Siereklamieren, überhaupt nicht.Frau Künast hatte einmal einen Traum. Sie wollte dieKönigin von Hennen werden. Diesen Traum hat sie sichwohl erfüllt.
Ich sage Ihnen aber: Die deutsche Landwirtschaft hat ei-nen Albtraum. Sie hat den Albtraum, dass Sie in Deutsch-land eine ökologische Museumslandwirtschaft einführenwollen, dass der technische Fortschritt nicht genutzt wer-den kann, was an vielen Stellen zu beweisen ist, und dasssie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den Un-ternehmen sowohl in den außereuropäischen als auch inden innereuropäischen Staaten extrem benachteiligt wird.
Frau Künast, Ihre Agrarwende bedeutet für 3 Prozentder Landwirte eine Begünstigung, zum Schaden der übri-gen 97 Prozent. Die Umschichtungen haben dies deutlichgemacht. Diese 3 Prozent der Landwirte wollen IhreVergünstigungen aber noch nicht einmal, weil sie wissen,dass Sie ihnen durch Ihr politisches Dazwischenpfuschenin einem Markt, den sie sich selber geschaffen haben, dieExistenz erschweren und ihre Situation noch verschärfen.
Die geplanten Verordnungen zur Tierhaltung zumWohl der Tiere treiben die Landwirte in den Ruin. DieVerschärfung der Bauvorschriften – das konnten wirheute in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen – wird eben-falls dazu beitragen. Ich möchte Sie wirklich fragen:Reicht Ihnen der Maßstab „GV pro Hektar“ eigentlichnicht? Müssen Sie jetzt auch noch andere Maßstäbe he-ranziehen? – Damit zerstören Sie weite Teile unserer aufVeredelung angewiesenen Regionen und damit haben Siesich eigentlich überflüssig gemacht.
Schauen Sie sich einmal angesichts der Problematikbei Rindfleisch die Preisentwicklung für das Fleisch vonJungbullen an. Von 1998 bis 2000 – Stichwort: BSE – gin-gen die Erzeugerpreise steil um 1,50 DM nach unten, er-holten sich dann wieder etwas und stiegen um 50 Pfennigan. Die Preise liegen jetzt auf einem niedrigeren Niveau,meine Damen und Herren von der SPD, während die Ver-braucherpreise gleichzeitig angestiegen sind. Das ist dieSituation, mit der unsere Bauern zu kämpfen haben. Dannsollen sie auch noch mit einer zusätzlichen einseitigenVerschärfung bezogen auf die Tierhaltung und die Pro-duktionsmethoden belastet werden.Natürlich ist mit dem Artikelgesetz einiges verschlech-tert worden. Ferner bringen die Änderungen im Baurechtweitere Verschlechterungen. Tatsache ist weiterhin: Tier-fette dürfen im Ausland eingesetzt werden, in Deutsch-land nicht.
Wenn dann die Produkte importiert werden, weiß der Ver-braucher nicht, wie das Tier gefüttert worden ist. DasGleiche gilt für Pflanzenschutzmittel. Es gibt eine langeListe mit einseitigen Erschwernissen, die die deutscheLandwirtschaft hinnehmen muss und die es ihr im Wett-bewerb unmöglich machen, den Herausforderungen desMarktes in der Zukunft überhaupt noch gerecht werden zukönnen.Wir haben gerade auch vonseiten der SPD und denGrünen von dem Abschluss der WTO-Ministerkonfe-renz in Doha gehört. Sie wissen ganz genau, was dortbeschlossen worden ist, nämlich der Abbau der Export-subventionen, eine Reduzierung des Außenschutzesund eine Reduzierung der internen Stützungsmaßnah-men auf die so genannte Greenbox. Sie wissen ganz ge-nau, dass dies in der nächsten Verhandlungsrunde, dasheißt, in den nächsten drei Jahren, in Angriff genom-men wird.Wenn Sie die deutsche Landwirtschaft diesen ver-schärften Bedingungen ausssetzen, wird sie im Wettbe-werb nicht bestehen können.
Frau Künast, mit Ihrer Politik fahren Sie die Wettbe-werbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft gegen dieWand.
Das sage ich nicht, weil ich als Oppositioneller eine Haus-haltsrede halte, sondern weil ich jeden Tag bei den Land-wirten bin und diese mir sagen: Wir wissen nicht mehr,wohin die Reise geht.
Gehen Sie raus! Beschweren Sie sich jetzt über meineAussagen! Werden Sie bitte jetzt laut! Das hilft mir imWahlkampf, denn das zeigt, dass Sie von der Landwirt-schaft keine Ahnung haben.
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Ulrich Heinrich20295
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.
Sehrgeehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Merkel hat neulich bei einer CDU-Versamm-lung in Rheinland-Pfalz etwas Richtiges gesagt:
Wer die Eier haben will, muss das Gegacker der Hennenertragen. – Von dem Kreischen der Hähne in der Oppo-sition hat sie allerdings nichts gesagt.
Was der Kollege Heinrich vorträgt, ist nichts anderes,als eine Schlamm- und Abwehrschlacht gegen neueMarktentwicklungen.
Ich persönlich bedauere es sehr, dass die ökologischenProdukte – Qualitätsprodukte, Spezialprodukte, die aufdem deutschen Markt wirklich Chancen haben –, durchdie sich Einkommenschancen für die deutsche Land-wirtschaft bieten, Zug um Zug in einer jetzt schon Wo-chen andauernden Schlammschlacht schlecht gemachtwerden. Dabei ist zu verzeichnen, dass gerade diejenigen,die in ihrer eigenen Regierungszeit von Salmonellen-bekämpfung und Lebensmittelsicherheit nur wenig hörenwollten,
plötzlich im Zusammenhang mit ökologischen Lebens-mitteln von Mykotoxinen und von unhygienischen Le-bensmitteln reden. Auf einmal kommt Ihnen die Erkennt-nis, dass dies ganz wesentlicher Bestandteil derAgrarpolitik sein soll, womit sie jetzt wiederum gegenden ökologischen Landbau vorgehen.
Kümmern Sie sich doch zum Beispiel einmal um Myko-toxine im Kaffee oder um all die verfehlten Salmonellen-bekämpfungsmaßnahmen, die Sie eben nicht durchge-führt haben.
Ihr Verhalten ist reine Heuchelei!
Ähnliches gilt für den Beirat. Ich kenne die Wissen-schaftler nicht und kann über deren Qualifikation nichtssagen. Ich denke aber, dass sich sowohl die Wissen-schaftler als auch diejenigen, die bisher immer vertretenhaben, Deutschland sei BSE-frei, fragen sollten, ob sieimmer das Richtige getan haben und ob es jetzt, nachdemsich alles dank der Politik der Bundesregierung wieder einbisschen beruhigt hat, angebracht ist, wieder den altenWeg zu gehen, der vor der Wand endete.
Diese Bundesregierung hat den Spagat zwischen derKrisenbewältigung auf der einen und der Beseitigung desReformstaus auf der anderen Seite geschafft. Sie hat sichden neuen Herausforderungen gestellt, die da heißen:Umstrukturierung des Landwirtschaftsministeriums zueinem Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährungund Landwirtschaft, Bewältigung der BSE-Krise sowieWiederherstellung der Verbrauchersicherheit und des Ver-brauchervertrauens. Dies ist Frau Künast tatsächlich ge-lungen.
Diese neue Ausrichtung zeigt sich gerade in den Ein-zelbereichen. Die Mittel für den Verbraucherschutz sindinsgesamt um 60 Prozent erhöht worden. Dies gilt auchfür die Verbraucherzentralen, die sehr zufrieden sind. Sohat es bei der Stiftung Warentest statt der Kürzung dieeinmal im Raume stand, eine Erhöhung der Mittel von 5,6auf 5,8 Millionen Euro gegeben. Im Übrigen ist es dochnun wirklich egal, ob die Mittelerhöhung für die StiftungWarentest auf einer Erhöhung des Stammkapitals oder aufentsprechend erhöhten Zuschüssen beruht.
– Nein, es ist reine Traumtänzerei, davon zu sprechen,130 Millionen oder gar 300 Millionen – Geld, das im Mo-ment im Haushalt nicht vorhanden ist – dort hineinzu-stecken. An der Qualität und der Unterstützung, der fakti-schen Versorgung der Stiftung Warentest ändert das nichteinen Deut.
Auch der Haushaltstitel für die Verbraucherberatungist deutlich aufgestockt worden. Erstmals können die Ver-braucherzentralen auf einer guten Grundlage arbeiten, dieihnen mehr Luft gibt. Ebenso sind die Mittel für die Ener-gieberatung erhöht worden. Damit haben wir die entspre-chenden Anforderungen erfüllt.Ein anderer Punkt ist das Qualitätszeichen. Es ist einriesiger Fortschritt, dass man nun mit einem entsprechen-den Biosiegel – das ist in den letzten zehn Jahren nicht zu-stande gekommen – die entsprechende Verbraucherinfor-mation leistet und Bewerbung ermöglichen kann. Das gibtden richtigen Kick. Genau den wollten Sie nicht haben.
Auch das Qualitätszeichen für den konventionellenBereich steht vor der Vollendung. Hier sind Rückverfolg-
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barkeit und Transparenz ein wichtiges Anliegen. Letzt-endlich dienen diese Zeichen dazu, dass wir den Erzeu-gern, die sich durch Qualitätsproduktion besonders her-vortun, die Möglichkeit geben wollen, diese Produkte zubewerben, und sie dadurch unterstützen.
In dem Bereich der Unterstützung der konventionellenProduktion geht es in erster Linie um die Wettbewerbs-fähigkeit. Jeder, der sich einbildet, angesichts einer ver-änderten Agenda 2000, nämlich der Agenda 2006, ange-sichts der Osterweiterungen und WTO-Verhandlungenkönne man mit dem bisherigen Fördermodell weiterlebenwie bisher, ist blauäugig.
Deshalb bereiten wir die Landwirtschaft auf die Verän-derungen durch die europäischen und internationalenFördervoraussetzungen vor. Wenn man das nicht täte,würde man die Betriebe in die Situation bringen – in dersie lange Zeit gewesen sind –, dass sie sich auf neueFördervoraussetzungen nicht einstellen können. Dieseneuen Fördervoraussetzungen – das weiß auch die Oppo-sition – sehen nämlich Greenbox-fähige Maßnahmen undVerordnungen zum ländlichen Raum vor. Darunter fallenalle gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft:Umwelt, Naturschutz, Arbeitsplätze und Qualität. Wirmüssen in diese Richtung gehen; sonst werden wir esnicht schaffen, diese neuen Fördermöglichkeiten inDeutschland überhaupt wahrzunehmen. Das ist ökono-misch und betriebswirtschaftlich eine elementare Ver-pflichtung, der sich die Bundesregierung stellt.
Deswegen hat es die Neuausrichtung der Gemeinschafts-aufgabe gegeben. Sicherlich ist es so, dass sich auch dieLänder entsprechend beteiligen müssen.
Ich will noch etwas zur Modulation sagen. Das näm-lich ist für mich der Gipfel der Heuchelei: Der Bauern-verband hat sich zusammen mit CDU/CSU und FDP ge-gen die Durchführung der Modulation gestellt und damitdie deutsche Landwirtschaft und die ländlichen Räumeum mindestens 100 Millionen in 2003 geprellt.
Man hätte wahrscheinlich sogar noch mehr Geld heraus-holen können. Herr Eichel, die Bundesregierung und dieLänder waren bereit, ihren Anteil zu zahlen. Sie haben dasverhindert, weil Sie sich aus verbandsinternen Interesseneiner solchen Qualitätsproduktion nicht unterziehen wol-len. Das finde ich eine unglaubliche Frechheit und einVergehen an den landwirtschaftlichen Betrieben, die re-gelrecht irregeführt worden sind.
Die Ausführung der Modulation wird so oder so kommen.Sie wird obligatorisch werden. Es ist totaler Unsinn, sichjetzt dagegen zu sperren und die ländlichen Räume umdieses Geld regelrecht zu betrügen.Ich will noch etwas zu nachwachsenden Rohstoffensagen. Immerhin – das haben Sie nicht gelobt, Herr Kol-lege Hollerith – ist der Ansatz für das Marktanreizpro-gramm um 100 Millionen erhöht worden.
Das hätte doch in Ihrer Rede an erster Stelle stehen müs-sen. Selbstverständlich setzen wir uns dafür ein.In der Rede von Herrn Hampel ist deutlich geworden,dass die Landwirtschaft für Biomasse beantragte Geldertatsächlich bekommt. Dabei wird es hoffentlich bald zuden entsprechenden Rahmenbedingungen kommen. Hierteile ich im Übrigen ausnahmsweise Ihre Einschätzung– aber wir in der Koalition setzen uns ohnehin dafür ein –:Im Bereich der Wirtschaftspolitik ist Biomasse ein wun-derbares Instrument, Investitionen in die ländlichenRäume anzuregen und damit Wirtschaftskraft zu schaffen.
Als Letztes will ich noch etwas sagen, was schon dieKollegin Hoffmann betont hat: Wir haben es geschafft,unter den schwierigen Bedingungen von Einsparungen indiesem Haushalt, zum einen die Mittel zu erhöhen undzum anderen die Erfüllung der Sozialaufgaben zu ge-währleisten.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegen Hollerith
und Carstensen?
Nein.
– Sie wissen, welche Freude ich an Auseinandersetzungenhabe, aber jetzt möchte ich weiterreden.Ich finde, es ist sehr verdienstvoll, dass sich diese Bun-desregierung den erhöhten Anforderungen im Sozialbe-reich stellt. Wir sollten uns gemeinsam an den Reformen,die in diesem Bereich anstehen, beteiligen, um zu einerVerbesserung zu kommen. Auf jeden Fall ist es wichtig,festzustellen, dass die Versorgungsleistungen derjenigen,die sich jetzt auf das Altenteil zurückziehen und An-sprüche erheben, sicher sind; denn die notwendigen Mit-tel stehen zur Verfügung.
Zum Schluss möchte ich noch auf etwas zu sprechenkommen, was uns mit Verbitterung erfüllt. Wir haben mitdazu beigetragen, dass die Verbraucher bereit sind, mehrfür landwirtschaftliche Produkte – beispielsweise fürRindfleisch mehr als 10 Prozent – zu bezahlen.
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Ulrike Höfken20297
Aber es geht nicht an, dass die Erzeuger dennoch rund20 Prozent weniger bekommen. Das wollen wir nicht mit-machen. Diese unselige Preisspirale muss beendet wer-den. Die Landwirte und der Bauernverband selbst müssensich genau dieser Herausforderung stellen und dafürkämpfen, dass nicht immer die Landwirte das schwächsteGlied in der Kette sind. Wir werden sie dabei kräftigunterstützen. Vielleicht sollten auch Sie sich dafür einset-zen, dass die Rindfleisch produzierenden Betriebe vonden für die Modulation vorgesehenen Geldern profitierenkönnen.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Lieber Kollege Heinrich, ich hattewährend Ihrer Rede richtig Angst um Sie, weil Sie sich soaufgeregt haben. Manche Probleme, auf die Sie hinge-wiesen haben, verstehe ich zwar. Aber ich habe mit denKonsequenzen, die Sie ziehen, ein paar Probleme.Wenn ich in meiner Rede zur ersten Lesung den Land-wirten noch wünschte, dass jedes Jahr ein Wahljahr seinsollte, nehme ich das heute schnellstens zurück; dennwieder einmal wurden die Landwirte von den Haushälternder Koalition über den Tisch gezogen, weil der Agrar-haushalt mit einer globalen Minderausgabe von 60 Milli-onen Euro beschnitten werden soll. Während in der erstenLesung des Haushalts noch von einer Aufstockung desAgrarhaushalts die Rede war, haben wir es jetzt mit einergravierenden Kürzung zu tun. So knauserig wie beimAgrarhaushalt ist Hans Eichel freilich nicht, wenn es umden Verteidigungshaushalt geht. Dort ist nicht Kleckern,sondern Klotzen angesagt.
Die Minderausgabe bedeutet für die Landwirte dochnichts anderes, als dass die Bundesregierung die Zu-schüsse bei den Modell- und Demonstrationsvorhaben,beim Verbraucherschutz und bei der Gemeinschaftsauf-gabe wieder wegnimmt, und das gleich mehrfach. DieMittel für die Gemeinschaftsaufgabe liegen unter dem Ni-veau von 2001. Der finanzielle Spielraum für einegestalterische Politik in den Ländern wird somit weiterbegrenzt. Doch damit nicht genug. Wohin die Reise geht,kann man daran sehen, dass auch noch die Verpflich-tungsermächtigungen in der Gemeinschaftsaufgabe um20 Millionen Euro gekürzt wurden.Es ist schon eine Meisterleistung der Verbiegung vonDemokratie, wenn der Entwurf des Einzelplans 10 unterVoraussetzungen behandelt wurde: So stand die globaleMinderausgabe überhaupt noch nicht zur Debatte undahnte noch niemand, dass sich die Bundesregierung überdie Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses hin-wegsetzen wird. Ich frage Sie, Frau Künast: Warum las-sen Sie sich das gefallen? Oder halten Sie es lieber mitFaust, getreu dem Motto: „Im Auslegen seid frisch undmunter, legt ihr’s nicht aus, dann legt was drunter.“Die Landwirte durften schon 1999 mit einer globalenMinderausgabe in Höhe von rund 90 Millionen DMkämpfen. Damals protestierten die Bauern zuerst in Bonnund später vor dem Brandenburger Tor. Sie werden auchdiesmal wieder enttäuscht sein, wenn die Bundesregie-rung – notwendigerweise – die Alterssicherung erhöht,aber gleichzeitig mit der globalen Minderausgabe hin-tenrum die Hand aufhält. Die PDS fordert, die globaleMinderausgabe rückgängig zu machen.
Wir fordern in unserem Antrag: Die Zuschüsse zurlandwirtschaftlichen Unfallversicherung sind auf 350Mil-lionen Euro aufzustocken. Das soll eine Teilentlastung derLandwirte bei den Beiträgen ermöglichen.
Damit unterstützen wir das jahrelange gerechtfertigte Ver-langen des Bauernverbandes nach gleichwertigen Bedin-gungen bei der Unfallversicherung, wie sie im Handwerkund für den Mittelstand üblich sind.Darüber hinaus beinhaltet unser Antrag die Erhöhungder Zuschüsse zur Förderung von Modell- undDemonstrationsvorhaben auf insgesamt 25 MillionenEuro. Die Vorhaben im Rahmen der „Arbeitsmarktpoliti-schen Initiative“ des Verbraucherministeriums und dievorgesehenen Pilotprojekte „Multifunktionale Landwirt-schaft und ländliche Entwicklung“ erreichen dieProblemregionen im ländlichen Raum in einem zu gerin-gen Maße. Die zusätzlichen Mittel müssen für eine breitangelegte Arbeitsmarktpolitik eingesetzt werden, damitdie ländlichen Räume von dem im Koalitionsvertrag ver-einbarten Bündnis für Arbeit profitieren und gewerblicheArbeitsplätze für aus der Landwirtschaft Ausscheidendevor Ort geschaffen werden können.Was nützen einzelbetriebliche Agrarkreditprogramme,Investitionsförderprogramme, Modernisierung und Ra-tionalisierung zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit,wenn nicht gleichzeitig die dadurch freigesetzten Arbeits-kräfte über andere Programme im ländlichen Raum abge-fangen werden? Ziel der Gemeinschaftsaufgabe muss essein, das betriebliche Interesse an der Steigerung der Ef-fektivität mit der Schaffung von Arbeitsplätzen im ländli-chen Raum und einer nachhaltigen Produktion zu verbin-den.
Nun steht immer die Frage im Raum: Woher soll dasGeld kommen? Hier die Antwort: Schaut man sich die Be-richte des Bundesrechnungshofs zur Steuerverschwen-dung an, stellt man fest, dass offenbar genug Geld da ist –so viel, wie die Landwirte in ihrem bescheidenen Daseingar nicht würden beanspruchen wollen.
Aber das Geld ist in den falschen Händen und in denfalschen Kanälen.
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Ulrike Höfken20298
Dann sind da noch die nicht ausgeschöpften und rück-fließenden Mittel aus Brüssel, sowohl die aus dem EU-Agrarbudget als auch die unverbrauchten Mittel zur Be-wältigung der BSE-Krise. Es sollten Möglichkeitengefunden werden, den Landwirten diese Mittel wieder zurVerfügung zu stellen. Selbstverständlich sollte auch diestaatliche Unterstützung der durch BSE geschädigten Be-triebe sein.
Denn sie wurden durch eine unverantwortliche Politik ge-schädigt, deren Drahtzieher, Lobbyisten und Vertuscherkeine Verantwortung übernehmen.Das Herauskaufprogramm muss wohl als gescheitertangesehen werden, weil den Bauern damit nicht wirklichgeholfen werden konnte. Höhere Verbraucherpreise fürRindfleisch und Milchprodukte, vom Verbraucher hono-riert und angenommen, kommen beim Landwirt nicht an.Nur der Handel profitiert von der Krise und knebelt dieBauern. Bauern und Verbraucher haben die Last der zu-sätzlichen Kosten für Tests und für die Tiermehlentsor-gung zu tragen.Meine Damen und Herren, bei allen guten Ansätzen füreine Agrarwende bleibt die Tatsache: Die Landwirtschaftwird weiter liberalisiert, die Weltmärkte werden weitergeöffnet, die Direktzahlungen werden weiter gekürzt, dieAlternativen im ländlichen Raum sind eher schmalbrüstigund die Programme der Bundesregierung werden diesenProzess nicht aufhalten.Mit ihrem Papier „Vertrauen durch Veränderung – Ar-beitsplan nachhaltige Landwirtschaft“ betreibt die Bun-desregierung wieder einmal Augenwischerei, wenn sieschreibt: „Das Höfesterben und die schwindende Attrak-tivität der Hofübernahme sollen teilweise aufgefangenwerden.“ Seit Jahren und Jahrzehnten haben wir es statteiner Belebung der ländlichen Räume eher mit Höfester-ben und dem Ausbluten der ländlichen Räume zu tun. DieMenschen im ländlichen Raum werden zunehmend ab-hängig von Modell- und Pilotprojekten, von Arbeitsbe-schaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen und vonEU-Fördertöpfen.Die Bundesregierung tut sich leider schwer, Titel ein-zustellen, die dauerhaft und grundsätzlich den Akteurenim ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Sie wären aberdringend notwendig für ein breites Spektrum an Ar-beitsplatzinitiativen, im Bereich der Finanzierung vonUmweltmaßnahmen, für die Förderung von Junglandwir-ten, – und zwar ohne dass hohe bürokratische Hürden ge-nommen werden müssen.
Meine Damen und Herren, der multifunktionale Cha-rakter der Landwirtschaft wird in Papieren des Bundesund der EU immer gern betont. Ein bisschen Urlaub aufdem Bauernhof, ein bisschen Ausgleichszulage, ein biss-chen Dorferneuerung und ein paar Modellprojekte ma-chen aber noch nicht das Gleichgewicht zwischen ökono-mischem, ökologischem und sozialem Anspruch aus.Doch ländliche Entwicklung erfolgt nicht durch vorran-gige Förderung der Wettbewerbsfähigkeit.Wo ist denn die gesellschaftliche Honorierung der vie-len externen Leistungen der Bauern, wie für Klima, Bo-den, Landschaftspflege und Kulturtradition? Was wirbrauchen, ist eine Landwirtschaft, die auch künftig Ein-kommen erwirtschaftet, und keine, an der einige wenigeKonzerne verdienen,
und zwar Einkommen vorrangig aus den Produkten, diedie Landwirtschaft erwirtschaftet. Endlich müssen dieVerarbeitungsindustrie und der Handel mit ins Boot, wennes um agrarpolitische Maßnahmen geht.DerVerbraucher ist gewillt – das besagen Studien –, ge-sellschaftlich relevante undvon ihmgewollte sichtbare undtransparente Leistungen der Landwirte auch gesellschaft-lich zu honorieren. Dazu muss allerdings die Agrar- undVerbraucherschutzpolitik die Voraussetzungen schaffen.Werte Frau Ministerin Künast, machen Sie sich mit Ih-rer Politik die Landwirte endlich zu Ihren Partnern stattwie bisher zu Ihren Gegnern! Dieser Haushalt ist jedochder falsche Weg.Danke schön.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Jella Teuchner.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-legen! Liebe Kolleginnen! Die Definition von Verbrau-cherschutz, wie sie in Art. 153 des Amsterdamer Vertra-ges niedergeschrieben ist, lautet:Zur Förderung der Interessen der Verbraucher undzur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus leis-tet die Gemeinschaft einen Beitrag zum Schutz derGesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichenInteressen der Verbraucher sowie zur Förderung ih-res Rechts auf Information, Erziehung und Bildungvon Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen.Diese Definition spiegelt sich im Haushalt 2002 wider.Sie spiegelt sich auch in den für den Rest der Legislatur-periode geplanten Initiativen wider. Leider findet sie sichnicht in dem wieder, was die FDP uns hier vorgelegt hat.Ziel der Schaffung des Bundesministeriums für Ver-braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft war esnicht, ein Ministerium für gesundheitlichen Verbraucher-schutz zu schaffen; Ziel war es, dem gesamten Spektrumdes Verbraucherschutzes eine stärkere Position zu geben.
Dazu wurden auch die Zuständigkeiten des Wirtschafts-ministeriums für den Verbraucherschutz auf das Ministe-rium für Verbraucherschutz übertragen.Wenn man, wie dies die FDP in der letzten Woche ge-tan hat, wirtschaftlichen Verbraucherschutz lediglichals Kostenfaktor für die Wirtschaft betrachtet,
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Kersten Naumann20299
dann wundert es mich allerdings nicht, wenn Sie ein we-sentliches Aufgabengebiet des Verbraucherschutzes ein-fach unter den Tisch fallen lassen.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind am Markttendenziell in einer schlechteren Position als die Anbieter.Dies müssen wir ausgleichen, wenn wir uns der sozialenMarktwirtschaft verpflichtet fühlen. Das heißt zum einen,dass wir Mindeststandards für die Produktqualität überHaftungs- und Gewährleistungspflichten sicherstellenmüssen.Mit der Schuldrechtsmodernisierung, mit der die Ge-währleistungsfristen verlängert wurden, haben wir denVerbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit ge-geben, ihr Recht auf mangelfreie Produkte besser durchzu-setzen. Ich hoffe, Sie sehen denAnspruch auf mangelfreieProdukte nicht wieder als einen reinen Kostenfaktor an.Wirtschaftlicher Verbraucherschutz heißt zum ande-ren, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Infor-mation zu geben, die sie für bewusste Kaufentscheidun-gen brauchen, um ihnen die notwendigen Mittel an dieHand zu geben, ihre Rechte auch durchzusetzen.
Mit dem Haushalt 2002 setzen wir hierfür wichtige Im-pulse. Die Mittel für die Verbraucherpolitik steigen von21,4 Millionen Euro auf 33,2 Millionen Euro. Das ent-spricht einem Anstieg um 55 Prozent.
Der Mittelansatz für die Verbraucherinformation im Ein-zelplan 10 steigt von 9,3 Millionen Euro auf 11,6 Milli-onen Euro.
– Das haben Sie so nicht richtig verstanden.Im Einzelplan 09 stehen damit ausreichend Mittel fürdie Energieberatung der Verbraucherzentralen bereit.
Der Informationsbedarf der Verbraucherinnen undVerbraucher wird auch in Zukunft steigen. Der elektroni-sche Handel bringt genauso wie die private Altersvor-sorge neuen Beratungsbedarf. Dem begegnen wir, indemwir die Verbraucherberatung stärken und sie zu einemwirksamen Gegengewicht zur Werbung der Anbieter ma-chen. Unabhängige Informationen versetzen die Verbrau-cherinnen und Verbraucher in die Lage, bewusste Kauf-entscheidungen zu treffen.
Wir stärken gleichzeitig die Verbraucherverbände, damitsie eine wirksame Interessenvertretung für die Verbrau-cherinnen und Verbraucher gewährleisten können.Die Bundesministerin für Verbraucherschutz, RenateKünast, hat letzte Woche Eckpunkte für ein Verbraucher-informationsgesetz vorgestellt.
Ich begrüße diese Initiative.
Warum sollen verbraucherrelevante Informationen, diebei Behörden vorliegen, nicht zugänglich sein? Warumsollen Allergiker Inhaltsstoffe nicht erfahren dürfen?
Wollen Sie denn nicht auch wissen, ob Sie mit hydroli-sierter Gelatine gestreckten Schinken gegessen haben?Wir wollen, dass Verbraucherinnen und Verbraucherihre Kaufentscheidungen bewusst treffen können.
Das heißt, dass sie Zugang zu den dafür notwendigen In-formationen brauchen.
– Sie haben es in Ihrer Rede vorhin aber bemängelt. – Mitdem Verbraucherinformationsgesetz schaffen wir die Vo-raussetzungen dafür.Wenn wir eine Schlichtungsinstanz schaffen, die beiStreitigkeiten um die Informationspflichten vermittelt,dann werden die Interessen von Anbietern und Konsu-menten ausgewogen berücksichtigt werden.Verbraucherschutz ist aber mehr als der Schutz der Ge-sundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich kanndaher nicht nachvollziehen, warum man – wie im Antragauf Drucksache 14/7684 gefordert – die Bündelung derKompetenzen für den Verbraucherschutz wieder zurück-nehmen soll. Im Gegenteil: Das Bundesministerium fürVerbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wirdin der Bundesregierung weiterhin – in Zukunft noch ver-stärkt – die Interessen der Verbraucherinnen und Verbrau-cher bündeln.
Um dies zu erreichen, sollten wir die Einführung einesjährlichen Berichtes zur Verbraucherpolitik prüfen. Res-sortübergreifend sollten die Probleme der Verbraucherin-nen und Verbraucher beschrieben und sollten vor allemauch Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Aucheine Stärkung des Verbraucherschutzes in der Geschäfts-ordnung der Bundesregierung wäre denkbar: ein Initi-ativrecht für das Verbraucherschutzministerium bei
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Jella Teuchner20300
Angelegenheiten anderer Ressorts, wenn sie Verbraucher-fragen betreffen, oder die Verpflichtung, bei Gesetzent-würfen in der Begründung die Auswirkungen auf denVerbraucherschutz darzulegen.Der Verbraucherschutz ist im letzten Jahr deutlich ge-stärkt worden. Die dafür bereitgestellten Mittel steigenum 55 Prozent. Damit leisten wir einen Beitrag dazu, dassAnbieter und Konsumenten auf gleicher Augenhöhemiteinander handeln. Mit dem Verbraucherschutzministe-rium, das für den gesundheitlichen und den wirtschaftli-chen Verbraucherschutz zuständig ist, leisten wir einenweiteren Beitrag. Dies ist notwendig. Vor allem wird diesauch in der Zukunft notwendig sein.
Das Wort hat
jetzt der Herr Abgeordnete Ronsöhr.
Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Voreinem Jahr hat man in der Bundesrepublik Deutschlandden ersten BSE-Fall – so muss man ja formulieren – ent-deckt. Wir haben daraus einige Konsequenzen gezogen,aus meiner Sicht sehr richtige Konsequenzen, die nochunter der früheren Gesundheitsministerin, Frau Fischer,
und unter dem früheren Landwirtschaftsminister, HerrnFunke,
eingeleitet wurden. Seitdem ist es um das Ziehen vonKonsequenzen aus den BSE-Fällen in Deutschland sehrruhig geworden.
Ich war neulich in einem Institut, das BSE-Tests am le-benden Tier entwickelt. Ich habe mich in dem Institut, ei-nem sehr renommierten deutschen Institut, danach erkun-digt, ob man dort die notwendige politische Unterstützunghat. Das haben die Wissenschaftler eindeutig verneint.
Diese Unterstützung gibt es nicht, obwohl doch der BSE-Test am lebenden Tier ein gewaltiger Fortschritt für denVerbraucher und für den Landwirt in der BundesrepublikDeutschland wäre.
Wir haben im Zusammenhang mit den gesetzlichenMaßnahmen zur Bekämpfung von BSE eine Verordnungerlassen,
mit der man den „Tiermehltourismus“ nach Deutschlanduntersagen könnte. Bis heute hat die Bundesministerin fürVerbraucherschutz noch nicht gehandelt,
obwohl die Grünen mehrmals angekündigt haben, dassman handeln will. Ich kann ja einmal die Protokolle ausdem Ausschuss zur Verfügung stellen.Meine Damen und Herren, so geht es doch weiter. Seitdiesem Zeitpunkt sind praktisch keine Konsequenzenmehr gezogen worden. Offensichtlich ist es so, dass dieGrünen Krisen instrumentalisieren, aber nichts zur Lö-sung der Krisen beitragen.
Die Sozialdemokraten begleiten das mit einer Politik derruhigen Hand. Das tun sie nicht nur hier. Wenn wir überVerbraucherschutz reden, messen wir den Verbraucher-schutz bitte immer mit dem, was wir konkret tun. Verbrau-cherschutz, der nicht konkret und unbequem ist, ist keiner.Es geht auch bei der Landwirtschaft so. Aus der BSE-Krise heraus wird jetzt immer wieder etwas entwickelt.Neulich hat ein nordrhein-westfälischer Abgeordneter derSPD einmal etwas sehr Interessantes gesagt. Er hat gefor-dert, man möge die westfälische Landwirtschaft retten.Vor wem eigentlich? – Vor Frau Höhn und Herrn Clement,vor Frau Künast und Herrn Schröder, vor niemand anders,meine Damen und Herren.
Ich finde es schon eigenartig, dass man erst die nordrhein-westfälische Landwirtschaft in einen Abgrund stößt undsich dann als Sanitäter bezeichnet.Es ist wichtig, dass wir endlich wieder zur Verlässlich-keit der Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft bei-tragen und vernünftige Rahmenbedingungen entwickeln.Dann muss der Abgeordnete Scholz von der SPD dieLandwirtschaft in Westfalen vor niemandem retten, weilsie sich selbst entwickeln wird. Das ist das Entscheidendeund hierauf setzen die Landwirte.
Die Landwirte wollen, dass ein Dialog mit ihnen be-gonnen wird, aber die Ministerin verweigert den Dialogmit der Landwirtschaft.
Man stelle sich einmal vor, in der Wirtschaft würde je-mand den Dialog mit den Unternehmen und mit den Ge-werkschaften verweigern und dann über die Gestaltungvon Wirtschaftspolitik reden. Wir würden den alle nichternst nehmen. Leider muss man Frau Künast ernst neh-men, weil sie die Rahmenbedingungen für die deutscheLandwirtschaft ständig verschlechtert.
Frau Künast ist eine große Agrarlobbyistin, aber leider fürdie ausländische Agrarproduktion.
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Jella Teuchner20301
Das ist doch selbst beim Ökolandbau der Fall. Zwarwerden die Subventionen für den Ökolandbau dramatischund drastisch erhöht – das ist richtig –, aber auf der ande-ren Seite begünstigt Frau Künast eine Politik des Preis-dumpings bei den Ökoprodukten. Damit nimmt sie denÖkobauern das wieder weg, was sie ihnen auf der Sub-ventionsseite gibt.
Das ist eine Tatsache, mit der wir uns auseinander zu set-zen haben. Das halte ich für wichtig.Die Agrarpolitik von Frau Künast, der SPD und denGrünen trägt dazu bei, dass die wirtschaftliche Entwick-lung in Deutschland ständig zusätzlich geschwächt wird.Die ländlichen Räume können sich mit dieser agrarpoliti-schen Konzeption nicht so entwickeln, wie sie sich auf-grund der Voraussetzungen, die Landwirte in Deutschlandbieten, eigentlich entwickeln müssten.
– Natürlich ist das so. – Ihnen als Sozialdemokraten willich wenigstens Folgendes sagen: Herr Müntefering hat inder „Stuttgarter Zeitung“ gefordert, dass die Sozialdemo-kraten sich von der Agrarpolitik von Frau Künast abkeh-ren. Das hat er natürlich getan, damit die Bauern in dieserRepublik es lesen, aber die Sozialdemokraten bleiben hin-ter der Forderung von Herrn Müntefering zurück. Das istdie Wahrheit.
Handeln Sie doch einmal so, wie Sie es ankündigen! Wür-den Sie so handeln, wäre die Agrarpolitik besser gestellt.Die Landwirte in dieser Nation empfinden Frau Künastinzwischen als die eigentliche Belastung in der Agrar-politik.
Es geht manchmal gar nicht mehr
um Haushaltsansätze. Es geht vielmehr darum, dass FrauKünast eine grundsätzlich verkehrte Entwicklungskon-zeption für die ländlichen Räume und für die Agrarpolitikin Deutschland hat. Damit ist ein ganz schmerzlicher Pro-zess verbunden.Jetzt sagen Sie, wir sollten die 300 Millionen für dieRinder mästenden Landwirte nicht beantragen. Die Preisesind hier aber nach wie vor am Boden.
– Ich möchte einmal eines sagen: Frau Höfken hat inihrer Rede eben zum wiederholten Male gesagt, die Grü-nen und die SPD trügen im Grunde genommen dazu bei,dass die zweite Säule in der Agrarpolitik ausgebautwird. Nur, wenn Sie sich anschauen, wer die zweite Säulein der Agrarpolitik zurzeit finanziert, dann werden Siefeststellen, dass es sich um Baden-Württemberg, um Bay-ern, um Thüringen und um Sachsen handelt. Das sind al-les unionsregierte Länder.
Anstatt hier immer wieder von uns zu fordern, dazubeizutragen, die zweite Säule in der Agrarpolitik auszu-bauen, sollten Sie in rot-grün und rot regierten LändernIhre Schularbeiten machen. Wenn Sie das getan haben,werden Sie glaubwürdig und wir sprechen gemeinsamüber den Ausbau der zweiten Säule.
Sie haben die Agrarumweltprogramme zunichte gemacht.Sie haben bisher keine Agrarumweltprogramme ent-wickelt. Belehren Sie uns nicht, wenn Sie sich selbst be-lehren müssen, Frau Höfken. Diese Wahrheit muss auchin diesem Hause einmal ausgesprochen werden.
Nehmen Sie sich an Bayern, an Baden-Württemberg undan anderen ein Beispiel!Ich will noch etwas zu den 300 Millionen sagen. Ichfinde es ganz schlimm, dass man für Holzmann 300 Mil-lionen zur Verfügung gestellt hat, sich aber bei der Land-wirtschaft ständig auf einen Holzweg begibt und ihr die-jenigen Hilfen verweigert, die man anderen zu gebenbereit ist. Die Rindermäster stehen nach wie vor mit demRücken zur Wand. Sie hätten es verdient, dass die Politikhandelt. Übrigens, alle SPD-regierten Bundesländer stim-men mit uns in dieser Frage überein. Auch sie sind derAuffassung: Frau Künast und die Bundesregierung solltenendlich handeln.Der Bundeskanzler hat einmal davon gesprochen, dasses kein Recht auf Faulheit gibt. Wenn dem so ist, dann be-fleißigen Sie sich bitte auch, was die Hilfen für die Rin-dermäster in der Bundesrepublik Deutschland angeht. Ichfinde es schmählich, die Rindermäster im Regen stehen zulassen und die Bauern auch noch zu beschimpfen, wie dasteilweise bei Herrn Schröder und manchmal bei FrauKünast der Fall ist. Dieser ungerechten Politik von Ihnensagen wir den Kampf an.
Das Wort hatjetzt die Bundesministerin Renate Künast.Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab aufzwei vorherige Redebeiträge eingehen.Herr Ronsöhr, Sie haben in Ihrem Redebeitrag gesagt:Ein Verbraucherschutz, der nicht unbequem ist, ist keiner.Ihrem Redebeitrag habe ich entnommen: Ich bin unbe-
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Heinrich-Wilhelm Ronsöhr20302
quem. Anders ist das Engagement, das Sie in Ihrer Redean den Tag gelegt haben, nicht zu erklären.
– Was ich Ihnen sage, müssen Sie schon annehmen. Ir-gendwo schließt sich der Kreis Ihrer Argumentation.
Ich möchte etwas zu dem Teil Ihres Redebeitrags, HerrRonsöhr, sagen, in dem Sie auf Tiermehl und Tourismuseingegangen sind. Wir haben innerhalb der EU die höchs-ten Vernichtungskapazitäten, um das Tiermehl unschäd-lich zu machen. Möchten Sie, dass wir aufhören, Tiermehlaufzukaufen, um es hier zu vernichten? Möchten Sie, dassdas alte Tiermehl im EU-Binnenmarkt herumgefahrenwird, sodass man nicht weiß, ob es vielleicht verfüttertwird? Ich glaube, die Antwort ist Nein.
Herr Hollerith, sind Sie nunmehr zu einem Unterstüt-zer der Ökosteuer mutiert? Sie können nicht für die wei-tere Finanzierung von Biomasse eintreten, ohne gleich-zeitig zu sagen – in Ihrem Redebeitrag haben Sie diesesThema getrennt behandelt –, dass Sie sämtliche Aktivitä-ten im Bereich Biomasse, die durch die Einnahmen ausder Ökosteuer finanziert werden, ebenfalls gutheißen. Nureines von beiden geht, Herr Hollerith. Sie haben es vorhernicht verstanden, dort entsprechend zu fördern.
Sie haben nette Ausführungen zu den von mir vorge-nommenen Änderungen beim Wissenschaftlichen Bei-rat gemacht. Wissen Sie, um Sie auch damit zu erfreuen:Der alte Beirat ist 1996 von einem meiner Vorgängerhandverlesen installiert worden und bestand nur ausAgrarökonomen. Das habe ich bis heute nicht verstanden.Ich habe versucht, einen Teil des Gremiums neu zu beset-zen; alle bis auf einen aus diesem Wissenschaftlichen Bei-rat haben gesagt: Wir räumen unseren Posten; besetzenSie neu. Der Einzige, der sich öffentlich beschwert hat,war Professor Schmitz von der Universität Gießen. Ichkann Ihnen nicht ersparen, über ihn eine nette Anekdotezu erzählen. Er hat vor einer Woche ein Gutachten dazuvorgestellt, wie negativ der Einfluss wäre, wenn die deut-sche Landwirtschaft von heute auf morgen 75 Prozent we-niger Pflanzenschutzmittel einsetzen würde. Einige Jour-nalisten, die zugehört hatten und dann im Detailnachfragten, waren sehr verwundert, weil ProfessorSchmitz, nachdem er lange beschrieben hatte, wieschwierig alles für die Landwirtschaft werden würde, aufdie Frage: „Will das denn jemand?“ antwortete: Nein. –So viel zum Thema Wissenschaftlicher Beirat.
– Nein, das ist keine schwache Argumentation, das ist nurder Versuch, Ihnen etwas Humor beizubringen. Mancheswird nicht so heiß gegessen, wie es von einigen gekochtwird. Eigentlich dachte ich, dass zumindest der Aus-schussvorsitzende über viel Humor verfügt.
– Jetzt übernehmen Sie nicht die Witze vom SPD-Minis-ter a. D. Funke. Den mit dem Eisbein haben Sie geradefunktionalisiert. Übrigens kenne ich den auch schon.Wenn wir uns anschauen, meine Damen und Herren,was in diesem Haushalt vorliegt, müssen wir zu demSchluss kommen, dass entscheidende Weichen für denVerbraucherschutz neu gestellt wurden. Wir sind denAnforderungen der Verbraucher nachgekommen, Klarheitund Sicherheit in die Lebensmittelproduktion hereinzu-bringen, indem wir sie auf neue Füße gestellt haben.
Das heißt: Wir bringen die Landwirtschaft besser mit Um-welt-, Natur- und Tierschutz in Einklang und eröffnen da-mit neue Perspektiven für die Landwirte und die länd-lichen Räume. Schade, dass das nicht schon früherpassiert ist.
Wir richten die Landwirtschaft neu an den globalenRahmenbedingungen aus, die uns in Form von Globali-sierung, WTO-Runden und Erweiterung der Europä-ischen Union gegenübertreten. Der Sachverständigenratzur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick-lung, von dem Sie gerne ein Lob für Ihre Ideen hätten, hat– das ist insbesondere für die FDP interessant; da wird siewieder zittern und sich darüber ärgern – unserer Politikein gutes Zeugnis ausgestellt. Die so genannten fünf Wei-sen haben gesagt, dass wir mit der neuen Verbraucher-und Agrarpolitik auf dem richtigen Weg sind. Sie habengesagt, unsere Maßnahmen seien prinzipiell geeignet,verloren gegangenes Vertrauen in Landwirtschaft undAgrarpolitik wieder herzustellen.
Ich bin stolz auf diesen Satz, Herr Ronsöhr und HerrHeinrich, und zwar darum, weil es das erste Mal ist – Siekönnen die ganzen letzten Jahrzehnte durchgehen –, dassin einem Papier, basierend auf der Wirtschaftskompetenzder fünf Weisen, die Agrar- und Verbraucherschutzpolitikgelobt wird. Das haben Sie während Ihrer Regierungszeitnie erreicht. Dass Sie da nervös werden, verstehe ich.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Bundesministerin Renate Künast20303
Wir holen nun die Defizite der alten Agrarpolitik auf,die jahrzehntelang in die falsche Richtung gegangen ist.Wir sorgen für Qualität und dafür, dass auch die deutscheLandwirtschaft von dem weltweit boomenden Ökomarktprofitiert und nicht, wie in den vergangenen Jahrzehnten,dieses den Dänen und den Niederländern überlassen wird.Selbst das Fleischerhandwerk – mit dem sprach ich heutefrüh – macht jetzt eine große Kampagne für Bioprodukte.Man sagte mir dort, dass man daran bereits verdiene.
Wir rühren nicht, anders als Herr Ronsöhr, konzepti-onslos in der Politik herum, sondern stellen sie so ein, dasssie durch Expansion die Absatzmöglichkeiten auf demWeltmarkt nutzen kann.
Wir denken dabei insbesondere daran, dass die Steuer-zahler Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz sehen wol-len und nicht, wie ihre hart erarbeiteten Steuergelder imNachhinein für die Beseitigung von Umweltfolgen ver-wendet werden müssen. Der Haushaltsentwurf für dasnächste Jahr trägt deshalb
– nein, Herr Heinrich, lasse ich nicht zu, ich habe zu we-nig Zeit – die Handschrift „Weg in die Zukunft“.Aufgrund einer jahrzehntelang falschen Politik kam aufuns die BSE-Problematik zu; nun wird neu organisiert.Sie selbst haben in einigen Redebeiträgen schon gesagt,was dazugehört, und zwar das Bundesamt für Lebensmit-telsicherheit.
Dazu werden wir ab Anfang des Jahres mit dem Aufbaubeginnen. Wir richten außerdem ein Bundesinstitut für Ri-sikobewertung ein, in dem Wissenschaftler wirklich un-abhängig arbeiten können.
– Ach, wissen Sie, wir leben im Föderalismus. Daraufsind die Bayern immer stolz und sind beinhart, wenn ih-nen irgendjemand Kompetenzen wegnehmen will. ZumFöderalismus gehört auch die andere Seite, dass mannämlich aus seinem Landeshaushalt auch einmal Geld zurVerfügung stellt, und das ist gut so.
Das werden Sie wohl nicht kritisieren wollen.Wir meinen, es gehört mehr dazu. Dazu gehört auch,dass Verbraucher nicht nur passiv vom Staat geschütztwerden, sondern dass sie selber Werkzeuge bzw. Instru-mente in die Hand bekommen. Deshalb bringen wir einVerbraucherinformationsgesetz auf den Weg.Nun werden Sie sicherlich verstehen, dass ich nicht dasGesetz, sondern nur Eckpunkte des Gesetzes vorstelle.Der Gesetzentwurf ist aber fertig, Herr Heinrich. Auch in-sofern kann ich Sie beruhigen. Normalerweise geht mandamit in die Abstimmung und nicht vor die Bundespres-sekonferenz. Das läuft und bewegt sich also. Ich versteheallerdings, dass sich die FDP, die früher einmal für Bür-ger- und Menschenrechte eintrat, darüber ärgert, dass siedie Verbraucher als Rechtsträger und als Faktor in derWirtschaftspolitik nicht erkannt hat. Sonst hätten wir einsolches Gesetz schon seit Jahrzehnten.
Nun kommt es aber: Wir statten den BundesverbandVerbraucherzentrale in diesem Bereich mit mehr Geldaus. An institutioneller Förderung werden 8,75 Milli-onen Euro zur Verfügung gestellt. Ich weiß gar nicht, wasSie immer erzählen. Das Gespräch mit Edda Müller voreinigen Tagen hat dazu geführt, dass wir gemeinsame Pro-jekte planen. Dissens habe ich wenig gesehen.Wir wollen auch über das Stichwort Verbraucherschutzetwas für die Landwirtschaft tun. Produktion hat keinenSelbstzweck, sondern Produktion hat immer den Zweck,dass das betreffende Produkt von jemandem konsumiertwird. Deshalb müssen wir auf den Verbraucher abstellen.Daher wird auch ein respektvoller, verantwortungsvollerUmgang mit Blick auf die Verbraucher das sein, was Zu-kunftsperspektiven für die Landwirtschaft schafft. Dazugehört aus unserer Sicht auch der respektvolle Umgangmit Nutztieren. Dies haben wir als Erstes bei der Hen-nenhaltungsverordnung wahr gemacht.Herr Heinrich, Sie tun so, als gäbe es eine Art Stand-ortpflicht für die Legehenne. Als Sie geredet haben, habenSie sich irgendwie im Thema vertan. Sie hatten jahrzehn-telang die Möglichkeit, mit Ihren ungeheuren wirtschaft-lichen Kompetenzen dafür Sorge zu tragen, dass diegroßen, zum Teil Millionen von Legehennen haltendenBetriebe nicht abwandern. Es war zu Ihrer Zeit, als diegroßen Unternehmer nach Tschechien gegangen sind, wosie kurz hinter der Grenze Betriebe mit bis zu 1,8 Milli-onen Hennen gegründet haben. Es war zu Ihrer Zeit, alsman es nicht geschafft hat, die Wirtschaft dazu zu bringen,statt mit „Billig, billig“ für Qualität „Made in Germany“zu werben.
In diesem Bereich steuern wir jetzt systematisch um.Deshalb sorgen wir dafür, dass der Umgang mit den Le-gehennen in dieser Art und Weise ein Ende findet. Ichweiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich bin christlich erzogen.
Deshalb gibt es für mich einen Punkt, an dem ich sage: Dahört es auf! Da ist ein Umgang mit dem Mitgeschöpf Tiernicht mehr zu verantworten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Bundesministerin Renate Künast20304
Diese Umgestaltung verbinden wir mit einer finanziellenAbsicherung. Deshalb haben wir das „Bundesprogrammtiergerechte Haltungsverfahren“ aufgelegt, mit dem wirüber die Landwirtschaftliche Rentenbank günstige Kre-dite installieren. Selbst der Deutsche Bauernverband haterkannt, dass darin für die bäuerliche Landwirtschaft un-geheure Chancen liegen.Im Bereich Qualitätssicherung über das Prüfsiegel„QS“ oder auch im Bereich Biosiegel haben wir es endlichgeschafft, die Landwirtschaft mit der verarbeitenden Indu-strie und mit dem Lebensmitteleinzelhandel zu verbinden.
Wir haben geschafft, was viele vorher nicht geschafft ha-ben, dass sich nämlich der gesamte Lebensmitteleinzel-handel und die Lebensmittelindustrie an den Biosiegelnbeteiligen.
Wir werden es auch schaffen das Niveau der EG-Öko-Verordnung weiter zu erhöhen. Das Memorandum dazuist längst auf dem Weg nach Brüssel –,Ich habe mich gefragt, warum dieses Ministerium, daseigentlich für Ernährung zuständig ist, es über Jahrzehntehinweg nicht geschafft hat, die Wirtschaft im Ernährungs-bereich mit den Produzenten, also mit den Landwirten,zusammenzubringen. Als ich das erfuhr, war ich wirklichfassungslos. Wir haben sie zusammengebracht.
Es wird zu beiderseitigem Nutzen sein, und zwar für Jobsin der Landwirtschaft und für Arbeitsplätze in der Le-bensmittel verarbeitenden Industrie, sodass sich am Endeauch die Gewerkschaften darüber freuen können.Für diejenigen, die den internationalen Zusammen-hang noch nicht erkannt haben, werde ich erklären,warum das Prüfsiegel „QS“ im konventionellen Bereichkein staatliches, sondern ein privates sein wird. Ich weißnicht, ob Sie sich in diesem Zusammenhang schon einmalmit der WTO und mit dem Problem der Handelsbarrierenbeschäftigt haben.
Ein staatliches Siegel wäre an dieser Stelle nicht WTO-konform und innerhalb kürzester Zeit hinfällig. Wir habenim Rahmen des magischen Sechsecks alle Beteiligten zu-sammengebracht. Wir diskutieren noch über die Krite-rien; gerade heute fand dazu eine Debatte statt.
Das Ergebnis unserer Arbeit ist: Wir haben endlich alle,und zwar vom Stall bis zur Ladentheke, zusammenge-bracht. Wir haben die Zukunft für die Landwirtschaft ge-sichert und Arbeitsplätze im verarbeitenden Bereich ge-schaffen.
Wir werden den ländlichen Raum so stärken, dass alle aufdem Land eine Zukunft haben.Man kann eines sagen: Die neue Verbraucher- undAgrarpolitik findet zwischen den Polen WTO-Verhand-lungen, EU-Erweiterung und Verbraucherinteressen statt.Dabei geht es darum, den Tierschutz, den Umweltschutzund die Chancen der ärmeren Länder, die der Entwick-lungsländer, zu verbessern. Damit schaffen wir eines: Wirorganisieren die Zukunft der Landwirtschaft unter Wah-rung der Verbraucherinteressen. Genau das finden Sie imHaushaltsentwurf 2002 wieder.
Zu einer Kurz-
intervention erhält zunächst der Kollege Heinrich und
dann der Kollege Hollerith das Wort. Bitte.
Verehrte Frau Ministerin, ei-gentlich wollte ich nur eine Zwischenfrage stellen. Diehaben Sie aber leider nicht zugelassen.Sie haben den Eindruck erweckt, als wären wir gegenMöglichkeiten, Ökoprodukte zusätzlich auf den Markt zubringen. Genau das Gegenteil ist der Fall: Wir sind selbst-verständlich dafür, so viel wie möglich zu tun. Wir haltenes nur für einen gravierenden Fehler, dass Sie Ihre Politikausschließlich an den Ökobetrieben ausrichten und alleanderen Betriebe, die im internationalen Wettbewerb be-stehen müssen, in einer Art und Weise benachteiligen,dass sie im Wettbewerb nicht mehr bestehen können.
Lassen Sie mich noch etwas zum Verbraucherinforma-tionsgesetz sagen. Wenn der Gesetzentwurf wirklich fer-tig ist, warum haben Sie ihn dann nicht vorgelegt? Es istIhnen doch freigestellt, einen fertigen Gesetzentwurfvorzulegen, sodass wir darüber ordnungsgemäß diskutie-ren können. Sie haben stattdessen nur ganz vage Eck-punkte benannt, ohne Inhalte anzusprechen, und lassenalles andere beiseite, in der Hoffnung, dass der Gesetz-entwurf, wenn Sie ihn erst im nächsten Frühjahr vorlegen,nicht mehr verabschiedet wird, weil er dann nicht mehrdie parlamentarischen Hürden des Bundestages und desBundesrates nimmt.
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Bundesministerin Renate Künast20305
Nun zur Bedarfsdeckung bei den Eiern. Mit dem vonIhnen Gesagten haben Sie gezeigt, dass Sie die Konse-quenzen Ihres Handelns überhaupt noch nicht begriffenhaben. Denn mit dem, was Sie unternommen haben, wirdes zu verfassungsrechtlichen Urteilen dahin gehend kom-men, dass Sie dies so, wie von Ihnen geplant, nicht um-setzen können. Darauf können Sie sich gefasst machen.Den Vertrauensschutz, den jeder Unternehmer, der inves-tiert, haben muss, missbrauchen Sie. Sie werden eine ent-sprechende Klage vor dem Verfassungsgericht verlierenund werden eine entsprechende Entschädigung an die Be-troffenen zahlen müssen. Das ist so sicher wie das Amenin der Kirche. Für Betriebe, die 1999, 2000 und auch nochin diesem Jahr investiert haben und denen jetzt die Mög-lichkeit genommen wird, auch nach 2006 noch mit diesenEinrichtungen produzieren zu dürfen, bedeutet das einenEingriff in ihr Eigentum. Da wird es in Ihrem Hause nochgewaltig rumpeln.Herzlichen Dank.
Insgesamt
möchte ich auf Folgendes hinweisen: Kurzinterventionen
sind nicht dazu da, dass die Kollegen, die schon eine Rede
gehalten haben, in derselben Debatte einen weiteren
Redebeitrag leisten. Das im Rahmen der Kurzintervention
Gesagte muss sich schon konkret auf die Vorredner be-
ziehen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hollerith.
Frau Präsidentin, ich
nehme dies zur Kenntnis. Ich möchte jedoch der Ministe-
rin antworten, nachdem sie in ihrer Rede im Zusammen-
hang mit der Ökosteuer meinen Namen genannt hat.
Ich stelle fest, dass die rot-grüne Mehrheit bzw. die Bun-
desregierung die Ökosteuer auch auf regenerative Energien
erhebt und damit pro Jahr rund 600 Millionen DM ein-
nimmt. Jetzt ist sie dabei, von diesen Einnahmen aus der
auf regenerative Energien erhobenen Steuer 400 Milli-
onen DM für die Förderung dieser Maßnahmen wieder
zur Verfügung zu stellen. Dies ist einer der vielen Grund-
widersprüche dieser rot-grünen Mehrheit.
Jetzt bekommt
die Ministerin Gelegenheit, auf beide Kurzinterventionen
zu antworten.
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Hollerith,
der Unterschied in der Förderung regenerativer Ener-
gien liegt darin, dass die alte Regierung 18 Millionen DM
und die neue Regierung 540 Millionen DM dafür ausge-
geben hat. Das ist ein beachtlicher Unterschied.
Ich nehme meine Behauptung, Sie würden die Öko-
steuer komplett unterstützen, zurück. Ich stelle fest, dass
Sie die Ökosteuer nur insoweit unterstützen, als dass wir
sie bei der Förderung von regenerativen Energien einset-
zen. Das ist aber schon etwas. Damit robben wir uns lang-
sam an eine Komplettzustimmung heran.
Herrn Heinrich muss ich sagen: Es ist immer schön,
wenn mir jemand unterstellt, ich würde mich nur um
„Öko“ kümmern. Mittlerweile muss ich aber zum Thema
ökologischer Landbau nichts mehr sagen, weil sich alle
anderen an diesem Thema festgebissen haben.
Weiterhin sage ich: Ich bin für 100 Prozent der Land-
wirtschaft zuständig. Wir kümmern uns auch um die Zu-
kunft der gesamten Landwirtschaft. Natürlich will ich die
Gewichtungen verändern. Ich erlebe, dass bis in den
Deutschen Bauernverband hinein viele auf die Umstel-
lungsmöglichkeit „Öko“ aufspringen. In so mancher
Landwirtschaftskammer, wo es früher 20 Umstellungsbe-
ratungen gab, können wir erleben, dass dort jetzt 200 bis
300 Beratungen für die Umstellung auf den ökologischen
Landbau für konventionelle Bauern stattfinden.
Wir haben einen viel versprechenden Marktbereich ent-
deckt und entwickelt.
Ich merke, dass die Landjugend rechnet und erkennt, dass
es ein guter Absatzmarkt ist.
Bezüglich der Legehennen muss ich Sie kurz auf zwei
Punkte hinweisen. Die Geschichte des Verbraucherinfor-
mationsgesetzes wird genauso verlaufen wie die der Hen-
nenhaltungsverordnung: Es hat niemand daran geglaubt,
dass sie kommt; dann kam sie doch. Ich darf Ihnen hin-
sichtlich des Themas Hennenhaltungsverordnung weiter-
hin sagen, dass wir diese auch extern verfassungsrechtlich
geprüft haben. Die Verordnung ist gemäß dieser Prüfung
nicht zu beanstanden. Ich nehme allerdings aufgrund Ih-
rer langen Ausführungen mit Interesse zur Kenntnis, Herr
Heinrich, dass Sie lieber Legehennen in Käfigen sehen.
Das Wort hat
jetzt der Herr Abgeordnete Lippold.
FrauPräsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine ge-nerelle Vorbemerkung. Aus meiner Sicht geht die Bedeu-tung der Landwirtschaft weit über die volkswirtschaftli-chen Kennzahlen hinaus:
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Ulrich Heinrich20306
500 000 gut wirtschaftende Betriebe und 1 Million Be-schäftigte. Wenn man die Beschäftigten in der Ernäh-rungswirtschaft mit hinzu nimmt, die auf der Basis dieserLandwirtschaft in Deutschland arbeiten, sind das 4 Milli-onen Beschäftigte.
Lassen Sie mich hinzufügen: Im Bereich des Umwelt-schutzes, in dem wir viel gearbeitet haben, ist diese deut-sche Landwirtschaft generell wesentlich weiter als alleLandwirtschaften in Europa und erst recht weltweit. Wasdiese deutsche Landwirtschaft im Bereich Umweltschutztut, mag nicht hundertprozentig perfekt sein. Aber wir lie-gen weit vor allen anderen. Wir haben daher wesentlichhöhere Kosten, was uns wettbewerbsmäßig ungeheuerstark beeinträchtigt, weil die anderen diese Kosten desUmweltschutzes, die die deutsche Landwirtschaft trägt,nicht zu tragen haben.
Ich sage das, um der Legendenbildung in diesem Fallvorzubeugen. Denn, Frau Ministerin: So, wie Sie es imGreenpeace-Interview getan haben, kann man mit demBauern nicht umgehen. Dort haben Sie gesagt, das dieBauern für den Umweltschutz Geld bekommen, aber im-mer weiter zu viel Gülle auf das Feld kippen und Pestizidespritzen. Also weiter im Trippelschritt. Wörtlich sagtenSie:In Deutschland stecken wir jährlich 27 Milliar-den DM an Steuern in die Landwirtschaft. Und dafürbelasten viele Bauern die Böden und das Grundwas-ser durch Pestizide und die Gülle aus der Intensiv-tierhaltung. Sie füttern ihr Vieh mit Soja aus Brasi-lien, wo dafür der Urwald abgeholzt wird.
Wer die Situation so einseitig darstellt, Frau MinisterinKünast, verwirkt ganz einfach das Recht, zu sagen, er ver-trete 100 Prozent der Landwirtschaft. Sie nicht!
Ich sage ganz deutlich: Die Agrarwende, die Sie ein-geleitet haben wollen, ist ein Weg in die falsche Richtung.Wir haben Aussagen von Wissenschaftlern, die deutlichmachen, dass BSE-Krise und Lebensmittelverschmut-zung nichts mit der Form der konventionellen, umwelt-orientierten Landwirtschaft zu tun haben und keine Frageder Betriebsgröße sind. Das alles ignorieren Sie ganz sou-verän. Das kann nicht angehen, Frau Ministerin.Erstaunlich ist doch – das müssen wir hier einmal auf-arbeiten –, dass Ihre sozialdemokratischen Freunde undKollegen ein Jahr vor der Wahl entdecken, dass das of-fensichtlich nicht opportun ist, und dass Landwirtschafts-minister der SPD unter Federführung des SPD-General-sekretärs erkennen, dass diese Ökowende falsch ist
und man sich von ihr sowie von dieser Ministerin distan-zieren muss, damit man nicht nur von 3 Prozent, sondernvon 97 Prozent der Landwirte gewählt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei einem Teil IhrerWortbeiträge ist heute deutlich geworden, dass Sie nichteinmal mitbekommen haben, dass Ihre Vorturner schoneine Rückwende in die alte Agrarpolitik vorgenommenhaben, während Sie noch die Wende in die neue Agrarpo-litik befürworten. Machen Sie sich doch erst einmal kun-dig, was Ihre Wahlkampfopportunisten betreiben, bevorSie uns glauben machen, noch auf der richtigen Seite zusein. So geht es doch nicht!
In diesem Zusammenhang spreche ich natürlich ganzoffen den Verdacht aus, dass Sie das nicht aus Überzeu-gung tun, sondern deswegen, weil Sie in der Vergangen-heit festgestellt haben, dass die klare, durch nichts beein-trächtigte Haltung der Union eine andere Wirkung zeitigt.Um noch auf den fahrenden Zug zu springen, laufen Sieuns jetzt hinterher – nicht aus Überzeugung, sondern ausreinem Wahlkampfopportunismus.Erstaunlich ist ebenfalls, dass Ihre Landwirtschaftsmi-nister auf einmal den Begriff der Agrarfabrik als„Kampfvokabel“ bezeichnen. Wer hat eigentlich in die-sem Hause diese Kampfvokabel eingeführt? Das war IhrBundeskanzler. Jetzt aber erklären seine Minister, siekönnten diese Kampfvokabel nicht gebrauchen, sie werdeder Landwirtschaft und den in ihr arbeitenden Menschennicht gerecht und habe mit der BSE-Krise nichts zu tun.Nein, so geht es wirklich nicht! Nehmen Sie hier undheute das Wort von den Agrarfabriken zurück und sagenSie, dass sich der Kanzler – wie so oft – geirrt habe. Dannist es gut. Sonst aber können wir das nicht so im Raumestehen lassen.Früher haben Sie nationale Alleingänge gemacht.Nachdem ich Sie darauf hingewiesen habe, dass sie nichtsinnvoll seien, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit derdeutschen Landwirtschaft beeinträchtigten, haben Sie mirvorgeworfen, ich verstünde die neue Wende nicht undließe mich nicht genug auf Umweltschutz ein. Was sagenIhre Agrarminister jetzt? Man könne das alles nur ma-chen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der deutschenLandwirtschaft erhalten bleibe. Recht haben sie; aber esist Heuchelei und Wahlkampfopportunismus, während esbei uns eine ganz klare Linie war, die wir über lange Zeitvertreten haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sienun im Leitantrag der SPD zur grünen Gentechnik da-von sprechen, dass man einen großflächigen Anbau vongentechnisch veränderten Pflanzen wolle, dann wundereich mich schon.
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Dr. Klaus W. Lippold
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Das haben wir hier schon anders gehört. Auch hier kommtjetzt zum Ausdruck, dass Sie sich von Ihrer alten Haltungdistanzieren.Frau Künast, ich muss auch folgenden Sachverhalt hiernoch einmal festhalten: Sie sind ja mit viel Scheinelan inIhr Amt gestartet. In jeder Veranstaltung haben Sie mar-kige Worte für das gefunden, was Sie alles verändern wol-len. Geblieben ist davon, Frau Ministerin, nichts. BeiTiermehl und Tierfetten wollten Sie gegen die EU anren-nen. Die EU ist stehen geblieben und Sie sind mit einerBeule zurückgekommen. Das hat natürlich dazu geführt,dass die Glaubwürdigkeit Ihrer Politik in diesem Landunendlich gelitten hat. Wir haben keine vernünftige undstetige Verbraucherschutzpolitik und auch keine vernünf-tige und stetige Landwirtschaftspolitik gehabt, weil Siemit Ankündigungen und nicht mit Inhalten gearbeitethaben.
Das letzte Beispiel haben Sie gerade eben geliefert. Ichhabe nie eine schwächere Ausrede als das gehört, was Siezu den Eckpunkten des Informationsgesetzes gesagt ha-ben. Verehrte Frau Ministerin, wer das Gesetz fertig in derSchublade hat, stellt das Gesetz und nicht ein paarschwächliche Eckpunkte vor und hätte zumindest die Ab-stimmung mit den anderen Ressorts hinter sich gebracht.All dies ist ganz offensichtlich nicht erfolgt. Sie habenpraktisch zugegeben, dass Sie über neun Monate langnichts gemacht haben und wollen jetzt eine Aktivität vor-täuschen. Aber der Kollege Heinrich und ich lassen Ihnendas nicht durchgehen. Hier wird nichts vorgetäuscht. Ent-weder wird konkret gehandelt oder wir sagen Ihnen, dassSie Handlungen nur vortäuschen. Das hilft uns aber nichtweiter.
Ich will in aller Deutlichkeit hinzufügen: Mit diesemInformationsgesetz werfen sie gleich wieder eine Füllevon Fragen auf. Sie werden sicherlich mit Herrn Müllernoch diskutieren müssen, ob Sie – gegenüber wirtschaf-tenden Betrieben tun Sie dies – einfach Verdächtigungenin den Raum stellen und die Verdachtsschwelle absenkenkönnen. Das möchte ich mit Fug und Recht infrage stel-len. Sie können natürlich davon ausgehen, dass der Kol-lege Müller als Wirtschaftsminister nichts mehr zu sagenhat. Er wird also kritisieren, diese Kritik aber nicht durch-setzen können. Darauf können Sie sich unter Umständenverlassen. Trotzdem wird dieser Nachteil für die Wirt-schaft und die wirtschaftenden Betriebe natürlich beste-hen bleiben. Das müssen wir ganz deutlich ansprechen.Früher haben Sie davon gesprochen, dass Sie die Auf-gaben, die sich unter anderem aus Ihren Kompetenzen derVerbraucherschutzgesetzgebung ergeben, in IhremHause bündeln wollen. Ich entnehme der Presse, dass Siedavon Abstand genommen haben. Weitestgehende Berei-che bleiben in anderen Ministerien. Wie das koordiniertwerden soll, lassen Sie offen.
Jedenfalls kann aufgrund der bisherigen Vorlagen nichtangenommen werden, dass Sie zu einer in sich geschlos-senen Konzeption finden oder eine solche vorstellen wer-den. Ich sage das so deutlich, weil das bedauerlich ist. Indiesem Bereich haben wir wesentlich mehr von Ihnen er-wartet.Frau Ministerin, ein ganz wesentlicher Punkt ist, dassSie beim Gesundheitsschutz genauso wenig geleistet ha-ben. Bereits zu Anfang habe ich erwähnt, dass Sie sich inder EU entgegen Ihren Ankündigungen nicht durchge-setzt haben. Nach wie vor können verunreinigte Lebens-mittel in der Bundesrepublik Deutschland auf den Marktkommen, weil es in der EU keine einheitliche Regelunggibt. Deshalb sind die Verbraucher in der Bundesrepubliknicht so geschützt, wie wir es aufgrund unserer Vorstel-lung von vorbeugendem Gesundheitsschutz gern hätten.
Sie haben eine Fehlinformation gegeben; denn Sie habendiesen Schutz nicht herbeigeführt. Frau Ministerin, esnützt nichts, dass Sie sagen, dass in der BundesrepublikDeutschland etwas gemacht wird, während dies gleich-zeitig in Europa nicht der Fall ist. Früher gab es im Ge-gensatz zu heute keinen Binnenmarkt. Unsere Verbrau-cher sind nicht in dem Maße gesundheitlich geschützt,wie Sie es gesagt haben, wenn es möglich ist, dass Pro-dukte, die unseren Anforderungen nicht entsprechen, auf-grund des Binnenmarkts nach Deutschland kommen.
Es gibt eigentlich nur einen Punkt, auf den man deut-lich zu sprechen kommen muss: Neben der Tatsache, dassSie Handlungen angekündigt, aber nicht durchgesetzt ha-ben, muss auch erwähnt werden, dass Sie die Kriterien,nach denen Sie urteilen, einfach herabsetzen, wenn Sie er-kennen, dass das eine oder andere eben nicht durchgesetztwerden kann.Ein Beispiel dafür ist das Ökosiegel. Erst haben Siegroße Töne gespuckt. Dann haben Sie festgestellt, dassSie das nicht durchsetzen können. Danach wurden dieKriterien dieses Ökosiegels deutlich abgesenkt. Es stelltjetzt keine höheren Anforderungen mehr als das Siegel,das es in der EU bereits gibt. Natürlich können Sie alleProdukte zu Ökoprodukten machen, wenn Sie die Krite-rien entsprechend absenken. Dadurch erreichen Sie sogarüber 20 Prozent. Frau Ministerin, inhaltlich ändert dasaber überhaupt nichts.Deshalb bin ich dafür, dass wir von dieser Sprechbla-senpolitik wegkommen. Ich bin auch dafür, dass sich dieSPD offen und ehrlich inhaltlich von Ihnen trennt. Daswürde natürlich auch bedeuten, dass ein anderer auf IhremStuhl Platz nimmt. Der Letzte, der Landwirtschaftspolitikin diesem Hause gemacht hat, ist so davongeschlagenworden, dass die Funken nur so gestoben haben. Das istdoch der Punkt.
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Dr. Klaus W. Lippold
20308
Er hat damals gesagt, dass die Anforderungen niedriggehalten werden sollen. Danach ist er abgemeiert worden.Dann kamen Sie mit den flotten Sprüchen. Jetzt ist es ander Zeit, dass die flotten Sprüche gehen und die solidenLeute, die aus diesem Ministerium wirklich etwas ma-chen, kommen. Der Verbraucher in der Bundesrepublikhat es verdient.Herzlichen Dank.
Bevor ich den
nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen – vielleicht
haben das einige nicht mitbekommen – nur noch einmal
sagen, dass statt der ursprünglich angekündigten nament-
lichen Abstimmung eine einfache Abstimmung durchge-
führt wird.
Als letzter Redner vor der Abstimmung hat jetzt der
Abgeordnete Heino Wiese das Wort.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmalmöchte ich ein paar Dinge richtig stellen. Eine ganzeReihe dessen, was Herr Lippold eben erzählt hat, ist zukorrigieren.Erstens. Wenn Sie den Beschluss des Parteitages derSPD richtig gelesen hätten, hätten Sie das Wort„großflächiger Anbau“ nicht gefunden. So, wie Sie es dar-stellen, ist es einfach falsch. Es steht nicht in unserem Be-schluss.
Zweitens. Sie erzählen – ich gehöre zufällig der Kom-mission an, die dieses Programm mit entwickelt hat –,Herr Müntefering habe gesagt, wir kritisierten die Politikder Regierung und brauchten ein eigenes Programm. Dasist falsch. Ich will einmal sagen, wie das bei Ihnen aus-sieht: Sie haben zwei Lager; in dem einen Lager sind die-jenigen, die Frau Merkel folgen, in dem anderen Lagerdiejenigen, die Herrn Stoiber folgen. Sie wollen dochauch eigene Profile in allen Bereichen der Partei ent-wickeln. So wollen wir in der Regierung auch eigene Pro-file entwickeln.
Wir wollen ein sozialdemokratisches Profil in die Agrar-politik der Regierung einbringen.
Wenn ich höre, dass Sie etwas gegen die Agrarwendehaben, dann ist das für mich ganz normal. Wenn Sie nichtsdagegen hätten, dann würden wir irgendetwas falsch ma-chen; dann würden wir nämlich das weitermachen, wasSie vorher gemacht haben.
Sie sagten eben imZusammenhangmit demRisikoma-terial,wirwürden nicht genügend beim vorsorgendenVer-braucherschutz tun. Vor einem halben Jahr sind wir hiernochverprügeltworden,weilwirbei denRisikomaterialienüberreagierenwürden.Heute sagenSie,wir täten zuwenig.Für irgendetwas müssen Sie sich schon entscheiden.
– Es tut mir sehr Leid, Herr Carstensen. Wenn Ihre Frak-tion Sie nicht als Redner für den heutigen Tag aufgestellthat, dann werde auch ich Ihnen jetzt nicht eine Plattformbieten.
Jeder Haushalt steht unter zwei Prämissen: das, wasman will, und das, was man kann.
– So ähnlich ist es. – Die Opposition hat es da leicht: Siemuss nur sagen, was sie will. Für das, was man kann, sindwir schließlich da.
Wenn aber von der Opposition gesagt wird, wir tätennicht genügend für die Landwirtschaft, so kann ich demnur entgegenhalten: In Ihrer Regierungszeit wurden inden Jahren von 1994 bis 1998 die Ausgaben im Einzel-plan 10 um 13,4 Prozent gesenkt. Wir haben für 2002– wenn man die fehlenden Einnahmen aus dem Agrardie-sel einrechnet – die gleiche Summe zur Verfügung, die Sie1998 in den Haushalt eingestellt haben,
und das trotz unserer Sparmaßnahmen. Warum wir einesolche Sparpolitik machen müssen, das wissen Sie alleauch: Wir haben nämlich 1,5 Billionen DM Schulden ge-erbt. Jetzt müssen wir dagegenhalten und einen Spar-haushalt fahren. Trotzdem haben wir die Gesamtausgabenim Vergleich zu 1998 real nicht gesenkt.Wenn man die EU-Marktordnungsausgaben dazurech-net, dann kommt man auf einen Betrag von rund 24 Mil-liarden DM, der 2002 in die deutsche Landwirtschaftfließt.
– Das ist nicht wahr? Warum? Sind es etwa 27 Milliar-den DM?
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Dr. Klaus W. Lippold
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– Natürlich stimmt das. Es fließen also 24 Milliarden DMin die deutsche Landwirtschaft. Ich finde, das ist ein stol-zer Betrag. Darin sind die Ausgaben der Bundesländernoch gar nicht eingerechnet.Von Ihnen in der Opposition wird immer behauptet– das haben Sie auch schon zu Zeiten von Karl-HeinzFunke gesagt –, durch unsere Politik würde das große Hö-festerben in Deutschland verursacht. In der Zeit der Re-gierung Kohl gab es 1984 in der damaligen Bundesrepu-blik noch 436 000 Haupterwerbslandwirte. 1997 waren esnoch 210 000. Allerdings waren inzwischen einige tau-send Betriebe durch die Wiedervereinigung hinzugekom-men. Das heißt, in 13 Jahren Ihrer Regierung hat sich dieZahl der Landwirte mehr als halbiert, und das, obwohl Sieimmer die Wahrung der bäuerlichen Landwirtschaft imMunde führen. Sie sollten diesbezüglich keine großeLippe mehr riskieren, finde ich.
Insgesamt gibt es in Deutschland inklusive der Neben-erwerbslandwirte 440 000 Höfe. Wenn ich jetzt einfachdie 24 Milliarden DM auf die 440 000 Höfe verteilenwürde, dann bedeutete das durchschnittlich rund55 000 DM an öffentlichen Geldern pro Hof, und zwaregal, ob groß oder klein. Verteilt auf die Haupterwerbsbe-triebe wären das über 100 000 DM pro Betrieb. Wenn wiralso so viel an Steuergeldern für die Landwirtschaft aus-geben und es den Landwirten noch immer schlecht geht,muss es einen Systemfehler geben.
Allein aus diesen Gründen war die Agrarwende not-wendig.
Erlauben Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?
Nein. – Es ist idio-tisch, eine Prämie für Futtermais zu zahlen, diesen dannin der Bullenmast zu verfüttern, um dann wieder Prämienzu zahlen, damit das Rindfleisch in einem so genanntenMarktentlastungsprogramm vernichtet wird. Dafür sindSteuergelder zu schade.
Es ist eben ein Irrweg, durch Zuschüsse immer intensiverzu produzieren, um dann die Produkte mit Steuergeldernzu vernichten. Ich kann aber jeden Bauern verstehen, deraus betriebswirtschaftlichen Gründen bei diesem Systemmitmacht.
Aber Steuergelder sollen dazu dienen, zu steuern, undnicht dazu, Ressourcen zu vernichten.
Was heißt in diesem Zusammenhang Agrarwende?Mir ist es wichtiger, aus der zweiten Säule der Agrarpoli-tik Gelder für die Erhaltung eines Dorfladens auszugeben,als die Überproduktion in der Landwirtschaft zu finanzie-ren. Mir ist es wichtiger, Gelder für den Vertragsnatur-schutz auszugeben, als noch größere Produktivität zu sub-ventionieren.
– Ich habe es schon einmal gesagt: Wenn Sie sich so är-gern, müssen wir etwas richtig machen.
In diesem Zusammenhang ist der Einstieg in die Mo-dulation wichtig. Wir sollten das Geld viel stärker füreine Verbesserung der Infrastruktur im ländlichen Raumund für den Schutz der Kulturlandschaften ausgeben. Derländliche Raum muss lebenswert bleiben. Die landwirt-schaftliche Produktion muss sich künftig viel stärker überden Markt regeln. Ich glaube auch, dass das geht. Vielejunge, gut ausgebildete und engagierte Landwirte würdengern auf die Zuschüsse verzichten, wenn sie dadurch nichtWettbewerbsnachteilen ausgesetzt wären.
Ich glaube, dass wir im Hinblick auf die Agenda 2007noch sehr viel darüber nachdenken müssen, wie wir un-sere Landwirtschaft zukunftssicher machen und das Le-ben auf dem Land attraktiver gestalten können.
Dafür wäre es sehr hilfreich, wenn die Verbände, insbe-sondere der Bauernverband, nicht nur Blockadepolitikund Besitzstandswahrung propagierten, sondern ihrenSachverstand konstruktiv in eine Zukunftsplanung ein-bringen würden.
Ein wichtiges Instrument, um neue Ideen zu sammelnund in der Praxis zu erproben, sind die für das nächste Jahrgeplanten Modellregionen. Die 25 Millionen Euro, dieim Haushalt dafür vorgesehen sind, sind gut angelegt. Wiewir feststellen, ist das Angebot sehr gut angenommenworden. Die große Zahl von Bewerbungen lässt daraufhoffen, dass wir viele neue Ansätze zur Entwicklung derländlichen Räume erwarten können.Wir werden all diese Erfahrungen nutzen müssen, umdie Agrarwende im Sinne der Verbraucherinnen und Ver-braucher und im Sinne der Menschen im ländlichen Raumumzusetzen. Wer aber glaubt, dies ließe sich in ein paarMonaten bewerkstelligen, der irrt sich. Als Willy Brandt
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Heino Wiese
20310
1961 sagte, er wolle dafür arbeiten, dass der Himmel überder Ruhr wieder blau werden solle, haben ihn die Ver-bände und die anderen Parteien für verrückt erklärt.Heute, 40 Jahre später, wissen wir alle: Es ist gelungen.
Es hat aber viel Energie und Geld gekostet. Vor einerähnlich großen Herausforderung stehen wir auch heute.Mit dem Haushalt 2002 haben wir den ersten kleinenSchritt gemacht.Danke schön.
Ich danke auch
und schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen zu Einzelplan 10,
und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen. Wie ge-
sagt: Statt der angekündigten namentliche Abstimmung
gibt es eine ganz normale Abstimmung.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7585. Wer stimmt
dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt
worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/7586. Wer stimmt
dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch dieser
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition ab-
gelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7658. Wer stimmt da-
für? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP, Drucksache 14/7659. Wer stimmt dafür? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7660. Wer stimmt da-
für? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/7661. Wer stimmt da-
für? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung
der CDU/CSU abgelehnt worden.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/7674. Wer stimmt da-
für? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Einzelplan 10 in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Der
Einzelplan 10 ist mit den Stimmen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, FDP und PDS angenommen worden.
Ich rufe den Punkt I. 27 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
– Drucksachen 14/7314, 14/7321 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Dr. Michael Luther
Franziska Eichstädt-Bohlig
Jürgen Koppelin
Dr. Barbara Höll
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich sehe
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Michael Luther.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einem Jahrhaben wir den Haushalt 2001 der damaligen Bundesge-sundheitsministerin Andrea Fischer beraten. Sie musstegehen. Sie ist über die BSE-Krise gestolpert. Ich glaubeaber, dass dem Kanzler dieser Anlass ganz recht war; denneigentlich ging es um etwas anderes: Frau Fischer ist anihrer Gesundheitspolitik gescheitert.
Sie steuerte das deutsche Gesundheitssystem in einChaos. Ärzte, Patienten, Krankenhäuser standen deutsch-landweit Kopf. Das passte unserem Medienkanzler natür-lich nicht. Festzustellen ist: Frau Fischer führte das deut-sche Gesundheitssystem an den Rand des Abgrunds.Heute sind wir einen Schritt weiter.
Seit knapp einem Jahr heißt die GesundheitsministerinUlla Schmidt. Was ist anders? Was ist besser geworden?Eines ist sicher: Über den gesundheitlichen Verbraucher-schutz kann sie nicht mehr stolpern; denn dieses Ressortist ausgelagert worden. Frau Schmidt hat in Anbetrachtder Ursache der Aufregung gehandelt. Sie hat nämlich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Heino Wiese
20311
zuerst versucht, Ärzte und Patienten zu beruhigen. Das istihr zum Beispiel mit der Aufhebung des Arznei- undHeilmittelbudgets ein Stück weit gelungen. Das ist abereine reine Beruhigungsmaßnahme, mit der das Ziel ver-folgt wird, über die Bundestagswahl 2002 zu kommen.Die Folgen dieser Politik sind schon heute zu spüren:Es gibt eine Kostenexplosion und die Beitragssätze in dergesetzlichen Krankenversicherung steigen. Die ange-strebte kurzfristige Frontberuhigung schafft nachhaltigeProbleme für das Gesundheitssystem. Defizite sind dieFolge. Es besteht die Gefahr einer Zweiklassenmedizin.Das Schlimmste ist: Damit ist die Chance, die eigentlichhätte genutzt werden sollen, verpasst worden, eine Ge-sundheitsreform durchzuführen, die ihren Namen auchverdient.Wir brauchen im Interesse von Ärzten, Patienten, Ar-beitnehmern und Arbeitgebern sowie im Sinne der Siche-rung unseres Gesundheitswesens und für die sozialeMarktwirtschaft eine wirkliche Gesundheitsreform.Eine solche Reform hat uns Ulla Schmidt bislang ver-weigert.
Vielleicht – ich möchte das nicht unterstellen – kann siees auch nicht. Einen Beleg für das Versagen der Ministe-rin habe ich im Bundeshaushalt gefunden, und zwar beidem Ansatz für die Öffentlichkeitsarbeit. Er hat einenAufwuchs um 4 Prozent erfahren. Die Mittel für die Öf-fentlichkeitsarbeit dienen im Allgemeinen dazu, dass manetwas Neues bekannt macht. Aber wenn man keine Ge-sundheitsreform durchführt, dann braucht man auch keineMittel für die Öffentlichkeitsarbeit. Ich kann Herrn Eichelalso vorschlagen: Hier können Sie einsparen. Denn – ichsage das ganz klar – Stillstand muss man nicht öffentlichvermitteln.
Um eventuellen Fehlentwicklungen vorzubeugen,sollte man vielleicht den Bundesrechnungshof auffor-dern, aufzupassen, dass nicht etwa der Wahlkampf überden Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums finan-ziert wird. Der Wahlkampf muss nämlich von den Par-teien finanziert werden.Lassen Sie mich zu den Eckdaten des Haushaltesdes Bundesgesundheitsministeriums kommen. 2001 um-fasste der Haushalt ein Volumen von 907 Millionen Euro.2002 sind es 1 389 Millionen Euro. Dieser Zuwachs lässtsich allerdings allein durch den Zuschuss an die Pflege-kassen – es handelt sich um 562 Millionen Euro – be-gründen, der schon seit langem vereinbart ist. Wenn mandas berücksichtigt, dann stellt man fest, dass es einenRückgang von 9 Prozent gibt. Ich habe mir die Frage ge-stellt, wie sich diese minus 9 Prozent im Haushalt aus-wirken. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Bei den Pro-grammausgaben, also dort, wo die Ministerin gestaltenkann – das betrifft zum Beispiel die Mittel für die Dro-genaufklärung sowie für die Behandlung von Aids- undKrebskranken, chronisch Kranken, Behinderten, Pflege-bedürftigen und psychisch Kranken –, geht der Haushaltinsgesamt um 12 Prozent zurück, während er bei denAusgaben für die Öffentlichkeitsarbeit, wie gesagt, einPlus von 4 Prozent aufweist.Ich habe im Finanzbericht 2002 insbesondere das ge-lesen, was dort über die Ausgaben des Bundes und dasGesundheitswesen steht. Es werden in diesem Bericht– richtigerweise – zwei Themen in den Vordergrund ge-stellt. Das erste Thema, dem der meiste Platz eingeräumtwird, ist das Thema Aids. Festgestellt wird, dass Aidsnach wie vor nicht heilbar ist. Momentan sind nur lebens-verlängernde Maßnahmen für Aidskranke möglich. DasRobert-Koch-Institut attestiert, dass es jährlich etwa2 000 HIV-Neuinfektionen gibt. Deshalb – das wird auchin dem Finanzbericht festgestellt – muss dieses ThemaSchwerpunkt bleiben, und zwar sowohl bei der Forschungals auch bei der Aufklärung. Wir, die Union, haben ver-sucht, hier einen Schwerpunkt zu setzen. Sie haben dasletztendlich abgelehnt. So muss ich feststellen: Für dieBundesgesundheitsministerin ist dieses Thema offen-sichtlich kein Schwerpunkt.Das zweite Thema des Finanzberichts ist das ThemaInfektionskrankheiten. Es wird festgestellt: Infektions-krankheiten sind weltweit die häufigste Krankheits- undTodesursache. Zu diesen Krankheiten gehören auch wie-der Diphtherie und Tuberkulose, die man schon für aus-gerottet gehalten hatte. Es gibt aber auch Krankheiten wiezum Beispiel die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit – das istinfolge der BSE-Krise deutlich geworden – oder neue Va-rianten der Hepatitis-C-Infektion, die nicht in ausreichen-dem Maße erforscht sind.Bei dem, was wir nach dem 11. September erlebt ha-ben, müssen wir im Sinne der Antiterrorbekämpfung wis-sen, dass es die Möglichkeiten biologischer Kampfstoffegibt, zum Beispiel Milzbrand, Marburg-, Ebola-, Lassa-viren, Pocken. Bei Pocken haben Sie etwas getan. Sie ha-ben Pockenimpfstoff angekauft. Ich finde das an dieserStelle auch richtig. Aber wenn man dieses Feld insgesamtbetrachtet, sieht man auf der einen Seite die Aussage desFinanzberichts, dass ein großer Forschungsbedarf be-steht, und auf der anderen Seite im Haushalt ein Plus von51 000 Euro. Toll!
Zum Bereich Drogen: „Cannabis und Designerdrogenwerden bei Jugendlichen in Deutschland immer belieb-ter.“ Der Konsum illegaler Substanzen gewinne an ge-sellschaftlicher Akzeptanz – so kürzlich der Vorsitzendedes Fachverbandes Drogen und Rauschmittel, ThomasBader, zum Auftakt des 24. Bundesdrogenkongresses inLeipzig.Die Folgerung daraus: Eigentlich müsste die Gesund-heitsministerin hier auch einen Schwerpunkt setzen, näm-lich gerade im Bereich der Aufklärung. Wer mit Jugend-lichen zu tun hat, wer mit ihnen redet, wird erschrecktfeststellen, wie locker man mit diesem Thema umgeht:Mir wird schon nichts passieren; in der Disco ist es ja keinProblem. – Das heißt, das Thema und die Gefährlichkeitwerden nicht ernst genug genommen. Das Thema müsstevon uns, vom Deutschen Bundestag, von der Regierung
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Dr. Michael Luther20312
ernster genommen werden. Aber die entsprechenden Pro-grammansätze im Bundeshaushalt sind nicht zu finden.Das finde ich schade.
Lassen Sie eine
Zwischenfrage Ihrer Kollegin zu?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Drogenbeauf-
tragte der Bundesregierung bei dem Kongress in Leipzig
anwesend war, dass wir gemeinsam diskutiert haben und
dass wir vor allen Dingen neue Schwerpunkte gemeinsam
erarbeitet haben?
Sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass gerade in diesem Bereich neue Personalstellen ge-
schaffen wurden, weil wir den uralten Rauschgift-
bekämpfungsplan der alten Regierung zu einem moder-
nen Aktionsplan „Drogen und Sucht“ überarbeiten?
Das ist mir sehrwohl bekannt. Sie haben einen entsprechenden Titel imBundeshaushalt bekommen. Ich würde mir auch wün-schen, dass diese Aufgabe ernst genommen wird. Ich habemir einmal den Tätigkeitsbericht der Drogenbeauftragtenvom letzten Jahr angesehen. Man kann an zwei Händenabzählen, welche Aktivitäten öffentlich bekannt gewor-den sind. Sie waren meistens in Berlin. Darum meine ich,dass hier viel mehr geleistet werden muss. Aber eines istsicher – über mehr habe ich überhaupt nicht geredet –: DieTitel, die Sie benötigen, um entsprechend Aufklärungs-arbeit zu betreiben, sind nicht ausreichend im Haushalt zufinden. Nur darüber habe ich geredet.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zu ei-nem weiteren Thema kommen. In der „Leipziger Volks-zeitung“ stand vor nicht allzu langer Zeit: „Dem Freistaatgehen die Landärzte aus.“ Das ist ein schwieriges Themain den neuen Bundesländern, nicht nur in Sachsen. Was istdie Ursache dafür? Viele Allgemeinärzte haben sich nachder Wende niedergelassen. Sie waren damals 40, 45,50 Jahre alt. Zehn, 15, 20 Jahre später gehen sie in Rente.Das beginnt jetzt. Sie finden keine Nachfolger. Warum?Weil die Bedingungen für die Mediziner und die Ho-norarsituation schlecht sind. Auch in den alten Bundes-ländern fehlen mittlerweile Allgemeinärzte.Die jungen Ärzte im Osten nehmen natürlich das bes-sere Angebot wahr und wandern in den Westen, mit derFolge, dass wir in den neuen Bundesländern strukturelleProbleme bekommen. Hier muss dringend gehandelt wer-den. Ich meine, dass hier seitens des Bundesgesundheits-ministeriums zu wenig getan wird. Es gibt zwar dasWohnortprinzip, das letztendlich die Finanzierung derKassenärztlichen Vereinigungen verbessert, aber das ist inkeiner Weise ausreichend. Deshalb fordere ich uns alleauf, gerade an dieser Stelle mehr zu tun. Wir müssen die-ses Problem unbedingt ernst nehmen.
Ich will zu einem letzten Problem im Haushalt kom-men, nämlich dem Personal. Durch das Antiterrorpaketwurde auch das Bundesministerium für Gesundheit besserausgestattet. 61 Stellen sind hier vorgesehen worden. Inder ersten Planung war vorgesehen, dass diese 61 Stellenin den nachgeordneten Einrichtungen platziert werden.Fünf Stellen sollten im Paul-Ehrlich-Institut angesiedeltwerden, das unter anderem die Aufgabe hat, die Koordi-nation von Maßnahmen zur Risikovorsorge und Gefah-renabwehr sicherzustellen. 56 Stellen waren ursprünglichbeim Robert-Koch-Institut geplant. Ihnen waren Aufga-ben wie die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten undepidemiologische Untersuchungen zugeordnet. Ich haltedas für eine richtige Maßnahme, denn nach dem 11. Sep-tember müssen wir diese Gefahren ernst nehmen. Wirmüssen die Institute, die die Aufgabe haben, Vorsorge so-wie Aussagen zu Gefährdungen zu treffen, entsprechendstärken. Da es hierbei im Wesentlichen um Aufgaben derwissenschaftlichen Forschung geht, müssen diese Instituteinsbesondere personell gestärkt werden.Zu meiner Überraschung wurde in der Bereinigungs-sitzung eine andere Planung vorgelegt. Es waren immernoch 61 Stellen vorgesehen, aber nicht mehr 56 Stellenbeim Robert-Koch-Institut. Dafür waren nur noch 45 Stel-len ausgewiesen. 11 Stellen sind jetzt plötzlich beim Mi-nisterium direkt gelandet. Dazu fällt mir folgender Satzein: Wer eine Krise nicht nutzt, um sein Personalbudgetaufzustocken, ist selbst daran schuld. Ich halte das aller-dings für unredlich, weil man diese Personalkapazitätengenau denjenigen Institutionen wegnimmt, die sie unbe-dingt brauchen.Ich füge noch eines hinzu. Für die 45 Stellen imRobert-Koch-Institut sind im Personalplan 345 000 Euroeingestellt. Rechne ich das auf 12 Monate und die Be-schäftigten um, ergibt sich ein Wert von 694 Euro. Für die11 Stellen im Bundesministerium sind 937 000 Euro ein-gestellt. Rechne ich diesen Betrag in gleicher Weise um,ergibt sich ein Betrag von 7 098 Euro. Was heißt das? –Die Stellen im Bundesministerium können im Januar be-setzt werden, während die Stellen beim Robert-Koch-In-stitut frühestens ab September besetzt werden können.Das zeigt ganz deutlich, dass diese Politik darauf abzielt,erst einmal den eigenen Bauch zu füllen, statt die Vorsorgezu treffen, die in den nachgeordneten Instituten unbedingtnotwendig ist. Ich halte das schlicht für eine verfehltePolitik.
Meine Damen und Herren, ich will meine Rede mit fol-gender resümierenden Bemerkung schließen: Im letztenJahr hatten wir eine grüne Ministerin, die gescheitert ist.In diesem Jahr erleben wir eine rote Ministerin, die ge-scheitert ist.
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Dr. Michael Luther20313
Es wird Zeit, dass wir wieder einen schwarzen Ministerbekommen.
Ich empfehle an dieser Stelle: Herr Seehofer, übernehmenSie!
Ich erteile dem Kolle-
gen Walter Schöler, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Ich hatte dem Kollegen Luther ein-gangs meiner Rede ein Lob für seine hervorragende, sach-liche Rede aussprechen wollen.
Dann erging er sich plötzlich in farbigen Bildern undsprach von schwarzen Ministern. Daraufhin musste ichmir das anders überlegen.Lieber Kollege Luther, anscheinend wolltest du dar-stellen, dass es zu Zeiten eurer Gesundheitsminister Blümund Seehofer in Deutschland eine heile Welt gab. Ichhabe, nachdem du schon etliche Jahr im Parlament bist,den Eindruck, dass du einen harten Verdrängungsprozessim Hinblick auf eure Regierungszeit hinter dir hast; dennihr kanntet nur Steigerungen bei den Versicherungsbeiträ-gen auf der einen Seite und Kürzungen von Leistungensowie Zuzahlungen durch die Versicherten auf der ande-ren Seite. Damals waren wir auf dem besten Weg in dieZweiklassenmedizin, von der der Kollege Luther geradesprach. Wir wollen das nicht und werden es auch in dennächsten Jahren zu verhindern wissen.
Wo sind denn jetzt die Alternativen zu unserer Politik?
Das, was von der Opposition vorgeschlagen wird, läuftimmer auf dasselbe hinaus. Sie wollen das Solidaritäts-prinzip aushöhlen.
– Das, was von der Opposition auf dem rechten Flügelkommt, liebe Barbara Höll. Die Opposition will wirklichdas Solidaritätsprinzip aushöhlen.Die Opposition sollte endlich damit aufhören, die Be-völkerung zu verunsichern, denn auch Sie wissen ganz ge-nau: Die Leistungsfähigkeit und Qualität unseres Ge-sundheitssystems sind unverändert hoch. Uns geht esdarum, dass diese hohe Qualität der Versorgung allen zu-gute kommt, egal ob gesetzlich, freiwillig oder privat ver-sichert. Dafür werden wir uns einsetzen.
Wir haben in den letzten drei Jahren eine Fülle gesetz-geberischer Maßnahmen eingeleitet. Große Teile davonsind schon in Kraft.
– Gucken Sie ins Bundesgesetzblatt! Da kann man dasnachlesen. – Die Grundsätze unserer Gesundheitspolitikziehen sich wie ein roter Faden durch die Reform-maßnahmen. Aus jedem dieser Gesetze wird deutlich: ImMittelpunkt unseres Denkens und Handelns stehen dieKranken und Pflegebedürftigen.
Erst unter unserer Regierung ist die Gesundheitspolitikpatientenorientiert geworden.
Wir setzen mit unseren Maßnahmen dort an, wo die Ur-sachen liegen. Die Zeiten, in denen man, wie unter derfrüheren Regierung, den einfachen Weg einer ständigsteigenden Selbstbeteiligung der Patienten gegangen ist,sind bei uns vorbei.
Wir halten am solidarisch finanzierten Gesundheitswesenfest. Ihr Weg hätte zu einer Grundversorgung geführt. Daswäre der Weg in die Zweiklassenmedizin; denn die Wahl-leistungen wären teuer zu bezahlen und das können sichviele Menschen – das wissen Sie ganz genau – überhauptnicht leisten. Auch die von der FDP vorgeschlagene Fest-schreibung des Arbeitgeberanteils kann nicht der richtigeund erst recht nicht unser Weg sein.
Einig sind wir uns darin, Herr Parr: Weitere Struktur-reformen im Gesundheitswesen sind sicherlich notwen-dig.
Dazu gehört zum Beispiel die Ausschöpfung von Wirt-schaftlichkeitsreserven. Auch da hat die frühere Regie-rung sträflich versagt. Sie haben sich – das tun Sie heutenoch – an dem Gerangel von Ärzten, Kliniken und Phar-maindustrie um das größte Stück am Beitragsaufkommenorientiert. Das war Ihre Politik! Wir hingegen haben dieGesundheitspolitik jetzt auf den richtigen Weg gebracht.
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Dr. Michael Luther20314
Die hausärztliche Versorgung wurde gestärkt. Die Ver-sorgungsqualität haben wir erhöht.
Die Transparenz wurde verbessert. Die Verzahnung desambulanten und des stationären Sektors ist ein wichtigerAnsatz zur Lösung der Probleme. Prävention wurde wie-der zu einem herausragenden Thema der Gesundheitspo-litik.
Nicht zuletzt haben wir auch erreicht, dass Ost und Westnicht – wie bei Ihnen noch geschehen – weiter ausei-nander wachsen, sondern schneller zusammenkommen.
– Meine Damen und Herren, Sie können so viel dazwi-schenrufen, wie Sie wollen! – Sie müssen wissen: Ge-sundheitspolitik bedeutet Verantwortung. Die Menschenhaben ein Recht auf optimale Versorgung und Pflege nachdem modernsten Stand der Medizin.
Ich will jetzt auf einige Schwerpunkte des Gesundheits-etats eingehen. Zwar hat sich der Kollege Luther schondarum bemüht, aber offensichtlich hat er einen anderenEntwurf gelesen bzw. sein Wissen aus der „LeipzigerVolkszeitung“ bezogen, in der unser Entwurf bisher nichtsteht.Der Einzelplan 15 hat im Jahr 2002 ein Ausgabevolu-men von rund 1,39Milliarden Euro. Das erscheint auf denersten Blick etwas bescheiden, zumindest gemessen anden mehr als 500 Milliarden DM, die die Menschen jähr-lich für ihre Gesundheit aufwenden und von denen runddie Hälfte aus Beiträgen der gesetzlichen Krankenver-sicherung finanziert wird.Im Vergleich zum laufenden Jahr steigt der Gesund-heitsetat um 50 Prozent – dazu haben bei mir sehr vieleaufgeregt nachgefragt, wie das denn sein könne; bei an-deren Ministerien sei das nicht so –, und zwar von907 Millionen Euro auf 1,39 Milliarden Euro. Das hängtmit der im Jahr 2002 fällig werdenden Rückzahlung einesVorschusses – nicht eines Zuschusses, Herr KollegeLuther – in Höhe von 562 Millionen Euro zusammen.
Diesen Betrag hatte die frühere Regierung im Jahre 1995bei den Pflegekassen gepumpt. Den hat sie sich einfachauf Pump zinslos genommen, allerdings für einen gutenZweck, nämlich zur Anschubfinanzierung von Investi-tionen in den neuen Bundesländern. Dieser Betrag ist imnächsten Jahr fällig und deshalb in den Haushalt einge-stellt.
Wenn man diesen Betrag unberücksichtigt lässt, dannkann man feststellen: Der Einzelplan 15 leistet auch imJahr 2002 seinen Beitrag zur Konsolidierung des Gesamt-haushalts. Bei allen notwendigen Sparbemühungen stellter die Finanzierung wichtiger gesundheitspolitischerMaßnahmen sicher.Das mit den 9 Prozent – das haben Sie eben bei denKürzungen angesprochen – hängt unter anderem damitzusammen, dass der Verbraucherschutz in das Ministe-rium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaft ausgelagert worden ist. Da muss man also richtigrechnen. Im Übrigen ist auch nicht richtig, dass der ge-sundheitliche Verbraucherschutz ausgelagert worden ist,wie Sie, Herr Kollege Luther, gesagt haben. Dieser Teilbleibt beim Ministerium. Dafür richten wir sogar ein ei-genes Referat ein. Das ist im Haushalt nachzulesen.
Bemerkenswert ist auch die Erhöhung des Ansatzes fürgesundheitliche Aufklärung um fast 25 Prozent gegen-über dem laufenden Jahr. Diese Steigerung der Mittel fürdie Aufklärung zeigt die große Bedeutung, die gesund-heitliche Prävention für uns hat.
Für Sie, Herr Seehofer, kann gesundheitliche Präventiontrotz aller gegenteiligen Beteuerungen diese Bedeutungnicht gehabt haben, denn Sie haben die Mittel seit der da-maligen Ausgründung des Gesundheitsministeriums umnahezu ein Drittel gekürzt. Sie haben am Etat des Ge-sundheitsministeriums fortwährend Kürzungsoperati-onen vorgenommen und etliche Bereiche über das ver-tretbare Maß hinaus beschnitten.
Bei diesen Haushaltsoperationen zulasten der Menschenwaren Sie gemeinsam mit Ihrem Finanzminister offen-sichtlich stets sehr begnadete Chirurgen.Wir haben Ihren falschen Kurs umgekehrt. Die Mittelfür gesundheitliche Aufklärung werden gegenüber demlaufenden Jahr um 1 Million Euro gesteigert. Für Maß-nahmen zur gesundheitlichen Aufklärung sind 5 Milli-onen Euro eingesetzt. Die Ausgaben für die Aidsauf-klärung mit 9 Millionen Euro sowie für die Aufklärunggegen Drogenmissbrauch mit 6 Millionen Euro haben wirauf hohem Niveau verstetigt.Meine Damen und Herren, in der Sucht- und Drogen-politik setzen wir unsere Reformpolitik ebenfalls fort. Beider Drogenpolitik der alten Regierung hatte man häufigden Eindruck, dass die Drogensüchtigen selbst bekämpftwurden und nicht die Drogensucht.
Dabei ist Sucht anerkanntermaßen Krankheit und Sucht-kranke brauchen deshalb in erster Linie Hilfe, HerrLohmann.
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Walter Schöler20315
Unsere Sucht- und Drogenpolitik umfasst gleicher-maßen die notwendigen Säulen Prävention, Therapie,Überlebenshilfe, Schadensminderung und Repression.Unter Federführung der Drogenbeauftragten der Bundes-regierung wird im nächsten Jahr ein „Aktionsplan Suchtund Drogen“ erarbeitet. Für uns sind dabei folgende Prin-zipien wichtig: Die einseitige Gewichtung von Problemenmit illegalen Drogen muss endlich aufgebrochen werden.Die Probleme durch Tabak und Alkohol sowie Medika-mentenabhängigkeit müssen viel stärker in den Mittel-punkt der Aufmerksamkeit gerückt werden.
Im Übrigen muss die Suchtpolitik die europäische Ebeneeinbeziehen, weil die Problematik nur europaweit gelöstwerden kann.
Prävention muss gestärkt werden, denn Hilfen errei-chen die Betroffenen oft erst viel zu spät. Dafür stellen wirdie notwendigen Haushaltsmittel bereit. Wir greifen soein für viele Menschen aus leidvoller Erfahrung be-drückendes Thema auf.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumBfArM, zu dem ich im letzten Jahr hier schon eingehendStellung bezogen habe. Das Institut war ins öffentlicheGerede gekommen; das konnte man nicht hinnehmen. Wirhaben hier gehandelt; denn die Zulassung von Arzneimit-teln ist nicht nur eine bedeutende Aufgabe, sondern sie istfür Patienten oft lebenswichtig. Auf zugelassene Patien-ten muss man sich verlassen können.Anträge auf Nachzulassungen waren aber in erhebli-chem Umfang nicht bearbeitet, gehörten schließlich zudem Erbe, das Sie uns hinterlassen hatten. Warum war dasso? – Herr Seehofer, Sie hatten es zugelassen, dass beimBundesinstitut fürArzneimittel und MedizinproduktePersonalmangel herrschte. Viele Mitarbeiterinnen undMitarbeiter wurden nur mit Zeitverträgen eingestellt. Siewussten ganz genau – haben es aber nie offen gesagt –,dass neben einem Berg von unerledigten Anträgen aufNachzulassung auch die gesetzlich vorgeschriebene Wie-derzulassung der Arzneimittel nach jeweils fünf Jahren imArgen lag. Da lief gar nichts mehr.Wir haben in unserer Regierungszeit nicht nur zusätzli-ches Personal zur Verfügung gestellt, wir haben mit demHaushalt 2002 auch 110 der insgesamt 245 Stellen mit kw-Vermerk in zeitlich unbefristete Stellen umgewandelt. Dasdient dem Abbau einer überdurchschnittlichen Personal-fluktuation, die man sich in diesem Institut nicht erlaubenkann, und der nachhaltigen Gewinnung von qualifiziertemPersonal. Es gibt im Übrigen den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern auch eine langfristige Berufsperspektive.Wir knüpfen an diese Maßnahmen natürlich auch dieErwartung, dass die Rückstände jetzt zügig bearbeitetwerden und dass es eine ordnungsmäßige Sachbearbei-tung gibt, insbesondere bei der Zulassung und Wieder-zulassung von Arzneimitteln. Das gilt auch für die Be-obachtung von Arzneimittelrisiken. Deshalb haben wir– wie ich eben schon sagte – auch die Personalsituationbeim gesundheitlichen Verbraucherschutz in diesem Zu-sammenhang verbessert.Schon lange vor den Bioterroranschlägen in den USAwar für jeden erkennbar: Das Jahrzehnte alte Bundesseu-chengesetz entsprach nicht mehr modernen Anforderun-gen. Was haben Sie während Ihrer Regierungszeit dage-gen unternommen? – Nichts, schlichtweg nichts.Wir haben im letzten Jahr das Seuchenrecht reformiertund das Infektionsschutzgesetz in Kraft gesetzt.
Der Etat sieht dafür im Übrigen, Herr Kollege Luther,14 zusätzliche Stellen vor. Als zu befürchten war, dass esauch in der Bundesrepublik Anschläge mit Anthrax oderähnlichen Bakterien bzw. Viren geben könnte, haben wirsofort gehandelt. Das können Sie in der Antwort der Bun-desregierung auf Ihre Kleine Anfrage nachlesen.Aus dem Antiterrorpaket fließen dem BMG 12 Milli-onen Euro zu. Davon erhalten das Bundesministerium,das Paul-Ehrlich-Institut und das Robert-Koch-Institut5Millionen Euro für 61 neue Stellen in den Bereichen Ka-tastrophenschutz, Zulassung und Entwicklung von Impf-stoffen sowie Gefahrenabwehr bei terroristischen Angrif-fen mit biologischen Waffen.
Weil wir wissen, dass die Bevölkerung in Sorge ist, ha-ben wir eine Informationsstelle Bioterrorismus am RKIeingerichtet. Zum Ausbau eines Hochsicherheitslaborszur Untersuchung hochinfektiöser Krankheitserregerwerden im kommenden Jahr 7 Millionen Euro als Inves-titionsmittel bereitgestellt. In den nächsten drei Jahrenwerden wir nochmals 18 Millionen Euro, die als Ver-pflichtungsermächtigung veranschlagt werden, zur Verfü-gung stellen.Ich möchte der Berichterstatterrunde, die sich in meh-reren Sitzungen mit dem Haushalt befasst hat, für die kol-legiale Zusammenarbeit herzlich danken. Für die Vorbe-reitung und Begleitung bei den Beratungen gilt auchIhnen, Frau Ministerin Schmidt, und den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern Ihres Hauses mein herzlicher Dank.Noch ein Wort an Sie, meine Damen und Herren vonder Opposition auf der rechten Seite – damit Frau Höllnicht wieder mit mir schimpft; das gilt aber auch für diePDS –:
Als Opposition ist es sicherlich eine Ihrer wichtigstenAufgaben, die Regierung zu kritisieren. Gleichwohl soll-ten Sie dabei eines nicht aus den Augen verlieren: Esstünde Ihnen gut an, Alternativen zu unserer Politik auf-zuzeigen. Dies sind Sie auch bei den diesjährigen Haus-haltsberatungen schuldig geblieben.
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Walter Schöler20316
In unserer Regierungszeit, besonders im laufendenJahr, ist vieles von der Bundesregierung auf den Weg ge-bracht und einiges sogar schon zu Ende geführt worden.Unserer Politik lagen dabei ganz bestimmte Handlungs-maximen zugrunde.
Ich fasse kurz zusammen: Stärkung der Patientenorientie-rung, qualitative Verbesserung der Versorgung von Pati-enten und Pflegebedürftigen sowie die Erhaltung des so-lidarischen Krankenversicherungssystems bis hin zurAusschöpfung der Wirtschaftlichkeitsreserven, was einenoch größere Aufgabe darstellt.
Mein Fazit: Wir haben viel für die Menschen erreicht.
Die Bilanz unserer bisherigen drei Regierungsjahre ist po-sitiv. Sie können sicher sein: Wir werden unsere erfolg-reiche Politik auch nach dem Jahr 2002 fortsetzen.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Herr Kollege Schöler, ich habe mich heute Mor-gen vor meinem Kleiderschrank anscheinend richtig ent-schieden, als ich den schwarzen Anzug gewählt habe,denn diese Gesundheitspolitik wird immer mehr zu einemTrauerfall.
Dass der Patient jetzt auch noch einer Zulassung be-darf, übertrifft wohl jedes Maß an Regulierung, Herr Kol-lege Schöler.
ABAG folgt AABG und der RSA mit DMP. Wer soll danoch durchschauen?Die Bundesregierung stolpert von einer Fußangel indie nächste,
Herr Kirschner. Sie kuriert in immer kürzeren Zeitabstän-den hektisch an Symptomen. Jeder spürt immer deutli-cher: Es wird nichts nützen.Seit der Änderung des letzten Neuordnungsgesetzes,Herr Kollege Seehofer, haben wir drei Jahre lang dieChance auf Reformen leichtfertig vertan.
Nach dem Willen des Kanzlers soll es auch im verblei-benden Jahr keine Reform mehr geben.
– Frau Schmidt-Zadel, wie eine Monstranz haben Sie dieBeitragssatzstabilität vor sich hergetragen und für Milli-onen aufrechte Beitragszahler steigen die Beiträge aufbreiter Front. Das ist das schmerzliche Ergebnis. Wachs-tum haben wir uns anders vorgestellt.
„Arbeit, Arbeit, Arbeit“ – so hieß es 1998 auf denWahlplakaten der SPD. Jetzt laufen Ihnen die Lohnzu-satzkosten aus dem Ruder. Arbeit wird immer teurer. DieArbeitslosigkeit wächst. Wachstum haben wir uns andersvorgestellt.Diese Entwicklung hat nichts, rein gar nichts mit dem11. September und der weltweiten Konjunkturschwächezu tun. Sie ist allein Ergebnis des Missmanagements unddes fehlenden Reformmutes dieser Regierung.Die Beitragssätze laufen davon, weil die Regierungunfähig war, die anderen sozialen Sicherungssysteme zureformieren und ein Gleichgewicht herzustellen. Sie hatdeshalb einen unverantwortlichen Verschiebebahnhof zu-lasten der GKV konstruiert. Zur Erinnerung: Der scham-lose Griff in die Taschen der GKV-Beitragszahler beläuftsich auf jährlich über 8 Milliarden DM, von der Absen-kung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslosen-hilfeempfänger über Mehrausgaben beim Krankengeld bishin zu geringeren Beitragseinnahmen, weil die Bundesre-gierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bei-tragserhebung bei freiwillig versicherten Rentnern einfachaussitzt. Diese Reihe könnte noch fortgesetzt werden.Der Gesetzgeber legt in der Renten- und Arbeitslosen-versicherung die Beitragssätze fest. Das ist in der Kran-kenversicherung anders. Da obliegt diese Aufgabe dereinzelnen Krankenkasse. Was liegt da näher, als eine ver-fehlte Sozialpolitik auf diese Ebene zu verlagern? Sie hof-fen wohl, dass sich der Volkszorn über den Griff ins Por-temonnaie dort und nicht bei denjenigen entlädt, dieeigentlich die Verantwortung dafür tragen.Man sollte erwarten, dass, wenn schon die Beitrags-sätze nicht stabil bleiben, zumindest die Leistungen aus-reichen.
Aber auch hier gilt: Weit gefehlt. Budgeturlaub nimmt zu,immer mehr Praxen werden zeitweise geschlossen, Ratio-nierung ist im Gesundheitswesen kein Fremdwort mehr,sondern Realität. Das neue Motto lautet wohl: mehr Geldim System bei weniger Leistungen für den Versicherten.Das ist eine seltsame Gleichung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Walter Schöler20317
Ich bin davon überzeugt – daran kann auch ein runderTisch mit hinhaltenden Konsensgesprächen nichts än-dern –: Die Stunde der Wahrheit ist in diesem Jahr ge-kommen.
Wir müssen der Bevölkerung jetzt offen sagen, dass mitbegrenzten Mitteln nicht unbegrenzt medizinische Leis-tungen in Anspruch genommen werden können.
– Herr Kirschner, als wir heute Morgen beim „Handels-blatt“ gesessen haben, hätte ich schon ganz gerne eineAntwort von Ihnen auf die Frage gehört, wie Sie daszukünftig lösen wollen. Wir leben nicht in einem Land– so kommt es Ihnen ja offensichtlich vor –, in dem Milchund Honig fließen.Allzu lange hat die Bundesregierung, wie ich denke,dem Irrglauben gefrönt, sie könne ohne schmerzhafteKonsequenzen immer neue Wohltaten verteilen: redu-zierte Zuzahlungen, Zuzahlungsbefreiung für jeden chro-nisch Kranken unabhängig vom Einkommen, Soziothera-pie, Wiedereinführung von Leistungen für den Zahnersatzbei Jugendlichen,
Rücknahme packungsgrößenbezogener Zuzahlungen beiArzneimitteln – das hatte ja entsprechende Folgen –, Un-terstützung von Verbraucherberatungsstellen und Selbst-hilfegruppen sowie medizinische Fußpflege – die wurdevon Ihnen auch noch in die Liste aufgenommen.
Wer findet solche Maßnahmen eigentlich nicht gut undhilfreich, Herr Kirschner? Wenn das aber bedeutet, dassdafür medizinisch Notwendiges nicht zu bekommen istoder nur nach längeren Wartezeiten oder dass die Bei-tragssätze auf breiter Front steigen, wie wir es jetzt erle-ben, und damit zwangsläufig das verfügbare Einkommensinkt, darf wohl die Frage erlaubt sein: Wer gibt uns Poli-tikern eigentlich das Recht, so zu handeln und damit dieEntscheidungsfreiheit des Einzelnen immer mehr einzu-engen?
So kommen wir nicht weiter; dass wir uns hier in ei-nem Teufelskreis befinden, wissen auch Sie. Ihre kurzfris-tige hektische Politik führt zu Atemlosigkeit.
Ihnen geht offensichtlich auf der Zielgerade die Puste aus.Sie haben nicht mehr die Kraft, das Notwendige zu tun.Nun kommt sicherlich die Frage, die wir auch vomHerrn Bundeskanzler gestern Morgen mehrfach und inselten spürbarer Hilflosigkeit – so habe ich es jedenfallsempfunden – gestellt bekommen haben: Welches Konzepthaben Sie denn? Was würden Sie denn konkret tun?Fangen wir bei den Arbeitgeberbeiträgen an, HerrKirschner. Wir müssen die Arbeitgeberbeiträge auszah-len, um damit dem einzelnen Versicherten mehr Möglich-keiten zu geben, eigenverantwortlich zu handeln.
Die Koppelung von GKV-Ausgaben und Lohnkosten istein Fluch, wenn es um den Erhalt oder die Schaffung vonArbeitsplätzen geht. Das wissen Sie wie ich. SchreibenSie den Menschen nicht in immer mehr Bereichen vor,was sie zu wollen haben. Geben Sie ihnen mehr Freihei-ten, ihren Versicherungsschutz nach eigenen Vorstellun-gen zu gestalten.
Auch die Krankenkassen warten darauf, ihren Pflichtleis-tungskatalog um eigene Angebotspaletten zu erweiternund damit in einen wirklichen Wettbewerb einzutreten.
Schaffen Sie Transparenz im Gesundheitssystem! Sielegen Friedhöfe für Datensammlungen an, Sie installierengigantische Kontroll- und Überwachungssysteme undstärken den MDK. Viel wichtiger wäre es, die Positionvon Patient und Arzt zu stärken, indem beide im Rahmender Kostenerstattung erfahren, wie hoch die Festpreise fürmedizinische Leistungen liegen. Nur derjenige kann sichkostenbewusst verhalten, der weiß, wie teuer diese Leis-tungen sind. Auch das fällt unter das Stichwort Eigenver-antwortung, nicht nur die Frage der Zuzahlungen.
Das Krankenkassenwahlrecht ist ein Recht für alle.Fahren Sie eine Informationskampagne, um den Men-schen nahe zu bringen, dass sie sich alle eine preisgüns-tige Krankenkasse aussuchen können, ohne negativeKonsequenzen für die benötigten Gesundheitsleistungenbefürchten zu müssen, und zwar auch dann, wenn sie alt,krank oder behindert sind! Wir haben vom Wettlauf umGesunde gesprochen. Im Zusammenhang mit dem DMPsprechen wir vom Wettlauf um Kranke. Wir denken abernie daran, dass es keine Einbahnstraße ist, sondern dass esauch darum geht, dass die Menschen ihre Chancen imHinblick auf die Nutzung ihres Krankenkassenwahlrechtsergreifen.Schaffen Sie endlich die Budgetierung ab und über-lassen Sie es den Verhandlungspartnern, den gesetzlichvorzugebenden Rahmen für ein leistungsgerechtes Sys-tem der Finanzierung miteinander zu vereinbaren. Warumglauben Sie eigentlich trotz aller gegenteiligen Erfahrun-gen immer noch, dass wir Politiker besser wüssten, wel-cher Mitteleinsatz bundesweit für eine gute Versorgungder Bevölkerung erforderlich ist, als diejenigen, die imGesundheitswesen arbeiten?
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Detlef Parr20318
Führen Sie ein Benchmarking bei den Verwaltungs-ausgaben der Krankenkassen ein! Hohe Verwaltungsaus-gaben gehen leider nicht mit einer besonders guten Ver-sorgung von Versicherten und Patienten einher. HerrSchöler, Sie haben von Wirtschaftlichkeitsreserven ge-sprochen. Das ist ein Bereich, den wir auch in dieser Hin-sicht angehen müssten.
Nutzen Sie auch den Wettbewerb als Mittel, um einegrößtmögliche Effizienz zu erreichen! Fördern Sie dieKreativität der Marktteilnehmer, anstatt den Markt durchimmer neue Spielarten bürokratischer Reglementierun-gen zu ersticken.Herr Kirschner, Sie haben die gleiche Einladung be-kommen wie ich, nämlich die Einladung des Bundeswirt-schaftsministers und der Bundesgesundheitsministerin zueinem „Zukunftsmarkt Gesundheit“ am 6. Dezember.
Das ist wirklich eine angenehme Nikolausüberraschung.Eines aber ist verwunderlich: Wenn wir fordern, mehrmarktwirtschaftliche Elemente in unser Gesundheitssys-tem einzubauen, dann schreien Sie auf und beschwörendie Solidargemeinschaft. In dieser Einladung ist plötzlichdie Rede vom Gesundheitswesen als Wirtschaftsfaktorersten Ranges.
Da werden mehr als 500 Milliarden DM Umsatz bei3,5 Millionen Beschäftigten genannt. Da werden die Bio-,die Gen-, die Informations- und die Medizintechnologieals Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts aufge-führt.
Da wird die Befürchtung geäußert, dass die Belastungenfür die Versicherten und Unternehmer ansteigen werden.Welch fundamentale Erkenntnisse!Am tollsten ist aber die Frage, die sich der Bundes-wirtschaftsminister und die Bundesgesundheitsministerinsozusagen Arm in Arm stellen:Welche Möglichkeiten gibt es, diese Belastungen zubegrenzen, ohne die im Wachstumsmarkt Gesund-heit liegenden Chancen zu vergeben?Das ist wirklich die Kernfrage, liebe Kolleginnen undKollegen. Sie stellen sie jetzt – mit großer Verspätung.Die FDP hat sie längst beantwortet und in ihr Zukunfts-konzept eingearbeitet. Weniger Bismarck und mehr GrafLambsdorff – oder mehr Ludwig Erhard, wie Sie sagenwürden – ist die Parole.
Wir erwarten durch dieses Symposium mehr und mehrRückenwind für unsere Vorschläge, letztlich vielleichtauch durch Wirtschaftsminister Müller.Frau Ministerin, ich gönne es Ihnen ja nicht, aber ichhabe mich an ein Zitat Goethes in „Der Fischer“ erinnert,das ich jetzt im Hinblick auf das Verhältnis zwischenHerrn Müller und Ihnen leicht verfremden will: Halb zoger sie, halb sank sie hin und ward nicht mehr gesehen.
Eine letzte Bemerkung zur Pflegeversicherung.Auchdort häufen sich die Probleme. Ich glaube, wir tragen ge-meinsam viele Problemlösungen vor und wollen auch ge-meinsam agieren, aber wir müssen auch die Fragen stel-len, die wichtig sind und deshalb gestellt werden müssen.So möchten wir in diesem Bereich gerne über die zweiteSäule der kapitalgedeckten Absicherung und eine stärkereAusrichtung an Bedürftigkeitskriterien diskutieren unddarüber nachdenken, wie der Pflegenotstand in den nächs-ten Jahren verhindert bzw. abgebaut werden kann, undzwar nicht nur durch Greencard-Aktionen, sondern auchdurch die beiden Anträge. Frau Schmidt-Zadel, Sie habendazu im Ausschuss genickt.
Sie mussten es aus fiskalischen Gründen ablehnen,eine Imagekampagne für Pflegeberufe ins Leben zu rufen,damit die jungen Menschen diesen Beruf wieder ergreifenund möglichst lange in diesem Beruf verweilen. UnserWunsch war weiterhin, die Mittel für die Erprobung neuerVersorgungsformen bei Pflegebedürftigen aufzustocken.Diesen unseren Wünschen konnten Sie nicht zustimmen.Ich glaube, dass wir in diesem Bereich in der Sache docheine gemeinsame Grundlage finden können.Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Ich erteile der Kolle-gin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, dasWort.
gen! Lieber Herr Parr, aus meiner Erfahrung mit der ko-alitionsinternen Arbeitsweise kann ich Ihnen sagen: FrauSchmidt-Zadel nickt sehr oft, da sie freundlich ist. Dasheißt nicht immer, dass sie dem zustimmt, was die andereSeite möchte.
Eine zweite Bemerkung: Sie haben lange über die Tat-sache referiert, dass sich Wirtschaftsminister und Ge-sundheitsministerin mit dem Arbeitsmarkt auf dem Ge-biet der Gesundheit beschäftigen. Ich persönlich halte das
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Detlef Parr20319
für einen sehr guten Ansatz; Sie hoffentlich auch. DasProblem ist: Sie gönnen es uns offensichtlich nicht, dasswir auf diesem Gebiet etwas tun. Freuen Sie sich darüberund arbeiten Sie auf diesem Feld mit! Sorgen Sie auf dereinen Seite dafür, dass wir diese Zusammenarbeit von Ge-sundheitssektor und Wirtschaft dazu nutzen, mehrArbeitsplätze auch in diesem Bereich zu schaffen!
Sorgen Sie auf der anderen Seite mit uns gemeinsamdafür, dass die Ausweitungen an den Stellen stattfinden,an denen sie tatsächlich notwendig sind!
Eine dritte Bemerkung: Herr Parr, nachdem wir hierIhre Vorschläge zu den Reformen im Gesundheitswesengehört haben, finde ich: Als Patienten kann man Sie zu-lassen, als Therapeuten lieber nicht.
Ich möchte im Rahmen des Haushaltsplanes auf zweiDinge eingehen. Erstens. Wir wollen in der Gesundheits-politik einiges voranbringen. Herr Schöler hat die ent-sprechenden Zahlen genannt. Ich will noch einmal dieStichworte nennen: Das eine sind die Mittelaufwächse beider gesundheitlichen Aufklärung. Ich glaube, hier wirdsehr deutlich, dass es uns einerseits um Information undandererseits um Prävention geht. Beides ist in Ihrer Re-gierungszeit in der Tat vernachlässigt worden.Wir haben nicht nur im Gesundheitssystem selbst, son-dern auch im Haushaltsplan tatsächlich eine Umsteuerungerreicht, die in den zuständigen staatlichen Institutionendafür sorgt, dass Information und Prävention vorange-trieben werden. Wenn Sie sich beispielsweise Veröffentli-chungen der Zentrale für gesundheitliche Aufklärung an-schauen und das in der Bevölkerung hinterfragen, dannwerden Sie wahrscheinlich feststellen, dass wir uns hierder Erfüllung des Informations- und Vorsorgebedürfnis-ses der Bevölkerung sehr stark annähern. Ich finde, das isteine wirklich gute Sache.
Zweitens. Ich möchte die Mittel- und Stellenaufwächsegerade im Bereich dessen, was wir als Krisenbekämp-fung bezeichnen, nennen. Hier gibt es natürlich eingroßes Bedürfnis der Bevölkerung und auch eine Not-wendigkeit der staatlichen Fürsorge. Hier sind Stelleneingerichtet worden, übrigens auch im Ministerium. HerrLuther, ich finde es völlig richtig, dass es im Ministeriumzusätzliche Stellen gibt, weil dort Handlungsoptionenvorbereitet werden müssen. Sie wären wahrscheinlichdann, wenn das Ministerium nicht rechtzeitig auf das rea-giert, was notwendig ist, der Erste, der Zeter und Mordioschreien würde, weil die Bevölkerung nicht rechtzeitiggewarnt worden ist oder weil Maßnahmen nicht rechtzei-tig ergriffen worden sind. Also, stimmen Sie bitte geradediesen Aufwächsen, was die Mittel und die neuen Stellen,auch die im Ministerium, angeht, zu!
– Das werden sie dann vielleicht auch hier tun. Daraufkönnen wir uns sicher verständigen.Damit bin ich bei den Dingen, die uns im Gesund-heitssystem gemeinsam beschäftigen. Hier nehmen wirheute zur Kenntnis – und das nicht erst seit heute –, dasses in der Tat im System aufwachsende Beiträge gibt.
Sie wissen, dass wir die Frage der Beitragssatzstabilitätin unserer Regierungszeit nicht nur im Gesundheitssys-tem, sondern auch in den anderen Sozialversicherungs-systemen zur zentralen Aufgabe gemacht haben.
Ich stehe weiterhin dazu, dass das notwendig ist.Wir haben eine ganze Reihe von Reformen, die in die-sem Bereich notwendig gewesen sind, auf den Weg ge-bracht. Ich nenne beispielhaft die Themen „Hausärzte“und „integrierte Versorgung“. Wir müssen zur Kenntnisnehmen, dass die Reformen, die wir hier unternommenhaben, aus unterschiedlichen Gründen – da will ich nichtnur in die Richtung der Opposition schauen – noch nichtausgereicht haben. Ich finde, man sollte nicht darum he-rumreden, sondern es an dieser Stelle deutlich sagen.Wir haben auf der einen Seite die Reform im Kranken-hausbereich nicht so voranbringen können, wie wir eswollten. Sie wissen, dass die Länder bei der Gesundheits-reform eine Blockadehaltung eingenommen hatten. Wirhaben auf der anderen Seite in diesem Jahr eine Reihe vonkleineren Schritten mit einer Fülle von Gesetzen unter-nommen,
um für eine Ausgabenbegrenzung zu sorgen. Aber wirsind noch nicht so weit, wie wir bei anderen Reformen derBundesregierung gekommen sind. Wir haben heute Mor-gen über das Rentensystem, über die Steuerreform undüber die Zukunftsfähigkeit der Haushaltspolitik dieserRegierung diskutiert.Im Gesundheitssystem – Herr Seehofer weiß das wiekein anderer –
sind zum einen die Reformen selber schwieriger als wo-anders, zum anderen ist auch ihre Umsetzung nicht so ein-fach wie in anderen Bereichen, weil zu viele Interessenaufeinander prallen und weil mitunter auch die Selbstver-waltung zum Teil nicht bereit ist – manchmal ist sie auchnicht in der Lage –, das umzusetzen, was auf den Weg ge-bracht worden ist. Das haben wir insbesondere bei der
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Katrin Göring-Eckardt20320
Gesundheitsreform 2000 gemerkt. Es wird deswegen not-wendig sein, auch über das hinaus, was wir getan habenund was ich für einen richtigen Kurswechsel halte – daranwill ich überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen –,weitere Schritte einzuleiten.
Der Kurswechsel, den ich meine, besteht vor allem ineinem Punkt. Herr Parr, Ihre Vorschläge bezogen sich javor allen Dingen darauf, wie man den Markt stärken kannund wie man dafür sorgen kann, dass bestimmte Teile die-ses Marktes – beispielsweise die Pharmaindustrie und dieÄrzteschaft – mehr Geld im Portemonnaie haben. Alle un-sere Reformen haben sich insbesondere und zuallererstdarauf bezogen, die Patientinnen und Patienten in denMittelpunkt zu stellen.
Das ist der richtige Weg und diesen richtigen Weg werdenwir auch weiter beschreiten.Natürlich haben wir begrenzte Mittel. Diese begrenz-ten Mittel müssen sinnvoll verteilt werden. Wir brauchenweiterhin mehr Patientenorientierung und Eigenver-antwortung. Ich stimme mit Ihnen überein, dass mehrTransparenz ins System Einzug halten muss.
Ich persönlich halte dafür die Patientenquittungen undeine ganze Reihe von anderen Maßnahmen, die zur Da-tentransparenz beitragen, für einen richtigen Weg. Siewissen, dass wir dabei sind, entsprechende Regelungenauszuarbeiten und umzusetzen.Dazu gehört auch, dass die Versicherten mehr Eigen-verantwortung übernehmen müssen. Aber Eigenverant-wortung heißt eben nicht Zuzahlung. Eigenverantwortungheißt vor allen Dingen Wahlfreiheit. Dafür müssen wirsorgen.
Wir müssen auch dafür sorgen, dass der Leistungskatalogimmer daraufhin überprüft wird, was hinein gehört undwas nicht.
Besonders dann, wenn etwas Neues hineinkommt, mussman alte Posten überprüfen.
Wir müssen weiterhin dafür sorgen, dass es für die Pa-tientinnen und Patienten durchschaubar ist, was in diesemSystem passiert. Dafür brauchen wir die Verantwortungder Politik und die Verantwortung der Selbstverwaltung.Diese müssen wir als Politik auch einfordern.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die
Kollegin Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Kollegin Göring-Eckardt, Sie müssen mir ir-gendwann einmal erklären, seit wann Eigenverantwor-tung in dem Falle etwas mit Wahlfreiheit zu tun hat.
– Darüber werden wir uns noch unterhalten.Ich komme nun zum Haushalt. Im Ansatz des Einzel-plans 15 sollten sich die Gesamtausgaben von knapp über900 Millionen Euro in 2001 auf circa 1,3 Milliarden Euroim Jahre 2002 erhöhen. Die Ursache für diesen Anstiegliegt in der Rückzahlung von circa 550 Millionen Euro,die die Pflegekassen 1995 für das Pflegeinvestitionspro-gramm zur Verfügung gestellt hatten. Weitere 72 Milli-onen Euro mussten im Ergebnis der Ressortverlagerung inden Verbraucherschutzetat umgesetzt werden. Beziehtman beides ein, zeigt sich die tatsächliche Entwicklung.Auch 2002 setzt sich die langjährige Tendenz der Kür-zung der im Bundeshaushalt für gesundheitliche und Pfle-gezwecke zur Verfügung gestellten Mittel fort.
Aus gesundheitspolitischer Sicht liegt das Hauptproblemdes Bundeshaushaltes jedoch nicht im Einzelplan 15. Esbesteht darin, dass zugunsten des Bundeshaushaltes derGKV in den zurückliegenden Jahren immer mehr Bei-tragseinnahmen entzogen wurden. Ich nenne hier nur dasWort Verschiebebahnhöfe. Allein seit 1996 werden derGKV dadurch jährlich über 6 Milliarden DM entzogen.Die neue Koalition hat diese Politik leider fortgesetzt.Ihr erster Zugriff kam in Form einer weiteren gesetzlichenBegrenzung der Beiträge aus der Arbeitslosenhilfe. Seit-dem fehlen der gesetzlichen Krankenversicherung jähr-lich weitere 1,2 Milliarden DM. Wie hoch die neuen Be-lastungen aus der Rentenreform sein werden, darüberstreiten sich noch die Fachleute. Dass Belastungen kom-men werden, steht aber außer Frage.Meine Damen und Herren, diese Politikentscheidun-gen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Bun-desregierung im Gesundheitswesen erneut in Schwierig-keiten gekommen ist. Hatten schon die Gesundheits-reform 2000 und die vorschnelle Ankündigung der Strei-chung des Arzneimittelbudgets mehr Probleme geschaf-fen als gelöst, hat es die Regierung jetzt mit massiven Bei-tragserhöhungen zu tun. Das kann niemanden freuen,denn es belastet die Arbeitgeber und Arbeitnehmer glei-chermaßen. Dass diese Entwicklung von der Arbeitgeber-seite aber dazu benutzt wird, das Solidarsystem radikal in-frage zu stellen, ist schlimm.Wenn CDU/CSU und FDP jetzt wegen der Beitragser-höhungen den Untergang des Wirtschaftsstandortes
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Katrin Göring-Eckardt20321
Deutschland an die Wand malen, dann ist das, gelinde ge-sagt, unredlich.
– Frau Merkel hat genau das gesagt.Erstens. Die heutige desolate Lage ist nicht allein in derletzten Zeit entstanden; sie ist das Ergebnis einer seit vie-len Jahren verfehlten Gesundheitspolitik. Gerade in IhrerRegierungsverantwortung sind die größten Verschiebe-bahnhöfe eröffnet worden.
Ist nicht der Kassenwettbewerb um Mitglieder, dessenunsolidarische Folgen heute auch die großen Ersatzkas-sen und viele Ortskrankenkassen zu Beitragserhöhungenzwingen, durch Herrn Seehofer – wenn auch in großerKoalition mit der SPD – in Gang gesetzt worden?Zweitens. Meine Damen und Herren von der Unionund der FDP, was Sie heute anzubieten haben, ist nichtsanderes als die alten Rezepte aus Ihrer Regierungszeit vor1998. Damals haben die Menschen wohl verstanden, wassich hinter Ihren Formeln von wachsender Eigenverant-wortung, Regel- und Wahlleistungen und mehr Wettbe-werb verbirgt. Die Erfahrung zeigt: Mit einer Gesund-heitsreform kann man keine Wahl gewinnen.
Man kann sie aber verlieren. Ihr Kollege Geißler hat dazuein wunderbares Buch geschrieben, das ich Ihnen zurLektüre empfehle; denn das, was Sie heute fordern, be-deutet auch nichts anderes, als die Menschen stärker zurKasse zu bitten, und zwar nicht paritätisch, sondern ganzindividuell und privat.Meine Damen und Herren, eine Gesundheitspolitik zu-lasten der Kranken und Pflegebedürftigen sollte in diesemHause keine Mehrheit finden.
Gebraucht wird eine allen Menschen zugängliche, sozialgerechte und humane Gesundheitsversorgung. Diese istbei entsprechendem politischen Willen nach wie vor mög-lich. Erforderlich bleiben strukturelle Reformen, Refor-men, die diesen Namen auch verdienen und endlich anden bekannten Systemmängeln und Fehlsteuerungen an-setzen. Um die solidarische Vollversicherung zu erhalten,müssen auch die Finanzgrundlagen der GKV konsolidiertwerden, allerdings nicht durch Zuzahlungen oder Wahl-leistungen,
sondern strikt am Solidargedanken orientiert. Dazu liegenVorschläge von vielen Seiten, auch von uns, vor. Aus mei-ner Sicht bedarf es nur politischen Mutes, sie auch umzu-setzen. Genau diesen Mut wünsche ich Ihnen, Frau Mi-nisterin.Danke.
Ich erteile Bundesmi-nisterin Ulla Schmidt das Wort.
leginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Anfang denMitgliedern des Haushaltsausschusses dafür danken, dasssie dafür gesorgt haben, dass wir die Stellenaufstockungim Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriumsvornehmen können. Herr Kollege Luther, Sie könnenganz unbesorgt sein: Alle Stellen können ab Anfang Ja-nuar besetzt werden.Weil ich als Ministerin auch gleichzeitig Leiterin desHauses und sozusagen oberste Dienstherrin bin, will ichnoch eines sagen: Wenn Sie glauben, wir hätten die Krisegenutzt, um elf neue Stellen im Ministerium zu schaffen,die eigentlich nicht gebraucht werden, dann haben Sie of-fensichtlich überhaupt keine Vorstellung davon, wie vielmeine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den letztenWochen und Monaten gearbeitet haben,
und zwar rund um die Uhr. Sie haben dafür gesorgt – ge-rade auch im Krisenstab –, dass wir für alle Eventualitä-ten gerüstet sind. Wir alle hoffen, dass wir nicht benötigenwerden, was wir derzeit einrichten und wofür wir Geldausgeben. Als Beispiele nenne ich die Beschaffung vonImpfstoffen und Antibiotika, die Investitionen in Labor-kapazitäten. In diesem Rahmen haben wir auch dafür ge-sorgt, dass es Menschen gibt, die das bedienen können.Sie sollen dafür sorgen, dass die Menschen in diesemLande sicher sein können, in einer Krise den Gesund-heitsschutz zu erhalten, den sie benötigen. Wir hoffennatürlich, dass wir niemals in die Situation kommen, dieseinsetzen zu müssen.Dafür hat diese Regierung die finanziellen Grundlagengeschaffen. Ich bin auch im Interesse meiner Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter dafür dankbar, dass die Stellen auf-gestockt wurden; denn auch das hat etwas mit humanenArbeitsbedingungen zu tun. Und dafür setze ich mich ein.
Kollege Luther, ich komme zu meinem nächstenPunkt. Sie haben so schön gesagt: Grün gescheitert, Rotgescheitert – wir brauchen endlich wieder Schwarz. Da-bei haben Sie an Ihren Kollegen aus der Schwesterparteigedacht.
Wir beide sind lange genug im Deutschen Bundestag.Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Nach Ihren Analysenhätte Ihr Kollege aus der Schwesterpartei nicht einmalsein erstes Jahr überstanden; denn von 1991 bis 1998 sinddie Beitragssätze von 12,3 Prozent auf 13,6 Prozent ge-stiegen.
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In den Jahren 1992, 1995 und 1996 – auch nach den Re-formen Ihres Parteikollegen – wies die gesetzliche Kran-kenkasse Defizite in Höhe von 9,4 Milliarden DM,7,2 Milliarden DM und 7 Milliarden DM auf.
Dies zeigt, dass trotz aller Reformen, die damals gemachtwurden – auch die große Reform –, die Beiträge erhöhtwerden mussten. All das, womit wir heute im Bereich derGesundheit konfrontiert werden – nicht nur die demogra-phische Entwicklung, sondern auch der medizinischeFortschritt, der dazu führt, dass unheilbare Krankheitenchronisch werden –, erfordert immer wieder Reformen.Das ist also nicht so einfach, Herr Kollege Luther.Für diese Bundesregierung sage ich: Wir wollen nichtden Weg gehen, den Sie gegangen sind, weil sich gezeigthat, dass diese Rezepte nichts bringen.
Sie haben während Ihrer Amtszeit Leistungen ausge-schlossen und die Zuzahlungen erhöht. Sie haben damitnicht die Versicherten, sondern die Kranken mit über4 Milliarden DM belastet. Trotzdem haben Sie keine Bei-tragsstabilität erreicht. Deshalb müssen wir uns darüberunterhalten, welche anderen Wege zu gehen sind. Dazusind wir bereit.
Herr Kollege Parr, es geht nicht darum, die begrenztenMittel für unbegrenzte Leistungen einzusetzen; niemandvon uns will das.
Vielmehr müssen wir in der Gesundheitspolitik versu-chen, die vorhandenen Mittel gerecht zu verteilen. Dabeigilt es immer, zwei widerstreitende Interessen auszuglei-chen: zum einen das Interesse der Versicherten daran, dassdie Beiträge bezahlbar sind, zum anderen das Interessederjenigen, die krank sind, daran, eine Gesundheitsver-sorgung zu erhalten, die ihnen dabei hilft, gesund zu wer-den bzw. die Schmerzen zu bekämpfen. Beides könnenwir nur dann zusammenbringen, wenn wir die Qualität dermedizinischen Versorgung verbessern. Wir brauchenmehr wirtschaftliches Handeln im Gesundheitsbereich.Selbstverständlich müssen wir uns auch über die Frageder Reformen der Selbstverwaltung und der Vertragsge-staltung unterhalten. Das ist, glaube ich, unbestritten.
Wir brauchen mehr Patientenorientierung;
denn nur die Patienten und Patientinnen, die aktiv mit indas Gesundheitsgeschehen eingreifen und daran teilneh-men, sind auch in der Lage, Eigenverantwortung zuübernehmen.
Eigenverantwortung, Herr Kollege Parr, hat doch nichtnur etwas mit dem Portemonnaie zu tun.
Die Menschen zahlen doch Beiträge entsprechend ihremLeistungsvermögen.
Wenn wir von Eigenverantwortung reden, dann ist da-mit genau das gemeint, was diese Regierung macht undwas sie fördert. Wir sagen: Die Menschen müssen lernen,mehr Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit zuübernehmen.
– Ich sage das schon allen. – Wir müssen dafür sorgen,dass in diesem Land der Grundsatz gilt: Für deine Ge-sundheit bist du zuallererst selber verantwortlich;
wenn du aber krank wirst, dann steht die Solidargemein-schaft ohne Einschränkungen für dich ein.
Das ist der Unterschied, Herr Kollege Parr, zwischendem, was wir machen, und dem, was Sie wollen.
Das ist auch einer der Gründe dafür, dass wir das Prin-zip der solidarischen Versicherung beibehalten.
Herr Kollege Parr, die solidarische Versicherung, wie wirsie haben, die jedem Menschen – unabhängig von seinemEinkommen, Geschlecht und Alter –, der Mitglied in ei-ner gesetzlichen Krankenversicherung ist, das gleiche An-gebot an Leistungen zur Verfügung stellt, ist nämlich miteine wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen dieseEigenverantwortung überhaupt wahrnehmen können.
Eine gute Gesundheitsvorsorge ist die Voraussetzung fürChancengleichheit. Inwieweit ein Mensch am gesell-schaftlichen und politischen Leben teilhaben kann, ist
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Bundesministerin Ulla Schmidt20323
immer mit davon abhängig, wie er gesundheitlich dazu inder Lage ist.
Wir geben das Prinzip der solidarischen Versicherungnicht auf.
Wir sagen ganz klar: Eine Steigerung der Qualität der Ver-sorgung, mehr wirtschaftliches Handeln – also auch dasErschließen von Wirtschaftlichkeitsreserven – und Bei-tragsstabilität
gehören ganz eng zusammen. Das ist auch der Grund fürdie Reformen und die Zielsetzung der Reformen, die wirbisher auf den Weg gebracht haben.Wir haben die Prävention wieder gestärkt, nachdemIhr damaliger Minister geglaubt hat,
unter Hinweis auf Bauchtanzkurse können man gleich diePrimärprävention insgesamt als Kassenleistung streichenund man brauche keine betriebliche Prävention. Ichglaube, dass das der falsche Ansatz ist; denn in einer älterwerdenden Gesellschaft ist es nicht so entscheidend, obman mit 60, 70, 80 oder auch mit 40 Jahren krank wird; esist immer teuer. Entscheidend wird vielmehr sein, wie esuns gelingt, die Menschen so lange wie möglich – auchdurch Angebote, die ihnen eine gesunde Lebensweise er-möglichen – gesund zu halten.Wenn es, wie der Sachverständigenrat sagt, stimmt,dass ein Herausschieben einer chronischen Erkrankungum zwei Jahre einen Beitragssatzpunkt ausmacht, dann istes richtig, was wir mit dem Risikostrukturausgleich aufden Weg gebracht haben. Wir sagen: Wir brauchen einebessere Versorgung chronisch kranker Menschen unteraktiver Einbeziehung der Patienten und der Patientinnenin diese Programme und auch die Wahrnehmung von Ei-genverantwortung.
Wenn das stimmt, dann ist es auch richtig, dass wir dasProjekt „gesundheitsziele.de“ mit Haushaltsmitteln desBMG fördern.
Wir wollen, dass sich die Versorgung künftig an allgemeingültigen Qualitätsstandards ausrichtet.
Mein Ziel ist, künftig die Finanzierung sehr eng an dieQualität der Leistung zu binden. Darin stimme ich mit Ih-nen überein. Ich bin froh, dass eines der ersten Ziele, dieausgearbeitet werden, die qualitätsgestützte Verbesserungder Vorsorge und Versorgung bei Brustkrebs ist; denn ichglaube, dass die Frauen in diesem Lande darauf schon vielzu lange haben warten müssen. Dafür sollten wir uns ge-meinsam einsetzen.
Wenn es stimmt, dass wir nur durch Qualitätssteige-rungen Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen können,ist unser Gesetz zur Einführung der Fallpauschalen in denKrankenhäusern der richtige Weg. Ein Grund ist, dass wirdurch die leistungsbezogene Vergütung davon wegkom-men, das Vorhalten von Bettgestellen zu finanzieren. Derwichtigere Grund ist aber, dass ein Krankenhaus, das voll-ständig nach Fallpauschalen abrechnet, ganz anderenQualitätsansprüchen genügen muss; denn ein an Fallpau-schalen orientiertes Krankenhaus muss interdisziplinärzusammenarbeiten, wenn es wettbewerbsfähig sein will.
Damit steigt die Qualität der Versorgung. Wir wissen ja,dass Qualitätsmängel zum großen Teil auf einer nicht ab-gestimmten Parallelbehandlung beruhen.Wenn ein Krankenhaus nach Fallpauschalen arbeitet,kann es auf Dauer nicht wettbewerbsfähig sein, wenn indiesem Krankenhaus kein Arbeitszeit- und Personal-management stattfindet. Dies hat nicht nur etwas mitGeld zu tun, sondern dient auch dazu, dass der Pflege- undder Arztberuf für junge Menschen wieder attraktiver wird.Die momentanen Arbeitszeitbedingungen erinnern teil-weise an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, sie passennicht in eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Unser Weg hin zu mehr Versorgungsqualität und mehrZusammenarbeit ist richtig. Auch die Modellprojekte, diemit diesem Haushalt gefördert werden, gehen in dieseRichtung.Ich kann Ihnen zum Schluss noch sagen, dass ein ganzelementarer Bestandteil dieser Neuorientierung der Ein-zug der Telematik in das Gesundheitswesen sein wird,
damit wir Prozessabläufe optimieren können und dadurchmehr Zusammenarbeit und mehr Transparenz für dieLeistungserbringer sowie die Versicherten und Patientenschaffen können. Dafür sollten wir gemeinsam alles tun.Dann können wir wirklich gute medizinische Leistungenzu bezahlbaren Preisen anbieten.
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Bundesministerin Ulla Schmidt20324
Auch morgen soll in Deutschland noch der Satz gelten:Krankenkasse ist nicht zweite Klasse. – Darauf vertrauendie Menschen in diesem Land und dafür treten wir an.Vielen Dank.
Nun hat KollegeHorst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.Horst Seehofer (von der CDU/CSU mitBeifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kollegin Schmidt, manchmalist es schon eine Folter, wenn man Ihnen zuhören muss.
Das ganze deutsche Gesundheitswesen ist außer Randund Band und wir hören hier Ausführungen, die – wiemein Kollege Faust, ausgebildeter Arzt, gerade sagte –eher zum ersten Herbstzeugnis als hierhin gehören, dasallerdings nicht zum Vorrücken berechtigt, Frau Schmidt.Sie haben völlig am Thema vorbeigesprochen.
Sie haben hier die wesentlichen Punkte mit Allge-meinplätzen besetzt. Dazu braucht man keine Gesund-heitsministerin und dazu braucht man auch keine Haus-haltsberatung hier im Parlament.Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, einen Auszugaus den Agenturmeldungen der letzten zwei Tage dazu zuerstellen, was diejenigen von dem Gesundheitswesen inDeutschland halten, die davon betroffen sind, also dieje-nigen, die täglich Dienst an den Menschen leisten, unddiejenigen, die diesen Dienst brauchen, nämlich die Kran-kenversicherten. Wenn Sie das lesen, werden Sie sehrschnell erkennen, dass das deutsche Gesundheitswesenaufgrund Ihrer Politik, Frau Schmidt, außer Rand undBand geraten ist.
Sie haben heute wieder zwei Ziele formuliert: eine qua-litativ hohe Versorgung und stabile Krankenversiche-rungsbeiträge. Dazu schrieb die Deutsche Gesellschaft fürVersicherte und Patienten, also diejenigen, für die das Ge-sundheitswesen installiert ist, am 28. November 2001:An diesem Anspruch ist die Gesundheitspolitik vonRot-Grün nun gescheitert.Sie haben keines der beiden Ziele erreicht.
Sie bekommen steigende, galoppierende Beiträge undeine Versorgung, die schlechter ist, als wir sie jemals inder Bundesrepublik Deutschland hatten.
28. November 2001: Klinikärzte beginnen mit Com-puterstreik. Die Ärzte wollen gegen die überlangen Ar-beitszeiten, fehlende Personalstellen und überbordendeBürotätigkeiten demonstrieren. Sie wollen, dass endlichdas Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Okto-ber 2000 umgesetzt wird. 15 000 Stellen sind in den deut-schen Krankenhäusern notwendig. Die Ärzte leiden unterdiesem Problem. Sie sagen zu diesem Thema keinen ein-zigen Satz.
Verweisen Sie jetzt nicht auf unsere Regierungszeit.Wir haben in unserer Regierungszeit zwischen 1992 und1997 für die Pflegekräfte in den deutschen Krankenhäu-sern 25 000 zusätzliche Stellen geschaffen und damit denPflegenotstand in Deutschland behoben. Wir haben dasauch finanziert. Jetzt sind Sie an der Reihe, den Ärzten mit15 000 Stellen zu helfen.
Ich will nun den „praktizierenden Bundesgesundheits-minister“ Florian Gerster zitieren. Wer Florian Gersternicht kennt, dem sei gesagt: Das ist der Sozialminister inRheinland-Pfalz und der eigene Kopf der deutschen SPD-Gesundheitspolitik. Frau Schmidt, an den werden Sie sichnoch erinnern.
Ich zitiere ihn vom 29. November 2001 – das istheute –:Aber inzwischen sehen auch viele – auch im Bun-deskanzleramt und in der Spitze der Regierung –,dass wir mit den jetzigen Instrumenten nicht weiter-kommen. ...Gerster kritisierte, dass Schmidt die Budgetdeckelungvor der Entwicklung neuer Instrumente zur Kostenmin-derung im Gesundheitswesen aufgehoben hat: FrauSchmidt, es war einer Ihrer zentralen Fehler, dass Sie dieBudgets aufgehoben und nicht gleichzeitig eine Struktur-reform des deutschen Gesundheitswesens durchgeführthaben.
Der „amtierende Bundesgesundheitsminister“ wirdweiter zitiert:Auch der Tauschhandel mit der Pharmaindustrie seiirritierend.
– Das ist der Ablass mit 400 Millionen DM. Das ist ei-ner der unappetitlichsten Vorgänge in der deutschen Poli-tik der jüngeren deutschen Geschichte.
Der Deutsche Bundestag – das hätten wir einmal ma-chen sollen! – bekommt ein Gesetz mit dem Inhalt zuge-leitet, dass die Pharmahersteller einen Solidarbeitrag zu
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Bundesministerin Ulla Schmidt20325
erbringen haben. Das gefällt den Pharmaherstellern nicht.Dafür habe ich Verständnis, das ist ihr Recht. Danach ha-ben Sie nichts mehr zu sagen gehabt, Frau Schmidt. Siesind dann direkt zum Kanzler gegangen. Der Kanzler hatdiesen Ablasshandel vereinbart.Das ist ein in hohem Maße unappetitlicher Vorgang:Die großen Konzerne sanieren sich zulasten der Patien-ten und der kleinen und mittelständischen Betriebe. Sieals Parlamentarier lassen sich dieses Gesetz aus der Handnehmen. Sie sind dazu überhaupt nicht mehr gefragtworden.Die Spitze und Absurdität dieses ganzen Vorgangs ist,dass die Hauptzeche dieses Prozesses die Steuerzahler be-zahlen, weil dieser Beitrag natürlich als Betriebsausgabevon der Steuer absetzbar ist, Frau Schmidt. Das ist Ihr So-lidarbeitrag für die Pharmaindustrie. Ihn zahlen dieSteuerzahler und nicht die Pharmahersteller.
Nun zitiere ich den Prüfungsbericht 2000 des Bundes-versicherungsamtes:Zur Deckung ihrer laufenden Ausgaben greifenKrankenkassen immer wieder auf Mittel der Pflege-kasse zurück. Die der Pflegekasse entgangenen Zins-erträge haben die Krankenkassen oftmals nicht er-stattet.
Wir haben die Kassen– so das Bundesversicherungsamt –angehalten, die der Pflegekasse zustehenden Zinsenfür die Vergangenheit zu erstatten und bei künftigenKrediten der Pflegekasse die Zinsen zu erstatten.Das muss man sich einmal vorstellen: Die Pflegekas-sen leben im Moment von den Rücklagen, die wir 1998 andiese Regierung übergeben haben. Die Pflegekassen ha-ben erhebliche strukturelle Probleme. Die Pflegesätzesind im ambulanten Bereich nicht mehr angehoben wor-den. Sie haben in Wahrheit das Problem mit den De-menzkranken nicht gelöst. In einer solchen Situation las-sen Sie zu, dass sich die Krankenkassen aus denRücklagen der Pflegekassen bedienen und dafür den Pfle-gekassen nicht einmal die Zinsen bezahlen.Frau Schmidt, es wäre heute an der Zeit gewesen,dass Sie vor dem deutschen Parlament einmal sagen,was Sie dagegen unternommen haben, dass sich dieKrankenkassen bei den Pflegekassen bedienen. Das isteine Plünderung der Pflegekassen. Wir brauchen dasGeld für die Kranken und Pflegebedürftigen: es darfnicht zur Sanierung Ihrer verfehlten Politik verwendetwerden.
Ich habe heute viele neue Begriffe gelernt. Es gibtkünftig einen „zugelassenen Patienten“.
Das verrät die ganze Denkrichtung, Herr Schöler. Ichwerde Ihnen – wenn es nicht zu teuer ist; ich muss micherst erkundigen – das Werk „Der Arzt wider Willen“ vonMolière zu Weihnachten schenken; denn in diesem schö-nen Werk kommt Ihre Denkrichtung zum Ausdruck.Molière kommt in diesem Werk zu dem Ergebnis, dasszwar eigentlich alles perfekt geregelt sei, dass er abergerne noch die Regelung haben möchte, dass ein Patienterst dann sterben darf, wenn es der Arzt ausdrücklich ver-ordnet hat.
Daran hat mich Ihr Begriff „zugelassener Patient“ erin-nert.Frau Göring-Eckardt, Sie haben – das ist die zweiteneue Wortschöpfung – von „Aufwächsen bei den Beiträ-gen“ gesprochen. Ich weiß zwar nicht genau, was das ist;aber wahrscheinlich haben Sie steigende Beiträge ge-meint. Das war wirklich eine schöne Wortschöpfung.Aber obwohl Sie von Gesundheitspolitik so viel ver-stehen wie niemand sonst bei den Grünen, muss ich Siemit Herrn Metzger von Ihrer Fraktion konfrontieren. Je-der mischt sich ein, weil die zuständige Ministerin ein Va-kuum hinterlässt. Sie hat auch heute nicht zu erkennen ge-geben, wohin ihre Gesundheitspolitik eigentlich führensoll, was sie gegen Beitragssatzerhöhungen und gegen dieVerschlechterung derVersorgungsqualität tun möchte.Man darf sich deshalb nicht wundern, wenn sich jeder,wie zum Beispiel Rheinland-Pfalz, zu Wort meldet.Jetzt hat sich also auch Herr Metzger geäußert, den ichübrigens sehr schätze. Er sagt laut einer Pressemitteilungvom 29. November – das ist sozusagen taufrisch – genaudas, was wir Ihnen schon seit Jahren sagen und was wir,als wir Verantwortung getragen haben, auch befolgt ha-ben: Es gibt nur Transparenz, Wettbewerb und mehrSelbstbestimmung im Gesundheitswesen. Genau diesedrei Parameter sind die Lösung für ein modernes, sozial-verträgliches Gesundheitswesen.
Herr Metzger macht sogar den Vorschlag – ich denke,dass das meine Fraktion auch so sieht; wir haben nicht da-rüber gesprochen –: Derjenige, der regelmäßig zu Vorsor-geuntersuchungen geht, hat eine geringere Selbstbeteili-gung als derjenige, der das nicht tut. Das ist ein ganzvernünftiger Ansatz von Eigenverantwortung. Das istetwas anderes als das, was Sie immer behaupten, um sichselbst zu behaupten. Wir wollen mehr Prävention undVorsorge mit mehr Selbstbestimmung und Eigenverant-wortung verbinden. Deshalb hat Herr Metzger zu Rechtgesagt: Dass Herr Seehofer den Bonus bei der Zahnheil-kunde eingeführt hat – wer regelmäßig zum Zahnarztgeht, bekommt einen höheren Zuschuss als derjenige, dernicht regelmäßig zum Zahnarzt geht –, war wunderbar. Soetwas ließe sich im gesamten Gesundheitswesen realisie-ren: Wer häufiger zu Vorsorge- und Früherkennungs-untersuchungen – eine Steigerung der Zahl solcher Un-
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Horst Seehofer20326
tersuchungen ist in der Tat notwendig – geht, muss weni-ger bezahlen, während derjenige, der das nicht tut, durcheine höhere Selbstbeteiligung mehr zur Solidargemein-schaft beitragen muss.Ich weiß nicht – da Herr Metzger nicht da ist, kann ichihn nicht fragen –, ob alle Grünen diese Meinung teilen.Aber selbst wenn es so wäre, ist ja noch lange nicht ge-sagt, dass sie ihr Gewissen so vergewaltigen dürfen, dasssie ihre Meinung gegenüber der SPD durchsetzen können.Herr Schöler und Frau Ministerin, Sie beide haben wie-der von der Vergangenheit gesprochen.
Das ist der rote Faden, der sich durch die ganze Haus-haltsdebatte zieht. Mich wundert, dass Sie nicht bis in dieGründungsjahre der Republik zurückgehen. FrauSchmidt, Ihre Partei – wahrscheinlich waren Sie auchschon damals Mitglied des Bundestages – hat schon ein-mal Verantwortung getragen. Zwischen 1970 und 1982 istder Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherungvon 8,2 auf 12 Prozent, also um 3,8 Prozentpunkte, ge-stiegen.
Dafür war Ihre Partei verantwortlich. Unter HelmutSchmidt wurde dann ein Gesetz eingebracht, das höhereZuzahlungen vorsah. Unter anderem darüber ist HelmutSchmidt – ich erinnere mich daran noch gut, weil es meinerster Wahlkampf war – gestürzt. Während der 13 Jahre,in denen die sozialliberale Koalition regierte, ist der Bei-tragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung alsoum fast 4 Prozentpunkte gestiegen.
In den 16 Jahren, in denen wir Verantwortung getragenhaben, ist der Beitragssatz von 12 auf 13,6 Prozent ge-stiegen. Er ist also in 16 Jahren um 1,6 Prozentpunkte ge-stiegen! In den 90er-Jahren, als es einen großen Beitrags-satzsprung gab, haben wir das Geld für einen guten Zweckausgegeben, nämlich für eine bessere gesundheitlicheVersorgung in den neuen Ländern. Das Geld war gut an-gelegt.
Der von uns durchgeführte Umbau des Gesundheitswe-sens in den neuen Ländern war eine der größten Leis-tungen in der deutschen Sozialgeschichte. Deswegen wares gerechtfertigt, einen etwas höheren Beitragssatz inKauf zu nehmen.
Frau Ministerin, das ist der entscheidende Unterschiedzwischen Ihrer und unserer Politik. Die Beitragssatzer-höhungen, die Ihnen jetzt bevorstehen, die im Momentlaufen und die dazu führen, dass wir einen Rekordbei-tragssatz erreichen, den wir in der deutschen Geschichtein der gesetzlichen Krankenversicherung noch nie hatten,werden für Dinge ausgegeben, bei denen man sehr hinter-fragen kann, ob sie unter dem Gesichtspunkt der Notwen-digkeit und der Effizienz angezeigt sind. Unsere Bei-tragssatzerhöhungen hingegen wurden für einen sehrnotwendigen und guten Zweck ausgegeben, nämlich fürden Umbau des deutschen Gesundheitswesens in denneuen Ländern. Das ist der entscheidende Unterschied.Frau Schmidt, ich kann Ihnen nur raten: Erholen Siesich über die Weihnachtsfeiertage gut. Lassen Sie sichwarme Kleidung schenken; denn Ihnen stehen im nächs-ten Jahr sehr anstrengende, sehr unterhaltsame, aber auchfrostige Monate bevor. Das kann ich Ihnen ankündigen.
Ich erteile Kollegin
Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Seehofer, Sie haben eine umfangreiche Zitaten-sammlung vorgelegt. Das war ein bisschen patchwork-mäßig nach Lumpensammlerart, aber eine große, starkeRede war das nicht. Ich glaube, das werden Sie selbst auchnicht so sehen.
Gut wäre es natürlich gewesen, Herr Seehofer, wennman all die Umbruchsherausforderungen im Zusammen-hang mit der deutschen Vereinigung seriöserweise steuer-finanziert und nicht den gesetzlichen Krankenkassen auf-gebürdet hätte.
Dann hätten wir heute über eine ganz andere Beitragshöhezu reden und die geringen Entwicklungen, die heute zuverzeichnen sind, würden sich relativieren.
Ich muss mich aber auch wundern, mit welcher Leich-tigkeit bis nahezu Leichtfertigkeit von den hohen Errun-genschaften gesprochen wird, die dieses bewährte Systemhervorgebracht hat, in Bezug auf Innovationskraft undin Bezug auf einen sehr hoch spezialisierten Arbeitsmarktund Beschäftigungssektor im Gesundheitsbereich, dervolkswirtschaftlich von eminenter Bedeutung ist
und dessen Zuwächse insgesamt wie auch die Interessen,die rein privatwirtschaftlich Agierende im Gesundheits-wesen haben, ausschließlich darauf zurückzuführen sind,dass wir ein paritätisch finanziertes solidarischesSachleistungsprinzip haben.
Nur die Tatsache, dass alle gesetzlich Versicherten– dies sind über 90 Prozent – diese hohen Leistungen im
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Falle der Krankheit bekommen können, hat den Innovati-onsschub befördert und enorme Wirtschaftlichkeiten, diedieses System bereithält, nutzen lassen. Wir brauchen unsdoch nur umzuschauen, um zu sehen, dass es niemals derLeistungskatalog als solcher ist, der die Leistung auslöst,sondern dass das immer die medizinische Indikation ist.
Damit sind wir im Zentrum der Frage: Wer kann sichseine Krankheit aussuchen? Wer kann durch die Wahl desLeistungskataloges entscheiden, welche medizinischeVersorgung er oder sie braucht? Das ist doch gänzlicherUnfug und Humbug!
Klar ist doch: Wenn ich den Leistungskatalog ein-schmelze, wird die GKV-Last, die Beitragslast, immergrößer, weil die großen Risiken von immer weniger Men-schen in der Solidargemeinschaft finanziert werden müs-sen. Es ist barer volkswirtschaftlicher Unfug, aus demSachleistungsprinzip aussteigen zu wollen.
Es kommt noch etwas Interessantes dazu; das sprechenSie nicht so deutlich aus. Wenn man den Leistungskatalogausdünnt, eröffnet man in der Tat einen neuen großen,ökonomisch verwertbaren Dienstleistungssektor, nämlichden Sektor der ärztlichen Dienstleistung, die privat bar be-zahlt werden muss. Wie kann man eine medizinischeLeistung, die nicht medizinisch indiziert ist, auchmedizinethisch vertreten? Man kann ein System wie un-seres nicht zu einem Wirtschaftsfaktor ausbauen und nochdie Illusion nähren, dass man darin evidenzbasierte medi-zinische Versorgungsansprüche realisieren könnte.
Die große Aufgabe, die es auch in der Zukunft geradein Bezug auf die demographische Entwicklung zu meis-tern gilt, muss zwingend auf dem solidarischen Sachleis-tungssystem basieren.
Deshalb ist es für mich völlig unverständlich, wie man einso hochleistungsfähiges System in solchem Maße diskre-ditieren kann.
Rein demokratiepolitisch und vom Staatsverständnisher ist es für mich ein Phänomen: Wer heute den System-wechsel propagiert, hat vor der Aufgabe der Reformpoli-tik bereits kapituliert. Warum? – Wenn man ein Systemverlassen will, muss man zwingend nachweisen, dass esnicht reformierbar ist. Genau das können Sie nicht nach-weisen. Sie haben keine Legitimation, zu behaupten, dassdieses System die Herausforderungen der Zukunft nichtmeistern kann.
Dazu braucht man allerdings eine Politik, die es sich nichtaus der Hand nehmen lässt, regulierend und reregulierendzu wirken.
Es hat mich doch sehr verwundert, wie neue Leis-tungsbereiche, die wir in die GKV aufgenommen haben,in den Debattenbeiträgen denunziert wurden. Was bedeu-tet in diesem Bereich die medizinische Fußpflege? Es istein zwingendes Erfordernis, Menschen mit diabetischenErkrankungen eine bessere Versorgung zu sichern
und sie als chronisch Kranke möglichst lange frei von ver-meidbaren Beschwerden zu halten. Das ist ein unver-zichtbarer Leistungsbereich.
Ein weiteres Beispiel ist die Soziotherapie. Wie kommtman dazu, in Abrede zu stellen, dass Menschen mitschweren chronischen psychiatrischen Krankheitsbilderndiese Leistungen brauchen? Das ist für mich der Inbegriffvon Gleichheit, die durch die GKV hergestellt werdenkann. Das werde ich jederzeit verteidigen.Wenn Sie einzelne Leistungsbereiche herausnehmenwollen, drücken Sie damit zugleich aus, dass Sie die Un-gleichheit der Erkrankten verstärken wollen.
Man muss sicherstellen, dass – egal, um welche Krankheites sich handelt – alle an den neuen medizinischen Er-kenntnissen partizipieren können.
Deshalb ist dieses System so souverän.
Neue Herausforderungen stehen an. Sie werden vonuns gemeistert werden. Ich nenne nur das von keinem Ih-rer Redner angesprochene Thema der großen Herausfor-derung der neuen Bio- und Gentechnologie sowohl inder Forschung als auch in der Diagnostik.Ein Gentestgesetzwird von uns erarbeitet werden, umsicherzustellen, dass Gendiagnostik – ein hochsensiblesGebiet – nur im Bereich des ärztlichen Behandlungsauf-trages erfolgen kann, damit niemand mit diesen Tests zu-sätzlich Geld verdient und große Verunsicherung bei denMenschen verursacht und ihnen individuell riesige Risi-ken auflädt.
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Monika Knoche20328
Wir beschäftigen uns ebenso damit, welche immensenTabubrüche die embryonale Stammzellforschung dar-stellt, gerade in Bezug auf die Ummünzung der Unfrucht-barkeitsbehandlung zur Gewinnung von Ressourcen fürdie medizinische Forschung. Das sind herausragendeThemen, denen wir uns stellen.Ich bin froh, dass ich in dieser Legislaturperiode an derArbeit der Regierungskoalition teilnehmen kann. Ichwürde niemals erwarten, dass Sie mit einer solchen Of-fenheit und Klarheit sowie einer solchen ethischen Orien-tierung an diese Zukunftsfragen herangingen.
Ich erteile dem Kolle-
gen Dr. Ilja Seifert, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine liebe
Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir noch einige
Bemerkungen zur Pflegeversicherung. Es gäbe dazu ei-
gentlich sehr viel zu sagen.
Frau Ministerin, anhand zweier Punkte möchte ich be-
legen, dass man einiges, was Sie in diesem Bereich ma-
chen, nicht akzeptieren kann.
Sie nehmen sich vor, über die Pflegeversicherung Mo-
dellprojekte für ein persönliches Budget und für neue
Wohnformen von Pflegebedürftigen zu bezahlen. Selbst
wenn das funktionieren würde, könnten Sie diese Mo-
dellprojekte keinesfalls in die Praxis überführen; denn
bundesweit flächendeckend kann man aus der Pflegever-
sicherung weder persönliche Budgets, die den Zweck
einigermaßen erfüllen, noch Wohnformen finanzieren;
das muss steuerfinanziert sein.
Gleichzeitig – das ist das eigentlich Schlimme – sen-
ken Sie die Haushaltsmittel für diesen Zweck um den
Betrag, den Sie in der Pflegeversicherung für Modellpro-
jekte zur Verfügung stellen. Das ist ein Verschiebebahn-
hof im klassischen Sinne. Das kann man nicht akzep-
tieren.
– Lesen Sie das doch einmal nach!
– Eben!
Dann lassen Sie uns einmal über die Greencard-Vari-
ante reden. Auch das ist so ein tolles Ding. Wenn wir Pfle-
geassistenz, Hilfe, Begleitung – und was da sonst noch al-
les genannt werden kann – wirklich ernst nehmen und ein
bisschen verbessern wollen, dann müssen wir wissen,
dass die Menschen, die diese Pflegeassistenz, diese Hilfe,
diese Begleitung benötigen, unter anderem Ansprache
und das Reden miteinander brauchen.
Ich möchte einmal wissen, wie ein pflegebedürftiger
Mensch mit einem Thai-Mädchen reden soll. Ich habe
nichts gegen Thai-Mädchen, aber in diesem Bereich geht
es um etwas anderes. Es geht darum, dass man miteinan-
der reden kann, und dazu gehören unter anderem Sprach-
kenntnisse, und zwar auch Kenntnisse der Dialekte, die
die Menschen sprechen. Jemand, der in einem baye-
rischen Dorf pflegebedürftig ist, spricht bayerisch. Das ist
nicht das Deutsch, das ein aus dem Ausland eingereister
Mensch vielleicht ein bisschen lernt.
Ich weiß genau, dass diese Greencard-Variante auch in
den Kreisen derjenigen, die den Pflegenotstand immer
wieder und mit Recht anprangern, zwar begrüßt wird,
aber nur als eine Notvariante gesehen wird. Das heißt
doch, dass die Not so groß ist, dass man anders überhaupt
nicht weiterkommen kann. Ihre Aufgabe und unsere Auf-
gabe wäre es aber, den Menschen, die diese Arbeit leisten
möchten – sonst würden sie den Beruf ja nicht erlernen –,
eine Chance zu geben, diesen Beruf so auszuüben, wie sie
ihn ausüben wollen, eben nicht nach dem Motto: satt, sau-
ber, trocken und ansonsten Bude zu und viel Papier be-
schrieben.
Darum geht es eben nicht. Es geht darum, sich den Men-
schen zuwenden zu können. Dazu gehört auch, dass man
miteinander reden kann, dass man Zeit füreinander hat,
dass man da ist, statt Papier zu beschreiben.
Ich hätte dazu noch sehr viel zu sagen, aber leider ist
meine Redezeit zu Ende.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und bitte Sie,
das zu bedenken.
Ich erteile dem Kolle-gen Klaus Kirschner, SPD-Fraktion, das Wort.Klaus Kirschner (vom Abgeordneten der SPDmit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Verehrte Kollegin-nen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Seehofer– oder soll ich sagen „lieber Herr Kollege Seehofer“? –,
nachdem ich Ihnen zugehört habe, kann ich nur ein Resü-mee ziehen: Sie tragen Ihre simple Kritik gebetsmühlen-haft in Plattitüden vor, ohne – das habe ich bei Ihnen ver-misst – konkrete Antworten auf die Zukunftsfragen derGesundheitspolitik zu geben.
Das lässt darauf schließen, dass Sie – das gilt für diegesamte Opposition auf der rechten Seite des Hauses –Ihre Absichten vor den Wählern verschleiern wollen.
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Monika Knoche20329
Dafür habe ich sogar Verständnis, da Sie schon bei derletzten Bundestagswahl von den Wählerinnen undWählern für Ihre Politik der immer höheren Zuzah-lungen – lieber Herr Kollege Seehofer, das haben Sie ebenverschwiegen – und des Schritts in die Zweiklassenmedi-zin – die Abschaffung der Erstattung für Zahnersatz fürjüngere Menschen war der Schritt in die Zweiklassen-medizin – abgewatscht worden sind.
Sie tun so, als ob Ihre Welt der Gesundheitspolitik,Herr Kollege Seehofer, heil gewesen wäre. Nichts warheil und nichts war Ihnen heilig. Bei Ihnen sind sowohldie Beitragssätze gestiegen
als auch die zusätzlichen Belastungen für die Patientinnenund Patienten. Denken Sie doch nur an die Zuzahlungenbei Arzneimitteln, die Sie erhöht haben, an die Zuzahlun-gen bei Reha und an die Koppelung, dass die Beitrags-sätze gestiegen sind und die Zuzahlungen erhöht wurden.
Mit diesen Rezepten von gestern und vorgestern wollenSie doch im Grunde weitermachen. Sie wollen den Pati-enten in die Tasche greifen.
Da Sie das verschleiern wollen, lasse ich Ihnen die ge-sundheitspolitische Hose runter.
Ich will einmal versuchen, das an dem CDU-Papier„Neue soziale Marktwirtschaft – für einen neuen Vertragzwischen Politik und Bürger“ – das ist eine schöne Über-schrift – klar zu machen. Dort heißt es unter anderem:Auch die gesetzlichen Krankenkassen sollenZusatzversicherungen anbieten können.Unter „Stärkung der Wahlrechte der Versicherten“ heißt es:Diese sollen sich für oder gegen bestimmte, über dieKernleistungen hinausgehende Zusatzleistungen ent-scheiden können.
Im Klartext: Sie wollen Grund- und Wahlleistungenund nichts anderes.
Nicht mehr der Patient und seine berechtigten medizini-schen Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt, sondern der Zu-griff auf den Geldbeutel.
Davon soll seine Behandlung abhängig gemacht werden.Das ist, auch wenn Sie es anders nennen und verschleiernwollen, die Zwei-Klassen-Medizin. Das wissen Sie ganzgenau.
Nun zur CSU. Ich gebe ja gern zu: Die CSU ist im Zün-den von Nebelkerzen cleverer als ihre Schwester- oderBruderpartei CDU. In ihrem Papier „Gesundheitspolitikfür das neue Jahrhundert“ heißt es zwar:Die Einführung einer Grundsicherung bzw. die Ein-führung eines Regel- und Wahlleistungskatalogs istabzulehnen, da niemand in der Lage ist, einen Grund-leistungskatalog aufzustellen.Da kann ich nur sagen: Richtig! Ich frage allerdings:Wieso haben Sie denn vorher geklatscht?
– Sie haben doch vorher geklatscht.Weiter steht dort:Der Versicherte soll jedoch zukünftig wählen kön-nen, welche Leistungen er in der gesetzlichenKrankenversicherung beanspruchen will.
Zwar sollen Krankenhausbehandlung, Arzneimittel undärztliche Behandlung sowie Krankengeld auch weiterhinzum Pflichtleistungskatalog gehören, jedoch sollen dieübrigen Leistungen – so steht es in Ihrem Papier –, dassind etwa 16 Prozent der Leistungsausgaben, immerhinrund 40Milliarden DM, vom Versicherten insgesamt oderteilweise abgewählt werden können. Das heißt bei-spielsweise – das müssen Sie den Menschen sagen –:Heilmittel, Hilfsmittel, Zahnersatz, häusliche Kranken-pflege, Krankenfahrten, beispielsweise zur Dialyse, stel-len Sie zur Disposition.
Beantworten Sie doch einmal folgende Frage: Wennein 20- oder 30-jähriger Patient oder Versicherter, der indiesem Alter logischerweise in der Regel nicht an chroni-sche Krankheiten denkt, solche Leistungen abwählt, mit60 Jahren aber beispielsweise einen Schlaganfall erleidet– davor ist niemand gefeit – und dringend auf Kran-kengymnastik, Logopädie oder häusliche Krankenpflegeangewiesen ist, was wird dann aus seiner Behandlung?Diese Fragen müssen Sie doch beantworten, wenn Siediese Leistungen aus dem Pflichtleistungskatalog he-rausnehmen.Welchen Stellenwert hat denn die Reha in der Gesund-heitsversorgung à la CSU, wenn Krankengymnastik undSprachheilkunde nicht mehr zum Pflichtleistungskatalogder gesetzlichen Krankenversicherung gehören sollen?Was ist mit dem Rollstuhl als Hilfsmittel, wenn er den
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abgewählt hat? Der gehört nach Ihrer Version der gesetz-lichen Krankenversicherung nicht mehr zum Pflicht-leistungskatalog. Was ist, wenn nach einer Brustkrebs-operation die Lymphdrainage nicht mehr von der GKVgewährt wird, weil sie nicht mehr zu den Pflichtleistungengehört
und die Patientin als Versicherte das in jungen Jahren ab-gewählt hat?Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Sind Sie sicheigentlich bewusst, dass Sie die Behandlungskette von derPrävention über die Akutbehandlung zur Reha kippen?Sind Sie sich bewusst, dass Sie Heil- und Hilfsmit-telversorgung einerseits zu Luxusgütern machen, indemSie sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung aus-gliedern, während anderseits den Sozialhilfeempfängerndiese Leistungen zustehen? Was Sie in Ihr Papierhineingeschrieben haben, ist verfassungswidrig.
Meine Damen und Herren, in enger Verbundenheit– das gilt auch für die FDP, lieber Herr Kollege Parr – mitden Lobbyisten der Leistungserbringer begründen Siedies unisono damit, dass angeblich das Geld nicht mehrreicht für eine ausreichende und qualitätsgesicherte Voll-versorgung.Der Kollege Seehofer hat in einer Debatte im Deut-schen Bundestag am 26. September gesagt, dass durch dieBudgetierung Millionen kranke Menschen in Deutsch-land die notwendige Versorgung nicht mehr bekommen.Angesichts Ihrer Absichten – sie sind im CSU-Papier dar-gelegt –, die Heil- und Hilfsmittelversorgung und diehäusliche Krankenpflege von Schwerkranken zu strei-chen, ist dies pure Heuchelei.
An die Adresse der FDP möchte ich Folgendes sagen:Herr Kollege Parr, Sie reden ständig von mehr Wettbe-werb. Wo bleibt die Forderung nach mehr Wettbewerbzum Beispiel bei der Arzneimitteldistribution? FordernSie die Freigabe des Versandhandels für Medikamente?Wollen Sie mehr Wettbewerb bei den Zahnärzten undÄrzten? Stellen Sie die KVen und die KZVen auf denPrüfstand? Was Sie in Wirklichkeit wollen, ist ein Wett-bewerb zugunsten der Besitzstandswahrer und zulastender Versicherten und Patienten.
Ihre Wege, den Kranken mehr Geld abzupressen, sindin höchstem Maße unsozial. Es ist doch vielmehr zutref-fend – ich zitiere –
– warten Sie einmal ab! –,dass wir in der Bundesrepublik Deutschland zu vieleKrankenhausbetten haben, dass wir im Krankenhausein hohes Maß an Fehlbelegungen haben, dass wir inDeutschland viel zu viel stationäre und viel zu wenigambulante Behandlung durchführen. Niemand wirdernstlich infrage stellen können, dass wir in der teu-ren Apparatemedizin z. B. einen Anteil von 30 %überflüssigen Röntgen- oder Laborleistungen haben.Jeder kennt doch die Probleme mit den Mehrfachun-tersuchungen, mit den großen Arzneimittelpackun-gen. Hier liegen große Wirtschaftlichkeitsreservenfür das Einsparen.Dieser Sachstandsbeschreibung kann ich nur zustim-men. Sie liegt zwar neun Jahre zurück, hat aber nichts vonihrer Aktualität verloren. Wissen Sie, von wem diese Ana-lyse stammt? Von unserem lieben, verehrten KollegenSeehofer – damals noch Bundesgesundheitsminister –,hier am 11. September 1992 vorgetragen!
Wie man aus einer solchen Analyse die Schlussfolgerungziehen kann, dass es einer höheren Selbstbeteiligung undder Kürzung medizinischer Leistungen bedarf, das bleibtIhr Geheimnis.
Zielführend ist: höhere Effizienz, mehr Effektivitätund Qualität, so wie es das GKV-Gesundheitsreformge-setz 2000 vorsieht. Das haben wir in das Gesetz hinein-geschrieben. Ich gebe zu: Wir sind mit der Umsetzung lei-der nicht so vorangekommen, wie ich es erhofft habe.
Beispielsweise wurden bis zur Konstituierung des Koor-dinierungsausschusses mehr als eineinhalb Jahre ge-braucht. Wir werden uns diese Blockade genau an-schauen. Es darf in Zukunft nicht mehr so sein, dass das,was der Gesetzgeber beschließt, blockiert wird.Ebenso sind die vollmundigen Versprechungen derKBV– ich weise darauf hin, weil es ebenfalls sehr viel mitden steigenden Arzneimittelausgaben zu tun hat –, dasProblem der Arzneimittelausgaben selbst in den Griff zubekommen, ins Gegenteil verkehrt worden. Auch deshalbmüssen wir jetzt die Gesetze ändern.Beitragssatzstabilität ist erreichbar, wenn – davon binich überzeugt – die beschlossenen Strukturreformen end-lich Realität werden. Da Sie immer wieder nach unserenKonzepten fragen: Was ist Ihre Alternative zur integrier-ten Behandlung in Versorgungsnetzen, zu den Fallpau-schalen im Krankenhaus, zum Katalog stationsersetzen-der Leistungen, zur Stärkung des Hausarztes?
Sind Sie gegen evidenzbasierte Behandlungsleitlinien,die durch den Koordinierungsausschuss festzulegen sind?Wenn Sie dagegen sind, dann sagen Sie es! Aus meinerSicht gibt es keine verantwortbare Alternative, wenn derPatient – nicht egoistische Partikularinteressen – im Mit-telpunkt stehen soll. Darum dreht sich die ganze Ausei-nandersetzung, die wir hier zu führen haben.Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und vonder FDP, ich rate Ihnen: Werfen Sie Ihren Ballast ver-staubter,
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strukturkonservativer Vorstellungen ab!
Ich sage ehrlich: Es geht darum, ob wir entweder eine me-dizinisch-qualitätsgesicherte Vollversorgung,wie wir siewollen, oder ein System von Grund- und Wahlleistungen,wie es Ihrem Konzept entspricht, bekommen. Wirscheuen die politische Auseinandersetzung darüber nicht.Ich verspreche Ihnen: Wir werden diese Auseinanderset-zung auch im Wahlkampf führen.
Wenn Sie den Patienten wirklich in den Mittelpunktstellen wollen, dann rate ich Ihnen: Springen Sie endlichauf den Zug echter Strukturreformen und geben Sie IhrVorhaben einer Zweiklassenmedizin – es handelt sich umein soziales Abstellgleis – auf!
Ich erteile das Wort
der Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber KollegeKirschner, Ihre gerade hier vorgetragene Rede war einreines Ablenkungsmanöver. Wir können doch stolz sein,dass die CDU/CSU wenigstens ein Konzept hat. Sie ha-ben nämlich keines.
Auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg wurde nicht ein Wortüber konkrete Zukunftsperspektiven für das Gesundheits-wesen verloren.Ehe Sie hier die Grund- und Wahlleistungen so diffa-mieren, sollten Sie sich einmal mit den Aussagen Ihrer ei-genen Parteifreunde beschäftigen. Florian Gerster ausRheinland-Pfalz sagt, daran führe gar kein Weg vorbei.Hören Sie sich einmal in Ihrem eigenen Ministerium um.Der Abteilungsleiter Smigielski spricht ja schon überhöhere Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen, allerdingserst für die Zeit nach der Wahl. Warum wollen Sie eigent-lich den Menschen hier im Land etwas vormachen? DieMenschen glauben es Ihnen nicht.
Wenn es noch eines Hinweises bedurft hätte, hat spätes-tens die heutige Debatte gezeigt: Frau Schmidt, Sie sinddie zweite Ministerin in Folge, die den Anforderungen desAmtes nicht gewachsen ist. Nie waren Sie so schwach wieheute. Ihnen gleitet alles aus der Hand.
Horst Seehofer hat in seiner Rede deutlich die Explo-sion der Kassenbeiträge aufgezeigt.
Die fünf Wirtschaftsweisen haben es ebenfalls in der ih-nen eigenen Nüchternheit gesagt – ich zitiere –: „Der Ge-sundheitspolitik fehlt eine klare Konzeption.“ Deutlichergeht es wohl nicht mehr.
Frau Schmidt, Sie fahren das Gesundheitssystem sou-verän, wie Sie es nennen, an die Wand. Die Leidtragendensind zuallererst wieder einmal die kleinen Leute im Land.
Wo ist denn das angeblich so große Herz der SPD für diekleinen Leute nach drei Jahren geblieben?
Auch Ihr Kanzler hat mittlerweile erkannt, dass Sie dieZügel nicht mehr in den Händen halten, und hat jetzt, woIhnen das Wasser bis zum Halse steht, selbst das Ruderübernommen. Gesundheitspolitik ist zur Chefsache ge-worden. Damit wird aber das Ganze nicht besser.Schröder ist der Dritte im Bunde, der keine Ahnung vonGesundheitspolitik hat.
– Warten Sie einmal ab. – Aus dem, was Schröder mit sei-nem Pharmadeal uns Parlamentariern – das müsste dochSie als Geschäftsführerin wirklich ins Mark treffen –
und mehr noch den Patienten, den Versicherten, den Men-schen in diesem Land zumutet, spricht wirklich die kalteArroganz der Macht.
Ich weiß nicht, was es ist: Ahnungslosigkeit oder Kalt-blütigkeit. Ich vermute, es ist von beidem etwas. Schrödernimmt das Geld des kleinen Mannes und verteilt Weih-nachtsgeschenke an die milliardenschwere Pharmaindus-trie.Der Kanzlerdeal ist verfassungspolitisch so anrüchigund unanständig, dass wir den Menschen schon mit allerDeutlichkeit sagen müssen, was in diesem Lande vor sichgeht.
Das sollte auch Sie beschäftigen. Ich sage es noch einmalzum Mitschreiben: Die Fraktionen von SPD und Bünd-nis 90/Die Grünen bringen in den Bundestag einen Ge-setzentwurf mit dem Ziel ein, die Arzneimittelausgabenzu senken, für deren Erhöhung sie selbst verantwortlichsind. Die Argumente der Betroffenen werden in der An-hörung gar nicht wahrgenommen; die Anhörung zu IhremGesetz verlief doch niederschmetternd.
Jetzt drohen für die Beschäftigten und für die wirtschaft-liche Entwicklung und für unser Land große Schwierig-keiten.Was passiert? Siehe da, die Industrie winkt mit demGeldbeutel und Schröder öffnet – zumindest für die be-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Klaus Kirschner20332
sonders zahlungskräftigen forschenden Pharmaunterneh-men – die Pforten des Kanzleramtes.
Man raucht Zigarren und trinkt schweren Rotwein. Dannlässt man sich 400 Millionen DM in einem Koffer anbie-ten und verspricht dafür, dass ein Passus aus dem Gesetzverschwindet.
Dieser Passus sah für 2002 und 2003 einen gesetzlich ver-ordneten Preisabschlag von 4 Prozent bei verschrei-bungspflichtigen und nicht festbetragsgeregelten Medika-menten vor. Dabei handelt es sich um 390 Millionen DMpro Jahr, insgesamt also 780 Millionen DM –
– hören Sie gut zu; ich weiß, dass Sie das nicht gernehören, aber das können Sie sich ruhig einmal auf derZunge zergehen lassen –, die die Pharmaindustrie weni-ger verdient hätte. Jetzt kommt Schröder und sagt: Okay,gebt mir einmalig 400 Millionen DM und die Sache istvom Tisch. – Dieses Geschenk, das 380 Millionen DMkostet, haben die Versicherten in diesem Land zu bezah-len. Dass dieser Deal jetzt auch noch von der Steuer ab-setzbar sein soll, haben wir schon gehört. Deshalb ist diePharmaindustrie an dieser Stelle kaum noch betroffen.Durch das Absetzen als Betriebsausgabe reduzieren sichdie verbliebenen 400 Millionen DM etwa auf die Hälfteund zahlen darf es der kleine Steuerzahler.
Die Verteilung dieser mageren 400 Millionen DM aufdie 620 Krankenkassen im Land wird auch noch einmalGeld verschlingen. Was kommt denn am Schluss über-haupt noch bei den Beitragszahlern an?
Ich kann nur sagen: Schöne Weihnachten, zumindestfür die großen Pharmakonzerne! Eine Branche kauft sichvon gesetzlichen Regelungen frei. Die Großen lässt manlaufen und die Kleinen beißen die Hunde. So sieht rot-grüne Reformpolitik aus!
Nach drei Jahren rot-grüner Politik sind wir in einerBananenrepublik angekommen.
Der Kanzler geriert sich wie ein Monarch, das Parlamentwird zum Abnicken degradiert – das ist ja nicht das ersteMal – und bezahlt wird diese monarchistische Schau vomkleinen Mann. Es ist kein Wunder, wenn er das Vertrauenin den Rechtsstaat und in das System der gesetzlichenKrankenversicherung verliert.Meine Damen, meine Herren von Rot-Grün, als Kolle-gin und auch als Bürgerin finde ich dieses Gebaren desBundeskanzlers, das Sie nicht im Mindesten in Zweifelziehen – Frau Schmidt-Zadel, Sie sagten wörtlich, derKanzler habe gut verhandelt; es fragt sich nur, für wen –,nicht nur verfassungspolitisch skandalös, sondern auchunter rechtlichen Aspekten höchst bedenklich.Jetzt können Sie noch etwas lernen. § 31 SGB I enthälteinen Gesetzesvorbehalt, in dem verankert ist, dass Zu-wendungen an die gesetzliche Krankenversicherung nuraufgrund gesetzlicher Grundlagen möglich sind.
Aber unsere Gesundheitsvirtuosen Schröder und Schmidtbewegen sich im gesetzwidrigen Raum. Wenn gesetzlicheKrankenkassen das Geld bekommen sollen, dann mussdas durch ein Gesetz geregelt werden.
Daran kommen Sie nicht vorbei, aber vorgelegt haben Sienoch nichts. Es ist auch völlig unklar, wie die Bundesre-gierung sicherstellen will, dass die Mitgliedsunternehmendes VFA die Zahlungen tatsächlich leisten.Es ist ganz interessant, wenn Sie in den Ticker schauenund in einer dpa-Meldung lesen, was wir morgen zum Bei-spiel in der „Frankfurter Rundschau“ lesen werden. Wirwerden nämlich lesen, dass es gar nicht sicher ist; diePharmaindustrie will diese 400 Millionen DM wohl garnicht bezahlen. In der dpa-Meldung heißt es – ich zitiere –:Vielmehr sollten die 38 Mitgliedsfirmen jeweils Teil-beträge an die von der Regierung zu benennende In-stanz überweisen.Das heißt, wenn nicht gezahlt wird, haben die Kassen alsöffentlich-rechtliche Körperschaft noch nicht einmal dieRechtsgrundlage dafür, um dieses Geld einzufordern.Ohne gesetzliche Regelung setzt sich neben der Regie-rung auch noch die gesetzliche Krankenversicherung demVorwurf der Käuflichkeit aus.
Ist denn überhaupt geklärt, ob die Krankenkassen diesesSchmiergeld annehmen wollen?Auch in diesem Zusammenhang ist es wieder interes-sant, zu lesen, was in der deutschen Öffentlichkeit gesagtwird – ich zitiere aus derselben Meldung –:Weder das Bundesversicherungsamt noch die Spit-zenverbände der Krankenkassen seien zu der Mittel-verteilung bereit, heißt es in dem Zeitungsbericht.Frau Schmidt, bei dem, was Sie machen, handelt es sichum einen Systembruch, mehr noch: Es ist ein weitererSündenfall. Im Unterschied zur Rentenversicherung lebtdie gesetzliche Krankenversicherung bisher nicht von Zu-schüssen, sondern ausschließlich vom Beitragsaufkom-men. Mit diesem Ablasshandel schaffen Sie eine völligneue Finanzierungsquelle für die gesetzliche Krankenver-sicherung. Ich frage Sie, ob Sie jetzt auch noch die
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Annette Widmann-Mauz20333
Krankenversicherung von der Spendenbereitschaft derPharmaindustrie abhängig machen wollen.
Man könnte die Behandlung dieser rechtlichen Fragenbis in alle Ewigkeit fortsetzen. Es ist wirklich schlimm,aber eines kann ich Ihnen zum Abschluss wirklich nichtersparen. Sie haben uns immer das Bild von der Zwei-klassengesellschaft an die Wand gemalt.
Ich erinnere mich gut daran, dass Sie auf Wahlplakatenzum Beispiel den Zahnersatz für Kinder instrumentali-siert haben. Sie haben es wieder getan, Kollege Kirschner.Damals hieß es, unsere Kinder sollten auch in Zukunftlächeln können, obwohl Sie genau wussten, dass die Kin-der von dieser Regelung so gut wie gar nicht betroffen ge-wesen wären. Dies war eine infame Kampagne.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sie sich heute doch selbstübertreffen. Den Kindern in diesem Land ist das Lachennämlich mittlerweile vergangen. Sie haben einer Richtli-nie des „Bundesausschusses Zahnärzte und Krankenkas-sen“ zugestimmt, nach der die Kassen von Januar an fürdie Korrektur von Zahnfehlstellungen nur noch in Aus-nahmefällen die Kosten erstatten. Künftig werden also dieEltern die Zahnspange für ihre Kinder selbst finanzierenmüssen. Bei Kosten von 1 500 bis 7 000 DM ist das wirk-lich kein Pappenstiel.
Glauben Sie denn allen Ernstes, dass Ihren Sonntags-reden von Stärkung der Prävention und Ablehnung einerGrundversorgung in der Bevölkerung überhaupt noch je-mand glaubt?
Frau Kollegin, Sie ha-
ben Ihre Redezeit überschritten. Sie müssen bitte zum
Ende kommen.
Ich komme
zum Schluss.
Wer die Grundversorgung durch die Hintertür einführt,
der hat jeglichen Anspruch verloren, sich abfällig über
Kern- und Wahlleistungen auszulassen. Künftig wird man
in diesem Land am Lächeln erkennen, ob jemand zur Zeit
von Rot-Grün groß geworden ist.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aus-sprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15,Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschussfas-sung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen vonSPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen desübrigen Hauses angenommen.Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfachtenVerfahren ohne Debatte.Ich rufe die Tagesordnungspunkte V a bis V f sowie Zu-satzpunkt 1 auf:Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurNeuordnung der Statistik im produzieren-den Gewerbe und zur Änderung des Geset-zes über Kostenstrukturstatistik– Drucksache 14/7556 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss(f)InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Technologieb) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurStärkung der vertraglichen Stellung von Ur-hebern und ausübenden Künstlern– Drucksache 14/7564 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Kultur und Medienc) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurgeordneten Beendigung der Kernenergie-nutzung zur gewerblichen Erzeugung vonElektrizität– Drucksache 14/7261 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Technologied) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Forstvermeh-rungsgutgesetzes
– Drucksache 14/7384 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschafte) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Protokoll vom 27. Februar 2001 zurEr-gänzung des Abkommens vom 5. April 1993
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zwischen der Bundesrepublik Deutschlandund der Republik Lettland über den Luft-verkehr– Drucksache 14/7419 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenf) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeFlach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDPDeutscherWissenschaftspreis– Drucksache 14/3811 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzung
FinanzausschussAusschuss für Kultur und MedienZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachtenVerfahren
Beratung des Antrags der Fraktion der PDSSofort- und Wiederaufbauhilfe für Kuba nachdem Wirbelsturm „Michelle“– Drucksache 14/7597 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeHaushaltsausschussInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir kommen jetzt zu Beschlussfassungen zu Vorlagen,zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI a auf:Abschließende Beratungen ohne AusspracheZweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Anerkennungs- und Voll-streckungsausführungsgesetzes– Drucksachen 14/7207, 14/7418 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache: 14/7595 –Berichterstattung:Abgeordnete Margot von RenesseJoachim StünkerDr. Susanne TiemannRainer FunkeDr. Evelyn KenzlerDer Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/7595,den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmendes ganzen Hauses angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist vom ganzen Haus angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI b auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Aufhebung des Gesetzes zur Förde-rung der Rationalisierung im Steinkohlenberg-bau– Drucksache 14/7238 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 14/7607 –Berichterstattung:Abgeordneter Kurt-Dieter GrillDer Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-fiehlt auf Drucksache 14/7607, den Gesetzentwurf anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damitin zweiter Beratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI c auf:Zweite Beratung und Schlussabstimmung des vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. März1996 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und der Demokratischen VolksrepublikAlgerien über die gegenseitige Förderung undden gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 14/7042 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 14/7482 –Berichterstattung:Abgeordneter Friedhelm OstDer Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-fiehlt auf Drucksache 14/7482, den Gesetzentwurf anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sichzu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der PDS mit denStimmen des übrigen Hauses angenommen.
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Präsident Wolfgang Thierse20335
Ich rufe Tagesordnungspunkt VI d auf:Zweite Beratung und Schlussabstimmung des vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 23. Mai 2000zwischen der Bundesrepublik Deutschland undderRepublik Botsuana über die Förderung undden gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 14/7043 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 14/7525 –Berichterstattung:Abgeordneter Rolf HempelmannDer Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-fiehlt auf Drucksache 14/7525, den Gesetzentwurf anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sichzu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des Hauses beiEnthaltung der PDS angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI e auf:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Fe-bruar 2000 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Demokratischen Sozia-listischen Republik Sri Lanka über die Förde-rung und den gegenseitigen Schutz von Kapi-talanlagen– Drucksache 14/7036 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 14/7526 –Berichterstattung:Abgeordnete Andrea Fischer
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehltauf Drucksache 14/7526, den Gesetzentwurf anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen desHauses bei Enthaltung der PDS angenommen.Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten VI fbis VI k, zu den Beschlussempfehlungen des Petitions-ausschusses.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI f auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 317 zu Petitionen– Drucksache 14/7494 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 317 ist mit den Stimmen desHauses bei Enthaltung der PDS angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI g auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 318 zu Petitionen– Drucksache 14/7495 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 318 ist mit den Stimmen desHauses bei Enthaltung der PDS angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI h auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 319 zu Petitionen– Drucksache 14/7496 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 319 ist mit den Stimmen desHauses bei Enthaltung der PDS angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI i auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 320 zu Petitionen– Drucksache 14/7497 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 320 ist einstimmig angenom-men.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI j auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 321 zu Petitionen– Drucksache 14/7498 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 321 ist mit den Stimmen vonSPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen deranderen Fraktionen angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt VI k auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 322 zu Petitionen– Drucksache 14/7499 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 322 ist mit den Stimmen vonSPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stim-men von CDU/CSU und FDP angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 2 a auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines GesetzeszurBereinigung des als Bundesrecht fortgelten-den Rechts der Deutschen Demokratischen Re-publik– Drucksache 14/6811 –
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Präsident Wolfgang Thierse20336
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 14/7570 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim HackerAndrea VoßhoffHans-Christian StröbeleRainer FunkeDr. Evelyn KenzlerDer Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache14/7570, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte dieje-nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurfist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist einstimmig angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 2 b auf:Zweite Beratung und Schlussabstimmung des vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zu dem Markenrechtsvertrag vom27. Oktober 1994– Drucksache 14/7044 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 14/7574 –Berichterstattung:Abgeordnete Dirk ManzewskiDr. Norbert RöttgenVolker Beck
Rainer FunkeSabine JüngerDer Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache14/7574 den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte dieje-nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zuerheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Damit sind wir am Ende dieser Abstimmungsprozedur.Ich rufe nun auf:Einzelplan 12Bundesministerium für Verkehr, Bau- undWohnungswesen– Drucksachen 14/7312, 14/7321 –Berichterstattung:Abgeordnete Bartholomäus KalbGerhard RübenkönigFranziska Eichstädt-BohligJürgen KoppelinDr. Uwe-Jens RösselEs liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion derCDU/CSU, drei Änderungsanträge der Fraktion der FDPund vier Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion derCDU/CSU vor, über den wir am Freitag abstimmen wer-den.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenBartholomäus Kalb von der CDU/CSU-Fraktion dasWort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den gym-nastischen Übungen nun zum Verkehrsetat. Der Verkehrs-etat ist unter die Räder gekommen. Es war nicht gut, dassdie Beratungen im Haushaltsausschuss von den Spannun-gen, die sich im Vorfeld der Vertrauensfrage des Bundes-kanzlers aufgetan haben, gekennzeichnet waren.
Es hat sich überhaupt nichts mehr bewegt, weil sich dieKoalition praktisch gegenseitig blockiert hat.Jede wichtige Frage wurde sofort zur Grundsatzfragehochstilisiert, aus jeder Frage wurde ein Koalitionsfragegemacht. Ich weiß, dass es in den Reihen des größerenKoalitionspartners, der SPD, durchaus sehr vernünftigeÜberlegungen gegeben hatte, auf bestimmte Veränderun-gen flexibel zu reagieren. Das ist dann aber nicht zuge-lassen worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesonderein den Bereichen der Straßenbauinvestitionen und derneuen Technologien wie dem Transrapid hat sich die Ideo-logie gegen die Vernunft durchgesetzt. Wir alle wissenund beklagen, dass die Mittel für die Schieneninvestitio-nen in diesem und im nächsten Jahr nicht abfließenwerden. Deshalb haben wir vorgeschlagen, einenDeckungsverbund zwischen Schienen- und Fernstraßen-investitionen herzustellen.
Was würde es denn der Schiene schaden, wenn die Mittel,die dort nicht abfließen, an anderer Stelle in Verkehrsin-vestitionen gesteckt würden? – Überhaupt nichts!
Es ist geradezu ein Drama, wenn man feststellen muss,dass bis November des laufenden Jahres in wesentlichenInvestitionsbereichen erst etwa 45 Prozent der Ausgabennicht getätigt werden konnten. Auch wenn man berück-sichtigt, dass zum Jahresabschluss der Mittelabfluss
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Präsident Wolfgang Thierse20337
natürlich höher sein wird, ist das eine viel zu niedrigeQuote.
Die Bauwirtschaft gerät immer tiefer in die Krise.Viele Unternehmen stehen am Rande ihrer Existenz. LautStatistischem Bundesamt ist der Auftragseingang alleinim September um 8,1 Prozent eingebrochen.
Die Zahl der Beschäftigten ist seit März um 10,8 Prozentbzw. um 115 000 Personen gesunken und der Umsatz istum 11,2 Prozent zurückgegangen. Viele Unternehmenwarten dringend auf Aufträge und auf Zahlungen für be-reits erbrachte Leistungen. Hier hakt es vor allem bei derBahn.
Aber das rührt hier offenbar niemanden. 1,8 Milliar-den DM wollen Sie in diesem und im nächsten Jahr derDBAG für die zinslose Zwischenfinanzierung von Mehr-kosten bei Großprojekten zuschieben. Damit wird aberkein einziger Kilometer zusätzliche Strecke gebaut undauch kein einziger neuer Arbeitsplatz in der Baubranchegesichert.
Es dient allenfalls dazu, das Betriebsergebnis der DBAGzu verbessern, Herr Aufsichtsratsmitglied.
– Zu Ihrem Zwischenruf kann ich sofort etwas sagen, HerrKollege Schmidt: Wenn ich mir die Verpflichtungser-mächtigungen für die Haushaltsjahre 2003 und folgende,insbesondere aber die für das Haushaltsjahr 2003, an-schaue, dann zeichnet sich jetzt schon ab, dass im nächs-ten Jahr eine ganze Reihe von werbeträchtigen Spatensti-chen stattfinden wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin weitdavon entfernt, für den mangelnden Mittelabfluss alleindie Bahn verantwortlich zu machen. Dort gibt es zwarMängel, die wir kritisieren. Es gibt aber auch objektiveSchwierigkeiten, die nicht ohne weiteres zu beheben wa-ren und zu beheben sind. Zudem gibt es Probleme, die vonder Regierung zu verantworten sind, etwa die zögerlichenVerfahren bei Finanzierungsvereinbarungen oder die un-stete Mittelbereitstellung.
Es ist kein Beitrag zur Verbesserung der Planungssi-cherheit und der Verstetigung von Investitionen, wennim November 2000 der Bahn für die Jahre 2001, 2002 und2003 zusätzliche Mittel aus dem so genannten ZIP-Pro-gramm in Aussicht gestellt werden, diese Mittel aber zu-gleich mit einem kw-Vermerk versehen werden, was einestrikte Befristung bis zum Jahre 2003 bedeutet.
Die Koalition rühmt sich der nominalen Erhöhung desVerkehrsetats um 1,5 Milliarden Euro. In Wirklichkeitsinkt er aber um 900 Millionen Euro,
weil Sie mittlerweile rund 2,4 Milliarden Euro über denHaushalt finanzieren müssen, die Sie noch im Vorjahrdurch Privatisierungserlöse dem Eisenbahnvermögen zu-führen konnten.Der von der Bundesregierung selbst vorgelegte Ver-kehrsbericht 2000 prognostiziert bis zum Jahre 2015 ei-nen drastischen Verkehrszuwachs. Der Güterverkehr wirdinsgesamt – so der Bericht – einen Zuwachs um 64 Pro-zent verzeichnen, der Straßengüterfernverkehr gar um70,8 Prozent zunehmen. Und das ist nur der Durchschnitt!In Wirklichkeit bedeutet das, dass der Straßengüter-fernverkehr in einigen Korridoren, insbesondere in denOst-West-Relationen, um bis zu 800 Prozent zunehmenwird, und zwar nicht zuletzt aufgrund der von uns allenbegrüßten EU-Osterweiterung, die natürlich mit einemVerkehrswachstum verbunden ist. Wenn gewollt ist, dassdie Europäische Union möglichst bald erweitert wird,dann müssen dafür auch die Voraussetzungen geschaffenwerden. Dies gilt insbesondere auch für den Verkehrs-wegeausbau.
Ähnlich wie nach der Wiedervereinigung – damals habenwir die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ aufgelegt –,brauchen wir jetzt ein Programm Verkehrsprojekte „Eu-ropäische Einigung“.
Die zu erwartende Verkehrsnachfrage und -belastungwird es uns in der Zukunft nicht mehr erlauben, ideologi-sche Spielchen zu betreiben. Wenn wir nicht im Verkehrersticken wollen, wird es notwendig sein, alle Verkehrs-träger so schnell wie möglich zu optimieren und sie nochbesser miteinander zu verzahnen und zu vernetzen. Wirmüssen ihre jeweiligen Vorzüge und Stärken voll zur Gel-tung bringen und sie optimal nutzen. Mit Ideologie,Wunschdenken und Gesundbeten sind die Probleme derZukunft jedenfalls nicht zu lösen. Wir müssen der Ent-wicklung ins Auge sehen und entsprechend handeln.Innerhalb von drei Jahren gibt es bereits den drittenMinister an der Spitze dieses Hauses. Innerhalb von zweiJahren wurden vier Programme angekündigt, die angeb-lich eine wesentliche Verstärkung von Verkehrsinvestitio-nen zur Folge haben sollten. Ich erinnere nur an das so ge-nannte Investitionsprogramm im September 1999 und andas Anti-Stau-Programm im Februar 2000, das aufgelegtwurde, weil das erste nicht ausreichte. Letzteres sollte mitGeld, dass man noch gar nicht hatte, finanziert werden. ImOktober und November des letzten Jahres schließlich gabes dann das so genannte ZIP-Programm.
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Bartholomäus Kalb20338
Im Oktober dieses Jahres lese ich nun zu meiner Über-raschung: „Neue Milliarden für den Autobahnausbau.“
Die „Passauer Neue Presse“
und viele andere schrieben:Verkehrsminister Kurt Bodewig kündigte ges-tern an, dass von der Bahn nicht verbrauchte Mittelfür den schnelleren Ausbau von Autobahnen ver-wendet werden. 500 km Autobahnen sollten schnel-ler als geplant sechsspurig ausgebaut werden.Vorgesehen war, dass nicht abfließende Mittel bei derBahn dafür eingesetzt werden, dass die Vorfinanzierunggleichzeitig durch Zugeständnisse bei der Bemautung ge-währleistet wird. Dies alles ist dann aber nicht geschehen.Im Rahmen der Haushaltsberatungen habe ich von diesemAutobahnrandstreifenprogramm auch nichts mehr gehört.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, entgegen al-len Ankündigungen wurden insbesondere die Mittel fürden eigentlichen Fernstraßenbau nicht erhöht, sondernsind drastisch zurückgegangen.
Leider ist auch ein anderes Thema, das sehr ideologie-behaftet ist, strittig diskutiert worden. Streit bestand dabeiweniger zwischen der SPD und uns, sondern vielmehrzwischen den Grünen und der SPD. Es geht um dasThema Transrapid. Wir waren uns eigentlich einig – dassah auch der Herr Kollege Rübenkönig, der heute nichthier sein kann –, sodass wir es für dringend erforderlichhalten, dass diese in Deutschland entwickelte Hochtech-nologie auch hier zum Einsatz kommt.
Wir konnten uns in den Vereinigten Staaten davonüberzeugen, welches Tempo dort vorgelegt wird, welchesInteresse die USA daran haben. Gemeinsam mit Ihnen,Herr Minister, konnten wir uns auch in China davon über-zeugen, mit welch geradezu atemberaubender Geschwin-digkeit die Chinesen auf der Strecke zwischen Pudong-Flughafen und Shanghai darangehen, diese Technologiezur Anwendung zu bringen. Wir brauchen die Nutzungdieser Technologie auch in Deutschland. Mit den beidenMaßnahmen in Nordrhein-Westfalen und Bayern, für diejetzt die Machbarkeitsstudien erstellt werden, liegen zweiabsolut interessante Projekte vor, die dringend in die Tatumgesetzt werden müssen.In den Erläuterungen zu Titelgruppe 03, Kap. 1202steht:Der Bund ist jedoch unverändert bereit, sich mit biszu 3,1 Milliarden Euro an der Zukunft derMagnetschwebebahntechnik zu beteiligen.Weiter heißt es:Der Bund beteiligt sich an der Planung und Realisie-rung von Anwendungsstrecken für die Magnet-schwebebahntechnik. Dafür werden gemeinsam mitinteressierten Bundesländern Alternativstrecken un-tersucht.Ich weiß mich mit dem Kollegen Rübenkönig und mitvielen anderen Kollegen aus der SPD einig: Wir legen aufdiese Erläuterung allergrößten Wert und sehen sie auch alspolitisch verbindlich an.
– Der Kollege Rübenkönig, der hier Berichterstatter fürdie SPD-Fraktion ist, kann heute nicht da sein. Er hates aber verdient, gerade in dieser Sache hier erwähnt zuwerden.
Es ist zwar abgelehnt worden, Verpflichtungsermäch-tigungen, die wir für notwendig gehalten haben, auszu-bringen, aber wir müssen festhalten, dass die genanntenVorkehrungen zur Anwendung der Magnetschwebebahn-technologie auch in Deutschland getroffen sind.Die beiden großen Fraktionen haben erst kürzlich An-träge mit dem Ziel eingebracht, die Binnenschifffahrt zustärken. Wenn man die Stärkung der Binnenschifffahrtwill, heißt das aber auch, dass man nicht gleichzeitig ge-gen alle in diesem Bereich geplanten Projekte zu Feldeziehen kann, wie es immer wieder – gerade von der Seiteder Grünen – getan wird.
Die Sprache des Kollegen Albert Schmidt, der in Deg-gendorf erklärt hat, wenn die Donau ausgebaut werde,dann gebe es an der Donau Krieg,
ist mehr als verräterisch. Diese militante Sprache sollte ei-nem Grünen eigentlich gar nicht erst über die Lippen gehen.
„Krieg“ an der Donau haben wir genug; wir brauchen ihnjetzt nicht auch noch in Deggendorf.Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrterHerr Minister, mir wäre zwar eine klare Entscheidung übereine auszubauende Variante lieber gewesen. Wenn es jetztaber nicht möglich ist, eine solche Entscheidung zu tref-fen, dann halte ich es für sachdienlich, dass man zumindestden von Ihnen und von Bayern wohl gemeinsam ange-dachten Weg beschreitet, mit drei verschiedenen Variantenin das Raumordnungsverfahren zu gehen. Dann ergibt sichauch die Möglichkeit, die noch offenen Fragen wirklich imDetail zu klären. Vor allen Dingen würde dann kein weite-rer zeitlicher Verzug eintreten. Ich würde es jedenfalls sehrbegrüßen, wenn dieser Weg beschritten werden könnte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
– Ich kann das ohne weiteres sagen. Ich habe mich immerklar für einen Donauausbau, der vernünftig ist
und der eine Verbesserung der Verkehrsverhältnissebringt, ausgesprochen. Ich habe da keine Probleme. Ichhabe das vor Ort immer klipp und klar gesagt.
Das ist im Übrigen auch in den Protokollen des Bundes-tages nachzulesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kalb,
ich muss jetzt klipp und klar sagen, dass Ihre Redezeit ab-
gelaufen ist.
Ich würde noch
gerne etwas zu den Bereichen Städtebauförderung und
Aufbau Ost sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Angesichts der Zeit
eher nicht.
Der Bundeskanz-
ler hat ja eine Sommerreise in die neuen Bundesländer un-
ternommen, bei der er große Ankündigungen und Ver-
sprechungen gemacht hat, die aber nicht eingehalten
wurden. Wir haben dann im Haushaltsausschuss die ent-
sprechenden Anträge gestellt. Diese wurden von der Ko-
alition abgelehnt, weil sie dem Bundeskanzler nicht fol-
gen wollte.
Das ist der Unterschied zwischen Ankündigungen und
Taten. Wir sind dafür, dass das, was angekündigt wird,
auch in die Tat umgesetzt wird und dass den Menschen
geholfen wird. Dieser Verkehrsetat gibt leider keine Ant-
worten auf die drängenden Fragen. Deswegen können wir
ihm auch nicht zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Annette Faße.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Eigentlich wäre nun mein KollegeGerd Rübenkönig als zuständiger Berichterstatter imHaushaltsausschuss an der Reihe. Von dieser Stelle auswünsche ich ihm alle Gesundheit. Dieses Signal, denkeich, sollten wir gemeinsam geben.
Es fällt mir natürlich überhaupt nicht schwer, heutezum Verkehrshaushalt Stellung zu nehmen; denn das istein Verkehrshaushalt, der sich wirklich sehen lassen kann.Der Verkehrshaushalt ist mit seinen 26,37 MilliardenEuro der drittgrößte Einzelhaushalt und zugleich dergrößte Investitionshaushalt des Bundes.
Mit 13,5 Milliarden Euro liegen die Investitionen aufRekordniveau.
Damit sind knapp die Hälfte aller Investitionen des Bun-des Investitionen im Verkehrs- und Baubereich.
Diese Zahlen machen deutlich, welchen Stellenwertdie Verwirklichung einer effizienten und umweltgerech-ten Verkehrspolitik für uns hat. Darüber hinaus leistendiese Investitionen einen wichtigen Beitrag zur Bekämp-fung der Arbeitslosigkeit, zum Beispiel in der Bauwirt-schaft, und zur wirtschaftlichen Entwicklung.
Der Kollege Kalb hat die prognostizierten Zahlen fürden Personen- und Güterverkehr genannt. Wir stellen unsder damit verbundenen großen Herausforderung, hier ver-antwortungsvoll handeln zu müssen.Ich sage ganz deutlich, meine lieben Kolleginnen undKollegen der Opposition: Die Schlaglöcher Ihrer Politikbekommen wir täglich zu spüren. Tausende von Lang-samfahrstellen auf Straße und Schiene sind die Folge Ih-rer jahrelangen ungenügenden Investitionspolitik.
Ihre fehlende Voraussicht ist jüngst in einer Studie desDeutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bestätigtworden, meine Herren. Nach einer Berechnung des DIW– also eines neutralen Instituts – beträgt die Investitions-lücke für zwischen 1991 und 1998 begonnene Projektemindestens 5 Milliarden DM.Statt in der Vergangenheit die notwendigen Ersatz-investitionen zu tätigen, gab es lediglich haufenweiseSpatenstiche von Herrn Wissmann. Eine solche Politiklehnen wir ab. Danach nämlich klaffte eine große Lückeund kamen große Probleme, denen wir jetzt gegenüber-stehen.Wir stehen für eine ganz klare, verlässliche Haushalts-politik. Dies gilt auch für den Verkehrsbereich.
Das heißt für uns, dass wir den Bundesverkehrswege-plan – ich weiß, bei diesem Wort bekommen gleich allelange Ohren und die Haare stehen zu Berge –,
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Bartholomäus Kalb20340
der mit circa 100 Milliarden DM unterfinanziert ist, inOrdnung bringen.
Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Dafür istein vernünftiger zeitlicher Ablauf erforderlich. Hier las-sen wir uns auch nicht drängen. 1 700 Maßnahmen adä-quat zu untersuchen und zu bewerten dauert seine Zeit.Hier ist Qualität gefragt und die werden wir liefern.
Damit wir aber weiter handlungsfähig sind – jetztkomme ich zu den vom Kollegen Kalb angesprochenenvielen Programmen –, haben wir mehrere Programmeaufgelegt. Die vielen Programme sind doch super. Daserste Programm, das Investitionsprogramm 1999 bis2003, ist dazu da, Klarheit, Verlässlichkeit und Planungs-sicherheit zu schaffen sowie den Einsatz der Haushalts-mittel adäquat zu regeln. Was haben Sie gegen ein IP? Dasist für mich überhaupt nicht zu verstehen.
Das zweite Programm – Zukunftsinvestitionspro-gramm – ist ebenfalls eine tolle Geschichte. Mit diesemist es gelungen, für den Baubereich zusätzliche Gelderlocker zu machen.
In Ihrem Entschließungsantrag fordern Sie, alle Möglich-keiten zu nutzen. Statt anzuerkennen, dass das hier gelun-gen ist, stöhnen Sie: noch ein Programm! Es ist doch toll,dass wir dieses Programm haben.
Es hilft vielen Menschen, die schon lange auf eine Orts-umgehung warten.
Das Dritte – ich sage an dieser Stelle klar und deutlich,dass das völlig in Ordnung ist – ist das Anti-Stau-Pro-gramm. Wenn Sie sagen, das sei eine Investition in die Zu-kunft, muss ich Ihnen zustimmen. Wir aber wollen dieZukunft gestalten. Darum begeben wir uns ganz konse-quent auf diesen Weg.
Dieses Programm hängt mit der Einführung der LKW-Maut zusammen. Wir gehen zum ersten Mal einen ganzneuen Weg, wir machen nämlich den Schritt weg von derHaushaltsfinanzierung hin zur Nutzerfinanzierung.
Durch die streckenbezogene Autobahnmaut werden alleschweren LKWs gleichermaßen und gerecht an den We-gekosten in Deutschland beteiligt. Die Maut ist eine wett-bewerbsneutrale Abgabeform. Die Spediteure haben dieEinführung begrüßt. Der Verkehrsminister hat gesagt, erwerde weiterhin konsequent für eine europäische Harmo-nisierung der Wettbewerbsbedingungen einstehen;
dies habe Vorrang vor allen anderen Hilfen.Das Anti-Stau-Programm – das betone ich noch einmaldeutlich – läuft, das ist korrekt, nur bis zu einem be-stimmten Zeitpunkt. Unser Interesse als Verkehrspolitikerist es, eine Fortführung – genau wie bei dem unter Einsatzder UMTS-Mittel finanzierten ZIP-Programm – zu errei-chen. Das ist vollkommen klar. Darüber können Sie sichnicht beklagen.
Wir machen noch etwas, was auch Sie in Ihrem Ent-schließungsantrag fordern – zumindest diesen Teil kön-nen Sie wieder streichen –, wenn auch nicht über Vorfi-nanzierungsmaßnahmen, wie das in Ihrem Antrag steht:Wir wollen die Mauteinnahmen zusätzlich sinnvoll ein-setzen. Darum wollen wir ein Betreibermodell mit der Be-teiligung privater Investoren für den Ausbau einer fünf-ten und sechsten Spur bei Autobahnen. Was ist daraneigentlich schlimm, Herr Kalb? Das ist eine wunderbareIdee, mit der wir schneller etwas initiieren können, alswenn wir uns alleine auf Haushaltsmittel verlassen wür-den.
Wir geben der DBAG ganz bewusst Geld, weil wir dieSchere zwischen Straßen- und Schieneninvestitionenschließen wollen. Es ist richtig: Es ist ein Ärgernis, wennes nicht gelingt, die zur Verfügung gestellten Gelder aus-zugeben. Wir geben darum dieses Jahr das erste Mal dieseInvestitionsmittel frei, um die Gelder zur Intensivierungvon Planungen einzusetzen. Aber wer ist eigentlich daranschuld, dass die Planungskapazitäten derart zurück-gefahren wurden, meine Damen und Herren der Opposi-tion? Das gilt es, einmal zu fragen.
Ich sehe die Strukturen der Entscheidungsfindung imPlanungsbereich sehr kritisch. Wir müssen hier gemein-sam versuchen, mit der DBAG und den zuständigen Stel-len, also dem Ministerium und dem EBA, herauszufinden,wo es Möglichkeiten gibt, Planungen zu beschleunigen.Hier Druck zu machen, halte ich für eine ganz vernünftigeund korrekte Sache.
Wir werden die DBAG in die Pflicht nehmen. Das sageich ganz deutlich. Auch uns ist daran gelegen, dass dieMittel, die für Schieneninvestitionen bereitgestelltwerden, auch in dem entsprechenden Bereich verbrauchtwerden.
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Annette Faße20341
Wir werden dieses Jahr sehr kritische Begleiter derDB AG sein – das waren wir schon und das bleiben wirauch. Wir werden das, was Herr Mehdorn zugesagt hat,ganz konsequent einfordern.
Auch die Bundeswasserstraßen – das sage ich ganzdeutlich – werden mit 1,5 Milliarden Euro bedacht. EinTeil davon entfällt auf Investitionen.Jetzt mag man immer sagen, dass dies alles für dieStraße – die Anträge haben Sie gestellt –, für die Schieneund für die Wasserstraßen zu wenig ist. Aber es gibt vonIhnen nicht einen Vorschlag zur Gegenfinanzierung. Ichhabe es noch einmal nachgelesen: Die von Ihnen gefor-derten Summen ergeben addiert 65 Milliarden DM, dieSie zur Verfügung stellen wollen.
Es gab nicht einen konsequenten Vorschlag, wo Sie diesesGeld hernehmen wollen. Das halte ich für unglaubwürdig.
In den Haushaltsberatungen – auf diese Punkte möchteich gerne noch eingehen – haben wir als Parlament teil-weise gemeinsam einige Veränderungen vorgenommen,die uns als Abgeordnete sehr wichtig waren. Wir habendie Mittel für den kombinierten Verkehr auf 150 Milli-onen DM erhöht. Es ist für uns weiterhin ein sehr wichti-ges Zeichen, den kombinierten Verkehr nicht nur in Sonn-tagsreden zu loben, sondern in diesem Bereich aktiv zuwerden. Ich finde es sehr gut, dass wir dadurch privateGelder locker machen können; denn nur gemeinsam kön-nen wir hier aktiv werden.
Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass wir daserste Mal eine Beihilfe für die Seeschifffahrt im Haus-halt haben, die über die Ausbildungshilfe hinausgeht.Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass das schwedi-sche Parlament vor einigen Tagen eine hundertprozentigeLohnsteuererstattung für die Reeder beschlossen hat, wares wichtig, hier ein Zeichen für die Arbeitsplätze an derKüste zu setzen. Wir haben in den Beratungen gemeinsameine Aufstockung erreicht. Dies ist für unsere Arbeitneh-mer an der Küste und auch für die Reeder ein ganz wich-tiger Punkt. Ich gehe davon aus, dass wir damit die anste-henden Ausflaggungen der Fähren auf der Ostseeverhindern können. Ich hoffe, dass dieses Zeichen so ver-standen wird.
Auch für die Schiffssicherheit gibt es in diesem Haus-halt ein deutliches Signal. Ich möchte das an einem Punktfestmachen, nämlich an der Bereitstellung von 9,4 Milli-onen Euro für 2002, um ein neues Mehrzweckschiff fürdie Ostsee in Auftrag zu geben und zu bauen. Das ist dieerste Marge; das andere geht in den Bereich Verpflich-tungsermächtigung. Wir haben damit etwas gemacht, wases bisher noch nicht gab: Es gibt jetzt ein Sicherheitskon-zept sowohl für die Nordsee als auch für die Ostsee. Wirstehen auch finanziell dazu, das heißt, wir finanzieren einMehrzweckschiff für die Ostsee. Damit haben wir eindeutliches Zeichen im Haushalt 2002 gesetzt. Das solltenwir alle begrüßen.
Zum Etat des Bundesverkehrsministers gehören auchdie 100 Millionen Euro, die wir zur Förderung des Rad-verkehrs eingestellt haben. Dazu hatten wir bereits imSommer einen Antrag eingebracht. Damit bekommt derRadverkehr unter Rot-Grün eine neue Wertigkeit. Ichhalte es für richtig und wichtig, dass wir nicht nur Anträgeverabschiedet haben, sondern dass wir auch dafür gesorgthaben, dass sich die neue Wertigkeit des Radverkehrs imHaushalt wiederfindet. Wir haben im Bereich des Radwe-gebaus ein Zeichen gesetzt.
Ich möchte meine heutige Rede mit dem Thema be-enden, mit dem der Kollege Gerhard Rübenkönig immerseine Reden beendet, nämlich mit dem Transrapid. Wirstehen zum Transrapid.
Es gibt keinerlei Einschränkungen in finanzieller Hin-sicht. Wir werden die Machbarkeitsstudien in Ruhe ab-warten. Ich betone: Der Transrapid ist uns lieb und teuer.
Wir können auf den vorliegenden Haushalt des Bun-desverkehrsministers stolz sein. Er erfüllt – das ist klar –zwar nicht alle Wünsche. Aber er ist machbar, konkret undkonsequent.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Horst Friedrich.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnenund Kollegen! Gestatten Sie auch mir eine Vorbemer-kung: Nachdem dem Kollegen Rübenkönig alles Guteund eine hoffentlich dauerhafte Gesundheit gewünschtworden ist, möchte ich von dieser Stelle aus dem Kolle-gen Dirk Fischer zu seinem heutigen Geburtstag gratu-lieren. So viel Zeit sollte sein.
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Annette Faße20342
Jetzt zum Ernst der Sachlage: Es ist bemerkenswert,dass die Beratungen über den größten Investitionshaus-halt des Bundes spät in der Nacht und unter Ausschlussder Öffentlichkeit stattfinden,
offensichtlich deswegen, weil Minister Bodewig allenGrund hat, ein Jahr nach seinem Amtsantritt nicht großar-tig an die Öffentlichkeit zu treten. Die Sprechblasen sindnämlich geplatzt. Die Ankündigungen sind zurückge-nommen. Die Investitionen des Bundes sind real gesun-ken. Die Abgabenbelastung des Verkehrs ist gestiegenund die Reformen stecken im Stau. Der vorliegende Haus-halt ist ein erschütterndes Dokument gescheiterter Ver-kehrspolitik.
Er ist ein erneutes negatives Signal in Richtung Bauwirt-schaft und Baugewerbe; denn der Bund fällt im nächstenJahr als öffentlicher Auftraggeber aus, wenn es um neueImpulse und Investitionen geht.Das am 18. Oktober von Kurt Bodewig mit großemGetöse der Öffentlichkeit vorgestellte Investitionsbe-schleunigungsprogramm ist nicht haushaltsrelevant. Dashat der verkehrspolitische Sprecher der SPD, ReinhardWeis, im Ausschuss gesagt. Er hat deswegen unseren An-trag auf Aufsetzung des Programms auf die Tagesordnungder nächsten Ausschusssitzung abgelehnt.
Die angekündigte Umschichtung von mindestens800 Millionen DM an Schienenmitteln, die die Bahn AGauch in diesem Jahr nicht verbauen kann, findet nichtstatt. Finanzminister Eichel wird sich freuen. Arbeits-minister Riester muss sich allerdings mit dem Problemherumschlagen, dass aufgrund fast 1 Milliarde DM annicht getätigten Investitionen schätzungsweise rund10 000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Nicht einmal PeterStruck hat Ihnen geholfen, Herr Minister, die nicht ver-bauten Investitionsmittel der Bahn AG zugunsten derStraße umzuschichten; denn Ihr grüner Koalitionspartnersetzt seine indische Verkehrspolitik fort: Heilige Kühedürfen nicht geschlachtet werden, koste es, was es wolle!
Ein weiteres Trauerspiel ist die Schienenverkehrspo-litik des Bundes. Minister Bodewig hat den Machtkampfgegen den inzwischen zum faktischen Eisenbahnministeraufgestiegenen Hartmut Mehdorn verloren. Von seinengroßen Ankündigungen auf dem Stuttgarter Parteitag derGrünen ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Erist noch nicht einmal in der Lage, das Wenige, was ihm dieTask Force vorgegeben hat, gesetzesmäßig auf den Wegzu bringen. Er hat ja bereits angekündigt, dass er das nichtmehr schafft. Wo bleiben die Ergebnisse? Die Bahn AGkann so ein weiteres Jahr ihr Monopol pflegen. Die pri-vaten Mitbewerber werden sich zum wiederholten Maleüberlegen, ob sie in die Schiene investieren.Ein weiterer Skandal Ihrer Verkehrspolitik, sehr ver-ehrter Herr Minister, spielt sich im Bereich des Straßen-verkehrs ab. Unter dem Deckmantel der Umstellung derFinanzierung der Verkehrsinfrastruktur auf der Straße ha-ben Sie unter dem Begriff der stärkeren Nutzerbezogen-heit rücksichtslos das Abkassiermodell aufgefahren. DieAutofahrer rasen bereits für die Rente, die LKW brum-men für Ihr Haushaltsloch. Sie haben mit Ihrem LKW-Maut-Gesetz weder eine dauerhafte echte Zweckbindungder Einnahmen erreicht, noch den versprochenen Aus-gleich für das mittelständische deutsche Verkehrsgewerbedurchgesetzt.
Nur ein kleiner Anteil der LKW-Maut, die mindestens8 Milliarden DM in die Kasse spült, soll – zugegebener-maßen erst nach der Wahl – befristet wieder in denStraßenbau zurückfließen. Dann stellt sich dieser Minis-ter hin und erklärt öffentlich, dass mit Umstellung dieserFinanzierungsform als Kompensation die LKW-Vignettewegfalle. Das ist eigentlich eine politische Unverschämt-heit, Herr Minister, und grenzt an eine Kampfansage andas deutsche Verkehrsgewerbe.Das hat, wenn ich das „Handelsblatt“ richtig gelesenhabe, Ihre eigene Fraktion auch schon erkannt, die Sieaufgefordert hat, endlich Butter bei die Fische zu gebenund nachzuweisen, wie Sie tatsächlich Ihre Zusage dergrößtmöglichen Harmonisierung auf europäischem Ni-veau umsetzen wollen.
Da sind Sie bisher alle Antworten nachhaltig schuldig ge-blieben. Das Einzige, was Sie am 18. Oktober beim BGL-Jahrestag zugesagt haben, ist, die Kfz-Steuer auf europä-isches Niveau zu senken. Das ist ein erster richtigerSchritt, aber Sie leisten damit eine Finanzierung zulastenDritter. Die Kfz-Steuer – das wissen Sie – gehört den Län-dern. Da müssen Sie über die Ausgleichsmechanismenzumindest einmal nachdenken und deutlich sagen, wie Siees den Ländern erklären wollen.Zum Zweiten reicht das natürlich erkennbar nicht aus,vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass die Nieder-länder bereits angekündigt haben, die Maut ebenfalls ein-zuführen und in diesem Zusammenhang sofort die Mine-ralölsteuer um 15 Prozent zu senken. Aber wo bleibt dieAntwort des deutschen Verkehrsministers auf diese Pro-blematik? Er schweigt stille, weil er es offensichtlichnicht besser weiß oder weil er es nicht sagen darf oderauch nicht sagen kann. Alles zusammen ist dies relativschlecht.Es fehlt die Zeit, alle Defizite dieser Regierung aus-führlich zu würdigen.
Es gäbe im Bereich des Luftverkehrs nicht nur im Zu-sammenhang mit dem 11. September eine Menge zu tun.Ich verweise nur auf die Problematik der Flugsicherungund den entsprechenden Haushalten.Die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltunghaben Sie aus wahltaktischen Gründen auf die lange Bankgeschoben.
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Horst Friedrich
20343
Bei der Seeunfalluntersuchung – Stichwort „Pallas“ –will die Bundesregierung zukünftig offensichtlich hinterverschlossenen Türen kungeln, statt das bewährte öffent-liche Verfahren zu stärken und die Verfahrensrechte allerBeteiligten zu sichern.
Defizite über Defizite und keine Chance, mit demHaushalt 2002 daran etwas zu ändern. Herr Minister, IhreVerkehrpolitik ist gescheitert. Das Scheitern hat einen Na-men. Es heißt Kurt Bodewig. Der einzige Lichtblick ist:Es ist offensichtlich der letzte Haushalt, den Sie in diesemHaus verantwortlich zu vertreten haben. Der nächste wirdvon anderen gestaltet.Danke sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-legin Franziska Eichstädt-Bohlig für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen.
Präsidentin! Bevor wir auf das große Wortgetöse einge-hen, möchte ich zunächst einmal nicht nur dem KollegenFischer, sondern vor allem auch der Kollegin Rehbock-Zureich ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren.
– Ach, Frau Rita Streb-Hesse hat auch Geburtstag. He,Frauen vor! Das finde ich ja ganz toll. Super! Gratuliere!Ich hatte Sie nicht in der Liste. Das tut mir echt Leid. Dop-pelt hält besser.
Ich muss schon sagen: Von diesem kleinen, bescheide-nen Block hier kommen wirklich große Wortgetöse: DieKoalition hat sich blockiert. Kollege Kalb, Sie müssen inGesprächen gewesen sein, die wir nicht mitbekommenhaben. Das kann ja sein. Außerdem haben Sie gesagt: DieReformen stecken im Stau. Also wirklich, das ist eineNummer zu groß gegriffen.Ich glaube, wir müssen noch einmal ganz deutlich sa-gen: Hinterlassen haben Sie uns einen Bundesverkehrs-wegeplan mit 100 Milliarden DM Unterfinanzierung.Jetzt wollen Sie hier ständig die Backen aufblasen, dasswir das Geld praktisch vom Himmel herunterregnen las-sen sollen.Die rot-grüne Bundesregierung hat – das ist wirklich dieHauptleistung – überhaupt erst einmal Klarheit in dieBundesverkehrswegestruktur gebracht, auch wenn wir dendetaillierten Bundesverkehrswegeplan in seiner überarbei-teten Form in dieser Legislaturperiode nicht mehr vorle-gen können, weil das sorgfältige Kleinarbeit erfordert.
Wir haben erst einmal neue Ehrlichkeit in der Finanz-planung erreicht. Wir haben vor allem – das haben Sie niegeschafft und auch nie gewollt – die Angleichung der Ver-kehrsträger Straße und Schiene realisiert, indem wir dieInvestitionen in die Schiene schrittweise nach oben ge-fahren haben, weswegen jetzt Waffengleichheit zwischenStraße und Schiene besteht. Dafür war es allerhöchsteZeit.Man kann sich nicht ständig darüber beschweren, dassbei der Bahn alle möglichen Probleme, Verspätungen usw.auftreten, wenn nicht schrittweise von hier aus die drin-gend nötige Unterstützung kommt. Das haben Sie ver-säumt.
Sie haben die Investitionen in die Bahn 1998 auf 6,14Mil-liarden DM heruntergefahren. Angesichts dessen solltenSie sich jetzt nicht beschweren, dass wir einen großenKraftakt brauchen, um Schritt für Schritt das auszubes-sern, wofür Sie die Mittel abgesenkt hatten.
Angesichts dessen verstehe ich die Beschwerden über dieverschiedenen Programme überhaupt nicht. Sie solltenfroh sein, dass wir Zug um Zug wieder Boden unter dieFüße bekommen und den Problembereich Verkehrspolitikwirklich solide anpacken.
Auch die LKW-Maut haben wir nach vielen Diskus-sionen im Vorfeld auf den Weg gebracht.
Bisher konnten Sie daran noch keine substanzielle Kritikäußern. Sie sind froh über das Anti-Stau-Programm.
Wir sind sehr froh, dass das Anti-Stau-Programm einFifty-fifty-Programm und eben kein reines Straßenbau-programm ist, sondern auch die Schiene und die Wasser-straßen im wahrsten Sinne des Wortes mit ins Boot holt.
– Ich glaube, da liegt jetzt wirklich ein Irrtum vor. Ihr Ge-setz musste wirklich abgelehnt werden. Die Form, in derwir es jetzt auf den Weg bringen, ist solide und korrekt.Wir werden es mit dem jetzigen Anti-Stau-Gesetz bzw.Maut-Gesetz schaffen, dass für die LKWs je nach Ge-wicht und Schadstoffklasse zwischen 27 und 37 Pfennigendlich und zum ersten Mal wirklich je gefahrenem Kilo-meter gezahlt werden müssen. Das ist zwanzigmal mehr
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Horst Friedrich
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als die Jahresgebühr, die Sie mit der Vignette auf den Weggebracht hatten.
Das wird den Güterverkehr endlich schrittweise auf dieSchiene verlagern.
Sie wissen sehr wohl, wie nötig das ist, denn auch der Ver-kehrsbericht 2000 hat in erschreckender Weise klar ge-macht, wie groß diese Aufgabe in den nächsten Jahrensein wird.Lassen Sie mich noch eines sagen: Die viel geschmähteÖkosteuer zeigt endlich auch ökologische Lenkungswir-kung. Ich sage das gerade in diesem Kreis, denn das im-mer wieder zu hörende Gerede, wir sollten die Ökosteuerabschaffen, ist wirklich falsch. Sie hat verkehrspolitischeLenkungswirkung.
Der Straßenverkehr entwickelt sich schrittweise in ver-antwortlicherer Weise. Wir haben in diesem Jahr eine5-prozentige Absenkung des Benzinverbrauchs erreicht.
Es wird weniger und sparsamer Auto gefahren. DieSchiene profitiert schrittweise davon. Der Bahnverkehrwächst jährlich um rund 3 Prozent. Der Güterverkehr hatin 2000 sogar um 13 Prozent zugenommen.Das alles beweist, dass wir auf dem richtigen Weg sind.Es ist ein sehr mühseliger und langwieriger Prozess, dieVerkehrswende peu à peu in die richtige Richtung zu voll-ziehen, aber wir tun es. Wir werden den Stau auf derStraße – anders, als Sie gesagt haben – schrittweise auflö-sen, nicht dadurch, dass wir ständig mehr Straßen bauen,sondern dadurch, dass wir die Verlagerung des Verkehrsauf die Schiene und teilweise auf die Wasserstraße wirk-lich organisieren.
Annette Faße hat es bereits gesagt: Mit dem Radwege-programm, mit der Stärkung des kombinierten Verkehrshaben wir eine Reihe von Bausteinen in Angriff genom-men, die tatsächlich helfen, gerade die Schnittstellen derunterschiedlichen Verkehrsträger aktiv auszugestalten,statt uns immer nur darauf zu verlassen, dass die Straßealle Probleme löst.Ich möchte eines noch zu der immer wieder vorge-brachten Beschwerde sagen, die Mittel für Investitionenin die Schiene flössen nicht ab. Es ist richtig: In diesemJahr hatte und hat die Bahn große Probleme, die Mittel ab-fließen zu lassen – darum soll man nicht herumreden –,aber wir haben das Thema in der Koalition sehr solida-risch diskutiert und mit dem Ministerium wichtige Maß-nahmen getroffen. Ein Schritt dabei ist, dass mithilfe ei-nes Sonderimpulses im Umfang von 460 Millionen DMdie Planungskapazitäten und die Beschleunigung der Pla-nung endlich auf den Weg gebracht worden sind. DasZweite war die trilaterale Vereinigung. Herr KollegeKalb, da sollten Sie sich an die eigene Nase fassen. WennSie solche Großprojekte wie den Berliner Knoten oder dieStrecke Köln–Frankfurt oder das Projekt Ingolstadt sofalsch kalkulieren, dass nachher ein riesiger Mehrbedarfentsteht – das ist diese typische Art, Großprojekte schön-zurechnen –,
dann führt das eben dazu, dass im Endeffekt die Sach-zwänge geschaffen sind und der Steuerzahler nachfinan-zieren muss. Sie haben so unsolide gearbeitet und wir bes-sern das wieder aus.
Die Bahn hat jetzt ihre Hausaufgaben intensiv gemachtund das vorbereitet. Sie hat Projekte im Gegenwert von8 Milliarden DM in die Investitionsphase gebracht, hatProjekte im Gegenwert von 20 Milliarden DM in der Pla-nung und wird das Geld Anfang nächsten Jahres abfließenlassen. Wir alle sollten froh sein, dass es bei der Bahn ab-fließt, erstens, weil wir dann bald zufriedene Bahnkundenbekommen, und zweitens, weil bei Maßnahmen im Bahn-bereich mehr Bauarbeitsplätze geschaffen werden; Bahn-investitionen sind arbeitsplatzintensiver.
Lassen Sie mich noch etwas zum Bauetat sagen. Dahaben wir besonders effektiv gearbeitet. Ich bin wirklichstolz auf das, was wir im parlamentarischen Verfahrenzuzulegen geschafft haben. Wir haben es geschafft, dieStädtebauförderung – die Diskussion dazu gab es langegenug; da hatten wir eigentlich auch die Unterstützungder Opposition – entsprechend dem, was wir schon imletzten Jahr erreicht hatten, um 100 Millionen DM auf-zustocken. Wir haben den Verpflichtungsrahmen für eineAnschluss-finanzierung im Umfang von 50 MillionenEuro, also von 100 Millionen DM, stabilisiert, sodass dieStädtebauförderung West sehr solide in die Zukunft pla-nen kann.Genauso haben wir es bei dem Programm SozialeStadt gemacht. Auch da haben wir im parlamentarischenVerfahren wieder 50 Millionen DM draufgepackt. Dafürmöchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen sehrherzlich bedanken.Obwohl es schon sehr schwierig war, weil die Kon-junkturdaten ja nicht ganz so rosig sind, haben wir auchbeim sozialen Wohnungsbau ein Stück weit draufgesat-telt, nämlich 70 Millionen Euro.
Es war sehr schwierig, das dem Finanzministerium posi-tiv zu vermitteln. Ich halte das für einen sehr wichtigen
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Franziska Eichstädt-Bohlig20345
Schritt, weil wir gerade in diesem Jahr das Gesetz refor-miert haben.
Es ist eben nicht mehr nur ein Gesetz für den Neubau; dieBestandserneuerung ist ebenso wie der Erwerb von Be-legrechten ein sehr wichtiger Baustein. Das wird zuneh-mend wichtig.
Weil das ProgrammSoziale Stadt sehr viel in alten Sied-lungen des sozialen Wohnungsbaus der 50er- und 60er-Jahre stattfindet, braucht es als Kofinanzierung dringendden Baustein der Bestandserneuerung in alten Sozialwoh-nungen, und zwarmit gemischterBelegung, damit das nichtlänger soziale Problemfelder sind. Das ist richtig undwich-tig und ergänzt die Städtebauförderung, die überwiegend inAltbauquartieren stattfindet, in einer sehr guten Form.
Dann gibt es das ProgrammStadtumbauOst.Das ist sehrwichtig und sollte insbesondere auch von der PDSnicht im-mer so kritisiert und niedergemacht werden. Da haben wireinen ganz wichtigen Impuls gesetzt, der im Osten auchlängst angekommen ist, leider noch nicht bei der PDS. Diewartet immer noch und sagt: Erst dann, wenn es mehr undmehr und mehr Geld gibt, soll der Stadtumbau Ost stattfin-den. – Ich finde es sehr schade, dass dieKollegen noch nichtbegriffen haben, was vor Ort inzwischen schon passiert.Mit dem Wettbewerb, der gerade begonnen hat, sindpraktisch alle größeren Städte aufgefordert,
ihre Stadtentwicklungspläne, die in der damaligen Zeitvöllig euphorisch und auf viel zu viel Bevölkerungszu-wachs hin kalkuliert waren, jetzt solide auf die real ab-schätzbare Entwicklung hin neu auszurichten. Das ist einganz wichtiger Schritt. Da muss dann eben der erforderli-che Rückbau erfolgen.Dafür haben wir wirklich ein Programm aufgelegt, dasfür die nächsten acht Jahre Planungssicherheit schafft.
– Es sind genau 153 Millionen Euro als Verpflichtungs-rahmen.
Das wird dann entsprechend aufwachsen.
– Ich habe die Barmittelzahl jetzt nicht. Die Barmittel sindaber auch nicht so sehr das Problem, sondern der Ver-pflichtungsrahmen, damit Klarheit besteht.
– Herr Kollege, wir beginnen jetzt mit der Planung!
Ich habe gerade gesagt, dass der Wettbewerb um dieStadtentwicklungskonzepte, die die Grundlage für denStädtebau in den einzelnen Stadtteilen sind, auf den Weggebracht ist. Er wird im ersten Halbjahr des nächsten Jah-res erfolgen. Insofern sage ich Ihnen: Reißen Sie dieBäume doch nicht aus, bevor Sie überlegt haben, wie derPark gestaltet werden soll, sondern fangen Sie mit der Ar-beit von vorne und nicht von hinten an.
Ich bin ziemlich sicher, dass diese Gelder sehr gut an-kommen. Die Länder haben inzwischen ihre Kofinanzie-rung gesichert. Von daher wird der Stadtumbau ein sehrwichtiger Impuls sein, auch noch einmal für die lokaleBauwirtschaft. So absurd es klingt, es ist sehr wichtig.Wir haben für etwas ganz Entscheidendes gesorgt: Esgeht eben nicht nur um Abriss und Rückbau, sondernfifty-fifty, Rückbau plus 50 Prozent Aufwertung plus Ei-gentumsförderung in den Innenstädten plus Investitions-zulage für den Altbau. Das ist ein sehr sinnvolles Konzeptzur Stärkung der Städte und zum Rückbau in einer sehrachtsamen Form.Ich bekomme aus den Diskussionen in den einzelnenStädten mit, dass die Projekte sehr konstruktiv angegan-gen werden. Ich werbe sehr dafür, dass die Wohnungs-wirtschaft das Thema ernst nimmt und sie sich einigt. Esist natürlich ein sehr schwieriger Prozess zu entscheiden,welches Unternehmen wie viel abreißen muss.Lassen Sie mich noch zwei Punkte sagen.
– Doch, die sage ich schon noch, Kollege Kansy.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das geht von der Zeither eigentlich nicht mehr.
Wir haben im experimentellen Wohnungs- und StädtebauWest für den Leerstand West, der auch mehr und mehr aufuns zukommt, zum ersten Mal Pilotprojekte mit 15 Milli-onen Euro auf den Weg gebracht und wir haben für dieInitiative „Architektur und Baukultur“ mit 143 Milli-onen Euro im Jahr 2002 und 102 Millionen Euro im Jahr2003 ganz bescheiden die nötigen Mittel eingestellt. Dassind sehr wichtige Punkte, um mit der Baukultur über dieLegislaturperiode hinaus in den nächsten Jahren wirklichvoran zu kommen.Vielen Dank.
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Franziska Eichstädt-Bohlig20346
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Christine Ostrowski für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Als ich die aktuellen Beschlüsse desHaushaltsausschusses las, habe ich mich gefragt: Ja, istdenn heut‘ schon Weihnachten? Ich war wirklich über-rascht.
Es ist Tatsache, dass der Verpflichtungsrahmen für wich-tige Programme gegenüber dem Entwurf des Haushaltsdeutlich aufgestockt worden ist. Das betrifft den drittenFörderweg sozialer Wohnungsbau alte Bundesländer, dieStädtebauförderung West, den sozialen Wohnungsbau Ost– da ist es weniger deutlich – und die Soziale Stadt. Selbst-verständlich freut mich das; denn jede Mark mehr für densozialen Wohnungsbau ist wichtig, auch jede für dieStädtebauförderung und jede für die Soziale Stadt.Weil ich in der Vorweihnachtszeit immer besondersfreundlich gestimmt bin,
will ich allen Kämpfern an der Haushaltsfront ein Lobaussprechen. Frau Eichstädt-Bohlig, Herr Spanier undalle, die da gekämpft haben, bekommen jetzt also ein Lob,natürlich auch Herr Großmann. Das meine ich auch wirk-lich ehrlich.Aber Sie kennen mich und wissen, dass ich bei diesemLob allein natürlich nicht stehen bleiben kann, denn derVorgang macht mich doch ein wenig stutzig. HerrDr. Kansy, Herr Spanier und wir alle haben miterlebt, dasshier monatelang beispielsweise über die Reform des so-zialen Wohnungsbaus diskutiert wurde. Wir und auchdie CDU/CSU und die FDP haben immer wieder ange-mahnt, dass die Mindestausstattung, die man vorgesehenhatte, nämlich 230 Millionen Euro, hinten und vorn nichtlangen könne, wenn es denn eine Reform werden solle.Wir haben insbesondere von Ihnen, Frau Eichstädt-Bohlig, die gleichen Argumente gehört, die Sie uns auchgerade wieder um die Ohren gehauen haben:
„Die Mindestausstattung reicht für die Zielgruppe, die wirin Zukunft fördern wollen.“ „Wir müssen überhaupt mehran den Bestand gehen.“ „Sie von der PDS können ja nurdie Hand aufhalten und Geld fordern.“
Diese Argumente kamen immer und immer wieder imBrustton tiefster Überzeugung und mit dem Hinweis, Siemüssten den Haushalt konsolidieren.Deshalb darf ich mich schon ein bisschen wundern,dass Sie von diesem Standpunkt, den Sie so lange konse-quent und hartnäckig vertreten haben, nun ganz plötzlichabgegangen sind. Da stellt sich mir – vielleicht bin ich jaetwas verwirrt – doch die Frage: Haben Sie uns in denletzten Monaten belogen und haben Ihre damaligen Argu-mente nicht gestimmt
oder sind Ihre Argumente von heute, wenn Sie die Ansätzeerhöhen, richtig? Was auch immer stimmt, so kann maneigentlich nicht miteinander umgehen. Sie können nichtin der Öffentlichkeit Argumente vertreten, die sie dannplötzlich ändern, um schließlich so zu tun, als wäre das al-les normal.
– Ja, die können das. Das stimmt. Sie können das manch-mal vielleicht geschickter, als es die alte Koalition konnte.Das muss ich ebenfalls sagen.
Stutzig wird man natürlich auch, wenn man feststellt,dass Sie das Geld so plötzlich finden. Wenn wir oder eineder anderen Oppositionsfraktionen Anträge einbringen,dann entgegnen Sie mit den immer gleichen Argumenten:„Es gibt überhaupt keinen Spielraum mehr.“ Nicht nur indieser Debatte, sondern auch in anderen Zusammenhän-gen – ich strapaziere jetzt nicht den Verteidigungshaus-halt – fällt mir auf, dass Sie dort, wo es Ihnen wichtig ist,immer in der Lage sind, Geld bereitzustellen. Wenn es da-rauf ankommt, dann tun Sie das sogar in allerletzter Mi-nute.
Warum ist Ihnen das besonders wichtig? Ich gehe nichtauf Argumente wie diejenigen ein, die sich auf die Be-troffenen oder den sozialen Wohnungsbau beziehen, undschaue mir einfach ganz nüchtern die Zahlen an. Ich stellefest, dass ein zusätzlicher Verpflichtungsrahmen allein fürden sozialen Wohnungsbau und für die Förderung desStädtebaus in den Westländern in Höhe von rund170 Millionen Euro geschaffen wurde. Merken Sie sichdiese Zahl! Für den sozialen Wohnungsbau im Ostenwerden demgegenüber nur rund 14 Millionen Euro zu-sätzlich zur Verfügung gestellt.
– Ich komme gleich zu der Menge. – Die Masse der vonIhnen zusätzlich zur Verfügung gestellten Gelder fließt indie alten Bundesländer. Auch wenn ich ihnen jede Markgönne, darf ich einmal daran erinnern, dass die großeMehrzahl Ihrer Wähler im Westen wohnt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001 20347
Man könnte den Verdacht haben, dass Sie an die nächstenWahlen denken.
Ich darf daran erinnern, dass sich die Wohnungswirt-schaft im Osten und nicht die Wohnungswirtschaft imWesten in einer existenziellen Krise befindet.
Ich komme zum Programm Stadtumbau Ost.
Um den Verpflichtungsrahmen in Höhe von 150 Milli-onen Euro, den Sie für das nächste Jahr bereitstellen, zufinanzieren, stehlen Sie ein Drittel bei der Gemein-schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-schaftsstruktur“ und ein weiteres Drittel bei der klassi-schen Städtebauförderung Ost. Nur das letzte Drittel, dasheißt nur 50 Millionen Euro, kommt aus allgemeinenHaushaltsmitteln.
Das ist die Wahrheit. An Barmitteln stellen Sie schlappe15 Millionen Euro bereit. Wenn man die Gelder für denOsten mit denen, die Sie zusätzlich für den Westen zurVerfügung stellen, vergleicht, dann werden die wahrenVerhältnisse sichtbar.Alle Mittel, die für die anderen Bestandteile des Pro-gramms bereitgestellt werden, erschließen Sie ebenfallsnicht zusätzlich; vielmehr werden sie dadurch bereitge-stellt, dass andere Programme liquidiert werden. LiebeFrau Eichstädt-Bohlig, das Wohneigentumsprogrammwird schlicht und ergreifend durch die Abschaffung derInvestitionszulage für die Selbstnutzer finanziert. Die er-höhte innerstädtische Investitionszulage wird durch denerhöhten Selbstbehalt der krisengeschüttelten ostdeut-schen Wohnungsunternehmen finanziert. Das von Ihnenbereitgestellte Darlehensprogramm wird im nächsten Jahrüber ein KfW-Modernisierungsprogramm finanziert.
Ab 2003 – das ist wohl das Allerschärfste – soll das Darle-hensprogramm aus dem Zuschussprogramm finanziertwerden. Dazu kann ich nur sagen: Wenn das wirklich al-les ist, was der Bund im nächsten Jahr an zusätzlichemGeld bereitstellt, nämlich 50 Millionen Euro als Teil desVerpflichtungsrahmens, dann ist das zu wenig.Ich möchte etwas zum Gesamtfinanzrahmen sagen: Esist unglaublich, welcher Eindruck erweckt wird. Ich habeHerrn Bodewig das letzte Mal öffentlich reden gehört, alser bei einem SPD-Forum die Einführungsrede hielt.Sie sagen gewöhnlich – aus Ihrem Munde ist das sehreindrucksvoll –: Für das Programm Stadtumbau Oststehen insgesamt 5 Milliarden DM bereit. Jeder normaleMensch, der sich nicht auskennt, muss glauben, dass diese5 Milliarden DM vom Bund kommen; schließlich äußernSie sich dazu nie konkret. Ich betone: 2 Milliarden DMkommen vom Bund für acht Jahre, 2 Milliarden DM vonden Ländern und 1 Milliarde DM von den – ich fragemich, woher sie es nehmen sollen; denn gerade diejeni-gen, die den höchsten Leerstand haben, sind am finanz-schwächsten – ostdeutschen Kommunen.
Zum Vergleich, meine Damen und Herren, besondersdie von der Koalition: Die Expertenkommission Woh-nungsleerstand hat im Hinblick auf den Leerstand desJahres 1998 festgestellt, dass damals bei den ostdeutschenWohnungsunternehmen Belastungen in Höhe von 4 Mil-liarden DM aufgelaufen sind, nämlich 2 Milliarden DMEinnahmeverluste und 2 Milliarden DM Kostenbelastun-gen. Demzufolge kamen 1999 noch einmal 4 MilliardenDM hinzu; damit sind wir bei 8Milliarden DM Belastung.Im Jahr 2000 kommen wieder 4 Milliarden DM hinzu;damit sind wir bei 12 Milliarden DM Belastung. 2001sind es dann 16 Milliarden DM. Und so geht das dannweiter.
Ein Vergleich dieser Summe, durch die die ostdeutschenUnternehmen belastet werden, mit den 2 Milliarden DMFörderung, die Sie über acht Jahre vorgesehen haben,zeigt deutlich, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittelüberhaupt nicht gewahrt ist.
Sie aber erwecken in der Öffentlichkeit absichtlich einenanderen Eindruck.In diesem Zusammenhang möchte ich zu Ihnen, HerrHilsberg, noch ein Wort sagen: Ich bin vor drei oder vierTagen zu einem ungefähr zweistündigen, sehr interessan-ten Gespräch mit dem Bürgermeister von Großräschen,SPD, zusammengekommen.
Auch in seiner Gemeinde gibt es einen hohen Leerstand.Im Übrigen ist das dortige Stadtentwicklungskonzept fastfertig gestellt; es stimmt nicht, dass die jetzt erst anfangenmüssen. Dieser SPD-Bürgermeister sagte mir: „Nun ja,Frau Ostrowski, jetzt ist ja alles geregelt. Es werden imnächsten Jahr ja 5Milliarden DM zur Verfügung gestellt.“Ich musste ihm sagen, wie es sich wirklich verhält unddass im nächsten Jahr keine 5 Milliarden DM fließen wer-den. Er aber hatte diesen Eindruck, obwohl er einer derbesser informierten Politiker ist, da er immer wieder bei
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Christine Ostrowski20348
Beratungen im brandenburgischen Innenministerium zu-gegen ist. Ich weiß, Herr Hilsberg, dass Sie diesen Wahl-kreis erobern wollen.
Ich kann Ihnen da nur empfehlen: Kümmern Sie sich bittedarum, dass, auch wenn Sie nicht mehr Geld zur Verfü-gung stellen, wenigstens ganz schnell Geld fließt. Es kannnicht sein, dass Sie den Wohnungsleerstand wie einenBerg vor sich herschieben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ostrowski, Sie
müssen sich jetzt um das Ende Ihrer Rede bemühen.
Ich komme zum
Schluss. – Wir haben drei Anträge gestellt, für die nicht
mehr Geld eingestellt werden muss.
Im ersten Antrag wird gefordert, die gesamte Ostför-
derung in einem Topf zu bündeln und die Kommunen ent-
scheiden zu lassen, was sie mithilfe dieses Geldes auf-
bauen oder abreißen wollen.
Der zweite Antrag fordert, die Mittel für bedrohte Exis-
tenzen im Rahmen der Härtefallverordnung früher bereit-
zustellen.
Der dritte Antrag fordert, die Städtebauförderung Ost
wieder auf den Ansatz anzuheben, der bisher dafür zur
Verfügung stand,
und nicht die Mittel, die Sie für Abrisse einsetzen wollen,
aus diesem Topf zu nehmen.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Bun-desminister Kurt Bodewig.Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- undWohnungswesen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Erst einmal auch von meiner Seite einenGenesungsgruß an Gerd Rübenkönig und einen Geburts-tagsgruß an Dirk Fischer sowie Rita Streb-Hesse undKarin Rehbock-Zureich. Dabei fällt mir auf, dass der Kol-lege Fischer feiert, während die Damen sogar an ihremGeburtstag arbeiten. Herzlichen Glückwunsch!Ich werde sehr gerne und mit Vergnügen auf all IhreBeiträge eingehen. Ihr Lamento rührt ja wahrscheinlichdaher, dass Sie sich einen derartigen Haushalt überhauptnicht vorstellen konnten. Während Ihrer Regierungszeitwar die Entwicklung dieses Haushaltes rückläufig. Mittelwurden verlagert und es gab riesige Löcher, wie die, dieSie uns bei den Schienenprojekten hinterlassen haben.
Ich nenne hier einmal die Neubaustrecken. So waren fürdie Neubaustrecke Köln–Frankfurt 7 Milliarden DM ein-kalkuliert, 10 Milliarden DM kostet sie. Das fällt in IhreVerantwortung.
Ich glaube, da handelt diese Koalition viel verantwortli-cher, indem sie auch die Mittel bereitstellt, um Infrastruk-tur auszubauen. Damit wird Verkehrspolitik überhaupterst realisierbar.
– Sie haben aber die Entscheidungen zu verantworten,Herr Friedrich. Aus dieser Verantwortung werde ich Sienicht entlassen. – Ihr Beitrag erinnerte mich übrigens aneinen schönen Film, den ich gesehen habe: „Die fabel-hafte Welt der Amélie“. Das kann man auf Sie übertragen,denn in Ihrem freudschen Versprecher drückten Sie esrichtig aus: Dieser Haushalt steigt, und zwar sinnvoll undzielgenau. Deshalb enthält Ihr Versprecher eine richtigeAussage; diese greifen wir gerne auf.
Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, überwas wir heute reden und was wir in der dritten Lesung be-schließen werden.
Wir stimmen über einen Haushalt ab, der ein ungeheuresMaß an Investitionen aufweist, der sich positiv auf dieBeschäftigung auswirken wird und damit die richtigenAkzente setzt. Auch hier liegt ein Unterschied zur Ver-gangenheit. Das ist auch ein Grund, warum wir sagenkönnen: Mit diesem Haushalt können wir hervorragendleben.
Dies war trotz der notwendigen Konsolidierung möglich.Auch hier möchte ich noch einmal ein wenig den Blickin die Vergangenheit richten: Was haben wir denn 1998übernommen? 1,5 Billionen DM Bundesschulden. Das isteine Verschuldung, die die staatliche Handlungsfähigkeitabsolut unzulässig einengt.
Diese Schulden bauen wir in einem großen Kraftakt ab.Deswegen steigt nicht der Gesamthaushalt, sondern essteigt der Haushalt für Verkehr, Bau und Wohnungswe-sen, der der größte Investitionshaushalt des Bundes ist.Damit wird der richtige Akzent gesetzt.
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Christine Ostrowski20349
Ich glaube, auch das sollten wir noch einmal sehr deutlichmachen, denn wir haben Verantwortung für Beschäfti-gung. Ich meine, dass es sich sehen lassen kann, dass die-ser Haushalt im Vergleich zum Vorjahreshaushalt um1,5 Milliarden Euro steigt.
Wir haben das erarbeitet. Ich nenne nur das StichwortBEV. Hier stellen wir sicher, dass wir den sozialen Ver-pflichtungen, die sich aus der Bahnreform ergeben, über-haupt nachkommen können.In diesem Haushalt sind neue Akzente erarbeitet wor-den, auf die ich im Einzelnen noch eingehen werde. Ichglaube, dass es richtig war, dass wir das, was Sie in derVergangenheit praktiziert haben, indem Sie den Schienen-etat systematisch heruntergefahren haben – 1995 9 Mil-liarden DM und 1998 6,5 Milliarden DM –, deutlich kor-rigiert haben.
Jetzt sind wir wieder bei rund 9 Milliarden DM. Ichglaube, dass es richtig ist, in einem integrierten Verkehrs-system alle Verkehrsträger gleichermaßen auszubauen.Das führt dann auch dazu, dass wir einen Bundesfern-straßenhaushalt mit 10,8 Milliarden DM haben. Das istein Rekord, und zwar schon im zweiten Jahr. Wir kündi-gen Programme nicht nur an, sondern wir realisieren sieauch.
Die Durchführung des Zukunftsinvestitionspro-gramms bedeutet, dass 125 Ortsumgehungen in drei Jah-ren zu realisieren sind. Das heißt, 125 Mal, verteilt aufDeutschland, Verbesserung der Lebensqualität. Sie wärenfroh gewesen, wenn Sie so etwas in Ihrer Amtszeit hättenrealisieren dürfen. Es war Ihnen nicht gegeben – wir ma-chen es. Das ist der qualitative Unterschied.
Nun komme ich zum Wohnungsbau. Ich bin der Mei-nung, dass sich auch der Wohnungsbauhaushalt als Teildes Einzelplans 12 sehen lassen kann und dass wir unge-heuer viel erreicht haben.Sie haben Recht, Frau Ostrowski; Sie können immermehr fordern. Das ist eine Qualität, die ich bei Ihnen be-wundern darf. Die Realität sieht aber so aus, dass wir Pro-bleme lösen und dass wir die Mittel dafür zielgenau ein-setzen.
Ich bin der Meinung, dass sich 2 Milliarden DM Bundes-mittel für das „Stadtumbauprogramm Ost“ mit den ande-ren Programmteilen in Höhe von 2,2 Milliarden DMdurchaus sehen lassen können; das können Sie doch nichtklein reden.
Dabei geht es um Steuergelder. Wir haben die Verantwor-tung, sorgsam mit diesen Steuergeldern umzugehen, unddas tun wir.Ich glaube, dass das „Stadtumbauprogramm Ost“wichtig ist, weil es dort ansetzt, wo wir Probleme haben.In den neuen Bundesländern stehen 1Million Wohnungenleer. Etliche Wohnungsgesellschaften sind an der Grenzeihrer Belastbarkeit. Mit § 6 a Altschuldenhilfe-Gesetz hel-fen wir ihnen.
Wir helfen ihnen auch dadurch, dass wir einen Wettbe-werb starten. 31 Millionen DM haben eine Wirkung. Al-lein schon die Beteiligung am Wettbewerb ist für alleStädte, die sich beteiligen, ein Gewinn. Wir haben dasProgramm von 100 auf 200 Städte erweitert und werdendamit ebenfalls Stadtentwicklungskonzepte unterstützen,die notwendig sind. Das heißt, auch dieser Prozess hateine Qualität. Deswegen ist das Stadtumbauprogramm einintelligentes Programm.
Weiterhin haben wir das Programm Soziale Stadt auf-gelegt. Ich möchte allen Beteiligten meinen Dankaussprechen. Die Impuls-Kongresse machen die hoheBeteiligung deutlich. Die Menschen brauchen dieses Pro-gramm, weil es bewirkt, dass sie in den Quartieren aus ei-gener Kraft dafür sorgen können, die Lebensumwelt neuzu gestalten, Qualität wiederherzustellen und Stadtteile,die auf der Kippe stehen, wieder zu stabilisieren. Ichglaube, dass wir dieses Programm zu Recht europaweitvorzeigen können.Erstmalig stehen für die Förderung als Zukunft unsererStädte fast 1,1 Milliarden DM zur Verfügung. Die letzteZahl, die Sie hinterlassen haben, waren 600 Millio-nen DM für den Städtebau. Wir haben fast das Doppelteerreicht. Ich meine, das kann sich sehen lassen, und dasunterscheidet uns dann wieder.
Ich komme noch zum sozialen Wohnungsbau, in demwir ebenfalls neue Akzente gesetzt haben. Sie alle kennenunser Gesetz zur sozialen Wohnraumförderung, das zueiner Flexibilisierung führt. Ein Aspekt wurde von Fach-leuten immer wieder thematisiert – ich war kürzlich nochbei Christian Ude in München – Ballungsräume. Für dieseBallungsräume haben wir zusätzlich 70 Millionen Euromobilisiert, um über diesen Weg der Wohnraumförderungganz gezielt gerade in den Ballungszentren, in denen einhoher Wohnbedarf vorhanden ist, tätig werden zu können.Es gibt in Deutschland unterschiedliche Wohnungs-märkte; das ist eine Tatsache. Wir können jetzt in diesemBereich ganz gezielt arbeiten. Das ist der richtige Weg.Allen, die daran beteiligt waren, sage ich herzlichenDank.
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Bundesminister Kurt Bodewig20350
Ich freue mich übrigens auch darüber, dass wir die Ini-tiative „Architektur und Baukultur“ fortsetzen. Dies isteine sehr wichtige Initiative. Denn Baukultur hat etwasmit Menschen zu tun,
und zwar deswegen, weil sie die Menschen prägt. Ichkann mir vorstellen, dass die für diese Initiative vorgese-henen Mittel weiterhin angesetzt werden und dass es viel-leicht einmal eine Stiftung „Architektur und Baukultur“geben wird, mit der wir dauerhaft Impulse für den Städte-bau, aber auch für die architektonische Stadtentwicklungsetzen können.
– Über Zustimmung freue ich mich natürlich sehr, HerrKansy. Sie können das im Anschluss eindrucksvoll be-stätigen. Unterstützung nehme ich immer gern entgegen.
Auch im Verkehrsbereich gab es gerade in der Schluss-phase der Haushaltsberatungen eine Reihe neuer Akzente:zum Beispiel einen eigenständigen Etattitel für den Ausbauvon Radwegen.
Das sind Lückenschlussprogramme. Hier ist mit 100 Mil-lionen Euro eine Verdoppelung des Ansatzes ermöglichtworden. Auch das lässt sich sehen. Das zeigt doch, dasswir das, was wir ankündigen, in diesem Haushalt veran-kern und vorantreiben. Im kommenden Sommer werdenwir sehen, dass in diesen Bereich richtig Bewegung hin-einkommt.
Lassen Sie mich zum System Schiene kommen. Auchhier zeigen wir unsere ganz besondere Verantwortung.Rund 4,5 Milliarden Euro setzen wir für Investitionen inSchienenwege an. Die Finanzlöcher, die Sie uns hinter-lassen haben – ich habe sie soeben beschrieben –, plagenuns natürlich an der einen oder anderen Stelle. Die müs-sen wir in der Übernahme der Verantwortung für Sie stop-fen. Wir haben einen hohen investiven Mittelansatz undwir werden alles dafür tun, dass diese Investitionen auchumgesetzt werden.Der von uns vorgenommene Aufbau der Planungska-pazität in Höhe von 460 Millionen DM ist eine Folge Ih-rer Politik. Wir handeln hier und schaffen die Vorausset-zungen, dass Schieneninvestitionen in Höhe von 2 bis2,5 Milliarden DM vorzeitig realisiert werden können.Das kann sich sehen lassen. Wir tun etwas.
Ich möchte auf andere Dinge zu sprechen kommen. Fürden prognostizierten Verkehrszuwachs brauchen wir dieSchiene. Wir brauchen sie auch, um die Straße leistungs-fähig zu halten.
– Wir bauen ja auch; das wissen Sie doch, Herr Otto. HerrOtto, wir sind hier doch nicht in der Nordkurve.Ich wiederhole: Wir planen, wir bauen und wir arbei-ten intensiv an der Erstellung des Bundesverkehrswege-planes. Denn das, was Sie uns hinterlassen haben, wollenwir nicht: eine Unterfinanzierung von 100Milliarden DMund Hoffnungen vor Ort, die wir nicht erfüllen können.Wir werden also den Bundesverkehrswegeplan sehr ziel-genau entwickeln.
Dabei ist es unser Ziel, einen integrierten Bundesver-kehrswegeplan zu erarbeiten. Das heißt, er wird dieStraße, die Schiene und die Wasserstraße umfassen.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. HerrFriedrich, die Taskforce-Ergebnissewerden im schnellst-möglichen Zeitplan systematisch umgesetzt. Ich versi-chere Ihnen: Wir werden das erste Land sein, das die ent-sprechende EU-Richtlinie pünktlich zum 15. März 2003umsetzen wird. Wir arbeiten daran unter Hochdruck.Lassen Sie mich auf die Bundesfernstraßen eingehen.Hier gibt es Zukunftsinvestitionsprogramme, die, wie ichsoeben gesagt habe, sehr wirkungsvoll sind. Das Anti-Stau-Programm wird Engpässe beseitigen, und zwar über-all. Auch will ich herausstellen: Wir setzen auf ein inte-griertes System. Das Denken der Vergangenheit, immernur den einzelnen Verkehrsträger zu betrachten bzw. dieunterschiedlichen Verkehrsträger gegeneinander auszu-spielen, muss ein Ende haben.
Das, was bei Ihnen der Fall war, werden wir nicht tun.Deswegen wird es eine integrierte Verwendung der Ein-nahmen aus der LKW-Maut geben. Das macht Sinn.
Vor einem möchte ich Sie warnen: Wenn man im Zu-sammenhang mit der LKW-Maut von Kompensationenspricht, dann ist dies das sicherste Mittel, solche zu ver-hindern. Sie wissen, dass dies europarechtlich überhauptnicht zulässig ist.
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Bundesminister Kurt Bodewig20351
Natürlich wäre es eine Entlastung für dieses Gewerbe,wenn die Euro-Vignette wegfallen würde. Natürlich wärees eine Entlastung, wenn zum Beispiel die Kfz-Steuer ge-senkt würde, weil der Ausstoß von Emissionen in derLKW-Maut berücksichtigt wird.
Darüber hinaus geht es natürlich um den Grundsatz:Wenn die Beihilfetatbestände in den Niederlanden, in Ita-lien und Frankreich nicht auslaufen, dann müssen sie beiuns anlaufen.
Denn wir wollen keine Wettbewerbsverzerrungen und wirmüssen die Steuern auf europäischer Ebene harmonisie-ren. Das ist uns allen klar. Das ist übrigens der einzigegangbare Weg.
– Ich könnte Ihnen vieles aufzählen, was wir für das Spe-ditionsgewerbe gemacht haben. Wir haben zum Beispieldas zentrale Problem der illegalen Beschäftigung endlichangepackt.
Sie haben darüber nur geschwafelt. Bei Ihnen ist doch nieetwas passiert. Wir tun etwas. Dazu kann ich nur sagen:Erkennen Sie es doch an!
Auch das Hinzulernen, Frau Blank, ist etwas, was mansich selbst zugestehen kann.
Ich will deutlich machen, dass das Verkehrssystem derZukunft als ein integriertes Verkehrssystem geplant wer-den muss. Integriert heißt: kombinierter Verkehr. Wirstocken um ein Fünftel auf. Das kann sich sehen lassen.Das ist auch wichtig, weil wir auf diese Weise Verkehrebewältigen können.Herr Kalb, ich kann Ihnen sagen: Die Vereinbarungzwischen Bund, Bahn und der Industrie hinsichtlich desTransrapid vom Jahre 2000 gilt nach wie vor. Davonwerden wir nicht abweichen. Ich denke, das ist richtig undsinnvoll.Lassen Sie mich deutlich machen: Wasserstraßen undBinnenschifffahrt haben eindeutig Priorität. Wir machendie Ostsee sicher, weil wir das „shortsea shipping“ voran-treiben wollen. AIS bauen wir auf, um eine großeSicherheitsqualität zu erreichen. Auf der zweiten mariti-men Konferenz in Rostock haben alle Beteiligten – seienes Reeder, Vertreter der Wirtschaft, der Häfen und der Ge-werkschaften – deutlich gemacht, dass das der richtigeSchritt ist. Die Aufstockung der Finanzbeiträge für dieSeeschifffahrt ist ein ganz entscheidender Punkt, um hierweiterzukommen.
Bevor ich eine Bilanz ziehe, möchte ich noch einenDank sagen. Ich bedanke mich bei den Berichterstatternim Haushaltsausschuss. Ich habe Ihre harte Arbeit kennengelernt. Ich bedanke mich natürlich auch bei den Koaliti-onsfraktionen; denn sie haben dafür gesorgt, dass der Ge-winner dieser Haushaltsberatungen der Einzelplan 12 ist.An ganz vielen Punkten ist aufgestockt worden. Ichdenke, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ich bin je-denfalls der Meinung, dass man diesen Haushaltsplan mitStolz vertreten kann.
Für die Opposition ist es natürlich etwas schwierig. Ichkann verstehen, dass bei Ihnen ein bisschen Neid durch-schimmert, weil Sie das nicht hinbekommen haben.
Umso schöner ist es, dass es uns gelungen ist. Wir werdenlange genug an der Regierung bleiben, damit uns das Jahrfür Jahr gelingt.Ich danke auch dem Bundesfinanzminister. Es warennicht immer einfache Verhandlungen. Aber ihr Ergebnisist gelungen. Es gab Investitionen in die Infrastruktur, dieder Verantwortung für die Beschäftigung und für die Mo-bilität in dieser Gesellschaft Rechnung tragen. Nicht zu-letzt stehen wir in der Verantwortung, einen Verkehrszu-wachs von 64 Prozent in 15 Jahren bewältigen zu können.Nach Ihrer Tatenlosigkeit werden jetzt die Weichen indie richtige Richtung gestellt. Schauen Sie doch einmaldie Aussagen des Sachverständigenrates an. Die Investi-tionen in die Infrastruktur
haben sich bereits 2001 beim Straßenbau positiv ausge-wirkt. Das Programm „Stadtumbau Ost“ zeigt bereits jetztpositive Wirkungen auf die Investitionen für 2002.Ich will noch einen Punkt aufklären. Herr Kalb, das Be-treibermodell ist ein innovatives Modell im Investitions-beschleunigungsprogramm „Bauen jetzt“. Es gab immerden Ruf nach zusätzlichen Milliardenbeträgen. Wir sindetwas intelligenter vorgegangen. Wir haben dafür gesorgt,dass die 26 Milliarden DM beschleunigt ausgegeben wer-den können. Wir haben Finanzvereinbarungen zwischenLändern und dem Bund getroffen. Was früher ein Drei-vierteljahr dauerte, werden wir auf ein Vierteljahr be-schleunigen. Das heißt, investive Tätigkeiten können einhalbes Jahr früher begonnen werden. Das ist Ihnen nieeingefallen. Es geht also.Das Betreibermodell bedeutet, in einer intelligentenKombination aus Mitfinanzierung, Betrieb und Erhal-tungsaufwand in einem Konzessionsvertrag mit einer be-
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Bundesminister Kurt Bodewig20352
stimmten Dauer zusätzlich 3,5 Milliarden DM privatesKapital zu mobilisieren.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf der Basis desLKW-Maut-Gesetzes, das jetzt kommt, eine entsprechendeRefinanzierung schaffen. Wir können die insgesamt 10Projekte schon jetzt pilotieren und – das ist ein Angebot andie Länder –, beginnend ab dem Jahr 2003, realisieren. DieA 5 und auch der letzte Lückenschluss auf der A 2 sinddringend notwendig. Das werden wir anpacken. Es ist einintelligentes Programm, das sich sehen lassen kann.Ich habe abschließend eine Bitte an die Damen undHerren der Opposition. Mark Twain hat einmal gesagt:Der beste Weg, sich selbst eine Freude zu machen, ist, zuversuchen, einem anderen eine Freude zu machen. LernenSie dazu! Dann machen Sie uns allen eine Freude.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt der Kollegin Christine Ostrowski
das Wort.
Es tut mir Leid, meine
Damen und Herren; aber es muss sein. – Herr Minister, ich
möchte zu zwei Punkten, die Sie in Ihrer Rede angeführt
haben, meinen Standpunkt äußern.
Sie hatten erstens gesagt, dass § 6 a Altschuldenhilfe-
Gesetz der Wohnungswirtschaft geholfen hat. Ich stelle
dazu fest, dass dem bisher real nicht so ist. Es ist von die-
sen Mitteln, die Sie dafür bereitgestellt haben, noch nichts
abgeflossen. Es liegen meines Wissens aktuell erst sieben
oder acht Anträge aus der Wohnungswirtschaft vor. Die
Situation ist so, dass bisher real noch keine Hilfe erfolgen
konnte, weil die Kriterien, die Sie vor die Antragstellung
gestellt haben, durch Sie so hoch gesetzt worden sind
– ich sage nur die Stichworte „Banken“ und „Verzicht auf
die Vorfälligkeitsentschädigung“ –, dass existenzbedrohte
Wohnungsunternehmen bisher nicht in den Genuss der
Mittel kommen konnten.
Zweitens möchte ich mich noch einmal zu Ihrer Be-
merkung äußern, 2 Milliarden DM vom Bund könnten
sich sehen lassen. Dazu stelle ich fest, dass man das so
nicht sagen kann, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens. Wenn man bedenkt, dass mindestens seit dem
Jahre 1998 nach Aussage und Beweisführung der Exper-
tenkommission „Wohnungsleerstand“ bei den ostdeut-
schen Wohnungsvermietern 16 Milliarden DM an finan-
ziellen Belastungen aufgelaufen sein müssen, dann sind
diese 2 Milliarden DM – noch dazu über acht Jahre ver-
teilt – ein Beitrag, der inakzeptabel ist.
Zweitens.
– Der zweite Grund für die 2 Milliarden DM, Herr
Dr. Kansy. – Diese 2 Milliarden DM werden zu zwei Drit-
teln aus anderen Programmen finanziert. Nur ein Drittel
erschließt der Bund aus allgemeinen Haushaltsmitteln.
Ich halte auch das nicht für angemessen,
weil diese anderen Programme, aus denen das Stadtum-
bauprogramm finanziert wird, für den Osten gerade des-
halb nötig sind, weil die Städte belebt und die Menschen
in den Städten gehalten werden müssen. Daher darf man
diese Programme nicht kürzen, zumal mit den Mitteln
Wohnungen abgerissen werden sollen. Das ist nicht in
Ordnung und das musste gesagt werden.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, bevorich Ihnen das Wort zur Erwiderung erteile, schlage ichvor, dass die zweite angemeldete Kurzintervention desKollegen Oswald sofort erfolgt.
– Ich bedanke mich für die Kulanz.
Trotzdem hat der Herr Minister die Möglichkeit zu er-widern. – Bitte.Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- undWohnungswesen: Sie kennen die Problematik des § 6 aAHG und wissen, dass als Voraussetzung für den Antragein betriebswirtschaftliches Konzept vorhanden seinmuss. Acht solcher Konzepte sind bereits entwickelt wor-den; insgesamt erwarten wir 20. Das braucht seine Zeit.Dieses Programm läuft an; dass es diese Anträge gibt, be-weist, dass das Programm schon Wirkung zeigt. Deshalbhalte ich Ihre Kritik nicht für berechtigt.
Zu Ihrem zweiten Punkt: Ich kann ja verstehen, dassSie als Oppositionsabgeordnete das Programm „Stadtum-bau Ost“ kritisch bewerten müssen. Dass Sie es auch ne-gativ darstellen müssen, ist vielleicht Ihr Verständnis vonOppositionsarbeit. Alle anderen aber, sowohl Vertreter derWohnungswirtschaft als auch diejenigen, die in den neuenBundesländern in kommunaler Verantwortung sind, sa-gen, das Programm sei hervorragend. Der GdW-PräsidentFreitag hat sich absolut erfreut geäußert, weil man derWohnungswirtschaft mehr Geld anbietet, als sie über-haupt gefordert hat. Das zeigt, welche Voraussetzungenwir hier schaffen, um die Krise der Wohnungswirt-schaft in den neuen Bundesländern real und nicht nur in
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Bundesminister Kurt Bodewig20353
theoretischen Erklärungen anpacken zu können, FrauOstrowski.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir fahren in der De-
batte fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Kansy.
Sie sind auchin dieser Frage inkompetent. Die Größe der Räume istvom Deutschen Bundestag beschlossen worden, HerrKollege.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerMinister hat seine Rede mit dem Wunsch abgeschlossen,Bilanz zu ziehen. Ich stimme dem zu; es ist Zeit, Bilanzzu ziehen.Erstens. Wir beraten heute einen Einzelplan für denBundeshaushalt 2002, bei dem in rot-grünen Regierungs-zeiten erstmals ein und derselbe Bundesminister dieHaushaltsaufstellung begonnen und auch abgeschlossenhat.
Er ist übrigens schon ein Jahr und eine Woche im Amt.
Bei den bekannten Halbwertzeiten von Ministern dieserKoalition – ich meine Müntefering und Klimmt – ist daseigentlich eine erfreuliche Angelegenheit.
Zweitens. Wenig erfreulich ist, dass die Wohnungs-wirtschaft und die interessierte Öffentlichkeit von Salz-gitter bis Garbsen, Herr Kollege Schmidt, in diesen Jah-ren kaum etwas von einem Wohnungsministermitbekommen hat, der sich am Kabinettstisch durchsetzt,wenn es um Fragen des Wohnungsbaus geht. Das ist keinWunder, Herr Minister, haben Sie doch bei verhängnis-vollen Fehlentscheidungen dieser Bundesregierung zulas-ten der Wohnungsbauinvestitionen – sei es im Steuer-recht, sei es im Mietrecht, sei es beim Kahlschlag dessozialen Wohnungsbaus – geschwiegen und zugestimmt.Das ist die Bilanz, die wir Ihnen heute vorhalten.
Herr Minister, dass Sie sich auch bei der Städtebauför-derung West, die Sie eben so gelobt haben, und dem Pro-gramm Soziale Stadt gegenüber dem Ansatz von 2001zunächst einmal widerspruchslos dem Finanzministergebeugt haben und bei der sozialen Wohnungsbauförde-rung die Demontagepolitik Ihrer beiden SPD-VorgängerMüntefering und Klimmt fortzusetzen bereit waren – Siemüssen jetzt erst durch das Parlament korrigiert werden –,hindert Sie offensichtlich nicht, sich schon wieder – dasist ein PR-Gag – als großer King in dieser ganzen Woh-nungs- und Städtebaupolitik zu fühlen.Herr Minister, Sie haben trotz der notdürftigen Nach-besserungen im Haushaltsausschuss einen Haushalt vor-gelegt, der in keiner Weise den Erfordernissen der Woh-nungs- und Städtebaupolitik Rechnung getragen hat,sodass Sie – übrigens vom ganzen Parlament – korrigiertwerden mussten.
Ich nenne nur ein Beispiel: Minister Bodewig hat imletzten Jahr im Kabinett die Ausgrenzung der Wohnim-mobilien aus der privaten Altersvorsorge abgenickt. DasGleiche geschah beim ersten Formelkompromiss. Daswar doch wohl so. Diesen hat er noch Mitte Januar auf ei-ner Pressekonferenz kommentiert, indem er sagte, dass ersehr zufrieden sei. Nach massivem Druck der Wohnungs-wirtschaftsverbände sowie der B-Länder im Bundesrathat erst der Vermittlungsausschuss mit dem Zwischenent-nahmemodell wenigstens einen minimalen Einstieg indiese Angelegenheit geschafft. Anfang November präsen-tierte sich der Minister in einem Pressegespräch als Pro-motor der Einbeziehung des selbst genutzten Wohneigen-tums in der Rentenreform.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-legen, liebe vereinzelte Zuschauer auf der Zuschauer-tribüne, sehr verehrter Herr Kameramann,
in Ihrem Zeugnis, Herr Minister, steht: PR gut – das gebeich zu –, Wohnungspolitik ungenügend.
Die Folgen der verfehltenWohnungsbaupolitik der Re-gierung Schröder – von der Finanzierung der Wohngeld-erhöhung, übrigens auf demRücken derHäuslebauer, nacheinem von der Union im Bundesrat gestoppten Versuch,dies zulasten der Länder undGemeinden zu tun, daran darfich bei dieser Gelegenheit auch einmal erinnern, Frau Kol-legin, über die investitionsfeindliche Steuerpolitik bis hinzur Mietrechtsreform und der Demontage des sozialenWohnungsbaus – haben zwar bereits zu ersten Mangeler-scheinungen geführt – ich freue mich, dass das jetzt sogaranerkannt wird; bei der letzten Debatte wurde das nochzurückgewiesen –, aber erst in den nächsten Jahrenwerdendie Folgen dieser ganzen verhängnisvollen Fehlentschei-dungen in der Wohnungspolitik sichtbar werden.Das einzige, was man heute bereits sieht, sind dieArbeitslosen im Baugewerbe. Seit 1998 sind über200 000 Arbeitsplätze auf dem Bau verloren gegangen.
Die wissen schon, woher das gekommen ist. Ich darf ein-mal daran erinnern, dass während der Regierungszeit vonHelmut Kohl bis zu 600 000 Fertigstellungen im Jahr er-reicht wurden.
Herr Kollege Schmidt, wir hatten den niedrigsten Anstiegdes Mietenindexes. Er betrug 1,1 Prozent. Nach Ihrem
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Bundesminister Kurt Bodewig20354
Ausstieg aus der Wohnungspolitik versuchen Sie jetztplötzlich, sich wenigstens über das Wahljahr 2002 hin-wegzuretten und stark sinkende Fertigstellungen und wie-der ansteigende Mieten zu verschleiern.Meine Damen und Herren, wir werden Ihnen einigeunangenehme Fragen nicht ersparen. Zum Beispiel:Meine verehrten Kollegen aus dem Ausschuss für Ver-kehr, Bau- und Wohnungswesen, Herr Minister, warumhat der Beschluss des Ausschusses – er wurde mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gefasst –, die sozialeWohnraumförderung in Verdichtungsräumen durch denBund mit zusätzlich 170 Millionen Euro zu intensivieren– das hat der Minister auf manchen Verbandstagen an-schließend als großen Erfolg gefeiert –, nur eine Halb-wertzeit von wenigen Tagen gehabt, bevor er von dieserRegierung wieder kassiert wurde?Wenn ich daran erinnere, dass Sie bei der letzten Bun-destagswahl noch 2 Milliarden DM, also rund 1 Milli-arde Euro, für den sozialen Wohnungsbau gefordert ha-ben, kann ich nur dringend darum bitten, vielleicht tun Sieja sogar dem Minister einen Gefallen – ich sage bewusst„vielleicht“ –, dass Sie morgen unserem Antrag in derzweiten Lesung des Bundeshaushaltes zustimmen, damitdie Mittel für den sozialen Wohnungsbau wieder auf400 Millionen Euro erhöht werden. Der Schwerpunktliegt dabei auf den Ballungsräumen.
Dort sind wieder erste Anzeichen von Wohnungspro-blemen sichtbar geworden.Mit welchen neuen Rahmenbedingungen, HerrMinister, wollen Sie übrigens sicherstellen, dass dervom Bundesamt für Bauwesen und Raumwesen brand-neu prognostizierte Wohnungsneubaubedarf von rund340 000 Wohnungen auch erfüllt wird, nachdem die Zahlder Fertigstellungen und erst recht die Zahl der Baugeneh-migungen bereits heute deutlich dieses mittelfristige Zielunterschreiten? Die DIW-Prognose – das letzte Mal konnteman sie vor zwei Stunden auf dem parlamentarischenAbend gegenüber hören – besagt: dieses Jahr keine 300000mehr, nächstes Jahr eher 250000 Fertigstellungen im Neu-bau. Das ist ein eklatanter Absturz, den wir in diesem Um-fang – so ist es dort eben auch formuliert worden – in derNachkriegszeit in Deutschland noch nie gehabt haben.Was haben Sie eigentlich mit der Eigenheimzulagevor, Herr Minister, die im rot-grünen Lager, angeblich un-ter raumordnungs- und umweltpolitischen Gesichtspunk-ten, zunehmend diffamiert wird? Die bisherigen Kürzun-gen durch Wegfall der Vorkostenpauschale, durch Wegfallder steuermindernden Erhaltungsaufwendungen beimZweiterwerb und durch die Reduzierung der Einkom-mensgrenzen haben auch hier – und zwar erstmalig – zueinem massiven Rückgang der Zahl der Baugenehmigun-gen und der Fertigstellungen geführt. Bei den Grünen– Frau Eichstädt-Bohlig, wir sitzen ja jede zweite Wocheauf gemeinsamem Podium – wird sogar schon über dieAbschaffung der Eigenheimzulage geredet.
Die SPD versucht sich in dieser Angelegenheit über dieWahl hinwegzuschweigen.Hier,HerrMinister, ist sogar PRmangelhaft; dieWohnungspolitik ist sowieso ungenügend.
Welche Belastung für den Immobilienmarkt haben Sie,Herr Minister, eigentlich bei den Neuregelungen der Erb-schaft- und Grundsteuer vor? Hier setzt der Kanzlerebenfalls auf Vernebeln und Wiedervorlage nach denWahlen. Das einzig Positive ist, dass Sie dazu nicht mehrin der Lage sein werden. Hier gebe ich Ihnen die beste PR-Note des heutigen Abends: Sonderpreis für hervorra-gendesNebelwerfen.Aber:Wohnungspolitik ungenügend.Warum, Herr Minister, reden Sie ständig von der stär-keren Gewichtung der Bestandsförderung, tun aber ge-nau das Gegenteil: Wegfall des Vorkostenabzugs, Wegfallder Verteilung des Erhaltungsaufwandes, Wegfall der In-vestitionszulage für die Modernisierung selbst genutzterWohnungen? Das alles geschieht bei gleichzeitiger unzu-reichender Finanzausstattung der sozialen Wohnraumför-derung. Dadurch wird überhaupt keine ausreichende Be-standsförderung mehr ermöglicht, selbst wenn man siemachen wollte. PR: ausreichend, Wohnungspolitik: wie-der ungenügend.Ein letztes Wort zu dem angekündigten Stadtumbau-programm Ost. Ich fürchte, ihm droht dasselbe Flop-Schicksal wie der vollmundig erklärten und eben schonangesprochenen überfrachteten Altschuldenhärtefallrege-lung, wo in diesem Jahr noch keine zehn Fälle abgear-beitet wurden. Von dem 5-Milliarden-Programm bzw.– wenn wir einmal ehrlich sind – 2-Milliarden-Programmdes Bundes ist schon geredet worden. Kassenmäßig habenSie für das ganze nächste Jahr 15,3 Millionen Euro für dieUmsetzung des Stadtumbaus Ost vorgesehen.
– Das ist einfach wahr. – Sie verkaufen den StadtumbauOst aber ausgerechnet im Programm „Bauen jetzt – Inves-titionen beschleunigen“ auch als Bauinvestitionspro-gramm. Das ist einfach eine Lachnummer.
Deswegen fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unseremweiteren Antrag der Erhöhung der Barmittel sowohl beider Städtebauförderung West als auch beim StadtumbauOst morgen zu, damit Ihr Programm „Bauen jetzt“ über-haupt einen Sinn bekommt und die Mittel nicht erst in denJahren 2004 bis 2008 bereitstehen.Kurzum: Herr Minister, auch in diesem Politikbereichsteht Ihren Ankündigungen ein spärliches Ergebnis ge-genüber, das nicht nur viele Bürgerinnen und Bürger ent-täuschen wird, sondern das auch den Erfordernissen derStädte- und Wohnungsbaupolitik nicht gerecht wird. Des-wegen werden wir dem Etatteil, der die Wohnungs- undStädtebaupolitik betrifft, beim besten Willen nicht zu-stimmen können.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Dr.-Ing. Dietmar Kansy20355
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Wolfgang Spanier.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen, liebe Kollegen! Herr Dr. Kansy, auch wennSie noch zwanzigmal Ihre Standardrede wiederholen, siewird in keinem Punkt richtiger.
Heute haben Sie aber noch einen draufgesetzt. Dass Sienun behauptet haben, in einer der Podiumsdiskussionen,an denen auch ich teilgenommen habe, sei gefordert wor-den, die Eigenheimzulage ganz abzuschaffen, ist – mitVerlaub, Frau Präsidentin – wirklich Quatsch.
Das ist nie gesagt worden, das wissen Sie auch. Eigentlichhaben Sie es gar nicht nötig, solche Dinge hier zu unter-stellen, um als Opposition irgendwelche Pluspunkte zusammeln.
Ich möchte eine Anmerkung zu einem Hinweis vonFrau Ostrowski machen.
Ich sage dies mit allem Ernst und Nachdruck: Ich halte esfür einen miesen politischen Stil, zu unterstellen, wir wür-den, weil sich unsere Anträge auf die alten Länder bezie-hen, der Masse unserer Wähler folgen.
Welche Schlussfolgerungen soll ich denn dann darausziehen, dass sich Ihre Anträge ausschließlich auf dieneuen Bundesländer beziehen? Ich finde, wir sollten unsalle gemeinsam davor hüten, in solcher Weise Ost-West-Antistimmung zu schüren.
Das mag zwar hier und da populistische Vorteile bringen,aber ich glaube, dass das für uns alle schlicht und einfachnicht angemessen ist. Ich halte das – das sage ich mit allerDeutlichkeit – für einen miesen politischen Stil.
Dass wir die Städtebau- und Wohnungspolitik der letz-ten Jahre völlig anders einschätzen als die Opposition, istselbstverständlich. Die wichtigsten innovativen neuenAnsätze sind: das Stadtumbauprogramm Ost inklusive derHärtefallregelung in § 6 a, die Städtebauförderung – end-lich für die alten Länder wieder auf ein halbwegs an-gemessenes Niveau gebracht –, das Programm SozialeStadt, die Reform der sozialen Wohnraumförderung unddie zusätzlichen Anstrengungen bei der Modernisierungdes Wohnungsbestandes.Ich habe in den dreieinhalb Jahren keine wirkliche in-haltliche Alternative aus den Reihen der Oppositiongehört.
Es gab einige wenige Ausnahmen, so etwa beim Mietrechtseitens der FDP, die ihre alten Vorstellungen wieder ausder Schublade gekramt hat.Ihre Kritik beschränkt sich im Wesentlichen und auchheute wieder darauf, dass Sie an der Höhe der Ansätzeherummäkeln. Das ist schlicht und einfach zu wenig.Wenn Sie sich dann in persönliche Angriffe auf denMinister versteigen – Herr Dr. Kansy, ich muss Ihnen daseinfach sagen, denn wir haben sonst fachlich einen gutenUmgang miteinander –,
ist das ein Zeichen von fachlicher, inhaltlicher Armut;nichts anderes.
Lassen Sie mich zusammenfassen, welche Verände-rungen wir am Haushalt vornehmen: Zunächst einmalwerden die Mittel für das Programm Soziale Stadt wiederauf die Höhe von 2001, also auf 150 Millionen, gebracht.Das ist auch gut so. Die Mittel für die Städtebauförderungwerden in einem ersten Schritt auf die Höhe von 2001 ge-bracht und noch zusätzlich um 100 Millionen – also zu-sammen um 200 Millionen – aufgestockt. Ich drücke michjetzt noch in D-Mark aus.Die Mittel für Forschung und Weiterentwicklung desWohnungs- und Städtebaus – eine wichtige Maßnahme –werden um 30 Millionen aufgestockt. Ich werde daraufgleich noch etwas genauer eingehen. Die Mittel für die so-ziale Wohnraumförderung werden um 140 Millionen auf-gestockt. Insgesamt – jetzt in Euro, denn wir alle müssenuns langsam daran gewöhnen – ist das eine Anhebung –da rechne ich die Rücknahme der ursprünglich vorgese-henen Kürzungen bei dem Programm Soziale Stadt undder Städtebauförderung West nicht mit – gegenüber 2001um sage und schreibe 135 Millionen Euro.
Ich denke, dass sich das angesichts unserer finanziellenRahmenbedingungen sehen lassen kann. Das sind zum ei-nen die notwendige Haushaltskonsolidierung und zumanderen natürlich die Mehrbelastungen durch unserenBeitrag zum internationalen Kampf gegen den Terroris-mus.Ich glaube, hinsichtlich der Zielrichtung gibt es in denAnträgen fast keine nennenswerten Unterschiede, ledig-lich in den Beträgen: Die PDS hat zusätzliche 442 Milli-onen beantragt, die CDU/CSU – etwas bescheidener – zu-sätzliche 862 Millionen. Morgen soll aber noch etwaskommen. Die FDP ist, was Zahlen angeht – dabei denkeich an die 18 Prozent –, etwas im Größenrausch. Sie hat
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zusätzliche 1 600 Millionen nur für Städtebau- und Woh-nungspolitik beantragt.
erhöhen!)Dabei stellt sie noch immer gebetsmühlenartig die For-derung nach umfassenden Steuersenkungen. Das wird aufimmer Ihr Geheimnis bleiben. Herr Westerwelle mag sichnoch so sehr an unseren Kanzler anschmiegen: WennSie nicht ein ganzes Stück seriöser werden, dann sindSie nicht regierungsfähig. Das will ich Ihnen deutlichsagen.
Zur Opposition. Wir machen eine gute Politik; das istklar. Aber Sie machen keine schlechte Opposition, indemSie uns stützen und stärken. Deswegen werden Sie diesefür uns dankenswerte Rolle auch in den kommenden vierJahren in diesem Haus weiterhin ausüben können. Da binich sicher. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
Innovation und Neuorientierung – das sind die Stich-worte, unter denen unsere Städtebau- und Wohnungspoli-tik steht. Das Stadtumbauprogramm Ost ist heute schonmehrfach angesprochen worden. Ich will es noch einmalauch in Richtung PDS sagen: Für die Jahre 2002 bis2009 – das müssen Sie dem Bürgermeister mitteilen;wenn Sie mir den Namen nennen, will ich mit dem Manngerne telefonieren – werden vom Bund 2 Milliarden, vonden Ländern 2 Milliarden und 1 Milliarde von den Kom-munen bereitgestellt. Das macht summa summarum5 Milliarden. Das ist eine gewaltige Kraftanstrengung:2 Milliarden für den Rückbau, 3 Milliarden für die Auf-wertung.
Reden Sie diese Anstrengungen doch nicht herunter!Die Gemeinden sind schon längst am Werk. Gestern Abendhabe ich in einer Gesprächsrunde erfahren, welche konkre-ten Projekte für den Ostteil dieser Stadt bereits vorbereitetsind. Es geht im nächsten Jahr los. Warum reden Sie dasherunter? Warum unterstützen Sie die Umsetzung nicht? Eskommt darauf an, dass endlich etwas passiert.
Ganz wichtig in diesem Zusammenhang: Wir werdenmit dem Umbauprogramm Ost auch Erfahrungen für diealten Länder sammeln. Deswegen haben wir das verzahnt.Das ist im Zusammenhang mit den 30Millionen mehr fürForschung und zur Weiterentwicklung des Wohnungs-und Städtebaus zu sehen. Dabei geht es um die Unterstüt-zung von Pilotprojekten zum Stadtumbau auch in den al-ten Ländern.
Das halten wir für richtig und zukunftsorientiert. Deswe-gen haben wir dieses Geld zusätzlich bereitgestellt.
Ich darf an das Programm Soziale Stadt erinnern. Ichbin froh, dass wir auch im nächsten Jahr die Höhe von2001 mit 150 Millionen halten können. Seit 1999 – das istkein langer Zeitraum – wurden 249 Maßnahmen in184 Gemeinden durchgeführt. Das ist doch ein Erfolg.Das geht quer durch die gesamte Republik.
– Erkundigen Sie sich einmal in Ihren Ländern. FragenSie einmal bei Ihren Bürgermeistern nach, wie erfolgreichdas läuft. Ich weiß gar nicht, ob Sie überhaupt wissen, wo-von ich gerade rede.
Die Weiterführung ist gesichert. Die Chance für Neu-aufnahmen ist gewährleistet. Ich habe in den letzten Wo-chen und Monaten so manche Presseerklärung gelesen.Das ist alles kalter Kaffee. Wir werden in bewährter Weiseso weitermachen wie bisher.
– Das gehört nicht zu meinem Repertoire.Soziale Wohnraumförderung: Ich will dazu nocheinmal die Zahlen nennen. 2001 hat der Bund lediglich– das gebe ich gerne zu – 450Millionen bereitgestellt. DieLänder haben 5 Milliarden hinzugefügt. Durch die Woh-nungsprogrammen der Länder sind zusammengenommenfast 100 000 Wohnungen gefördert worden. Das ist dochetwas. Das kann sich doch sehen lassen.
Wenn es uns jetzt gelingt, die Mittel aufzustocken,dann können wir darüber nur froh sein. Ich hoffe und wün-sche, dass die Länder nicht von der Möglichkeit der Über-gangsfrist Gebrauch machen. Einige werden wohltatsächlich erst 2003 einsteigen. Achten wir alle gemein-sam darauf, dass die Umsetzung des Gesetzes in den Län-dern wirklich zügig erfolgt. Wir sind auf die Mitwirkungder Länder angewiesen.Bei der Gelegenheit möchte ich eine kleine Bemerkungmachen. Es sind immer die Einkommensgrenzen kritisiertworden. Es wurde stets das Beispiel einer allein lebendenPerson, ledig, mit einem Einkommen von 28 000 DM ge-nannt. Dann höre ich oft: Das sind die Bedürftigen. Jetzthaben Sie Ihre Kritik an uns auf die Zielgruppe der Be-dürftigen reduziert. Unterhalten Sie sich einmal mit Stu-denten, Volontären und Referendaren. Das alles sindMenschen, die nach wie vor Anrecht auf einen Wohnbe-rechtigungsschein haben. Diese sollte man aber nicht indie Kategorie „Bedürftige“ einordnen.
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So, wie es jetzt gestaltet ist, ist es ein deutlicher Fort-schritt. Inhaltlich, verehrter Herr Dr. Kansy, stimmen wirbei der sozialen Wohnraumförderung völlig überein.Städtebauförderung West: Ich darf daran erinnern,dass sie seit 1994 nur 80 Millionen DM betrug. Wir habendiesen Betrag auf 180 Millionen DM aufgestockt undstocken ihn jetzt noch einmal auf. Ich denke, die großeNachfrage der Städte und Gemeinden in West und Ost istfür uns der Beleg dafür, dass diese Aufstockung berech-tigt ist. Wir tragen zur Stärkung der Attraktivität unsererStädte bei.
Lassen Sie mich zum Schluss auf die Modernisierungdes Bestandes eingehen. Im Rahmen des 1996 aufgeleg-ten CO2-Minderungsprogramms, das Sie mitzuverant-worten haben, wurden 360 000 Wohneinheiten mit Inves-titionsmitteln in Höhe von 24 Milliarden gefördert. ImRahmen des 2001 aufgelegten CO2-Gebäudesanie-rungsprogramms, das ein Fördervolumen von 1,163 Milli-arden DM hat, wurden 27 000 Wohnungen gefördert. BisOktober gab es 10 000 neue Anträge. In 8 000 Fällenkonnte bereits eine Zusage erteilt werden.Wenn Frau Ostrowski die Zahl der geförderten Woh-nungen in das Verhältnis zur Gesamtzahl der Wohnungenin Deutschland setzt, dann muss ich sagen, dass das – ichwill ja nicht frauenfeindlich sein – eine Milchbubenrech-nung ist; denn man muss das in das Verhältnis zu denWohnungsbeständen der 50er- und 60er-Jahre setzen.Schließlich kommen nur die für eine Modernisierung in-frage. Wenn Sie zu den 50 000 Wohnungen, die im sozia-len Wohnungsbau modernsiert worden sind, die Zahl derim Rahmen des CO2-Minderungsprogramms, des CO2-Gebäudesanierungsprogramms und des Wohnraummo-dernisierungsprogramms Ost geförderten Wohnungenhinzuzählen, dann werden Sie feststellen, dass die jährli-che Zahl der zum alten Wohnungsbestand gehörendenWohnungen, für deren Modernisierung wir gesorgt haben,beachtenswert ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Apropos Zahlen: Die
Uhrzeit zeigt, dass Sie Ihre Redezeit schon überschritten
haben.
Frau Präsidentin, ich habe
schon auf den Hinweis, den Sie mir vor mehreren Sekun-
den gegeben haben, entsprechend reagiert.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht der Kol-
lege Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich binvon dem, was Herr Bodewig gesagt hat, enttäuscht;
denn wir versuchen sonst immer, gewisse Gemeinsam-keiten herauszuarbeiten. Ich habe aber festgestellt, dassder vorliegende Haushalt mit einem Volumen von 26 Mil-liarden Euro gerade einmal eine Steigerung von 27 Milli-onen Euro aufweist. Das ist ein Promille. Deswegen kannich überhaupt nicht verstehen, wie Sie, Herr Bodewig, derMeinung sein können, dass dieser nach Ihrer Aussage un-geheuer investive Haushalt auch nur andeutungsweise– ich betone: andeutungsweise – Antworten auf das gebensoll, was uns bedrängt.
Ich bin bitter enttäuscht – ich habe gelesen, dass Sie ausdem Gewerksachaftsbereich kommen –, dass Sie nicht eineinziges Wort zu den dramatischen Problemen am Arbeits-markt – Herr Weis, hören Sie gut zu – und zu den dramati-schen Problemen von Hunderttausenden von Menschen,die sich um ihre Zukunft Sorgen machen, gesagt haben.
Frau Eichstädt-Bohlig, Sie sind auch nicht besonderseffektiv. Frau Ostrowski hat Ihnen das – das muss ich indiesem Fall wirklich sagen – bewundernswert deutlichgemacht. Sie sind plakativ, aber nicht effektiv und kon-struktiv.
Wenn Sie erklären, alleine ein Wettbewerb helfe den Städ-ten in den neuen Ländern, den Anschluss an den Markt,den Wettbewerb und den Wohnungsbau zu gewinnen,kann ich Sie nur fragen: Sind Sie niemals in Ostdeutsch-land gewesen?
Glauben Sie wirklich, dass die Probleme über den Wett-bewerb gelöst werden können? Frau Eichstädt-Bohlig,das, was Sie dazu gesagt haben, war trostlos.Ich möchte Ihnen auch sagen, warum ich das, was sievorhin gesagt haben, als Sie Ihre Miniinvestitionen gelobthaben, für so ungeheuer gefährlich halte. Sie haben dochvorher die Investitionen aus dem Markt gepustet. Sie ha-ben doch ein Gesetz nach dem anderen unter dem Neid-aspekt auf den Weg gebracht. Bloß keine privaten Inves-titionen mehr in diesem Bereich!
Soll ich Ihnen einmal alles auflisten, wofür Sie verant-wortlich sind? Ich tue es: der Fallenstellerparagraph; dieeingeschränkte Verlustverrechnung; die Spekulationsfristrückwirkend verändert; den Vorkostenabzug gestrichen;die Riester-Rente, die kein Mensch versteht, auf den Weggebracht; das Mietrecht einseitig verändert; die Bauab-zugsteuer. Sie haben einen fiskalischen und bürokrati-schen Moloch auf den Weg gebracht. Sie haben allesunternommen, damit kein Mensch auch nur andeutungs-weise bereit ist, in den Markt der Wohnungs- und der Bau-wirtschaft zu investieren.
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Wolfgang Spanier20358
Nun haben wir das Ergebnis: Es gab noch nie soschlechte Fertigstellungszahlen. Das gilt für alle Berei-che, egal ob es sich um den Bereich der Mehrfamilien-häuser oder um den gewerblichen Bereich handelt. DerMarkt ist in einem katastrophalen Zustand. Aber Sie, HerrBodewig, lächeln nur freundlich und erklären: Was binich doch für ein toller Ker, ich habe meinen Haushalt umein Promille erhöht!
Ich will Ihnen noch etwas sagen – was ich den Gipfelder Unverschämtheit finde – zu dem, was Ihr Minister-kollege Herr Eichel in seiner Haushaltsrede gesagt hat.Ich habe das gar nicht geglaubt, als ich das hörte. Ichdachte, du musst dich verhören. Aber ich habe ihn vorzwei Tagen beim Verband der privaten Bausparkassennoch einmal erlebt und da hat er es wieder gesagt, näm-lich dass nicht die Bundesregierung an dem Desaster aufdem Baumarkt Schuld hat, sondern dass die Bauwirt-schaft das selbst verursacht habe. Sie ist im Grundeschuld an den schlechten Wachstumszahlen. Sie ist schulddaran, dass wir in die wirtschaftliche Rezession abgleiten,weil die Bauwirtschaft nicht mehr in dem Maße zumvolkswirtschaftlichen Wohlergehen beiträgt, wie man dasvon ihr zu erwarten hätte.Nein, Herr Kollege Bodewig, wer den Haushalt nur sominimal anhebt, wer die Weichen so am Markt vorbeistellt, wer die privaten Investoren aus dem Markt heraus-pustet, der muss sich wirklich nicht darüber wundern,dass er als Bauminister im Grunde genommen überhauptnicht wahrgenommen wird. Da helfen auch irgendwelcheblumigen Beiträge hier nichts.
Herr Spanier, ich mag Sie gerne leiden, aber es ist wirk-lich nicht in Ordnung, dass Sie hier behaupten, die FDPhabe nicht zu allen Punkten Änderungsanträge gestellt.Wir haben ein Gesetz zum Altschuldenhilfe-Gesetz ein-gebracht. Das war besser als das, was Sie auf den Weg ge-bracht haben.
Wir wollten schon vor zwei Jahren 1 Milliarde DM fürden Stadtumbau Ost. Das haben Sie abgelehnt. Wir habenein eigenes Mietrechtsgesetz eingebracht. Wir haben ei-gene Vorstellungen zum sozialen Wohnungsbau einge-bracht. Wir haben zu der Eigenheimzulage, die Sie – wiewar Ihre Formulierung? – nicht ganz streichen wollen,aber doch wohl ziemlich streichen wollen, eigene Vorstel-lungen eingebracht, die viel besser und viel wirksamerwären. Da erklären Sie hier, wir hätten nichts zum Gelin-gen einer vernünftigen Situation in der Bauwirtschaft bei-getragen! Herr Kollege Spanier, das war nicht in Ordnung.Eine letzte Bemerkung zu Ihrem Konzept der SozialenStadt: Haben Sie noch nicht gemerkt, dass es viel zu engangelegt ist? Es ist viel zu eng angelegt, um den Heraus-forderungen in unseren Städten gerecht zu werden. Siemüssen nicht die Soziale Stadt machen, sondern Sie müs-sen eine Bürgerstadt machen. Sie müssen alle gewinnen,die bereit sind, in Eigentum zu investieren. Dafür müssenSie keine Milieupflege betreiben, sondern Sie müsseneine ganzheitliche Pflege vorantreiben. Dazu werden wirdemnächst Anträge stellen.Ich kann Ihnen jetzt nur empfehlen: Lesen Sie sichnoch einmal durch, was wir an Anträgen in die Beratun-gen einbringen. Das sind genau die richtigen Antworten,auf die Herausforderungen eines vernünftigen Stadtum-baukonzepts. Dann seien Sie auch einmal so offen, wieSie es von uns hier einfordern. Dann stimmen Sie einmalAnträgen der FDP zu, mit denen zum Beispiel das Alt-schuldenhilfe-Gesetz verbessert werden kann. Jawohl,Herr Spanier, so ist es. Stimmen Sie der Städtbausanie-rung auch in den alten Ländern zu. Auch dort gibt es näm-lich an der einen oder anderen Stelle schon Probleme.Stimmen Sie unserer Komplementärfinanzierung für dieneuen Länder zu.Sie wissen ganz genau: Ihre Luftblase mit 8 oder20 Milliarden DM, die Sie für die neuen Länder aufbla-sen, ist den neuen Ländern völlig schnuppe. Da sie keinemüde Mark in ihrer Kasse haben, können sie sich anIhrem Programm überhaupt nicht beteiligen. Das ist Be-trug an den Menschen in den neuen Ländern. Das ist Be-trug an der Situation in den Städten in den neuen Ländern.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich finde es für Sozialde-mokraten beschämend, was Sie hier machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Dr. Hermann Kues.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ichals letzter Redner einer fast 14-stündigen Debatte denSack zubinden darf. Ich bedanke mich bei allen Kollegin-nen und Kollegen, die noch da sind.
Man fragt sich natürlich bei Haushaltsdebatten oh-nehin, welche Bedeutung die Argumentation der Opposi-tion hat. Sie können das mit einer gewissen Gelassenheitangehen. Sie haben auch heute Abend eine knappe Mehr-heit hier.Herr Minister Bodewig, ich sage Ihnen, ab wann dieArgumentation der Opposition bedeutend wird. Sie wirddann bedeutend, wenn sie von maßgeblichen Stellen inder Öffentlichkeit übernommen wird. An diesem Punktsind wir angelangt.Ich zitiere einmal eine Zeitung von heute; ich könntejede beliebige herausgreifen. Um den dort angesproche-nen Sachverhalt geht es im Kern auch beim Bau- und Ver-kehrshaushalt, weil dies der größte Investitionshaushaltdes Bundes ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Hans-Michael Goldmann20359
Fast die Hälfte der investiven Mittel wird hier verausgabt;das ist aber nichts Neues.Beispielsweise schreibt die „Süddeutsche Zeitung“von heute:Die Regierung wird in den von ihr als zentral erach-teten Feldern der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpoli-tik ihre selbst gesteckten Ziele rundum verfehlen.Kanzler Schröder hat die Latte mit 3,5 Millionen Ar-beitslosen als Ziel vermeintlich niedrig aufgelegt,um sicher darüber zu springen. Jetzt muss er sich ver-renken und in Limbo-Manier vor aller Augen drun-ter durchtanzen.
Damit ist beschrieben, worum es geht.Wenn der Verkehrshaushalt im Zentrum der Investiti-onen steht und die Investitionen heruntergefahren
und die Konsumausgaben angezogen werden, dann zeigtdies eine strukturelle Schieflage. Das zeigt, was Sie selbstmit Ihrem Verkehrs- und Bauhaushalt zu dieser Miserebeitragen.
Es ist zum Beispiel symptomatisch, dass ausgerechnetin dieser Woche, da wir über den Verkehrshaushalt bera-ten, im Bundesgesetzblatt die endgültige Beerdigung desTransrapid auf der Strecke Hamburg-Berlin veröffent-licht wird. Das ist ein Symbol. Ein zukunftsträchtiger In-vestitionsbereich wird aus ideologischen Gründenblockiert; die Minister dieser Regierung fahren nachChina, um sich dort erklären zu lassen, wie Zukunfts-chancen kraftvoll genutzt werden können.
Innovationen und technisches Know-how entstehendadurch, dass mittelständische Firmen bei dessen Anwen-dung und Umsetzung tätig werden können. Nicht nur die-ses Know-how, sondern auch Arbeitsplätze entstehen inVerbindung mit dem Transrapid-Projekt in China. Gleich-zeitig fordert der Bundeskanzler mehr Innovation in denVorstandsetagen der deutschen Wirtschaft. Dies passtnicht zusammen, sondern strotzt vor Widersprüchen.
Wenn ich mir die prosaischen Namen Ihrer verkehrs-politischen Ersatzprogramme anschaue, so dominiertzwar der Begriff „Zukunft“, in Wahrheit aber verdienensie das Attribut „nebulös und zukunftsverbauend“.
Ich weiß nicht, wie lange sich die Öffentlichkeit die aus-schließlich auf Propaganda ausgerichtete Strategie desVerkehrsministers gefallen lassen wird. Ich weiß nur, dassmit einer Vielzahl von kaum nachvollziehbaren Program-men, die immer wieder mit großem Bohei angekündigtwerden, der dringend notwendige zügige Ausbau vonStraße und Schiene zur Erhaltung unserer Mobilität mitSicherheit nicht erreicht wird.
Das absolute Paradebeispiel war die Veröffentlichung desKonzeptes „Bauen jetzt – Investitionen beschleunigen“am 7. November 2001. Dort wurde zum Beispiel an-gekündigt, dass dreistellige Millionensummen bis zumEnde des Jahres verbraten werden sollen, obwohl mannicht einmal die dafür notwendige Planungskapazität hat.In knapp vier Wochen wird Weihnachten sein. Dann wirdsich erweisen, Herr Minister, dass auch dies wieder ledig-lich eine leere Ankündigung war.
Sie hatten in Ihrem Koalitionsvertrag und Ihrer Regie-rungserklärung einen neuen Bundesverkehrswegeplannoch für diese Legislaturperiode zugesagt. Wenn ich diePresse von heute und die Veröffentlichungen Ihres Hausesvergleiche, so ergeben sich allein heute zwei unterschied-liche Zahlen. Aus der Antwort auf die Große Anfrage derCDU/CSU, die gestern veröffentlicht wurde, geht hervor,dass Sie davon ausgehen, dass der Entwurf voraussicht-lich im Jahr 2003 vorgelegt werden wird. Die Staatsse-kretärin im Verkehrsministerium war gestern im Emsland,in meiner Heimatregion. Dort hat sie ausweislich derPresse gesagt, der Bundesverkehrswegeplan werde 2004vorgelegt werden.
Wenn Sie diese Zahlen miteinander vergleichen, dannwird auch klar, was Sie wollen: Sie wollen den Menschenkeinen reinen Wein einschenken.
Sie wollen ihnen nicht sagen, dass sie auf ihre Ortsumge-hungen verzichten müssen. Sie wollen ihnen nicht sagen,dass sie auf Lärmschutzmaßnahmen und auf Lücken-schlüsse verzichten müssen. Sie haben Vorgehen undZeitraster zu häufig geändert, als dass wir Ihnen das sonoch abnehmen könnten.Wenn Sie sich den Haushalt im Einzelnen ansehen– ich habe eben schon gesagt: Es ist derjenige Haushaltdes Bundes mit dem größten Volumen an Investitionsmit-teln –, dann können Sie beim Einzelplan 12 feststellen,dass die Steigerungsrate in erster Linie auf die Erhöhungdes Beitrages für das Bundeseisenbahnvermögen zurück-zuführen ist. Mit 6,64 Milliarden Euro schluckt dieserTitel ziemlich genau ein Viertel der Gesamtausgaben desEinzelplans 12.Über den Verkehrs- und Bauhaushalt brauchen wiraber mehr als nur Impulse. Wir brauchen eine Infrastruk-turoffensive, um der Bau- und Verkehrswirtschaft, einemStandbein unserer Wirtschaft überhaupt, wieder mehr Le-ben einzuhauchen. Dazu gehört der beschleunigte Ausbauder Schienenwege, der Autobahnen und der Bundes-straßen. An verschiedenen Gesetzen lässt sich festma-
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Dr. Hermann Kues20360
chen, dass Sie mit einer falschen Politik dazu beitragen,dass die Konjunktur zusätzlich abgewürgt wird. DassDeutschland beim Wirtschaftswachstum inzwischenSchlusslicht ist, spricht Bände und ist ein Armutszeugnisfür diese Regierung.
– Das kann man nicht häufig genug wiederholen, HerrSchmidt.Die strukturelle Schieflage dieses Haushalts wird da-durch deutlich, dass unter Ihrer Ägide zugunsten der kon-sumtiven Ausgaben die Investitionen kontinuierlich sin-ken. Nach der Finanzplanung wird der Anteil derInvestitionen im Jahr 2005 nur noch 10,5 Prozent betra-gen. In diesem Jahr waren es noch 12 Prozent. Beim Ein-zelplan 12 geht es in die gleiche Richtung, nämlich nachunten. Nach einem Investitionsanteil von 56 Prozent imJahr 2001 werden es im Jahr 2002 nur noch 51 Prozentsein. In der Finanzplanung für 2005 stehen 4,3 MilliardenEuro weniger als noch im Haushalt 1998, als Sie dieAmtsgeschäfte übernahmen. Diese Negativbilanz bietenSie uns trotz der UMTS-Milliarden und der zu erwarten-den Mehreinnahmen durch streckenbezogene Maut.
Ich habe den Eindruck, dass Sie generell mehr Wert aufSchein als auf Sein legen. Mediengerechte Namen fürzweifelhafte Projekte ersetzen keine handfeste Investiti-onspolitik.
Ich denke da zum Beispiel an den Begriff Zukunftsinves-titionsprogramm.
Wenn nicht für die Zukunft, wofür wird sonst eigentlichinvestiert?Ich komme noch einmal auf den Transrapid zurück.
Bei dem Titel „Zukunftssicherung der deutschen Magnet-schwebebahntechnik“ gestalten Sie in diesem Haushaltnicht deren Zukunft. Die Zukunft sitzt dieser innovativenTechnik ständig im Nacken. Frau Mertens hat im Emslandstolz verkündet, die Transrapidversuchsanlage sei bisMitte 2002 – nicht länger – gesichert. Dieser Haushalt giltimmerhin bis zum 31. Dezember 2002. Hier tut sich be-reits eine Lücke auf.In Nordrhein-Westfalen wird das anders dargestellt.Der dortige Wirtschaftsminister Schwanhold, der ja langeZeit zu unseren Kollegen zählte, erweckt den Eindruck,als sei der Metrorapid ökonomisch und ökologisch sinn-voll und bedeute einen Quantensprung. Man kann nurnicht erkennen, dass auf Bundesebene oder auf Landes-ebene Haushaltsmittel eingestellt werden, um eine solcheAnwendungsstrecke in Deutschland überhaupt zu reali-sieren. Stattdessen werden dreistellige Millionensummennach China gegeben, ohne dass bei uns auch nur ein ein-ziger Kilometer in Angriff genommen wird. Das ist derfalsche Ansatz.
Wir haben Mittel für die Lärmsanierung an Schienen-wegen gefordert. Sie haben die Mittel zugunsten des Rad-wegebaus um 100 Millionen Euro gekürzt. Das ist ein-deutig Klientelpolitik. Ich nehme an, dass die Radwegedann mit grünem Belag versehen werden.Ich fasse zusammen: Die Verkehrs- und Baupolitik istzu einer großen Schau verkommen. Propaganda statt kon-kreter Investitionen. Zukunftsprojekte werden aus ideolo-gischen Gründen blockiert. Sie werden verstehen, dasswir den Einzelplan 12 deswegen aus tiefer Überzeugungablehnen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache und kündige ein kleines Abstimmungsmarathonan.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12,Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-sen, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungs-anträge vor, über die wir zuerst abstimmen.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/7587 auf. Wer stimmt fürdiesen Änderungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltun-gen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen vonCDU/CSU- und FDP-Fraktion bei Enthaltung der PDSabgelehnt.Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 14/7591. Wer stimmtdafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Än-derungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- undFDP-Fraktion bei Enthaltung der PDS abgelehnt.Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/7662 auf. Wer stimmtdafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Än-derungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU undder FDPbei einer Gegenstimme der PDS-Fraktion und beieiner Enthaltung aus der PDS-Fraktion abgelehnt.
– Auch bei zwei Leuten kann man noch differenzieren.Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 14/7664 auf. Wer stimmt für
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2001
Dr. Hermann Kues20361
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen vonCDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS-Fraktion ab-gelehnt.Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 14/7665. Wer stimmtdafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DieserÄnderungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSUund FDP abgelehnt.Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag derCDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 14/7667. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Dieser Änderungsantrag ist nur gegen die Stimmen derCDU/CSU-Fraktion abgelehnt.Zur Abwechslung kommen jetzt Änderungsanträge ei-ner anderen Fraktion. Ich rufe den Änderungsantrag derFDP-Fraktion auf Drucksache 14/7676 auf. Wer stimmtfür diesen Antrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? Die-ser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS ab-gelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derFDP auf Drucksache 14/7680? – Gegenprobe! – Enthal-tungen? – Dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmenvon CDU/CSU und FDPbei Enthaltung der PDS-Fraktionabgelehnt.Jetzt rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion derFDP auf Drucksache 14/7682 auf. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-antrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP beiEnthaltung der PDS-Fraktion abgelehnt.Jetzt kommen noch die Änderungsanträge der PDS-Fraktion. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksa-che 14/7641 auf. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegendie Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktionder PDS auf Drucksache 14/7666. Wer stimmt für diesenAntrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen derPDS-Fraktion abgelehnt.Jetzt rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion derPDS auf Drucksache 14/7668 auf. Wer stimmt für diesenAntrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen derPDS-Fraktion abgelehnt.Schließlich und endlich rufe ich den Änderungsantragder Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7675 auf. Werstimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Auch dieser Änderungsantrag ist gegen dieStimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.Nun kommen wir zur Abstimmung über den Einzel-plan 12 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Ein-zelplan? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerEinzelplan 12 ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDPund PDS angenommen.Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, rufe ich PunktI. 30 auf:Haushaltsgesetz 2002– Drucksachen 14/7322, 14/7323 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannMichael von SchmudeHans Georg WagnerDr. Elke LeonhardOswald MetzgerJürgen KoppelinDr. Christa LuftEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommendeshalb gleich zur Abstimmung, und zwar zunächst überzwei Änderungsanträge.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derFDP auf Drucksache 14/7683? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Dieser Änderungsantrag ist gegen dieStimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung derPDS-Fraktion abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS aufDrucksache 14/7643? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmender PDS-Fraktion abgelehnt.Nun bitte ich diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Un-terrichtung durch die Bundesregierung „Finanzplan desBundes 2001 bis 2005“, Drucksachen 14/6801, 14/7324und 14/7538. Der Ausschuss empfiehlt Kenntnisnahme.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-schlussempfehlung ist bei Enthaltung von CDU/CSU,PDS und FDP angenommen.Ich möchte mich insbesondere bei den beiden Jubila-rinnen des heutigen Tages, denen ich auf diese Weise rechtherzlich zum Geburtstag gratulieren möchte, dafür be-danken, dass sie ihren Geburtstagsabend mit uns bei die-ser Diskussion verbracht haben.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-nung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf morgen, Freitag, den 30. November 2001, 9 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen.