Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe auf:
I. Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990
— Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389 —
Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
— Drucksachen 11/5558, 11/5581 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Diederich Roth (Gießen)
Zywietz
Frau Vennegerts
Einzelplan 32
Bundesschuld
— Drucksache 11/5574 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Vennegerts
Roth
Wieczorek
Dr. Weng
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
— Drucksache 11/5578 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth Dr. Pfennig
Dr. Schroeder Hoppe
Dr. Weng
Dr. Struck
Dr. Diederich
Frau Vennegerts Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
— Drucksachen 11/5568, 11/5581 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Zander Dr. Schroeder Frau Vennegerts
Außerdem rufe ich die Punkte II und III auf.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Stratmann, Dr. Lippelt und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verzicht auf Privatisierung der Salzgitter AG und Verhinderung der Großfusion PreussagSalzgitter
— Drucksache 11/5536 —
Beratung des Antrags der Abgeordneten Schmidt , Gansel, Roth, Dr. Gautier, Esters, Jungmann (Wittmoldt), Kühbacher, Seidenthal, Walther, Wieczorek (Duisburg), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Verkauf/Privatisierung der Salzgitter AG an die Preussag
— Drucksache 11/5609 —
Zu den Einzelplänen 08, 32 und 60 liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5781, 11/5782, 11/5882 Nr. V und Nr. XX, 11/5891 Nr. 2, 11/5895 sowie 11/5914 vor. Über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5914 soll gegen 13 Uhr namentlich abgestimmt werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte vier Stunden vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Matthäus-Maier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Bürgerinnen und Bürger können auf ihre Leistungen stolz sein. Sie haben in den letzten Jahrzehnten ein Land mit wachsendem Wohlstand und einer leistungsfähigen Wirtschaft aufgebaut, ein schönes Land, in dem es sich zu leben lohnt.
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13598 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau Matthäus-MaierJetzt freuen wir uns mit unseren Landsleuten in der DDR über die Öffnung der Mauer. Wir wünschen den Reformen, die die Menschen in der DDR erkämpft haben, vollen Erfolg. Wir können mit Erleichterung feststellen: Der Frieden in Europa wird sicherer.
Ich sage dies zu Beginn, weil uns der Bundeskanzler immer wieder vorwirft, wir malten ein Horrorgemälde. Als selbstbewußte Opposition haben wir das nicht nötig. Aber niemand wird doch leugnen, daß es in unserem Lande noch viele ungelöste Probleme gibt. Was wir bemängeln, ist, daß Sie unseren Wohlstand nicht stärker einsetzen, um die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft tatkräftig anzugehen.
Wir begrüßen, daß der Bundeskanzler gestern den Willen bekundet hat, den Reformprozeß in der DDR zu unterstützen. Ich frage aber: Warum setzen Sie angesichts der historischen Entwicklungen in der DDR und in Osteuropa in Ihrer konkreten Politik nicht endlich auf Abrüstung, sondern legen uns den teuersten Verteidigungshaushalt vor, den es je in dieser Republik gab?
Wir freuen uns alle über die Entwicklung in der DDR. Wir alle verbinden damit große Hoffnungen. Aber wir dürfen nicht vergessen, welche großen Probleme bei uns noch gelöst werden müssen. Das Ziel der deutschen Einheit darf nicht den Blick dafür verstellen, welche Sorgen und Nöte die Menschen in unserem eigenen Lande bewegen.
Deshalb frage ich zusätzlich: Warum bekämpfen Sie nicht mit aller Entschlossenheit die Wohnungsnot in unserem Lande?
Ich frage: Warum setzen Sie sich nicht tatkräftig dafür ein, daß die Menschen, die Arbeit suchen, auch tatsächlich Arbeit finden? Ich frage: Warum gehen Sie nicht endlich konsequenter gegen die Umweltzerstörung und die drohende Klimakatastrophe vor? Ich frage: Warum lassen Sie die Familien mit Kindern zur finanzpolitischen Restgröße werden,
während Sie Spitzenverdienern ohne Kinder immer größere Steuervorteile gewähren?
Ich frage: Warum haben Sie den Weihnachtsfreibetrag für Arbeitnehmer abgeschafft, obwohl jedermann weiß, daß die Lohnsteuerbelastung der Arbeitnehmer immer weiter steigt?
Und ich frage: Warum wollen Sie den Spitzenverdienern schon wieder neue Milliardensteuergeschenke machen, wenn doch gleichzeitig Millionen Menschen in unserem Lande in Armut leben, wie es der Paritätische Wohlfahrtsverband jetzt festgestellt hat?
Die Antwort ist: Sie setzen die falschen Schwerpunkte für die 90er Jahre. Sie tun sich überhaupt schwer, die drängenden Probleme unserer Zeit zu begreifen.
Was muß jetzt getan werden?
Wir müssen unverzüglich den Reformprozeß in der DDR unterstützen. Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben gestern klargemacht, daß dies sofort ohne Vorbedingungen geschehen soll. Ich hoffe, Herr Waigel, daß auch Sie dem zustimmen. Denn bisher stand Ihr verbales Bekenntnis zur deutschen Einheit leider im umgekehrten Verhältnis zu Ihrer Bereitschaft, die Reformen in der DDR auch finanziell zu unterstützen. Ich hoffe, daß Sie das hier klarstellen.
Die Reformen in der DDR brauchen Unterstützung auch in unserem eigenen Interesse. Jeder Tag, den wir bei der Bekämpfung der Verschmutzung von Werra und Elbe und der Verringerung der Luftverschmutzung durch DDR-Kraftwerke gewinnen, ist auch ein Beitrag zum Umweltschutz bei uns. Hier müssen wir helfen.
Jeder Tag, an dem die Verkehrs- und Telefonverbindungen zwischen Ost und West besser ausgebaut werden, ist auch ein Gewinn für die Bürger in der Bundesrepublik. Hier müssen wir helfen.
— Also was das nun mit „mäkeln" zu tun hat, Herr Weng, kann ich beim besten Willen nicht verstehen.— Jeder Tag, an dem in Leipzig und in anderen Städten der DDR der Verfall alter und historischer Bauten verhindert wird, ist auch ein Gewinn für unser gemeinsames kulturelles Erbe. Auch hier müssen wir helfen.
Ein kleines Beispiel: Ich bin davon überzeugt, 5 Millionen DM, mit denen den Menschen in Leipzig über Städtepartnerschaften und in Verbindung mit dem westdeutschen Handwerk die Möglichkeit gebo-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13599
Frau Matthäus-Maierten würde, bei westlichen Firmen dringend benötigte Bau- und Installationsmaterialien zur Erhaltung ihrer Häuser bereitzustellen, sind mehr wert als etwa die 5 Millionen DM, die Sie in Ihrem Bundeshaushalt allein für die Werbung zugunsten der Kernenergie einsetzen.
Wer jetzt die politischen und wirtschaftlichen Reformen wirksam unterstützt, der erleichtert den Menschen in der DDR das Bleiben in ihrer Heimat.Das kostet Geld. Aber denken wir daran: Eine uferlose Ausreisewelle brächte uns noch viel größere finanzielle Belastungen. Und denken wir auch daran: Wer jetzt nicht hilft, wird mitschuldig, falls der Reformprozeß in der DDR und in Osteuropa mißlingen sollte. Falls in der DDR, der UdSSR und in Polen und in den anderen Reformländern die Wirtschaft zusammenbricht und die Generäle und Marschälle wieder den Ton angeben, werden viele derer im Westen, die sich jetzt bei finanzieller Hilfe zugeknöpft zeigen, die ersten sein, die zusätzliche Milliarden für die Rüstung freimachen. Und das ist scheinheilig.
Wir können auch helfen, um die von den Bürgern der DDR erkämpfte Reisefreiheit finanziell abzustützen. Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung den Vorschlag der SPD für die Einrichtung eines Devisenfonds für Westreisen von DDR-Bürgern aufgegriffen hat. Dadurch können die Bürger der DDR die Möglichkeit erhalten, ihr eigenes Geld für ihre Westreisen zu verwenden. Dieser Reisedevisenfonds sollte von der Bundesrepublik Deutschland und von der DDR gemeinsam dotiert werden.
Nachdem die neue DDR-Regierung grundlegende Reformen angekündigt hat, sollten, Herr Waigel, auch die Möglichkeiten für eine weitergehende währungspolitische Zusammenarbeit ausgelotet werden. Der Reisedevisenfonds könnte zu einem deutsch-deutschen Währungsfonds weiterentwickelt werden. Diesem Fonds könnte die Aufgabe übertragen werden, die DDR-Mark auf der Basis eines realistischen Wechselkurses zu stabilisieren, sie also schrittweise an die Konvertierbarkeit heranzuführen und damit indirekt an das Europäische Währungssystem anzukoppeln.
Voraussetzung dafür wäre, daß sich die DDR in konkreten Vereinbarungen dazu verpflichtet, die notwendigen wirtschaftspolitischen Reformen durchzuführen und eine stabilitätsorientierte Geldpolitik zu betreiben. Die Verwaltung dieses Währungsfonds könnte einer gemeinsamen deutsch-deutschen Bank übertragen werden. Diese Bank wiederum könnte die von ihr eingenommenen DDR-Mark verwalten und z. B. Kredite in Ost-Mark für konkrete Umweltschutzprojekte in der DDR vergeben.
Eine solche währungs- und wirtschaftspolitische Zusammenarbeit könnte auch die Grundlage sein für ein Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten, wie es der Herr Bundeskanzler gestern hier vorgetragen hat.
Während überall in Europa die Weichen auf Abrüstung gestellt werden, wollen CDU/CSU und FDP in dieser Woche einen Verteidigungsetat beschließen, der mit Ausgaben von 54,2 Milliarden DM — nach NATO-Kriterien sogar über 65 Milliarden DM — auf eine neue Rekordhöhe ansteigt.
— Wollen Sie bestreiten, daß dies der größte Verteidigungshaushalt ist, den es je in dieser Republik gab, Herr Friedmann?
Zusätzlich wollen Sie mit Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 14,5 Milliarden DM im Bundeshaushalt 1990 umfangreiche neue militärische Beschaffungsprogramme einleiten.Vor dem Hintergrund der veränderten Bedrohungssituation frage ich Sie: Wie wollen Sie das eigentlich den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen? Bei kaltem Krieg braucht man angeblich die hohen Militärausgaben, um gewappnet zu sein. Ist der Kalte Krieg vorbei, dann braucht man noch mehr Militärausgaben, um für den nächsten kalten Krieg gewappnet zu sein. Wann um Himmels willen wollen wir endlich abrüsten und in diesem Etat Geld sparen?
Bitte beachten Sie: Die Zeiten des kalten Krieges sind vorbei. Folgen Sie dem Beispiel der USA — denen Sie ja sonst gern folgen — , die gerade darangehen, ihren Verteidigungshaushalt kräftig zurückzuschneiden. Ziehen auch Sie die Konsequenzen bei Ihrem Verteidigungshaushalt.Für uns ist klar, meine Damen und Herren: Geld, das dem Aufbau von Freiheit und Demokratie in der DDR und in Osteuropa dient, macht den Frieden in Europa sicherer als immer mehr Milliarden für neue Waffensysteme.
Verfehlt und überholt ist Ihr Rekordverteidigungshaushalt auch angesichts der großen politischen Aufgaben, vor denen wir im eigenen Lande stehen.
Wir brauchen mehr Geld zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, zur Bekämpfung der Wohnungsnot, für den Umweltschutz, zur Rettung von Nord- und Ostsee, für mehr Chancengleichheit in der Bildung durch Wiedereinführung des Schüler-BAföG, zur Entlastung der überfüllten Hochschulen. Und wir brauchen mehr Geld, um der zunehmenden Verelendung in der Dritten Welt zu begegnen. Diese drängenden Aufgaben können solide finanziert werden, wenn man die Zei-
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13600 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau Matthäus-Maierchen der Zeit erkennt und den Verteidigungshaushalt spürbar kürzt. Deshalb fordern wir mit konkreten Kürzungsanträgen, beim Verteidigungshaushalt 3,2 Milliarden DM einzusparen.
3,2 Milliarden DM Einsparung im nächsten Jahr sind ehrgeizig, aber möglich. Wer glaubt, dies sei zuwenig, hat unsere Sympathie. Er muß sich aber mit den Realitäten des Jahres 1990 auseinandersetzen. Von den 54,2 Milliarden DM des Verteidigungshaushalts entfallen mehr als zwei Drittel auf laufende Betriebsausgaben, davon allein 24 Milliarden DM auf Personalausgaben. Solange der Umfang der Bundeswehr nicht reduziert ist, läßt sich hier nicht allzuviel einsparen.Im Beschaffungsbereich sind die Grenzen für Einsparungen dadurch vorgegeben, daß jetzt bezahlt werden muß, was in den vergangenen Jahren bestellt worden ist. Aber das muß ja nicht so weitergehen. Jetzt muß die Devise heißen: keine müde Mark mehr für den Jäger 90, runter mit der Sollstärke der Bundeswehr, Rücknahme der Verlängerung des Wehrdienstes.
Wenn die Personalstärke der Bundeswehr kräftig verringert wird — was Sie bisher immer abgelehnt haben; doch wir hören stückchenweise von der Hardthöhe, daß Sie selbst mit diesem Gedanken spielen, weil Sie wissen, daß Sie gar nicht darum herumkommen — , dann kann man jetzt auch bei den Ausgaben für militärische Bauten kürzen.
Das spart nicht nur Geld, sondern macht auch knappe Baukapazitäten frei, die für den Wohnungsbau eingesetzt werden können.
Angesichts der wachsenden Wohnungsnot in unserem Lande ist das Gebot der Stunde: Wohnungen statt Kasernen.
Die Wohnungsnot ist nicht erst durch die Aus- und Übersiedler entstanden, sondern sie war schon vorher absehbar. Mit ihren falschen Zahlen und mit ihrem Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau trägt diese Bundesregierung eine große Mitverantwortung für die Wohnungsnot.
Vor allem fehlen Wohnungen mit erschwinglichen Mieten und mit der Sicherheit, daß auch einkommensschwache Mieter dauerhaft in ihren Wohnungen bleiben können. Wir fordern für den Bundeshaushalt 1990 eine kräftige Aufstockung der Verpflichtungsermächtigung für den sozialen Wohnungsbau um 1,5 Milliarden DM auf 3,5 Milliarden DM.Bei der Vergabe dieser Sozialwohnungen muß sichergestellt werden, daß Aus- und Übersiedler gegenüber den einheimischen Wohnungssuchenden nicht bevorzugt werden. Sie müssen sich wie jeder andere auch, in die Warteschlange einreihen.
Der Bundeshaushalt läßt auch nicht erkennen, wie Sie endlich die Arbeitslosigkeit in unserem Lande bekämpfen wollen. Zwei Millionen Menschen warten auf Arbeit. Sie aber tun nichts, was diesen Menschen neue Hoffnungen gibt. Im Gegenteil, Sie haben bei der Bundesanstalt für Arbeit die Mittel für Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gekürzt. Das muß rückgängig gemacht werden.
Die Arbeitslosen und ihre Familien dürfen nicht zu Außenseitern unserer Gesellschaft werden. Deshalb fordern wir eine Qualifizierungs- und Weiterbildungsoffensive sowie gezielte Maßnahmen zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen.Auch beim Umweltschutz wird diese Regierungskoalition den drängenden Problemen nicht gerecht. Der Umweltetat dieser Bundesregierung führt ein Schattendasein. 54,2 Milliarden DM für den Verteidigungsetat gegenüber 955 Millionen DM für den Umwelthaushalt: Das ist ein groteskes Mißverhältnis.
Der Verteidigungshaushalt ist 57mal so hoch wie der Umwelthaushalt. Dabei weiß doch jeder, daß die Bedrohung unserer Gesundheit und der Zukunft unserer Kinder durch die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen heute größer als die militärische Bedrohung ist.
Wir haben den Antrag gestellt, ein Programm zur Sanierung der Flüsse wie Rhein, Weser und Elbe und zur Rettung von Nord- und Ostsee mit einem Gesamtvolumen von 550 Millionen DM vorzulegen und durch Kürzungen im Verteidigungsetat zu finanzieren. Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, können morgen darüber abstimmen, und dann können Sie zeigen, ob Ihre Reden über mehr Umweltschutz bloße Lippenbekenntnisse sind oder ob Ihren Worten auch endlich Taten folgen.
Ihnen fehlt auch ein Konzept für die ökologische Modernisierung unserer Industriegesellschaft. Wir haben ein konkretes Konzept dafür vorgelegt. Mit unserem Gesamtkonzept aus strengem Ordnungsrecht, gezielten Umweltabgaben und einer ökologischen Weiterentwicklung des Steuersystems — die Menschen im Lande nennen das Öko-Steuer — wollen wir den Umweltschutz in unserem Lande entscheidend voranbringen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13601
Frau Matthäus-Maier— Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie sind nach mir dran. Sie können dann alles, was ich gesagt habe, widerlegen. Aber wir sollten an solch einem schönen Mittwochmorgen doch ein bißchen leiser sein.Wir wollen die dynamischen und innovativen Kräfte der Marktwirtschaft in den Dienst des Umweltschutzes stellen.
Diese Regierungskoalition hat diesem Konzept nichts entgegenzusetzen. Wir wollen den ökologisch schädlichen Verbrauch von Energie stärker belasten, die Arbeit aber steuerlich entlasten.
Deshalb wollen wir gleichzeitig mit der Anhebung der Mineralölsteuer die Lohn- und Einkommensteuer durch eine Verbesserung des Grundfreibetrages um rund 15 Milliarden DM spürbar senken.
Das bedeutet eine jährliche Steuersenkung um 500 DM für Ledige und 1 000 DM für Verheiratete. Hinzu kommt die völlige Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer.An diesen Steuersenkungen werden übrigens auch die Rentner teilnehmen. Sie zahlen zwar häufig keine Steuern. Da sich aber durch die Senkung der Lohn- und Einkommensteuer die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer erhöhen, erhalten die Rentner nach dem sogenannten Nettoanpassungsprinzip durch die Senkung der Lohnsteuer automatisch eine höhere Rente. Für die entsprechende Anhebung der Renten sind in unserem Konzept allein 4,5 Milliarden DM vorgesehen.
Das zeigt: Unser Vorschlag ist ökologisch wirksam, sozial verträglich und wirtschaftspolitisch vernünftig.
Bei der von uns vorgesehenen maßvollen Umschichtung des Steuersystems hat es jeder einzelne Bürger und hat es jedes Unternehmen mehr oder weniger selbst in der Hand, wie die Rechnung bei ihm unter dem Strich aussieht. Wer Energie spart, wird bei der Umschichtung gewinnen. Wer viel Energie verbraucht, muß mehr zahlen.
Aber das ist genau das Grundprinzip: Umweltbelastung und Umweltzerstörung darf es nicht länger zum Nulltarif geben.Noch greifen Sie, Herr Waigel, uns dafür an. Das wundert mich nicht. Bei allen großen Reformen — sei es in der Ostpolitik, bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder auch bei der sozialen Gerechtigkeit — haben Sie immer Jahre gebraucht, bis Sie unsere Konzepte übernommen haben.
Ich bin sicher: So wird es auch beim Umweltschutz sein.
— Ich bitte um Entschuldigung, Herr Uldall. Wir haben gestern den Kanzler unterstützt. Aber dieser Bundeskanzler hat bis zum 28. November 1989 gebraucht, um die Politik der kleinen Schritte zu unterstützen und den KSZE-Prozeß das Herzstück der Entspannung zu nennen,
und das ist nun wirklich eine sehr lange Zeit, die er dafür gebraucht hat.
Das Schlimme ist nur, Herr Waigel, daß die Umwelt keine Zeit hat, Ihren langwierigen Erkenntnisprozeß abzuwarten.
Die Umwelt in unserem Lande stirbt Tag für Tag. Daher dürfen wir nicht länger warten. Greifen Sie unseren Vorschlag auf, und zwar jetzt.
Leider haben Sie auch in der Familienpolitik nicht die Chance genutzt, unserem Vorschlag zu folgen und die Familien mit Kindern besserzustellen.
Sie verteidigen bis heute eine Politik, nach der der Splittingvorteil bei hohen und höchsten Einkommen 22 842 DM im Jahr beträgt — auch wenn in der Ehe kein Kind vorhanden ist —, während man für die Betreuung und Erziehung eines Kindes als Durchschnittsverdiener nur ca. 1 200 DM im Jahr erhält. Diese Ungerechtigkeiten in der Familienpolitik müssen beendet werden, meine Damen und Herren.
Deshalb fordern wir mindestens 200 DM Kindergeld im Monat vom ersten Kind an für alle Kinder, dazu für Familien ab vier Kinder ein zusätzliches Familiengeld. Gleichzeitig müssen die ungerechten Kinderfreibeträge bei der Steuer ersetzt und der Splittingvorteil bei Hoch- und Höchstverdienern gekappt werden.Sie verbreiten die Unwahrheit, wenn Sie in der Öffentlichkeit behaupten, wir wollten das Ehegattensplitting ganz abschaffen, oder behaupten, die Einschränkung der Splittings trete schon bei einem Jahreseinkommen von 60 000 DM ein. Sie wissen ganz genau, daß unser Vorschlag etwas anderes vorsieht. Selbstverständlich muß auch in Zukunft bei der Steuer berücksichtigt werden, daß ein Ehepartner den anderen unterhält. Wir wollen aus den 24 Milliarden DM, die das Ehegattensplitting kostet, etwa 6 Milliarden DM umschichten zur Anhebung des Kindergeldes. Damit bleiben drei Viertel des Ehegattensplittings bestehen. Von dieser Einschränkung des Splittingvorteils würden nur Ehepaare betroffen, die mehr als 100 000 DM brutto im Jahr verdienen. Das sind 10 aller Verheirateten. Für 90 % aller Ehepaare würde sich der gegenwärtige Splittingsvorteil nicht ändern.
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13602 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau Matthäus-Maier200 DM Kindergeld im Monat für jedes Kind vom ersten Kind an ist für uns übrigens nur das erste Wort.
Wenn darüber hinaus Geld zur Verfügung steht, werden wir das Kindergeld für Familien mit Kindern weiter aufstocken.
Sie dagegen wollen noch mehr Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Unternehmen, wobei Sie den Splittingvorteil noch weiter erhöhen. Das ist Ihre ungerechte Alternative zu Lasten der Familie und zu Lasten der Kinder.
Meine Damen und Herren, Ungerechtigkeit ist auch das Markenzeichen Ihrer Steuerpolitik.
In wenigen Wochen tritt die sogenannte Steuerreform 1990 voll in Kraft.
Wie groß die Schieflage Ihres Steuerpaketes ist, zeigen die Zahlen: Der Durchschnittsverdiener mit einem Jahresbruttoeinkommen von 42 000 DM erhält eine Steuersenkung von 67 DM im Monat. Für einen Höchstverdiener mit 200 000 DM Jahresbruttoeinkommen — das ist ja schon ein ganz schönes Geld —
dagegen senken Sie die Steuern um fast 1 000 DM im Monat. Das zeigt: Ihnen geht es vor allem um die Spitzenverdiener.
Vor allem die Senkung des Spitzensteuersatzes ist ein Fehler, der den Staat sehr teuer kommt. Wir bedauern, daß Sie davon nicht abgehalten werden konnten, obwohl wir es jahrelang gefordert haben.
Die normalen Arbeitnehmer aber haben ihre eigene Steuersenkung schon 1989 mehr als vorfinanziert. Die Bundesregierung hat die Verbrauchsteuern in diesem Jahr kräftig — um 10 Milliarden DM — erhöht. Und durch das Zupacken der Steuerprogression steigt die Lohnsteuer in diesem Jahr um 14,5 Milliarden DM.Die Lohnsteuerquote, also die Belastung der Löhne und Gehälter mit Lohnsteuer, beweist: Die Steuerbelastung der Arbeitnehmer steigt immer weiter an. Ihre sogenannte Steuerreform 1990 ändert nichts an dem Marsch in den Lohnsteuerstaat, den Sie seit der Wende betreiben.
1990 werden die Arbeitnehmer trotz Ihrer Steuerreform 9,5 Milliarden DM mehr Lohnsteuer zahlen als im letzten Jahr.
Noch schlimmer: Diese Bundesregierung hat sogar den Weihnachtsfreibetrag für Arbeitnehmer ab dem kommenden Jahr abgeschafft.
In diesem Jahr gilt der Weihnachtsfreibetrag noch. Aber schon jetzt, beim Weihnachtsgeld 1989, ist bei den meisten Arbeitnehmern das blanke Entsetzen ausgebrochen, als sie ihren Lohnzettel mit den Abzügen gesehen haben.
Das wird bei der nächsten Bundestagswahl noch schlimmer werden.
Ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmer werden Ihnen bei der nächsten Bundestagswahl die Quittung für die Abschaffung des Weihnachtsfreibetrages geben.
Frau Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharrenbroich?
Bitte.
Frau Kollegin, Sie haben soeben gefordert, die Kinderfreibeträge abzuschaffen. Da aber der Kinderfreibetrag genauso wie der Weihnachtsfreibetrag denjenigen, der sehr viel verdient, durchaus höher entlastet, frage ich Sie: Können Sie mir dann erklären, warum Sie jetzt für die Wiedereinführung des Weihnachtsfreibetrages sind, wenn Sie vorhin den Kinderfreibetrag abschaffen wollten?
Aber Herr Scharrenbroich, das ist eben der Unterschied
zwischen Werbungskosten auf der einen Seite und Kindern auf der anderen Seite.
Kinder sind etwas anderes.
— Langsam. — Wir haben nie gefordert, daß alle Freibeträge nur linear wirken sollen; nie, in keiner Rede, seit 20 Jahren nicht.
Aber wir meinen, daß hinsichtlich der Kinder in derTat ein Unterschied besteht. Jedermann weiß, daß die
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13603
Frau Matthäus-MalerKinder von Bundestagsabgeordneten, von Freiberuflern und Spitzenverdienern es im Leben ohnehin leichter haben. Durch Ihre Politik bekommen diese Eltern aber noch eine größere steuerliche Entlastung. Nein, so nicht!
Herr Scharrenbroich, ich wundere mich, daß Sie als Vertreter der christlichen Arbeitnehmer keine Zwischenfrage zum Weihnachtsfreibetrag gestellt haben; der steht nämlich nur Arbeitnehmern zu.
Die Abschaffung ist deswegen ein grobes Unrecht, weil damit die Senkung des Spitzensteuersatzes für Höchstverdiener mit mehr als 260 000 DM Jahreseinkommen finanziert wird.
Noch etwas: Sie sagen öfter, das sei eine ungerechtfertigte Subvention für Arbeitnehmer. Jeder weiß, daß die bisherigen Arbeitnehmerfreibeträge inklusive Weihnachtsfreibetrag ein Ausgleich für Nachteile sind, den Arbeitnehmer bei der Steuer gegenüber anderen Berufsgruppen haben, und zwar aus zweierlei Gründen, einmal weil Arbeitnehmer der Lohnsteuer unterliegen mit der Folge, daß die Lohnsteuer, bevor sie eine Mark auf dem Konto haben, schon abgezogen ist, und zum anderen sind sie ein Ausgleich für fehlende Gestaltungsmöglichkeiten.Herr Scharrenbroich, schade, daß Sie nicht danach gefragt haben. Ich will Ihnen ein Beispiel für das nennen, was ausgeglichen werden soll. Es sitzen abends in einem Restaurant zwei Unternehmer zusammen, die bei Speis und Trank darüber diskutieren, wie sie die Forderung der in ihrem Betrieb befindlichen Gewerkschaften nach Einführung der 35-Stunden-Woche möglichst gut bekämpfen können. Sie sagen danach: Herr Ober, eine Rechnung für das Finanzamt bitte! Diese Rechnung kriegen sie auch, und sie können die Bewirtungsspesen in diesem Jahr zu 100 %,
im nächsten Jahr zu 80 % absetzen. Am folgenden Abend sitzen in demselben Restaurant zwei Arbeitnehmer,
die bei Speis und Trank darüber diskutieren, wie sie die Forderung der in ihrem Betrieb befindlichen Gewerkschaften nach Einführung der 35-Stunden-Woche möglichst gut unterstützen können.
Wenn sie nachher sagen, Herr Ober, eine Rechnung für das Finanzamt bitte, dann denkt der, daß sie wohl zuviel getrunken hätten. Spätestens der Finanzbeamte lacht sich tot, weil Arbeitnehmer das nicht absetzen können. Es geht um den Ausgleich solcher Dinge.
Meine Damen und Herren, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie führen den Weihnachtsfreibetrag ein, oder wir werden das nach dem 9. Dezember 1990 tun.
Der Bundeshaushalt 1990 entspricht nicht den Anforderungen einer soliden Finanzpolitik. Auch nach der neuen Steuerschätzung kann bei der Verschuldung keine Entwarnung gegeben werden. Die Neuverschuldung des Bundes wird 1990 bei rund 27 Milliarden DM liegen, 27 Milliarden DM neue Schulden allein beim Bund. Gegenüber diesem Jahr ist das ein sprunghafter Anstieg um 6 Milliarden DM oder fast 30 %, und das, obwohl Sie zusätzlich 2 Milliarden DM Bundesbankgewinne in den Bundeshaushalt eingestellt haben. Ein Anstieg der Neuverschuldung um 30 % — das ist Steuersenkung auf Pump, das ist haushaltspolitisch verfehlt und auch wirtschaftspolitisch falsch.
Herr Waigel, ich frage, wann denn sonst die Neuverschuldung abgebaut werden soll, wenn nicht jetzt bei einem Wirtschaftswachstum von 3 bis 4 %. Trotz Bundesbankgewinnen von insgesamt 72 Milliarden DM wird die Regierung Kohl den Schuldensockel des Bundes von 1983 bis 1990 um 210 Milliarden DM erhöht haben. Das ist ein Anstieg der Bundesschulden in acht Jahren um 68%. Diese Schulden kosten Zinsen, 1990 allein rund 33 Milliarden DM.
Jede neunte Mark im Haushalt müssen Sie leider für Zinsen ausgeben.
Besonders bedrohlich ist das Tempo, mit dem die Zinsbelastung ansteigt. Nach der Finanzplanung des Bundes wachsen die Zinsausgaben bis 1993 etwa doppelt so schnell wie die Bundesausgaben insgesamt. Dadurch steigt der Anteil der Zinsen am Bundeshaushalt, die sogenannte Zinsquote, immer weiter an, nach Ihrem eigenen Finanzplan von 11 % im nächsten Jahr auf 12,5 % im Jahre 1993. Das Geld, das Sie an dieser Stelle ausgeben, fehlt an anderer Stelle, z. B. bei den Investitionen. Spiegelbildlich zum Anstieg der Zinsquote geht die Investitionsquote des Bundeshaushalts zurück. Das zeigt in aller Deutlichkeit die strukturelle Fehlentwicklung in Ihrer Haushaltspolitik.
Herr Abgeordneter Grünewald zu einer Zwischenfrage.
Ist es zutreffend, daß wir 1982 309 Milliarden DM an Altschulden Ihrer Regierung haben übernehmen müssen
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13604 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Dr. Grünewaldund daß wir ohne die dafür aufgelaufenen Zinsen nahezu überhaupt keine Neuverschuldung mehr hätten vornehmen müssen?
Herr Grünewald, ich kann solche Zwischenfragen ja verstehen, weil Ihnen in den Knochen steckt, daß Sie den Prozeß in Karlsruhe gegen unseren Haushalt verloren haben. Deswegen kommen immer solche Fragen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, auch die Zuschauer finden es langsam ein bißchen langweilig, wenn Sie acht Jahre nach dem Sturz von Helmut Schmidt immer noch sagen: Unsere heutigen Schulden sind die Erblast von Helmut Schmidt.Unterstellen wir, daß Sie recht hätten, was nicht stimmt:
Müßten wir uns dann nicht eigentlich gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir den Anstieg der Zinsquote,
der doch unser aller Handlungsfähigkeit, egal, ob Sie oder wir regieren, einschnürt, endlich stoppen? Daß Sie das nicht tun, werfen wir Ihnen vor.
Meine Damen und Herren, angesichts der vor uns liegenden Aufgaben und der damit verbundenen finanziellen Belastungen halte ich es für unverantwortlich, daß die Regierungskoalition in der nächsten Legislaturperiode den Schwerpunkt ihrer Finanzpolitik erneut auf Steuersenkungen für Spitzenverdiener und Unternehmen legen will, wie es der Bundeskanzler gestern noch einmal bekräftigt hat.Sie haben dafür mindestens 25 Milliarden DM vorgesehen. Das ist der gesamte finanzielle Spielraum, den der Sachverständigenrat für die nächste Wahlperiode in Aussicht gestellt hat. Das heißt, Sie wollen alle verfügbaren Mittel an Spitzenverdiener und Unternehmen auskehren. Angesichts dieser Pläne frage ich: Was müssen denn eigentlich die kleinen Leute in diesem Lande tun, damit ihre Interessen von Ihnen berücksichtigt werden, meine Damen und Herren?
Wenn Sie Ihre Pläne verwirklichten, dann bliebe nichts mehr übrig für die Wohnungssuchenden, nichts mehr übrig für die Arbeitslosen, nichts mehr übrig für den Weihnachtsfreibetrag, nichts mehr übrig für die Unterstützung der Reformen in der DDR, nichts mehr übrig für das Bildungswesen und auch nichts mehr übrig für den Abbau der Neuverschuldung.Sie behaupten unbeirrbar, in der Bundesrepublik seien die Steuern für die Unternehmen zu hoch und müßten gesenkt werden, damit unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibe. Ich frage Sie: In welcher Welt leben Sie eigentlich? Anhaltendes Wirtschaftswachstum, Jahr für Jahr höhere Handelsbilanzüberschüsse, ein auf Hochtouren laufender Investitionsmotor und hervorragende Unternehmensgewinne, das sind doch Kennzeichen einer hoch leistungsfähigen Volkswirtschaft.
Die Bundesrepublik ist ein hervorragender Wirtschaftsstandort.
Da brauchen wir keine pauschalen Steuersenkungen für Unternehmen.
Der Herr Bundeskanzler hat gestern in seiner Rede erneut auf die Steuerreformen in den USA und Osterreich verwiesen. Entgegen der Behauptung des Bundeskanzlers — mir schien, als habe er es wirklich nicht gewußt; aber Herr Waigel kann ihm das sagen und Sie ebenfalls — haben diese Länder ihre Unternehmen nicht entlastet, sie haben aufkommensneutrale Unternehmensteuerreformen durchgeführt.Auch wir sind offen für eine Steuersatzsenkung, wenn gleichzeitig die steuerliche Bemessungsgrundlage erweitert wird und Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Wer aber Steuersatzsenkungen verspricht, ohne zugleich die Bemessungsgrundlage zu verbreitern, der kann sich jedenfalls auf die Steuerreform in den genannten Ländern nicht berufen; er sollte dann zugeben, daß es ihm einzig und allein um Umverteilung geht. Diese lehnen wir Sozialdemokraten ab.
Ich fasse zusammen. Die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung ist überholt. Trotz der Reformen in Mittel- und Osteuropa steigt der Verteidigungshaushalt auf neue Rekordhöhen.
— Ich habe gesagt, ich fasse zusammen, Herr Kollege; Sie müssen schon zuhören.Die Strukturen des Bundeshaushalts sind falsch. Durch eine steigende Zinsquote bei sinkender Investitionsquote wird Stück um Stück die Zukunft verspielt.Schließlich: Die Finanzpolitik dieser Bundesregierung setzt falsche Schwerpunkte. Statt den Schwächeren in unserer Gesellschaft, den Wohnungssuchenden, den Arbeitslosen und den Familien mit Kindern, zu helfen, plant diese Bundesregierung weitere Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Unternehmen in Milliardenhöhe.Wir stellen dieser überholten Politik des „Weiter so" unsere Alternative entgegen. Statt neuer Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Unternehmer und statt immer höherer Rüstungsausgaben müssen die drängenden Aufgaben der 90er Jahre in Angriff ge-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13605
Frau Matthäus-Maiernommen werden: Beseitigung der Wohnungsnot, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, mehr Kindergeld für die Familien, Schutz unserer Umwelt, Wiedereinführung des Weihnachtsfreibetrages für Arbeitnehmer, Hilfe für die überfüllten Hochschulen, Erhaltung der Handlungsfähigkeit des Staates durch Begrenzung der Neuverschuldung und Rückführung der Zinsbelastung und nicht zuletzt wirksame Unterstützung der Reformen in der DDR und in Osteuropa. Freiheit und Demokratie in der DDR und Osteuropa sind nicht nur die Erfüllung der politischen Ziele der Menschen dort, Freiheit und Demokratie sind auch der Schlüssel für die dauerhafte Sicherung des Friedens und die Einheit der Deutschen in Europa.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Borchert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie schon in den vergangenen Jahren, so hat der Haushaltsausschuß auch in diesem Jahr seine Beratungen so termingerecht abgeschlossen, daß der Haushalt rechtzeitig im Bundestag und im Bundesrat verabschiedet wird und zu Beginn des neuen Haushaltsjahres in Kraft treten kann. Auch dies ist ein Zeichen der Kontinuität und Verläßlichkeit der Haushaltspolitik der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen.Lassen Sie mich aber am Beginn dieser haushalts- und finanzpolitischen Debatte sehr herzlich allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses für die gute Zusammenarbeit danken. Auch in diesem Jahr haben wir wieder viele Stunden bis tief in die Nacht hinein in der 25. Etage des neuen Hochhauses beraten. Bei diesen Beratungen sind wir auf die Zuarbeit und die Hilfe der Mitarbeiter des Sekretariats des Haushaltsausschusses, der Beamten vor allem des Bundesfinanzministeriums und des Bundesrechnungshofes angewiesen. Für die zusätzliche Arbeit und die Unterstützung, die hier in den letzten Wochen geleistet wurden, bedanke ich mich sehr herzlich.
Meine Damen und Herren, den Haushaltsausschuß kennzeichnet ein, glaube ich, besonderes politisches Klima. Es wird in der Sache hart gestritten. Dabei werden politische Unterschiede deutlich herausgestellt, sie werden nicht unter den Teppich gekehrt. Aber, ich meine, bei allem politischen Streit gehen wir im Ausschuß menschlich fair miteinander um. Ich glaube, es bleiben auch nach Abschluß der Beratungen keine Wunden oder offene Gräben zurück. Für dieses Klima bei den Beratungen danke ich allen Kolleginnen und Kollegen. Ich bedanke mich bei dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem Kollegen Rudi Walther,
für die souveräne und unparteiische Verhandlungsführung auch in schwierigen Beratungsphasen, die wir in jedem Jahr wieder haben. Ich bedanke mich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Mein Dank gilt aber auch unseren Kollegen der FDP, Ulla Seiler-Albring, Wolfgang Weng und Werner Zywietz, für die gute Zusammenarbeit in der Haushaltsgruppe, die immer gewährleistet, daß wir auch in strittigen Fragen einen Kompromiß finden und diesen einvernehmlich im Haushaltsausschuß vertreten.Meine Damen und Herren, die Rede der finanzpolitischen Sprecherin der SPD hat gezeigt, daß der Wechsel von Hans Apel zu Frau Matthäus-Maier in der Sache nichts Neues bewirkt hat. Die Ausführungen sind ideologisch fixierter, aber in der Sache eher schwächer. Die SPD ist Gefangene ihrer eigenen Ideologien. Sie ignoriert die positiven Auswirkungen unserer Haushalts- und Steuerpolitik auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Sie will die Erfolge nicht zur Kenntnis nehmen, weil nicht sein kann, was nach ihrer Meinung nicht sein darf.
Sehr geehrte Frau Kollegin, mit Ihrer Rede reihen Sie sich in den Chor derer ein, die uns einreden wollen, es gehe uns schlecht und wir träfen die falschen politischen Entscheidungen. Ich meine aber, daß die Fakten eine andere Sprache sprechen.Erstaunlich zurückhaltend waren Sie heute mit Ihren Prognosen zur Neuverschuldung. Wie wenig bisher, vor allen Dingen in der Vergangenheit, Ihre Aussagen mit der Realität unseres Landes zu tun haben, zeigen einige Zitate. Der Kollege Hans Apel erklärte im „Pressedienst" der SPD am 14. Januar 1988:1989 wird sich das Haushaltsdefizit des Bundes auf 50 Milliarden DM und 1990 auf 60 Milliarden DM zubewegen.
Der Kollege Vogel sagte am 16. April 1988:
Im Jahre 1990 wird selbst bei 1989 kräftig erhöhten Verbrauchsteuern das Defizit des Bundeshaushalts bei mindestens 50 Milliarden DM liegen.
Die Tatsache, Herr Kollege: 1990 liegt die Nettokreditaufnahme bei 26,9 Milliarden DM. Die Nettokreditaufnahme ist damit niedriger, als sie im Haushaltsjahr 1989 für das Jahr 1990 prognostiziert wurde — trotz der Steuerreform, die Mindereinnahmen von etwa 11 Milliarden DM mit sich bringt. Dies sind die Fakten.
— Ich verstehe ja, daß Sie das nicht gerne hören.Ihre Aussagen, meine Damen und Herren von der Opposition, haben mit seriöser Haushaltspolitik doch nichts mehr zu tun.
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13606 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
BorchertDies ist reine Demagogie. Sie können doch gar nicht so schlechte Prognostiker sein, daß Sie diese Zahlen, die Sie immer wieder vortragen, selber glauben.
Sie wollen mit falschen Zahlen Unsicherheit erzeugen,
oder — dies wäre natürlich die Alternative, Frau Kollegin — Ihr Vorsitzender hat diese Zahlen unter der Voraussetzung genannt,
Sie hätten die Chance, Ihr Programm „Fortschritt '90" zu realisieren. Dann wäre dies sicher der Beginn des Rückschritts. Diese Zahlen würden zutreffen, und sie wären noch höher.
Allein ihre finanzwirksamen Forderungen seit dem Regierungswechsel 1982 addieren sich im Bundeshaushalt auf mehr als 130 Milliarden DM.
Sie lehnen die Steuerreform ab und haben die Steuermindereinnahmen inzwischen schon dreimal verplant: zuerst für Ihr Arbeitsmarktprogramm, anschließend für den Umweltschutz, und nun fordern Sie, diese 11 Milliarden DM zugunsten der DDR einzusetzen.
Dies ist doch das Markenzeichen Ihrer Politik: Das Geld, das wir in den Taschen der Bürger lassen, wird von Ihnen pausenlos für neue Zwecke verplant.
— Nein, Sie verplanen das gleiche Geld inzwischen schon zum drittenmal. Wir werden den Bürgern immer wieder sagen, daß Sie das Geld ständig neu verplanen. Oder Sie müßten den Bürger laufend mit neuen Steuern belasten, um diese Ausgaben finanzieren zu können.Ich meine, es ist gut, daß Sie die Oppositionsbank drücken und dort auch nach der nächsten Bundestagswahl bleiben;
denn damals wie heute wäre das Ergebnis Ihrer Politik explosionsartige Ausweitung der Staatsausgaben und dramatische Steuererhöhungen. Die Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft wären verheerend.Sie fordern nach wie vor mehr Staat, obwohl Sie genau wissen, daß dies eine der Ursachen für die unsoziale Entwicklung der 70er Jahre war, nämlich Verlust an Arbeitsplätzen, hohe Preissteigerungsraten und eine Handlungsunfähigkeit des Staates. Nur wenige in Ihrer Partei sehen dies.Frau Matthäus-Maier hat ihre eigenen Genossen vor zu hohen Erwartungen gewarnt. Sie sagten am 10. August: „Nicht alle wünschbaren Projekte sind auch finanzierbar. "
Nur, Frau Kollegin, wenn ich die Forderungen Ihrer Genossen höre, dann habe ich den Eindruck: Vielleicht reden Sie zu schnell; Ihre Genossen bekommen Ihre Warnungen offensichtlich nicht mit.
— Da haben Sie auch noch weniger mitbekommen; denn die Politik war damals ja noch schlimmer.In Ihrem Programm „Fortschritt '90" formulieren Sie trotz der Erfahrungen der 70er Jahre ein planwirtschaftliches Element nach dem anderen. Umverteilung und tiefes Mißtrauen gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihr Programm. Finanzieren wollen Sie dies alles mit mehr Steuern und mehr Schulden.
Ihr Kollege Hans Apel — vielleicht sollten Sie sich häufiger mit ihm zusammensetzen — sagt dazu: Diesen Vorschlägen fehlt ökonomischer Sachverstand. — Ich meine, der Kollege hat recht.
— Da, wo er eine verkehrte Aussage macht, wird er natürlich kritisiert. Ich muß ihn in einer Reihe von Aussagen, die er gemacht hat, nachdem er nicht mehr finanzpolitischer Sprecher ist, unterstützen. Ich werde darauf noch zurückkommen.Was gefragt ist, ist Augenmaß und ökonomischer Sachverstand. Ich meine, der Haushalt 1990, den wir heute beraten, zeigt, daß diese Bundesregierung dieses Augenmaß besitzt.Unser haushalts- und finanzpolitisches Konzept hat wesentlich dazu beigetragen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig in der längsten Aufschwungphase der Nachkriegsgeschichte befindet. Das konsequente Umsteuern auf stetige, an mittelfristigen Zielen orientierte Finanzpolitik hat stabile Entscheidungsgrundlagen geschaffen und damit die Rahmenbedingungen für dauerhaftes Wachstum bei hoher Preisstabilität entscheidend verbessert. Wir sind bei allen finanzpolitischen Zielbereichen ein gutes Stück vorangekommen. Das Wachstum der Staatsausgaben wurde begrenzt, die Ausgaben des Bundes wachsen seit 1982 im Jahresdurchschnitt mit etwa 2,5 %. Die Inanspruchnahme der Volkswirtschaft durch den Staat wurde deutlich zurückgeführt. Die Staatsquote, die von 39 % im Jahre 1969 auf fast 50 % bis 1982 gestiegen ist, konnte wieder auf rund 45 abgebaut werden. Die staatlichen Defizite wurden spürbar verringert. Die Nettokreditaufnahme des Bundes in Prozent des Bruttosozialprodukts verringerte sich von 2,3 % im Jahre 1982 um rund die Hälfte auf gut 1 %.Die SPD hat in diesen Tagen und Frau Matthäus auch heute wieder gegen die Steuerreform, die dritte
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BorchertStufe der Steuerreform für das kommende Jahr polemisiert.
Gewinner unserer Steuerpolitik sind die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, Familien mit Kindern und der Mittelstand.
Allein durch den höheren Grundfreibetrag werden 1990 eine halbe Million Personen steuerfrei gestellt. Ein Arbeitnehmer, verheiratet, mit zwei Kindern, hatte 1985 ein steuerfreies Einkommen von rund 14 000 DM, 1990 hat er ein steuerfreies Einkommen von rund 24 000 DM. Dies zeigt: Wir helfen gezielt kleinen und mittleren Einkommen und entlasten sie mit unserer Steuerreform.
Dank unserer Steuersenkungspolitik wird die Steuerquote im kommenden Jahr mit 22,5 % den niedrigsten Stand seit 30 Jahren erreichen. Der Sachverständigenrat schreibt zu Recht:Was bisher an Reformschritten vollzogen wurde, weist in die richtige Richtung.Die vordringlichste wirtschafts- und finanzpolitische Aufgabe nach 1982 war es, die Tätigkeit des Staates auf den Kern seiner Aufgaben zurückzuführen und die Finanzierung der öffentlichen Haushalte auf eine solide Basis zu stellen. Dies ist gelungen.
Die Privatinitiative, die persönliche Leistungsbereitschaft in allen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens, die marktwirtschaftlichen Kräfte und die internationale Wettbewerbsfähigkeit wurden nachhaltig gestärkt. Die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen an sich verändernde Strukturen hat sich deutlich verbessert.Im Umweltschutz erfolgen die notwendigen staatlichen Eingriffe mit marktkonformen Instrumenten. Die Eingriffe sind so gestaltet, daß sie die Eigenverantwortung des einzelnen stärken. Oberstes Ziel bleibt das Verursacherprinzip. Derjenige, der den Schaden verursacht, ist auch verpflichtet, diesen Schaden zu beheben.Mittelfristig muß es das Ziel unserer Politik werden, daß sich über den Preis das Produktionsverfahren oder das Gut durchsetzt, welches von vornherein umweltverträglicher ist. Wir müssen neben der Sozialkomponente versuchen, den Umweltschutz Schritt für Schritt in das System unserer Marktwirtschaft zu integrieren.Bei der ersten Lesung dieses Haushalts im September hat die SPD noch sehr viel vehementer als heute ihre Forderungen nach der Einführung von Ökosteuern als politisches Allheilmittel vertreten. Heute sind diese Vorschläge sehr viel zurückhaltender vorgetragen worden.
Ich will zu dem Konzept der SPD einen unverdächtigen Kollegen, nämlich deren früheren finanzpolitischen Sprecher, den Kollegen Hans Apel, zitieren.
— Warten Sie doch erst einmal ab. — Er sagte:Bei den Plänen der SPD tanken die Autofahrer wie bisher, aber voller Wut den teuren Sprit und warten darauf, daß sie bei der Lohnsteuerrückerstattung das Geld wiederbekommen. Gewinner wären die Zweitwagenfahrer, die wenig fahren und auch die Kfz-Steuer nicht mehr bezahlen müssen. Verlierer sind die Fernpendler und diejenigen, die knapp über der Steuergrenze liegen.Er fährt fort:Mit anderen Worten: Es wird genauso viel Auto gefahren wie bisher. Ein riesiger Umverteilungsmechanismus wird in Kraft gesetzt, aber ohne jeden Nutzen für die Umwelt.Auch hier hat der Kollege Apel recht.
Ich meine, der Kollege Apel bestätigt eindrucksvoll: Bei Ihren Vorschlägen besteht für uns keine Veranlassung, unsere erfolgreiche und gestalterische Haushalts- und Finanzpolitik zu ändern. Es zeigt sich immer mehr, daß der Kurs der Haushalts- und Finanzpolitik, Senkung der Staatsquote, konsequentes Festhalten am Konsolidierungskurs, Senkung der Steuerlast, die Wachstumskräfte gestärkt und den Wohlstand der Bürger und Bürgerinnen erhöht hat. Dieser Kurs wurde bei den Beratungen im Haushaltsausschuß weiter akzentuiert. Es ist uns gelungen, trotz neu hinzukommmender Belastungen, z. B. durch die wohnungsbaupolitischen Beschlüsse und die Vorsorge zur Integration der Aus- und Übersiedler, das Ausgabevolumen des Regierungsentwurfs um 1,2 Milliarden DM auf rund 300 Milliarden DM zu verringern. Die Ausgabensteigerung, die im Regierungsentwurf noch mit 3,4 % vorgesehen war, konnte auf 3 gesenkt werden. Die Koalitionsfraktionen haben damit ihr Ziel erreicht, die Zuwachsrate weiter zu begrenzen.Ebenfalls in die Tat umgesetzt haben wir unser Vorhaben, die auf Grund der günstigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eintretenden Steuermehreinnahmen von 5,4 Milliarden DM voll zur Verminderung der Nettokreditaufnahme einzusetzen. Durch die Begrenzung der Ausgaben und durch Steuermehreinnahmen konnte so die Nettokreditaufnahme gegenüber dem Regierungsentwurf um 6,7 Milliarden DM auf 26,9 Milliarden DM reduziert werden.
Die Prämisse von Art. 115 des Grundgesetzes wird auch bei Inkrafttreten der dritten Stufe der Steuerreform, die für den Bund mit rund 11 Milliarden DM Steuerausfällen verbunden ist, deutlich erfüllt. Dieses Ergebnis, meine ich, kann man zu Recht eine erfolgreiche Haushaltsberatung nennen.Die Einsparungen von 1,2 Milliarden DM, ein Saldo aus Mehr- und Mindereinnahmen, treffen fast alle
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BorchertHaushalte. Der Verteidigungsetat konnte um rund 240 Millionen DM gesenkt werden. Die Verteidigungsbereitschaft bleibt erhalten. Es werden allerdings Signale gesetzt, um die laufenden Abrüstungsverhandlungen positiv begleiten zu können. Die Kürzungen sind vernünftig. Sie gehen nicht auf Kosten der Soldaten. Sie beeinträchtigen nicht die notwendige wehrtechnische Erforschung und Erprobung. Die Bundeswehr kann auch in den 90er Jahren ihren Auftrag erfüllen.
Ratlosigkeit herrscht an dieser Stelle offenbar bei der SPD. Am 17. November wurden Kürzungsanträge zur zweiten Lesung in Höhe von 5 Milliarden DM im Verteidigungsetat angekündigt. Am Nachmittag erklären die Kollegen Wieczorek, Esters und Walther, diese Passage sei irrtümlich in den Text der Presseerklärung hineingeraten.
Die SPD werde einen solchen Antrag nicht stellen. eine Woche später und auch heute wieder kündigt dann Frau Matthäus-Maier Kürzungen in Höhe von 3,2 Milliarden DM an.
Was wollen Sie denn nun: Kürzungen, und in welcher Höhe? — Mein Ratschlag, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Erst denken, dann reden.
— Dann können wir das Parlament schließen? Dauert das bei Ihnen so lange?
Die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit konnten um 690 Millionen DM gekürzt werden; denn es gibt heute deutlich mehr versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Dadurch werden die Beitragseinnahmen deutlich steigen. Die Zahl der Arbeitsuchenden liegt seit Monaten unter der 2-MillionenGrenze. Die Zahl der Kurzarbeiter ist unbedeutend. Der Anstieg der Zahl der offenen Stellen setzt sich fort. Auch nach Ansicht des Sachverständigenrates wird sich dieser Trend fortsetzen.Zum Wohnungsbau will ich mich auf wenige Bemerkungen beschränken: Die Forderungen der SPD sind schlichtweg unrealistisch. Dies wird auch vom Sachverständigenrat bestätigt. Es ist nicht möglich, innerhalb so kurzer Zeit so viel Geld, wie Sie fordern, sinnvoll auszugeben. Die Baukapazitäten sind begrenzt. Sie wissen, daß dies nicht realisiert werden kann. Aber Ihr Strickmuster ist wie hier auch an anderen Stellen immer das gleiche: Hohe Erwartungen wecken, die keiner erfüllen kann, und der Schuldige ist dann die Bundesregierung.Das wohnungsbaupolitische Programm dieser Bundesregierung ist sozial ausgewogen. Es hilft der kinderreichen Familie und schafft Anreize für den gemeinnützigen und den privaten Bauherrn. Ich bin davon überzeugt, daß mit diesem Programm der Anstoß zum Bau von rund 300 000 Wohnungen pro Jahr gegeben wird. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auch an die privaten Investoren appellieren: Nutzen Sie die Angebote, investieren Sie in den Wohnungsbau!
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt aufgreifen. Die SPD wirft dieser Bundesregierung vor, in elf Jahren, von 1983 bis 1993, genausoviel Schulden zu machen wie alle Bundesregierungen zusammen in 33 Jahren.Eine Bemerkung vorweg. Sie beziehen damit den Zeitraum des Finanzplans in Ihre Rechnung mit ein. Wie wir heute beschließen, senken wir allein 1990 die Nettokreditaufnahme gegenüber den Planzahlen um fast 7 Milliarden DM. Aber Ihre Rechnung ist nicht nur deswegen auf Sand gebaut.Ich nehme aber trotzdem den Gedanken einmal auf: Von 1949 bis 1969, also in 20 Jahren, wurden 45 Milliarden DM Schulden gemacht. Den Bundeskanzler stellte immer die CDU. Von 1969 bis 1982, also in 13 Jahren, wuchsen die Schulden um 265 Milliarden DM. Den Bundeskanzler stellte jeweils die SPD. Von 1982 bis zum Ende dieses Jahres wachsen die Schulden voraussichtlich um 185 Milliarden DM.
Dieser Schuldenzuwachs ist praktisch deckungsgleich mit den Zinsen, die der Bund für die Schulden zahlen muß, die Sie in 13 Jahren gemacht haben.
Sie schafften in 13 Jahren Regierungszeit weit mehr Schulden als CDU/CSU-und-FDP-geführte Bundesregierungen in 27 Jahren.
— Aber die haben dann auch gemerkt, daß man mit Ihnen keine vernünftige Politik machen kann.
Hätten wir 1982 geordnete Finanzen übernommen, so hätten wir seit 1982 keine zusätzlichen Schulden machen müssen. 180 Milliarden DM an Zinsen mußten für die Altschulden gezahlt werden. 185 Milliarden DM betrug der Schuldenzuwachs. Deswegen kann man feststellen: Die SPD ist und bleibt die Schulden-Partei in unserem Lande.
Die Erblast der hohen Verschuldung und die sich daraus ergebenden Zinsaufwendungen belasten uns heute im Bundeshaushalt. Es ist mit unserer Politik der Konsolidierung allerdings gelungen, den Anstieg der Zinsquoten deutlich zu verlangsamen. Die Politik und die Ergebnisse zeigen: Wir sind auf dem richtigen
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BorchertWeg. Die Konsolidierungspolitik darf deshalb nicht ins Stocken geraten. Die finanz- und haushaltspolitischen Vorschläge der Opposition würden das bisher Erreichte gefährden, Ihre Forderungen im Programm 90 würden Rückschritt statt Fortschritt bringen.Der Kollege Hans Apel — ich muß ihn noch einmal zitieren, denn er hat sich inzwischen offensichtlich intensiv mit Ihrem Programm auseinandergesetzt, nach seinem Rücktritt —
sagt zu Ihrem wirtschafts- und finanzpolitischen Programm zu Recht:Man bestraft die Fernpendler in verkehrstechnisch ungünstigen Zonen, fördert soziale Ungerechtigkeit, weil sich die Wohlhabenden über die Spritverteuerung kaputtlachen, und trifft Rentner und Kleinverdiener im Portemonnaie.
Sie sollten wirtschaftspolitischen Nachhilfeunterricht bei ihm nehmen, denn er fährt fort:Wichtig ist aber, daß uns nur wirtschaftspolitischer Sachverstand weiterbringt, nicht aber ideologisch bestimmte Positionen.Ich meine, deswegen gibt es keine Alternative zu unserer Konsolidierungspolitik. Die weitere Senkung der Staatsquote, die weitere Begrenzung des Schuldenzuwachses, verbunden mit einer deutlichen Verringerung der Abgabenlast sind und bleiben unser langfristig angelegtes Zielbündel. Um es konfliktfrei zu realisieren, müssen auch zukünftig die Ausgabenzuwächse der öffentlichen Hand deutlich unterhalb des Zuwachses des gesamtwirtschaftlichen Wachstums bleiben. Ich meine, es gibt keinen anderen Weg, auch aus der Verantwortung heraus, die wir für zukünftige Generationen tragen. Wir werden unseren Weg der soliden Finanz- und Haushaltspolitik fortsetzen.Danke sehr.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierung und der Bundesfinanzminister sonnen sich im Glanz der Konjunktur, feiern die angekündigten Wachstumsraten von 3 % für 1989 und 4 % für 1990. Auf Grund der geschätzten Steuermehreinnahmen von 5,3 Milliarden DM im Jahre 1990 für den Bund wird von einer Nettoneuverschuldung von 26,9 Milliarden DM ausgegangen. Wer, lieber Herr Kollege Borchert — auch von Ihnen — , hat mit diesen Steuermehreinnahmen gerechnet?
— Niemand, niemand, niemand. Deshalb können Sieder Opposition nicht vorwerfen, hier mit falschen Berechnungen agiert zu haben. Ihre Berechnungen lagen dann genauso daneben. Das mal zu Ihren Zahlen.Hämisch, wie gestern von Herrn Bohl dargestellt, wird der Opposition vorgehalten, sie entwerfe Horrorgemälde, wenn sie es wagt, die Auswirkungen dieser Haushalts- und Finanzpolitik grundsätzlich zu kritisieren. Wenn man den selbstgerechten, fast schon überheblichen Äußerungen der Bundesregierung folgen sollte, müßte man zu dem Ergebnis kommen: Alles prima bei uns in der Bundesrepublik. Ich sage nur: Es ist bei weitem nicht so. Die gestern vom Bundeskanzler zitierte Aufbruchstimmung in der Wirtschaft und die bejubelten Wachstumsraten nützen den Benachteiligten in unserer Gesellschaft wenig; denn durch das Ansteigen der Inflationsrate auf zur Zeit 3 werden vor allen Dingen die Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, die Bezieher kleiner Einkommen überproportional belastet. Das sind die Tatsachen.Die Anhebung des Grundfreibetrages und die Senkung des allgemeinen Lohn- und Einkommensteuertarifs werden erstens durch Streichung von Steuervergünstigungen finanziert. Ich nenne die Stichworte Weihnachtsfreibeträge, Belegschaftsrabatte, Lohnzuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit. Die Arbeitnehmer bezahlen also die Entlastungen durch neue Belastungen.
Zweitens wird die gepriesene Steuerreform durch erhebliche Anhebung von Verbrauchsteuern finanziert. 1989 führt dies bei Verrechnung aller neuen Belastungs- und Entlastungsmaßnahmen zu einer Nettobelastung von 6,6 Milliarden DM. — Alle Zahlen stammen aus dem Finanzbericht der Bundesregierung. Die haben nicht wir uns ausgedacht.Die finanzielle Situation derjenigen, die schon jetzt im Schatten unserer Gesellschaft leben, wird sich weiter verschlechtern. Das ist eine ungerechte Politik, meine Damen und Herren.
Der Bundeskanzler und die Koalitionsparteien verlangen weitere Steuergeschenke für die Wirtschaft in Höhe von 25 bis 27 Milliarden DM mit der Begründung, die bundesdeutschen Unternehmen seien nicht wettbewerbsfähig. Ein Blick auf die allmonatlich ansteigenden Handelsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik verweisen solche Aussagen in den Bereich der Märchen und Zweckpropaganda.
Auch die Gewinnlage der Unternehmen bestätigt die These, daß es keiner allgemeinen Unternehmensteuerreform bedarf. Nach Berechnung der Deutschen Bank — die sollte es eigentlich am besten wissen —
sind die Unternehmensgewinne 1988 um 20 % gestiegen. Für dieses Jahr werden 13 % und für 1990 12 höhere Gewinne erwartet.
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Frau VennegertsWarum also eine flächendeckende Entlastung, Herr Waigel?Zum Vergleich: Die Einkommen der abhängig Beschäftigten stiegen 1988 um 3,8 %, 1989 um 4,5 %, und für 1990 werden vom Sachverständigenrat, den Sie auch immer zitieren, 9 % prognostiziert.
Vergleichen Sie das jetzt einmal. Dann wissen Sie, für wen man in dieser Republik etwas tun muß.Die Bundesregierung, der Sachverständigenrat und ein Troß von Wirtschaftswissenschaftlern vertreten die These, daß wirtschaftliches Wachstum Voraussetzung für erfolgreichen Umweltschutz ist. Ich messe die Bundesregierung an ihren eigenen Aussagen. Dann aber, meine Damen und Herren, wäre doch zu erwarten, daß während des nunmehr sieben Jahre andauernden Aufschwungs die Ausgaben des Bundes für Umweltvorsorge und Behebung eingetretener oder drohender Umweltschäden einen erheblichen Anteil an dem gesamten Bundeshaushalt haben müßten —
wenn man Ihrer Logik folgt. Ein Blick in die Haushaltspläne der vergangenen Jahre beweist jedoch das Gegenteil. Wann wollen Sie denn etwas für den Umweltschutz tun? Welche Wachstumsraten brauchen Sie denn?
Die GRÜNEN halten diese These schon aus dem Grund für unhaltbar, weil es in der Vergangenheit gerade das industrielle Wachstum war und noch ist, das zur Umweltzerstörung und zur volkswirtschaftlichen Milliarden-DM-Belastung geführt hat.
In zentralen Zukunftsaufgaben hat die Bundesregierung in der Vergangenheit kläglich versagt. Sie erweist sich auch heute als unfähig, die dringend erforderlichen Korrekturen durchzuführen. Sie legen einen Haushalt von vorgestern vor, Herr Waigel.Auf umweltpolitischem Gebiet dienen die Haushaltsansätze der Bundesregierung allenfalls zu kosmetischen Reparaturmaßnahmen.In der Beschäftigungspolitik bleibt es trotz guter Konjunktur auf dem immer noch hohen Arbeitslosenstand von offiziell 1,8 Millionen. Die Arbeitslosenzahl hat von September auf Oktober sogar leicht zugenommen.In der Sozialpolitik geht die Ausgrenzung der sozial Schwachen weiter. Die Ärmsten der Armen bleiben buchstäblich draußen vor der Tür. Das sind die real existierenden Probleme bei uns.
In der Abrüstungspolitik wird entgegen den gestrigen Beteuerungen weiter aufgerüstet. Von Abrüstung keine Spur! In der Deutschland- und Ostpolitik laviert die Bundesregierung zwischen ängstlichem Abwarten und aggressiv gestellten Forderungen hinsichtlich des von den demokratischen Bewegungen Osteuropas einzuschlagenden Wirtschaftskurses.
In Mark und Pfennig finden Sie recht wenig im Haushalt, auch für die Polen-Hilfe. Sehen Sie sich das einmal ganz genau an!Ein tiefschwarzes Kapitel der Haushaltspolitik dieser Regierung ist die Umweltpolitik. Auf diese komme ich zurück, weil es unsere Existenzgrundlage ist.
1990 sollen sich die Umweltausgaben des Bundes nach Angaben der Bundesregierung auf 2,6 Milliarden DM, nach neueren, zurechtfrisierten Berechnungen sogar auf über 5 Milliarden DM belaufen. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, daß ein Teil der Ausgaben nicht für umweltschützende, sondern im Gegenteil für umweltgefährdende Zwecke verwendet wird. Von den angeblichen 2,6 Milliarden DM Umweltausgaben entfallen allein 675 Millionen DM — das ist ein Drittel — auf die Folgekosten der Atomenergie. Die Hälfte der Ausgaben des Bundesumweltministers wird für das neugeschaffene Bundesamt für Strahlenschutz und andere atomnahe Zwecke verausgabt.Die Energiepolitik der Bundesregierung wird weiter von dem Prinzip beherrscht: Vorrang für Kohle und Kernenergie. Erneuerbare Energien und Energiespartechnologien werden vergleichsweise mit Taschengeldbeträgen gefördert.Zwar hat die Bundesregierung in diesem Jahr erstmals im ERP-Sondervermögen 150 Millionen DM für die Förderung erneuerbarer Energien vorgesehen, was wir selbstverständlich begrüßen — wenn Sie einmal einen richtigen Ansatz haben, werden wir das auch erwähnen; da brauchen Sie keine Sorge zu haben — , sie bleibt damit aber weit hinter den Forderungen ihrer eigenen Parteifreunde zurück. Denn der Bundesrat hatte die Bundesregierung einstimmig gebeten, diesen Ansatz zu verdoppeln, also auf 300 Millionen DM anzuheben. Wie nicht anders zu erwarten, ist dies von der Bundesregierung abgelehnt worden.Nur eine Energiewende, die den Ausstieg aus der Atomenergie und die konsequente Förderung der erneuerbaren Energien zum Ziel hat, kann uns den Weg aus der lebensgefährlichen und umweltzerstörerischen Energiepolitik der Bundesregierung zeigen.
Diese Forderung enthält unser Energiewendehaushalt über 7,5 Milliarden DM, der aus Primärenergiesteuern finanziert wird.Direkte Maßnahmen zur Reinhaltung von Luft und Wasser, zur Lärmbekämpfung usw. sind nur zum geringen Teil im Umwelthaushalt veranschlagt, nämlich 135 Millionen DM. Weitere 1,1 Milliarden DM für Umweltschutzmaßnahmen sind im ERP-Sonderver-
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Frau Vennegertsmögen enthalten und weitere 500 Millionen DM im sogenannten Strukturhilfegesetz für die Bundesländer. Zusammen sind das nicht einmal 2 Milliarden DM, also lächerlich wenig.Bekanntermaßen liegen die ökologischen Folgekosten, also jene Kosten, die durch die Umweltzerstörung jährlich verursacht werden
— das sollten auch Sie wissen, Herr Weng, das weiß nämlich auch der CDU-Kollege Herr Wicke — , nach verschiedenen Berechnungen jährlich zwischen 100 und 120 Milliarden DM. Das sind die realistisch geschätzten Folgekosten.Im Vergleich zu diesen Aufgaben wirken die von der Bundesregierung eingeplanten Haushaltsmittel geradezu lächerlich. Dabei kann sich die Bundesregierung nicht darauf berufen, sie sei nicht informiert oder wisse nicht Bescheid.So ist längst bekannt, daß in der Bundesrepublik die zum Teil noch aus Kaiserzeiten stammende Kanalisation dringend sanierungsbedürftig ist. Die Kosten allein für die Sanierung des öffentlichen Abwassernetzes werden auf 50 bis 70 Milliarden DM geschätzt.
Wo im Haushalt sind dafür auch nur ansatzweise Mittel bereitgestellt?
Ich sehe nichts.Ähnlich verhält es sich bei den Altlasten. Kostenschätzungen zur Sanierung — übrigens durch das BMFT erstellt — belaufen sich auf 50 Milliarden DM. Umweltexperten nennen sogar einen Betrag von 90 Milliarden DM. Auch da finden wir nichts Wesentliches im Haushalt. Geben Sie doch Finanzhilfen an die Länder und Kommunen, legen Sie Bund-LänderProgramme auf,
lassen Sie sie nicht im Regen stehen und sagen Sie nicht, das sei nicht Aufgabe des Bundes!Um die dringendsten Umweltprobleme zu lösen, haben wir in unserem Alternativhaushalt im Bereich der Trinkwasserversorgung, Reduzierung der Schadstoff-Nährstoff-Belastung, Altlastensanierung und Umsetzung des grünen Immissionsschutzgesetzes über 12 Milliarden DM gefordert. Das ist ein erster Schritt, das ist nicht viel; das ist relativ bescheiden gerechnet. Finanziert werden die Ausgaben aus dem Ökoabgabenaufkommen, z. B. Grundwasserabgabe, Grundchemikalien- und Emissionsabgaben. Diese Anträge wurden abgeschmettert, leider auch mit Zustimmung der SPD, was ich bedaure.
Umweltpolitik beschränkt sich jedoch nicht auf nachträgliche Sanierungen bzw. auf das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zentrale umweltrelevante Aufgabenbereiche sind in anderen Ressorts beheimatet. So sind für den Zustand der Umwelt die politischen Prioritätensetzungen im Verkehrs- oder Landwirtschaftsministerium gegenwärtig bedeutsamer als die Maßnahmen des Umweltministers.Die Verkehrspolitik der Bundesregierung hat für die Umwelt verheerende Folgen. 1990 werden die Mittel für den umweltzerstörerischen Autobahn- und Fernstraßenbau nochmals um 300 Millionen DM, nämlich von 6,3 auf 6,6 Milliarden DM, angehoben.
Die Bundesregierung betreibt hier offensichtlich Umweltpolitik tatsächlich mit der Dampfwalze.Für den Aufbau verkehrspolitischer Alternativen, insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr, gibt die Bundesregierung nur 1,2 Milliarden DM, das sind gerade 20 % der Mittel für den Autobahn- und Fernstraßenbau, aus. Das sind die Vergleiche, die man hier einmal ziehen muß. Und dann sprechen Sie von der Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs! Der führt doch bei Ihnen ein Stiefkinddasein.
Notwendig sind die drastische Reduzierung des Straßenbaus, eine deutliche Anhebung der Mittel zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs und eine Herabsetzung der Fahrpreise in diesem Bereich.
Die GRÜNEN haben insgesamt 29,65 Milliarden DM für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs und für den Bereich der Deutschen Bundesbahn gefordert. Die Finanzierung unserer Maßnahmen erfolgt durch die Erhöhung der Mineralölsteuer.Unsere Verkehrswendeanträge wurden ebenfalls von der Mehrheit — auch von der SPD — abgeschmettert. Die SPD hat lediglich den Kürzungsantrag gestellt, die Erhöhung der Bundesfernstraßenmittel um 300 Millionen DM rückgängig zu machen. Dem ist nun einmal leider so. Sie können sich ja nächstes Jahr anders verhalten. Das wäre gut. Ihr Kürzungsantrag mag auf den ersten Blick guten Willen zeigen. Aber eine umweltverträgliche Verkehrspolitik, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist das noch nicht.
Die großtechnisch chemisierte Landwirtschaft bildet den weiteren Bereich, der massiv zu Umweltbelastungen beiträgt. Im Haushalt 1990 werden in der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" Hunderte von Millionen für die natur- und landschaftszerstörerische Flurbereinigung verwendet. Unter dem Schwindeletikett „bäuerliche Sozialpolitik" werden kleine und mittlere Betriebe durch Flächenstillegungsprogramme und Zuschüsse zur
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13612 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau VennegertsFörderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit zur Betriebsaufgabe veranlaßt.
Haushaltsansätze zur Förderung einer ökologisch verträglichen Bodennutzung und Viehhaltung sind nicht erkennbar.Ökologische Ziele lassen sich nicht nur durch eine gezielte Auflagen-, Gebots- und Verbotspolitik sowie durch öffentliche Ausgaben fördern. Vielen Bürgerinnen und Bürgern — das klang vorhin schon an — ist heute bewußt, daß eine gesunde Umwelt nicht zum Nulltarif zu haben ist. Umweltschutz kostet Geld, von allen! Viele Menschen sind bereit, dafür auch Opfer zu bringen.Im politischen Raum ist auch weitgehend unstrittig, daß über gezielte Steuern und Abgaben — marktwirtschaftliche Instrumente, Herr Waigel, sind das — ein Anreiz geschaffen werden kann, umweltschädigende Produktions- und Konsumgewohnheiten aufzugeben bzw. einzuschränken. Gleichzeitig könnte durch entsprechende steuerliche Gestaltung umweltfreundliches Verhalten belohnt werden. Entscheidend aber ist, daß den Bürgerinnen und Bürgern umweltfreundliche Alternativen angeboten werden. Das bedeutet: Die Einnahmen aus Ökosteuern und -abgaben müssen zum Aufbau von Alternativen z. B. im Verkehrsbereich und Energiebereich eingesetzt werden.
Die Politik der Bundesregierung kommt auch auf diesem Gebiet nicht über das Aussitzstadium hinaus. Schlimmer noch. Die wenigen Ansätze im Steuerrecht, die die Förderung von Energiesparinvestitionen und umweltfreundliche Wirtschaftsgüter zum Inhalt hatten — ich nenne nur § 7 d des Einkommensteuergesetzes, § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung, 4 a des Investitionszulagengesetzes — , sind der sogenannten großen Steuerreform zum Opfer gefallen. Das bedeutet: Durch den Wegfall dieser Steuervergünstigungen stellt sich im nächsten Jahr die absurde Situation ein, daß der Umweltbereich rund 1 Milliarde DM zur Finanzierung der wachstumsstimulierenden Steuersenkung 1990 bei einem Gesamtvolumen von 24 Milliarden DM beisteuert. Sie bauen hier also sinnvolle Maßnahmen zugunsten einer Umverteilung von unten nach oben ab. So sieht es aus.
Als Fazit läßt sich feststellen, daß die Bundesregierung die ökologischen Herausforderungen gekonnt ignoriert und kräftig zur Umwelt- und Landschaftszerstörung beiträgt. Daß ökologische Investitionen auch Arbeitsplätze schaffen, ist keine Erfindung der GRÜNEN, sondern wird von allgemein geschätzten Wirtschaftsforschungsunternehmen festgestellt.Auf dem Gebiet der Beschäftigungspolitik stellt sich die Situation ähnlich trostlos wie im Umweltbereich dar. Zu allgemeinen Jubelfeiern, wie sie die Bundesregierung veranstaltet, besteht kein Anlaß. Offiziell sind immer noch 1,8 Millionen Menschen arbeitslos. Rechnet man die stille Reserve von ca. 1 Million Personen hinzu, erhält man ein annähernd realistisches Bild.
Nachdem die Bundesregierung in den vergangenen Jahren Beschäftigungsprogramme als ineffektiv und kurzlebige Strohfeuer abgelehnt hat, stellt das für die 750 000 Langzeitarbeitslosen aufgelegte Sonderprogramm indirekt das Eingeständnis des Scheiterns der beschäftigungspolitischen Konzeption der Bundesregierung dar. Alle Beschwörungen der Selbstheilungskräfte des Marktes erweisen sich angesichts der immer noch dramatischen Lage auf dem Arbeitsmarkt als billige Zweckpropaganda.Trotz der lohnpolitischen Zurückhaltung der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren ist es bei gleichzeitig explodierenden Gewinnen nicht zu einem deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit gekommen. Wir fordern ein mit Qualifizierungsmöglichkeiten verbundenes reformiertes ABM-Programm, während die Regierung die Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen einschränkt.
Auch in der Sozialpolitik setzt die Bundesregierung ihre unverantwortliche Politik der sozialen Ausgrenzung fort. Seit Antritt der Bundesregierung 1982 ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger um 1 Million gestiegen. Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands leben 10 % der Bevölkerung — das sind 6 Millionen Menschen — bei uns in Armut. Kinderreiche Familien, alleinerziehende Frauen, Langzeitarbeitslose, Ausländer, Flüchtlinge, Behinderte und psychisch Kranke, Obdachlose und Nichtseßhafte — sie alle sind von dieser Bundesregierung abgeschrieben worden und dienen allein als Zahlenmaterial für Sozialstatistiken.
— Hören Sie einmal zu, wie es aussieht! Die durchschnittliche Rente einer Arbeiterin lag 1988 bei 392 DM.
Mit diesem Taschengeld soll sich eine Rentnerin den wohlverdienten Lebensabend versüßen. Der Kanzler sagte in seiner gestrigen Rede: Wer tüchtig ist, kann was erreichen. Sind und waren nach Ihrer Logik, nämlich der Logik des Bundeskanzlers, die 6 Millionen Armen nicht tüchtig? Oder ist es nicht so, daß sie in unserer Ellenbogengesellschaft keine Chance bekommen haben oder Lebensleistung wie Kindererziehung etc. nicht als „tüchtig" definiert wird?Eine Grundsicherung z. B. im Alter und bei Erwerbslosigkeit sollte nicht nur eine Mindestforderung der GRÜNEN sein.Der Bundeskanzler hat gestern festgestellt, Abrüstung müsse mit der Entwicklung mithalten und möglicherweise beschleunigt werden. Gegenüber dem Vorjahr sollte nach den Plänen des Verteidigungsmi-
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Frau Vennegertsnisters der Verteidigungshaushalt um rund 1,2 Milliarden DM erhöht werden. Davon sind 237 Millionen DM gekürzt worden. Faktisch steigt also der Militärhaushalt. Das ist der Unterschied zwischen Kanzlerwort und Kanzlertat.
Wir fordern eine Kürzung von ca. 13 Milliarden DM im Verteidigungshaushalt als ersten Schritt.
Durch die atemberaubenden Entwicklungen in der DDR werden nicht nur die innenpolitischen Probleme für die Regierung — sicher nicht ungewollt — an den Rand der politischen Auseinandersetzung gedrückt. Das zeigt auch diese Debatte heute. Davon bleiben auch die Aussiedler nicht verschont. Auch sie haben bei der Bundesregierung nicht mehr ihren früheren Stellenwert. Die Koalitionsfraktionen haben im Haushaltsausschuß die Sprachförderungsmittel um 150 Millionen DM gekürzt mit der Begründung, daß sechs Monate Sprachkurs statt wie bisher zehn Monate ausreichen. Für viele dieser Menschen ist das eine unzumutbare Härte, besitzen doch viele von ihnen kaum oder gar keine Deutschkenntnisse. Bei dieser Kürzung haben nicht sachliche Gründe eine Rolle gespielt — und das wissen Sie auch —, sondern es sollten Einnahmen für den Bundeshaushalt erwirtschaftet werden. Ich kann nur hoffen, daß die Regierung die Aussiedler nicht noch mehr unter Streß setzt, waren sie ihr doch bis vor kurzem noch hochwillkommen.Eine weitere Ungeheuerlichkeit war die Behandlung der Bundeshilfe für West-Berlin. Obwohl auch die Koalitionsfraktionen einen Aufstockungsbedarf vor der Öffnung der DDR-Grenzen wegen der Aussiedlerproblematik in Berlin sahen, wurde bei den abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß — die Grenzöffnung war nur wenige Tage zuvor vollzogen worden — nicht eine müde Mark draufgelegt.
Kein Mensch kann ernsthaft leugnen, daß durch die neue Lage in Berlin zusätzliche finanzielle Belastungen entstanden sind. Hinweise auf den Empfang, den die West-Berliner Bevölkerung Bundeskanzler Kohl vor dem Schöneberger Rathaus bereitete,
und auf die Rede Mompers im Bundestag wurden als Ablehnungsgründe genannt. Ein unliebsamer Senat wurde abgestraft.Demgegenüber hat die Bundesregierung keine Skrupel, riesige Geldsummen für ökologisch katastrophale Großprojekte auszuschütten, wenn auch nur entfernt die Chance besteht, Wählerstimmen einzufangen. So erhält Ministerpräsident Albrecht über die nächsten Jahre 75 Millionen DM für nachwachsende Rohstoffe, aus denen Biosprit gewonnen werden soll.
Berlin hat bis heute keine Mark bekommen. Das sind hier die realen Verhältnisse!
Wir geben Ihnen heute die Möglichkeit, unserem Antrag auf Erhöhung der Bundesmittel für West-Berlin um 500 Millionen DM, wie gestern vom West-Berliner Finanzsenator gefordert, zuzustimmen.
Dies kann nur ein erster Schritt sein. Wir hoffen, daß Bundeskanzler Kohl Herrn Momper am Freitag den Ausgleich der tatsächlichen Mehraufwendungen von zirka 1 Milliarde DM zusagt und West-Berlin nicht im Regen stehen läßt.Nach der gestrigen Rede von Kanzler Kohl und der Verkündung seines 10-Punkte-Programms dürfte der Einrichtung eines Devisenfonds an sich nichts mehr im Wege stehen. Wir beantragen, für diesen Devisenfonds unverzüglich 5 Milliarden DM bereitzustellen, die durch Streichungen im Verteidigungshaushalt finanziert werden können.
Meine Damen und Herren, die DDR wünscht eine Beteiligung der Bundesrepublik an dem geplanten Devisenfonds. Was hindert uns also heute, die Mittel in den Haushalt 1990 einzustellen?
Dieser Bundesregierung geht es meiner Meinung nach nicht um eine gleichberechtigte Kooperation in einem gemeinsamen europäischen Haus. Es geht ihr im Grunde um einen wirtschaftlichen Anschluß, und zwar zu ihren Bedingungen. So wie Daimler MBB oder Preussag den Salzgitter-Konzern schluckt,
soll auch die DDR geschluckt werden, rein wirtschaftlich. Das können Sie nicht leugnen.Seit dem Rücktritt von Erich Honecker werden die Bedingungen für Wirtschaftshilfe Schritt für Schritt höhergeschraubt. Jetzt reicht es nicht mehr, daß die Mauer geöffnet ist. Jetzt reicht es nicht mehr, daß Demonstrations-, Meinungs- und Reisefreiheit gewährt wird. Es reicht nicht, daß politische Gefangene amnestiert werden und daß mehr Rechtssicherheit entsteht. Es reicht nicht, daß freie Wahlen angekündigt werden. Es reicht nicht, daß der Reformer Hans Modrow Regierungschef ist, und es reicht nicht, daß sich auch innerhalb der SED tiefgreifende Umwälzungen anbahnen.
Was eigentlich soll noch folgen?
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Frau VennegertsWelche fatalen Auswirkungen des Kanzlers Zehn Punkte-Programm zur Wiedervereinigung hat, macht die Äußerung von Bundestagspräsidentin Süssmuth deutlich. Sie sprach von Überlegungen zur Verlegung der Bundeshauptstadt nach Berlin und von Schritten zur Wiedervereinigung.
Sie denkt laut über eine Verlegung der Bundeshauptstadt nach Berlin nach.
— Es ist eine berechtigte Frage, ob der Neubau dann noch weitergehen soll. — Spätestens jetzt sollte die SPD ihre meines Erachtens voreilige Zustimmung zum Zehn-Punkte-Programm mit dem Ziel der Wiedervereinigung — das ist der springende Punkt — überdenken. Eigene Vorschläge, die zumindest künftige Möglichkeiten offen lassen, wären für die gegenwärtige Situation politisch angemessener gewesen und würden jetzt auch nicht einen solchen Druck auf die Prozesse in der DDR ausüben. Das sagen auch Vertreter der Sozialdemokratischen Partei in der DDR.Wie auch immer eine zukünftige Beziehung zwischen der Bundesrepublik und der DDR aussehen mag: Sie kann sich nur auf der Grundlage voller Gleichberechtigung entwickeln.
Frau Vennegerts, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Stratmann?
Ja.
Kollegin Christa Vennegerts, ist dir ein Antrag der Bundestagspräsidentin, Frau Süssmuth, in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete des Bundestages bekann, die Haushaltsmittel für den Neubau des Parlamentsgebäudes zu streichen, was ja die Konsequenz ihres Vorschlags wäre, die BundesOrgane nach West-Berlin zu verlegen?
Lieber Kollege Stratmann, die Bundestagspräsidentin hat auf die Frage, ob der Neubau weitergeht, gesagt: Wir hinterlassen hier nicht angefangene Projekte; die werden zu Ende geführt, unabhängig davon, wie das in Berlin weitergeht.
Ich behaupte: Wenn es um Gleichberechtigung zwischen den beiden Staaten geht, gehört die Anerkennung der staatlichen Souveränität der DDR zwingend dazu. Wie soll denn z. B. eine Konföderation, also ein Bund gleichberechtigter Staaten, zwischen der DDR und der Bundesrepublik vereinbart werden, wenn ein Beteiligter nicht als gleichberechtigt anerkannt wird? Das ist doch der springende Punkt!
Ich bedauere in dieser ganzen Debatte die kritiklose Haltung der SPD. Die bedauere ich zutiefst!
— Ja, liebe Ingrid, aber das Ziel der Wiedervereinigung steht darüber. Über die zehn Punkte kann man diskutieren. Aber wohin man will, das muß man wissen, ehe man den zehn Punkten zustimmt.
Die berechtigte Faszination angesichts der Reformprozesse in Osteuropa wird von einigen benutzt, um dringend notwendige gesellschaftliche Reformprozesse in der Bundesrepublik zu verdrängen.
Gerade jetzt ist die Opposition gefordert, für eine ökologische, soziale und demokratische Umgestaltung unserer Gesellschaft zu kämpfen. Dazu muß man als Opposition allerdings auch den Willen haben. Wir GRÜNEN haben ihn.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Weng.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Mineralölsteuer war es vorhin besonders eklatant: Die Sprecherin der SPD hat die Anhebung im laufenden Jahr beklagt — Applaus bei der SPD — , und im gleichen Atemzuge, ohne Luft zu holen, hat sie eine verhemente Erhöhung dieser Steuer für den Fall angekündigt, daß die SPD das Sagen hat — erneut Applaus bei der SPD.
Die Opposition fordert Mindereinnahmen, Steuersenkungen, Mehrausgaben und gleichzeitig die Senkung der Verschuldung. Hier werden Dichtung und Wahrheit bunt gemischt mit dem Ziel, die Bürger draußen für dumm zu verkaufen. Wir, meine Damen und Herren, arbeiten in der Haushaltspolitik auf der Basis solider Fakten.
Am 17. November hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages seine Beratungen über den Bundeshaushalt 1990 abgeschlossen. Wer zu Beginn der Beratungen das nun erreichte Ergebnis vorausgesagt hätte, wäre in zwei Punkten als Phantast bezeichnet worden:Erstens. Wir haben in intensiven Diskussionen die Ausgabensteigerung gegenüber dem Soll des lauf enden Jahres auf 3 % begrenzt. Sie erinnern sich: Im Vorfeld hatte auch der Finanzminister in seinen Überlegungen einmal bei etwa 3,4 % gelegen. Der Gesamtetat umfaßt jetzt rund 300 Milliarden DM und damit 1,2 Milliarden DM weniger, als ursprünglich geplant war.
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Dr. Weng
Zweitens. Die Nettokreditaufnahme konnte auf unter 27 Milliarden DM reduziert werden. Hierbei müssen wir natürlich berücksichtigen, daß durch das Inkrafttreten der Steuerreform ein erheblicher Einnahmeverzicht des Bundes erfolgt, der nach der ursprünglichen Finanzplanung eine wesentlich höhere Verschuldung nach sich gezogen hätte. Noch im Finanzbericht 1989 waren ja für das Jahr 1990 36 Milliarden DM Nettoneuverschuldung vorgesehen. Der Regierungsentwurf hatte dann 33,67 Milliarden DM vorgesehen, und jetzt haben wir durch die Beschlüsse des Haushaltsausschusses dem Bundestag eine Absenkung auf knapp unter 27 Milliarden DM vorlegen können.Bei aller begründeten Kritik an der weiteren Erhöhung der Schuldenlast muß für das kommende Jahr festgehalten werden, daß der Konsolidierungserfolg der größte seit 1982 ist und daß ein größerer im geordneten Haushaltsverfahren tatsächlich nicht vorstellbar wäre.
Das darf uns nicht erlahmen lassen. Wir werden auch künftig bemüht sein, unter den in der Finanzplanung vorgesehenen Schulden zu bleiben; denn wir wollen eine Koalition der Steuersenkung bleiben, und hierfür wollen wir auch künftig weitere Spielräume nutzen können.
Ich sage das auch in Kenntnis vielfältiger zusätzlicher Ausgabenwünsche und auch Ausgabennotwendigkeiten, denen wir uns als handelnde und weiterhin handlungsfähige Mehrheit zum gegebenen Zeitpunkt stellen werden.Meine Damen und Herren, was hat den großen Beratungserfolg ermöglicht? Wer das Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage 1989/90 zur Hand nimmt, sieht eine Wirtschaftssituation beschrieben, die kaum besser sein könnte: Die konjunkturelle Lage ist so gut wie seit langem nicht mehr. In nahezu allen Branchen herrscht Optimismus; und die Psychologie ist in der Wirtschaft bekanntlich sehr wichtig. Die Auftragsbestände sind hoch. Die Absatzperspektiven und die Gewinnsituation werden positiv beurteilt. Eine starke Erhöhung der Investitionen ebenso wie erhebliche Neueinstellungen zeigen die starken wirtschaftlichen Auftriebskräfte und auch die Eigendynamik dieser Entwicklung. Wer hier behauptet, die Kräfte des Marktes hätten keine Wirkung, sollte sich wirklich mit den Zahlen befassen, die als Fakten vor uns liegen.Die Haushaltspolitik, insbesondere die des Bundes, bedeutet eine positive Flankierung. Denn ein Teil der konjunkturbedingten Mehreinnahmen wurde zur Rückführung des Haushaltsdefizits und eben nicht zur Finanzierung zusätzlicher Ausgaben verwendet. —
Daß sich auch die Gewinnsituation im Exportgeschäft weiter verbessert hat, rundet dieses Bild ab. Die Binnennachfrage hat zugenommen. Sie lag um 2,5 % höher als im Vorjahr.Ich glaube, man kommt um die rundherum positive Bewertung dieser Situation nicht herum. Es hat sich die Einnahmeseite des Haushalts hierdurch deutlich verbessert. Und ich sage in aller Klarheit, meine Damen und Herren: Dieses Ergebnis ist nicht vom Himmel gefallen; es ist ein Ergebnis der Politik dieser Koalition der Mitte.
Einmalig — wie die Entwicklung in Europa im Augenblick — ist auch bei der Haushaltsberatung in diesem Jahr die Diskrepanz zwischen dem ordnungsgemäßen Haushaltsverfahren und tagespolitischen Aktualitäten gewesen, die möglicherweise noch Haushaltswirkungen haben werden. Die Koalition hat sich aus guten Gründen zur Fortführung des ordnungsgemäßen Haushaltsverfahrens entschlossen. Seit 1982, seit der politisch notwendigen Änderung der Regierungsverantwortung, haben wir dieses geordnete Verfahren immer konsequent durchgehalten. Der Haushalt wurde zu einem Zeitpunkt abschließend beraten, der Gewähr für das Inkrafttreten mit Beginn des neuen Kalenderjahres bot.Es sind diese geordneten Rahmenbedingungen der Finanzwirtschaft des Bundes, die die beschriebene gute Lage mit verursachen. Sie erinnern sich: Die Deutsche Bundesbank hatte bei Vorlage des Regierungsentwurfs noch leise Bedenken bezüglich der Stabilitätswirkungen gehabt. Ich bin überzeugt, daß diese Bedenken inzwischen, nach der Arbeit des Haushaltsausschusses, nach der Arbeit der Mehrheit im Haushaltsausschuß, abschließend ausgeräumt sind.Die Koalitionsmehrheit hatte allerdings an keiner Stelle Zweifel daran gelassen, daß dieses Verfahren keinen Mangel an Handlungsfähigkeit bedeutet. Das heißt: Sowie sich aus der momentanen politischen Diskussion, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung in der DDR, auf der Basis von Fakten oder gesicherten Vorausschauen Daten ergeben, werden wir handlungsfähig sein und werden wir handeln.
Erinnern Sie sich: Wir haben im Laufe der Haushaltsberatungen zunächst darüber nachdenken müssen, wie wir die große Zahl von zusätzlichen Bürgern, die insbesondere aus der DDR zuwanderten, haushaltsmäßig realistisch flankieren können. Wir haben uns dann, nach Öffnung der Mauer, überlegen müssen, wie wir die Frage des Begrüßungsgeldes haushaltsmäßig realistisch beantworten sollten. Auch die Sondersituation Berlins hat hier eine Rolle gespielt, eine Sondersituation, der wir Rechnung tragen werden, wenn es soweit ist. Und jetzt geht es möglicherweise, meine Damen und Herren, um ganz andere Dimensionen. Denn die Löcher in Grenze und Mauer sind nur der erste Schritt. Wenn die Mauer abschließend fällt — was wir uns wünschen und was wir insbesondere den Bürgern in der DDR wünschen —,
wenn diese Bürger Freiheitsrechte erhalten, wie siejetzt angekündigt sind, dann werden wir erneut beraten. Meine Damen und Herren, in dem Koalitions-
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Dr. Weng
gespräch von heute morgen ist es möglicherweise um solche Dinge gegangen. Wir sind gespannt. Wenn es Konsequenzen gibt, steht die Mehrheit zur Verfügung. Wir werden die notwendigen Dinge dann konsequent auf den Weg bringen.Der Herr Bundeskanzler hat in seiner gestrigen Rede zehn Punkte künftiger Zusammenarbeit mit der DDR im Sinne der Bürger dort drüben in den Raum gestellt, die ein breites Spektrum von Konsequenzen auch für die öffentliche Finanzwirtschaft haben können. Unsere Wirtschaftslage sollte uns in die Lage versetzen, ohne größere Opfer für unsere Bürger die notwendigen Schritte haushaltsmäßig zu flankieren.Es ist ein dringender Appell an die Tarifpartner, die sich in der Vergangenheit doch immer letztendlich auch ihrer allgemeinen Verantwortung bewußt waren und bewußt gezeigt haben, bei ihren Abschlüssen im kommenden Jahr auch die gesamtdeutschen Notwendigkeiten mit zu berücksichtigen. Folgen Sie dem Sachverständigenrat, kommen Sie zu vernünftigen Abschlüssen, und verzichten Sie auf unnötige Arbeitskämpfe!
Meine Damen und Herren, die Auseinandersetzung über Verantwortung darf in der Politik und natürlich hier im Deutschen Bundestag durchaus kontrovers geführt werden. Der Erfolg der Politik aber zeigt sich an den Ergebnissen. An den Erfolgen partizipieren letztendlich alle Bürger. Ich meine, es ist müßig, darüber zu streiten, welche von vielen Maßnahmen z. B. den Erfolg am Arbeitsmarkt verursacht haben. Daß trotz der im Augenblick großen Zuwandererzahlen diese Menschen bei uns recht schnell einen Arbeitsplatz finden konnten und können, zeigt die Stabilität der Aufwärtsentwicklung am Arbeitsmarkt. Wer könnte bezweifeln, daß es wesentlich die Politik der Koalition war, die diese Wende am Arbeitsmarkt eingeläutet hat? Die Zahlen sprechen eine zu deutliche Sprache. Ich erinnere mich noch gut, wie Kollegen von der SPD-Fraktion im Bundestag mit Blick allein auf die Zahl der Arbeitslosen versuchten, den beginnenden deutlichen Aufschwung in Form der Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze in Frage zu stellen. In den Jahren 1980 bis 1982 — erinnern wir uns — war die Zahl der Erwerbstätigen um rund 830 000 zurückgegangen. Heute liegt die Zahl der Erwerbstätigen um 1,3 Millionen über dem Tiefstpunkt. Die Zahl der Erwerbstätigen liegt jetzt aber auch über dem seinerzeitigen Höchstpunkt. Wir haben derzeit ca. 28 Millionen Erwerbstätige. Es ist schon überraschend, daß zu dieser positiven Entwicklung von seiten der Opposition praktisch keine Äußerung gekommen ist.
Herr Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek?
Ja, wenn es von der Redezeit nicht abgezogen wird. Ich bedauere im übrigen, daß Frau Matthäus-Maier hinausgegangen ist, weil ich noch auf sie eingehen wollte.
— Sie kommt wieder. — Bitte schön.
Herr Kollege Weng, würden Sie so freundlich sein, uns zu sagen, wie viele Vollerwerbsplätze in der Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze enthalten sind und wie die durchschnittliche Beschäftigungszeit an den neu geschaffenen Arbeitsplätzen ist?
Herr Kollege Wieczorek, ich habe hier keine Statistik zur Verfügung, die das detailliert auflistet.
Ich weiß, der Hintergrund Ihrer Frage ist, daß es auch eine größere Zahl von kürzeren Arbeitsverhältnissen und von Arbeitnehmern mit Teilzeitarbeitsplätzen gibt. Aber die Senkung der Arbeitszeit liegt doch im Interesse gerade dessen, was auch die Gewerkschaften vertreten. Insofern verstehe ich nicht, warum Sie dieser Frage einen negativen Unterton geben.
— Ich bin sicher, daß nicht nur Teilzeitarbeitsplätze in der genannten Zahl enthalten sind, Herr Kollege Wieczorek. Darin ist auch eine große Zahl von Vollzeitarbeitsplätzen und von selbständigen Existenzen enthalten. Deswegen ist Ihre Frage mit dieser Unterstellung meines Erachtens wirklich nicht begründet.
Statt daß uns gratuliert wird, wird jetzt, da man den Erfolg nicht mehr zerreden kann, versucht, ihn totzuschweigen. Aber diesen Erfolg lassen wir uns nicht nehmen. Er ist zu offensichtlich. Er wäre ohne die konsequente Umkehr der Finanz- und Haushaltspolitik nicht möglich gewesen.Diese konsequente Umkehr hat, wie Sie wissen, die Kollegin Matthäus-Maier nicht mitmachen wollen, und deswegen ist sie zur SPD gegangen. Wenn die SPD einmal diese Umkehr macht, dann steht sie plötzlich ganz allein da und weiß nicht mehr, wohin sie soll.
Wir haben hier auch gehört, daß sie beklagt hat, daß im nächsten Jahr die Lohnsteuer nach der Schätzung ganz hoch sein soll, so hoch wie noch nie. Meine Damen und Herren, es liegt an der großen Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze, daß es ein höheres Lohnsteueraufkommen gibt. Diese Klage fällt wirklich auf den Klagenden selbst zurück.
Die interne Verbesserung des Arbeitsmarktes hat in der öffentlichen Optik immer unter der fast gleichbleibenden Arbeitslosenzahl gelitten. Aber glücklicherweise gibt es auch hier jetzt eine sichtbare Verbesserung, die die undifferenzierte Polemik der Opposition erschwert. Seit Mai dieses Jahres liegt die Arbeitslosenzahl ständig und ununterbrochen unter der
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Dr. Weng
Grenze von 2 Millionen, und dies trotz der hohen Zahl von Aus- und Übersiedlern, die ja die Statistik verändern, die in die Statistik Eingang finden.Meine Damen und Herren, die „Wirtschaftswoche" hat eine Rechnung aufgemacht, nach der die Arbeitslosenzahl ohne die Neubürger bereits jetzt um rund 180 000 niedriger wäre; die 7-%-Marke wäre bereits jetzt im Schnitt unterschritten. Sie wissen, der Höchststand der Arbeitslosenquote lag im Jahre 1985 bei 8,2 %. Wir können in diesem Jahr bei im Moment 6,5 % mit rund 7 % im Schnitt rechnen; jedenfalls sagen uns das die Sachverständigen voraus.An diesem Erfolg kann man mäkeln; man kann an jedem Erfolg mäkeln. Die Opposition versucht es ja auch. Aber wegreden kann man diesen Erfolg nicht.
Es wird auch niemand in Frage stellen können, daß das Ergebnis, daß das Erreichte nicht ausreichend ist, daß die fortdauernde Arbeitslosigkeit immer noch zu hoch ist und daß wir erst bei echter Vollbeschäftigung richtig zufrieden sein können. Probleme der Ausbildungsstruktur, manchmal auch fehlender Flexibilität benötigen deshalb weiter Flankierung auch der öffentlichen Hände. Solche Flankierung findet statt.Gerade in einem Bereich sind die strukturellen Verbesserungen aber besonders eklatant. Die Zahl arbeitsloser Jugendlicher unter 20 Jahren, die 1982 und 1983 bei nahezu 200 000 lag, hat sich im Oktober dieses Jahres auf 70 000 verringert. Mit Ausnahme von Luxemburg, das ja eine Sondersituation hat, ist damit die Bundesrepublik das Land mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit junger Menschen in Europa.Wenn Sie sich, meine Damen und Herren, zusätzlich vor Augen halten, daß die Zahl der Kurzarbeiter von knapp 1,2 Millionen Anfang 1983 auf zuletzt rund 50 000, also auf eine fast vernachlässigbare Größe gesunken ist und daß die gemeldeten offenen Stellen im Jahresdurchschnitt bei über 300 000 liegen — nur die gemeldeten; wir wissen ja, wie viele Wirtschaftsbetriebe überhaupt nicht mehr melden, weil sie wissen, daß ihnen vom Arbeitsamt keine qualifizierten Arbeitskräfte in ihren Branchen mehr vermittelt werden können —,
dann kennzeichnet dies die dramatische Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt.Bei aller Reserve gegenüber Prognosen: Wenn der Sachverständigenrat und wenn mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute für das Jahr 1990 eine weitere Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen um 400 000 voraussagen, dann kann doch wirklich niemand ohne ausdrückliche Zufriedenheit auf dieses Ergebnis unserer Politik blicken.
Erlauben Sie mir eine Zwischenbemerkung. Graf Lambsdorff hat ja gestern gesagt, natürlich sei eine solche Haushaltsdebatte im Vorwahljahr auch Wahlkampf. Ich kann mir nicht vorstellen, wie bei all den bekannten Reformfortschritten und Reformerfolgen der Koalition, insbesondere aber bei der hier verdeutlichten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und in derWirtschaft, unsere Bürger im kommenden Jahr einen Wechsel zu einer Politik wählen könnten, die sich im Bereich der Finanz- und Haushaltspolitik als eindeutig verantwortungslos darstellt.
Ich meine hier ausdrücklich beide Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag.Meine Damen und Herren, das Konzept der GRÜNEN mit einer Aufstockung von über 160 Milliarden DM bei massiver Erhöhung von Steuern und Abgaben einerseits und einem riesigen Anstieg der Staatsquote andererseits ist außerhalb jeder Realität. Für eine ernste Befassung ist hier die Zeit zu schade. Befassen muß sich damit meines Erachtens die SPD, die ja über Koalitionen mit den GRÜNEN nachdenkt, in Teilen sogar mit Koalitionen dieser Art liebäugelt. Denn für das Konzept der GRÜNEN gibt es, nüchtern betrachtet, nur zwei Möglichkeiten der Beurteilung. Entweder wird dort den Bürgern bezüglich der Machbarkeit bewußt etwas vorgelogen — das wäre schlimm genug — , oder aber es wird an die Machbarkeit geglaubt. Das heißt dann, daß wirklich Handlungs- und Verantwortungsunfähigkeit besteht.
— Es ist schade, Frau Flinner, daß sich nach wie vor viel zu wenige Wähler der GRÜNEN Ihre politischen Inhalte und Ihre Politikfähigkeit ernsthaft ansehen und sich ernsthaft damit auseinandersetzen; sonst wären Ihre sowieso bröckelnden Wahlergebnisse deutlicher auf dem Absturz.
Der Vorwurf der Verantwortungslosigkeit trifft auch die SPD, und zwar nicht nur insoweit, als sie derzeit im Deutschen Bundestag in der Opposition, also im Sinne des Wortes ohne Verantwortung ist, sondern auch insoweit, als wirklich einiges im Laufe des Beratungsverfahrens des Haushaltsausschusses
verantwortungslos in der üblichen Bedeutung des Wortes war.
— Lassen Sie es mich ausführen, Herr Kollege Jahn, dann werden Sie mir folgen.Wenn wir immer beklagen, daß sich die Bürger mit einem gewissen Grausen von der Politik abwenden,
dann gehört das Verhalten, das die SPD zum Etat desVerteidigungsministeriums und bei der Salzgitter-Privatisierung an den Tag gelegt hat, zu den traurigen
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Dr. Weng
Meilensteinen auf dem Weg der Minderung des Ansehens des Parlaments.
Daß eine Partei, wie es der SPD mit ihrem sogenannten „Fortschritt '90" passiert ist, mit vorschnellen Programmentwürfen mal auf die Nase fallen kann,
das muß in einer offenen Gesellschaft und in einem offenen Parteiensystem hingenommen werden; das ist jedem von uns schon passiert oder kann zumindest jedem von uns einmal passieren. Aber eine Oppositionsfraktion, die den Anspruch auf Übernahme der Verantwortung durch seriöse Parlamentsarbeit dokumentieren will, darf sich die genannten Beispiele nicht leisten.
Zum Verteidigungsetat wird sich die Kollegin Seiler-Albring bei der Diskussion über diesen Etat morgen detaillierter äußern; aber zu den fünf Milliarden rauf oder runter, ganz beliebig, wie es von den Haushaltskollegen der SPD öffentlich vertreten wurde, braucht man nicht einmal Kronzeugen aus den Reihen der SPD selbst zu benennen.
Jeder, der auch nur ein wenig über seriöse Haushaltspolitik nachdenkt, jeder, der die Struktur des Verteidigungsetats kennt, weiß, mit welchem Unsinn hier die Öffentlichkeit befaßt wurde.
Das wäre tatsächlich der Weg in rot-grünes Chaos.
Von ähnlicher Qualität ist das Verhalten der SPD-Fraktion in Sachen Privatisierung der Salzgitter AG. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß die FDP politisch engagiert für Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und öffentlichen Industriebesitzes eintritt. Wir sind der festen Überzeugung — dies ist ja auch in der Bundeshaushaltsordnung festgeschrieben — , daß der Staat außerhalb hoheitlicher Notwendigkeiten auf wirtschaftliche Tätigkeit verzichten sollte. Wir sind die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die das Thema „Privatisierung" bei der Fraktion institutionalisiert hat. Eine Arbeitsgruppe flankiert die Aktivitäten der Bundesregierung und regt zu immer neuem Handeln an. Ich bin dem Herrn Bundesfinanzminister ausdrücklich dafür dankbar, daß er die Fortsetzung der Privatisierungspolitik angekündigt hat und hierfür zu einem klärenden Vorgespräch den interessierten Kollegen von der CDU/CSU und von unserer Seite zur Verfügung steht.
Die Privatisierung der Salzgitter AG, die wir mehrfach gefordert haben, ist ein großer Erfolg der Koalition. Erinnern wir uns daran, daß über lange Jahre in dieses Unternehmen erhebliche Steuermittel fließen mußten,
um eine Sanierung zu ermöglichen, und daß es erst mit Beginn der Koalition aus CDU/CSU und FDP möglich wurde, diese Sanierung konsequent so voranzutreiben, daß der Betrieb jetzt — nicht ohne jedes Risiko für die Zukunft; das ist uns bei der Anhörung, die der Haushaltsausschuß in dieser Frage gemacht hat, deutlich geworden — schwarze Zahlen schreibt, daß also jetzt der Augenblick für eine mögliche Privatisierung gekommen ist.
Die SPD hat sich — das muß auch gesagt werden — nach anfänglichem Zögern, nachdem sie zuerst eine Weile nachgedacht hat, vehement gegen diese Privatisierung ausgesprochen.
Die Gründe der SPD sind nach meiner Überzeugung rein ideologisch; aber wenn man für sozialistische Wirtschaftspolitik ist, dann ist diese Position verständlich. Verständlich in diesem Sinne ist auch die Äußerung eines Kollegen von der SPD in allerletzter Minute, die Öffnung der Grenzen zur DDR mache gerade wegen der dortigen Wirtschaftsstruktur auch bei uns öffentlichen Besitz am Salzgitter-Konzern notwendig. Meine Damen und Herren, Volkseigener Betrieb West Salzgitter — hier darf gelacht werden.
Dies ist eine entlarvende Äußerung. Sie ist besonders deplaziert, wenn man sich und wenn sich die deutsche Öffentlichkeit vor Augen hält, daß die abgewirtschaftete sozialistische Wirtschaft in der DDR gerade nach Privatisierung und Elementen der Marktwirtschaft schreit.
Übrigens hat auch die SPD gestern ausdrücklich diese Forderung gestellt. Das zeigt wieder die Zwiespältigkeit. Wenn man einen Moment über das heute Gesagte und über das gestern Gesagte nachdenkt, dann stellt man fest: Es paßt nichts zusammen.
— Sie wird diese Zeit hoffentlich bekommen.
Wie gesagt: Die ideologisch motivierte Ablehnung war aus Sicht der SPD noch verständlich. Etwas völlig anderes ist es aber, wenn man Gründe für eine solche Ablehnung nachschiebt und veröffentlicht, Gründe, die nur dazu dienen, die Öffentlichkeit fehlzuinformieren und aus der Verunsicherung Betroffener Kapital zu schlagen. Da wird die Sache unanständig.
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Dr. Weng
Die SPD hat öffentlich behauptet, der Verkaufserlös von genannten ca. 2,5 Milliarden DM sei um mehr als die Hälfte zu niedrig. Es werde öffentlicher Besitz verschleudert. „Verschenkt" hat der Kollege Wieczorek gerade dazwischengerufen und damit deutlich gemacht, daß er weiterhin auf diesem Kurs ist, obwohl gerade er es war, der im Haushaltsausschuß eine ganze Weile nachgedacht hat, ob hier nicht eine sinnvolle Geschichte abläuft.
Wahrscheinlich sind diejenigen, die erst in der Folge bekehrt werden, immer besonders vehement an der Spitze des Fähnleins zu finden.Mehr als die Hälfte also sei dieser Preis zu niedrig. Ich lasse offen, welchen Unterschied es zwischen einem gutachterlich ermittelten Wert und dem am Markt erzielbaren Preis geben kann. Es war ja ausdrücklich kein Kaufpreisgutachten in Auftrag gegeben worden. Der angenommene Börsenkurs sagt meines Erachtens eher aus, daß der in den Verhandlungen erzielte Verkaufspreis für den Bund eine ordentliche Dimension hat.Trotz erheblicher Anstrengungen ist es der SPD im Verlauf der Anhörung an keiner Stelle gelungen, die Wertermittlung ernsthaft in Frage zu stellen. Was haben dann die Kollegen der SPD gemacht, meine Damen und Herren? In Kenntnis der Unhaltbarkeit der 6-Milliarden-Forderung hat man — übrigens ohne jede nachvollziehbare Begründung — die Forderung einfach auf 3,5 Milliarden DM ermäßigt, nur um öffentlich weiter behaupten zu können, es sei unter Wert, jetzt allerdings nur noch eine Milliarde DM unter Wert verkauft worden. Dies ist wahrlich kein Beispiel von Verantwortungsbewußtsein.
Es kommt als Nebenpunkt dazu, daß die SPD trotz Kenntnis der vertraglichen Verpflichtungen, die die Preussag AG übernommen hat, versucht, die Bewohner der Werkswohnungen von Salzgitter zu verunsichern, und daß man den Arbeitnehmern einzureden versucht, die Arbeitsplätze seien nach der Obernahme gefährdet. Dies kennzeichnet auch ein erschreckend statisches Denken in wirtschaftspolitischen Fragen.Jeder weiß, daß ein staatlicher Betrieb in der Vergangenheit oft trotz hoher Subventionen keine Arbeitsplatzgarantie abgeben konnte. Ich will von gewerkschaftseigenen Betrieben, wie der Neuen Heimat oder Coop, gar nicht reden. Daß mit der Salzgitter-Privatisierung ein ausgewogener und lebensfähiger Konzern entsteht, dessen Vielseitigkeit und Beweglichkeit am Markt für die Arbeitnehmer auch in der Zukunft gute und sichere Arbeitsplätze erwarten läßt, dessen sind wir uns sicher. Deswegen —ich sage es noch einmal — begrüßen wir diese Privatisierung ausdrücklich.
Erlauben Sie ein Wort zur Verwendung des Verkaufspreises. In den vergangenen Jahren haben wir Privatisierungserlöse als einmalige Einnahme dem Haushalt zugeführt. Von seiten der FDP sind wir froh, daß die deutlich verbesserte Haushaltssituation uns dieses Mal eine andere Möglichkeit eröffnet: Der Erlös soll Stiftungskapital bilden.Auch wenn über die Frage, ob eine oder mehrere Stiftungen und wo der Standort dieser Stiftung sein soll, das allerletzte Wort noch nicht gesprochen ist, so spricht doch vieles dafür, daß eine Stiftung mit Standort Niedersachsen, entsprechend dem bekannten Vorschlag des Bundesfinanzministers, Theo Waigel, begründet wird. Die Idee, hierbei Forschung und Entwicklung von umwelt- und gesundheitsfreundlichen Produkten und Verfahren durch den Stiftungszweck zu fördern, wird von uns ausdrücklich begrüßt und geteilt.
Allerdings gehen wir Liberale davon aus, daß hierfür nicht der gesamte Ertrag Verwendung finden muß, sondern daß das Spektrum durchaus um Bereiche aus Bildung und Ausbildung verbreitert werden kann.
Ich bin dem Herrn Finanzminister ausdrücklich dankbar, daß er wohlwollende Prüfung der zusätzlichen FDP-Überlegungen zugesichert hat. Wir stellen uns im einzelnen vor, daß auch erstens die Förderung besonders Begabter in der beruflichen Bildung Unterstützung finden kann, daß zweitens die Förderung der Geisteswissenschaften für die Mitwirkung an der gesellschaftlichen Entwicklung einen zusätzlichen Impuls erhält und daß drittens systematische Untersuchungen zur Ökonomie im Bildungswesen gefördert werden können.
— Der Bundesbildungsminister ist nicht da, sonst hätte er hier sicher besonders laut applaudiert. — Ich weiß, daß noch rechtliche, auch noch verfassungsrechtliche Fragen zu prüfen sind. Aber ich bin sicher, daß bei dem genannten Wohlwollen des Herrn Finanzministers auch hierfür ein Weg gefunden wird und daß unter Einbeziehung des Bundesbildungsministers Jürgen Möllemann ein rundum erfreuliches Gesamtkonzept von der Regierung dann vorgelegt wird, wenn es darum geht, die Gelder im Haushaltsausschuß für ihren erklärten Zweck freizugeben. So, meine Damen und Herren, zeigt sich konstruktive gemeinsame Arbeit in der Koalition aus CDU/CSU und FDP. — Da keinen Applaus, da bin ich überrascht.
— Nein, der steht nicht im Manuskript, Herr Kollege Rose. Ich bin immer auch geistig auf dem laufenden dessen, was ich vortrage.
— Beleidigungen von der linken Seite sind im Moment menschlich verständlich. Die Herren haben gerade etwas zu verdauen.
Meine Damen und Herren, für die gute Arbeitsatmosphäre habe ich allen Kollegen im Haushaltsaus-
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Dr. Weng
schuß und unserem geschätzten Vorsitzenden Rudi Walther herzlich zu danken.
In Kenntnis dessen, daß der Vorsitzende immer von der größten Oppositionsfraktion gestellt wird, kommt dann üblicherweise der Wunsch, er möge es noch sehr, sehr lange bleiben. Mein Dank gilt auch dem Umfeld, den Mitarbeitern des Ausschußsekretariats und für die Flankierung durch die Beamten der Ministerien, insbesondere des Finanzministeriums, für den Herrn Haushaltsdirektor und seine Mannschaft.
Ich danke den Kollegen der CDU/CSU, an ihrer Spitze Jochen Borchert. Ich habe es vorhin gesagt, ich kann nicht alle einzeln nennen. Bei uns ist es mit den dreien etwas einfacher. Ich danke für den Erfolg, den wir nicht ganz ohne interne auch kontroverse Diskussionen erzielt haben und den wir im Deutschen Bundestag jetzt gemeinsam vertreten und über den wir uns gemeinsam freuen können. Daß ich auch auf die Leistung der kleinen Crew der FDP, auf meine Mitstreiter Ursula Seiler-Albring und Werner Zywietz, stolz bin, möge mir abschließend anzumerken erlaubt sein.Meine Damen und Herren, mit dem aufgezeigten Erfolgskurs ist die Koalition auf dem richtigen Weg. Die FDP-Fraktion wird ihren Beitrag hierzu weiter leisten und stimmt den aufgerufenen Haushalten zu.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister Dr. Waigel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diesmal hat die Kollegin Frau Matthäus-Maier etwas anders begonnen. Sie hat die Menschen gelobt; sie konnte die gute Lage nicht mehr verschweigen. Wenn Sie konsequent geblieben wären, hätten Sie auch die Regierung loben müssen. Dann wäre Ihre Rede rundherum richtig gewesen.
Aber ich bin sicher, daß auch hier noch eine Besserung eintritt, vielleicht bis zum nächsten Mal, denn Sie werden feststellen müssen — um das kommen Sie überhaupt nicht herum —, daß wir besser sind, als die Bibel es normalerweise voraussagt. Dort werden nämlich nur sieben gute Jahre vorausgesagt. Wir kommen jetzt schon auf acht; es wird auch noch ein neuntes sein. Dagegen haben Sie mit Ihrer Argumentation Schlichtweg keine Chance.
Sie haben es natürlich auch etwas schwerer als bei der ersten Lesung, weil sich zwischenzeitlich sehr viele Kolleginnen und Kollegen, Sachverständige, Institutionen, nicht nur der Kollege Apel, zu dem Sie ruhig etwas netter sein dürften — — Wenn der zitiert wird, dann sieht man richtig, wie die Gesichter bei Ihnen umfallen. Ich finde es nicht gut. Man sollte doch einem Kollegen, dem Sie so viel verdanken und dem Sie schon so oft zugejubelt haben, dann, wenn er dieWahrheit sagt, auch den notwendigen Respekt erweisen.
Nun sind Sie mit der Ökosteuer zwischenzeitlich gewaltig auf den Bauch gefallen.
— Doch, doch. Ich muß das leider sagen. Die ist auch in Ihren eigenen Reihen umstritten. Lesen Sie nach, was die Sachverständigen vor wenigen Tagen dazu gesagt haben.
Das ist eine Beerdigung sechster Klasse. Die Leiche trägt die Kerze selber.
Sie haben mir bei meinem Amtsantritt gesagt, mit der Quellensteuer würde ich in der Europäischen Gemeinschaft noch ganz große Probleme bekommen. Nein, es gibt keine Probleme mehr.
Selbst wenn wir in der EG nicht nein gesagt hätten, wäre sie EG-weit nicht gekommen. Ich habe den Finanzministerkollegen gesagt: Wenn man selber etwas falsch erkannt hat, kann man guten Freunden nicht zuraten. Das ist dort auf gute Resonanz gestoßen.
Es gibt mit uns — das sage ich nochmals — auch keine Kontrollmitteilungen. Wenn Sie das als Wahlkampfthema haben wollen, beglückwünsche ich Sie dazu. Wir nehmen diesen Ball gerne auf.
Es ist Ihnen im übrigen nicht mehr eingefallen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, mich diesmal „Minister im Nebenamt" zu nennen.
— Das freut mich; hier hat jemand gesagt: Wir sind auch lernfähig.
Vielleicht habe ich im Finanzministerium und in Bonn mehr Präsenz bewiesen, als Ihnen lieb ist. Wenn ich es allerdings mit sehr wenig Aufwand betrieben hätte und der Erfolg dennoch so gut ist, dann spräche das noch mehr für mich.
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Bundesminister Dr. WaigelMit dem Urteil in der Fachpresse kann ich gut leben und mit 97 % auf dem Parteitag auch. Ich habe da keine Probleme.
— Dazu haben Sie mir heute früh schon gratuliert. Ich bedanke mich.Wenn es Hans-Jochen Vogel gelingt, auf dem Parteitag der SPD bei der Aufstellung des Kanzlerkandidaten gegen Lafontaine auch 97 % zu bekommen, kann er damit durchaus zufrieden sein.
Meine Damen und Herren, was nicht seriös war, das ist Ihre Ankündigung und Ihre Behauptung, die Verteidigungsausgaben müßten radikal gekürzt werden. Der Kollege Weng und der Kollege Borchert sind darauf schon eingegangen. Es ist schlichtweg unseriös. Wir haben eine Steigerung von nur 2,8 %.
Der Haushaltsausschuß ist an diesen Etat sehr klar herangegangen, nicht immer zur Freude des Verteidigungsministers.
Sie wissen ganz genau, daß ein Teil der Steigerung darauf zurückzuführen ist, daß wir für die Menschen in der Bundeswehr mehr tun, daß wir das Attraktivitätsprogramm verbessern,
um hier den Dienst für die Freiheit so zu gestalten,
damit sich die Menschen dort nicht desavouiert und nicht diskriminiert zu fühlen brauchen.
Was Sie zum Umweltschutz gesagt haben, ist schlicht eine Milchmädchenrechnung. Es ist ein starkes Stück, den Haushalt für dieses Ministerium in Relation zum Haushalt für die Verteidigung zu stellen. Das, Frau Kollegin Matthäus-Maier, ist Demagogie, die Sie eigentlich nicht notwendig hätten.
— Nein. — Gut, vielleicht haben Sie recht.
Dann müßte ich Ihnen entgegenhalten: Zu Ihrer Zeit gab es gar kein Umweltministerium. Somit war damals das Verhältnis von Umweltausgaben zu den Verteidigungsausgaben astronomisch. Es ist doch absurd, solche Relationen herstellen zu wollen. Das hat mit einer seriösen Finanzpolitik, mit einer seriösen Argumentation nichts zu tun.
Außerdem müßten Sie dann wenigstens zugeben: 16,2 % Steigerung ist etwas. Entscheidende Zukunftsmodelle, Pilotprojekte, an die wir gerade jetzt, auch in der Zusammenarbeit mit der DDR, gehen, das sind doch unsere Erfolge. Und Sie müssen hier doch sehen, was an Gesamtaufwendungen, an Gesamtinvestitionen im Umweltschutzbereich passiert. Das ist doch mehr als je zuvor. Hier muß man doch das Verursacherprinzip sehen. Wir stellen die Rahmenbedingungen her,
und das meiste muß und soll sich nach dem Verursacherprinzip im privaten Bereich, im wirtschaftlichen Bereich vollziehen. Und dort vollzieht es sich auch.
Übrigens, alles, was bei der Steuerpolitik und bei der Abgabenpolitik passieren kann, haben wir schon getan, ohne daß Sie uns dazu Ratschläge hätten geben müssen: Förderung des Kats, Spreizung beim Benzin. Das einzige wirkliche Zukunftsmodell besteht doch darin, daß wir die Kfz-Steuer, sobald dies technologisch machbar ist, nicht nach dem Hubraum, sondern nach der Schadstoffemission bemessen.
Das sind die Zukunftsmodelle, mit denen wir argumentieren, während Ihre nicht aufgehen, volkswirtschaftlich falsch und in den eigenen Reihen umstritten sind. Deswegen sollten Sie Ihr ganzes Öko-SteuerModell zu den Akten legen.
Das, was geschehen kann, haben wir schon aufgenommen. Was geschehen soll, das gehen wir an. Das Ihre ist nur eine Umverteilung nach dem Tonnen-Prinzip, die niemandem etwas bringt und dem Umweltschutz sogar noch schadet.
Natürlich mußte wieder die Behauptung kommen, die Steuerreform sei unsozial, eine Umverteilung von unten nach oben. Früher haben Sie doch mal gesagt, wir hätten uns kaputtgespart, wir würden uns totsparen. Davon höre ich nichts mehr. Im Gegenteil, jetzt muß ich mich kritisieren lassen, daß ein Haushalt mit einer Steigerung von 3,0 % im nächsten Jahr unsolide sei, zu viele Ausgaben enthalte.
Wenn Sie einmal in einem Wahljahr, liebe Frau Kollegin Matthäus-Maier, einen solchen Haushalt vorgelegt hätten, hätten wir Sie doch loben müssen — was wir leider nicht tun konnten.
Sie wissen ganz genau: Die Steuerreform entlastet die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen und die Familien am stärksten. Durch die dreistufige Steuerreform wird die Belastung bei Geringverdienern in der bisherigen unteren Proportionalzone um etwa ein Drittel gesenkt. Bei den Beziehern hoher Einkommen,
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Bundesminister Dr. Waigelin der oberen Proportionalzone, verringert sich die Steuerbelastung nur um etwa 10 %.
— Ja, ich komme gleich darauf.Ein Durchschnittsverdiener mit einem zu versteuernden Einkommen von 36 000 DM zahlt nach der Splittingtabelle 1990 4 994 DM — oder 13,9 %. Beim Millionär sind nach der Splittingtabelle 1990 484 300 DM — oder 48,4 % — an Einkommensteuer abzuführen. Wir leben natürlich jetzt und auch noch nach 1990 in einer progressiven Steuerwelt. Und wer in der oberen Proportionalzone stärker — proportional weniger — entlastet wird, zahlt aber, in absoluten Zahlen, immer noch sehr viel mehr Steuern,
damit wir die solidarischen Aufgaben dieser Gesellschaft überhaupt durchführen können.
Wir entlasten die Menschen durch unsere Steuer- und Abgabenpolitik, damit sie einen Teil ihrer Aufgaben wieder selber wahrnehmen können. Unsere Steuerpolitik, unsere Abgabenpolitik und unsere Familienpolitik ist es, die Menschen in die Lage zu versetzen, Solidarität und Subsidiarität wieder selber gestalten zu können und nicht den Staat zu überfordern, indem die Familien und der einzelne immer mehr zu Kostgängern des Staates und damit zu Unmündigen werden.
Wir wollen den selbständigen, Sie wollen den betreuten Menschen.
Das ist der große Unterschied. Nur, bei uns entfaltet sich damit Freiheit und über die Entfaltung der Freiheit wirtschaftliches Wachstum. Und mit diesem wirtschaftlichen Wachstum können wir auch helfen, den sozial Schwachen bei uns, denen in der Welt und denen in Deutschland, die unsere Hilfe jetzt und in der Zukunft benötigen.
Sie haben natürlich die Platte mit dem Weihnachtsfreibetrag wieder aufgelegt.
— Nein. Sie wissen ganz genau, daß damit eine erhebliche Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens verbunden ist. Sie wissen, daß durch diese Maßnahme 75 °A° der Arbeitnehmer künftig befreit sind, ihre Werbungskosten gesondert zu ermitteln und nachzuweisen, und Sie wissen auch, daß die meisten Arbeitnehmer im Weihnachtsmonat 1990 auch ohne Weihnachtsfreibetrag weniger Lohnsteuer als im Weihnachtsmonat 1989 zu zahlen haben.
Aber viel wichtiger ist, daß wir nicht nur Steuern kurzfristig senken, sondern durch eine nachhaltig geringere Lohn- und Einkommensteuerbelastung dasJahreseinkommen verbessern. Der arbeits- und mittelstandsfreundliche Lohn- und Einkommensteuertarif 90 entlastet die Steuerzahler nicht nur für ein Jahr, sondern dauerhaft in der Perspektive einer wachsenden Wirtschaft mit mehr Arbeitsplätzen und steigenden Löhnen und Gehältern. Eine Partei, die selber dazu beigetragen hat, den Eingangsteuersatz von 19 auf 22 % zu erhöhen,
hätte allen Grund, still zu sein und mit Neid auf uns zu sehen, wenn wir den Eingangsteuersatz von 22 wieder auf 19 % reduzieren.
Sie sind, Frau Kollegin Matthäus-Maier und die ganze SPD, steuerpolitisch national und international völlig isoliert; Ihnen stimmt niemand mehr zu, kein Sachverständiger, kein Wissenschaftler, kein Institut. Nicht einmal die internationalen Sozialisten wollen von Ihnen in der Steuerpolitik noch etwas hören.
Leider muß man auf das Thema noch einmal eingehen, daß die Nettokreditaufnahme in diesem und im nächsten Jahr noch zu hoch ist. Wir werden trotz der Steuerreform Geld aufnehmen müssen. Doch das unterscheidet schwarze Schulden von roten Schulden: Rote Schulden wurden mit ständigen Ausgabenzuwächsen gemacht,
6, 8, 10 und noch mehr Prozent. Schwarze Schulden haben eine andere Qualität: Sie sind erstens geringer, und zweitens hängen sie damit zusammen, daß wir die Bürger entlasten.
Insofern ist das eine völlig andere Dimension, führt zu einer anderen Wirtschaftspolitik und führt zu sprudelnden Steuereinnahmen, über die ich mich freue, die Sie mir etwas neiden, die uns aber allen zugute kommen.
Ausgerechnet die SPD muß uns vor einer zu hohen Zinsbelastung warnen. Ich verkenne nicht, daß das in der Tat mit Risiken für den Bundeshaushalt verbunden ist und uns diese Höhe auch nicht paßt. Nur sind in Ihrer Regierungszeit die Zinsausgaben durch Verschuldung von 1970 bis 1982 damals jahresdurchschnittlich von 1970 bis 1982 um 20 v. H. gestiegen.
Von 1983 bis 1990 sind die Zinsausgaben durch Verschuldung dagegen nur noch um jahresdurchschnittlich 3,3 v. H. angewachsen. Mein Vorredner Herr Kollege Borchert hat ja schon klargemacht, von welchem Sockel aus wir erst Konsolidierungspolitik betreiben
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Bundesminister Dr. Waigelmußten. Es ist schon ein Stück Unverfrorenheit, hier-herzukommen — —
— Nein, das trifft uns nicht, das trifft Sie. Das geht auf Sie zurück. Darum ist Ihr finanzpolitischer Beitrag auch unseriös, und auch Ihre Politik wird unseriös, Frau Matthäus-Maier, und das können Sie durch noch so langes Filibustern nicht wettmachen.
Unsere Finanzpolitik setzt klare Schwerpunkte und fördert dynamisches Wachstum und Beschäftigung. Gestern ist es schon vom Kollegen Bötsch gesagt worden: Zum achtenmal hintereinander wird der Deutsche Bundestag den Bundeshaushalt fristgerecht verabschieden. Auch das ist ein Markenzeichen solider Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung.
Auch ich habe — man kann das nicht oft genug hören, wenn es wahr ist — dem Haushaltsausschußvorsitzenden Rudi Walther und auch seinem Stellvertreter Dr. Klaus Rose zu danken. Es ist immer wieder eine schöne Zusammenarbeit. Ich komme auch deshalb gerne in den Haushaltsausschuß, weil ich die alten Kameraden dort gerne wiedersehe. Einige aus der früheren Garde sind ja zwischenzeitlich in die Kabinette aufgestiegen, und mit den meisten ist man per Du. Als ich einige neulich wieder in der Finanzministerrunde traf, sagte ich: Lauter Gauner! Das wurde von niemandem als Beleidigung aufgefaßt,
vielmehr waren nur andere Finanzminister, zum Teil Professoren, etwas distinguiert, daß sie mit diesem Ehrentitel nicht ausgestattet worden sind.
Es ist ein gewaltiges Pensum. Deshalb möchte ich noch einmal Rudi Walther und allen anderen auch für das Verständnis danken, das sie dem Finanzminister in seiner Zeitnot mitunter entgegengebracht haben. Ich darf mich auch bei den Kollegen der Opposition für dieses menschliche Verständnis sehr herzlich bedanken.Meine Damen und Herren, gerade in diesen Tagen wird deutlich, was die 1982 und 1983 eingeleitete Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft und was wachstumswirksame, auf die Zukunft gerichtete Finanz- und Steuerpolitik wirklich bedeuten. Unser Land, unsere Volkswirtschaft hat die Vitalität und Spannkraft der 50er und 60er Jahre wiedergewonnen. Wir haben damit zusammen mit den anderen westlichen Industriestaaten das Signal zum Aufbruch im Osten gegeben. Die Systeme der Zentralplanung, der Kommandowirtschaft und der politischen Unfreiheit haben den Wettlauf der Wirtschaftsordnungen endgültig verloren.Die politische Dimension unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik ist unübersehbar. Nicht sozialistische Planwirtschaft oder eine ihr verwandte Variante, sondern die klare Entscheidung für marktwirtschaftliche Grundsätze, für Wettbewerb, für Privatinitiative undLeistungsprinzip bringt den Menschen Freiheit und wirtschaftlichen Fortschritt.Es wäre deshalb in der gegenwärtigen Situation völlig widersinnig, auf mehr Staat, auf wieder steigende Steuern und Abgaben zu setzen, um die neuen Herausforderungen zu bewältigen.
Ich sage auch hier noch einmal: Was ökonomisch falsch ist, kann deutschlandpolitisch nicht richtig sein!
Wir werden nicht bereit sein, falsche sozialistische Finanz- und Steuerelemente auf dem Umweg über die Deutschlandpolitik in unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik einzuführen.
Nicht Ergänzungsabgaben, nicht Notopfer und nicht Verschiebung von Steuerentlastung ist das Rezept, sondern mit dieser Politik fortzufahren, damit unsere Volkswirtschaft stark ist, um damit die großen Herausforderungen außenpolitischer, europapolitischer und deutschlandpolitischer Art in den nächsten Monaten und Jahren auch wirklich bewältigen zu können.
Wir müssen unsere Wirtschaftskraft durch marktwirtschaftliche Reformen weiter stärken, um die wachsenden inneren und äußeren Verpflichtungen erfüllen zu können. Wir brauchen günstige Bedingungen für private Kapitalbildung, damit Investitionen und Arbeitsplätze bei uns und in anderen Ländern auch finanziert werden können. Wir brauchen weiter eine Ausgabendisziplin in den öffentlichen Haushalten, um Handlungsspielräume für nationale und internationale Aufgaben zu erweitern.Reformen schaffen Wachstum und Arbeitsplätze. Heute, meine Damen und Herren, ernten wir die Erfolge schwieriger und unpopulärer Reformen in einer Legislaturperiode.
Wenn man aneinanderreiht, was in einer Legislaturperiode, in dieser Legislaturperiode, bisher erfolgreich abgeschlossen wurde, dann war dies mehr als in jeder anderen Legislaturperiode der letzten 16 bis 20 Jahre: Steuerentlastung — netto über 40 Milliarden DM — , Postreform, Gesundheitsreform, Rentenreform, Reduktion der Agrarüberschüsse und vieles andere mehr. Das war schwierig und nicht immer von der Akzeptanz der Bevölkerung begleitet. Gerade in guten Zeiten ist es manchmal schwieriger, notwendige Reformen durchzusetzen, als in schwierigen Zeiten oder gar in Notzeiten.Wir haben in diesem Zusammenhang nicht an den nächsten Wahltag gedacht, sondern wir haben daran gedacht, was wir uns und unserem Volk für die nächste und übernächste Generation schuldig sind. Das unterscheidet uns von Ihnen.
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13624 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Bundesminister Dr. WaigelMeine Damen und Herren, da wird behauptet, das sei alles Zufall, oder wir hätten Glück. Es kann einmal ein Zufall sein, und wir können einmal Glück haben, aber doch nicht dauernd. Wenn die eine oder andere Zeitung schreibt: „Theo im Glück", weil die Steuereinnahmen ganz günstig sind, dann möchte ich dazu sagen: Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige, und wir sind halt tüchtig.
Dabei möchte ich allerdings der Redlichkeit halber auch zugeben: Vieles von dem, was wir ernten, ist
auch auf die Finanzpolitik von Gerhard Stoltenberg und seine harte Arbeit in den letzten Jahren zurückzuführen.
— Lieber Klaus, das muß ich auch dir bestätigen: Beim Fußball und im sonstigen Umgang bist du nobel. Aber deine Einlassung zu Salzgitter ist grauenhaft.
Aber darauf komme ich später noch zu sprechen. Ich kann dich da leider nicht schonen — Entschuldigung, ich glaube, man muß hier „Sie" sagen.
Noch eine Bemerkung zum „Lohnsteuerstaat" : Das Gegenteil ist richtig. Im nächsten Jahr geht die Lohnsteuerbelastung eines durchschnittlich verdienenden verheirateten Arbeitnehmers mit zwei Kindern mit 6,6 % fast wieder auf den Wert der 60er Jahre zurück. Zwischen 1970 und 1982 war sie demgegenüber von 6,0 auf 9,6 %, also um mehr als die Hälfte, angestiegen. Sie dürfen künftig also auch diesen Punkt aus ihren Standardreden streichen.
Die formelhaft wiederholten Unterstellungen der Frau Kollegin Matthäus-Maier und anderer SPD-Kollegen im Hinblick auf die Entwicklung der Nettokreditaufnahme sind völlig gegenstandslos. Durch die Mehreinnahmen aus dem Bundesbankgewinn wird der Schuldenzuwachs des Bundes in diesem Jahr weiter vermindert, voraussichtlich auf weniger als 17 Mil-harden DM, wenn ich den ganzen Bundesbankgewinn mit einkalkuliere. Das ist mit Abstand der niedrigste Schuldenzuwachs seit 1974. Das ist ein Konsolidierungsjahr, und auch das nächste Jahr ist trotz der Steuerentlastung wieder ein Konsolidierungsjahr in der Finanzpolitik.Aber ich kann Ihnen durchaus noch den Rat geben, Frau Kollegin Matthäus-Maier, sich einmal mit den Plänen des Bremer Sozialsenators Henning Scherf und mit seinem ökosozialen Gesamtkonzept, das immerhin fast 90 Milliarden DM kosten soll, auseinanderzusetzen. Dann müssen Sie uns aber eine neue Finanzierungsquelle für Ihr Ökosystem mitteilen.Die Kommunen haben heuer einen Finanzierungsüberschuß von 2 Milliarden DM. Trotz umfassender Steuerentlastungen in den Jahren 1986, 1988 und 1990 sind die Einnahmen der Länder und Gemeinden im Durchschnitt 1985 bis 1990 um jeweils rund 4 % gestiegen. Beim Bund waren es demgegenüber nur rund 3 %. Allein in diesem Jahr erzielen die Länder um 9 % und die Gemeinden um 7 % höhere Steuereinnahmen.Es wird Zeit, daß alle Landräte, alle Oberbürgermeister und alle Kämmerer einmal darauf hinweisen und das klarstellen, was sie vor zwei Jahren über die Zukunft der kommunalen Finanzen gesagt haben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, ihm kann ich nicht widerstehen.
Das verstehe ich. — Herr Minister Waigel, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Äußerung, alle Oberbürgermeister, alle Landräte oder alle Oberkreisdirektoren sollten dieser Aussage zustimmen, insofern verfehlt ist, als es noch Regionen, Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland gibt, die in der Tat keine zusätzlichen Steuereinnahmen für Investitionen haben, sondern wegen ihrer sozialen Situation erhebliche Probleme haben, ihren Haushalt auszugleichen, also mit anderen Worten, daß es in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor regionale Ungleichgewichte gibt? Zum Beispiel denke ich an den Landkreis Ostfriesland oder das Emsland im Vergleich zu Sindelfingen, um nur einmal drei Regionen zu nennen. Da weiß doch jeder, daß die Aussage, die Sie allgemein sicher zutreffend gemacht haben, dort nicht zutrifft. Sind Sie nicht meiner Meinung, daß wir dort Ausgleiche finden müssen?
Lieber Kollege Struck, natürlich haben wir unterschiedliche Finanzausstattungen und gibt es hier auch noch Gefälle. Das ist ganz klar. Aber das ist natürlich in erster Linie eine Aufgabe des kommunalen Finanzausgleichs der Länder, der jedenfalls in einigen Ländern ganz hervorragend funktioniert, vor allem dort, wo CDU und CSU regieren.
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege Struck: Es wäre noch besser gewesen, Sie hätten das, was Sie jetzt sagen, 1981 und 1982 dem damaligen Finanzminister gesagt. Damals hatten die Kommunen nämlich ein Finanzierungsdefizit von über 10 Milliarden DM. Das haben sie heute nicht mehr, sondern sie haben einen Finanzierungsüberschuß, so daß die Situation der Kommunen heute sehr viel besser ist, gut ist, wenngleich es regionale Ungleichgewichte gibt.
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Bundesminister Dr. WaigelIm Mittelpunkt wirtschafts- und finanzpolitischer Zukunftsaufgaben steht die Zusammenarbeit mit den reformbereiten Staaten des Ostblocks, vor allem mit der DDR. Ich betone: Es geht hier in erster Linie um Zusammenarbeit und nicht um Almosen oder Sozialhilfe. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Ideen und Perspektiven.Nun haben wir in den letzten Tagen und Wochen eine, wie ich meine, ziemlich überflüssige Diskussion darüber gehabt, ob das nun Bedingungen oder Auflagen oder Voraussetzungen sind. Der Kollege Vogel lehnt „Bedingungen" ab, hält aber „Voraussetzungen" für unabdingbar.
Die Kollegin Matthäus-Maier wendet sich ebenfalls gegen Vorbedingungen, stellt aber dann einen Katalog darüber auf, was die DDR tun muß. Dann folgt die lehrbuchartige Umschreibung des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft — natürlich von uns abgeschrieben; aber immerhin!
— Auch wenn etwas richtig abgeschrieben ist, wird es von uns gewürdigt. Da kennen wir nichts.
Im Redetext des Kollegen Roth heißt es, daß nur dann ein breiter Kapitalstrom in die DDR mobilisiert werden kann — was für kapitalistische Ausdrücke! —,
wenn es zu grundlegenden Wirtschaftsreformen kommt.
— Natürlich! — Und dies pflegt man in der traditionellen Logik als „Bedingungen" zu bezeichnen — womit es wohl besser ist, die unfruchtbare Diskussion über Auflagen, Bedingungen und Voraussetzungen zu beenden.
— Bei den öffentlichen Mitteln haben wir doch die Dinge nie aufgehört, sondern im Gegenteil forciert fortgesetzt und sind wir auch im Augenblick dabei. Die Unterstellung geht doch völlig an den Dingen vorbei. Aber man muß sich mal anhören, was die Menschen in der DDR, was die DDR-Wirtschaftswissenschaftler dazu sagen. Die sind im Knüpfen ihrer Bedingungen wesentlich strenger, als dies bei uns in der öffentlichen Diskussion im Augenblick geschieht.
Die Nationalökonomen, der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsminister und alle im Ostgeschäft erfahrenen Manager, der Wirtschaftsminister und auch ich stellen keine Bedingungen auf. Aber wir zeigen, auf welcher politischen und wirtschaftlichen Grundlage eine Sanierung der DDR-Wirtschaft und damit ein schrittweiser Abbau des Wohlstandsgefälles zwischen Ost und West
erfolgversprechend und sinnvoll sind.
Lassen Sie mich dazu einiges ausführen. Im politischen Bereich — darüber, glaube ich, sind wir uns alle einig — muß der Weg zu freien Wahlen, zu unabhängigen Parteien, zu freien Gewerkschaften und zur Meinungsfreiheit geebnet sein.
Ökonomische Reformen müssen vor allem die Abkehr vom System der zentralen Planung und Lenkung sicherstellen und die politische Einmischung in die Wirtschaft beenden. Privates Eigentum an den Produktionsmitteln muß schrittweise zugelassen werden. Und eine zunehmende Integration in die Weltwirtschaft ist schließlich nur dann möglich, wenn verzerrte Preisstrukturen durch Subventionsabbau beseitigt werden und wenn auf dieser Grundlage ein neues Geld- und Währungssystem errichtet wird.Wir wollen niemandem unsere Wirtschaftsordnung aufzwingen. Wir haben das in der Vergangenheit nicht getan, und wir tun es jetzt nicht. Aber unsere Unterstützung muß auf fruchtbaren Boden fallen. Sehr viele Bürger aus der DDR schreiben uns: Bitte keine Mark in ein marodes System, bitte keine Mark in ein verfehltes System!
Wir können nicht verantworten, Steuergelder auszugeben, ohne zu wissen, ob damit den Menschen in der DDR wirklich geholfen wird.
Das sind wir den Bürgern unseres Landes und den Bürgern der DDR schuldig.Nahezu alle Politiker der Reformbewegung in der DDR, die Leiter der Kombinate und Wirtschaftswissenschaftler der DDR wie die Professoren Faude, Nitz, Kuczinski oder Morgenstern sind sich einig: Ohne grundlegende Reformen im ordnungspolitischen Bereich, ohne unumkehrbare Schritte in Richtung Dezentralisierung der Entscheidungen, Marktwirtschaft, Privateigentum und Eigenverantwortung der Betriebe wird es nicht gelingen, das Wohlstandsgefälle der DDR abzubauen.
Der SPD-Vorsitzende Vogel erhebt den Vorwurf, Unionspolitiker würden den real existierenden Sozialismus — Helmut Schmidt sprach vom real vegetierenden Sozialismus; wen er damit wohl gemeint hat? —
mit der Programmatik der Sozialdemokraten in Verbindung bringen. Das tun wir nicht. Das tun vielmehr Vordenker der SPD wie Herr von Oertzen, der sich — man muß das immer wieder nachlesen — im Zusammenhang mit den Reformen im Osten Sorgen macht, es könnten im Hinblick auf verstaatlichte Produktionsmittel und zentrale Planung „sozialistische Errun-
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Bundesminister Dr. Waigelgenschaften" in der Gesellschaft aufgegeben werden.
Ist es das, was die SPD unter „Fortschritt 2000" versteht? Sie müssen achtgeben; sonst sind plötzlich die Reformkräfte in der DDR näher bei der Sozialen Marktwirtschaft als Sie. Das kann durchaus passieren.
— Das habe ich ja auch akzeptiert. Das war aber doch nur in einer Verlautbarung. Bringen Sie das in Ihr neues Programm hinein; dann bekommen Sie von mir nochmals ein Lob. Aber das müssen Sie zunächst durchsetzen.
Ziel von Hilfen ist es, die freiheitliche Bewegung im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich im anderen Teil unseres Vaterlands zu fördern. Der entscheidende Grund für das Wirtschaftsgefälle zwischen der DDR und der Bundesrepublik liegt im wachsenden Produktivitätsrückstand des planwirtschaftlichen Systems. Deshalb wäre es falsch, vorrangig auf staatliche Hilfen zu setzen. Was in der DDR, was in Polen und Ungarn fehlt, sind moderne Produktionsanlagen und Know-how. Beides ist zu haben, wenn dort die notwendigen Entscheidungen für den Zufluß von anlagebereitem Investitionskapital getroffen werden. Vordringlich sind vor allem Investitionsschutzabkommen, Freiräume für Privatinvestitionen und realistische Preise.Die westdeutschen Unternehmen sind sich ihrer Verantwortung bewußt und haben das auch zum Ausdruck gebracht. Sie sind allerdings nicht bereit, in das abgewirtschaftete System der sozialistischen Planwirtschaft oder in eine neue Spielart derselben zu investieren.Es geht im Interesse beider Seiten um tragfähige und wirksame ökonomische und finanzpolitische Entscheidungen und nicht um fantastische Ideen und Vorschläge. Vorschläge über dreistellige Milliardenbeträge an öffentlicher Hilfe sind reine Illusion.
Auch der Vorschlag von Frau Kollegin Matthäus-Maier und anderen, die Bundesbank zugunsten der DDR-Mark intervenieren zu lassen, hat mit den Realitäten und mit den Aufgaben der Bundesbank nichts zu tun.
Sie wissen, Frau Kollegin: Die DDR-Mark ist eine rein interne, nicht konvertierbare Währung und deshalb als gleichberechtigter Partner an den internationalen Devisenmärkten in keiner Weise geeignet. Darüber hinaus würde das — jedenfalls von einigen; nicht von Ihnen — in die Diskussion gebrachte Austauschverhältnis von 1 : 1 einer völlig unrealistischen Vorstellung über den tatsächlichen Wert der DDR-WährungVorschub leisten und der Spekulation Tür und Tor öffnen.Ich möchte bei dieser Gelegenheit dem Kollegen Vogel ausdrücklich dafür danken, daß er sich gegen den primitiven Neidhammel-Sozialismus von Herrn Lafontaine gewandt hat. Ich möchte ihm dafür ausdrücklich danken.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Bitte schön.
Bitte schön, Frau Matthäus-Maier.
Herr Bundesfinanzminister, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir nicht etwa einen Wechselkurs von 1: 1 vorgeschlagen haben, sondern daß meine Worte waren: zu einem realistischen Wechselkurs, und würden Sie darüber hinaus bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich vorgeschlagen habe, auszuloten, welche Möglichkeiten es gibt, auch währungspolitisch enger zusammenzuarbeiten, natürlich verbunden mit klaren Abmachungen mit der DDR, daß sie z. B. kein Geld nachdrucken lassen darf und daß sie eine stabilitätsorientierte Geldpolitik betreiben muß? Würde ein solches Ausloten einer derartigen Zusammenarbeit nicht gerade zu den zehn Punkten des Bundeskanzlers, die er gestern vorgetragen hat, passen?
Frau Kollegin Matthäus-Maier, das hat doch erst dann einen Sinn, wenn dort ein entscheidendes Anpassungsprogramm aufgelegt worden ist, wenn das ganze Geld-, Kredit- und Währungssystem geändert worden ist, wenn die Banken selbständig sind, wenn es dort Konkurrenzsituationen gibt, wenn Stabilität im Haushaltsgebaren eingekehrt ist und wenn dort nicht ohne weiteres die Notenpresse in Betrieb genommen werden kann. Auch dann wird es natürlich Jahre dauern, bis eine vollständige Konvertierbarkeit hergestellt werden kann,
wie das ja auch unser eigenes Beispiel gezeigt hat. So etwas kann doch erst am Ende eines solchen wirtschafts- und finanzpolitischen Anpassungsprogramms stehen, aber das geht doch nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Sie erwecken damit doch Hoffnungen und Erwartungen, die die Deutsche Bundesbank, die dafür allein zuständig ist, überhaupt nicht erfüllen kann.
Meine Damen und Herren, unsere Hilfsbereitschaft gegenüber den Menschen in der DDR wird von der überwiegenden Mehrheit der Bürger in der Bundesrepublik unterstützt. Wir brauchen uns diese Zustimmung nicht durch populistische Maßnahmen etwa in Form des von der SPD vorgeschlagenen Weihnachtsgeldes in Höhe von 100 DM zu erkaufen. Meine Da-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13627
Bundesminister Dr. Waigelmen und Herren, was wären wir für eine traurige Gesellschaft, wenn man jedem 100 DM geben müßte, um 100 DM gegenüber denen, die es wirklich brauchen, auch rechtfertigen zu können!
Wir sind dabei, als Ersatz für das bisher gezahlte Begrüßungsgeld eine neue finanz- und geldpolitisch verantwortbare Regelung zu finden, die es den Einwohnern der DDR erlaubt, eigenes Einkommen und eigene Ersparnisse in begrenztem Umfang in Devisen umzutauschen.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wieczorek?
Bitte schön.
Herr Minister, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Vorschlag betreffend die 100 DM kein Vorschlag der SPD ist, sondern ein Vorschlag von zwei Abgeordneten, der von der SPD-Fraktion nicht ins Parlament eingebracht wurde?
Danke schön. Ich nehme das gern zur Kenntnis. Sagen Sie dann den Herrschaften selber, daß sie einen völlig verfehlten Vorschlag in die Diskussion gebracht haben! Wenn Sie das dann auch noch dem Herrn Lafontaine in der gehörigen Form sagen würden, wären wir Ihnen nicht undankbar.
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Finanzausstattung Berlins und auch zu dem, was Finanzsenator Meisner gestern hier gesagt hat. Was die zusätzlichen Belastungen Berlins aus dem Zustrom von Aus- und Übersiedlern und aus der Öffnung der Grenzen betrifft, so muß die bisherige und die weitere Entwicklung im Hinblick auf die Finanzkraft der Stadt berechnet werden. Nicht nur die Stadt Berlin, sondern die ganze Bundesrepublik hat zusätzliche Belastungen zu verkraften. Wir werden gegebenenfalls die notwendigen Schlußfolgerungen ziehen. Nur, der „Momperismus" — das ist der neue Umgang, der hier gepflegt wird —
führt, wie es der Senator gestern durch einen Sprechfehler ausgeführt hat, zu „Ausnahmeeinfällen", mit denen Einnahmeausfälle nicht zu beheben sind.
Es ist schon etwas merkwürdig, daß ich den letzten Brief des Finanzsenators am 16. 10. erhalten habe und alles Weitere über die Presse erfahre: einmal 230 Millionen DM, dann 500 Millionen DM, dann 750 Millionen DM, und das alles immer von Schlagzeilen und möglichst vielen Scheinwerfern begleitet. Ich meine, das ist nicht der richtige Umgang. Ich führe mit jedemFinanzminister eines Landes und mit jedem Senator, wenn er es wünscht, selbstverständlich ein notwendiges Gespräch. Aber es gibt z. B. aus dem Bereich der A-Länder nicht nur Anforderungen von Berlin, sondern auch von anderen Ländern. Ich meine, wir müssen uns hier auch wieder eines anderen Tons im Umgang miteinander bedienen.
Momperismus — das ist der plumpe Umgang,
der sich hier eingebürgert hat — dient weder der Stadt noch dem Anliegen.
Übrigens ist Berlin bei den Bundeshilfen seit jeher gut bedacht worden.
Die Bundeshilfe ist in der Vergangenheit stets stärker gestiegen als der Bundeshaushalt. In den Jahren seit 1983 betrug der durchschnittliche Anstieg der Bundeshilfe z. B. 3 %, während der Bundeshaushalt im gleichen Zeitraum im Durchschnitt nur um 2,5 % wuchs. Damit kann Berlin mit Hilfe des Bundeszuschusses seine Ausgaben um 3,3 v. H. steigern. Der Ausgabenzuwachs Berlins liegt also, wie meist in den Vorjahren, über der 3-vom-Hundert-Linie des Finanzplanungsrats.Hier muß natürlich auch Berlin selbst die eine oder andere Priorität überdenken und neu setzen. Vielleicht kann man ja nicht mehr alles finanzieren und bezahlen, was man sich in der Euphorie von Rot-Grün vor einigen Monaten vorgestellt hat.
Meine Damen und Herren, unter den Ostblockstaaten ist vor allem Ungarn in beispielhafter Weise auf dem Weg zur Demokratisierung und zu wirtschaftlichen Reformen vorangegangen. Wir haben nicht vergessen, daß Ungarn das erste Loch in den Eisernen Vorhang geschnitten hat und hervorragende Kooperationsbereitschaft bei der Bewältigung der ersten Ausreisewelle über Österreich unter Beweis gestellt hat.
Ungarn hat diesen Akt nie mit anderen Forderungen verbunden — damit wir hier keinen falschen Akzent hineinbringen! Aber angesichts dessen, was sich in Ungarn schon seit Monaten und Jahren vollzieht, haben wir es für richtig gehalten, einen weiteren Finanzkredit deutscher Banken an Ungarn in Höhe von 500 Millionen DM zu verbürgen. Zusammen mit den 500 Millionen DM, die der Freistaat Bayern und Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt haben, war dies eine wirksame und notwendige Hilfe, um dem
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13628 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Bundesminister Dr. WaigelLand bei dem schwierigen Weg in eine Prosperität und in eine gute politische Zukunft zu helfen.
Im Anschluß an die erfolgreiche Polenreise des Bundeskanzlers werden wir auch Polen bei der Bewältigung seiner schwerwiegenden wirtschaftlichen Probleme und beim Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen wirksam unterstützen. Zusammen mit der neuen, nicht mehr von den Kommunisten beherrschten polnischen Regierung wollen wir die Grundlagen für dauerhafte Aussöhnung und partnerschaftliche Beziehungen zu unserem östlichen Nachbarn schaffen.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich lasse mich von Ihnen, was Polen und die Unterstützung für Polen anbelangt, nicht kritisieren.
Wir bringen das in Ordnung, was Sie in den 70er Jahren mit dem Jumbo-Kredit in fahrlässigster Weise abgeschlossen haben.
Wir sind auch bereit, wieder Ausfuhrbürgschaften für projektgebundene Investitionen zu übernehmen.Meine Damen und Herren, der Bundesrepublik kommt bei der Hilfe für die reformwilligen Länder Osteuropas eine wichtige Rolle zu, aber wir können die Last nicht allein tragen. Gerade in der aktuellen Situation muß vielmehr die Europäische Gemeinschaft und müssen darüber hinaus alle westlichen Industriestaaten zusammenstehen.Wir wissen genau, meine Damen und Herren, wer unsere verläßlichen Partner und Freunde in dieser schwierigen, aber auch hoffnungsfrohen Zeit sind. Alle Spekulationen über eine mögliche Lockerung der Westbindung der Bundesrepublik Deutschland gehen an den Realitäten völlig vorbei. Es ist aber wenig hilfreich, wenn einige Staatsmänner in befreundeten Ländern jetzt eine völlig unbegründete Sorge vor einem Abdriften Deutschlands von der Gemeinschaft der westlichen Demokratien oder vor einer wirtschaftlichen und politischen Übermacht unseres Landes äußern, das vielleicht in einigen Jahren nicht mehr durch eine Grenze geteilt wird.
Gerade weil wir die Arbeit am europäischen Einigungswerk so ernst nehmen, lassen wir uns nicht unter Zeitdruck setzen. Wir sind bei allen Problemen, die vor uns stehen, der Harmonisierung, der Verwirklichung der ersten Stufe, immer mit an der Spitze der Integration und um Lösungen bemüht.Es geht jetzt um konkrete Fortschritte bei der Schaffung der Voraussetzungen für den Gemeinsamen Binnenmarkt und damit auch einer künftigen Wirtschafts- und Währungsunion. Wir müssen aber das, was der Sachverständigenrat, was die Bundesbank und andere zu den Problemen sagen, auch ernst nehmen und dies in die Diskussion in Europa mit einbringen.
Bis heute ist noch nicht abzusehen, wann alle EG-Mitgliedsländer dem Europäischen Währungssystem beigetreten sein werden. Und solange einzelne Mitgliedsländer noch über 10 % ihres Bruttosozialprodukts für die Finanzierung ihrer Haushaltslücken in Anspruch nehmen, kann auch niemand sagen, wie gemeinsame Stabilitätspolitik künftig verwirklicht und eine übermäßige Inanspruchnahme eines gemeinsamen Kapitalmarkts durch öffentliche Stellen ausgeschlossen werden soll. Schließlich sind die Fragen der völligen Unabhängigkeit und Stabilitätsverpflichtung einer europäischen Geld- und Währungspolitik auch nach der grundsätzlichen Zustimmung zum Delors-Plan in Europa noch keinesfalls ausdiskutiert.Die Harmonisierung im Bereich der indirekten Steuern als wohl wichtigste Voraussetzung für die Abschaffung der Grenzkontrollen ist leider kaum vorangekommen. Die Bundesrepublik ist bisher praktisch das einzige Mitgliedsland, das die Harmonisierungsvorschläge der EG-Kommission unterstützt hat.Wir sind grundsätzlich bereit — damit das Ganze überhaupt weitergeht — , auch eine Übergangsregelung mitzutragen, um die sich die französische Ratsherrschaft bemüht hat, solange sie nicht mehr Bürokratie und Wettbewerbsverzerrungen mit sich bringt. Aber wir erwarten zugleich, vor allem von den Partnern in der EG, mehr Kompromißbereitschaft.Wir sind vertragstreu und unterstützen einen einheitlichen Prozeß zur Integration. Zugleich fordern wir alle Partner zu einem fairen Wettbewerb bei der Konvergenz der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf.Meine Damen und Herren, in der ersten Lesung hat die Opposition noch den Vorwurf erhoben, die Bundesregierung setze in ihrem Haushalt keine Schwerpunkte und keine klaren Perspektiven für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben.
Sie müßten sich eigentlich schämen, daß Sie einen solchen Vorwurf
uns gegenüber überhaupt je erhoben haben.
Ich werde diesen Vorwurf gleich an Hand einiger Beispiele widerlegen. Aber ich warne vor einer vordergründigen Betrachtungsweise, die wirtschafts- und finanzpolitische Prioritäten immer nur an den Milliardenbeträgen der Haushaltsansätze ablesen will. Der entscheidende Schwerpunkt unserer Politik liegt in der Förderung volkswirtschaftlicher Dynamik und privater Investitionen durch Konsolidierung und Steuersenkungen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13629
Bundesminister Dr. WaigelWir haben im Wohnungsbaubereich das Notwendige schnell und rechtzeitig getan,
sowohl im Haushalt als auch hinsichtlich der Verbesserung der Rahmenbedingungen im steuerlichen Bereich.Bei den Verteidigungsausgaben werden wir so lange das Notwendige für die Sicherheit tun, wie dies erforderlich ist, um den Herausforderungen, um beim Prozeß des Rüstungsabbaus und der Verifizierung unserer Aufgabe gerecht zu werden. Es wäre unseriös, das aufzunehmen, was von den GRÜNEN und von der SPD hier gefordert wird.
Wir brauchen auch heute eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit. Nur eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit, die wir Anfang der 80er Jahre, nach der Regierungsneubildung, unter Beweis gestellt haben, hat zu den Erfolgen bei der Abrüstung und zu den politischen Prozessen in Osteuropa geführt.
Zu den wichtigsten finanzpolitischen Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit gehört die Privatisierung der Salzgitter AG. Der Kollege Weng ist darauf bereits ausführlich eingegangen. Wir werden auf diese Privatisierung nicht verzichten, nur weil die SPD plötzlich den Vorbildcharakter des Staatsunternehmens Salzgitter für die Reformkräfte in der DDR entdeckt. Man muß es sich auf der Zunge zergehen lassen, was das für eine ideologische Vorstellung ist, die hier aus den Reihen der SPD gekommen ist. Nachdem die Gewerkschaften mit ihrer Idee gemeinwirtschaftlicher Unternehmen fast in allen Bereichen Schiffbruch erlitten haben, unterstreicht jetzt der sonst von mir geschätzte Kollege Kühbacher plötzlich den Charme von Staatsunternehmen. Er wird damit allerdings kaum Zustimmung unter den Bürgern der DDR finden, die gerade wegen der unhaltbaren wirtschaftlichen und sozialen Zustände in einem staatsmonopolistischen System ihr Land zu Hunderttausenden verlassen haben.
Nach den Anhörungen im Haushaltsausschuß ist auch der Vorwurf der angeblichen Verschleuderung des Salzgitter Konzerns vom Tisch. Das angesehene Wirtschaftsprüfungsunternehmen Treuarbeit hat den Wert des Unternehmens nach allgemein anerkannten, betriebswirtschaftlichen Methoden ermittelt.
Auf meinen Vorschlag hin — er ist ja doch auf sehr beachtliche Resonanz gestoßen — soll der Erlös aus dem Verkauf der Salzgitter AG einer Umweltstiftung zufließen. Es geht vor allem um die Förderung umwelt- und gesundheitsfreundlicher Produktentwicklungen mit Schwerpunkt im mittelständischen Bereich. Mit den Mitteln aus der Privatisierung soll etwasDauerhaftes geschaffen werden, eine Institution, die in einem wichtigen Bereich hilft, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.Im Zusammenhang mit dem Thema Umweltschutz möchte ich noch kurz auf die gestrige Bemerkung des Kollegen Graf Lambsdorff über die Finanzierung der Naturschutzgesetznovelle eingehen. Es geht doch nicht darum, Graf Lambsdorff, ob wir diese Novelle wollen oder nicht, sondern es geht um die Frage der Finanzierung. Wir können nicht originäre Länderaufgaben finanzieren, und wir sollten nicht auf den Weg einer sehr umständlichen und sehr problematischen, auch verfassungsrechtlich problematischen Umwegfinanzierung kommen. Das wissen Sie sehr gut. Sie haben doch schlechte Erfahrungen mit solchen Konstruktionen gemacht. Denken Sie an den Jahrhundertvertrag für Kohle und ähnliches mehr. Lieber Herr Kollege Weng, sorgen Sie dafür, daß Ihr Parteivorsitzender hier auf einem sauberen ordnungspolitischen Pfad bleibt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf Lambsdorff?
Ja.
Graf Lambsdorff, bitte schön!
Herr Finanzminister, würden Sie mir zustimmen, daß die Sauberkeit dieses Pfades erheblich verbessert würde, wenn Sie endlich über die Hürde springen und der Naturschutznovelle zustimmen würden? Die soll ja auch für Sauberkeit sorgen.
Darf ich Ihnen darauf antworten, daß Sie schon intelligentere Zwischenfragen gestellt haben, Herr Kollege Graf Lambsdorff?
Sie geben mit Ihrer Frage zu, daß Ihnen die Finanzierung selber nicht gefällt. In der grundsätzlichen Unterstützung der Novelle sind wir nicht verschieden. Vielleicht könnten Sie einen Vorschlag machen, der ordnungspolitisch besser ist. Aber leider habe ich Sie schon bei der Kohleverstromung und dann später bei der Kohlehilfe dabei erwischt, daß Sie es dem Finanzminister mit zugeschoben haben. Das ist eigentlich für jemanden, der der Ordnungspolitik so verpflichtet ist wie Sie, ein merkwürdiger Vorgang.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Vielleicht sind Sie damit einverstanden, daß wir über das Thema Kohlefinanzierung — ob das in den Haushalt oder in den Kohlepfennig gehört, wozu wir uns alle früher einmal entschieden haben — später reden.Herr Finanzminister, Sie wissen doch — das darf ich noch einmal fsthalten — , daß ich sehr wohl der Meinung bin, daß es in der Tat eine originäre verfassungsrechtliche Zuständigkeit der Länder ist. Wir sehen
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13630 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Dr. Graf Lambsdorffaber auch, daß in der Bund-Länder-Runde eine andere Möglichkeit als die Gemeinschaftsfinanzierung nicht zustande kommt, was zu kritisieren ist. Das beiderseitige Nein blockiert uns gegenseitig, so daß darauf gar nichts kommt. Ist das wünschenswert?
Ich bin dafür, daß dies noch einmal in ein Gespräch mit den Ländern eingebracht wird, wobei eine Fülle von anderen Dingen auch besprochen werden muß. Wir sollten den Versuch machen, hier zu einer besseren Lösung zu kommen.
Herr Minister, der Abgeordnete Weng möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Bitte sehr.
Ja.
Herr Finanzminister, ich habe Ihre Aufforderung wohl vernommen. Würden Sie mir freundlicherweise sagen, wie so etwas in Ihrer Partei vor sich gehen würde?
Herr Minister, ich würde die Antwort abgeben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn bei uns der Finanzminister mit dem Parteivorsitzenden spricht, ist es eine ganz einfache Angelegenheit.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis, wenn ich einiges von dem überblättere, was ich eigentlich ausführen wollte.
— Auf diese Art und Weise komme ich auch zu Beifall bei der SPD.Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1990 und die Finanzpolitik der Bundesregierung insgesamt sind ein Programm für die Zukunft. Wir setzen klare haushaltspolitische Schwerpunkte und schaffen vor allem Raum für dynamisches Wachstum und zusätzliche Beschäftigung. Wir geben unserem Land und unserer Volkswirtschaft die Kraft und Dynamik, die sie brauchen, damit wir die vor uns liegenden historischen Aufgaben bewältigen können.Wir alle sind innerlich bewegt von der Wendung im Schicksal unserer Nation. Ergreifende Bilder von Freundschaft und Solidarität gehen um die Welt. Der friedliche Kampf der Menschen in der DDR um Freiheit und Selbstbestimmung macht uns stolz, Deutsche zu sein.
Das jetzt wieder mögliche Zusammentreffen von Deutschen aus Ost und West hat dem Bewußtsein einer gemeinsamen deutschen Nation neues Leben gegeben.Die Bundesrepublik hat seit 1949 einen wichtigen Beitrag zur Gemeinschaft der westlichen Demokratien geleistet. Wir haben über 40 Jahre an der Schnittstelle der Auseinandersetzung zwischen Demokratie und kommunistischer Gewaltherrschaft gestanden. Wir sind verläßliche Partner in der NATO. Durch die beispielhafte Verwirklichung Sozialer Marktwirtschaft haben wir zum Wachstum und zur Entwicklung der Weltwirtschaft und zur internationalen Solidarität beigetragen.Wir konnten beim Wiederaufbau unseres Landes und bei der Verteidigung von Freiheit und Demokratie immer auf unsere Freunde im Westen bauen. Dafür sind wir ihnen zu Dank verpflichtet.
Zugleich setzen wir, wenn es jetzt um Deutschland geht, auf ihre Unterstützung.In vielen Dokumenten, im Deutschland-Vertrag, im Harmel-Bericht und in der Erklärung zum NATO-Gipfel in Brüssel am 30. Mai, ist das klare Bekenntnis zur deutschen Einheit festgeschrieben.
Im Brüsseler Dokument steht:
Wir streben nach einem Zustand des Friedens in Europa, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.Diesen Satz haben alle Staats- und Regierungschefs der NATO unterschrieben.Der Bundeskanzler hat gestern eine Perspektive aufgezeigt, mit der wir stufenweise einer Einheit Deutschlands auf konföderativer Grundlage näherkommen können. Wir werden den Bundeskanzler bei politischen Initiativen in diese Richtung unterstützen.Die Frage von Ernst Moritz Arndt „Was ist des Deutschen Vaterland?" wird in der Präambel des Grundgesetzes beantwortet:Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.Die Christlich-Soziale Union und die Christlich-Demokratische Union haben immer an diesem Auftrag festgehalten, und wir brauchen unsere Haltung nicht zu ändern. Wir wollen die politische Einheit des deutschen Volkes auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts.Nur noch wenige zweifeln an der in Gang bekommen geschichtlichen Entwicklung. US-Präsident Bush, Henry Kissinger, Professor Geremek, Lech Walesa und gestern US-Senator Edward Kennedy — um nur einige Persönlichkeiten aus dem internationalen Bereich zu nennen —
haben sich für das Recht der Deutschen ausgesprochen, selbst über ihre staatliche Einheit zu entscheiden.Meine Damen und Herren, wohl noch nie sind Sätze für ihre Autoren zu einer so tragischen Wirklichkeit geworden wie das, was Karl Marx und Friedrich En-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13631
Bundesminister Dr. Waigelgels im Manifest der Kommunistischen Partei am Schluß schreiben. Es heißt dort:Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.Diese beiden letzten Sätze sind auf eine für die beiden Autoren tragische Art und Weise wahr geworden. Denn die von ihnen so beschriebenen Proletarier werfen ihre Ketten ab, und es sind kommunistische Ketten.Die Menschen in Leipzig und in Dresden haben gerufen: „Deutschland einig Vaterland", und das Lied der Deutschen in der Bundesrepublik mit Ausnahme der GRÜNEN beginnt mit „Einigkeit und Recht und Freiheit" . Weit auseinander sind wir nicht.
Die deutsche Frage steht wieder auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Mit Tatkraft, Entschlossenheit und ideenpolitischem Mut werden wir die Spaltung Deutschlands und die Spaltung Europas überwinden.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wieczorek.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa '89 — ein Kontinent ist in Bewegung geraten! Die friedliebenden Völker dieses zerschnittenen Erdteils, Millionen Menschen in Ost und West gehen aufeinander zu. Wer hätte vor wenigen Wochen geglaubt, daß auch an der Nahtstelle Europas, den beiden deutschen Staaten, die versteinerten Verhältnisse aufzuweichen beginnen. „Wir sind das Volk! Keine Gewalt! " Das ist die zentrale Losung der DDR-Bevölkerung für die Forderung nach Freiheit und Demokratie. Eine ungeheure Welle friedlichen Protestes zeigt jetzt schon ihre ersten, auch friedenspolitischen Erfolge. Polizei und Sicherheitskräfte beider deutschen Staaten reichen sich beim stückweisen Abbau der Mauer die Hände. Zwei deutsche Generale — einer von der Nationalen Volksarmee und einer von der Bundeswehr — sind Teilnehmer einer Fernsehdiskussion des Fernsehens West auf deutschem Boden Ost. Otto Graf Lambsdorff hat recht, wenn er laut dpa auf dem Forum der Metallindustriellen feststellt, auch in der Bundesrepublik sei nichts mehr so, wie es vorher war. Die gestrige Zehn-PunkteRede des Bundeskanzlers hat das auch ausgewiesen.Was für die Politik allgemein gilt, muß dann wohl auch für das zur Abstimmung vorliegende, in Zahlen ausgedrückte Programm dieser Regierung, den hier vorliegenden Entwurf des Bundeshaushaltes gelten.Der Bundespräsident hat gesagt: „Keiner von uns hat es immer schon gewußt." Und, meine Damen und Herren, keiner von uns hat bei der Einbringung dieses Haushalts am 4. September gewußt, welche umfassenden Veränderungen sich in der deutschen politischen Situation ergeben.Das vom Bundeskanzler verkündete Zehn-PunkteProgramm verändert nachhaltig die bis dahin geltende politische Planung, oder anders ausgedrückt, dieser Haushalt ist überholt, und wir fordern bereits jetzt einen Nachtragshaushalt.
Diese Forderung wird vom Bundesfinanzminister und auch von den Regierungsparteien abgelehnt. Ich frage mich, warum. Der Bundesfinanzminister möchte die Ausgaben noch zu beschließender deutschlandpolitischer Maßnahmen durch die Haushaltsinstrumente der überplanmäßigen Ausgaben und der außerplanmäßigen Ausgaben finanztechnisch behandeln.Ich möchte ganz deutlich feststellen, durch diese Vorgehensweise werden die genannten Haushaltsinstrumente mißbraucht. Die Instrumente sind in keinem Fall dazu gedacht, das Budgetrecht des Parlaments zu beschneiden. Wir sind der Auffassung, der gesamte Haushalt muß dahin überprüft werden, welche Auswirkungen die Reformprozesse in der DDR und darüber hinaus im Osten auf die in Zahlen dargestellten politischen Programme haben.Ich möchte dies an einigen Fragen verdeutlichen, beispielsweise: In welchem Umfang müssen durch die Teilung Deutschlands entstandene Lasten, die sogenannten Teilungs- oder Spaltungslasten, schrittweise der neuen Situation angepaßt werden? Muß die Verkehrsinfrastruktur mit den alten und neuen Grenzübergängen entsprechend erweitert werden? Müssen deshalb die Straßenbauprogramme des Bundes überarbeitet werden? Welche Auswirkung hat die Grenzöffnung zur DDR auf den geplanten Schienenverkehr? Müssen die vorliegenden Projekte für Umweltschutzmaßnahmen in der Bundesrepublik auf stärkere Einbindung und Unterstützung der DDR-Umweltschutzmaßnahmen überprüft werden? Ich erinnere daran, daß der Haushaltsausschuß im Juni dieses Jahres zur Förderung von Umweltschutzprojekten 300 Millionen DM freigegeben hat.
Aber muß diese Bundesregierung aus der veränderten Situation nicht weitaus stärkere Konsequenzen für den Umfang unserer Verteidigungsanstrengungen ziehen, als bisher in Ansätzen erkennbar?
Sind die verteidigungspolitischen Beschlüsse, die diesem überholten Haushalt zugrunde liegen, vor dem Hintergrund des von uns miterlebten Wandels nicht anachronistisch?
Der Verteidigungshaushalt steigt in diesem Jahr auf 54,2 Milliarden DM. Das allein schreckt uns nicht. Uns schreckt vielmehr die Verpflichtungsermächtigung von 14,5 Milliarden DM, mit der die Bundesregierung im nächsten Jahrzehnt Bestellungen für Waffen auslösen kann, die wir hoffentlich nicht mehr brauchen werden.
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13632 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Wieczorek
Hat sich die Rüstungsindustrie mit den vorgegebenen Realitäten überhaupt schon einmal beschäftigt, und muß sie sich damit nicht neu befassen?
Die zur Entscheidung anstehenden Maßnahmen zur Unterstützung der Reformentwicklungen in der DDR und im Ostblock sind von solcher politischen Bedeutung, daß sie vom gesamten Parlament gemeinsam getragen werden müssen.
Herr Abgeordneter Wieczorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Kollege Friedmann.
Herr Kollege Wieczorek, ist es richtig, daß Sie, wie die Presse berichtet hat, über die vorgesehenen 3,2 Milliarden DM hinaus beim Verteidigungshaushalt weitere 5 Milliarden DM kürzen wollten und daß Sie damit in Ihrer Fraktion nicht durchgekommen sind?
Meine Fraktion hat sich mit dieser Frage nicht beschäftigt.
Wie ist dann der Betrag weggefallen?
Meine Fraktion hat sich mit dieser Frage nicht beschäftigt. Wir haben geplant, eine Verpflichtungsermächtigung zu kürzen, und diesen Antrag haben wir nicht weiterverfolgt.
Darf ich daraus schließen, daß Sie den Vorschlag aus eigener Einsicht zurückgezogen haben?
Wir haben diesen Vorschlag zurückgezogen, weil er für uns im Augenblick nicht reif war.
Das heißt, Sie sagen selbst: Man kann nicht mehr kürzen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, bitte?
Ich würde nach dieser ordnenden Zwischenfrage gerne bei mir geordnet weitermachen.
Aber die Schlußfolgerung, die Herr Kollege Friedmann gezogen hat, ist nicht richtig.
Meine Damen und Herren, ich will mich gerne mit dem Zehn-Punkte-Programm des Bundeskanzlers von gestern beschäftigen. Mir schien, daß es auch hier Widersprüche in der CDU/CSU und FDP zu klären gilt.Unter Punkt 3 sagt der Bundeskanzler — ich zitiere — :Ich habe angeboten, unsere Hilfe und unsere Zusammenarbeit umfassend auszuweiten, wenn ein grundlegender Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems in der DDR verbindlich beschlossen und unumkehrbar in Gang gesetzt wird.Später wird zum gleichen Punkt ausgeführt: Das sind alles keine Vorbedingungen.Natürlich kann man das als eine Vorbedingung werten.
Wir müssen uns hüten, den Menschen in der DDR im Stil westlicher Missionare zu begegnen, und sei es auch noch so verklausuliert.
Mit welcher Aufmerksamkeit die Menschen in der DDR reagieren, konnte man aus den Stellungnahmen und Anmerkungen gestern aus der DDR erkennen. Ich denke besonders an die kritischen Äußerungen von Stefan Heym.Zwischen dem von mir bildlich ausgedrückten Glanzlack des westlichen Systems und den Rostlauben östlicher Diktatur müssen Freiräume für die eigenen politischen Entwicklungen sein.
Die Menschen in der DDR haben das Recht auf ihre eigenen Entwicklungen und auch auf ihre eigenen Fehlentwicklungen. Dieses Recht zu achten heißt, Gerechtigkeit zu üben: Gerechtigkeit schafft Frieden.Meine Damen und Herren, die Grenze zwischen Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit wird allerdings sehr schnell überschritten, dies insbesondere dann, wenn man sich in der Situation des Helfenden befindet. Zu helfen, ohne das Selbstwertgefühl des Hilfsbedürftigen zu verletzen, bedarf ausgeprägter Sensibilität und eines starken Charakters.
Leicht gleitet der Gebende in die Rolle des Richtenden. Um wieviel schwerer ist es da, eine gerechte Position gegenüber der DDR zu finden! Den Menschen zu helfen, ohne ein veraltetes Staatssystem zu restaurieren, ist eine Gratwanderung. Welche Maßstäbe gelten eigentlich für unser Handeln? Wie behandelt man einen Staat, dem man im Zustand scheinbarer Stabilität mit 300 Millionen DM unter die Arme gegriffen hat, im Zustand des Aufbruchs Hilfen jedoch nur nach Erfüllung ordnungspolitischer Bedingungen gewähren will?
Schafft diese Art von Gerechtigkeit Frieden?Eine weitere naheliegende Frage: Haben wir das Recht, so vorzugehen? Ist bei uns jeder Lebensbereich gerecht geregelt? Sollten wir nicht bedenken, daß auch unser System der Sozialen Marktwirtschaft zu Ungerechtigkeiten führt? Zwischen dem Element der freien Marktwirtschaft und dem Element des sozialen Schutzes besteht ein sehr labiles Spannungsverhält-
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nis. Es gelingt nicht immer, diese beiden Elemente ausgewogen zueinander zu halten.Zur Selbstgerechtigkeit, meine Damen und Herren, ist kein Anlaß, wenn man die Wohnungsbaupolitik von der Wende bis heute betrachtet. Seit 1983 hat diese Bundesregierung die Förderung des sozialen Wohnungsbaus abgebaut. Zitat aus dem Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992:Im Wohnungsbereich ist das Ziel einer ausreichenden Versorgung breiterer Bevölkerungsschichten mit angemessenem Wohnraum ereicht. Die staatliche Förderung kann zurückgeführt werden.Hier wurde das Regulativ des Marktes überbetont. Folge: Es fehlen weit mehr als eine halbe Million Wohnungen. Wir haben eine neue Wohnungsnot.
Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist durch die nicht vorhergesehenen Aussiedler und Übersiedler verschärft worden. Das Grundproblem ist jedoch durch die falschen Entscheidungen der Regierung verursacht worden.
Dadurch ist für viele Menschen ein vergiftetes Klima des Miteinanderlebens entstanden. Die in der Bundesrepublik aufgewachsenen Mitbürger fühlen sich mit den Übersiedlern, Aussiedlern und Asylanten in einer immer schärferen Wettbewerbsposition um Wohnungen. Da werden Ängste und Aggressionen frei, da entstehen gesellschaftliche Schäden, die sich in Staatsverdrossenheit mit Hinwendung zu extremen politischen Heilslehren ausdrücken.Die Bundesregierung versucht nun, mit dem von ihr beschlossenen Programm ihre Fehler zu berichtigen. Allerdings ist unser Ausgleichssystem so sensibel, daß dadurch auch weitere Ungerechtigkeiten entstehen können.Meine Damen und Herren, zur Selbstgerechtigkeit haben wir auch dann keinen Anlaß, wenn wir die rund 3,5 Millionen Arbeitslosen sehen, obwohl jeder erwerbstätig sein möchte.
Jeder dritte Arbeitslose ist länger als ein Jahr ohne Beschäftigung. — Ich rede nicht von Ihren geschönten Statistikzahlen, sondern ich rede von den echten Zahlen, die draußen zu finden sind.
Bei aller Gesundbeterei, meine Damen und Herren, es hat keinen Zweck. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Zahl der Langzeitarbeitslosen, um die es im wesentlichen geht, von 1980 bis heute um das Fünffache gestiegen ist
und daß nur noch 39 % der Arbeitslosen Arbeitslosenunterstützung erhalten.
Meine Damen und Herren, es gibt ein Mikrofon. Bitte treten Sie ans Mikrofon zu einer Frage.
Herr Präsident, ich kenne doch das Geifern meiner Kollegen hier vor mir, wenn ich rede.
— Wir arbeiten gut zusammen, aber mit Ihnen könnte ich nie gut zusammenarbeiten, denn Sie haben Schaum vor dem Mund, Herr Kollege.
Sie sind nämlich einer von denen, die ich mit der Selbstgerechtigkeitsattitüde ansprechen muß.
Ihre selbstgerechte Haltung sollten Sie angesichts der Zahlen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ablegen. Der sagt Ihnen nämlich, daß 6 Millionen Menschen in der Bundesrepublik heute noch arm sind und in Armut leben. Das sind rund ein Zehntel der Bundesbürger, darunter Rentner, alleinerziehende Frauen und kinderreiche Familien.
Hohe Mieten und Schulden lassen sogar Mittelschichten verkommen.Ich muß Ihnen auch noch das Ergebnis einer Untersuchung der Deutschen Bundesbank vortragen, um Ihre Selbstgerechtigkeit wenigstens etwas zu erschüttern. Die Deutsche Bundesbank hat 20 000 Unternehmensjahresabschlüsse ausgewertet. Die Jahresüberschüsse lagen vor Abzug der Steuern um 17 % über dem Ergebnis von 1987. Die Lohnquote ist 1989 auf einem absoluten Tiefststand angelangt. Ich bin auf die Auseinandersetzungen zwischen den Tarifparteien sehr gespannt.Zur Selbstgerechtigkeit, meine Damen und Herren, haben Sie auch keinen Anlaß, wenn die von uns tagtäglich vorgenommene Zerstörung der Umwelt richtig gewertet wird. Wir leben noch immer in dem völlig falschen Bewußtsein, als ob Wasser und Luft nichts kosteten, also ob das freie Güter wären. Das sind sie aber nicht. Wir wissen, daß unser Wirtschaftswachstum einen gewaltigen Verzehr von Umwelt zur Folge hat. Nach konservativen Schätzungen betragen die Kosten der Beseitigung von Umweltschäden zwischen 80 und 150 Milliarden DM pro Jahr. Nach all dem wird deutlich, daß die herkömmliche Unterscheidung zwischen knappen und freien Gütern überholt ist. Der
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13634 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
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Verzehr von Umwelt muß bezahlt werden. Darüber hinaus wird aber auch deutlich, daß die alleinige Betrachtung des quantitativen Wirtschaftswachstums den Blick für die gesamtwirtschaftlichen Probleme verstellt. Es wird weiterhin ganz klar, daß wir einen Problemberg aufgehäuft haben, der nur durch einschneidende Reformvorhaben abgetragen werden kann.
Diese Beispiele können die Überlegenheit unseres Staats- und unseres Wirtschaftssystems nicht herabwürdigen. Sie sollten nur vor Selbstgerechtigkeit warnen.
Es gibt darüber hinaus noch einige Gründe dafür, daß wir den Haushaltsentwurf 1990 ablehnen müssen. Denn in diesem Haushalt werden im Gegensatz zur Rede des Bundesfinanzministers die sozialen Verzerrungen weiter zementiert. Es werden keine Maßnahmen gegen die lebensbedrohende Umweltzerstörung ergriffen. Die soziale Situation wird sich dramatisch verschärfen. Denn bis zum Jahresende werden insgesamt 400 000 Aussiedler, 300 000 Übersiedler und zusätzlich 110 000 Asylsuchende erwartet. Wir sind darauf nicht vorbereitet. Immer dort, wo diese Menschen auf einen Mangel oder eine Konkurrenzsituation treffen, werden sie in einem spannungsgeladenen Umfeld sein. Sie werden nach den Beobachtungen der Wohlfahrtsverbände mit zu Schuldigen gestempelt. Im Umweltbereich — ich darf darauf zurückkommen — werden die Probleme immer größer.Willy Brandt hat gesagt: Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen kämpfen.
Dieser Satz gilt heute genauso wie damals. Reformieren heißt aber nicht, an Symptomen laborieren, sondern: die Probleme an der Wurzel packen. Die Wurzel ist hier unsere Lebens- und Wirtschaftsordnung. Diese müssen wir ökologisch verträglich gestalten. Der Umfang dieser Aufgabe wird einem eher bewußt, wenn man bedenkt, daß es 70 bis 80 Jahre gedauert hat, unsere Verfassungs-, Lebens- und Wirtschaftsordnung sozial verträglich auszustatten.
Wir Sozialdemokraten kämpfen seit Jahren um die Aufnahme der Ökologieverträglichkeit als Staatsziel in die Verfassung. Auch hier wollen Sie abmildern, indem Sie die Staatszielbestimmung unter den Gesetzesvorbehalt stellen wollen. Aber auch wenn es uns gelungen sein wird, die Ökologieverträglichkeit in die Verfassung aufzunehmen, werden wir viele uns vertraute Begriffe und Instrumentarien überarbeiten müssen. Wir werden Begriffe wie Wohlfahrt neu definieren müssen. Unter Wohlfahrt kann nicht die Ausstattung mit Sachgütern verstanden werden. Wir müssen auch die Ausstattung mit Umweltgütern wie frischer Luft, gesunden Bäumen oder gesundem Wasser in die Begriffsdefinition aufnehmen.
Wir werden in den Zielkatalog für die Finanzwirtschaft den Begriff der Ökologieverträglichkeit in der gleichen Gewichtung wie den Begriff der Verteilungsgerechtigkeit aufnehmen müssen.Da der größte Verzehr der Umwelt durch die Energieumwandlung stattfindet, ist unser methodischer Ansatz die systematische Steigerung der Energieproduktivität. Wohlgemerkt: der Energieproduktivität. Verwechseln Sie das nicht mit Energieproduktion. Wir erhöhen den Preis für die Energieproduktion um den Verzehr der Umweltgüter. Durch dieses marktwirtschaftliche Signal erwarten wir eine Reduzierung des Primärenergieeinsatzes.
Unser Konzept ist nicht industriefeindlich, sondern mittel- und langfristig gesehen industriefreundlich. Es geht auch nicht um die Belastung der Industrie, sondern um eine ökologische Umstrukturierung.
Unser Konzept wird von den gesellschaftlichen Kräften in diesem Land heftig diskutiert. Und das ist gut so. Und darauf sind wir stolz.Wer natürlich nichts anbietet, wie die Regierung und die Koalitionsparteien, kann auch keine Diskussionen erzeugen.
Wenn wir nicht gemeinsam kurzfristig diese Probleme lösen und gerechte Lebensbedingungen für alle Menschen in unserem Land, gerechte Chancen der Menschen außerhalb unserer Grenzen und Gerechtigkeit gegenüber unserer Natur schaffen, werden wir keinen sozialen Frieden halten können. Denken Sie daran: Gerechtigkeit schafft Frieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister Theo Waigel hat soeben, wie ich finde, sich selbst und seine Politik glänzend präsentiert.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit und beim Einstieg in die Aussprache über seinen Haushalt erwähnen, daß er Chef der größten zivilen Bundesverwaltung ist. 42 000 Menschen sind ihm unterstellt, in der Steuer- und Finanzverwaltung, beim Zoll, in der Vermögensverwaltung, in der Schuldenverwaltung. Das sind alles Menschen von „einnehmendem Wesen", wie es so oft heißt. Aber ich glaube, das gilt im doppelten Wortsinne. Wir sollten diesen Bediensteten unseren Dank aussprechen; denn sie stehen zur Zeit in
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13635
Roth
einer Entwicklung, die ihnen insbesondere beim Zoll, große Veränderungen abverlangt.
Diese Verwaltung ist in Schuß, mit ihr können Sie Staat machen. Wir erwarten allerdings auch von Ihnen, daß Sie in der Entwicklung des nächsten Jahres Ihrer besonderen Fürsorgepflicht angesichts der Aufgaben gerecht werden, die jetzt mit den Veränderungen bei den europäischen Grenzen, mit dem Aufbruch in den innerdeutschen Beziehungen auf die Bediensteten zugekommen sind und zukommen. Sie mußten sich sehr mobil verhalten. Ihre Flexibilität war durch Abordnungen gefordert. Wenn man 60 neue Grenzübergänge allein im innerdeutschen Bereich und in Berlin kurzfristig besetzen muß, dann, glaube ich, ist es schon eine großartige Leistung, die hier erbracht worden ist. Wir erwarten, daß bei den Neueinstellungen beim Zollnachwuchs nun auch personalwirtschaftliche Entscheidungen, insbesondere beim mittleren Zolldienst, getroffen werden, die langfristig garantieren, daß es keine Brüche im organischen Aufbau dieser Personalkörper geben wird.Meine Damen und Herren, nun aber zur Ökonomie, zu den Kapiteln, die mit Steuern, mit Krediten, mit Zinsen, mit den großen Blöcken der Finanzwirtschaft zu tun haben: 1990 wird ein „Jahr der Verbraucher". Dies ist eine optimistische Formel. Sie hat überhaupt nichts mit einer Überbewertung von Verbrauch zu tun. Hier findet nicht „Konsumismus" statt, sondern hier wird für reelle Leistungen eine reale Kaufkraft geschaffen, bei stabilem Geld. Und dies ist unser politischer Auftrag.Hinter diesem Stichwort „Jahr des Verbrauchers" verbirgt sich der größte effektive Kaufkraftgewinn seit vielen Jahren: steigende Einkommen, sinkende Steuern, stabile Renditen aus Geld- und Vermögensersparnissen. Es werden 100 Milliarden DM sein, meine Damen und Herren, die im nächsten Jahr zusätzlich in die Kassen der privaten Haushalte fließen. Über 50 Milliarden DM davon resultieren aus steigenden Bruttolöhnen und -gehältern und aus den öffentlichen Pensionsleistungen. Ich darf die Zahl einmal nennen: Erstmals wird hier mit 1 040 Milliarden DM die Grenze von einer Billion DM pro Jahr deutlich überschritten. Daß es trotz dieses gewaltigen Zuwachses im Einkommen gleichwohl nicht zu einem Anstieg bei der Lohnsteuer kommt, ist Ergebnis unserer Steuerpolitik.
Die Lohnsteuer ist ja die mit Abstand stärkste Steuerquelle unseres Staates; sie wird im nächsten Jahr erstmals seit 1975 nicht steigen, sondern das Aufkommen wird um 2,7 % oder 5 Milliarden DM auf 177 Milliarden DM absinken.Ich denke, meine Damen und Herren — es hören auch viele zu Hause und unterwegs an den Empfangsgeräten zu —, die Menschen in der Bundesrepublik haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, warum die Opposition in diesem Hause Steuersenkungen, Lohnsteuerabsenkungen für Arbeitnehmer nach wie vor ablehnt, warum Sie sich gegen diese erfolgreiche Steuerreformpolitik zur Wehr gesetzt haben.
Ich darf einmal darauf hinweisen, daß die sogenannte Grenzbelastung, also die Steuern auf zusätzlich verdiente Einkommen, im nächsten Jahr um rund 10 % niedriger sein werden als seither. 25 Milliarden DM werden die Steuerzahler im nächsten Jahr weniger zahlen als nach den seitherigen Tarifen. Das ist die größte tarifliche Entlastung seit Bestehen der Bundesrepublik. In keinem Jahr seit 1959 hat es, gemessen am Bruttosozialprodukt, eine niedrigere volkswirtschaftliche Belastungsquote gegeben. Sie liegt im nächsten Jahr bei 22,5 %.
1 000 DM spart der Steuerbürger im nächsten Jahr als Normalverdiener. Ich darf die Opposition fragen: Was haben Sie dagegen?
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier? Sagen Sie bitte ja oder nein.
Lieber nicht.
— Verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, nach der ersten Lesung im September habe ich in einer großen deutschen Tageszeitung gelesen, Sie sollten es mit der Scheinheiligkeit nicht so übertreiben. Das stand in einem Kommentar.
Es müßte erst noch derjenige gefunden werden, der Ihnen eine solidere Finanzpolitik zutrauen würde, als sie die jetzt amtierende Koalition macht. Dem habe ich überhaupt nichts hinzuzufügen.
Nachdem zu Beginn des Jahrzehnts tiefer Pessimismus in diesem Land herrschte, bezeichnet der Sachverständigenrat jetzt die 80er Jahre als einen „außergewöhnlichen Abschnitt in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik" . Ich wäre dankbar, wenn Sie wenigstens einmal im Ansatz eingestehen würden, daß Ihre Ratschläge falsch waren, Ihre Prognosen verfehlt gewesen sind und daß Ihnen auch in der Steuerpolitik keine Alternative zu dieser Koalition eingefallen ist.
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Roth
Meine Damen und Herren, es ist mehrfach angeklungen: Der wirtschaftliche Aufschwung finanziert einen beträchtlicher Teil der Steuersenkungen, ohne die es einen solchen Wirtschaftsboom überhaupt nicht gegeben hätte. Wenn man in das Steuerkapitel hineinschaut, sieht man, daß es ein um 5,4 Milliarden DM höheres Aufkommen gibt, als noch vor Monaten geschätzt. Ich glaube, dies ist der beste Beweis dafür. Der Kreditbedarf verringert sich, er liegt um 10 Milliarden DM unter früheren Finanzplanprognosen, er liegt um fast 7 Milliarden DM unter dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung. Ich meine, hier hat die Koalition aus CDU/CSU und FDP in doppeltem Sinne so Wort gehalten, wie es der Kollege Borchert im September versprochen hat.
Wir haben alle steuerlichen Mehreinnahmen dazu verwandt, die Kreditaufnahme des Staates zurückzuführen, und wir haben außerdem bei Ausgabenumschichtungen von über 5 Milliarden DM, insgesamt 1,2 Milliarden DM eingespart.Ich darf doch hier einmal feststellen: Es hat nie eine so lange Periode einer so vollständigen Übereinstimmung zwischen dem Haushaltsgesetzgeber und dem Finanzplanungsrat in der Bundesrepublik gegeben.
Nebenbei bemerkt sind im Steuerkapitel 60 01 bereits 158 Millionen DM an Mindereinnahmen berücksichtigt, die aus der steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus, dem Abschluß- und Änderungsgesetz zur Steuerreform 1990 und aus der neuen steuerlichen Vereinsförderung resultieren; hier werden 200 000 Vereine, darunter allein 60 000 Sportvereine, im nächsten Jahr mit 39 Millionen DM von den neuen steuerlichen Förderungsmöglichkeiten profitieren.
Sie haben oft darüber geredet, aber diese Koalition hat in dieser wichtigen Frage auch endlich gehandelt.
Meine Damen und Herren, besorgniserregend hoch bleibt natürlich die Zinslast im Bundeshaushalt mit 33 Milliarden DM. Es ist dies der drittgrößte Einzelposten. In der Politik gilt leider nicht das Verursacherprinzip, denn hier büßen die Nachfolger, und die Urheber gefallen sich sogar darin, öffentlich Klagelieder anzustimmen.
Dennoch werden wir Ihnen die Auseinandersetzung zu diesem Punkt auf Dauer nicht ersparen.
Wir sind stolz darauf, daß wir in diesem Jahr mit 17 Milliarden DM Schuldenzuwachs die niedrigsteRate seit 1974 haben. Das sind 0,8 % des Bruttosozialprodukts.
— Sie haben doch hoffentlich nicht vergessen, Kollege Zander, daß es in den Zeiten Ihrer Regierung eine dreifach höhere Quote gewesen ist, die Sie damals für völlig normal gehalten haben.
Meine Damen und Herren, dies ist ja nur die eine Seite der Betrachtung. Wir dürfen nicht übersehen, daß seit 1983 das Instrument der Kreditaufnahme für den Bundeshaushalt weniger geworden ist als ein reines Nullsummenspiel. Der Finanzminister muß Jahr für Jahr weit mehr Geld in den Kapitalmarkt in Form von Zins und Tilgung hineingeben, als er aus dem Kapitalmarkt an Krediten aufnehmen kann. Die Kreditaufnahme ist früher gedanklich immer mit Zukunftsaufgaben in Verbindung gesetzt worden. Leider ist es das Ergebnis Ihrer verfehlten Finanzpolitik von 13 Jahren, daß heute Kreditaufnahme nur noch ein Stück Vergangenheitsbewältigung ist.
Genau an diesen Punkt werden wir Sie dauerhaft erinnern.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß auf die aktuelle Privatisierungspolitik der Koaliation und auf die ablehnenden Anträge der Oppositionsfraktionen in Sachen Salzgitter-Verkauf zu sprechen kommen. Der Salzgitter-Konzern hat jahrelang trotz seiner hervorragenden wirtschaftlichen Bedeutung zu den Sorgenkindern des Bundes gehört. Dieser Konzern hat seit 1960/61 dem Alleineigentümer Bund nicht eine einzige Mark an Dividenden abgeliefert. Ganz im Gegenteil, alleine in den Jahren nach dem Regierungswechsel 1982 mußten nicht weniger als 1,33 Milliarden DM Eigenmittel aus der Bundeskasse diesem Konzern zugeführt werden, um die Sanierung und Konsolidierung voranzutreib en. Salzgitter hat sich nun — und das ist die Bestätigung unseres Regierungskonzepts — stabilisiert und ist wieder in einen guten Zustand gekommen. Dies ist eine bemerkenswerte Leistung, wie ich meine, der beiden Finanzminister, die daran beteiligt waren, aber auch der Unternehmensleitung und der Belegschaft in diesem großen Konzern.
Und wenn es nun, Kollege Kühbacher, seit wenigen Jahren dort wieder Erträge gibt, dann meinen wir allerdings, daß es auch keinen günstigeren Zeitpunkt für die seit langem erwünschte Privatisierung gibt als jetzt. Wenn man das Unternehmen auf Dauer wetterfest machen und aus seiner Stahllastigkeit herausführen will, dann muß man allerdings auch den Weg bedenken, der dazu führt. Ich meine, eine Privatisierung über die Börse — wenn sie denn technisch jetzt überhaupt schon möglich gewesen wäre — hätte nicht das gebracht, was die nunmehr beschlossene Partner-
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Roth
schaft mit der Preussag AG ermöglicht, nämlich einen größeren Verbund, eine verbreiterte Produktpalette, Ausbau und Entwicklung eines finanzstarken wettbewerbsfähigen Niedersachsen-Konzerns mit einer Ausstrahlung auf die gesamte norddeutsche Wirtschaftsregion. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß dieser politisch durchdachte Weg gerade für die Mitarbeiter des Salzgitter- Konzerns eine wesentlich bessere Zukunft eröffnet als die frühere Abhängigkeit von Entwicklungen,
die man im Einzelfall natürlich nicht im Griff hatte.Ich möchte hier feststellen, daß gerade durch die Anhörung, die Sie ja selber beantragt hatten, nicht nur die Zweckmäßigkeit dieser Regierungskonzeption eindrucksvoll bestätigt worden ist, sondern daß Ihre Kritik, Ihre Schlußfolgerungen nach der Anhörung in sich zusammengefallen sind. Sie hatten samt und sonders keinerlei Substanz. Sie wissen das auch.
Sie müssen, meine Damen und Herren, auch selbst mit dem Widerspruch fertigwerden, einerseits den Verkauf des Konzerns wegen der temporären Krisenanfälligkeit beim Stahl rundweg abzulehnen und andererseits Phantasiepreise zu verlangen, wenn es um die Veräußerung geht, und einen Risikoabschlag — wie er nun einmal in der betriebswirtschaftlich korrekten Bewertung vorgenommen werden mußte — schlichtweg für unbegründet zu halten.
Meine Damen und Herren, wir stimmen der vereinbarten Lösung zu, weil wir — wie die Bundesregierung — die Preussag AG für einen besonders geeigneten Partner halten, weil wir die operativen Einheiten von Produktion und Verwaltung an ihren vor allem niedersächsischen Standorten verankert wissen wollen und weil wir durch diese Neustrukturierung eine nachhaltige Stärkung der gesamten Region erwarten.Wir begrüßen ausdrücklich die vertragliche Sicherstellung, daß der Gesellschafterwechsel vom Bund auf die Preussag keine Änderungen in der sozialen Verantwortung bei der Bewirtschaftung des konzerneigenen Wohnungsbestandes bringen wird. Diese Wohnungen stehen in einem gewachsenen Verbund mit dem Unternehmen. Wir wollen nicht, daß sie im Stil der Neuen Heimat ausgeschlachtet und auf den freien Markt geworfen werden.
Unsere Zustimmung schließt auch die gewählte Form der haushaltsmäßigen Veranschlagung ein, ebenso die Verwendung des Verkaufserlöses von rund 2,5 Milliarden DM als Stiftungskapital. Wir werden diese Beträge entsperren, wenn der Finanzminister dazu eine Vorlage präsentiert.Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat der Bundesregierung Zustimmung signalisiert. Aus ordnungspolitischen Gründen, aus Gründen der marktwirtschaftlichen Erneuerung wollen wir diese Privatisierungspolitik. Der Salzgitter-Verkauf ist einer der erfolgreichsten in den letzten Jahren. Er trägt die Handschrift des Bundesfinanzministers Theo Waigel. Dieser Minister hat unser Vertrauen, und ich glaube, die Bürger in unserem Land können diesem Minister ebenfalls vertrauen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzten Worte des Kollegen Roth schlossen an seine Eingangsbemerkungen an, in denen er den Finanzminister gelobt hat.
Nur, wenn ich in der Rolle des Finanzministers wäre, wäre ich sehr vorsichtig. Denn vor einem Jahr oder vor zwei Jahren sind die gleichen Lobreden auf den damaligen Bundesfinanzminister gehalten worden, und jetzt ist er weg. Hoffentlich ergeht es Ihnen nicht ebenfalls so, Herr Waigel. Passen Sie bei dem, der sie lobt, lieber auf.
Ich möchte etwas zu dem Thema Berlin und zu den Anträgen, die dazu vorliegen, sagen. Als erstes eine Bemerkung an Sie, Herr Kollege Waigel: Sie haben den Ausdruck „Momperismus" benutzt.
Gestern hat das schon der Kollege Austermann getan. Bei dem wundert es mich nicht, weil das dessen Sprache ist, eine unangemessene Sprache.
Sie, Herr Kollege Waigel, möchte ich dringend bitten: Nehmen Sie von solchen Ausdrücken Abstand; das gehört sich nicht gegenüber dem Regierenden Bürgermeister von Berlin.
Ich betone: Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß unabhängig davon, wer in Berlin regiert, der Bund Berlin helfen muß.
Sie tun dieser Stadt bitter Unrecht, wenn Sie versuchen, den Regierenden Bürgermeister mit einer solchen Wortwahl persönlich zu diskreditieren.
Herr Abgeordneter Struck, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
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13638 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Immer.
Herr Kollege Struck, würden Sie mir zustimmen, daß es vor einiger Zeit üblich war, bestimmte CDU-Kollegen als „Genscheristen" zu bezeichnen. War das nun unanständig, oder war das eine Aufwertung des Bundesaußenministers?
Herr Kollege Gattermann, so ernst kann Ihre Frage nicht gewesen sein; wahrscheinlich ist es als Lob gemeint gewesen. Ich muß in diesem Zusammenhang sagen: Was die Außenpolitik angeht, könnten wir uns in solchen Fällen eigentlich auch schon anschließen.
Was den „Momperismus" angeht, glaube ich, daß mir die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland, vor allen Dingen aber die Bürger in Berlin zustimmen werden, daß es in der Stadt Berlin in dieser Situation kaum einen besseren Bürgermeister geben kann.
Herr Waigel, Sie haben eine Bemerkung gemacht, die ich hier im Raum nicht stehenlassen kann. Sie haben gesagt, der Finanzsenator Berlins habe Ihnen am 16. Oktober einen Brief geschrieben und seitdem sei nichts mehr passiert, Sie hätten das alles nur über die Presse erfahren.
— Vom Finanzsenator, ja! Ich habe diesen Brief des Finanzsenators vom 16. Oktober, an Sie gerichtet, hier in der Hand. Ich finde, es gehört zur Redlichkeit in der politischen Auseinandersetzung, daß Sie darauf hinweisen, daß Sie der Finanzsenator am Ende dieses Briefes — ich habe diese Passage hier — um eine Gesprächsgelegenheit gebeten hat — am 16. Oktober— und daß dieses Gespräch erst am 27. November stattgefunden hat. Dann ist das also Ihnen zuzurechnen und nicht dem Finanzsenator Berlins. Das hätten Sie hier sagen müssen.
Auch so kann man natürlich politische Gegner diskreditieren.
Das finde ich nicht in Ordnung, Herr Waigel. Das sollten Sie vielleicht hier klarstellen.
— Eigentlich haben Sie es nicht nötig. Diesem Zwischenruf stimme ich zu.Nun zu den Anträgen, die wir heute zum Berlin-Haushalt im Einzelplan 60 vorliegen haben. Die SPD-Bundestagsfraktion hat beantragt — zuletzt im Haushaltsausschuß — , den entsprechenden Ansatz um 372 Millionen DM zu erhöhen. Dieser Antrag beruhte auf Berechnungen, die der Berliner Senat angestellt hat und die wir nachvollzogen und deshalb in unseren Anträgen im Haushaltsausschuß übernommen haben. Es ist zweifellos eine neue Situation entstanden, wie sie fast täglich neu in dieser Stadt entsteht. Wir haben uns — auch durch den Beitrag des Finanzsenators in der gestrigen Debatte — überzeugen lassen, daß dieser Betrag von 372 Millionen DM kein realistischer Betrag mehr ist, sondern daß dieser Betrag sicher weit höher sein muß. Wir wissen auch, daß am Freitag ein Gespräch zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat stattfinden wird. Wir wollen deshalb nicht heute mit einem Antrag dieses Gespräch in irgendeiner Weise präjudizieren. Wir hoffen, daß trotz der Ausdrücke, die Sie in bezug auf den Berliner Senat verwendet haben, Herr Waigel, der Bundeskanzler sich an seiner Zusage hält, die er gestern für Berlin gegeben hat und die wir selbstverständlich mittragen.
Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion diesen Antrag jetzt nicht aufrechterhalten. Wir ziehen ihn zurück. Wir stellen ihn auch nicht zur namentlichen Abstimmung.Wir empfehlen das gleiche Verhalten der Fraktion DIE GRÜNEN, die einen Antrag auf 500 Millionen DM gestellt hat. Auch dieser Betrag wird nach aller Voraussicht nicht ausreichen. Wir werden uns bei dem Antrag der GRÜNEN, wenn sie diesen Antrag aufrechterhalten, der Stimme enthalten, weil wir glauben, daß das zur Zeit keine angemessene Antwort auf das ist, was zwischen der Bundesregierung und Berlin verabredet werden muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Haushaltsdebatte, gerade die zweite Lesung, in diesem Jahr unterscheidet sich ganz wesentlich von vielen anderen Haushaltsdebatten, die wir in den vergangenen Jahren durchgeführt haben. Ich möchte Ihnen meinen persönlichen Eindruck vom bisherigen Verlauf dieser Debatte nicht vorenthalten. Zum ersten Mal eigentlich, seit ich Mitglied dieses Hauses bin, seit 1980, haben wir ein die Haushaltsdebatte überlagerndes großes politisches Thema, in dem sich die großen Fraktionen dieses Hauses einig sind. Das ist eine völlig neue Situation. Es fällt auch Finanzpolitikern schwer, dann sozusagen die Streitpunkte, die wir in den Debatten über Finanzpolitik selbstverständlich haben, herauszustellen und nicht auf das einzugehen, was Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik betrifft.Ich freue mich, Herr Waigel, daß Sie heute in Ihrer Rede dem Zehn-Punkte-Programm der Bundesregierung zugestimmt haben. Ich freue mich auch deshalb besonders — das sage ich nicht aus Rechthaberei —, weil fast alle dieser 10 Punkte der Bundesregierung Punkte der SPD waren und wir sie zu einem Zeitpunkt
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Dr. Struckgefordert haben, als Sie noch sehr zögernd gewesen sind.
Wir erheben keinen Anspruch darauf nach dem Motto „Ihr habt das von uns abgeschrieben". Nur, wir stellen mit großer Genugtuung fest, daß der Bundeskanzler in diesem wesentlichen Politikbereich unsere Vorstellungen übernommen hat.
Deshalb bin ich überhaupt nicht geneigt, heute hier eine finanzpolitische Debatte oder Auseinandersetzung mit der Bundesregierung über die Fragen von Spitzensteuersatz oder Quellensteuer oder dergleichen zu führen. Ich halte das aus meiner persönlichen Sicht im Augenblick nicht für angemessen. Außerdem ist sicher genug dazu gesagt worden.Ich glaube nur, daß wir den Haushalt, den wir heute hier beraten haben, nur als einen vorläufigen Haushalt betrachten dürfen. Denn ernsthaft kann sich doch niemand der Erkenntnis entziehen, daß das, was in der Deutschen Demokratischen Republik noch passieren wird, und das, was in unserem Land passieren wird
und was nach unseren übereinstimmenden Auffassungen passieren soll, Niederschlag auch in dem Haushalt finden muß und wir deshalb eine Änderung dieses Haushalts brauchen werden.
Es wäre verfehlt — da stimme ich Ihnen zu; Sie sind diesen Weg nicht gegangen, wir auch nicht — , in diesem Haushalt eine konkrete Zahl für das zu nennen, was für die Entwicklung in der DDR und hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland erforderlich sein wird.Eines scheint mir völlig außer Streit zu stehen: Die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch die Menschen in der DDR werden sich mit Recht die Frage stellen: „Wenn in den Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts und in unserem unmittelbaren Nachbarstaat, nämlich der DDR, eine solche neue Lage entstanden ist, warum muß dann der Verteidigungshaushalt nach wie vor so hoch sein wie bisher oder sogar noch steigen? Warum muß das denn sein?"
Ich kenne ja die Überlegungen bezüglich der Steigerungsraten, die die Fachleute angestellt haben. Wir haben gesagt, daß der Verteidigungshaushalt natürlich gekürzt werden kann. Aber der entscheidende Punkt ist: Die neue Situation in Mitteleuropa wird zwangsläufig dazu führen, daß wir Fragen nach der Soll-Stärke der Bundeswehr und nach allen Beschaffungsvorhaben, die jetzt noch anstehen, stellen und auch entsprechend beantworten müssen. Wir müssen dort kürzen, meine Damen und Herren.
Gestern abend wurden im Fernsehen die Antworten von Soldaten der Nationalen Volksarmee und der Bundeswehr auf die Frage, wie sie auf diese neue Situation reagieren, gesendet. Die Soldaten aus beiden deutschen Staaten haben übereinstimmend festgestellt, daß das natürlich auch Auswirkungen im Bereich der Abrüstung haben müßte. Dem ist nichts hinzuzufügen. Wenigstens die Mitglieder der Regierungskoalition sollten sich fragen, ob sie mit dem jetzigen Haushaltsansatz noch auf dem richtigen Weg sind. Sie sind es nach meiner Auffassung nicht.
Wenn man sich vor Augen hält, was in den letzten Tagen und Wochen passiert ist und was sicherlich noch passieren wird, ergibt sich aus meiner Sicht folgende Erkenntnis, die ich auch aus vielen Gesprächen mit Bürgern aus der DDR gewonnen habe, weil mein Wahlkreis direkt an die DDR grenzt. Die Menschen beobachten mit großer Erwartung das, was hier in der Bundesrepublik Deutschland passiert, auch das, was im Deutschen Bundestag bezüglich ihrer Entwicklung diskutiert wird. Sie kommen teilweise mit der Vorstellung in die Bundesrepublik, als sei das nun endlich das gelobte Land, als sei der materielle Wohlstand, den wir alle zweifellos haben, das einzige erstrebenswerte Ziel.
Wir sollten ihnen klarmachen, daß wir in der Tat nicht das gelobte Land sind und daß wir auch große Probleme haben. Die Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland oder die Sozialhilfeempfänger in der Bundesrepublik Deutschland leiden große Not.
Wir müssen den Menschen, die herüberkommen wollen, klarmachen, daß es bei uns in der Bundesrepublik Deutschland auch noch Aufgaben für unsere Bewohner zu erledigen gilt, nicht nur für die Menschen, die kommen.
— Nein, wir machen keinen Angebotswettlauf. Wir werden uns darauf nicht einlassen.Es ist unsere feste Überzeugung, daß die Zielrichtung in der Deutschlandpolitik, die gestern formuliert worden ist und die wir mittragen, die wir schon vorher formuliert haben, übereinstimmende Haltung in diesem Hause in den nächsten ein, zwei Jahren oder noch darüber hinaus sein muß.Wir werden — deshalb tragen wir das auch mit — die Bundesregierung daran messen, ob das, was in diesen zehn Punkten steht, auch eingehalten wird. Wir werden Sie täglich daran messen.
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13640 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Dr. StruckEs wäre fatal, wenn es bei einer Absichtserklärung bliebe und im übrigen die Bundesregierung in die Vokabeln des Kalten Krieges und in die Attitüde der Besserwisserei zurückfiele. Das wäre das Falscheste, was in diesem Punkt passieren kann.Wir tragen das mit, aber nur dann, wenn diese Bundesregierung ihre Zusagen auch einhält. Wir werden das Schritt für Schritt kontrollieren. Es ist nicht so, wie jemand am Anfang dieser Debatte sagte: daß wir als Opposition keine politische Verantwortung tragen.
— Das war der Kollege Weng. Herr Weng, Ihr Demokratieverständnis in diesem Punkt ist nicht meines, absolut nicht. Ich denke, ich spreche auch für meine Kolleginnen und Kollegen.
Wir tragen diese Politik mit. Wir werden sie kontrollierend begleiten. Wenn diese Politik Schritt für Schritt — Herr Kollege Waigel, dann auch mit der Hilfe des Finanzministers und mit Hilfe des Bundeshaushaltes; wir sind uns einig, daß wir nicht daran vorbeikommen werden —
von der Bundesregierung auch abgesichert wird, dann werden wir wenigstens in diesem Punkte keine Differenzen haben.
— Ich bin eigentlich kurz vor dem Schluß meiner Rede, aber ich gebe dem Kollegen Weng gern noch das Wort.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Weng.
Herr Kollege Struck, geben Sie mir recht, daß die Verantwortung für die Handlungen der Politik die jeweilige Mehrheit im Parlament hat?
Die Verantwortung für die Handlungen der Politik hat nicht die Mehrheit, sondern erst einmal die Bundesregierung. Sie müssen sich das Grundgesetz schon einmal angucken, Herr Kollege Weng. Ich bin Jurist, Sie sind Apotheker; das weiß ich nun besser als Sie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen zum Schluß sagen: Die Unterschiede in der Finanzpolitik zwischen der Regierungskoalition und den Sozialdemokraten sind klar. Sie sind an einem Punkt festzumachen. Lassen Sie mich zum Abschluß dazu noch einen Satz sagen: Wir wollen eine soziale und gerechte Steuerpolitik. Wir wollen keine Steuererleichterungen für Großverdiener, sondern wir wollen eine Steuerpolitik, die den Interessen der Mehrheit in der Bundesrepublik Deutschland gerecht wird. Deshalb lehnen wir Ihren Haushalt ab.
Herr Abgeordneter Struck, ich darf noch einmal festhalten, daß der Antrag der SPD auf Drucksache 11/5895 insgesamt zurückgezogen worden ist. — Danke schön. Ich stelle das nur fest, damit wir eine klare Ausgangslage haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pfennig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Struck dankbar für das, was er zum Thema Hilfe des Bundes für Berlin gesagt hat, und daß er den Antrag der SPD zurückgezogen hat. Das zeigt, daß die SPD nunmehr das glaubt, was ich für die CDU/CSU im Zuge der Beratungen im Haushaltsausschuß gesagt habe.
Ich möchte, um eine Legendenbildung zu verhindern, einige Bemerkungen zur Situation in Berlin machen, nachdem der Berliner Senat öffentlich eine höhere Hilfe gefordert hat. Die Vorgeschichte dazu, vor dem 9. November 1989, ist bemerkenswert.
Im Mai 1989 hat Berlin einen Nachtragshaushalt in Höhe von 323 Millionen DM verabschiedet und damit zu einer Rekordverschuldung Berlins wie nie zuvor beigetragen. Nachdem die Verhandlungen über die Bundeshilfe zwischen Berlin und dem Bund einvernehmlich abgeschlossen waren, bemerkte man in Berlin offenbar, daß die Löcher in der Stadtkasse immer größer wurden, und forderte dann einen Nachschlag des Bundes von 150 Millionen DM in der Berlin-Hilfe. Wenig später, als der Flüchtlingsstrom aus der DDR einsetzte — immer noch vor dem 9. November —, wurde die Begründung geändert: Man müsse zu viele Aus- und Übersiedler aufnehmen, und das kurz nachdem man freien Zuzug für straffällig gewordene Asylanten beschlossen hatte.
Erst nachdem sich der Senat entschlossen hatte, lieber Kollege Struck, allen Deutschen aus dem Ostteil Berlins im Westteil der Stadt auch tatsächlich ein Bleiberecht zu ermöglichen, veränderte sich die Situation: Erstmalig war ein stärkerer Anstieg der Bevölkerungszahl zu verzeichnen.Dies hat dazu geführt, daß der Bundesfinanzminister zugesagt hat, bei den Anfang 1990 beginnenden Neuverhandlungen die Bevölkerungszunahme in Berlin in die Überprüfung der Höhe der Berlin-Hilfe
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Dr. Pfennigeinzubeziehen. Für diese Zusage danke ich dem Bundesfinanzminister ausdrücklich. Sie beweist nämlich, daß der Bund weiterhin bereit ist, Berlin die großzügige Hilfe zu geben, die er Berlin seit Jahrzehnten gewährt, um die durch die Teilung Deutschlands verursachten Nachteile auszugleichen und Berlin auf die Überwindung der Teilung vorzubereiten.Die Zusage des Bundes beweist auch, daß der Bund bereit ist, sich an alle früheren Zusagen zu halten, egal, wie die parteipolitische Couleur der Regierung in Berlin aussieht. Der Bund ist auch bereit, über die Steigerungssätze der Berlin-Hilfe nachzudenken und seine eigene Finanzplanung zu überdenken. Dieses Nachdenken hatte ich übrigens schon im vorigen Jahr an dieser Stelle gefordert, als der Bevölkerungsanstieg abzusehen war, wenn auch nicht in dem Maße, wie er jetzt durch den Zustrom aus Ost-Berlin eintritt.Worum geht es eigentlich bei den Differenzen, die wir in dieser Geschichte hatten und die jetzt vielleicht ausgeräumt sind? Nach der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 lieferte die SPD in Berlin die dritte Begründung für die Forderung nach mehr Geld aus Bonn: Starker Besuchsreiseverkehr sollte ausgeglichen werden. Übrigens sind die 372 Millionen DM fast deckungsgleich mit der Summe, die im Berliner Nachtragshaushalt vom Mai 1989 für den sogenannten ökologischen Stadtumbau ausgegeben wurden.
Seit vorgestern nun heißt die Forderung: 785 Millionen DM mehr für voraussehbare Mehrbelastungen in Berlin. Konzepte des Senates zur Verwendung dieser zusätzlich geforderten Gelder will der Regierende Bürgermeister nun erstmalig dem Bundeskanzler persönlich erläutern. Das ist mit Sicherheit ein besserer Weg als der, in jeder zweiten Woche — wie in der Vergangenheit geschehen — eine neue Begründung für eine höhere Bundeshilfe zu liefern.
Das entspricht auch den Wünschen des Haushaltsausschusses nach Vorlage einer Konzeption aus Berlin.Eines ist für mich klar: Wenn Berlin mit einer Konzeption deutlich macht, daß alle Pläne innerhalb der AL/SPD-Regierungsmehrheit zur Eingemeindung West-Berlins in die DDR aufgegeben worden sind und die zusätzlichen Gelder für die Überwindung der Teilung der Stadt und für neue Anstrengungen Berlins in seiner Rolle als Hauptstadt der deutschen Nation verwendet werden sollen, dann wird der Bund — wenn es sein muß, auch kurzfristig — Hilfe für die dafür erforderlichen Investitionen bereitstellen; denn insoweit hat Berlin andere Lasten zu tragen als andere vom Besuchsreiseverkehr betroffene Gebiete, insbesondere im Zonenrandgebiet.
Bisher allerdings, so muß ich sagen, fällt es mir schwer — das habe ich schon im Haushaltsausschuß gesagt —, neue Ansätze des Senats zu entdecken. Der Bausenator sagt z. B.: Der Stadtring muß in Neukölln weitergebaut werden. Einen Tag später sagen die zuständigen Abgeordneten: Kommt überhaupt nicht in Frage. Den Flugverkehr hat man gerade gedrosselt, und man hat Beschlüsse zum Ausbau des Flughafens Tegel blockiert; jetzt sollen Luftverkehrsverhandlungen mit dem Ostflughafen Schönefeld stattfinden.
Werden denn nun Gelder gebraucht, oder werden keine Gelder gebraucht?
— Ich mache keinen Wahlkampf. Ich verlange ein Konzept. Das verlangen Sie doch auch.
Ich darf den Abgeordneten Kühbacher darauf aufmerksam machen, daß Dr. Pfennig das Wort hat.
Wenn der Ausbau der Verkehrsverbindungen verlangt wird, dann ist doch zumindest einmal eine Bemerkung dazu erforderlich, was eigentlich mit der Magnetbahnstrecke geschehen soll, die der Bund jahrzehntelang gefördert hat und deren Abriß die AL am liebsten schon vor vier Wochen durchgesetzt hätte, obwohl sie die einzige Verbindung ist, die jetzt zum Potsdamer Platz führt.
Ich erwarte gar keine fertigen Antworten vom Senat. Nur, man sollte dann nicht so tun, als ob die Bundeshilfe fehle, um das alles im nächsten Jahr verwirklichen zu können.
Ich spreche noch einen letzten Punkt an. Die Genehmigungsentscheidung für die Stromtrasse ist immer noch nicht absehbar. Wir haben schon oft darüber diskutiert. Der beabsichtigte Ausbau der S-Bahn erfordert den Wiederaufbau eines gigantischen Gleichstrombetriebes wie vor dem Krieg. Möchte sich der Senat dabei etwa auf die Reichsbahn verlassen, deren Stromnetz in jedem Winter von Ausfällen betroffen ist, weil irgendwo in der DDR die Stromerzeugung zusammenbricht?
Ich habe nur einige wenige Punkte genannt, um deutlich zu machen, welche Veränderungen in der Senatspolitik erforderlich sind. Ich sage Ihnen: Das kann man auch nicht aussitzen. Das kann man auch nicht dadurch beiseite schieben, daß man versucht, mit der Alternativen Liste irgendwie klarzukommen,
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13642 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Dr. Pfennigdenselben Leuten, die hier gestern durch Sigi Frieß erklärt haben: keine Wiedervereinigung, keine Ablösung stalinistischer Unfreiheit durch kapitalistische Unfreiheit, und deren Vertreter im AStA der Freien Universität nicht nur gegen Bundeskanzler Kohl und die Nationalhymne gepöbelt haben, sondern gestern auch gegen Senator Edward Kennedy, andererseits aber Honecker zum 40. Jahrestag mit den Worten gratuliert haben: „Wir distanzieren uns von dem Versuch der BRD, sich als demokratischer Staat zu legitimieren".
Wie will ein Regierender Bürgermeister mit seiner Partei eigentlich hinter den zehn Punkten zur Einheit stehen, wenn sein Senatspartner auf Dreiteilung Deutschlands in Bundesrepublik, DDR und West-Berlin festgelegt ist? Das paßt doch wohl irgendwie nicht zusammen.
Ich verstehe ja die kolportierte Ratlosigkeit des Finanzsenators Meisner.
Er hat gesagt, vor der deutschen Frage komme erst einmal die Berliner Frage: Wie werden wir damit fertig? Ich sage einmal: bestimmt nicht dadurch, daß man im Bundestag von der Bundesregierung Geld für einen festen Umtauschkurs in Ost-Mark wegen der Schwarzhandelsprobleme verlangt und SPD und AL gleichzeitig gemeinsam beschließen, die frühere DDR-Notenbankpräsidentin als kommunistische Widerstandskämpferin gegen Hitler mit einem Straßennamen zu ehren. Das paßt wohl nicht zusammen.Ich finde es auch nicht gut, wenn man von der nicht vorhandenen Planung in Berlin dadurch abzulenken versucht, daß man jetzt volles Stimmrecht für Berliner Abgeordnete im Bundestag verlangt. Das ist eine alte und richtige Forderung aller demokratischen Parteien in Berlin. Ich glaube dem Regierenden Bürgermeister gerne, daß er damit eine festere Einbeziehung Berlins in das Verfassungsgefüge des Bundes und nicht nur eine Festschreibung deutscher Zweistaatlichkeit erreichen will.
Nur, dann darf er, bitte schön, nicht die andere Seite der Medaille vergessen. Die andere Seite der Medaille ist die Geltung von Bundesgesetzen in Berlin, also das, worüber die Berliner Bundestagsabgeordneten in Zukunft voll stimmberechtigt abstimmen sollen. Und da kann es ja wohl nicht dabei bleiben — wie SPD und AL vereinbart haben — , daß die Übernahme der Bundesgesetze nach Berlin nur während dieser Legislaturperiode sichergestellt ist. Vielmehr muß Berlin doch wohl eine Verfassungsänderung veranlassen, damit Bundesgesetze quasi automatisch auch in Berlin gelten.
Das ist möglich, dazu gibt es Vorschläge noch aus alter Zeit vom Senat unter Otto Suhr. Das ist Aufgabe Berlins zur Stärkung der Rechtseinheit mit dem Bund. Unsere Aufgabe hier ist die Änderung des Bundeswahlgesetzes.Es zeigt sich — wie beim Punkt Finanzen — : Wer im Bund etwas erreichen will, muß erst einmal seine eigenen Aufgaben machen.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zu einem weiteren wichtigen Teilaspekt dieses Haushalts. Wir befinden uns offenbar in einer Zeit massiver Wirtschaftskonzentrationen. Nach der Daimler/MBB-Fusion wird nun mit dem Verkauf der Salzgitter AG an die Preussag durch bundespolitische Entscheidung innerhalb kürzester Zeit ein weiterer bedeutender Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft herbeigeführt.Um die Dimension deutlich zu machen, will ich kurz darauf hinweisen, daß nach einer solchen Fusion ein Unternehmen mit 70 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 27 Milliarden DM im Jahr entsteht. Die Salzgitter AG hatte als letztes noch im Bundesbesitz verbliebenes Großunternehmen in den letzten Jahren rund 38 000 Beschäftigte und 12 Milliarden DM Umsatz. Damit wird über die Dimension einiges klar.Die SPD ist gegen diese Privatisierung, und zwar aus grundsätzlichen wie vor allen Dingen aber auch aus speziellen unternehmenspolitischen Gründen. Dies hat der SPD-Vorsitzende Dr. Vogel schon in seiner Rede zum 1. Mai 1989 klargemacht, als wenn er gewußt hätte, was sich hier entwickeln würde. 70 der Konzern-Aktivitäten liegen in der Stahlindustrie und im Schiffsbau. Beides sind Schlüsselindustrien, die vor allem in weltweiten Krisensituationen der besonderen staatlichen Beachtung und Förderung bedürfen. Viele unserer EG-Partner werden dies weiterhin tun, zum Teil sehr unverfroren. Nur wir steuern wieder einmal die reine Lehre an. Gerade wegen der bei Stahl und Werften eingeschränkten Marktmechanismen wäre die Aufrechterhaltung des jetzigen Status sehr sinnvoll.Noch mehr wiegt allerdings in diesem Zusammenhang die regionale Verpflichtung. Wegen der EG-Randlage und zur Erfüllung des grundsätzlichen Auftrags für die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in unserem Lande muß die besondere staatliche Verantwortung für die Salzgitter AG als dem bedeutendsten Wirtschaftsunternehmen unserer Region nach VW entsprechend gewahrt bleiben. Wir halten dies, auch wenn der Auftrag in dieser Form in den letzten Jahren von dieser Regierung nicht immer angemessen wahrgenommen worden ist, für eine ganz wichtige Grundlage.
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Schmidt
— Auch Ihre Zwischenrufe werden das nicht ändern.Auch die finanziellen Hintergründe und Auswirkungen dieses Geschäfts sind mehr als dubios. Wir haben das in der von uns erzwungenen Anhörung des Haushaltsausschusses gesehen.
Unter hoher Geheimhaltung und im Schnellverfahren wurde hier ein Projekt durchgezogen, das erhebliche Folgewirkungen erkennen läßt. Wenn auch die Bewertungsmethode in der Anhörung durchaus unbeanstandet geblieben ist, so war doch eine Reihe von Bewertungsfaktoren mehr als umstritten.Unser Fazit aus dieser Sachlage ist: Hier wird Staatsvermögen verschleudert. Dabei spielt es keine Rolle, ob der wahre Wert der Salzgitter AG 3,5 oder 5 Milliarden DM beträgt. Mehr als 2,5 Milliarden DM, wie jetzt gesagt wird, sind es allemal. In anderer Form ausgedrückt — so hat es ein bedeutender Banker in unserer Fraktion gesagt — : Die starke Salzgitter AG bezahlt der schwachen Preussag ihren Verkauf selber.
Hier werden also satte Geschäfte gemacht. Die Preussag kommt gemeinsam mit der Westdeutschen Landesbank billig zu einer Stärkung,
Der Bundesfinanzminister kommt über den Verkauf s-erlös locker und gründlich an Kapitalmittel, die er sonst innerhalb des Bundesunternehmens Salzgitter AG überhaupt nicht zur Verfügung gehabt hätte. Das zwingt uns natürlich zu der Frage: Wer bezahlt am Ende diesen ganzen Deal?Als erstes werden die Standortgemeinden entsprechend bluten müssen; denn Sie alle wissen: Die Kaufpreisabwicklung wird zu Buchverlusten führen. Die Standortgemeinden werden nicht mehr entsprechende Steuereinnahmen haben. Mittelfristig könnte auch jedes andere Konzernunternehmen als Tochterunternehmen betroffen sein, wenn durch Krisen- oder Rationalisierungsdruck der Verkauf von Betrieben oder Teilen von ihnen mehr, als das bisher der Fall ist, zur Disposition steht. Börsenmanager sprechen inzwischen schon darüber, daß gut daran getan werde — so suggeriert man der Preussag AG — , durch Teilverkäufe den Kaufpreis wieder zu einem Teil herunter- und hereinzubekommen.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck.
Bitte, Herr Grünbeck, wenn es nicht auf meine Zeit angerechnet wird.
Herr Kollege, Sie haben jetzt Umsatz- und Beschäftigtenzahlen genannt. Könnten Sie auch die Gewinne oder die Verluste der letzten zehn Jahre aufzählen, und könnten Sie uns auch sagen, wie viele Subventionen die Bundesregierung in dieses Unternehmen stecken mußte?
Das hat der Kollege Roth vorhin durchaus richtig getan. Ich will das nicht kritisieren, was diese Zahlen anbetrifft. Aber der entscheidende Faktor ist, daß wir auf mittelfristige Sicht große Sorgen für die Betriebe und die Mitarbeiter haben müssen.Am Beispiel der Stadt Salzgitter, das in abgeschwächter Form auch für die Standorte Kiel und Peine gilt, läßt sich die besondere Auswirkung des Salzgitter-Verkaufs auf die Regionalinteressen verdeutlichen. Die Salzgitter AG hat mit ihren Tochterunternehmen ein ziemliches Wohnungsmonopol. 17 000 der 33 000 Mietwohnungen im Stadtgebiet sind ihr Eigentum. Schon die Verkaufsaktion von rund 3 000 Wohnungen in einem ersten Schritt vor einiger Zeit hat eine erhebliche Unruhe in der Bevölkerung herbeigeführt. Weitere soziale Belastungen sind nicht auszuschließen, und das bei einer hohen Arbeitslosigkeit und bei einer hohen Sozialhilfeabhängigkeit.Dem Konzern gehört darüber hinaus bei einem Stadtgebiet von 224 km2 ein unbebautes Grundvermögen von mehr als 38 km2. Davon sind erhebliche Flächen Gewerbe- und Bauland. Hier rächt es sich besonders, daß nach dem Kriege — anders als in Wolfsburg — in Salzgitter keine Bereinigung der durch zum Teil unrechtmäßiges Handeln des Nazistaates herbeigeführten Stadtstruktur erreicht worden ist. Beträchtliche Teile der Wasser- und Fernwärmeversorgung sind ebenfalls betroffen.Besondere Sorgen muß man sich auch um den Schacht Konrad machen, der auf diese Weise endgültig in Privathand, nämlich der Preussag, gerät. Es kann uns nicht einerlei sein, daß wir, was die Atommüllagerung und deren künftige Gestaltung anbetrifft, noch mehr als bisher von Privatinteressen abhängig sein werden.
Die Verlagerung des Konzernsitzes mit der Fern-lenkzentrale Düsseldorf macht die Dinge nicht einfacher. Die künftigen Konzernherren der Salzgitter AG sind mehr als zuvor dem Aktienrecht unterworfen. Dies unterstreicht auch den blanken Unsinn der Anträge der CDU/CSU und der FDP im Haushaltsausschuß und der CDU in Salzgitter, mit denen eine Art soziale Verpflichtung der Preussag vor allem für den Wohnungsbesitz erreicht werden soll. Die Scheinheiligkeit solcher Anträge ist nicht mehr zu überbieten.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Salzgitter-Betriebe sind im übrigen auch von der Montan-Mitbestimmung und deren Abbau betroffen. Ich frage den hier nicht anwesenden Arbeitsminister indirekt, was man eigentlich davon halten soll, wenn wir auf der einen Seite ein Montan-Mitbestimmungssicherungsgesetz verabschieden, das die Konzerngesellschaft Salzgitter AG ausdrücklich erfaßt, und wenn dies nun auf der anderen Seite durch diese Verkaufsaktion locker preisgegeben wird.
Als blanke Augenwischerei und als Ablenkungsmanöver bezeichne ich die Überführung des Verkaufserlöses in eine Umweltstiftung. Notwendige um-
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13644 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Schmidt
weltpolitische Maßnahmen — darüber sollten wir uns alle im klaren sein — müßten schließlich im laufenden Bundeshaushalt eingestellt werden. Das wäre haushaltsrechtlich und politisch mehr als konsequent. Umweltschutz als Stiftungs- und Spendenakt ist der Sache völlig unangemessen.
Viele Menschen und viele Institutionen in den Standortgemeinden haben sich in den vergangenen Monaten seit Bekanntwerden der Privatisierungspläne gegen sie ausgesprochen: die SPD auf allen Ebenen, die Gewerkschaften, die Kirchen und sogar Vertreter der mittelständisch orientierten Zulief erbe-triebe und des Handels, weil sie wissen, was auf sie zukäme. Sie waren sich alle in der Ablehnung einig.Allein in der Region Salzgitter wurden innerhalb weniger Wochen 27 000 Unterschriften für eine Petition gesammelt, die im übrigen das Hohe Haus demnächst auch noch beschäftigen wird. Eine Protestdemonstration von mehr als 10 000 Menschen vor der Hauptverwaltung der Salzgitter AG artikulierte eindrucksvoll die Sorgen der Menschen in der Region.
Meine Damen und Herren, ich sage zum Schluß: In Erinnerung an den größten Kampf, den die Menschen in Salzgitter Anfang der fünfziger Jahre bestanden haben, bezeichne ich die jetzt geplante Privatisierung als die mögliche zweite Demontage des Salzgitter-Konzerns. Ich fordere die Koalitionsfraktionen mit Nachdruck auf, unserem Antrag auf Ablehnung des Verkaufs der Salzgitter AG an die Preussag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich habe viel Verständnis dafür, daß Sie das Bedürfnis haben, sich zu unterhalten. Aber ich habe relativ wenig Verständis dafür, daß das im Saale stattfindet. Da wir noch zwei Wortmeldungen nach § 31 der Geschäftsordnung haben, bitte ich diejenigen, die sich unterhalten wollen, den Saal zu verlassen, damit der Geräuschpegel für den Redner einigermaßen erträglich ist.
Nun hat der Abgeordnete Sauer nach § 31 der Geschäftsordnung das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltspolitik der Bundesregierung stimme ich zu. Dem zuständigen Bundesfinanzminister danke ich als Abgeordneter für den Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel insbesondere für die von ihm geleistete Arbeit im Hinblick auf die Standortwahl des Strahlenschutzamtes in Salzgitter und darüber hinaus auch für die geplante Umweltschutzstiftung mit ihrem — so hoffe ich — zukünftigen Sitz in Salzgitter, wo schließlich die in diese Stiftung fließenden Gelder erarbeitet worden sind.Grundsätzlich stimme ich auch dem Vorhaben der Privatisierung der Staatsunternehmen zu, vomGrundsatz her also auch dem hier in Frage stehenden Verkauf der Salzgitter AG an die Preussag AG.Es ist jedoch nicht hinnehmbar und zu kritisieren, daß vor dem Verkauf für die Stadt Salzgitter keine meines Erachtens befriedigende Lösung in der Frage des umfangreichen Haus- und Grundbesitzes des Salzgitter-Konzerns erzielt worden ist. Hier wird nun endgültig die Chance vertan, eine bisher versäumte gerechte und vernünftige Regelung der Grundstücksfragen für die betreffende Kommune vorzunehmen.
Der Erwerb des dem heutigen Salzgitter-Konzern gehörenden Grundbesitzes bis zum Jahre 1945 sollte ruhig einmal offengelegt werden. Somit könnte klargestellt werden, wie diese Liegenschaften den damaligen Hermann-Göring-Werken, dem heutigen Salzgitter-Konzern zugeführt worden sind, z. B. auch im-Wege von bzw. in erster Linie durch Zwangsenteignungen und Zwangsumsiedlungen. Es wäre wirklich der Mühe wert zu untersuchen, welche Lösungen zwischen dem heutigen Volkswagenwerk und der heutigen Stadt Wolfsburg bereits im Jahre 1951 gefunden worden sind. Denn die dortige Werksgründung und Stadtentwicklung und deren Verflechtungen sind mit der Lage in Salzgitter vergleichbar. Aber auf Grund des Zwischenrufes aus der SPD-Fraktion muß festgestellt werden, daß es damals eine sozialdemokratische Landesregierung gegeben hat, die dies für Salzgitter seinerzeit nicht inittiiert hat.
Sie sollten auch wissen, daß nach den Zwangsangesiedelten und den Zwangsarbeitern nunmehr über die Hälfte der rund 110 000 Einwohner in Salzgitter aus Heimatvertriebenen, insbesondere aus Schlesien, Flüchtlingen, Übersiedlern und Aussiedlern aus den deutschen Ostgebieten und aus Süd- und Osteuropa besteht.Der Inhalt des Kaufvertrages und auch der augenblickliche Vertragszustand werden weitestgehend geheimgehalten. Der Verkäufer — sprich: der Eigentümer Bund — ist gegenüber der Stadt Salzgitter nicht bereit, ein seriöses Gesamtangebot zu unterbreiten, um der 1942 gegründeten Stadt Salzgitter bei der regionalen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung entgegenzukommen. Dies ist bei der geschichtlichen und sozialen Verpflichtung zwischen Konzern und der Stadt Salzgitter erwartet worden, z. B. bei historischen Gebäuden, bei der Burg Gebhardshagen, bei Sportplätzen, bei Kleingärten, bei Altenwohnungen, bei Mieteinheiten für kinderreiche Familien, beim Waldbesitz oder bei wichtigen Einrichtungen der Fernwärme und der Wasserversorgung.Sinnvolle Vorschläge oder Lösungsanregungen, u. a. von der CDU-Ratsfraktion Salzgitter und auch von mir mündlich wie schriftlich mehrfach vorgetragen, haben weder beim Verkäufer noch beim Käufer Zustimmung gefunden. Aber leider gab es — auch das muß der Ehrlichkeit halber gesagt werden — keine konkreten und fundierten Anträge der Stadtverwaltung Salzgitter, was ich ebenso deutlich kritisieren muß.
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Sauer
Ich gehe davon aus, daß es nach dieser Debatte wegen der Sozialbindung von Liegenschaften und Wohnungen doch noch zu einer Gesprächsrunde zwischen Verkäufer und Käufer in Beratung mit der niedersächsischen Landesregierung und der Stadt Salzgitter kommen wird.Die Anhörung des Haushaltsausschusses und die Ergebnisse auch meiner Bemühungen bei der Bundesregierung bis zum gestrigen Tage sind für mich unbefriedigend, so daß ich bei meinem augenblicklichen Informationsstand dem Einzelplan 60 des vorgelegten Haushaltsplans für das Jahr 1990 meine Zustimmung verweigern werde.
Nun hat nach § 31 unserer Geschäftsordnung die Abgeordnete Frau Vennegerts das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist von der SPD-Fraktion aufgefordert worden
— aufgefordert oder gebeten worden, es läuft auf dasselbe hinaus —,
unseren Antrag bezüglich der Erhöhung der Berlin-Hilfe um 500 Millionen DM zurückzuziehen. Die Begründung war: Es laufen am Freitag Gespräche zwischen Herrn Momper und Herrn Kohl.
Nachdem wir die Ausführungen von Herrn Neuling gehört haben, der klar gesagt hat, er mache die gesamte rot-grüne Politik dafür verantwortlich, daß keine zusätzlichen Hilfen für Berlin bewilligt werden sollten, nachdem Ihr Finanzsenator von mindestens 500 Millionen DM gesprochen hat, die für laufende Ausgaben dringend erforderlich seien und nachdem der Haushalt jetzt beraten und abgeschlossen wird, kann ich nicht verstehen, daß Sie nicht den ersten Schritt tun. Herr Kohl kann noch etwas drauflegen, und das soll er. Bis zu 1 Milliarde DM sind erforderlich.
Ich kann nicht verstehen, daß Sie diesen Schritt nicht mitgehen und mindestens der Bewilligung der 500 Millionen DM zustimmen, die Berlin — unabhängig davon, wer dort regiert — dringend braucht. Das halte ich für ein falsches Vorgehen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zunächst zum Einzelplan 08, und zwar zuerst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf Drucksache 11/5882 unter Nr. V vorliegt. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 08 insgesamt ab. Wer stimmt für den Einzelplan 08? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist der Einzelplan 08 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN angenommen worden.
Wir kommen jetzt zum Einzelplan 32, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5781. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der GRÜNEN? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Antrag der GRÜNEN gegen die Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wer für den Einzelplan 32, Bundesschuld, in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Einzelplan mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir kommen nun zum Einzelplan 60, zunächst zur Abstimmung der Änderungsanträge.
Wer für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 11/5782 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag der SPD ab. Er liegt Ihnen auf Drucksache 11/5882, und zwar unter XX, vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden.
Bevor wir nun über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 11/5891 kommen, erteile ich dem Abgeordneten Struck das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß zur Klarstellung zu diesem Antrag kurz einige Änderungen vortragen.
Der Antrag zum Einzelplan 23 — Kapitel- und Titelnummer schenke ich mir — soll jetzt lauten: Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Volksrepublik Polen und in der Republik Ungarn. Das ist durch einen Schreibfehler leider unterblieben.
Das gleiche gilt für den Antrag zu Einzelplan 60. Es muß auch hier heißen: Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Volksrepublik Polen und in der Republik Ungarn.
Der Hintergrund ist, daß wir Sozialdemokraten der Auffassung sind, daß die Förderung, die für Polen und Ungarn dringend erforderlich ist, nicht eine Sache der Entwicklungshilfe ist, sondern eine Sache der allgemeinen Finanzpolitik.
Nachdem Sie diese Änderungswünsche gehört haben, lasse ich über den Antrag auf Drucksache 11/5891 in der geänderten Fassung abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Antrag auf Drucksache 11/5891 in geänderter Fassung mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden.Es wird vorgeschlagen, daß wir vor der namentlichen Abstimmung — wir haben nur eine namentliche Abstimmung, weil die Sozialdemokraten ihren An-
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13646 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Vizepräsident Cronenbergtrag, wie soeben bekannt wurde, zurückgezogen haben — drei nichtnamentliche Abstimmungen vornehmen. Ich glaube, dieses Verfahren ist einfacher. — Das findet die Zustimmung des Hauses, und ich will so verfahren.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5536. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der SPD abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5609 ab. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Der Antrag auf Drucksache 11/5895 ist zurückgezogen.Ich lasse jetzt über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschußfassung abstimmen. Wer für den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme und ohne Enthaltungen ist der Einzelplan angenommen.Nun kommen wir zu dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5914. Hierzu hat die Fraktion DIE GRÜNEN namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich darf fragen, ob sich noch jemand im Saal befindet, der an der namentlichen Abstimmung noch nicht teilgenommen hat? — Ich darf noch einmal fragen: Ist noch jemand im Saal, der gerne abstimmen möchte? — Das ist offensichtlich nicht der Fall.Dann schließe ich die Abstimmung und unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.* )
Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich rufe Punkt I. 10 der Tagesordnung auf: Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für
Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksachen 11/5570, 11/5581 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schroeder Nehm
Frau Rust
Änderungsanträge liegen von der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/5882 Nr. XV und 11/5892 sowie von der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5902 und 11/5917 vor.
s) Ergebnis Seite 13654 D
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von zwei Stunden vor. Ist das Haus damit einverstanden?
— Das ist offensichtlich der Fall.
Dann können wir die Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Abgeordnete Nehm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Fülle des Hauses könnte man beinahe jeden mit Handschlag begrüßen.
— Das ginge von meiner Redezeit ab. Das kann ich mir nicht leisten.
Dabei haben Sie die Tribüne mit den Besuchern nicht mitgezählt, nehme ich an, Herr Abgeordneter Nehm.
Ja. Ich hatte nur den Saal hier unten gemeint.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren habe ich in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 25 an dieser Stelle einen Debattenbeitrag geliefert, der über die Fraktionen hinweg Beifall gefunden hat, und, was in diesem Raum nicht immer der Fall ist, was ich gesagt habe, wurde sogar auf der Zuschauertribüne verstanden.
— Ich habe gesagt: nicht immer.Meine Damen und Herren, damals habe ich zu der Nachschiebeliste für den Umbau des Nobelrestaurants auf dem Petersberg gesprochen und einzelne Dinge herausgegriffen und kommentiert.
— Ja, deshalb ist er nachher auch zurückgetreten worden.
Nur stelle ich fest: Ob ich damals die Rede hier gehalten habe oder ob in China ein Sack Reis umgefallen wäre — die Wirkung wäre fast gleich gewesen,
wenn inzwischen auch die Staatsanwaltschaft in Sachen Petersberg ermittelt. Aber gut, man wird als Abgeordneter eben bescheiden.
Heute stellen wir fest, daß der Petersberg nur die Spitze des Eisbergs war. Der Eisberg heißt Neubau des Plenarsaals des Deutschen Bundestages.Meine Damen und Herren, seit Anbeginn der Baumaßnahmen beschimpfen und beschuldigen sich die Architekten, die Bundesbaudirektion und welche
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13647
Nehm„Artistentruppen" auch immer gegenseitig, die Angaben und errechneten Preise zu verfälschen, zu verändern und/oder falsch weiterzugeben. Die Angeschmierten dabei sind wir, meine Damen und Herren. Die 519 Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden von der Bevölkerung für die Kostensteigerung an dieser Baustelle verantwortlich gemacht.
Die errechnete oder geschätzte oder durch Kaffeesatzlesen ermittelte Bausumme für das jetzt zu erstellende Bauwerk schwankte zwischen 141,4 und zur Zeit 256 Millionen DM. Der Haushaltsausschuß hatte am 26. Oktober letzten Jahres 202,3 Millionen DM genehmigt.Auf den Streit zwischen der Bundesbaudirektion und der Architektengruppe, der allein darum entbrannt ist, wer hier wen wann nicht richtig informiert, verstanden und/oder belogen und betrogen hat, will ich hier aus Zeitgründen nicht eingehen. Das wäre abendfüllend.
Heute stehen wir vor einer anderen Situation: Nach den neuesten Berechnungen ist inzwischen mit Gesamtkosten von 256 Millionen DM zu rechnen, um die von der Architektengruppe weiterentwickelte Planung zu realisieren. Das ist eine Steigerung von 53,7 Millionen DM. Und einige dieser Mehrkosten möchte ich gerne nennen und, wenn Sie gestatten, auch kommentieren.Ich beginne auf der Seite 101 der Haushaltsausschußdrucksache 1191. Da heißt es unter der Überschrift „Voraussichtlich zu erwartende Mehrkosten" in einem Punkt: „Für noch vorhandene Planungsrisiken 12 Millionen DM" — als Nachforderung. Im privaten Hausbau würde so etwas überhaupt nicht akzeptiert — Planungsrisiken während der Bauzeit, völlig unmöglich. Aber bei uns ist das alles etwas anders; denn wir haben ja nicht irgendeinen Architekten. Und ich sage mal: Das Olympia-Dach in München ist ja auch zehnmal so teuer geworden wie ursprünglich geplant. Und daran gemessen — Olympia läßt grüßen! — sind diese 12 Millionen DM viel zu niedrig geschätzt. Man müßte also viel höher herangehen. Das wird weit teurer werden, prognostiziere ich mal.
— Nein, nehmen Sie es bitte nicht als Antrag. Diese Anträge werden von anderen Leuten gestellt. Das haben wir hier nicht nötig.
— Aber ich weiß, es wird so kommen.
Wissen Sie, Herr Kollege Conradi, ich stamme aus einer landwirtschaftlich strukturierten Gegend. Deshalb kenne ich meine Schweine am Gang.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt aus dieser Nachschiebeliste herausgreifen. Da heißt es: „Hochwertiges Sichtmauerwerk, Mehrkosten 800 000 DM". Meine Damen und Herren, hatte man denn ursprünglich geplant, rohe, unbehandelte Hohlblocksteine bei diesem Prachtbau zu verwenden? Das kann ja wohl nicht wahr sein.
Herr Abgeordneter Nehm, dies veranlaßt den Abgeordneten Dr. Hitschler, Sie zu bitten, eine Zwischenfrage zu beantworten.
Lassen Sie mich das mal lieber so vortragen; denn so lustig wird Ihre Zwischenfrage gar nicht sein, wie ich hier vortrage.
Auf derselben Seite 102 kommt dann etwas, was sich in dieser Nachschiebeliste immer wiederholt: „Brandschutztechnische Behandlung der Stahlkonstruktion" , woanders heißt es dann: „Brandschutztechnische Bestimmungen". Ich frage das Ministerium: Wann wurden denn die brandschutztechnischen Vorschriften geändert, daß in einer Nachschiebeliste immer wieder der Brandschutz aufgeführt wird? Oder geschieht das nur, um dem Parlament Tomaten auf die Augen zu kleben?
Dann heißt es auf derselben Seite unten: „4,929 Millionen DM für Stahlfassade und Verglasung" — in einer Nachschiebeliste. Meine Damen und Herren, daraus, daß in einer Nachforderung plötzlich auch Glas- und Stahl-Fassaden aufgeführt werden, muß man doch wohl ersehen, daß ursprünglich geplant war, daß das Plenum im Freien sitzen sollte.
— Das kann wohl so sein.
Dann gibt es zusätzliche Aufwendungen für das äußere und das innere Lichtumlenksystem. Bei der Tageslichtdecke ist so etwas natürlich möglich. 3 Millionen DM und 1,738 Millionen DM sind dafür angesetzt. Frage: Sollte denn den Abgeordneten durch die Tageslichtdecke nach der Ursprungsplanung die Sonne ungehindert ins Gesicht scheinen, daß man das nachplanen mußte?Auf der nächsten Seite geht es dann gleich mit 561 000 DM für Sonnenschutz weiter. Na gut: „Mehrkosten für den Einbau von neu entwickelten bewegli-
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13648 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Nehmchen Sonnenschutzelementen". Wo gibt es das schon?
Ganz hervorragend!Meine Damen und Herren: „zusätzliche Beheizung der Dachträger zur Vermeidung von Kältebrücken 240 000 DM". Darunter noch einmal „zusätzliche Maßnahmen für die Fassadenbeheizung". Bei einer privaten Baustelle würde ein Architekt, der bewußt Kältebrücken in ein Haus einbaut, auf Nimmerwiedersehen von der Baustelle gejagt.
Wir als Parlament machen so einen Blödsinn mit. Wir lassen uns das gefallen, weil offensichtlich zuwenig Leute die Unterlagen lesen.Dann heißt es unter „Sonstiges" 367 000 DM. Das erinnert mich an die Hausfrau, die, da sie mehr Geld brauchte, 95,80 DM für Suppengrün eingetragen hat. So geht das dann lustig weiter.Die Brandschutzmaßnahmen erscheinen hier auch gleich wieder mit 1,5 Millionen DM. Auf der nächsten Seite 105 noch einmal: „Brandschutztechnische Ergänzungen". Die Feuerwehr muß immer herhalten, wenn das Bauministerium mehr Geld braucht.Jetzt leuchtet hier die Lampe, nun muß ich aufhören.
Das alles waren wirklich nur einige ausgesuchte Beispiele aus so einer Nachforderungs- bzw. Nachschiebeliste, wie wir sie seit Jahren bei allen Baumaßnahmen des Bundes gewohnt sind, so wie vor zwei Jahren beim Petersberg. Ich empfehle Ihnen, einmal die Haushaltsausschußdrucksache 1191 nachzulesen. Dann können Sie das, was ich hier aus Zeitgründen nicht erwähnen konnte — da sind noch mehr „Klöpse" drin — selbst lesen.Ich komme zum Schluß meiner Ausführungen und möchte nicht unerwähnt lassen, daß wir nun neben der baubegleitenden Planung — auch das ist für uns ein neuer Begriff — noch etwas ganz Neues dazu haben, nämlich die „baubegleitenden Ermittlungen" der Staatsanwaltschaft Bonn. Das ist etwas Neues; das hat auch nicht jeder Bauherr.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, daß wir in Zukunft alle etwas schärfer aufpassen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schroeder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lampe werden wir wohl auch beim neuen Plenarsaal nicht einsparen, Kollege Nehm. Darauf wird es dann wohl auch nicht mehr ankommen.Das Ärgernis dieser Legislaturperiode sind zweifellos der Petersberg und der Neubau des Plenarsaals, aber es geht weiter, wie der Blick auf den im neuen Glanz erstrahlenden Petersberg und der hoffnungsvolle Blick hinüber zu der Baustelle des Plenarsaalneubaus zeigen. Einige Köpfe sind schon ausgewechselt; meine Fraktion wird nicht zögern, notwendige Konsequenzen bei Nachweis von Unregelmäßigkeiten und Unfähigkeit zu ziehen.Frau Bundesbauministerin Hasselfeldt hat in diesem Zusammenhang eine neue Leitungs- und Lenkungsgruppe eingesetzt, um die Bundesbauten zu beschleunigen, und wir sehen deutlich erste Erfolge. Wir erwarten von allen eine Kooperation, auch von den Architekten. Manches, was hier vom Kollegen Nehm vorgetragen wurde, wird nachher in einer zweiten Runde sicher vom Herrn Kollegen Conradi etwas anders beleuchtet werden.Ein jetziges Stillegen des Plenarsaalbaus im Hinblick auf die jüngste Entwicklung in Deutschland kommt nicht in Betracht. Bei einer hoffentlich baldigen Wiedervereinigung und einem Umzug nach Berlin werden wir hier in Bonn keine Ruinen oder halbfertigen Baustellen hinterlassen. Das werden wir den Bonnern nicht zumuten.
Zum Ärgernis des Tages scheint hier auch die Atombunkermeldung am Langen Eugen zu werden; darauf möchte wohl auch der Kollege Conradi noch eingehen. Ich möchte hierzu nur sagen: Wir haben hier eine vierstöckige Tiefgarage geplant und dazu im Haushaltsausschuß unsere Zustimmung gegeben. Wir hatten, Herr Vorsitzender Rudi Walther, im September letzten Jahres eine Vorlage, in der das stand.
Die Richtlinien des Bundes für Bundesbauten sehen das auch so vor, nämlich daß hier bei Tiefgaragen Schutzräume eingerichtet werden. So wird im Augenblick verfahren.Ich möchte zu dem viel wichtigeren Thema — und ich meine, insgesamt nach den Ergebnissen auch erfreulicheren Thema — , nämlich dem wohnungsbaupolitischen Programm der Koalition, kommen. Hier ist in einem großen Wurf, Frau Matthäus-Maier, auf die Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt die richtige Antwort gegeben worden.
Sie haben das heute morgen anders dargestellt.
Hier hat die Regierung und hat die Koalition gehandelt.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13649
Dr. Schroeder
— Dann bitte ich Sie, einmal das Jahresgutachten des Sachverständigenrates nachzulesen und auch das, was die Deutsche Bundesbank gesagt hat.
Die solide Haushaltslage des Bundes erlaubt es, in einem umfassenden Programm angemessen, treffsicher und vielseitig alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den benötigten Wohnraum so schnell als möglich zu schaffen. Mit einem breiten finanziellen Engagement stellt der Bund die Mittel bereit, um allen Wohnungssuchenden schnell und wirksam zu helfen.Erstens. Ein Schwerpunkt des Wohnungsbauprogramms des Bundes ist der soziale Wohnungsbau. Allein 8 Milliarden DM sollen von seiten des Bundes in den nächsten vier Jahren für neue Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt werden. Von den Ländern wird natürlich ein gleicher Betrag an Komplementärmitteln erwartet und kann auch erwartet werden. Mit insgesamt 16 Milliarden DM in vier Jahren sollen rund 120 000 neue Sozialwohnungen entstehen, bis 1993 also fast eine halbe Million nur an Sozialwohnungen. Die Aufstockung der Wohnungsbaumittel des Bundes bedeutet für das Jahr 1990 mit 2 Milliarden DM nahezu eine Verdoppelung des Programmvolumens gegenüber dem laufenden Jahr. In den Folgejahren bis 1993 erfolgt — das ist besonders wichtig — eine verstetigte Förderung auf gleich hohem Niveau. Damit wird von seiten des Bundes ein klares Zeichen für ein berechenbares, finanzielles Engagement in der Wohnungsbauförderung gesetzt.
Zweitens. Ein besonderer Renner ist bereits jetzt das 1,5-Milliarden-Programm zur Schaffung zusätzlicher Mietwohnungen im Gebäudebestand, z. B. Dachgeschoßausbau, geworden. Mit zinsgünstigen Krediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu einem Zinssatz von 5,25 % wird ein besonderer Anreiz geboten, um schnell, um besonders schnell den Wohnungsmarkt zu entlasten. Bereits wenige Tage nach Auflage dieses neuen Wohnungskreditprogramms sind mehrere tausend Anträge gestellt worden, so daß bereits jetzt das für 1990 vorgesehene Volumen von 800 Millionen DM fast ausgeschöpft ist. Deshalb fordern wir, daß die für 1991 vorgesehenen Mittel in Höhe von 500 Millionen DM bereits auch im kommenden Jahr zusätzlich abrufbar sind. Das hohe Investitionsinteresse, mit Hilfe gerade dieses Kreditprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu bauen, zeigt deutlich, daß wir hier den Nagel auf den Kopf getroffen haben.
Alternativ kann mit bis zu 60 000 DM Herstellungskosten je Wohnung mit 5 mal 20 % — also 100 % in fünf Jahren — der gesamte Aufwand abgeschrieben werden.Drittens. Ins Schwarze trifft auch die Aktivierung bestehender Bausparverträge. 500 Millionen DM werden zur Verfügung gestellt, um Bausparverträge zinsverbilligt zwischenzufinanzieren. Gefördert wird hier der Bau oder der Ersterwerb von selbstgenutztem Wohnraum, soweit Bauanträge nach dem 6. November dieses Jahres gestellt und das Gebäude bis zum 31. Dezember 1992 fertiggestellt ist. Der Zug vieler Bürger nach Eigenheim oder Eigentumswohnung ist nach wie vor ungebrochen. Rund 90 000 Wohnungen jährlich, auch in den letzten Jahren, im selbstgenutzten Wohnungseigentum waren und sind ein stabiler Faktor auf dem Wohnungsmarkt und müssen es auch bleiben. Deshalb setzen wir nicht nur auf verstärkte Impulse im Mietwohnungsbau, sondern auch auf eine zusätzliche Eigentumsförderung.Die Eigentumsförderung — das muß hier ebenfalls deutlich werden — kommt auch den Mietwohnungsuchenden zugute. Vier von fünf neuen Wohnungseigentümern machen nämlich eine Mietwohnung frei.Bei einer Ansparsumme von 331/3 der Bausparsumme wird mit einer Zinsverbilligung von 2,5 % ein Darlehenshöchstbetrag von 80 000 DM zuzüglich 20 000 DM für jedes Kind im Wege der Zwischenfinanzierung begünstigt. Auch damit können 80 000 Wohnungen gefördert werden. Wir sind überzeugt, der Erfolg ist auch diesem Programmteil sicher.
Viertens. Die neue umfassende Direktförderung des sozialen Mietwohnungsbaus und des selbstgenutzten Eigenheims ist aber nur der eine Teil unseres Programms. Die zusätzlich neu vorgesehene Sonderabschreibung für preis- und belegungsgebundenen Wohnraum ergänzt das Wohnungsbauprogramm der Koalition von der steuerlichen Seite. Der Mietwohnungsbau erfährt dadurch in großem Umfang auch für private Investoren wieder hohe Attraktivität.Heute morgen hat bereits mein Kollege Borchert das gefordert, was ich hier wiederhole: Wir fordern die Kapitalanleger auf, Geld im Wohnungsbau bei zehnjähriger Sozialbindung mit attraktiven steuerlichen Anreizen anzulegen — ich kann das hier nur wiederholen — :
85 % Abschreibung in den ersten zehn Jahren nach Baufertigstellung — 10 % in den ersten fünf Jahren und 7 % in den folgenden fünf Jahren — , das ist der große steuerliche Impuls, auf den viele gewartet haben.
Jetzt werden viele diese Chance ergreifen, um im Geschoßwohungsbau loszulegen.
— Der Herr Kollege Walther vielleicht nicht, aber viele andere.
Wir zwingen niemanden, sehr geehrter Herr Kollege Walther, zum Glück. Wir leben in einem freien Lande, wo jeder seines Glückes Schmied ist; das gilt immer noch.
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13650 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Dr. Schroeder
Fünftens. In den Universitätsstädten — ich komme aus einer solchen — muß im besonderen Maße zusätzlich der studentischen Wohnungsnot begegnet werden. Allein im Wintersemester 1989/90, das jetzt angelaufen ist, sind an unseren deutschen Hochschulen erstmals 230 000 Studentinnen und Studenten neu eingeschrieben. Die Gesamtzahl der Studierenden ist damit auf mehr als 1,5 Millionen in der Bundesrepublik angewachsen. Hier muß ebenfalls Geld in die Hand genommen werden; es ist aber auch Ideenreichtum gefragt — ich werde gleich darauf zurückkommen. 1990 sollen mit Hilfe des Bundes 20 000 neue Wohnheimplätze entstehen. 300 Millionen DM stellt der Bund hierfür zur Verfügung.Es gibt aber — das wissen wir alle — im Wohnungsbestand noch viele vermietbare Zimmer. Ich führe als Beispiel ein kommunales Sofortprogramm in meiner Heimatstadt Freiburg an, bei dem für jedes neu an Studentinnen und Studenten vermietete Zimmer dem Vermieter ein Betrag von 2 000 DM gezahlt wird. Das hat einen überraschenden und außerordentlich durchschlagenden Erfolg. Mehrere hundert Zimmer wurden in wenigen Wochen zur Verfügung gestellt. Zimmer, die in den letzten fünf Jahren nicht mehr vermietet waren, wurden jetzt dem studentischen Wohnungsmarkt wieder zugeführt.
— Ich habe keine gebaut. Hier geht es um den Wohnungsbestand, der wieder aktiviert wird.
Ich komme noch auf ein Stuttgarter Programm zu sprechen. Die Aktivierung des Wohnungsbestandes ist für uns ein ganz wichtiger Teil. Ich komme in einer größeren Dimension darauf sofort zu sprechen:Sechstens. Wir machen keine Spezialprogramme ausschließlich für eine besondere Personengruppe, z. B. nur für die Studenten. Da haben wir alle gelernt, Sie auch. Es muß der vorhandene Wohnungsbestand besser genutzt werden.Bei der Volkszählung wurden in der Bundesrepublik — erst jetzt wieder bei einer Wohnungsbaukonferenz festgestellt — 400 000 unvermietete Wohnungen und 700 000 Ferienwohnungen angegeben. Ich sage hier: Wenn nur ein Bruchteil dieses Wohnungsbestandes — wenn auch nur vorübergehend — Wohnungssuchenden zur Verfügung gestellt würde, wäre bereits viel erreicht. Zusätzliche kommunale Prämiensysteme wie z. B. in Stuttgart für Umwandlung gewerblich genutzten Raums in Wohnraum, Ausbau von Dachgeschossen, bei Umzug von einer zu groß gewordenen Wohnung in eine kleinere Wohnung bei Auszug der Kinder aus dem Haus oder bei Aufnahme von Familien mit mehr als drei Kindern sind überaus nachahmenswert. Ich fordere alle auf, auch in ihren Wahlkreisen für so etwas zu werben. Stuttgart stellt hier 80 Millionen DM zur Verfügung. Ich bitte Sie, das auch in Ihre Wahlkreise zu übermitteln.
Das Land Baden-Württemberg stellt seit einigen Tagen eine 50%ige Mitfinanzierung zur Verfügung: 3 000 bis 5 000 DM Prämie je bisher leerstehende Wohnung, die dem Wohnungsmarkt zugeführt wird. Wenn sich zudem die Gemeinden verbürgen, daß diese Wohnungen — notfalls sage ich — wieder freigemacht werden, wenn unser Neubauprogramm durchgeführt ist, werden viele Hauseigentümer zumindest zur vorübergehenden Aufnahme wohnungssuchender Familien bereit sein.In diesem Zusammenhang befürworten wir auch eng begrenzte — ich wiederhole: eng begrenzte — mietrechtliche Änderungen, insbesondere den Abschluß von Zeitverträgen. Wir sind — um auch hier von vornherein allen Mißverständnissen vorzubeugen — nicht für eine Aushebelung des Mieterschutzes. Aber der beste Mieterschutz ist immer noch ausreichender Wohnraum.
Siebentens. Die Erschließung neuer Wohnbauflächen und ein zusätzliches Grundstücksangebot durch die öffentliche Hand sind das Gebot der Stunde. Deshalb fordern wir, daß von allen Bundesressorts einschließlich Post und Bahn zur Entlastung des Baulandmarkts Grundstücke mit einem angemessenen Abschlag vom Verkehrswert für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt oder mit einem gesenkten Erbbauzins vergeben werden. Hier geht mein Wunsch besonders in Richtung des Herrn Bundesfinanzministers.
Wir fordern auch die Bundesländer auf, geeignete Landesgrundstücke für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Vor allem aber müssen — ich habe das auch in der Aktuellen Stunde vor 14 Tagen gesagt — die Gemeinden ihre Hausaufgaben bei der Erschließung ausreichender Neubauflächen vorrangig erfüllen.
— Verehrter Herr Kollege Conradi, kommen Sie einmal mit mir nach Freiburg oder auch nach Stuttgart oder München! Dann können wir über die Themen am Ort reden.
— Auch der Herr Rommel — das können Sie heute nachlesen — sagt: Wir sind auf dem richtigen Weg.
— Hoffentlich nicht. Wir brauchen Sie noch in der Baukommission. Auch in der Kooperation mit Herrn Behnisch
ist das, glaube ich, besonders wichtig und wertvoll.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13651
Dr. Schroeder
Der Bund wird den Gemeinden bei der Erschließung neuer Wohnbauflächen verstärkt unter die Arme greifen und das bereits erwähnte KfW-Gemeindeprogramm ausdehnen. Kredite der KfW mit einer Zinsverbilligung von immerhin 4 % werden künftig auch für Kosten der Bauleitplanung, notwendige Entschädigungen und Kosten von Folgeeinrichtungen wie Kinderspielplätze, Kläranlagen oder Regenrückhaltebekken gewährt.Die Frage, ob die bauausführende Wirtschaft überhaupt in der Lage ist, dieses Programm zügig umzusetzen, hat die Bauwirtschaft in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Bauindustrie aktuell" mit den zuversichtlichen Worten beantwortet: Die bauausführende Wirtschaft steht bereit. Alle weisen ja — ich höre das immer wieder — darauf hin, daß Aus- und Übersiedler gerade in diesem Bereich eine besondere Eingliederungschance haben.
Richtig ist es, beschlossene, aber noch nicht begonnene Verwaltungsbauten der öffentlichen Hand jetzt in dieser Situation zurückzustellen. Hier schließe ich mich den Forderungen, die ich heute hier schon gehört habe, an: Der Wohnungsbau muß jetzt absolute Vorfahrt haben.
Der Gesetzentwurf zur Erleichterung des Planungs- und Baurechts muß umgehend verabschiedet werden. Für Bürokratie und Investitionserschwernisse ist jetzt kein Platz.
Die wohnungspolitischen Initiativen des Bundes liegen goldrichtig. Sie sind — das sage ich an die Adresse der SPD — aber auch die Obergrenze. Dies bestätigt der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten.
Allen weitergehenden Vorschlägen, Herr Kollege Müntefering, aus Ihren Reihen
wird dort eine deutliche Absage erteilt. Ich zitiere aus dem Gutachten:Würde man diesen Forderungen nachgeben, so wären Fehlentwicklungen programmiert. Der Wohnungsmarkt bliebe unter staatlicher Obhut, und der Subventionsbedarf würde drastisch steigen. Die private Wohnungsbautätigkeit erhielte einen empfindlichen Schlag, weil die privaten Investoren sich erneut zurückzögen, und die aktuellen Engpaßprobleme würden zu einer Dauerbelastung.Ich glaube, das sollten Sie alle noch einmal nachlesen, bevor Sie hier weitergehende Anträge stellen.Im übrigen: Wenn ich Ihren Antrag zugrunde lege und das dort Geforderte zusammenrechne, stelle ich fest, daß die Addition dessen, was wir fordern, ebenfalls diese 3,5 Milliarden DM ausmacht. Rechnen Sie das bitte noch einmal nach. Wir können jedenfalls Ihrem Antrag nicht zustimmen.Ich danke für meine Fraktion Frau Bundesministerin Hasselfeldt für ihre Kreativität und ihr großes Engagement zum Abbau des Wohnungsbaudefizits
— eine Leistung im Interesse aller Bürger, gerade der sozial Schwachen, wie ich hinzufügen möchte. Das hervorragende wohnungspolitische Programm der Koalition und der Bundesregierung hat schon gegriffen. Gestern hat der Bundeskanzler bereits darauf hingewiesen, daß die Zahl der Baugenehmigungen um 25 %, im Geschoßwohnungsbau sogar um 60 % gestiegen ist.
— Herr Kollege Müntefering, hören Sie sich zum Schluß noch folgendes an. Wir erwarten im Jahre 1990 400 000 Baugenehmigungen. 1 Million fertiggestellte Wohnungen in den nächsten drei Jahren — das ist unser erklärtes Ziel. Mit diesem hochgesteckten, aber sehr realistischen Ziel werden wir schnell und treffsicher eine angemessene Wohnversorgung für alle Bürger schaffen.Die Fundamente sind gelegt. Wir sind auf dem richtigen Weg. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zum Einzelplan 25 des Bundesbauministeriums.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Teubner.
Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Schade, der Chef ist nicht da. Sie erinnern sich vielleicht: Noch vor einigen Wochen hat der Kanzler die Wohnungspolitik zur Chefsache erklärt. Er hatte begriffen, daß die Wohnungsnot zu einem zentralen Wahlkampfthema des nächsten Jahres werden würde. Etwas übereilt hatte er damals, vor ein paar Wochen, erklären lassen, im nächsten Jahr werde zumindest der Grundbedarf von 400 000 neuen Wohnungen gedeckt. Herr Schroeder spricht jetzt nur noch von Genehmigungen.
Damit, so glaubte der Kanzler damals, könnte man den Wahlkampf gut überstehen. Jetzt hat er offensichtlich gemerkt, daß das nicht klappen wird. Er hat sich ein sichereres Terrain gesucht und ein anderes Wahlkampfthema gefunden.Die Bundesbauministerin kündigte am 13. November an, der Bund prüfe, „inwieweit noch nicht begonnene eigene Baumaßnahmen vorerst zurückgestellt werden könnten, um den Baumarkt zugunsten des Wohnungsbaus zu entlasten" — ein hoffentlich nicht
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13652 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau Teubnernur populistischer und vom schlechten Gewissen diktierter Gedanke.Den kritischen Zeitungsleserinnen und -lesern ist ja schließlich nicht entgangen, daß der einzige Faktor der Bonner Baupolitik, der sich durch Zuverlässigkeit und Stetigkeit auszeichnet, die Kostenentwicklung bei den Bundesbauten ist. Noch nie zuvor haben Regierung und Parlament so viele Architekten beschäftigt, Wettbewerbe ausgeschrieben, Bauaufträge vergeben wie in diesen Jahren.Wir haben auf der Basis der Haushaltsentwürfe ab 1986 einmal nachgerechnet. Der Palast der Republik auf dem Petersberg ist dabei noch nicht inbegriffen. Wir haben zusammengestellt: Von der Herrichtung des Wasserwerks bis zur Errichtung einer Tiefgarage für die Besucher waren 1986 im Einzelplan 25 Kostenvoranschläge in Höhe von 90,5 Millionen DM enthalten. Für nächstes Jahr, für 1990, sind es 932,8 Millionen DM. Das ist eine ganz erkleckliche Steigerung.
Man sollte sich nicht zu sehr darauf verlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen — das gilt auch für Sie, Herr Kansy — , daß sich die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande durch überhaupt nichts mehr erschüttern lassen. Sie sehen es sehr wohl als krasses Mißverhältnis an, was wir uns hier mit unseren Repräsentationsbauten leisten zu können glauben, verglichen mit dem, was draußen in Sachen Wohnungsnot passiert, die in dieser reichen Republik Hunderttausenden von Menschen zugemutet wird.
Einen völlig neuen Aspekt erhält der Gedanke eines Baustopps im Regierungsviertel seit gestern natürlich durch die neuen deutsch-deutschen Kanzlerpläne. Schon der gewesene Minister Schneider hat immer erzählt, er bete seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angeblich täglich vor: „Bonn ist die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Die Deutsche Hauptstadt beibt Berlin. "
— Herr Kansy, Sie sagen: „Sehr gut! " Nun frage ich Sie aber: Was wird die Hauptstadt der Konförderation sein? Ich denke, mit einiger Sicherheit, sofern diese große Dreier-Koalition diese Konföderation denn zustande bringt, wird es weder Bonn noch Berlin sein; die deutsche Hauptstadt wird wahrscheinlich auch morgen dort liegen, wo schon heute ein gewisser Herrhausen residiert und regiert.
— Nein, wir lassen uns nicht auf diese Vereinigungsspekulationen ein. Da haben Sie uns völlig richtig verstanden. Wir wären aber sofort dabei, wenn hier tatsächlich der ernsthafte Vorschlag eines Stopps für öffentliche Bauten — abgesehen von notwendigen Infrastrukturmaßnahmen — eingebracht würde.
Gegenüber den jetzt beschlossenen wohnungspolitischen Maßnahmen können wir unsere bisher schon reichlich geäußerte Kritik allerdings nur erneuern. Es ist und bleibt — auch nach den heute morgen im Ausschuß beschlossenen Festlegungen — ein Programm für Spekulanten und Wohnungsnotgewinnler. Es gab früher den Begriff „Kriegsgewinnler". Diese Bezeichnung haben diejenigen, die davon betroffen waren, überhaupt nicht gerne gehört; sie fühlten sich extrem diskriminiert. Wir verwenden in diesem Zusammenhang bewußt den Begriff „Wohnungsnotgewinnler" für diejenigen, die aus diesen Regierungsprogrammen jetzt die großen Profite abschöpfen werden.
Es ist ein noch nie dagewesenes Super-Steuersparmodell, bei dem nur eines garantiert ist, nämlich ein hoher Steuerausfall.Ich erlaube mir, ein der Regierung in der Regel nicht wenig gesonnenes Magazin zu zitieren, nämlich die „Wirtschaftswoche", die unter dem Titel „Das Finanzamt baut mit" und dem Untertitel „Erfolge sind so ungewiß wie die Kosten" mit diesen Maßnahmen wie folgt ins Gericht ging. Die „Wirtschaftswoche" schrieb im Oktober zu diesen Steuersparmodellen:Der Staat zahlt für die Baupolitik per Steuerrecht einen hohen Preis. Ort und Art der Wohnungen, die er fördert, kann er nicht beeinflussen. Ein Großteil seiner Vergünstigungen bleibt bei Mitnehmern hängen, die ohnehin gebaut hätten. Kosten und Nutzen bleiben im dunkeln.Soweit die „Wirtschaftswoche". In der letzten Woche erschien noch ein Kommentar dazu, in dem völlig zu Recht gefragt wurde: „Ist die Bonner Wohnungspolitik inzwischen ein Fall für den Psychiater?"Wenn hier von einer Ankurbelung des sozialen Wohnungsbaues gesprochen wird, dann kann man das nur als eine ganz grobe und vorsätzliche und bewußte Täuschung der Öffentlichkeit bezeichnen; denn die so geförderten Projekte werden nach spätestens zehn Jahren auf den Markt geworfen, zu Marktpreisen vermietet oder als Eigentumswohnungen verkauft. Das heißt: Erst kommt das Inkasso für die Eigentümer, dann kommt der Mietsprung. Diejenigen, die heute vielleicht eine Wohnung dort finden, können sehen, wo sie bleiben. Auch die Ankündigung, mit diesen Mitteln in wenigen Jahren Hunderttausende von Wohnungen zu bauen, ist eine Täuschung der Öffentlichkeit.Wir müssen auch deswegen die Forderungen bekräftigen, daß öffentliche Mittel und Flächen ausschließlich für den sozialen Mietwohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Wir wollen überhaupt nicht verhindern, daß sich auf dem freien Markt etwas tut, daß dort auch Kapital eingesetzt wird. Aber, Herr Waigel, wenn hier öffentliche Mittel vergeben werden, dann müssen sie so verwendet werden, daß sie einer langfristigen sozialen Bindung und auch ökologischen Kriterien unterliegen, und zwar aus folgendem Grunde: Zum Beispiel hat das Umweltbundesamt vor wenigen Wochen zum Thema Energieeinsparung im Wohnungsbau, im Wohnungsbereich insge-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13653
Frau Teubnersamt, festgestellt, daß allein mit einem verbesserten Wärmeschutz an Gebäuden 40 bis 50 % der Heizenergie eingespart werden könnten. Das würde eine Reduzierung des CO2 im Umfang von 100 Millionen t pro Jahr bedeuten.Das BMFT, das Forschungsministerium, hat in Untersuchungen aufgezeigt — wir konnten das vor wenigen Wochen im BMFT-Journal lesen — , daß mit modernen Wärmeschutzmaßnahmen im Vergleich zu heutigen Häusern bis zu zwei Drittel Energie eingespart werden können. Weitere, noch darüber hinausgehende Einsparungen sind über moderne heizungstechnische Anlagen, Brauchwasseranlagen und anderes zu erzielen. Zwei Drittel der Energie mindestens können also eingespart werden.Was aber plant die Bundesregierung im Hausbau, wenn sie überhaupt plant? — Noch im Oktober hieß es durch Herrn Klein, Regierungssprecher, man denke auch an den Bau von Fertighäusern mit Einfachausstattung, sogenannten Wohnraum mit „Mindestqualität", der laut Herrn Klein später ohne allzu großen Aufwand nachrüstbar sei. Von diesen Schlichtwohnungen wird heute nicht mehr gesprochen. Herr Staatssekretär Echternach ist neulich sogar auf den Zug aufgesprungen, daß man ja vielleicht auch einmal ökologische Kriterien in die Diskussion einbringen könnte, und ließ sich wie folgt vernehmen — ich zitiere Herrn Echternach — :Der Städtebau steht vor der Herausforderung, das neue Wohnungsbauprogramm der Bundesregierung architektonisch anspruchsvoll und ökologisch vernünftig umzusetzen.
Neue Bauten müssen behutsam und ausgewogen in die Landschaft eingefügt werden. Die Fehler der Nachkriegszeit dürfen sich nicht wiederholen.Soweit Herr Echternach.
Wo war das? Das war in Köln, auf dem dritten Landschaftsarchitektentag. — Sie stimmen zu.
Wenn Sie zustimmen, warum haben Sie dann in Ihre Wohnungsbauprogramme nicht solche Kriterien mit eingefügt?
Warum machen Sie nicht eine schärfere Wärmeschutzverordnung? Warum fordern Sie nicht die Ministerin auf, endlich auch einmal in dieser Weise entsprechend den ökologischen Notwendigkeiten zu bauen?
Sie haben nichts gelernt. Wer heute beim Bauen nicht auf einem Höchstmaß an Wärmedämmung und anderen Energiespartechniken besteht, hat nichts, überhaupt nichts kapiert
von der Diskussion, die im Energiebereich um die bevorstehende Klimakatastrophe tobt.
Wer heute leichtfertig auf gesundheitsverträgliche Baustoffe verzichtet, hat nichts gelernt aus der Diskussion um Asbest, um Holzschutzmittel und sonstige Skandale.
Es gibt noch ein anderes ökologisches Kriterium, bei dem uns immer wieder vorgeworfen wird, wir bestünden zu stur auf unserer Forderung. Wir wehren uns nämlich dagegen, daß im Außenbereich neue Baugebiete ausgewiesen werden. Wir können hier nur betonen — das hat auch gestern die Diskussion beim Städtetag gezeigt — : Es gibt in den Städten selbst im Innenbereich noch große Potentiale,
die zur Verfügung stünden, wenn man z. B. ein schärferes Baugebot hätte.
Herr Zundel aus Heidelberg hat gesagt, er könnte sofort 200 Baulücken ausfüllen, wenn es ein schärferes Baugebot gäbe.
Wir hoffen, daß in dem neuen Planungsrecht, das demnächst diskutiert wird, solche Maßnahmen dann auch konsequent überlegt werden.Ich möchte aber noch auf ein anderes Potential hinweisen, das in der ganzen Diskussion meines Erachtens viel, viel zu kurz kommt. Das sind die ungeheuer großen Flächen, die in der Bundespublik für militärische Einrichtungen zur Verfügung stehen.
— Das darf nicht fehlen. Deswegen sage ich es hier ja.— Dabei denke ich nicht nur an die Kasernen, von denen jetzt einige freundlicherweise für die Übersiedlerinnen und Übersiedler als Übergangsmaßnahme zur Verfügung gestellt werden. Es gibt in der Bundesrepublik auch Hunderttausende von fremden Soldaten mit zivilem Anhang, die zum Teil mit Familie hier leben, die unheimlich viele Wohnungen belegen. Ich kenne die Zahlen nicht genau. Ich kenne sie nur aus meinem Heimatort Lahr. Da haben wir 30 000 Einwohnerinnen und Einwohner und 10 000 kanadische Bürgerinnen und Bürger, die dort nicht in Kasernen leben, sondern den Wohnraum in den Dörfern in der Gegend, in der gesamten Region ringsum mit Beschlag belegen. Das ist eine Fehlnutzung, die meines
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13654 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau TeubnerErachtens in der heutigen Zeit überhaupt nicht mehr akzeptiert werden kann.
— Ich würde sie gern nach Hause schicken.
In den Vereinigten Staaten wird über die drastischsten Etatkürzungen seit dem Ende des Vietnam-Krieges diskutiert, Etatkürzungen von insgesamt 180 Milharden Dollar. Herr Cheney sagt, das Risiko eines Krieges sei so gering wie nie zuvor seit 1945.
Was passiert hier in der Bundesrepublik? — Da wird weiter gebaut. Da liegen im Einzelplan 14 die Aufwendungen für militärische Bauten 16 % über dem durchschnittlichen Zuwachs. Das heißt: Die militärische Präsenz sowohl unserer eigenen als auch der fremden Truppen wird nicht nur fortgeschrieben, sondern noch ausgeweitet. Ich könnte Ihnen aus Baden-Württemberg seitenweise Einzelmaßnahmen aufzählen, von Albstadt bis Zimmern, von Karlsruhe bis Konstanz: Munitionsdepots — wofür brauchen wir hier noch diese Munition? — , Mobilmachungsstützpunkte, die neu eingerichtet werden, Schießanlagen, Truppenübungsplätze. Sind das Investitionen für den Frieden, sind das Investitionen, die wir heute in einer Zeit brauchen, in der wir das Geld weiß Gott für andere Maßnahmen und Notwendigkeiten ausgeben müssen? Dafür hat die Bevölkerung kein Verständnis mehr.
Wir brauchen nicht eine gesamtdeutsche Armee, wir brauchen überhaupt keine Armee.
Wir brauchen nicht mehr diese ganzen militärischen Einrichtungen. Der erste Schritt muß eine Reduzierung der fremden Truppen sein.
Dann würden wir auf einen Schlag unheimlich viele Wohnungen schaffen, die schon heute nutzbar sind. Unsere Forderung ist, daß darüber sofort verhandelt wird.Die Amerikaner haben früher, als die Friedensbewegung hier so stark war, immer gesagt: Wenn ihr uns nicht mehr haben wollt, dann sagt es uns, dann gehen wir eben. — Laßt es uns ihnen sagen; wir brauchen sie nicht mehr.
Die Weltgeschichte ist heute eine andere. Auch insofern ist dieser Haushalt ein völlig anachronistischer Haushalt.
— Meine Zeit ist abgelaufen.
Vielen Dank.
Bevor ich dem Abgeordneten Dr. Hitschler das Wort erteile, will ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgeben. Das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5914 zum Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung, lautet wie folgt: abgegebene Stimmen: 414, ungültig: keine. Mit Ja haben 29, mit Nein haben 245 Abgeordnete gestimmt, 140 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 412; davonja: 29nein: 245enthalten: 138JaDIE GRÜNENFrau BeerBrauerDr. Daniels EichFrau EidFrau Flinner Frau FrießFrau GarbeHossHüserFrau KellyKleinert
Dr. KnabeDr. Lippelt Dr. MechtersheimerFrau Nickels Frau RustFrau Saibold Frau SchillingFrau Schmidt Frau SchoppeStratmannFrau TeubnerFrau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Weiss WetzelFrau WollnyFraktionslos Frau UnruhNeinCDU/CSUDr. AbeleinAustermannBauer Bayha Dr. Becker
Dr. BiedenkopfBiehleDr. BlankDr. BlensDr. BlümBöhm
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13655
Vizepräsident CronenbergBörnsen
Dr. Bötsch BohlBohlsenBorchertBreuerBühler Buschbom Carstens (Emstek)Carstensen ClemensDr. CzajaDr. Daniels DawekeDeresDörflinger DossDr. Dregger Echternach EhrbarEigenEylmannDr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau Fischer Fischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannDr. Friedrich FuchtelGanz
Frau Geiger GeisDr. GeißlerDr. von GeldernGersteinGerster
GlosDr. Göhner Dr. GrünewaldGüntherDr. Häfele HamesFrau HasselfeldtHaungsHauser
Hauser
HedrichFrau Dr. Hellwig Helmrich Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesFrau Hürland-BüningGraf Huyn Dr. Hüsch JägerDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Jung
KalbKalischDr.-Ing. KansyDr. Kappes Kittelmann Klein
Dr. Köhler KolbKossendey KrausKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. Kunz
LamersDr. Lammert Dr. Langner LattmannDr. LaufsLenzerFrau Limbach Link
Link
LintnerLouvenLowackLummerMaaßFrau Männle MaginDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Möller Dr. Müller Müller
Müller
NelleDr. Neuling Dr. Olderog OswaldPeschPetersenPfeffermann PfeiferDr. Pfennig Dr. Pohlmeier Dr. Probst RauenReddemann RegenspurgerRepnikDr. RiesenhuberFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. RoseRossmanithFrau Rost
Roth Dr. Rüttgers RufSauer
Sauer
Sauter
Frau Schätzle ScharrenbroichSchartz
Schemken ScheuSchmidbauerFrau Schmidt Schmitz (Baesweiler)von SchmudeDr. Schneider Freiherr von Schorlemer Dr. Schroeder (Freiburg) SchulhoffDr. Schulte SchwarzDr. Schwörer SeehoferSeesingSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken StrubeFrau Dr. SüssmuthSussetTillmannDr. TodenhöferDr. Uelhoff UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt Dr. VondranDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffWeirichWeiß Werner (Ulm)Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Würzbach Zeitlmann ZiererZinkSPDGrunenbergNagelRappe Frau RengerStahl
FDPBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)EngelhardFrau Folz-Steinacker GallusGattermann Genscher GriesGrünbeck GrünerFrau Dr. Hamm-Brüchei Dr. Haussmann HeinrichDr. Hirsch Dr. Hitschler HoppeDr. Hoyer IrmerKleinert KohnDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff Mischnick NeuhausenNoltingPaintnerRichterRindRonneburgerFrau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. Thomae TimmFrau WalzDr. Weng Wolfgramm (Göttingen) Frau WürfelZywietzEnthaltenSPDAmlingAntretterDr. ApelBachmaierBambergBecker
Frau Becker-InglauBernrathBindigFrau BlunckDr. Böhme BrandtBrückBüchler Büchner (Speyer) Dr. von Bülow Frau Bulmahn BuschfortCatenhusenFrau Conrad ConradiDaubertshäuser DillerDreßlerDuveEgertDr. Ehmke Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich ErlerEstersEwenFrau FaßeFischer
Frau Fuchs Frau Fuchs (Verl) Frau Ganseforth GanselFrau Dr. Götte GroßmannHaack Frau Dr. HartensteinDr. Hauchler HeimannHeistermann HeyennHiller Dr. HoltzHornHuonkerIbrüggerJahn Dr. JensJung Jungmann (Wittmoldt)Frau Kastner KiehmDr. Klejdzinski KoltzschDr. KüblerKühbacherKuhlweinLambinusLeidingerLeonhartLohmann LutzFrau Matthäus-Maier MenzelDr. Mertens
MeyerMüller
Müller MünteferingNehmFrau Dr. Niehuis
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13656 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Vizepräsident CronenbergDr. NieseOesinghaus Oostergetelo OpelDr. Osswald PauliDr. PennerPeter PfuhlDr. PickPorznerPoßPurpsReschkeReuterRixeRothSchäfer SchanzDr. ScheerScherrerSchluckebierFrau Schmidt Schmidt (Salzgitter)Dr. Schmude SchützFrau Schulte SeidenthalFrau Seuster Sieler SingerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellFrau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. SperlingSteinerFrau SteinhauerDr. Struck UrbaniakVahlbergDr. VogelVoigt
VosenWaltemathe WaltherFrau Dr. Wegner WeiermannFrau Weiler Weisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau Weyel Dr. WieczorekWieczorek WiefelspützWimmer WischnewskiDr. de With WittichZanderZeitlerZumkleyDamit ist der Antrag abgelehnt. )So, Herr Dr. Hitschler, jetzt kann ich Ihnen das Wort erteilen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn alle Bürger in der Bundesrepublik Deutschland in so verdichteten Wohngebieten wohnen würden, wie die Kollegin Teubner uns das soeben empfohlen hat, dann würden wir wahrscheinlich auch alle so verbissen wie sie in der Gegend herumlaufen.
Am Wohnungsmarkt sind über einen längeren Zeitraum immer wieder zyklische Pendelbewegungen zwischen Leerständen einerseits und starkem Nachfragedruck andererseits zu beobachten. Diese Pendelbewegungen finden ihre Erklärung in wellenartigen Nachfrageentwicklungen auf Grund der konjunkturellen Einkommensentwicklung, der unterschiedlich ausgeprägten Bevölkerungsbewegungen, der veränderten Lebensgewohnheiten und einer zeitlich verzögerten Angebotsanpassung von Wohnraum auf Grund der erforderlichen Bauzeit zur Schaffung desselben.Seit Mitte des Jahres 1987 deuteten erste Anzeichen auf einen Umschwung am Wohnungsmarkt hin, der bis dahin von erheblichen Wohnungshalden gekennzeichnet war. Die Situation des Überangebots an Wohnungen in der Mitte der 80er Jahre führte bekanntlich zu erheblichen Schwierigkeiten einiger Wohnungsunternehmen, aber auch der Bauwirtschaft, die ihre Baukapazität stark zurückfahren mußte. Zahlreiche Konkurse von Bauunternehmun- *) Ergebnis der Abstimmung über Epl. 60 Seite 13672 Bgen waren eine schmerzliche Begleiterscheinung dieser Entwicklung. Bund, Länder und Gemeinden hatten ihre Mittel zur Förderung des Wohnungsbaus im Gleichschritt kontinuierlich reduziert.
Innerhalb eines Jahres hat sich die Situation grundlegend gewandelt. Verschiedene Gründe, allen voran die stark gestiegenen Realeinkommen, aber auch die zahlreichen neuen Haushaltsgründungen analog der Bevölkerungsentwicklung, der Zuzug von außen, die Entwicklung der Scheidungsrate
und der Wunsch nach eigenständiger Haushaltsführung von jungen Leuten und vielen älteren Mitbürgern ließen die Nachfrage kräftig wachsen. Sie traf am Markt zunächst auf ein schlechtes Investitionsklima; denn die Leerstände — noch vom Jahr zuvor — hatten bei Vermietern und Investoren negative Erfahrungen hinterlassen und keine große Investitionslust geweckt, war die Baukonjunktur doch bis dato gerade vom Eigenheimbau und der Altbausanierung getragen.Auch wenn die Wohnraumversorgung des überwiegenden Teils unserer Bevölkerung als ausgezeichnet zu bezeichnen war und ist — die Wohnfläche pro Kopf der Bevölkerung ist kräftig gestiegen, und die Ausstattungsqualität der Wohnungen wurde nachhaltig verbessert — , bedurfte die neue Situation einer Begünstigung des Investitionsklimas, zunächst einmal für den privaten Mietwohnungsbau, der fast völlig zum Erliegen gekommen war. Bereits Mitte 1988 wurde die Bundesregierung initiativ. Für das Jahr 1989 wurde ein Sonderprogramm zur Wohnraumversorgung von Aussiedlern in Höhe von 750 Millionen DM aufgelegt,
das eine siebenjährige Belegungsbindung bei einem Zuschuß von 50 000 DM von Bund und Land pro Wohneinheit vorsah.Im September 1988 beschloß das Kabinett den sogenannten dritten Förderweg der vereinbarten Förderung, der neben dem ersten und zweiten Förderweg ein flexibleres Instrument der Wohnungsbauförderung darstellt, weil die wesentlichen Vertragsbestandteile zwischen Darlehensgeber und Bauherr frei ausgehandelt werden können und bei kürzeren Bindungszeiten einen erheblich geringeren Förderbetrag je Wohnung ermöglichen, mit weniger Mitteln also wesentlich mehr Wohnungen gebaut werden können.Im März 1989 schließlich wurden die steuerlichen Abschreibungsbedingungen für den privaten Mietwohnungsbau durch eine Verkürzung der Abschreibungszeit und durch eine starke, degressive Staffelung der Abschreibungssätze verbessert. Innerhalb der ersten zehn Jahre können nunmehr 58% der Herstellkosten steuerlich geltend gemacht werden. Diese Maßnahme zeitigt bereits heute ihre Früchte. Gleichzeitig wurden der Verpflichtungsrahmen für den sozialen Wohnungsbau auf 1,6 Milliarden DM ange-
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Dr. Hitschlerhoben und eine sechste Mietenstufe für Regionen mit besonders hohem Mietniveau eingeführt. Daneben wurde eine Erleichterung des Tausches von Sozialwohnungen zugunsten von kinderreichen Familien durch eine Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes ermöglicht.Die differenzierte Nachfragestruktur legte ein differenziertes Instrumentarium zur Verbesserung des Wohnungsangebotes nahe. Denn der Koalition war im Gegensatz zur Opposition klar, daß Engpässen in der Wohnraumversorgung nur durch eine Verbreiterung des Wohnraumangebotes begegnet werden kann, nicht durch verschärfte Bewirtschaftungsmaßnahmen, worin beispielsweise die rot-grünen Ideologen in Berlin ihr Heil suchen, die die Erfüllung ihres wohnungspolitischen Sendungsbewußtseins in der Lust der Enthaltsamkeit am Bauen finden.
Im Oktober 1989 beschloß die Koalition auf Anregung der FDP eine Mobilisierungsabschreibung von fünfmal 20 % des Herstellungsaufwandes für den Um-und Ausbau von Wohnungen aus dem Gebäudebestand, sofern er bisher gewerblich, landwirtschaftlich oder anderweitig genutzt worden war. Alternativ zur Mobilisierungsabschreibung konnte und kann eine dreiprozentige Zinsverbilligung für zehn Jahre bei Begünstigung der Baukosten in Höhe von 75 % bis zu 750 DM pro Quadratmeter in Anspruch genommen werden. Diese Maßnahme wurde damals von der Opposition als „öffentliche Hilfe zum Ausbau von Partykellern" diffamiert. Kein Mittel der Diffamierung ist Ihnen wohl verabscheuungswert, verspricht es Ihnen nur einen auch noch so kurzfristigen Vorteil.Die Inanspruchnahme der zinsverbilligten KfW-Kredite weist hingegen gerade dieses Programm als Renner am Wohnungsmarkt aus. Innerhalb von 14 Tagen wurden bewilligungsfähige Anträge für 11 000 Wohnungen mit einem Bauvolumen von über 650 Millionen DM eingereicht. Da die Mobilisierungsabschreibung eine noch etwas günstigere Kondition bietet, darf mit Fug und Recht vermutet werden, daß auf diesem Wege zumindest noch einmal die gleiche Anzahl von Wohnungen gebaut wird.Vor allem geht es bei diesem Teilpunkt unseres Gesamtpaketes darum, Wohnraum möglichst kurzfristig dem Markt zuzuführen. Dieses Ziel werden wir erreichen. Ein Großteil dieser Wohnungen wird über den Winter ausgebaut werden können. Da es sich dabei zu einem beträchtlichen Teil um den Ausbau von Dachgeschoßwohnungen handeln dürfte, ist es dringend notwendig, daß die Baunutzungsverordnung die erleichterte Möglichkeiten zum Dachgeschoßausbau vorsieht, endlich auf den Weg gebracht und nicht länger blockiert wird.
All jene, die gegenwärtig noch im Bremserhäuschen sitzen, laden sich eine hohe Verantwortung auf.
Am 7. November 1989 schließlich wurde das Gesamtpaket fertiggeschnürt. Die Koalition beschloß weitere Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus, einigte sich über eine zeitgerechte Wohngeldanpassung nach Vorlage des Mieten- und Wohngeldberichtes und vereinbarte die Verabschiedung eines Maßnahmengesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus durch Änderungen im Planungs- und Baurecht sowie durch Änderungen mietrechtlicher Vorschriften.Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau wurden noch einmal, nunmehr auf 2 Milliarden DM, angehoben und in der mittelfristigen Finanzplanung verstetigt, um mittelfristig der Bauwirtschaft stabile Rahmenbedingungen zu signalisieren. Da der soziale Wohnungsbau in seiner bisherigen Form zu teuer, zu unsozial und zu ineffizient war, werden die zusätzlichen Mittel ausschließlich auf dem dritten Förderweg vergeben. Von den bereits vorher beschlossenen 1,6 Milliarden DM steht der überwiegende Teil für Eigentumsmaßnahmen zur Verfügung.Dies erleichterte aus verteilungs- und vermögenspolitischen Gründen uns Freien Demokraten, die wir einen weitgehenden Ausstieg aus der Objektförderung bisheriger Art ansteuern, unsere Zustimmung in der Gewißheit, daß der überwiegende Teil dieser Mittel der Wohneigentumsbildung dient und der Rest zu einem Großteil auf nur mittlere Sicht zu Sozialbindungen führt.Daneben wurde ein besonderes Modell einer Kombination von steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten in Verbidung mit einer zehnjährigen Sozialbindung entwickelt, dessen Praxisbewährung wir mit großem Interesse entgegensehen.Ein Bausparzwischenfinanzierungsprogramm mit einem Volumen von 500 Millionen DM bringt bei einem Förderungsumfang von 80 000 DM Kreditsumme plus 20 000 DM je Kind eine Zinsverbilligung von 2,5 % auf drei Jahre. Es ermöglicht Bausparern, die in der Regel nicht zu den reichsten Mitbürgern zählen, ihr Bauprojekt zeitlich vorzuziehen. Auch auf diesem Wege werden somit zusätzliche Wohnungen dem Markt zugeführt.Ferner setzt der Bund zum Bau von 20 000 Studentenwohnheimplätzen noch einmal 300 Millionen DM ein, um zusätzlich zu den Möglichkeiten, die die Länder über das Strukturhilfegesetz haben, für weitere Entlastung in diesem ganz wichtigen Marktsegment zu sorgen.Bei dem Wohnungsbauerleichterungsgesetz geht es neben Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung bei der Bauleitplanung und der Baugenehmigungspraxis auch um die erweiterte Zulässigkeit von Wohnungsbauvorhaben im Außenbereich durch eine Änderung des § 35 des Bundesbaugesetzes. Demnach soll auf einer Hofstelle im Außenbereich künftig die Einrichtung von vier statt von bisher zwei Wohnungen möglich sein, sofern vorhandene Gebäulichkeiten in Wohnraum umgewidmet werden, ohne daß die äußere Gestalt des Gebäudes wesentlich geändert wird.Damit werden eine Zielsetzung der Landwirtschaft, nämlich eine weitere Einkommensmöglichkeit zu schaffen und die landwirtschaftlichen Gebäude nicht dem Verfall preiszugeben, und eine wohnungspolitische Absicht glücklich miteinander verbunden. Wir
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Dr. Hitschlersind davon überzeugt, daß gerade die Änderungen der §§ 34 und 35 nicht zur Zersiedlung, Zersplitterung und Umweltbelastung, sondern zu neuen Möglichkeiten der interessanten, architektonisch reizvoll gestaltbaren Entwicklung unserer Dörfer, Weiler und Einzelhöfe führen und so Nischen für solche Individualisten, die es nicht in die Ballungszentren zieht, eröffnen.Es ist nicht einsehbar, daß alle Menschen in die Wohnblocks des sozialen Wohnungsbaus gezwängt werden sollen. Auch bei der Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses ist Wert zu legen auf Vielfalt und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten in den verschiedenen Siedlungsräumen und Siedlungsformen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, daß wir mit diesem Gesamtpaket darauf geachtet haben, daß erstens marktwirtschaftliche Elemente Eingang gefunden haben und beachtet wurden, insbesondere durch die steuerlichen Elemente und bei jenen Einzelmaßnahmen, die, ohne Bindungen einzugehen, durchgeführt werden können. Der Erfolg des Aus- und Umbauprogrammes beispielsweise zeigt, daß der Markt reagiert, daß er schnell reagiert, schneller, als dies z. B. über staatliche Wohnungsbaugesellschaften möglich wäre.Wir haben zweitens darauf geachtet, daß die private Eigentumsbildung in besonderem Maße gefördert wird, sowohl beim Eigenheimbau und beim Erwerb von Eigentumswohnungen als auch im Mietwohnungsbau. Dies entspricht einer politischen Grundüberzeugung von uns Liberalen, wonach die Wohnungseigentumsbildung der einzelnen Bürger aus vielerlei Gründen wünschenswert und förderungswürdig ist.Wir sind auch gemeinsam mit unserem Koalitionspartner ein bißchen stolz darauf, daß wir eine schwierige Aufgabe zusammen, in guter Partnerschaft, ohne großes Gezänk gelöst haben und dabei wirklich konstruktiv zusammengearbeitet haben. Wir haben Handlungsfähigkeit bewiesen. Die Richtigkeit unserer Analyse und der daraufhin getroffenen Maßnahmen wird uns im Sachverständigengutachten der „fünf Weisen" in beeindruckender Weise bestätigt.Eines muß aber auch klar sein: Damit sind die finanzpolitischen Möglichkeiten des Bundes zur Förderung des Wohnungsbaus ausgeschöpft. Einen weiteren Nachschlag kann es nicht nur aus haushaltspolitischen Gründen nicht geben, sondern auch deswegen, weil a) die Kapazitäten der Bauwirtschaft, insbesondere im Ausbaugewerbe, an ihre Grenzen stoßen und weil b) die Wohnungspolitik natürlich auch im Kontext der übrigen gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen gesehen werden muß. Wir liegen mit unserem wohnungspolitischen Paket an der obersten Grenze des Mach- und Vertretbaren. Jedes Mehr führt zu unvertretbaren weiteren Preissteigerungen und möglichen geldpolitischen Reaktionen, die wir uns für den Wohnungsbau nicht wünschen können.Wir müssen uns deshalb über die dürftigen Einsichten und unmäßigen Steuererhöhungsvorschläge wundern, wie sie vom Städtetag erneut gegen jede wirtschaftliche Vernunft vorgebracht wurden.
Diese Vorschläge passen nun wirklich überhaupt nicht in die Landschaft. Man kann nur sagen: Das Investitionsklima ist gegenwärtig ausgezeichnet; laßt die Leute doch jetzt endlich einmal bauen und erfüllt ihr, Städte und Gemeinden, bitte schön, eure eigenen Hausaufgaben:
stellt Bauland zur Verfügung, beschleunigt eure Baugenehmigungspraxis, erwerbt Belegungsrechte zur Wohnraumversorgung der Rand- und Problemgruppen unserer Gesellschaft und versucht, eigene Bauwünsche für Verwaltungszwecke zurückzustellen, um die Kapazitäten für den Wohnungsbau freizuhalten.
Auch der Bund wird von uns aufgefordert, den sogenannten Schürmann-Bau zunächst auf Eis zu legen, um damit ein Zeichen zu setzen und mit gutem Beispiel vorangehen.Mit Interesse haben wir von dem Angebot der Bauindustrie Kenntnis genommen, die ihre Bereitschaft erklärt hat, ausscheidenden Bergleuten einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Mit noch größerem Interesse werden wir angesichts des eklatanten Baufacharbeitermangels beobachten, wieviel Zeit die Bundesanstalt für Arbeit eigentlich noch benötigt, um die 76 000 arbeitslos gemeldeten Bauarbeiter am Markt unterzubringen.
Und Sie, meine Damen und Herren Kollegen, sind Ihrerseits aufgefordert und gebeten, nunmehr draußen dafür zu sorgen, daß auch alle Bauwilligen dieses Programm kennenlernen.Information tut not. Ich hoffe natürlich, daß das Bauministerium und das Bundespresse- und -informationsamt das Ihre zur Aufklärung der Bevölkerung beitragen. Deshalb werden wir auch den Antrag der SPD-Fraktion, den Titel 53 103 zu kürzen, ablehnen müssen, weil er dem Informationsbedürfnis der Bevölkerung zuwiderlaufen würde.
Die Opposition hat einen Änderungsantrag zum Einzelplan 25 vorgelegt, in dem sie sozusagen als einzige Maßnahme die Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohungsbau auf die nunmehr neue Rekordhöhe von 3,5 Milliarden DM fordert. Mehr ist ihr dazu dann nicht mehr eingefallen. Da kann man nur sagen: O sancta simplicitas! Es müßte Ihnen doch allmählich auffallen, daß Sie jedesmal, wenn Sie in einer Ihrer Begründungen den Vorwurf erheben, die Bundesregierung betreibe eine Kahlschlagpolitik, Ihre eigene Ratlosigkeit dokumentieren.
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Dr. HitschlerUnsere Empfehlung zur Vermeidung der Wiederholung dieses einfallslosen Vorschlages, der nur der Abstandswahrung vom Regierungsentwurf dient: Denken Sie einmal an die Folgen für die Baukosten, für die Mieten und für die Zinsen, wenn wir das tun wollten, was Sie vorschlagen, und lesen Sie nach, was die Sachverständigen in ihrem Gutachten zum sozialen Wohnungsbau geschrieben haben. Ich bin überzeugt, daß bei dieser Lektüre Ihre ökonomische Einsichtsfähigkeit wachsen wird. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Franz Müntefering.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Wohnungspolitik hat die Bundesregierung seit 1983 falsch gemacht, was sie falsch machen konnte. Deshalb ist seitens der Opposition auch aufzuzählen, was da alles an Versäumnissen zusammengekommen ist.Die Bundesregierung hat seit 1983 erstens den sozialen Wohnungsbau — als Neubau und als Bestand — bekämpft. Sie hat gesagt: Der Markt macht das. Aber es hat sich gezeigt: Der freie Markt ist dazu nicht in der Lage.
Der Markt ist sozial blind.Zweitens hat die Bundesregierung die Fakten über die heraufziehende Wohnungsnot ignoriert, die seit langem erkennbar waren. Jetzt versucht sie, sich hinter den Zuwanderern zu verstecken. Frau Ministerin, Sie haben nicht einmal den Mut, den Menschen, die sich überlegen, ob sie nicht auch noch zu uns kommen wollen, deutlich zu sagen: Wir haben hier zur Zeit keine Wohnungen; wer jetzt noch kommt, muß über sehr lange Zeit in Behelfssituationen wohnen, dann bekommt er eine solide und bezahlbare Wohnung, aber wir haben zur Zeit keine Wohnungen zur Verfügung. Das müssen Sie, bitte schön, deutlich sagen und nicht immer so tun, als ob das alles noch schnell in ein paar Wochen zu lösen sei.
Die Bundesregierung hat bis Anfang dieses Jahres jeden Handlungsbedarf bestritten und dann in der „Hasselfeldter Springprozession" in sechs Monaten drei Programme beschlossen. Herr Schroeder hat vorhin gesagt: Der beste Mieterschutz sind ausreichend viele Wohnungen. Wohl wahr! Nur, wenn das so ist, müßten Sie doch in den letzten Jahren etwas gemerkt haben. Der Wohnungsbau ging von Jahr zu Jahr herunter,
im letzten Jahr auf 208 000. Wenn es so ist, daß manviele Wohnungen braucht, um Entlastung am Mietermarkt zu bekommen, dann hätten Sie ja wohl merkenkönnen, daß 208 000 Wohnungen im letzten Jahr nicht reichen konnten. Aber Ende letzten Jahres und noch Anfang dieses Jahres haben Sie an dieser Stelle gesagt: Alles in Ordnung, kein Handlungsbedarf.Nun konnte man vor einigen Wochen Hoffnung schöpfen; denn plötzlich erklärte der Kanzler das Thema zur Chefsache. Er hatte offensichtlich etwas gemerkt. Die Hoffnung hat allerdings getrogen: Das Programm, das am 7. November vorgelegt worden ist, und das, was der Kanzler gestern in der Regierungserklärung dazu gesagt hat, werden dem Thema nun weiß Gott nicht gerecht.
Der Kanzler hat zum Thema „Wohnungsnot" drei Bemerkungen gemacht, und alle drei waren gleichermaßen unsinnig:Erstens hat der Kanzler behauptet, die Bedenken gegen die Volks- und Gebäudezählung hätten das Minus an Wohnungen erst sehr spät erkennbar gemacht.
Selbstverständlich hat die Bundesregierung gewußt, daß die Zahl der Haushalte zunimmt, daß die Haushalte kleiner werden, daß die geburtenstarken Jahrgänge jetzt Wohnungen nachfragen, daß der Wohnflächenbedarf jedes Jahr um einen halben Quadratmeter pro Person steigt, daß 2,7 Millionen Wohnungen älter als 90 Jahre sind und bald wegfallen werden, daß die Oberbürgermeister und die Wohnungsämter gewarnt haben. Der Mieterbund und die Makler, alle haben seit zwei, drei Jahren gesagt: Dies geht nicht gut; wir bekommen Wohnungsknappheit, wir bekommen Wohnungsnot. Die SPD, bitte schön, hat ja einige Anträge dazu im Deutschen Bundestag eingebracht. Daß der Bundeskanzler jetzt versucht, die Wohnungsnot in der Bundesrepublik mit der Terminierung der Volks- und Gebäudezählung zu erklären, ist wirklich lächerlich.
Zweitens hat der Bundeskanzler behauptet, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau flössen vor Ort nicht schnell genug ab. Nun ist ganz sicher richtig: Es muß Druck gemacht werden. Jeder vermeidbare bürokratische Kram muß beiseite geschoben werden. Wir sind sehr dafür; aber ich sage auch ganz klipp und klar: Wir werden an der Bürgerbeteiligung festhalten. Bei all dem, was zu planen und zu entscheiden ist, werden wir die Bürger aus der Entscheidung vor Ort, aus dem Entscheidungsprozeß nicht herausnehmen. Wir sind gut beraten, wenn wir uns da nicht auf ein Verfahren kaprizieren, bei dem wir glauben, daß ginge nun alles schnell und an den Bürgern vorbei.Drittens hat der Kanzler festgestellt, der Bund stelle in den nächsten vier Jahren 8 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen zur Verfügung, und das bedeutet 500 000 Sozialwohnungen. Da hätte er lieber seinen Taschenrechner zu Rate ziehen sollen; denn eine echte Sozialwohnung mit langfristiger Kostenmiet- und Belegungsbindung kostet im Bundesdurch-
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Münteferingschnitt in der Förderung 100 000 DM; mal mehr, mal weniger, aber 100 000 DM im Durchschnitt.
Wenn man rechnet, dann bedeuten die 2 Milliarden DM Bundesmittel — 8 Milliarden DM in vier Jahren — nicht 500 000 Wohnungen, sondern jedes Jahr 20 000 Wohnungen, also 80 000 Wohnungen in vier Jahren.
80 000 Wohnungen werden dabei herauskommen; von 500 000 hat der Bundeskanzler gestern gesprochen. Vielleicht sagen Sie ihm das, damit er nicht weiter solche falschen Zahlen in die Welt setzt.
Der Bundeskanzler handelt mit Wundertüten, aber Sozialwohnungen kommen da nicht heraus. Nach nur sieben Jahren, 1996, sollen die so geförderten Wohnungen schon wieder aus den Bindungen herausfallen. Es sind dann keine Sozialwohnungen mehr, sondern sie fallen in den sogenannten freien Wohnungsmarkt. Wenn die letzten jetzt versprochenen Wohnungen gebaut sind, dann fallen die ersten aus der Sozialbindung schon wieder heraus. Deshalb ist das eine unsoziale Wohnungspolitik, die Sie machen!
Es genügt auch nicht, in dieser wohnungspolitischen Sackgasse Gas zu geben, ohne vorher die Richtung zu korrigieren. Man sollte das vorsichtshalber tun. Deshalb sollten Sie auch wissen, daß das einfache Verbessern von Zinskonditionen und von Abschreibungssätzen das Problem nicht löst, zumal Sie — dilettantisch genug — durch eine Anhebung der Normalabschreibung die Attraktivität der Sonderabschreibung mit Sozialbindung, die Sie jetzt aufs Tablett gehoben haben, uninteressant gemacht haben. Da findet ein Bluff statt. In Wirklichkeit wird da natürlich ganz wenig passieren; denn das, was der potentielle Bauherr an Interesse gewinnen kann, haben Sie durch die Anhebung der Normalabschreibung längst konterkariert.Die Wohnungspolitik braucht zwei Standbeine:Erstens. Der Neubau muß verstärkt werden: als Mietwohnungs- und als Eigenheimbau, als Neubau von Häusern und als Umbau und Ausbau im Bestand, als sozialer und als freifinanzierter Wohnungsbau.Zweitens. Der Wohnungsbestand muß in seiner sozialen Funktion gesichert werden.
Die Menschen, auch die finanziell schwach Dastehenden, müssen in ihren Wohnungen sozial und sicher wohnen können. Die Bundesregierung kümmert sich um den Neubau nur halbherzig. Ihr Engagement für den sozialen Mietwohnungsbau ist bisher pflaumenweich geblieben. Um die Sicherung des Sozialwohnungsbestandes kümmert sich die Regierung überhaupt nicht; sie läßt die Mieter im Stich.
Ihre Einstellung zum sozialen Wohnungsbau wird auch deutlich, wenn man sich ansieht, wie Sie Ihre Mittel abfließen lassen wollen. Wenn man eine Wohnung baut, dann ist sie nach zwei oder drei Jahren fertig, und dann muß man sein Darlehen geben, wenn man das vorher verspricht. Das war beim sozialen Wohnungsbau bisher auch immer so. Sie nehmen aber jetzt 1,4 Milliarden DM und verteilen die in sieben Jahren. Die letzten Mittel kommen erst im Jahre 1996 bei den Ländern an. Die Ländern sollen vorfinanzieren. Die 2 Milliarden DM, die Sie jetzt im Etat haben, sind natürlich nicht 2 Milliarden DM wert; sie müssen verzinst werden, sie sind 1,6 Milliarden oder 1,7 Milliarden DM wert. Das Ganze zeigt nur, daß Sie es mit dem sozialen Wohnungsbau nicht wirklich ernst meinen,
sondern unter einer falschen Überschrift irgendeinen Zwitter haben wollen, der aber in Wirklichkeit kein langfristig funktionierender sozialer Wohnungsbau ist. Deshalb lehnen wir das ab.
Unsere weitergehenden Forderungen zum Neubau: jährlich 3,5 Milliarden DM Bundesfinanzhilfen für echten sozialen Wohnungsbau mit langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindungen im Jahre 1990 und in den Folgejahren dieses Jahrzehnts; da braucht man nicht nur zwei oder drei Jahre. Die Fraktionsvorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktionen im Bund und in den Ländern haben in dieser Woche die Forderung dieser Verstetigung für die Dauer der 90er Jahre beschlossen. Wir werden mit der Wohnungsknappheit und mit der Wohnungsnot, die wir heute haben, noch in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zu tun haben, so daß es schon vernünftig sein wird, daß wir ein mittel- und langfristiges Konzept daraus machen.Auch die Kommunen und die Wohnungsbaubranche brauchen eine mittel- und langfristige Perspektivplanung. Ganz wichtig ist, daß von den 3,5 Milliarden DM Bundesmitteln und von den Mitteln, die von den Ländern und Gemeinden dazukommen, ein angemessen großer Teil in die Universitätsstädte fließt, damit geholfen wird, die Probleme im studentischen Wohnungsbereich zu lösen.
Auch die 3,5 Milliarden DM für 1991 sollen nach dem Willen der Sozialdemokraten und nach unserem Antrag schon in dieser Woche beschlossen werden. Wir möchten eine Vorveranschlagung der Mittel für 1991, denn so können die Mittel rechtzeitig durch die Bewilligungsstellen vor Ort laufen, und vor dem 1. Januar 1991 werden die Zusagen bei den Bauherren sein, so daß keine Zeit verlorengeht. Deshalb ist die Vorveranschlagung eine wichtige Maßnahme, um die Kapazitäten auch voll nutzen zu können.
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MünteferingDa der Herr Möller das offensichtlich nicht glaubt, will ich noch einen Satz dazu sagen. Wir haben uns immer wieder damit auseinanderzusetzen, Herr Dr. Möller, daß die potentiellen Bauherren im Februar oder im März immer noch auf die öffentlichen Mittel warten und nicht beginnen können. Wenn die aber vor Beginn des Jahres da sind und zugesagt sind, dann kann man, wenn das Wetter danach ist, gleich zu Beginn des Jahres beginnen.
Wenn Sie es mit der mittelfristigen Planung Ihres Konzepts ernst meinen, dann sollte Ihnen die Vorveranschlagung für das übernächste Jahr mindestens in der Etathöhe, die Sie anpeilen, heute möglich sein. Wir möchten das für den gesamten Bereich.Es muß auch die steuerliche Förderung des selbstgenutzten Wohnungseigentums wirkungsvoller gestaltet werden. Wir kommen auf unseren Antrag von 1985/86 zurück, statt der Freibetragsregelung einen Abzug von der Steuerschuld und ein verbessertes Baukindergeld für den Eigenheimbau einzuführen. Mindestens zeitweise muß der Neubau deutlich besser gefördert werden als der Einkauf in den Bestand. Wir wollen Neubau, wir brauchen Neubau. Wir wis-. sen, daß ein Teil derer, die ein selbstgenutztes Eigenheim neu bauen, Mietwohnungen freimachen, aber dazu muß eben neu gebaut werden. Dazu dürfen wir nicht den Einkauf in den Bestand, sondern müssen den Bau von neuem selbstgenutztem Wohneigentum präferieren.Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 18. Oktober ein Bausparzwischenfinanzierungsprogramm gefordert. Die Koalition hat es am 7. November beschlossen. Wir können uns einig sein: Das ist eine gute Entscheidung. Die allgemeine Zinspolitik wirkt für den Wohnungsbau allerdings kontraproduktiv. Die Wirkungen der verbesserten Abschreibungssätze und der Zinsverbilligungen werden durch allgemein erhöhte Zinssätze, die im Laufe dieses Jahres entstanden sind, fast aufgefressen. Frankfurt macht Wohnungspolitik mit, und zwar nicht im guten Sinne. Traurig ist, daß die Bundesregierung wort- und tatenlos zusieht und sich dazu nicht einmal äußert.
Beim Neubau braucht der Werkswohnungsbau neue Impulse. Es brauchen nicht nur die Unternehmen Fachleute, sondern die Fachleute brauchen auch Wohnungen. Es muß über Appelle, aber auch durch Vergünstigungen für die Firmen dafür gesorgt werden, daß dieses Potential besser genutzt wird als bisher. Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, die heute noch gemeinnützig sind und ab 1. Januar leider nicht mehr, müssen in den Stand gesetzt und auch herangezogen und gebeten werden, sich im Neubau zu engagieren. Das ist unser Appell, aber auch unsere Erwartung an die Wohnungsbaugesellschaften. Nachdem es jetzt offensichtlich eine Einigung über die Anfangsbilanz gibt und klar ist, daß die Firmen vom Finanzminister nicht ausgebeutet werden, wie sie das empfunden haben, und nachdem sie das Geld haben, erwarten wir, daß sie sich im nächsten Jahr im Neubau engagieren. Das ist unsere Erwartung, die wir gegenüber diesen Unternehmen deutlich aussprechen.Die Regierungskoalition läßt die Kommunen mit dem Baulandproblem allein. Der Neubau muß im Rahmen sinnvoller Stadtentwicklung erfolgen, unter Berücksichtigung von ökologischen und infrastrukturellen Herausforderungen. Es kommt nicht darauf an, irgendwie und irgendwo zu bauen, so dringend das Problem ist, sondern wir müssen es im Rahmen sinnvoller Stadtentwicklung tun. Zuerst müssen die Baulücken genutzt, müssen die Flächen in rechtskräftigen Bebauungsplänen ausgefüllt werden, ehe irgendwo neu zu bauen begonnen wird. Weil das so ist, brauchen die Kommunen zusätzliche Instrumente.Wir fordern, daß das Bau- und Nutzungsgebot auch aus wohnungsversorgerischen Gründen ausgesprochen werden kann. Das haben wir schon gefordert, als wir das Baugesetzbuch gemacht haben, aber da war die Koalition noch klüger und hat noch nichts geahnt. Es wäre schon gut, wenn die Städte und Gemeinden sagen könnten: Wir erlegen euch aus wohnungsversorgerischen Gründen auf, da zu bauen, weil wir diese Grundstücke für den Wohnungsbau brauchen. Die Kommunen brauchen ein preislimitiertes Vorkaufsrecht bei Grundstücksgeschäften im Bereich ihrer Städte. Sie brauchen ein Satzungsrecht, mit dem sie unbebaute baureife Grundstücke, die der Bebauung spekulativ vorenthalten werden, mit einer Sondersteuer belegen können. Ich weiß: Wenn ich das sage, zucken viele von Ihnen zurück.
Aber die Wahrheit ist, wenn es Grundstücke gibt, die überplant sind, die man bebauen könnte, müssen wir wollen, daß die Kommunen ein Instrument bekommen, damit sie diese Grundstücke, wenn sie nicht zur Verfügung gestellt werden, mit einer besonderen Steuer — einer Grundsteuer C oder wie immer man das nennt — , belegen können, damit wir Druck hineinbekommen. Es geht nicht, daß wir uns die Köpfe heißreden, für welche Flächen draußen neue Bebauungspläne aufgelegt werden können, und gleichzeitig bleiben in den Städten und in den überplanten Bereichen die Grundstücke liegen. Das kann so nicht richtig sein. Deshalb muß hier Druck gemacht werden. Dazu müssen wir den Städten und Gemeinden die nötigen Instrumente an die Hand geben.
Es geht auch um die Aktivierung bisheriger Altlasten und Brachflächen. Hier gibt es riesengroße Flächen, die man nutzen kann und die von der Bebauung auch gar nicht so weit weg liegen. Die müssen jetzt für die Bebauung vor Ort greifbar werden.Unsere wichtigsten Forderungen zum Bestand. CDU/CSU und FDP ignorieren die Probleme der Mieter im Bestand völlig. Wer aber bei leergefegtem Wohnungsmarkt und bei wachsender Wohnungsnot nicht zusätzlich etwas für den Schutz der Mieter tut, der öffnet Spekulanten Tür und Tor. Die Mieter müssen vor Verdrängung und vor überhöhten Mietforderungen geschützt werden. Wir fordern, die Schutzfrist bei Eigenbedarfskündigung von drei auf sieben Jahre zu
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Münteferingverlängern. Die SPD fordert das seit langem. Die Bayerische Staatsregierung ist ebenfalls aktiv geworden. Der Bundesrat hat beschlossen. Aber die Bonner Koalition schweigt. Die FDP erklärt solche Vorschläge sogar für verfassungswidrig. Die Frau Ministerin muß in den nächsten Wochen zeigen, ob sie mehr weißblau oder mehr schwarz-blau ist.
Darüber hinaus wollen wir den Kommunen ein Satzungsrecht geben, für bestimmte Schwerpunkte zeitlich begrenzt Umwandlungen zu verbieten. Wir wollen, daß Sozialwohnungen, die ihre Bindung verlieren, eine zwölfjährige Nachwirkungsfrist haben. Bisher gibt es in großen Städten eine Frist von acht Jahren, in Städten unter 200 000 Einwohnern jedoch nur von sechs Monaten. Das Problem ist aber längst auch in den Städten unter 200 000 Einwohnern eingekehrt. Wenn jemand, der öffentliche Mittel bekommen hat, die Mittel vorzeitig ablöst, weil er glaubt, er kann mit den Wohnungen, wenn er sie für den freien Markt zur Verfügung hat, mehr Geld verdienen — das ist ja nicht falsch; damit liegt er richtig — , stehen die Wohnungen nach sechs Monaten zur Verfügung — mit Mieterhöhungssprüngen von 30 %. Dies kann nicht richtig sein. Deshalb sagen wir: Verlängerung der Nachwirkungsfrist auf zwölf Jahre. Auch der Bundesrat ist übrigens unserer Meinung. Es wird sich zeigen, ob das, was die B-Länder, die CDU/CSU-FDP-Länder, wenigstens teilweise, im Bundesrat mitbeschließen, auch hier im Deutschen Bundestag hält.Die höchstzulässige Mieterhöhungsmarge, 30 To in drei Jahren, muß deutlich reduziert werden. Bei Neuvermietungen gibt es in der gegenwärtigen Situation besonders krasse Beispiele von Mietsprüngen, auch hier muß eine Begrenzung erfolgen.Das Wohngeld möchten wir zum 1. Juli 1990 erhöhen. Der Antrag liegt dem Deutschen Bundestag vor. Wir schlagen vor, die Einkommensgrenzen zu erhöhen, die Höchstbeträge zu erhöhen und die Freibeträge für Alleinerziehende und für Schwerstbehinderte und andere Gruppen anzuheben. Der vorliegende SPD-Antrag führt zu einer Steigerung des Wohngeldanspruchs je Empfänger um durchschnittlich 270 DM pro Jahr.Minister Schneider, der heute nicht mehr da ist, hat im Februar dieses Jahres für Anfang 1990 eine Wohngelderhöhung um 20 % angekündigt. Herausgekommen ist nichts. Ein Grund mehr zu sagen: Die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung ist unglaubwürdig von vorn bis hinten.Die SPD fordert ein Bund-Länder-finanziertes Programm, einen Kommunalfonds. Mit seiner Hilfe sollen die Kommunen flexibel Wohnungspolitik machen, Belegungsrechte erwerben, Wohnungen kaufen, Bestandsreserven mobilisieren können. Es ist hier nicht mehr die Zeit, das zu vertiefen. Aber wir sind überzeugt, daß man die Feinsteuerung der Wohnungspolitik immer weniger vom grünen Tisch in Bonn aus machen kann und daß wir den Kommunen größere Handlungsfreiheit geben müssen.
Dazu ist auch erforderlich, den von Bund und Ländern mitfinanzierten Kommunalfonds zu haben, mit dem wir die Kommunen instand setzen, flexibel auf die Marktsituation einzugehen und Dinge zu tun, die nicht bürokratisch von oben her geregelt werden können.
Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Unsere Gesellschaft darf sich nicht damit zufriedengeben, daß 90 % von uns gut wohnen, besser als jemals zuvor. Alle Mitbürgerinnen und Mitbürger haben Anspruch darauf, angemessen, sozial und sicher wohnen zu können. Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden ist es, denen zu helfen, die aus eigener Kraft oder als Minderheit am Wohnungsmarkt keine Chance haben.Bis jetzt versucht der Bund, sich mit vielen Worten, zuwenig Geld und einer schlechten Konzeption aus der Mitverantwortung wegzustehlen. Die Bundesregierung wird ihrer wohnungspolitischen Verantwortung nicht gerecht.
Das Wort hat die Bundesministerin Frau Hasselfeldt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bluse ist weiß-blau. So brauche ich hinsichtlich der Äußerung des Herrn Müntefering gar nicht zu sagen, wo ich stehe: natürlich bei weiß-blau.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die angemessene Versorgung unserer Bürger mit Wohnungen ist in der Tat zur Zeit die größte innenpolitische Herausforderung. Im Gegensatz zur Vergangenheitsbewältigung, auf die Sie, Herr Müntefering einen großen Teil Ihrer Rede verwendet haben,
sehen wir das, was auf uns zukommt. Wir sehen die Probleme. Wir stellen uns dieser Herausforderung. Wir sind uns dieser Herausforderung bewußt. Und wir haben auch entsprechend gehandelt.Der Wohnungsbauhaushalt 1990 ist Ausdruck des deutlich gesteigerten finanziellen Engagements des Bundes in der Wohnungspolitik. Die Zielrichtung ist eindeutig: Wir brauchen mehr Wohnungen. Dazu ist ein umfassendes, ein differenziertes Paket von Maßnahmen erforderlich, das wir auch auf den Weg gebracht haben. Es sind Maßnahmen, die an folgenden Punkten ansetzen:Erstens. Wir müssen den sozialen Wohnungsbau und die soziale Absicherung des Wohnens stärken.Zweitens. Wir brauchen verstärkt das private Kapital für den Wohnungsbau.
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Bundesminister Frau HasselfeldtDrittens. Der vorhandene Gebäudebestand muß mehr für Wohnraum mobilisiert werden.Viertens. Wir müssen die bau-, planungs- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften durchforsten, um unnötige Hemmnisse für eine zügige Ausdehnung des Wohnungsangebots zu beseitigen.
Dazu sind eine ganze Reihe von Beschlüssen gefaßt worden, und wir haben dabei alle denkbaren sinnvollen Ansätze mit einbezogen.Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt verbinden wir zugleich ein mittelfristiges Signal. Im Vergleich zu dem Stand vor einem Jahr sind es nach den neuesten Beschlüssen bis zum Jahre 1993 insgesamt rund 13 Milliarden DM — ich bitte hier die Opposition, auch wirklich zuzuhören: 13 Milliarden DM — , die der Bund zusätzlich an Finanzhilfen für die Wohnungsbauförderung zur Verfügung stellt oder auf die der Staat zusätzlich an Steuereinnahmen verzichtet.Wir wissen alle, daß wir die Engpässe am Wohnungsmarkt nicht von heute auf morgen beseitigen können. Herr Müntefering, dies sage ich nicht nur hier, sondern dies sage ich überall. Ich will keine falschen Erwartungen wecken. Wir müssen auch sagen, wie die Realitäten sind. Die Wohnungen, die wir brauchen, benötigen halt von der Baugenehmigung bis zur Bezugsfertigkeit einige Zeit. Deshalb müssen wir, vor allem angesichts der hohen Aus- und Übersiedlerzahlen — bis heute sind es etwa 630 000 in diesem Jahr —, deutlich trennen zwischen dem, was wir für die dauerhafte Wohnungsversorgung leisten können und müssen, und dem, was daneben für die vorübergehende menschenwürdige Unterbringung gerade unserer neuen Mitbürger erforderlich ist. Hier haben die Kommunen und alle anderen Beteiligten in diesen Wochen und Monaten bereits ein hohes Maß an Leistungsfähigkeit, an Leistungsbereitschaft bewiesen. Was hier an praktischer, an täglicher Arbeit geleistet worden ist, das ging über die Vorstellungskraft so mancher hinaus, die angesichts des Aussiedlerzustroms und zuletzt der Zuwandererwelle aus der DDR skeptisch waren. Für diese Arbeit, für diese Hilfsbereitschaft, für diese unkonventionelle Leistungsbereitschaft in den Kommunen vor Ort gebührt allen Beteiligten unser herzlicher Dank.
Ich betone diesen Dank als Bauministerin so besonders, weil es einen unmittelbaren Zusammenhang zum Wohnungsmarkt und zur Wohnungspolitik gibt, denn Versäumnisse im Bereich der Übergangsunterbringung können schnell — die Vergangenheit hat das in einigen Städten und Ländern ja gezeigt — zu Forderungen in Richtung auf Wohnungszwangswirtschaft bis hin zur Beschlagnahme ungenutzter Zimmer führen. Mit solchen Politikvorschlägen, aus denen Panik und Unvermögen sprechen, würden wir einen wirtschaftlich soliden Wohnungsmarkt kaputtmachen. Diese Vorschläge sind ungeeignet.
Nun sollten gerade in dieser wichtigen nationalen Aufgabe der Wohnungspolitik Parteienzank, Schuldzuweisung und ähnliches eigentlich längst vorbei sein. Nicht nur deshalb bin ich verblüfft, wenn die SPD im Zusammenhang mit der Vorlage des Gutachtens des Sachverständigenrats behauptet hat — ich beziehe mich hier auf Pressemeldungen —, der Rat habe der Bundesregierung u. a. in der Wohnungspolitik schwere Versäumnisse vorgeworfen. Wer sich dieses Gutachten wirklich einmal anschaut, der muß feststellen: Dieses Gutachten ist ein überzeugendes Votum für unsere Wohnungspolitik, für eine marktwirtschaftlich orientierte, sozial verpflichtete Politik, für eine Politik, die zugleich pragmatisch und realistisch richtige Antworten auf eine schlagartig veränderte Situation gibt. Dies geht aus dem Gutachten eindeutig hervor.Wo es im Gutachten allerdings mahnende Worte gibt, da sind sie samt und sonders an die wohnungspolitische Adresse der Opposition gerichtet.
Zwischen den Zeilen des Gutachtens — ich könnte es Ihnen zitieren — liest man ja fast schon die Drucksachennummern der Oppositionsanträge,
beispielsweise ein Plädoyer gegen die Beibehaltung der alten Gemeinnützigkeitsregeln, ein Plädoyer gegen den Ausbau des Mieterschutzes. Ich könnte das noch fortsetzen; das ist Inhalt des Sachverständigengutachtens.Die tatsächlich vorhandenen Probleme können wir nur gemeinsam lösen, gemeinsam mit den Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden. Wir lassen die in der Wohnungspolitik hier Verantwortlichen nicht im Stich.Wir helfen den Ländern beim sozialen Wohnungsbau in einer Größenordnung, wie sie selbst für die Opposition vor wenigen Monaten nicht vorstellbar war. Wir helfen den Gemeinden z. B. dadurch, daß wir bei der Aufbereitung, bei der Erschließung von Bauland ihnen durch zinsgünstige Kredite unter die Arme greifen oder auch bei Einrichtungen zur vorläufigen Unterbringung von Haushalten, die sonst auf der Straße stünden. Wir helfen vor allen Dingen auch den Mietern, nicht nur durch die allgemeine Angebotsausweitung, die ihnen ja zugute kommt, sondern auch durch das Wohngeld. Wir haben ihnen geholfen durch die Entscheidung, eine sechste Mietenstufe einzuführen, und die Wohngeldstufe in vielen Städten und Gemeinden unseres Landes anzuheben. Darüber hinaus wird auf der Basis des Wohngeld- und Mietenbe-
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Bundesminister Frau Hasselfeldtrichts über den Zeitpunkt der nächsten allgemeinen Wohngeldanpassung entschieden. Für mich ist unbestritten, daß das Wohngeld ein ganz wichtiges sozial- und wohnungspolitisches Instrument ist.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und die Koalition haben in der Wohnungspolitik das Heft fest in der Hand. Mit den Beschlüssen vom Oktober und November dieses Jahres liegt ein umfangreiches Maßnahmenpaket vor, das alle denkbaren und sinnvollen Ansätze nutzt. Ich nenne nur einige wesentliche Punkte:Erstens. Wir mobilisieren mehr privates Kapital für den Bau von Mietwohnungen. Dies war schon im Frühjahr dieses Jahres beschlossen. Dies greift, sichtbar schon durch die Baugenehmigungen in diesem Jahr.Zweitens. Wir machen allen Investoren darüber hinaus das Angebot, noch einmal deutlich verbesserte Abschreibungsregelungen in Anspruch zu nehmen, wenn sie dafür eine zehnjährige Belegungs- und Mietpreisbindung eingehen.
— Die Spreizung stimmt so. In den ersten zehn Jahren, Herr Müntefering, wird nach diesem Vorschlag eine Abschreibungsmöglichkeit von 85 % der Investitionssumme möglich sein. Dies ist ein Angebot an die privaten Investoren, wie es bisher im Wohnungsbau noch nicht vorhanden war. Wir verbinden mit dieser Regelung die freie Investitionsentscheidung mit dem sozialstaatlichen Anliegen, preisgünstigen Wohnraum für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zu schaffen, ohne daß hierfür Anträge oder Verhandlungen zwischen Investor und Bewilligungsbehörden erforderlich sind.
Bei alldem ist äußerst wichtig, daß wir das, was wir beschlossen haben, auch zügig auf den Weg bringen. Daß der Gesetzentwurf hierzu jetzt schon in der parlamentarischen Beratung ist und in der nächsten Woche voraussichtlich verabschiedet werden wird, zeigt doch, daß wir zügig arbeiten, daß wir es nicht nur mit dem Beschluß bewenden lassen, sondern daß wir es auch so schnell wie möglich verwirklichen.Drittens. Kernstück der aktuellen haushaltswirksamen Beschlüsse ist, daß die Ansätze für den sozialen Wohnungsbau im Jahre 1990 und in den folgenden Jahren — ganz wichtig, in den folgenden Jahren — auf 2 Milliarden DM erhöht werden. Mit 8 Milliarden DM stehen in den nächsten vier Jahren damit 3,5 Milliarden DM mehr zur Verfügung als zuvor geplant. Die Rechnung, die Sie aufgestellt haben, Herr Müntefering, geht natürlich deshalb nicht auf, weil Sie den Anteil der Länder, Gemeinden und Städte nicht mit einbezogen haben.
Der soziale Wohnungsbau ist eine gemeinsame Aufgabe, er ist in erster Linie eine Aufgabe der Länder.
Die Bundesregierung unterstützt diese Aufgabe der Länder mit eigenen Finanzhilfen, und die Gemeinden haben ihre Verantwortung auch entsprechend wahrzunehmen.
Wir haben in diesem Jahr 1989 — um dies einmal auf eine realistische Basis zu stellen — etwa 80 000 Bewilligungen im sozialen Wohnungsbau — das ist die Tatsache, meine Damen und Herren — und damit etwa das Doppelte von dem, was wir im Jahre 1988 hatten,
und zwar mit einem Volumen an Bundesmitteln in diesem Jahr von 1,05 Milliarden DM. Wir werden im nächsten Jahr einen Verpflichtungsrahmen von 2 Milliarden DM haben. Die Länder haben ihrerseits ihren Anteil wesentlich angehoben und haben ihre Bereitschaft kundgetan, in den nächsten Jahren ihr Engagement zu steigern, so daß es doch nur recht und billig ist, nachdem wir jetzt schon 80 000 Bewilligungen mit den 1,05 Milliarden DM haben, daß wir davon ausgehen, ab dem nächsten Jahr pro Jahr etwa 120 000 Bewilligungen im sozialen Wohnungsbau zu erreichen. Das ist die solide Rechnung, und daran sollten wir uns auch orientieren.Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen: Wir möchten keine Schlichtwohnungen. Wir möchten keine Trabantenstädte. Die Architektur und das Wohnumfeld sind uns ganz wichtige Anliegen, gerade auch im sozialen Wohnungsbau. Auch wenn wir schnell zusätzliche Wohnungen brauchen, dürfen wir dies nicht aus den Augen verlieren.Zur Bausparzwischenfinanzierung und zu den Studenten, wo wir wieder eingestiegen sind, möchte ich mich nicht näher auslassen, weil mir sonst die Zeit etwas davonläuft; es wurde schon mehrere Male angesprochen. Ich möchte nur darauf hinweisen: Uns liegen die Studenten und deren Wohnungsversorgung am Herzen. Deswegen sind wir in die gemeinsame Aufgabe, in die gemeinsame Förderung des Studentenwohnheimbaus von Bund und Ländern, wieder eingestiegen. Aus dieser gemeinsamen Aufgabe sind nicht wir ausgestiegen, sondern da ist die sozialliberale Koalition ausgestiegen.
Wir wissen, daß wir nicht alles über den Neubau erreichen können. Deshalb haben wir auch im Bereich des Umbaus Förderungsmaßnahmen mit beschlossen, und zwar entweder durch günstige Abschreibungsregelungen — das wurde erwähnt — oder durch zinsgünstige Kredite aus einem neuen, mit 1,5 Milliarden DM dotierten Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau.Nachdem bis heute, also gerade einem Monat nach dem Programmstart, schon mehr als 50 Prozent der Gesamtsumme belegt sind, haben wir daraus die Konsequenzen gezogen und im Haushalt 1990 die ursprünglich auf drei Jahre verteilten Mittel vollständig
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Bundesminister Frau Hasselfeldtetatisiert. Sie sehen auch daran, daß wir schnell und ohne große Probleme auf diese große Nachfrage nach einem Instrument reagieren, das wir erst vor wenigen Wochen mit beschlossen haben.
— Natürlich hat dies mit sozialem Wohnungsbau zu tun. Dies hat natürlich etwas mit der Wohnungsversorgung der Bevölkerung in unserem Land zu tun, die doch für alle wichtig ist. Unsere erste Aufgabe muß es sein, mehr Wohnungen zu schaffen. Wenn wir mehr Wohnungen haben, kommt diese zusätzliche Zahl an Wohnungen jedem Wohnungssuchenden in unserem Land zugute.
Es kommt im wesentlichen denen zugute, die weniger verdienen, die sich auf dem Markt heute alleine weniger helfen können.Die Überwindung der Engpässe auf dem Wohnungsmarkt ist ohne zusätzliches Bauland nicht möglich. Ich sehe natürlich die Konflikte, die sich mit anderen wichtigen Zielen, z. B. dem Umwelt- und Naturschutz, ergeben können; ich nehme sie auch sehr ernst. Aber man muß sich aktuell auch fragen: Welche Priorität setzen wir? Für mich ist die Situation klar: Die erste Priorität liegt darin, daß wir im Interesse der Menschen dafür sorgen müssen, daß sie Wohnungen haben. Es ist unverständlich, wenn auf der kommunalpolitischen Ebene die gleichen Leute in der Partei, die den Zeigefinger nach Bonn richten und sagen, ihr müßt mehr Geld hergeben, in den eigenen vier Wänden, in der Gemeinde, dann sagen: Wir weisen nicht mehr Wohnbauland aus, weil wir nicht mehr Bebauung, sondern lieber die grüne Wiese vor den Toren unserer Mitbewohner haben möchten. Das ist nicht glaubwürdig.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Beschleunigung und die Erleichterung von Baugenehmigungsverfahren und auch der Bauleitplanung. Ich nenne dies nur am Rande, weil es nicht unmittelbar für den Bundeshaushalt relevant ist. Wir müssen uns dieses Problems aber in ganz intensiver Weise annehmen. Mit Geld allein lösen wir die Probleme nicht. Wir brauchen rasche Erfolge. Um diese zu erzielen, müssen wir den Wohnungsbau auf bestimmte Zeit erleichtern und gewisse Bestimmungen im Baugesetzbuch ändern bzw. ergänzen.Es liegt bereits ein Entwurf vor. Auch in diesem Punkt haben wir schnell gehandelt. Bereits in der nächsten Woche wird dieser Entwurf zur parlamentarischen Beratung vorgelegt.
— Wir werden mit Sicherheit den Entwurf in den Ausschüssen und in den Arbeitsgruppen so intensiv beraten, daß alle Belange berücksichtigt werden können. Wir müssen uns aber auch die Zielrichtung vor Augen halten, nämlich daß wir rasch zusätzliche Wohnungen brauchen.Mit diesen Beschlüssen ist die Diskussion über zusätzliche Anregungen und Vorschläge auf Bundesebene abgeschlossen. Wir haben die Maßnahmen in der Koalition gründlich diskutiert und vorbereitet, und es ist, wie sie sehen, ein umfangreiches und ausgewogenes Paket herausgekommen. Es geht jetzt nicht mehr darum, weitere Diskussionen zu führen, sondern jetzt ist das konkrete Handeln, das Umsetzen, gefragt. Dazu gehört auch, daß wir in dieser Woche die nötigen formellen haushaltsmäßigen Voraussetzungen schaffen.Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen, die sich in den Koalitionsfraktionen an der Erarbeitung dieser Vorschläge beteiligt haben, meinen ganz herzlichen Dank aussprechen. Es war nicht einfach, aber es war ein konstruktives Arbeitsverhältnis. Allen Mitgliedern der Fraktionen der FDP und der CDU/CSU möchte ich ganz besonders danken. Einschließen möchte ich in diesen Dank auch
die Mitglieder des Haushaltsausschusses. Ich schließe die Mitglieder des Haushaltsausschusses, im besonderen die Berichterstatter, ein, die an der Erarbeitung dieses Entwurfs beteiligt waren.
— Ich lobe die Leute dann, Herr Roth, wenn ich einen Grund dafür habe.
Ich habe Grund, für den Arbeitseinsatz und die wohlwollende Behandlung unserer Anträge zu danken.
Bei all den Bemühungen um zusätzliche Wohnungen dürfen wir die Leistungen für die Städtebauförderung nicht vergessen.
Trotz mancher Diskussion im Laufe dieses Jahres hat es hier nicht nur keinerlei Abstriche gegeben. Wir haben uns vielmehr darüber hinaus darauf verständigt, daß für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung, also bis 1993, dieses für unsere Städte und Gemeinden so wichtige Instrumentarium mit jährlich 660 Millionen DM fortgeführt wird. Dies ist ein ganz wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Lebensqualität und der Wohnqualität in unseren Städten und Gemeinden.
Ich sage bei dieser Gelegenheit dazu: Es wäre nicht so einfach gewesen, all diese Beschlüsse in der Wohnungspolitik und auch diesen Beschluß zur Städtebauförderung so durchzusetzen, wenn nicht das Verständnis des Bundesfinanzministers für die Belange der Wohnungspolitik und gerade für die Städtebauförderung immer wieder so deutlich zu Tage getreten wäre.
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Bundesminister Frau HasselfeldtLassen Sie mich einige Worte zum leidigen Thema Neubauten des Deutschen Bundestags sagen.
Ich habe ein gewisses Verständnis für so manchen Unmut in dieser Angelegenheit, aber ich habe kein Verständnis dafür, daß man immer wieder Vergangenheitsbewältigung betreibt. Wir würden uns alle miteinander etwas leichter tun, wenn zwischen dem Herrn Nehm einerseits und dem Herrn Conradi andererseits nicht zwei Welten ständen, wenn ich das einmal so sagen darf. Es kann nur einen Sinn machen, den Blick nach vorn zu richten. Das ist auch meine Aufgabe. Das ist unsere Aufgabe: den Blick nach vorn zu richten, die vorhandenen Probleme so zu lösen, daß es wirklich endgültig ist, im Sinne der Steuerzahler, und natürlich auch in unserem Interesse, möglichst bald in ein funktionsfähiges Haus zu kommen. Diesem Ziel dient meine Arbeit in dieser Richtung.Die von mir Ende September eingesetzte Lenkungsgruppe, in der Mitarbeiter meines Hauses und der Bundesbaudirektion sowie der Architekt und das mit der Kosten- und Terminplanung beauftragte Büro zusammenarbeiten, hat es geschafft, wieder Bewegung in die Baustelle zu bringen. Wie jedermann sehen kann, geht der Stahlbau gut voran. Wenn nicht durch einen scharfen Winter Rückschläge entstehen, wird der Rohbau planmäßig im Frühjahr 1990 fertiggestellt. Dann kann auch mit dem Ausbau begonnen werden. Sie können versichert sein, daß die Bauverwaltung peinlichst darauf achten wird — dahinter stehe auch ich persönlich — , daß kostenträchtige Veränderungen der Pläne nicht mehr vorgenommen werden
und der Architekt seine Planung an den nun gemeinsam ermittelten Kosten ausrichtet.
Seine Bereitschaft, sich an den jetzt gemeinsam ermittelten Kosten auszurichten, hat er inzwischen erklärt.
Darüber hinaus werde ich die Effizienz der Arbeit in der Bundesbaudirektion durch organisatorische Maßnahmen erhöhen und eine eigene Gruppe einrichten, die sich nur mit den Bundestagsbauten beschäftigen wird.
Lassen Sie mich aber auch an dieser Stelle ein Wort zu den Bediensteten der Bundesbaudirektion sagen. Wir alle haben es zugelassen, daß das Arbeitsvolumen dieser Behörde in den vergangenen Jahren gewaltig gesteigert worden ist. Das Bauvolumen der in Bonn ansässigen Abteilung ist in den letzten Jahren um 70 % gestiegen, ohne daß eine wesentliche Personalverstärkung stattgefunden hat.
Diese starke Belastung der Mitarbeiter in der Bundesbaudirektion war mit Sicherheit nicht allein für die Kostensteigerung ausschlaggebend. Mit Sicherheit nicht! Dieser ursächliche Zusammenhang besteht nicht.
Ich möchte nur die Tatsache in den Raum stellen, daß diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer enorm hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind und daß es deshalb völlig unangebracht ist, von welcher Seite auch immer, diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in irgendeiner Weise anzugreifen oder ihnen etwas in dieser Richtung anzulasten. Ich stelle mich hier voll vor die Mitarbeiter dieser Bauverwaltung.
Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, daß die eingeleiteten organistorischen Maßnahmen Erfolge zeitigen werden und daß es gelingen wird, die Baumaßnahmen für den Deutschen Bundestag weniger spektakulär und weniger turbulent als bisher, dafür aber im Kosten- und Terminplan zu Ende zu führen.
Dafür setze ich mich auch mit meiner ganzen persönlichen Arbeitskraft ein, und auch meine führenden Mitarbeiter stehen dafür gerade.
Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.
„Nichts wird sein, wie es war" , so heißt es in diesen Tagen überall nach den Veränderungen der letzten Wochen. Wir werden auch im Bundestag viel mehr als bisher bei jeder Entscheidung prüfen müssen, was sie für die Deutschen in der DDR bedeutet, ob sie uns weiter auseinanderbringt oder zusammenführt.Das gilt auch für die Bauvorhaben, z. B. für das in Berlin geplante Deutsche Historische Museum. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir dieses Projekt so weiterführen, als sei überhaupt nichts geschehen.
Die Deutschen in der DDR machen Geschichte, und die Deutschen in der Bundesrepublik bauen ein Geschichtsmuseum. So kann doch wohl die Arbeitsteilung nicht sein.
Deshalb schlage ich vor, die derzeitige Bauplanung für das Deutsche Historische Museum einzustellen, gemeinsam mit dem Senat von Berlin nach einer baulichen Interimslösung zu suchen und mit der DDR zu sprechen, ob wir dieses Deutsche Historische Museum als gemeinsames Projekt weiterverfolgen und ob wir einen gemeinsamen Standort dafür finden. Dann könnten wir einen neuen Architektenwettbewerb ausschreiben, an dem Architekten aus beiden deutschen Staaten teilnehmen können. Dieses Projekt
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Conradiist sicher nicht das wichtigste auf dem Weg zu größerer Gemeinsamkeit, der vor uns liegt. Aber dieses Projekt kann deutlich machen, wie ernst es uns mit dem Willen zu mehr Gemeinsamkeit ist.Schwieriger ist es mit den Parlamentsbauten. Sollen wir die hier angefangenen Bauten jetzt einstellen und die Bauruinen stehenlassen? Sollen wir weiterbauen? Der Prozeß der Annäherung der beiden deutschen Staaten, die sich in mehr als 40 Jahren weit auseinandergelebt haben, wird langwieriger, als sich das die meisten in der Begeisterung dieser Tage hier vorstellen.
Sollte es eines Tages eines Parlamentsgebäudes in Berlin bedürfen — ich meine, das wird weder der Reichstag noch die Volkskammer sein; wir werden ein neues Gebäude brauchen —, dann wird auch dieses neue Haus viel Zeit brauchen.Die Bundestagsbauten brauchen viel Zeit, aber der Weg zu einer staatlichen Gemeinsamkeit braucht länger. Wir sollten deshalb die begonnenen Bundesbauten gut zu Ende führen. Leerstehen werden sie nicht; denn wenn wir nach Berlin gehen, dann wird die Universität Bonn diese Bauten sicher gern übernehmen, in denen ja früher eine pädagogische Akademie war. Sie wird damit den schönsten Hörsaal in Deutschland bekommen.Die Kostensteigerungen bei den Parlamentsbauten beschädigen das Ansehen des Parlaments. Aber bevor wir auf andere schimpfen, müssen wir uns an die eigene Nase fassen. Von 1985 bis 1988 ist der Parlamentsbau durch unsere Forderungen, durch Erweiterungen und Verbesserungen, von 71 000 auf 142 000 Kubikmeter und sind die Kosten von 87 auf über 200 Millionen DM gewachsen.
— Der Bundestag, auch Ihre Fraktion, die im Ältestenrat wie in der Baukommission — ebenso wie die anderen Fraktionen — vertreten war.Ich will das hier nicht entschuldigen. Ich will zu erklären versuchen, daß wir nicht ein Finanzamt auf der grünen Wiese geplant haben, sondern daß wir im Zusammenhang mit den Altbauten einen Neubau geplant haben und daß beim Bauen durch Vorschläge, durch Diskussionen, durch Nachdenken eines zum anderen gekommen ist. Erst wollten wir nur ein Eingangsbauwerk. Dann kam der ganz neue Plenarsaal dazu. Dann kam der Bau für den Präsidenten dazu. Dann kam das neue Restaurant. Der Umfang des Projekts hat sich in drei Jahren fast verdoppelt. Es ist dabei nicht schlechter, sondern es ist sehr viel besser, aber leider auch sehr viel teurer geworden.Die neuerlichen Kostensteigerungen von 202 Millionen DM auf 256 Millionen DM haben allerdings nicht wir zu verantworten, denn der Bundestag hat im vergangenen Jahr keine einzige neue Forderung gestellt.
Der Verdacht, den ich am 5. September in der ersten Lesung geäußert habe, hat sich leider bestätigt. Obwohl die Architekten und die Kostenplaner im Herbst 1988 unabhängig voneinander Baukosten von 216 Millionen DM errechnet hatten, hat die Bundesbauverwaltung dem Haushaltsausschuß nur Gesamtkosten von 202 Millionen DM genannt. Das war fahrlässig. Wenn in dieser Regierung nicht jeder an seinem Stuhl kleben würde, dann müßte neben dem Chef der Bundesbaudirektion auch der Parlamentarische Staatssekretär seinen Hut nehmen, der uns noch Anfang September hier,
obwohl er es demnach hätte besser wissen können und besser wissen müssen, verbindliche Baukosten von 202 Millionen DM genannt hat.
— Ich rede jetzt über die Begründung für die Mehrkosten.Die Mehrkosten gehen etwa zu einem Drittel zu Lasten der Bundesbaudirektion. Sie hat sich allein bei der Haustechnik, für die sie verantwortlich war, um 20 Millionen DM verhauen. Das ist gewiß kein Ruhmesblatt. Ein weiteres Drittel der Mehrkosten entfällt auf die Architekten, die allerdings geltend machen, sie hätten bereits im vergangenen Herbst höhere Baukosten genannt. Sie wollen ein besonders schönes Haus bauen, aber an die Kosten haben sie zuwenig gedacht. Das letzte Drittel entfällt auf die Planungsreserve und auf die Indexsteigerungen. Wir können ja leider kein Gesetz beschließen, wonach die Baufirmen ihre Leistungen nur zu den Preisen anbieten dürfen, die die Bundesbaudirektion vor drei Jahren kalkuliert hat. Zu den genannten Kosten kommen noch die Kosten für die Sanierung des Nordflügels und für den Parlamentsvorplatz.Eine Einsparungsmöglichkeit haben wir noch. Wenn stimmt, was der „Express" heute schreibt, daß nämlich Ihre Verwaltung, Frau Bauministerin, hier bei den Parlamentsbauten einen Atombunker für Millionen für die Abgeordneten vorgesehen hat, dann ist das eine Instinktlosigkeit, die kaum zu überbieten ist. Dann sollten Sie den dafür Verantwortlichen schnellstens zu der Bauleitung für unsere Botschaft in Grönland versetzen.Mein Fazit: Hätte uns der Bundesbauminister im letzten Jahr gleich reinen Wein eingeschenkt, dann hätten wir alle zwar fürchterlich gemurrt, aber dann stünden wir heute besser da als jetzt.Zum Schluß ein persönliches Wort: Vor 15 Jahren, im Februar 1974, hat mich meine Fraktion nach dem Wettbewerb für die Parlamentsbauten in die Baukommission des Ältestenrats geschickt. Von denen, die damals Mitglied der Baukommission waren, ist heute keiner mehr Mitglied der Baukommission. Ich bin der einzige, der übriggeblieben ist.
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ConradiIch habe mich seither um diese Bauten gekümmert, denn ich halte es für wichtig, daß Abgeordnete und Mitarbeiter, Arbeitskreise und Ausschüsse, Fraktionen und Plenum gute und schöne Arbeitsräume bekommen. Es ist nicht gleichgültig, in welchen Bauten, in welchen Räumen das Parlament arbeitet. Heutzutage redet alle Welt von politischer Kultur. In den Parlamentsbauten kommen, so hoffe ich, Kultur und Politik zusammen.Der Bundestag hat sich wenig um seine Bauten gekümmert. Jahrelang gab es keine Baukommission, weil das Präsidium sie nicht wollte. Monatelang hatten Präsidenten keine Zeit für die Architekten. So kann man nicht planen und bauen. Die Architekten waren manchmal erstaunt über den Bauherrn Bundestag, der sich offensichtlich nicht für seine Bauten interessierte, sondern fast alle Entscheidungen den Beamten des Bundestags und der Bauverwaltung überließ.Ich habe mich in dieser Situation bemüht, Mittler zwischen den Architekten und dem Parlament zu sein, den Architekten zu erklären: Was ist ein Parlament? Wie arbeiten wir? Was brauchen wir? Und ich war bemüht, den Kolleginnen und Kollegen im Bundestag zu erklären, daß gute Architektur so wichtig ist wie gute Literatur oder gute Musik.Dafür bin ich hier manchmal freundlicher, manchmal unfreundlicher angerempelt worden. Das ist in Ordnung, das gehört dazu. Aber nicht in Ordnung ist, daß mir zwei Abgeordnete öffentlich unterstellen, mein Einsatz für die Parlamentsbauten habe persönliche oder gar geschäftliche Hintergründe. Herr Sauer aus Stuttgart — ich verstehe, daß der Kollege Sauer aus Salzgitter Wert darauf legt, nicht mit jenem verwechselt zu werden —
behauptet, ich hätte mich für meinen Parteigenossen Behnisch — Herr Behnisch gehört keiner Partei an — eingesetzt. Er redet von „weitreichenden Spekulationen" und von „Filz". Herr Grünbeck gibt mit seiner Forderung, mein Verhalten müsse „in einem Untersuchungsausschuß besonders sorgfältig überprüft werden", einem Massenblatt Anlaß zu der Überschrift: „Bundeshausskandal — Welche Rolle spielte Herr Conradi?". Es mag ja sein, daß sich Leute wie Sauer und Grünbeck nicht vorstellen können, daß sich ein Abgeordneter für eine Sache einsetzt, ohne dafür Geld zu nehmen. Aber gibt ihnen das das Recht dazu, mich ohne jeden Grund derart zu verdächtigen?
Ich erkläre zum wiederholten Male: Ich habe zu keiner Zeit mit Architekten, sonstigen Personen und Firmen, die mit den Parlamentsbauten befaßt waren oder sind, irgendwelche Kontakte oder Beziehungen gehabt, die meine Entscheidungsfreiheit hätten beeinflussen können. Ich verwahre mich gegen diesen Versuch, meine persönliche und politische Integrität hier in Zweifel zu ziehen.Ich fordere die beiden Abgeordneten auf, ihre Verdächtigungen ohne Wenn und Aber öffentlich zurückzunehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie das nicht tun, aber wenn sie diese Verdächtigungen nicht öffentlich zurücknehmen, dann würde mir sicherlich niemand übelnehmen, wenn ich diese Leute als ehrabschneiderische Gesellen bezeichnete.
Ich werde mich weiterhin um die Parlamentsbauten bemühen, und ich hoffe, daß es schöne Bauten werden, in denen wir gut arbeiten und gut miteinander streiten können. Ich wünsche uns allen, daß diese Bauten so gut werden, daß der Ärger über die Baukosten und manch anderer Streit darüber dann bald vergessen sein werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich habe natürlich auch für diese Debatte ein Konzept, aber ich will es einmal beiseite legen, um auf die vielen Beiträge meiner Kollegen einzugehen.
Wir haben ja auch eine Gruppe „Parlamentsreform". Ich habe festgestellt, daß die Leute, die da reden, meist ablesen. Deshalb will ich das heute einmal umdrehen.Ich beginne mit dem Beitrag meines Kollegen Müntefering. — Herr Kollege Müntefering, Sie haben sinngemäß gesagt, der Bund habe sich seit 1983 aus dem Wohnungsbau zurückgezogen und falsche Signale gesetzt. Richtig ist, daß der Bund, der 1984 noch 2,09 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau hatte, diese Mittel schrittweise auf 300 Millionen DM im Jahre 1989 zurückgeführt hat. Sie wurden zwar später wieder erhöht, aber soweit zunächst einmal das falsche Signal. Ich würde heute als Wohnungsbaupolitiker der Union sagen: Ja.Aber jetzt kommt das, was ich bei Ihnen überhaupt nicht verstehe und was ich anklage: daß Sie, statt nach vorn zu gucken, immer wieder die längst überholten alten Platten spielen. Das falsche Signal ging nämlich schon ein Jahr früher von denen aus, die die eigentliche Verantwortung haben, nämlich von den Bundesländern.
Die hatten 1982 noch insgesamt 7,84 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau in ihren Haushalten; 1988 blieben davon noch ganze 3,27 Milliarden DM übrig. Hier also sind die Hauptmittel zurückgeführt worden und nicht beim Bund, dieser Bundesregierung und diesem Bundestag.
Mich wundert, Kollege Müntefering — ich schätze Sie ja sehr — , die Penetranz, mit der Sie das als nordrhein-westfälischer SPD-Abgeordneter immer ver-
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Dr.-Ing. Kansybreiten; denn an der Spitze dieser Bewegung stand das Land Nordrhein-Westfalen,
das 1982 noch 1,75 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau im Haushalt hatte, im letzten Jahr zunächst einmal aber nur noch ganze 0,63 Milliarden DM als Etatansatz. Das ist die Wahrheit.
Das ist doppelzüngig. Wir machen uns als Parteien alle nicht berühmt, wenn wir in einer schwierigen Frage so miteinander umgehen.
Herr Dr. Kansy, das veranlaßt den Abgeordneten Müntefering zu dem Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Werden Sie die beantworten?
Aber gern, Herr Kollege.
Es mag ja sein, Herr Kollege Kansy, daß Sie die Finanzierungsart in Nordrhein-Westfalen nicht genau kennen. Nehmen Sie dann aber bitte zur Kenntnis, daß in diesem Jahr 1989 — das war in den vergangenen Jahren nicht anders — von den Sozialwohnungen, die in Nordrhein-Westfalen gebaut werden, 80 % aus den Mitteln des Landeshaushalts finanziert werden und nur 20 % aus den Mitteln des Bundes, d. h. daß das Land Nordrhein-Westfalen mehr für den sozialen Wohnungsbau ausgibt als die Bundesregierung für die ganze Bundesrepublik.
Herr Kollege Müntefering, das will ich gar nicht bestreiten. Das ist ja auch die Aufgabe der Länder. Richtig ist aber, daß Sie als erste das falsche Signal gesetzt haben, mit den Mitteln für den sozialen Wohnungsbau massiv zurückzugehen.
Das ist ja wohl nicht zu bestreiten.Als Zweites möchte ich Ihre Bemerkung zu der Volks- und Wohnungsstättenzählung aufgreifen, Herr Kollege Müntefering. — Kein Mensch, auch der Bundeskanzler nicht, behauptet, daß es keine Bordmittel gibt, das Anwachsen der Bevölkerung, die andere Struktur unserer Bevölkerung — zwischenzeitlich haben wir an die 50 % Ein- und Zweipersonenhaushalte usw. — auch fortzuschreiben.
— Hat der Bundeskanzler nicht gesagt. — Nur, das, Herr Müntefering, was uns 1987 alle — auch diesen Fachausschuß des Bundestages — überrascht hat, war, daß wir plötzlich eine Million Wohnungen weniger hatten als statistisch fortgeschrieben. Einen exakten Überblick kann man eben nur bekommen, wenn man diese Wohnungen ab und an einmal zählt. Aberman kann sich nicht hinstellen, gemeinsam — zumindest Teile Ihrer Partei — mit den GRÜNEN Kampagnen gegen eine Wohnungsstättenzählung machen
und anschließend sagen: Die böse Regierung hat schuld, daß sie nicht wußte, wieviel Wohnungen wir haben. Das ist doch keine Politik, meine Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei!
Dann zu Ihrer Jongliererei mit den Zahlen — Frau Minister Hasselfeldt hat das schon angedeutet — : Sie sagen, es sei Roßtäuscherei, wenn wir jährlich 2 Milliarden DM Bundesmittel zur Verfügung stellen; damit könne man ganze 20 000 Sozialwohnungen bauen. Aber es geht erstens nicht, hier eine absolute Zahl von Sozialwohnungen zu nennen und Herrn Zöpel mit seiner Förderung von 100 000 DM pro Sozialwohnung zugrundezulegen.Also, zunächst darf ich noch einmal aufklären, wer Sozialwohnungen baut, und zwar am Beispiel dieses Jahres.
Wir haben in diesem Jahr im Bundeshaushalt 1,05 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau. Die Länder und Gemeinden geben aber Mittel in Höhe von rd. 5,5 Milliarden DM
für den sozialen Wohnungsbau dazu. Nur so ist es erklärbar — Frau Hasselfeldt hat es ja dargestellt —, daß wir mit Wohnungsbaumitteln von 1 Milliarde DM im Bundeshaushalt 80 000 Baugenehmigungen bekommen.Aber Sie müssen sich jetzt entscheiden, Herr Kollege Müntefering: Entweder Sie operieren mit dieser Zahl in dem Sinne, daß Sie sagen, das ist zuwenig Geld, damit kann man nur wenige Wohnungen bauen — dann muß ich Ihnen sagen: Das ist bewußte Irreführung. Denn man muß die Gesamtmittel von Bund, Ländern und Gemeinden nennen, die ja auch verfassungsmäßig den entsprechenden Auftrag haben, wobei an erster Stelle die Länder
und an zweiter Stelle der Bund und die Gemeinden stehen —, oder man fordert hier geradezu ein Phantasieprodukt, indem man sagt, der Bund müsse 10 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau ausgeben,
und hinzurechnen müsse man dann noch die Mittel von Ländern und Gemeinden. Meine Damen und Herren, dann können wir dieses Geld auch gleich in einen offenen Kamin legen und zur Hälfte anzünden.
Dann provozieren wir angesichts der begrenzten Situation auf dem Bausektor ein Preissteigerungspro-
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Dr.-Ing. Kansygramm, das von niemandem mehr in den Griff zu bekommen ist.
Also, das, was Sie dort darlegen, ist entweder bewußt falsch, oder es ist phantastisch und eigentlich unsinnig, wenn nicht gar Schlimmeres, und zwar sowohl im Interesse der Investoren und auch der Mieter, die das über die Mieten zu bezahlen haben, als auch für uns, die wir diese Haushalte zu verantworten haben.Dritte Geschichte:
Sie fordern jetzt 3,5 Milliarden DM. Na ja, wenn ich Opposition wäre, würde ich da vielleicht etwas zurückhaltender sein. Ich möchte einmal vergessen, daß auch die Frau Kollegin Matthäus-Maier hier zufällig in der ersten Reihe sitzt,
die ja immer sagt: Ihr dürft nicht so hohe Bundesschulden machen. Und jetzt fordern Sie 3,5 Milliarden DM!Wie war es denn? Bei den letzten Haushaltsberatungen — das ist genau ein Jahr her — forderte die SPD — sprich: Herr Müntefering — im Ausschuß 1,1 Milliarden DM. Okay, wir waren da noch auf dem falschen Dampfer; wir meinten, die Sache wird sich regeln. — Das war falsch. Dann gingen wir auf 1,25 Milliarden DM hoch. Da kam Herr Müntefering und sagte: Aber wir wollen 1,5 Milliarden DM haben. Dann ging die Bundesregierung auf Grund der letzten Zahlen im Sommer hoch und sagte: 1,6 Milliarden DM. Dann sagte Herr Müntefering: Wir wollen 2,5 Milliarden DM haben.Und jetzt haben wir ein Programm, meine Damen und Herren — man kann ja nicht nur die 2 Milliarden DM im sozialen Wohnungsbau zählen, sondern man muß das Bausparkassenprogramm mit einer halben Milliarde DM dazuzählen, man muß das KfW-Programm, und zwar die absolute Belastung des Bundeshaushalts, mit einer halben Milliarde DM dazuzählen, man muß den Studentenwohnungsbau dazuzählen —, mit dem wir nun in einer Größenordnung von 3,5 Milliarden DM ankommen.
Und was macht die SPD? Nicht die warnende Finanzpolitikerin, die immer behauptet, wir machten soviel Schulden, nein, der Wohnungsbaupolitiker — schöne Spaltung — sagt: Wir wollen 3,5 Milliarden DM — wo wir doch gerade anbieten, sie zu beschließen. Das ist Ihre Wohnungsbaupolitik!
Und jetzt — leider in Kurzform — zum Wohngeld: Sie selber haben gefordert, einen Wohngeld- und Mietenbericht schnellstens vorzulegen. Die Bundesregierung legt ihn schnellstens vor. Wir können einen Wohngeldbeschluß doch erst fassen, wenn wir diesen Bericht haben. Ich sage Ihnen zu: Wenn dieser Bericht um die Jahreswende vorgelegt wird, werden wir Anfang des Jahres eine Neubewertung des Wohngeldes vornehmen, die angesichts der auf uns zukommenden Herausforderungen angemessen ist.Dann haben Sie die Fondslösung angesprochen. Wenn jemand Anerkennung verdient, sie zum erstenmal in das Gespräch gebracht zu haben, ist es nicht die SPD, sondern zugegebenermaßen unser Koalitionspartner FDP. Sie hat diese Fondslösung aufgegriffen, die ich jetzt nicht im Detail darstellen kann. Sie ist eine der Zukunftslösungen dafür, wie wir vor Ort Wohnungsbau fördern, indem wir Bundes- und Landesrückflüsse von Wohnungsbaudarlehen den Gemeinden zur Verfügung stellen, so daß sie nicht nur Wohnungen neu bauen können. Sie haben den ganzen Nachmittag nur vom Neubauen geredet. Warum kümmert sich niemand um die Möglichkeiten im Bestand, die wir haben? Dort können wir billiger fördern.Zur Bundesbaudirektion, Frau Ministerin — aus Zeitgründen auch relativ kurz — : Sie haben gesagt, alle, die sich dazu geäußert haben, sollten zuhören. Auch ich habe mich dazu geäußert. Damit möchte ich gleich das einschließen, was Herr Conradi und Herr Nehm gesagt haben, ohne daß ich meinen Zeitrahmen überschreite. Richtig ist eines, Herr Kollege Conradi: Der Bundestag hat sich über viele, viele Jahre in der Mehrzahl seiner Abgeordneten sehr schlecht um seine Bauten gekümmert. Es waren immer nur wenige. Es war aber nicht so, wie es Herr Behnisch in der Presse bringt. Dort heißt es:Dagegen ist Peter Conradi der einzige Abgeordnete des Deutschen Bundestages, der sich seit nunmehr 16 Jahren... kontinuierlich und engagiert um die Neubauten des Deutschen Bundestages bemüht. Peter Conradi ist Architekt.Ich entschuldige die anderen 518, die keine Architekten sind.Er hat Sachverstand.Dazu würde ich sagen: Damit ist er in diesem Hause nicht alleine.Seine Mitwirkung hat diesem Bauvorhaben über so manche Klippe geholfen.Warum eigentlich? Wenn, dann ist es irgendwie eine falsche Konstruktion, daß ein Kollege und ein Architekt zusammenarbeiten müssen, damit so ein wesentliches Bauvorhaben über eine Klippe gehoben werden kann. Es zeigt doch wohl, daß hier irgend etwas falsch gelaufen ist.
Wenn man darüber nachdenkt, Herr Conradi, dann muß man sagen: Wir alle haben uns nicht mit Ruhm bekleckert. Sie haben sehr richtig gesagt: aber nicht mehr seit Sommer letzten Jahres, als wir die Bestandsaufnahme gemacht haben. Wir weisen jede Mitverantwortung an diesen Kostensteigerungen zurück, die sowohl auf den Architekten als auch auf die Bundesbaudirektion zurückgehen.Frau Ministerin, ich bin bis heute nicht davon überzeugt, daß die Bundesbaudirektion optimal arbeitet. Ich lasse mir allerdings eines nicht unterschieben: Ich
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Dr.-Ing. Kansymeine nicht die vielen, vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hervorragend arbeiten, sondern dort ist eine administrative Konstruktion, die eine vernünftige Arbeit bisher eher behindert hat, als sie sie gefördert hat. Darüber müssen Regierung und Parlament notfalls noch einmal reden.Reichstag, Herr Conradi: Wenn es dann so kommt — wer hoffte nicht? — , warum dann nicht in den Reichstag gehen, statt zwischen Volkskammer und Reichstag noch ein drittes Gebäude zu bauen, nachdem wir mit Bauten dieser Art gerade gesegnet sind?Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist unwahrscheinlich interessant. Ich habe versucht, ohne auf mein Manuskript zurückzugreifen, auf einige Anregungen und Vorwürfe der Kollegen einzugehen.
Ich bitte Sie herzlich, dem vorgelegten Haushalt in der Form, wie ihn die Koalitionsfraktionen verabschiedet haben, zuzustimmen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Gemäß § 30 der Geschäftsordnung möchte Herr Grünbeck eine Erklärung abgeben. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens. Ich bedauere außerordentlich, daß der Herr Kollege Conradi bei seinen Ausführungen verschwiegen hat, daß ich meine Darlegungen gegenüber der erwähnten Zeitung korrigiert und dort lediglich gesagt habe: Wer mitgestaltet, der muß auch mitverantworten. Sie haben sich heute wieder einmal gerühmt, daß Sie an den Bauten mitgestaltet haben, und Sie wollen sich um die Mitverantwortung herumdrücken. Das ist natürlich keine seriöse parlamentarische Arbeit.
Zweitens. Ich habe überhaupt nicht gesagt, was Sie hier behauptet haben, und Ihnen nicht unterstellt, daß Sie irgendwo daran verdient hätten oder daß Sie im Filz wären. Das muß ich für meine Person zurückweisen.
Drittens. Wen Sie mich zu einem „ehrabschneidenden Gesellen" erklären, dann muß ich Ihnen sagen: Wer so austeilt wie Sie, der muß auch besser einstekken können.
Herr Abgeordneter Conradi zu einer persönlichen Erklärung nach § 30.
Die Verantwortung für die Bauten und für das, was da geplant wurde, übernehme ich mit allen anderen, die daran beteiligt waren.
Sie, Herr Grünbeck, haben gefordert, ein Untersuchungsausschuß müsse mein Verhalten besonders gründlich prüfen. Dies erweckt doch wohl den Eindruck, als hätte ich hier Ehrenrühriges getan. So etwas in die Presse zu geben ist herabsetzend. Dagegen habe ich mich hier gewehrt.
Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie hier klargestellt haben, daß Sie mir keine persönlichen oder geschäftlichen Hintergründe unterstellen wollten.
— Sie haben einen Untersuchungsausschuß gefordert, Herr Grünbeck; drücken Sie sich nicht darum herum!
Meine Ankündigung war: Wenn Sie diese Verdächtigungen nicht zurücknehmen — Sie haben sie zurückgenommen —, dann würde ich Sie so bezeichnen, wie ich es hier gesagt habe. Das war im Konjunktiv. Nachdem Sie das jetzt hier — im Gegensatz zu Ihrem Kollegen — zurückgenommen haben, ist die Sache zwischen uns klar.
Meine Damen und Herren, es gibt eine weitere Wortmeldung zu einer persönlichen Erklärung von Herrn Dr. Hitschler.
Herr Kollege Conradi, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich in der Ausschußsitzung des Raumordnungsausschusses, in der wir über diese Sache gesprochen haben,
aus dem Brief des Herr Kollegen Grünbeck, den er an den Redakteur der besagten Zeitschrift geschrieben hat, zitiert habe, daß er keinen Untersuchungsausschuß gefordert hat, sondern daß er in diesem Interview gefordert hat,
daß sich der Raumordnungsausschuß des Deutschen Bundestages mit dieser Frage befassen müsse und diesen Dingen untersuchend nachgehen müsse. Er hat also, um das richtigzustellen, keinen Untersuchungsausschuß gefordert, sondern er hat gefordert, daß der Raumordnungsausschuß diesen Dingen nachgeht. Das möchte ich hiermit richtigstellen.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß wir die Erklärungen gehört und zur Kenntnis genommen haben.Wir kommen nun zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der SPD. Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5882 unter Nr. XV stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/5892 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Änderungs-
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Vizepräsident Westphalantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.Dann kommen wir nunmehr zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Da ist zuerst der Änderungsantrag auf der Drucksache 11/5902. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt worden.Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/5917. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die gleiche große Mehrheit hat auch diesen Änderungsantrag abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 25. Wer für den Einzelplan 25 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.Meine Damen und Herren, mein Vorgänger hier im Stuhl hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß er zwar schon das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung — bekanntgeben konnte; aber es hat noch nicht die Abstimmung über den Einzelplan selbst stattgefunden. Das muß ich jetzt nachholen.Wir stimmen also jetzt über den Einzelplan 60 in zweiter Lesung ab. Das ist der Einzelplan Allgemeine Finanzverwaltung. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Einzelplan 60 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.Ich kann nun aufrufen:Einzelplan 09Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft— Drucksachen 11/5559, 11/5581 —Berichterstatter:Abgeordneter Rossmanith Dr. Weng Wieczorek (Duisburg) Frau VennegertsHierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5752 bis 11/5771 und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter Nr. VI vor.Die Vereinbarung des Ältestenrates, meine Damen und Herren, für die Dauer der Beratung besagt, daß wir zwei Stunden dafür vorgesehen haben. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden; dann kann ich die Aussprache eröffnen.Das Wort hat die Abgeordnete Frau Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über all der Freude, daß Deutsche Deutsche besuchen können und wohl auch wollen, über dem Stolz — oder ist es nicht vielleicht auch schonHochmut? — auf unsere bundesdeutschen Leistungen, unser System des Wirtschaftens, wobei wir beide Augen fest zukneifen, um die Fehler hier nicht zu sehen, über der Angst, daß andere uns übertreffen könnten im nationalen Einigdenken und -werden, und der heimlichen Genugtuung, daß drüben nun endlich eingetreten ist, was wir immer schon gewußt haben, hat ein schreckliches Untersuchungsergebnis des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes kaum Beachtung gefunden: 6 Millionen Menschen in der Bundesrepublik leben an oder unterhalb der Armutsschwelle. Ich habe den Eindruck, wir haben in den letzten Wochen endlich ein Alibi gefunden, um damit unsere Mitleidlosigkeit und Feindseligkeit gegenüber Ausländern und Asylanten, unsere Tatenlosigkeit gegenüber drängenden Problemen der Umwelt, unsere Gleichgültigkeit gegenüber Langzeitarbeitslosen, Behinderten und alten Menschen vergessen zu machen.Der Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit am gesamten Volkseinkommen ist auf dem niedrigsten Stand
— nebenbei: 1981, das letzte Jahr der sozialdemokratischen Regierung, war er auf dem höchsten Niveau — mit all den negativen Auswirkungen auf Renten, Kriegsopferversorgung und soziale Sicherheitssysteme. In keiner Aufschwungphase kam es bislang zu einem derart schwachen Reallohnzuwachs. Dafür sind aber die Lebenshaltungskosten ganz kräftig angestiegen.Ich meine, unsere Wirtschaftspolitik müßte dafür sorgen, daß sich die Probleme in unserer Gesellschaft nicht noch weiter verschärfen, daß die gesellschaftlichen Lasten eben nicht ungleich verteilt werden. Im Zusammenhang mit der Eingliederung der Aus- und Übersiedler heißt das beispielsweise, daß die notwendigen Maßnahmen eben nicht allein auf dem Rücken der sozial Schwachen,
also der Alten, Behinderten, Langzeitarbeitslosen getroffen werden. Bei den sozial Starken — in aller Regel die Anbieterseite — stellen sich diese Probleme nicht in dem Maße.Der Markt ist unüberschaubar und für den Verbraucher als Einzelperson nicht durchschaubar. Viele sprechen von der Macht der Verbraucher und verneinen jeden Handlungsbedarf; sie sind der Meinung, der Kunde sei König. Könige aber besitzen große Reichtümer. Wenn ich mir den Haushaltsentwurf 1990 ansehe, komme ich eher zu dem Schluß, daß der „Kunde König" bei uns in der Bundesrepublik allenfalls zum verarmten Adel zählt; denn der Etatansatz des für die Verbraucherpolitik federführenden Wirtschaftsministers weist nicht einmal 29 Millionen DM aus. Bezogen auf den gesamten Haushalt ist das ein Zehntausendstel. Damit kann man keinen Staat machen.
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Frau BlunckDas ist nicht königlich, das ist auch nicht fürstlich. Das gehört schlicht und einfach in die Kategorie Bettelleute.An diesem Urteil ändert auch nichts, Herr Haussmann, daß in einigen anderen Ministerien Mittel für den Verbraucherschutz bereitgestellt werden. Diese erbärmlichen Mittelansätze sind bezeichnend für den Stellenwert, den die Bundesregierung dem Verbraucherschutz beimißt.
Für einen Politikbereich, dessen Fragestellung jede und jeden von uns tagtäglich betrifft, tendiert der Haushaltsansatz gleich Null. Ich denke, das spricht für sich. Nicht genug damit, daß die Verbraucherpolitik im Haushalt de facto nicht existent ist, es hat auch keine wirklichen Anstrengungen gegeben, dieses Mißverhältnis zu ändern. Die Steigerungsraten der letzten Jahre für die Verbraucherpolitik sind minimal. Die Mittel für die Verbraucherzentralen sind seit Jahren eingefroren. Der Anteil des Bundes hat sich seit 1981 von einem Drittel auf unter ein Viertel reduziert.Wir haben in den letzten Jahren buchstäblich darum gekämpft, daß die finanziellen Zuwendungen für die Verbraucherpolitik spürbar erhöht werden. Im letzten Jahr haben wir 5 Millionen DM für ein Modellprojekt Umweltberatung gefordert. Wir haben uns dieses Jahr für die Einrichtung von Europareferaten in den Verbraucherorganisationen stark gemacht. Wir haben es aber auch im kleinen versucht und dringend benötigte Sachmittel in Höhe von maximal 100 000 DM gefordert. Ergebnis: alles abgelehnt. Nicht einen einzigen Pfennig zusätzlich haben wir zugunsten von 60 Millionen Verbrauchern und Verbraucherinnen erreichen können.Dabei sind die Aufgaben des Verbraucherschutzes nicht weniger geworden. Da ist zum einen die zunehmende Umweltverschmutzung und die damit verbundene Schadstoffbelastung von Lebensmitteln. Fälle wie Tschernobyl sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Sie tragen aber ganz entscheidend zur Verunsicherung der Verbraucher und Verbraucherinnen sowie zum Verlust des Vertrauens in die Informationspolitik von Behörden bei.
Dieses Mißtrauen gegenüber öffentlichen Stellen hat bei den Verbraucherzentralen zu einer enormen Steigerung der Nachfrage nach Umweltberatung geführt.Verschärft hat sich auch die Situation bei der Verschuldung privater Haushalte. Unter Einschluß der Baukredite belaufen sich die Schulden von Privatpersonen auf fast 700 Milliarden DM. Arbeitslosigkeit als Hauptursache, Krankheit und familiäre Trennung verhindern bisweilen die Rückzahlung der Kredite. In diesem Fall kumulieren die Kosten, Zinsen und rückständigen Raten rasch in einem Maße, daß eine ausweglose finanzielle Situation entsteht, daß ein lebenslanger Schuldturm droht. Hilfen sind für diese Bevölkerungsgruppe nur äußerst schwer zu bekommen. Neben Wohlfahrtsverbänden und kommunalen Trägern haben sich daher die Verbraucherberatungsstellen dieser Problematik angenommen.Ein weiterer neuer Themenschwerpunkt, mit dem Verbraucher und Verbraucherinnen sowie ihre Organisationen konfrontiert werden, ist die Realisierung des EG-Binnenmarktes. Diese Problematik ist auch der Bundesregierung bewußt. Da wird mit schöner Regelmäßigkeit betont, daß der Binnenmarkt allen zugute kommen wird.
— Dem kann ich nur zustimmen. Die Aufmerksamkeit des Ministers hätte ich für die Belange von 60 Millionen Verbrauchern und Verbraucherinnen wirklich außerordentlich gerne.Etwas konkreter wird es bei der Diskussion um die sozialen Dimensionen des Binnenmarktes, den Binnenmarktkonferenzen des Herrn Bundeskanzlers und der inzwischen allerdings reichlich abgespeckten Sozialcharta. Dies alles hat aus Sicht der Verbraucher und Verbraucherinnen nur einen kleinen Schönheitsfehler: Sie kommen dabei nicht vor. 320 Millionen Verbraucher und Verbraucherinnen werden bei dieser Diskussion schlicht und einfach vergessen.
So wundert es auch nicht, daß die Bundesregierung keine Konzeption für eine offensive und in sich geschlossene Verbraucherpolitik auf nationaler, geschweige denn auf EG-Ebene hat. Es wundert auch nicht, daß sie die Verbraucherschutzrechte des ersten EG-Verbraucherprogramms als politische Absichtserklärung versteht, und vor allem, daß sie kein Geld für die Verbraucherorganisationen bereitstellt, um diese in die Lage zu versetzen, Verbraucherinteressen auf EG-Ebene wirkungsvoll zu vertreten.
Nun ist bekannt, daß Haushaltsmittel knapp sind. Aber, so frage ich mich, wie ist Herr Haussmann denn eigentlich in der Lage, dieses Jahr fast 30 Millionen DM für ein Eurofitnessprogramm mit Hauptstoßrichtung Mittelstand aus dem Hut zu zaubern?
Es geht mir dabei nicht darum, die Notwendigkeit zu bestreiten, den Mittelstand auf den EG-Binnenmarkt vorzubereiten. Ich fordere eine Gleichbehandlung der Marktteilnehmer: der Wirtschaft auf der einen Seite und der Verbraucher und Verbraucherinnen auf der anderen Seite; denn um die potentiellen Chancen des Gemeinsamen Marktes wirklich nutzen zu können, reicht es nicht aus, sich allein auf die Wirkung der Marktmechanismen zu verlassen. Das hat uns die nationale Erfahrung deutlich gelehrt. Notwendig sind eine an den Interessen der Verbraucher und Verbraucherinnen ausgerichtete Aufklärung über Chancen und Risiken, Vor- und Nachteile des Binnenmarktes sowie eine starke und effiziente Vertretung der politischen Interessen und Verbraucher und Verbraucherinnen im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt sowohl auf nationaler wie auch auf Gemeinschaftsebene.
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13674 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau BlunckBeides sind im wesentlichen Aufgaben der Verbraucherorganisationen. Ohne eine spürbare Erhöhung ihrer personellen und finanziellen Ressourcen ist dies aber nicht möglich. Schöne Worte helfen nicht weiter, denn es weiß schon jedes Kind: Geld regiert die Welt. Ihre Sonntagsreden, Herr Bundeskanzler und Herr Minister Haussmann,
haben sich die Verbraucher und Verbraucherinnen lange genug angehört. Sie wollen nun endlich bare Münze sehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rossmanith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, es fällt geradezu schwer, Ihnen, Frau Blunck, jetzt eine Antwort zu geben.
— Ich verstehe Ihre Aufgeregtheit gar nicht, denn während der Rede Ihrer Kollegin Blunck sind Sie sehr ruhig gewesen. Ich hatte fast den Eindruck, die SPD-Fraktion war eingeschlafen. — Frau Blunck, ich kann Ihnen in einem Punkt wirklich nicht folgen. Wenn Sie das Thema, das Sie vorgetragen haben, ernsthaft hätten behandeln wollen — ich wiederhole das — , dann hätten Sie zum Einzelplan 09 zumindest Anträge gestellt.
Da ist kein Antrag in dieser Richtung vorhanden. Auf einen Antrag von Ihnen komme ich noch zu sprechen, nämlich zur Bundesstelle für Außenhandelsinformation.
— Nein. Lesen Sie die Anträge, die Ihre Fraktion gestellt hat, doch nach! Da ist, was Verbraucherschutzorganisationen anlangt, überhaupt nichts drin.
Ich gehe sogar so weit, zu sagen, daß Sie den Haushalt dazu gar nicht gelesen haben,
denn dann wüßten Sie, daß wir im Berichterstattergespräch eine Erhöhung dieser Mittel beschlossen haben und das im Haushaltsausschuß dann auch realisiert wurde. Dies geschah gerade im Hinblick auf die 320 Millionen Verbraucher, die wir in der Europäischen Gemeinschaft 1993 haben werden.
Im Gegenteil — jetzt ziehe ich das doch einmal vor
— , Sie haben einen Antrag gestellt, bei der Bundesstelle für Außenhandelsinformation über 2 Millionen DM gerade an den Öffentlichkeitsmitteln einzusparen. Dies betrifft gerade eine Institution, die unsere
Wirtschaft und damit auch die Verbraucher und Verbrauchsverbände, die nur Transmissionsriemen sind, auf den gemeinsamen Markt im Europa der Zwölf 1993 mit 320 Millionen Bürgern vorbereitet.
Bei dem sowieso knappen Haushalt der Bundesstelle für Außenhandelsinformation stellen Sie Kürzungsanträge mit einem Volumen von 2,4 Millionen DM, und dann stellen Sie sich hierher und sagen, wir hätten hier zuwenig getan. Da muß ich Ihnen, weil mich das ärgert, wirklich sagen: Informieren Sie sich einmal bei Ihrem Kollegen Helmut Wieczorek darüber,
was wir hier getan haben, oder bei Kollegen, die im Haushaltsausschuß sind! Es sind bei dieser Debatte leider Gottes nur zwei Kolleginnen und Kollegen der SPD aus dem Haushaltsausschuß anwesend.
Sie hätten uns für die Arbeit, die wir geleistet haben, loben müssen.
Ich habe auch Verständnis dafür, daß es einer Oppositionspartei, die sich in Regierungsverantwortung zwölf Jahre lang selbst bemüht hat, wirtschaftlich etwas zuwege zu bringen, und nur Mißerfolge geerntet hat, weil die Rahmenbedingungen, die diese Partei in den Jahren 1970 bis 1982 gesteckt hat, völlig verfehlt und völlig falsch waren, ein Jahr vor der Bundestagswahl schwerfällt, die erfolgreiche Arbeit dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktion von CDU und CSU anzuerkennen.Ich darf Ihnen aber doch das Jahresgutachten des Sachverständigenrats in Erinnerung bringen, das in der vergangenen Woche vorgelegt worden ist und das der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ein insgesamt hervorragendes Zeugnis ausstellt. Der Sachverständigenrat geht so weit, daß er das jetzt zu Ende gehende Jahrzehnt „wegen der langen Dauer der konjunkturellen Aufwärtsbewegung" als „einen außergewöhnlichen Abschnitt in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland" bezeichnet. Damit hätte zu Beginn der 80er Jahre wohl kaum einer gerechnet, als sich im Endstadium einer SPD-geführten Bundesregierung allenthalben tiefer Pessimismus in der Wirtschaft ausgebreitet hatte. Die Arbeitslosigkeit und die Dauerarbeitslosigkeit, die Sie jetzt so beklagen, sind ja zu Ihrer Regierungszeit entstanden.
— Herr Kühbacher, ich weiß, daß Sie das schmerzt. Aber das sind immer noch die Altlasten, die wir zu tragen haben.
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RossmanithSie haben diese Strukturen geschaffen.Sie wissen ja, wie der Anstieg der Arbeitslosigkeit Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre war. Wir haben ihn mühsam abgebaut. Wir haben jetzt den höchsten Beschäftigungsstand seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Damals sind die Inflationsraten geradezu explodiert.
Es wäre zu Ihrer Regierungszeit damals eine vernünftige Verbraucherpolitik gewesen, Frau Blunck, für niedrige Inflationsraten zu sorgen, wie wir das gemacht haben. Wir hatten Jahre mit einem völligen Preisstillstand. Jetzt sind wir immer noch bei einer Preissteigerungsrate von maximal 3 %. Die öffentlichen Schulden sind zu Ihrer Zeit explodiert. Seien Sie doch ehrlich und sagen Sie das auch. Zumindest sollten Sie sich jetzt nicht in Vorwürfen ergehen,
die in dieser Form keinen Bestand haben können.Wie gesagt: Das sind die zwölf Jahre sozialdemokratischer Regierungsverantwortung, auf die wir immer wieder hinweisen müssen und aus denen Sie zumindest Lehren hätten ziehen sollen. Wir brauchen nicht die geringste Scheu vor irgendeinem Vergleich zu haben.
Denn ich glaube, es ist ein enormer Kontrast, wenn man diese Zeit mit der heutigen Situation vergleicht.Ich möchte nochmals den Sachverständigenrat zitieren.
Ich zitiere, Frau Blunck, mit Ihrer werten Genehmigung:Die deutsche Wirtschaft geht mit viel Schwung in die 90er Jahre. Die Auftragsbücher sind randvoll, und die Produktion läuft auf hohen Touren. Es ist lange her, daß die konjunkturelle Lage ähnlich günstig war.
Ich wiederhole gern: „Es ist lange her, daß die konjunkturelle Lage ähnlich günstig war."
Ich glaube, daß sich diese Bilanz nicht nur sehen lassen kann, sondern daß wir auf diese Bilanz sehr stolz sein dürfen. Sie zeigt, daß die von der Union und der FDP getragene Bundesregierung ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik mit den richtigen Rahmenbedingungen ausgestattet hat.
Unsere Konzeption hat sich eindeutig als die bessere und als die erfolgreichere erwiesen. Eine Alternative dazu gibt es einfach nicht. Sie waren bisher nicht in der Lage — Ihr heutiger Beitrag hat es erneut gezeigt —, etwas auf die Beine zu stellen, was man auchnur annähernd als Alternative dazu betrachten könnte.
Sie hatten in den Jahren 1970 bis 1982 Ihr Experimentierfeld. Sie sind mit Ihren Experimenten gescheitert. Ich bin davon überzeugt, daß die Wählerinnen und Wähler im kommenden Jahr dafür sorgen werden, daß in den 90er Jahren in der Wirtschafts- und in der Finanzpolitik in unserem Lande keine sozialistischen und sozialdemokratischen Experimente gemacht werden.Denn daß Sie davor nicht zurückschrecken würden — ich muß es noch einmal wiederholen, weil ich diesen Antrag völlig unverständlich finde — , zeigen Sie mit Ihrem Kürzungsantrag gerade für die Bundesstelle für Außenhandelsinformation, ein ganz, ganz wichtiges Amt, eine Stelle für unsere Wirtschaft, die auch für die gesamte Bevölkerung, für die Verbraucher, im Hinblick auf die Beratung für Europa 1993 und darüber hinaus eine wertvolle und wichtige Arbeit leistet.Der solide Kurs in der Haushalts- und in der Finanzpolitik, den wir seit 1982/83 steuern, zeigt sich auch in diesem Haushalt, den wir in dieser Woche in zweiter und dritter Lesung beraten. Er zeigt sich insbesondere auch im Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft, dessen Volumen gegenüber dem Vorjahr um rund 10 % auf rund 6,7 Milliarden DM zurückgegangen ist. Dieser Rückgang ist zwar teilweise auf Sonderfaktoren zurückzuführen — das ist richtig — , wie z. B. die Umschichtung von Mitteln in den Haushalt des Umweltministers im Zusammenhang mit der Gründung des Bundesamtes für Strahlenschutz; auf der anderen Seite kommt in diesem Rückgang aber auch ein erster Erfolg beim Abbau von Subventionen zum Ausdruck. Und wir sind 1983 mit dem Ziel angetreten, Subventionen abzubauen. Ich weiß natürlich, daß das nicht einfach ist.
Ich bin jedem dankbar, der konkrete Vorschläge bringt,
nicht so nebulöse, indem er sagt: „Da und dort kann man ..." oder: „Verteidigungshaushalt und sonstiges ... ", sondern ganz konkrete Vorschläge. Die habe ich bislang bei Ihnen vermißt. Wir sind doch für jede vernünftige und erfolgversprechende Anregung in diesem Punkt dankbar.
Ich will Ihnen einige Punkte nennen.
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13676 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Herr Abgeordneter, gestatten Sie einen konkreten Vorschlag der Abgeordneten?
Ja, selbstverständlich.
Ich habe nur schnell eine Zwischenfrage, Herr Rossmanith: Haben Sie sich denn z. B. unseren Alternativhaushalt angesehen, wo sehr genaue Kürzungsvorschläge und Umlenkungen der Mittel vorgesehen sind — weil Sie sagten Sie hätten noch keine konkreten Vorschläge gesehen?
Ich muß also nochmals sagen: keine vernünftigen.
Ich habe natürlich, verehrte Frau Saibold, Ihre Änderungsanträge bzw. Kürzungsanträge insbesondere für den Einzelplan 09 schon gesehen.
Aber das zu studieren wäre eine Tagesarbeit gewesen. Ich muß vor Ihren Mitarbeitern für den Fleiß, den sie an den Tag gelegt haben, den Hut ziehen.
Ich muß schon noch einmal sagen: Nur realistische und von der Vernunft getragene Vorschläge sind von Bedeutung. Es genügt nicht, irgendwo zu kürzen, zu sagen: Da tun wir das weg. — Aber damit es einigermaßen akzeptabel erscheint, legt man sich in den Vorschlägen sogar noch auf Mark und Pfennige fest und schlägt nicht einfach vor — das haben Sie in der Zwischenzeit gelernt — , Millionen oder Milliarden DM zu streichen. Sie verwenden vielmehr krumme Zahlen und meinen, dann wirke das seriöser. Aber Seriosität ist trotz allem nicht erkennbar. Sie ist in diesen Kürzungsvorschlägen nicht vorhanden.Ich sage Ihnen gerne — hören Sie, bitte, zu — , was wir getan haben. Ich darf Ihnen zwei ganz wesentliche konkrete Beispiele nennen, einmal das Strukturanpassungsprogramm für die Stahlindustrie und zum zweiten das Deminex-Programm, die beide Ende dieses Jahres auslaufen. Dadurch haben wir Einsparungen in der Größenordnung von 230 Millionen DM erzielt. Bei einem Haushalt von 6,7 Milliarden DM ist das eine ganze Menge. Das zeigt, daß hier ein echter, ein wirklich breiter Einstieg im Hinblick auf den Abbau von Subventionen erzielt wurde.Ich bin mir bewußt, daß es im konkreten Einzelfall schwierig ist — das verhehle ich nicht —, Subventionen auf Dauer abzubauen. Aber gerade an den zwei Beispielen, die ich genannt habe, zeigt sich, daß es durchaus Möglichkeiten gibt und daß für uns eine strenge Ausgabendisziplin kein bloßes Lippenbekenntnis ist.Ich möchte auch auf einige andere Punkte im Haushalt eingehen. Ich weiß, daß ich das nur punktuell tun und nicht den ganzen Haushalt darstellen kann. Natürlich bildet einen der Schwerpunkte in diesem Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums nach wie vor die Hilfe für den Steinkohlenbergbau. Etwa die Hälfte des gesamten Haushaltsvolumens, nämlich 3,3 Milliarden DM, stehen für diese Zwecke zur Verfügung. Mit der Novelle zum Verstromungsgesetz kommen weitere Belastungen für den Revierausgleich und für niederflüchtige Kohle auf den Bundeshaushalt zu, die sich in den Jahren bis 1994 auf etwa 1 Milliarde DM summieren werden.
Ich möchte das unterstreichen: Tausendmal 1 Million kommen noch hinzu. 3 300 mal 1 Million DM geben wir bisher schon. Ich glaube, das sind Zahlen, die wir auch einmal nennen sollten.
Ich hoffe, daß sich alle Beteiligten im Grunde darüber im klaren sind, daß das derzeitige System der Kohlehilfe auf Dauer so nicht durchgehalten werden kann. Das übersteigt insgesamt die finanziellen Möglichkeiten des Bundes. Es übersteigt aber auch — das muß ich bei allem Verständnis sagen — das Verständnis der revierfernen Bundesländer deutlich.
Ich glaube, daß uns nicht nur der europäische Binnenmarkt dazu zwingt, auch in diesem Bereich nach neuen Lösungen zu suchen. Daß es sich hierbei im Interesse der Arbeitnehmer im Steinkohlenbergbau um sozialverträgliche Lösungen handeln muß, versteht sich von selbst. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, daß die Bundesregierung eine Expertenkommission eingesetzt, hat, unter Vorsitz von Herrn Professor Dr. Mikat, unserem früheren Kollegen, und diese Expertenkommission soll Vorschläge für eine künftige Kohlepolitik und insbesondere für eine Anschlußregelung zum Jahrhundertvertrag ausarbeiten. Wir sollten diese Vorschläge, so meine ich, abwarten. Ich hoffe, das richte ich insbesondere auch an die Opposition, daß wir uns danach — wie ich hoffe, sine ira et studio — der Diskussion über die künftige Rolle der Steinkohle im Zusammenhang einer europäischen Energiepolitik dann auch zu stellen haben.Die Schiffbauförderung — um einen anderen Bereich anzusprechen — hat natürlich in den Beratungen des Haushaltsausschusses auch eine ganz wesentliche Rolle gespielt. Die Lage im Schiffbaubereich hat sich ja in jüngster Zeit erfreulicherweise spürbar verbessert. Der Auftragsbestand der deutschen Werften lag im ersten Halbjahr dieses Jahres bei fast 5 Milliarden DM, und der Weltmarktanteil an Auftragseingängen ist seit 1986 von 3,5 % auf über 7 % gestiegen, er hat sich also mehr als verdoppelt. Das sind erfreuliche Zahlen, die wir gern weitergeben und die wir gern zur Kenntnis nehmen. Aber ich glaube doch, daß es verfrüht wäre, bereits jetzt von einer Überwindung der Schiffbaukrise zu sprechen.Man muß deutlich sehen, daß die Akquisitionserfolge zum großen Teil erst durch hohe Subventionen ermöglicht worden sind. Um hier bruchartige Entwicklungen zu vermeiden, haben wir deshalb im
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RossmanithHaushaltsausschuß eine nochmalige Erhöhung der Werfthilfen beschlossen. Es handelt sich hier um Verpflichtungsermächtigungen in einer Größenordnung von über 300 Millionen DM, die in den nächsten Jahren kassenwirksam werden, und niemand sollte sich der Täuschung hingeben, daß uns Verpflichtungsermächtigungen nicht berühren. Natürlich werden sie uns in den kommenden Jahren quasi als Vorauslast verfolgen.Ich verhehle nicht, daß uns insgesamt und insbesondere mir diese Entscheidung nicht leichtgefallen ist, und ich betone, daß sie nicht als Präjudiz für künftige Haushalte mißverstanden werden darf.
— Es wird selbstverständlich protokolliert werden, Herr Vorsitzender.
Ich bin vielmehr der Meinung, daß es wünschenswert wäre, wenn bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene ein genereller Abbau der Subventionen für die Werftindustrie erreicht werden könnte.
Die in diese Richtung zielenden Bemühungen der Bundesregierung verdienen deshalb unsere volle Unterstützung, und ich bitte Sie, Herr Bundesminister Haussmann, weiterhin dieses Ziel mit allem Nachdruck zu verfolgen.Ich danke Ihnen auch, Herr Bundesminister Haussmann, und insbesondere auch Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl für den Einsatz, den Sie im Hinblick auf die Errichtung einer zweiten Endfertigungslinie für den Airbus in Deutschland, in Hamburg gezeigt haben.
Ich bin auch dankbar dafür, daß die Irritationen, die sich in diesem Bereich ergeben hatten, nun wohl überwunden sind und daß einer Überführung des Airbus in die industrielle Verantwortung nun nichts mehr im Wege steht.Ich möchte aber abschließend noch ein Wort zur Mittelstandsförderung sagen. Entgegen den ursprünglichen Befürchtungen der betroffenen Wirtschaftskreise ist ja im Haushalt 1990 sichergestellt, daß die bewährten Förderprogramme für den Mittelstand ungeschmälert fortgeführt werden können.
Bei der Beratungsförderung, lieber Kollege Ernst Hinsken, die jedes Jahr von mehr als 25 000 kleinen und mittleren Unternehmen des Handwerks, der Industrie und des Handels in Anspruch genommen wird, ist sogar zum 1. Januar 1990 eine Konditionenverbesserung vorgesehen. Darüber hinaus werden im Haushalt 1990 zusätzliche Mittel in Höhe von 27 Millionen DM für ein zeitlich befristetes Eurofitnessprogramm bereitgestellt, um gerade mittelständischen Unternehmen aus Handwerk, Handel und Verkehrsgewerbe die Vorbereitung auf den EG-Binnenmarkt zu erleichtern. Wir werden im Haushaltsausschuß sehr sorgfältig darauf achten, daß die Mittel auch ziel- und zweckgerichtet eingesetzt werden. Im übrigenzeigt auch diese neue Förderungsmaßnahme, daß die Mittelstandspolitik unverändert einen hohen Stellenwert in unserem wirtschaftspolitischen Konzept einnimmt.
Ich möchte bei der Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, daß dieser hohe Stellenwert, den die mittelständische Wirtschaftspolitik für uns besitzt, sich nicht nur in finanzieller Förderung zeigt oder zum Ausdruck gebracht wird. Deshalb möchte ich mit Nachdruck, aber auch mit einem gewissen Stolz auf die Auslobung eines „Deutschen Musikinstrumentenpreises" und eines „Deutschen Lederwarenpreises" hinweisen, die ja beide erstmals ab 1990 vergeben werden sollen. Wir wollen damit den hohen qualitativen Standard unseres Handwerks unterstreichen und würdigen und auch der jungen Generation damit ein Zeichen setzen, daß das Handwerk nach wie vor einen goldenen Boden hat und daß das Handwerk hervorragende Zukunftsaussichten bietet.Ich möchte deshalb zum Schluß nochmals wiederholen, daß sich die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien weiterhin auf Erfolgskurs befindet. Wir können mit Zuversicht in das Jahr 1990 gehen. Allerdings werden die Entwicklungen im anderen Teil Deutschlands, auf die wir so lange gewartet haben, auch von uns erhöhte Anstrengungen verlangen. Es ist für uns selbstverständlich, daß wir uns hier nicht entziehen können und uns auch nicht aus unserer Verantwortung stehlen werden. Die Bundesrepublik muß bereit sein, die notwendigen Reformen in der DDR nach besten Kräften zu unterstützen. Das heißt für uns natürlich auch: letztendlich mit finanziellen Mitteln. Natürlich ist vorbehaltslose Hilfe kein Sanierungskonzept. Über die Bedingungen und Konditionen muß deshalb im einzelnen noch gesprochen werden. Dabei werden wir uns stets von dem obersten Ziel leiten lassen, unseren Landsleuten im anderen Teil unseres Vaterlandes bei der Erlangung eines Lebens in Freiheit und Selbstbestimmung jede notwendige Hilfe zuteil werden zu lassen. Der Weg dorthin ist sicherlich noch mit manchen Schwierigkeiten gepflastert. Aber ich sehe hierin gerade für uns Deutsche die große Herausforderung und Chance der 90er Jahre.Ich möchte meine Ausführungen zu diesem Einzelplan aber nicht schließen, ohne dem Bundesministerium für Wirtschaft insgesamt, der Leitung, aber auch allen Mitarbeitern, insbesondere denen, die sich intensiv mit dem Haushalt befaßt haben, einen Dank für die gute Zusammenarbeit und für die Hilfe, die sie uns gewährt haben, auszusprechen. Es war für sie sicherlich nicht immer leicht; denn wir haben rund 300 Millionen DM aus dem Regierungsentwurf noch herausschneiden müssen; dazu sehe ich mich als Haushaltspolitiker verpflichtet.Die Ausführungen von Frau Blunck haben an sich bewiesen, daß Sie von der SPD keinen Grund hätten, diesem Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft nicht zuzustimmen. Deshalb bitte ich dieses Hohe Haus um Zustimmung zu diesem Haushalt.
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13678 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Saibold.
: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geld regiert die Wirtschaft. Deswegen wird bei der CDU/CSU die Wirtschaftspolitik jetzt offensichtlich von den Haushältern gemacht. Auch das ist einmal ganz interessant.
Wir erleben in diesen Wochen in der DDR und weit darüber hinaus eine atemberaubende Entwicklung. Das Desaster des real existierenden Sozialismus tritt in allen Facetten offen zutage. Es ist ein Desaster in moralischer, politischer, ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht.Die Konservativen im Westen triumphieren angesichts der im Systemvergleich erkennbaren Überlegenheit marktwirtschaftlich-kapitalistisch organisierter Gesellschaften. Herrhausen, Reuter und Co. bekommen glänzende Augen angesichts der Expansionsmöglichkeiten.
Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Er lenkt davon ab, daß unsere Gesellschaft von einer umwelt- und sozialverträglichen und damit zukunftsträchtigen Wirtschaftsentwicklung weit entfernt ist.Wie in diesen Tagen bekannt wurde, leben mindestens sechs Millionen Menschen in der Bundesrepublik unter Armutsbedingungen. Auch die Arbeitslosigkeit wird trotz der konjunkturellen Entwicklung und statistischer Tricks im Jahresdurchschnitt weiter über zwei Millionen liegen.
Die Wirtschaft ist zwar dynamisch und äußerst produktiv. Die Kehrseite der Medaille besteht aber darin, daß der wirtschaftliche Expansionsmus weltweit die natürlichen Lebensgrundlagen bedroht. Trinkbares Wasser wird bei uns allmählich knapp. Vergiftete Altlasten — wie es so schön heißt — verseuchen den Boden, und der Müllberg droht uns zu ersticken.
Wälder sind in ihrer Existenz gefährdet, und umweltbedingte Erkrankungen nehmen zu; denn nicht nur die Robben, sondern auch die Menschen sind ein Teil der Natur.
Die globale Klimakatastrophe zeichnet sich immer deutlicher ab.Christian Leipert vom Wissenschaftszentrum Berlin hat festgestellt, daß die ökologischen und sozialen Folgekosten des Wirtschaftens in der Bundesrepublik rapide zugenommen haben. Sie umfassen inzwischen nahezu 12 % des Bruttosozialprodukts. Jede neunte verdiente Mark dient also nicht der wirtschaftlichen Wertschöpfung. Dieses Geld muß ausgegeben werden, um Schäden zu beseitigen oder zu verhindern. Das ist also keine Wirtschaftsweise, die einfach exportiert werden kann.Wir GRÜNEN fordern seit Jahren vergeblich eine Kurskorrektur in der Wirtschaftspolitik. Wegen der jahrelangen Ignoranz unseren Forderungen gegenüber wurde Zeit verloren, die technischen Entwicklungen zur Nutzung erneuerbarer Energien voranzutreiben. Sie fehlen jetzt für den dringend notwendigen Umbau der Energiewirtschaft in den östlichen Ländern.Bevor ich jedoch weiter auf die Situation hier eingehe, möchte ich noch einmal auf die Ereignisse in Mitteleuropa zurückkommen. Was war eigentlich das Aufregende, das Überzeugende der politischen Veränderungen in Mitteleuropa in den vergangenen Wochen? Es bestand darin, daß die Regierungen schwiegen und das Volk auf die Straße ging, die Sprache wiederfand und die Regierungen zum Handeln zwang. Die Opposition in Polen, Ungarn, der DDR und der Tschechoslowakei hat Geschichte gemacht, nicht nur für die dort drüben, sondern auch für uns hier im Westen. Die Lehre daraus für uns alle heißt: Dort, wo Regierungen versagen, hilft nur demokratische Einmischung.Drüben, das ist unbestritten, muß man den Stalinisten wirtschaftspolitisches und ökologisches Totalversagen vorwerfen. Entsprechend mühsam wird es für die Menschen in der DDR und in den anderen Ländern sein, den Wirtschaftskarren wieder aus dem Dreck zu ziehen. In dieser Lage kann es nicht unsere Rolle sein, die Besserwisser zu spielen.
Der Siegesschrei „Unser System ist das beste " darf so nicht weiter ertönen. Das wirtschaftspolitische Rezept „Markt statt Plan" ist ebenso banal wie politisch nichtssagend. Es sei nur darauf hingewiesen, daß 40 % selbst unserer bundesdeutschen Wirtschaftsbeziehungen staatlich oder administrativ reguliert sind, also nicht den Marktgesetzen unterliegen.Um es noch einmal zu sagen: Das zentrale Thema der anstehenden Reformen ist nicht Markt oder Plan, sondern die Neubestimmung des Verhältnisses von Bürger und Bürgerinnen zum Staat auch in der Wirtschaftspolitik. Wer wollte bezweifeln, daß diese Fragestellung die Deutschen in beiden Staaten unmittelbar angeht und daß sie dazu voneinander lernen können, wenn sie nur selbstkritisch genug sind.War die wirtschaftspolitische Dominanz des Staates drüben viel zu groß, so ist sie bei uns z. B. bei der Setzung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen viel zu gering. Anders sind das Versagen der Fusionskontrolle in den letzten Jahren, die Entwicklung des Mammutrüstungskonzerns Daimler-Benz/MBB, das Anwachsen der Armut in der Bundesrepublik auf 6 Millionen Menschen, die ängstliche Abstinenz staatlicher Kontrolle bei den Multis, der hemmungslose Rüstungs- und Müllexport und der Skandal der
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13679
Frau Saiboldfortgesetzten Zerstörung unserer Atmosphäre durch FCKW und CO2 nicht zu erklären.
Herr Haussmann, eine Regierung, die so mit der Zukunft unserer Kinder umgeht wie diese, hat nicht das Recht, anderen Staaten wirtschaftliche Bedingungen zu diktieren.
Ich sage es noch einmal: Weder kapitalistische Marktwirtschaft noch zentralistische Planwirtschaft steht zur Entscheidung an. Was wir brauchen, ist ein dritter Weg zwischen beiden,
also eine Wirtschaftspolitik, die von den Menschen bestimmt wird und deren Grenzen die ökologische Belastbarkeit der Ökosysteme darstellt.
Diesen dritten Weg werden wir nur finden, wenn wir uns gemeinsam daranmachen, sowohl das Erreichte als auch die bitteren Fehlschläge auf beiden Seiten der Demarkationslinie zwischen Ost und West aufzuarbeiten. Wir sollen endlich damit aufhören, die Wahrheit nur bei uns zu suchen, um schließlich die anderen dieser Wahrheit zu unterwerfen.
Es geht nicht um den Sieg der Wahrheit, sondern um den Sieg der Vernunft. Diese aber gebietet uns, festzustellen, daß drüben soziale Sensibilität, Gemeinschaftsgeist, Friedfertigkeit, Solidarität besser entwikkelt zu sein scheinen als bei uns. Das hat gesellschaftliche, aber auch wirtschaftspolitische Gründe. Umgekehrt werden die neuen Kräfte in der DDR und in den anderen Ländern in einem offenen, nicht repressiven Dialog sicher einräumen, daß wirtschaftliche Dezentralisierung, Leistungsvergleiche über den Markt, Machtkontrolle über relative Preise und ähnliches durchaus westliche Exportartikel sein können, sofern sie nicht zur Vereinnahmung mißbraucht werden.Der dritte Weg, den Alexander Dubêek vor 20 Jahren im Prager Frühling anvisierte und der nach den Vorstellungen seines damaligen Wirtschaftsministers Ota Sîk als „Wirtschaftsdemokratie" realisierbar ist,
steht heute dank des historischen Mutes Hunderttausender, die auf die Straße gingen, wieder auf der Tagesordnung Geamteuropas.
— Man muß sicher darüber reden. Nur, man kann nicht einfach alles vom Tisch wischen.
— Das kann gut möglich sein. Trotzdem sollten wir uns ernsthafter damit auseinandersetzen.
Denn die Umweltkrise in Ost und West, die Verelendung in der Dritten Welt, die seelische Verödung in den industriellen Hochburgen sind nur zu überwinden, wenn die Menschen sich überall einmischen, nicht nur als Stimmbürger, sondern auch als Produzenten und Konsumenten. Radikale ökologische wie soziale Veränderungen, vorbeugendes wirtschaftspolitisches Handeln, Energiesparen, echter Verbraucherschutz und vieles mehr sind nur über mehr Mitsprache der Wirtschaftsbürger und -bürgerinnen in Ost und West erreichbar.
So gesehen stellt sich für mich im Moment nicht die Frage nach der staatlichen Einheit Deutschlands, sondern nach Überwindung der Nationalstaaten in einer gesamteuropäischen Wirtschaftsordnung und einer gesamteuropäischen Friedensordnung. Nicht Weltmeisterschaften im Exportieren, sondern Vorangehen beim außenwirtschaftlichen Ab- und Umrüsten sind das Gebot der Stunde.
Die EG mag dafür Starthilfe bieten, aber auch nicht mehr.Meine Fraktion fordert daher die Bundesregierung dazu auf, auf der Wirtschaftskonferenz der KSZE, die im März 1990 in Bonn beginnt, erste Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Neben den bisher eingeladenen Regierungs- und Wirtschaftsverbandsvertretern müssen oppositionelle Nichtregierungsorganisationen — insbesondere aus der Ökologiebewegung — aus Ost und West beteiligt werden. Die ECE — die Economic Commission for Europe — der Vereinten Nationen muß in die Lage versetzt werden, die erforderlichen öffentlichen Hilfen für die DDR, aber auch für alle anderen Staaten Mitteleuropas supranational zu organisieren.In einem solchen Rahmen gesamteuorpäischer Verantwortung können dann die von der Bundesregierung angekündigten Soforthilfemaßnahmen, aber auch Kapitalinvestitionen der Wirtschaft Investitionen für unser aller Zukunft werden.Zum Schluß möchte ich noch einmal kurz auf den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers zurückkommen. In unserem Energiewendehaushalt, der Ihnen in Form von Änderungsanträgen erneut zur Abstimmung vorliegt, haben wir einige zentrale energiepolitische Vorschläge dargestellt, deren Umsetzung wir längst für erforderlich halten: erstens eine massive finanzielle Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und des Nah- und Fernwärmeausbaus, um eine möglichst rationelle Nutzung der Energie zu erreichen; zweitens eine Verteuerung des Energieverbrauchs über eine Primärenergie- und Atomstromsteuer, um Energiesparen finanziell konkurrenzfähig zu machen; drittens den forcierten Ausbau erneuerbarer Energiequellen, die zu einem erheblichen Teil heute schon
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13680 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau Saiboldlängst konkurrenzfähig sind und nur durch wettbewerbswidrige Regelungen der Energiemonopolisten wie RWE und VEW vom Markt gehalten werden.
Das Öko-Institut in Freiburg hat für die GRÜNEN in einem Energiewendeszenario berechnet, daß in der Bundesrepublik in den nächsten 20 Jahren rund 40 der Energie eingespart werden können, ohne daß Wohlstandseinbußen die Folge sind. Ich bitte Sie, das auch einmal zur Kenntnis zu nehmen.Erneuerbare Energiequellen werden immer noch ganz stiefmütterlich behandelt; sie tauchen im Haushalt des für Wirtschaft und Energie zuständigen Ministers erst gar nicht auf. Dies beweist eindeutig, daß die ökologischen Notwendigkeiten im Wirtschaftsministerium immer noch nicht erkannt sind.Wir wollen dagegen eine massive Förderung der Wind- und Wasserkraft sowie der Sonnenenergienutzung, auch durch den Aufbau von Produktionskapazitäten für multikristalline Solarzellen in der Bundesrepublik.Wir müssen endlich weg von der Filter- und Entschwefelungspolitik mit ihren Problemverlagerungen hin zu einer Wirtschaftsform, die Reparaturmaßnahmen möglichst überflüssig macht. Wenn wir dies hier bei uns nicht realisieren, wie soll dann eine ökologisch sinnvolle Energie- und Wirtschaftspolitik in den östlichen Ländern erreicht werden?
Ich komme auf meine Eingangsbemerkungen noch einmal zurück: Wir erleben in diesen Wochen, wie schon erwähnt, in der DDR und darüber hinaus eine atemberaubende, historische Entwicklung. Sie zwingt uns alle, alte Vorstellungen zu überdenken.
Wir ziehen daraus die Schlußfolgerung, daß in der Wirtschaftspolitik in Ost und West ein „dritter Weg" beschritten werden muß, um eine Ökologisierung und Demokratisierung der Wirtschaft zu erreichen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir alle wissen, daß das Thema Energiepolitik als Schwerpunktbereich der Wirtschaftspolitik uns immer wieder Probleme bereitet. Ich habe es auch gerade eben bemerkt, als Herr Rossmanith diese Position des Haushalts etwas kritisierte, Herr Hinsken ihm Beifall zollte. So ganz erfolgreich hat der Finanzminister mit dem CSU-Vorsitzenden offensichtlich doch nicht sprechen können, wie wir heute morgen in dieser Sache feststellten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wir sind sehr zufrieden darüber, daß die Diskussion in ein vernünftiges Fahrwasser geleitet worden ist, daß sie aus den Emotionen herausgebracht worden ist, so daß wir hoffentlich zu einer abgewogenen Lösung dieser Frage kommen können.
Dabei hat sich die Bundesregierung im Interesse aller Beteiligten zweifellos Verdienste erworben.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte, in einigen Sätzen vom Einzelplan 09 abzuschweifen und folgende Bemerkungen zu machen.Der Bundeskanzler hat gestern die uns allen bekannte und von uns allen — von fast allen — mit Beifall aufgenommene Zehn-Punkte-Erklärung abgegeben. Der Bundesaußenminister hat unmittelbar danach im Namen der Freien Demokratischen Partei bestätigt, daß wir unsere Politik in diesen zehn Punkten vollständig wiederfinden. Ich möchte gerne hinzufügen: Für uns sind diese zehn Punkte Teil einer Gesamtpolitik, zu der auch die Willensbekundung des Bundestages vom 8. November 1989 und die ausdrückliche Billigung des Kommuniqués zwischen den Regierungschefs Kohl und Mazowiecki beim Abschluß des Polen-Besuchs des Bundeskanzlers gehören.
Meine Damen und Herren, die Reaktionen aus der DDR und aus dem Ausland müssen uns nicht überraschen, und sie müssen uns auch nicht beunruhigen, vor allem deswegen nicht, weil wir die Selbstbestimmung der Menschen in der DDR nicht etwa in Frage stellen, sondern ausdrücklich verlangen und bekräftigen. Im übrigen ist hier wie wohl selten sonst das bekannte Wort von Max Weber gültig, daß Politik eben in dem geduldigen Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß besteht. Die Bretter sind sehr dick, und wir erreichen das vom Bundeskanzler angestrebte Ziel nur, wenn wir diese Tugenden beweisen. Die erfreuliche Übereinstimmung, die gestern im Hause zum Ausdruck kam, ist eine wichtige und notwendige Voraussetzung dafür.Auch gestern abend ging in der DDR die Diskussion um die künftige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der DDR weiter. Vom Traum eines sozialistischen zweiten deutschen Staates sprach Stefan Heym. Sie wissen, daß ich diese Auffassung nicht teile, daß wir diese Auffassung nicht teilen,
aber ich plädiere für Geduld und Fairneß gegenüber einem Meinungsbildungsprozeß in einem Lande, das 40 Jahre lang der Indoktrination in einer einzigen Richtung unterworfen worden ist.
Wenn man heute liest, was im Rahmen der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion in der DDR von Ost-Berliner Wirtschaftswissenschaftlern im Blatt der Freien Deutschen Jugend geäußert wird — „Im Sozialismus haben wir für den Markt keinen Ersatz gefun-
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Dr. Graf Lambsdorffden" ; „Für die Krise in der DDR ist nicht in erster Linie das Fehlverhalten einzelner verantwortlich; die Ursache liege in der Fehlkonstruktion des Systems"; das alles sind Zitate aus deren Stellungnahmen —, dann wollen wir diese Diskussion doch in Ruhe abwarten. Wir können uns an ihr beteiligen, nicht im Sinne weiser Ratschläge, wohl aber im Sinne von Stellungnahmen, wenn Diskussionsangebote gemacht werden.Wir sind uns einig — hier komme ich an einen kritischen Punkt, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion; es hat wahrscheinlich wenig Sinn, mit den GRÜNEN darüber zu reden —, daß wir der DDR Hilfe leisten wollen. Wir sind uns ferner einig, daß das insbesondere im Bereich der Infrastrukturmaßnahmen notwendig ist. Dazu zählt in meinen Augen ganz wesentlich die Verwirklichung des Stromverbundes zwischen der Bundesrepublik, der DDR und West-Berlin.
Es ist mir völlig unverständlich, daß sich der Berliner Senat immer noch weigert, am Stromverbund mitzuwirken, weil er keine Trasse durch Berlin will oder weil es sich um sogenannten Atomstrom handelt. Gerade angesichts des bevorstehenden Winters, angesichts der Umweltprobleme, die die Energieerzeugung in der DDR verursacht, können wir für diese Haltung kein Verständnis aufbringen. Wenn sich das nicht ändert, dann handelt der Senat verantwortungslos.
Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß die SPD im Bundestag Hilfe für die Verbesserung der Infrastruktur in der DDR fordert und daß der Berliner Senat auf einem der wichtigsten Infrastrukturgebiete, nämlich der Energieversorgung, gleichzeitig die Hilfe verweigert.
Rot-grüne Umweltbekenntnisse werden zum Umweltgeschwätz, wenn der Berliner Senat die DDR daran hindert, aus ihrer schrecklichen BraunkohlenAbhängigkeit herauszukommen, meine Damen und Herren.
Am 30. November läuft ja die Erklärungsfrist für die Alternative Liste im Senat ab. Das ist ein fabelhaftes Datum, Herr Walther. Am 1. Dezember kommt der Regierende Bürgermeister zum Bundeskanzler. Dann mag er Vollzug melden, ob dieses Thema nun endlich in verantwortungsbewußtem Sinne gelöst wird. Bisher war das nicht der Fall.
— Danke.
Wir müssen uns wohl auch vor falscher Hilfe hüten. Die jüngste falsche Hilfe war die gestrige Forderung des Berliner Finanzsenators, einen festen Wechselkurs zwischen der D-Mark und der DDR-Mark von 1 :4 zu garantieren. Meine Damen und Herren, wie soll das denn in einem System international flexibler Wechselkurse insonderheit zum Dollar, eigentlich funktionieren? Der Kollege Roth hat gestern auf dieJahre nach 1948 und das jahrelang feste Wechselkursverhältnis zwischen Dollar und DM von 1 : 4.20 hingewiesen. Das ging doch nur, weil im System von Bretton Woods weltweit feste Wechselkurse bestanden.Die vielen Empfehlungen, die der DDR jetzt gegeben werden, beziehen sich fast alle auf Vergleiche, die nicht auf einem Bein, sondern auf beiden Beinen hinken. Weder stimmt der Hinweis auf den Marshall-plan so ganz generell — der stand ja auch Großbritannien zur Verfügung; aber mit der falschen Wirtschaftspolitik wurde nichts daraus gemacht —, noch stimmt der Vergleich mit unserer Währungsreform. Diese Währungsreform konnte überhaupt nur auf Druck der Besatzungsmächte durchgesetzt werden; kein Land wäre allein dazu imstande gewesen.Wer der DDR generell einen festen Wechselkurs garantieren will — ich spreche jetzt nicht vom Besuchergeld; da kann man das in beschränktem Umfang sicherlich tun —,
der muß bitte sagen, wer denn nun eigentlich intervenieren soll, der muß auch sagen, was mit den Beständen an DDR-Mark geschehen soll, und der muß ebenfalls die Frage beantworten, wie er das Unterlaufen einer solchen Stabilisierung durch die Geldpolitik der DDR verhindern will.
Oder, meine Damen und Herren, Herr Walther, will der Berliner Finanzsenator die Souveränität über die Notenbank der DDR auf die Bundesregierung oder die Bundesbank übertragen?
Das wäre in der Tat ein Überschlucken der DDR in Teilbereichen.Fazit: Mit Schnellschüssen à la Senator Meisner ist der Diskussion nicht gedient.
Meine Damen und Herren, die Wirtschaft der Bundesrepublik befindet sich in einem Zustand, der es uns erlaubt, den Dingen mit Gelassenheit entgegenzugehen. Diese Debatte heute macht es klar. Worauf konzentrieren wir uns denn eigentlich? Auf die große ordnungspolitische, wirtschaftspolitische Auseinandersetzung? Wir reden über Verbraucherschutz und reden über hier ein paar Subventionsmark und da ein paar Subventionsmark. Es geht uns fabelhaft, und man merkt es heute abend.
Vom Skandal Massenarbeitslosigkeit hört man schon lange nichts mehr. Von der Zweidrittelgesellschaft hört man auch nichts mehr. Jetzt kommen die 6 Millionen, die von der Armut betroffen sind.
Wollen Sie einmal freundlicherweise definieren, wasSie in diesem Zusammenhang eigentlich unter „Armut" verstehen? Diese Bewertungsmaßstäbe für Ar-
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Dr. Graf Lambsdorffmut möchte ich gern einmal im internationalen Kontext sehen.
Wichtig ist, daß wir unsere ökonomische Leistungskraft bewahren. Wichtig ist, daß wir die gewünschte Hilfe leisten können. Zwei Dinge scheinen mir von zentraler Bedeutung bei uns zu sein: die Bewahrung der Preisstabilität — ohne die kann das Wachstum nicht anhalten — und die Fortsetzung, ja Bekräftigung des erfolgreichen marktwirtschaftlichen Kurses zur Verbesserung der Angebotsbedingungen. Dies nämlich, meine Damen und Herren, die Verbesserung der Angebotsbedingungen, ist die eigentliche Grundlage für den Erfolg dieser Wirtschaftspolitik dieser Regierung über die letzten Jahre hinweg. Das sollte über der Diskussion um Verbraucherschutz und Verbraucherpositionen nicht vergessen werden.
Es liegt bei den Tarifpartnern, die Lohn-Preis-Spirale zu verhindern, die unweigerlich zu einem wirtschaftlichen Rückschlag führen würde. Die Tarifpartner, vor allem die Gewerkschaften, sperren sich gegen mehr Flexibilität. Es gibt aber eine bessere Tarifpolitik als die der Starrheit. Da sitzt ja der Kollege Rappe. Herr Rappe, es wäre wirklich außerordentlich entgegenkommend und außerordentlich hilfreich, wenn Sie dem Kollegen. Steinkühler ein bißchen Nachhilfeunterricht darüber geben könnten, wie man so etwas macht.
— Herr Steinkühler hört nicht hin; ich glaube es wohl.Ein weiteres wichtiges aktuelles ordnungspolitisches Thema ist und bleibt die Wettbewerbspolitik. Sie darf nicht verengt werden auf die Kartellnovelle, die wir bald verabschieden werden, oder auf Fragen der Fusionskontrolle in Europa. Wettbewerb heißt Marktöffnung nach innen und außen, heißt Deregulierung, Subventionsabbau, heißt Abbau von Protektion und Außenabschottung. Frau Kollegin, der Dienstleistungsabend ist für den Verbraucher dreimal wichtiger als 2 Millionen DM in diesem Topf oder 3 Millionen DM in jenem Topf mehr.
In Europa steht in Kürze eine wichtige ordnungspolitische Weichenstellung an. Am 23. Dezember will der Ministerrat über die europäische Fusionskontrolle entscheiden. Die Bundesregierung hat für die Verhandlungen wichtige Ziele aufgestellt, die meine Fraktion und meine Partei unterstützt. Dazu zählt die Prävention, die wettbewerbliche Ausrichtung der Eingreifkriterien, die Wahrung einer nationalen Restkompetenz und die Einengung der Berücksichtigung von sogenannten legitimen Interessen.Herr Bundesminister Haussmann, Sie haben bei den Verhandlungen eine ganze Menge erreicht, aber wir sind mit Ihnen der Meinung, daß das Ergebnis bisher nicht befriedigend ist.
Es ist sicherlich richtig, daß wir in Europa unsere Vorstellungen nicht lupenrein durchsetzen können. Wer Nächte in Ministerräten zugebracht hat, der weiß das. Aber wir sollten immer wieder klarmachen, auch unseren Freunden in Europa, daß unser Wettbewerbsrecht keine Belastung für unsere Wirtschaft war und ist, sondern daß es ihr Vorteile gebracht hat.
Darum geht es, und darum müssen wir überzeugen.Ein Kompromiß darf nicht so weit gehen, daß die nationale Ordnungs- und Wettbewerbspolitik unterlaufen wird.Ich begrüße es, daß der Bundeswirtschaftsminister angesichts der Bedeutung dieses Gesetzes auch für die nationale Ordnungspolitik nicht zu jedem Kompromiß bereit ist und daß er auch ein mögliches Scheitern der Verhandlungen ganz deutlich und ganz offen zwar nicht als wünschenswert bezeichnet hat — wer täte das? —, es aber auch nicht ausgeschlossen hat. Denn, meine Damen und Herren, es sei noch einmal gesagt: Wettbewerb ist die Grundlage unserer Wirtschaftsordnung. Wettbewerb ist die Grundlage für die Stärke unserer Wirtschaft. Wettbewerb war auch die Ausgangsposition dafür — und ist es bis heute geblieben —, daß wir unsere wirtschaftliche Lage so beurteilen können, wie wir es heute tun, nämlich durch eine Debatte, die die Kernpunkte der Wirtschaftspolitik glücklicherweise gar nicht mehr berühren muß.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lambsdorff, es verwundert mich nicht, daß Sie auch heute das Hohelied des Wettbewerbs singen.
Das tun Sie immer. Aber Sie und auch Ihre Regierung wären damit noch glaubwürdiger — ich will Ihnen in dem Punkt die Glaubwürdigkeit nicht grundsätzlich absprechen —, wenn Sie z. B. im Falle von Fusionen etwas markiger für die Marktwirtschaft eintreten würden und nicht nur dann, wenn es hier am Podium gilt, Flagge zu zeigen. Denn daß die Fusion DaimlerBenz/MBB mehr ist als ein Sündenfall, wissen Sie sehr wohl.
Das reiht sich ja in eine Vielzahl von Fällen gleicher Art ein. Ich bitte Sie, zu bedenken, daß sich die Zahl der Fusionsfälle verdoppelt hat, seit Sie an der Regierung sind, Herr Haussmann, Herr Lambsdorff. Wer sich unter diesen Umständen noch als hehrer Vertei-
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Vahlbergdiger der Marktwirtschaft aufspielt, der muß sich an seinen eigenen Prinzipien messen lassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Ja, natürlich.
Lieber Herr Kollege Vahlberg, haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen, daß die SPD-regierten Länder im Norden der Fusion inzwischen zugestimmt haben?
Herr Kollege Grünbeck, Sie haben inzwischen ja Fakten gesetzt. Sie haben die Voraussetzungen für diese Fusion geschaffen. Wenn jetzt auch sozialdemokratisch geführte Regierungen die Fakten nach langem Zögern akzeptieren, dann bedeutet das nicht, daß wir uns dieser wettbewerbsfeindlichen Politik, die sie in diesem Punkt betreiben, anschließen.
Herr Kollege Lambsdorff, wenn Sie von einer Verbesserung der Angebotsbedingungen im Lande sprechen, dann weiß ich natürlich, was sich dahinter verbirgt.
Sie sollten deutlich werden, finde ich. Dahinter verbirgt sich natürlich, daß Sie in der kommenden Legislaturperiode u. a. eine Unternehmensteuerreform machen wollen.
Da stehen nicht strukturelle Ungereimtheiten unseres Steuersystems im Zentrum der Reform, sondern es geht Ihnen darum, den Unternehmen zusätzliche Gewinnmöglichkeiten zu schaffen.
Das heißt also: Es geht Ihnen darum, die Schere der Einkommensentwicklung, die jetzt schon auseinanderläuft — Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen und Einkommen aus Arbeitnehmertätigkeit —, noch weiter zu öffnen.
Ich würde Ihnen ja folgen, Herr Kollege Lambsdorff — ich bin kein Eiferer gegen die Angebotspolitik; ich weiß, daß auch dies ein wirtschaftspolitisches Instrument ist — , nur, die Standortbedingungen der Bundesrepublik müssen nicht verbessert werden.
Schauen Sie sich die Exportrate an. Sie ist exorbitant hoch, sie ist fast ungesund hoch
und macht unseren wirtschaftlichen Partnern im EG-Raum und darüber hinaus Probleme.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es nicht darum geht, die Standortbedingungen per heute zu verbessern, sondern daß es darum geht, die Standortbedingungen auf die Zukunft hin zu festigen und zu verbessern, und Ihnen in dem Zusammenhang durchaus bestätigen, daß wir eine Unternehmensteuerreform für notwendig halten? Darf ich Sie zum zweiten bitten, mit dem — verzeihen Sie — unsinnigen Vergleich aus der Statistik der Arbeitnehmer- und Unternehmereinkommen doch endlich aufzuhören, weil Sie doch wahrscheinlich genauso wissen wie wir, daß in den Einkünften aus Unternehmen und Vermögen die ganzen Zinseinkünfte des ungeheuer gestiegenen Geldvermögens auch in Arbeitnehmerhand enthalten sind, so daß die Zahlen wahrlich nichts mehr hergeben?
Herr Kollege Lambsdorff, ich weiß das sehr wohl. Wenn ich mehr Zeit habe, benutze ich diese statistischen Größen differenzierter. Man könnte noch weiter differenzieren und Einkommen aus Unternehmertätigkeit im Vergleich zum Arbeitnehmereinkommen, bezogen auf die Entwicklung des Bruttosozialproduktes und die Finanzierung des Kapitalstocks bewerten. Aber wir wollen jetzt keine Spezialdiskussion führen. Tatsache bleibt — das wollte ich nur ausdrücken, Herr Kollege Lambsdorff —, daß es im Moment meiner Auffassung nach keine Begründung dafür geben kann, eine Unternehmensteuerreform zu machen, die die Unternehmen entlastet, weil die Unternehmen zur Zeit exorbitant gut verdienen. Das können Sie nicht bestreiten.
— Bitte.
Würden Sie die Freundlichkeit haben, dem Kollegen Roth, der sich gerade gemeldet hat, zu sagen, spät kommt er, doch er kommt?
Ich habe es jetzt nicht verstanden. Es war vielleicht zu launig. Ich habe nicht richtig zugehört.
Die Zusatzfrage bezog sich darauf, ob der Präsident eine weitere Zusatzfrage genehmigen soll.
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Ich lasse eine Zusatzfrage des Kollegen Roth zu.
Ich will eine Vorzusatzfrage an Sie stellen. Würden Sie dem Kollegen Lambsdorff mitteilen, daß ich sehr bedauere, daß ich während seiner Rede nicht anwesend sein konnte?
Würden Sie mir zustimmen, daß sich dann, wenn man die Entwicklung der Gewinneinkommen und der Vermögenseinkommen auftrennt, in der Statistik darstellt, daß die Gewinneinkommen sehr viel stärker angestiegen sind als die Einkommen aus Vermögen, was wiederum heißt, daß die Unternehmereinkommen am stärksten gestiegen sind und daß das Argument des Grafen Lambsdorff — was in seiner Frage lag —, daß nämlich die Arbeitnehmer dadurch, daß sie inzwischen Vermögenseinkommen hätten, an der Gewinnexplosion partizipiert hätten, überhaupt nicht zutrifft?
Herr Kollege Roth, ich bin Ihnen für diese Differenzierung dankbar und übernehme sie. Ich hoffe, daß der Herr Kollege Lambsdorff zugehört hat. Ich möchte das jetzt nicht wiederholen.
Herr Kollege Haussmann, die Bundesregierung versucht auch in diesem Jahr wieder, sich im Rahmen der Haushaltsdebatte als besonders mittelstandsfreundlich darzustellen. Zur Begründung verweisen Sie auf die 28 Millionen DM, mit denen Sie die kleinen und mittleren Unternehmen auf den EG-Binnenmarkt vorbereiten wollen. Herr Lambsdorff hat von einem Fitneßprogramm geredet.
Man muß wissen, daß 13 Millionen dieser 28 Millionen DM für Informationsmaterial der Bundesregierung vorgesehen sind, und zwar in einem Wahljahr. Das entwertet natürlich die Zahl sehr deutlich. Man kann den Eindruck gewinnen, daß mindestens die Hälfte dieses Geldes dafür gedacht ist, die CDU/CSU im Wahlkampf fit zu machen.
Im Einzelplan 09 wird — das haben wir auch schon zu früherer Zeit kritisiert — die Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen von der Bundesregierung rücksichtslos zusammengestrichen. In der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes 1990 wird die Mittelstandsförderung von 1,1 Milliarden DM im Jahr 1987 auf 550 Millionen DM im Jahr 1993 zusammengestrichen.
Außerordentlich gut bewährte Instrumente machen Sie zu Kleinholz. Großkonzerne werden generös gefördert. Der Mittelstand wird durch gezielte globale Minderausgaben von Jahr zu Jahr weiter zurückgestutzt.
Die Bundesregierung betreibt, was immer sie auch in Fensterreden behaupten mag, eine systematische Kahlschlagpolitik gegenüber dem Mittelstand zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmer und natürlich auch zu Lasten der Arbeitnehmer, die in diesen Betrieben tätig sind. Wir Sozialdemokraten haben deshalb eine Reihe von Änderungen an diesem Haushalt gefordert. Wir wollen, daß das Eigenkapitalhilfeprogramm über das Jahr 1991 hinaus unbefristet fortgeführt wird.
Die Übernahme von Betrieben ist wieder in die Förderung einzubeziehen. Die Konditionenverschlechterungen müssen wieder aufgehoben werden, Herr Hinsken.
— Das ist hervorragend. Dann sagen Sie das einmal von diesem Podium aus.
Die freien Berufe sollten in die Ansparförderung zur Unterstützung von Existenzgründungen einbezogen werden. Ist das auch eine Forderung von Ihnen?
Für die Titelgruppe 13 — Maßnahmen zur Vorbereitung insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen auf den EG-Binnenmarkt — sollten zusätzlich 10 Millionen DM ausgegeben werden. Ich habe darauf eben schon verwiesen, daß die — —
— 28.
— 27? Na gut, noch weniger. Der Hälfte davon haftet, wie gesagt, das Odium an, daß es sich möglicherweise um Wahlkampfmaterial handelt.
— Nun gut. Wir werden dem mit Ruhe entgegensehen.
Das unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung eingeführte und bewährte Personalkostenzuschußprogramm sollte weitergeführt werden. Sie killen dieses Programm; das finden wir außerordentlich schlecht.
Der Titelansatz zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung — das ist ja sozusagen das letzte mittelstandspolitische Instrument im Bereich der Technologieförderung und des Technologietransfers — sollte weiter aufgestockt und vitalisiert werden. Das, was Sie hier vornehmen, ist uns bei weitem nicht genug.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weng?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Personalzuschußprogramm, von dem Sie gerade gesprochen ha-
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Dr. Weng
ben, erstens unter Federführung eines FDP-Ministers eingeführt wurde und daß es zweitens von Anfang an zeitlich begrenzt war und insoweit dann ausgelaufen ist, zwar ein Jahr eher, als ursprünglich geplant, aber auf Grund einer zeitlichen Begrenzung, die von der sozialliberalen Koalition von vornherein beschlossen war?
Herr Kollege, ich bestätige, daß dieses Programm, wie auch andere mittelstandspolitische Programme zur Zeit der SPD/FDP-Regierung aufgelegt wurden.
— Das ist doch eine Gesamtverantwortung; jetzt machen wir doch nicht solche Albernheiten, Herr Grünbeck. —
Ich bestätige auch, daß es befristet war und nun ausläuft. Aber unsere Forderung ist — das können Sie uns ja nicht ausreden —, daß ein bewährtes Programm fortgeführt oder erneut aufgelegt wird, wenn Sie auf semantische Spielereien abheben.
Wir fordern auch, daß eine steuerstundende Investitionsrücklage eingeführt wird. Jedenfalls sind wir der Meinung, Herr Haussmann: Das, was Sie als mittelständisches Programm vorlegen, ist — um es mit den Worten des Finanzministers Waigel zu skizzieren — eine Beerdigung sechster Klasse; die Leiche trägt die Kerze selber.
— Richtig, auch ich habe es heute schon gehört.
Lassen Sie mich gerade auch mit Blick auf die DDR und ihre wirtschaftlichen Probleme die Bedeutung der Selbständigen, der kleinen und mittleren Unternehmen, des produzierenden Gewerbes, des Handels, des Handwerks und der Kultur unterstreichen.
— Herr Hinsken, jetzt lassen Sie mich einmal im Zusammenhang reden. Das ist ja sehr schön; ich bin da sehr großzügig. Aber ich bringe gar nicht mehr herüber, was ich eigentlich sagen wollte.
— Na gut, also die letzte Frage.
Augenblick. Der Präsident hat auch noch ein Wort mitzureden. Er möchte Ihnen jetzt mit Rücksicht auf diejenigen, die noch bis heute nacht hierzubleiben haben, sagen, daß die Menge der Zwischenfragen, bei denen ich die Zeit nicht anrechne und die Uhr stoppe, irgendwann erschöpft ist.
Herr Hinsken darf noch als letzter eine Zwischenfrage stellen.
Herr Vahlberg, wie bewerten Sie dann die Tatsache, daß sich die Mittelstandsorganisationen über die Ansätze in diesem Haushalt in jüngster Zeit ausnahmslos sehr, sehr positiv geäußert haben?
Herr Hinsken, ich kann Ihnen die Schreiben zeigen, in denen das Gegenteil geschildert wird.
Ich hatte Ihnen die Zwischenfrage gewährt, als ich gerade dabei war, auf die Bedeutung des mittelständischen Gewerbes, des Handels und des Handwerks im Zusammenhang mit der Diskussion, die wir über die DDR und die Hilfeleistung in Richtung DDR zur Zeit führen, hinzuweisen. Sie wissen, Herr Hinsken, 80 % der Ausbildungsplätze, zwei Drittel der Arbeitnehmer sind bei uns im Mittelstand zu finden. Das unterstreicht die Bedeutung. Deshalb meinen wir, daß man, wenn von Unterstützung des Reformprozesses auf wirtschaftlicher Ebene in bezug auf die DDR die Rede ist, vor allen Dingen im mittelständischen Bereich ansetzen sollte,
daß man die Instrumente, die sich bei uns bewährt haben — ich habe sie eben alle aufgeführt — , mit Modifikationen auch in den deutsch-deutschen Dialog zur Unterstützung der Wirtschaft einführen sollte, um die Wirtschaft dort von unten heraus zu fördern und von unten heraus zu entwickeln.
Wir sind der Auffassung, daß es besser ist, finanzielle Unterstützung — Kreditsubventionen und dergleichen — eher in den mittelständischen Bereich zu geben als in, was die DDR anlangt, marode Großbetriebe.Der Strukturwandel wird von den Menschen in der DDR jedenfalls viel abverlangen. Deshalb plädieren wir, plädiere auch ich für sehr viel Behutsamkeit bei diesem Thema. Bevormundungen sollten wir uns nicht erlauben. Wer wie der Sprecher der größten Bank im Land die Wiedervereinigung als Voraussetzung für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit fordert, muß sich allerdings fragen lassen, was er unter Zusammenarbeit versteht.
Ist das für ihn möglicherweise Kolonisierung des anderen Teils Deutschlands? Immerhin kontrolliert dieses größte Bankinstitut mit 299 Milliarden DM Bilanzsumme die Größenordnung, über die wir mehrere Tage sprechen, nämlich die Größenordnung unseres gesamten Haushalts.
Wir machen uns damit sehr große Mühe und tun diesin aller Öffentlichkeit, Herr Lambsdorff, während sich
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Vahlbergdas bei diesen Beträgen bei der Deutschen Bank außerhalb der öffentlichen Diskussion abspielt.
— Nein, ich wollte nur darauf hinweisen — da werden Sie mir nicht widersprechen — , daß wir nicht einfach unser Rechts- und Wirtschaftssystem eins zu eins auf die DDR übertragen können. Das würde bei dem wirtschaftlichen Gefälle, bei dem Stärkeverhältnis, das es gibt, naturgemäß zu einem Ausverkauf der DDR führen. Es würde dazu führen, daß die DDR ein billiger Jakob ist. Ich nehme als Beispiel die Bodenordnung. Wenn wir unsere Bodenordnung jetzt in der DDR hätten, würde es bedeuten, daß das Kapital, von dem ich eine kurze Andeutung gegeben habe, dort natürlich eine Anlage suchen würde. Ob das immer im Interesse der Bürger der DDR wäre, wage ich tunlichst zu bezweifeln.Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Punkt im Zusammenhang mit der Hilfestellung für die DDR wie für andere Ostblockländer ansprechen, die nichts kostet, die im Gegenteil sogar von Nutzen für uns ist. Ich spreche von der Kürzung oder gar Aufhebung der COCOM-Liste, mit deren Hilfe die Lieferung vieler hochtechnischer Produkte mit monatelangen Genehmigungsverfahren und Endverbleibsklauseln kontrolliert oder gar verhindert wird. Herr Haussmann, Sie werden mir hoffentlich zustimmen: Gerade für die mittelständische Industrie gehen durch diese Behinderung viele Geschäfte verloren. Wie — so frage ich — will man vernünftige Kooperation Ost-West machen, solange es diese Liste mit ihren restriktiven Bedingungen gibt? Diese COCOM-Liste ist ein Folterwerkzeug des Kalten Krieges und sollte in den Papierkorb der Geschichte wandern. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, sich gerade jetzt im Vorfeld des „schwimmenden Gipfels" mit Nachdruck dafür einzusetzen.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich — das ist ein guter Brauch, und ich tue das aus Überzeugung — im Namen der Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums sehr herzlich bedanken bei Ihnen, Herr Rossmanith, bei Ihnen, Herr Wieczorek
— es würde mich freuen —, bei Ihnen, Herr Kollege, Weng, und bei Ihnen, Frau Vennegerts. Es war eine außerordentlich gute und konstruktive Zusammenarbeit bei durchaus verschiedenen Meinungen zu diesem Haushalt.Dieser Haushalt ist mittelstandsfreundlich, zukunftsgerichtet und stocksolide. Deshalb bitte ich um Zustimmung aller Fraktionen zu meinem Haushalt.
Aber Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich heute abseits von diesem Haushalt etwas zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen unserem Land und der DDR sage,
weil ich davon ausgehe, daß ich noch in diesem Jahr die Möglichkeit habe, mit meinen Kollegen in der DDR über die künftigen deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen zu reden.
Ein Zitat aus einer Zeitung, die an sich der Bundesrepublik oft sehr kritisch gegenübersteht, aus der „Herald Tribune": „Westdeutschland hat als einziges Land des Westens den Reichtum, die geographische Lage, die Erfahrungen und den Antrieb, die Entwicklungen im Osten mitzugestalten. " Wir wollen keine Solorolle im Ost-West-Verhältnis. Wir möchten, daß Europa Europa hilft. Aber wir sehen an diesem Zitat, daß uns der konsequente marktwirtschaftliche Weg der Bundesrepublik zu einer der bedeutendsten Industrienationen hat aufsteigen lassen
und daß wir auf Grund dieser marktwirtschaftlichen Leistung eine entscheidende Rolle in der Weltwirtschaft, bei der europäischen Integration und bei der wichtigen Begleitung der Reformprozesse in Mittel-und Osteuropa spielen können. Deshalb haben wir keinen Anlaß, die marktwirtschaftliche Leistung unserer Arbeitnehmer, unserer Unternehmen, aber auch der verschiedenen Regierungen zurückzunehmen.
Unsere Stärke ist — und muß bleiben — die enge und unauflösliche Verflechtung unserer nationalen Wirtschaft mit der Weltwirtschaft. Wir haben auf dem harten Prüfstand des internationalen Wettbewerbes unserer Wirtschaft Spitzenleistungen abgefordert. Wir haben Konkurrenzfähigkeit erreicht. Nur die so erworbene internationale Leistungskraft ist heute die Basis möglicher Hilfen für die DDR und anderer Reformländer. Dies ist der tiefere Zusammenhang zwischen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik und Reformchancen für Bürger in Osteuropa.Wir würden diese im Weltwettbewerb erworbenen Stärken verlieren, wenn wir uns wirtschaftspolitisch deutsch-deutsch isolieren oder wenn wir aus dem europäischen Einigungsprozeß aussteigen würden. Im Gegenteil: Die besonderen deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen können nur in einer erweiterten Europäischen Gemeinschaft beiden Ländern Nutzen bringen.
Der Haushalt meines Ministeriums trägt dazu in bescheidenem Umfang bei. Wir haben deshalb — in Zukunft noch mehr — die Verpflichtung, unsere marktwirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch eine ständige Modernisierung unseres Systems zu verbessern. Unsere Nachbarn in Ost und West hätten zu Recht kein Verständnis, wenn wir in der Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- oder Arbeitszeitpolitik rein nationalistisch denken würden. Dies würde als Verweigerung
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Bundesminister Dr. Haussmannder Bundesrepublik verstanden und den Reformkräften in Mittel- und Osteuropa Schaden zufügen.Wir haben das Glück — aber es war auch das Können unserer Regierung — , daß die großen Herausforderungen, die die Reformprozesse in Mittel- und Osteuropa ohne Zweifel an unser Wirtschaftssystem stellen, bei uns auf eine hervorragende Wirtschaftslage treffen. Nicht auszudenken, wenn wir falschen Rezepten gefolgt wären oder wenn sich der von der Opposition verbreitete wirtschaftspolitische Pessimismus erfüllt hätte.
Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten von einem Expansionsprozeß neuer Qualität gesprochen und die vorhandene Aufbruchstimmung in der deutschen Wirtschaft deutlich unterstrichen. Wir sind auf einem stabilen Wachstumspfad dank gemeinsamer Anstrengungen von qualifizierten Arbeitnehmern, Unternehmern, aber auch der Bundesregierung. Ich erwarte für dieses Jahr ein reales Wachstum von 4 % und mehr. Wir erwarten für 1990 ein Wirtschaftswachstum von 3 % und mehr. Wir werden in diesem und im nächsten Jahr — in zwei Jahren — nach Einschätzung des Sachverständigenrats eine dreiviertel Million neue Arbeitsplätze für Einheimische, für Übersiedler, aber auch für Umsiedler schaffen.Die D-Mark gehört zu den stabilsten Währungen der Welt, und zwar nach innen und außen. Darauf sollten wir stolz sein.
Dies ist die Basis für Hilfsmöglichkeiten gegenüber anderen, unterentwickelten Volkswirtschaften.
Die wirtschaftspolitische Entwicklung in der DDR ist offen. Meinungsumfragen geben keinerlei Auskünfte über den künftigen wirtschaftspolitischen Kurs.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Saibold?
Bitte schön, gerne.
Herr Haussmann, sind Sie dafür oder haben Sie vielleicht schon Schritte in die Wege geleitet, daß in Zukunft der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gemeinsam mit dem Sachverständigenrat für Umweltfragen tagt und eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben wird?
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß der Sachverständigenrat in seinem diesjährigen Gutachten ein wichtiges Kapitel zur Verzahnung von Umwelt und Marktwirtschaftspolitik geschrieben hat und daß ich die Absicht habe, zusammen mit dem Wirtschaftsausschuß die Kriterien für unser Wirtschaftswachstum zu untersuchen, aber auch verstärkt marktwirtschaftliche Elemente für unseren Umweltschutz einzusetzen.
Meine Damen und Herren, die Diskussion über wirtschaftliche Erneuerung in der DDR befindet sich erst im Anfangsstadium. Ob und inwieweit der Übergang zu einem marktwirtschaftlichen System erfolgt, wie er in Ungarn, Polen und wahrscheinlich auch in der Tschechoslowakei angestrebt wird, ist unklar. Leider wurde bisher die wirtschaftspolitische Diskussion in der DDR anders als in Polen und Ungarn nicht vertieft geführt. Die Mitbegründerin des „Neuen Forums" Frau Bärbel Bohley hat recht mit ihrer Klage über — ich zitiere — einen „Mangel an wirtschaftspolitischer Diskussion und Kompetenz in der DDR". Trotzdem sollten wir die DDR jetzt nicht mit Alles-oder-nichts-Forderungen überfordern und so eventuell den Reformprozeß in Gefahr bringen.Ich denke, wir brauchen einen Stufenplan, um die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen schrittweise und abgestimmt auf das Reformtempo in der DDR einzustellen. Ich schlage deshalb einen DreiStufen-Wirtschaftsplan für die DDR vor. Erste Stufe: Was geht sofort ohne Veränderungen in der DDR? Es geht sehr viel mehr, als wir glauben. Zweite Stufe: Was ist bis zu den Neuwahlen an wirtschaftspolitischer Veränderung und Zusammenarbeit möglich? Dritte Stufe: Was muß nach den Neuwahlen verändert werden?In der ersten Stufe sind Maßnahmen möglich, die den notwendigen rechtlichen Rahmen für Kooperation und Gemeinschaftsunternehmen sehr schnell schaffen. Durch die Zulassung von Gemeinschaftsproduktionen können der DDR-Wirtschaft sehr rasch wesentliche Impulse gegeben werden. Es gibt ausreichende Erfahrungen für eine fortschrittliche JointVenture-Gesetzgebung in anderen RGW-Staaten, die sich auf die DDR schnell übertragen lassen.Sehr schnell könnte die DDR auch die zahlreichen Regelungen entrümpeln, die einen Ausbau der direkten Wirtschaftsbeziehungen auf betrieblicher Ebene behindern. Bei Gesprächen mit unserer Wirtschaft in der letzten Woche habe ich eine große Bereitschaft festgestellt, sich durch Kapital, durch Sachtransfer und durch die Übertragung von Technologie in der DDR sofort zu engagieren.Aus dem Handwerk liegen mir konkrete Angebote vor, überbetriebliche Ausbildungsstätten für die Qualifizierung von Ausbildern aus der DDR sofort zur Verfügung zu stellen. Beim Aufbau eines unabhängigen handwerklichen Selbstverwaltungssystems und der Einführung einer Betriebsberatung bietet das Handwerk ebenfalls seine Unterstützung an. Ich halte es für ungeheuer wichtig, daß die DDR diese Hilfsmöglichkeiten sehr schnell akzeptiert.
In einer zweiten Stufe sollten wir darüber reden, was bis zu den geplanten Neuwahlen in der DDR zusätzlich getan werden kann, ohne den Reformdruck in der DDR zu mindern. Dabei geht es aus meiner Sicht im wesentlichen um die Unterstützung unserer
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Bundesminister Dr. HaussmannWirtschaft auf dem Weg zu neuen Dimensionen der betrieblichen Zusammenarbeit. Insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, meine Damen und Herren, besteht ein riesiges Interesse an Kooperation mit Partnern in der DDR. Schon heute sind 7 000 überwiegend mittlere und kleine Unternehmen in der DDR tätig, wegen der fehlenden Rahmenbedingungen allerdings auf einem relativ geringen Niveau. Dieses ließe sich sofort erhöhen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Sperling?
Ich bitte um Verständnis: Auch in Ihrem Interesse möchte ich sie nicht zulassen. Wir haben im Wirtschaftsausschuß immer wieder Gelegenheit, die Diskussion zu führen.Meine Damen und Herren, diese marktwirtschaftlichen Elemente sind unverzichtbar. Sie sind keine Vorbedingungen, aber sie sind ökonomische Voraussetzungen, damit sich wirtschaftlicher Fortschritt in der DDR ergibt. Ich halte sie aber auch — ich sage das sehr deutlich — politisch für wichtig, damit die Menschen in der DDR nach 40 Jahren Planwirtschaft vor ihrer Neuwahl erste Erfahrungen mit einzelnen Elementen der Marktwirtschaft sammeln können. Erst dann ist eine wirkliche Neuwahl möglich, wenn die Bürger in der DDR nicht nur das planwirtschaftliche System, sondern wenn sie auch marktwirtschaftliche Elemente kennen — nicht nur von ihren Besuchen in der Bundesrepublik, sondern auch durch erste Erfolge in der DDR selbst.In der DDR wächst die Einsicht, daß man sich der internationalen Arbeitsteilung nicht entziehen kann. Das ist ohne grundsätzliche Wirtschaftsreform allerdings nicht zu machen. In der dritten Stufe stellt sich deshalb die Frage, wie grundlegende Wirtschaftsreformen in der DDR aussehen müssen. Wir machen der DDR keinerlei Vorschriften. Es ist allein Sache der Menschen, in freier Selbstbestimmung auch über ihre wirtschaftliche Zukunft zu entscheiden. Unsere Verantwortung gebietet es jedoch, jetzt keine Blankoschecks auszustellen, die dazu benutzt werden könnten, den Reformdruck zu mindern und den längst überfälligen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Umbau hinauszuschieben.In der DDR sind die Vorstellungen über die zukünftige Wirtschaftsordnung leider noch sehr vage. Das gilt für die SED und die Blockparteien, die immer noch hoffen, es genüge, in die Planwirtschaft einige kleine marktwirtschaftliche Elemente einzubauen. Es gilt leider auch für manche Oppositionsgruppen, die meinen — diese Meinung herrscht auch bei Ihnen vor —, die DDR könne praktisch den Sprung von der Planwirtschaft in einen neuartigen ökologischen Sozialismus unter Umgehung der Marktwirtschaft schaffen.
Das ist historisch in keinem Land gelungen, meine Damen und Herren.
Hier müssen wir ehrlich bleiben. Nach meiner Überzeugung kommt die DDR langfristig um harte Einschnitte und grundsätzliche Wirtschaftsreformen nicht herum. Dezentralisierung, Wettbewerb, marktgerechte Preise, die allmähliche, aber doch nachhaltige Rückführung von Subventionen, Leistungsanreize sowie die Stärkung von Eigeninitiativen, Eigenverantwortlichkeit und Privateigentum sind wesentliche Elemente.Den kurzfristigen Zugang zu marktwirtschaftlichem Wissen erhält die DDR am besten durch Direktinvestitionen. Die Verantwortlichen in der DDR sollten sich ansehen, was Länder wie Irland oder Spanien in jüngster Zeit erreicht haben. Ich finde, die DDR darf sich marktwirtschaftlich nicht isolieren, wenn in Polen, in Ungarn und in der Tschechoslowakei gleichzeitig die Marktwirtschaft in Gang kommt.Am Ende des Reformprozesses muß deshalb nicht unbedingt eine genaue Kopie unseres westdeutschen Modells der Sozialen Marktwirtschaft stehen. Es gibt eine große Bandbreite von Möglichkeiten der Ordnungspolitik. Aber Grundlage muß eben immer Marktwirtschaft sein. Die Alternative „Sozialismus oder Kapitalismus", wie sie in der DDR immer noch an die Wand gemalt wird, um die weniger informierten Menschen bei der sozialistischen Stange zu halten, ist ein Zerrbild der Zukunftswege, die der DDR in Wirklichkeit offenstehen.
Für welches Modell auch immer sich die Menschen in der DDR souverän entscheiden, es wird eine schmerzhafte und sehr schwierige Übergangsphase geben, die den Menschen noch manches Opfer abverlangen wird.Auch wir haben das bundesdeutsche Wirtschaftswunder nicht ohne Rückschläge verwirklicht. Alle diejenigen bei uns, die von der DDR praktisch über Nacht einen Systemwechsel zur Marktwirtschaft erwarten, möchte ich daran erinnern, daß die Bundesrepublik keinesfalls sofort nach der Währungsreform alle Preise freigegeben oder sämtliche Wirtschaftszweige in den Wettbewerb entlassen hat. Manche Bereiche kennen selbst heute noch den Wettbewerb nur vom Hörensagen.Anfang 1951 — daran zu erinnern ist wichtig — mußten vorübergehend die Einfuhrliberalisierungen rückgängig gemacht werden, weil damals Devisen fehlten. Die volle Konvertibilität der D-Mark haben wir erst Ende 1958 erreicht.Meine Damen und Herren, bei uns werden alle diejenigen irren, die glauben, der DDR sei mit gönnerhaften Finanzspritzen kurzfristig zu helfen. Es geht nicht um Umverteilung von West nach Ost. Alle Vorschläge, unseren Bürgern ein „Notopfer DDR" abzuverlangen oder zugunsten der DDR auf die Steuerreform 1990 zu verzichten, gehen von falschen Voraussetzungen aus.
Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beiuns durch mehr Flexibilität, durch mehr Anpassungs-
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Bundesminister Dr. Haussmannbereitschaft, durch mehr Mobilität ist das Gebot der Stunde.
Die angekündigte Reform der Unternehmensbesteuerung, der Verzicht auf pauschale Arbeitszeitverkürzungen und der verstärkte Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente für die Erhaltung der Umwelt sind deshalb durch die Reformprozesse in Mittel- und Osteuropa nicht weniger dringlich, sondern wichtiger als je zuvor. Zeigen wir, meine Damen und Herren, daher unsere Solidarität mit den Menschen in Mittel-und Osteuropa, indem wir unsere eigene marktwirtschaftliche Leistungsfähigkeit
nicht schmälern, sondern erhöhen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Conrad.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg einige Bemerkungen zu meinen Vorrednern.
Zunächst zu Ihnen, Herr Wirtschaftsminister. Die drei Stufen, die Sie als Ihr Konzept zu Wirtschaftshilfen genannt haben — und ich habe da genau zugehört — , enthalten im wesentlichen Elemente, wie sie auch von der SPD vor zehn Tagen bei der Debatte hier vorgeschlagen worden sind.
Wir stimmen Ihnen zu, und wie freuen uns, daß Sie hier im wesentlichen auf unsere Vorschläge eingeschwenkt sind.
— Das trifft natürlich auch auf die Vorschläge hinsichtlich Konvertierbarkeit der Währung zu. Auch hier haben wir schon lange vor der gestrigen Rede des Bundeskanzlers und der heutigen Diskussion entsprechende Vorschläge gemacht.
Aber es schadet ja nichts, wenn wir hier Gemeinsamkeit an diesem Punkt praktizieren. Ich wollte das nur gesagt haben.
Zweiter Punkt. Herr Kollege Lambsdorff, Sie haben gemeint sagen zu müssen, daß in den Debatten hier, auch der zum Einzelplan 09, nicht mehr über die Hauptfragen der Wirtschaftspolitik gesprochen werde. Da muß ich Sie fragen: Wieso haben Sie denn das Thema Arbeitslosigkeit hier vernachlässigt, wenn es hier um die Hauptfragen der Wirtschaftspolitik geht?
Das ist doch ein ganz zentrales Thema, das die Menschen unmittelbar berührt, wenn es um Wirtschaftspolitik geht.
Nun noch ein Wort von Kollegin zu Kollege. Herr Kollege Rossmanith, Sie haben am Anfang gemeint darauf aufmerksam machen zu müssen, daß die Kollegin Lilo Blunck zu Verbraucherfragen geredet habe und wir dazu keine Anträge gestellt hätten. Ich bitte Sie als Berichterstatter für den Einzelplan 09 nun wirklich herzlich: Holen Sie sich das Protokoll. Ich gebe Ihnen hier zu Ihrer persönlichen Verfügung unsere Anträge auf Drucksache 11/84 und Drucksache 11/83, zwei Anträge, die wir zur Verstärkung der Verbraucherpolitik im Haushaltsausschuß eingebracht haben.
Es ist ja nicht schlimm, wenn man etwas vergißt, aber hier im Plenum muß es dargestellt werden. Wir können sie gerne weitergeben.
Ich will auch noch zu ein paar Problemen in der Bundesrepublik sprechen. Der Wirtschaftsminister ist auch für die Energiepolitik zuständig; hier haben wir fast überhaupt nichts gehört.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Wenn es unbedingt sein muß, Herr Kollege Rossmanith.
Frau Kollegin Conrad, darf ich Sie darauf hinweisen, daß wir uns hier in der zweiten Lesung des Haushalts befinden und daß die SPD-Fraktion dazu mit Drucksache 11/5882 zum Einzelplan 09 einen Antrag gestellt hat, die Mittel für die Bundesstelle für Außenhandelsinformation — ich vereinfache jetzt — um rund 2,4 Millionen DM zu streichen,
und daß ein anderer Antrag von Ihnen die Öffentlichkeitsmittel in Höhe von 146 000 DM betrifft, und ein anderer Antrag darin nicht zu finden ist?
Herr Kollege Rossmanith, wenn wir hier zur zweiten Lesung alle Anträge gestellt hätten, die bei der Beratung der Einzelpläne und in den Berichterstattergesprächen eine Rolle gespielt haben,
wo wir versucht haben, unsere sozialdemokratischen Positionen einzubringen, dann hätten wir hier für die zweite Lesung Berge vorlegen müssen.
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13690 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Frau ConradDas wissen Sie doch selbst, Herr Kollege Rossmanith. Wir haben unsere Vorstellungen in die Diskussionen mit den Kollegen eingebracht gehabt, und wir haben unsere Vorstellungen zum Teil hier in Anträgen zusammengefaßt und gebündelt. Wir sind doch nicht dazu da, um das Parlament in einer Abstimmungsmaschinerie zu beschäftigen, sondern die wesentliche Arbeit sollte in den Ausschüssen gemacht werden.
Nun möchte ich gern noch zu einigen Fragen kommen. Das wird auch Sie, Herr Kollege Schmitz, freuen, denn es geht sicherlich auch um Energiepolitik. Wie Sie mich kennen, werde ich dieses Thema nicht auslassen. Wenn man den Wirtschaftsminister heute mal vor sich hat, muß man immer daran erinnern, daß er für Energiepolitik zuständig ist.
— Ich wäre froh, wenn Sie ein bißchen zuhören würden.Man muß daran erinnern, daß er für Energiepolitik zuständig ist; es hat die ganzen letzten Jahre fast den Eindruck gemacht, als würde die Energiepolitik der Bundesrepublik ganz woanders, nämlich in der Vorstandsetage des VEBA-Konzerns, gemacht.
So sah es doch in der letzten Zeit aus. Die Bundesregierung dackelte mit ihren energiepolitischen Entscheidungen hinter den Vorstellungen und Entwürfen der großen Energieversorgungsunternehmen, allen voran der Atomindustrie, hinterher. Einmal waren Sie für Wackersdorf, dann waren Sie gegen Wackersdorf, dann waren Sie für La Hague; vielleicht sind Sie demnächst gegen La Hague; wir wissen gar nicht, was die Energieindustrie vorhat.
— Über Lafontaine unterhalte ich mich mit Ihnen gern hinterher.
Wir würden seiner Person hier nicht gerecht, wenn wir das während der Debatte machen würden.
Wir vermissen vor allem ein Konzept der Energieversorgung unter ökologischen Gesichtspunkten. Es muß auf die großen Weltenergieprobleme eine Antwort geben, und die geben Sie nicht. Es muß auch eine Antwort auf die nuklearen Gefahren und auf die Klimagefahren geben.Alle reden vom Treibhauseffekt — Sie natürlich nicht — , und das Gebot der Stunde wäre Energieeinsparung.
— Dazu komme ich noch.Wo sind Ihre Energieeinsparprogramme im Einzelplan 09, wo sind die Mittel für eine rationelle Energienutzung, z. B. Kraft-Wärme-Koppelung und Ausbau der Fernwärmenetze? Zu unserer Regierungszeit war das ein bedeutendes Investitionsprogramm, das die Umwelt verbessert und Arbeitsplätze geschaffen hat.
Sie haben dies auslaufen lassen. Sie liegen mit Ihren energiepolitischen Signalen, was die Gefahren der Zukunft für unsere Kinder und Enkel betrifft, schlichtweg daneben.Wir hätten uns gefreut, wenn Sie uns z. B. ein Programm zur Markteinführung erneuerbarer Energien vorgestellt hätten, wie es z. B. die Länder Nordrhein-Westfalen, Saarland und Berlin schon als Eigenprogramme haben.
An diesem Beispiel sehen Sie, daß gerade die Revierländer Vorreiter für eine ökologische Orientierung in der Energiepolitik sind.
In unserem Energiekonzept hat die Zukunft für die Kernenergie keinen, aber die Kohle sehr wohl ihren Platz.
Wir wissen, daß sie nur dann eine Chance hat, Herr Kollege Rossmanith, wenn sie mit modernen Technologien umweltfreundlich eingesetzt wird, und dafür wollen wir die Mittel.
Wenn Sie überhaupt ein Konzept haben, dann ist es allerhöchstens dies, die Kohle Schritt für Schritt zurückzudrängen. Es gab einmal einen Konsens über die Kohlevorrangpolitik, und Sie haben daraus sukzessive eine Kernenergievorrangpolitik gemacht.
Sie haben nie wirklich gekämpft um die Kohlemengen, um die Arbeitsplätze, um die Finanzierungsregelungen des Jahrhundertvertrages. Es hätte sich gelohnt, denn dahinter stehen immerhin 170 000 Arbeitsplätze. Bei uns im Saarland sind es allein 17 To aller Industriearbeitsplätze.Wenn Sie die Interessen der Bergleute an Ruhr und Saar wirklich vertreten hätten, dann hätten Sie z. B. auch auf die Kohlesubvention in England oder Frankreich hingewiesen, dann hätten Sie auch die Subventionen für die Kernenergie dargelegt und z. B. auf die Schulden des staatlichen französischen Energiekon-
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Frau Conradzerns EDF von mehr als 350 Milliarden DM hingewiesen.
Seit Sommer dieses Jahres liegt ein Schreiben des EG-Kommissars für Wettbewerb auf Ihrem Schreibtisch. Sie hätten es in zwei Monaten beantworten sollen — Sie haben bis heute nicht geantwortet —, indem Sie die direkten und die indirekten Hilfen und Unterstützungen für die Atomenergie darstellen sollten. Das haben Sie nicht getan — wahrscheinlich weil es nicht in Ihr Konzept paßt. Sie verweisen aber mit Vorliebe auf die sogenannten Kohlelasten.Wenn es um Kernenergie geht, dann ist Energiepolitik eine nationale Aufgabe. Wenn es um Kohle geht, dann ist nach Ihrer Meinung Energiepolitik eine regionale Aufgabe. Herr Haussmann, das paßt nicht zusammen.
Was würde man in Bayern sagen — es tut mir leid, daß Herr Kollege Riedl gerade redet —, wenn man z. B. die Airbussubventionen plötzlich zu einer regionalen Aufgabe machen würde?
Sie haben mit gezielten Störmanövern aus einem mühsam aufgebauten Gebäude des Jahrhundertvertrages ein äußerst baufälliges Gebilde gemacht. Die Bergleute haben nämlich in Ihrer Bundesregierung keinen Anwalt. Sie werden Ihnen bei den nächsten Landtagswahlen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen eine Quittung geben.
Lassen Sie mich noch zu den regionalpolitischen Fragen kommen. Tatsache ist, daß sich trotz sieben Jahre bester konjunktureller Bedingungen die regionalen Unterschiede in der Wirtschaftsentwicklung nicht verringert haben.
— Leider doch.Die Gemeinschaftsarbeit wurde als ein Instrument geschaffen, das eine verstärkte Wirtschaftsförderung in den Regionen ermöglichen soll, die strukturelle Probleme haben oder die durch ihre geographische Lage benachteiligt waren.
Die finanzielle Ausstattung ist heute bei weitem nicht ausreichend. Sie haben es auch versäumt, die Gemeinschaftsaufgabe zu einem intelligenten Instrument der Regionalförderung mit ökologischer Orientierung weiterzuentwickeln.Es ist Ihre Aufgabe, Herr Haussmann, und es ist nicht irgendeine Aufgabe, sondern es ist ein Verfassungsauftrag, für gleiche Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zu sorgen.
Sieben Jahre Hochkonjunktur! Auf welche Bedingungen warten Sie denn noch, um den Menschen in den Montanregionen Nordrhein-Westfalens und im Saarland, auch denen an der Küste, im Zonenrandgebiet und in anderen Gebieten der Bundesrepublik endlich zu besseren Beschäftigungschancen und Lebensbedingungen zu verhelfen?
— Es kann ja sein, daß Ihnen das nicht paßt.
— Hören Sie doch ab und zu einmal zu!
Wir freuen uns über die Entwicklung in Osteuropa. Der Frieden in Europa ist sicherer geworden. Aber dickfellig, wie Sie sind, haben Sie noch kein Konzept für den Verteidigungshaushalt, haben keine Konsequenzen für 1990 gezogen. Sie werden aber nicht umhinkönnen, unter dem Abrüstungsdruck Truppenstärken abzubauen und Rüstungsaufträge zu kürzen. Dies wird Auswirkungen auf die Infrastruktur und die Beschäftigung, auch wieder in strukturschwachen Regionen, haben. Ich frage Sie: Was bieten Sie den Regionen an, wo ganze Garnisonen schließen, wo Arbeitsplätze in den bisherigen Rüstungsunternehmen wegfallen werden.
Die SPD fordert auf, sich rechtzeitig um Kompensationsmaßnahmen zu bemühen.Ich komme noch auf das Strukturhilfegesetz — das ist ja auch ein regionalpolitisches Instrument — zu sprechen. Es ist ein guter Ansatz gewesen, den Ländern, die unter hoher Arbeitslosigkeit leiden und deren Kommunen immense Steigerungen der Sozialhilfeausgaben, aufzeigen, durch Zuwendungen für strukturverbessernde Maßnahmen zu helfen. Aber die Strukturhilfe ist im Laufe der Gesetzwerdung zu einem äußerst unzulänglichen Förderinstrument verkommen, weil die Mittel — das können Sie ruhig zugeben — doch mehr nach parteipolitischen Erwägungen innerhalb der Koalition als nach dem Kriterium „Bedürftigkeit" auf die Länder verteilt worden sind.
— Es gibt ja auch Probleme. Gut, wir können ja einmal darüber reden. Ich will nicht alles schlechtmachen. Wir brauchen z. B. auch im Saarland diese Fördermittel.
Aber ich will Sie auf ein Problem aufmerksam machen — hören Sie doch einmal zu: 2,4 Milliarden DM werden insgesamt pro Jahr an Strukturhilfemitteln an
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Frau Conradalle Länder vergeben. Das sind doch wiederum Petitessen gegenüber ganz anderen Finanzströmen, z. B. den 60 bis 70 Milliarden DM, die ohne regionalpolitische Rücksichten in Form von Aufträgen von Bundesbahn, Bundespost, dem Bundesministerium der Verteidigung — auch anderen Ressorts —, aber auch als Forschungsmittel in die Regionen fließen.Der Bundesforschungsminister verteilt allein 6,7 Milliarden DM. Damit wird Strukturhilfepolitik gemacht. Zum Beispiel erhält Baden-Württemberg davon 23 %, obwohl ihm entsprechend seinem Bruttoinlandsprodukt oder dem Bevölkerungsanteil 16 % zustehen würden, wenn man es danach bemißt.
Wir erhalten nur 0,5 %. Würden wir entsprechend diesen Kriterien nur gleichbehandelt, müßten 100 Millionen DM mehr fließen.Es ist einfach unerträglich, daß es über diese Finanzströme außerhalb der regionalen Förderinstrumente eine Umverteilung von den schwächeren in die reicheren Regionen gibt. Das ist de facto so. Ich kann Ihnen das z. B. an unserer Region gut darstellen.
Ich weiß nicht, wie oft heute hier schon das Wort Qualifizierung gefallen ist, leider viel zuwenig angesichts der Probleme, angesichts der Notwendigkeit.
Sie haben mit Ihrer Politik gerade das Gegenteil von dem getan, was in Verbindung mit der Herausforderung des EG-Binnenmarktes notwendig wäre, was aber auch für Regionen wie das Saarland notwendig wäre, z. B eine Umstrukturierung dringend zu betreiben.Sie haben Qualifizierungsmaßnahmen zurückgenommen. Sie haben beim Arbeitsförderungsgesetz in der letzten Zeit 1,5 Milliarden DM gestrichen.
— Ich sage Ihnen, wie das bei uns im Saarland war: Wir haben im Schnitt einen Rückgang von 15 % der Fördermaßnahmen bei den Qualifizierungsmaßnahmen. Sie wissen doch selbst, wie notwendig diese Fragen sind.
Ich komme zum Schluß. In all diesen Politikbereichen war Ihre Politik gerade für bestimmte Regionen nicht besonders hilfreich.
— Ich komme aus einer Region, die das sehr dringend notwendig hätte.
Der Etat des Wirtschaftsministers wird weder den ökologischen Herausforderungen noch den Beschäftigungsproblemen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch nicht denen der Unternehmer und schon gar nicht regionalpolitischen Anforderungen gerecht.
Deswegen lehnen wir diesen Haushalt ab.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Die Fraktion DIE GRÜNEN ist damit einverstanden, daß wir über die Änderungsanträge auf den Drucksachen 11/5752 bis 11/5769 gemeinsam abstimmen. Wer diesen Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit sind die Änderungsanträge mit großer Mehrheit abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5770? — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Damit ist auch der Änderungsantrag auf Drucksache 11/5770 abgelehnt.Jetzt rufe ich einen weiteren Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5771 auf. Wer stimmt dafür? —
Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 1115882 unter Nr. VI.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 09. Wer stimmt für den Einzelplan 09? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist angenommen.Ich rufe auf: Einzelplan 30Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie— Drucksachen 11/5572, 11/5581 —
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13693
Präsidentin Dr. SüssmuthBerichterstatter:Abgeordnete Frau Rust AustermannZanderZywietzHierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/5808, 11/5809, 11/5882 Nummer XVII und 11/5893 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Ich sehe, damit sind Sie einverstanden.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Zander.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Forschungshaushalt für das kommende Jahr ist von den Berichterstattern und vom Haushaltsausschuß in den Beratungen der letzten Wochen stark umgeschaltet worden, stärker jedenfalls, als es in den letzten fünf Jahren, die ich als Berichterstatter übersehen kann, der Fall gewesen war. Als Beispiele für die Änderungen, die wir im Ausschuß vorgenommen haben, nenne ich die Titel, die aufgestockt werden konnten, und zwar einvernehmlich über alle Fraktionsgrenzen hinweg.Wir wollen im Deutschen Bundestag mehr Geld als die Regierung im Jahr 1990 bereitstellen für medizinische Forschung in Höhe von zusätzlichen 10 Millionen DM; für Klimaforschung — übrigens ein Gebiet, das angesichts der allseits befürchteten Klimakatastrophe überhaupt nicht überschätzt werden kann — ebenfalls plus 10 Millionen DM; für erneuerbare Energien bzw. neue Energiequellen zusätzliche 15 Millionen DM; für Meeresforschung wollen wir ebenfalls einvernehmlich 61/2 Millionen DM mehr bewilligen als die Regierung, wobei Forschung zum Schutz unserer Wattenmeere im Vordergrund stehen soll.
Bei der Kernenergieforschung haben wir ebenfalls einvernehmlich einige Akzente gesetzt, die den Prinzipien meiner Fraktion im Grundsatz entsprechen: 25 Millionen DM weniger für die Weiterentwicklung neuer Reaktorlinien wie den Hochtemperaturreaktor und den Schnellen Brüter, aber dafür 10 Millionen DM mehr für die nach wie vor ungeklärte Endlagerung nuklearer Abfälle.Diese Änderungen des Regierungsentwurfs in den Haushaltsberatungen dokumentieren für mich die Tatsache, daß ganz offensichtlich im Parlament ein größeres Verständnis für die anstehenden Probleme auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der Zukunftssicherung bestehen, als es bei der Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushalts der Fall gewesen ist.
Ich bedanke mich daher bei meinen Mitberichterstattern ausdrücklich dafür, daß es möglich war, über Fraktionsgrenzen hinweg diese Änderungen der Regierungsvorlage zu beschließen.
— Das gilt auch für den Kollegen Austermann. Das sage ich ausdrücklich. Das geht ja auch daraus hervor, daß ich hier die Mitberichterstatter aller Fraktionen angesprochen habe.Ein neuer Ansatz wird 1990 für die sogenannte DARA ausgewiesen.
Die Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten ist durch die organisatorischen, gesetzlichen und personellen Entscheidungen der letzten Monate völlig auf die schiefe Bahn geraten.
Die Übertragung von Aufgaben durch das Überleitungsgesetz ist jedenfalls nach dem Regierungsentwurf auf eine Kann-Vorschrift reduziert worden. Die mit vielen Vorschußlorbeeren ausgestattete DARA ist auf das Niveau eines Projektsträgers reduziert worden.
Eine neue bürokratische Organisation ist auf Grund der halbherzigen Aufgabendefinition entstanden. Organisatorisch mangelt es an eindeutiger Abgrenzung zwischen BMFT, DLR und DARA, und es gibt unklare Entscheidungskompetenzen. Personell schließlich sind es weniger kompetente Führungsfiguren, die in die Positionen berufen wurden, als vielmehr Seilschaften, die auch noch eine gewisse parteipolitische Einseitigkeit erkennen lassen.
Eine der wichtigsten Absichten jedenfals bei der DARA, nämlich kompetente Fachleute von Rang als Gegengewicht gegen die Wirtschaft in diese Institution zu bringen, ist bei der Besetzung der hochdotierten Stellen gründlich durchkreuzt worden.
Ich frage auch, ob erst der letzte Parlamentarische Staatssekretär seine Mitarbeiter dort unterbringen muß, bis die Besetzung der Führungsetagen als abgeschlossen gelten kann.
Ich frage auch: Was sollen eigentlich die Mitarbeiter der DLR dazu sagen, die seit Jahren mit großem Engagement und großer Sachkunde ihre Arbeit auf diesem Gebiet getan haben?
Geradezu zur Lächerlichkeit ist die Personalpolitik der DARA heruntergekommen, wenn der fachlich nicht gerade ausgewiesene Chef einen Persönlichen Referenten gesucht hat, bei dem — ich zitiere aus der Stellenausschreibung — „Erfahrungen auf dem Weltraumbereich begrüßt würden".
Der Text dieser Anzeige macht übrigens deutlich, daß auch Kenntnisse in gutem Deutsch erwünscht sein könnten.
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13694 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
ZanderDie DARR ist mit diesen Fehlentscheidungen des Bundesministers Riesenhuber leider ein teures, aber ineffizientes Instrument geworden. Betrachtet man die Millionen, die uns die DARA kosten wird, und die Milliarden, die die DARA verwalten wird, und sieht man ferner die parteipolitische Einseitigkeit der Stellenbesetzung in den Spitzenpositionen, dann werden wir, glaube ich, die DARA künftig wohl mit einer Bezeichnung belegen müssen, die wir aus der Weltraumforschung kennen: Sie ist ein schwarzes Loch.
Meine Damen und Herren, wir haben vor uns ein trauriges Kapitel vertaner Chancen, besonders weil die französische Dominanz in der ESA dringend eines Gegengewichts bedürfte. Die DARA kann das in ihrem jetzigen Zuschnitt mit Sicherheit nicht leisten.
— So ist es, Herr Kollege Walther.Meine Damen und Herren, wir haben übrigens den üppigen Ansatz der Europäischen Weltraumagentur ESA um 40 Millionen DM gekürzt. Ich kenne nicht im einzelnen die Motive, die meine Mitberichterstatter zu dieser Entscheidung bewogen haben.
— Ich bin sehr dankbar, wenn ich das höre, möchte aber jetzt schon sagen, Kollege Austermann: Für mich war der ausschlaggebende Grund dabei, daß die Klagen über die französische Dominanz in der ESA und in ihren Programmen in letzter Zeit eher zu- als abgenommen haben.
Zum Raumfahrtkapitel kritisiere ich hier erneut, daß der Titel weiterhin überdurchschnittlich steigt, während der Forschungshaushalt insgesamt nur durchschnittlich bzw. unterdurchschnittlich steigt.
Was sich hier abspielt, ist eindeutig: Hier wird ein Forschungsziel zu Lasten anderer Ziele ausgeweitet. Die „Wirtschaftswoche" meinte dazu:Es geht schnell weiter aufwärts: Auf 1,466 Milliarden Mark steigt der Raumfahrtetat schon 1990. In internationalen Verträgen hat sich Riesenhuber festgelegt, die milliardenschweren Programme für die Superrakete Ariane, den Raumtransporter Hermes und den Iglu im All Columbus mitzufinanzieren. Um die Verwüstungen im Haushalt nicht sofort sichtbar werden zu lassen, werden die Programme zeitlich gestreckt.So weit die „Wirtschaftswoche".Die Auswirkungen dieser verfehlten Politik sieht die „Wirtschaftswoche" so:Der Wirtschaft fällt es immer schwerer, den Aus-fall an ziviler Forschung zu kompensieren.So weit die „Wirtschaftswoche". Dabei sind neueren Informationen zufolge die Defizite offenbar noch größer, als wir bisher angenommen hatten. Die „Welt" meldete jedenfalls am 6. November, daß das Defizitbis zum Jahr 2000 mehr als 7 Milliarden DM betragen soll.Der Bundesminister hat in früheren Jahren hier im Deutschen Bundestag meine wiederholt vorgetragenen Bedenken leichtfertig und, wie ich finde, mit verharmlosenden Bemerkungen beiseite geschoben. Er hat Zusagen auf internationaler Ebene gemacht und wußte doch, daß die Finanzplanung keine Deckung vorsah. Bei einem Kaufmann wäre so etwas strafbar. Der Finanzminister hat das zugelassen und trägt für das Desaster volle Mitverantwortung.
Wir fordern bei den ESA-Projekten Kassensturz und Kurskorrektur.
— Das ist erfreulich. Es wäre ganz gut, wenn man es bei der Gelegenheit täte, bei der über Geld beschlossen wird, nämlich heute. Vielleicht stellen Sie dazu noch einen Antrag, Herr Kollege Lenzer. Wir sehen dem mit Interesse entgegen; es wird an uns nicht fehlen.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit den Weltraumaktivitäten muß ich einen Punkt ansprechen, der meines Wissens bisher in der einschlägigen Diskussion überhaupt keine Rolle gespielt hat, gleichwohl aber für die Zukunft der Ariane-Rakete von größter Bedeutung sein kann. Ich meine die Frage der Auswirkungen der Raketenstarts auf die Ozonschicht.In einer Note an die Vereinten Nationen hat die Sowjetunion eine Beschränkung des Einsatzes von Raumfahrzeugträgern mit Festtreibstoffen gefordert und behauptet, die US-Raumfähre zerstöre 1 Million t Ozon bei jedem Start, was etwa 300 000 t Ozon pro Tonne Nutzlast entspreche.
Den Sowjets zufolge läßt sich das mit 38 t zerstörtem Ozon pro Tonne Nutzlast beim Start einer mit Flüssigtreibstoff angetriebenen Proton-Rakete und nur 15 Tonnen bei einem Energija-Start vergleichen. Den Vereinten Nationen von der Sowjetunion vorgelegten Zahlen zufolge soll die Ariane V, über die wir hier bei Gelegenheit dieses Haushalts reden, pro Start 3 Millionen t Ozon vernichten. Für 1990 sind übrigens 7 bis 9 Starts geplant.Ich fordere den Bundesminister Riesenhuber auf, hier zu diesen den Vereinten Nationen von der Sowjetunion vorgelegten Zahlen Stellung zu nehmen und uns, wenn er das heute nicht aus dem Stand kann, doch mindestens zu erklären, was die Bundesregierung unternommen hat, um sich ein Bild über die Auswirkungen der Raketenstarts auf die Ozonschicht der Erde zu machen.
Es ist zu begrüßen, daß sich der Bundeskanzler Sorgen wegen der Auswirkungen der Verbrennung von Regenwald auf das Weltklima macht. Vielleicht sagt dem Bundeskanzler einmal jemand, daß die Welt-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13695
Zanderraumaktivitäten der Europäer mindestens ebenso schwerwiegende Folgen haben können.
— Davon gehe ich nicht aus, aber er läßt zuhören.Meine Damen und Herren, ohne Erfolg haben wir in den Haushaltsberatungen erneut beantragt, die Haushaltsansätze für Klein- und Mittelbetriebe zu erhöhen. Während florierende Großunternehmen mit Milliarden- Subventionen verwöhnt werden, werden die Programme Auftragsforschung, Förderung der F- und-E-Kapazität und Beteiligung am Innovationsrisiko zurückgefahren. Mein Antrag, wenigstens die Vorjahresansätze wiederherzustellen, wurde von der Mehrheit abgelehnt. Wir Sozialdemokraten werden auch künftig für diese Programme eintreten. Schließlich entstehen im Bereich der Mittel- und Kleinbetriebe zahlreiche neue Arbeitsplätze.
Wie beim Thema Wettbewerb, der bei Sonntagsreden ständig beschworen wird, während im Gegensatz dazu die Mammutfusion Daimler-Benz/MBB genehmigt wurde, so singt die Koalition das Hohelied des Mittelstandes und kürzt die entsprechenden Fördermittel.
Herr Minister Riesenhuber, das unter Ihrer Mitverantwortung vorgelegte Gesamtkonzept der Förderung für kleine und mittlere Unternehmen ist, wie wir schon kritisiert haben, lediglich eine Neuzusammenstellung der übriggebliebenen Trümmer des mittelstandspolitischen Kahlschlags, den Sie vorgenommen haben.
Wir befinden uns hier übrigens in nahtloser Übereinstimmung mit dem BDI, dessen Präsident Tyll Necker Ihr Konzept, Herr Minister Riesenhuber, am 6. September 1989 in Bonn eine Mogelpackung genannt hat.
Auf diesem Gebiet muß sehr viel mehr getan werden, aber der Weltraumetat läßt auch dieses Gebiet verkommen.Meine Damen und Herren, bei den Haushaltsberatungen sind wir übrigens auch darauf gestoßen, daß der frühere beamtete Staatssekretär des BMFT lukrative Beraterverträge mit Zuwendungsempfängern des Bundeshaushaltes abgeschlossen hatte und so bei mehreren Titeln des Haushalts kassierte.
— Meines Wissens ist er parteilos.
Jedenfalls ist dies völlig irrelevant für die Frage, die wir hier zu entscheiden haben,
nämlich die Frage, ob der frühere beamtete Staatssekretär, der eine Versorgung bekommt, auch noch kassieren soll.
Dabei hatte der Haushaltsausschuß bereits vor geraumer Zeit solche Mehrfach-Dotierung oder MehrfachAlimentierung per Beschluß ausgeschlossen. Der jetzige beamtete Staatssekretär Dr. Ziller hätte eigentlich wissen müssen, daß er die hier in Fragestehenden Nebentätigkeiten gar nicht hätte genehmigen dürfen. Ich bin mir auch nicht sicher, was ich mehr kritisieren soll: die Unverfrorenheit des früheren Staatssekretärs Haunschild oder die Instinktlosigkeit des jetzigen Staatssekretärs Ziller.
Meine Damen und Herren, die Kritik an der Politik des Bundesministers Riesenhuber gerade aus der wissenschaftlichen Welt wird inzwischen unüberhörbar. Ich fordere den Minister auf, heute einmal etwas zu der Kritik des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft an seiner Politik zu sagen. Professor Markl kritisiert die Bundesregierung mit den Worten: „Den Milliarden für die Mammutprojekte der Luft- und Raumfahrt steht ein akuter Geldmangel an den Universitäten gegenüber." — Ein hartes, aber zutreffendes Urteil.
— Schön, daß Sie wieder hier sind, Herr Kollege Jäger. Dann geht es hier ein bißchen lebhafter zu. Sie melden sich vielleicht anschließend auch einmal zu Wort. Sie sind ja ein bekannter Forschungspolitiker hier im Hause. Vielleicht sagen Sie hier einmal etwas dazu.
Ich möchte zu diesem Kapitel nur sagen: Der Forschungsetat muß aufgestockt und umgestaltet werden.Beim Energieforschungstitel, meine Damen und Herren, haben wir den bereits klassisch gewordenen Konflikt. Wir kritisieren die quasi Stagnation der nichtnuklearen Energieforschung und sind — wie in den Vorjahren — nicht bereit, Mittel für die Entwicklung neuer Reaktorlinien zu bewilligen. Daher legen wir Ihnen heute auch erneut einen Antrag vor, um ein Programm „Solare Wasserstoffenergiewirtschaft" zu initiieren, und bitten um Zustimmung.
Diese Bitte richtet sich mit besonderen Erwartungen meinerseits an die Mitglieder der FDP-Fraktion,
aus deren Reihen das Jahr über ähnliche und oft noch weitergehende Forderungen vorgetragen worden sind. Heute ist Gelegenheit, nicht nur davon zu reden, sondern auch dafür zu stimmen.
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13696 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
ZanderMeine Damen und Herren, die Bundesregierung hat jedes energiepolitische Konzept verloren.
Das gilt für die Kohlepolitik, das gilt für die Entsorgung der Kernkraftwerke, das gilt für die Wiederaufarbeitungsstrategie, und das gilt für die Energieforschung, und da sind wir bei Ihrer Verantwortung, Herr Minister Riesenhuber.
Ihr Energieforschungsprogramm ist seit vier Jahren überfällig. Das ist ein weiteres Programm, das Sie verspätet vorlegen; vielleicht legen Sie es auch gar nicht vor. Einstweilen ist nur Durchwursteln festzustellen.Die Aufwendungen für die nichtnukleare Energieforschung sind nach wie vor zu gering. Der Weltraumetat erlaubt auch hier keine vorwärtsweisende Strategie. Wir werden die Aufstockung der Mittel für die nichtnukleare Energieforschung auch in der zweiten Lesung zu Lasten der immer noch zu üppig dotierten Kernenergieforschung verlangen. Sie werden gleich Gelegenheit haben, darüber abzustimmen.Die Institutionalisierung einer Beratungskapazität für Technologiefolgenabschätzung und -bewertung beim Deutschen Bundestag ist ebenfalls vor wenigen Tagen hier gescheitert — eine Bruchlandung nach 16 Jahren. Nach einer seit 1973 andauernden Diskussion um die Einführung einer Kapazität beim Deutschen Bundestag werden die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung alle diesbezüglichen Ideen nun in einer Beerdigung dritter Klasse begraben. Nach dem Willen der Mehrheitsfraktionen wird es keine ständige Einrichtung für Technologiefolgenabschätzung und -bewertung beim Deutschen Bundestag geben, sondern lediglich die Möglichkeit, daß der Forschungsausschuß in erweitertem Umfang Studien und Gutachten zu diesem Thema an eine externe Stelle vergibt. Außer Spesen nichts gewesen! Die SPD-Bundestagsfraktion verurteilt dieses traurige Ergebnis, das man nur als parlamentarischen Opportunismus bezeichnen kann.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, obwohl es auf forschungspolitischem Gebiet viele Gemeinsamkeiten zwischen Sozialdemokraten und den Fraktionen der Regierungskoalition gibt, bleibt uns angesichts der von mir geschilderten Fehlentwicklung des Einzelplans 30 nichts anderes übrig, als diesen Einzelplan hier anschließend abzulehnen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit Dienstag morgen stellen wir fest, daß die SPD eine „Da sind wir auch dafür" - Debatte führt. Jedesmal, wenn ein Plan der Bundesregierung bekanntgegeben worden ist, kommt ein Redner der Opposition ans Pult und sagt: Da sind wir jetzt auch dafür; es war schon immer unser Vorschlag.
Dies setzen Sie heute mit der Debatte um die Forschungs- und Technologiepolitik fort.Der Kollege Zander hat dies ganz deutlich gemacht, als er gesagt hat: Wir haben mehrheitlich beschlossen, bestimmte Veränderungen im Forschungsetat vorzunehmen. — Das ist in der Tat richtig. Er hat unseren sämtlichen Anträgen zugestimmt. So sah das dann aus in den Bereichen Wattenmeerforschung, Gesundheitsforschung, Medizintechnik, Meeresforschung usw. Nun ist das ja nichts Ehrenrühriges; ich bin nur der Meinung, daß man deutlich sagen soll, wer die Grundlagen gesetzt hat.Er hat heute einen weiteren Beweis dafür geliefert, daß sich die SPD-Politik im Bereich Forschung und Technologie zu einer Ruinentechnologiepolitik weiterentwickelt,
Ruinentechnologiepolitik deshalb, weil allen Großprojekten, die sie selbst mit in die Welt gesetzt hat — einschließlich Transrapid, einschließlich Raumfahrt, jetzt neuerdings sogar Ariane V —, die Mittel entzogen werden sollen, also alle diese Projekte praktisch zu Ruinen gemacht werden sollen.
Dies machen wir nicht mit.Ich sage jetzt, welche Positionen wir im Haushalt für das kommende Jahr vertreten. Wir sagen: Dies ist ein Haushalt, der mit neuer Energie in die Zukunft weist, ein Etat des Aufbruchs, und wir haben dies in mehreren Positionen deutlich gemacht. Wir haben, um es klar zu sagen, 82 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt und um einen Betrag von 65 Millionen DM gekürzt.Ich möchte fünf Beispiele für die Korrekturen, aber auch für die klaren Linien nennen, die dieser Haushalt — gemeinsam mit dem Forschungsminister von uns vertreten — aufweist.Erstes Beispiel: Energieversorgung. Im nächsten Jahr wird es im Bereich der erneuerbaren Energien die größte bisherige Anstrengung geben. Das 100Megawatt-Programm Wind wird bei gleichen Konditionen verdoppelt. Ein 100-Megawatt-Programm Sonne wird aufgelegt. Wind und Sonne bekommen unter dieser Bundesregierung, unter diesem Forschungsminister als Energieträger einen neuen Schub.
Investitionen in der Größenordnung von 1,8 Milliarden DM werden damit angestoßen.
Im Ausgleich dazu fahren wir die Kernenergieforschung in der Tat auf eine Größenordnung von
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Austermann670 Millionen DM zurück. Ich sage dazu: 1982 — unter Ihrer Regierung damals, Herr Zander — waren es noch mehr als doppelt so viel. Das bedeutet nun nicht, daß wir für den Sofortausstieg oder überhaupt für den Ausstieg sind. Ich habe in meiner letzten Haushaltsrede deutlich gemacht, daß ich die Auffassung vertrete: Kernenergie hat angesichts der gegenwärtigen Weltklimaentwicklung sogar eine neue ethische Begründung.
Die Kollegin von der SPD hat ja vorhin — inzwischen ist sie nicht mehr da —
zum Thema CO2-Belastung und anderem Stellung genommen. Die Weltklimakonferenz in Toronto hat sich ein sehr ehrgeiziges Ziel vorgenommen: 20 % des CO2-Ausstoßes bis zum Jahre 2005 einzusparen. Wie kann man das machen? Wenn man sich das vornimmt und sagt, die Hälfte der Verringerung des CO2-Ausstoßes erbringen die Energieversorgungsunternehmer im Bereich der Bundesrepublik, dann schaffe ich, wenn ich sämtliche Kohlekraftwerke so ausrüste, wie neueste Technologien das ermöglichen, damit 2 Millionen Tonnen — von 770 Millionen Tonnen im Jahr in der Bundesrepublik.
Wenn ich darüber hinaus ein Superprogramm für erneuerbare Energien mache, 1 000 Megawatt Wind, 4 000 Megawatt Sonne, spare ich weitere 12 Millionen Tonnen von 770 Millionen Tonnen.
Wenn ich dann noch die Kernkraftwerke, die in Betrieb sind, auf die größtmögliche Auslastung von 85 % anlege, schaffe ich weitere 25 Millionen Tonnen von 770 Millionen Tonnen.Die Errichtung von sechs weiteren Kernkraftwerken schafft allein 75 Millionen Tonnen. Die fällige Entscheidung, wenn man Montreal ernst meint, ist allerdings keine, die der Forschungsminister zu treffen hat, sondern eine der Energieversorgungsunternehmen. Von diesen erwarten wir allerdings auch, daß sie einen deutlicheren Beitrag im Bereich der erneuerbaren Energieträger leisten. Vor einem Jahr habe ich hier gefordert, daß wir eine Stabstelle für Solarenergie vorschlagen.
Es ist hohe Zeit für eine Forschungsstiftung der Energieversorgungsunternehmen der deutschen Elektrizitätswirtschaft, um schneller zu neuen Energietechnologien im Bereich der erneuerbaren Energien zu kommen.
Zweites Beispiel: Umwelttechnologien. Im letzten Jahr haben wir gesagt, wir wollen — und die Kollegen unserer Koalitionsparteien im Forschungsausschuß haben dies deutlich gemacht — von der Problembeschreibung zur Problemlösung kommen.
Inzwischen ist da in dem Ministerium einiges passiert: Vier Pilotvorhaben für saubere Flüsse, modellhafte Sanierung von Altlasten, Projekte zur umweltfreundlichen Aufbereitung von Gülle, Verfahren zur Rauchgasreinigung sind in Arbeit. Die ökologische Forschung wird durch unseren kommenden Haushalt jetzt drastisch verstärkt. Mit Hilfe des Forschungsministers wird das Problem der Altlast im Bereich der kommunalen Sielanlagen in Angriff genommen. Ich glaube, daß in diesen Bereich auch das Thema der neuen Umweltstiftung, gespeist aus dem Salzgitter-Erlös, hineingehört;
700 Millionen DM, die wir — unter Verantwortung des Forschungsministers — für Umweltforschung ausgeben. Ich finde auch, Herr Kollege Lenzer: eine tolle Idee; dann sollte aber auch der Forschungsminister an der Führung dieser Stiftung mit beteiligt werden.Drittes Beispiel für erfolgreiche Arbeit dieser Regierung: Mikroelektronik. Wir wissen alle, daß Chips die Rohstoffe der Zukunft sind. Alle wissen inzwischen auch, daß die Regierung mit einem Grundlagenforschungsinstitut in Schleswig-Holstein und einem CAD/CAT-Zentrum in Hannover/Braunschweig das Entsprechende dafür geleistet hat. Allein für Niedersachsen stehen im nächsten Jahr Bundesverpflichtungen in Höhe von 150 Millionen DM bereit. Wir tun weiteres in Erlangen, in München, in Stuttgart, in Nordrhein-Westfalen. Niemand hat hier gebremst, sondern es geht zügig voran. Dies sollte auch Professor Queisser zur Kenntnis nehmen, der mehr dazu auffordert, in der Industrie zu untersützten. Wir sagen: Dazu braucht es zunächst bessere Strukturen durch Unternehmenszusammenschlüsse.Millionen von Arbeitsplätzen in der Produktion hängen von Chips ab. 2,6 Milliarden Chips bestimmen den Umsatz von 550 Milliarden DM: im Fahrzeugbau, im Maschinenbau, in der Elektrotechnik, in der Feinmechanik, in der Büro- und Datentechnik. Wir lassen uns hier den technologischen Vorsprung und diese Arbeitsplätze nicht durch den Wettbewerb mit Japan nehmen.Das vierte Beispiel: Raumfahrt. Wir haben zur Kenntnis genommen, das sich die SPD offensichtlich nicht nur von der bemannten Raumfahrt entfernen will, sondern jetzt sogar von einzelnen Projekten von Trägersystemen wie z. B. Ariane V.
— Es war doch nicht anders zu verstehen. Die Verunglimpfung, daß angeblich durch Starts der ArianeRakete eine Belastung hervorgerufen werde, ist nicht anders zu verstehen, als die Forderung nach einem Ausstieg aus diesem Bereich.
Herr Abgeordneter Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zander?
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Wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, gern.
Nein.
Herr Kollege Austermann, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß ich die Bundesregierung gefragt habe, ob sie die Konsequenzen der Raketenstarts der Ariane V auf die Ozonschicht kennt und ob die Zahlen, die die Sowjetunion bei den Vereinten Nationen dazu vorgelegt hat, wonach bei einem Start der Ariane V 3 Millionen t Ozon vernichtet werden, zutreffend sind oder nicht?
Wenn man die Frage beantworten will, müßte man ein fertiges Triebwerk der Ariane V haben. Das existiert aber zur Zeit nur auf dem Reißbrett. Vorwürfe der Sowjetunion sind überhaupt nicht angebracht, wenn man berücksichtigt, wie die Situation mit Raketenstarts tatsächlich ist. Dazu sollte man sich Klarheit verschaffen. Die USA starten pro Jahr etwa 17 Raketen, Europa etwa drei bis sieben Raketen, Japan zwei Raketen, China eine Rakete, und die Sowjetunion startet — das hängt auch damit zusammen, daß die Satelliten, aus welchen Gründen auch immer, nicht solange oben bleiben können — pro Jahr etwa 100 Raketen.
Das heißt, an jedem dritten Tag wird eine Rakete aus der Sowjetunion gestartet. Man sollte daher die Frage der Umweltbelastung durch die Raketenstarts nicht so beantworten, wie es hier geschehen ist. Ich kann es nicht anders als den Ausstieg verstehen, der hier angesprochen worden ist.
Der unbefriedigende Zustand im Bereich des Managements der Raumfahrtangelegenheiten ist allgemein anerkannt. Dies war ja der Grund der öffentlichen und privaten Neugründungen DASA und DARR. Beide sollte man gemeinsam nennen. Unser Ziel ist nicht, eine zweite ESA aufzubauen, sondern eine der französischen CNES vergleichbare Organisation.
Zur Zeit ist nicht absehbar, ob dieses ehrgeizige Ziel gelingt. Wir wünschen Professor Wild, der ja erst am Beginn seiner Arbeit steht, Erfolg bei seinen Bemühungen. Wir wollen sie im Haushaltsausschuß aktiv begleiten.
Zur Zeit stehen 1,4 Milliarden DM für Raumfahrtaufgaben bereit, 40 Millionen DM weniger, als von der Regierung geplant. Auch hier muß einiges an den Zahlen geradegerückt werden. Was bereitgestellt ist, liegt um 80 Millionen DM über dem Ansatz von 1989. Die gesamten Raumfahrtmittel betragen 18,7 % des Einzelplans. Sie wachsen bis in das Jahr 1993 in der mittelfristigen Finanzplanung auf 20,4 %. Wer davon redet, daß die Raumfahrt die Forschungspolitik erdrücken würde, sagt die Unwahrheit.
Es gibt keine Veranlassung, darüber zu klagen, daß wir zu viel Geld für die Raumfahrt ausgeben, aber auch keine Veranlassung, zu sagen, daß das Geld für die Raumfahrt fehlt. Ich sage deshalb noch einmal: Wir unterscheiden uns von dieser Ruinentechnologiepolitik, die alle frischen Großprojekte möglichst jetzt, kurz vor der Fertigstellung, einstellen will.Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, ein aktuelles Thema, daß sich wie ein roter Faden durch alle Debatten heute gezogen hat, die Frage der Unterstützung der DDR. Geholfen werden kann der DDR außer im Umweltschutz, vor allem im Bereich neuer Technologien. Welches Ministerium verfügt mehr über den Schlüssel zu Innovation und High-Tech als das BMFT? Zur Zeit existieren mit verschiedenen Institutionen in der DDR 28 Vorhaben in unterschiedlichen Bereichen: Kohleanalytik, Reaktorsicherheit, Systeme zur rechnerintegrierten Produktion usw. Das hört sich beachtlich an, umfaßt aber lediglich ein Volumen von etwa 3,5 Milliarden DM pro Jahr, keine einzige Investition. Seit der letzten Zusammenkunft der entsprechenden Kommission Mitte Oktober liegen weitere rd. 49 Projektvorschläge vor. Sie haben ein Kostenvolumen von ca. 10 Millionen DM und betreffen wieder verschiedene Themen: angefangen bei der Meereskunde, über die Werkstoffe, bis hin zu Laser-, Informations- und Produktionstechnik. Jetzt muß in den Fachtiteln geprüft werden, inwieweit nicht nur Kongresse durchgeführt werden, sondern konkrete Projekte entwickelt werden können. Schwierigkeiten — wie bisher — wegen der Teilnahme Berliner Vertreter an den Kommissionen sollte es künftig nicht mehr geben.Es bieten sich Projekte der Energie- und Umwelttechnik an. Drängende Themen sind z. B. ein Braunkohlevergasungskraftwerk oder die Abwasserreinigung, was meines Erachtens ein Projekt der Kombination von erneuerbaren Energien mit Abwassertechnik ist, wie es auf Fehmarn passiert ist. Auf dieser Ostseeinsel wurden Biogas, Sonnen- und Windenergie kombiniert.Ich glaube, daß hier auch eine gute Verbindung über die Fraunhofer-Gesellschaft geschaffen werden könnte, deren Auftraggeber aus der Wirtschaft die Zusammenarbeit über diese Institution erreichen könnten.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz vor Schluß einige weitere Anmerkungen zum Haushalt machen. Mir scheint, daß angesichts der 1982 eingeleiteten Weichenstellungen nun der Zeitpunkt gekommen ist, den Anteil für Grundlagenforschung zu Lasten der anwendungsbezogenen Forschung und neuer Technologien nicht weiter auszuweiten. Ich halte das, was dort jetzt vorgesehen ist, mit einem Anteil von 38 % für ausreichend.Ein zweiter Punkt: Gentechnikgesetz und Embryonenschutzgesetz ziehen klare, längst fällige Schranken für die Forschung der Molekularbiologie. Dies war dringend nötig, wie man gesehen hat, nach-
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Austermanndem sich jetzt die Gerichte der Angelegenheit bemächtigt haben.Ein weiterer Punkt: Die Verstärkung der Vorsorgeforschung, insbesondere für die medizinische Erforschung großer Volkskrankheiten, Rheuma, HerzKreislauf-Erkrankungen usw., weckt große Erwartungen. Wir haben zusätzliches Geld bereitgestellt.Schließlich: Die Biotechnologie erhält neuen Schub. Auch dies ist gerade für Flächenländer von besonderer Bedeutung.Das letzte Problem, das wir noch in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses angesprochen haben, ist bei uns in den Beratungen bereinigt worden. Ich meine das Thema Transrapid. Wie erfolgreich z. B. die Magnetbahn in den letzten Tagen gearbeitet hat, sollte all denen deutlich werden, denen an Berlin gelegen ist. Da sind pro Tag allein 60 000 Reisende in diesem Fahrzeug, das eine günstige Verbindung durch die Stadt herstellt, gefahren.
Auch dies wird inzwischen von der SPD abgelehnt. Wir haben 80 Millionen DM für Transrapid, für diese Technologie, bereitgestellt und hoffen, damit zur Einsatzreife im Frühjahr 1990 zu kommen.Ein weiterer Punkt, der auch von dem Kollegen Zander, ebenfalls nicht ganz zutreffend, angesprochen worden ist, war die Frage der Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen. Minister Riesenhuber hat mehrfach deutlich gemacht, wie wir hier in letzter Zeit umgeschichtet und verstärkt haben. Ich erwarte, daß in eine Reform der Unternehmensbesteuerung auch eine steuerliche F-und-E-Förderung eingebaut wird, bei der Zielgruppe das produzierende Gewerbe im Bereich KMU ist.Schließlich, meine Damen und Herren — das liegt mir selbstverständlich besonders am Herzen — : Wir haben mit dem Forschungshaushalt, mit unseren Anträgen auch dazu beigetragen, das Forschungsgefälle zum Norden weiter abzubauen. Mit JESSI, mehr Mitteln für Meeresforschung, Wattenmeerforschung, Windenergieförderung, Luftfahrtforschung, Transrapid, innovativen Seehafentechnologien, Klimaforschung, Flußsanierung, GEOMAR, Polarforschung und Biotechnologie setzen wir klare neue und stärkere Akzente.Der Forschungsetat ist mit 7,8 Milliarden DM — davon trotz Raumfahrt 550 Millionen DM für neue Aufgaben und Projekte — Chance und Verpflichtung. Er ermöglicht uns, Zukunftsaufgaben mit neuer Energie anzupacken.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Daniels.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beratungen über den Forschungshaushalt haben zumindest dreierlei gezeigt:Erstens. Das Forschungsministerium ist der verlängerte Arm der deutschen Großindustrie. Sie sind Großtechnologiefetischisten geblieben.Zweitens. Die Probleme unserer technikbeherrschten Umwelt sind auch auf das fast vollständige Fehlen von geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung in diesem Etat zurückzuführen.Drittens. Forschung im Umweltbereich wird von dieser Regierung als Alibi benutzt, um notwendige und jetzt realisierbare Maßnahmen auf die lange Bank zu schieben.
Ich kann jetzt einmal versuchen, dies auch im Detail zu belegen.Zum ersten Punkt: Nehmen wir den Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeinsparung, ein Feld mit vielfältigsten, unterschiedlichsten Anforderungen, von Gelenkrotoren bis zu Siliciumzellen, von Baustoffen für Wärmedämmung bis zur Entwicklung von Peltierelementen. Selbst hier erhielten nur sechs Firmen ein Drittel aller Forschungsgelder.
Das hat sich in den letzten sechs Jahren nicht geändert. Im Bereich der vom Forschungsminister so geliebten bemannten Weltraumforschung werden es dann noch weniger.Bei Ihnen gilt: groß, größer, gefördert, Herr Riesenhuber. JESSI, Columbus, Hermes, Eureka, die Stelzenbahn Transrapid, NET — Hauptsache, die Namen klingen gut; Hauptsache, es kostet viel. Angepaßtheit, Risikoarmut, Fehlerfreiheit, Umwelt- und Sozialverträglichkeit, Zukunftsoffenheit und Überschaubarkeit sind notwendige Kriterien, die von Ihnen nicht beachtet werden. Ein solches Forschungsministerium ist unnötig. Es sollte aufgelöst, und die Reste sollten mit dem Wirtschaftsministerium kalt fusioniert werden.
Wenn Sie diesem Vorschlag aus verständlichem Ressort-Egoismus nicht folgen, müssen wenigstens kleine und mittelständische Betriebe, aber auch Umweltinstitute und Privatpersonen endlich eine realistische Chance auf Förderung bekommen. Im Bereich der Photovoltaik haben Privatpersonen über ein Jahr warten müssen, bevor Förderentscheidungen fielen.Zum zweiten Punkt. Die gesamten Geistes- und Sozialwissenschaften sind Ihnen nicht einmal ein Prozent Ihres Etats wert. Das ehemalige Land der Dichter und Denker baut lieber Technikruinen. Wir GRÜNEN halten, was die Zukunft angeht, Goethe für wichtiger als den Schnellen Brüter in Kalkar oder HTR-Ruinen. Zukunft heißt nicht neue, harte, unverständliche, gigantische Technologie, sondern Zukunft heißt eine andere Kultur, ein anderes Verständnis sozialer Zusammenhänge und andere wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Sie bauen lieber neue Ruinen. NET, allerdings nur miteinem T, heißt das geplante Faß ohne Boden. DerÜbertitel heißt Kernfusion, 200 Millionen DM jährlich.
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13700 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Dr. Daniels
In Zukunft sollen es 400 Millionen DM werden, sagt die Bundesregierung heute.
Die Kernfusion ist ein typisches Produkt dieser Regierung wie die Kernspaltung. Sie ist eine reine Großtechnologie für Großkonzerne. Die Anlagen werden energiewirtschaftlich nicht benötigt, sind sozialfeindlich, technologisch nicht haltbar und unwirtschaftlich. Das alles hat die Bundesregierung im übrigen auf eine Große Anfrage im Detail bestätigt; aber sie ändert nichts an der Geldverschwendung. Seit gestern wollen Ihnen die Energieversorgungsunternehmen 140 Millionen DM für die weitere Entwicklung des Hochtemperaturreaktors entlocken. Eines kann ich Ihnen jetzt schon prophezeihen: Vor jedem neuen Bauplatz werden wieder Hunderttausende — diesmal vielleicht auch aus Leipzig — Ihren Rücktritt fordern.
Zum dritten Punkt. Maßnahmen sind bekannt. Waldschadensforschung, Klimaforschung, Verkehrsforschung sind nötig. Aber warum setzt diese Bundesregierung ihre Erkenntnisse nicht um?
Eine notwendige und von den Bürgern gewünschte Umsetzung ist die auf GRÜNEN-Vorschlägen basierende Energiewende: weg von zentraler oder zentralistischer Energieverschwendungssucht mit Großkraftwerken hin zur kleinen, dezentralen Energieerzeugung, zur Energieeinsparung und zur Nutzung erneuerbarer Energien.In der Enquete-Kommission „Klimaschutz" sind auch die Kollegen von der Koalitionsfraktion so weit. Die frustrierten Mitarbeiterstäbe in den Ministerien dringen schon seit langen Jahren auf Umsetzung; nur die Regierung blockiert.Einen Hoffnungsschimmer hat uns die Ausschußarbeit geliefert. Einige Parlamentarier scheinen ja etwas näher am Volk zu sein als diese Regierung, ist es uns doch gelungen, endlich mit Markteinführungshilfen für erneuerbare Energien den Anfang zu machen. Das 200-Megawatt-Windenergieprogramm ist allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Vorschlag des rheinland-pfälzischen CDU-Wirtschaftsministers, vier Pfennige pro Kilowattstunde Zuschuß generell für erneuerbare Energien zu zahlen, geht schon in die richtige Richtung. Er reicht zwar vorne und hinten nicht aus; aber er signalisiert ein Umdenken auch in Ihren Reihen.Zur Markteinführung der erneuerbaren Energien — um in Ihren Denkschablonen zu bleiben — müßte heute ein 300-Megawatt-Solarkollektorprogramm in Gang gesetzt werden. Im Solarstrombereich ist heute und nicht erst in vier Jahren — vor den nächsten Wahlen — zumindest ein 50-Megawatt-Programm aufzulegen. Wenn wir uns außerdem über ein Gigawatt-Energieeinsparprogramm verständigen könnten, wären wir schon ein gutes Stück weiter.
Unserem Alternativhaushalt liegt ein Energiewendehaushalt mit über hundert Etatpositionen zugrunde. Notwendig sind Markteinführungshilfen für erneuerbare Energien von 500 Millionen DM. Die Kraft-Wärme-Kopplung und der Nah- und Fernwärmeausbau müßten im nächsten Jahr mit 1,5 Milliarden DM unterstützt werden. Eine Energiesparagentur muß mit einer Ausstattung von 500 Millionen DM gegründet werden.
200 Millionen DM sollten für die Information und Beratung zur Energieeinsparung ausgegeben werden. In die Klimaforschung müßten 500 Millionen DM fließen, ebensoviel in den Bereich der rationellen Energieverwendung. Diese Ausgaben werden durch eine Primärenergie- und Atomstromsteuer mit einem Mittelaufkommen von 25 Milliarden DM gedeckt.Herr Riesenhuber, mit Ihrem Haushalt werden die Umweltzerstörung festgeschrieben und die berechtigten Ängste gegen Großtechnologien geschürt. Mit dieser Politik werden Sie aber in Zukunft verstärkt die mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung durch entschiedenen Widerstand zu spüren bekommen.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Zywietz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Für diesen bedeutsamen 7,8-Milliarden-Etat habe ich, wenn ich recht im Bilde bin, eigentlich nur sieben Minuten,
also pro Minute eine Milliarde. Aber wenn die Vorberatung gut war, kann man auch mit einer kurzen Schlußberatung auskommen.In der Tat haben wir diesen Etat von der parlamentarischen Seite eigentlich über das ganze Jahr intensiv begleitet. Wenn ich recht hingehört habe — bis auf den letzten Beitrag —, waren wir uns zwischen SPD, CDU und FDP in den wesentlichen Sachgesichtspunkten in vielen Fällen sehr einig, und es sind — die Darstellung der Vorredner hat dies deutlich gemacht — einvernehmlich Beschlüsse gefaßt worden.Die Akzente und einige der Dinge, die hier kritisiert worden sind, sind nach meinem Dafürhalten allerdings ein bißchen schief dargestellt; denn die Kürzungen im Bereich der Raumfahrt sind von den Koalitionsfraktionen, von CDU und FDP, beantragt worden, ebenso die Kürzung im nuklearen Bereich und die Umschichtung zu alternativen nichtnuklearen Energien.
Die noch bessere Dotation alternativer Energien geht also auf Anträge von uns zurück. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, als hätten wir es hier an einer nötigen Akzentsetzung fehlen lassen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13701
ZywietzÜberhaupt macht dieser Haushalt, der ja für alle Ressorts und damit auch für den Forschungsbereich der letzte in dieser Legislaturperiode ist, deutlich, daß hier die Handschrift der Koalition, auch der FDP, sehr deutlich geworden ist. Das Wachstum des Forschungsbereiches ist ordentlich. Wir haben Akzentverschiebungen vorgenommen, die richtig sind und die, wie man so schön sagt, in die Landschaft passen. Der nukleare Bereich ist gekürzt worden, der nichtnukleare Bereich hat zugenommen. Die Vorsorgebereiche haben zugenommen, die Klimaforschung, die Biotechnologie und die Datentechnik sind entsprechend gefördert worden. Das heißt, viele Bereiche, die für Wohlstand und Arbeitsplätze der Zukunft von Bedeutung sind, sind vernünftig ausgestattet worden.Aber dazu, ein Bild der Idylle zu malen, wie es der Kollege von den GRÜNEN getan hat, gibt es gar keine Veranlassung; denn das hätte für das Wirtschaftsniveau und das gesellschaftliche Niveau schlimme Folgen an anderer Stelle.
Ich möchte an ein Wort des so gern zitierten Herrn Gorbatschow erinnern. Er hat — ich glaube, in anderem Zusammenhang, aber ich möchte das gern übertragen — gesagt: Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte. Wer in einigen Forschungsbereichen vor lauter Zaghaftigkeit und Scheu vor Risiken sowie voller Wankelmut nichts anfaßt, muß sich nicht wundern, wenn er in Zukunft in der Forschung nicht mehr Spitze ist und nicht mehr die Leistungen und Produkte am Markt anbieten kann, die Arbeitsplätze schaffen und sichern. Das ist eine Binsenwahrheit.
Nun gehöre ich auch nicht zu denen, die sagen: Deswegen muß man alles und jedes tun, und auf die Effizienz und die Kontrolle kommt es nicht an. Aber eines ist unzweideutig: Man muß eine mutige Strategie fahren und muß Zukunftsfelder besetzen. Das ist die Aufgabe dieses Ministeriums. Das hat es auch getan.
Bei aller Kritik an der Raumfahrt — auch ich habe die eine oder andere skeptische Frage an anderer Stelle und hier von diesem Podium aus geäußert — : Raumfahrt ist ein Zukunftsbereich; aus dem kann man sich nicht ausklinken.
Energiepolitik ist ein wichtiger Bereich.
Auf das JESSI-Projekt und auf die Megachips ist hingewiesen worden. Hier geht es doch nicht nur um ein 64-Megachip-Projekt. Man muß sich doch einmal verdeutlichen, was dahintersteht. Hier geht es um die Steuerung, um die Modernisierung von Autos, von Werkzeugmaschinen, von Anlagen aller Art. Wenn Sie diese Datentechnik, diese Steuerungselemente nicht haben, dann sind Sie nur zweite Klasse, zweite Wahl. Mit Hilfe dieser Technologie können wir in Bereichen, in denen die Bundesrepublik Deutschland führend ist, auch weiterhin die Spitzenstellung unddamit Arbeitsplätze sichern. Das ist der tiefere Sinn, diese Bereiche zu fördern, und das sollte hier nicht allzuleicht beiseite gewischt werden.Ich stelle also für die FDP fest, daß die Schwerpunkte, die Struktur in diesem Haushalt und insgesamt in den Haushalten über diese Legislaturperiode in diesem Bereich richtig gesetzt worden sind.Von der Opposition höre ich: CO2 — jawohl, Umweltbelastung, Klimabelastung; richtig, das ist ein Problem. Aber welches sind denn die Antworten darauf?
Ich höre hier von der Kollegin aus dem Saarland eine Philippika für die Kohleförderung, die genau diese Umweltbelastung zur Folge hat.
Dann müssen Sie einmal unter sich ausmachen, was eigentlich gewollt wird. Keine Kernenergie, sie ist gestrichen,
reichlich Kohleförderung propagieren und auf der anderen Seite die Klimabelastung und anderes beklagen, das ist doch nun wirklich Unlogik in hoher Potenz.
Mir ist noch nicht aufgegangen, was das soll.Wir fahren da einen sehr umsichtigen Kurs. Wir fördern Alternativenergien. Wir tun für die Sicherheit der Kernenergie das, was vonnöten ist, und tun auch für die Entsorgung das, was vonnöten ist. Das ist nicht von heute auf morgen einzustellen, indem man alle Titel, die irgendwo in der Überschrift den Begriff „nuklear" führen, einfach streicht. Das ist ausgesprochen verantwortungslos,
und dem können wir uns nicht anschließen.
Herr Abgeordneter Zywietz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daniels?
Gerne.
Herr Kollege, ich frage Sie, ob Sie eigentlich immer falsch verstehen wollen, was wir auf diesem Gebiet vorschlagen. Wir schlagen vor, uns zuerst auf die Energieeinsparung zu konzentrieren, weil die den eigentlichen Effekt ausmacht, was die CO2-Emission angeht. Wir schlagen als zweites vor, die Effizienz der Umwandlungstechnologien zu erhöhen, d. h. den Kohleeinsatz zu reduzieren; damit ist auch eine erhebliche Entlastung im CO2-Bereich verbunden. Das dritte sind unumstritten die erneuerbaren Energien, die eben schadstofffrei sind, also auch kein CO2 in die Luft verpaffen. Insoweit möchte ich von Ihnen wissen, wie Sie zu diesem Konzept stehen.
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13702 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Herr Kollege, ich will Sie nicht falsch verstehen. Ich will auch gerne darauf antworten, so gut das in der verbleibenden Zeit — es sind fast nur noch Sekunden — möglich ist. Wir betreiben seit anderthalb Jahrzehnten Energiesparpolitik. Nur werden Sie mit Energiesparen nicht den verbleibenden Bedarf an Energie zur Verfügung stellen können; das ist nämlich der Punkt. Sie können den Bedarf reduzieren; diese Politik betreiben wir auch aktiv.
Das ist gut und in Ordnung. So weit haben wir keinen Dissens.
Aber welchen Bedarf Sie auch immer haben — der ist nicht unbeträchtlich —, Sie müssen etwas anbieten. Da können Sie Wasserkraft, Sonne, Wind, Kohle in verschiedener Form, Gas und Erdöl anbieten.
Aber mit dem Angebot von Alternativen, die, je nachdem, wie Sie rechnen, bei, wenn ich großzügig bin, 3, 4, 5, 6 % liegen, werden Sie 100 % des Bedarfs nicht decken können,
so sehr Sie auch hin- und hersparen.
Deswegen geht Ihre Darstellung nicht auf.
Sie müssen andere Energieträger zu Hilfe nehmen. Wenn Ihnen das Öl zum Verbrennen zu schade ist, was für das Gas auch richtig ist, und wenn Sie Kernenergie aus welchen Gründen auch immer nicht mögen, dann bleibt nur die Kohle, und die ruft die Klimabelastung hervor; darin sind wir uns einig. Aber das Ganze geht doch nicht auf. Das ist das, was ich bei Ihnen bemängele. Sparen allein reicht nicht. Es ist schön, „schwäbisch sparsam" zu sein, aber das ist nicht Energiepolitik.
Ich muß leider zum Schluß kommen und kann das, woran mir gelegen ist, eigentlich nicht in Gänze ausführen. Zur Raumfahrt möchte ich nur folgendes sagen. Diese Aktivität ist vonnöten.
— Die bemannte Raumfahrt ist eine Sache, die man noch sorgfältiger, als das bisher vielleicht geschehen ist, in einem offenen Dialog, meinetwegen in Form eines Hearings, einmal abklopfen müßte, denn hier sind die Dinge sehr in Bewegung. Da kann keiner von sich behaupten, hier wüßte er alles, und dieser Wurf sei letztlich das Richtige. Hier ist noch aufzuarbeiten. Auch eine Finanzplanung ist zu justieren. Herr Lenzer hat das vorhin in einem Zwischenruf zum Bereich der Energiepolitik auch angedeutet, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Dieser Meinung sind wir auch.
Raumfahrtforschung und -entwicklung: ja, aber Ausmaß und Schwerpunkte bedürfen einer fortwährenden kritischen Überprüfung.
Ich muß es im Moment dabei bewenden lassen.
Wir haben aber auch Erwartungen an die Wissenschaftler. Wenn man einmal durchblättert, wer eigentlich diese 7,9 Milliarden DM bekommt, dann stößt man auf ein imposantes „Who is Who" der Forschungseinrichtungen: die Großforschungseinrichtungen und auch die Zuwendungsempfänger, wie wir sie zu nennen pflegen. Es sind viele dabei — ich glaube, über zehn — , die je mehr als 100 Millionen DM bekommen. An diese möchte ich appellieren, auch an den Steuerzahler zu denken, der sie finanziert.
Es kann nicht einfach so sein, die Politiker hätten sich darum nicht zu bekümmern, sie hätten nur Geld abzuliefern, und der Rest sei Definitionssache,
Sache der Forscher und der Wissenschaftler. Diese Einseitigkeit können wir von der FDP bei allem Respekt nicht akzeptieren. Wir sind Treuhänder des Geldes der Steuerzahler.
Wir haben an diesem Diskussionsprozeß teilzunehmen und auch eine Kontrolle einzufordern,
über die ich hier nicht weiter reden möchte. Ich sage das aber sehr bewußt, weil gerade die letzten Meldungen wieder nach dem Motto waren: Die Politiker sollen Geld zur Verfügung stellen und sich ansonsten nicht darum kümmern, was wir machen. — Ich sage das etwas verkürzt. Das geht nicht an!
Ich sage mit allem Nachdruck: Effizienz und Kontrolle gehören zu den Strukturentscheidungen, die wir hier getroffen haben.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Bundesminister Riesenhuber.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13703
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Was Zywietz dargestellt hat, lieber Herr Kollege Vosen, ist natürlich völlig in Ordnung. Er hat in einer sehr klaren Weise eine Reihe von Punkten aufgearbeitet. Sein letzter Punkt war, daß Wissenschaft selbstverständlich mitzugestalten hat, daß sie aus ihrer Kompetenz heraus öffentlich in die Gespräche einzugreifen hat, daß sie in einem Gespräch über die Grenzen der Disziplinen hinweg das, was hier getan wird, anschaulich und verstehbar machen muß, so daß eine Beurteilung möglich ist.Ich habe mich hier vor allem dafür zu bedanken, wie diese Haushaltsberatungen in diesem Jahr gelaufen sind.
Ich stimme dem zu, was von verschiedenen Kollegen gesagt worden ist: Dieser Einzelplan ist in einem engen Gespräch zwischen Parlament und Regierung gestaltet worden, und zwar nicht erst in den letzten Monaten, sondern über das ganze Jahr hinweg. Wenn ich mir die Tendenz bei Kürzungen und Aufstockungen anschaue, sehe ich mit Freude, daß das Parlament und der Haushaltsausschuß
im wesentlichen dort gekürzt haben, wo auch ich in diesen Jahren schon zurückgeführt habe, und dort erhöht haben, wo auch wir erhöht haben. Insofern ist das richtig, was Austermann gesagt hatte: daß wir in der grundsätzlichen Tendenz eine beachtliche Übereinstimmung haben.Zweiter Punkt. Wir haben auch in diesem Haushalt eine Reihe von neuen Themen aufgegriffen oder neue Akzente gesetzt. Das ist zu Recht gesagt worden. Wir haben auf der anderen Seite aber die Grundlinie, die wir 1982 angelegt haben, weiter verfolgt. Diese Grundlinie heißt: Dort, wo der Staat eine unmittelbare Verantwortung hat, Verantwortung für reine Wissenschaft, für Vorsorgeforschung, für Umwelt, für Gesundheit, haben wir jedes Jahr den Haushalt weit überproportional gesteigert. Dort, wo andere die Verantwortung haben, beispielsweise für marktorientierte Forschung, haben wir in diesen Jahren die Ansätze wesentlich gesenkt. Nun bin ich in einem Dilemma. Folge ich dem Kollegen Daniels, ist es ein Haushalt, bei dem sich die Großindustrie bedient. Folge ich dem Kollegen Zander, dann ist es ein Haushalt, dessen Kürzungen die Wirtschaft nicht kompensieren kann. Beides kann schlecht stimmen. Folglich muß ich an einer vernünftigen Stelle stehen.
— Nun sagen Sie, Frau Kollegin Rust: Mittelstand. Jetzt wollen wir das untersuchen. Ich habe, was die Großindustrie betrifft, die Kollege Daniels angesprochen hat, für die marktorientierte Technik die Ansätze in diesen Jahren gegenüber 1982 auf beiläufig die Hälfte gekürzt, und das bei einem steigenden Haushalt.
Das heißt, ich habe hier die Akzente so verschoben, wie wir es angekündigt haben.
Was den Mittelstand betrifft, haben wir die Sache so angelegt, wie es die Zahlen ausweisen. Wir waren hier — bei einer weitherzigen Interpretation — bei 340 Millionen DM im Jahre 1982.
Seitdem ist mein Haushalt um irgend etwas bei 20, 25 % gesteigert worden. Die Aufwendungen für den Mittelstand sind in der Zeit um ungefähr 70 % gestiegen.
— Die Zahlen sind ja alle da. Wir liegen heute bei 560 Millionen DM im Jahr.Was ich hierbei allerdings gemacht habe, lieber Herr Zander, ist eines: Programme werden nicht so gefahren, daß sie zu einer Dauersubvention für Leute führen, die wissen, wie man sich hier Geld als Subvention abholt. Das ist nicht der Fall. Genau das ist der Punkt.
Wir fahren die Haushalte vielmehr so, daß wir Themen aufgreifen, neue Strukturen anreißen und schauen, ob es geht.
Wir haben das Zuwachsmodell gemacht. Warum? Um dem Mittelstand ein Signal zu geben, als die starken Jahrgänge junger Leute da waren, das Signal, daß er sie jetzt einstellen könne. Tausende von Stellen für junge Wissenschaftler sind geschaffen worden. Auch wenn das Programm jetzt endet, der Mittelstand hat die Chance erfaßt und baut sie weiter aus.Es war die Frage, ob der Mittelstand auf die Datenbanken zugreifen würde, ob die Datenbanken ausreichen würden. Insofern haben wir das vorgezogen. Es war die Frage, ob der Mittelstand schnell genug die Mikroelektronik, die Fertigungstechnik, die Aktoren, die Sensoren, erfassen würde. Deshalb haben wir die Programme gemacht.Der Witz ist doch nicht, daß wir Leute subventionieren, damit sie sich ausruhen können; der Witz ist, daß wir neue Themen anschaulich machen, es reizvoll machen, auch Risiko auf sich zu nehmen, ins Neue reinzuspringen und mit Schwung und Dynamik Herausforderungen aufzugreifen. Und genauso haben wir es angelegt.Da kann man nun sagen: Was der Riesenhuber macht, ist gut und freundlich gemeint, aber es bewirkt nichts. — Schauen wir uns die Daten an: Battelle prognostiziert für das nächste Jahr, daß die Aufwendungen Japans für Forschung bei 2,91 To des Bruttosozialproduktes liegen. In Deutschland liegen sie bei 2,90 %, sind also ein Hundertstel Prozent geringer. In
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13704 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Bundesminister Dr. Riesenhuberdiesen Jahren, für die behauptet wird, Herr Zander, die Wirtschaft könne nicht kompensieren, hat, was wir wollten, die Wirtschaft den Anteil am gesamten nationalen Forschungsbudget ständig und überproportional gesteigert. Er lag 1982 bei 56 %. Er liegt heute bei 65 % . Auch dies ist richtig.Um dies nur beiläufig zu sagen: Es ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß ein Wissenschaftler, dessen Urteil ich hoch schätze, darauf hingewiesen hat, daß bei den Universitäten Geld fehle. Dies ist in der Tat ein schwieriges und bitteres Problem. Wie wir seine Lösung bis an die Grenzen der Zuständigkeit des Bundes in einem Bund-Länder-Programm, dem 2Milliarden-DM-Programm, angelegt haben, ist bekannt. Ich darf das hier einmal hinsichtlich des Haushalts des Forschungsministers sagen: Im Haushalt des Forschungsministers ist der Ansatz für Zuwendungen an die Universitäten stärker gestiegen als beispielsweise der vielzitierte Weltraumhaushalt. Wir sind jetzt bei den Universitäten in einem Bereich von erheblich über 600 Millionen DM. Wir haben den Ansatz gegenüber dem Stand von 1982 in den Bereichen mehr als verdoppelt,
in denen ich gestalten darf.
Und ich halte dies auch für richtig.Daß die andere Seite die ist, daß wir eine Grundfinanzierung der Universität haben, die in der Verantwortung der Länder liegt, wo der Bund nur begrenzt gestalten kann, daß wir Wachstumsraten haben, die in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich sind, will ich hier nicht im einzelnen darlegen; denn meine Aufgabe ist es nicht, Länderschelte zu betreiben. Wir müssen vielmehr versuchen, gemeinsam die Probleme zu lösen. Ich war gerade vor einer Stunde in einem Gespräch, in dem wir mit der Wissenschaft Konzepte ausgearbeitet haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu einzelnen Zuwachs- und Schrumpfungsbereichen ist hier einiges kritisch gesagt worden. Ich wiederhole, was ich vorhin ausführte: Die Ansätze sind in den Haushaltsberatungen dort weiter heruntergegangen, wo ich selber abgesenkt hatte.
— Der Ansatz für Weltraumforschung ist eine Ausnahme, die ich gleich begründen werde.Der Haushaltsausschuß hat bei der Kernenergie gekürzt. Bei den Projekten für Kernenergie lagen die Ansätze im Jahre 1982 bei fast 1 500 Millionen DM. Wir sind jetzt bei einem Viertel dieses Betrages, bei noch etwas weniger. Das ist eine durchaus vernünftige Strategie.
— Wenn Sie erlauben, Herr Präsident?
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Daniels.
Wenn es nicht angerechnet wird.
Das werde ich nicht machen.
Herr Kollege Daniels!
Herr Minister, wie stehen Sie denn jetzt zu diesen Forderungen, die HTR-Forschung weiterzubetreiben? Gestern ist von 140 Millionen DM die Rede gewesen. Werden Sie auch diesen Bereich weiter fördern, ist das bei Ihnen in der Haushaltsplanung schon mit eingebaut?
Herr Kollege Daniels, der Haushaltsausschuß hat hier in den Beratungen einen Haushalt für 1982 verabschiedet
— entschuldigen Sie, für 1990; wenn das mein einziger Fehler ist, dann stehe ich relativ stark da — und eine mittelfristige Finanzplanung zur Kenntnis genommen. Darin steht genau das, was wir beabsichtigen.Wir wollen hier die Technik der HTR-Linie weiterführen. Wir haben hier 25 Millionen DM für das Jahr 1990, wir haben 30 Millionen DM pro Jahr in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen. Ich halte dies für eine vernünftige Sache, und zwar aus einem Grund, den der Kollege Zywietz völlig zu Recht dargestellt hat. Er hat hier dargestellt, daß wir nicht in einer Situation, wo wir jetzt von den klassischen fossilen Energieträgern wegkommen müssen, weil wir mit dem Kohlendioxidproblem, mit dem Treibhauseffekt, konfrontiert sind, die Alternativen liegenlassen dürfen. Wir müssen sie im Gegenteil so gut und so stark wie möglich entwickeln, insbesondere den HTR mit seinem ausgezeichneten, großartigen Sicherheitspotential, übrigens auch die Kernfusion, zu der ich gleich gern noch einmal Ihre Argumente aufgreifen werde.
Nun zur Kernfusion; ich hätte das auch noch mit in die Beantwortung der Zwischenfrage nehmen können.
Herr Kollege Daniels, ich kann es hier nur ganz kurz machen. Ich verweise im übrigen auf das, was Kollege Zywietz vorgetragen hat. Langfristig — wenn wir weggehen wollen vom Verbrennen von Kohle, Öl und Erdgas, wenn wir den CO2-Effekt mindern wollen — haben wir im Grunde nur drei Energieoptionen; andere gibt es physikalisch nicht. Geothermie, Erdwärme, wird immer ein Exot bleiben. Wir haben die Fusion, wir haben die Sonne, und wir haben den Brüter.
— Natürlich, aber das ist keine Energiequelle, und deswegen habe ich auf Zywietz verwiesen. Ich muß hier wirklich sagen: Was Zywietz vorträgt, ist brillant.
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Bundesminister Dr. RiesenhuberWarum soll ich das wiederholen? Ich könnte das beliebig eingehend loben, aber es steht einfach für sich, weil es überzeugend ist.
Insofern müssen wir alle diese Strategien entwikkeln.Jetzt sagen Sie, wir sollten bei der Sonnenenergie noch mehr tun. Ich möchte wirklich noch einmal daraufhinweisen — es spricht sich anscheinend nur langsam herum — : Wir haben hier mit fast 300 Millionen DM im Jahre 1990 ein Programm, das größer ist als das Programm der Vereinigten Staaten, größer ist als das Programm von Japan, größer als das Programm aller anderen EG-Mitglieder zusammengenommen. Es ist ein extrem anspruchsvolles Programm,
und Sie haben selbst darauf hingewiesen, daß es bis an die Grenze der Zuständigkeit des Forschungsministers geht.Wenn Sie darüber sprechen — ich nehme das mit Interesse zur Kenntnis — , wir sollten bei Umweltforschung noch mehr tun, so komme ich auch hier zum internationalen Vergleich. Unsere Freunde in Großbritannien und Frankreich lagen — die Zahlen von 1986 sind die letzten, die ich zum Vergleich habe — bei 98 bzw. 140 Millionen DM im Jahr für Umweltforschung. Wir liegen bei 700 Millionen DM für Umweltforschung.
Die Vereinigten Staaten sind erkennbar größer als wir, sie haben ein etwa vierfach so großes Bruttosozialprodukt, aber sie haben nur 50 % mehr für Umweltforschung ausgegeben.
— Moment! Ich nehme ein Argument nach dem anderen, verehrte Frau Kollegin.Jetzt habe ich mich wirklich damit auseinandergesetzt, daß gesagt worden ist: Das reicht nicht, was ich tue. Wenn ich hier von der Anwendung spreche, kann ich nicht den Part des Kollegen Töpfer spielen. Er könnte Ihnen hier darlegen, wie wir mit einem Programm von mehreren hundert Millionen DM in der DDR solche Techniken in der Hoffnung einsetzen könnten, daß wir an den einschlägigen Stellen helfen und darüber hinaus die Strukturen ändern.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier also einen Haushalt, der in seiner Strategie über die Jahre völlig konsistent ist. Wo der Staat zuständig ist, etwa in der Grundlagenforschung, haben wir die Beträge nahezu verdoppelt. Wir haben sie nahezu verdoppelt in der Umweltforschung, in der Gesundheitsforschung, in der Vorsorgeforschung insgesamt, und dies bei einem Wachstum des Haushalts von 20 oder 25 %.Wir haben den Weltraum hier angesprochen. Ich möchte dazu nur ganz wenige Bemerkungen machen. Ich will mich garnicht darauf beziehen, daß wir den Weltraumetat mit größter Disziplin und Sparsamkeit gefahren haben. Wir liegen mit dem Haushalt gegenüber den Zahlen, die noch 1987 diskutiert worden waren, in diesem Jahr 1990 um 300 Millionen DM unterhalb der Prognose. Das ist ein Ergebnis äußerster Disziplin und Sparsamkeit. Ich muß hier sagen, daß ich sehr glücklich darüber bin, daß wir die DARA jetzt bekommen werden. Sie ist im Start, und wer startet, dem soll man helfen. Man soll jemanden, der startet und gerade seine Aufgaben ergreift, jetzt nicht so vermiesen, daß ihm die Arbeit noch schwerer wird. Wenn ich sehe, was die Beamten des Forschungsministeriums teilweise mit 12- und 14-Stunden-Tagen nicht in den vergangenen Monaten, sondern über Jahre hinaus an Arbeit geleistet haben, dann muß ich sagen, daß DARA die richtige Entscheidung war. Ich habe alles Vertrauen, daß wir tüchtige Mannschaften gewinnen, die ihre Arbeit vorzüglich verrichten werden.
Herr Kollege Zander hat darauf hingewiesen, daß die Ozonschicht durch Raketen zerstört wird.
— Genau darüber rede ich. Seien Sie doch nicht so ungeduldig.Herr Kollege Zander, Sie fragten auch: Warum Ariane V? Ich kann nur auf folgendes hinweisen: Die Ariane V ist genau wie die Energija eine Flüssigkeitsrakete. Sie wird dann leisten, was sie auch unter Umweltgesichtspunkten leisten soll. Die Ariane V hat genau diesen Sinn. Wenn Sie an diesem Kriterium messen, was Sie machen sollen, dann werden Sie mit Leidenschaft auch diesem Großprojekt der Weltraumtechnik zustimmen.
— Ich hoffe, das wird auch weiterhin so sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn hier noch etwas ergänzend zu sagen ist oder ich noch Einzelheiten hinzufügen muß, reiche ich das gerne nach. Dies ist das, was ich jetzt aus dem Stand und aus dem Kopf sagen kann. Ich gebe die Auskunft nach bestem Wissen und Gewissen in bescheidener Dienstleistung für meinen Souverän, das Parlament.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann nicht mehr alle Bereiche, über die hier gesprochen wird, aufgreifen. Mir ist aber ein Punkt wichtig, den der Kollege Austermann am Schluß seiner Rede angesprochen hat. Die Zusammenarbeit mit den Ländern des Ostblocks ist bis zum Jahre 1986/87 fast unmöglich gewesen. Wir hatten vorzügliche, sorgsame Einzelkontakte über die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit den Akademien der Wissenschaften oder über die Universitätspartnerschaften. Auch die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Volkswagen-Stiftung
— oder natürlich auch die Friedrich-Ebert-Stiftung — haben hier eine ordentliche Arbeit geleistet.Seit dieser Zeit haben wir Verträge: seit 1986 mit der Sowjetunion, seit 1987 mit der DDR und Ungarn,
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Bundesminister Dr. Riesenhuberseit 1988 mit Bulgarien, seit 1989 mit Polen. Wir konnten und wollten nicht abschließen, bevor nicht alle Wissenschaftler aus Berlin gleichberechtigt teilnehmen konnten. Das haben wir erreicht, und das ist richtig. Auf dieser Grundlage wollen wir die Zusammenarbeit gerne fortsetzen.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Vosen.
Herr Minister, das ist eine positive Entwicklung, die ich gerne bestätige. Meine Frage ist aber die: Warum haben Sie das Angebot der Sowjetunion auf Zusammenarbeit in der bemannten Raumfahrt, welches in Ihrem Haus konkret vorliegt, bisher nicht angenommen?
Ich finde es faszinierend, daß Sie einerseits an einer europäischen bemannten Raumfahrt herbe Kritik üben,
auch an einer Kooperation mit den Vereinigten Staaten, andererseits aber die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion vorwurfsvoll einfordern. Das ist eine faszinierende Erfahrung und hat mich sehr beeindruckt.
Offensichtlich hängt es doch ein bißchen davon ab, wer es macht. Die Sünden sind unterschiedlich.
Ich muß Ihre Frage aber auch inhaltlich beantworten.
— Das tue ich mit großem Vergnügen. Herr Kollege Vosen, worauf wir es in allen Abkommen zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit angelegt haben, ist eine Partnerschaft, bei der Leistung gegen Leistung steht. Zu den Bedingungen, zu denen ein japanischer Journalist in den Weltraum gefahren wird oder zu denen jemand, an dem irgendein Industrieunternehmen eines befreundeten Landes ein besonderes Interesse hat, möchte ich in einer Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik ungern solche Flüge buchen. Deshalb reden wir über eine vernünftige Partnerschaft.
Es geht mir hier um eines: Es geht mir darum, daß die Struktur einer Zusammenarbeit in gleichberechtigter, wissenschaftlicher Verantwortung nicht gemindert wird. Da mag es noch um einen bestimmten Betrag gehen, das ist aber keine Grundsatzfrage, nur: die Struktur darf nicht leiden.
Herr Abgeordneter Vosen, der Minister versteht es hervorragend, frei zu sprechen. Er nutzt seine Redezeit auch. Ich wäre daher dankbar, wenn mit Rücksicht auf die Gesamtgefechtslage die Redezeit nicht durch Ihre Fragen künstlich verlängert würde.
Herr Kollege Vosen, ich möchte mich ausdrücklich — nicht nur im Sinne eines Verständnisses über die Grenzen hinweg — dafür bedanken, daß Sie nochmals für Ihre Fraktion erklärt haben, daß Sie die D-2-Mission unterstützen, die eine entscheidende Vorbereitung für Columbus und die Raumstation ist. Ich hoffe zuversichtlich, daß wir auch daran mit der gleichen Gemeinsamkeit arbeiten werden.
Vor uns haben wir Aufgaben höchst komplexer Art. Die Zusammenarbeit mit der DDR und mit den anderen Ländern des Ostblocks wird eine große Herausforderung an die Wissenschaft, an die Wirtschaft und an uns selbst sein. Wir können die Voraussetzung dafür schaffen, und wir werden dies gerne tun.
Aber wir vertrauen darauf — das hoffe ich sehr —, daß diese Zusammenarbeit in allen Bereichen bis weit in die Geistes- und Sozialwissenschaften hinein läuft. Ohne dies ausführen zu können, Herr Daniels: Geistes- und Sozialwissenschaften werden bei einer sehr begrenzten Zuständigkeit des Bundes in unserem Haushalt in einer weit überproportionalen Weise mit rund 100 Millionen DM gefördert. Denn wir brauchen die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg, auch die Grenzen der Disziplinen, das Orientierungswissen von Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen mit den Naturwissenschaften.
Wenn uns dies grenzüberschreitend in ganz Europa, in Ost und West gelingt, dann werden wir aus dem Geist einer vernünftigen wissenschaftlichen Verständigung eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Dazu sind wir in diesen Jahren herausgefordert.
Meine Damen und Herren, wir kommen zunächst einmal zur Abstimmung über die Änderungsanträge. Ich rufe sie in der Reihenfolge der Drucksachennummern auf.Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN; er liegt Ihnen auf Drucksache 11/5808 vor. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5809 ab. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der SPD, der FDP und der CDU/CSU abgelehnt.Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD; er liegt Ihnen auf Drucksache 11/5882 unter Nr. XVII vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Antrag der SPD mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 11/5893? — Wer stimmt dagegen? — Ent-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13707
Vizepräsident Cronenberghaltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt worden.Wir kommen nun zur Abstimmung über den gesamten Einzelplan 30. Wer dem Einzelplan 30 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Einzelplan 30 mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.Ich rufe den Einzelplan 12 auf: Einzelplan 12Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr— Drucksachen 11/5562, 11/5581 —Berichterstatter:Abgeordnete Purps Wieczorek WindelenZywietzFrau VennegertsHierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD vor, und zwar auf den Drucksachen 11/5775, 11/5776, 11/5882 unter Nr. IX, 11/5885 und 11/5913. Außerdem ist ein Änderungsantrag des Abgeordneten Weiss, Fraktion DIE GRÜNEN, auf Drucksache 11/5922 eben hereingekommen und inzwischen gedruckt — ich nehme an, er liegt Ihnen vor — , der in die Debatte einbezogen wird.Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattendauer von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann können wir mit der Debatte beginnen. Das Wort hat der Abgeordnete Purps.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wenn jemand geglaubt haben sollte, daß durch den Wechsel im Ministeramt im Verkehrsministerium nun in der Verkehrspolitik neue Akzente gesetzt würden, wird er bei der Lektüre des Einzelplans 12 — Verkehr — gründlich darüber belehrt, daß sich in der Verkehrspolitik nichts, aber auch gar nichts geändert hat.
Der Verkehrshaushalt beweist erneut: Weder der Verkehrsminister noch die Bundesregierung haben die Kraft, die Verkehrspolitik neu zu gestalten und den Erfordernissen in Gegenwart und Zukunft Rechnung zu tragen.
Die Verkehrspolitik — das erleben wir tagtäglich — steht buchstäblich im Stau, und dies ist nicht nur auf dem Land der Fall, sondern zunehmend auch in der Luft. Die Überlastung unseres Straßennetzes wird jeden Tag offenkundiger. Mensch und Umwelt erstikken im Verkehrschaos.In dieser Situation, wo es nun eigentlich darauf ankommt, aus ökologischen und auch aus ökonomischen Gründen dafür zu sorgen, daß die Alternativen zum Individualverkehr — sprich: Bundesbahn und ÖPNV — ausgebaut und verbessert werden, fällt dieser Bundesregierung nichts anderes ein, als weitere 300 Millionen DM in den Straßenbau zu pumpen. Nun weiß ich ja, daß Sie das mit der finanziellen Enge begründen.
— Ach, Herr Kollege Pfeffermann! Wenn Ihre Zwischenrufe wenigstens Pfeffer hätten, dann wäre es ja noch gut. Aber es ist reiner Quark, was Sie da bringen.
Nun weiß ich ja, daß Sie dies mit der finanziellen Enge begründen, die durch die Plafondierung der Straßenbaumittel entstanden ist. Aber diese Enge, meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie sich doch selbst geschaffen; die haben Sie doch selbst verursacht. Bei der letzten Beratung des Bundesverkehrswegeplans hat Ihnen doch die SPD gezeigt, welche Projekte als Neubaumaßnahmen überflüssig und unsinnig waren, welche ökologisch schädlich waren oder welche man durch andere Maßnahmen, z. B. Ausbau parallel laufender Landstraßen und Bundesstraßen, ersetzen konnte. Wir haben Ihnen sogar in einem Änderungsgesetz dies alles vorgeschlagen. Sie haben das abgelehnt. Nun müssen Sie die Folgen dieser verkehrten Politik selber tragen. Die finanzielle Enge haben Sie zu verantworten.
Im übrigen hat doch die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, Herr Kollege, daß Verkehrsprobleme nicht damit zu lösen sind, daß man noch mehr Straßen baut, daß man überlastete Straßen mit weiteren Spuren versieht. Der Verkehrsfluß ist ja nicht besser geworden. Er ist trotz dieser Maßnahmen schlechter geworden. Die Staus werden nicht kleiner, sondern größer. Wenn Sie wirklich etwas für den Straßenverkehr tun wollen, müssen Sie ihn entlasten;
müssen dafür sorgen, daß eine Entlastungswirkung eintritt. Da ist die Alternative z. B. in den Ballungsgebieten der Öffentliche Personennahverkehr.
Da müssen Sie weiterhin dafür sorgen, daß der kombinierte Verkehr auf der Schiene weiter ausgebaut wird.
Und dann müssen Sie dafür sorgen, daß die Verkehrssysteme vernünftig vernetzt werden, damit sie angenommen werden, wenn man umsteigen will.
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13708 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
PurpsIn den Ballungsgebieten haben wir doch mittlerweile folgende Realität. Fast die gleiche Zeit, die Sie als Bürger brauchen, um in die City zu kommen, brauchen sie anschließend, um einen Parkplatz zu finden. Wenn ich Ihnen sage, was Sie an Kilometern zusätzlich verfahren — was sowohl für den Geldbeutel desjenigen, der da fährt, als auch für die Umwelt äußerst schädlich ist — , dann sehen Sie: Das ist doch in keiner Weise mehr zu verantworten.Das heißt, daß sowohl ökonomische wie ökologische Gründe zum Handeln zwingen, aber Sie setzen weiterhin stur auf den Straßenbau.Daß die jetzigen Strukturen den Straßenbau und die Benutzung des Pkw noch begünstigen, wissen wir. Der ÖPNV wird stiefmütterlich behandelt. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Seit Jahren ist uns ein Konzept für den Öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche versprochen worden. Ihr Vorgänger, Herr Minister Warnke, hat bei seinem Amtsantritt dies als einen Schwerpunkt seiner Verkehrspolitik herausgestellt. Damit hatte es sich. Das war's denn. Davon haben wir nie wieder etwas gehört. Ergebnisse sind bis heute nicht bekannt. Auch von Ihnen, Herr Minister, haben wir dazu bisher nichts gehört.Ich verkenne ja gar nicht, daß es ungleich schwieriger ist, einen optimalen ÖPNV in der Fläche herzustellen. Aber wenn man etwas verspricht, dann muß man das wohl halten. So ist die Regel. Oder man muß sagen: Ich kann es nicht, oder ich will es nicht. In diesem Fall würde ich sagen: Beides trifft zu. Denn wenn Sie den ÖPNV deckeln, wie Sie es gemacht haben, ist man aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, einen ÖPNV in der Fläche verkehrsgünstig auszubauen und das Notwendige zu tun.Ich sage Ihnen: Die Kürzung der ÖPNV-Mittel im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, auch des kommunalen Straßenbaus, und ihre Plafondierung waren der schwerste Fehler, den diese Regierung begangen hat. Das müßte umgehend rückgängig gemacht werden.Im übrigen wissen Sie selber: Wäre es bei der alten Regelung geblieben, dann stünden 1990 für ÖPNV und kommunalen Straßenbau 400 Millionen DM mehr zur Verfügung.Deswegen kann ich Sie nur auffordern, unserem Antrag auf Umschichtung von wenigstens 250 Millionen DM zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, beim Luftverkehr ist das Chaos am Himmel im vergangenen Jahr weiter gewachsen: Verspätungen, gestrichene Flüge, unmutige Reisende, Warteschleifen, unnötiger Kerosinverbrauch sind an der Tagesordnung. Das ist auf die Dauer, wenn sich da nichts ändert, ein schwerer Schlag gegen den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland. Darüber müssen wir uns im klaren sein.Verkehrs- und Haushaltsausschuß haben diese Problematik schon vor zwei Jahren in die Diskussion gebracht, als die Regierung noch sanft schlief. Erforderlich ist die umgehende Neuorganisation der Flugsicherung, um zumindest erst einmal die personellenProbleme zu lösen und eine rasche unbürokratische Finanzierung bei den Investitionen sicherzustellen. Die Regierung tut von Anfang an so, als sei sie von diesen Entwicklungen im Luftverkehr vollkommen überrascht worden. In Wirklichkeit konnte jeder wissen, wie die Flottenpolitik z. B. der Lufthansa aussah, wie die Flottenpolitik der anderen Carrier aussah. Lesen Sie einmal nach, wie die Bestellungen weiterlaufen, wie die Liberalisierungspolitik war.
Man konnte auch wissen, daß ein Großteil der heutigen Fluglotsen und Flugsicherungstechniker bald in Pension gehen würde. Vorsorge wurde nicht getroffen.Ihren Vorgänger, Herr Dr. Zimmermann, mußten wir zum Jagen tragen. Der Jäger Zimmermann hat sich zumindest erst einmal fußläufig selbst auf die Pirsch gemacht. Nur: Der Gesetzentwurf, der uns versprochen worden ist, ist bis heute nicht da. Angeblich scheitert es an Fragen der Verfassungsmäßigkeit. Dies, Herr Dr. Zimmermann, mögen Sie bitte mit Ihrem Kabinettskollegen Engelhard klären. Vielleicht gehen Sie mit Herrn Engelhard in der Vorweihnachtszeit einmal an einen unserer Flughäfen — nach Düsseldorf, nach Köln, nach Hamburg oder nach München — und erklären den dort von den Verspätungen geplagten Passagieren — ob sie nun eine Urlaubsreise antreten oder auf einer Geschäftsreise sind —, daß dies alles wohl nicht zu ändern sei, da man bestimmte verfassungsrechtliche Bedenken und Schwierigkeiten habe. Ich bin gespannt, welchen Beifall Sie da bekommen werden.
Im übrigen, Herr Minister: Nicht jeder Passagier — ich darf mir diese Bemerkung erlauben — ist in der Lage, wenn sein Jet Startverspätung hat, dem Tower mitzuteilen, es ginge um die Zulage der Fluglotsen, um auf diese Weise zehn Minuten später die Startfreigabe zu bekommen.
Das können Sie einmal machen, beim zweitenmal nicht mehr.Gehen wir einen Schritt weiter: Die Bahnpolitik der Bundesregierung erschöpft sich zur Zeit in der Bereitstellung von 1,5 Millionen DM für die Regierungskommission. Diese soll drei Jahre lang all die Dinge analysieren, diskutieren und zum Schluß kompilieren, die uns allen seit langer Zeit bekannt sind.Die Maßnahmen, die eigentlich ergriffen werden müßten, und zwar heute, liegen alle auf dem Tisch. Medizinisch gesprochen: Diagnose und Therapie stehen fest. Wofür brauchen wir eigentlich diese Kommission? Es gibt für die Einsetzung dieser Kommission eigentlich nur einen Grund, und dieser ist ganz deutlich herauszustellen: Man will sich über den Wahltermin retten. Nichts anderes wird hier gemacht,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13709
Purpsweil man nämlich in der Bahnpolitik kein Konzept hat und glaubt, man könne auf diese Art und Weise die vollmundigen Versprechungen des Bundeskanzlers, die schon einige Jahre zurückliegen, etwas für die Bahn zu tun, ins Jahr 1991 hinüberretten.Die Alarmsignale bei der Bahn sind nicht zu überhören. Die Bahn selbst beziffert in ihrer Mittelfristplanung die Verluste bis zum Jahre 1994 auf 6,5 Milliarden DM pro anno. Die Schuldenabnahme durch den Bund in Höhe von 12,6 Milliarden DM wird in nur vier Jahren durch die Neuverschuldung vollkommen egalisiert.So ist die Situation. Das Personal schiebt Überstunden über Überstunden, der Urlaub muß verschoben werden, der Unmut des Personals wächst. Ich habe volles Verständnis für Demonstrationen, insbesondere jetzt auch beim Buspersonal, wenn man die entsprechenden Gelder streicht.Dies alles ist die Folge einer verkehrten Bahnpolitik.
Die Bahnleitlinien der Bundesregierung werden auf dem Rücken der Bediensteten ausgetragen.
Eine noch so schöne Fernsehwerbung für den IC, der so schön durch das Land fährt, kann gar nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Alltagswirklichkeit für den Normalkunden ganz anders aussieht: Verspätungen am laufenden Meter, veraltetes Material — besonders in ländlichen Regionen —, weitere Ausdünnung der Fahrpläne usw.Wer das zuläßt oder bewußt auch noch steuert, daß die Bundesbahn für den Kunden vollkommen unattraktiv wird, muß sich nicht wundern, daß die Abstimmung mit der Fahrkarte, wenn man denn am Schalter überhaupt noch eine bekommen kann, zuungunsten der Bahn ausgeht.
Dabei hätte die Bahn die. Chance, in einer engen Kooperation mit anderen Trägern des öffentlichen Personennahverkehrs wieder an Bedeutung zu gewinnen. In einer Netzplanung mit bestehenden Verkehrsgemeinschaften, in besserer Abstimmung des Fahrplans mit ihnen und in einer flexibleren Tarifgestaltung liegen die Chancen für die Bahn, auch in der Fläche Kunden zurückzugewinnen und dort zum Rückgrat des ÖPNV zu werden.Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel. Die Förderung des VT 628 — analog der Busfinanzierung, wie sie im geänderten GVFG vorgesehen ist — wäre schon eine Voraussetzung dafür, um die Bahn mit vereinfachter Betriebsweise auch auf den Nebenstrecken, um deren Erhalt wir alle als Kommunalpolitiker kämpfen, wieder zu einer Alternative im Verhältnis zum Individualverkehr werden zu lassen.Im Güterverkehr muß der kombinierte Verkehr weiter ausgebaut werden. Eine Verknüpfung der Verkehrsträger und eine Vernetzung der Verkehrswege ist geboten. Wir legen Ihnen deswegen noch einmal einen Antrag vor, Terminals für den kombinierten Ladeverkehr zusätzlich zu fördern.
Wir nehmen die Mittel hierfür aus dem Straßenbau, denn wer wirklich helfen will, muß die Straßen jetzt entlasten.
Die Ideen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Bundesbahn liegen, wie gesagt, auf dem Tisch. Die SPD-Bundestagsfraktion hat schon seit längerem ein klares Konzept mit punktgenauen Gesetzentwürfen vorgelegt, die der Bahn wenigstens ein Stück der Chancengleichheit zurückgeben, die sie im Verhältnis und in Konkurrenz zu den anderen Verkehrsträgern braucht. Sie haben sich bisher immer ablehnend verhalten. Sie verlassen sich auf eine vor sich hinwurstelnde Kommission und steuern die Bahn sehenden Auges in das finanzielle Desaster.
Meine Damen und Herren, bei der Aufstellung des Bundeshaushalts für 1990 und bei seiner Beratung im Haushaltsausschuß war noch nicht abzusehen, welche finanziellen Auswirkungen sich aus der Tatsache ergeben, daß die gewaltigen revolutionären Veränderungen in der DDR und den übrigen Ostblockstaaten neue Verkehrsströme für Menschen und für Güter schaffen werden. Die Öffnung der Grenzen schafft diese Probleme deren Bewältigung wir gemeinsam in der Bundesrepublik und in der DDR angehen müssen. Insofern stimmen wir den Ausführungen des Bundeskanzlers zu.Wir sollten es in der Feinabstimmung allerdings vermeiden, daß sich die Fehler von gestern hier in der Bundesrepublik wiederholen. Es besteht nämlich eine einmalige Chance, neue Verkehrskonzepte im grenzüberschreitenden ÖPNV zu verwirklichen und die Bedeutung der Bahn zu vergrößern, den Kombi-Verkehr auszubauen und die hin- und zurückflutende Pkw- und Lkw-Blechlawine, die wahrscheinlich auf uns zukommt, auf das unbedingt nötige Maß zu reduzieren.Wir brauchen neue Grenzübergänge für den Schienenverkehr. Zusätzliche Zugverbindungen müssen eingerichtet werden. Kooperation im grenzüberschreitenden ÖPNV und Verbesserung der Straßenübergänge zwischen der Bundesrepublik und der DDR zur Vermeidung der uns bekannten Rückstaus sind dringend in Angriff zu nehmen.Die finanzielle Hilfe für Berlin, das zur Zeit und auch in der Zukunft die Hauptlast des Reiseverkehrs tragen wird, ist zu verstärken. Mit dem bisherigen Bestand an Transportkapazitäten — siehe Busse, S-Bahn — ist dies nicht zu bewältigen. Dies hat die Erfahrung der letzten Wochen gezeigt. Ich hoffe, daß in dem Gespräch zwischen dem Regierenden Bürgermeister Momper und dem Bundeskanzler am Freitag diese Problematik von beiden richtig erkannt wird und daß die finanziellen Notwendigkeiten richtig bedacht werden.
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PurpsWenn nämlich die Finanzierung von unserer Seite nicht sichergestellt wird, lassen sich keine Verbesserungen erreichen. Dies kann nicht im Sinne der jetzt erreichten und der sich jetzt entwickelnden Zusammenführung der Menschen aus beiden Teilen Deutschlands sein. Im übrigen sollte dies alles recht zügig und auch unbürokratisch vonstatten gehen.Wenn es darum geht, daß wir unter Berücksichtigung dieser neuen Gegebenheiten wohl auch den Bundesverkehrswegeplan ergänzen müssen und daß im nächsten Jahr mit Sicherheit ein Nachtragshaushalt ansteht, dann hoffe ich, daß zwischen den Fraktionen des Bundestages wenigstens in diesem Punkt Einigkeit hergestellt werden kann. Dies gilt insbesondere für die Schienenverbindung zwischen Berlin und der Bundesrepublik über Hannover.Technische und finanzielle Hilfen sind nötig, wenn die DDR ihr Verkehrssystem leistungsfähiger gestalten und ausbauen will. Wir haben gemeinsam alle Chancen zu nutzen, um die deutsch-deutschen Verkehrsverbindungen zu verbessern. Die SPD ist dazu bereit. Lassen Sie uns dies, wenn es geht, gemeinsam tun, gemeinsam im Deutschen Bundestag und gemeinsam mit den zuständigen Stellen in der DDR. Die Voraussetzungen für ein Zusammenwachsen der Bundesrepublik und der DDR im Verkehrssektor sollten und müßten im Konsens geschaffen werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die mögliche Gemeinsamkeit in dieser Frage ändert aber gar nichts daran, daß die SPD die Verkehrspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, so wie sie sich hier und heute darstellt, so wie sie sich im Zahlenwerk des Einzelplans 12 manifestiert, ablehnt.Die Bundesregierung und ihr Verkehrsminister sind nicht in der Lage, das notwendige Gesamtverkehrskonzept vorzulegen, welches ein sinnvolles Miteinander der verschiedenen Verkehrsträger beinhaltet. Die einseitige Bevorzugung der Straße auf der einen Seite und die Benachteiligung der Bahn auf der anderen Seite, die finanzielle Einschnürung des öffentlichen Personennahverkehrs und die mangelnde Unterstützung des kombinierten Ladeverkehrs dokumentieren Ihre verkehrspolitische Handlungsunfähigkeit.
Den vorgelegten Haushalt lehnen wir aus diesen Gründen ab.Wir werden auch die Anträge der GRÜNEN ablehnen. Sie sind entweder gewaltig überzogen
oder — das gilt für den gerade vorgelegten Antrag —Schau,
oder sie sind überhaupt nicht vernünftig; das gilt z. B. für den Antrag auf totale Streichung der Mittel für den Fernstraßenbau. Sie wissen doch — jedenfalls sollten Sie das eigentlich wissen — , daß Sie damit Arbeitslosigkeit schaffen
und nicht einmal mehr den Erhalt des bestehenden Netzes garantieren können. Ich kann Ihnen, Frau Kollegin Vennegerts, nur sagen: Lesen Sie nicht immer wieder das vor, was Ihnen irgendwelche klugen Mitarbeiter aufschreiben,
sondern machen Sie sich selbst Gedanken, und kommen Sie auch einmal zu einem vernünftigen Verkehrskonzept; dann geht es. — Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine Herren Kollegen! Herr Kollege Purps, Sie haben wie alle Jahre Ihr polemisches Pflicht-Soll erfüllt. Aber ich weiß ja, Herr Kollege Purps: Sie haben es auch nicht ganz leicht. Sie sind in einer schwierigen Lage. Was sollen Sie tun? Sollen Sie Oskar Lafontaine als Vorsitzendem der Programmkommission folgen, also Straßenbaumittel streichen und den Verkehr mit Ökosteuern belasten, oder sollen Sie dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine folgen, der im Bundesrat eine Erhöhung der Straßenbaumittel beantragt hat?
Nun, meine Damen und Herren, Kollege Purps hat sich als braver Parteisoldat für den Vorsitzenden der Programmkommission Lafontaine entschieden.
Ich bin sicher, Herr Kollege: Es ist Ihnen nicht leichtgefallen. Deswegen will ich Ihnen das auch verzeihen. Sie verlassen sich im übrigen ja auch auf die Koalition: Die Annahme des Haushalts ist gesichert, und deswegen darf man ruhig dagegenstimmen.
Ich freue mich aber, Herr Kollege, daß ich Ihnen in einem Punkt voll zustimmen kann. Die dramatische Entwicklung, die in den letzten Wochen von unseren Landsleuten in der DDR und von den Bürgern in Ungarn und in Polen durchgesetzt wurde, erfordert unsere Antwort auch und gerade im Verkehrsbereich. Gewiß, der Massenansturm der letzten Tage, der ja nicht nur unsere Straßen, sondern auch die Eisenbahnen, nicht nur im grenznahen Bereich, verstopft hat, wird in ruhigere Bahnen einmünden. Er hat uns aber die Bedeutung eines guten, eines leistungsfähigen Verkehrsnetzes auch für den Zusammenhalt der Nation eindringlich vor Augen geführt.
Hier werden -- da stimme ich Ihnen zu — zusätzlicheHerausforderungen auch in der Verkehrspolitik, undzwar nicht nur im Zonenrandgebiet, auf uns zukom-
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Windelenmen. Verkehrspolitik ist ja weit mehr als die Gewährleistung des Transports von Gütern und Personen. Ein funktionierendes, ein bedarfsgerechtes, ein umweltfreundliches Verkehrssystem ist eine ganz wichtige Grundlage nicht nur für unser gesamtes gesellschaftliches, sondern ebenso für unser wirtschaftliches Leben. Eine unzulängliche Verkehrsstruktur erschwert menschliche Kontakte, behindert unsere arbeitsteilige Wirtschaft, kostet Wachstum, kostet Arbeitsplätze und verhindert die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Regionen unseres Landes.
Unsere Verkehrswirtschaft steht vor neuen Herausforderungen in einem zusammenwachsenden Europa — im Osten gleichermaßen wie im Westen. Durch die Teilung unseres Landes sind die Ost-West-Verbindungen in allen Verkehrsbereichen zurückgeblieben und teilweise abgeschnitten worden. Und wer es mit der Einheit der Nation und mit der Einheit Europas wirklich ernst meint, der darf hier nicht bremsen und nicht blockieren. Wer z. B. in Nordrhein-Westfalen den Weiterbau der A 4 bis zur hessisch-thüringischen Grenze oder den Ausbau einer IC-Verbindung nach Berlin — hier durch überzogene Forderungen der DDR — jetzt immer noch verhindert, der wird seiner Verantwortung für die Überwindung der Teilung nicht gerecht, meine Damen und Herren.
Vor diesem Hintergrund bekommt der vom Haushalts- und Verkehrsausschuß gegen große Widerstände durchgesetzte Ausbau der Bundesbahnschnellstrecke Dortmund—Kassel, der jetzt endlich begonnen wurde, zusätzliches Gewicht.
Diese Strecke wird die traditionell starke Position der Eisenbahnzentren Kassel und Bebra im Verkehr nach Mitteldeutschland wieder beleben.
Wir brauchen jetzt viele leistungsfähige Verbindungen, besonders zwischen dem Ruhrgebiet und den Industriezentren in Mitteldeutschland.
Diese Entwicklungen waren — ich glaube, da sind wir uns einig — bei der Aufstellung des Haushalts für Sie so wenig überschaubar wie für uns.
Aber abgesehen davon hat die Bundesregierung — und hier muß ich Ihnen widersprechen, Herr Kollege Purps —
im Verkehrshaushalt dieses Jahres neue Zeichen ge-setzt. Denn erstmals stehen — nach langen Jahren —in diesem Jahr für die Erhaltung, für den Umweltschutz und für den Ausbau unseres Straßennetzes
insgesamt 405 Millionen DM mehr zur Verfügung als im Vorjahr, auch in der mittelfristigen Planung.Aber auch diese Verstärkung der Mittel — das sage ich ganz offen — wird nicht ausreichen, die vom Parlament beschlossene Verkehrswegeplanung zeitgerecht zu realisieren, und noch viel weniger, die zusätzlichen Forderungen der Bundesländer zu befriedigen. Meine Damen und Herren, allein das Land Hamburg fordert für den achtstreifigen Ausbau der A 7, für den Ausbau des Elbtunnels, für die Umgehung Fuhlsbüttel mehr als 100 Millionen DM für 1990 zusätzlich,
insgesamt weit mehr als eine halbe Milliarde DM für die gesamte Bauzeit.
Das Saarland verlangt 300 Millionen DM mehr — genau das, was Sie streichen wollen — für den Unterhalt von Bundesautobahnen und Bundesstraßen. Der Bundesrat stellt einmütig fest, daß die Mittel für den Fernstraßenbau zu gering seien. Aber die SPD-Fraktion beantragt, getreu dem Auftrag ihrer Programmkommission, eine Kürzung der Straßenbaumittel um 300 Millionen DM.
Die GRÜNEN verlangen sogar die völlige Streichung,
mit Ausnahme der Mittel für den Schallschutz.
Meine Damen und Herren, damit wird man der Verantwortung für unsere Gesellschaft, für ein vereintesEuropa und für die Einheit der Nation nicht gerecht.
Meine Damen und Herren, auch wir wissen, daß man nicht alles auf einmal haben kann. Der konsequente Weg der Haushaltskonsolidierung wird von uns fortgesetzt werden. Deswegen denkt von uns keiner daran, etwa die Straßenbauplanung eines Verkehrsministers Leber wieder aufleben zu lassen. Er hat seinerzeit unter der Überschrift „Start in den Straßenverkehr der Zukunft" festgestellt, daß die Zahl der Kraftfahrzeuge von seinerzeit 13 Millionen auf etwa 22 Millionen im Jahre 1985 ansteigen werde. Und er fügte hinzu, deswegen müsse man das Netz der Bundesautobahnen von damals 5 000 Kilometer auf 13 000 Kilometer fast verdreifachen und die Fläche der Fernstraßen in den Ballungsräumen vervierfachen.Meine Damen und Herren, wie ist die Realität heute? Statt der von Georg Leber vorgesehenen 13 000 km Autobahnen im Jahre 1985 waren es tatsächlich 5 000 km weniger. Aber statt der erwarteten
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Windelen22 Millionen Kraftfahrzeuge waren es tatsächlich 5 Millionen mehr. Inzwischen fahren mehr als 30 Millionen Kraftfahrzeuge auf unseren Straßen. Die Länge des Bundesstraßennetzes hat sich seitdem kaum mehr erhöht.Wir haben längst von der Gigantomanie eines Verkehrsministers Leber Abschied genommen. Wir wollen unser Land nicht zubetonieren, und wir tun es auch nicht. Der Anteil der befestigten Flächen für unsere öffentlichen Straßen ist von 1 % damals nur noch geringfügig um etwas mehr als 0,2 Prozentpunkte gewachsen. Aber in der gleichen Zeit hat sich die Zahl der Kraftfahrzeuge verdreifacht ebenso wie die Gesamtfahrleistung auf der Autobahn. Das ist eine große Leistung, die Anerkennung verdient, zumal gleichzeitig auch die Zahl der Verkehrsunfälle und vor allem der Verkehrstoten deutlich zurückgegangen ist.
So hatten wir 1970 bei einem Drittel der Kraftfahrzeuge noch über 19 000 Verkehrstote zu beklagen. In diesem Jahr werden es fast 12 000 Verkehrstote weniger sein. Dazu hat neben dem wachsenden Verantwortungsbewußtsein der Fahrer, der Verbesserung der Straßentechnik und der Sicherheitstechnik der Autos auch die Verkehrserziehung beigetragen, die wir auch in diesem Haushalt wieder mit ausreichenden Mitteln ausgestattet haben.Meine Damen und Herren, wenn wir hören, daß im vergangenen Jahr von 714 Menschen, die auf den Autobahnen ihr Leben verloren — davon 35 bei Unfällen bei Geschwindigkeiten über 130 km/h —, dann sollten wir uns doch vor allem jenen über 7 000 Opfern zuwenden, die in der gleichen Zeit auf Bundes-, auf Landes-, auf Kreis- und auf Gemeindestraßen starben, wo heute schon Geschwindigkeitsbegrenzungen bestehen.
Lassen Sie mich zu den Problemen unserer Bundesbahn kommen. Ihr gilt auch künftig unsere besondere Sorge.
Hier sind, Herr Kollege, wichtige Weichenstellungen erfolgt. Die Deutsche Bundesbahn ist ein sicheres und umweltfreundliches Verkehrsmittel mit einem niedrigen spezifischen Energieverbrauch. Sie ist für unsere Volkswirtschaft unentbehrlich. Herr Kollege Purps, wenn ich mich recht erinnere, kommen Sie mit dem Auto nach Bonn. Ich fahre mit der Bundesbahn. Ich weiß, was die Bundesbahn leistet, und ich fühle mich ihr deshalb besonders verbunden.Um die Voraussetzungen für eine dauerhafte Konsolidierung unserer Bundesbahn zu schaffen, wurde die Unternehmensführung beauftragt, bis Ende 1990 ein strecken- und produktbezogenes Rechenwerk zu entwickeln. Das haben wir bisher noch nicht. Das können Sie auch nicht bestreiten. Ein solides Rechenwerk ist die Voraussetzung für jede vernünftige Sanierung. Wer etwas davon kennt, wird das nicht bestreiten.
— Ich habe ausdrücklich gesagt: Wer etwas davon kennt, wird es nicht bestreiten.
Ab 1991 werden die Altschulden von 12,6 Milliarden DM — wie jetzt schon die Zinsen — in den Bundeshaushalt übernommen werden. Eine unabhängige Regierungskommission erarbeitet bis 1991 ein Konzept für die künftigen Aufgaben und die Organisationsstrukturen der Bundesbahn. Bei der Besetzung dieser Kommission sind wir sicher, daß etwas Vernünftiges herauskommt. Wenn diejenigen, die hier mitarbeiten — auch aus der Gewerkschaft —, nicht wüßten, daß dabei etwas herauskommt, hätten sie sicherlich die Mitarbeit verweigert. Allein die Tatsache, daß sie mitarbeiten, zeigt, daß auch sie das für wichtig und notwendig halten.Meine Damen und Herren, die Regierung Kohl hat nach Jahrzehnten des Vorrangs für die Straße den Investitionsanteil der Schiene deutlich erhöht. Im Verkehrswegeplan 1985 wurden die Investitionszuschüsse für das Schienennetz, die von 1976 bis 1985 28 Milliarden DM betrugen, für den Zeitraum von 1986 bis 1995 auf 35 Milliarden DM erhöht. Der Haushaltsausschuß hat beschlossen — Herr Kollege Purps, Sie haben dem zugestimmt — , zur Verbesserung des kombinierten Verkehrs, der besonders geeignet ist, die Straße und die Umwelt zu entlasten, 80 Millionen DM zweckgebunden auszubringen. 80 Millionen DM wird also die Bundesbahn für den kombinierten Verkehr einzusetzen haben.
Der Luftverkehr hat überproportional zugenommen. Das wird auch in den nächsten Jahren so bleiben. Bis zum Jahre 2000 müssen wir noch einmal mit einer Verdopplung der Anzahl der Flüge rechnen. Dieser Herausforderung kann man nur mit mutigen Maßnahmen begegnen.Für die Verbesserung der technischen Einrichtungen haben wir die nötigen Haushaltsmittel bereitgestellt. Wir haben dafür gesorgt, daß die Bundesregierung eine Neuorganisation der Flugsicherung beschlossen hat. Sie wird künftig privatrechtlich erfolgen müssen. Denn nur so lassen sich die Attraktivität und die Motivation für die Mitarbeiter und die Flexibilität und der Handlungsspielraum bei den Investitionsentscheidungen sicherstellen.Meine Damen und Herren, die Finanzierung wird zukünftig vom Verursacher voll durch Gebühren getragen werden. Auch dies war eine unabdingbare Forderung des Haushaltsausschusses. Ein weiterer Schritt dazu wird im Haushalt 1990 getan werden, wenn neben den bereits zu zahlenden Streckengebühren auch mit der Erhebung der An- und Abfluggebühren begonnen wird.
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WindelenFür die Übergangszeit werden wir durch eine Zulagenregelung — nicht nur für die Fluglotsen, sondern auch für die Flugtechniker — Engpässe beseitigen. Die volkswirtschaftlichen Verluste und die zusätzliche Umweltbelastung durch Verspätungen und Warteschleifen sind nicht mehr länger hinzunehmen. Die Kosten dafür, die die Volkswirtschaft zu tragen hat, gehen in die Milliarden.Der Haushalt 1990 macht den Weg frei für neue Lösungen. Bundesregierung und Bundesrat sind aufgefordert, die nötigen Gesetze unverzüglich vorzulegen.
Auch in diesem Jahr werden wir wieder 120 Millionen DM als Seeschiffahrtshilfen einstellen. Sie dienen der notwendigen Kostenentlastung unserer Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, und sind Teil der Rahmenbedingungen, die den Bestand und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schiffahrt sichern sollen. Deswegen haben die Koalitionsfraktionen Kürzungsanträge der Opposition abgelehnt.Meine Damen und Herren, verantwortungsbewußte Verkehrspolitik muß Straße, Schiene, Wasserstraße und Luft zu einem leistungsfähigen und umweltfreundlichen Verkehrssystem verbinden. Jeder Bereich hat seine besondere Aufgabe. Aber nur die sinnvolle Kooperation aller Bereiche kann zu optimalen Ergebnissen führen.In der Fläche ist der Straßenverkehr auch künftig nicht zu ersetzen. Wer aus ideologischen Gründen den Ausbau und die Erhaltung unseres Straßennetzes blockiert oder durch drastische Treibstoffbesteuerungen belastet,
schädigt die ländliche Bevölkerung und behindert den notwendigen Strukturwandel.
Die Öffnung der Schlagbäume im Westen und im Osten wird das Verkehrsaufkommen weiter steigen lassen. Im grenzüberschreitenden Verkehr mußten wir schon vor der Öffnung im Osten mit 40 % Wachstum bis zur Jahrhundertwende rechnen. Das wird jetzt noch mehr werden. Einem solchen Zuwachs ist unser Verkehrsnetz nicht mehr gewachsen. Ohne einen angemessenen Ausbau in allen Bereichen werden Staus und Stillstand mit Energievergeudung und Umweltbelastung unerträglich werden. Sie kosten jetzt schon nach Schätzung von Fachleuten 2,5 bis 3 To des Bruttoinlandsproduktes. Das wären für die EG pro Jahr etwa 200 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, auch im Zeichen der neuen Herausforderungen im Osten ist eine solche Verschwendung unverantwortlich.
Wir brauchen eine Verkehrsinfrastruktur, die den Notwendigkeiten der wachsenden Nachfrage, des Umweltschutzes und der Verkehrssicherheit gerecht wird, die zu einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen allen Verkehrsträgern führt und die hilft, die deutscheTeilung zu überwinden. Der Haushalt des Bundesverkehrsministers zielt in diese Richtung. Wir werden ihm deswegen zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verkehrspolitik und ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bestimmen in den letzten Jahren zunehmend die öffentliche Diskussion. Die Bevölkerung ist sensibler geworden; das Umweltbewußtsein ist gestiegen; überall im Land ist spürbar, daß die weitere Motorisierung zunehmende Probleme mit sich bringt, daß der Landverbrauch durch Straßenbau und andere Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen heute anders gesehen wird als früher. Die Autos sind zu einer Plage in den Innenstädten geworden. Rund 85 % der Bevölkerung fühlen sich durch Verkehrslärm beeinträchtigt. Das ist eine Situation, aus der in anderen Ländern längst Konsequenzen gezogen worden sind. In Los Angeles, einer Stadt, die im Autoverkehr erstickt, ist man jetzt zu radikalen Schritten übergegangen und hat ein Programm beschlossen, das innerhalb von fünf Jahren den motorisierten Verkehr auf 20 % des heutigen Wertes drücken soll.
In der Schweiz betreibt man eine andere Politik. In den Niederlanden hat, zumindest, was den Personenverkehr betrifft, das Umdenken bereits eingesetzt. In Österreich ist die Bevölkerung mittlerweile sensibel geworden und hat die österreichische Regierung gezwungen, wenigstens die Nachtruhe der Bevölkerung zu schützen und ein Nachtfahrverbot zu verhängen.An der Bundesregierung ist diese Diskussion aber scheinbar völlig vorbeigegangen. Das beweist der vorliegende Haushalt. Die nackten Zahlen — mehr Geld für Straßenbau, weiterhin plafondierte Mittel für die Deutsche Bundesbahn — lassen die vielen schönen Sprüche, die sonst das Jahr über immer geklopft werden — von wegen Umweltfreundlichkeit und Bekenntnis, Schiene und Bahn seien unverzichtbar —, zur reinen Makulatur werden.
Im Gegensatz zu früher hat sich an der Situation eines geändert: Geändert hat sich das Umweltbewußtsein, so daß heute jeder Politiker — auch von der Regierungskoalition — als ersten Satz immer so etwas sagt wie „Die Bahn ist unverzichtbar" — schöne Worte, Bekenntnis zur Schiene, Bekenntnis zum öffentlichen Personennahverkehr. Aber leider ist der Druck noch immer nicht groß genug, so daß es eben akzeptiert wird, wenn Sie nur von der Schiene reden, in Wirklichkeit aber Straßenpolitik betreiben. Das ist doch die Konsequenz, wenn man sich den vorliegenden Haushalt anschaut. Alles redet von Schiene; aber was passiert? Die Straßenbaumittel werden um 405 Millionen DM aufgestockt.
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13714 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Weiss
Bei der Bahn verbleibt es bei der Plafondierung. Ich meine, daran wird eben deutlich, wohin die Richtung geht, wo die Schwerpunkte sind.Was könnte man mit den 405 Millionen DM nicht alles anfangen! Wir haben Ihnen kurzfristig heute noch einen Antrag eingereicht: Halbpreispaß bei der Bundesbahn. Ich meine, daß da eben durchaus eine Alternative bestünde. Wenn Sie schon das System Autoverkehr dadurch subventionieren, daß Sie demjenigen, der weniger umweltschädlich mit Katalysator fährt, eine Steuervergünstigung geben, dann, meine ich, wäre es nur konsequent, daß Sie in noch stärkerem Maße denjenigen subventionieren, der noch weniger umweltschädlich fährt und die Bahn benutzt.
Da ist dann der Halbpreispaß ein geeignetes Mittel. Das könnte sofort eingeführt werden. Die Bundesbahn selbst beziffert ihre Verluste, ihre Einnahmeausfälle durch den Halbpreispaß auf einen Betrag zwischen 96 Millionen und 159 Millionen DM. Wenn ich damit vergleiche, daß die Mittel für den Straßenbau noch einmal um 405 Millionen DM aufgestockt werden, dann erscheint der genannte Einnahmeausfall durch den Halbpreispaß durchaus tragbar.
Ich darf noch auf etwas anderes hinweisen. Von Schiene wird geredet, aber Straßenbaupolitik wird betrieben. Ich möchte das, was ich meine, an einem zweiten Beispiel verdeutlichen, am Beispiel des alpenüberquerenden Güterverkehrs. Was gab es da für Zusagen! Seit Jahren wird davon geredet, der Verkehr müsse auf die Schiene verlagert werden. Bei der Verkehrsministerkonferenz 1985 in Rom wurde eine Reihe von Maßnahmen vereinbart. Was ist gemacht worden?
In der Bundesrepublik gar nichts! Die Österreicher haben die Umfahrung Hall-Innsbruck ausgebaut. Sie wird demnächst fertig. Sie müssen schon verstehen, daß die Alpenländer langsam sauer werden, wenn sie ihre Investitionen tätigen und Voraussetzungen dafür schaffen, daß der alpenüberquerende Verkehr in stärkerem Maße auf die Schiene verlagert werden kann, aber auf seiten der Bundesregierung und der Bundesbahn gar nichts getan wird.
Das Nachtfahrverbot, das die Österreicher für nicht lärmarme Lkws verhängt haben, ist nur konsequente Antwort auf die Politik, die da betrieben wird.
Aber was passiert denn? Alle reden von Schiene und sagen, man müsse sie ausbauen. In Wirklichkeit betreibt der Bundesverkehrsminister Retorsionsmaßnahmen, Wirtschaftssanktionen;
denn das Nachtfahrverbot, das er den Österreichernangedroht hat, ist ja eine nationale Diskriminierung,weil er es ausschließlich gegen österreichische Lkw auf bundesdeutschen Straßen verhängen will, anders als die Österreicher, die das von ihnen verhängte Nachtfahrverbot durchaus sowohl auf eigene wie auf fremde Lkw anwenden.
Insoweit hat diese Maßnahme den Charakter einer Wirtschaftssanktion.
Das bringt der Bundesverkehrsminister fertig.Gleichzeitig redet er von der Schiene. Aber ich frage: Wo sind denn die Mittel für den Schienenausbau? Der Wirtschaftlichkeitsvorbehalt für den Ausbau der Strecke München—Mühldorf—Freilassing ist entfallen. Aber gucken Sie in den Haushaltsplan 1990: Wo ist das Geld dafür, daß das gebaut werden kann? Nichts ist drin, kein Pfennig ist für diese Strecke drin.
Das muß man einfach einmal zur Kenntnis nehmen. So klar unterscheiden sich Reden und Handeln.
Ein weiteres Beispiel: Es wird immer vom ÖPNV geredet. Ich muß den Kollegen Purps korrigieren: Ich habe inzwischen ein Exemplar des ÖPNV-Programms der Bundesregierung mit Datum vom 20. November bekommen. Aber ich muß sagen: Was drin steht, ist eigentlich kein ÖPNV-Programm; das ist eine Bestandsaufnahme von Maßnahmen, die es im Grunde nicht Wert sind, erwähnt zu werden. Es muß klar sein: Wenn hier, Herr Verkehrsminister, immer von der Freiheit der Verkehrsmittelwahl geredet wird, dann muß diese Freiheit doch auch gesichert werden, es müssen Gelder bereitgestellt werden, und es muß ausgebaut werden, so daß überhaupt die Möglichkeit besteht, zwischen verschiedenen Verkehrsträgern zu wählen. Diese Möglichkeit besteht heute faktisch nicht. Wer nicht in einem Ballungsraum wohnt, hat eigentlich keine Alternative zum Auto. Es geht darum, diese Alternative wieder zu schaffen.
Eine Studie, die dies untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, daß für ein bundesweites flächendeckendes ÖPNV-Programm 157 Milliarden DM notwendig wären. Dementsprechend haben wir, angelegt auf 15 Jahre, eine Aufstockung um 10 Milliarden DM beantragt. Sie müssen in solche Größenordnungen gehen und klotzen. Wenn Sie wie die SPD mit 250 Millionen DM daherkommen, nützt das rein gar nichts. Wenn man etwas erreichen will, muß man in diesem Fall klotzen. Die entsprechenden Anträge von uns liegen vor, und ich bitte Sie, ihnen zuzustimmen.Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13715
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß gestehen: Nach dieser Energieleistung des Vorredners muß ich mich erst einmal ein bißchen erholen.
— Das werden Sie nachher feststellen können.Ich möchte zunächst einmal sagen, daß die FDP es als Freiheitspartei in der Tat mit den vier Verkehrsträgern gut meint, die den Bürgern dieses Landes zur Verfügung stehen, in welcher Funktion auch immer. Dies Thema eignet sich weder für Ideologie noch für Lautstärke oder verbale Heftigkeit; das kann ich nicht nachvollziehen.
Auch der Blick in die Nachbarländer ist zwar immer willkommen, dennoch muß man das eigene Land mit den eigenen Möglichkeiten, den eigenen Voraussetzungen und auch den eigenen Notwendigkeiten analysieren.
Schweiz hin, Schweiz her: Wir können uns nicht mit Luxemburg, mit der Schweiz oder mit den USA so ohne weiteres vergleichen. Man kann dazulernen; aber pauschales Übernehmen hilft wenig weiter.Ich stelle in aller Nüchternheit zunächst einmal fest: Wir haben nur die vier Verkehrsträger, die hier erwähnt worden sind: die Straße, die Schiene, die Wasserstraße und die Möglichkeiten des Luftverkehrs. Da muß man nüchtern abklopfen, welcher Verkehrsträger für welche Lebenszwecke was bieten kann und welche Unterstützung ihm zuteil wird.Wenn die Alternative, Herr Kollege von den GRÜNEN, so einfach wäre — auch der Kollege Rudolf Purps hat das, wenn auch etwas gemildert, angedeutet; „Straße entlasten" habe ich mir notiert, und „Hin zur Schiene" — dann hätten wir das ja längst praktiziert. Dann hätte aber die Bundesbahn gewiß nicht Schulden in einer Größenordnung von 40 bis 50 Milliarden DM, und dann müßten wir nicht die Hälfte des Verkehrsetats als jährlichen Beitrag dorthin überweisen. Die Sache wäre vermutlich schon in der Vergangenheit gelöst worden, wenn das so einfach machbar wäre. Aber das scheint diffiziler zu sein. Wenn wir dann vielleicht einmal eine Trasse hätten und wir das Geld haben und bauen wollen, dann sind Sie von den GRÜNEN möglicherweise die ersten, die gegen solche Trassen demonstrieren.
— Bei sieben Minuten Redezeit — sehen Sie es mir nach — möchte ich einige wenige Gedanken im Zusammenhang anbieten. — Ich sehe diese simple Alternative nicht.Kollege Purps, zur Entlastung der Straße. Kombiverkehr ist ein Ansatz. Straße entlasten kann aber nicht heißen — Sie haben das nicht direkt ausgesprochen, wollen sich aber so verhalten —, Mittel beim Straßenbau zu kürzen, d. h. die Straßen zu vernachlässigen, obwohl die individuelle Fahrleistung zugenommen hat. Erst vernachlässigen und sozusagen durch schlechtes Angebot den Verkehr irgendwo hinzuzwingen, das ist nicht unsere Vorstellung von der freien Wahl der Verkehrsträger. Das ist ein sehr trickreiches Vorgehen. Auch die Straßen oder die Umgehung nicht zu bauen, die Kurven zu lassen und nachher mit Tempolimit zu arbeiten, ist nicht die richtige Antwort; das finde ich nicht in Ordnung.
Vielmehr machen wir ganz kontinuierlich einen bedarfsgerechten Ausbau. Er wird sich nicht so sehr auf die Kilometerzahl beim Neubau beziehen, aber er wird sich darauf beziehen, die gebauten Kilometer in Ordnung zu halten. Der Ausbau wird sich darauf beziehen, Gefahrenquellen zu beseitigen; das wird Ortsumgehungen beinhalten, das wird Begradigungen, auch hie und da eine Ausweitung beinhalten. Das wird die Antwort sein, um den Bürgern die freie Wahl zu belassen. Der öffentliche Personennahverkehr — es ist vielleicht sowieso eine besondere Sache — ist ja nicht überall die Alternative. In Schleswig-Holstein ist es damit nicht so weit her. Da werden Sie die Bürger nicht begeistern können.
— Sie können nicht aus allen Flächen Ballungsgebiete machen. Das ist doch reine Theorie.
Sie können nicht aus der gesamten Republik Ballungsräume machen. Das widerspricht auch Ihrem Bild. Wo die Besiedlung schwächer ist, brauchen wir die Straße und können nicht überall Schienen hinbauen. Das ist doch völliger Unsinn.Also tun wir das, was ich eben angedeutet habe! Deswegen haben wir die Straßenmittel erhöht. Die SPD wollte sie kürzen, die GRÜNEN waren für totale Streichung. Aber die Zahl der Fahrzeuge und auch die individuelle Fahrleistung nehmen zu.
Also ist unser Vorgehen in diesem Bereich des Verkehrsträgers Straße ein sehr vernünftiges.
Bei den Wasserstraßen kann ich mich kurzhalten, obwohl ich Schleswig-Holsteiner, Norddeutscher bin. Ich hoffe, daß das Ministerium gerade auch angesichts der Entwicklung der DDR den Kanalausbau, die Fährverbindungen nach Skandinavien und die Verbindungen zur DDR im Auge hat. Sie sind in manchen dieser angedeuteten Bereiche nicht immer die zuerst Handelnden, aber Sie können Flankenschutz geben, Wege öffnen, damit Möglichkeiten im See- und Fährverkehr noch besser wahrgenommen werden können. Ansonsten ist dieser Bereich ganz gut ausgestattet. Neue Kanäle brauchen wir nicht zu bauen. Wir haben
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13716 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
ZywietzErhaltungsaufwand zu betreiben. Das läuft, soweit ich sehen kann, auch alles ganz vernünftig.Bleibt der kritischere Teil, der Luftverkehr. Dazu nur zu zwei Bereichen ein kurzes Stichwort. Zunächst zur Flugsicherung. Kollege Ekki Gries und andere, von allen Fraktionen, auch im Haushaltsausschuß — das darf man nicht unbescheiden in dieser Runde einmal sagen — haben sich da verdient gemacht und haben, wie man es so bildhaft ausdrückt, Druck gemacht, und die Sache kam in Bewegung. Ich hoffe, wir werden eine andere Organisationsform bekommen, die a) kostendeckend ist — —
— Ja, mit dem habe ich geredet, weil ich wußte, was hier von euch vorgetragen wird. Aber so ist das alles nicht. Es ist ja Schaumschlägerei, was da kommt. Ich habe mich da schon warm angezogen. — Die FDP und auch Minister Engelhard in Person sind für eine Neuorganisation der Flugsicherung. Wir alle sagen immer: Das Grundgesetz ist wichtig, die Rechtsstaatlichkeit ist wichtig. Wir müssen auch überprüfen, ob die Modelle, die wir uns vorgestellt haben, in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz sind. Nichts weiter als das wird dort sorgfältig geprüft. Uns in die verkehrte Ecke zu stellen und zu sagen, wir würden die Flugsicherheit nicht so ernst nehmen, ist totaler Nonsens. Vielmehr ist das ein Ernstnehmen von Gesichtspunkten aus dieser Richtung. Wenn die Prüfung es hergibt, die Beschränkungen zu überwinden, dann werden wir es tun, und wenn nicht, werden wir alle gemeinsam darüber reden, daß das Grundgesetz geändert wird. Das ist aber alles kein Anlaß für Diffamierungen.
Ich möchte noch zwei Sätze an die Adresse der Lufthansa richten. Wenn man schon auf unabsehbare Zeit die Verspätungen und die Unannehmlichkeiten nicht beseitigen kann, dann muß man sich etwas mehr einfallen lassen, um die Unannehmlichkeiten zu reduzieren. Man kann, wenn Termine platzen, wenn Maschinen drei Stunden später fliegen usw., die Fluggäste nicht sich selbst überlassen und sagen: Seht zu, wie ihr euch helft und wie ihr mit dem ganzen Ärger fertig werdet. Ich meine schon, es gehört zum teuerbezahlten Ticket, ein bißchen mehr Service zu haben, ein bißchen mehr Unterstützung beim Umdisponieren von Abholterminen, beim Umdisponieren auf neue Maschinen. Hier kann man nicht einfach salopp sagen: Käufer eines Flugtickets, sieh zu, wie du fertig wirst. Ich wünschte mir schon — ich habe hier viele Beobachtungen —
— Erfahrungen — , daß das Angebot der Lufthansa und anderer Unternehmen ein bißchen kundenfreundlicher wird.
Herr Abgeordneter Zywietz, derjenige Redner, der sich entsprechend unserer Geschäftsordnung verhält und frei spricht, wie Sie das tun, hat die allergeringsten Schwierigkeiten, pünktlich zum Ende zu kommen. Darum möchte ich Sie eigentlich bitten.
Ich weiß diesen angenehmen und geschickten Hinweis zu würdigen. Ich werde mich kurzfassen. Ich muß aber auch sagen, Herr Präsident: Ich weiß gar nicht, wie es zu diesen sieben Minuten kommt. Das ist im Rahmen einer solchen Debatte ein bißchen arg wenig.
Schlußendlich: die Schiene. Das wäre ein weites Kapitel. Aber es kommt nun leider zu kurz. Aber ich weiß es bei unserem Kollegen Kohn, der dazu ein Konzept vorgelegt hat, in guten Händen. Ich sage Ihnen für die FDP: Die Kommission ist gut und schön. Aber wir lassen uns nicht zu lange vertrösten, bis Ergebnisse kommen. Ein paar Dinge liegen so klar auf der Hand, daß man schnell tätig werden kann. Als Betriebswirt brauche ich keine Kommission, um festzustellen, daß man beispielsweise ein vernünftiges Rechnungswesen aufbauen muß, um richtig kalkulieren zu können.
Dazu braucht man keine Kommission. Das kann aus eigener Erkenntnis auf den Weg gebracht werden.
Bei diesem zu vielen roten Licht links und rechts muß ich es leider bei diesem einen Hinweis belassen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und stimme für die FDP dem Etat zu.
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr, Dr. Zimmermann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der wirtschaftliche Aufschwung der vergangenen sieben Jahre hat das Verkehrsaufkommen in Deutschland und in Europa kräftig ansteigen lassen. Alle Prognosen sind übertroffen worden. Die neuesten sagen weiteres Wachstum voraus.Die Binnenschiffahrt und die Bundesbahn sind wichtige Verkehrsträger in der Zusammenarbeit. Fast 25 % — das wird immer wieder übersehen — des Güterfernverkehrs läuft über die Binnenschiffahrt. Wir haben ein Wasserstraßennetz von 4 500 km. 45 von 60 Großstädten haben einen unmittelbaren Wasserstraßenanschluß. Die Netzergänzungen Main-DonauKanal — ein früherer Verkehrsminister sagte einmal: das unsinnigste Bauwerk der Welt —
— das dümmste; danke für die Korrektur — , die Ausbaumaßnahmen an der Saar und an weiteren Wasserstraßen, das alles läuft hervorragend und muß auch so laufen. Gesamtausgaben von 1,9 Milliarden DM für die Binnenschiffahrt, davon 800 Millionen DM Investitionen, das alles paßt ins Konzept.Mitte der 80er Jahre ist begonnen worden — unter meinem Vorgänger — , eine vollkommen neue Weichenstellung bei der Bahn vorzunehmen. Wer heute
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Bundesminister Dr. Zimmermannden parallelen Ausbau verschiedener Verkehrswege fordert, weiß ganz genau, daß das bei dieser Haushaltslage illusorisch ist, daß es Umweltgesichtspunkten widersprechen würde und auch dem verkehrspolitischen Ziel. Wettbewerb der Verkehrsträger, Zusammenarbeit der Systeme untereinander, wo jeder Verkehrsträger seine spezifischen Stärken einbringt: Dieses Konzept ist zukunftsträchtig, kein anderes.
Jetzt zur Bundesbahn. Schwerpunkt des Haushalts ist nicht die Straße, das ist die Bundesbahn. 12,7 Milliarden DM — das sind über 50 % des gesamten Verkehrshaushalts — kriegt die Bahn.
Wer will denn dazu noch etwas sagen? Das Verhältnis war doch niemals vorher auch nur annähernd so, wie es geworden ist.
Jetzt kommt gleichzeitig ein Stück Klage: Die Bahn hat einen Anteil von 6°/0 im Personenverkehr und einen von 26 % im Güterverkehr.
Das muß mehr werden, selbstverständlich.
Deswegen diese Investitionen.
In den 80er Jahren hat der Eigentümer Bund für die Deutsche Bundesbahn knapp 130 Milliarden DM aufgebracht. Das ist mehr als die gesamten Investitionen im Bundesverkehrswegeplan in den Jahren 1986 bis 1995.
Das heißt, mit Geld allein ist der Bahn natürlich nicht geholfen,
auch mit kurzatmigen Konzepten nicht. Da hat es unter den Regierungen der 70er Jahre eine Fülle von Konzepten gegeben, die alle nicht gegriffen haben.
Von den Altschulden war die Rede. Von der Regierungskommission erwartet niemand Wunder. Aber ihre ausgewogene Zusammensetzung soll ja ein langfristiges Konzept für den Verkehrsträger Bahn bringen, nicht etwas, was wir heute oder 1990 oder 1991 entscheiden, sondern ein Gesamtkonzept über das Jahr 2000 hinaus. Nur so, nichts anderes.
Keiner von uns wird sich für unterlassene Maßnahmen entschuldigen, auf die Kommission deuten und sagen wollen: Die haben noch nichts gesagt. — Das werden wir nicht tun.
Auch die Vorschläge, die die EG-Kommission am 22. November dieses Jahres verabschiedet hat und demnächst dem Rat vorlegen wird, werden zu prüfen sein. Da geht es um eine Neuorganisation des gesamten europäischen Eisenbahnnetzes. Das heißt, die Schiene hat Zukunft, in ganz Europa.
Und auch die EG-Kommission denkt, wie ich meine, mit Recht an eine rechnerische Trennung der Kosten der Infrastruktur und der Kosten des Bahnbetriebes.
Die Bahnbetriebe sollen die Infrastruktur gegen eine Wegeabgabe benutzen können. Die EG-Kommission denkt insbesondere auch an ein Recht zur Nutzung der Schieneninfrastruktur in anderen Mitgliedsländern.Kombinierter Verkehr war das nächste Stichwort: Immerhin hat sich hier in den letzen acht Jahren die Gütermenge von 11 auf 21 Millionen t fast verdoppelt. Wir haben erstmals einen zweckgebundenen Investitionstitel mit einem Ansatz von 80 Millionen DM für Terminals für den kombinierten Verkehr. Das muß mehr werden in den nächsten Jahren, selbstverständlich.
In zehn Jahren sollen auf diesen Terminals dann rund 3 Millionen Lkw abgefertigt werden.Hochgeschwindigkeit: 1991 wird das Intercity-Expreß-Zeitalter beginnen. Europa erlebt überhaupt eine Renaissance der Bahn. Der Kanaltunnel wird ein Eisenbahntunnel sein.
Die Alpentransversalen der Schweiz sind Eisenbahntunnels. Der Brennerbasistunnel, mit 54 km Länge der längste der Welt, mit 10 Milliarden DM Kosten, ist ein Eisenbahntunnel. Das alles zeigt doch, meine Damen und Herren: Wir verkennen die Rolle der Bahn in Deutschland und in Europa in überhaupt keiner Weise. Wir setzen auf die Bahn.
— Die Schiene hat Zukunft.Und in den 90er Jahren werden wir ein Schnellbahnnetz gebaut haben, das Paris, Brüssel, Köln, Amsterdam und Frankfurt via Paris — Ostfrankreich — Südwestdeutschland miteinander verbindet.Auch die skandinavischen Länder setzen bei der Anbindung ihres Wirtschaftsraumes über den Großen Belt auf die Schiene.
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13718 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Bundesminister Dr. ZimmermannDas heißt, eine attraktive und leistungsfähige Bahn wird dazu beitragen, die Straße zu entlasten. Daß das nicht von heute auf morgen geht, weiß jeder.Und nun auch ein paar Worte zu den Straßen: Wir bauen keine neuen Autobahntransversalen Nord-Süd oder Ost-West.
— Einverstanden.Es ist beklagt worden, daß wir eine bescheidene Erhöhung der Straßenbaumittel für das nächste Jahr haben. Damit führen wir nur das aus, was der Bundestag 1985 beschlossen hat und was als „Dringender Bedarf" bis zum Jahre 2000 erfüllt werden soll, nichts sonst.
Wir bauen keine zusätzlichen Straßen. Wir brauchen für die Jahre 1991 und folgende Mittel, die wesentlich über diese Erhöhungen hinausgehen, um dem Auftrag des Gesetzgebers gerecht zu werden. Und damals hat auch die SPD diesem Bundesverkehrswegeplan und diesem Straßenbaubedarf zugestimmt.
Da muß ich nur sagen, Herr Kollege Purps: Wenn ich Ihnen mal die Liste Ihrer Kollegen Sozialdemokraten aus Bund, Ländern und Gemeinden geben würde, die bei mir Straßen und Straßenbaumittel wollen, dann würden Ihnen die Augen übergehen. Das wäre eine lange Liste.
— Ich will dem Datenschutz hier den Vorzug vor der Indiskretion geben.Wir machen doch nur mehr Lückenschlüsse, wir machen doch nur mehr Ortsumgehungen. Wer da manche Bundesstraße sieht, die durch Orte geht, wo die Einwohner in einem Maße belastet sind, daß einem wirklich das Grauen kommt, der wird doch verstehen müssen, daß diese Straßen um die Orte herum gebaut werden müssen. Da kann man doch nicht die Straßenbaumittel kürzen. Das wäre doch Wahnsinn!
Öffentlicher Personennahverkehr 1,3 Milliarden DM, kommunaler Straßenbau 1,25 Milliarden DM. Sind denn das keine Beträge? Am 14. Dezember 1989 hat mich der Oberbürgermeister von München eingeladen, um das dritte U-Bahn-Stück, das in diesem Jahr in diesem Ballungszentrum fertig geworden ist, mit einzuweihen. Täglich passiert auf diesem Gebiet etwas.
— Nicht nur immer in München, auch anderswo, aber natürlich in München besonders gern, wie Sie verstehen werden. Kinder, laßt doch die Kirche im Dorf! Auf diesem Gebiet geschieht ungeheuer viel im Rahmen des finanziell Möglichen.Noch ein Wort zur Luftfahrt: 640 Millionen DM für Flugsicherung, fast 10 % mehr als im Vorjahr für flugsicherungstechnische Einrichtungen. Natürlich gibt es einen Berg von Problemen bei der bisherigen Organisation der Flugsicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben uns deshalb für eine Flugsicherung auf privatrechtlicher Basis in Form einer GmbH entschieden, die voll kostendeckend betrieben werden wird. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die ein ehemaliger Innenminister nicht geringschätzt, die des Innenministers hat er überwunden, die des Justizministers noch nicht ganz.
— Es reduziert sich auf die Bedenken eines Staatssekretärs im Justizministerium, möchte ich hier einmal verkürzt antworten; aber auch die werden überwunden werden. Sie sind überwindbar, und dann werden wir eine Organisationsprivatisierung beschließen, damit daß Gesetzgebungsverfahren eingeleitet werden kann. Zwei bis drei Jahre wird das dauern; darüber muß sich jedermann im klaren sein.Aber damit nicht genug: Wir streben natürlich die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Flugsicherung an. Ich hatte, bevor ich hierher kam, ein langes Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Lufthansa, mit dem Unternehmensberater Roland Berger, wo wir uns bereits über die Organisationsfähigkeiten einer solchen neuen Flugsicherung schlüssig geworden sind und einen Planungsauftrag vergeben haben. Wir brauchen eine internationale Zusammenarbeit — das ist völlig klar — , wir brauchen eine betrieblich-technische Integration in der Flugsicherung, wir brauchen gleiche Standards in der Flugsicherung in unserem gesamten europäischen Raum.Ein Wort zu den Bundeswasserstraßen: 1,87 Milliarden DM sind veranschlagt, 800 Millionen DM Investitionen.Die Handelsflotte hat sich stabilisiert; die Tonnage ist gestiegen. Wir haben heute mehr deutsche Seeleute entgegen allen Schwarzmalereien als vorher. Wir gewähren im nächsten Haushaltsjahr Schiffahrtshilfen in Höhe von 120 Millionen DM. Ich glaube also, auch hier haben wir eine Bilanz, die sich durchaus sehen lassen kann.Der Binnenmarkt steht vor uns. Wir haben 22 unserer Grenzen mit der Schweiz und Österreich gemeinsam, 80 % des Transitverkehrs durch diese Staaten ist EG-Verkehr. Das heißt, auch die EG muß ihren Beitrag zur Lösung der Probleme im Alpentransit leisten.35 % unserer Grenzen zu den Staaten des RGW sind Tatsache; die Öffnung gibt neue Perspektiven für den West-Ost-Verkehre, denn bisher hat sich um den West-Ost-Verkehr aus den bekannten Gründen in den letzten 40 Jahren fast nichts getan. Wir haben vorwiegend Nord-Süd-Verkehr gehabt. Das heißt, wir stehen hier vor einer völlig neuen Situation.In einem kaum vorstellbaren Ausmaß strömen nun die Menschen, es gibt neue Besucherströme. Nach dem zweiten Besuch von Bundesminister Seiters in einer Woche
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13719
Bundesminister Dr. Zimmermann— die Redezeit ist noch nicht um — wird ein Treffen zwischen dem zuständigen Mann der DDR für den Verkehr, Herrn Scholz, und mir stattfinden. Ich möchte daher heute nicht über Einzelheiten sprechen.Aber eines möchte ich sagen: Wir haben für Reichsbahn und für Bundesbahn Wochen hinter uns, wo wir Verkehre mit 300 bis 400 % des Normalen gehabt haben. Die Leute haben klaglos auf beiden Seiten Ungeheures geleistet. Dafür möchte ich hier ausdrücklich danken.
Soweit Menschenwerk reicht, glaube ich sagen zu können, daß wir mit dem vorliegenden Haushalt den uns möglichen vorhersehbaren verkehrspolitischen Aufgaben gerecht werden. Wir haben ganz neue und große Zukunftsaufgaben in der Verkehrspolitik der nächsten Jahre vor uns. Das ist klar, darüber wird im nächsten Jahr zu reden sein. Das muß in den zukünftigen Haushalten und in den mittelfristigen Finanzplanungen seinen Niederschlag finden. Ich hoffe da auf Ihre Unterstützung.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, dann können wir zur Abstimmung kommen. Ich lasse über die Änderungsanträge in der Reihenfolge der Drucksachennummern abstimmen.
Zunächst einmal lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN, Drucksache 11/5775 abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der SPD, der CDU/ CSU und der FDP abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5776? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter Nr. IX? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei unterschiedlichem Verhalten der Fraktion DIE GRÜNEN
ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5885? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Wer für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5913 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der FDP, CDU/CSU und SPD abgelehnt worden.
Ich lasse nunmehr über den Änderungsantrag des Abgeordneten Weiss auf Drucksache 11/5922 abstimmen. Wer für den Änderungsantrag des Abgeordneten Weiss ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dieser Antrag ist mit der gleichen Mehrheit wie der Antrag auf Drucksache 11/5913 abgelehnt worden.
Wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 12, Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, ab. Wer diesem gesamten Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist der Einzelplan 12 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen worden.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Einzelplan 23 auf:
Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
— Drucksachen 11/5569, 11/5581 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Dr. Neuling
Frau Seiler-Albring Frau Rust
Es liegen Änderungsanträge von der Fraktion DIE GRÜNEN und der SPD vor, und zwar auf folgenden Drucksachen: 11/5806, 11/5807, 11/5821 , 11/5882 unter Nr. XIV, 11/5890, 11/5891 Nr. 1.
Der Ältestenrat, meine Damen und Herren, schlägt eine Beratungszeit von einer Stunde vor. — Einwendungen dagegen werden nicht erhoben. So ist dies beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir uns im zeitlichen Ablauf schon sehr verspätet haben. Es ist also keiner der Redner verpflichtet, unbedingt die vorgesehene Redezeit voll auszunutzen. Das Präsidium und die Kollegen — das nehme ich an — sind Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie sparsam mit der Ihnen zur Verfügung stehenden Redezeit umgehen.
Nun bitte ich den Abgeordneten Esters, das Wort zu ergreifen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag stellt die diesjährigen Haushaltsberatungen zu Recht ganz in das Zeichen der großen Veränderungen, zu denen die Volksbewegungen in Osteuropa und in der DDR mit einem Elan ohnegleichen die Freiräume nutzen, die sich ihnen durch die Umgestaltung der sowjetischen Innen- und Außenpolitik eröffnet haben.Die Anforderungen, die diese Entwicklung an uns und unsere ökonomischen Möglichkeiten stellt, schlagen sich in diesem Haushalt aber nur rudimentär nieder. Je entschiedener wir die Veränderungen ermutigen, desto größer wird unsere Verpflichtung zu helfen. Die eigentliche Nagelprobe, ob unser Enthusiasmus eher rhetorisch oder mit Taten belegbar ist, liegt daher noch vor uns.Dem vorliegenden Entwurf des Einzelplans 23 ist die Einrichtung eines neuen Titels „Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Volksrepublik Polen und der Republik Ungarn" zu entnehmen.
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13720 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
EstersDie sozialdemokratische Bundestagsfraktion würde es vorziehen, einen solchen Titel in den Einzelplan 60 einzustellen.
Auf diese Weise würden nicht nur augenfällige unterschiedliche Bedingungen zwischen den osteuropäischen Ländern und den Ländern der Dritten Welt berücksichtigt, sondern es würde zugleich zum Ausdruck gebracht, daß der zu erwartende künftige Aufwuchs der Hilfen für Mittel- und Osteuropa vom Volumen her völlig außerhalb der normalen Haushaltssteigerungsraten liegen wird und daß solche Aufwüchse nicht zu Verdrängungen im normalen Rahmen des Einzelplans 23 führen dürfen.
Ungeachtet dessen aber, daß wir die Form der Veranschlagung für mißverständlich halten, sind wir durchaus der Auffassung, daß das differenzierte Instrumentarium der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die Erfahrungen der dort wirkenden Organisationen — z. B. die Carl-Duisberg-Gesellschaft, die GTZ, die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung, die Kreditanstalt für Wiederaufbau — herangezogen werden sollten, um die Stärkung der ökonomischen Leistungskraft in Mittel- und Osteuropa zu unterstützen.Bei aller Verschiedenheit gibt es doch gemeinsame Strukturprobleme mit Ländern der Dritten Welt, zu denen undemokratische Machtstrukturen, eine Zentralverwaltungswirtschaft mit starrer Bürokratie, das Fehlen von privatwirtschaftlichen Initiativen, hohe Auslandsverschuldung, enormer Kapitalbedarf und schwerwiegende Umweltzerstörungen gehören.Es ist deshalb zwar nicht von der Form, wohl aber vom Inhalt her ein richtiger Ansatz, wenn die in den genannten neuen Titeln bereitgestellten Ansätze und Verpflichtungsermächtigungen für Vorhaben zur Förderung der gesellschaftlichen Vielfalt und der Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Verwaltung bestimmt werden, um den Willen zur Selbsthilfe und Maßnahmen der Selbsthilfebewegungen in gesellschaftlichen Gruppen wie Gewerkschaften, Parteien oder Verbänden zu unterstützen. Der Aufbau und die Leistungsfähigkeit von Klein- und Mittelbetrieben einschließlich der beruflichen Aus- und Fortbildung von Fachkräften gehört ebenso zum Programm einer Dezentralisierung der Wirtschaft wie die Ausbildung des entsprechenden Managements.
Es ist deshalb folgerichtig, wenn Polen und Ungarn von sich aus den Wunsch zu erkennen geben, in Analogie zu den Entwicklungsländern behandelt zu werden, um ebenfalls in die vollen Möglichkeiten, wie sie die Vergünstigungen bei der finanziellen und technischen Zusammenarbeit bieten, einbezogen zu werden.Wir unterstützen die Haltung, die die Bundesregierung hierzu einnimmt.
Wir unterscheiden uns allerdings in einem wichtigen Punkt deutlich von Teilen der Bundesregierung und von Teilen der größeren Koalitionsfraktion: Wie wir die rigorosen und oftmals sozialschädlichen Auflagen ablehnen, von denen Weltbank und Währungsfonds Hilfsmaßnahmen an Länder der Dritten Welt abhängig machen, so lehnen wir es ebenso deutlich ab, wenn Hilfen an die DDR oder osteuropäische Länder an Vorbedingungen geknüpft werden, die die soeben erst erkämpfte Selbstbestimmung erneut durch Fremdbestimmung von außen einschränken.Vertrauen wir doch darauf, daß die Menschen in der DDR aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben
und jetzt selber am besten wissen, welchen Weg sie in die Zukunft gehen wollen. Deshalb stimmen wir den Warnungen des Bundesaußenministers vor Bevormundungen ausdrücklich zu.
Die Ereignisse in Osteuropa und in der DDR haben Konflikte in den Hintergrund treten lassen, die noch vor Jahresfrist — ich denke an die IWF-Tagung in Berlin — die Öffentlichkeit heftig beschäftigten. Wir dürfen aber hierbei nicht vergessen: Sämtliche Probleme der Dritten Welt bestehen fort, und sie verschärfen sich zu einem erheblichen Teil weiter. Ich verweise auf die jüngste Studie der Weltbank über Subsahara-Afrika, wonach die Pro-Kopf-Einkommen ständig sinken, der Hunger wächst und die Verwüstung der Umwelt voranschreitet. Deshalb fordert die Weltbank, daß die westlichen Geberländer, um eine Katastrophe abzuwehren, ihre Entwicklungshilfe-Leistungen in den nächsten zehn Jahren jährlich real um 4 % steigern. Diese dramatischen Aussichten berühren auch uns unmittelbar. Wir müssen auch der Gefahr widerstehen, daß der Rang der Entwicklungspolitik zurückgestuft wird, weil mit der Abnahme des Ost-West-Konflikts das Ringen um Einflußsphären an Bedeutung verloren hat. Das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, das ihr gerade in der gegenwärtigen europäischen Lage zugute kommt und Mißtrauen gar nicht erst aufkommen läßt, beruht unter anderem auf einem friedensfördernden, nicht machtpolitisch angelegten Verständnis unserer Entwicklungspolitik.
Gemessen an den Forderungen der Weltbank zu Schwarzafrika, aber auch an unseren eigenen langfristigen Vorgaben, ist leider festzustellen, daß der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt in den letzten Jahren erheblich gesunken ist.
Während der volkswirtschaftliche Reichtum der westlichen Industrieländer wächst, haben die Entwicklungsländer am langfristigen konjunkturellen Aufschwung wenig Anteil. Denn neben anderen Ursachen bestehen die für sie ungünstigen Terms of Trade fort. Ich nenne vor allem den Landwirtschaftsprotektionismus und die niedrigen Rohstoffpreise.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13721
EstersAngesichts der schlechten Lage vieler Entwicklungsländer und ihrer riesigen Auslandsverschuldung ist es besonders zu beanstanden, daß Bundesregierung und Koalition den Versprechen des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung 1987, wo es hieß: „Wir wollen Rückflüsse aus der Kapitalhilfe schrittweise wieder zur Finanzierung neuer Maßnahmen einsetzen" , keine Taten haben folgen lassen. Die im Bundeshaushalt 1988 für solche neuen Maßnahmen vorgesehenen 100 Millionen DM sind durch haushaltstechnische Manipulationen des Bundesfinanzministeriums auf lediglich 31 Millionen DM geschrumpft. Für den Bundeshaushalt 1989 hat der seinerzeit zuständige Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss dem Haushaltsausschuß ausdrücklich zugesichert, daß der BMZ sogleich zu Jahresbeginn über Rückflüsse in Höhe von 120 Millionen DM werde verfügen können. Ungeachtet dieser Zusage werden es 1989 erneut nur rund 38 Millionen DM sein. Und es ist zu befürchten, daß sich dieser Vorgang bei den nunmehr ausgewiesenen 200 Millionen DM wiederholen wird.
Ich bewerte es als eine Absurdität besonderer Art, bilateral und multilateral über Schuldenerlasse und Umschuldungen zu verhandeln und gleichzeitig Rückflüsse aus eben diesen Schuldnerländern zum größeren Teil zur allgemeinen Haushaltsfinanzierung in unserem Land zu verwenden.
Ich bedaure, daß die Kollegen der Koalition sich abermals der Anregung verschlossen haben, aus den Rückflüssen gemischte Fonds mit geeigneten Ländern zu bilden, aus denen gezielt Strukturen in der Landwirtschaft und in der gewerblichen Wirtschaft verbessert werden können.Angesichts der Hartleibigkeit der Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen
ist es allerdings positiv zu bewerten, daß die ärmsten Entwicklungsländer finanzielle Hilfe nur noch in Form von Zuschüssen und nicht mehr als Darlehen erhalten und daß dasselbe allgemein für Umweltschutzmaßnahmen gilt. Immerhin sind davon 40 % der finanziellen Zusammenarbeit betroffen. Dies begrüßen wir ausdrücklich.Wie zur Behandlung der Rückflüsse, so wiederhole ich auch meine Kritik aus dem Vorjahr, daß im Entwicklungshaushalt Beiträge der Bundesrepublik Deutschland für Strukturanpassungskredite des IWF und Zinssubventionen für die Umschuldung von Handelsschulden veranschlagt werden. Ich bleibe dabei, daß dies Aufgaben des Bundesfinanzministers oder der Bundesbank sind und daß das Ausgabevolumen des BMZ um diese Beträge künstlich gesteigert wird, ohne daß das BMZ und damit auch das Parlament dabei entwicklungspolitische Gestaltungsmöglichkeiten hätten.
Im erwähnten Subsahara-Bericht der Weltbank ist nicht nur eine Steigerung der Entwicklungshilfeleistungen, sondern auch eine radikale Neubewertung der technischen Hilfsprogramme gefordert. Dazu gehört sicherlich, daß wir unsere Aufmerksamkeit verstärkt darauf richten müssen, daß bei uns ausgebildete Fachkräfte aus der Dritten Welt in ihre Heimatländer zurückkehren, um dort qualifizierte Arbeitsplätze einzunehmen und ausländische Experten zu ersetzen.Da die Rückkehrer in aller Regel Berufsanfänger sind, hat die GTZ ein darauf zugeschnittenes Projektassistentenprogramm vorgeschlagen, über das eine Mitarbeit z. B. in GTZ-Projekten finanziert wird. Herr Minister, ich bitte Sie sehr herzlich, auf dieses Programm zurückzugreifen und die angelaufenen Reintegrationsmaßnahmen — Duisburger Modell — zielstrebig fortzusetzen.Ich möchte wiederholen, daß unsere Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten nur glaubhaft sind, wenn sie mit Taten belegt werden. Mittlerweile sind auf dem südamerikanischen Kontinent die Militärdiktaturen abgelöst oder stehen zur Ablösung durch gewählte Regierungen an. Und doch ist z. B. die Präsidentschaft Alfonsins in Argentinien wenig unterstützt worden — höchstens verbal —,
teilweise auch deshalb, weil die Hürden, die der IWF und die Weltbank für Hilfen gesetzt hatten, unannehmbar hoch waren. Die Weltbank räumt selbstkritisch ein, daß sie künftig Strukturanpassungen nur mit einer bewußten Abfederung der sozialen Härten für die ärmsten Bevölkerungsschichten praktizieren will.Ich hoffe, daß das Finanzministerium, das ja bei IWF und Weltbank ein gewichtiges Wort mitspricht, diese Kritik auch auf sich bezieht. Wir sind namentlich gegenüber Chile im Wort, wo wir den demokratischen Oppositionsparteien helfen, wo wir können. Wir dürfen sie nach der erhofften Regierungsübernahme nicht im Stich lassen. Dort wie auch in Namibia, wo freie Wahlen bereits stattgefunden haben, sind wir schon aus geschichtlicher Beziehung heraus in der Pflicht. Zu Namibia rate ich, daß unsere politischen Stiftungen nachdrücklich die Herausbildung der neuen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen fördern helfen.Ich möchte Ihnen, Herr Minister, sehr herzlich dafür danken, daß Sie in der augenblicklichen Situation die im Haushalt 1989 zur Verfügung stehenden Mittel für El Salvador im Bereich der finanziellen und der technischen Zusammenarbeit nicht zu gewähren beabsichtigen, sondern diese Mittel umschichten wollen. Ich hoffe, Sie werden dies auch im Jahre 1990 tun, falls die Verhältnisse so bleiben, wie sie zur Zeit sind.
Bundesregierung und Koalition bleiben aufgefordert, die uns zuwachsenden Aufgaben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Osteuropa mit den nicht geringer gewordenen Anforderungen der Dritten Welt zu verbinden. Die nachrangige Behandlung und Ausstattung des Entwicklungshilfeetats, der von Anfang an ein Stiefkind dieser Bundesregierung gewesen ist,
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13722 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Estersist heute unangemessener denn je. Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Dr. Neuling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erst einmal ein verbindlicher Handgruß hinüber zu dem Kollegen Esters.
— Handgruß habe ich gesagt. —
Ich möchte Ihnen vorrangig für die kollegiale und partnerschaftliche Einarbeitung, wie sich das unter Haushaltsausschüßlern gehört, danken. Ihnen herzlichen Dank an erster Stelle.Damit wir hier nicht zu sehr in Gemeinsamkeit machen, Herr Kollege Esters, auch ein Wort in Richtung ODA BSP-Quote. Sie haben Ihre Rede ja wieder zum Anlaß genommen, darzustellen, welchen geringen Stellenwert die Entwicklungspolitik bei uns angeblich hat.
Hierzu ist erst einmal folgendes festzuhalten: Wir haben von Ihnen 1982 eine Quote von 0,5 % und ebenso zerrüttete Staatsfinanzen geerbt.
— Man kann die Wahrheit nicht oft genug wiederholen. — Ausgangspunkt jeder Sanierung ist, daß die Staatsausgaben in geringerem Umfang als das Bruttosozialprodukt steigen. Nun weiß jeder, selbst diejenigen in der SPD, die keine Mengenlehre gehabt haben,
daß bei einer derartigen Konstruktion der Anteil jedes Einzelplans unter dem Anteil liegen muß, den er vorher gehabt hat. Das heißt: Eine solide Finanzpolitik bedingt schlicht und einfach, daß diese Quote sinken muß. Herr Kollege Esters, wir haben uns für solide Finanzen entschieden, für eine kontinuierliche Entwicklungspolitik. Sie haben sich für zerrüttete Finanzen und eine unsolide Finanzpolitik entschieden. Ich glaube, unser Weg ist der richtige.
— Der Einstieg war nicht schwach. Er paßt Ihnen nicht. Aber der Sinn der Diskussion kann nur sein, daß wir als diejenigen, die in den letzten sechs oder sieben Jahren Ihre schlechte Finanz- und Wirtschaftspolitik korrigiert haben, diesen Umstand auch bei diesem Einzeletat immer wieder darstellen müssen.Ich will auf einige Punkte in der Diskussion eingehen, die mir bei der Darstellung der Veränderungen im Rahmen der Beratung dieses Einzeletats wichtig sind.Ich halte es zum einen für wichtig, daß die Entwicklungshilfe stärker mit der Wirtschaftspolitik in den jeweiligen Entwicklungsländern korrespondieren muß. Das hat nichts mit Voraussetzungen oder Vorbedingungen zu tun. Ich glaube vielmehr, daß gerade in den einzelnen Ländern Wachstumskräfte freigesetzt werden müssen bzw. wirtschaftliches Wachstum gefördert werden muß. Einen Ansatz für das inländische Wachstum sehe ich in der konsequenten Existenzförderung von kleinen und mittleren Unternehmen, die in jeder Volkswirtschaft der eigentliche Motor für Wachstum und Wohlstand sind. Von daher — ich sage noch einmal: das hat nichts mit Vorbedingungen zu tun — müssen unsere Erfahrungen und Erkenntnisse, die wir mit der sozial verpflichteten Marktwirtschaft haben, in die Ausgestaltung der Instrumente unserer Entwicklungspolitik einfließen. Wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung des einzelnen sind dabei die Voraussetzung für eine dynamische Wirtschaftsentwicklung.Deshalb müssen wir in Zukunft möglicherweise noch strenger darauf achten, daß in den Entwicklungsländern wirtschaftliche Dynamik nicht durch staatliche Reglementierung behindert werden darf. Es gibt weltweite Herausforderungen wie Umweltschutz und Armut. Diesen Herausforderungen werden wir weltweit nur dann begegnen können, wenn es gelingt, das wirtschaftliche Wachstum in möglichst vielen Ländern so zu entwickeln, daß diese Länder auch aus eigener Kraft einen Beitrag zur Lösung der globalen und die Welt bedrohenden Probleme leisten können und auch leisten müssen. Das heißt im Kern auch, daß wir Abschied nehmen müssen von zu starren Länderquoten.
Wir sollten vielmehr flexibler auf die jeweiligen Fortschritte in den einzelnen Entwicklungsländern reagieren.
Entwicklungsländer, die eher dazu bereit sind, entsprechende Wirtschaftsreformen durch ihre Politik nachhaltig zu unterstützen, müssen von uns daher ermutigt werden, diesen Weg auch konsequent fortzusetzen.
Je stärker sich die Wachstumskräfte in den Entwicklungsländern selbst entwicklen, um so eher bietet sich auch für die Menschen in diesen Ländern eine positive Perspektive. Haben die Menschen wieder eine Perspektive, dann bleiben sie natürlich auch in stärkerem Maße in den eigenen Ländern. Wir wissen, daß der überwiegende Teil der Flüchtlinge heute aus Entwicklungsländern in Entwicklungsländer flieht. Neben den direkten Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit leisten wir so auch einen indirekten Beitrag, um die Flüchtlingsaufnahmeländer in der Dritten Welt nachhaltig zu entlasten.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13723
Dr. NeulingIch möchte nun zu einzelnen Positionen des Etats Stellung nehmen. Zum einen ist festzuhalten: Auch dieser Etat steigt überproportional, nämlich um 3,9 %.
Auch hier noch einmal eine Erinnerung an die sozialliberale Koalition, Herr Kollege Esters: Der Anteil des BMZ am Haushaltsetat zwischen 1969 und 1982 war nie höher als 2,5 %. Er lag in den 70er Jahren bei 1,8 % bis 1,9 % . Bei uns ist er nach wie vor bei 2,5 % . Was Sie uns also vorwerfen, haben Sie im Grunde genommen zwischen 1969 und 1982 genauso gemacht.
Das heißt: Sie sind eigentlich unglaubwürdig in Ihrer Kritik.
Herr Kollege Esters, Sie haben in guter Offenheit, wie ich finde, auch die Diskussion um die Höhe der Rückflüsse dargestellt. Ich danke Ihnen auch dafür, daß Sie anerkannt haben, daß sich die Koalitionsfraktionen auch insoweit bewegt haben, als sie die Sicherheitsmarge bei den Einnahmen um 80 Millionen DM erhöht haben, um sicherzustellen, daß auch im Jahre 1990 das Ministerium mit zusätzlich 200 Millionen DM bei der finanziellen Zusammenarbeit rechnen kann.
Ich finde, hier ist ein Durchbruch in den Berichterstattergesprächen zugunsten des zuständigen Ministeriums erzielt worden.Ich meine auch, daß Sie die Problematik der Lösung der finanziellen Strukturprobleme in der mittelfristigen Finanzplanung der Entwicklungshilfe zu Recht angeschnitten haben. Die Zahlen sind eindeutig. Wir kennen sie. Der multilaterale Anteil wird sich von 27,5 % auf 35 % steigern. Im Gegensatz dazu wird der Anteil der bilateralen staatlichen Entwicklungshilfe von 54 % auf 44 % sinken. Dieser Rückgang wird ausschließlich zu Lasten der finanziellen bilateralen Zusammenarbeit gehen. Ich glaube auch, daß in den kommenden Jahren, mit Beginn der neuen Legislaturperiode, hier eine entsprechende Weichenstellung vorgenommen werden muß,
um diesem Ziel gerecht zu werden. Das heißt: Sowohl die bilaterale als auch die multilaterale Entwicklungshilfe hat man auf stabilem Niveau fortzuführen. Wenn die multilaterale Entwicklungshilfe steigt, darf dies nicht zu Lasten der bilateralen Hilfe gehen; dementsprechend muß daneben der Einzelplan aufgestockt werden.
Herr Kollege Esters, Sie haben auch zu Recht darauf hingewiesen, daß wir ausführlich den Zuschußbereich und den Anteil an der finanziellen bilateralen Hilfe besprochen haben. Im Kern geht es um die Armutsbekämpfung, Vorhaben der sozialen Infrastruktur und Umweltschutz.Wir haben feststellen müssen, daß sich die beiden Ressorts, BMF und BMZ, nicht haben einigen können, welche Projekte in welchem Umfang durchzuführen sind. Ich möchte hier ausdrücklich betonen: Ich habe eigentlich für beide Haltungen Verständnis. Ich habe Verständnis dafür, daß für das Entwicklungshilfeministerium auf der einen Seite die entwicklungspolitischen Gesichtspunkte im Vordergrund stehen müssen, und ich habe Verständnis für das Finanzministerium auf der anderen Seite, das sich zu Recht fragt, warum denn jedes Projekt immer über Zuschüsse abgewickelt werden soll. Ich meine, wir haben den gordischen Knoten durchschlagen, Frau Kollegin Seiler-Albring, Herr Kollege Esters, gemeinsam, indem wir diesen Plafond mit 20 % festgelegt haben. Das sind immerhin rund 470 Millionen DM im Jahre 1990, die eingesetzt werden können, um globalen Herausforderungen wirkungsvoller zu begegnen. Ich sage noch einmal: Dazu gehören auch für mich im wesentlichen die Schaffung sozialer Infrastrukturen, mehr Umweltschutz und weniger Armut in der Welt.
Unter Berücksichtigung der Zuschüsse an die ärmeren Entwicklungsländer, die nunmehr auch bei ca. 20 % angesiedelt sein werden, wird somit der Anteil der Zuschüsse im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit bei ca. 40 % liegen. Das ist ein Betrag von immerhin ca. 1 Milliarde DM. Ich glaube schon, das ist ein deutliches Bekenntnis dieser Regierung und insbesondere auch ein wichtiges Ergebnis aus den Gesprächen unter den Berichterstattern: Wir wollen Entwicklungspolitik den jetzigen Bedingungen anpassen, d. h. mehr Zuschüsse — ich sagte es schon einmal — für mehr Umweltschutz und für weniger Armut in dieser Welt.
Sie haben dann zu Recht auf den neuen Titel, den wir für die Volksrepublik Polen und die Republik Ungarn eingerichtet haben, hingewiesen— das war ein Schwerpunkt Ihres Beitrages — und haben das erläutert. Der Ordnung halber weise ich darauf hin, daß die Drucksache 11/5581 auf Seite 83 entsprechend zu ändern ist.
— Das weiß ich, Herr Kollege. Aber es muß leider hier gesagt werden.
Vielleicht erkundigen Sie sich einmal über parlamentarische Gepflogenheiten und reden nicht immer so dazwischen.
Für mich waren zwei Kriterien ganz entscheidend, Herr Kollege Esters, und wir haben das ja auch beide in aller Offenheit diskutiert. Wichtig gerade für Länder wie Ungarn, aber insbesondere auch für Polen sind Fachkräfte.
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13724 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Dr. NeulingAlles Kapital wird nichts nutzen, wenn es nicht Menschen gibt, die so ausgebildet sind, um dieses zur Verfügung gestellte Kapital auch wirklich in rentable Projekte umzusetzen.
Und die entsprechenden Instrumente sind beim Entwicklungsministerium.Zum anderen haben wir den Teil der Entwicklungshilfe besonders herausgehoben, der sich insbesondere mit der Existenzgründung und Beratung von kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigt. Deswegen jetzt auch noch einmal meine Eingangsbemerkung — sozusagen eine Rückkoppelung — : Mittelstand ist der Motor in jeder Volkswirtschaft, auch in Polen, auch in Ungarn.
Von daher war es für uns wichtig, diesen Bereich besonders zu fördern. Und es war angesichts der Bedeutung, die die Landwirtschaft hat, auch wichtig, diesen Bereich besonders zu erwähnen.Sie sind dann auf die Frage — zumindest in der Diskussion haben wir dies gemacht — des German Fund eingegangen. Ich möchte dies auch einmal bewußt auf seiten der Koalitionsfraktionen tun. Wir — die Haushaltspolitiker, möchte ich sagen — stehen da ja zwischen zwei Feuern: Das eine ist das ERP-Fenster des Kollegen Esters, das andere ist der German Fund des BMZ. Ich möchte einmal so sagen: Das Doppelfeuer macht Haushaltspolitiker nicht etwa weich, sondern eher hart, so wie die Truppe nun einmal gebaut ist. Aber wir sind damit sachlichen Argumenten natürlich nicht verschlossen.Ich möchte hierzu gerade auch in Richtung Ministerium sagen: Zum einen erkenne ich persönlich durchaus die hohe Leistung der Mitarbeiter an, die diesen German Fund ausgearbeitet, konkretisiert haben. Zum anderen möchte ich Ihnen allerdings auch folgendes sagen, daß die Haushaltsberatungen nicht der geeignete und richtige Weg sind, um ein neues Instrument in die Entwicklungspolitik einzuführen. Ich meine schon, daß solche wichtigen Weichenstellungen in den Chefgesprächen geklärt werden müssen. Denn da werden ja auch für ihr Ministerium die Prioritäten gesetzt. Und es kann nicht sein, daß wir im Rahmen der Haushaltsberatung, in Berichterstattergesprächen, von uns aus Prioritäten ändern. Denn eines ist natürlich klar: Plafond ist Plafond. Und man kann nicht mal hoch- und mal heruntergehen. Vielmehr muß sich das Ministerium, so wie der Plafond vorgegeben ist, für Prioritäten entscheiden. Sie haben es damals nicht gemacht. Insoweit war es für uns nicht sinnvoll, in Ihre Prioritäten, die Sie selbst gesetzt haben, einzugreifen.Ich meine also, das Thema ist keineswegs tot — ich sage das durchaus einmal positiv in Richtung BMZ —, aber es kommt immer darauf an, das Richtige auch zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Und möglicherweise ist dieser Zeitpunkt in einem anderen Jahr, vielleicht 1991 oder später.Ich will mich auch nicht so sehr von der Diskussion darüber beeinflussen lassen, ob Haushälter grundsätzlich eher die Kontrolle über Haushaltsmittel behalten, als sie an irgendwelche Schattenhaushalte, so sage ich einmal, abzutreten. Da ist die Meinung klar: Wer über Geld entscheidet, soll letztendlich auch die Kontrolle darüber haben. Insoweit ist das sicherlich ein Argument, das uns eher dazu bewegen würde, diesen Fonds, wann auch immer er kommen möge, beim BMZ zu belassen.Ich darf abschließend zusammenfassen: Wir haben in den Beratungen wichtige Strukturverbesserungen für das BMZ — weitestgehend einvernehmlich — beschlossen. Darüber hinaus haben wir einzelne Förderungsbereiche verstärkt, um dort die kontinuierliche Arbeit abzusichern.Ich darf mich bei den Kollegen des Haushaltsausschusses und bei den Mitarbeitern des BMZ noch einmal recht herzlich bedanken, daß sie einem Neuling
die Einarbeitung in diesen Bereich erleichtert haben.Ich darf abschließend um Zustimmung bitten und Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit recht herzlich danken.
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN streben grundsätzlich eine Neudefinition staatlicher Entwicklungspolitik an.
Das BMZ darf nicht weiter mißbraucht werden, um bundesdeutsche Außenwirtschaftsinteressen zu fördern
und die Gesellschaften des Südens mit unseren zweifelhaften kulturellen Werten zu überschwemmen.
Wir wollen eine Entwicklungspolitik, die sich die Durchsetzung der von den Vereinten Nationen deklarierten politischen und sozialen Menschenrechte aktiv zum Ziele setzt, einschließlich eines neu anzuerkennenden Menschenrechts auf eine intakte Umwelt. Um unsere Vorstellungen zu skizzieren, haben wir exemplarisch vier Anträge in die Haushaltsdebatte des Einzelplans eingebracht.Wir fordern erstens, daß alle unökologischen Entwicklungsprojekte gestoppt werden. Unökologisch sind oft gerade solche Projekte, die vorgeben, die Umwelt zu schützen. Ein Beispiel dafür ist das Straßenbauprojekt durch das Petén-Urwaldgebiet in Guatemala. Die Straße zerstört das größte zusammenhängende Primärwaldgebiet in Mittelamerika und kann möglicherweise sogar vom Militär als Basis gegen aufständische Bevölkerungsteile genutzt werden. Auf unsere Kritik hin, die wir schon vor Jahren vorgebracht haben, wurde nachträglich eine sogenannte Umweltkomponente an das Projekt drange-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13725
Volmerklatscht. Die hat aber faktisch nur zum Ziel, diesen Primärwald einer intensiven wirtschaftlichen Nutzung zugänglich zu machen. Dies steht im eklatanten Widerspruch zu dem von uns geforderten und mittlerweile breit anerkannten Grundsatz, gerade die Primärwälder vor wirtschaftlichem Zugriff zu schützen.
Zweitens. Wie wirklich internationale Umweltpolitik betrieben werden könnte, zeigt unser zweiter Antrag. Wir fordern einen internationalen Lastenausgleichsfonds für Umweltmaßnahmen. Dieser soll in 1990 mit einem Betrag von 2,3 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt anfinanziert werden. Jedes Jahr soll erneut ein Promille des bundesdeutschen Bruttosozialproduktes in diesen internationalen Fonds eingespeist werden. Dieser Förderfonds soll sich der Überwindung globaler ökologischer Probleme widmen, die Regenwaldzerstörung, Schutz der Antarktis, Bekämpfung der Wüstenbildung. Der Fonds soll beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen angesiedelt sein.In einem ersten Schritt soll in diesem Rahmen ein spezieller Regenwaldfonds eingerichtet werden. Die finanziellen Lasten zum Schutz der Primärwälder, der Rehabilitierung bereits zerstörter Flächen und zur nicht destruktiven Nutzung von Sekundärwäldern müssen die reichen Industrieländer tragen. Dies rechtfertigt sich aus dem Nutzen, den die Industrieländer aus der Ausbeutung der Regenwälder gezogen haben und aus ihrem, d. h. unserem, vitalen Interesse am Schutz globaler Ökosysteme. Für die dritte Welt könnten die Mittel aus dem Fonds den Zwang zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen zwecks Devisenerwirtschaftung mildern.Analog zum Regenwaldfonds sollten weitere Fonds etwa zur Desertifikationsbekämpfung etc. eingerichtet werden. Genügend Gelder sind im Bundeshaushalt vorhanden. Solche Fonds können als nichtmilitärische Form der Friedenssicherung verstanden werden und aus Geldern finanziert werden, die aus dem Rüstungshaushalt rausgestrichen werden.Die Minister Töpfer und Warnke haben ihrerseits betont — ich habe es gelesen —, daß eine verstärkte internationale Umweltfinanzierung erforderlich sei. Doch getan wurde von der Bundesregierung bisher so gut wie nichts. Selbst die „Welt" diagnostiziert in einem Artikel am 31. Oktober bei der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung „Geiz in Bonn" und fordert:Kein Zweifel, die Regierung Kohl muß für internationale Aufgaben künftig mehr abzweigen als seit der Wende 1982.Unser Antrag bietet die Chance, schnell vom Reden zum Handeln zu kommen.Unser dritter Antrag fordert die finanzielle Unterstützung des institutionellen Aufbaus und der lauf enden Arbeit der beim Generalsekretariat der Organisation der Afrikanischen Einheit angesiedelten Afrikanischen Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker. Diese Institution ist neu geschaffen worden und verdient unsere Unterstützung als zentrales Instrument der Menschenrechtspolitik gerade in Afrika.Unser vierter Antrag beschäftigt sich mit einem der düstersten Kapitel der Entwicklungspolitik, nämlich mit El Salvador. Wir fordern, daß aus dem Haushaltsansatz für 1990 alle Mittel der technischen und finanziellen Zusammenarbeit für Salvador gestrichen werden. Wie Sie wissen, fanden wir die Entwicklungszusammenarbeit mit Salvador immer schon fragwürdig. Vor fünf oder sechs Jahren hat meine Vorgängerin, Gabi Gottwald, an diesem Platz bereits die Einstellung der Entwicklungshilfe für Salvador gefordert und warnend auf die schlimmen Entwicklungen in Salvador hingewiesen.Gelder sind mittlerweile aber immer wieder geflossen. Wie sich mittlerweile nachvollziehen läßt und wie es in einer Broschüre von Medico International dokumentiert wurde, sind die Gelder nicht in die Projekte geflossen, sondern wer weiß wohin. Gelder sind z. B. zum Bau eines Kinderkrankenhauses in San Salvador abgeflossen. Vor wohl drei oder vier Jahren wurde das Projekt nach dem Erdbeben ins Auge gefaßt. Bis jetzt wurde kein Handschlag an diesem Krankenhaus getan.Gelder sind abgeflossen zur Finanzierung von Stadtverwaltungsmaßnahmen in den großen Städten Salvadors. Die Stadtverwaltungen wurden damals von der Duarte-Partei regiert. In Salvador pfeifen die Spatzen von den Dächern, in wessen Kassen die Gelder geflossen sind. Mittlerweile sind die Stadtverwaltungen sämtlich in den Händen der faschistischen Arena-Partei. Die Gelder fließen immer noch. Ich frage: Wo fließen sie hin?
Aber jetzt möchte der Abgeordnete Irmer Sie etwas fragen.
Ja, bitte.
Herr Kollege Volmer, ich habe Ihnen die Frage schon einmal gestellt. Damals habe ich keine Antwort bekommen. Deshalb erlaube ich mir, die Frage zu wiederholen.
Ihr Gesinnungsgenosse Ströbele aus Berlin hat zu einer spektakulären Spende — dies ist ein Zitat — auf das „taz"-Konto „Waffen für El Salvador" aufgerufen. Ich frage Sie, ob Sie mir sagen können, wohin denn Gelder der GRÜNEN und solcher Spendenaufrufe geflossen sind? Haben Sie Waffen nach El Salvador geliefert oder solche Lieferungen finanziert, wie ich aus diesen Meldungen entnehmen muß?
: Herr Irmer, grüne Gelder gehen grundsätzlich nicht in Waffen.
Auf Ihre Frage habe ich in der letzten Debatte eine ausführliche Antwort gegeben.
Lesen Sie meine Antwort im Protokoll nach. Sie können es sich auch auf dem Videoband anschauen. Die-
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Volmerses kann ich Ihnen auch noch einmal leihweise zur Verfügung stellen.
Herr Abgeordneter Irmer, wir dürfen keinen Debattenbeitrag zulassen. Nunmehr erlaube ich mir die Frage, Herr Abgeordneter Volmer, ob Sie — —
Ich würde ganz gerne antworten, Herr Präsident.
Ja, das können Sie auch. Also, dann antworten Sie erst.
Ansonsten sehe ich diese Frage wie auch manche Äußerungen der Kollegen der CDU im Ausschuß als Manöver, um sich vor der eigenen Verantwortung zu drücken, was die Unterstützung der Regierungspolitik Salvador gegenüber angeht. Zur Zeit besteht das Problem in Salvador darin, daß ein furchtbares Gemetzel stattfindet, was dringend, schleunigst beendet werden muß. Wir wissen, daß die Befreiungsbewegung den Dialog möchte, daß sie Verhandlungen über Waffenstillstandsabkommen möchte, und wir wissen, daß solche Abkommen bisher an der Regierung gescheitert sind, weil diese dies nicht ernsthaft will.
Wenn die Bundesregierung eine verantwortliche Zentralamerikapolitik betreiben möchte, dann kann sie dies nur tun, indem sie Druck auf die Regierung von Salvador ausübt, sich endlich mit der Befreiungsbewegung an einen Tisch zu setzen und ernsthaft über die Einführung der Demokratie zu verhandeln, einer Demokratie, die vor allen Dingen auch die berechtigten gesellschaftlichen Bedürfnisse der Masse der armen Bevölkerung berücksichtigt.
Das war meine Antwort im Ausschuß, und das ist meine Antwort an Sie.
Nun bestehen zwei weitere Wünsche an Sie; zwei weitere Abgeordnete möchten gerne eine Frage stellen. Ich weiß nicht, ob Sie es zulassen. Zunächst einmal möchte der Abgeordnete Rose eine Zwischenfrage stellen.
Ich bin gerne jederzeit bereit, ausführliche Zentralamerikadebatten mit jedem zu führen.
Lieber Herr Kollege Volmer, nachdem Sie mir persönlich noch keine Antwort auf die Frage gegeben haben, was mit den Geldern, die für Waffen für Zentralamerika über Herrn Ströbele eingegangen sind, passiert ist, frage ich Sie jetzt: Können Sie mir darüber Auskunft geben? Sind Waffen gesammelt worden, und gingen sie nach Zentralamerika?
Diese Frage müßten Sie Herrn Ströbele stellen. Ich kenne mich in seiner Politik nicht genau aus.
Ich weiß weder, ob Gelder bei ihm eingegangen sind noch ob Gelder abgeflossen sind.
Wenn Herr Ströbele Aufrufe macht, dann ist das seine private politische Meinung. Diese habe ich hier im Deutschen Bundestag überhaupt nicht zu kommentieren.
Nun möchte der Abgeordnete Repnik gerne noch eine Frage stellen.
Herr Kollege Volmer, stimmen Sie mir zu, daß zeitgleich, während FLMN-Vertreter mit Regierungsvertretern am Verhandlungstisch gesessen haben, in den Bergen von El Salvador die Guerillas mit Führern der FLMN die große Offensive auf die Hauptstadt San Salvador vorbereitet und anschließend auch durchgeführt haben und daß von daher der Friedenswille dieser Guerilla in diesem Zusammenhang erheblich erschüttert bzw. widerlegt ist, und können Sie mir darüber hinaus zustimmen, daß Sie meiner klaren Frage, die ich im Ausschuß an Sie gerichtet habe — weil Sie den Ausschuß jetzt angeführt haben — , ob Sie diese Gewaltanwendung, diese Offensive, der viele Zivilisten zum Opfer gefallen sind, für gerechtfertigt halten oder ob Sie sie verurteilen, genauso wie den Fragen des Herrn Kollegen Rose und des Herrn Kollegen Irmer ausgewichen sind?
Ich weiche überhaupt keiner Frage aus.
Erstens heißt die Befreiungsbewegung FMLN; soweit zur Richtigstellung.Zweitens. Wir können in einer Zentralamerika-Debatte sehr ausführlich die Genese des Konflikts diskutieren. Dann werden Sie sehen, daß hinter der Anwendung der Waffengewalt durch die Befreiungsbewegung außerordentlich ungerechte gesellschaftliche Verhältnisse stehen, z. B. das Fehlen einer Landreform, die von früheren Regierungen zugesagt, aber nie umgesetzt worden ist. Sie können die Kommentare in gar keinen besonders linken, sondern in den liberalen Zeitungen nachlesen, z. B. von Guha in der „Frankfurter Rundschau" in der letzten Woche. Dann werden Sie erfahren, warum Leute in Zentralamerika gar keine andere Chance mehr sehen, als zu den Waffen zu greifen, um ihre berechtigten Interessen durchzusetzen.
Man kann das bedauern, man kann das befürworten. Die wirkliche Problematik liegt in den ungerechten sozialen Verhältnissen. Selbst im amerikanischen Kongreß wurde letzte Woche darüber diskutiert, daß
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Volmeres gar keinen Zweck hat, von seiten der Vereinigten Staaten immer wieder eine Regierung und eine Armee zu finanzieren, die Aufstandsbekämpfung betreibt, wenn man nicht bereit ist, die ungerechten sozialen Verhältnisse zu beseitigen. Denn selbst wenn die Guerilla heute die Waffen niederlegen würde, in zwei Jahren würden andere verzweifelte Menschen wieder zu den Waffen greifen, unabhängig davon, ob wir das für richtig hielten oder nicht.Sie müssen das Problem an der Wurzel anpacken. Das Problem heißt Herrschaft einer Oligarchie. Das Problem heißt auch internationale westliche Unterstützung für diese Oligarchie. Das Problem heißt auch bundesdeutsche Entwicklungshilfe, die dieser Oligarchie zugute kommt.
— Ich fordere nun von Ihnen, daß Sie ja oder nein sagen zu dem Antrag, den wir in der zweiten Lesung vorlegen. Wir fordern mit Medico International, mit zahlreichen Kirchenleuten, die in den letzten Tagen an die Bundesregierung, an den Ausschußvorsitzenden, an uns geschrieben haben, wir fordern mit den bundesdeutschen Hilfswerken der Entwicklungspolitik, daß die Entwicklungshilfe für El Salvador sofort gestoppt wird, weil es nicht die geringsten Voraussetzungen für eine humanistische Anwendung bundesdeutscher Entwicklungshilfegelder in El Salvador mehr gibt.Danke.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.
Frau Kollegin, ich werde mir Mühe geben, Ihrer Forderung gerecht zu werden.Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch angesichts der Faszination, die von dem gegenwärtig stattfindenden dynamischen Reformprozeß im Osten Europas und in der DDR ausgeht, dürfen wir doch nicht den Blick für die nach wie vor durch enormes Bevölkerungswachstum, Massenarmut und Umweltzerstörung gekennzeichnete Situation in den Ländern der Dritten Welt verlieren. In allen Ländern unserer Erde haben die Menschen einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben. Wir Freien Demokraten bekennen uns bewußt zu der moralischen Verantwortung, den Menschen in der Dritten Welt bei ihrem Kampf gegen Hunger, Elend und soziale Rückständigkeit zu helfen.
Haushaltsberatungen sind immer auch ein Zeitpunkt der Bilanz geleisteter Arbeit. Diese Bilanz ist ernüchternd. Trotz einer seit mehr als 30 Jahren auf internationaler Ebene geleisteten Entwicklungshilfe — die Bundesrepublik Deutschland hat hier einen nennenswerten Beitrag geleistet — müssen wir heute feststellen, daß die Zahl der Armen in den Entwicklungsländern immer noch wächst und Umweltzerstörung in diesen Ländern als Folge von Bevölkerungsdruck und Armut um sich greift.Diese Feststellung ist nicht nur bedrückend, sie muß zu einem entscheidenden Umdenken in der bisherigen Entwicklungspolitik führen.
Entwicklungshilfe — und das betonen wir seit Jahren — muß Hilfe zur Selbsthilfe sein und darf nicht als ein Instrument des Finanzausgleichs zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern im Rahmen einer Weltsozialordnung verstanden werden.
Wir wissen, daß sich langfristige Entwicklungserfolge nur dann einstellen, wenn die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer sind dazu ebenso unerläßlich wie die Verbesserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen,
vor allem durch eine weitere Liberalisierung des Welthandels und den damit verbundenen Abbau von Subventionen sowie den Verzicht auf protektionistische Maßnahmen.Für die weitere entwicklungspolitische Zusammenarbeit sind aus diesen Erkenntnissen die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Im Mittelpunkt unserer künftigen Entwicklungsstrategie müssen deshalb folgerichtig der Abbau entwicklungshemmender Strukturen sowie die Mobilisierung von Marktkräften und Eigeninitiativen stehen. Eine marktorientierte Wirtschaftspolitik sowie die Verbesserung des Investitionsklimas, inländische Ersparnisbildung, produktive Investitionen und ausländische Direktinvestitionen bieten hierfür die besten Voraussetzungen.Wir denken, daß die Entwicklungszusammenarbeit künftig stärker auf die für die jeweiligen Länder entscheidenden Schlüsselsektoren konzentriert werden muß. Durch diese Konzentration wird gleichzeitig die nach wie vor unbefriedigende Koordinierung mit anderen Entwicklungshilfegebern erleichtert.Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung, die privatwirtschaftliche Zusammenarbeit auszubauen und künftig die Ausbildung von Fachkräften, Existenzgründungen sowie den Aufbau von Selbsthilfestrukturen in den Entwicklungsländern stärker zu fördern. Es ist notwendig, eine solche marktwirtschaftliche Orientierung in allen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit durchzusetzen.
Natürlich sind wir uns dessen bewußt, daß es global erfolgversprechende Patentrezepte bei der Bewältigung der Probleme der Entwicklungsländer nicht geben kann. Dennoch lassen sich einige zentrale Problembereiche identifizieren, die durch ihre wechselseitigen Wirkungen unmittelbar oder mittelbar zu-
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Frau Seiler-Albringsammenhängen und denen eine Schlüsselrolle bei der Schaffung der Voraussetzungen für eine weltweite, ökologisch verträgliche Entwicklung zukommt.
Ich nenne die Probleme der Überbevölkerung, die Verschuldungssituation, die Energieversorgung und die Umweltgefährdung. Der Lösung dieser zentralen Problembereiche muß künftig unsere konzentrierte Anstrengung gelten.
Als besonders vordringliches Problem sehe ich hier die Umgestaltung der Entwicklungsfinanzierung. Auch mein Kollege Dr. Neuling ist ja schon darauf eingegangen. Gerade bei der Diskussion des Entwicklungshilfehaushaltes für das kommende Jahr mußte man zu der Schlußfolgerung gelangen, daß die Effizienz der bisherigen Entwicklungshilfeinstrumentarien überprüft werden muß. Konsequenzen in der Mittelvergabe können dabei nicht ausgeschlossen werden. Ich denke, wer zu solchen Konsequenzen und Korrekturen nicht bereit ist, macht sich letztlich mitschuldig an einer weiteren Verschärfung von Not und Elend in den Ländern der Dritten Welt.
Der Entwicklungshilfehaushalt 1990 umfaßt unter Einbeziehung der für einen Wiedereinsatz vorgesehenen Tilgungsrückflüsse über 7,4 Milliarden DM. Wir Berichterstatter haben das uns Mögliche getan, die vorgesehenen Rückflüsse auch tatsächlich der Entwicklungshilfe wieder zuzuführen. Ich verhehle allerdings nicht, Herr Kollege Esters — da haben wir, glaube ich, alle zusammen gleiche Befürchtungen —, daß uns der Bundesfinanzminister hierbei zumindest nicht begeistert helfen wird.
— Wir werden Dr. Roth ganz enorm und permanent beobachten.Wir können feststellen, meine Damen und Herren, daß die 7,4 Milliarden DM den höchsten Etatansatz repräsentieren, der jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland für den Geschäftsbereich Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt wurde. Der Einzelplan steigt mit 3,9 % wesentlich stärker als der Gesamthaushalt des Bundes mit 3 %.Im Zuge der Beratungen haben wir eine Reihe von Ansätzen verändert. So haben wir z. B. gezielt Mittel für Namibia eingestellt, um diesem Land in der ersten schwierigen Phase der Selbständigkeit gezielte Hilfe anbieten zu können.
Wir haben den finanziellen Spielraum bei der Technischen Zusammenarbeit durch einen entsprechenden Deckungsvermerk erhöht, um zu vermeiden, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren internationalen Verpflichtungen nicht gerecht werden kann.Aber Erfolg oder Mißerfolg unserer Entwicklungspolitik hängt nicht zuletzt von denjenigen ab, die sie vor Ort und auch in den Zentralen durchzusetzen haben.
Lassen Sie mich beispielhaft zwei Organisationen nennen: den DED und die GTZ. Beide haben äußerst schwierige Phasen der Umorganisation bzw. Neuorientierung hinter sich, die von den meisten Mitarbeitern ein hohes Maß an Kooperation, Geduld und Bereitschaft zur Anpassung an neue Strukturen einforderte. Manche Wunde ist hier noch nicht ganz verheilt. Um so mehr möchte ich all denjenigen danken, die trotz dieser schwierigen Phase ihre Arbeit für die Menschen in der Dritten Welt mit einem bewundernswerten Engagement, hoher Kompetenz und oft unter Hintanstellung persönlicher Wünsche und Bedürfnisse leisten.
In diesem Zusammenhang ein Dankeschön auch an den BMF. Es war möglich, die krasse finanzielle Benachteiligung der integrierten Fachkräfte in der Zeit der Vorbereitung auf ihren Auslandseinsatz nach meinem entsprechenden Hinweis in den Berichterstattergesprächen sofort zu beseitigen und eine angemessene, gerechte Lösung zu finden. Ich bedanke mich auch bei den Kollegen, die das sofort unterstützt haben.
Ebenfalls ist es uns gelungen, dem DED mit einer substantiellen Aufstockung des Mittelansatzes eine Anpassung an die gestiegenen Anforderungen zu ermöglichen. Wir führen darüber hinaus in der Verwaltungsratskommission eine Diskussion mit allen Beteiligten, um dem Anliegen des DED soweit wie möglich entgegenzukommen, die ihm zugewiesenen Mittel künftig effizienter und schwerpunktgerechter einsetzen zu können.Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Einzelplan 23 zu. Wir erwarten, daß Sie, Herr Minister, und Ihr Haus die für 1990 bereitgestellten Mittel und Verpflichtungsermächtigungen wirksam zur Unterstützung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Dritten Welt einsetzen und die Bemühungen um eine an den Erfordernissen der 90er Jahre orientierte Entwicklungszusammenarbeit verstärken.Ich möchte mich bei den vielen kompetenten Mitarbeitern Ihres Hauses bedanken, ganz besonders aber bei Ihrem beamteten Staatssekretär Siegfried Lengl, der zwar immer das Interesse Ihres Hauses im Hinterkopf hat, daneben den Berichterstattern aber ein kooperativer Gesprächspartner ist.
Daß er dabei immer nur so viel zugibt, wie er unbedingt muß, gehört zum Geschäft und beeinträchtigt die gemeinsame Arbeit nicht, sondern macht sie zusätzlich spannend.Abschließend auch einen herzlichen Dank an meine Kollegen Dr. Neuling, Helmut Esters. Wenn sie da
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Frau Seiler-Albringwäre, könnte ich diesen Dank auch an Frau Rust richten; Herr Volmer, vielleicht geben Sie es ihr weiter.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zum Schluß hat der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dr. Warnke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen, da uns die Hilfe für Polen und Ungarn, vor allem aber für die Überwindung der verheerenden Folgen des Staatssozialismus im anderen Teil Deutschlands alle bewegt, wird im Inland wie im Ausland die Frage gestellt: Werden die Deutschen ihr neues Engagement in Osteuropa und im anderen Teil ihres eigenen Vaterlandes mit einer Fortsetzung ihrer bisherigen Entwicklungshilfe verbinden können? Die Antwort ist ein eindeutiges Ja. Bei der jetzt dringend notwendigen Hilfe von West nach Ost darf es zur Nord-Süd-Hilfe kein Verhältnis des Entweder-Oder geben, sondern für ein reiches Land wie das unsere nur ein SowohlAls-auch.
Herr Abgeordneter Holtz möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Herr Minister, sind Sie einverstanden?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, warum dann bei den Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks nicht dem Wunsch des Europäischen Parlaments gefolgt wird, für das neue Lomé-Abkommen 12,8 Milliarden ECU bereitzustellen, sondern darunter zu bleiben?
Herr Kollege Holtz, die Größenordnung des Lomé-Abkommens wird nach dem Stand der Verhandlungen 12 Milliarden ECU betragen. Das ist eine ganz außerordentliche, weit über die Erhaltung der realen Leistungsfähigkeiten hinausgehende Steigerung.
Bei den strukturellen Schwachpunkten, die Lomé auch aufweist, haben wir damit, glaube ich, unseren Spielraum satt ausgeschöpft.
Die Koalitionsmehrheit hat in Anerkennung dieses Sowohl-Als-auch für die Polen- und Ungarnhilfe im Einzelplan 23 Ausgaben in Höhe von 10 Millionen DM und Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 45 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt. Der Haushalt des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist durch diese Entscheidung des Haushaltsausschusses mit einer höheren Wachstumsrate ausgestattet worden, als im ursprünglichen Regierungsentwurf vorgesehen.
Wir können und wollen dieses Instrumentarium insbesondere im Bereich der personellen Zusammenarbeit, der beruflichen Bildung und der Beratung bei Aufgaben in Polen und Ungarn einbringen. Wir greifen dabei auf eine Fülle von Erfahrungen zurück, die das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in den Staaten sammeln konnte, die sich auf dem Weg zu marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen und demokratischen Staatsformen befinden, beispielsweise in Lateinamerika, aber auch auf Erfahrungen, die wir in Griechenland, in Spanien und in Portugal in einer Reihe von Jahren gesammelt haben. Auch deren Weg zu einer freiheitlichen Wirtschaft und zur Demokratie ist auf dem Weg über das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit massiv unterstützt worden.
Die Bejahung der Einsätze dieser Mittel durch den Herrn Kollegen Esters,
ist in der Sache natürlich einer Unterstützung der Beschlußfassung der Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuß gleichgekommen.
Dafür bin ich Ihnen auch sehr verbunden.
Insgesamt wird der Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit 1990 71/4 Milliarden DM betragen. Unter Einschluß der Rückflüsse — 1990 bis 200 Millionen DM — steigt der verfügbare Rahmen um 3,9 %. Daß dieser Zuwachs deutlich über dem durchschnittlichen Zuwachs des Bundeshaushaltes liegt, ist auch eine Bekräftigung dieses Sowohl-Als-auch für Entwicklungshilfe und West-Ost-Hilfe.Ich möchte dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit des Deutschen Bundestages für ihre konstruktive und kritische Begleitung der Entwicklungspolitik der Bundesregierung herzlich danken.Meine Damen und Herren, trotz der uns gesetzten Grenzen können im Haushalt 1990 wichtige Akzente gesetzt werden: im Bereich der beruflichen Aus- und Fortbildung — eine Aufstockung um mehr als 5 % —, beim Deutschen Entwicklungsdienst, bei den integrierten Fachkräften, deren Zahl um fast 20 % auf rund 800 Fachkräfte pro Jahr angehoben wird. Ich möchte den Dank der Bundesregierung ausdrücklich
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13730 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989
Bundesminister Dr. Warnkedenen sagen, die weltweit und oft unter großen Entbehrungen dafür sorgen, daß die Entwicklungshilfe auf dem einzig wirksamen Weg, den es gibt, nämlich durch den persönlichen Einsatz, zum Erfolg gebracht wird. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich die Frauen und Familien unserer Entwicklungshelfer und Experten ein.
Das Assistentenprogramm der GTZ und die Reintegration nach jener Duisburger Initiative, an deren Verwirklichung Sie, Herr Kollege Esters, lange Jahre gearbeitet haben, werden wir fortführen.
Wir haben die wieder einsetzbaren Rückflüsse in der Tat mit 200 Millionen DM im Jahr angesetzt. Ich danke dem Haushaltsausschuß dafür. Wir haben es aber nicht dabei belassen, sondern wir haben die leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit genutzt und einen größeren Abschlag bei der Summe der dem Haushalt zuzuführenden Rückflüsse eingestellt. Ich meine, daß wir die Regierungserklärung vom März 1987 Schritt für Schritt umsetzen. Den Weg, Rückflüsse aus der Kapitalhilfe schrittweise zur Finanzierung neuer Maßnahmen einzusetzen, wollen wir fortführen.Ich begrüße es, daß in den Beiträgen der Berichterstatter die grundsätzliche Bereitschaft des Parlaments, ein wie auch immer gestaltetes zweites Bein der Entwicklungshilfe in zukünftige Überlegungen einzubeziehen, ausdrücklich anerkannt wurde, und werte Ihre Beiträge, Herr Kollege Neuling und Frau Kollegin Seiler-Albring, als eine Ermutigung, in kommenden Chefgesprächen diesen Kurs weiter zu steuern.Die Entscheidung bei den parlamentarischen Beratungen der Haushalte 1989 und 1990, für Vorhaben auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der sozialen Infrastruktur und der Armutsbekämpfung künftig auch in solchen Ländern Zuschüsse zu gewähren, die im übrigen Darlehen erhalten, bedeutet eine große Hilfe bei der Umsetzung dieser wichtigen entwicklungspolitischen Schwerpunkte. Nicht zuletzt angesichts der Schuldenkrise ist den Entwicklungsländern eine Finanzierung solcher Vorhaben auf dem Darlehenswege nicht zumutbar.Im übrigen, Herr Kollege Esters: Daß nahezu 9 Mil-harden DM Schulden erlassen worden sind oder im Grundsatz der Erlaß beschlossen worden ist, darf nicht übersehen werden, wenn es um unsere Hilfe für die ärmsten Entwicklungsländer geht.
Die gesellschaftlichen Umorientierungen in Osteuropa, im anderen Teil unseres Landes, haben in der Tat manchmal den Blick für das Tempo verstellt, mit dem auch in Afrika tiefgreifende Veränderungen vor sich gehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist gegenwärtig besonders in Namibia gefordert. Die Unabhängigkeit und der Aufbau dieses Landes sind eine einmalige Chance für eine gedeihliche Entwicklung im gesamten südlichen Afrika. Ich kann nur hoffen, daß es bei den vorgezeichneten Weichenstellungen in der UNO-Resolution 435 bleibt, daß sie nicht in Frage gestellt werden und sich die Kräfte, die sie bereits heute in Frage stellen, in der tatsächlichen Entwicklung nicht durchsetzen können.
Mit der Einstellung von Mitteln für Kapitalhilfe und technische Hilfe, aber auch für die Arbeit der politischen Stiftungen in den Haushalt 1990 hat das Parlament die Grundlagen für eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Namibia geschaffen. Schwerpunkt dieser Entwicklungshilfe wird — und auch hier, Frau Seiler-Albring, greife ich Ihre Worte auf — die möglichst direkte Förderung des privaten Sektors durch unternehmerische Initiative sein.Wie in kaum einem anderen Bereich steht die Entwicklungspolitik im internationalen Umwelt- und Ressourcenschutz vor Herausforderungen, die eine neue Qualität der Nord-Süd-Beziehungen einleiten. Die Vereinbarkeit von Umweltschutz und wirtschaftlicher Entwicklung rückt zunehmend in den Mittelpunkt entwicklungspolitischer Überlegungen und gibt dem Grundgedanken der staatenübergreifenden Zusammenarbeit neue Schubkraft.Die Bundesrepublik Deutschland behält die Initiative im internationalen Umweltschutz. Auf deutsche Anregung hin hat der Entwicklungsausschuß von Weltbank und Weltwährungsfonds im September 1989 die Weltbank aufgefordert, Finanzierungsstrategien und -instrumente für internationale Umwelt- und Ressourcenschutz auszuarbeiten. Wie immer das letztlich ausgestaltet sein wird, eines ist klar: Die Industrieländer werden einen Hauptteil der finanziellen Lasten tragen müssen. Und das zu Recht; sie sind schließlich auch weltweit die größten Umweltschadensverursacher.
Das schlimmste Umweltgift heißt aber nach wie vor Armut. Wenn wir die Armut bekämpfen — und das bleibt Schwerpunkt deutscher Entwicklungshilfe —, dann bekämpfen wir eine der wesentlichen Ursachen von Umweltzerstörung in der Dritten Welt.Auch der weltweite Kampf gegen das Rauschgift stellt die Entwicklungszusammenarbeit vor zusätzliche Aufgaben. Die Strategie der Drogenkartelle ist auf die Eroberung des westdeutschen Marktes gerichtet. In Kolumbien führt Präsident Barco einen Kampf auf Leben und Tod gegen den Drogenterrorismus, der auch unser Kampf ist. Ich habe ihm in diesen Tagen unsere Verbundenheit und unsere Unterstützung zugesagt. Wir werden sie durch zusätzliche Hilfe bei Verfolgung und Unterbindung von Drogenkriminalität gewähren, ebenso übrigens wie in Bolivien. Wichtiger aber ist und bleibt es auch hier, durch Entwicklung anderer Anbauarten, durch Förderprogramme für den ländlichen Raum die Armut als Ursache des Drogenanbaus zu bekämpfen.
Wir werden den weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Frau Kollegin Seiler-Albring, vielleicht nicht ganz in dem sonst mit diesem Begriff von der Koalition verbundenen Sinne für Kolumbien dadurch eine besondere, positive Ausgestaltung verschaffen, indem wir die Wiederinkraftsetzung des Weltkaffee-
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Bundesminister Dr. Warnkeabkommens unterstützen, dessen Ausfall in diesem Jahr in Kolumbien zu Einnahmerückgängen von etwa 400 Millionen Dollar geführt hat und im nächsten Jahr das Doppelte dieser Summe bewirken kann.Die zu erwartende Drogenwelle in Westeuropa, die immer bedrohlichere Gefährdung für die menschliche Gesellschaft hier wie in den Anbau- und Transitländern der Dritten Welt verlangen verstärkte und international abgestimmte Anstrengungen in unserem elementaren Eigeninteresse. Die Strategie gegen das Rauschgift muß natürlich im eigenen Land einsetzen durch Vorbeugung, Rehabilitation und verstärkten Einsatz bei Verfolgung und Unterbindung der Rauschgiftkriminalität.
Der Internationalisierung dieser Kriminalität muß aber auch die Internationalisierung der Zusammenarbeit entsprechen.El Salvador wird in diesem Jahr keine deutsche Entwicklungshilfe mehr bekommen können, weil die Entwicklungshelfer angesichts der Sicherheitslage zurückgezogen werden mußten. Es hat natürlich keinen Sinn, in diesem Zustand Regierungsverhandlungen für 1989 zu führen. Aber nach der praktischen Ausschaltung der Contras in Nicaragua ist es nunmehr die grenzüberschreitende Unterstützung der salvadorianischen Guerilla mit Waffen, die gegen den Friedensplan des costaricanischen Staatspräsidenten Artas verstößt. Und schlimmer noch: Es ist diese grenzüberschreitende Unterstützung mit Waffen, die heute die weltweite Entspannung zwischen den Großmächten, an der niemand mehr interessiert ist als unser eigenes Land, durch den Krisenherd Zentralamerika gefährden kann. Durch Rechtfertigung der Gewalt in Zentralamerika, wie heute in diesem Hause geschehen, wird diese Gefahr für weltweite Entspannung nicht vermindert, sondern noch erhöht.
Meine Damen und Herren, Umweltschutz und Rauschgiftbekämpfung sind überzeugende Beispiele, daß sich deutsche Entwicklungshilfe neuen Herausforderungen stellt und die Gelegenheit nutzt, den Nord-Süd-Gegensatz früherer Jahre zu wandeln zu weltweiter Nord-Süd-Partnerschaft. Ich danke dem Parlament für die Unterstützung dieser Anpassung an die neuen Herausforderungen.
Damit sind wir am Ende unserer Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Änderungsanträge, die ich wiederum in der Reihenfolge der Drucksachennummern aufrufe.
Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5806. Wer stimmt dafür? — Dagegen? — Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Wir kommen nun zum Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/5807. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt nun für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5821 ? — Wer stimmt dagegen? — Der Antrag ist gegen die Stimmen der Fraktionen der GRÜNEN und der SPD mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter Nr. XIV. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 11/5890. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5891 unter Nr. 1 mit der von dem Abgeordneten Dr. Struck bei der Beratung zum Einzelplan 60 vorgetragenen Änderung? — Wer stimmt dagegen? — Damit ist dieser Änderungsantrag ebenfalls mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, insgesamt. Wer dem Einzelplan 23 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist der Einzelplan 23 mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 30. November 1989, 9 Uhr ein.
Ich möchte es nicht versäumen, mich bei denen zu bedanken, die bis zum Schluß ausgehalten haben. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.