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    Plenarprotokoll 11/178 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 178. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389) Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof in Verbindung mit Tagesordnungspunkt II: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stratmann, Dr. Lippelt (Hannover) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verzicht auf Privatisierung der Salzgitter AG und Verhinderung der Großfusion PreussagSalzgitter (Drucksache 11/5536) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III: Beratung des Antrags des Abgeordneten Schmidt (Salzgitter), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verkauf/ Privatisierung der Salzgitter AG an die Preussag (Drucksache 11/5609) Frau Matthäus-Maier SPD 13597 D Borchert CDU/CSU 13605 A Frau Vennegerts GRÜNE 13609 B Dr. Weng (Gerungen) FDP 13614 C Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . 13620 B Wieczorek (Duisburg) SPD 13631 A Roth (Gießen) CDU/CSU 13634 B Dr. Struck SPD 13637 C, 13645 C Dr. Pfennig CDU/CSU 13640 C Schmidt (Salzgitter) SPD 13642 C Sauer (Salzgitter) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 13644 B Frau Vennegerts GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13645 A Namentliche Abstimmung 13646 B Ergebnis 13654 D Ergebnis der Abstimmung über Einzelplan 60 13672A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Nehm SPD 13646 C Dr. Schroeder (Freiburg) CDU/CSU . . 13648B Frau Teubner GRÜNE 13651 D Dr. Hitschler FDP 13656 B Müntefering SPD 13659 A Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau 13662 C Conradi SPD 13666 D Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 13668 C Grünbeck FDP (Erklärung nach § 30 GO) 13671A Conradi SPD (Erklärung nach § 30 GO) 13671B Dr. Hitschler FDP (Erklärung nach § 30 GO) 13671 C Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft Frau Blunck SPD 13672 B Rossmanith CDU/CSU 13674 A Frau Saibold GRÜNE 13678 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 13680 B Vahlberg SPD 13682 D Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 13686 B Frau Conrad SPD 13689A Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie Zander SPD 13693 A Austermann CDU/CSU 13696 B Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . 13699 B Zywietz FDP 13700 C Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 13703A Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr Purps SPD 13707 B Windelen CDU/CSU 13710 C Weiss (München) GRÜNE 13713 C Zywietz FDP 13715A Dr. Zimmermann, Bundesminister BMV 13716D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit Esters SPD 13719D Dr. Neuling CDU/CSU 13722 A Volmer GRÜNE 13724 C Frau Seiler-Albring FDP 13727 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . . 13729A Nächste Sitzung 13731 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13732* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13597 178. Sitzung Bonn, den 29. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 01. 12. 89 * Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 01. 12. 89 Büchner (Speyer) SPD 01. 12. 89 * Frau Dempwolf CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Dollinger CDU/CSU 01. 12. 89 Engelsberger CDU/CSU 29. 11. 89 Dr. Haack SPD 01. 12. 89 Frhr. Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Hennig CDU/CSU 29. 11. 89 Höffkes CDU/CSU 01. 12. 89 Hörster CDU/CSU 30. 11. 89 Jaunich SPD 01. 12.89 Kastning SPD 29. 11. 89 Kiechle CDU/CSU 29. 11.89 Kißlinger SPD 01. 12. 89 Klein (Dieburg) SPD 01. 12. 89 Kolbow SPD 01. 12. 89 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Linsmeier CDU/CSU 01.12.89 Frau Luuk SPD 01. 12. 89 Dr. Mahlo CDU/CSU 29. 11. 89 Meneses Vogl GRÜNE 01. 12. 89 Müller (Düsseldorf) SPD 29. 11. 89 Niegel CDU/CSU 01. 12. 89* Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 01. 12. 89 Paterna SPD 01. 12. 89 Frau Rock GRÜNE 01. 12. 89 Frau Schilling GRÜNE 01. 12. 89 Schreiber CDU/CSU 30. 11. 89 Schreiner SPD 29. 11. 89 Schröer (Mülheim) SPD 01. 12. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 01. 12. 89 Sielaff SPD 30. 11. 89 Tietjen SPD 01. 12. 89 Frau Trenz GRÜNE 01. 12. 89 Verheugen SPD 30. 11. 89 Wartenberg (Berlin) SPD 29. 11. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 01. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Wieczorek


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich würde nach dieser ordnenden Zwischenfrage gerne bei mir geordnet weitermachen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Ich will sie nicht in Unordnung bringen!)

    Aber die Schlußfolgerung, die Herr Kollege Friedmann gezogen hat, ist nicht richtig.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Zutreffend ist sie!)

    Meine Damen und Herren, ich will mich gerne mit dem Zehn-Punkte-Programm des Bundeskanzlers von gestern beschäftigen. Mir schien, daß es auch hier Widersprüche in der CDU/CSU und FDP zu klären gilt.
    Unter Punkt 3 sagt der Bundeskanzler — ich zitiere — :
    Ich habe angeboten, unsere Hilfe und unsere Zusammenarbeit umfassend auszuweiten, wenn ein grundlegender Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems in der DDR verbindlich beschlossen und unumkehrbar in Gang gesetzt wird.
    Später wird zum gleichen Punkt ausgeführt: Das sind alles keine Vorbedingungen.
    Natürlich kann man das als eine Vorbedingung werten.

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Eben!)

    Wir müssen uns hüten, den Menschen in der DDR im Stil westlicher Missionare zu begegnen, und sei es auch noch so verklausuliert.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit welcher Aufmerksamkeit die Menschen in der DDR reagieren, konnte man aus den Stellungnahmen und Anmerkungen gestern aus der DDR erkennen. Ich denke besonders an die kritischen Äußerungen von Stefan Heym.
    Zwischen dem von mir bildlich ausgedrückten Glanzlack des westlichen Systems und den Rostlauben östlicher Diktatur müssen Freiräume für die eigenen politischen Entwicklungen sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Menschen in der DDR haben das Recht auf ihre eigenen Entwicklungen und auch auf ihre eigenen Fehlentwicklungen. Dieses Recht zu achten heißt, Gerechtigkeit zu üben: Gerechtigkeit schafft Frieden.
    Meine Damen und Herren, die Grenze zwischen Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit wird allerdings sehr schnell überschritten, dies insbesondere dann, wenn man sich in der Situation des Helfenden befindet. Zu helfen, ohne das Selbstwertgefühl des Hilfsbedürftigen zu verletzen, bedarf ausgeprägter Sensibilität und eines starken Charakters.

    (Beifall bei der SPD)

    Leicht gleitet der Gebende in die Rolle des Richtenden. Um wieviel schwerer ist es da, eine gerechte Position gegenüber der DDR zu finden! Den Menschen zu helfen, ohne ein veraltetes Staatssystem zu restaurieren, ist eine Gratwanderung. Welche Maßstäbe gelten eigentlich für unser Handeln? Wie behandelt man einen Staat, dem man im Zustand scheinbarer Stabilität mit 300 Millionen DM unter die Arme gegriffen hat, im Zustand des Aufbruchs Hilfen jedoch nur nach Erfüllung ordnungspolitischer Bedingungen gewähren will?

    (Beifall bei der SPD)

    Schafft diese Art von Gerechtigkeit Frieden?
    Eine weitere naheliegende Frage: Haben wir das Recht, so vorzugehen? Ist bei uns jeder Lebensbereich gerecht geregelt? Sollten wir nicht bedenken, daß auch unser System der Sozialen Marktwirtschaft zu Ungerechtigkeiten führt? Zwischen dem Element der freien Marktwirtschaft und dem Element des sozialen Schutzes besteht ein sehr labiles Spannungsverhält-



    Wieczorek (Duisburg)

    nis. Es gelingt nicht immer, diese beiden Elemente ausgewogen zueinander zu halten.
    Zur Selbstgerechtigkeit, meine Damen und Herren, ist kein Anlaß, wenn man die Wohnungsbaupolitik von der Wende bis heute betrachtet. Seit 1983 hat diese Bundesregierung die Förderung des sozialen Wohnungsbaus abgebaut. Zitat aus dem Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992:
    Im Wohnungsbereich ist das Ziel einer ausreichenden Versorgung breiterer Bevölkerungsschichten mit angemessenem Wohnraum ereicht. Die staatliche Förderung kann zurückgeführt werden.
    Hier wurde das Regulativ des Marktes überbetont. Folge: Es fehlen weit mehr als eine halbe Million Wohnungen. Wir haben eine neue Wohnungsnot.

    (Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

    Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist durch die nicht vorhergesehenen Aussiedler und Übersiedler verschärft worden. Das Grundproblem ist jedoch durch die falschen Entscheidungen der Regierung verursacht worden.

    (Beifall bei der SPD)

    Dadurch ist für viele Menschen ein vergiftetes Klima des Miteinanderlebens entstanden. Die in der Bundesrepublik aufgewachsenen Mitbürger fühlen sich mit den Übersiedlern, Aussiedlern und Asylanten in einer immer schärferen Wettbewerbsposition um Wohnungen. Da werden Ängste und Aggressionen frei, da entstehen gesellschaftliche Schäden, die sich in Staatsverdrossenheit mit Hinwendung zu extremen politischen Heilslehren ausdrücken.
    Die Bundesregierung versucht nun, mit dem von ihr beschlossenen Programm ihre Fehler zu berichtigen. Allerdings ist unser Ausgleichssystem so sensibel, daß dadurch auch weitere Ungerechtigkeiten entstehen können.
    Meine Damen und Herren, zur Selbstgerechtigkeit haben wir auch dann keinen Anlaß, wenn wir die rund 3,5 Millionen Arbeitslosen sehen, obwohl jeder erwerbstätig sein möchte.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wie viele?)

    Jeder dritte Arbeitslose ist länger als ein Jahr ohne Beschäftigung. — Ich rede nicht von Ihren geschönten Statistikzahlen, sondern ich rede von den echten Zahlen, die draußen zu finden sind.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wo haben Sie die denn her? — Dr. Rose [CDU/CSU]: Wenn Sie wieder nominiert sind, reden Sie wieder anders!)

    Bei aller Gesundbeterei, meine Damen und Herren, es hat keinen Zweck. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Zahl der Langzeitarbeitslosen, um die es im wesentlichen geht, von 1980 bis heute um das Fünffache gestiegen ist

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Dieses Greuelmärchen erzählen Sie seit Jahren!)

    und daß nur noch 39 % der Arbeitslosen Arbeitslosenunterstützung erhalten.

    (Wiederholte Zurufe von der CDU/CSU: Wie viele Überstunden macht Thyssen?)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, es gibt ein Mikrofon. Bitte treten Sie ans Mikrofon zu einer Frage.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Er läßt ja keine Zwischenfragen zu!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Wieczorek


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident, ich kenne doch das Geifern meiner Kollegen hier vor mir, wenn ich rede.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Das ist unerhört! Ich denke, ihr arbeitet gut zusammen!)

    — Wir arbeiten gut zusammen, aber mit Ihnen könnte ich nie gut zusammenarbeiten, denn Sie haben Schaum vor dem Mund, Herr Kollege.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Sie sollen die Wahrheit sagen!)

    Sie sind nämlich einer von denen, die ich mit der Selbstgerechtigkeitsattitüde ansprechen muß.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Kommen Sie wieder zum Thema zurück!)

    Ihre selbstgerechte Haltung sollten Sie angesichts der Zahlen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ablegen. Der sagt Ihnen nämlich, daß 6 Millionen Menschen in der Bundesrepublik heute noch arm sind und in Armut leben. Das sind rund ein Zehntel der Bundesbürger, darunter Rentner, alleinerziehende Frauen und kinderreiche Familien.

    (Borchert [CDU/CSU]: Was hätten Sie seit gestern ohne den Paritätischen Wohlfahrtsverband gemacht?)

    Hohe Mieten und Schulden lassen sogar Mittelschichten verkommen.
    Ich muß Ihnen auch noch das Ergebnis einer Untersuchung der Deutschen Bundesbank vortragen, um Ihre Selbstgerechtigkeit wenigstens etwas zu erschüttern. Die Deutsche Bundesbank hat 20 000 Unternehmensjahresabschlüsse ausgewertet. Die Jahresüberschüsse lagen vor Abzug der Steuern um 17 % über dem Ergebnis von 1987. Die Lohnquote ist 1989 auf einem absoluten Tiefststand angelangt. Ich bin auf die Auseinandersetzungen zwischen den Tarifparteien sehr gespannt.
    Zur Selbstgerechtigkeit, meine Damen und Herren, haben Sie auch keinen Anlaß, wenn die von uns tagtäglich vorgenommene Zerstörung der Umwelt richtig gewertet wird. Wir leben noch immer in dem völlig falschen Bewußtsein, als ob Wasser und Luft nichts kosteten, also ob das freie Güter wären. Das sind sie aber nicht. Wir wissen, daß unser Wirtschaftswachstum einen gewaltigen Verzehr von Umwelt zur Folge hat. Nach konservativen Schätzungen betragen die Kosten der Beseitigung von Umweltschäden zwischen 80 und 150 Milliarden DM pro Jahr. Nach all dem wird deutlich, daß die herkömmliche Unterscheidung zwischen knappen und freien Gütern überholt ist. Der



    Wieczorek (Duisburg)

    Verzehr von Umwelt muß bezahlt werden. Darüber hinaus wird aber auch deutlich, daß die alleinige Betrachtung des quantitativen Wirtschaftswachstums den Blick für die gesamtwirtschaftlichen Probleme verstellt. Es wird weiterhin ganz klar, daß wir einen Problemberg aufgehäuft haben, der nur durch einschneidende Reformvorhaben abgetragen werden kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Beispiele können die Überlegenheit unseres Staats- und unseres Wirtschaftssystems nicht herabwürdigen. Sie sollten nur vor Selbstgerechtigkeit warnen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Es gibt darüber hinaus noch einige Gründe dafür, daß wir den Haushaltsentwurf 1990 ablehnen müssen. Denn in diesem Haushalt werden im Gegensatz zur Rede des Bundesfinanzministers die sozialen Verzerrungen weiter zementiert. Es werden keine Maßnahmen gegen die lebensbedrohende Umweltzerstörung ergriffen. Die soziale Situation wird sich dramatisch verschärfen. Denn bis zum Jahresende werden insgesamt 400 000 Aussiedler, 300 000 Übersiedler und zusätzlich 110 000 Asylsuchende erwartet. Wir sind darauf nicht vorbereitet. Immer dort, wo diese Menschen auf einen Mangel oder eine Konkurrenzsituation treffen, werden sie in einem spannungsgeladenen Umfeld sein. Sie werden nach den Beobachtungen der Wohlfahrtsverbände mit zu Schuldigen gestempelt. Im Umweltbereich — ich darf darauf zurückkommen — werden die Probleme immer größer.
    Willy Brandt hat gesagt: Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen kämpfen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Steuerreform! Gesundheitsreform! Rentenreform!)

    Dieser Satz gilt heute genauso wie damals. Reformieren heißt aber nicht, an Symptomen laborieren, sondern: die Probleme an der Wurzel packen. Die Wurzel ist hier unsere Lebens- und Wirtschaftsordnung. Diese müssen wir ökologisch verträglich gestalten. Der Umfang dieser Aufgabe wird einem eher bewußt, wenn man bedenkt, daß es 70 bis 80 Jahre gedauert hat, unsere Verfassungs-, Lebens- und Wirtschaftsordnung sozial verträglich auszustatten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir Sozialdemokraten kämpfen seit Jahren um die Aufnahme der Ökologieverträglichkeit als Staatsziel in die Verfassung. Auch hier wollen Sie abmildern, indem Sie die Staatszielbestimmung unter den Gesetzesvorbehalt stellen wollen. Aber auch wenn es uns gelungen sein wird, die Ökologieverträglichkeit in die Verfassung aufzunehmen, werden wir viele uns vertraute Begriffe und Instrumentarien überarbeiten müssen. Wir werden Begriffe wie Wohlfahrt neu definieren müssen. Unter Wohlfahrt kann nicht die Ausstattung mit Sachgütern verstanden werden. Wir müssen auch die Ausstattung mit Umweltgütern wie frischer Luft, gesunden Bäumen oder gesundem Wasser in die Begriffsdefinition aufnehmen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

    Wir werden in den Zielkatalog für die Finanzwirtschaft den Begriff der Ökologieverträglichkeit in der gleichen Gewichtung wie den Begriff der Verteilungsgerechtigkeit aufnehmen müssen.
    Da der größte Verzehr der Umwelt durch die Energieumwandlung stattfindet, ist unser methodischer Ansatz die systematische Steigerung der Energieproduktivität. Wohlgemerkt: der Energieproduktivität. Verwechseln Sie das nicht mit Energieproduktion. Wir erhöhen den Preis für die Energieproduktion um den Verzehr der Umweltgüter. Durch dieses marktwirtschaftliche Signal erwarten wir eine Reduzierung des Primärenergieeinsatzes.

    (Beifall des Abg. Jungmann [Wittmoldt] [SPD])

    Unser Konzept ist nicht industriefeindlich, sondern mittel- und langfristig gesehen industriefreundlich. Es geht auch nicht um die Belastung der Industrie, sondern um eine ökologische Umstrukturierung.

    (Borchert [CDU/CSU]: Das ist doch kein Konzept! — Rossmanith [CDU/CSU]: Also weg mit der Kohle?!)

    Unser Konzept wird von den gesellschaftlichen Kräften in diesem Land heftig diskutiert. Und das ist gut so. Und darauf sind wir stolz.
    Wer natürlich nichts anbietet, wie die Regierung und die Koalitionsparteien, kann auch keine Diskussionen erzeugen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wenn wir nicht gemeinsam kurzfristig diese Probleme lösen und gerechte Lebensbedingungen für alle Menschen in unserem Land, gerechte Chancen der Menschen außerhalb unserer Grenzen und Gerechtigkeit gegenüber unserer Natur schaffen, werden wir keinen sozialen Frieden halten können. Denken Sie daran: Gerechtigkeit schafft Frieden.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)