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ID1117801100

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    Plenarprotokoll 11/178 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 178. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389) Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof in Verbindung mit Tagesordnungspunkt II: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stratmann, Dr. Lippelt (Hannover) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verzicht auf Privatisierung der Salzgitter AG und Verhinderung der Großfusion PreussagSalzgitter (Drucksache 11/5536) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III: Beratung des Antrags des Abgeordneten Schmidt (Salzgitter), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verkauf/ Privatisierung der Salzgitter AG an die Preussag (Drucksache 11/5609) Frau Matthäus-Maier SPD 13597 D Borchert CDU/CSU 13605 A Frau Vennegerts GRÜNE 13609 B Dr. Weng (Gerungen) FDP 13614 C Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . 13620 B Wieczorek (Duisburg) SPD 13631 A Roth (Gießen) CDU/CSU 13634 B Dr. Struck SPD 13637 C, 13645 C Dr. Pfennig CDU/CSU 13640 C Schmidt (Salzgitter) SPD 13642 C Sauer (Salzgitter) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 13644 B Frau Vennegerts GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13645 A Namentliche Abstimmung 13646 B Ergebnis 13654 D Ergebnis der Abstimmung über Einzelplan 60 13672A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Nehm SPD 13646 C Dr. Schroeder (Freiburg) CDU/CSU . . 13648B Frau Teubner GRÜNE 13651 D Dr. Hitschler FDP 13656 B Müntefering SPD 13659 A Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau 13662 C Conradi SPD 13666 D Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 13668 C Grünbeck FDP (Erklärung nach § 30 GO) 13671A Conradi SPD (Erklärung nach § 30 GO) 13671B Dr. Hitschler FDP (Erklärung nach § 30 GO) 13671 C Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft Frau Blunck SPD 13672 B Rossmanith CDU/CSU 13674 A Frau Saibold GRÜNE 13678 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 13680 B Vahlberg SPD 13682 D Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 13686 B Frau Conrad SPD 13689A Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie Zander SPD 13693 A Austermann CDU/CSU 13696 B Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . 13699 B Zywietz FDP 13700 C Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 13703A Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr Purps SPD 13707 B Windelen CDU/CSU 13710 C Weiss (München) GRÜNE 13713 C Zywietz FDP 13715A Dr. Zimmermann, Bundesminister BMV 13716D Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit Esters SPD 13719D Dr. Neuling CDU/CSU 13722 A Volmer GRÜNE 13724 C Frau Seiler-Albring FDP 13727 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . . 13729A Nächste Sitzung 13731 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13732* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1989 13597 178. Sitzung Bonn, den 29. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 01. 12. 89 * Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 01. 12. 89 Büchner (Speyer) SPD 01. 12. 89 * Frau Dempwolf CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Dollinger CDU/CSU 01. 12. 89 Engelsberger CDU/CSU 29. 11. 89 Dr. Haack SPD 01. 12. 89 Frhr. Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Hennig CDU/CSU 29. 11. 89 Höffkes CDU/CSU 01. 12. 89 Hörster CDU/CSU 30. 11. 89 Jaunich SPD 01. 12.89 Kastning SPD 29. 11. 89 Kiechle CDU/CSU 29. 11.89 Kißlinger SPD 01. 12. 89 Klein (Dieburg) SPD 01. 12. 89 Kolbow SPD 01. 12. 89 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Linsmeier CDU/CSU 01.12.89 Frau Luuk SPD 01. 12. 89 Dr. Mahlo CDU/CSU 29. 11. 89 Meneses Vogl GRÜNE 01. 12. 89 Müller (Düsseldorf) SPD 29. 11. 89 Niegel CDU/CSU 01. 12. 89* Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 01. 12. 89 Paterna SPD 01. 12. 89 Frau Rock GRÜNE 01. 12. 89 Frau Schilling GRÜNE 01. 12. 89 Schreiber CDU/CSU 30. 11. 89 Schreiner SPD 29. 11. 89 Schröer (Mülheim) SPD 01. 12. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 01. 12. 89 Sielaff SPD 30. 11. 89 Tietjen SPD 01. 12. 89 Frau Trenz GRÜNE 01. 12. 89 Verheugen SPD 30. 11. 89 Wartenberg (Berlin) SPD 29. 11. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 01. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Jochen Borchert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie schon in den vergangenen Jahren, so hat der Haushaltsausschuß auch in diesem Jahr seine Beratungen so termingerecht abgeschlossen, daß der Haushalt rechtzeitig im Bundestag und im Bundesrat verabschiedet wird und zu Beginn des neuen Haushaltsjahres in Kraft treten kann. Auch dies ist ein Zeichen der Kontinuität und Verläßlichkeit der Haushaltspolitik der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen.
    Lassen Sie mich aber am Beginn dieser haushalts-
    und finanzpolitischen Debatte sehr herzlich allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses für die gute Zusammenarbeit danken. Auch in diesem Jahr haben wir wieder viele Stunden bis tief in die Nacht hinein in der 25. Etage des neuen Hochhauses beraten. Bei diesen Beratungen sind wir auf die Zuarbeit und die Hilfe der Mitarbeiter des Sekretariats des Haushaltsausschusses, der Beamten vor allem des Bundesfinanzministeriums und des Bundesrechnungshofes angewiesen. Für die zusätzliche Arbeit und die Unterstützung, die hier in den letzten Wochen geleistet wurden, bedanke ich mich sehr herzlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, den Haushaltsausschuß kennzeichnet ein, glaube ich, besonderes politisches Klima. Es wird in der Sache hart gestritten. Dabei werden politische Unterschiede deutlich herausgestellt, sie werden nicht unter den Teppich gekehrt. Aber, ich meine, bei allem politischen Streit gehen wir im Ausschuß menschlich fair miteinander um. Ich glaube, es bleiben auch nach Abschluß der Beratungen keine Wunden oder offene Gräben zurück. Für dieses Klima bei den Beratungen danke ich allen Kolleginnen und Kollegen. Ich bedanke mich bei dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem Kollegen Rudi Walther,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    für die souveräne und unparteiische Verhandlungsführung auch in schwierigen Beratungsphasen, die wir in jedem Jahr wieder haben. Ich bedanke mich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Mein Dank gilt aber auch unseren Kollegen der FDP, Ulla Seiler-Albring, Wolfgang Weng und Werner Zywietz, für die gute Zusammenarbeit in der Haushaltsgruppe, die immer gewährleistet, daß wir auch in strittigen Fragen einen Kompromiß finden und diesen einvernehmlich im Haushaltsausschuß vertreten.
    Meine Damen und Herren, die Rede der finanzpolitischen Sprecherin der SPD hat gezeigt, daß der Wechsel von Hans Apel zu Frau Matthäus-Maier in der Sache nichts Neues bewirkt hat. Die Ausführungen sind ideologisch fixierter, aber in der Sache eher schwächer. Die SPD ist Gefangene ihrer eigenen Ideologien. Sie ignoriert die positiven Auswirkungen unserer Haushalts- und Steuerpolitik auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Sie will die Erfolge nicht zur Kenntnis nehmen, weil nicht sein kann, was nach ihrer Meinung nicht sein darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sehr geehrte Frau Kollegin, mit Ihrer Rede reihen Sie sich in den Chor derer ein, die uns einreden wollen, es gehe uns schlecht und wir träfen die falschen politischen Entscheidungen. Ich meine aber, daß die Fakten eine andere Sprache sprechen.
    Erstaunlich zurückhaltend waren Sie heute mit Ihren Prognosen zur Neuverschuldung. Wie wenig bisher, vor allen Dingen in der Vergangenheit, Ihre Aussagen mit der Realität unseres Landes zu tun haben, zeigen einige Zitate. Der Kollege Hans Apel erklärte im „Pressedienst" der SPD am 14. Januar 1988:
    1989 wird sich das Haushaltsdefizit des Bundes auf 50 Milliarden DM und 1990 auf 60 Milliarden DM zubewegen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU] : Hört! Hört!) Der Kollege Vogel sagte am 16. April 1988:

    Im Jahre 1990 wird selbst bei 1989 kräftig erhöhten Verbrauchsteuern das Defizit des Bundeshaushalts bei mindestens 50 Milliarden DM liegen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das haben Sie doch selber für möglich gehalten! Was haben Sie denn angenommen?)

    Die Tatsache, Herr Kollege: 1990 liegt die Nettokreditaufnahme bei 26,9 Milliarden DM. Die Nettokreditaufnahme ist damit niedriger, als sie im Haushaltsjahr 1989 für das Jahr 1990 prognostiziert wurde — trotz der Steuerreform, die Mindereinnahmen von etwa 11 Milliarden DM mit sich bringt. Dies sind die Fakten.

    (Zuruf des Abg. Westphal [SPD])

    — Ich verstehe ja, daß Sie das nicht gerne hören.
    Ihre Aussagen, meine Damen und Herren von der Opposition, haben mit seriöser Haushaltspolitik doch nichts mehr zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Borchert
    Dies ist reine Demagogie. Sie können doch gar nicht so schlechte Prognostiker sein, daß Sie diese Zahlen, die Sie immer wieder vortragen, selber glauben.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Sie wollen mit falschen Zahlen Unsicherheit erzeugen,

    (Frau Conrad [SPD]: Falsche Zahlen?)

    oder — dies wäre natürlich die Alternative, Frau Kollegin — Ihr Vorsitzender hat diese Zahlen unter der Voraussetzung genannt,

    (Kolb [CDU/CSU]: Daß er regieren wird!)

    Sie hätten die Chance, Ihr Programm „Fortschritt '90" zu realisieren. Dann wäre dies sicher der Beginn des Rückschritts. Diese Zahlen würden zutreffen, und sie wären noch höher.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Allein ihre finanzwirksamen Forderungen seit dem Regierungswechsel 1982 addieren sich im Bundeshaushalt auf mehr als 130 Milliarden DM.

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Wie bitte? Das ist ja unglaublich!)

    Sie lehnen die Steuerreform ab und haben die Steuermindereinnahmen inzwischen schon dreimal verplant: zuerst für Ihr Arbeitsmarktprogramm, anschließend für den Umweltschutz, und nun fordern Sie, diese 11 Milliarden DM zugunsten der DDR einzusetzen.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das ist gar nicht wahr!)

    Dies ist doch das Markenzeichen Ihrer Politik: Das Geld, das wir in den Taschen der Bürger lassen, wird von Ihnen pausenlos für neue Zwecke verplant.

    (Kolb [CDU/CSU]: Mehrfach ausgegeben! — Frau Conrad [SPD]: Wir geben es anders aus!)

    — Nein, Sie verplanen das gleiche Geld inzwischen schon zum drittenmal. Wir werden den Bürgern immer wieder sagen, daß Sie das Geld ständig neu verplanen. Oder Sie müßten den Bürger laufend mit neuen Steuern belasten, um diese Ausgaben finanzieren zu können.
    Ich meine, es ist gut, daß Sie die Oppositionsbank drücken und dort auch nach der nächsten Bundestagswahl bleiben;

    (Beifall bei der CDU/CSU — Walther [SPD]: Das entscheidet das Volk!)

    denn damals wie heute wäre das Ergebnis Ihrer Politik explosionsartige Ausweitung der Staatsausgaben und dramatische Steuererhöhungen. Die Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft wären verheerend.
    Sie fordern nach wie vor mehr Staat, obwohl Sie genau wissen, daß dies eine der Ursachen für die unsoziale Entwicklung der 70er Jahre war, nämlich Verlust an Arbeitsplätzen, hohe Preissteigerungsraten und eine Handlungsunfähigkeit des Staates. Nur wenige in Ihrer Partei sehen dies.
    Frau Matthäus-Maier hat ihre eigenen Genossen vor zu hohen Erwartungen gewarnt. Sie sagten am 10. August: „Nicht alle wünschbaren Projekte sind auch finanzierbar. "

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das gilt doch auch für Sie!)

    Nur, Frau Kollegin, wenn ich die Forderungen Ihrer Genossen höre, dann habe ich den Eindruck: Vielleicht reden Sie zu schnell; Ihre Genossen bekommen Ihre Warnungen offensichtlich nicht mit.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Struck [SPD]: Sie redet aber langsam! Frau Simonis hat schneller geredet!)

    — Da haben Sie auch noch weniger mitbekommen; denn die Politik war damals ja noch schlimmer.
    In Ihrem Programm „Fortschritt '90" formulieren Sie trotz der Erfahrungen der 70er Jahre ein planwirtschaftliches Element nach dem anderen. Umverteilung und tiefes Mißtrauen gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihr Programm. Finanzieren wollen Sie dies alles mit mehr Steuern und mehr Schulden.

    (Dr. Weng [Gerungen] [FDP]: Nichts gelernt!)

    Ihr Kollege Hans Apel — vielleicht sollten Sie sich häufiger mit ihm zusammensetzen — sagt dazu: Diesen Vorschlägen fehlt ökonomischer Sachverstand. — Ich meine, der Kollege hat recht.

    (Westphal [SPD]: Vorhin haben Sie ihn kritisiert!)

    — Da, wo er eine verkehrte Aussage macht, wird er natürlich kritisiert. Ich muß ihn in einer Reihe von Aussagen, die er gemacht hat, nachdem er nicht mehr finanzpolitischer Sprecher ist, unterstützen. Ich werde darauf noch zurückkommen.
    Was gefragt ist, ist Augenmaß und ökonomischer Sachverstand. Ich meine, der Haushalt 1990, den wir heute beraten, zeigt, daß diese Bundesregierung dieses Augenmaß besitzt.
    Unser haushalts- und finanzpolitisches Konzept hat wesentlich dazu beigetragen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig in der längsten Aufschwungphase der Nachkriegsgeschichte befindet. Das konsequente Umsteuern auf stetige, an mittelfristigen Zielen orientierte Finanzpolitik hat stabile Entscheidungsgrundlagen geschaffen und damit die Rahmenbedingungen für dauerhaftes Wachstum bei hoher Preisstabilität entscheidend verbessert. Wir sind bei allen finanzpolitischen Zielbereichen ein gutes Stück vorangekommen. Das Wachstum der Staatsausgaben wurde begrenzt, die Ausgaben des Bundes wachsen seit 1982 im Jahresdurchschnitt mit etwa 2,5 %. Die Inanspruchnahme der Volkswirtschaft durch den Staat wurde deutlich zurückgeführt. Die Staatsquote, die von 39 % im Jahre 1969 auf fast 50 % bis 1982 gestiegen ist, konnte wieder auf rund 45 abgebaut werden. Die staatlichen Defizite wurden spürbar verringert. Die Nettokreditaufnahme des Bundes in Prozent des Bruttosozialprodukts verringerte sich von 2,3 % im Jahre 1982 um rund die Hälfte auf gut 1 %.
    Die SPD hat in diesen Tagen und Frau Matthäus auch heute wieder gegen die Steuerreform, die dritte



    Borchert
    Stufe der Steuerreform für das kommende Jahr polemisiert.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Gegen Teile!)

    Gewinner unserer Steuerpolitik sind die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, Familien mit Kindern und der Mittelstand.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Allein durch den höheren Grundfreibetrag werden 1990 eine halbe Million Personen steuerfrei gestellt. Ein Arbeitnehmer, verheiratet, mit zwei Kindern, hatte 1985 ein steuerfreies Einkommen von rund 14 000 DM, 1990 hat er ein steuerfreies Einkommen von rund 24 000 DM. Dies zeigt: Wir helfen gezielt kleinen und mittleren Einkommen und entlasten sie mit unserer Steuerreform.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dank unserer Steuersenkungspolitik wird die Steuerquote im kommenden Jahr mit 22,5 % den niedrigsten Stand seit 30 Jahren erreichen. Der Sachverständigenrat schreibt zu Recht:
    Was bisher an Reformschritten vollzogen wurde, weist in die richtige Richtung.
    Die vordringlichste wirtschafts- und finanzpolitische Aufgabe nach 1982 war es, die Tätigkeit des Staates auf den Kern seiner Aufgaben zurückzuführen und die Finanzierung der öffentlichen Haushalte auf eine solide Basis zu stellen. Dies ist gelungen.

    (Beifall bei der FDP)

    Die Privatinitiative, die persönliche Leistungsbereitschaft in allen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens, die marktwirtschaftlichen Kräfte und die internationale Wettbewerbsfähigkeit wurden nachhaltig gestärkt. Die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen an sich verändernde Strukturen hat sich deutlich verbessert.
    Im Umweltschutz erfolgen die notwendigen staatlichen Eingriffe mit marktkonformen Instrumenten. Die Eingriffe sind so gestaltet, daß sie die Eigenverantwortung des einzelnen stärken. Oberstes Ziel bleibt das Verursacherprinzip. Derjenige, der den Schaden verursacht, ist auch verpflichtet, diesen Schaden zu beheben.
    Mittelfristig muß es das Ziel unserer Politik werden, daß sich über den Preis das Produktionsverfahren oder das Gut durchsetzt, welches von vornherein umweltverträglicher ist. Wir müssen neben der Sozialkomponente versuchen, den Umweltschutz Schritt für Schritt in das System unserer Marktwirtschaft zu integrieren.
    Bei der ersten Lesung dieses Haushalts im September hat die SPD noch sehr viel vehementer als heute ihre Forderungen nach der Einführung von Ökosteuern als politisches Allheilmittel vertreten. Heute sind diese Vorschläge sehr viel zurückhaltender vorgetragen worden.

    (Roth [SPD]: Gar nicht! — Dr. Struck [SPD]: Warten Sie ab! Es geht erst los!)

    Ich will zu dem Konzept der SPD einen unverdächtigen Kollegen, nämlich deren früheren finanzpolitischen Sprecher, den Kollegen Hans Apel, zitieren.

    (Zurufe von der SPD)

    — Warten Sie doch erst einmal ab. — Er sagte:
    Bei den Plänen der SPD tanken die Autofahrer wie bisher, aber voller Wut den teuren Sprit und warten darauf, daß sie bei der Lohnsteuerrückerstattung das Geld wiederbekommen. Gewinner wären die Zweitwagenfahrer, die wenig fahren und auch die Kfz-Steuer nicht mehr bezahlen müssen. Verlierer sind die Fernpendler und diejenigen, die knapp über der Steuergrenze liegen.
    Er fährt fort:
    Mit anderen Worten: Es wird genauso viel Auto gefahren wie bisher. Ein riesiger Umverteilungsmechanismus wird in Kraft gesetzt, aber ohne jeden Nutzen für die Umwelt.
    Auch hier hat der Kollege Apel recht.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Hier klatschen sie dem Apel zu!)

    Ich meine, der Kollege Apel bestätigt eindrucksvoll: Bei Ihren Vorschlägen besteht für uns keine Veranlassung, unsere erfolgreiche und gestalterische Haushalts- und Finanzpolitik zu ändern. Es zeigt sich immer mehr, daß der Kurs der Haushalts- und Finanzpolitik, Senkung der Staatsquote, konsequentes Festhalten am Konsolidierungskurs, Senkung der Steuerlast, die Wachstumskräfte gestärkt und den Wohlstand der Bürger und Bürgerinnen erhöht hat. Dieser Kurs wurde bei den Beratungen im Haushaltsausschuß weiter akzentuiert. Es ist uns gelungen, trotz neu hinzukommmender Belastungen, z. B. durch die wohnungsbaupolitischen Beschlüsse und die Vorsorge zur Integration der Aus- und Übersiedler, das Ausgabevolumen des Regierungsentwurfs um 1,2 Milliarden DM auf rund 300 Milliarden DM zu verringern. Die Ausgabensteigerung, die im Regierungsentwurf noch mit 3,4 % vorgesehen war, konnte auf 3 gesenkt werden. Die Koalitionsfraktionen haben damit ihr Ziel erreicht, die Zuwachsrate weiter zu begrenzen.
    Ebenfalls in die Tat umgesetzt haben wir unser Vorhaben, die auf Grund der günstigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eintretenden Steuermehreinnahmen von 5,4 Milliarden DM voll zur Verminderung der Nettokreditaufnahme einzusetzen. Durch die Begrenzung der Ausgaben und durch Steuermehreinnahmen konnte so die Nettokreditaufnahme gegenüber dem Regierungsentwurf um 6,7 Milliarden DM auf 26,9 Milliarden DM reduziert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Prämisse von Art. 115 des Grundgesetzes wird auch bei Inkrafttreten der dritten Stufe der Steuerreform, die für den Bund mit rund 11 Milliarden DM Steuerausfällen verbunden ist, deutlich erfüllt. Dieses Ergebnis, meine ich, kann man zu Recht eine erfolgreiche Haushaltsberatung nennen.
    Die Einsparungen von 1,2 Milliarden DM, ein Saldo aus Mehr- und Mindereinnahmen, treffen fast alle



    Borchert
    Haushalte. Der Verteidigungsetat konnte um rund 240 Millionen DM gesenkt werden. Die Verteidigungsbereitschaft bleibt erhalten. Es werden allerdings Signale gesetzt, um die laufenden Abrüstungsverhandlungen positiv begleiten zu können. Die Kürzungen sind vernünftig. Sie gehen nicht auf Kosten der Soldaten. Sie beeinträchtigen nicht die notwendige wehrtechnische Erforschung und Erprobung. Die Bundeswehr kann auch in den 90er Jahren ihren Auftrag erfüllen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ratlosigkeit herrscht an dieser Stelle offenbar bei der SPD. Am 17. November wurden Kürzungsanträge zur zweiten Lesung in Höhe von 5 Milliarden DM im Verteidigungsetat angekündigt. Am Nachmittag erklären die Kollegen Wieczorek, Esters und Walther, diese Passage sei irrtümlich in den Text der Presseerklärung hineingeraten.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Walther [SPD]: Das stimmt sogar!)

    Die SPD werde einen solchen Antrag nicht stellen. eine Woche später und auch heute wieder kündigt dann Frau Matthäus-Maier Kürzungen in Höhe von 3,2 Milliarden DM an.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Mindestens!)

    Was wollen Sie denn nun: Kürzungen, und in welcher Höhe? — Mein Ratschlag, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Erst denken, dann reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der [FDP] — Roth [SPD]: Dann können wir aber das Parlament schließen!)

    — Dann können wir das Parlament schließen? Dauert das bei Ihnen so lange?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Dann dürften Sie gar nicht reden! — Dr. Struck euch auch! — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die Opposition schließen!)

    Die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit konnten um 690 Millionen DM gekürzt werden; denn es gibt heute deutlich mehr versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Dadurch werden die Beitragseinnahmen deutlich steigen. Die Zahl der Arbeitsuchenden liegt seit Monaten unter der 2-MillionenGrenze. Die Zahl der Kurzarbeiter ist unbedeutend. Der Anstieg der Zahl der offenen Stellen setzt sich fort. Auch nach Ansicht des Sachverständigenrates wird sich dieser Trend fortsetzen.
    Zum Wohnungsbau will ich mich auf wenige Bemerkungen beschränken: Die Forderungen der SPD sind schlichtweg unrealistisch. Dies wird auch vom Sachverständigenrat bestätigt. Es ist nicht möglich, innerhalb so kurzer Zeit so viel Geld, wie Sie fordern, sinnvoll auszugeben. Die Baukapazitäten sind begrenzt. Sie wissen, daß dies nicht realisiert werden kann. Aber Ihr Strickmuster ist wie hier auch an anderen Stellen immer das gleiche: Hohe Erwartungen wecken, die keiner erfüllen kann, und der Schuldige ist dann die Bundesregierung.
    Das wohnungsbaupolitische Programm dieser Bundesregierung ist sozial ausgewogen. Es hilft der kinderreichen Familie und schafft Anreize für den gemeinnützigen und den privaten Bauherrn. Ich bin davon überzeugt, daß mit diesem Programm der Anstoß zum Bau von rund 300 000 Wohnungen pro Jahr gegeben wird. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auch an die privaten Investoren appellieren: Nutzen Sie die Angebote, investieren Sie in den Wohnungsbau!

    (Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP] — Walther [SPD]: Herr Weng ist wach geworden!)

    Lassen Sie mich einen weiteren Punkt aufgreifen. Die SPD wirft dieser Bundesregierung vor, in elf Jahren, von 1983 bis 1993, genausoviel Schulden zu machen wie alle Bundesregierungen zusammen in 33 Jahren.
    Eine Bemerkung vorweg. Sie beziehen damit den Zeitraum des Finanzplans in Ihre Rechnung mit ein. Wie wir heute beschließen, senken wir allein 1990 die Nettokreditaufnahme gegenüber den Planzahlen um fast 7 Milliarden DM. Aber Ihre Rechnung ist nicht nur deswegen auf Sand gebaut.
    Ich nehme aber trotzdem den Gedanken einmal auf: Von 1949 bis 1969, also in 20 Jahren, wurden 45 Milliarden DM Schulden gemacht. Den Bundeskanzler stellte immer die CDU. Von 1969 bis 1982, also in 13 Jahren, wuchsen die Schulden um 265 Milliarden DM. Den Bundeskanzler stellte jeweils die SPD. Von 1982 bis zum Ende dieses Jahres wachsen die Schulden voraussichtlich um 185 Milliarden DM.

    (Hüser [GRÜNE]: Plus Bundesbahn!)

    Dieser Schuldenzuwachs ist praktisch deckungsgleich mit den Zinsen, die der Bund für die Schulden zahlen muß, die Sie in 13 Jahren gemacht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie schafften in 13 Jahren Regierungszeit weit mehr Schulden als CDU/CSU-und-FDP-geführte Bundesregierungen in 27 Jahren.

    (Dr. Struck [FDP]: Was sagt denn die FDP dazu? Die war auch dabei! Fragen Sie doch den Grafen Lambsdorff mal! — Gegenruf des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die hört zu!)

    — Aber die haben dann auch gemerkt, daß man mit Ihnen keine vernünftige Politik machen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das werdet ihr auch noch merken!)

    Hätten wir 1982 geordnete Finanzen übernommen, so hätten wir seit 1982 keine zusätzlichen Schulden machen müssen. 180 Milliarden DM an Zinsen mußten für die Altschulden gezahlt werden. 185 Milliarden DM betrug der Schuldenzuwachs. Deswegen kann man feststellen: Die SPD ist und bleibt die Schulden-Partei in unserem Lande.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Erblast der hohen Verschuldung und die sich daraus ergebenden Zinsaufwendungen belasten uns heute im Bundeshaushalt. Es ist mit unserer Politik der Konsolidierung allerdings gelungen, den Anstieg der Zinsquoten deutlich zu verlangsamen. Die Politik und die Ergebnisse zeigen: Wir sind auf dem richtigen



    Borchert
    Weg. Die Konsolidierungspolitik darf deshalb nicht ins Stocken geraten. Die finanz- und haushaltspolitischen Vorschläge der Opposition würden das bisher Erreichte gefährden, Ihre Forderungen im Programm 90 würden Rückschritt statt Fortschritt bringen.
    Der Kollege Hans Apel — ich muß ihn noch einmal zitieren, denn er hat sich inzwischen offensichtlich intensiv mit Ihrem Programm auseinandergesetzt, nach seinem Rücktritt —

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Haben Sie keinen anderen? — Kolb [CDU/CSU]: Der kümmert sich jetzt mehr um Fußball!)

    sagt zu Ihrem wirtschafts- und finanzpolitischen Programm zu Recht:
    Man bestraft die Fernpendler in verkehrstechnisch ungünstigen Zonen, fördert soziale Ungerechtigkeit, weil sich die Wohlhabenden über die Spritverteuerung kaputtlachen, und trifft Rentner und Kleinverdiener im Portemonnaie.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie sollten wirtschaftspolitischen Nachhilfeunterricht bei ihm nehmen, denn er fährt fort:
    Wichtig ist aber, daß uns nur wirtschaftspolitischer Sachverstand weiterbringt, nicht aber ideologisch bestimmte Positionen.
    Ich meine, deswegen gibt es keine Alternative zu unserer Konsolidierungspolitik. Die weitere Senkung der Staatsquote, die weitere Begrenzung des Schuldenzuwachses, verbunden mit einer deutlichen Verringerung der Abgabenlast sind und bleiben unser langfristig angelegtes Zielbündel. Um es konfliktfrei zu realisieren, müssen auch zukünftig die Ausgabenzuwächse der öffentlichen Hand deutlich unterhalb des Zuwachses des gesamtwirtschaftlichen Wachstums bleiben. Ich meine, es gibt keinen anderen Weg, auch aus der Verantwortung heraus, die wir für zukünftige Generationen tragen. Wir werden unseren Weg der soliden Finanz- und Haushaltspolitik fortsetzen.
    Danke sehr.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Christa Vennegerts


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierung und der Bundesfinanzminister sonnen sich im Glanz der Konjunktur, feiern die angekündigten Wachstumsraten von 3 % für 1989 und 4 % für 1990. Auf Grund der geschätzten Steuermehreinnahmen von 5,3 Milliarden DM im Jahre 1990 für den Bund wird von einer Nettoneuverschuldung von 26,9 Milliarden DM ausgegangen. Wer, lieber Herr Kollege Borchert — auch von Ihnen — , hat mit diesen Steuermehreinnahmen gerechnet?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wir!)

    — Niemand, niemand, niemand. Deshalb können Sie
    der Opposition nicht vorwerfen, hier mit falschen Berechnungen agiert zu haben. Ihre Berechnungen lagen dann genauso daneben. Das mal zu Ihren Zahlen.
    Hämisch, wie gestern von Herrn Bohl dargestellt, wird der Opposition vorgehalten, sie entwerfe Horrorgemälde, wenn sie es wagt, die Auswirkungen dieser Haushalts- und Finanzpolitik grundsätzlich zu kritisieren. Wenn man den selbstgerechten, fast schon überheblichen Äußerungen der Bundesregierung folgen sollte, müßte man zu dem Ergebnis kommen: Alles prima bei uns in der Bundesrepublik. Ich sage nur: Es ist bei weitem nicht so. Die gestern vom Bundeskanzler zitierte Aufbruchstimmung in der Wirtschaft und die bejubelten Wachstumsraten nützen den Benachteiligten in unserer Gesellschaft wenig; denn durch das Ansteigen der Inflationsrate auf zur Zeit 3 werden vor allen Dingen die Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, die Bezieher kleiner Einkommen überproportional belastet. Das sind die Tatsachen.
    Die Anhebung des Grundfreibetrages und die Senkung des allgemeinen Lohn- und Einkommensteuertarifs werden erstens durch Streichung von Steuervergünstigungen finanziert. Ich nenne die Stichworte Weihnachtsfreibeträge, Belegschaftsrabatte, Lohnzuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit. Die Arbeitnehmer bezahlen also die Entlastungen durch neue Belastungen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Zweitens wird die gepriesene Steuerreform durch erhebliche Anhebung von Verbrauchsteuern finanziert. 1989 führt dies bei Verrechnung aller neuen Belastungs- und Entlastungsmaßnahmen zu einer Nettobelastung von 6,6 Milliarden DM. — Alle Zahlen stammen aus dem Finanzbericht der Bundesregierung. Die haben nicht wir uns ausgedacht.
    Die finanzielle Situation derjenigen, die schon jetzt im Schatten unserer Gesellschaft leben, wird sich weiter verschlechtern. Das ist eine ungerechte Politik, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD])

    Der Bundeskanzler und die Koalitionsparteien verlangen weitere Steuergeschenke für die Wirtschaft in Höhe von 25 bis 27 Milliarden DM mit der Begründung, die bundesdeutschen Unternehmen seien nicht wettbewerbsfähig. Ein Blick auf die allmonatlich ansteigenden Handelsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik verweisen solche Aussagen in den Bereich der Märchen und Zweckpropaganda.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Richtig!)

    Auch die Gewinnlage der Unternehmen bestätigt die These, daß es keiner allgemeinen Unternehmensteuerreform bedarf. Nach Berechnung der Deutschen Bank — die sollte es eigentlich am besten wissen —

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das kann man wohl sagen!)

    sind die Unternehmensgewinne 1988 um 20 % gestiegen. Für dieses Jahr werden 13 % und für 1990 12 höhere Gewinne erwartet.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Hört! Hört!)




    Frau Vennegerts
    Warum also eine flächendeckende Entlastung, Herr Waigel?
    Zum Vergleich: Die Einkommen der abhängig Beschäftigten stiegen 1988 um 3,8 %, 1989 um 4,5 %, und für 1990 werden vom Sachverständigenrat, den Sie auch immer zitieren, 9 % prognostiziert.

    (Hüser [GRÜNE]: Ich glaube noch nicht, daß sie 9 % Zuwachs bekommen!)

    Vergleichen Sie das jetzt einmal. Dann wissen Sie, für wen man in dieser Republik etwas tun muß.
    Die Bundesregierung, der Sachverständigenrat und ein Troß von Wirtschaftswissenschaftlern vertreten die These, daß wirtschaftliches Wachstum Voraussetzung für erfolgreichen Umweltschutz ist. Ich messe die Bundesregierung an ihren eigenen Aussagen. Dann aber, meine Damen und Herren, wäre doch zu erwarten, daß während des nunmehr sieben Jahre andauernden Aufschwungs die Ausgaben des Bundes für Umweltvorsorge und Behebung eingetretener oder drohender Umweltschäden einen erheblichen Anteil an dem gesamten Bundeshaushalt haben müßten —

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist aber nicht so!)

    wenn man Ihrer Logik folgt. Ein Blick in die Haushaltspläne der vergangenen Jahre beweist jedoch das Gegenteil. Wann wollen Sie denn etwas für den Umweltschutz tun? Welche Wachstumsraten brauchen Sie denn?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Sache des Bundeshaushalts!)

    Die GRÜNEN halten diese These schon aus dem Grund für unhaltbar, weil es in der Vergangenheit gerade das industrielle Wachstum war und noch ist, das zur Umweltzerstörung und zur volkswirtschaftlichen Milliarden-DM-Belastung geführt hat.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Heftiger Beifall bei vier GRÜNEN!)

    In zentralen Zukunftsaufgaben hat die Bundesregierung in der Vergangenheit kläglich versagt. Sie erweist sich auch heute als unfähig, die dringend erforderlichen Korrekturen durchzuführen. Sie legen einen Haushalt von vorgestern vor, Herr Waigel.
    Auf umweltpolitischem Gebiet dienen die Haushaltsansätze der Bundesregierung allenfalls zu kosmetischen Reparaturmaßnahmen.
    In der Beschäftigungspolitik bleibt es trotz guter Konjunktur auf dem immer noch hohen Arbeitslosenstand von offiziell 1,8 Millionen. Die Arbeitslosenzahl hat von September auf Oktober sogar leicht zugenommen.
    In der Sozialpolitik geht die Ausgrenzung der sozial Schwachen weiter. Die Ärmsten der Armen bleiben buchstäblich draußen vor der Tür. Das sind die real existierenden Probleme bei uns.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    In der Abrüstungspolitik wird entgegen den gestrigen Beteuerungen weiter aufgerüstet. Von Abrüstung keine Spur! In der Deutschland- und Ostpolitik laviert die Bundesregierung zwischen ängstlichem Abwarten und aggressiv gestellten Forderungen hinsichtlich des von den demokratischen Bewegungen Osteuropas einzuschlagenden Wirtschaftskurses.

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Die GRÜNEN stehen in dieser Frage völlig abseits! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Und sind tief gespalten!)

    In Mark und Pfennig finden Sie recht wenig im Haushalt, auch für die Polen-Hilfe. Sehen Sie sich das einmal ganz genau an!
    Ein tiefschwarzes Kapitel der Haushaltspolitik dieser Regierung ist die Umweltpolitik. Auf diese komme ich zurück, weil es unsere Existenzgrundlage ist.

    (Borchert [CDU/CSU]: Bei Ihnen wäre es tiefrot!)

    1990 sollen sich die Umweltausgaben des Bundes nach Angaben der Bundesregierung auf 2,6 Milliarden DM, nach neueren, zurechtfrisierten Berechnungen sogar auf über 5 Milliarden DM belaufen. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, daß ein Teil der Ausgaben nicht für umweltschützende, sondern im Gegenteil für umweltgefährdende Zwecke verwendet wird. Von den angeblichen 2,6 Milliarden DM Umweltausgaben entfallen allein 675 Millionen DM — das ist ein Drittel — auf die Folgekosten der Atomenergie. Die Hälfte der Ausgaben des Bundesumweltministers wird für das neugeschaffene Bundesamt für Strahlenschutz und andere atomnahe Zwecke verausgabt.
    Die Energiepolitik der Bundesregierung wird weiter von dem Prinzip beherrscht: Vorrang für Kohle und Kernenergie. Erneuerbare Energien und Energiespartechnologien werden vergleichsweise mit Taschengeldbeträgen gefördert.
    Zwar hat die Bundesregierung in diesem Jahr erstmals im ERP-Sondervermögen 150 Millionen DM für die Förderung erneuerbarer Energien vorgesehen, was wir selbstverständlich begrüßen — wenn Sie einmal einen richtigen Ansatz haben, werden wir das auch erwähnen; da brauchen Sie keine Sorge zu haben — , sie bleibt damit aber weit hinter den Forderungen ihrer eigenen Parteifreunde zurück. Denn der Bundesrat hatte die Bundesregierung einstimmig gebeten, diesen Ansatz zu verdoppeln, also auf 300 Millionen DM anzuheben. Wie nicht anders zu erwarten, ist dies von der Bundesregierung abgelehnt worden.
    Nur eine Energiewende, die den Ausstieg aus der Atomenergie und die konsequente Förderung der erneuerbaren Energien zum Ziel hat, kann uns den Weg aus der lebensgefährlichen und umweltzerstörerischen Energiepolitik der Bundesregierung zeigen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Diese Forderung enthält unser Energiewendehaushalt über 7,5 Milliarden DM, der aus Primärenergiesteuern finanziert wird.
    Direkte Maßnahmen zur Reinhaltung von Luft und Wasser, zur Lärmbekämpfung usw. sind nur zum geringen Teil im Umwelthaushalt veranschlagt, nämlich 135 Millionen DM. Weitere 1,1 Milliarden DM für Umweltschutzmaßnahmen sind im ERP-Sonderver-



    Frau Vennegerts
    mögen enthalten und weitere 500 Millionen DM im sogenannten Strukturhilfegesetz für die Bundesländer. Zusammen sind das nicht einmal 2 Milliarden DM, also lächerlich wenig.
    Bekanntermaßen liegen die ökologischen Folgekosten, also jene Kosten, die durch die Umweltzerstörung jährlich verursacht werden

    (Dr. Weng [Gerungen] [FDP]: Wenn Sie einmal für Geld arbeiten müßten, wüßten Sie, was 2 Milliarden DM sind!)

    — das sollten auch Sie wissen, Herr Weng, das weiß nämlich auch der CDU-Kollege Herr Wicke — , nach verschiedenen Berechnungen jährlich zwischen 100 und 120 Milliarden DM. Das sind die realistisch geschätzten Folgekosten.
    Im Vergleich zu diesen Aufgaben wirken die von der Bundesregierung eingeplanten Haushaltsmittel geradezu lächerlich. Dabei kann sich die Bundesregierung nicht darauf berufen, sie sei nicht informiert oder wisse nicht Bescheid.
    So ist längst bekannt, daß in der Bundesrepublik die zum Teil noch aus Kaiserzeiten stammende Kanalisation dringend sanierungsbedürftig ist. Die Kosten allein für die Sanierung des öffentlichen Abwassernetzes werden auf 50 bis 70 Milliarden DM geschätzt.

    (Borchert [CDU/CSU]: Auch dafür gibt es Gebühren!)

    Wo im Haushalt sind dafür auch nur ansatzweise Mittel bereitgestellt?

    (Borchert [CDU/CSU]: Abwassergebühren! — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das hat im Bundeshaushalt nichts verloren!)

    Ich sehe nichts.
    Ähnlich verhält es sich bei den Altlasten. Kostenschätzungen zur Sanierung — übrigens durch das BMFT erstellt — belaufen sich auf 50 Milliarden DM. Umweltexperten nennen sogar einen Betrag von 90 Milliarden DM. Auch da finden wir nichts Wesentliches im Haushalt. Geben Sie doch Finanzhilfen an die Länder und Kommunen, legen Sie Bund-LänderProgramme auf,

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    lassen Sie sie nicht im Regen stehen und sagen Sie nicht, das sei nicht Aufgabe des Bundes!
    Um die dringendsten Umweltprobleme zu lösen, haben wir in unserem Alternativhaushalt im Bereich der Trinkwasserversorgung, Reduzierung der Schadstoff-Nährstoff-Belastung, Altlastensanierung und Umsetzung des grünen Immissionsschutzgesetzes über 12 Milliarden DM gefordert. Das ist ein erster Schritt, das ist nicht viel; das ist relativ bescheiden gerechnet. Finanziert werden die Ausgaben aus dem Ökoabgabenaufkommen, z. B. Grundwasserabgabe, Grundchemikalien- und Emissionsabgaben. Diese Anträge wurden abgeschmettert, leider auch mit Zustimmung der SPD, was ich bedaure.

    (Walther [SPD]: Die waren auch nicht gescheit!)

    Umweltpolitik beschränkt sich jedoch nicht auf nachträgliche Sanierungen bzw. auf das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zentrale umweltrelevante Aufgabenbereiche sind in anderen Ressorts beheimatet. So sind für den Zustand der Umwelt die politischen Prioritätensetzungen im Verkehrs- oder Landwirtschaftsministerium gegenwärtig bedeutsamer als die Maßnahmen des Umweltministers.
    Die Verkehrspolitik der Bundesregierung hat für die Umwelt verheerende Folgen. 1990 werden die Mittel für den umweltzerstörerischen Autobahn- und Fernstraßenbau nochmals um 300 Millionen DM, nämlich von 6,3 auf 6,6 Milliarden DM, angehoben.

    (Hüser [GRÜNE]: Da sieht man, wie die Bundesrepublik zuplaniert wird! — Dr. Rose [CDU/CSU]: Das ist doch ein Erfolg!)

    Die Bundesregierung betreibt hier offensichtlich Umweltpolitik tatsächlich mit der Dampfwalze.
    Für den Aufbau verkehrspolitischer Alternativen, insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr, gibt die Bundesregierung nur 1,2 Milliarden DM, das sind gerade 20 % der Mittel für den Autobahn- und Fernstraßenbau, aus. Das sind die Vergleiche, die man hier einmal ziehen muß. Und dann sprechen Sie von der Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs! Der führt doch bei Ihnen ein Stiefkinddasein.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Notwendig sind die drastische Reduzierung des Straßenbaus, eine deutliche Anhebung der Mittel zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs und eine Herabsetzung der Fahrpreise in diesem Bereich.

    (Kolb [CDU/CSU]: Was machen Sie in der Fläche?)

    Die GRÜNEN haben insgesamt 29,65 Milliarden DM für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs und für den Bereich der Deutschen Bundesbahn gefordert. Die Finanzierung unserer Maßnahmen erfolgt durch die Erhöhung der Mineralölsteuer.
    Unsere Verkehrswendeanträge wurden ebenfalls von der Mehrheit — auch von der SPD — abgeschmettert. Die SPD hat lediglich den Kürzungsantrag gestellt, die Erhöhung der Bundesfernstraßenmittel um 300 Millionen DM rückgängig zu machen. Dem ist nun einmal leider so. Sie können sich ja nächstes Jahr anders verhalten. Das wäre gut. Ihr Kürzungsantrag mag auf den ersten Blick guten Willen zeigen. Aber eine umweltverträgliche Verkehrspolitik, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist das noch nicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Frau Garbe [GRÜNE]: Noch lange nicht!)

    Die großtechnisch chemisierte Landwirtschaft bildet den weiteren Bereich, der massiv zu Umweltbelastungen beiträgt. Im Haushalt 1990 werden in der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" Hunderte von Millionen für die natur- und landschaftszerstörerische Flurbereinigung verwendet. Unter dem Schwindeletikett „bäuerliche Sozialpolitik" werden kleine und mittlere Betriebe durch Flächenstillegungsprogramme und Zuschüsse zur



    Frau Vennegerts
    Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit zur Betriebsaufgabe veranlaßt.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: So ist es!)

    Haushaltsansätze zur Förderung einer ökologisch verträglichen Bodennutzung und Viehhaltung sind nicht erkennbar.
    Ökologische Ziele lassen sich nicht nur durch eine gezielte Auflagen-, Gebots- und Verbotspolitik sowie durch öffentliche Ausgaben fördern. Vielen Bürgerinnen und Bürgern — das klang vorhin schon an — ist heute bewußt, daß eine gesunde Umwelt nicht zum Nulltarif zu haben ist. Umweltschutz kostet Geld, von allen! Viele Menschen sind bereit, dafür auch Opfer zu bringen.
    Im politischen Raum ist auch weitgehend unstrittig, daß über gezielte Steuern und Abgaben — marktwirtschaftliche Instrumente, Herr Waigel, sind das — ein Anreiz geschaffen werden kann, umweltschädigende Produktions- und Konsumgewohnheiten aufzugeben bzw. einzuschränken. Gleichzeitig könnte durch entsprechende steuerliche Gestaltung umweltfreundliches Verhalten belohnt werden. Entscheidend aber ist, daß den Bürgerinnen und Bürgern umweltfreundliche Alternativen angeboten werden. Das bedeutet: Die Einnahmen aus Ökosteuern und -abgaben müssen zum Aufbau von Alternativen z. B. im Verkehrsbereich und Energiebereich eingesetzt werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Politik der Bundesregierung kommt auch auf diesem Gebiet nicht über das Aussitzstadium hinaus. Schlimmer noch. Die wenigen Ansätze im Steuerrecht, die die Förderung von Energiesparinvestitionen und umweltfreundliche Wirtschaftsgüter zum Inhalt hatten — ich nenne nur § 7 d des Einkommensteuergesetzes, § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung, 4 a des Investitionszulagengesetzes — , sind der sogenannten großen Steuerreform zum Opfer gefallen. Das bedeutet: Durch den Wegfall dieser Steuervergünstigungen stellt sich im nächsten Jahr die absurde Situation ein, daß der Umweltbereich rund 1 Milliarde DM zur Finanzierung der wachstumsstimulierenden Steuersenkung 1990 bei einem Gesamtvolumen von 24 Milliarden DM beisteuert. Sie bauen hier also sinnvolle Maßnahmen zugunsten einer Umverteilung von unten nach oben ab. So sieht es aus.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Als Fazit läßt sich feststellen, daß die Bundesregierung die ökologischen Herausforderungen gekonnt ignoriert und kräftig zur Umwelt- und Landschaftszerstörung beiträgt. Daß ökologische Investitionen auch Arbeitsplätze schaffen, ist keine Erfindung der GRÜNEN, sondern wird von allgemein geschätzten Wirtschaftsforschungsunternehmen festgestellt.
    Auf dem Gebiet der Beschäftigungspolitik stellt sich die Situation ähnlich trostlos wie im Umweltbereich dar. Zu allgemeinen Jubelfeiern, wie sie die Bundesregierung veranstaltet, besteht kein Anlaß. Offiziell sind immer noch 1,8 Millionen Menschen arbeitslos. Rechnet man die stille Reserve von ca. 1 Million Personen hinzu, erhält man ein annähernd realistisches Bild.

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Sehr unrealistisch, Frau Kollegin!)

    Nachdem die Bundesregierung in den vergangenen Jahren Beschäftigungsprogramme als ineffektiv und kurzlebige Strohfeuer abgelehnt hat, stellt das für die 750 000 Langzeitarbeitslosen aufgelegte Sonderprogramm indirekt das Eingeständnis des Scheiterns der beschäftigungspolitischen Konzeption der Bundesregierung dar. Alle Beschwörungen der Selbstheilungskräfte des Marktes erweisen sich angesichts der immer noch dramatischen Lage auf dem Arbeitsmarkt als billige Zweckpropaganda.
    Trotz der lohnpolitischen Zurückhaltung der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren ist es bei gleichzeitig explodierenden Gewinnen nicht zu einem deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit gekommen. Wir fordern ein mit Qualifizierungsmöglichkeiten verbundenes reformiertes ABM-Programm, während die Regierung die Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen einschränkt.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Auch in der Sozialpolitik setzt die Bundesregierung ihre unverantwortliche Politik der sozialen Ausgrenzung fort. Seit Antritt der Bundesregierung 1982 ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger um 1 Million gestiegen. Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands leben 10 % der Bevölkerung — das sind 6 Millionen Menschen — bei uns in Armut. Kinderreiche Familien, alleinerziehende Frauen, Langzeitarbeitslose, Ausländer, Flüchtlinge, Behinderte und psychisch Kranke, Obdachlose und Nichtseßhafte — sie alle sind von dieser Bundesregierung abgeschrieben worden und dienen allein als Zahlenmaterial für Sozialstatistiken.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Unverschämt! — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Hören Sie einmal zu, wie es aussieht! Die durchschnittliche Rente einer Arbeiterin lag 1988 bei 392 DM.

    (Kolb [CDU/CSU]: Woher haben Sie denn diese Zahl? Ich schicke Ihnen gern die Statistik vom VDR!)

    Mit diesem Taschengeld soll sich eine Rentnerin den wohlverdienten Lebensabend versüßen. Der Kanzler sagte in seiner gestrigen Rede: Wer tüchtig ist, kann was erreichen. Sind und waren nach Ihrer Logik, nämlich der Logik des Bundeskanzlers, die 6 Millionen Armen nicht tüchtig? Oder ist es nicht so, daß sie in unserer Ellenbogengesellschaft keine Chance bekommen haben oder Lebensleistung wie Kindererziehung etc. nicht als „tüchtig" definiert wird?
    Eine Grundsicherung z. B. im Alter und bei Erwerbslosigkeit sollte nicht nur eine Mindestforderung der GRÜNEN sein.
    Der Bundeskanzler hat gestern festgestellt, Abrüstung müsse mit der Entwicklung mithalten und möglicherweise beschleunigt werden. Gegenüber dem Vorjahr sollte nach den Plänen des Verteidigungsmi-



    Frau Vennegerts
    nisters der Verteidigungshaushalt um rund 1,2 Milliarden DM erhöht werden. Davon sind 237 Millionen DM gekürzt worden. Faktisch steigt also der Militärhaushalt. Das ist der Unterschied zwischen Kanzlerwort und Kanzlertat.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Wir fordern eine Kürzung von ca. 13 Milliarden DM im Verteidigungshaushalt als ersten Schritt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Durch die atemberaubenden Entwicklungen in der DDR werden nicht nur die innenpolitischen Probleme für die Regierung — sicher nicht ungewollt — an den Rand der politischen Auseinandersetzung gedrückt. Das zeigt auch diese Debatte heute. Davon bleiben auch die Aussiedler nicht verschont. Auch sie haben bei der Bundesregierung nicht mehr ihren früheren Stellenwert. Die Koalitionsfraktionen haben im Haushaltsausschuß die Sprachförderungsmittel um 150 Millionen DM gekürzt mit der Begründung, daß sechs Monate Sprachkurs statt wie bisher zehn Monate ausreichen. Für viele dieser Menschen ist das eine unzumutbare Härte, besitzen doch viele von ihnen kaum oder gar keine Deutschkenntnisse. Bei dieser Kürzung haben nicht sachliche Gründe eine Rolle gespielt — und das wissen Sie auch —, sondern es sollten Einnahmen für den Bundeshaushalt erwirtschaftet werden. Ich kann nur hoffen, daß die Regierung die Aussiedler nicht noch mehr unter Streß setzt, waren sie ihr doch bis vor kurzem noch hochwillkommen.
    Eine weitere Ungeheuerlichkeit war die Behandlung der Bundeshilfe für West-Berlin. Obwohl auch die Koalitionsfraktionen einen Aufstockungsbedarf vor der Öffnung der DDR-Grenzen wegen der Aussiedlerproblematik in Berlin sahen, wurde bei den abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß — die Grenzöffnung war nur wenige Tage zuvor vollzogen worden — nicht eine müde Mark draufgelegt.

    (Hüser [GRÜNE]: So sieht die Berlin-Politik der Regierung aus!)

    Kein Mensch kann ernsthaft leugnen, daß durch die neue Lage in Berlin zusätzliche finanzielle Belastungen entstanden sind. Hinweise auf den Empfang, den die West-Berliner Bevölkerung Bundeskanzler Kohl vor dem Schöneberger Rathaus bereitete,

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Das waren bestellte Chaoten aus Kreuzberg!)

    und auf die Rede Mompers im Bundestag wurden als Ablehnungsgründe genannt. Ein unliebsamer Senat wurde abgestraft.
    Demgegenüber hat die Bundesregierung keine Skrupel, riesige Geldsummen für ökologisch katastrophale Großprojekte auszuschütten, wenn auch nur entfernt die Chance besteht, Wählerstimmen einzufangen. So erhält Ministerpräsident Albrecht über die nächsten Jahre 75 Millionen DM für nachwachsende Rohstoffe, aus denen Biosprit gewonnen werden soll.

    (Hüser [GRÜNE]: Das wird ihn auch nicht an der Regierung halten!)

    Berlin hat bis heute keine Mark bekommen. Das sind hier die realen Verhältnisse!

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: 13 Milliarden gehen nach Berlin!)

    Wir geben Ihnen heute die Möglichkeit, unserem Antrag auf Erhöhung der Bundesmittel für West-Berlin um 500 Millionen DM, wie gestern vom West-Berliner Finanzsenator gefordert, zuzustimmen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Dies kann nur ein erster Schritt sein. Wir hoffen, daß Bundeskanzler Kohl Herrn Momper am Freitag den Ausgleich der tatsächlichen Mehraufwendungen von zirka 1 Milliarde DM zusagt und West-Berlin nicht im Regen stehen läßt.
    Nach der gestrigen Rede von Kanzler Kohl und der Verkündung seines 10-Punkte-Programms dürfte der Einrichtung eines Devisenfonds an sich nichts mehr im Wege stehen. Wir beantragen, für diesen Devisenfonds unverzüglich 5 Milliarden DM bereitzustellen, die durch Streichungen im Verteidigungshaushalt finanziert werden können.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Wie bitte? 5 Milliarden?)

    Meine Damen und Herren, die DDR wünscht eine Beteiligung der Bundesrepublik an dem geplanten Devisenfonds. Was hindert uns also heute, die Mittel in den Haushalt 1990 einzustellen?

    (Dr. Weng [Gerungen] [FDP]: Die Vernunft! — Zurufe von der CDU/CSU: Das sie noch freie Wahlen brauchen! — Weil wir mit denen gerade noch verhandeln!)

    Dieser Bundesregierung geht es meiner Meinung nach nicht um eine gleichberechtigte Kooperation in einem gemeinsamen europäischen Haus. Es geht ihr im Grunde um einen wirtschaftlichen Anschluß, und zwar zu ihren Bedingungen. So wie Daimler MBB oder Preussag den Salzgitter-Konzern schluckt,

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Und die SPD die GRÜNEN!)

    soll auch die DDR geschluckt werden, rein wirtschaftlich. Das können Sie nicht leugnen.
    Seit dem Rücktritt von Erich Honecker werden die Bedingungen für Wirtschaftshilfe Schritt für Schritt höhergeschraubt. Jetzt reicht es nicht mehr, daß die Mauer geöffnet ist. Jetzt reicht es nicht mehr, daß Demonstrations-, Meinungs- und Reisefreiheit gewährt wird. Es reicht nicht, daß politische Gefangene amnestiert werden und daß mehr Rechtssicherheit entsteht. Es reicht nicht, daß freie Wahlen angekündigt werden. Es reicht nicht, daß der Reformer Hans Modrow Regierungschef ist, und es reicht nicht, daß sich auch innerhalb der SED tiefgreifende Umwälzungen anbahnen.

    (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Halten Sie die Rede doch in der Volkskammer!)

    Was eigentlich soll noch folgen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Krenz muß weg!)




    Frau Vennegerts
    Welche fatalen Auswirkungen des Kanzlers Zehn Punkte-Programm zur Wiedervereinigung hat, macht die Äußerung von Bundestagspräsidentin Süssmuth deutlich. Sie sprach von Überlegungen zur Verlegung der Bundeshauptstadt nach Berlin und von Schritten zur Wiedervereinigung.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Sie denkt laut über eine Verlegung der Bundeshauptstadt nach Berlin nach.

    (Stratmann [GRÜNE]: Wozu brauchen wir dann noch das Parlament nebenan?)

    — Es ist eine berechtigte Frage, ob der Neubau dann noch weitergehen soll. — Spätestens jetzt sollte die SPD ihre meines Erachtens voreilige Zustimmung zum Zehn-Punkte-Programm mit dem Ziel der Wiedervereinigung — das ist der springende Punkt — überdenken. Eigene Vorschläge, die zumindest künftige Möglichkeiten offen lassen, wären für die gegenwärtige Situation politisch angemessener gewesen und würden jetzt auch nicht einen solchen Druck auf die Prozesse in der DDR ausüben. Das sagen auch Vertreter der Sozialdemokratischen Partei in der DDR.
    Wie auch immer eine zukünftige Beziehung zwischen der Bundesrepublik und der DDR aussehen mag: Sie kann sich nur auf der Grundlage voller Gleichberechtigung entwickeln.