Protokoll:
15008

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 8

  • date_rangeDatum: 7. November 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:02 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 3: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroris- tische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolu- tionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Drucksache 15/37) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 A Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVG . . . . 379 B Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 380 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 383 C Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . . . . 385 C Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . 386 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 388 D Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 C Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Drucksache 15/25) . . . . . . . . . . . . . . . 391 A b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Drucksache 15/26) . . . . . . . . . . . . . . . 391 B c) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aktivierung kleiner Jobs (Kleine-Jobs-Gesetz) (Drucksache 15/23) . . . . . . . . . . . . . . . 391 B d) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum optima- len Fördern und Fordern in Vermitt- lungsagenturen (OFFENSIV-Gesetz) (Drucksache 15/24) . . . . . . . . . . . . . . . 391 C e) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dirk Niebel, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Handeln für mehrArbeit (Drucksache 15/32) . . . . . . . . . . . . . . . 391 C Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 391 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 397 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 B Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 B Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 D Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 D Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 406 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 D Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 A Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . 411 C Karin Roth (Esslingen) SPD . . . . . . . . . . . . . 413 B Robert Hochbaum CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 415 A Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 417 B Plenarprotokoll 15/8 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 8. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 7. November 2002 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 7: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Erhöhung der Anzahl von Ausschussmitgliedern (Drucksache 15/22) . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 B weitere Beratungen mit Aussprache Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Hal- tung der Bundesregierung zur Eigen- heimzulage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 C Joachim Günther (Plauen) FDP . . . . . . . . . . . 418 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 D Eduard Oswald CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 421 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 C Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 D Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 A Dr. Hermann Otto Solms FDP . . . . . . . . . . . . 425 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 C Klaus-Peter Flosbach CDU/CSU . . . . . . . . . 428 C Gabriele Frechen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 A Willi Zylajew CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 431 B Wolfgang Spanier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 C Stefan Müller (Erlangen) CDU/CSU . . . . . . 433 C Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 D Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Kran- kenversicherung und in der gesetz- lichen Rentenversicherung (Beitrags- satzsicherungsgesetz – BSSichG) (Drucksache 15/28) . . . . . . . . . . . . . . . 435 B b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Ände- rung des Fünften Buches Sozialge- setzbuch (Zwölftes SGB V-Ände- rungsgesetz – 12. SGB V ÄndG) (Drucksache 15/27) . . . . . . . . . . . . . . . 435 B Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 435 C Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 437 D Birgitt Bender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 440 C Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 B Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 B Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 445 A Bernd Schmidbauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . 446 D Daniel Bahr (Münster) FDP . . . . . . . . . . . . . 448 C Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMGS . . 450 A Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 452 C Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . . . . 453 B Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Fortentwicklung der ökologi- schen Steuerreform (Drucksache 15/21) . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . . 455 B Heinz Seiffert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 457 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 D Heinz Seiffert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 459 B Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 460 B Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . 461 D Stefan Müller (Erlangen) CDU/CSU . . . . . . 463 C Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMU . 464 C Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 466 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . 467 A Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . . 468 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 471 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2002 379 8. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 7. November 2002 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    (A) (B) (C) (D) 470 Berichtigungen 4. Sitzung, Seite 109 (B), zweiter Absatz, der erste Satz ist wie folgt zu lesen: „Der Tschet- schenien-Konflikt reicht in seinen Ursachen Jahrhunderte zurück und ist nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Entstehen der Russischen Föderation durch das Streben der Tschetsche- nen nach Unabhängigkeit in eine neue Dimension eingetreten. Es ist in erster Linie ein lokaler bzw. regionaler Konflikt, den es schon lange vor dem Entstehen des internationalen Terrorismus islamisch-fundamentalistischer Ausprägung gab.“ Seite 109 (C), zweiter Absatz, der zweite Satz ist wie folgt zu lesen: „Aus meiner Erfahrung im Rahmen des Europarates und aus vielen Gesprächen komme ich zu dem Schluss, dass der ge- wählte Präsident Tschetscheniens, Aslan Maschadow, eine so einflussreiche Person in der Re- gion ist, dass es ohne Verhandlungen mit ihm keine politische Lösung geben wird.“ Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 8. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2002 471 (C)(A) Altmaier, Peter CDU/CSU 07.11.2002 Bury, Hans Martin SPD 07.11.2002 * Feibel, Albrecht CDU/CSU 07.11.2002 Gröhe, Hermann CDU/CSU 07.11.2002 Hoffmann (Chemnitz), SPD 07.11.2002 Jelena Lengsfeld, Vera CDU/CSU 07.11.2002 Lietz, Ursula CDU/CSU 07.11.2002 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Möllemann, Jürgen W. FDP 07.11.2002 Dr. Pinkwart, Andreas FDP 07.11.2002 Roth (Heringen), SPD 07.11.2002 Michael Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 07.11.2002 DIE GRÜNEN Volquartz, Angelika CDU/CSU 07.11.2002 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500800000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, be-

grüße ich Herrn Dr. Wolfgang Zeh, der hinter mir als
neuer Direktor beim Deutschen Bundestag Platz ge-
nommen hat. Ich wünsche ihm persönlich und im Namen
des Hauses viel Erfolg.


(Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte bei der Unterstützung der ge-
meinsamen Reaktion auf terroristische An-
griffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51
der Satzung der Vereinten Nationen und des
Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Re-
solutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Si-
cherheitsrats der Vereinten Nationen
– Drucksache 15/37 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
minister Peter Struck das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1500800100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Deutschland ist Teil der weltweiten Antiterrorkoali-

tion. Es nimmt seine Verantwortung wahr in internationa-
ler Solidarität und im eigenen nationalen Interesse; denn
der internationale Terrorismus bedroht uns ganz direkt,
wie wir zum Beispiel in Djerba gesehen haben. Die deut-
sche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom mit
militärischen Kräften ist Ausdruck dieser Verantwortung
für die globale Sicherheit und den Schutz der Werte aller
demokratischen Staaten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist klar: Wir wollen dem terroristischen
Handeln auf allen Ebenen die Grundlagen entziehen. Das
Übel des Terrorismus hat mehrdimensionale Wurzeln und
kann nur mehrdimensional bekämpft werden:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

auf den Finanzmärkten, beim internationalen Verkehr,
beim illegalen Handel mit Waffen und Drogen, durch Lö-
sung der regionalen Konflikte – wie im Nahen Osten – mit
allen verfügbaren politischen, aber eben auch mit mi-
litärischen Mitteln. Der Einsatz militärischer Mittel bleibt
unverzichtbar, um eine Wiederholung von Anschlägen
wie dem vom 11. September nach Möglichkeit zu ver-
hindern.

Deutsche Soldatinnen und Soldaten leisten hierzu ei-
nen substanziellen Beitrag. Ihre Bilanz im Rahmen von
Enduring Freedom ist positiv.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundeswehr braucht keinen internationalen Ver-
gleich zu scheuen. Sie hat durch ihre Leistungsfähigkeit
und ihre Professionalität hohes Ansehen bei den Streit-
kräften unserer Partner im Kampf gegen den Terrorismus
erworben. Die Übergabe des Kommandos über die in-
ternationale Task Force 150 am Horn von Afrika an die
deutsche Marine war ein deutlicher Beweis für das Ver-
trauen, das allgemein in unsere Soldatinnen und Soldaten
gesetzt wird. Für diese großartigen Leistungen spreche
ich allen Angehörigen der Bundeswehr, die zum Erfolg
der Operation Enduring Freedom beigetragen haben, im




Bundesminister Dr. Peter Struck
Namen der Bundesregierung meinen Dank und meine
Anerkennung aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Kampf gegen den Terror ist nicht in Tagen, Wo-
chen oder Monaten zu gewinnen. Hier ist deshalb ein lan-
ger Atem erforderlich. Die beachtlichen Erfolge, die wir
bisher erzielt haben, dürfen nicht unseren Blick darauf
verstellen, dass die Führungs- und Ausbildungseinrich-
tungen der al-Qaida noch nicht zerschlagen und ihre Fi-
nanzierungsquellen noch nicht ausgetrocknet sind. Die
weltweite terroristische Bedrohung ist noch nicht ge-
bannt. Das mussten wir in Djerba am 11. April, in Karat-
schi am 5. Mai und am 14. Juni, vor Aden am 5. Oktober
und in Denpasar am 13. Oktober schmerzlich erfahren.
Sprecher der al-Qaida haben öffentlich mehrfach weitere
Angriffe auf die USA und in Europa angekündigt und
dazu aufgerufen.

Auch wenn das deutsche Staatsgebiet bisher von An-
schlägen verschont wurde, ist die Gefahr für uns real. Der
internationale Terrorismus bedroht auch unser Land, un-
sere Lebensweise und das Fundament, auf dem unsere po-
litische Kultur begründet wird. Wir werden daher unser
militärisches Engagement gegen den Terror an der Seite
der USA und anderer Nationen im Rahmen von Enduring
Freedom so lange fortsetzen, wie es erforderlich ist.

Die Bundeswehr wird angesichts der aktuellen und ab-
sehbaren Sicherheitslage in engem Schulterschluss mit
unseren Verbündeten und Partnern für zunächst weitere
zwölf Monate militärisch engagiert bleiben: mit den See-
und Seeluftstreitkräften, die am Horn von Afrika den See-
raum überwachen, Handelsschiffe schützen und darüber
hinaus eine wichtige Rolle bei der Aufklärung der Akti-
vitäten des internationalen Terrorismus spielen, mit Luft-
transport- und Sanitätskräften, die unter anderem einen
Airbus A310 zur notfallmedizinischen Evakuierung in
Deutschland bereithalten, mit ABC-Abwehrkräften, die in
Kuwait den Nukleus einer Fähigkeit zur Reaktion auf ter-
roristische Angriffe mit ABC-Waffen nicht nur auf unsere
amerikanischen Verbündeten bilden, und mit Spezialkräf-
ten, die unter größtmöglicher Geheimhaltung unmittelbar
gegen die al-Qaida eingesetzt werden.

Unverändert bis zu 3 900 Soldaten und Soldatinnen
leisten diesen gewichtigen Beitrag für die Sicherheit der
internationalen Gemeinschaft, der auch Leistungen zur
humanitären Hilfe und zur Sicherstellung des Lufttrans-
ports einschließt.

Die Streitkräfte wären völlig überfordert, wollte man
ihnen zumuten, allein des Terrorismus Herr zu werden.
Wir sind daher mit unserem umfassenden Herangehen auf
dem richtigen Weg. Auf nationaler Ebene haben wir ein
Paket von Sofortmaßnahmen zur Stärkung der inneren
und äußeren Sicherheit auf den Weg gebracht. Auf euro-
päischer Ebene wurde ein umfassender Aktionsplan zur
Bekämpfung des Terrorismus verabschiedet, der auf
eine deutsche Initiative zurückgeht. Die NATO hat ihrer-
seits über die Erklärung des Bündnisfalls hinaus am
4. Oktober 2001 ebenfalls ein umfangreiches Bündel zi-

viler und militärischer Maßnahmen geschnürt. Ein weite-
res Maßnahmenpaket wird noch in diesem Monat auf dem
Prager Gipfel beschlossen werden. Und schließlich hat
der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der bereits
angesprochenen fundamentalen Weiterentwicklung des
Völkerrechts den Rahmen für den Kampf gegen den Ter-
rorismus auf allen Ebenen gesteckt.

Damit haben wir eine solide Grundlage, um den Terro-
risten und denen, die ihr unheilvolles Wirken mittel- oder
unmittelbar unterstützen, Einhalt zu gebieten. Den Kampf
gegen den Terrorismus zu gewinnen ist schwierig, aber
unter Einsatz aller Kräfte nicht unmöglich. Unser Ziel,
Frieden und Freiheit zu verteidigen und eine internatio-
nale Ordnung zu erreichen, die auf der Herrschaft des
Rechts, der Demokratie und der Menschenrechte aufbaut,
lässt uns keine andere Wahl.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500800200

Ich erteile das Wort Kollegen Friedbert Pflüger, CDU/

CSU-Fraktion.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1500800300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem Jahr
führt eine Koalition aus etwa 90 Staaten einen Verteidi-
gungskrieg gegen den internationalen Terrorismus.
Deutschland hat sich daran beteiligt. Wir haben es er-
möglicht, dass sich deutsche Soldaten in diese Koalition
einreihen, und wir, die Union, werden der Verlängerung
dieses Mandates, der Weiterführung des Kampfes gegen
den internationalen Terrorismus, in der nächsten Woche
zustimmen; denn der internationale Terrorismus ist die
große Gefahr der Zukunft. Da kann niemand, ganz egal
wo er parteipolitisch steht, Nein sagen. Es ist eine Auf-
gabe für uns alle, diesen Kampf gegen den Terrorismus in
den nächsten Jahren zu führen und uns nicht auszugren-
zen, nicht alleine zu bleiben, uns nicht, Herr Bundeskanz-
ler, zu isolieren und abzukoppeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da wir in diesen Tagen über die Verlängerung von En-

during Freedom entscheiden, sollten wir uns am Anfang
dieser Debatte ein paar Minuten daran erinnern, wie es vor
einem Jahr war, als sich große Teile Ihrer Koalition ver-
weigern wollten und als Sie die Vertrauensfrage stellten,
um eine Mehrheit zu bekommen. Damals gab es in
Deutschland eine starke Bewegung „Stoppt diesen
Krieg!“ linksgerichteter Intellektueller. Was wäre auf der
Welt und in Afghanistan in den letzten Monaten passiert,
wenn die Amerikaner diese Koalition nicht angeführt hät-
ten und wenn wir damals nicht ernst gemacht und das Ta-
libanregime in die Knie gezwungen hätten?

All denjenigen, die sich damals verweigert haben,
muss man heute sagen: Schaut nach Afghanistan! Die
Hilfsorganisationen können dort wieder arbeiten. Es gibt
Aufbauprogramme für Afghanistan. Die Frauen können


(A)



(B)



(C)



(D)


380


(A)



(B)



(C)



(D)






wieder auf die Straße gehen, ohne die Burka mit den klei-
nen Sehschlitzen tragen zu müssen. In den Sportstadien
wird wieder Fußball gespielt, anstatt dass dort Menschen
exekutiert werden. Man kann in Afghanistan wieder Mu-
sik hören. Trotz allem, was noch zu tun ist, muss man also
sagen, dass es einen großen Fortschritt bei den Men-
schenrechten gibt. Dieser Fortschritt ist nicht durch Frie-
densappelle, sondern durch den Einsatz von Soldaten un-
ter Beteiligung deutscher Soldaten erreicht worden. Dafür
danken wir allen, die sich daran beteiligt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Kollegin Nickels von den Grünen hat es für richtig
gehalten, in der „Welt“ heute in erster Linie daran zu er-
innern, dass Menschenrechtsstandards beim Antiterror-
kampf nicht gefährdet werden dürfen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch richtig!)


Diese Warnung ist richtig: Wenn man das Böse bekämpft,
darf man in der Tat selbst nicht böse werden. Wer wollte
das bestreiten? Aber ist es nicht genauso wichtig, daran zu
erinnern, dass es zunächst einmal der Terrorismus sowie
der islamistische Extremismus und Totalitarismus sind,
die die Menschenrechte, die Demokratie und unsere Zivi-
lisation im Kern bedrohen? Sie sind die eigentliche Be-
drohung für die Menschenrechte. Diese Tatsache muss in
den Vordergrund unserer Debatte gerückt werden und
nicht irgendwelche anderen Erwägungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Gefahr des Terrorismus ist nicht geringer gewor-

den. Im Gegenteil: Wir haben nach dem 11. September an-
dere Terrorakte von unvorstellbarer Brutalität erlebt. Ich
nenne die Anschläge von Djerba, Bali und Moskau sowie
den Anschlag auf den französischen Tanker Limburg.
Es gab eine Reihe von versuchten Terrorakten, die gerade
noch verhindert werden konnten und die wir fast schon
aus unserem Bewusstsein verdrängt haben. Ich nenne bei-
spielsweise den Anschlag auf die römische Wasserversor-
gung.

Wir wissen vom BKA und vom BND, dass es eine
akute Bedrohung auch für uns in Deutschland gibt. Wir
sind, wie das BKA sagt, vom Ruheraum zum Zielobjekt
geworden. Der Terrorismus geht uns alle an. Er bedroht
nicht nur Amerika, sondern die gesamte Zivilisation.

Wenn ich einmal versuche, das, was gegenwärtig pas-
siert, historisch einzuordnen, dann zögere ich nicht, zu sa-
gen, dass es sich um die dritte totalitäre Herausforderung
handelt, die die freiheitlichen Demokratien auf der Welt
zu bestehen haben.

Die erste totalitäre Herausforderung war der Marxis-
mus-Leninismus, ein Gedankengebäude, das am Ende
eine herrschaftsfreie Gesellschaft versprach, das aber be-
wirkte, dass es nur eine Wahrheit gab und dass eine ganze
gesellschaftliche Klasse umgebracht wurde. Unendliches

Leid ist durch den Marxismus-Leninismus und vor allen
Dingen durch den Stalinismus über die Welt gekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die zweite totalitäre Herausforderung war der Natio-
nalsozialismus. Er gab nicht einer gesellschaftlichen
Klasse, sondern einer Rasse die Schuld an allem Übel der
Welt. Die Nationalsozialisten haben im Glauben an eine
Weltordnung, in der andere Rassen versklavt oder ver-
nichtet werden sollten, unzählige Menschen umgebracht.

Jetzt haben wir eine dritte totalitäre Bewegung, die
sich natürlich von den anderen unterscheidet. Denn sie ist
eine Bewegung, die die Erlösung im Paradies verspricht.
Aber wieder haben wir ein Feindbild: Für alle Würdelo-
sigkeit, für alle Probleme und für alle Ungerechtigkeiten
auf der Welt wird der Westen, seine Zivilisation, unsere
Demokratie verantwortlich gemacht. Dies ist eine funda-
mentale Herausforderung. Es gibt wieder den Glauben:
Für die höhere Wahrheit, dafür, höhere Ziele zu erreichen,
darf ich morden, auch wenn es sich um Frauen, Kinder
oder alte Menschen handelt.

Das sind die Kennzeichen von unterschiedlichen, aber
dann doch wieder gleichen totalitären Bewegungen. Ge-
nauso wie wir die erste und die zweite Herausforderung,
nämlich den Kommunismus und den Nationalsozialis-
mus, mit großen Opfern besiegt haben, so müssen die
westlichen Demokratien auch diese dritte totalitäre He-
rausforderung besiegen. Daran wollen wir uns als Deut-
sche beteiligen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Immer ist der Fehler gemacht worden, diese Bewegun-
gen zunächst zu unterschätzen. Führen Sie sich vor Augen,
wie anlässlich der Olympiade die ganze Welt an Hitler im
Olympiastadion vorbeimarschiert ist! Erinnern Sie sich da-
ran, wie oft der Kommunismus als eine Art bessere Befrei-
ungsbewegung – von einigen offenbar bis in heutige Tage
hinein – unterschätzt worden ist! Nichts ist gefährlicher, als
solche Bewegungen zu unterschätzen. Der Preis dafür, dass
man nicht gleich alles Notwendige gegen sie unternimmt,
ist ungeheuer hoch. Deswegen muss man aufpassen, zu-
packen und diese Bewegungen unter Druck setzen – und
dies nicht erst dann, wenn es zu spät ist und sie stark sind.
Man muss den Anfängen wehren; darauf kommt es an.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Winston Churchill hat in seinem großen Buch „Der
Zweite Weltkrieg“ ausgeführt:

Wenn man nicht kämpfen will, solange der Sieg ge-
wiss und nicht zu kostspielig wäre, dann kann der
Augenblick eintreten, dass man kämpfen muss,
wenn alle Bedingungen ungünstig sind und nur ge-
ringe Aussicht besteht, mit dem Leben davonzukom-
men.


(Uta Zapf [SPD]: Was willst du uns damit sagen?)


Ich finde, das ist ein sehr wichtiges Churchill-Zitat.

Dr. Friedbert Pflüger




Dr. Friedbert Pflüger

Es gibt viele, die sagen: Der Irak geht uns nichts an. –
Der Außenminister hat letzte Woche festgestellt, das sei
nicht die richtige Priorität.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hat er!)


Es wird geäußert: Wir als Deutsche sollten uns, ganz egal
was die UNO, die NATO und die EU machen, abkoppeln
und nicht mitmachen. – Der Bundeskanzler hat doch im
Wahlkampf gesagt: Mit uns nicht, ganz egal was die Welt-
gemeinschaft macht! – Wer angesichts der Bedrohung
durch Massenvernichtungswaffen und einem Diktator,
der diese Massenvernichtungswaffen bereits angewendet
hat, sagt, das habe für ihn keine Priorität, und feststellt:
„Mit uns auf keinen Fall!“, der koppelt sich von dem in-
ternationalen Kampf gegen den Terrorismus ab und der
beraubt sich des Gewichtes und des Vertrauens, das die
deutsche Politik lange Zeit in der Welt und vor allen Din-
gen in Amerika und bei den europäischen Partnern ge-
nossen hat. Sie haben hier im Wahlkampf einen katastro-
phalen Fehler begangen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD])


Man kann über sehr viel sprechen und diskutieren,
Herr Kollege Büttner. Es gibt sehr gute Gründe dafür
– das will ich zugestehen –, gegen einen Krieg gegen den
Irak zu sein.


(Zurufe von der SPD: Aha!)

Was passiert hinterher? Welche Ordnung soll es im Irak
nach einem Militärschlag geben?


(Monika Griefahn [SPD]: Genau!)

Was passiert in den muslimischen Ländern?

Für die gesamte Union stelle ich fest: Wir hoffen zu-
tiefst, dass der Frieden erhalten werden kann. Aber dies
geschieht nur dann, wenn wir den Druck auf den Haupt-
anstifter von Krieg aufrechterhalten. Saddam Hussein
wird auf seine Massenvernichtungswaffen nicht aufgrund
der freundlichen Appelle von Herrn Fischer verzichten,
sondern nur dann, wenn es eine internationale Drohku-
lisse gibt, die dazu führt, dass Waffeninspektoren wieder
in dieses Land kommen. Darum geht es uns in der Union.
Wir wollen Frieden, aber nicht um jeden Preis. Frieden
und Saddam Husseins Waffen wegzubekommen, das ist
das Entscheidende, worum es in den nächsten Wochen,
Monaten und Jahren geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Saddam Hussein ist von Hans Magnus Enzensberger

1991 als der genuine Nachfolger Hitlers bezeichnet wor-
den. Es ist in der Tat wichtig, Druck auf ihn auszuüben,
damit die Waffeninspekteure wieder in das Land gelas-
sen werden; denn wir wissen von unseren Nachrichten-
diensten – das ist nicht nur eine Behauptung –, dass er an
der Herstellung von Massenvernichtungswaffen arbeitet.
Vielleicht hat er sie auch schon. Unsere größte Heraus-
forderung ist, dass die Terroristengruppen nicht in den
Besitz solcher Waffen kommen. Wenn Terror und Mas-
senvernichtungswaffen zusammenkämen, hätte dies kata-
strophale Auswirkungen für uns alle. Dagegen müssen

wir uns zur Wehr setzen, indem wir uns an Enduring
Freedom beteiligen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,

es ist absolut wichtig, dass wir Deutsche unsere Vorstel-
lung von einer gerechten Ordnung in der Welt, von einer
Ordnung, die dem Terrorismus den Nährboden entziehen
kann, und auch von einer friedlichen Lösung des Tschet-
schenienkonfliktes auch gegenüber den Amerikanern an-
sprechen. Man kann diese Probleme nicht nur mit Hilfe
des Militärs lösen. Wer wollte das bestreiten? Wir müssen
versuchen, die großen Ungerechtigkeiten der Welt ge-
meinsam zu beseitigen, und zwar durch Öffnung unserer
Märkte, durch Entwicklungspolitik und durch Förderung
der Demokratie. All dies ist notwendig. Das ist aber nur
die eine Seite der Medaille. Demokratieförderung und
Weiterentwicklung der Regionen sind gut. Dies wird aber
umso besser gelingen, je mehr dahinter der Wille steht,
notfalls den „blutigen Rändern“ des Islam entgegenzutre-
ten.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Mein Gott! – Weitere Zurufe von der SPD)


Der Islam ist eine große Weltreligion; er hat viel für die
Welt geleistet. Wir wollen einen Dialog mit dem Islam.
Aber wer wollte verkennen, dass Osama Bin Laden und
seine Leute heute viel Gefolgschaft haben, dass es viel-
leicht Tausende oder Zehntausende junger Leute gibt, die
hinter dieser Bewegung stehen? Wir sollten uns vor Au-
gen führen, dass beides zusammengehört: die Befriedung
von Regionen und die Schaffung von mehr Gerechtigkeit
auf der Welt mit friedlichen Mitteln auf der einen Seite
und die Bereitschaft, militärisch vorzugehen, wenn man
bedroht wird, auf der anderen Seite.

Herr Außenminister, ich möchte Ihnen deshalb für den
nächsten NATO-Gipfel einen Vorschlag unterbreiten:
Lassen Sie uns doch versuchen, eine gemeinsame Strate-
gie gegen den Terrorismus zu entwickeln! Lassen Sie uns
versuchen, beide Punkte gleichzeitig zu betonen! Dafür
müssen Sie von der bisherigen Totalverweigerung Ab-
stand nehmen. Sie müssen Abschied nehmen von der
Politik: Mit uns auf keinen Fall! Damit berauben Sie sich
nämlich jeglicher Möglichkeit, etwa gegenüber ameri-
kanischen Gesprächspartnern Ihre Positionen durchzu-
setzen.

Sie geben gesinnungsethische Friedensbekenntnisse ab.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist wunderbar. Aber verantwortungsethisch tun Sie
nichts; denn Sie bewirken nichts. Wie schön wäre es,
wenn Deutschland jetzt zusammen mit Frankreich im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für eine vernünf-
tige, gemäßigte Resolution eintreten könnte!


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das tun wir doch! Das ist doch nicht wahr!)


Tatsache aber ist, dass wir in der Welt keine Rolle spielen.
Keiner fragt uns mehr. Herr Putin und Herr Chirac, alle re-
den miteinander; nur Deutschland spielt keine Rolle. Es


(A)



(B)



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(D)


382


(A)



(B)



(C)



(D)






ist absolut tragisch, dass Sie unser Land seines Gewichts
beraubt haben.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Das ist das eigentlich Schlimme Ihrer Politik, die Sie in
Zeiten des Wahlkampfes geführt haben.

Herr Bundeskanzler, Sie lächeln jetzt so freundlich.
Dennoch haben Sie keinen Gesprächstermin bei George
Bush bekommen.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Na und!)

Sie haben in der letzten Zeit nicht einmal mit ihm telefo-
niert. Der Außenminister war in Washington und hat nur
einen kurzen Termin mit Herrn Powell bekommen. Nie-
mand im Weißen Haus wollte ihn sehen. Das war ein sehr
karger Besuch, eine diplomatische Ohrfeige. Das ist doch
die Lage, in der sich Rot-Grün momentan befindet. Sie
haben kein Gewicht, kein Vertrauen in der Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500800400

Herr Kollege Pflüger, Sie müssen zum Ende kommen.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1500800500

Herr Außenminister, Sie haben in Washington in einem

Pressegespräch gesagt, Sie wollten keine Beteiligung,
jedenfalls keine aktive Beteiligung. Wir freuen uns über
die Formulierung „keine aktive Beteiligung“; denn das
könnte der Einstieg in eine echte Kehrtwende sein.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Nein!)

Wir wollen diese Kehrtwende. Wir als Union werden
Ihnen dabei helfen, die Kehrtwende zu vollziehen und Ihre
Abkoppelung zu beenden. Wir werden Ihnen dabei helfen,
Ihre Totalverweigerung aufzugeben. Aber Sie müssen
Ihren Leuten, SPD und Grünen, und den Wählern dann sa-
gen, dass Sie im Wahlkampf eine andere Sprache gespro-
chen haben. Der deutsche Weg, den der Kanzler propagiert
hat, von dem Sie gesagt haben: „Forget it“, ist die eigent-
liche Gefahr, wenn wir dem Terrorismus begegnen wollen.
Wir müssen es gemeinsam mit unseren europäischen Part-
nern und gemeinsam mit der NATO machen und dürfen es
nicht allein und isoliert als Deutsche tun. Es wäre eine
katastrophale Position, wenn wir es anders machten.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie reden Unsinn! Kriegshetzer! Sie sind ein Kriegshetzer!)


Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500800600

Ich erteile Bundesminister Joseph Fischer das Wort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500800700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich be-

danke mich beim Sprecher der Unionsfraktion für die
Ankündigung, dass die Unionsfraktion dem Antrag der
Bundesregierung betreffend Verlängerung des Mandats
für Enduring Freedom um ein Jahr zustimmen wird. Es ist
wichtig, dass wir eine breite Unterstützung für den ge-
fahrvollen Einsatz unserer Soldaten – er ist aus Sicht der
Bundesregierung alternativlos – finden. Um allerdings
das, was wir heute diskutieren und nächste Woche ent-
scheiden werden, in einen Zusammenhang mit dem Be-
griff der Totalverweigerung zu bringen, reicht meine
Sprachkompetenz im Deutschen schlicht und einfach
nicht aus, Herr Kollege Pflüger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Womit haben wir es zu tun? Jenseits der oberflächli-
chen Polemik gibt es ganz offensichtlich, zumindest seit
der gestrigen Ausschussdiskussion, ein hohes Maß an
Übereinstimmung in der Lageeinschätzung, auch wenn
ich glaube, dass die platte Totalitarismusdefinition, wie
Sie sie wählen, eher schädlich als nützlich ist;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


denn Sie lassen dabei einen entscheidenden Punkt außer
Acht, nämlich die Frage, was wirklich die Ursachen für
das Entstehen von Totalitarismen sind. Es sind – das kön-
nen wir auch an der eigenen Nationalgeschichte sehen –
in der Regel traumatische nationale oder regionale Kata-
strophen oder gescheiterte Modernisierungsversuche wie
bei uns die Revolution von 1848.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wenn das nicht platt ist!)


– Ich meinte: wie bei uns. Darauf kommt man, wenn man
auf die Ursachen zurückgeht. – Aus blockierter Moderni-
sierung entsteht dann ein Nährboden für Totalitarismen.

Wenn man das so sieht, Kollege Pflüger, dann muss
man meines Erachtens den umfassenden Sicherheitsbe-
griff, den der Bundeskanzler in seiner Regierungser-
klärung dargestellt hat, zur Grundlage des Kampfs gegen
den Terror machen. Das ist die entscheidende Konse-
quenz und da liegt meines Erachtens auch der Ansatz-
punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nach diesem umfassenden Sicherheitsbegriff – das
kann man am Beispiel Balkan, aber auch am Beispiel
Afghanistan sehen – geht es um den Einsatz auf allen Ebe-
nen. Ich möchte den Zuhörerinnen und Zuhörern, aber
auch den Menschen, die die heutige Debatte im Fernsehen
mitverfolgen,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Zuhörer sind auch Menschen! So ein Schmarren!)


klar sagen: Es kommt nicht nur entscheidend darauf an,
dass wir über Militäreinsätze abstimmen; dies müssen wir
aus konstitutiven Gründen, aus verfassungsrechtlichen

Dr. Friedbert Pflüger




Bundesminister Joseph Fischer
Gründen tun. Die Einsätze auf dem Balkan, im Kosovo,
in Mazedonien, in Bosnien, und auch in Afghanistan sind
allerdings viel umfassender. Über die zivilen Teile müs-
sen wir jedoch nicht abstimmen. Dazu bedarf es keiner
konstitutiven Beschlussfassung des Bundestages.

Wenn wir im Kampf gegen den internationalen Terro-
rismus über Enduring Freedom entscheiden, dann ent-
scheiden wir auch darüber, Afghanistan eine Perspektive
zum Wiederaufbau zu geben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


dann entscheiden wir über die Umsetzung dessen, was auf
dem Petersberg beschlossen wurde. Es geht darum, dass
wir mit der humanitären Hilfe Ernst machen. Wenn wir
auf die Situation von vor einem Jahr zurückblicken, dann
stellen wir fest, dass einer der wesentlichen Unterschiede
darin besteht, dass die humanitäre Hilfe jetzt – bei allen
Schwierigkeiten, die es gibt – im ganzen Land an die
Menschen herangebracht werden kann. Dies ist schlicht
und einfach eine Frage des Überlebens.

Hierbei sind wichtige Fortschritte erzielt worden. Die
Lage der Frauen und Mädchen, der Wiederaufbau des Bil-
dungssystems – bei allen Problemen, die es nach wie vor
gibt –, etwas mehr an Sicherheit, auch wenn diesbezüg-
lich noch sehr, sehr große Defizite vorhanden sind, eine
international kooperierende Regierung, deren Einfluss
zwar noch im Wesentlichen auf wenige Metropolen, vor
allem Kabul, begrenzt ist, der Beginn des Wiederaufbaus
afghanischen Militärs und afghanischer Polizei – bei der
Polizei engagiert sich die Bundesrepublik Deutschland
besonders – und der Wiederaufbau des Gesundheitssys-
tems, alles das sind wichtige Dinge, die man vor einem
Jahr noch nicht im Bereich des Möglichen gesehen hat
und die jetzt erreicht wurden. Das entspricht der Umset-
zung dessen, was wir unter einem umfassenden Sicher-
heitsbegriff verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vor diesem Hintergrund bedarf es allerdings einer rea-
listischen Analyse. Wir müssen feststellen, dass die Ge-
fahr des internationalen Terrorismus, insbesondere die
Gefahr der Verknüpfung des Terrorismus mit Re-
gionalkonflikten – Afghanistan stand immer in einem en-
gen Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwi-
schen den beiden Nachbarn Indien und Pakistan um
Kaschmir –, mitnichten gebannt ist, und zwar weder in der
Region des südlichen und des nördlichen Kaukasus noch
im Nahen Osten. Viele Länder haben große Modernisie-
rungsprobleme. Es gibt nicht – demokratische Regierun-
gen, Diktaturen und regionales Hegemonialstreben. Es
gibt außerdem die Gefahr der Massenvernichtungsmittel.
Aber, Kollege Pflüger, Sie müssen schon konsequent sein.
Sie können das, was Sie vorgetragen haben, nicht nur auf
eine Linie fokussieren. Sie müssen sich dann auch die Fra-
gen stellen, wo gegenwärtig in dieser Region das ent-
wickeltste Potenzial bei Trägersystemen liegt und wer
über das entwickeltste Nuklearprogramm verfügt. Auch
in anderen Regionen befinden sich solche Trägersysteme
und Programme in diktatorischen Händen. Ist es dann

sinnvoll, das internationale Kontrollregime herunterzu-
fahren sowie die Beschlussfassung über Chemiewaffen-
und Biowaffenprotokolle zu erschweren, wenn nicht so-
gar unmöglich zu machen? Brauchten wir nicht vielmehr
ein wesentlich härteres, international wirksameres Kon-
trollregime, um Proliferation zu verhindern? Das sind
doch die entscheidenden Fragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte in diesem Zusammenhang gar nicht an die
80er-Jahre erinnern. Damals hat nicht Rot-Grün regiert,
als bestimmte Entwicklungen stattgefunden haben.


(Zuruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU] – Ja, das ist völlig richtig. In den 80er-Jahren haben wir Opposition gemacht. – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Und wie!)


Sie können uns heute aber nicht die Schuld an Saddam
Hussein und seinen Potenzialen an Massenvernichtungs-
waffen geben. Das wird Ihnen nicht gelingen.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle nur eines sagen:
Wenn Sie sich die Region anschauen, dann müssen auch
Sie die Frage nach der Prioritätensetzung beantworten.
Das können Sie doch nicht einfach nach Ihnen gegebenen
Vorgaben, sondern nur nach einer Bedrohungsanalyse
tun. Am Ende werden Sie sich sogar fragen lassen müs-
sen, ob Sie nicht das Gegenteil von dem erreichen, was
Sie eigentlich wollen. Denn wenn der erste Teil Ihrer Ana-
lyse richtig ist, wenn also die erste Priorität ist – deshalb
wollen wir heute die Fortsetzung von Enduring Freedom
beschließen –, dass der Kampf gegen den internationalen
Terrorismus geführt werden muss, weil wir unter diesem
Damoklesschwert, mit den menschenverachtenden An-
griffen auf so genannte – das ist ein perverser Begriff –
weiche Ziele, also auf Menschen, die sich nicht vertei-
digen können, wie zum Beispiel auf Zivilisten und Tou-
risten egal welchen Alters, welchen Geschlechts und wel-
cher Herkunft, nicht leben können – Bali ist das letzte
schlimme Beispiel –, dann werden Sie zumindest die
Frage erlauben müssen – Sie werden sie auch beantwor-
ten müssen – , ob eine Verschiebung der Prioritäten, die
nicht unbedingt in Übereinklang mit dem zu bringen ist,
was Kampf gegen den Terrorismus bedeutet, letztendlich
nicht kontraproduktiv ist, Herr Kollege Pflüger. Das ist
die entscheidende Differenz, mit der wir es hier zu tun ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wünschen uns seitens der Bundesregierung – wir
halten es auch für notwendig – eine möglichst breite Un-
terstützung bei dem Beschluss über die Verlängerung des
Mandats in seinem ganzen Umfang, so wie wir es vor ei-
nem Jahr beschlossen haben, und zwar sowohl hinsicht-
lich des Umfangs der Streitkräfte als auch seines regiona-
len Umfangs. Es ist in der Tat richtig, dass die Fortschritte
in Afghanistan dazu geführt haben, dass dem Terrorismus
seine direkte regionale Basis entzogen wurde. Es gibt kein
anderes vergleichbares Land, das die frühere Rolle
Afghanistans bei der Unterstützung der Terrorismus-
organisation al-Qaida und des internationalen Terroris-


(A)



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mus spielen würde. Dennoch besteht die Gefahr fort. Es
gab regionale Verlagerungen vor allen Dingen hin zum
Nahen und Mittleren Osten. Ich erinnere mich in diesem
Zusammenhang daran, dass es noch vor einem Jahr Zwei-
fel daran gab, ob der Einsatz der Marine wirklich not-
wendig ist. Wir können heute, nach dem Terroranschlag
auf die „USS Cole“, ein Kriegsschiff der Amerikaner, in
Aden, der vor dem 11. September stattgefunden hat, und
auch nach dem Angriff auf den französischen Tanker
„Limburg“ feststellen, dass dieser Einsatz sehr wohl not-
wendig ist. Nach den vorliegenden Erkenntnissen über die
Kommunikation zwischen der arabischen Halbinsel und
dem östlichen Afrika ist das ein weiterer wichtiger Punkt.

Es ist genauso richtig – auch das ist ein entscheidender
Punkt – , dass wir die zunehmenden Gefahren auf der ara-
bischen Halbinsel ernst nehmen. Auch aus diesem Grund
ist die Aufstellung, wie wir sie vor einem Jahr beschlos-
sen haben, notwendig, richtig und wichtig.

Meine Damen und Herren, es gibt doch überhaupt kei-
nen Zweifel: Die Bundesrepublik Deutschland hat vor ei-
nem Jahr eine ohne jeden Zweifel schwere Entscheidung
fällen müssen. An diesem Punkt kann ich Ihnen, Kollege
Pflüger, nur sagen: Es ist eine schmerzhafte Auseinander-
setzung gewesen, aber die Mehrheit war vorhanden, das
wollen wir nicht vergessen. Wenn es in der Frage über
Krieg und Frieden eine Auseinandersetzung gibt und sie
immer wieder hinterfragt wird, dann halte ich das nicht für
kritisierenswert; denn ich meine, dieser Auseinanderset-
zung muss man sich stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie führen die Diskussion gerade so, als ob die Be-
gründungspflicht, die der Verfassungsgeber wollte, nicht
existieren würde und als ob die Mehrheit, und zwar so-
wohl die alte wie die neue, nicht die Kraft dazu gehabt
hätte, die notwendigen Entscheidungen unter schwierigs-
ten Bedingungen zu treffen und auch umzusetzen.

Meine Damen und Herren; wir halten es für notwendig,
dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus
unverändert fortgeführt wird, wir halten es aber auch für
notwendig, dass es hier nicht zu einer aus unserer Sicht
riskanten, weil in ihren Konsequenzen nicht zu Ende ge-
dachten und dadurch hoch kontraproduktiven Verschie-
bung der Prioritäten kommt. Wir haben eine klare Haltung
und Sie werden mit noch so viel Sophisterei und dem Ver-
such, Textexegese zu betreiben, um politisch etwas ausei-
nander zu dividieren, keinen Erfolg haben.

Der Bundeskanzler hat das in seiner Regierungser-
klärung in der letzten Woche wiederholt. Auch ich bin in
meiner Rede noch einmal darauf eingegangen: Wir wer-
den uns an einer möglichen Irak-Aktion nicht beteiligen.
Dabei bleibt es. Umso wichtiger ist es, dass wir in der
Frage der klaren Prioritätensetzung, des Kampfs gegen
den internationalen Terrorismus unseren Beitrag leisten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500800800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Günther Nolting,

FDP-Fraktion.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1500800900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minis-

ter Fischer, wenn Sie unsere Politik der 80er-Jahre hier
heute kritisieren, muss es auch erlaubt sein zu fragen, wie
Ihre Politik Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre
aussah. Ich glaube, Sie haben hier eine Gedächtnislücke.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die FDP-Bundestagsfrak-

tion konnte im letzten Jahr dem Antrag der Bundesregie-
rung zu Enduring Freedom nicht zustimmen, da der Bun-
deskanzler an die Zustimmung die Vertrauensfrage
gekoppelt hatte. Verständlicherweise konnten wir dem
Bundeskanzler unser Vertrauen nicht aussprechen und
werden dies auch heute nicht tun, übrigens auch in der
nächsten Woche nicht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das hat er auch verstanden!)


Seit einem knappen Jahr erfüllen Tausende deutscher
Soldaten im Rahmen von Enduring Freedom ihren Auf-
trag in Afghanistan, in Kuwait und am Horn von Afrika
mit Bravour. Wir bedanken uns bei unseren Soldatinnen
und Soldaten für diese Arbeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei sind die Bedingungen, die ihnen vonseiten der Bun-
desregierung vorgegeben werden, nicht die besten, um
nicht zu sagen, schlechter könnten sie eigentlich nicht
sein.

Herr Minister Struck, Herr Minister Fischer, Sie haben
den Marineverband am Horn von Afrika angespro-
chen. Sie haben aber vergessen zu erwähnen, dass unsere
Soldatinnen und Soldaten mit unzulänglichem Material
ausgestattet sind. Eine effektive Arbeit ist hier nur einge-
schränkt möglich. Die Technik ist nicht mit der anderer
Nationen kompatibel und hält den hohen Temperaturen
nicht stand. Die engen nationalen Einsatzrichtlinien ver-
bieten den deutschen Marinesoldaten darüber hinaus ein
An- bzw. Festhalten oder Durchsuchen verdächtiger
Schiffe.

Das ist aus unserer Sicht nicht zu begreifen. Durch
reine Präsenz, ohne weitere Befugnisse und Eingreifmög-
lichkeiten kann dem internationalen Terrorismus nicht
Einhalt geboten werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Einsatz am Horn von Afrika scheint reines rot-grünes
Alibi zu sein. Deutschland ist zwar dabei, aber eingreifen
dürfen die Soldaten nicht wirklich. Herr Minister Struck,
das ist ein untragbarer Zustand. Dies haben unsere Solda-
ten nicht verdient.


(Beifall bei der FDP)


Bundesminister Joseph Fischer




Günther Friedrich Nolting

In einer ähnlichen Situation sind die 52 deutschen
ABC-Abwehrsoldaten in Kuwait. Sie machen nur
20 Prozent des wichtigen Spezialverbandes aus. Der Rest
der Truppe ist in einer so genannten 96-Stunden-Bereit-
schaft in Deutschland. Die sechs ABC-Spürpanzer sowie
die weiteren in Kuwait stationierten Fahrzeuge sind je-
doch nur mit der gesamten Truppe einsatzfähig. So erfül-
len 52 Soldaten in Kuwait mehr oder weniger lediglich ei-
nen Wach- und Instandhaltungsauftrag; sie halten schlicht
und ergreifend die Stellung – mehr dürfen sie nicht.

Das Einsatzgebiet der ABC-Abwehrtruppe ist die ara-
bische Halbinsel, ausgenommen Irak. Ich will jetzt auf
den Irak nicht näher eingehen. Aber ich will schon sagen,
dass auf diesem politischen Feld der Herr Bundeskanzler
und der Herr Außenminister längst alles verfügbare Por-
zellan zerschlagen haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Betrachten wir also lediglich Kuwait. Sollten dort che-

mische oder biologische Waffen von terroristischen Kräf-
ten gegen militärische oder zivile Ziele eingesetzt werden,
so bliebe den deutschen ABC-Abwehrsoldaten nur noch
das Zählen von Toten und Verwundeten, da der Großteil
des Verbandes in Deutschland ist und erst nach drei bis
vier Tagen vor Ort einsatzbereit wäre.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie sollen nicht so einen Schwachsinn erzählen!)


Das ist die Situation, die uns vor Ort vom zuständigen US-
General im Camp Doha geschildert wurde. Er bat nicht
einmal um die Aufstockung der deutschen Kräfte auf
100 Prozent, aber er bat um die Stationierung der kom-
pletten Besatzungen der sechs ABC-Spürpanzer und des
zwingend dazugehörigen Personals in Kuwait.

Aus unserer Sicht ist das schlichtweg ein Skandal.
Auch hier nur rot-grüne Symbolpolitik! Da besitzen wir
ausnahmsweise das beste Gerät bezüglich des Aufspürens
und Bekämpfens biologischer und chemischer Kampf-
mittel und die alliierten Streitkräfte wären für eine Unter-
stützung durch die deutschen Soldaten mehr als dankbar –
die im Übrigen nur eine schützende bzw. eine helfende,
also eine rein humanitäre, Funktion haben –, doch die
deutsche Regierung verdammt die Soldaten durch ihre
Vorgaben zur Untätigkeit. Nicht einmal humanitäre Hil-
fen werden gewährt – und das offensichtlich nur, weil
Kuwait das Nachbarland des Irak ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: So einen Schwachsinn habe ich selten gehört!)


Die Menschen in Deutschland erwarten eine verant-
wortungsvolle Politik der Regierung. Sie verlangen auch
von der Opposition verantwortungsvolles Handeln. Die
FDP wird sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Al-
lerdings können wir unter den derzeitigen Einsatz- und
Rahmenbedingungen nicht leichtfertig und ohne ein-
gehende Prüfung einer Verlängerung der Beteiligung
deutscher Streitkräfte an der Operation Enduring Free-
dom zustimmen. Das gilt im Übrigen auch für die Finan-
zierung. Herr Minister Struck, der Hinweis, dass Einzel-
heiten im Haushalt 2003 festgelegt werden, reicht uns

nicht. Dazu werden Sie uns in der nächsten Woche auch
im Verteidigungsausschuss noch Auskunft geben müssen.

Herr Minister Struck und Herr Minister Fischer, ich
hätte es mir gewünscht, dass Sie heute auch ein Wort zu
den Arbeitsbedingungen der Soldatinnen und Solda-
ten gesagt hätten, dass Sie die Probleme – auch die
persönlichen Probleme – der Soldatinnen und Soldaten
angesprochen hätten, zum Beispiel die unzulänglichen
Unterbringungsmöglichkeiten und die viel zu langen Aus-
landsaufenthalte mit einer Dauer von sechs Monaten.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Ein wichtiger Punkt!)


Sie haben Gelegenheit, in der nächsten Woche auch hierzu
noch einmal Stellung zu nehmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500801000

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gert Weisskirchen,

SPD-Fraktion.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1500801100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

ber Kollege Pflüger, wenn man sich Ihre Rede hier an-
gehört hat – ich würde Ihnen empfehlen, sie selber noch
einmal nachzulesen –, dann war es jedenfalls für mich
schmerzhaft und offensichtlich, wie sehr wir den ehema-
ligen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Außenpolitik,
unseren verehrten Kollegen Karl Lamers, vermissen. Sie
haben dazu einen Kontrapunkt gesetzt – und zwar keinen
guten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen das auch belegen. Sie haben in relativ ver-
kürzter Form das Thema des Terrorismus angesprochen.
Auch ich glaube, dass wir es hier – das gestehe ich Ihnen
durchaus zu –, mit einer neuen Form des Totalitarismus zu
tun haben. Wir müssen hier aber genau differenzieren.
Wenn es richtig ist, was Sie sagen, dass man die Gefolg-
schaft, die Osama Bin Laden für sich gewinnen kann, zer-
stören muss, dann geht das nicht dadurch, dass wir uns auf
dem Pfad bewegen, den auch schon andere, wie zum Bei-
spiel Samuel Huntington, analytisch beschrieben haben.
Das, was Sie gesagt haben, hörte sich so an, als wenn wir
uns in einem Clash of Civilisations, in einem Kampf der
Kulturen, befänden. Aber in Wahrheit findet innerhalb des
Islams ein kultureller Kampf statt. In dieser Hinsicht müs-
sen wir differenzieren. Wir müssen durch den Dialog der
Kulturen dafür sorgen, dass die gewaltbesetzte Form des
Islamismus keine Chance hat. Diesem Aspekt haben Sie
in Ihrer Rede aber leider nicht Rechnung getragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört, Herr Kollege!)



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Herr Kollege Nolting, Sie sind meines Wissens doch
Mitglied des Verteidigungsausschusses. Ich glaube, Sie
haben gestern genau über das debattiert, wozu Sie hier
eben Fragen gestellt haben. Ich würde mir sehr wünschen,
dass Sie das, was Ihnen der Verteidigungsminister gestern
gesagt hat, wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen und
nicht genau die Fragen, die Sie gestern schon gestellt ha-
ben, hier wiederholen. Das wäre intellektuell redlicher.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Ich habe die Tatsachen dargestellt!)


Lieber Kollege Pflüger, es reicht nicht aus, voller Emo-
tionen zu reden. Man darf sich durch Emotionen nicht hin-
reißen lassen, sondern muss ein wenig differenzieren, da-
mit man das, was andere als Gefahr sehen, nicht nur
wiederholt und bestätigt. Man muss vielmehr die Frage
prüfen – das müssen wir in den nächsten Tagen in unse-
ren Ausschüssen machen –, was eigentlich das Wichtigste
ist, worauf wir eine Antwort finden müssen. Die wichtigs-
te Frage ist nicht die Frage nach der völkerrechtlichen
Substanz. Die Grundlage des Beschlusses für Enduring
Freedom hat sich nicht verändert. Dies sind Art. 51 der
Charta der Vereinten Nationen sowie die beiden Resolu-
tionen des Weltsicherheitsrats.

Die wichtigste Frage lautet, warum der Kampf gegen
den internationalen Terrorismus, wie er sich in seiner
jüngsten Form zeigt, auch mit militärischen Mitteln fort-
gesetzt werden muss. Ist nicht al-Qaida entscheidend ge-
schwächt? Ist nicht die Diktatur der Taliban zerbrochen?
Das ist geschehen. Die Diktatur der Taliban in Afghanis-
tan in der Form, wie wir sie lange kannten, gibt es nicht
mehr. Der hundertfache Tod auf Bali, die Anschläge, die
wir auf Djerba erlebt haben, zeigen, dass sich der Terro-
rismus neue Ziele sucht und dass er sich Touristen als Ziel
aussucht. Diese grausamen Terrorakte machen deutlich:
Der Kampf ist längst nicht zu Ende. Er ist deshalb nicht
zu Ende, weil der Terrorismus seine Ziele noch nicht auf-
gegeben hat.

Ich würde Ihnen, Herr Kollege Pflüger, empfehlen,
einmal nachzulesen, was Sadik Jalal al-Azm, Professor
für Philosophie an der Universität in Damaskus, über die
neue Form des Terrorismus, soweit sie sich aus islamis-
tischen Versatzstücken speist, sowie darüber, wie er den
Terrorismus empfindet, schreibt. Die jüngste Form des
Terrorismus habe bestimmte Methoden. Dieser Terroris-
mus greife auch auf Formen zurück, die wir in Europa
kennen. Die Action directe werde als das einzig verblie-
bene Mittel angesehen, die Menschheit aus dem Unglau-
ben zu befreien. Der Westen verteidige den Unglauben, in
Europa habe er seine Wurzeln. Der wirkliche Kampf, der
hier geführt werde, richte sich dagegen – so dieser Kriti-
ker des Islams, der selber aus dem Islam stammt –, dass
die Moderne der arabischen Welt von außen aufgezwun-
gen worden sei. Dagegen wehrt sich diese Form des Isla-
mismus. Deswegen glaube ich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass wir sehr viel differenzierter mit diesem
Problem umgehen müssen und sehr viel klarer erkennen
müssen, welche Chancen es gibt, durch den Dialog der
Kulturen dafür zu sorgen, dass diese Differenzierung in-

nerhalb des Islams vorangetrieben wird. Das ist genauso
wichtig, wenn nicht sogar viel wichtiger, als sich nur mi-
litärisch mit dieser extremen, mit dieser terroristischen
Form auseinander zu setzen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das hat doch niemand bestritten, lieber Kollege!)


Etwas anderes: Der Angriff ist auf die offene Gesell-
schaft und auf die Freiheit, die wir leben, gerichtet. Die
Touristen in Bali wollten ihre Form des Konsums und der
Freiheit leben. Der Terrorismus hat sich dagegen gewehrt
und meint, dass er die Form der Freiheit, die wir leben, an-
greifen muss. Diese Auseinandersetzung steht uns wahr-
scheinlich erst noch bevor. Dieser Auseinandersetzung
richtig zu begegnen hat nicht allein etwas mit dem Instru-
ment des Militärs zu tun.

Herr Nolting, lassen Sie mich an diesem Punkt noch ei-
nes sagen: Wir haben der Regierung mit der Entscheidung
zu Enduring Freedom im letzten Jahr die Möglichkeit ge-
geben, ein Mandat auszufüllen. Ich sage ganz klar: Ich
finde es gut, wie die beiden Verteidigungsminister
Rudolf Scharping und Peter Struck mit diesem Mandat
umgegangen sind. Sie sind den Ängsten, die wir vor ei-
nem Jahr hier erlebt haben, begegnet. Dieses Mandat ist
in einer Form umgesetzt worden, dass der Rahmen nie-
mals überschritten wurde. Die Angst, die hier zu hören
war, es ginge um eine Militarisierung, hat sich nicht be-
stätigt. Ich danke den Verteidigungsministern, die dafür
gesorgt haben, dass dieses Mandat verantwortungsbe-
wusst genutzt wurde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben – das ist nicht zu vergessen – den Soldatin-
nen und Soldaten die Möglichkeit gegeben, sich an einem
multilateralen Prozess zu beteiligen. Die Koalition gegen
den internationalen Terrorismus aufzubauen ist in der Tat
eine wichtige Aufgabe unserer Zeit. Dafür brauchen wir
aber auch die Fähigkeiten und das Können der Soldatin-
nen und Soldaten. Ich bin dankbar, dass die Politik dafür
gesorgt hat, dass die Soldatinnen und Soldaten ihre Fähig-
keiten in einem Prozess, der zum Frieden führt, einsetzen
können. Es ist heute die Aufgabe des Militärs, dafür zu
sorgen, dass die Menschen eine Chance haben, innerhalb
eines Rahmens der Sicherheit so zu leben, dass sie ihre
gewünschte Form der Freiheit in der Region, in der sie le-
ben, auch wirklich verwirklichen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Soldatinnen und Soldaten haben innerhalb des Man-
dats von Enduring Freedom das erreicht, worauf es an-
kommt; dafür danken wir ihnen.

Der Auftrag – das wissen wir alle – ist voller Gefahren.
Die Soldaten beweisen, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land im Kampf gegen den Terrorismus ein Partner in der
internationalen Koalition ist. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, auf diese Bundesrepublik Deutschland ist Ver-
lass. Wir sind die Nation, die nach den USA das stärkste
Kontingent an Soldatinnen und Soldaten innerhalb der
unterschiedlichen Mandate aufweist. Ich sage Ihnen: Die
Isolierung, die Sie hier beschrieben haben, hat mit der

Gert Weisskirchen (Wiesloch)





Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Realität auf der Erde und mit der Realität der Mandate, die
die UNO vergibt, absolut nichts zu tun. Das, was Sie hier
produzieren, ist nichts anderes als Wahlkampfgetöse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von 3 900 möglichen Soldatinnen und Soldaten ist ge-
genwärtig gerade einmal ein Drittel im Rahmen des Man-
dats von Enduring Freedom tätig. Sie leisten etwas: Heute
sehen wir, dass die territoriale Basis von al-Qaida in Af-
ghanistan weitgehend zerschlagen werden konnte. Wir
alle wissen, dass diese Basis noch nicht völlig zerstört
wurde. Teilkräfte haben auch in Afghanistan begonnen,
sich neu zu gruppieren. Wir sehen, dass an den Rändern
Afghanistans – im Osten und im Süden – wieder neue
Netze geknüpft werden. Dies ist nicht allein dort zu be-
obachten. Die neue Form des Terrorismus fordert die in-
ternationale Staatengemeinschaft auch weiterhin heraus.
Sie muss Strategien gegen die Privatisierung von Gewalt
und gegen die Privatisierung von Krieg entwickeln. En-
during Freedom – eine militärische Operation – ist ein In-
strument und nichts anderes.

Gewiss, immer wird es Menschen geben, die hassen
und töten, selbst wenn alle Ungerechtigkeiten beseitigt
sein werden. Doch ist klar: Täter zu verhindern ist wich-
tiger und wirkungsvoller, als Taten zu verhindern. In dem
Moment, in dem es keine Täter gibt, wird es hoffentlich
auch keine Taten geben. Deswegen ist richtig: Prävention
kann den Kampf gegen den Terrorismus nicht ersetzen.
Der beste Kampf gegen den Terrorismus ist, ihn gar nicht
erst entstehen oder jedenfalls keinen neuen Terrorismus
nachwachsen zu lassen.

Man kann den Worten Kofi Annans zustimmen – ich
zitiere –:

Aber wenn die Welt beweisen kann, ... dass sie be-
harrlich an der Schaffung einer stärkeren, gerechte-
ren, gütigeren und noch internationaleren Gemein-
schaft über alle Grenzen von Religion und Rasse
hinweg arbeitet, dann wird der Terrorismus sein Ziel
verfehlen.

Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich regionale
Konflikte entschärfen, dass wir uns für mehr Gerechtig-
keit einsetzen. Wer dafür streitet, dass sich für alle Men-
schen Chancen eröffnen, dass sie ihre Form der Freiheit
leben können, der hilft mit, dass Terroristen nicht mehr
gehört werden. Deswegen ist es so wichtig, dass zum Bei-
spiel das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung beim Bau von Schulen und Kranken-
häusern mithilft.

DerAufbau einer zivilen Gesellschaft in Afghanistan
ist nicht möglich, wenn Enduring Freedom nicht fortge-
setzt wird. Aus diesem Grunde brauchen wir die Erneue-
rung und Verlängerung des Mandats. Wir brauchen es, da-
mit es eine Form der Sicherheit gibt, die durch Militär
gewährleistet werden kann, damit die Menschen ihre Frei-
heit in Afghanistan und in anderen Regionen dieses be-
drohten Raumes wirklich durchsetzen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer einmal – darum möchte ich alle bitten, die sich mit
dem Gedanken tragen, lieber Kollege Ströbele, mögli-
cherweise mit Nein zu stimmen – mit Menschen aus Af-
ghanistan spricht, der sollte ihnen genau in die Augen
schauen. Er sollte sich überlegen, woher die Angst
kommt, die aus diesen Menschen spricht. Es ist die Angst
von 22 Jahren Krieg, die sie erlitten haben, einer Kette
von Bürgerkriegen. 1979 war der Einmarsch der Sowjets.
Es folgte Krieg auf Krieg. Zehntausende von Menschen
wurden ermordet. Hunderttausende sind geflohen. Ein
Fünftel der afghanischen Bevölkerung hat bis zum letzten
Jahr außerhalb Afghanistans leben müssen, weil es aus
dieser Zone des Krieges und der Gewalt fliehen musste.

Jetzt können die Menschen zurückkehren. Ist das nicht
ein Zeichen dafür, dass diese Form der äußeren Sicherheit
garantiert werden muss? Wenn sie von innen nicht ge-
währleistet werden kann, dann muss die internationale
Staatengemeinschaft dafür sorgen, dass die Flüchtlinge
zurückkehren können. Das ist ein deutliches Zeichen des
Erfolges. Das muss man denen sagen, die sich noch die
Frage stellen, ob sie der Verlängerung des Mandats zu-
stimmen werden.

Mein letzter Punkt. Die Menschen in Afghanistan be-
fürchten noch etwas. Ihre Angst ist: Werden wir das
nächste Mal vergessen, wenn die Scheinwerfer der
Weltöffentlichkeit nicht mehr auf Afghanistan gerichtet
sind? Dieser doppelten Angst – Rückkehr des Krieges und
die Furcht, vergessen zu werden, verlassen zu sein – be-
gegnen wir, wenn wir Enduring Freedom zustimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500801200

Ausweislich des Protokolls hat der Kollege Hans

Büttner während der Rede von Friedbert Pflüger dazwi-
schengerufen: „Sie sind ein Kriegshetzer!“ Lieber Kol-
lege Büttner, so etwas sollten wir uns bei aller Auseinan-
dersetzung in diesem Parlament nicht antun. Ich erteile
Ihnen einen Ordnungsruf.

Nun hat Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Frak-
tion, das Wort.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1500801300

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! So

ganz recht weiß ich nicht, was die aufgeregte Rede des
Kollegen Weisskirchen bewerkstelligen sollte. Offen-
sichtlich richtete sie sich vor allem an die eigene Koali-
tion.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ist es!)

Offensichtlich hat man gemerkt, dass nicht mehr wie vor
einem Jahr die Substanz vorhanden ist, nach dem eigenen
Gewissen und der eigenen Gesinnung zu handeln und ei-
nige zustimmen und einige ablehnen zu lassen, damit man
sozusagen auf beiden Schultern Wasser tragen kann. Dies-
mal müssen Sie schon alle mit an Bord nehmen.


(A)



(B)



(C)



(D)


388


(A)



(B)



(C)



(D)






Ich möchte Sie an dieser Stelle darauf hinweisen, dass
Sie keine Carte blanche von uns bekommen. Sie müssen
sich Ihre Mehrheit schon selbst besorgen.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])


Wenn Sie der Meinung sind, dass die Fortsetzung dieses
Mandats notwendig ist, klären Sie das bitte erst in Ihren
eigenen Reihen ab, bevor Sie es als Antrag in das Plenum
des Deutschen Bundestags einbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Um es noch einmal klarzustellen: Eine Carte blanche
ist nicht erteilt worden. Die grundsätzliche Zustimmung,
die der Kollege Pflüger signalisiert hat, hat mit unserer
grundsätzlichen Übereinstimmung hinsichtlich der Er-
kenntnis zu tun, dass Terrorismus bekämpft werden
muss. Die handwerkliche Arbeit muss von Ihnen durch-
geführt werden. Dann werden wir konkret entscheiden,
wie wir uns dazu verhalten. Das wird nächste Woche der
Fall sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Kollege Weisskirchen, ich weiß, dass Professoren
dazu neigen, Zensuren zu erteilen und professoral zu re-
den, aber ich schlage Ihnen vor, die Zensuren, die Sie den
Kollegen Pflüger und Nolting erteilt haben, wieder
zurückzunehmen. Denn die Opposition hat nicht nur das
Recht, sondern auch die Pflicht, im Interesse unseres Lan-
des und der Soldaten Fragen zu stellen. Die Fragen, die
der Kollege Nolting gestellt hat, sind durchaus noch zu
beantworten. Dazu werden wir in den nächsten Tagen
noch einiges hören wollen.

Was das Problem betrifft, ob tatsächlich alle Fragen zur
Zukunft des KSK, des Einsatzspektrums und zum Ein-
satzgebiet am Horn von Afrika bereits geklärt worden
sind, so sind zwar erste Hinweise erfolgt, aber ich sehe
trotzdem gespannt der nächsten Woche entgegen, wenn
der Verteidigungsminister, Herr Struck, nach Washington
reisen wird – ich wünsche ihm eine gute Reise und gute
Gespräche mit Herrn Rumsfeld – und wenn wir dann er-
fahren werden, welche Ergebnisse er mitbringt und ob
sich möglicherweise das eine oder andere in einem ande-
ren Licht darstellen wird.

Eines habe ich noch vergessen. Ich will Ihnen diese Ar-
beit nicht abnehmen, Herr Verteidigungsminister, aber es
sind eine Dankesschuld und auch Glückwünsche fällig.
Möglicherweise wird Herr Rumsfeld keinen großen Wert
darauf legen, dass Sie die besten Glückwünsche aus
Deutschland zum Wahlsieg von Präsident Bush und sei-
ner Partei bei den Zwischenwahlen ausrichten; deshalb
gratuliere ich vorsichtshalber von dieser Stelle aus unse-
ren Freunden in den USA.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu der sauberen handwerklichen Arbeit, über die wir

zu sprechen haben, gehört auch, dass Sie, Herr Fischer,
nicht den Eindruck erwecken, Sie würden die Außen- und

Sicherheitspolitik nach dem Aktenbocksystem betreiben.
Ihnen als Chef einer großen Behörde ist ja bekannt, dass
es dort Aktenboten gibt, die für den Posteingang und den
Postausgang zuständig sind. Die Weiterleitung der Post
erfolgt nach dem Motto „First in, first out“, und entspre-
chend wird gehandelt. So kann die Außenpolitik aber
nicht funktionieren. Sie verbrämen Ihre Politik stets mit
dem Begriff Prioritätensetzung nach dem Motto „Lasst
uns zunächst die Operation Enduring Freedom zu Ende
führen; dann schauen wir, was im Irak oder sonst ir-
gendwo los ist“. Leider handelt es sich hierbei um Hy-
dren, denen mehrere Köpfe wachsen. Das heißt, man
muss zwar das eine tun, darf aber das andere nicht lassen.

Sie werden sich auch nicht mit der Erklärung „Ohne
mich! Ich mache dabei nicht mit“ aus der internationalen
Entwicklung verabschieden können. Das ist eine Übung,
die seit den 50er-Jahren bzw. seit den Ostermärschen Tra-
dition hat und die Sie in den 70er- und 80er-Jahren in
Frankfurt auf der Zeil dokumentiert haben. Das mag zwar
Ihrem Verständnis von Außenpolitik entsprochen haben,
geholfen hat es unserem Lande aber nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Genauso wenig hilft es, diese „Ohne-mich-Haltung“ jetzt
fortzusetzen. Sie sind doch gefordert festzustellen, wel-
che Konsequenzen eine mögliche Resolution des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen hat, weil der
Bundeskanzler, der offensichtlich bereits aus dieser De-
batte geflüchtet ist, die große Chance vertan hat, die der
Kollege Pflüger unterstrichen hat, nämlich die Chance ei-
ner Annäherung an die französische Position und der Ent-
wicklung einer europäischen Position, um im Sinne der
Interessen unseres Landes wieder ins Spiel zu kommen.
Nachdem er die vertan hat, stehen Sie doch außen vor. Sie
wissen doch genauso gut wie wir, dass der zweite Teil von
Enduring Freedom eben nicht abgesetzt von anderen in-
ternationalen politischen Entwicklungen gesehen werden
kann. Wenn sich im IrakEntwicklungen ergeben, was wir
nicht anstreben, müssen doch folgende Fragen beantwor-
tet werden: Was ist mit den Spürpanzern in Kuwait?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ist das passiv oder nehmen wir aktiv teil?


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja! Richtig!)

Was ist, wenn Giftgas eingesetzt wird? Ich habe vor
kurzem – der eine oder andere hat solche Bilder vielleicht
auch schon einmal gesehen – mit dem Untersuchungsfüh-
rer der Vereinten Nationen, einem Medizinprofessor aus
Gent, Bilder über die Giftgaseinsätze von Saddam
Hussein gegen den Iran gesehen, die einem den Appetit
vergehen lassen. Da sind nüchterne Fragen gestellt, übri-
gens bis hin zu der Frage, ob die Ausrüstung, auch die
NATO-Ausrüstung, ausreicht, damit sich die Soldaten ge-
gen solche Dinge, von denen wir alle wissen, dass sie in
den Arsenalen von Herrn Saddam Hussein vorhanden
sind, selber schützen können. Das gehört für mich zum
Handwerk und das zähle ich zum Thema Aufrichtigkeit
vor der Öffentlichkeit und vor uns selbst. Wenn Sie, Herr
Außenminister, die Öffentlichkeit, die an den Fernsehern

Christian Schmidt (Fürth)





Christian Schmidt (Fürth)

und sonst wo zuhört, schon ansprechen, dann müssen Sie
auch diese Fragen beantworten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Übrigens sind die wesentlichen Abrüstungsschritte der

80er- und der 90er-Jahre von einer christlich-liberalen
Koalition in diesem Lande mit nach vorne gebracht wor-
den. Ich darf hier daran erinnern, dass sowohl das Atom-
teststoppabkommen, das mit vielen Problemen behaftet
war und leider – vor der jetzigen Administration – in
Washington gescheitert ist, als auch einige andere Dinge
von den Regierungen Kohl/Genscher und Kohl/Kinkel
betrieben worden sind. Die Legenden, die Sie hier zu bil-
den versucht haben, wollen wir gleich einmal zurückwei-
sen und ablegen.

Selbstverständlich geht es auch um die Sicherheit der
Soldaten; das Thema muss fast an erster Stelle stehen.
Der Verteidigungsminister hat, was ihm im Kabinett si-
cherlich zur Ehre gereicht, diese Debatte eröffnet. Feder-
führend ist allerdings der Außenminister. Ich habe ge-
dacht, jetzt kommt jemand und sagt: Unsere Soldaten
stehen unter diesen und jenen Gefährdungen, vielleicht
unter mehr Gefährdungen als noch vor einem Jahr, und
deswegen möchten wir diese und jene Schritte tun. Darü-
ber werden wir noch einmal reden müssen, angefangen
bei den Stehzeiten der Soldaten. Das alles mag uns hier als
Lappalie erscheinen, aber sechs Monate in Afghanistan
oder sonst wo fern der Heimat, mit allen familiären Proble-
men, veranlassen uns schon – ich glaube, zu Recht – zu sa-
gen: in Zukunft flexibler und vier Monate als Grundregel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Eine letzte Bitte: In der Tat ist es gut, wenn die Solda-
ten bei ihrem Einsatz wissen, dass wir alle hinter ihnen
stehen und unsere Fürsorgepflicht wahrnehmen. Aber
eine Bemerkung kann ich mir nun nicht verkneifen. Herr
Kollege Weisskirchen, Sie haben die Entwicklungspolitik
zitiert. Der amerikanische Präsident hat, übrigens von die-
sem Pult aus, noch vor einigen Monaten den Appell an uns
alle gerichtet, auch die Entwicklungspolitik als Instru-
ment von Friedenspolitik zu sehen. Er leistet in diesem
Bereich finanziell vielleicht mehr als diese Bundesregie-
rung. Aber die Chefin des Entwicklungshilfeministeri-
ums, Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, hat, wenn ich mich
richtig erinnere – das genaue Zitat habe ich nicht mehr im
Kopf –, vor ziemlich genau einem Jahr, wie viele andere
im rot-grünen Spektrum, noch vor Enduring Freedom, vor
militärischen Eingriffen in Afghanistan gewarnt. Es gab
das Wort von der drohenden humanitären Katastrophe.
Heute hört sich das alles ganz anders an. Im besten Falle,
Herr Weisskirchen, können Sie sagen: Ich, Weisskirchen,
habe mit meinen Kollegen dazugelernt, ich bin schlauer
geworden. Kein Mensch verhindert das, das passiert jeden
Tag. Arbeiten Sie weiter daran; Sie haben noch viel zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500801400

Ich erteile das Wort der fraktionslosen Abgeordneten

Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500801500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

vorangegangene Debatte über Bundeswehreinsätze in
Afghanistan ist vielen in diesem Hause sicherlich noch in
Erinnerung. Der Bundeskanzler verknüpfte damals den
Marschbefehl mit der Vertrauensfrage. Es war sehr viel
von Nötigung die Rede.

Danach bemühten sich insbesondere die Fraktionsspit-
zen vom Bündnis 90/Die Grünen, den Charakter des
Afghanistan-Mandats umzudeuten. Fast mochte man
glauben, der Einsatz erfolge auf Bitte des Weltfrauengip-
fels und – ich betone dies – ausschließlich zum Wohle
tatsächlich unterdrückter Frauen in Afghanistan. Die zivi-
len Opfer des Antiterroreinsatzes wurden bislang übri-
gens nicht erwähnt. Auch daran sei hier erinnert: Eigent-
lich sollte es darum gehen, jener Terroristen habhaft zu
werden, die für die Anschläge am 11. September in den
USA verantwortlich sind und in Afghanistan vermutet
wurden.

Einen Merksatz aus der Debatte im Dezember des ver-
gangenen Jahres will ich nicht vergessen. Damals versi-
cherte der Bundeskanzler ausdrücklich, deutsche Solda-
ten würden auf keinen Fall an Kampfeinsätzen
teilnehmen. Seit anderthalb Wochen lesen wir anderes, im
„Spiegel“ ebenso wie in der „FAZ“: Es geht doch um
Kampfeinsätze; es geht um einen eigenständigen Beitrag
deutscher KSK-Kräfte; es geht hier heute also um ein
Kriegsmandat für mindestens ein Jahr.

Gewiss, im heute vorliegenden Antrag liest sich das
nicht ganz so deutlich; es wird aber auch nicht ausge-
schlossen. Also halte ich fest: Minister Struck hat – so lese
ich es in den zitierten Artikeln – die von mir genannten
Pressemeldungen bestätigt. Ich stelle fest: Er hat auch
heute kein glaubwürdiges Widerwort dazu gefunden. Der
Bundestag entscheidet also keineswegs über die bloße
Verlängerung eines ablaufenden Mandats. Es geht um
eine neue Qualität: Es geht um Kriegseinsätze.

Auch einen weiteren Verdacht schaffen Sie mit diesem
Antrag und der heutigen Debatte nicht aus dem Raum:
Die rot-grüne Regierung setzt auf Vernunft und verwei-
gert sich bisher einem Krieg gegen den Irak – so weit, so
gut. Offenbar geschieht das sehr zum Verdruss der Oppo-
sition zur Rechten. Nun klemmt es aber seit dem Nein
zum Irak-Krieg im Verhältnis zwischen den USA und der
Bundesrepublik. Das Ganze, was jetzt abläuft, riecht ganz
übel nach einem Deal: Deutschland entlastet die USAmi-
litärisch in Afghanistan und anderswo, damit diese sich
weiter auf den Irak einschießen können. Sie wissen, dass
die „PDS im Bundestag“ dem nicht zustimmen wird.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Vor Jahresfrist war viel von der Not der Menschen in
Afghanistan, vom drohenden Winter und von den Minen-
opfern die Rede. Auch heute droht der Winter, auch heute
herrscht bittere Not und auch heute werden Menschen
Opfer von Minen. Wir beide, die Vertreterinnen der PDS,
können keine Debatte zu diesem Thema hier im Bundes-
tag beantragen. Aber ich finde, es wird höchste Zeit, dass
sich der Bundestag auch damit beschäftigt. Vielleicht fin-


(A)



(B)



(C)



(D)


390


(A)



(B)



(C)



(D)






den sich Kolleginnen und Kollegen beim Bündnis 90/Die
Grünen oder bei der SPD, die bereit sind, auch diese Fra-
gen auf die Tagesordnung zu setzen.

Danke schön.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frakti onslos])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500801600

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/37 an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes für mo-derne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt

– Drucksache 15/25 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes fürmoderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
– Drucksache 15/26 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

c) Erste Beratung des von der Fraktion derCDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Aktivierung kleiner Jobs (Kleine-Jobs-Gesetz)

– Drucksache 15/23 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Karl-
Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zum optimalen Fördernund Fordern in Vermittlungsagenturen(OFFENSIV-Gesetz)
– Drucksache 15/24 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Dirk Niebel, Gudrun Kopp, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Handeln für mehrArbeit
– Drucksache 15/32 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesmi-
nister Wolfgang Clement das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kol-
legen! Wir eröffnen heute die Debatte über einen Gesetz-

Petra Pau




Bundesminister Wolfgang Clement
entwurf zur Förderung moderner Dienstleistungen auf
dem Arbeitsmarkt. Das ist das erste große Gesetzespaket,
das zur tiefgreifendsten Strukturänderung des Arbeits-
marktes in Deutschland hinführen soll.

Was wir vorlegen, stützt sich, wie Sie alle wissen, auf
die Ergebnisse der Hartz-Kommission. Ich möchte zu
Beginn dieser Debatte gern darauf hinweisen, dass es der
Kommission gelungen ist, das bisherige Lagerdenken zu
überwinden und einen Konsens zwischen den gesell-
schaftlichen Gruppen über zu ziehende Konsequenzen zu
entwickeln. Meine Vorstellung und Hoffnung ist, dass uns
ein solcher Konsens bei diesem überragend wichtigen ar-
beitsmarktpolitischen Thema des Kampfes gegen die Ar-
beitslosigkeit ebenfalls gelingt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist es
überaus wichtig, dass wir uns vornehmen, möglichst
gleich zu Anfang Missverständnisse, die es offensichtlich
gibt, auszuräumen, keine Scheingefechte oder Gefechte,
die keine tief greifenden Auseinandersetzungen zulassen,
zu führen und, wenn nur irgendwie möglich, zu gemein-
samen Lösungen zu kommen. Das eilt, wie wir alle wis-
sen. Die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland duldet kei-
nen Aufschub unserer Aktivitäten.

Einige Schritte sind bereits im Sinne dessen, was die so
genannte Hartz-Kommission, also die Kommission unter
Leitung von Peter Hartz, uns empfohlen hat, getan. Der
neue Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit ist dabei, die
Arbeit der Anstalt effektiver und effizienter zu gestalten.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau bietet bereits, wie Sie
wissen, das Modell eines Jobfloaters an. Das Programm
mit dem Namen „Kapital für Arbeit“ gibt ja insbeson-
dere mittelständischen Unternehmen zusätzliche Anreize,
Arbeitslose einzustellen. Weil es daran sowohl in den De-
batten hier als auch öffentlich Kritik gegeben hat, weise
ich darauf hin, dass bei der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau inzwischen Hunderte von Anfragen zur Teilnahme an
dem Programm „Kapital für Arbeit“ vorliegen. Deshalb
scheint mir die Hoffnung, dieses Programm könne erfolg-
reich sein und für an die 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze
in Deutschland sorgen, nicht unbegründet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute geht es darum, einen weiteren, einen sehr großen
Schritt voranzugehen. Es liegen die Gesetzentwürfe der
Koalitionsfraktionen vor, mit denen der erste große Bau-
stein des Konzepts der Kommission „Moderne Dienstleis-
tungen am Arbeitsmarkt“ umgesetzt werden soll. Diesem
Schritt werden weitere folgen: Als Nächstes werden die
gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine weitere Mo-
dernisierung der Bundesanstalt für Arbeit geschaffen.
Wir wollen dann die Selbstverwaltung auch auf örtlicher
Ebene reformieren und bei der Bundesanstalt weg von ei-
ner monetären Steuerung hin zu einer effektiven Ziel-
steuerung mit einem starken Controlling kommen. Außer-
dem wollen wir weg von dem starren Amtsapparat der
Arbeitsverwaltung hin zu einem kundenorientierten Han-
deln.

Der dritte große Schritt wurde auch bereits angekün-
digt: Bis Anfang 2004 müssen wir das Nebeneinander von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe überwunden und beides in
einem neuen Arbeitslosengeld II,wie der technische Be-
griff im Konzept der Hartz-Kommission lautet, zusam-
mengefasst haben. Es ist sinnvoll, die Arbeitslosenhilfe
und die Sozialhilfe, jedenfalls soweit sie arbeitsfähigen
Sozialhilfeempfängern zukommt, in einer Leistung
zusammenzufassen. Es ist auch klar, dass wir uns vorge-
nommen haben, dieses Arbeitslosengeld II oberhalb des
bisherigen Satzes der Sozialhilfe zu positionieren, und
zwar auch materiell und finanziell. Vorbereitende Maß-
nahmen für diese Zusammenführung enthalten schon die
jetzt vorliegenden Gesetzentwürfe. Weil wir aber die fi-
nanziellen Folgen insgesamt berücksichtigen müssen, ist
es im Hinblick auf eine generelle Lösung sinnvoll, die Er-
gebnisse der Kommission zur Gemeindefinanzreform
abzuwarten und die endgültige Zusammenführung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Bereich der Ar-
beitsfähigkeit erst zum 1. Januar 2004 wirksam werden zu
lassen.

Heute geht es um eine grundlegende Erneuerung der
Rahmenbedingungen für eine rasche und nachhaltige Ver-
mittlung von Arbeitslosen in Arbeit, also um eine neue
Beschäftigungspolitik. Zugleich geht es auch um die Kon-
solidierung der Haushalte der Bundesanstalt und des Bun-
des. Der Umfang dieser Konsolidierungsbemühungen
liegt, wie von mir schon mehrfach öffentlich bestätigt, bei
rund 6 Milliarden Euro. Dabei sollen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber trotz aller Sparnotwendigkeiten erstklassige
Dienstleistungen erhalten. Um das zu erreichen, verbes-
sern wir den Service und die Vermittlungsarbeit der Ar-
beitsämter. Angebot und Nachfrage sollen also schneller
und besser befriedigt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es kann und sollte auch zukünftig nicht sein, dass Ar-
beitslose durchschnittlich mehr als 33 Wochen ohne Job
bleiben. Deshalb muss die Vermittlungsgeschwindigkeit
deutlich erhöht werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jede Woche, die wir Arbeitslose früher vermitteln, bedeu-
tet – aufs Ganze gerechnet – 115 000 Arbeitslose weniger
und entspricht einer Einsparung von etwa 1 Milliarde
Euro. Deshalb müssen wir auf ein höheres Tempo, einen
früheren Beginn der Vermittlungsarbeit drängen.

Wir nutzen zudem die Beschäftigungspotenziale der
Zeit- und Leiharbeit, um Arbeitslosen den Wiedereinstieg
ins Arbeitsleben zu erleichtern. Gleichzeitig wollen wir
mit diesem Gesetzespaket sozial abgesicherte Wege in die
Selbstständigkeit und die Dienstleistung in privaten
Haushalten fördern. Dass die Bekämpfung der Schwarz-
arbeit dabei ein wesentliches Anliegen ist, liegt auf der
Hand.

Die Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Hartz-Vor-
schläge, die wir heute beraten, bringen einen wesentli-
chen Impuls für eine neue Beschäftigungspolitik in
Deutschland. Es geht um mehr Arbeitsplätze, um neue
Arbeitsplätze, um ein größeres Wachstum. Das ist ein we-
sentlicher Teil unserer Politik.


(A)



(B)



(C)



(D)


392


(A)



(B)



(C)



(D)






Konkret heißt das:
Wir wollen flächendeckend Jobcenter einrichten.

Diese Jobcenter sollen künftig die erste Adresse auf dem
Arbeitsmarkt sein. Das wird zum Nutzen all derer sein,
die arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Sie
werden künftig einen einzigen Ansprechpartner haben,
der die Integration in den Arbeitsmarkt in die Hand
nimmt. Es sollen also schon jetzt – bereits vor der Zu-
sammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
Anfang 2004 – einheitliche Anlaufstellen geschaffen wer-
den. In vielen Ländern, Städten und Gemeinden geschieht
das bereits.

Wir haben mit der Einführung dieser Methode bereits
gute Erfahrungen gemacht. Verschiedene Projekte im
Rahmen der Modellvorhaben zur Verbesserung der Zu-
sammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozial-
hilfe zeigen, dass so eine bessere Betreuung arbeitsloser
Menschen möglich wird. Wir wollen dafür sorgen, dass es
ab sofort mehr solcher Stellen gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein wesentliches Hindernis dabei ist – das haben die

Projekte gezeigt – die Begrenztheit des Datenaustausches
zwischen den Behörden. Deshalb haben wir jetzt in den
Gesetzentwürfen vorgesehen, dass dieser Datenaustausch
uneingeschränkt möglich wird. Es liegt auf der Hand, dass
dies wichtig ist.

Die Vermittlungsgeschwindigkeit – ich habe es bereits
gesagt – muss erhöht werden. Gekündigte Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer gehen, wie wir wissen, oft nicht
sofort zum Arbeitsamt. Ich kann das verstehen; wer geht
schon gerne zum Arbeitsamt? Dieser unangenehme und
vielen Menschen fremde Gang wird nicht selten auf den
ersten Tag der Arbeitslosigkeit verschoben. Aber so geht
wertvolle Zeit verloren, die sinnvoll genutzt werden
muss. Der Vermittlungsprozess muss sofort nach der
Kündigung einsetzen und mögliche Vermittlungshemm-
nisse müssen sofort erkannt werden. Das heißt, bereits die
Zeit zwischen Kündigung und Beendigung der Arbeit
muss aktiv genutzt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur so kann es gelingen zu erreichen, dass Arbeitslosig-
keit erst gar nicht entsteht.

Wir wollen deshalb, dass sich Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer unverzüglich beim Arbeitsamt melden.
Nach Eingehen der Kündigung – das ist unsere gesetzli-
che Aufforderung – müssen sie diese in Zukunft beim Ar-
beitsamt melden, möglichst schon – so schwer das fallen
mag – an dem Tag, an dem sie ihre Kündigung erhalten.
Um dies zu erreichen, müssen wir einen gewissen Druck
ausüben: Eine verspätete Meldung wird in Zukunft, so-
bald der Gesetzentwurf Gesetzeskraft erreicht hat, Ein-
bußen beim Arbeitslosengeld zur Folge haben.

Aber auch die Arbeitgeber, die kündigen, müssen ihrer
Verantwortung gerecht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir erwarten von den Arbeitgebern, dass sie gekündigte
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in zumutbaren Grenzen
zur Stellensuche und zur Teilnahme an Maßnahmen des
Arbeitsamtes freistellen.

Darüber hinaus müssen Arbeitslose verstärkt in die
Pflicht genommen werden. Wir müssen stärker auf die
Eigenbemühungen von Menschen drängen, die von Ar-
beitslosigkeit betroffen sind. Deshalb verlangen wir mit
diesem Gesetzentwurf eine größere Bereitschaft zur Mo-
bilität, die wir auch fördern. Mobilität wird besonders
dann erwartet, wenn die familiäre Situation einen Wech-
sel des Wohnortes über den üblichen Pendlerbereich hi-
naus zulässt. Das gilt vor allen Dingen für ledige, jüngere
Menschen, denen dies abverlangt werden kann.

Zudem muss künftig ein Arbeitsloser bzw. eine Ar-
beitslose nachweisen, warum er oder sie ein Arbeitsange-
bot für unzumutbar hält. Die Beweislast für die Zumut-
barkeit der Arbeit liegt nicht mehr beim Arbeitsamt,
jedenfalls dann nicht, wenn die Gründe für die Verweige-
rung einer Arbeitsaufnahme in der Sphäre des Arbeitslo-
sen bzw. der Arbeitslosen liegen. Dies ist ebenfalls eine
wesentliche Veränderung, deren logische Konsequenz ist,
dass wir die starren Sperrzeitregelungen in Form von ab-
gestuften Sanktionen flexibler handhaben werden, sodass
angemessen auf eine mangelnde Kooperationsbereit-
schaft von betroffenen Menschen reagiert werden kann.
Das heißt, wir drängen auf eine enge Kooperation zwi-
schen dem Arbeitslosen und der Arbeitsverwaltung. Es
muss klar werden, dass die Hauptaufgabe der Arbeitsver-
waltung die Arbeitsvermittlung und nicht die Finanzie-
rung von Arbeitslosigkeit ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen brauchen wir die Kooperationsbereitschaft
aller, auch und vor allen Dingen der Betroffenen.

Auch Zeitarbeit und Leiharbeit sind grundsätzlich
zumutbar. In Zeitarbeit und Leiharbeit liegt ein erhebli-
ches Beschäftigungspotenzial in Deutschland. Wir haben
dieses Potenzial lange nicht ausgenutzt, wie die Beispiele
in vielen hoch entwickelten Volkswirtschaften um uns
herum zeigen:


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP])

in Frankreich, in den Niederlanden und in vielen anderen
Staaten.


(Zuruf des Abg. Dirk Niebel [FDP])

– Hören Sie erst einmal zu! Dann können wir uns viel-
leicht in unseren Vorstellungen annähern. Das ist auf die-
sem Feld besonders wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Ich stimme Ihnen ja zu!)


In jedem Arbeitsamtsbezirk soll nach dem Gesetzent-
wurf in Zukunft eine PSA, eine Personal-Service-Agen-
tur, eingerichtet werden. Wir verfolgen mit diesen Agen-
turen mehrere Ziele:

Erstens. Wir verstehen vermittlungsorientierte Zeitar-
beit als eine Einstiegschance für Arbeitslose in neue Be-

Bundesminister Wolfgang Clement




Bundesminister Wolfgang Clement
schäftigung und durchaus auch als eine Einstiegschance
in dauerhafte Beschäftigung. Es gibt diese Chance, wie
alle Erfahrungen zeigen.

Zweitens. Wir erschließen mit den Personal-Service-
Agenturen zusätzliche Möglichkeiten zur betriebsnahen
Qualifizierung, entweder in der Entleihphase beim Ent-
leiherbetrieb oder aber auch in den entleihfreien Zeiten,
die in den Zeitarbeitsunternehmen, in denen der Arbeits-
lose beschäftigt sein wird, sinnvoll für Qualifizierung ge-
nutzt werden können.

Drittens. Wir wollen die prinzipielle Orientierung auf
Equal Pay – das ist der entscheidende Punkt, den wir sehr
ernsthaft erörtern müssen –, wie sie in den acht Staaten um
uns herum, in denen es Zeit- und Leiharbeit gibt, geregelt
ist und wie sie eine Richtlinie vorsehen wird, die die
Europäische Kommission vorbereitet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen mit prinzipiell gleicher Bezahlung für Leih-
und Zeitarbeit wie für die Stammbelegschaften der Un-
ternehmen und mit der Orientierung auf Tarifverträge die
Arbeitsbedingungen in diesem Bereich für ganz Deutsch-
land grundlegend regeln. Wir wollen eine Regelung zum
Nutzen aller.

Mithilfe des Abschlusses von Tarifverträgen und der
Orientierung auf Equal Pay kann von den Begrenzungen
des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes weitestgehend
abgewichen werden. Wenn wir diesen Weg gehen – mir
liegt daran, dass dies erkannt wird –, können wir die bis-
herigen grundlegenden Begrenzungen der Zeit- und Leih-
arbeit in Deutschland aufheben – ich nenne beispielsweise
Synchronisationsverbot, Befristungsverbot, Wiederein-
stellungsverbot, Befristung der Dauer der Leih- und Zeit-
arbeit – und können einen Deregulierungsprozess in
Gang setzen, der aber verantwortbar ist und der für die be-
troffenen Menschen einen vernünftigen Weg in die Zu-
kunft darstellt.

Es ist der Aufbruch nach Europa. So hat es beispiels-
weise der Gründer von Adecco, dem in Deutschland
zweitgrößten und weltweit größten Zeitarbeitsunterneh-
men, gesagt. Er hat davon gesprochen, dass es der Auf-
bruch in die richtige Richtung sei. Diese Richtung heißt
Europa. Wir stehen unmittelbar vor einer europäischen
Regelung, die die gerade von mir angesprochenen Punkte
ebenfalls vorsehen wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Zeit- und Leiharbeit gehört zu den Hauptthemen.
Es hat in der Zwischenzeit viele Äußerungen dazu und
viel Kritik an diesem Weg gegeben. Ich möchte ein paar
Kritikpunkte aufgreifen.

Um es klar zu sagen: Die Arbeitsämter sollen grundsätz-
lich – das ist die Regel – auf private Zeitarbeitsunterneh-
men zurückgreifen. Im Bonner „General-Anzeiger“ – wie
Sie wissen, wohne ich in Bonn – habe ich ein Interview
mit unserer Kollegin Frau Dr. Merkel gelesen, in dem sie
sagt, dass unser Weg über die PSA falsch sei. Sie sagt,

dass sie es für richtig hielte, dass die Vermittlung von Leih-
arbeitskräften von bestehenden privaten Firmen über-
nommen wird.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich muss schon fragen: Wo liegt da der Gegensatz? Sie be-
haupten, dass wir mit dem Vorhaben von Rot-Grün in eine
Verstaatlichung der Beschäftigung geraten und dass die
Leiharbeit Mittel zum Zweck der Bereinigung der Ar-
beitslosenstatistik wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Frau Merkel hat völlig Recht!)


Nachdem Sie sich beruhigt haben, möchte ich Sie fra-
gen: Was meinen Sie damit? Die Personal-Service-Agen-
turen, so steht es in dem Gesetzentwurf, werden in der Re-
gel private Zeitarbeitsunternehmen sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Nein! Nein! Drei Optionen!)


Frau Kollegin Merkel, meine Bitte ist, dass wir diesen
wichtigen Punkt in Ruhe besprechen können. Nur wenn
es vor Ort kein Zeitarbeitsunternehmen gibt, das diese
Aufgabe übernehmen kann, wird die Arbeitsverwaltung
zunächst einmal versuchen, Kooperationen mit Zeitar-
beitsunternehmen einzugehen. Nur wenn auch das nicht
gelingt, wird es eine Initiative der Arbeitsverwaltung
geben, damit vor Ort eine Vermittlung in Zeit- und Leih-
arbeit stattfindet. Ich bitte, das wirklich ernst zu nehmen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist in dieser Hinsicht je-
denfalls aus meiner Sicht klar und eindeutig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wir werden es in der Anhörung sehen!)


Zum Zweiten sagten Sie auf die Frage „Was halten Sie
von der Forderung ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘?“
– ich nehme das einmal auf, damit wir zu einer vernünf-
tigen Debatte kommen –:

Die Leiharbeit soll Langzeitarbeitslosen den Einstieg
in eine reguläre Beschäftigung erleichtern.

Hier besteht ein grundlegender Irrtum. Leiharbeit und
Zeitarbeit sind natürlich für alle Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die ansonsten nicht in Arbeit gebracht wer-
den können, gedacht und keineswegs nur für Langzeit-
arbeitslose. Deshalb ist es, wenn ich über die Vermittlung
von Arbeitnehmern spreche, auch richtig, prinzipiell eine
Orientierung auf Equal Pay, auf gleichen Lohn, vorzu-
nehmen und dafür zu sorgen, dass es keine Unterschiede
zwischen den entliehenen Arbeitnehmern und der Stamm-
belegschaft gibt.

Allerdings werden im Gesetzentwurf – dies bitte ich
zu beachten; Herr Schleyer hat dies kritisiert; ich werde
ihn heute Abend sehen und mit ihm darüber sprechen –
zwei Ausnahmen von dieser Regel gemacht. Wir haben
die Orientierung an der Stammbelegschaft vorgesehen;
das ist die Regel. Jetzt kommt die erste Ausnahme. Sie
lautet: In den ersten sechs Wochen kann vonseiten des ent-


(A)



(B)



(C)



(D)


394


(A)



(B)



(C)



(D)






leihenden Zeitarbeitsunternehmens auf einen Lohn in
Höhe von mindestens des Arbeitslosengeldes hinunterge-
gangen werden. Die zweite Ausnahme in diesem Gesetz-
entwurf ist: Von diesen Regeln kann, und zwar gerade im
Interesse von Langzeitarbeitslosen und anderen, abgewi-
chen werden, allerdings auf der Basis von Tarifverträgen
bzw. durch eine tarifvertragliche Regelung.

Wer das nicht will, der muss sagen, ob er diesen Be-
reich generell ungeregelt – auch tarifvertraglich ungere-
gelt – organisieren will. Denn die Realität heute ist ja: Wir
haben an die 1 000 Zeitarbeitsunternehmen und bei etwa
30 gibt es Tarifverträge. Das kann nicht im Sinne des Er-
finders sein, Herr Kollege Laumann. Wir brauchen hier
vielmehr die Entwicklung zu mehr Tarifverträgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Bitte ist, dass Sie dies ernst nehmen und den
Weg, den wir gehen wollen, beachten. Wir orientieren uns
grundsätzlich an Equal Pay. Wir würden uns außerhalb
der gesamten europäischen und internationalen Orientie-
rung bewegen, wenn wir da etwas anderes vorsehen wür-
den. Deshalb haben wir diese zwei Stufen vorgesehen:
zum einen die Probezeit zu Anfang – so wird sie wahr-
scheinlich auch in der europäischen Richtlinie, die in die-
sem Zusammenhang entwickelt wird, enthalten sein – und
zum anderen die Möglichkeit, im Rahmen von Tarifver-
trägen davon abzuweichen.

Sie können nicht davon ausgehen, dass dies von den
Gewerkschaften – von welcher auch immer – prinzipiell
nicht genutzt würde. Sie sollten ernst nehmen, was bei-
spielsweise der Vorsitzende der IG BCE, Herr Schmoldt,
erklärt hat, nämlich dass die Gewerkschaften selbstver-
ständlich bereit sind, für bestimmte schwer vermittelbare
Gruppen, etwa für Langzeitarbeitslose, im Rahmen von
Tarifverträgen Löhne festzulegen, die unterhalb des Ni-
veaus der Löhne der Stammbelegschaft liegen. Er hat aus-
drücklich darauf hingewiesen – das sollten Sie zur Kennt-
nis nehmen; denn ansonsten kommen wir nicht weiter; es
hat doch keinen Zweck, immer die gleichen Klischees
auszutauschen –:


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind bereit, dies zu tun. – Sie können Herrn Schmoldt
beim Wort nehmen. Er hat auch in verschiedenen anderen
Bereichen seine Zustimmung für solche tariflichen Be-
wegungen nicht nur signalisiert. Schon heute wird das von
der IG BCE praktiziert.

Deshalb liegt mir überaus daran, hier nicht eine Dis-
kussion aufkommen zu lassen, die nicht zuträglich ist.
Klar ist, dass ein Unternehmen wie Adecco, das weltweit
größte Zeitarbeitsunternehmen, den Weg, den wir vorge-
schlagen haben, begrüßt. Klar ist, dass das Unternehmen
Randstad diesen Weg mitgeht. Klar ist – das wussten wir
vorher; jeder Experte, Herr Kollege Laumann, hat das
vorher gesagt –, dass die Zeitarbeitsunternehmen, die
heute völlig tarifvertragsfrei arbeiten, versuchen werden,
gegen diesen Weg zu opponieren.

Meine Bitte ist, dass wir als zivilisierte Menschen mit
einer entsprechend entwickelten Tarifkultur in Deutsch-
land nicht sagen: Wir bewegen uns völlig ohne Tarifver-
träge. – Das ist ein Weg, den keiner von uns verantworten
kann. Den können auch Sie von der Opposition nicht ver-
antworten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden vermutlich heute noch darüber streiten;
das ist in Ordnung. Ich werde kein Gesprächsangebot aus-
lassen, insbesondere nicht ein Gespräch mit Herrn
Schleyer, der unser Vorhaben kritisiert.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Der war doch in der Hartz-Kommission!)


Nach meinem Verständnis ist das, was wir hier vorlegen,
mehr als das, was die Hartz-Kommission vorgeschlagen
hat. Wir machen nämlich erstens den Weg in die Zeit- und
Leiharbeit für den gesamten Bereich und nicht nur im
Rahmen der PSA frei. Wir heben die bisher auf diesem
Sektor bestehenden Einschränkungen der Arbeitnehmer-
überlassung komplett auf. Das geht über den Vorschlag
der Hartz-Kommission hinaus. Wir orientieren uns zwei-
tens an Equal Pay – das tut übrigens auch die Hartz-Kom-
mission nach einem Jahr –, aber wir geben gleichzeitig die
Möglichkeit, durch Tarifverträge nach oben und nach un-
ten davon abzuweichen. Wir alle wissen, dass es um die
Schwervermittelbaren geht, für die dann Sondertarifver-
träge geschlossen werden müssen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Hartz 1 : 1!)


Das muss ich von einem Zeitarbeitsunternehmen in
Deutschland verlangen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darüber müssen wir mit denjenigen, die das nicht wollen,
ernsthaft diskutieren. Ich bin dazu bereit. Das werden wir
auch tun.

Aber bitte machen wir uns nichts vor: Die Zeitarbeits-
unternehmen, die bereit sind, in die Vermittlungsarbeit
einzusteigen, Adecco, Randstad und andere – ich kann Ih-
nen die nordrhein-westfälischen gleich dazu nennen –,
werden in diesem Prozess mitarbeiten. Es ist wichtig, dass
das geschieht. Auf diesem Feld gewinnen wir keine par-
teipolitischen Schlachten. Lassen Sie uns lieber versu-
chen, hier zu wirklichen Fortschritten zu kommen und
darüber miteinander in einer vernünftigen Weise zu spre-
chen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, oftmals hilft die Möglich-
keit einer solchen Vermittlung nicht weiter. Oftmals geht
es darum, Defizite in der beruflichen Bildung auszuglei-
chen, einen Berufsabschluss nachzuholen oder sich neue
Qualifikationen anzueignen, wenn ein einmal erzielter
Berufsabschluss keine Verwendung mehr findet. Deshalb
geht es auch um die Förderung der beruflichen Weiter-
bildung Arbeitsloser. Gerade diese Weiterbildungsmaß-

Bundesminister Wolfgang Clement




Bundesminister Wolfgang Clement
nahmen durch die Bundesanstalt für Arbeit sind aber, wie
Sie aufgrund des letzten Berichts des Bundesrechnungs-
hofes wissen, in massive Kritik geraten. Die Maßnahmen
gelten als uneffektiv; es ist sogar von Korruptionsgefähr-
dung die Rede.

Deshalb werden wir das Recht der Weiterbildung deut-
lich vereinfachen. Unnötiger Verwaltungsaufwand soll
vermieden werden. Wir fördern den Wettbewerb zwi-
schen den Bildungsträgern, schaffen Gestaltungsspiel-
räume für die Arbeitsämter vor Ort und führen Bildungs-
gutscheine für Arbeitslose ein; sie sollen sich frei
zwischen zugelassenen Maßnahmen entscheiden können.
Wir verzichten auf detaillierte Regelungen, richten aller-
dings unabhängige Zertifizierungsagenturen ein, um dem
Wildwuchs, den es im Bereich der Weiterbildung gibt,
entgegenzuwirken. Im Vordergrund stehen für uns die Ei-
genverantwortung und die Wahlfreiheit. Den betroffenen
Menschen soll bei der Weiterbildung ein größerer Spiel-
raum eingeräumt werden.

Im Gegenzug müssen wir von den Arbeitslosen aber
auch Zugeständnisse erwarten können. Wir erwarten, dass
sie sich so früh wie möglich um eine rasche Weiterquali-
fizierung oder Neuqualifizierung bemühen. Deshalb sieht
der Gesetzentwurf vor – natürlich auch aus Gründen der
Haushaltskonsolidierung –, dass das bisher gezahlte An-
schlussunterhaltsgeld in dieser Form entfällt und das Un-
terhaltsgeld teilweise auf das bisherige Arbeitslosengeld
angerechnet wird. Wir wollen und müssen aus unserer
Sicht Abschied davon nehmen, dass Arbeitslosen- und
Unterhaltsgeld schlicht addiert werden. Es muss zu einer
Anrechnung kommen, auch damit sich die betroffenen
Menschen früher und mit der gebotenen Ergebnisorien-
tiertheit auf eine Weiterqualifizierung einlassen.

Ich komme damit zu einer weiteren Herausforderung,
die sich uns stellt, und zwar zu der Gruppe der älteren
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die, wenn sie
von Arbeitslosigkeit betroffen sind, besondere Probleme
haben. Hier müssen wir etwas tun, auch wenn trotz der
Probleme am Arbeitsmarkt – die aktuellen Zahlen liegen
ja vor – die Zahl der älteren Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer und der behinderten Menschen, die arbeitslos
sind, deutlich zurückgegangen ist. Das Ziel der Bundes-
regierung, die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten
im Vergleich zum Oktober 1999 um 25 Prozent zu verrin-
gern, ist faktisch erreicht. Die Zahl derer hat bereits um
24 Prozent abgenommen. Das ist ein großer Fortschritt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Zahl der älteren arbeitslosen Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen ist heute um 98 000 niedriger als im
vergangenen Jahr.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wo sind sie denn geblieben?)


Das reicht natürlich nicht. Deshalb müssen wir die
Strategien zur Förderung der Beschäftigung Älterer kom-
plettieren. Aus diesem Grund werden wir nach dem Vor-
schlag der Hartz-Kommission für Menschen ab dem
55. Lebensjahr eine Entgeltsicherung einführen. Dies
beinhaltet faktisch eine Ersetzung des Arbeitslosengeldes

durch eine Aufstockung des Lohns bei Aufnahme einer
geringer bezahlten Beschäftigung. Wer also bereit ist, eine
solche Beschäftigung aufzunehmen, findet Unterstützung
durch Zahlung eines Zuschusses in der Höhe, die den
Lohnausfall zur Hälfte auffängt.

Wir wollen aber auch Arbeitgeber, die ältere Menschen
einstellen, unterstützen. Wer Menschen über 55 Jahre ein-
stellt, soll daher für diese Beschäftigten vom Arbeitgeber-
anteil des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung befreit
werden.

Viele Arbeitgeber scheuen generell die Einstellung äl-
terer Menschen; die Motive kann ich jetzt nicht erörtern.
Hier müssen wir einen Ausweg finden. Die Hartz-Kom-
mission hat vorgeschlagen, die befristete Beschäftigung
deutlich auszuweiten und die Altersgrenze für die Zuläs-
sigkeit unbegrenzt zeitlicher Befristungen von Arbeits-
verhältnissen auf 50 Jahre zu senken.


(Dirk Niebel [FDP]: Haben wir schon beantragt!)


Das ist ein sehr weit reichender Schritt, über den wir in
Ruhe diskutieren werden. Wir müssen erörtern, inwieweit
dies zu tiefer Unsicherheit bei älteren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern führen kann.

Besonders kritisiert wird das so genannte Bridge-Sys-
tem; das hat Frau Merkel in dem Interview, das ich vorhin
zitiert habe, meines Erachtens zu Recht angemerkt. Es be-
inhaltet die Möglichkeit, für ab dem 55. Lebensjahr ar-
beitslos gewordene Menschen, die sich einen Rückzug
aus dem Arbeitsmarkt leisten können, einen Zuschuss zur
Rente zu zahlen. Mit einem solchen Brückengeld, das ma-
ximal fünf Jahre gezahlt wird, soll den Menschen der Weg
von der Arbeitslosigkeit in die vorzeitige Verrentung
eröffnet werden. Voraussetzung ist natürlich, dass je-
mand, der dies in Anspruch nimmt, dem Arbeitsmarkt
nicht zur Verfügung steht.

Weil wir auch die Bedenken sehen, die es auf diesem
Feld gibt, und weil wir nicht in massenhafter Weise einen
neuen Weg in den Vorruhestand eröffnen wollen, sehen wir
in dem Gesetzentwurf Folgendes vor: Erstens wollen wir
nur für einen begrenzten Zeitraum, nämlich für zwei Jah-
re, individuelle und flexible Möglichkeiten für einen sol-
chen Ausstieg aus dem Erwerbsleben ermöglichen. Zwei-
tens haben wir die Höhe des Brückengeldes so bemessen,
dass es nur genau halb so hoch ist wie der jeweilige An-
spruch auf das Arbeitslosengeld, sodass die Attraktivität
dieses Weges, nämlich des Beschreitens der Brücke,
außerordentlich niedrig ist. Es ist jedenfalls, anders als
früher, kein Weg für Unternehmen – ich habe selbst daran
mitgewirkt, um das so zu gestalten; ich sage dies der Klar-
heit halber –, in größerer Zahl Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer auf Gemeinschaftskosten in den Vorruhe-
stand zu schicken. Diesen Weg wollen wir und werden wir
nicht mehr eröffnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiteres Ziel ist, die Selbstständigkeit besonders
zu fördern. Jeder Selbstständige schafft, wie wir alle wis-
sen, früher oder später neue Jobs, neue Ausbildungs- und


(A)



(B)



(C)



(D)


396


(A)



(B)



(C)



(D)






Arbeitsplätze und leistet damit einen Beitrag zum Abbau
der Arbeitslosigkeit. Das wollen wir nach dem Vorschlag
der Hartz-Kommission verstärkt fördern. Neben dem
Überbrückungsgeld schaffen wir mit der Ich-AG und der
Familien-AG ein neues Instrument zur Förderung von
Existenzgründungen. Wir wollen Arbeitslosen einen so-
zial abgesicherten Start in die Selbstständigkeit ermög-
lichen, ohne dass sie den sozialen Schutz, den Beschäf-
tigte genießen, opfern müssen. Sie bleiben also zu
günstigeren Bedingungen renten- und krankenversichert,
und zwar mit Unterstützung der Arbeitsverwaltung; für
drei Jahre erhalten sie einen im Laufe der Zeit abneh-
menden Zuschuss durch die Arbeitsverwaltung.

Die neue Ich-AG wird darüber hinaus von einer güns-
tigen steuerlichen Behandlung profitieren. Was wir uns
gemeinsam mit dem Finanzminister – mit dem diskutie-
ren wir über diese Frage noch, weil es hierbei gewisser-
maßen darum geht, ein neues Steuerrecht für das Kleinst-
gewerbe zu schaffen – vorstellen, ist die Zugrundelegung
eines geringen Pauschbetrages. Die steuerliche Behand-
lung soll so günstig – auch so bürokratiefern – wie mög-
lich sein, um solche Unternehmen auf den Weg zu brin-
gen und zu fördern. Diese Ich-AGs wollen wir so bis zu
einem Einkommen von 25 000 Euro pro Jahr positiv be-
gleiten.

Ich habe schon in unserer letzten Debatte darauf hin-
gewiesen, dass die Einführung dieser Ich-AGs auch Ein-
fluss auf das Handwerksrecht haben wird, was nicht zu
unterschätzen sein wird. Mir ist klar, dass dies von ver-
schiedenen Seiten kritisch gesehen wird. Auch hierzu darf
ich – und zwar im positiven Sinne – Herrn Schleyer in An-
spruch nehmen, der in der Hartz-Kommission diesen Weg
ebenfalls mitgetragen hat. Es soll so sein, dass man kei-
nen Meister braucht, wenn man mit der Ich-AG ins Hand-
werk oder in einen handwerksähnlichen Bereich kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht darum, hier allererste Schritte zur Verwaltungs-
vereinfachung zu machen. Es wird faktisch unterstellt – so
ist es im Gesetzentwurf angelegt –, dass für eine solche
Tätigkeit eine Genehmigung nach dem Handwerksrecht
vorliegt. Dies ist ein erster Schritt, um das auf den Weg zu
bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als jemand, der in den Jahren, in denen er in der Poli-
tik mit Wirtschaft zu tun hatte, die Handwerkskammern
und die Industrie- und Handelskammern als Institutionen
immer verteidigt und gerechtfertigt hat – ich halte sie im
Hinblick auf den wirtschaftspolitischen Dialog für wich-
tig –, appelliere ich von hier aus an das Handwerk, dies
nicht als einen Pauschalangriff anzusehen, sondern als
Aufforderung, auch im eigenen Sektor zu deregulieren,
die Aufforderung zur Deregulierung also nicht nur an an-
dere zu schicken, sondern auch im eigenen Sektor für De-
regulierung und für mehr Flexibilität zu sorgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500801700

Herr Minister, ich darf eine Zwischenbemerkung ma-

chen. Sie reden schon sehr lange und verbrauchen – ich
will Sie nur darauf hinweisen – die Redezeit der Ihnen
nachfolgenden Redner der SPD-Fraktion.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Präsident, ich danke Ihnen für diesen Hinweis. –
Ich bitte um Entschuldigung; ich will natürlich niemandes
Redezeit aufessen. Mein Anliegen war es, Ihnen das so
rasch wie möglich darzustellen.

Sie wissen, dass wir gleichzeitig den Einstieg in die
Minijobs in Privathaushalten fördern wollen. Es ist be-
reits hinlänglich öffentlich diskutiert worden, dass wir
500-Euro-Jobs auch in Privathaushalten ermöglichen
wollen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dienstmädchenprivileg!)


Dafür sind ebenfalls ganz sanfte Beiträge zur Sozialversi-
cherung vorgesehen. Auch das erörtern wir noch und wer-
den in den nächsten Tagen einen Vorschlag zur besseren
steuerlichen Behandlung, zur steuerlichen Absetzbarkeit
solcher Ausgaben – das müssen wir vorsehen – vorlegen.

Es ist mir jetzt nicht möglich, in vollem Umfang das
aufzuzeigen, was der vorliegende Gesetzentwurf enthält.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie wissen es ja noch gar nicht!)


Mein Anliegen ist es – ich hoffe, dass ich Ihnen dies aus-
reichend deutlich gemacht habe –, mich um einen Konsens
auf diesem Gebiet zu bemühen, überflüssige Streitigkeiten
zu überwinden und Missverständnisse auszuräumen, da-
mit wir so rasch wie möglich zu einem Ergebnis kommen.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500801800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl-Josef

Laumann, CDU/CSU-Fraktion.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1500801900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Clement, Sie haben uns in Ihrer Rede mehr-
fach angeboten, in schwierigen Fragen der Arbeitsmarkt-
politik gemeinsam nach richtigen Lösungen zu suchen.
Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie auch gesagt haben,
dass man in den nächsten Tagen noch mit vielen darüber
reden müsse, wie das zu machen sei. Ich möchte Sie nur
darauf hinweisen, welchen Zeitplan Ihre Fraktion vorge-
geben hat:


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Bundesminister Wolfgang Clement




Karl-Josef Laumann
am Dienstag Anhörung, am Mittwoch oder Donnerstag
Abschluss und am Freitag dritte Lesung. Dieser Zeitplan
ist so angelegt, dass er das Angebot ernsthafter Mitbera-
tung und Gespräche über Lösungen, die sinnvoll und rich-
tig sind und die vielleicht von vielen mitgetragen werden,
an die Opposition als Worthülse erscheinen lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Als ich begann, den Gesetzentwurf zu lesen, der am

Dienstagabend gegen 19.30 Uhr in meinem Büro eintraf,
wichen meine Hoffnungen, die ich mit der Umsetzung des
Hartz-Konzeptes verbunden hatte, teilweise Erstaunen,
Kopfschütteln und leider auch blankem Entsetzen.

Ein erster Punkt: Es ist zwar richtig, dass wir das Ar-
beitnehmerüberlassungsgesetz – im Volksmund heißt es
Zeitarbeitsgesetz – liberalisieren wollen. Die Union hat in
den 80er- und 90er-Jahren die Verantwortung für dieses
Gesetz gehabt. Damals befand sich die Zeitarbeit noch in
den Anfängen und die Strukturen waren sehr schwierig.
Deshalb waren wir der Meinung, dass wir dem normalen
Arbeitsrecht ein Arbeitsrecht speziell für diesen Bereich
überstülpen müssen. Da sich die Zeitarbeit inzwischen
etabliert hat und vernünftige Strukturen vorhanden sind,
könnten wir dieses spezielle Arbeitsrecht – dieser Mei-
nung sind wir schon lange – logischerweise ein Stück weit
zurücknehmen. Ihre Fraktion hat sich bislang sehr schwer
getan, dies zu tun. Was war das noch für ein Kampf, bis
vor einem Dreivierteljahr die Verleihdauer von zwölf Mo-
nate auf 24 Monate verlängert wurde!

Sie wollen nun – das finde ich in Ordnung – diese Re-
gelungen liberalisieren. Aber gleichzeitig wollen Sie auch
die denkbar stärkste Restriktion gesetzlich festlegen:
nämlich dass sich die Entlohnung der Zeitarbeitnehmer an
der betriebsüblichen Entgeltstruktur – dazu gehört bei
Audi unter Umständen auch das Jahreswagenprivileg –
orientiert. Wenn man liberalisiert, dann muss man natür-
lich auch über die Frage sprechen, ab wann tarifähnliche
Strukturen im Entleihbetrieb gelten müssen; denn sonst
kann Lohndumping entstehen. Auch ich kenne die Sorgen
der Stammbelegschaften. Aber ich glaube, dass aufgrund
der von Ihnen angestrebten restriktiven Lösung die Zeit-
arbeitsjobs gerade im Segment der Helfer wegbrechen
werden, also nicht dort, wo sehr qualifizierte Arbeitneh-
mer benötigt werden, sondern dort, wo es um die Ver-
mittlung von Langzeitarbeitslosen geht. Schließlich hat
jeder zweite Langzeitarbeitslose keine abgeschlossene
Berufsausbildung. Diese Einschätzung wird – das weiß
ich auch aus Pressemitteilungen – vom Bundesverband
Zeitarbeit geteilt.

Wir, die CDU/CSU-Fraktion, werden in der kommen-
den Woche im Ausschuss und in der dritten Lesung im
Bundestag einen eigenen Entwurf zum AÜG einbringen.
Wir werden uns bei der Erarbeitung unseres Gesetzent-
wurfs von der Frage leiten lassen, inwieweit dieses Gesetz
aufgelöst werden kann. Wir werden zwar daran festhalten,
dass diejenigen, die bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind
und die vom Entleihbetrieb übernommen werden können,
relativ schnell von Zeitarbeit in reguläre Beschäftigung
kommen, damit die Brückenfunktion der Zeitarbeit erhal-
ten bleibt. Aber wir sind nicht der Meinung, dass vom ers-

ten Tag an die gleichen Tarif- und Entlohnungsstrukturen
gelten sollen.

Wir werden wahrscheinlich die Zwölfmonatsfrist in
den Gesetzentwurf hineinschreiben. Dies ist eine vernünf-
tige Zeitspanne und schließlich hat auch Rot-Grün dies vor
einem Dreivierteljahr noch so beschlossen. Natürlich soll-
ten wir die mit den Leuten, die Erfahrung mit der Zeitar-
beit haben, vernünftig über die richtige Frist reden. Ich
biete Ihnen die Diskussion dazu ausdrücklich an.

Aber wir sollten die Zeitarbeit nicht überschätzen. So
lange wir so wenige Jobs und eine so schlechte Konjunk-
turlage haben, in der es nichts zu vermitteln gibt, wird
auch die Zeitarbeit keine Jobs vermitteln, das ist wahr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt einige Leute in der Zeitarbeitsbranche, die sa-

gen: Selbst wenn ihr alles ändern und uns jeden Wunsch
erfüllen würdet, könnten wir euch zurzeit im Jahr viel-
leicht 30 000 bis 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze zusa-
gen. Das macht uns schon besorgt und meine Vorsitzende
hat mit dem, was sie in einem Interview mit dem Bonner
„General-Anzeiger“ gesagt hat, schon Recht: Wenn wir
die Zahlen der Hartz-Kommission sehen, haben wir die
Angst, dass Menschen, die heute in der Arbeitslosenstatis-
tik geführt werden, auch in Zukunft in Wahrheit gar nicht
in Arbeit sind, sondern nur – Simsalabim – aus der Ar-
beitslosenstatistik fallen, weil sie zu den PSA gehen und
dort Umschulungen, Qualifizierungs- und Fortbildungs-
maßnahmen, wie zum Beispiel das Üben von Bewer-
bungsgesprächen, erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das wird uns aber nichts nützen und es wird auch den

Herrn Minister Clement einholen; denn am Ende werden
wir daran gemessen, wie viele Menschen wir aus den
staatlichen Transferleistungssystemen – es ist egal, wie
die Systeme heißen und in welcher Statistik wir die Men-
schen führen – in Arbeit bringen, damit sie selber, ohne
den Staat zu belasten, einen großen Teil – oder besser
noch: den gesamten Lebensunterhalt – verdienen können.
Denn ansonsten bekommen wir die Entlastungen, die wir
alle gemeinsam anstreben, nicht hin.

Ich will einen zweiten Punkt nennen, der mich vom
Kopfschütteln zum Entsetzen gebracht hat. Ich hatte mich
durchaus gefreut, als Sie während des Wahlkampfs – die
Hartz-Vorschläge waren gerade vorgelegt – gesagt haben:
Wir müssen uns auch den Minijobs zuwenden. – Wir hat-
ten damals einen Gesetzentwurf zur Förderung niedrig
entlohnter Tätigkeiten eingebracht. Wir wollten zu einer
Regelung kommen, die mehr Flexibilität bei Zusatzver-
diensten – ich meine damit die alten 630-Mark-Jobs –
schafft. Noch wenige Wochen zuvor wurde mir von den
Leuten, die hier sitzen, gesagt: Das ist alles Quatsch, was
ihr vorschlagt.


(Dirk Niebel [FDP]: Sie haben es schlimmer formuliert!)


Ich hatte also große Hoffnungen, als die Hartz-Kommis-
sion von Minijobs sprach.


(A)



(B)



(C)



(D)


398


(A)



(B)



(C)



(D)






Ich war deshalb erstaunt, warum Sie diese Jobs auf den
Haushalt begrenzen wollen. Warum sollen Minijobs nicht
auch in anderen Branchen zulässig sein?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ist denn der Minijob im Haushalt schlechter, besser, an-
ders als anderswo in der Gesellschaft?


(Hubertus Heil [SPD]: Ja!)

Jetzt erwägen Sie, diese Jobs in „haushaltsnahen

Dienstleistungen“ zuzulassen. Ich wette, dass wir bald
den ersten Prozess in Deutschland über die Frage „Was ist
eine haushaltsnahe Dienstleistung?“ haben werden. Dann
werden sich Menschen, die viel mehr verdienen, als man
je mit Minijobs verdienen könnte, mit der schönen Frage
beschäftigen: Ist das Streichen einer Haustür haushalts-
nah? – Wollen Sie vielleicht, dass das Gericht dann sagt:
Das Streichen einer Haustür von innen ist haushaltsnah;
aber wenn die Außenseite gestrichen wird, ist es haus-
haltsfern? Solche Gesetze passen nicht in die Landschaft,
wenn Sie Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich komme aus dem Münsterland und kenne die Fami-

lienbetriebe in der Gastronomie. Wie wollen Sie kontrol-
lieren, ob eine Frau, die bei einer Gastwirtsfamilie arbei-
tet, im Haushalt das Frühstück für den Gastwirt oder
vorne in der Kneipe das Frühstück für den Urlauber rich-
tet? Wie wollen Sie das kontrollieren?

Wir haben unsere Vorschläge zum Niedriglohnsektor
in dieser Lesung eingebracht und werden dies auch in den
Ausschüssen tun. Ich glaube, dass unsere Überlegungen
hierzu richtig sind. Von seinerzeit 630 DM wollen wir die
Grenze auf 400 Euro erhöhen. Damit die Sozialversiche-
rung nicht darunter leidet, wollen wir ihr im Gegensatz zu
früher die Pauschalversteuerung zur Verfügung stellen.
Das würde die Sozialversicherung im Übrigen nicht so
belasten wie das, was Sie separat für den Haushaltsbe-
reich vorsehen.

Viel wichtiger ist es aber, dass der CDU/CSU-Gesetz-
entwurf – es ist ja nicht alles verkehrt, nur weil CDU/CSU
darauf steht – eine Antwort, nach der wir lange gesucht
haben, gefunden hat. Die Frage war doch: Wie können wir
die so genannte 630-Mark-Falle überwinden? Sie arbeiten
für 325 Euro und verdienen ein wenig mehr, weil mehr zu
tun ist, aber bekommen am Ende weniger ausbezahlt, als
wenn Sie unter der Grenze geblieben wären. Das ist doch
idiotisch. Es kann doch nicht sein, dass ein Mensch, der
mehr gearbeitet und mehr brutto hat, netto weniger be-
kommt, weil sofort 20 Prozent Sozialversicherungs-
beiträge fällig werden. Wer das einmal im Leben gemacht
hat, ist kuriert – oder er macht das „BAT“, was in diesem
Fall aber „bar auf die Tatze“ heißt.

Wir haben gesagt, wir wollen bei einem Verdienst in
Höhe von 400 Euro langsam mit Sozialversicherungs-
beiträgen beginnen und schleichend bei einem Verdienst
von 800 Euro – die FDP nimmt 1 000 Euro als Grenze –
auf 20 Prozent kommen.

Ich glaube, dass das wirklich eine Lösung wäre, wie
man in einem ersten Schritt für diejenigen, die es am meis-

ten brauchen – die nämlich leider eine Arbeit verrichten
müssen, bei der man wenig verdient –, Brutto- und Netto-
verdienst in ein vernünftiges Verhältnis bringen könnte.
Ich würde es gerade jenen gönnen, die für 6 oder 7 Euro
in der Stunde arbeiten müssen. Das ist soziale Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie mit uns darüber reden wollen, was für den

Arbeitsmarkt gut ist, Herr Clement, dann frage ich: Sind
Sie bereit, mit Repräsentanten der CDU und CSU über
unseren Gesetzentwurf zu den kleinen Jobs zu reden und
mit ihnen zu überlegen, wie man das im Rahmen der Ge-
samtkonzeption, die Sie heute dem Hohen Haus vorstel-
len, umsetzen kann? Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin si-
cher, dass die Repräsentanten meiner Fraktion zu jeder
Tages- und Nachtzeit bereit sind, das zu tun, weil uns
nämlich die Interessen der kleinen Leute sehr am Herzen
liegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will einen dritten Punkt nennen, bei dem meine Re-

aktion Entsetzen und Kopfschütteln war. Ich meine Ihren
Vorschlag zur Abschmelzung der Vermögensfreigrenzen
für Arbeitslosenhilfebezieher in Ihrem Gesetzentwurf. Ich
mache es mir nicht so einfach, wie das früher in diesem
Hause bei der Opposition war, als wir noch regiert haben.
Jede Veränderung im Sozialsystem galt ja damals als so-
zialpolitischer Kahlschlag; Sie können sich sicher an die
Auseinandersetzungen bis 1998 erinnern. Ich bin schon
der Meinung, dass wir, wenn wir die beiden Systeme zu-
sammenführen wollen, auch darüber reden sollten. Das
kann dann aber nicht auf dem Niveau der Arbeitslosen-
hilfe geschehen. Das würde ich mittragen, auch wenn es
nicht populär ist. Aber es sollte nicht so fantasielos ge-
macht werden, dass man die Beträge einfach halbiert.


(Lachen des Abg. Gerd Andres [SPD])

Sie behandeln den Maurer, der mit 14 in die Lehre gegan-
gen ist und mit 52 arbeitslos geworden ist, in Bezug auf
die Vermögensfreigrenze genauso wie denjenigen, der mit
14 in die Lehre gegangen ist und dann bis zum Alter von
52 arbeitslos war. Ihre Art der Anrechnung berücksichtigt
nicht eine Philosophie von Lebensleistungen und die
Möglichkeiten, dass sich jemand etwas aufgebaut hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich frage: Wo ist eigentlich Ihre Philosophie, wenn es da-
rum geht, dass das, was Menschen sich in einem langen
Leben erarbeitet haben, geschützt wird?

Ich komme jetzt zu meinem letzten Punkt; meine Re-
dezeit geht langsam zu Ende. Wenn das ganze Haus der
Meinung ist, dass wir dem solidarischen, gesetzlichen Si-
cherungssystem Rente eine private, kapitalgedeckte Säule
hinzufügen müssen – das ist ja vernünftig; es ist im
Grundsatz ebenfalls vernünftig, es für kleine Einkommen
zu fördern, wie es in der Riester-Rente geschehen soll; al-
lerdings ist es in der Durchführung dadurch, dass es so
kompliziert ist, unvernünftig –, dann müssen wir doch für
denjenigen, der in seinem Leben viele Jahrzehnte gear-
beitet hat und sich in diesen Systemen etwas geschaffen

Karl-Josef Laumann




Karl-Josef Laumann
hat, eine andere Freigrenze gelten lassen als für denjeni-
gen, der genauso alt ist, aber nie etwas geleistet hat.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie haben meiner Meinung nach in diesem Bereich einen
wunden Punkt. Ich wäre auch bereit, mit Ihnen, Herr
Clement, darüber zu reden, damit wir eine Lösung finden,
die es ermöglicht, dass diese Frage im Gesamtkonzept kos-
tenneutral geregelt werden kann. Ich verstehe ja, dass Sie
in der jetzigen Situation Einsparungen brauchen. Ich wäre
dazu bereit und fordere Sie auf: Überlegen Sie, ob auch Sie
bereit wären, einen solchen Weg mit uns zu gehen.

Ich habe einige sehr konkrete Vorschläge genannt. Ich
werde es in den nächsten Tagen und Wochen


(Wolfgang Clement, Bundesminister: Tage!)

ja erleben, ob Ihre Bereitschaft, mit uns darüber zu reden,
was für den Arbeitsmarkt das Richtige ist, politische Rhe-
torik oder ein ernst gemeintes Herzensanliegen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie können sicher sein, dass das, was ich gesagt habe,
ernst und auch ehrlich gemeint ist. Ich würde es toll fin-
den, wenn die politische Klasse in Deutschland in der
Lage wäre, etwas zu tun, von dem die Menschen in eini-
gen Jahren sagen könnten: Die im Bundestag haben das
getan, was Wohlstand, Arbeit, Zuverlässigkeit für unsere
Familien und mehr Beschäftigung ermöglicht hat. Wir rei-
chen Ihnen die Hand dazu. Ich bin gespannt, ob Sie in
diese Hand einschlagen oder ob das Ganze nur Rhetorik
war. Wenn Sie das wollen, müssten Sie das Beratungsver-
fahren, wie es jetzt angedacht ist, aufhalten. Denn in fünf
Tagen wird man das nicht leisten können.

Schönen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1500802000

Ich erteile das Wort der Kollegin Thea Dückert, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500802100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr

Laumann, Ihr Beitrag hat gezeigt, in welchem Dilemma
sich die Union befindet;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


denn das, was Sie an Kritik am Hartz-Konzept und an sei-
ner Umsetzung hier vorgetragen haben, ist doch eher eine
Phantomdebatte als eine ernsthafte inhaltliche Kritik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Das
eine Beispiel hat der Minister schon genannt. Sie reden
hier darüber, dass es zum Beispiel keine Einstiegstarife

bei der Arbeitnehmerüberlassung und bei der Zeitarbeit
geben werde. Das ist definitiv falsch und steht anders im
Gesetzentwurf.

Sie reden hier davon, dass es ernsthafte Probleme bei
den Minijobs, mit denen wir gegen Schwarzarbeit vorge-
hen wollen, gibt, und führen als Beispiel den Streit an, ob
die Tür außen nicht zum Haushalt gehört und ob die Tür
innen zum Haushalt gehört. An diesem Beispiel wird die
ganze Lächerlichkeit dieser Kritik an dem Ansatz deut-
lich,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


der im Grundsatz darauf gerichtet ist, die Menschen aus
der Schwarzarbeit zu führen. Nein, Sie machen es sich zu
einfach, so mit dem Hartz-Konzept umzugehen.

Wir verkaufen das Hartz-Konzept nicht als eine Wun-
derwaffe im Kampf um die Arbeitslosigkeit. Wir wissen,
dass es das nicht ist. Jedem und jeder hier ist bekannt, dass
die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine zentrale
Rolle spielen. Richtig ist aber, dass es die Hartz-Kom-
mission geschafft hat, aus einer großen Krise am Arbeits-
markt, nämlich aus der Krise der Bundesanstalt für Arbeit,
eine Chance zu machen. Ich sage Ihnen: Wir werden diese
Chance nutzen. Ich hoffe sehr, dass Sie angesichts dieser
Minimalkritik, die Sie hier vorgetragen haben, mitmachen
können.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Susanne Kastner)

Meine Damen und Herren, es geht darum, Gerechtig-

keit beim Zugang zum Arbeitsmarkt für diejenigen herzu-
stellen, die daran bisher nicht teilhaben. Ihnen müssen wir
eine Perspektive geben. Wir müssen uns für diejenigen
stark machen, die es schwer haben, in den Arbeitsmarkt
hineinzukommen.

Deswegen ist die vergangene „Sündenbockdebatte“
gerade bei der Union und bei der FDP fehl am Platz. Es
muss darum gehen, dass den Arbeitslosen von uns, vom
Staat, von den Unternehmen und von der Arbeitsvermitt-
lung etwas geboten wird, um sie von dem Tropf der Äm-
ter zu lösen und aus den Fluren der Ämter hinaus zu be-
kommen. Sie müssen die Chance bekommen, wieder am
Arbeitsmarkt teilzunehmen. Das ist übrigens auch ein
Grund dafür, warum wir ihnen in den Jobcentern Hilfe aus
einer Hand anbieten werden.

Arbeitsmarktpolitik ist sehr viel mehr als Sozialpoli-
tik. Wir müssen endlich dieses Kästchendenken überwin-
den: die einen mit ihren neoliberalen Ansätzen, was letz-
ten Endes nur zu Working Poor führt, und die anderen mit
strukturkonservativen Ansätzen, was die Starrheit am Ar-
beitsmarkt zementiert. Deswegen haben wir als Grüne vor
zwei Jahren den Ansatz der „Flexicurity“ entwickelt. Das
heißt: Wir wollen Flexibilität am Arbeitsmarkt und so-
ziale Sicherheit für die Menschen, die von Arbeitslosig-
keit betroffen sind, verbinden. Genau das ist der Kern.

Es geht hier um mehr, nämlich darum, ein neues Den-
ken in der Arbeitsmarktpolitik einzuführen. Hartz ist ge-
nau das in seiner Kommission gelungen, nämlich wider-
streitende Interessen, die auf der einen Seite aus der
neoliberalen Schule kommen und auf der anderen Seite
eher strukturkonservativ sind, zu einem Ansatz zusam-


(A)



(B)



(C)



(D)


400


(A)



(B)



(C)



(D)






menzuführen. Darin liegen zusammen mit den vielen
neuen Elementen, die in den Konzepten verbunden sind,
die Chancen.

Sie haben im Wahlkampf immer wieder gesagt, das sei
„Hartz-Gequatsche“. Das zeigt, dass Sie überhaupt nicht
verstanden haben, worum es geht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Vielleicht glauben Sie Lyndon B. Johnson eher, der schon
in den 60er-Jahren die soziale Frage als eine Frage des
„new border“, als ein neues Grenzgebiet beschrieben hat,
was nichts anderes bedeutet, als dass man auch in diesem
Bereich neue Ideen, Pioniergeist sowie Mut zur Verände-
rung braucht und dass Innovationen angegangen werden
müssen.
Es geht eben um Bewegung und nicht um die Pflege von
Anspruchsdenken.

Fördern und Fordern – das ist ein zentrales Element
in diesem neuen Konzept. Wir meinen damit alle und
nicht nur die Arbeitslosen und die Arbeitsuchenden – die
FDP konzentriert sich mit ihrer Sündenbocktheorie im-
mer wieder nur auf diese Klientel –, also auch die Arbeit-
geber, die beispielsweise eine Beschäftigungsbilanz zu er-
stellen haben, weil sie Rechenschaft darüber abzulegen
haben, wie sie mit ihren Belegschaften umgehen und ob
sie eine Beschäftigungsverantwortung übernehmen.
Diese müssen ihre Beschäftigten freistellen, wenn sie ih-
nen die Kündigung ins Haus schicken, sodass hier prä-
ventiv gehandelt, also vorgesorgt werden kann. Mit dem
Fordern meinen wir insbesondere auch die Arbeitsver-
waltung selbst, die vollständig umstrukturiert wird und
sich an den Kunden, also den Arbeitslosen und auch den
Unternehmen, ausrichten muss.

Deswegen geht es um neue Instrumente rundum und
darum, Bürokratien abzubauen. Es geht, weil die Dauer
der Arbeitslosigkeit viel zu hoch ist, eben nicht nur um
eine schnelle Vermittlung, sondern auch darum, die Eigen-
aktivität der Menschen zu stärken, damit sie selbstständig
wieder aus der Arbeitslosigkeit herauskommen können.

Herr Laumann, ich muss Ihnen sagen, dass ich mir die
Augen gerieben habe, als ich mir in den letzten Tagen die
Presse angeschaut habe. Die Menschen erhalten mit der
Ich-AG eine Chance, aus der Arbeitslosigkeit und gleich-
zeitig auch aus der Schwarzarbeit herauszukommen. Mit
dieser Diskussion spielen Sie die Arbeitslosen und das
Handwerk gegeneinander aus. Damit zerstören Sie die
Perspektiven für diese Menschen; Sie reden sie klein.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Quatsch! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Blödsinn!)


Meine Damen und Herren von der Union, Sie führen
den Bürokratieabbau im Munde und machen sich mit
Zähnen und Klauen auf, gerade in diesem Bereich den
Meisterbrief zu verteidigen. Sie müssen sich beispiels-
weise jemanden vorstellen, der am Morgen selbstständig
Büros putzen will. Viele Frauen wollen dies tun. Diese
müssen den Meister in der Gebäudereinigung gemacht
haben. Stellen Sie sich jemanden vor, der seinen Bekann-
ten oder den Menschen im Umfeld seines Wohnbereichs
die Haare schneiden will. Dieser braucht den Friseur-

Meisterbrief. Stellen Sie sich auch andere vor, die Fahr-
räder oder Autos reparieren wollen. Diese werden syste-
matisch daran gehindert.

Ich denke, dass es gut ist, dass wir mit der Ich-AG end-
lich einen Ansatz gefunden haben, wenigstens in einem
kleinen Bereich, in dem sich aber viele Menschen aufhal-
ten, dieses mittelalterliche Zunftdenken zu überwinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit der Ich-AG und den Minijobs holen wir die Arbeit aus
der gesellschaftlichen Grauzone heraus in eine individu-
elle Gewinnzone.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nennen Sie einmal eine Zahl!)


Mit den Minijobs geben wir den Schwarzarbeiterinnen
und Schwarzarbeitern in den Haushalten eine Perspek-
tive, und zwar ohne Bürokratie. Das wird nur – darüber
werden wir in den nächsten Tagen noch zu streiten ha-
ben – mit Steuererleichterungen – die Haushalte brauchen
nämlich einen Anreiz dafür, Menschen legal ein-
zustellen – und mit Zuschüssen für die Dienstleistungs-
agenturen funktionieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das große M, Merz und Merkel, geht davon aus – Herr
Laumann übrigens auch –, dass die Zeitarbeit, die unbe-
stritten eine große Chance hat, als Brücke in den Arbeits-
markt zu fungieren, zu einem staatlichen Monster ver-
kommt. Ich habe eingangs schon gesagt, dass Sie wirklich
nicht wissen, worüber Sie reden. Lesen Sie es einfach
nach!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden es ja auch noch diskutieren. Es geht darum,
dass in erster Linie private Zeitarbeitsfirmen auf der Ba-
sis von Tarifverträgen die Chance erhalten, Menschen in
Arbeit zu vermitteln.

Die Chance und die Attraktivität, Herr Laumann – das
wissen Sie ganz genau –, liegen für die entleihenden Un-
ternehmen weniger in der niedrigeren Bezahlung, sondern
ihnen wird die Möglichkeit gegeben, in schwierigen Si-
tuationen, in denen normalerweise Überstunden anfallen,
jemanden einzustellen, um diese Situation zu überwin-
den. Dieser neue Angestellte, der durch die Personal-Ser-
vice-Agentur vermittelt wurde, erhält den vollen Kündi-
gungsschutz. Das ist praktisch umgesetzte „Flexicurity“:
Menschen, die entliehen werden, genießen vollen Kündi-
gungsschutz, diejenigen, die sie entleihen, können flexi-
bel vorgehen. Darum geht es.

In diesem Zusammenhang wurde der Marktführer
Adecco genannt. Dieses „equal pay“, das wir zugrunde le-
gen, hat ihn nicht daran gehindert, europaweit eine markt-
führende Position zu erreichen. Ich weiß nicht, was Sie für
einen Popanz im Umgang mit der Arbeitnehmerüberlas-
sung aufbauen. Wir werden diese Chance nutzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thea Dückert




Dr. Thea Dückert

Leider bekomme ich allmählich Schwierigkeiten mit
meiner Redezeit. Das Gesetzeswerk mit seinen neuen An-
sätzen ist eben sehr umfassend.

Abschließend möchte ich zwei Bemerkungen machen.
Mehr Markt für den Arbeitsmarkt – das gilt auch für die
Weiterbildung. Diese Möglichkeit müssen wir nutzen.
Dabei geht es nicht darum, Arbeitslose in Warteschleifen
oder arbeitsmarktpolitischen Parkhäusern unterzubrin-
gen. Die neuen Strukturen machen eine Selbstbedienung
möglich. Deswegen werden wir einen freien Marktzu-
gang eröffnen und Bildungsgutscheine einführen, damit
die betroffenen Menschen mit den Füßen darüber ab-
stimmen können, wo sie eine ordentliche Ausbildung er-
halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Den Paradigmenwechsel, den wir mit dem Job-
AQTIV-Gesetz angefangen haben, führen wir weiter.
Dazu gehört auch – das schreibe ich uns als Koalition ins
Stammbuch – das Gender Mainstreaming. Dies muss
auch für die Hartz-Konzeption, die PSA und alle anderen
neuen Angebote gelten. Das Gender Mainstreaming muss
überall Berücksichtigung finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500802200

Frau Kollegin Dückert, Ihre Redezeit ist in der Tat fast

zu Ende.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500802300

Ich komme zum Schluss. Wir werden mit dieser Per-

spektive das Ziel von mehr Flexibilität und Sicherheit
bald erreichen. Zu diesem Ziel gehört für uns auch – das
sage ich hier noch einmal ausdrücklich –, die Lohnneben-
kosten in der Zukunft zu senken. Dafür werden wir Kon-
zepte entwickeln, weil die Senkung der Lohnnebenkosten
gerade in kleinen und mittleren Betrieben zu mehr
Beschäftigung führt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500802400

Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Frak-

tion.

(Zurufe von der SPD)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1500802500

Ihre Erwartungen sind berechtigt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be-

ginne mit zwei Zitaten aus dem Herbstgutachten der For-
schungsinstitute für die Bundesregierung.

Erster Satz: Die Hoffnung der Hartz-Kommission,
durch Umsetzung ihrer Vorschläge in den nächsten drei

Jahren zwei Millionen Arbeitslose in Lohn und Brot zu
bringen, erscheint illusorisch. Grund dafür sind Mit-
nahme- und Verdrängungseffekte usw.

Zweiter Satz: Die Probleme des deutschen Arbeits-
marktes resultieren nur in geringem Maße aus einer in-
effizienten Arbeitsvermittlung und unzureichenden In-
strumenten. In der Tat sind die Strukturprobleme ent-
scheidend. Es ist bezeichnend, dass der Gesetzentwurf
von Grün-Rot mit „Aufgrund seiner exportorientierten
Wirtschaft ...“ mit einem Lamento über die Exportorien-
tierung beginnt. Man sträubt sich immer noch, zu erken-
nen, dass der Kern der Probleme die Strukturverwerfun-
gen am deutschen Arbeitsmarkt sind. Darum geht es.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch ist bezeichnend, dass eine externe Kommission die
Arbeit für die Regierungsfraktionen erledigen musste, um
die Denkblockaden von Funktionären zu überwinden und
neue Ansätze auf den Weg zu bringen.

Aber es kommt noch schlimmer. Im ursprünglichen
Hartz-Konzept standen viele Vorschläge, die die FDP-
Fraktion in diesen Bundestag eingebracht hat.


(Dirk Niebel [FDP]: Zu Recht!)

Sie wurden von Grün-Rot regelmäßig niedergestimmt.


(Beifall bei der FDP)

Dazu gehört die Deregulierung der Zeitarbeit, die Aus-
weitung der Minijobs, die Beweislastumkehr. Auch die
Einrichtung von Jobcentern wurde von Grün-Rot abge-
lehnt. Sie haben also noch viele Probleme und müssen
wahrscheinlich auch weiterhin auf externen Rat zurück-
greifen,


(Gerd Andres [SPD]: Dann können Sie doch zustimmen!)


weil Sie – insbesondere der Zwischenrufer – selbst nichts
Eigenständiges hinbekommen.

Sie haben inzwischen ein weich gespültes Hartz-Kon-
zept vorgelegt. Vieles entspricht nicht mehr der ursprüng-
lichen Arbeit der Kommission. In diesem Zusammenhang
hat ein unverdächtiges Kommissionsmitglied, der Perso-
nalvorstand der Deutschen Bahn AG, Norbert Bensel, ges-
tern gegenüber der „FAZ“ festgestellt: „Wenn es so kommt,
geht das in die verkehrte Richtung.“


(Beifall bei der FDP)

Der Kollege Niebel wird das noch im Einzelnen darlegen.

Der Kernpunkt ist: Sie gehen im Krebsgang an die not-
wendigen Veränderungen im Arbeitsmarkt heran.


(Dirk Niebel [FDP]: Darauf können Sie sich schon freuen, Herr Andres!)


Die Hartz-Kommission dient Ihnen ein Stück weit als
Alibi zur Kostümierung der wahren Probleme. Sie gehen
nicht an die Reform des Tarifvertragswesens heran.
Warum lassen Sie nicht zu, dass 75 Prozent der Beleg-
schaft eines Betriebs unabhängig von den übergeordneten


(A)



(B)



(C)



(D)


402


(A)



(B)



(C)



(D)






Regelungen des Flächentarifvertrags in geheimer Abstim-
mung eigene Regeln setzen können?


(Beifall bei der FDP)

Im Osten Deutschlands stehen 70 Prozent aller Ar-

beitsverhältnisse außerhalb des geltenden Tarifvertrags-
rechts. Kein Mensch, keine Gewerkschaft und kein Zwi-
schenrufer rühren daran, weil sich die Arbeitslosigkeit
sofort verdoppeln oder verdreifachen würde. Geben Sie
den Betrieben doch ein Stück Freiheit!


(Beifall bei der FDP)

Herr Clement, reden Sie doch einmal mit Ihrem neuen

Staatssekretär Rezzo Schlauch! Er hat in der vergangenen
Legislaturperiode exakt das Gleiche gesagt. Er hat dafür
fürchterliche Prügel von seiner grünen Fraktion, insbe-
sondere von dem Kommunikationswissenschaftler und
Arbeitsmarktexperten Kuhn, bekommen. Aber Herr
Schlauch hatte Recht. Wenn die linke Seite des Hauses
heute etwas beschließt, das sie in der letzten Legislatur-
periode noch abgelehnt hat, sind Sie vielleicht auch so
weit, Rezzo Schlauch heute zuzustimmen. Dann kämen
wir ein Stückchen weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das Herz von Hartz ist die Einrichtung von Personal-

Service-Agenturen. Damit bewirken Sie eines: Sie um-
gehen die Tatsache, dass Sie den Kündigungsschutz ver-
schärft und so gestaltet haben, dass Sie bei kleinen
Betrieben eine hohe Einstellungshürde errichtet haben,
indem Sie den Kündigungsschutz quasi verstaatlichen
und sozialisieren. Der Betrieb, der Leiharbeiter einstellt,
hat damit nichts zu tun; er bezahlt sie nach geleisteten Ar-
beitsstunden. Mit Ihrer Personal-Service-Agentur wird
das, was noch an „Verharzung“ vorhanden ist, quasi so-
zialisiert und beim Staat abgeliefert.


(Beifall bei der FDP)

Machen Sie es doch gleich richtig und führen Sie eine

vernünftige Reform durch! Sie stehen sozusagen vor der
richtigen Tür, kriechen aber durch den Schornstein in das
Haus hinein. Es geht einfacher: Machen Sie die Tür auf!


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Erhöhen Sie hinsichtlich der Kündigungsschutzrege-

lungen die Betriebsgröße auf 20 Mitarbeiter, machen Sie
das Kriterium von zwei Jahren Beschäftigung zur Voraus-
setzung und gestalten Sie Alternativen über Abfindungs-
vereinbarungen oder arbeitgeberfinanzierte Weiterbil-
dungsmaßnahmen! Nehmen Sie die Vorschläge von Herrn
Gerster ernst! Er hat schließlich viele Vorschläge ge-
macht, wie die Effizienz der Bundesanstalt für Arbeit mit
ihren 90 000 Beschäftigten – bei einem Aufkommen von
110 Milliarden DM für die Sozialversicherungen – ge-
steigert werden könnte.

Bemerkenswert erschien mir, was Sie zum Kartell der
Weiterbildung ausgeführt haben.


(Dirk Niebel [FDP]: Hochinteressant!)

Wenn das ernst gemeint war, fordere ich Sie auf, diesen
Vorschlag umzusetzen.


(Gerd Andres [SPD]: Stimmen Sie dem zu?)


Es ist doch merkwürdig, dass fast alle Weiterbildungs-
maßnahmen rein zufällig bei den Arbeitgeberverbänden
und den Gewerkschaften landen. Führen Sie doch endlich
den Wettbewerb ein und lassen Sie die Betroffenen ent-
scheiden!


(Beifall bei der FDP)

Führen Sie endlich die Gutscheine ein und brechen Sie
das Kartell wenigstens ein Stück auf! Damit können Sie
den Ansatz liefern, mit dem Sie die Beiträge zur Arbeits-
losenversicherung senken, und zwar, indem Sie die Ver-
mittlung und Beratung von den Versicherungsleistungen
trennen. Die Landesarbeitsämter können Sie abschaffen.
Gehen Sie an die Reformansätze heran, damit Sie damit
endlich dem Mittelstand Luft verschaffen, sodass dieser
seine Leistungen entfalten kann! Seien Sie konsequent!
Sie gehen aber nur kostümiert und halbherzig an die Lö-
sungen heran.

Heute Morgen um elf Uhr haben wir die aktuellen Ar-
beitslosenzahlen bekommen. Es sind 204 000 Arbeits-
lose mehr als im Vorjahr. Es ist eine dramatische weitere
Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation und eine Ver-
stärkung der damit verbundenen Belastungen erfolgt. Sie
müssen mehr Reformmut aufbringen und konsequenter
herangehen. Ihr Vorhaben ist ein Fortschritt, aber es ist
weicher gespült als das Ursprungskonzept. Sie haben
nicht den Mut, an Kernpunkte wie das Tarifvertragswesen
und das Übertreiben des Kündigungsschutzes bei den
kleinen Betrieben heranzugehen. Dabei können Schutz-
rechte zu einer Diskriminierung pervertieren, weil die Be-
troffenen keine Chancen mehr bekommen und Sie damit
das Gegenteil von dem auslösen, was Sie ursprünglich ge-
plant haben.


(Beifall bei der FDP)

Wenn Ihr Vorschlag ernst gemeint ist, mit den anderen

Fraktionen offen in einen Dialog zu treten und ein ver-
nünftiges Vorhaben umzusetzen, dann tun Sie das auch,
statt Vorschläge nur deshalb zu verteufeln, weil sie von
anderen Fraktionen stammen. In der vergangenen Legis-
laturperiode wurde ein Vorschlag von uns als „Dienst-
mädchenprivileg“ beschimpft. Als wir Minijobs im Haus-
halt, die Sie jetzt einführen wollen, gefordert haben, war
es ein „Dienstmädchenprivileg“, aber wenn die Forde-
rung jetzt von Gewerkschaftsfunktionären kommt, ist es
kein Neofeudalismus, sondern eine Großtat. Machen Sie
es vernünftiger!


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500802600

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner, SPD-

Fraktion.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1500802700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Bei aller Lautstärke, meine Damen und
Herren von der Opposition, haben Sie sich zwar Gehör
verschafft, aber konstruktive Vorschläge, die die Situation
verbessern, haben Sie nicht gemacht.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Rainer Brüderle




Klaus Brandner
Sie haben bei Ihren Vorschlägen insbesondere nicht zur
Kenntnis genommen, dass sich die Arbeitsmarktlage zwi-
schenzeitlich stabilisiert hat.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Es gibt sogar erste Zeichen der Besserung. Die Zeitreihen
der Arbeitslosigkeit und der Erwerbstätigkeit weisen da-
rauf hin, dass der Höhepunkt der Flaute erreicht ist und
wir keine weitere Verschlechterung bekommen werden.
Reden Sie die Situation deshalb nicht schlecht! Sie haben
gesagt, Sie wollen konstruktiv mitarbeiten. Sagen Sie,
dass sich die Situation gebessert hat, und sorgen Sie so mit
dafür, dass die Arbeitslosen und die Wirtschaft auch ein
Zeichen der Hoffnung bekommen und damit eine bessere
Situation in diesem Lande eintritt!


(Beifall bei der SPD)

Deutschland liegt nämlich nach wie vor im europäischen
Mittelfeld. Das ist keine Entwarnung, aber die Menschen
in Deutschland sollen auch wissen, dass es vermehrte
Hoffnungen gibt. Die heute zu veröffentlichenden
Arbeitslosenzahlen werden das zeigen.

Das Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeits-
markt kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, um weite-
ren Drive in die Arbeitsmarktpolitik zu bringen. Es muss
so schnell wie möglich in Kraft treten. Ich nehme gerne
zur Kenntnis, dass sich die Opposition einem schnellen
Verfahren nicht entzieht, und hoffe sehr, dass Sie auch im
Bundesrat dafür sorgen, dass dieses Gesetz schnell in
Kraft treten kann. An uns liegt es nämlich nicht. Für eine
Beratung steht ausreichend Zeit zur Verfügung, sowohl in
der Anhörung als auch im Ausschuss. Wir wollen dieses
Gesetz nicht durchpeitschen, sondern wir geben Ihnen die
Gelegenheit zur Beratung. Wir haben Ihnen eine Aus-
schusssitzung am Freitag angeboten, Ihr Wunsch war eine
Sitzung am heutigen Abend. Wir können die Anhörung
verlängern, wir können in der nächsten Woche weiter ta-
gen. Wir gehen auf Ihre Wünsche ein, wenn Sie Fragen
haben und wenn Sie konstruktiv mitarbeiten wollen. Bitte
tun Sie das. Es ist ein Angebot, dem Sie sich nicht entzie-
hen sollten.


(Beifall bei der SPD)

Insgesamt gesehen haben wir die große Chance für ei-

nen nachhaltigen Aufbruch der verkrusteten Strukturen.
Wir haben eine Chance für eine Arbeitsmarktreform aus
einem Guss. Wir haben eine Chance für eine Arbeits-
marktreform, die der Wirtschaft hilft und die neue Stellen
schafft.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie viele denn?)

Die Bedingungen dafür lassen es nicht zu, in einer Ku-
schelecke zu bleiben. Uns geht es darum, auf der einen
Seite den sozialen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer voll zu wahren und auf der anderen Seite
Flexibilisierungsansprüche der Wirtschaft zu gewährleis-
ten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unkündbar beim Arbeitsamt!)


Es geht um die Bekämpfung der strukturellen Arbeits-
losigkeit. Aufgrund der langen Tradition stehen in

Deutschland die passiven Lohnersatzleistungen immer
noch eher im Vordergrund als aktive Arbeitsmarktpolitik.
Das wollen und das werden wir ändern. Wir wollen eine
umfassende Aktivierung, die nachhaltiges Wachstum und
damit die Bedingungen für neue Arbeitsplätze schafft.
Aber es geht auch darum, das Wachstum beschäftigungs-
intensiver zu machen. Bisher entstehen neue Arbeits-
plätze erst, wenn die Wirtschaft um mindestens 1,2 bis
2 Prozent wächst. Unsere Gesetze werden dazu führen,
dass die Beschäftigungsschwelle sinkt. Wachstum kann
dann schneller und nachhaltiger greifen.

Eine umfassende Aktivierung der Arbeitslosen, die
nicht immer schmerzfrei verlaufen wird, braucht gesell-
schaftliche Akzeptanz. Ich möchte noch einmal daran er-
innern, dass die Kommission unter Leitung des VW-Vor-
standsmitglieds Peter Hartz ihre Vorschläge einstimmig
beschlossen hat. Das allein ist angesichts dieses Perso-
nenkreises eine ganz herausragende Leistung.


(Beifall bei der SPD)

Wir dürfen den Konsens nicht zerreden. Wer nur einzelne
Elemente für sich herauspickt, verfolgt eben gerade nicht
das Ziel einer umfassenden Reform. Die CDU/CSU for-
dert in ihrem Antrag in vielen Punkten nur populistischen
Sozialabbau. Druck auf Sozialhilfeempfänger allein ist je-
doch keine Reform. Und die FDP möchte wieder die Ta-
rifautonomie unterhöhlen. Dabei ist doch nicht die Tarif-
autonomie für die hohe Arbeitslosigkeit in diesem Lande
verantwortlich. Machen Sie doch nicht den Bock zum
Gärtner! Helfen Sie mit, die verkrusteten Strukturen auf-
zubrechen, aber nicht auf Kosten der Arbeitnehmer!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind doch der Bock!)


Dabei sind die Hartz-Vorschläge auch Vorschläge, die
dieTarifautonomie stärken. Wir wollen durch die Umset-
zung der Hartz-Vorschläge Arbeit und Kapital versöhnen.
Das ist die Grundbotschaft, die Hartz ausgesendet hat.


(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500802800

Herr Kollege Brandner, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Dreßen?


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1500802900

Bitte.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1500803000

Herr Brandner, Sie haben gerade vom CDU-Konzept

gesprochen. Können Sie einmal erklären, welche Auswir-
kungen es auf die Sozialversicherung hätte, wenn wir die
Schaffung von Minijobs verstärkt förderten? Wir haben in
der Vergangenheit erlebt, wie der Arbeitsmarkt durch die
Politik der Union in Unordnung gebracht worden ist, wes-
wegen in der Sozialversicherung Beträge in Milliarden-
höhe gefehlt haben. Können Sie sich vorstellen, dass es
sogar zum Kollaps der Sozialversicherung führen wird,
wenn wir die Schaffung von Minijobs verstärkt fördern?


(A)



(B)



(C)



(D)


404


(A)



(B)



(C)



(D)







Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1500803100

Selbstverständlich führt es zum Zusammenbruch der

Sozialversicherung, wenn immer mehr Beschäftigungs-
verhältnisse sozialversicherungsfrei sind und damit die
Zukunft breiter Bevölkerungsschichten nicht gesichert
ist. Das kann kein Weg sein, der in die Zukunft führt. Wir
müssen die Strukturen verändern, indem die Lohnneben-
kosten gesenkt und neue, sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze geschaffen werden. Dieses Konzept verfol-
gen wir.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die von uns vorgelegten Entwürfe für Gesetze für mo-

derne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt sind kein Stroh-
feuer – Sie wissen das –, sondern Teil einer nachhaltigen
beschäftigungspolitischen Strategie. Die Bundesanstalt
für Arbeit wird zu einem modernen Dienstleister umge-
baut werden. Davon profitiert insbesondere der Mittel-
stand; denn die schwerfälligen Arbeitsmarktverwal-
tungsstrukturen haben insbesondere die kleineren und
mittleren Betriebe belastet. Die großen Betriebe mit kom-
petenten Personalabteilungen und Personalentwicklungs-
plänen könnten sich und konnten sich letztlich selbst hel-
fen. Dabei wollen sich viele Beschäftigte in den
Arbeitsämtern engagieren. Wir sorgen für Bewegung,
ohne dass Angst entstehen muss. Wir wissen, dass das
ganze System als solches nicht mehr zeitgemäß ist, und
deshalb muss es dringend reformiert werden.

In diesem Zusammenhang komme ich auf die zu grün-
denden Personal-Service-Agenturen zu sprechen. Sie
sollen für viele eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen.
Sie helfen den Arbeitgebern, die sich nicht oder noch nicht
fest binden wollen. Sie bauen Einstellungsbarrieren ab.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist dabei ein wichtiges
Grundprinzip, das auch für Zeitarbeitnehmerinnen und
Zeitarbeitnehmer gelten muss; sonst kommt es zu Wett-
bewerbsverzerrung und -verdrängung. Anscheinend will
die Opposition das billigend in Kauf nehmen und genau
das wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD)

Es gilt nämlich der Grundsatz: Wenn Qualifikation und
Erfahrung eines Zeitarbeitnehmers denjenigen eines Mit-
arbeiters der Stammbelegschaft entsprechen, dann muss
er einen Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit
haben.

Um das zu organisieren, brauchen wir Tarifverträge.
Der Gesetzgeber kann den Grundsatz festlegen; die Aus-
nahmen und die Feinjustierungen bleiben den Tarifver-
tragsparteien überlassen. So steht es übrigens ausdrück-
lich im Hartz-Konzept. Die Umsetzung erfolgt also im
Verhältnis eins zu eins, Herr Brüderle. Durch Hartz ist
nicht das Aufweichen, sondern das Stärken der Tarifauto-
nomie angesagt.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, handeln
Sie hier nicht einseitig und unredlich, wenn Sie den
Grundsatz kritisieren, die Tariföffnungsklauseln aber ver-
schweigen!

Natürlich geht es dabei um Abweichungen auch nach
unten. Das ist aber im wohlverstandenen Interesse von Ar-
beitslosen. Sie müssen schließlich vermittelbar sein. Nach
unserem Verständnis ist Zeitarbeit nämlich vermittlungs-
orientierte Arbeitnehmerüberlassung. Ziel der Perso-
nal-Service-Agenturen ist es, zusätzliche Arbeitsplätze zu
schaffen und aus Zeitarbeitnehmern fest angestellte Ar-
beitnehmer zu machen.

Die Kritik aus den Oppositionsreihen verschweigt
auch, dass wir die einschränkenden Bestimmungen des
bisherigen Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes weitge-
hend aufheben. Es gibt dann nämlich kein Synchronisa-
tionsprinzip, kein Befristungsverbot und kein Wiederein-
stellungsverbot mehr. Weitere Vorschriften werden
genauso gestrichen werden. Wir verbinden damit die
langjährige Forderung aus dem Arbeitgeberlager nach
Deregulierung mit der langjährigen Forderung der Ge-
werkschaften nach Nichtdiskriminierung. Die CDU, Herr
Laumann, kommt mit ihrem angekündigten Gesetzent-
wurf zu spät. Die Arbeit könnten Sie sich sparen. Die De-
regulierungsmaßnahmen, die in unserem Gesetzentwurf
im Zusammenhang mit der Zeitarbeit enthalten sind, wer-
den Sie ja jetzt erst zusammenschreiben. Erkennen Sie an,
dass die Koalition bei der Umsetzung des Hartz-Konzep-
tes schnell arbeitet. Die Zeitarbeitsunternehmen können
sich nur zu einer anerkannten und wachsenden Branche
entwickeln,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Hätten Sie schon in der letzten Wahlperiode haben können!)


wenn sie den Nichtdiskriminierungsgrundsatz anerken-
nen und dazu stehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die ersten Interessenten stehen, wie Sie wissen, ja schon
in den Startlöchern.

Übrigens entspricht unsere Regelung im Wesentlichen
dem erfolgreichen niederländischen Vorbild. Deshalb ver-
stehe ich die Logik der Arbeitgeberverbände nicht, die das
niederländische Modell in der Vergangenheit als vorbild-
lich gepriesen haben, unseren Gesetzentwurf jetzt aber
kritisieren.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Da sind schon ein paar kleine Unterschiede!)


Herr Laumann hat hier ja heute sehr deutlich gesagt,
dass ihn zwei Dinge befallen: zum einen Kopfschütteln,
zum anderen blankes Entsetzen. Ich würde ihn bitten, eine
Klärung mit dem Generalsekretär der CSU herbeizu-
führen, der noch vor kurzem gesagt hat, dass die Union für
den Niedriglohnsektor ein Alternativkonzept anbiete,
das ohne die von der Hartz-Kommission vorgeschlagene
„Versklavung von Leiharbeitnehmern“ auskomme. Mit
einer solchen Formulierung macht man sich bei den Zeit-
arbeitsunternehmen mit Sicherheit nicht beliebt. Sie ha-
ben sich ja eben als Lobbyist dieser Gruppe aufgespielt.
Ich will Ihnen nur sagen, wie sich Ihre Parteifreunde zu
diesem Thema äußern, nämlich dass ein Niedriglohnsek-
tor ohne Versklavung von Leiharbeitnehmern auskommen




Klaus Brandner
müsse. Genau das aber wollen Sie: Sie wollen den Lohn
drücken; Sie wollen keine fairen Arbeitsbedingungen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Quatsch!)

Dazu sollten Sie auch offen stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein weite-

res Thema ansprechen, das für mich von zentraler Bedeu-
tung ist, nämlich: Wie kommen wir zur Stärkung der
Wachstumskräfte in Deutschland? Unter anderem durch
Abbau von Bürokratie.Wir haben im Koalitionsvertrag
eindeutig festgelegt, dass wir den Kurs des Bürokratieab-
baus fortsetzen wollen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist elementar!)


Das ist gerade für kleinere und mittlere Unternehmen be-
sonders wichtig. Wir werden einen Masterplan vorlegen,
mit dem Hemmnisse schnell und wirksam abgebaut wer-
den. Bei der Bundesanstalt für Arbeit – das will ich deut-
lich sagen – machen wir dabei den Anfang.

Das Beispiel Zeitarbeit wurde genannt. Außerdem wird
es eine radikale Vereinfachung von Vorschriften zur be-
ruflichen Weiterbildung geben. Das Meldeverfahren und
die Vorschriften zur Erstellung von Statistiken zu Mini-
jobs sind denkbar einfach. Im Übrigen passt auch das
nicht zu dem gerade eben wieder von Ihnen geforderten
Überwachungsinstrument, mit dem festgestellt werden
soll, ob es sich wirklich um einen Minijob handelt oder
nicht. Wir werden die Unternehmen auch sonst von über-
flüssigen Statistiken entlasten. Wir werden den Kontakt
zur Wirtschaft und zur Verwaltung weiterhin intensivie-
ren, um gemeinsam das Ziel Bürokratieabbau zu realisie-
ren.

Die Einrichtung von Personal-Service-Agenturen ist
das wichtigste Vorhaben, das wir jetzt zur Schaffung
neuer Arbeitsplätze auf den Weg bringen. Wir werden
– insgesamt gesehen, nicht nur mit diesen Maßnahmen –
den Haushalt konsolidieren, wie Sie wissen. Dabei liegt
mir noch eine Botschaft ganz besonders am Herzen: Wir
werden natürlich im Rahmen der Zusammenführung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe finanzielle Einsparungen
vornehmen müssen. In diesem Zusammenhang werden,
um es klar zu sagen, auch Vermögenseinkünfte stärker an-
gerechnet, als es in der Vergangenheit der Fall war. Indem
die CDU/CSU aber gegen diese Regelung polemisiert und
in der Öffentlichkeit sagt, dass auch die Ansprüche durch
die Riester-Rente und die Beiträge zur Altersvorsorge von
diesen Anrechnungsvorschriften betroffen sind, geben Sie
bewusst eine falsche Orientierung und verunsichern Sie
die Menschen in diesem Land.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500803200

Herr Kollege Brandner, Ihre Redezeit ist zu Ende.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1500803300

Damit sorgen Sie dafür, dass eine Verunsicherung ent-
steht, die nicht richtig und nicht notwendig ist. Wir wer-

den genau diesen Bereich nicht angehen, sondern dafür
sorgen, dass bei einer Verschärfung der Anrechnungsvor-
schriften diejenigen, die für die Altersversorgung Vorleis-
tungen treffen, geschont werden und ihnen ihre Leistun-
gen ungeschmälert zukommen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Bis 13 000 Euro! Was sind denn 13 000 Euro? Das verdienen Sie in einem Monat! Unvorstellbar dieser Zynismus! Und das von einem Gewerkschaftssekretär! Junge, Junge!)


Insofern gibt es in diesem Bereich Sicherheit und keine
Unsicherheit. Ich bitte Sie deshalb, bei den anstehenden
Vorhaben konstruktiv mitzuarbeiten.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500803400

Das Wort hat die Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-

Fraktion.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1500803500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar – diese
Maxime von Ingeborg Bachmann, die Sie bestimmt ken-
nen, sollte gerade in Krisenzeiten Leitbild der politisch
Verantwortlichen sein. Man muss den Menschen reinen
Wein einschenken, denn nur so wird die Notwendigkeit
von Reformen verstanden und nur so werden vor allen
Dingen diese auch von ihnen mitgetragen werden.

Aber wie sieht die Wahrheit aus? Wie sieht die Wahr-
heit aus, der Herr Schröder, der Sie, Herr Clement und
Herr Eichel, nicht ins Gesicht schauen wollen? Fast 4 Mil-
lionen Menschen sind arbeitslos in Deutschland, zusätz-
lich 1,7 Millionen werden vor der statistischen Arbeitslo-
sigkeit versteckt, das heißt mit arbeitsmarktpolitischen
Beruhigungspillen vertröstet. 40 000 Insolvenzanträge
sind dieses Jahr zu erwarten. Dabei sprechen wir nur von
Anträgen. Man darf bei der Interpretation dieser Zahl
nicht vergessen, dass es sich dabei nur um die Anträge
handelt, die statistisch erfasst sind. Die vielen kleinen Be-
triebe, die still und leise ihre Türen zuschließen, ohne in
Statistiken zu erscheinen, sind hier gar nicht aufgeführt.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Ganz genau!)


Und was sagen Sie zu den 300 000 Arbeitslosen in die-
sem Bereich, die wir schon im ersten halben Jahr hatten?
Im ersten Halbjahr hatten wir ein Wirtschaftswachstum
unter 0; für das gesamte Jahr rechnen Sie mit einem Wirt-
schaftswachstum von 0,75 Prozent, für nächstes Jahr
rechnen Sie mit einer Zunahme um 1,5 Prozent. Aber bei
einer Beschäftigungsschwelle von 2 Prozent, die wir in
Deutschland haben, ist das nichts anderes als eine Kapi-
tulation vor der Massenarbeitslosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



(A)



(B)



(C)



(D)


406


(A)



(B)



(C)



(D)






Wir wissen alle: Wir sind in einer schwierigen Phase.
Aber anstatt hier Anreize für mehr Dynamik, mehr
Wachstum und Optimismus zu schaffen, bringen Sie ein
Kostenexplosionsprogramm auf den Weg, das Konsu-
menten und Unternehmer gleichermaßen vor den Kopf
stößt. Was haben wir denn jetzt? – Jetzt haben wir stei-
gende Rentenversicherungsbeiträge, steigende Kranken-
versicherungsbeiträge, eine höhere Ökosteuer und vor al-
lem ein Aussetzen der Steuerreform gerade für die
Personengesellschaften bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
Ich möchte nicht wissen, was nach den Landtagswahlen
noch alles auf uns zukommt.

Warum haben Sie die Aussagen Ihrer führenden Wirt-
schaftsexperten nicht zur Kenntnis genommen? Diese ha-
ben gesagt, dass Ihre Beschlüsse erstens das Wachstum,
zweitens den Aufbau von Beschäftigung und drittens eine
dynamische Wirtschaftsentwicklung behindern. Sie kön-
nen doch über solche Aussagen nicht einfach hinwegge-
hen!

Ihre Bundessozialministerin sagt zu der Anhebung der
Rentenversicherungsbeiträge auf 19,5 Prozent: Da ha-
ben wir erst einmal Ruhe. Was ist denn das für eine Aus-
sage? Was ist denn mit den 20 Milliarden Euro Ökosteuer,
die zukünftig, auch durch die nächste Erhöhung am 1. Ja-
nuar, eingenommen werden, wodurch die Rentenversi-
cherungsbeiträge eigentlich gesenkt werden sollten, wie
Sie versprochen haben? Jetzt wird gesagt: Da haben wir
erst einmal Ruhe. – Ja, Ruhe haben wir schon, aber wo
denn? Wir haben Ruhe in den Betrieben, weil Arbeit und
Produktion noch teurer werden, wir haben Ruhe im Ein-
zelhandel, weil noch mehr Kaufzurückhaltung geübt wer-
den wird, und wir haben Ruhe bei den Reformanstren-
gungen. Das ist der falsche Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es darf hier nicht um Ruhe gehen, sondern es muss um
Dynamik und wirtschaftlichen Aufschwung gehen.

Es darf nicht sein, dass eine Zeitung wie die „Financial
Times Deutschland“ am vergangenen Dienstag titelt:
„Exodus des Mittelstandes“ und „Tschüs, Deutschland!“.
Wenn man dann sieht, dass nach einer Berechnung der
Boston Consulting Group die Verlagerung eines Betriebes
aus Deutschland heraus heute nur noch – nehmen wir ein
Beispiel aus dem Elektronikbereich – sechs Monate dau-
ert und sie sich für einen Betrieb heute schon nach ein bis
zwei Jahren rechnet – das waren früher viel längere
Zeiträume –, dann wird klar, dass wir gefordert sind, dass
wir handeln müssen, dass uns die Zeit davonrennt.

Aber Sie hören das alles nicht, Sie nehmen das nicht
zur Kenntnis. Sie haben nur eine Zauberformel, die aus
fünf Buchstaben besteht: Hartz.Damit, glauben Sie, wür-
den alle Probleme der Zukunft gelöst.

Eigentlich hat sich der Zauber jedoch schon längst ver-
flüchtigt. Was ist denn mit der Vorgabe der Eins-zu-eins-
Umsetzung, die der Kanzler gemacht hat? Was heute als
Gesetzestext vorliegt, ist doch nicht die Eins-zu-eins-Um-
setzung der Hartz-Vorschläge, sondern unterscheidet sich
massiv von ihnen.

Lassen wir einmal beiseite, dass durch die Personal-
Service-Agenturen wahrscheinlich eine gigantische Be-
schäftigungsgesellschaft geschaffen wird, dass wir ver-
mutlich den Weg in einen dritten Arbeitsmarkt gehen und
dass die Arbeitslosenzahlen zwar sinken werden, aber nur
auf dem Papier, nämlich in den Statistiken. Ein viel drän-
genderes Problem wird nicht erkannt, nämlich dass Hartz
am Kern der Ursachen für die katastrophale Lage am Ar-
beitsmarkt vorbeigeht. Das ist das Hauptproblem.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Man muss bedenken, dass den über 4 Millionen Ar-

beitslosen 1 Million offene Stellen gegenüberstehen. In-
zwischen machen nur noch ein Drittel der mittelständi-
schen Betriebe Gewinn. Vor dem Hintergrund dieser
Zahlen kann man den Reformeifer doch nicht darauf be-
schränken, nur zu einer schnelleren und besseren Arbeits-
vermittlung zu kommen. Wir brauchen etwas ganz ande-
res. Wir brauchen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, die
ohne staatliche Unterstützung auskommen. Wir brauchen
einen Mittelstand, der wieder erfolgreich am Markt be-
stehen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen außerdem eine Aufbruchstimmung. Wo ist
denn diese Aufbruchstimmung? Ich kann draußen im
Lande nichts davon spüren – im Gegenteil. Ich glaube,
dass es Ihnen genauso geht.

Was bis vor kurzem noch als Jobfloater bezeichnet
wurde, heißt jetzt Kapital für Arbeit. Wenn ein Unter-
nehmer zukünftig einen Arbeitslosen einstellt, dann hat er
die Möglichkeit, einen zinsgünstigen Kredit von bis zu
100 000 Euro mit einem Effektivzins von 5,5 Prozent zu
bekommen. Dieser Kredit wird aber nur dann gewährt,
wenn man ein zukunftsfähiges Unternehmen hat; denn
man bekommt das Geld nicht automatisch, wenn man ei-
nen Arbeitslosen einstellt, sondern erst dann, wenn man
positiv geratet wurde.

Wenn man Zinsen in Höhe der Bundesbankzinsen von
6,37 Prozent zugrunde legt, dann erkennt man, dass die
Förderung bei unter 100 Euro im Monat liegt. Dafür soll
ein Unternehmer einen Arbeitslosen einstellen? Glauben
Sie wirklich, dass dadurch auch nur ein einziger zusätzli-
cher Arbeitsplatz geschaffen wird, der auch ohne staatli-
che Förderung nicht geschaffen würde? Die KfW gibt per
anno 5 Milliarden Euro aus. Mit dem, was Sie hier auf den
Weg bringen, betreiben Sie eine versteckte Staatsver-
schuldung und nichts anderes.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es handelt sich um ein großes Mitnahmeprojekt für

diejenigen Unternehmen, die sowieso schon ausreichend
liquide und finanzstark sind. Es ist aber kein Projekt für
die Existenzgründer, für den finanzschwachen Mittel-
stand und vor allen Dingen für die Arbeitslosen; denn der
Unternehmer muss den Arbeitslosen, den er eingestellt
hat, nicht behalten. Er kann ihn jederzeit entlassen.


(Zuruf von der SPD: Nein!)

Trotzdem läuft der Kredit zehn Jahre lang weiter.

DagmarWöhrl




DagmarWöhrl

Ich wollte mit diesem Beispiel zeigen, dass Ihnen,
meine Damen und Herren von Rot-Grün, der Blick für das
Ganze fehlt. Ihnen fehlt der Blick für wirtschaftliche Zu-
sammenhänge. Darin liegt Ihr Problem. Lesen Sie einmal
die Düsseldorfer Leitsätze zur sozialen Marktwirt-
schaft aus dem Jahr 1949, die wir oft zitieren. Darin fin-
det man die Maxime Ludwig Erhards, die überhaupt
nichts an Aktualität eingebüßt hat:

Die beste Sozialpolitik nützt nichts, wenn sich nicht
Wirtschafts- und Sozialordnung wechselseitig ergän-
zen und fördern.

Genau das ist der Punkt: Bei uns ergänzen sie sich nicht
mehr. Die Räder greifen nicht mehr ineinander, sondern
sie blockieren sich. Deswegen brauchen wir wieder eine
Wirtschaftspolitik aus einem Guss. Wir brauchen wieder
den Gleichklang von sozialen Belangen auf der einen
Seite sowie Markt und Wirtschaft auf der anderen Seite.
Wir brauchen wieder Eigenverantwortung und unterneh-
merisches Engagement. Das sind Begriffe, die wieder po-
sitiv besetzt werden müssen. Dazu gehört auch der Leis-
tungsgedanke.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nicht zuletzt muss die Kostenbelastung der Betriebe und
Haushalte abgebaut werden.

Der Bundeswirtschaftsminister hat letzte Woche Ein-
sparmöglichkeiten von 6 Milliarden Euro vorgerechnet.
Warum wird dieses Geld nicht dazu verwandt, die Ar-
beitslosenversicherungsbeiträge zu senken? Schon die
Senkung der Sozialversicherungsbeiträge um 1 Prozent-
punkt schafft 50 000 bis 100 000 Arbeitsplätze. Das wäre
der richtige Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr! Das ist der Punkt!)


Warum spricht keiner von dem riesigen Etat der Bun-
desanstalt für Arbeit in Höhe von 54 Milliarden Euro?
Warum spricht keiner von den 21 Milliarden Euro, die für
die aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben werden? Ich
bin mir sicher, dass hier immense Spielräume vorhanden
wären, wenn man kreativ sparen wollte.

Herr Brandner hat einen weiteren Bereich angespro-
chen: die Bürokratie. 90 Prozent der von der Bürokratie
verursachten Kosten tragen die kleinen und mittleren Be-
triebe. 2 000 Bundesvorschriften und 85 000 Verordnun-
gen, die zu beachten sind, um überhaupt wirtschaften zu
können, machen den kleinen Betrieben das Leben schwer.
Das muss zurückgeführt werden.

Warum haben Sie unseren Vorschlag einer Entbürokra-
tisierungstaskforce mit klaren Zielvorgaben und vor allem
eindeutigen Zeitvorgaben nicht aufgenommen? In Ihrem
ersten Entwurf einer Koalitionsvereinbarung hatten Sie
diesen Gedanken doch. Warum ist er jetzt nicht mehr ent-
halten? Sie sprechen jetzt von einem Masterplan. Was ist
ein Masterplan?

Viel wichtiger ist, endlich konkrete Einzelmaßnahmen
anzugehen und anzupacken. Wir müssen zu einer umfas-
senden Entriegelung des Niedriglohnsektors kommen.

In diesem Bereich der geringen Qualifikation gibt es mehr
als 2 Millionen Menschen ohne Arbeit. Diese brauchen
wirkliche Perspektiven auf dem ersten Arbeitsmarkt und
nicht nur im Hinblick auf haushaltsnahe Beschäftigungen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Unsere Anträge und Forderungen liegen nicht erst seit

heute, sondern schon seit Wochen auf dem Tisch: die For-
derung nach einem modernen Kündigungsschutzrecht ge-
rade für Problemgruppen, nach einer Steuerentlastung,
nach flexiblen Bündnissen für Arbeit in den Betrieben und
nach einer Änderung des Günstigkeitsprinzips.

Es ist ja nicht so, dass nur wir dies fordern. Alle Ex-
perten schreiben Ihnen dies ins Stammbuch. Die von
Ihren Fachleuten besetzte Benchmarkinggruppe hat Ihnen
vor einem Jahr eine wunderbare Reformagenda an die
Hand gegeben, wonach Sie eigentlich nur hätten handeln
müssen. Aber was haben Sie getan? – Sie haben nichts ge-
tan.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500803600

Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie bitte an Ihre Rede-

zeit.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1500803700

Ja.
Ich glaube – auch Sie spüren das –, dass es in unserer

Gesellschaft eine Reformbereitschaft gibt. Die Men-
schen sind zu Veränderungen bereit. Aber die Menschen
wollen auch, dass man ihnen die Wahrheit sagt. Sie haben
nicht das Gefühl, dass Sie ihnen die Wahrheit sagen.
Hören Sie endlich auf den Expertenrat der Wirtschaftsin-
stitute! Setzen Sie sich mit den Vorschlägen Ihrer eigenen
Fachleute auseinander und werden Sie endlich der großen
Verantwortung, die Sie als Regierungspartei in unserem
Land haben, gerecht! Es wird Zeit.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500803800

Nächster Redner ist der Kollege Werner Schulz, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Wöhrl, in einer Sache gebe ich Ihnen Recht: Man sollte
die Vorschläge der Hartz-Kommission nicht überschät-
zen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Dann machen Sie es mal!)


Man sollte sie allerdings auch nicht unterschätzen.

(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Prinzip Hoff nung!)



(A)



(B)



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(D)


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(A)



(B)



(C)



(D)






In beiden Betrachtungsweisen liegt eine gewisse Tücke.
Wenn Sie etwas kleinreden, was überhaupt noch nicht be-
gonnen hat und noch nicht ausprobiert wurde, dann nenne
ich das Kleinmut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie erwecken bei den Menschen Hoffnungen, die Sie nicht einhalten!)


Sie sollten sich einmal die flammende Aufmunte-
rungsschrift von Graf Lambsdorff – Sie haben uns ja ge-
rade Literaturhinweise gegeben – anschauen, in der er
über Mut statt Missmut schrieb. Was wir brauchen, ist
Mut zur Veränderung.


(Lachen bei der FDP)

Die Vorschläge der Hartz-Kommission führen zu Verän-
derungen auf dem Arbeitsmarkt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Insbesondere in den neuen Bundesländern!)


Sie haben eine Debatte, die parteipolitisch festgefahren
bzw. blockiert war, wieder in Bewegung gebracht. Dass
wir heute über die Frage sprechen, was Flexibilisierung
auf dem Arbeitsmarkt bedeutet, ist durch die Hartz-Kom-
mission zustande gekommen.

Wir verlangen doch den Arbeitslosen eine ganze
Menge ab, wenn wir das Prinzip „Fördern und For-
dern“ umsetzen, wenn wir Arbeitslose mit einer Maß-
nahmenbalance aus Sanktionsmöglichkeiten und positi-
ven Anreizen aktivieren. Das versuchen wir umzusetzen,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Halbherzig!)

um wieder zusätzliche Beschäftigung zu bekommen.

Die Vorschläge, die im Bericht der Hartz-Kommission
enthalten sind, die wir mit einem ersten Gesetzentwurf
umsetzen und die im Einzelnen die Schaffung von Perso-
nal-Service-Agenturen, Minijobs, Ich-AGs und derglei-
chen umfassen, bieten Möglichkeiten, um zu mehr
Beschäftigung zu kommen. Die Aussage, dass das Hartz-
Konzept nur eine bessere Vermittlung bringt und keine zu-
sätzliche Arbeit schafft, stimmt so nicht. Es werden zu-
sätzliche Arbeitsanreize geschaffen und für Arbeitslose
die Möglichkeiten erhöht, Arbeit anzunehmen.

Schauen Sie sich die Personal-Service-Agenturen an:
Hier versuchen wir, die Defizite im Bereich der Dienst-
leistungen, die wir in Deutschland noch haben, zu über-
winden. Ein Imageproblem besteht beispielsweise darin,
dass die Zeit- und Leiharbeit mit einem gewissen Min-
derwertigkeitskomplex versehen ist. Wir müssen der Leih-
arbeit durch vernünftige und vor allem annehmbare Be-
dingungen der Entlohnung und Arbeitszeit zur Akzeptanz
in der Gesellschaft verhelfen.

Das geht natürlich mit einem Abbau von Bürokratie
einher. Insofern greift Ihre Kritik ins Leere. Schauen Sie
sich nur einmal das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz an!
Wir tragen an verschiedenen Stellen zum Bürokratie-
abbau bei, beispielsweise durch Abschaffung des Syn-
chronisationsverbots, des Befristungsverbots, des Wie-
dereinstellungsverbots und des Abwerbeverbots. Dies

alles sind doch Schritte in die Richtung Deregulierung.
Wenn wir Anpassungsleistungen von den Arbeitslosen
verlangen, dann sind wir selber aufgefordert, in Vorleis-
tung zu gehen und auf der administrativen Seite ebenfalls
Flexibilität zu zeigen. Das tun wir hiermit.

Wir sollten die Wirkung der von der Hartz-Kommis-
sion vorgeschlagenen Maßnahmen nicht überschätzen.
Sie müssen natürlich in eine innovative Wirtschaftspolitik
eingebettet sein. Daher bemühen wir uns – Sie haben es
verfolgt und das letzte Wort in Sachen Lohnnebenkosten
ist noch nicht gesprochen –, den FaktorArbeit zu entlas-
ten. Zudem müssen wir mutige Schritte im Bereich der
Rente unternehmen und zur Effizienzsteigerung im Ge-
sundheitswesen beitragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das alles sind Herausforderungen, die von uns in Angriff
genommen werden. Wir stehen doch erst am Beginn die-
ser Legislaturperiode.

Genauso ist es mit der Politik der innovativen Techno-
logien, der Clusterbildung, die wir mit dem Inno-Regio-
Programm planen. Dies alles werden wir vertieft angehen.
Das bezieht – das muss ich ganz klar sagen – die ökologi-
sche Steuerreform mit ein. In diesem Rahmen ist es uns in
der letzten Legislaturperiode erstmalig gelungen, den
Faktor Arbeit ernsthaft zu entlasten


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wo denn?)

und den Faktor Umweltverbrauch stärker in den Mittel-
punkt zu rücken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das mag Ihnen nicht gefallen, aber das war bisher erfolg-
reich. Daran werden wir festhalten, nicht nur weil es ein
Umsteuern bedeutet, sondern auch weil dadurch neue
Arbeitsplätze entstanden sind.

Wenn Sie fragen, wo neue Arbeitsplätze entstanden
sind, kann ich Sie auf diesen Bereich verweisen: 150 000
neue Arbeitsplätze sind allein im Bereich der regenerati-
ven Energien und der Umweltschutztechnologien ent-
standen. Hier sind wir Exportweltmeister.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Subventionsweltmeister sind wir auch!)


Diese Position werden wir halten.
Zusammengenommen mit den im Rahmen der Hartz-

Kommission vorgesehenen Maßnahmen haben wir ein
Konzept, wie wir die Arbeitslosigkeit senken werden. Ihre
Kritik greift also zu kurz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500803900

Nächster Redner ist der Kollege Dirk Niebel,

FDP-Fraktion.

Werner Schulz (Berlin)







Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1500804000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Kollege Schulz hat gerade zu Recht das Pa-
pier zu Mut zur Veränderung von Otto Graf Lambsdorff
gelobt. Ich kann Ihnen versichern, dass wir auf der Grund-
lage der Theorien von Otto Graf Lambsdorff sehr gerne
bereit sind, mit Ihnen in den nächsten vier Jahren die Ar-
beitsmarktpolitik zu gestalten. Das Problem ist nur, dass
aus dem „Hartz“, der jetzt vorliegt, niemals ein Bernstein
werden kann. Das, was Sie jetzt umsetzen wollen, hat
nämlich mit dem Hartz der Kommission nur noch herzlich
wenig zu tun. Es kommt nicht zu einer Eins-zu-eins-Um-
setzung,


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])


sondern zu einer Eins-zu-null-Umsetzung zugunsten von
Frau Engelen-Kefer und zulasten der Arbeit suchenden
Menschen in diesem Land.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt einige richtige Ansätze, Herr Minister Clement:
Sie führen Jobcenter ein, die den Arbeitssuchenden ein
umfassendes Angebot aus einer Hand bieten sollen. Sie
haben angeregt, die Beweislast umzukehren, weil Solida-
rität keine Einbahnstraße sein kann. Derjenige, der eine
zumutbare Beschäftigung nicht annimmt, muss verpflich-
tet werden, nachzuweisen, dass er dafür einen wichtigen
Grund hat. Das ist heute nicht der Fall. All das ist richtig.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als wir dies bean-
tragt haben. Damals haben Sie dies in diesem Hause un-
ter Absingen schmutziger Lieder abgelehnt. „Neoliberaler
Turbokapitalismus“ lautete der Vorwurf von Ihrer Seite.
Ich freue mich, dass Sie in der Realität angekommen sind.
Auf diesem Weg müssen Sie weitergehen, denn nur durch
Fördern und Fordern können wir die Arbeitsmarktpro-
bleme tatsächlich in den Griff bekommen.

Dennoch wird aus diesem Hartz kein Bernstein werden
können. Hartz hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass
Ihre gesetzgeberischen Initiativen der letzten Legislaturpe-
riode fehlgeschlagen sind. Die Einführung von 500-Euro-
Jobs im haushaltsnahen Dienstleistungsbereich ist nichts
anderes als der Beweis dafür, dass Ihre 325-Euro-Rege-
lung, die alte 630-DM-Regelung, einfach nicht gegriffen
hat. Sie haben damit Schwarzarbeit gefördert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben Arbeitskräfte in die Illegalität getrieben, die
sich durch ihrer eigenen Hände Arbeit etwas dazuverdie-
nen wollten. Das sind die Leistungsbereiten in diesem
Land.

Jetzt frage ich mich: Warum bleiben Sie auf halbem
Weg stehen? Warum diskriminieren Sie wieder einmal
Arbeitsplätze, nämlich in privaten Haushalten, die regulär
besetzt werden könnten, indem Sie eben nicht den ganzen
Weg gehen, das heißt die privaten Haushalte, die sozial-
versicherungspflichtige Arbeitsplätze anbieten, so behan-
deln wie andere Arbeitgeber auch, bei denen reguläre

Arbeitsplätze steuerlich entsprechend zu berücksichtigen
sind – als Betriebsausgaben bei Selbstständigen oder Wer-
bungskosten bei abhängig Beschäftigten?


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Warum gehen Sie den Weg nicht weiter, auch in der
Frage des Niedriglohnsektors? Warum sagen Sie in
Ihrem Gesetzentwurf, dass ein 500-Euro-Job im haus-
haltsnahen Bereich unschädlich ist, wenn er zusammen
mit einem 325-Euro-Job irgendwo anders ausgeübt wird?
Warum ist es nicht unschädlich, wenn er neben einem so
genannten regulären Arbeitsverhältnis ausgeübt wird,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und zwar deshalb, weil sich jemand noch etwas dazuver-
dienen will, weil er das Häuschen abbezahlen will, weil er
sich einen zusätzlichen Urlaub leisten will?


(Ina Lenke [FDP]: Der morgens um 4 Uhr aufsteht und Zeitungen austrägt!)


Wodurch Hartz Ihnen auch ganz klar sagt, dass Sie ge-
scheitert sind, ist die so genannte Ich-AG. Wenn Sie
Selbstständigkeit fördern wollen, dann schaffen Sie das
Gesetz zur Förderung der Scheinselbstständigkeit ab!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


„Ich-AG“ bedeutet doch nichts anderes, als dass ein
Kleingewerbetreibender, der arbeitslos ist, subventioniert
und in den Sozialversicherungssystemen abgesichert
wird, wahrscheinlich auch noch durch einen niedrigen
pauschalen Steuersatz gefördert wird, sodass jeder andere
Kleingewerbetreibende, der nicht auf arbeitslos und nicht
auf Ich-AG macht, doch geradezu bescheuert sein muss.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie schaffen hiermit einen weiteren Subventionstatbe-
stand, der dazu führt, dass die Menschen den Umweg über
die Arbeitslosigkeit suchen, um in die Selbstständigkeit
zu gehen. Das ist der falsche Ansatz.

Ein weiterer Grund dafür, dass aus diesem Hartz kein
Bernstein werden kann, ist die PSA, die Personal-Ser-
vice-Agentur. Die Personal-Service-Agentur soll nach
Ihrem Verständnis dafür sorgen, dass die Möglichkeiten
der Zeitarbeit intensiver genutzt werden. Sie wird aber der
Todesstoß für die privaten Zeitarbeitsfirmen sein,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr!)

jedenfalls der kleinen und mittleren, vielleicht nicht der
ganz großen. Die mittelständischen Zeitarbeitsbetriebe
können unter diesen Wettbewerbsbedingungen überhaupt
nicht mehr mithalten. Keine Chance!

Sie schaffen vor allem eines nicht: Sie schaffen die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht. „Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit“ heißt, dafür zu sorgen, dass Arbeits-
plätze geschaffen werden könnnen und Leute ohne Sub-
ventionen beschäftigt werden. „Bekämpfung der Arbeits-
losigkeit“ heißt aber nicht, 2 Millionen Arbeitslose beim


(A)



(B)



(C)



(D)


410


(A)



(B)



(C)



(D)






Staat anzustellen, um sie aus der Statistik zu bekommen.
Nur das aber werden Sie mit Ihrer Personal-Service-
Agentur schaffen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie gehen den Weg auch nicht weit genug, was die
Strukturveränderung bei der Bundesanstalt für Arbeit
anbetrifft. Herr Clement hat gerade den Rechnungshofbe-
richt über die Qualifizierung angesprochen.


(Klaus Brandner [SPD]: Herr Niebel, der Wahlkampf ist zu Ende!)


Ein konsequenter Schritt wäre, sich über die Strukturen
Gedanken zu machen. Die Strukturen und zum Teil sogar
die handelnden Personen sind bei den Selbstverwaltungs-
organen der Bundesanstalt und den Führungsetagen der
größten Bildungsträger in der Bundesrepublik Deutsch-
land deckungsgleich. Es ist schon hochinteressant festzu-
stellen, wer diese Bildungsträger sind. Das bfw des DGB
auf der einen Seite und die Bildungswerke der Wirtschaft
in den jeweiligen Ländern auf der anderen Seite sind die
Hauptträger der beruflichen Qualifizierung in diesem
Land. Das sind auch die gleichen, die sich in den Verwal-
tungsstrukturen der Bundesanstalt wiederfinden.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Deshalb tun die sich dort auch nichts!)


Vielleicht wäre es hilfreich, wenn man hier zu mehr
Wettbewerb und zu mehr Entzerrung käme, wenn die
Bundesanstalt für Arbeit in eine Versicherungsanstalt um-
gewandelt würde und wenn die arbeitsmarktpolitischen
Instrumentarien, zum Beispiel auch das Gutscheinsystem,
wie Sie es vorschlagen, interessanter gestaltet würden für
diejenigen, die sie nutzen sollen, nämlich die Arbeitssu-
chenden. Aber gestalten Sie das Gutscheinsystem bitte so,
dass es auch funktioniert und nicht so wie bei den Ver-
mittlungsgutscheinen! Dass die Vermittlungsgutscheine
jetzt floppen – es sind gerade einmal 7 000 wirklich ver-
mittelte Bewerberinnen und Bewerber –, liegt nicht daran,
dass Gutscheine die falsche Idee sind, sondern daran, dass
Sie die Gutscheine nicht marktgerecht ausgestaltet haben,
dass Sie die Qualifikationen der Bewerberinnen und Be-
werber nicht berücksichtigt haben und dass Sie darauf
verzichtet haben, einen wirklichen Wettbewerb dadurch
einzuführen, dass man die Gutscheine auch beim staat-
lichen Vermittler einreichen kann, der sich dann natürlich
durch den Erfolg refinanzieren müsste.

Deswegen gilt: 1 : 1 ist das mit Sicherheit nicht. Es ist
1 : 0 für Engelen-Kefer. Wir warten mit großem Interesse
ab, wie die Beratungen vorangehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500804100

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Singhammer,

CDU/CSU-Fraktion.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1500804200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Sechs Wochen nach der Bundestagswahl wach-
sen der rot-grünen Bundesregierung die wirtschaftspoliti-
schen Probleme buchstäblich über den Kopf. Die Sozial-
versicherungssysteme entgleiten Ihnen. Man muss sich
nur die heute veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen an-
schauen. Inzwischen gibt es neue Höchststände bei der
Arbeitslosigkeit im Fünfjahresrhythmus.


(Lachen bei der SPD)

Die Menschen in Deutschland weichen in Schwarzarbeit
aus oder verfallen in Depression.

Herr Minister, in dieser Situation preist Ihre Regierung
dasHartz-Konzept als letzten Rettungsanker und als poli-
tisches Allheilmittel an. Die Finanzlöcher von Herrn Eichel
sollen damit saniert, die Rentenversicherung und das Ge-
sundheitssystem vor der Pleite bewahrt, die Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung gesenkt, das Wirtschaftswachs-
tum angekurbelt und für die Kommunen eine neue, nicht
versiegende Geldquelle zum Sprudeln gebracht werden.
Aber das Hartz-Konzept ist keine Wunderdroge, kein Anti-
depressivum gegen die miese Stimmung in unserem Land;
denn alle Vorschläge der Hartz-Kommission sorgen nur für
eine Umverteilung der Arbeitslosigkeit und schaffen kei-
nen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Kernauftrag der Hartz-Kommission war ja schließ-
lich, die Vermittlung von Arbeitslosen zu verbessern und
dadurch auch Kosten sparen zu helfen. Aber selbst wenn
Ihnen das optimal gelingen würde, wenn Sie einen Ver-
mittlungsturbo zünden würden und jedem Arbeitslosen
versprechen könnten, innerhalb von 24 Stunden erfolg-
reich vermittelt zu werden, nutzt das alles nichts, wenn die
Arbeitsplätze fehlen. Das Modell, das Sie uns heute prä-
sentiert haben, entspricht im Wesentlichen einem riesigen
Drehtürmodell: Millionen von Arbeitslosen werden durch
Tausende von Bürokraten in ständiger Bewegung gehalten
werden. Sie werden aber keinen Einstieg in eine neue Be-
schäftigung finden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist der entscheidende Fehler in Ihrem Konzept.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Tätigkeit der jetzigen Bundesregierung steht unter

keinem guten Stern; denn der größte Wahlbetrug in der
Geschichte der Bundesrepublik hängt wie ein großer
Schatten über Ihnen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es! Wie ein Damoklesschwert!)


Dieser wird sich auch nicht vertreiben lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Beim Hartz-Konzept setzen Sie Ihre Unseriosität fort.
Der Kanzler selbst hat noch am 20. Oktober dieses Jah-
res – das ist eine seiner vielen Äußerungen – auf dem
SPD-Parteitag verkündet, dass das Hartz-Konzept 1 : 1

Dirk Niebel




Johannes Singhammer
umgesetzt werde. Das sei festgeschrieben. Wer daran
zweifle, bekomme es mit ihm zu tun. Natürlich wird es
nicht 1 : 1, sondern nur bruchstückhaft umgesetzt werden.
Wie negativ das selbst von denen bewertet wird, die ihre
Arbeitskraft bei der Erarbeitung des Hartz-Konzeptes ein-
gebracht haben, können Sie heute in den Zeitungen nach-
lesen. Der Generalsekretär des ZDH, Herr Schleyer,
spricht von Vertrauensbruch. Tatsache ist, dass die jetzige
Bundesregierung die Mitglieder der Hartz-Kommission
getäuscht und missbraucht hat. Das kommt jetzt heraus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Lesen!)


Ich möchte Ihnen als Beispiel die hier schon öfter auf-
geführten Personal-Service-Agenturen nennen. Ur-
sprünglich war geplant, Zeitarbeitnehmer unterhalb star-
rer Tariflöhne zu entlohnen und sie so für Arbeitgeber
attraktiv zu machen. Doch jetzt soll das nicht mehr mög-
lich sein. Das betriebsübliche Arbeitsentgelt und die
festen Tarifverträge sollen – zunächst nur mit wenigen
Ausnahmen – für alle gelten. Damit wird klar, wie das Er-
gebnis aussehen wird: Außen steht als Etikett Personal-
Service-Agentur, PSA, drauf. Innen ist aber nichts ande-
res als die uralte AB-Maßnahme drin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die erfolgreiche Tätigkeit der Zeitarbeitsfirmen – Herr
Kollege Niebel, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen –
wird dadurch massiv erschwert; denn wenn die PSA-Zeit-
arbeitnehmer subventioniert und privilegiert werden, die
mittelständischen Firmen aber bestraft werden, dann führt
das natürlich dazu, dass besonders bei diesen Firmen
Arbeitsplätze frei werden, dass also das genaue Gegenteil
von dem eintritt, was Sie versprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hinzu kommt das so genannte Bridge-System. Sie

wählen ja bewusst einen englischen Ausdruck, um zu ver-
schleiern, was sich dahinter verbirgt. Mithilfe dieses
Brückensystems sollen arbeitslose Arbeitnehmer ab
55 Jahre ein so genanntes Brückengeld bis zum Eintritt in
die Rente erhalten. Tatsächlich wird damit aber eine neue
gefährliche Lawine der Frühverrentung in Gang gesetzt.
Der Bundeskanzler hat noch vor wenigen Tagen zu Recht
erklärt, man müsse langsam auf das gesetzliche Ren-
teneintrittsalter von 65 Jahren kommen und könne nicht
bei einem durchschnittlichen Renteneintrittsalter von un-
ter 60 Jahren verweilen. Vor diesem Hintergrund wird das
Brückensystem glatt zum Gegenteil führen.

Sie haben jetzt beklagt, dass die Rentenversicherungs-
beiträge auf 19,5 Prozent ansteigen und bald 20 Prozent
erreichen werden. Das Brückenmodell wird dazu beitra-
gen, dass die 20 Prozent noch sehr viel schneller erreicht
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei all diesen Maßnahmen sind Sie in einer Sache kon-

sequent: Die Schicksalszahlen der Nation, die Erfolgszif-
fern einer Bundesregierung – das sind die Arbeitslosen-
zahlen –, werden durch Ihre Maßnahmen frisiert. Mit
dem Brückensystem können Sie bis zu 500 000 Arbeits-
lose, eine halbe Million, aus der Statistik entfernen. Mit

den Personal-Service-Agenturen werden bis zu 780 000
Arbeitslose staatlich geparkt. Wenn Sie dann noch – wie
von Ihnen angekündigt – die internationale Statistik für
Arbeitslosigkeit, die ILO-Statistik, einführen, werden
weitere 1,2 Millionen Arbeitslose aus der Statistik ver-
schwinden.

Herr Bundesminister, Sie können so weitermachen, Sie
können uns auch in den nächsten Monaten vorrechnen,
dass es in Deutschland überhaupt keine Arbeitslosigkeit
gibt, Sie können sich selbst täuschen, aber die Menschen
in Deutschland niemals.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hinzu kommt die völlig ungeklärte und unseriöse

Finanzierung, mit der Sie diese Maßnahmen gestalten
wollen. Herr Wirtschaftsminister, Sie sagen, Sie wollen
und müssen 6 Milliarden Euro einsparen. Wie denn?
Glauben Sie denn wirklich, dass unter den jetzigen Be-
dingungen 500 000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Zeit-
arbeit entstehen können? Glauben Sie das ernsthaft?


(Wolfgang Clement, Bundesminister: Habe ich das gesagt?)


Wovon soll die Subventionierung der haushaltsnahen
500-Euro-Jobs der Ich-AGs bezahlt werden? Wie soll das
Bonussystem für einstellende Betriebe bezahlt werden?
Woraus wird die Einführung des JUMP-plus-Programms
finanziert? Wer zahlt denn allein in diesem Jahr das Defi-
zit der Bundesanstalt von 4,5 bis 4,8 Milliarden Euro, wie
es ihr Chef Gerster vor kurzem gemeldet hat?

Dazu passt es, dass Sie gleichzeitig ankündigen, das
Projekt Arbeitslosengeld II wolle man ebenso anpacken.


(Hubertus Heil [SPD]: Noch keinen vernünftigen Vorschlag habe ich von Ihnen gehört!)


Das kostet als Unterstützung für arbeitsfähige Sozialhil-
feempfänger ab 2004 im Rahmen des Hartz-Konzeptes
6 Milliarden Euro zusätzlich.

Meine Damen und Herren, das Gesamtbild zeigt, dass
die Finanzierung unseriös ist und Sie die selbst gesteck-
ten Ziele, vor allem Ihr Hauptziel, mehr Arbeitsplätze zu
schaffen, mit Ihren Plänen niemals erreichen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Als Opposition wird uns gelegentlich vorgeworfen:

Wo sind eure eigenen Vorstellungen? Wie sehen eure
Pläne aus?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben sie vorgelegt. Wir haben sie exakt ausgearbei-
tet und überzeugend formuliert. Sie sind in ihrer Konse-
quenz ein Segen für Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Mir kommen die Tränen!)


Unser Dreistufenprogramm würde als Konjunktur-
spritze wirken. Die erste Stufe: Minijobs bis zu 400 Euro
brutto gleich netto, das heißt ohne Abzüge.


(Hubertus Heil [SPD]: Unsozial und unfinanzierbar!)



(A)



(B)



(C)



(D)


412


(A)



(B)



(C)



(D)






Mehrere Hunderttausend Jobs würden allein im Einzel-
handel und im Bereich der Gastronomie gesichert werden.
Warum? Wenn ein Arbeitnehmer, der einen 400-Euro-
Minijob hat, sein Geld ohne irgendwelche Bürokratie
brutto gleich netto erhält, wird er es auch rasch für den
Konsum ausgeben. Das Geld würde dahin fließen, wo es
notwendig gebraucht wird, um Arbeitsplätze sicherer zu
machen, beispielsweise in den Einzelhandel.

Deshalb ist die Umsetzung der ersten Stufe, die wir ganz
schnell bewerkstelligen könnten, konsequenter, besser und
weiterführender als das, was Sie mit Ihrem 500-Euro-Pro-
gramm nur für den schwer abgrenzbaren Haushaltsbereich
vorschlagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es muss dann natürlich auch eine zweite Stufe geben;

Sie können nicht bei der ersten stehen bleiben. Denn Ar-
beit in regulären Beschäftigungsverhältnissen muss sich
wieder lohnen. Deshalb haben wir dieses Einschleifmo-
dell entwickelt. Das heißt, Arbeit in regulären Beschäfti-
gungsverhältnissen soll sich auch bei einem Betrag ab
400 Euro lohnen; es sollte nicht so sein, dass man erst ab
750 Euro mehr Geld netto in der Tasche hat. Deshalb ha-
ben wir die zweite Stufe dieses Modells entwickelt.
Zunächst wird der Sozialversicherungsbeitrag für den Ar-
beitnehmer bei 1 Prozent festgelegt. Das heißt, auch dann,
wenn jemand über 400 Euro verdient, bleibt ihm mehr in
der Tasche. Es macht wieder Freude zu arbeiten; es lohnt
sich wieder. Damit wird der Leistungsanreiz, den wir
dringend brauchen, entsprechend verstärkt.

In der dritten Stufe geht es dann um mehr Anreize zur
Arbeitsaufnahme.

Verehrte Kollegen von der Regierung, es ist Ihnen von
unserer Seite, gerade auch vom Kollegen Laumann, die
ernsthafte Mitarbeit angeboten worden. Uns liegt Deutsch-
land am Herzen. Wir werden uns nicht verweigern. Sie
werden mit diesem Konzept, wenn Sie es unverändert ver-
wirklichen, Deutschland nicht voranbringen, sondern wei-
ter in den Abgrund führen. Dabei werden wir nicht mit-
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500804300

Das Wort hat die Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion.


Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1500804400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vor der Bundestagswahl haben wir den Men-
schen in diesem Land versprochen, die Vorschläge der
Hartz-Kommission vollständig und zügig umzusetzen.


(Dirk Niebel [FDP]: Warum machen Sie es denn nicht?)


Heute, nur sieben Wochen später, lösen wir dieses Ver-
sprechen ein. Ich verstehe, dass sich die Opposition da-
rüber ärgert.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Nein!)


Aber es geht nicht um die Befindlichkeit der Opposition;
es geht um das Schicksal der Menschen in unserem Land.
Darum kümmern wir uns.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist fast eine Androhung, wenn Sie sich kümmern wollen!)


Durch die konsequente Durchsetzung des Prinzips
„Fördern und Fordern“ im Arbeitsmarkt geben wir der
Arbeitsvermittlung eine neue Dynamik, eine Dynamik,
Herr Laumann,


(Rainer Brüderle [FDP]: Eine rote Dynamik!)

die den Arbeitslosen und der Wirtschaft gleichermaßen
nutzen wird. Das haben Sie eingeklagt und das tun wir, in-
dem wir diesen Gedanken des Förderns und Forderns in
den Gesetzentwurf aufgenommen haben.


(Beifall bei der SPD)

Mit unserem Gesetzesvorschlag schaffen wir eine bes-

sere Verzahnung von Wirtschafts- und Arbeitsmarktpoli-
tik. Wir denken nämlich tatsächlich im Ganzen; auch Frau
Wöhrl könnte das beherzigen. Von dieser Arbeitsmarkt-
politik profitieren die Arbeitslosen und die Wirtschaft.
Das ist dadurch möglich, dass wir mehr Flexibilität in
den Arbeitsmarkt hineinbringen. Das mag der FDP zu we-
nig sein, aber es ist uns genug. Wir wollen die Menschen
nämlich auch sozial absichern, weil wir wissen, dass Frei-
heit nur durch soziale Sicherheit möglich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Erst schaffen Sie die Eigenheimzulage ab, dann werden die Bauarbeiter arbeitslos und dann kommen sie in die Zeitarbeit! Das ist Ihr Ansatz!)


– Herr Laumann, ich werde noch auf Sie zurückkommen.
Ich nenne hier nur wenige Punkte. Erstens: die schnel-

lere und passgenaue Vermittlung in Arbeit. Wir sorgen
dafür, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
unverzüglich mit dem Aussprechen der Kündigung beim
Arbeitsamt melden, das heißt in einen Vermittlungspro-
zess eintreten.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: In Ordnung!)


Das bedeutet eine schnellere Geschwindigkeit für diesen
Prozess. Das heißt natürlich auch – das ist wichtig –: Die
Betroffenen tragen Verantwortung dafür, dass sie sich so-
fort im Anschluss an die Kündigung melden. Wir erwar-
ten vonseiten der Betroffenen Eigeninitiative und Ver-
bindlichkeit.

Zweitens. Wir werden die Zeitarbeit aufwerten.

(Dirk Niebel [FDP]: Sie versetzen ihr den Todesstoß! Das ist der Nebeneffekt von Frau Engelen-Kefer!)


Auch hier habe ich den Eindruck: Das passt Ihnen ir-
gendwie nicht, weil Sie das eigentlich nicht wollen, ob-
wohl doch klar ist, dass wir in Deutschland noch ein

Johannes Singhammer




Karin Roth (Esslingen)

großes Potenzial in diesem Bereich haben und diese Bran-
che weiter entwickeln können.


(Dirk Niebel [FDP]: Ja, aber doch nicht so! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Diese Rede hätten Sie vor zehn Jahren halten sollen!)


Die Zahl der Zeitarbeiter betrug im vergangenen Jahr
360 000. Die Zahl der Arbeitnehmer in diesem Bereich ist
in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht worden.
Aber im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ha-
ben wir hier noch ein großes Wachstumspotenzial.


(Dirk Niebel [FDP]: Jetzt schaffen Sie es ab! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das brauchen Sie uns nicht zu erzählen!)


Aber die Frage ist: Wie erreichen wir dieses Wachstums-
potenzial? Wir erreichen es nur, wenn wir die Zeitarbeit,
wie es Minister Clement gesagt hat, aus der Schmuddel-
ecke herausholen, indem wir in diesem Bereich reguläre
Arbeitsplätze schaffen. Dann können wir mit diesen Zeit-
arbeitsverhältnissen auch offensiver arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber die Unternehmen müssen sich die Zeitarbeit auch leisten können! Sonst wird das nichts, Frau Roth!)

Mit den neuen Bestimmungen holen wir die Zeitarbeit

aus dem Abseits und platzieren sie im Arbeitsmarkt.

(Dirk Niebel [FDP]: Sie können das ja nicht wissen, aber wir haben das als FDP-Fraktion im Bundestag vor der Wahl beantragt und Sie haben das abgelehnt!)


Wichtige Voraussetzung dafür ist, dass für diesen Sektor
verbindliche soziale Standards entwickelt und faire Be-
dingungen hergestellt werden, um die Akzeptanz dieses
Sektors zu erreichen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist
für uns eine wesentliche Devise. Diesen Grundsatz haben
wir im Gesetz verankert. Das machen uns die europä-
ischen Nachbarn vor.

Herr Laumann, ich komme jetzt auf Sie zu sprechen.
Sie haben sich eben im Zusammenhang mit den Minijobs
zum Wächter der kleinen Leute aufgespielt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ja!)

Gleichzeitig haben Sie aber mit Blick auf den Bereich der
Zeitarbeit gesagt, wir bräuchten einen Billiglohnsektor.
Das ist eine Doppelmoral. Die Menschen in diesem Land
werden erkennen, dass Sie auf zwei verschiedenen Ebe-
nen argumentieren. Sie werden nicht akzeptieren, dass Sie
behaupten, wir würden bei den Minijobs deregulieren und
bei den Personal-Service-Agenturen nicht. Wir sind stolz
darauf, dass wir eine Regelung getroffen haben, die Flexi-
bilität schafft. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Mit uns wird
es keine Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse geben.
Dafür garantieren wir.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wenn Sie es garantieren, ist es morgen zu Ende! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die Halbwertzeit der Versprechungen wird immer kürzer!)


Mit der flächendeckenden Einrichtung der Personal-
Service-Agenturen, dem Herzstück der Hartz-Kommis-
sion, wird die Vermittlung beschleunigt. Gleichzeitig
bauen wir eine neue Brücke in den Arbeitsmarkt; denn
jeder Vierte, der ein Zeitarbeitsverhältnis hat, wird früher
oder später von der Leiharbeitsfirma übernommen. Das
könnte beschleunigt und noch besser werden.


(Dirk Niebel [FDP]: Das war damals moderner Sklavenhandel!)


Mit dem Gesetzespaket zur Umsetzung der Hartz-Vor-
schläge werden wir den Arbeitsmarkt in Deutschland um-
gestalten und auf die Anforderungen der Zukunft vorbe-
reiten. Jetzt stellen Sie sich, meine Damen und Herren von
der Opposition, hierhin und sagen, das sei für die Kon-
junktur schädlich und werde überhaupt nichts bringen. Ich
sage Ihnen: Sie haben einfach keine Ahnung von ökono-
mischen Zusammenhängen. Ihnen fehlt einfach der Blick
fürs Ganze.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das nehmen Sie sofort zurück!)


Für die Bundesregierung ist und bleibt die Bekämp-
fung der Arbeitslosigkeit die zentrale Aufgabe. Die Ar-
beitsmarktpolitik der rot-grünen Bundesregierung akti-
viert alle, Arbeitslose und Arbeitgeber.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Selbstbewusstsein ist auch ein Bewusstsein!)


Wir erwarten, dass sich die Menschen, die Arbeit suchen
und die während der Zeit der Arbeitslosigkeit Lohn-
ersatzleistungen beziehen, aktiv an der Qualifizierung
und am Vermittlungsprozess beteiligen. Wir erwarten von
allen, an der Umsetzung mitzuhelfen.

Sie sehen, die Bundesregierung ist bereit und ent-
schlossen, tatkräftig voranzugehen. Allein kann es die
Bundesregierung allerdings nicht packen. Wir brauchen
eine große gemeinsame Kraftanstrengung. Peter Hartz
würde es so formulieren: Jetzt sind die Profis der Nation
aufgefordert, zu zeigen, was sie können. Die Arbeitgeber
können zeigen, wo und in welchen Branchen die so oft
genannten 1,5Millionen Arbeitsplätze sind, und diese den
Arbeitsämtern melden. Sie können die im Bündnis für Ar-
beit gegebene Zusage, die etwa 1,9 Milliarden Überstun-
den abzubauen, endlich einlösen; sie könnten dies den
Personal-Service-Agenturen melden und diese in An-
spruch nehmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Woher wissen Sie das, Frau Roth?)


Von den Gewerkschaften erwarte ich Unterstützung
beim Ausbau der Zeitarbeit. Die Arbeitsverwaltung muss
ihre Neuorganisation auch weiterhin vorantreiben, um
kundenfreundlicher zu sein. Sie muss effizienter und in-
novativer werden.

Was erwarte ich von der Opposition? Von Ihnen er-
warte ich, dass Sie aus Ihren parteitaktischen Schützen-
gräben herauskommen und bei der Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit Verantwortung übernehmen. Aber nach
dem, was ich heute zum ersten Mal gehört habe, habe ich


(A)



(B)



(C)



(D)


414


(A)



(B)



(C)



(D)






im Moment große Zweifel. Ihr ständiges Lamentieren
über den radikalen Abbau von Arbeitnehmerrechten und
über Deregulierung um jeden Preis, Herr Laumann, ist
kein Allheilmittel.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das habe ich doch gar nicht vorgeschlagen!)


Ich fordere Sie einfach auf: Meckern und mosern Sie
nicht! Machen Sie mit! Verstehen Sie sich endlich als
Profi der Nation und machen Sie mit, damit in Deutsch-
land endlich mehr Arbeitsplätze entstehen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500804500

Frau Kollegin Roth, ich gratuliere Ihnen im Namen des

ganzen Hauses sehr herzlich zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen für Ihre politi-
sche Zukunft alles Gute.


(Beifall)

Nächster Redner in der Debatte ist Robert Hochbaum,

CDU/CSU-Fraktion.


Robert Hochbaum (CDU):
Rede ID: ID1500804600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Da mich außer Herrn Schwanitz nicht viele von
der SPD-Fraktion kennen, stelle ich mich kurz vor: Ich
komme aus Sachsen, genau genommen aus dem Vogt-
land.


(Hubertus Heil [SPD]: Herzlichen Glückwunsch!)


– Danke schön.
Meinen Wählerinnen und Wählern, den Bürgerinnen

und Bürgern dort habe ich versprochen, dass ich mich in
diesem Hohen Hause ganz besonders für die Probleme
des Ostens einsetzen werde.


(Beifall im ganzen Hause)

– Klatschen Sie nicht zu früh! – Darum freue ich mich
ganz besonders darüber, dass ich schon heute, nachdem
ich Ihre Gesetzesvorlagen lesen durfte, die Gelegenheit
dazu bekomme.

Seit vorgestern liegt das Machwerk also vor. Die bei-
den Gesetzentwürfe für moderne Dienstleistungen am Ar-
beitsmarkt wurden, wie ich gehört habe, ohne Rücksicht
auf Verluste in wenigen Tagen und Nächten durchge-
peitscht. Ich spreche dabei nicht von den Verlusten an Per-
sonal, sondern von den Verlusten an Substanz; die fehlt in
Ihren Gesetzesvorlagen nämlich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie haben so nett begonnen!)


Vielleicht hätten Sie sich ein paar Tage mehr Zeit nehmen
sollen; denn Schnellschüsse waren noch nie der Garant

für Qualität. Das sieht man auch bei diesen Gesetzent-
würfen.


(Hubertus Heil [SPD]: Zeit zum Handeln! – Klaus Brandner [SPD]: Sie dürfen ruhig die Hände aus der Hosentasche nehmen!)


– Das tue ich gerne; extra für Sie.

(Ute Kumpf [SPD]: Das sieht besser aus!)


Meine Damen und Herren von der SPD und den Grü-
nen, wenn man sich die Gesetzesvorlagen aufmerksam
durchliest, wird man wieder das feststellen, was bereits in
den letzten vier Jahren festzustellen war: Der Osten fin-
det nicht statt.


(Klaus Brandner [SPD]: Nur der Süden, der Westen und der Norden! – Ute Kumpf [SPD]: Das ist kein echter Sachse!)


Sie haben ihn wie immer schlichtweg vergessen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann nur sagen: Da Sie dem Osten schon seit vier Jah-
ren den Rücken zukehren, sollten Sie ihn wenigstens
huckepack nehmen und mittragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In welcher Welt leben Sie eigentlich?


(Doris Barnett [SPD]: Kommen Sie mal zum Thema!)


– Ost und West ist das Thema. – Haben Sie noch nicht ge-
merkt, dass es in Deutschland zwei vollkommen unter-
schiedliche Arbeitsmärkte und zwei vollkommen unter-
schiedliche Wirtschaftsstrukturen gibt? Das haben Sie
anscheinend nicht gemerkt; denn das kann man in Ihren
Gesetzentwürfen nicht wiederfinden.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie reden verdächtig schwäbisch!)


– Ganz besonders freut es mich heute, dass mir bei mei-
ner ersten Rede gerade auch von der Koalition so viel Auf-
merksamkeit und Wachheit geschenkt wird. Danke schön,
meine Damen und Herren.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir sind eine Welt!)


Sie haben den Osten doch schon immer vergessen. Wie
war es denn beim letzten Mal nach Ihrer Regierungsüber-
nahme?


(Klaus Brandner [SPD]: Da waren wir sehr schnell! Das wissen Sie!)


Damals, Sie waren kaum an der Regierung, haben Sie die
einzige Förderung der Ostwirtschaft, die LKZOfW, um
die Hälfte gekürzt. Das Ergebnis war, dass dieses sehr
sinnvolle Instrument für den Osten ziemlich weit nach un-
ten gefahren wurde und heute kaum mehr wahrgenommen
wird. Das war vor vier Jahren Ihre Arbeit. So haben Sie
sich um den Osten gekümmert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Das sind die blühenden Landschaften, von denen Sie sprechen!)


Karin Roth (Esslingen)





Robert Hochbaum

Ich kann mich auch noch ganz gut daran erinnern, dass
hier im Hohen Hause irgendjemand davon gesprochen
hat, der Osten stehe auf der Kippe. Meine Damen und
Herren von der Regierung, von der SPD und von den Grü-
nen, ich kann Sie beruhigen: Nach den ersten vier Jahren,
die Sie an der Regierung sind, steht der Osten nicht mehr
auf der Kippe – er befindet sich im freien Fall nach unten.
Das haben Sie in den vier Jahren geschafft.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie Wahrnehmungsprobleme? – Ute Kumpf [SPD]: Schwäbischer Sachse!)


Bleiben wir ganz kurz bei Ihren arbeitsmarktpoli-
tischen „Glanzleistungen“. In der Einführung zu Ihren
Gesetzentwürfen erläutern Sie, dass die Rahmenbedin-
gungen für mehr Wachstum und Beschäftigung unter an-
derem durch das Job-AQTIV-Gesetz nachhaltig verbes-
sert worden seien. Als Beweis – das steht in Ihrer jetzigen
Konzeption; lesen Sie das einmal nach – geben Sie die
Steigerung der Erwerbstätigenzahl an. Dabei haben Sie
den Trick angewandt, dass Sie über Nacht ein paar ge-
ringfügig Beschäftigte in die Statistik der Sozialversiche-
rung aufgenommen haben.


(Hubertus Heil [SPD]: Sie kriegen alles durcheinander! Sie waren nicht dabei!)


Damals war zumindest im Bereich der sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigten plötzlich ein Zuwachs zu verzeich-
nen. Aber Sie haben Recht: Die Zahl der Erwerbstätigen von
1998 bis zum Jahr 2001 ist in Deutschland gestiegen.


(Hubertus Heil [SPD]: Ist das nicht gut?)

Schauen Sie sich diese Zahlen einmal genau an. Es gibt

Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Im
Westen hat dieses Spielchen funktioniert. In diesen Jahren
war eine Steigerung zu vermerken. Aber im Osten stand
dem ein stetiger Rückgang entgegen. Mir kommt es so vor,
als ob Sie auf einem Auge, nämlich dem Ostauge, nicht so
richtig sehen können; sonst hätten Sie das festgestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rainer Wend [SPD]: Wo ist denn Ihr Ostauge? – Hubertus Heil [SPD]: Sie schauen mit dem Hühnerauge!)


Etwas versöhnlicher, aber keinesfalls beruhigend ist
für mich, dass Sie es dieses Jahr geschafft haben, dass
beide Zahlen ins Negative tendieren. Dazu kann ich Ihnen
nur gratulieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Robert Hochbaum, der große Ostfreund!)


Glauben Sie allen Ernstes an die Mär, die Masse un-
serer ostdeutschen Arbeitslosen sei arbeitsunwillig? So
kommt es mir nämlich vor, wenn ich den Gesetzestext
lese. Darin ist nämlich sehr viel von Mobilität die Rede.
Das heißt für mich Abwanderung. Hat es Ihnen noch nicht
genügt, dass Sie Jugendlichen im Osten „Abwanderungs-
prämien“ gezahlt haben? Sind denn nicht schon genug
gegangen?


(Hubertus Heil [SPD]: In Sachsen erfunden worden! – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Finden Sie Mobilität gut oder schlecht?)


– Sie ist dann schlecht, wenn sie dazu führt, dass der Osten
ausblutet, meine Dame. Das ist nicht in Ordnung, liebe
Kollegin.

Leider glänzt der Bundeskanzler gerade durch Abwe-
senheit. Aber ich wäre ja schon froh, wenn zum Beispiel
der „Ostminister“ anwesend wäre.


(Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin: Ich bin da!)


– Entschuldigung, es ist also ein Vertreter des Hauses da.

(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das heißt Frau Staatssekretärin!)

Aber der Minister ist nicht in persona anwesend, um sich
einmal um Wirtschaft und Arbeit zu kümmern.

Weil so viel von Mobilität gesprochen wird, hätte ich
dem Bundeskanzler geraten, er solle sich einmal Sonn-
tagabend oder Montagmorgen auf eine der Autobahn-
brücken bei Hof stellen. Dann würde er sehen, wo sein
Volk hinfährt. Es fährt nämlich Woche für Woche Rich-
tung Westen, ein Auto hinter dem anderen, eine nicht en-
den wollende Schlange. So sieht das aus. Nach Ihrem Ge-
setzentwurf sollen es noch mehr werden. Dann müssen
Sie erst einmal eine zweite Autobahn bauen, damit das
Ganze Richtung Westen besser abfließt.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das wird teuer! – Hubertus Heil [SPD]: Sind wir jetzt beim Bundesverkehrswegeplan?)


– Nein, ich rede darüber, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf
auf Themen wie Mobilität eingehen.

Kommen wir zu weiteren Bestandteilen Ihrer Geset-
zesvorlagen.


(Hubertus Heil [SPD]: Das Niveau sinkt und Sie sinken mit!)


Darin gibt es etliche Aussagen zum Thema Vollzugsauf-
wand.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist die Abteilung Ost!)


– Sie müssen jetzt gut zuhören. – Vollzugsaufwand ist die
Umschreibung für Bürokratie und Verwaltung. Einige
Aussagen kommen mir bekannt vor. Sie erinnern an Ihr
berühmtes Job-AQTIV-Gesetz.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das ist wieder etwas anderes!)


Auch damals haben Sie zugegeben, dass ein erhöhter
Vollzugsaufwand, sprich Bürokratie und Verwaltung, auf
die Behörden zukommt, Sie dies aber durch einen deut-
lichen Abbau der Arbeitslosigkeit kompensieren wollen.
Wo ist denn dieser deutliche Abbau von Arbeitslosigkeit?
Schauen Sie sich die heutigen Zahlen an. Was heißt denn
das? Bürokratie ist geblieben, mehr Verwaltung ist hinzu-
gekommen und die Arbeitslosenzahlen sind unverändert.
Das ist das Ergebnis Ihres Job-AQTIV-Programmes.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dasselbe steht auch heute im Gesetzentwurf. Sie haben

also nichts dazugelernt. Es könnte natürlich auch sein,
dass Sie einen Teil aus dem alten Gesetz schlichtweg ab-


(A)



(B)



(C)



(D)


416


(A)



(B)



(C)



(D)






geschrieben haben. Ich kann dazu nur sagen: Öfter mal et-
was Neues!

Lassen Sie mich kurz die grandiosen Einsparideen zum
Thema Vollzugsaufwand ansprechen: Wegfall der Hinter-
legung der Sozialversicherungsausweise, Anpassung des
Arbeitslosengeldes – die wieder insbesondere die Bürger
im Osten treffen wird –, Verzicht der Prüfung auf Eigen-
leistungsfähigkeit und die „tolle“ Pauschalisierung der
Übergangsbeihilfe von bisher 80 Prozent des Nettoein-
kommens auf 1 000 Euro. Jedem Insider ist bekannt, dass
diese Tätigkeiten nur einen relativ kleinen Teil der ver-
waltungstechnischen Belastung in der Vermittlung aus-
machen, sodass diese durch die von Ihnen vorgesehenen
Maßnahmen kaum entlastet wird. Vielmehr ergibt sich
durch die Vielzahl der Neuerungen ein zusätzlicher Ver-
waltungsaufwand, der zu einer Zunahme der Bürokratie,
aber nicht zu einer Zunahme bei den Vermittlungen führen
wird.

Meine Damen und Herren von der Koalition, ich habe
mir fest vorgenommen, mit meiner Redezeit auszukom-
men. Deswegen möchte ich nur kurz die Einleitung Ihrer
Gesetzentwürfe ansprechen, in der festgestellt wird, dass
die Herstellung einer neuen Ordnung auf dem Arbeits-
markt nur gelingen kann, wenn neue Wege und Lösungs-
ansätze verfolgt werden. – Das hört sich nicht schlecht an.


(Klaus Brandner [SPD]: Es ist auch gut!)

Ich kann Ihnen aber eines garantieren – wir können in ein
oder zwei Jahren wieder über das Thema sprechen –: Die
von Ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe werden den Pro-
blemen der unterschiedlichen Arbeitsmärkte, vor allem
den Problemen im Osten, genauso wenig gerecht wie das
gefloppte Job-AQTIV-Gesetz und sie werden diese Pro-
bleme nicht beseitigen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500804700

Herr Kollege Hochbaum, ich gratuliere Ihnen ebenfalls

im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen viel Durchset-
zungskraft für Ihre politischen Ziele.


(Beifall)

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Dr. Gesine Lötzsch, fraktionslos.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500804800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die

Zuschauerinnen und Zuschauer möchte ich vorweg-
schicken: Ich bin Abgeordnete der PDS. – Gegen Kom-
missionen ist eigentlich nichts einzuwenden, wenn nicht,
wie in diesem Fall, der Eindruck entstehen würde, dass
die Kommissionen den Bundestag ersetzen sollen. An-
ders ist das Verfahren nicht zu verstehen: Wir bekommen
einen Tag vor der ersten Beratung dicke Gesetzespakete
auf den Tisch gelegt. Ich möchte bezweifeln, liebe Vor-
rednerinnen und Vorredner, dass jeder Gelegenheit hatte,
die Gesetzentwürfe im Detail zu studieren.

Diese Regierung hat hektisch die Koalitionsvereinba-
rung erarbeitet und schon wieder nachbessern müssen.
Jetzt versuchen die Regierungsfraktionen, diese unpro-
duktive Hektik in den Bundestag zu tragen. Herr Minister
Clement hat zwar mehrmals davon gesprochen, dass das
in aller Ruhe diskutiert werden solle; aber das Verfahren
zeugt keineswegs von Ruhe. Wenn die Rolle des Parla-
ments nur noch auf die Abstimmung von Kommissions-
berichten reduziert werden soll, dann ist wahrscheinlich
unsere zweiköpfige PDS-Gruppe für die Bundesregierung
in Zukunft die Wunschgröße für alle Fraktionen.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Das würde zwar den Steuerzahlern viel Geld ersparen;
aber ich hoffe, dass das nicht dem Selbstverständnis der
vom Volk gewählten Abgeordneten entspricht.

Meine Damen und Herren, das Hartz-Konzept hat
mehrere schwere Geburtsfehler. Alle sollen sich mehr be-
wegen; alle sollen auf der Suche nach Arbeitsplätzen mo-
biler werden. Bloß geht aus dem Konzept nicht hervor, wo
die Arbeitsplätze herkommen sollen. Das Gesetz sieht
vor, dass die, die bei der Jagd auf einen Arbeitsplatz auf
der Strecke bleiben, mit Leistungskürzungen rechnen
müssen. Insbesondere die Verbindung von Sozial- und
Arbeitslosenhilfe ist mit deutlichen Leistungsver-
schlechterungen verbunden.

In der Koalitionsvereinbarung werden die 1,7 Millio-
nen Arbeitslosenhilfeempfänger schon auf den neuen
Kurs eingestimmt. Ich darf mit Genehmigung der Präsi-
dentin aus der Koalitionsvereinbarung zitieren:

In einem ersten Schritt zur Umsetzung des Hartz-
Konzepts für die Zusammenführung von Arbeits-
losenhilfe und Sozialhilfe werden wir

– also die Regierung –
bei den Leistungen der Arbeitslosenhilfe Einkom-
men und Vermögen stärker berücksichtigen.

Statt zum Beispiel durch die Kappung des Ehegattensplit-
tings oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer soll
ein Sparvolumen von 2,3 Milliarden Euro durch die Sen-
kung des Einkommens von arbeitslosen Ehegatten er-
bracht werden. Hier ist der Ost-Beauftragte der Bundes-
regierung, Herr Stolpe, der leider zurzeit nicht im Saal ist,
gefragt; denn fast die Hälfte der Arbeitslosenhilfeemp-
fänger lebt in Ostdeutschland. Das heißt also: Diese so-
zialen Kürzungen treffen in erster Linie die Menschen im
Osten.

Meine Damen und Herren, wer nicht so flink ist wie ein
Wiesel, hat persönlich Pech gehabt. Es wird der Eindruck
vermittelt, dass die Arbeitslosen schon Jobs bekommen
könnten, wenn sie nur wollten. Doch gerade in den Re-
gionen mit einer Arbeitslosigkeit von 20 Prozent und
mehr wird diese Strategie von den Menschen als zynisch
empfunden. Die Mobilmachung der Arbeitslosen und So-
zialhilfeempfänger ist besonders hart für allein erziehende
Mütter und Väter, für alte und für kranke Menschen. Was
soll denn mit denen geschehen, die beim besten Willen
nicht mehr fit zu machen sind? Fallen der Regierung da
wirklich nur Leistungskürzungen ein?

Zum zweiten Geburtsfehler, auf den mein Vorredner
ausführlich eingegangen ist: Das Hartz-Konzept hat den

Robert Hochbaum




Dr. Gesine Lötzsch
Osten bereits abgeschrieben. Höhere Mobilität heißt in
diesem Fall doch, dass vor allem junge Menschen, die im
Osten keine Arbeit finden, in den Westen gehen. Schon
jetzt klagen potenzielle Investoren, die sich in Ostdeutsch-
land niederlassen wollen, dass es in Ostdeutschland kaum
noch junge Fachkräfte gibt, weil sie schon ausgewandert
oder zwangsausgewandert sind.

Meine Damen und Herren, die Orientierung des Hartz-
Konzeptes auf den ersten Arbeitsmarkt ist ein dritter
schwerer Geburtsfehler. Gerade in Anbetracht der
Schwäche des ersten Arbeitsmarktes ist der zweite Ar-
beitsmarkt leider unverzichtbar. Die Verkürzung von Ar-
beitsbeschaffungsmaßnahmen würde wieder besonders
die strukturschwachen Regionen hart treffen. Man muss
einfach zur Kenntnis nehmen, dass ein großer Teil der so-
zialen Infrastruktur im Osten über AB-Maßnahmen fi-
nanziert wird. Viele Jugendprojekte basieren auf dem
zweiten Arbeitsmarkt. Es ist einfach so, dass diese Berei-
che keinen Profit abwerfen. Sie sind für den ersten Ar-
beitsmarkt deshalb uninteressant.

Meine Damen und Herren, das Hartz-Konzept hat eine
horizontale und eine vertikale Schieflage. Es trifft beson-
ders die Menschen, die schon arm sind und die durch das
Konzept noch ärmer werden, und es ist ein Konzept, das
den Osten nicht aus der Krise führt, sondern die Probleme
noch verschärft, anstatt sie zu lösen. Das kann nicht der
richtige Weg sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500804900

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstim-

mung über die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e. Inter-
fraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 15/25, 15/26, 15/23, 15/24 und 15/32 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wie mir von den Fraktionen mitgeteilt wurde, soll die
Sitzung jetzt für circa eine Stunde unterbrochen werden.
Der Wiederbeginn wird rechtzeitig durch Klingelsignal
angekündigt.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 12.38 bis 13.46 Uhr)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500805000

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Erhöhung derAnzahl von Ausschussmitgliedern
– Drucksache 15/22 –

Zur Information: Es handelt sich um den Haushalts-
ausschuss. Es soll einvernehmlich je ein weiteres Mitglied
vonseiten der SPD und der CDU/CSU gestellt werden.

Da keine Aussprache vorgesehen ist, kommen wir
gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der An-
trag einstimmig angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zur Eigenheim-
zulage

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Joachim
Günther, FDP-Fraktion.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1500805100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die FDP-Fraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt,
weil aufgrund der Ankündigungen der Regierungskoali-
tion in Bezug auf die Eigenheimzulage und damit auch in
Bezug auf den ganzen Baubereich und sein Umfeld dra-
matische Entwicklungen hervorgerufen wurden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Betriebe stehen Kopf und demonstrieren. Zukunftspla-
nungen von Familien werden durcheinander gebracht.

Die rot-grüne Regierung scheint nach dem Grundsatz
„Was interessiert mich mein Gerede vor der Wahl?“ zu
handeln. Sie hat nicht nur im Wahlkampf im Prinzip die
Unwahrheit gesagt. Inzwischen wird auch jedes aufkom-
mende Fachthema neu ausgerichtet und zuungunsten der
Bürger gestaltet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben in Ihren plaudernden Koalitionsrunden Be-
schlüsse gefasst, über deren Auswirkungen Sie meines Er-
achtens gar nicht nachgedacht haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind verheerend für unsere Volkswirtschaft und für un-
sere Arbeitsplätze.

Die Giftliste Ihrer Streichungen zum Bereich Woh-
nungswirtschaft hört sich an wie die Liste von einem an-
deren Stern: Abschaffung der degressiven Gebäudeab-
schreibung, Zusammenstreichung der Eigenheimzulage,
Begrenzung des Verlustabzugs usw. Ganz nebenbei wird
die Anhebung des Steuersatzes auf Erdgas angekündigt,
damit auch endlich einmal die zur Kasse gebeten werden,
die sich gemäß Ihren Vorstellungen umweltgerecht mit
Energie versorgen wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zur Eigenheimzulage. Im Oktober 1995 wurde die Ei-

genheimzulage fraktionsübergreifend und mit großer Zu-
stimmung der SPD beschlossen. Ich will zwei Sätze zitie-
ren, die damals gefallen sind:


(A)



(B)



(C)



(D)


418


(A)



(B)



(C)



(D)






Heute erleben wir ein kleines Wunder: ... Die starke
Benachteiligung der Menschen in den neuen Bun-
desländern ist ab heute beendet; denn die einkom-
mensunabhängige Förderung wird dazu führen, dass
viele Menschen, die von Eigentum bisher nur träu-
men konnten, diesen Traum verwirklichen können.

Das sagte damals Achim Großmann, der jetzige Staats-
sekretär im Bauministerium.


(Zuruf von der FDP: Wo ist er denn?)

Aber jetzt verfliegen diese Träume wieder.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Kannst du das wiederholen?)


Heute wird die Einschränkung der Eigenheimzulage
von allen Seiten kritisiert. Vor dem Brandenburger Tor
findet zurzeit eine große Demonstration statt. Ich bin si-
cher, dass es nicht die letzte bleiben wird. Hier sieht man
eine nicht alltägliche Situation: Verbände und Gewerk-
schaften ziehen bei diesem Thema an einem Strang bzw.
gehen sogar in die gleiche Richtung. Alle haben erkannt,
dass dieser Einschnitt 200 000 Arbeitsplätze in der Bau-
wirtschaft und in den angrenzenden Bereichen – wenn
man den Demonstranten glauben darf, sind es sogar
400 000 – kosten wird.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionierte!)


Betroffen sind vor allem wieder die Klein- und Hand-
werksbetriebe. Aber die scheinen Sie ja noch nie interes-
siert zu haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Selbst die Grundrechenarten scheinen bei Ihnen keine

Rolle zu spielen.

(Rita Streb-Hesse [SPD]: Na, na, na!)


Laut Koalition sollen durch die Kürzung der Eigenheim-
zulage Einsparungen in Höhe von 210 Millionen im Jahre
2003 bis 2,27 Milliarden Euro im Jahre 2006 erfolgen.

Wenn diese Absichten zutreffen und umgesetzt wer-
den, dann sind nicht nur kinderlose Paare ungerechtfertigt
von der Förderung ausgeschlossen; diese Pläne sind viel-
mehr selbst für eine kinderorientierte Förderung nachtei-
lig. Denn viele Paare wollen erst Eigentum erwerben, be-
vor sie die zusätzliche Belastung durch ein Kind und
damit eventuell den Wegfall eines zweiten Einkommens
in Kauf nehmen wollen. Aber auch Familien trifft es hart.
Die vorgesehene Einschränkung bedeutet zum Beispiel,
dass eine Familie mit einem Kind statt bisher 3 320 Euro
pro Jahr nur noch eine Förderung von 1 200 Euro pro Jahr
für den Neubau eines Einfamilienhauses erhält.

Hans Eichel freut sich. Ob er sich noch freut, wenn er
die Steuerausfälle und das zusätzlich zu zahlende Ar-
beitslosengeld gegenrechnet, darüber bin ich mir nicht im
Klaren. Wenn man auf der Basis der Zahl der Baugeneh-
migungen für 2001 rechnet, kommt man auf rund 12 Mil-
liarden Euro, die der Staatskasse durch weniger Einnah-
men aus der Umsatzsteuer und der Grunderwerbsteuer
sowie durch zusätzliche Ausgaben aufgrund einer höhe-

ren Arbeitslosigkeit verloren gehen. In dieser Politik ist
keinerlei Logik mehr zu erkennen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wer mittelfristig eine negative Entwicklung im Woh-

nungsbereich herbeiführt, der wird eines Tages ein böses
Erwachen haben. Wir brauchen einen funktionierenden
Wohnungsmarkt, einen Wohnungsmarkt, in den weiter in-
vestiert wird, und zwar in den Neubau und vor allem auch
in den Bestand. Wenn in diesem Bereich Investoren ein-
mal verunsichert sind und Eigentümer aufgrund finanzi-
eller Rahmenbedingungen nicht mehr in die Werterhal-
tung der Gebäude investieren,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist genau der Punkt! Sehr wahr!)


dann kommen wir wieder zu der alten DDR-Methode:
Ruinen schaffen ohne Waffen! Dagegen werden wir uns
mit allen Mitteln wehren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: So sind die Sozialisten!)


Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie diese Kürzungspläne
umgehend zurück! Unsere Fraktion wird dazu einen An-
trag einbringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500805200

Nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staatssekre-

tärin Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1500805300


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen! Die Lage der öffentlichen Haushalte
lässt sich nur durch eine nachhaltige Haushaltskonsoli-
dierung verbessern.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Mehr Wirtschaftswachstum!)


Das ist nur mit einem umfassenden und durchgreifenden
Abbau von Subventionen erreichbar. Das gilt für Finanz-
hilfen und Steuervergünstigungen gleichermaßen. Ob der
Bund zu viel Geld ausgibt oder zu wenig Geld einnimmt,
beides muss in gleicher Weise betrachtet werden.

Ungerechtfertigte und ökonomisch fragwürdige Steu-
ersubventionen und Steuervergünstigungen müssen daher
gezielt abgebaut werden. Davon nehmen wir grundsätz-
lich keine Wirtschaftssektoren und Branchen und keine
sozioökonomischen Gruppen aus.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Unerhört! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sie gehen den falschen Weg!)


Darin liegt der erste und gegenwärtig vorrangige Grund
dafür, warum die Eigenheimzulage auf den Prüfstand zu
stellen ist.

Joachim Günther (Plauen)





Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

Dies wird erst recht deutlich, wenn wir uns vor Augen
führen, welche Beträge wir bisher für die Eigenheimför-
derung bereitgestellt haben. Seit dem Bestehen des Ei-
genheimzulagengesetzes belief sich in den Jahren von
1996 bis 2001 die Förderung auf rund 25,9 Milliarden
Euro. Diesen Betrag haben wir ausschließlich für die Ei-
genheimzulage aufgebracht. Noch auslaufende Altförde-
rungen nach § 10 e EstG oder davor § 7 b EstG sind darin
nicht enthalten. Allein im Jahr 2002 ist nach dem Ergeb-
nis der Steuerschätzung von Mai 2002 mit Ausgaben für
die Eigenheimzulage von rund 8 Milliarden Euro zu rech-
nen, während wir im Bundeshaushalt für die 20 größten
Finanzhilfen in diesem Jahr zusammen nur mit Ausgaben
von rund 7,8 Milliarden Euro zu rechnen haben.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Aber es war gut angelegtes Geld!)


Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, dass es sich bei der
Eigenheimzulage um die größte Subvention handelt, die
wir finanzieren.

Da die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat, er-
laube ich mir, aus dem FDP-Wahlprogramm zu zitieren.
Dort heißt es unter anderem:

Subventionen führen zur Fehlleitung von Ressour-
cen zulasten der Steuerzahler und Verbraucher...

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das war vor der Wahl! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir wollten aber die Steuern senken!)

Unvertretbar sind Dauersubventionen.

Bezieht man weitere Maßnahmen in die Betrachtung
ein, beispielsweise die degressive Abschreibung und die
direkte Förderung des sozialen Wohnungsbaus, erkennt
man deutlich, dass die Wohnungswirtschaft insgesamt der
größte Subventionsempfänger dieser Republik ist. Daran
ist nicht zu deuteln. Deswegen können wir die Woh-
nungswirtschaft nicht außen vor lassen. Wer ernsthaft
konsolidieren will, darf davor nicht Halt machen. Das
Sankt-Florians-Prinzip kann hier nicht angewandt wer-
den; dies zu fordern kann man sich nur in der Opposition
erlauben.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Lage des Woh-
nungsmarkts in Deutschland. Zwar hat die räumliche Dif-
ferenzierung des Wohnungsmarkts ein hohes Maß er-
reicht. Leerstände auf unterschiedlichen Teilmärkten,
verstärkt in Ostdeutschland, aber auch Wohnungsknapp-
heit in einzelnen Ballungsräumen kennzeichnen die Si-
tuation. Gleichwohl ist die Wohnungsversorgung in
Deutschland im statistischen Durchschnitt gut, gegenwär-
tig so gut wie nie zuvor. Überdies steigen die Bevölke-
rungszahlen nicht mehr. Von dieser Tatsache haben wir
uns auch bei der Schaffung des Altersvermögensgesetzes
und der Rentenreform leiten lassen.

Angesichts des erreichten Niveaus der Wohnungsver-
sorgung und der sich abzeichnenden Bevölkerungsent-
wicklung war es deshalb notwendig, zu prüfen, ob die
Wohneigentumsförderung wie bisher weitergeführt wer-

den soll oder ob eine Fokussierung auf einen engeren
Kreis von Begünstigten angezeigt ist. Dies ist der Fall.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu diesem Zweck haben wir gestern Abend mit Fach-
politikern des Bundes und der Länder die Förderkonditio-
nen in einer Arbeitsgruppe gemeinsam erörtert. Hierbei
haben wir insbesondere die Anregungen des niedersächsi-
schen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel aufgenommen.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah!)

Die Eigenheimzulage wird in Zukunft auf Alleinste-

hende mit Kindern bzw. Familien mit Kindern konzen-
triert. Es wird eine einheitliche Förderung bei Neubauten
und Bestandserwerb für einen Förderzeitraum von acht
Jahren geben. Zukünftig wird ein Familiengrundbetrag
von jährlich 1 000 Euro und eine Kinderzulage von jähr-
lich 800 Euro je haushaltszugehöriges Kind gewährt.


(Lachen bei der FDP – Renate Blank [CDU/ CSU]: Komplizierter geht es nicht mehr! Ein hoher bürokratischer Aufwand! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Familienfeindlich ist das! – Zuruf der Abg. Ina Lenke [FDP])


– Frau Lenke, regen Sie sich nicht auf! Wir haben dies in
unserer Koalitionsvereinbarung beschlossen und sind da-
bei, das entsprechende Gesetzgebungsverfahren vorzube-
reiten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Und Sie sind dabei, sich wieder zu überarbeiten!)


Selbstverständlich ist es möglich, im Gesetzgebungsver-
fahren innerhalb der gesteckten Grenzen die Vorschläge
neu auszutarieren. Das tun wir hier, ebenso wie an ande-
rer Stelle.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Förderung ist kinderbezogen gestaltet und beginnt,
soweit zum Zeitpunkt des Bezugs des Eigenheims noch
keine Kinder geboren sind, mit der Geburt des ersten Kin-
des. Dies gilt, wenn das erste Kind innerhalb von vier Jah-
ren nach Einzug in die Immobilie geboren wird.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Da freuen sich die Steuerberater!)


Weitere Kinder, die innerhalb des Förderzeitraums von
acht Jahren geboren werden, erhalten die Kinderzulage
wie bisher bis zum Ende des verbleibenden Förderzeit-
raums.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Abbau von Bürokratie!)


Die Einkunftsgrenze für den maßgeblichen Zweijah-
reszeitraum wird auf 70 000 Euro für Alleinerziehende
und 140 000 Euro für zusammenveranlagte Ehepaare ge-
senkt. Für jedes Kind erhöht sich diese Grenze für den
Zweijahreszeitraum um 20 000 Euro. Darüber hinaus
wird der Einkommensbegriff so modifiziert, dass künftig
die Summe der positiven Einkünfte berücksichtigt wird.
Dies verhindert Steuertricksereien, wie sie in der Vergan-


(A)



(B)



(C)



(D)


420


(A)



(B)



(C)



(D)






genheit der Fall waren. Soweit Anspruch auf die Förde-
rung besteht, bleibt auch die ökologische Zusatzförderung
in angepasster Form erhalten.

Ich möchte wegen der in den vergangenen Wochen ent-
standenen Unruhe auf Folgendes hinweisen:

In den Fällen, in denen bereits Eigenheimzulage ge-
währt wird, tritt durch die beabsichtigte neue Gesetzge-
bung keine Änderung ein. Wer die Förderung schon jetzt
aufgrund eines Zulagenbescheids erhält, dem bleibt sie
entsprechend dem geltenden Recht bis zum Ende des För-
derzeitraums erhalten. Dies ist eigentlich selbstverständ-
lich.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja eben!)

Da es gleichwohl Beunruhigung gegeben hat, möchte ich
sie hiermit zerstreuen.


(Zurufe von der FDP)

– Wenn Sie daran interessiert sind, dass die Bürgerinnen
und Bürger in ihrem eigenen Interesse hören, um was es
geht, sollten Sie etwas ruhiger sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer noch in diesem Jahr für einen Neubau einen Bau-
antrag oder, bei genehmigungsfreien Objekten, die Bau-
unterlagen, zum Beispiel eine Bauanzeige, einreicht, hat
damit die Eintrittskarte zur Eigenheimzulage bereits er-
halten. Sobald er in den Neubau einzieht, bekommt er die
Eigenheimzulage nach geltendem Recht, soweit auch die
anderen Voraussetzungen, zum Beispiel das Nichtüber-
schreiten der Einkunftsgrenzen, erfüllt sind.

Wer eine Gebrauchtimmobilie oder bei einem Investor
eine Immobilie erwirbt und den dafür erforderlichen No-
tarvertrag noch in diesem Jahr abschließt, bekommt die
Eigenheimzulage nach geltendem Recht für den vollen
Förderzeitraum. Zieht er erst im kommenden Jahr ein, gilt
dies nur, wenn der Übergang von Nutzen und Lasten des
Grundstücks oder der Eigentumswohnung erst für das
kommende Jahr vereinbart ist.

Das geltende Recht bleibt also für alle Erwerbsvor-
gänge bestehen, die – so sage ich jetzt einmal etwas ver-
einfacht – bis zum Ende des Jahres stattfinden. Auch bei
Bauanträgen, die bis zum Ende des Jahres eingereicht
werden, bleibt das geltende Recht bestehen. Es wird in
Zukunft weiterhin eine Familiengrundförderung und eine
Kinderförderung geben. Diese Förderung kann auch vier
Jahre nach Bezug des Objekts einsetzen, wenn bis dahin
erstmals ein Kind geboren wird. So wie das im Schwäbi-
schen üblich ist: erst das Nest bauen und dann die Eier le-
gen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Faule Eier sind das!)


Vier Jahre dürften dafür reichen.
Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500805400

Nächster Redner ist der Kollege Eduard Oswald, CDU/

CSU-Fraktion.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1500805500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit der Eigenheimzulage treibt die rot-grüne Koalition
ein böses Spiel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zu nennen sind die Widersprüchlichkeiten und die Un-
kalkulierbarkeit rot-grüner Bau- und Wohnungspolitik.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Was sollen denn diese scharfen Töne?)


Frau Staatssekretärin, wer sich selbst das politische Ziel
setzt, alles zu tun, um Konjunktur und Wirtschaft zu stär-
ken, und wer die Arbeitslosigkeit abbauen will, darf die
Wohnungs- und Bauwirtschaft als wichtigsten binnen-
wirtschaftlichen Impulsgeber mit ihrer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit nicht kaputtsparen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Glauben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass

das, was die Staatssekretärin heute gesagt hat, in der Ko-
alition und in der Regierung das letzte Wort ist?


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nein, bestimmt nicht!)


Ich nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute sagt man dies, morgen sagt man das. Heute be-
schließt man dies, morgen korrigiert man jenes. Eines
aber ist klar: Was Sie nach Ihrer Koalitionsvereinbarung
alles getan haben, Schritt für Schritt, hat nur kosmetischen
Charakter und soll die Öffentlichkeit beruhigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihre Aussagen vor der Wahl stehen in einem eklatanten

Widerspruch zu dem, was Sie nun vorhaben. Sie täuschen
damit die Menschen in unserem Land. Einmal enttäu-
schen Sie die Menschen, die ihren Traum von den eigenen
vier Wänden zerplatzen sehen. Der Wunsch nach Wohnei-
gentum steht in unserem Land immer noch obenan und
das ist gut so, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das soll auch so bleiben!)


Zum anderen geht es um das Baugewerbe, das in einen be-
drohlichen Sog gerät. Als Folge der massiven Einschnitte
bei der Eigenheimzulage stehen rund 200 000 Arbeits-
plätze in der Bauwirtschaft und bei ihren Zulieferern auf
dem Spiel. Es geht nicht nur darum, Bauwilligen leichter
zu Wohneigentum zu verhelfen; es geht auch darum – das
ist ein ganz wichtiger Punkt –, eine ganze Branche nicht
kaputtzusparen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bereits in den ersten sieben Monaten dieses Jahres ist

der Umsatz im Wohnungsbau um 9,5 Prozent zurück-
gegangen. Der Auftragseingang ist um 17,1 Prozent

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks




Eduard Oswald
gesunken. Erneut hat auch die Zahl der Genehmigungen
im Wohnungsbau abgenommen, nämlich um 9,4 Prozent,
nachdem schon im vergangenen Jahr ein Rückgang um
16,5 Prozent und im Jahr zuvor um mehr als 20 Prozent zu
verzeichnen war. Das sind doch Warnsignale, die nicht außer
Acht gelassen werden dürfen. Der Bau von 10 000 Woh-
nungen in Ein- und Zweifamilienhäusern – hören Sie zu! –
schafft fast 44 000 Arbeitsplätze, im Mehrfamilienhaus-
bau immerhin noch 25 000 Arbeitsplätze. Das heißt, eine
Erhöhung des Bauvolumens um 500 Millionen Euro im
Wohnungsbau erhöht die gesamtwirtschaftliche Nach-
frage um etwa 1,17 Milliarden Euro. Durch eine Eigen-
heimzulage von beispielsweise 26 000 Euro wird – man
höre und staune – ein durchschnittliches Investitionsvolu-
men von 160 000 Euro ausgelöst. Das rechnet sich also für
den Staat. Man muss diese Rechnung nur aufmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nutzen Sie die Eigenheimzulage doch als Konjunk-

turmotor. Das Baugewerbe hat es Ihnen doch vorgerech-
net: Wenn die rot-grünen Kürzungspläne, so wie sie ver-
einbart worden sind, umgesetzt werden, dann schrumpft
das Volumen der Bauinvestitionen um jährlich 28 Milliar-
den Euro. Dann verliert der Finanzminister durch die
Kürzung 10,4 Milliarden Euro, spart aber nur 5,8 Milliar-
den Euro. Das muss man doch einmal zur Kenntnis neh-
men. Sie können doch nicht nur vom Sparen reden. Sie
müssen doch das Gesamte im Auge haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie müssen Farbe bekennen. Schluss mit dem Hin und
Her! Sie müssen klar sagen, was gilt und welche Ziele Sie
verfolgen. Ich sage Ihnen: Ihre Politik führt zu Woh-
nungsknappheit und diese wiederum zu Mietsteigerun-
gen. Auch das müssen Sie dann verantworten.

Ich frage Sie auch: Wie stehen Sie eigentlich zum
Thema Eigentum? Wollen Sie, dass auch künftig eine
große Zahl von Menschen Wohneigentum hat? Es ist
doch eine Tatsache: Wer im Alter belastungsfrei in den ei-
genen vier Wänden leben kann, hat die beste Altersvor-
sorge.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Welche gesellschaftspolitischen Ziele stecken also hinter
Ihren Kürzungsvorschlägen? Das müssen Sie uns erläu-
tern. Es kann doch nicht sein, dass Sie angesichts der vor-
liegenden Zahlen die Mittel streichen wollen. Sie verfol-
gen offenbar irgendeine Ideologie. Beenden Sie das
Herumexperimentieren an der Eigenheimzulage. Wir ap-
pellieren an Sie: Erstens. Schaffen Sie bessere Vorausset-
zungen zur Stärkung des Wohnungseigentums in Neubau
und Bestand. Zweitens. Gestalten Sie die Eigenheimför-
derung familienfreundlicher. Drittens. Sorgen Sie dafür,
dass auch Arbeitnehmerfamilien die Chance haben,
Wohneigentum zu bilden. Viertens. Binden Sie das
Wohneigentum wirksam in die Förderung der privaten Al-
tersvorsorge ein.

Handeln Sie, bevor es zu spät ist. Handeln Sie aber
richtig!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500805600

Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Oswald, wir handeln richtig und verant-
wortlich. Das muss man deutlich sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es stimmt zwar, dass SPD und Grüne vor der Wahl gehofft
haben, dass die Konjunktur und die Beiträge zur Sozial-
versicherung stabil bleiben und dass die Steuereinnahmen
höher sind. Wir wollen gar nicht leugnen, dass es hier Pro-
bleme gibt. Aber diesen müssen wir uns stellen und diese
müssen wir lösen. Eigentlich müsste eine verantwortliche
Opposition sagen, welche Antworten sie auf die aktuellen
Probleme hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe den Eindruck, dass Sie gar keine haben. Sie be-
haupten einfach, man könne die Staatsausgaben weiter
nach oben fahren, und tun dabei so, als gäbe es keine
Maastricht-Kriterien und keine Verantwortung für eine
nachhaltige Konsolidierung des Haushalts und für einen
verantwortlichen, sparsamen Umgang mit den uns anver-
trauten Steuergeldern.

Besonders pikant ist – das muss ich schon sagen –, dass
die heutige Aktuelle Stunde von der FDP-Fraktion bean-
tragt worden ist. Die plaudernden Oppositionsrunden bei
Ihnen müssen sehr interessant sein. Aber Sie reden
schlicht und einfach mit gespaltener Zunge, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion. Sie haben
vor der Wahl versprochen, die Steuersätze auf 15, 25 bzw.
30 Prozent zu senken.


(Beifall bei der FDP)

– Klatschen Sie ruhig. – Das würde Mindereinnahmen in
Höhe von 77 Milliarden Euro bedeuten. Woher wollen Sie
dieses Geld nehmen? Sie sollten nicht nur sagen, wie Sie
die Probleme mit Ihren Parteikassen lösen wollen, son-
dern auch aufzeigen, wie Sie mit der Staatskasse verant-
wortlich umgehen wollen. Die Antwort auf die letzte
Frage sind Sie uns bis heute schuldig geblieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben des Weiteren erklärt, Sie würden die öffent-
lichen Ausgaben um mindestens 278 Milliarden Euro und
so die Staatsquote auf 35 Prozent – das ist ja ein berühm-
tes Ziel – senken. Woher nehmen Sie das Geld? Wo wol-
len Sie kürzen? Wie kommen Sie dazu zu sagen, bei der
Eigenheimzulage darf kein Millimeter gekürzt werden?
Es passt doch nicht zusammen: Sie versprechen den Bür-
gern die Senkung der Steuern und der Staatsquote und


(A)



(B)



(C)



(D)


422


(A)



(B)



(C)



(D)






wollen dabei die Subventionen auf maximaler Höhe las-
sen. Das stimmt doch vorn und hinten nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Reden Sie über Ihre Versprechen!)


– Kollege Gerhardt, ich habe gerade sehr wohl gesagt,
dass wir vor der Wahl einige Punkte optimistischer einge-
schätzt haben, als sie jetzt, wo wir konkret handeln müs-
sen, wirklich sind. Das sagen wir dem Bürger aber auch.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nein, Sie haben die Leute hinters Licht geführt! Auch Sie hatten die Daten!)


Wir lügen uns nichts in die Tasche, während Sie weiterhin
so tun, als könnten Sie den Bürgern alle Wohltaten, alle
Subventionen belassen und gleichzeitig Steuern und
Staatsquote senken. Das ist von vorn bis hinten falsche
Politik und einfach verlogen. Den Bürgern gegenüber
muss man aufrecht und ehrlich sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie merken doch, dass Sie damit nicht zurechtkommen!)


Wir arbeiten momentan mit einer ausgewogenen Mi-
schung, indem wir die Nettoneuverschuldung nur ein
Stück weit erhöhen, weil wir sonst in die Gefahr kämen,
die Konjunktur abzuwürgen, aber auch all jene steuer-
lichen Subventionen streichen, deren Abbau verantwort-
bar ist.

Bei der Eigenheimzulage ist es verantwortbar und das
will ich Ihnen konkret sagen: Es gibt im Großen und
Ganzen eine angemessene Wohnversorgung. Engpässe in
München, Frankfurt und Stuttgart – wir haben oft genug
darüber gesprochen – sind uns sehr wohl bewusst, aber
wir meinen durchaus, dass die zuständigen Länder – es
sind nicht die ärmsten – ihrerseits, sei es auch aus Mitteln
des sozialen Wohnungsbaus, kofinanzieren können.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Aber es ist eine Bestrafung der Leistung!)


Sagen Sie nicht, dass hier keine Handlungsverantwortung
seitens der Länder besteht.

Wir gehen an diese Sache gerade nicht ideologisch
heran, sondern angesichts des demographischen Wandels,
angesichts des Wandels in der Wohnversorgung und an-
gesichts der Verantwortung für nachhaltige Haushalts-
sicherung, gehen wir momentan die Steuersubventionen
durch und agieren entsprechend. Insofern ist das, was wir
machen, nämlich Konzentration auf Familien mit Kindern


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wo denn? – Renate Blank [CDU/CSU]: Wo denn? Das ist ein bürokratisches Monster!)


und auf den Bestand sowie Stabilisierung des öffentlichen
Haushalts, sehr sinnvoll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein letzter Satz zur Lage der Bauwirtschaft. Hier wer-
den nach dem Prinzip „Wer bietet mehr?“ abenteuerliche
Zahlen geboten. Der Verband der Bauindustrie sagt, es
geht um 100 000 Arbeitsplätze, während die FDP von
400 000 Arbeitsplätzen spricht. Was stimmt denn? Hier
wird doch offenbar nach dem Prinzip „Es kommt über-
haupt nicht darauf an, Hauptsache, wir machen große
Sprüche“ gehandelt und dabei ist es egal, was der Bevöl-
kerung an Wahrheit und Klarheit vermittelt wird.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jeder einzelne Arbeitsplatz, der verloren geht, ist einer zu viel!)


Wir werden die Probleme der Bauwirtschaft, die wir
sehr ernst nehmen, ganz konkret lösen. Die Maßnahmen
möchte ich nennen. Dazu gehört die Stärkung der Kom-
munalfinanzen,


(Ina Lenke [FDP]: Was?)

denn die wichtigsten Aufgaben der Bauwirtschaft liegen
in der kommunalen Infrastruktur und den kommunalen
Investitionen. Ebenso gehört das Programm zur Förde-
rung des Baus von Ganztagsschulen dazu. Das ist ein In-
vestivprogramm, das die Bauwirtschaft stärkt. Es geht da-
bei um jährlich 1 Milliarde Euro.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500805700

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin sofort fertig.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Unsere Verkehrs- und Bauinvestitionen sind so hoch
wie noch nie. Daneben haben wir die Altbausanierung
nicht nur in der letzten Legislaturperiode beschlossen,
sondern wir werden die Mittel dafür noch einmal um
150 Millionen Euro pro Jahr erhöhen. Nachhaltige Haus-
haltspolitik und nachhaltige Bauwirtschaft vertragen sich
also durchaus miteinander, aber es ist gefährlich, sich
Illusionen zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500805800

Nächster Redner ist der Kollege Peter Götz, CDU/

CSU-Fraktion.


Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1500805900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Am Beispiel der Eigenheimzulage wird einmal mehr
deutlich: Flickschusterei auf der ganzen Ebene,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

von der Rente über die Kommunalfinanzen, Frau Kol-
legin Eichstädt-Bohlig, bis zum Wohnungsbau. Stünd-
lich gibt es neue Wasserstandsmeldungen, frei nach der

Franziska Eichstädt-Bohlig




Peter Götz
Devise: Nichts Genaues weiß man nicht. Das, was gestern
noch richtig und wichtig erschien, ist heute überholt und
das von heute wird morgen wieder eingesammelt.

Wirtschaft und Arbeitsmarkt brechen ein, die Kommu-
nen stehen am Rand des finanziellen Ruins. Täglich gibt
es neue Pleitemeldungen vom Bau. Das sind die Blutspu-
ren rot-grüner Politik.

Jetzt wird der einzige noch einigermaßen funktionie-
rende Baubereich, nämlich das eigengenutzte Wohnei-
gentum, auch noch zertrampelt. Offensichtlich ver-
schmerzt es diese rot-grüne Regierung nicht, wenn es
irgendetwas in diesem Staat gibt, was noch einigermaßen
funktioniert und noch nicht von ihr zerstört ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden?)


Sie nehmen den Familien die Eigenheimzulage weg

(Joachim Poß [SPD]: Wir nehmen sie über haupt nicht weg!)

und verkaufen das Ganze draußen noch lauthals als fami-
lienpolitische Leistungen.


(Joachim Poß [SPD]: Sie sagen glatt die Unwahrheit!)


Das ist eine Frechheit. Ob der Generalsekretär der SPD
damit die Lufthoheit über Kinderbetten gewinnt, das
wage ich erheblich zu bezweifeln. Jetzt wird begonnen,
teilweise zurückzurudern.


(Zuruf von der SPD: Was ist das denn für ein Tönnes!)


Die Menschen werden ein weiteres Mal belogen. Ihnen
glaubt keiner mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ehegattensplitting, Wohnungsbauprämie, Eigenheimzu-
lage – am Schluss wird alles auf die Zeit nach dem 3. Fe-
bruar, auf die Zeit nach den Landtagswahlen in Nieder-
sachsen und Hessen geschoben. Es ist unverantwortlich,
so mit den Menschen umzugehen, die eine Familie grün-
den und Wohneigentum bilden wollen. Wohneigentum
kauft man nicht wie ein Paar Socken. Die Menschen brau-
chen Sicherheit für ihre Lebensplanung und sie wird hier
systematisch zerstört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Noch haben wir ein gutes Gesetz, das auch der Vor-
sorge im Alter dient, ein Gesetz, das sozial, familien- und
kinderfreundlich ist, ein Gesetz, Frau Kollegin von der
Regierung, das einfach zu verstehen ist. Jetzt basteln Sie
schon wieder an irgendeinem bürokratischen Monster.
Der von Rot-Grün geplante Kahlschlag ist nicht nur so-
zial-, familien- und wohnungspolitisch falsch; er ist auch
ein ökonomischer Irrweg. Denn Wohneigentumsförde-
rung ist auch Mittelstandsförderung. Die geplanten Ein-
schnitte führen zum Wegfall zahlreicher Arbeitsplätze im
Baugewerbe, im Handwerk und damit beim Mittelstand.

Der Kollege Oswald hat die Zahlen genannt; sie sind rich-
tig. Heute schreibt das „Handelsblatt“ – ich zitiere –:

Die Bauwirtschaft hat nach den Steuerplänen der rot-
grünen Bundesregierung kaum noch eine Chance,
aus der Rezession zu kommen.

In der „Welt“ konnten wir vor wenigen Tagen lesen, dass
sich der Superminister für Verkehr, Bau-, Wohnungswe-
sen und Aufbau Ost, Manfred Stolpe, über Nacht mit Nie-
dersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel an die
Spitze derer stellt, die gegen die geplanten Änderungen
bei der Eigenheimzulage protestieren. Der SPD-Oberbür-
germeister Ude aus München ruft zum Widerstand auf.

Draußen, vor dem Brandenburger Tor, wird protestiert.
Mehrere Tausend Leute vom Bau demonstrieren heute ge-
gen die geplante Abschaffung und Reduzierung der Ei-
genheimzulage. Ich gehe davon aus, dass der Bauminister
gerade draußen ist, um mit den Menschen gegen die rot-
grüne Bundesregierung zu wettern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er ist auf einer Trauerfeier!)


Anstatt die Eigenheimzulage zu kürzen, hätten Sie bes-
ser die Förderung für den Erwerb von sanierungswürdi-
gem Altbaubestand ausgedehnt. Das wäre ökologisch,
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, und ökonomisch sinn-
voll.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie hätten Sie es bezahlt?)


Es würde zu einer Stärkung der Innenstädte führen und es
wäre eine Chance, vor allem für die Kommunen in den
neuen Ländern, sanierungswürdigen Altbaubestand aus
kommunalem Vermögen verkauft zu bekommen,


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr seid schlimmer als die PDS!)


sodass sie ihre desolaten Haushalte – das haben Sie zu
verantworten – entlasten könnten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Manchmal hat man das Gefühl, dass diese Regierung

bei ihrer Finanz- und Steuerpolitik rein kameralistisch, in
Millimeterpapier und in Spaltenvordrucken, denkt, ohne
die gesellschaftspolitischen und volkswirtschaftlichen
Auswirkungen zu sehen, geschweige denn zu berücksich-
tigen. Was Sie machen, ist ein konzeptionsloses Gewurs-
tel und keine gute Politik für die Menschen in unserem
Land. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie die Hände weg von
der Eigenheimzulage!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie die Gelddruckmaschine!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500806000

Nächster Redner ist der Kollege Horst Schild, SPD-

Fraktion.


(A)



(B)



(C)



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424


(A)



(B)



(C)



(D)







Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1500806100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf

das Haus vielleicht darauf aufmerksam machen, dass der
Bundesbauminister auf der Trauerfeier in Luxemburg ist.

Wenn man ein Fazit aus den bisherigen Redebeiträgen
der Opposition, die wortgewaltig waren, die gleichzeitig
aber von Ideologien – das ist etwas, was Sie uns immer vor-
werfen – und bisweilen wenig von der Sache geprägt wa-
ren – Herr Götz, das war sehr deutlich –, ziehen will, wird
man sagen müssen: Sie wollen alles beim Alten lassen und
noch ein bisschen Geld obendrauf legen. Der Wähler hat
recht getan, dass er Sie dort gelassen hat, wo Sie jetzt sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich darf in Erinnerung rufen: 1995, als wir in den Aus-
schüssen und im Plenum des Deutschen Bundestages über
diese Materie debattierten, hatten wir die Situation, dass
die Fördertatbestände in § 7 b, § 10 c usw. im Einkom-
mensteuergesetz vor allen Dingen Familien und Bezieher
von hohem Einkommen begünstigten.


(Joachim Poß [SPD]: So war es!)

Einkommensschwache Familien hatten zum damaligen
Zeitpunkt keinen finanziellen Anreiz, Eigentum zu erwer-
ben.


(Beifall bei der SPD)

Wir alle haben damals die neue Regelung sehr begrüßt.

Aber der Vorschlag, dieses Eigenheimzulagengesetz zu
verabschieden, kam nicht von der damaligen Regierungs-
fraktion.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist Geschichtsfälschung! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist dummes Zeug!)


Ich kann mich noch sehr gut erinnern: Sie haben sich da-
mit sehr schwer getan, bis zum letzten Tag wurde gepo-
kert, weil durch diese Umstellung, wie uns allen bewusst
war, eine Verlagerung von den Gutverdienenden auf die
Schwellenhaushalte stattfinden würde. Sie haben aber
exorbitant hohe Einkommensgrenzen angesetzt, sodass
– das kam aus dem Hause des damaligen Bundesfinanz-
ministers, Herrn Waigel – rund 95 Prozent aller Haushalte
in die Förderung gelangten. Uns war klar: Das Ziel, die-
ses neue Förderinstrument auf Schwellenhaushalte zu
konzentrieren, auf die Haushalte, die ohne staatliche Hilfe
nicht in der Lage sein würden, Eigentum zu bilden, war
von Anfang an nicht zu erreichen. Das war bereits 1995
der Sündenfall. Das muss man einfach einmal zur Kenntnis
nehmen. Sie können doch nicht einfach sagen, man solle al-
les beim Alten lassen. Sie hätten wahrscheinlich auch da-
rüber nachdenken müssen. Es passt nicht zusammen, dass
auf der einen Seite alles beim Alten bleiben soll, aber auf
der anderen Seite die Steuersätze abgesenkt werden sollen.

Die Zulage hat heute für viele Familien nichts mehr mit
Hilfe zur Selbsthilfe zu tun. Hören Sie sich einmal an, was
Ökonomen zum Thema Subventionen im Bausektor sa-
gen. Diese haben natürlich Konsequenzen: Baufirmen ha-
ben einen größeren Preisspielraum. Die Förderung landet
wegen höherer Preise letztlich zum Teil auch bei den Bau-
firmen. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.

Wir werden – das hat die Staatssekretärin eben gesagt –
die Einkommensgrenzen absenken, aber verhältnismäßig
moderat. Das Ziel ist für uns die Konzentration auf die
Schwellenhaushalte, die ohne staatliche Hilfe kein
Wohneigentum bilden können.

Es ist unstrittig – das haben auch Sie in Ihrem Pro-
gramm gesagt –, dass Subventionen abgebaut werden
müssen, um die Konsolidierung der Staatsfinanzen zu er-
reichen. Das ist im Interesse unserer Kinder und der nach-
folgenden Generationen. Sie waren es doch, die uns die-
sen Schuldenberg hinterlassen haben;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


sonst brauchten wir uns heute nicht in dieser Ausführlich-
keit darüber zu unterhalten. Wenn wir Ihre ihm Wahl-
kampf immer wieder vorgetragenen steuerpolitischen
Vorschläge realisiert hätten oder wenn Sie sie hätten rea-
lisieren können, dann wären die Schulden noch höher.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Haben wir heute mehr oder weniger Schulden! Wir haben doch mehr!)


Die finanzpolitische Vernunft gebietet es, die finanziellen
Auswirkungen der Förderung zu überdenken. Das muss
unstrittig sein. Eine Reform können sich nur diejenigen
verkneifen, die keine politische Verantwortung tragen.

Wir haben vorhin einige Ausführungen über die Höhe
des Fördervolumens gehört. Wir müssen eines bedenken:
Nach dem Verteilungsschlüssel der Einkommensteuer
– die Förderung verteilt sich letztlich nach dem Schlüssel
der Einkommensteuer – tragen Bund und Länder jeweils
42,5 Prozent und die Kommunen 15 Prozent. Mit einer
Fokussierung der Förderung, so wie es die Staatssekretärin
eben vorgetragen hat, eröffnen sich auf allen staatlichen
Ebenen Finanzierungsspielräume. Die Kommunen – das ist
hier immer wieder beklagt worden – hatten über lange Zeit
hinweg nicht den Spielraum, um zu investieren und den
Unterhaltungsaufwand zu finanzieren. Die Kommunen
brauchen Mittel, um in Infrastrukturmaßnahmen investie-
ren zu können. Es wird auch der Bauindustrie helfen, wenn
sie von den Kommunen, die dann die Kosten für die not-
wendigen Bauinvestitionen aufbringen können, Aufträge
erhält, um Schulen und Kindergärten instand zu halten.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500806200

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto

Solms, FDP-Fraktion.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500806300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es zeigt sich erneut, dass Ihnen für Ihre Wirt-
schafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik jede ordnungs-
politische Leitschnur fehlt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Dr. Hermann Otto Solms
Was Sie in der Wohnungsbauförderung allerdings jetzt
hier liefern, schlägt dem Fass den Boden aus.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das wird zu unvorhersehbaren Auswirkungen auf dem
Markt führen.

Zunächst einmal haben Sie auch noch die Unver-
schämtheit, uns diese Maßnahme als familienpolitisches
Konzept anzubieten. Meine Damen und Herren, das kön-
nen Sie nun wirklich niemandem mehr verkaufen. Nach
den alten Kriterien hätte das dazu geführt, dass bei einem
Neubau nur Familien ab sechs Kindern ein Mehr an För-
derung erhalten hätten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja! – Zuruf von der SPD: Es bringt uns nicht weiter, heute den Schnee von gestern zu erzählen!)


Nach dem, was Frau Hendricks eben vorgetragen hat – ich
gehe davon aus, dass das nur noch für wenige Stunden
gilt –, konnten wir gerade errechnen, dass sich bei einem
Altbau das Mehr an Förderung auf Familien ab neun Kin-
dern und bei einem Neubau vermutlich auf Familien ab
15 Kindern konzentrieren wird.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt doch überhaupt nicht!)


– Sie können das ja nachrechnen. – Das können Sie ver-
gessen.


(Beifall bei der FDP)

Welches Familienbild versteckt sich eigentlich hinter die-
sen Maßnahmen? Es ist wirklich eine Dreistigkeit


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das, was Sie sagen, ist doch Quatsch! Dass Ihre Partei nicht rechnen kann, wird immer deutlicher!)


– rechnen Sie es doch bitte nach; es ist sehr einfach aus-
zurechnen –, das als familienpolitische Maßnahme zu ver-
kaufen.

Wenn man das einmal etwas umfassender betrachtet
und sich fragt, was durch diese Regierung im Bereich des
Wohnungsbaus geschieht, dann erkennt man, dass Ihre
Maßnahmen dazu führen, dass der Wohnungsbau in
Deutschland total zum Erliegen kommt. Die Bauwirt-
schaft liegt ohnehin schon auf den Knien; Sie geben ihr
jetzt den Rest.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie doch mal, wie Sie Ihre Steuersenkungen finanzieren wollen! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Herr Solms, Sie können nicht rechnen, das haben Sie gerade nachgewiesen! Also können Ihre Aussagen nicht stimmen!)


Selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung,
das uns nicht nahe steht, sagt voraus, dass Ihre Woh-
nungsbauförderung dazu führt, dass der Wohnungsbau-
markt in den nächsten Jahren um etwa 20 Prozent einbre-
chen wird.

Meine Damen und Herren, Sie dürfen diese Einschrän-
kungen bei der Eigenheimförderung doch nicht isoliert
sehen


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Auch in diesem Jahr ist die Zahl der Neubauanträge zurückgegangen!)


– Frau Hendricks, im Moment habe ich das Wort –, son-
dern Sie müssen auch die vielen anderen Maßnahmen se-
hen, die Sie gleichzeitig durchführen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Ich rufe dazwischen, weil Sie etwas Falsches sagen!)


– Gehen Sie doch bitte auf die Regierungsbank, Sie stören
mich beim Reden.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie wollen eine Wertzuwachssteuer für Immobilien
einführen,


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Woran liegt es denn, dass die Zahl der Anträge in diesem Jahr zurückgegangen ist? Es muss doch eine Sättigung bestehen? – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Sie haben doch vorhin geredet!)


Sie wollen die degressive AfA abschaffen und die ande-
ren Abschreibungssätze auf 2 Prozent vereinheitlichen,
Sie wollen eine Mindestbesteuerung einführen und Sie
wollen eine zusätzliche Begrenzung des Verlustvortrages
auf sieben Jahre bei einer Begrenzung der Verlustver-
rechnung auf 50 Prozent einführen. Die Bauwirtschaft
sagt, dass das dazu führen wird, dass große Bauobjekte
nicht mehr abgewickelt werden können, weil man sie
nicht mehr finanzieren kann.


(Beifall bei der FDP)

Hinzu kommen die Maßnahmen, die Sie bereits in der

letzten Legislaturperiode getroffen haben. Ich erinnere
Sie an die Einführung der Begrenzung der Verlustver-
rechnung nach § 2 Abs. 3 – das war die Mindestbesteue-
rung à la Lafontaine –, an die Abschaffung des Vorkos-
tenabzugs bei Eigenheimen und an die Begrenzung des
Verlustrücktrages auf ein Jahr, die mit einer Einschrän-
kung im Volumen verbunden wurde. All das wirkt ja zu-
sammen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!)

Hinzu kommt auch noch die Ökosteuer auf Erdgas und
Erdöl, was die Heizkosten verteuern wird. Schließlich
droht – der SPD-Spitzenkandidat Bökel in Hessen fordert
das ja – die Wiedereinführung der Vermögensteuer und
eine erhebliche Erhöhung der Erbschaftsteuer. Frau
Hendricks, auch das betrifft die Immobilien; das wissen
Sie doch genauso gut wie ich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Franz-Christoph Zeitler – Mitglied des Vorstandes der

Bundesbank und früherer Staatssekretär; Frau Hendricks,
er versteht von der Sache mindestens so viel wie Sie –
schreibt heute in der „FAZ“, dass all diese Maßnahmen


(A)



(B)



(C)



(D)


426


(A)



(B)



(C)



(D)






zusammengenommen dazu führen werden, dass die Im-
mobilienwerte – also das Preisniveau für Immobilien – in
Deutschland drastisch nach unten gehen werden. So wer-
den Sie zwangsläufig einen deflatorischen Prozess auslö-
sen. Japan lässt grüßen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist daran schlimm?)


Sie tun dies offenen Auges, obwohl Ihnen alle Experten
sagen, welche Folgen das haben wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Mit und ohne Gabriel!)


Sie werden einen Einbruch in der Bauwirtschaft erle-
ben, was zu 100 000 zusätzlichen Arbeitslosen führen
wird. Es wird dazu kommen, dass sich Familien jedweder
Einkommensgruppe – außer den ganz Reichen – ein Eigen-
heim nicht mehr leisten können.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ina Lenke [FDP]: Die SPD für Reiche!)


Schließlich und endlich wird die ganze Volkswirtschaft in
eine sehr große und schwere Existenzkrise geraten. Über-
legen Sie sich, was Sie da tun!

Ein letztes Wort, Frau Hendricks. Wir haben in unse-
rem Wahlprogramm die Abschaffung von Subventionen
gefordert. Auch wir haben vorgeschlagen, die Ab-
schreibungsbedingungen beim Wohnungsbau auf 2 Pro-
zent zu vereinheitlichen. Wir haben das aber in den Zu-
sammenhang mit einer deutlichen und drastischen
Steuerentlastungs- und Vereinfachungsreform gestellt.
Das fehlt bei Ihnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Die haben wir doch!)


Im Übrigen steht in unserem Wahlprogramm dezidiert,
dass wir die Eigenheimförderung so lassen wollten, wie
sie war. Das war richtig und gut überlegt. Wir haben da-
rüber lange diskutiert.

Meine Damen und Herren, kommen Sie bitte zur Be-
sinnung. Es ist höchste Zeit; denn die wirtschaftliche Si-
tuation lässt keine weitere Belastung zu. Wir brauchen
wieder marktwirtschaftliche Orientierung,


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Mit Subventionen!)


keine höheren Steuern und keine höheren Abgaben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Marktwirtschaft ist immer dann, wenn ganz viele Subventionen fließen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500806400

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Reinhard Loske,

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500806500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

war mehrfach vom Rechnen die Rede. Seitens der FDP
kam die Aufforderung, die Grundrechenarten zu berück-
sichtigen. Ich will dazu sagen: Diese Forderung seitens
der FDP entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Weil diese Aufforderung gerade gekommen ist, möchte
ich sie gerne auf mich selbst anwenden. Während ich Ih-
nen zugehört habe, habe ich meine eigenen Angelegen-
heiten vor meinem geistigen Auge Revue passieren las-
sen. 1999 habe ich als Vater zweier Kinder einen Altbau
erworben. Dafür bekam ich 2 500 DM Grundförderung
und zweimal 1 500 DM pro Kind. Das waren 5 500 DM,
also gut 2 700 Euro.

Wenn ich im Jahre 2003 als Vater zweier Kinder das
Gleiche tun und einen Altbau erwerben würde, so würde
ich eine Grundförderung von 1 000 Euro und zweimal
800 Euro pro Kind bekommen. Das wären 1 600 Euro.
Das macht alles zusammen 2 600 Euro. Diesen Konsoli-
dierungsbetrag – es war von den Grundrechenarten die
Rede – von 100 Euro bin ich gerne bereit zu erbringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bei Ihrem Einkommen können Sie sich das auch leisten!)


In diesem Fall gibt es praktisch keinen Unterschied zwi-
schen vorher und nachher. Übertreiben Sie nicht so maß-
los. Das glaubt Ihnen sowieso kein Mensch.

Ich will etwas zu den Kriterien sagen, mit denen wir
Grünen uns an diese Reform der Eigenheimzulage heran-
gemacht haben. Es sind drei Kriterien: Erstens. Es muss
ökologisch vernünftig sein. Zweitens. Es muss kinder-
freundlich sein. Drittens. Es muss einen nennenswerten
Beitrag zur Haushaltskonsolidierung bringen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann müssen Sie es ablehnen!)


Zum ersten Kriterium, dass es ökologisch vernünftig
sein muss. Der große Sprung nach vorne bei dieser Re-
form – das ist für uns ganz wichtig – ist, dass Altbau und
Neubau gleichgestellt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Damit machen wir das Gleiche, was Sie bei der Entfer-
nungspauschale – Sie haben das damals Kilometerpau-
schale genannt – auch schon gemacht haben. Wir haben
die damalige Ungleichbehandlung von Verkehrsträgern,
auf der einen Seite das Auto, auf der anderen Seite die an-
deren Verkehrsträger, aufgehoben und alle gleichgestellt.
Es geht also um das Prinzip der Gleichbehandlung. Das ist
ökologisch höchst vernünftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Gleich schlecht!)


Es geht auch um das Thema Flächenversiegelung. Wir
versiegeln in Deutschland heute pro Tag durch Siedlungs-

Dr. Hermann Otto Solms




Dr. Reinhard Loske
und Verkehrsflächen eine Fläche von 130 Hektar. Das ist
ganz einfach zu viel.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da müssen Sie aber nicht gerade beim Eigenheimbau anfangen!)


Wir wollen – das hat sich die Bundesregierung vorge-
nommen – gemäß den Vorschlägen des nationalen Nach-
haltigkeitsrates diese Flächenversiegelung von 130 Hek-
tar pro Tag auf 30 Hektar pro Tag zurückführen. Das hat
als zwingende Voraussetzung, dass wir im Bereich der
Wohnungsbaupolitik mehr und mehr zur Bestands-
orientierung übergehen. Das ist ökologisch höchst ver-
nünftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Übrigen ist es so, dass wir im Bereich der Baupoli-
tik viele ökologisch ergänzende Maßnahmen ergriffen ha-
ben. Sie kennen sie alle, aber Sie benennen sie nicht. Wir
haben das Altbausanierungsprogramm aufgelegt. Das sto-
cken wir jetzt von zurzeit 200 Millionen Euro auf
350 Millionen Euro auf. Das haben wir vorletzte Nacht
beschlossen. Wir haben das Marktanreizprogramm für er-
neuerbare Energien entwickelt. Wir haben das 100 000-
Dächer-Programm ins Leben gerufen. Summa summarum
komme ich zu dem Ergebnis: Diese Reform ist ökologisch
höchst vernünftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum zweiten Kriterium. Die Reform ist
kinderfreundlich. Dazu habe ich das Notwendige gesagt.
Familien mit Kindern werden jetzt in besonderer Weise
gefördert.


(Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Mit neun Kindern!)


Zum dritten Kriterium: Die Reform ist ein wichtiger
Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte,
und zwar nicht nur – Sie werden sich noch umgucken –
zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes, sondern auch
zur Konsolidierung der Länder- und Gemeindehaushalte.
Das bringt enorme Einsparungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich das alles zusammenfasse, dann komme ich zu
dem Ergebnis, dass das eine vernünftige Reform ist,


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Was?)

die wir mittragen können.

Jetzt noch kurz zur FDP: Herr Kollege Solms, ich er-
innere mich daran, wie Sie damals Benzin für 50 Pfennig
an die Leute verschenkt haben. Sie sind ein sehr großzü-
giger Mann – das ist sicherlich eine sehr positive persön-
liche Eigenschaft –, aber wenn Sie einerseits als Mitglied
einer Partei auftreten, die allen Subventionen an den Kra-
gen will, aber andererseits eine Rede halten wie ein Sub-
ventionsritter, dann passt das nicht zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Kollege Günther, lassen Sie mich noch einmal auf
Ihre Zahlen – die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig hat
es bereits angesprochen – und die maßlosen Übertreibun-
gen bezüglich der Beschäftigungsverluste zu sprechen
kommen. Herr Günther sprach von 400 000 Arbeitsplätzen,
die verloren gingen; Herr Oswald sprach von 200 000; die
Bauwirtschaft selber spricht von 100 000. Auch das ist
eine maßlose Übertreibung; denn gerade die Altbausanie-
rung bringt enorme Beschäftigungseffekte; das darf nicht
vergessen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn ich diese Zahlen miteinander vergleiche, dann ent-
spricht Ihre Übertreibung ziemlich genau dem Faktor vier,
so, wie Sie mit Ihren 18 Prozent beim Wahlergebnis
um den Faktor vier übertrieben haben. 18 geteilt durch 4
ist 4,5. So soll es kommen!


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500806600

Der nächste Redner ist der Kollege Klaus-Peter

Flosbach, CDU/CSU-Fraktion.


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1500806700

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Der grüne Abgeordnete hat wenigstens die Wahr-
heit gesagt. Er hat in etwa gesagt: „Wir brauchen keinen
Neubau von Wohnungen mehr. Was in diesem Bereich
passiert, ist mir letztendlich egal, insbesondere was die
Förderung der Familien im Neubau angeht.“


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zuhören!] Meine Damen und Herren, der Begriff der Nachhaltigkeit erlebt in der Koalitionsvereinbarung eine inflationäre Entwicklung. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Schwarz-Weiß-Bild der Schwarzen!)


Aber in der Eigenheimförderung, in der nachhaltig große
Erfolge erzielt wurden, zerstören Sie den Lieblingstraum
der Deutschen nach einer eigenen Wohnung oder nach ei-
nem eigenen Haus. Hierbei hätten Sie aber Nachhaltigkeit
beweisen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie wissen offensichtlich nicht, dass die Zukunftspla-
nung von mehr als 70 Prozent unserer Bürgerinnen und
Bürger auf die eigene Immobilie ausgerichtet ist, dass sich
die Menschen krumm legen und mit Leidenschaft und mit
Kraft dafür einsetzen. Denn eine eigene Immobilie bietet
nach wie vor einen sicheren Ort für die Familie und eine
sichere Basis für das Alter. Die Förderung stellte immer
ein Stück Vermögensbildung in breiten Schichten der Be-
völkerung dar. Was Sie betreiben, ist ein sozialpolitischer


(A)



(B)



(C)



(D)


428


(A)



(B)



(C)



(D)






Kahlschlag, den Ihnen die Bürgerinnen und Bürger ent-
sprechend verübeln werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit Ihren neuen Beschlüssen testen Sie nicht nur die

Belastbarkeit der Wirtschaft, sondern auch die der Bürge-
rinnen und Bürger. Steuererhöhungen, Erhöhungen der
Sozialbeiträge und nun die Kürzung in der Vermögensbil-
dung – das ist der rot-grüne Aufbruch in ein neues Jahr-
zehnt.


(Zuruf von der SPD: Wer hat dir das denn aufgeschrieben?)


Seit heute haben Sie also ein Konzept für die nächsten
Jahre. Es ist schon erstaunlich: Sie verkünden die Ände-
rungen bei der Eigenheimzulage und merken erst nach
den Protesten der Opposition und der Verbände, dass sich
– so bis vor kurzem – eine Familie mit zwei Kindern bei
einem Neubau um 13 500 Euro verschlechtert. Sie mer-
ken offensichtlich jetzt auch, dass das Ganze auch etwas
mit der Baukonjunktur und mit den Arbeitsplätzen zu tun
hat.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist die reinste Kahlschlagpolitik!)


Wie wir gerade gehört haben, gibt es nun also eine
Grundförderung von 1 000 Euro und 800 Euro als Kin-
derzulage. Egal, welche Variante Sie wählen, meine Da-
men und Herren, den Familien geht es auf jeden Fall
schlechter als vorher.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine Familie mit einem Kind erhält bei einem Neubau
46 Prozent weniger Förderung, eine mit zwei Kindern
37 Prozent und eine mit drei Kindern 30 Prozent. Das alte
Niveau wird – weil in der Kinderzulage nur noch eine
Differenz von 38 Euro besteht – bei einem Neubau erst
mit dem einundvierzigsten Kind erreicht. Das ist eine
grandiose familienpolitische Leistung. Sie sollten sich
dafür schämen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie sollten einmal ernsthaft erläutern, warum die Kin-
derzulage nur dann gewährt werden soll, wenn sich die
Kinder innerhalb von vier Jahren nach der Eheschließung
einstellen. Offensichtlich merken Sie nicht, welchen
Druck Sie auf junge Familien ausüben, wenn, wie der
„Focus“ diese Woche schreibt, die Frau nicht schnell ge-
nug schwanger wird.


(Widerspruch bei der SPD)

Das Ganze ist ein untauglicher Versuch, sich familien-
freundlich zu geben, und entpuppt sich als riesengroße
Täuschung der Wähler.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Sie werden auch die Einkommensgrenze senken. Es
geht bekanntlich um den Gesamtbetrag der Einkünfte.
Auch damit treffen Sie wieder die Leistungsträger in die-

ser Gesellschaft, die sich hochgearbeitet haben. Das ist
die neue Mitte, auf die Sie noch 1998 gesetzt haben. Aber
jetzt haben Sie sich selbst auf die neue Mitte gesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Ihre Beschlüsse greifen, wird der Bau von Eigen-
heimen in Ballungszentren überhaupt nur noch für die ab-
soluten Hochverdiener möglich sein.


(Zuruf von der SPD: Das ist schon jetzt so!)

Mit Ihren Vorstellungen müssen viele ihren Traum vom
Eigenheim an den Nagel hängen.

Der Finanzminister träumt von 210 Millionen Euro
Einsparungen und vergisst dabei erstens den Steuerausfall
durch die nicht realisierten Bauvorhaben und zweitens die
Belastung durch die steigende Arbeitslosigkeit. Warum
sind die Menschen heute hier in Berlin auf der Straße?
Weil sie merken, dass es immer weiter abwärts geht und
diese Regierung die absolut falschen Beschlüsse her-
beiführt. Die Menschen draußen haben unsere absolute
Solidarität, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das Eigenheim oder auch die selbstgenutzte Wohnung
waren von allen Parteien gesellschaftspolitisch und sozi-
alpolitisch immer gewünscht; denn sie waren immer auch
ein Stück Stabilisator der Konjunktur und versprachen
den Bauarbeitern sichere Arbeitsplätze. Das DIW kalku-
liert heute mit einem Rückgang im Bauvolumen von
4,7 Prozent im nächsten Jahr und von über 10 Prozent im
Jahr 2004.


(Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Im Osten 20 Prozent!)


Sie können übrigens die Einschränkungen bei der Ei-
genheimzulage auch nicht von anderen steuerpolitischen
Beschlüssen im Wohnungsbau trennen. 80 Prozent der
Wohnungsbauinvestitionen werden durch Private finan-
ziert und stützen sich auf drei Säulen: auf die Miete, auf
die vom Staat gewollten Steuervorteile, damit Geld in den
Wohnungsbau fließt, und auf die Wertsteigerung. Sie
schlagen zwei Säulen kaputt: die Steuervorteile und die
Wertsteigerung.

Es wird Zeit, dass wir über die Inhalte reden und nicht
mehr über die Verpackungen. Wenn Sie Nachhaltigkeit
wollen, können Sie das jetzt beweisen. Was ist die Folge
Ihrer Beschlüsse? Weniger Wohnungen, weniger Eigen-
heime, mehr Druck auf die Mieter, Mietsteigerungen,
Wohnungsknappheit.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weniger Wohnungsleerstand!)


Schon schließt sich der Kreis und wir werden in absehba-
rer Zeit wieder über Wohnungsnot und die notwendigen
Fördermaßnahmen diskutieren. Lassen Sie die Finger von
der Eigenheimzulage und ziehen Sie Ihre verheerenden
wohnungspolitischen Beschlüsse zurück, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Klaus-Peter Flosbach






Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500806800

Herr Kollege Flosbach, ich gratuliere Ihnen im Namen

des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag und wünsche Ihnen für Ihre politischen Ziele
alles Gute.


(Beifall)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Frechen,

SPD-Fraktion.


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1500806900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Subven-
tionsabbau war eines der beiden zentralen Themen der
vergangenen Wochen, und zwar parteiübergreifend, nicht
nur bei uns. Das andere Thema war Familie. Beide The-
men nehmen wir auch nach dem Wahltermin überaus
ernst. Das ist in einigen Teilen dieses Hohen Hauses und
erst recht bei den Interessenvertretungen leider nicht so.
Viel mehr Bedeutung hat in der Zwischenzeit das Wört-
chen „aber“ bekommen. Subventionsabbau ja, aber nicht
hier. Sparen ja, aber doch nicht da. Kürzungen selbstver-
ständlich, aber nicht auf diesem und nicht auf jenem und
überhaupt auf keinem Feld und schon gar nicht bei mir.


(Zurufe von der SPD: Ja! – Genau! – Ludwig Stiegler [SPD]: Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andere an! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht auf unsinnige Weise!)


Aber so, liebe Kolleginnen und Kollegen, funktioniert
diese Aufgabe nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was ist denn Subventionsabbau? Die Definitionen sind
unterschiedlich. Nach dem Duden ist das der Abbau von
zweckgebundenen finanziellen Unterstützungen oder
staatlichen Zuschüssen. Populistisch und zur Verunglimp-
fung nach Oppositionsart viel besser geeignet wird daraus
schlicht und ergreifend Steuererhöhung. Da tut es gut zu
sehen, dass die Fachliteratur das anders sieht, natürlich
nicht die Boulevardpresse, allen voran die „Bild-Zei-
tung“, das neue Kampfblatt der CDU/CSU.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Am Wochenende habe ich in meiner Kanzlei die Fachli-
teratur durchgesehen. Ich gebe zu, dass mich der Teil, der
sich mit dem Koalitionsvertrag befasste, am meisten in-
teressierte.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie müssen der Kanzlergattin mal von dem „Kampfblatt“ erzählen!)


In der Fachliteratur steht nichts von Steuererhöhungen,
sondern es wird über den Abbau von Steuersubventionen
und Vergünstigungen geschrieben. Es zeigt sich: Die
Fachleute fallen nicht auf die platten Parolen derer herein,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


die morgens eine radikale Vereinfachung des Steuersys-
tems fordern und abends im Wahlkreis die Abschaffung
von Sonderregelungen schlichtweg ablehnen.

Wir machen mit dem Abbau von Subventionen Ernst.
Dabei müssen alle Tatbestände auf den Prüfstand. Einer
dieser Tatbestände ist die Eigenheimzulage. Wir müssen
uns doch heute, wo wir nicht mehr mit dem Füllhorn
durchs Land ziehen und Wohltaten verteilen können, fol-
gende Fragen stellen: Würden wir heute eine solche För-
derung einführen? Wenn ja, wie würde sie aussehen?
Würden wir den Bau oder den Erwerb von Eigentum för-
dern oder die Kinder, die darin wohnen und aufwachsen
sollen? Wenn Sie es mit Ihrem Bekenntnis zur Familie
ehrlich meinen, dann müssen Sie unserem Vorhaben zu-
stimmen, die Förderung nur noch Familien mit Kindern
zukommen zu lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Familie ist, wo Kinder sind. Diesem Grundsatz trägt diese
Veränderung Rechnung.

Warum die gleiche Förderung für Alt- und Neubau? Sie
wissen genauso gut wie ich, dass der Städtebund, allen
voran Frau Roth, CDU-Mitglied und Oberbürgermeiste-
rin von Frankfurt, und ähnliche Organisationen wegen der
Stadtflucht und der Zersiedelung Klage führen. Die Leer-
standskommission im Osten spricht doch eine ganz deut-
liche Sprache. Wir müssen gegensteuern. Viele Häuser in
Baugebieten aus den 50er- und 60er-Jahren stehen heute
zum Verkauf an. Wir können doch nicht zulassen, dass
sich diese Stadtteile zu Geisterstadtteilen entwickeln und
dass auf der anderen Seite, hundert Meter weiter, ein
neues Baugebiet im wahrsten Sinne des Wortes aus dem
Acker gestampft wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hat auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Wir
müssen uns überlegen, was wir unseren Kindern hinter-
lassen. Eine intakte Umwelt ist ein Gut, auf das auch die
kommenden Generationen einen Anspruch haben. Wir
werden niemanden hindern, ein Häuschen im Grünen zu
bauen; aber der Anreiz, ein neues Haus zu bauen, statt
eines zu kaufen, weil die Förderung dafür höher ist, ent-
fällt.


(Birgit Homburger [FDP]: Bei uns kann man nichts kaufen! Da gibt es nichts zu kaufen!)


Es wird für den Bau eines Hauses künftig eine Förderung
in derselben Höhe wie für den Erwerb eines Hauses ge-
ben. Die Rechenbeispiele, um das zu erläutern, lasse ich
einmal weg.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ich bitte drum!)


– Wollen Sie die Rechenbeispiele hören? Okay, bitte!
Mein Vorredner hat gesagt, eine Familie müsste heute
41 Kinder haben, um genügend Fördermittel zur Deckung
der Kosten für den Erwerb eines Neubaus zu bekommen.


(A)



(B)



(C)



(D)


430


(A)



(B)



(C)



(D)






Er hat leider das Komma übersehen. Bisher waren es
4 900 Euro für einen Neubau und es werden bei einer Fa-
milie mit vier Kindern – –


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommen Sie aber ins Schleudern!)


– Nein, 4 200 Euro, junger Mann. Lernen Sie Rechnen,
bevor Sie hierhin kommen!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Einkommensgrenze bei einer Familie mit zwei
Kindern wurde für zwei Jahre auf 180 000 Euro reduziert.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Nehmen Sie die Beispiele wieder zurück!)


– Nein, die nehme ich nicht zurück. Grundförderung:
1 000 Euro. Dazu kommen viermal 800 Euro. Na, wissen
Sie, was dabei herauskommt? Insgesamt sind das
4 200 Euro.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie Ihren Worten im Wahlkampf Taten folgen!
Wir sind zum Subventionsabbau bereit. Seien Sie es auch!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500807000

Auch Ihnen, liebe Kollegin Frechen, vom ganzen Haus

herzliche Glückwünsche zu Ihrer engagierten ersten Rede
hier im Deutschen Bundestag! Ich wünsche auch Ihnen
persönlich alles Gute.


(Beifall)

Nächster Redner ist der Kollege Willi Zylajew,

CDU/CSU-Fraktion.


Willi Zylajew (CDU):
Rede ID: ID1500807100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kollegin Frechen, da wir uns aus dem Wahlkreis
kennen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Ach! – Das gibt zu denken!)


muss ich zunächst einmal darauf hinweisen, dass Sie vor
einigen Jahren behauptet haben, Ihre Regierung habe den
Altbestand endlich schlechter gestellt als den Neubau,
weil sie den Vorkostenabzug abgeschafft habe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das muss man einmal sagen. Sie haben vor drei oder
vier Jahren im Erftkreis propagiert, dass die SPD für steu-
erliche Gerechtigkeit sorgt. Heute haben Sie in Ihrer ers-
ten Rede hier erklärt, dass Sie jetzt durch die Gleichstel-
lung des Altbestandes etwas Tolles tun. Es kann doch
nicht richtig sein, dass Flickschusterei weiterhin Hand-
lungsmaxime dieser Regierung ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf hin-
weisen, dass für viele Menschen in unserem Land ein an-
genehmes Lebensgefühl und Wohlbefinden einfach mit
Wohneigentum zusammenhängen. Das ist in allen sozio-
logischen Schichten unserer Bevölkerung so. Das ist in
den Ballungszonen der Fall, in den Ballungsrandzonen,
aber auch im ländlichen Bereich. Rund zwei Drittel unse-
rer Bevölkerung haben – Klaus-Peter Flosbach hat das
angesprochen – ihre Lebensplanung darauf fixiert, sich
Wohneigentum zu schaffen. Dies haben alle Regierungen,
aber auch wirklich alle, in der Nachkriegszeit in entspre-
chendem Maße gefördert.


(Zuruf von der SPD)

– Das ist aktuell, Herr Kollege. – Sie brechen mit dieser
vernünftigen Praxis, die zumindest aus unserer Sicht eine
wesentliche Säule einer guten Familien- und Sozialpolitik
darstellte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Gründe, warum Menschen Wohneigentum wün-
schen, liegen doch auf der Hand. Da hat sich nichts geän-
dert, auch nicht nach dem 22. September. Wohneigentum
schafft eine Grundsicherung. Woanders legen Sie auf
Grundsicherung so einen großen Wert und belasten die
Kommunen mit enormen Kosten. Wohneigentum ist wert-
beständig und nicht so extrem problematisch wie andere
Anlageformen. Wohneigentum bietet die Chance zur Um-
feldgestaltung und dazu, für Kinder Entfaltungsräume zu
schaffen; die sind Ihnen doch angeblich so wichtig. Alle
Wissenschaftler und alle Fachleute mit praktischen Er-
fahrungen in diesem Bereich sagen uns: Für die Entwick-
lung von Kindern und jungen Menschen ist Wohneigen-
tum ein ganz ganz wichtiger Faktor.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Landschaftsgrüne Witwen!)


Sie brechen diese wichtige Stütze der deutschen Sozial-
und Familienpolitik weg.

Hier wird – Frau Frechen, Sie kennen das – geschrö-
dert, das heißt, etwas anderes getan, als man gestern er-
klärt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Zahlen brauche ich nicht zu wiederholen; diesen Pas-
sus aus dem Manuskript kann ich mir sparen, denn die
Kollegen haben sie genannt. Aber auch wenn Sie jetzt
flickschustern und ein bisschen nachbessern, ändert das
nichts daran, dass Sie gestern etwas anderes erzählt und
versprochen haben, als Sie heute tun. Das ist ein schänd-
liches Verhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In meiner Heimat – ich erlebe das hautnah – gibt es

viele junge Paare, deren Lebensplanung so ausschaut,
dass sie sich erst Wohneigentum schaffen und dann den
Kinderwunsch realisieren. Ich frage mich: Warum scha-
den wir denen?


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Tun wir ja gar nicht!)


Gabriele Frechen




Willi Zylajew
Die haben das nicht verdient. Das sind die jungen Men-
schen, Frau Kollegin, die Leistungsträger unserer Gesell-
schaft.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau deswegen haben wir die Nachwirkung hereingenommen!)


Liebe Kollegin, wir beide in unserem Alter hoffen auf sie.

(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dann werden sie das auch in vier Jahren schaffen, wenn sie Leistungsträger sind! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie Leistungsträger sind, brauchen wir sie nicht zu subventionieren!)


Diese werden jetzt durch Ihr Handeln ganz negativ er-
wischt. Sie verschlechtern sehenden Auges die Chancen
der Alterssicherung von Männern und Frauen.

Die Wohneigentumsförderung der vorherigen Regie-
rungen war doch letztendlich wie eine Riester-Rente mit
100-prozentigem Wirkungsgrad. Die Menschen haben
eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation im Al-
ter erzielt, weil sie Wohneigentum hatten und etwa ein
Drittel des Einkommens, das sonst an Miete wegging,
sparen konnten.

Allein erziehenden Müttern und Vätern, denen Sie an-
geblich helfen wollen – ich weiß nicht, ob das bis in jede
Ecke der Regierung schon durchgedrungen ist –, rauben
Sie schlechthin Lebensräume. Ich denke an Zuwanderer,
die Ihnen doch angeblich so sehr am Herzen liegen. Zu-
wanderer


(Peter Dreßen [SPD]: Ja! Aber Sie sind gegen das Zuwanderungsgesetz!)


sind sehr an Wohneigentum interessiert. Aber Sie nehmen
mit dieser Gesetzesänderung denen fast alle Chancen, die-
ses Ziel zu erreichen. Ich denke auch an junge Leute.

Abschließend möchte ich sagen, weil die Zeit drückt:
Sie strangulieren die mittelständische Bauwirtschaft, ver-
nichten Hunderttausende von Arbeitsplätzen, reduzieren
die Chancen auf Alterssicherung, engen Selbstverwirk-
lichungsspielräume ein, kappen Zukunftsperspektiven für
Junge und Alte und dämpfen damit die Lebensqualität von
Menschen.

Ich hoffe sehr, dass Sie den Rest an Vernunft, den man
bei Ihnen vielleicht noch erwarten kann, aufwenden, um
zu einer vernünftigen Politik zurückzukommen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1500807200

Auch Ihnen, Herr Kollege Zylajew, unsere herzlichen

Glückwünsche zu Ihrer ersten Rede hier im Deutschen
Bundestag und persönlich alles Gute.


(Beifall)

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Spanier,

SPD-Fraktion.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1500807300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich
habe Ihnen sehr genau zugehört.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist immer wertvoll! – Eduard Oswald [CDU/ CSU]: Es war noch nie so wertvoll wie heute!)


Substanziell war da wirklich nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es war viel künstliche Erregung, viel Pathos; ich erinnere
nur an „Blutspuren“ und „Lufthoheit über Kinderbetten“.
Es war schon sehr interessant, welche sprachlichen Spiele
Sie da getrieben haben; aber substanziell war nichts, bis
auf folgende Forderungen: Erstens, es soll alles so blei-
ben, und zweitens, es soll kräftig draufgepackt werden.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ach, Herr Spanier! So können Sie das nicht stehen lassen!)


Schauen wir uns den Wohnungsmarkt einmal in der ge-
botenen Ruhe und Sachlichkeit an. Wir haben nun einmal
in weiten Teilen einen gesättigten Wohnungsmarkt. Das
Spiel von Angebot und Nachfrage sollten Sie als Letztes
außer Kraft setzen. Wir hatten schon in den letzten Jahren
einen Rückgang der Nachfrage auch nach Eigenheimen.
Das ist ein Faktum. Was das Anfachen des Wohnungsbaus
mit künstlichen Anreizen angeht, haben wir mit der Son-
derabschreibung in den neuen Bundesländern Erfahrun-
gen gemacht. Den Fehler, den Sie damals gemacht haben,
werden wir auf keinen Fall wiederholen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur realistischen Betrachtungsweise des Wohnungs-
markts gehören auch folgende Zahlen des Zeitraums 1999
bis 2001: jährlich durchschnittlich lediglich plus 1 Pro-
zent bei den Nettokaltmieten, 1,8 Prozent Steigerung der
Nebenkosten, Baupreisindex stabil, sogar mit leichtem
Minus versehen, durchschnittlicher Zinssatz von 6 Pro-
zent. In einem einzigen Punkt haben wir allerdings eine
deutliche Steigerung, und zwar beim baureifen Land. Hier
sind die Kosten in diesem Dreijahreszeitraum um 10 Pro-
zent gestiegen.

Wir haben also sehr ausgeglichene Bedingungen auf
dem Wohnungsmarkt.

Zum Eigenheimzulagengesetz. Zwei Ziele sind 1995
mit diesem Gesetz verfolgt worden: erstens eine kräf-
tige Belebung der Eigentumsbildung. Das ist gelungen:
50 Prozent Bestandserwerb, 44 Prozent Neubau, 6 Pro-
zent Ausbau und Erweiterung. Das zweite war ein sozial-
politisches Ziel, nämlich die Förderung von Familien mit
Kindern. Auch dies ist in hohem Maße erreicht worden.
Diese Förderung war sozial treffsicher.

Aber die Wirkungsanalyse der Bauministerkonferenz,
die ich gerade zitiert habe, stellt fest, dass die Wirkung
räumlich sehr unterschiedlich war und sehr stark von den
örtlichen Bedingungen abhängt. Günstige Bodenpreise
sind dabei ein ganz entscheidender Faktor. Wir brauchen


(A)



(B)



(C)



(D)


432


(A)



(B)



(C)



(D)






also ein ausreichendes und nachgefragtes Angebot und
nicht künstliche Anreize.

Es gibt zwei Schlüsselfaktoren: die Eigenheimzulage
und die Bodenpreise. Beide sind maßgeblich für den Er-
folg der Eigentumsförderung.

Zum finanzpolitischen Aspekt. Es ist richtig: Die Ei-
gentumsförderung ist der bedeutendste Brocken der Sub-
ventionen. 1996 sind wir von einem Volumen von rund
17 Milliarden DM ausgegangen. Das höchste Finanzvo-
lumen werden wir 2003 haben. Es liegt noch höher, als die
v
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1500807400
Wir liegen bei Aufwendungen von insge-
samt etwa 10 Milliarden Euro, weil wir noch Steuer-
schleppen aus den vergangenen Jahren haben.

Die Ausgaben sind also trotz Rückgangs der Anträge in
den letzten Jahren fortlaufend gestiegen. Wir kommen um
folgende Tatsache nicht herum: Es gibt sehr enge finanz-
politische Rahmenbedingungen. Wir alle gemeinsam –
also Regierungskoalition, Opposition, Bund, Länder und
Kommunen – haben den Auftrag, den Haushalt zu konso-
lidieren. Diese Notwendigkeit kann man nicht wegdisku-
tieren; denn Bund und Länder müssen finanziell entlastet
werden.

Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden: Der
Schrei nach Subventionsabbau, den ich in den letzten
Monaten – auch in meinem Wahlkreis – so oft hören
musste, ist auf einmal völlig verstummt. Er wird sogar ins
Gegenteil verkehrt, indem nach mehr und höheren Sub-
ventionen geschrien wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass die Wohnungsförderung bei der Konsolidierung
nicht außen vor bleiben kann, muss auch ich als enga-
gierter Wohnungsbaupolitiker akzeptieren. Im Übrigen
sehen die Länder das genauso.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ich greife einmal ein Land heraus: nicht Baden-Würt-
temberg, sondern Bayern, das mir besonders am Herzen
liegt. Was tut Bayern im Haushaltsentwurf für das Jahr
2003? – Bayern kürzt die Wohnförderung auf einen
Schlag um 30 Prozent von 286 Millionen Euro auf
200 Millionen Euro –


(Peter Dreßen [SPD]: Baden-Württemberg ist nicht besser, sondern kürzt genauso!)


aus genau den gleichen Gründen, denen auch wir Rech-
nung tragen müssen. Der Pathos und die Erregung, mit de-
nen Sie Ihre Standpunkte vorgetragen haben, sind nicht
mehr nachvollziehbar, wenn man die Finanzsituation
nüchtern betrachtet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500807500

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1500807600

Es ist blanke Polemik, wenn in der Öffentlichkeit ge-

sagt wird, die Eigenheimzulage werde auf null gebracht.
Wir werden im Jahre 2006 immerhin noch 75 Prozent des
jetzigen Finanzvolumens ausgeben. Wir werden im Jahre
2010 bei knapp der Hälfte des gegenwärtigen Volumens
sein. Von Auf-null-Bringen kann also überhaupt keine
Rede sein.

Ich hoffe, dass Sie in den Beratungen im Parlament und
auch im Bundesrat Ihren Beitrag dazu leisten werden, eine
sozial ausgewogene Eigentumsförderung mit der drin-
gend notwendigen Haushaltskonsolidierung auf allen
staatlichen Ebenen zu verknüpfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500807700

Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller von der

CDU/CSU-Fraktion.


Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1500807800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau

Staatssekretärin, wenn man Ihre Ausführungen und auch
die Reden vonseiten der Regierungsfraktionen hört, kann
man den Eindruck gewinnen, es handele sich bei der
Eigenheimzulage lediglich um ein Steuerschlupfloch am
Rande der Legalität, das sich irgendein findiger Steuerbe-
rater ausgedacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch hier hat Sie der Sinn für die Realität verlassen.
Ich möchte Sie daran erinnern: Die Eigenheimzulage soll
Bürgerinnen und Bürgern den Bau oder den Erwerb von
Wohneigentum finanziell erleichtern und damit letztlich
auch den Vermögensaufbau und die Altersvorsorge för-
dern. Ich meine, die Eigenheimzulage in der bisherigen
Form hat sich bewährt und entspricht den Anforderungen,
die man seinerzeit, als man sie beschlossen hat, in sie ge-
setzt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Vor allem den Durchschnittsverdienern wird es da-
durch ermöglicht, Eigentum zu erwerben. Durch die Ei-
genheimzulage wurde erreicht, vor allem Familien mit
Kindern bei der Eigentumsbildung zu unterstützen. Dies
bestätigt im Übrigen auch eine Studie des Bundesamtes
für Bauwesen und Raumordnung. Das Fazit dieser Studie
lautet: Für eine Reform der Eigenheimzulage gibt es keine
sachlichen Gründe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP])


Meine Damen und Herren von Rot-Grün, das haben
Sie bis vor einiger Zeit genauso gesehen; denn im Juni be-
tonten SPD und Grüne in einem gemeinsamen Antrag:

Wolfgang Spanier




Stefan Müller (Erlangen)


Die Förderung des selbst genutzten Wohneigentums
hat gesellschaftspolitisch einen hohen Stellenwert.
Wir messen der Eigenheimzulage einen hohen Stel-
lenwert zu.

Herr Kollege Spanier, im April betonten Sie:
Aus wohnungspolitischer Sicht halten wir auch die
derzeitige Höhe des Fördervolumens für sinnvoll.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)


Sie haben diese Aussage in einer Debatte im Juni mit den
deutlichen Worten ergänzt:

Die Eigentumsförderung bleibt selbstverständlich
erhalten.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So sind sie halt!)


Im Koalitionsvertrag heißt es lediglich:
Die Eigenheimzulage werden wir auf diejenigen
konzentrieren, die sie wirklich brauchen: Familien
mit Kindern.

Nach Ihrem ersten Vorschlag hätte eine Familie mit zwei
Kindern 1 600 Euro im Jahr weniger bekommen. Das ist
offensichtlich Ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel

hat angekündigt, er werde auf keinen Fall zustimmen,
wenn die Grundförderung gestrichen werden sollte. Jetzt
haben Sie das Ganze noch einmal überarbeitet und wieder
einmal – wie schon so oft – ein bürokratisches Monster
vorgestellt. Ich frage Sie heute: Ist das das letzte Wort? Ich
persönlich glaube dies nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es ist ein Stochern im Ne-

bel. Bei Ihnen weiß die linke Hand nicht, was die rechte
tut. Die Bürger werden stattdessen jeden Tag mit neuen
Meldungen weiter verunsichert. Es ist an der Zeit, dass
Sie endlich für Klarheit sorgen.

Dabei sollten Sie sich vor Augen führen, was die Kür-
zung der Eigenheimzulage für die Betroffenen bedeutet.
Die Eigenheimzulage ist ein wesentlicher Baustein bei ei-
ner privaten Baufinanzierung, auch und gerade für junge
Familien, also für die Personengruppe, die Sie, wie Sie
vorgeben, fördern wollen.

Wenn ein Bauwilliger heute bei einer Bank um ein
Darlehen nachsucht, muss er zum einen Eigenkapital mit-
bringen und zum anderen imstande sein, den entspre-
chenden Kapitaldienst zu leisten. Die Eigenheimzulage
ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Kapitaldienst-
fähigkeit einer Familie. Es ist für Familien ohnehin
schwierig genug, den verbleibenden Kapitaldienst zu be-
wältigen.

Wenn es bei dem, was Sie vorgeschlagen haben, bleibt,
wird der Bau und der Erwerb von privatem Wohnungsei-
gentum noch mehr zurückgehen. Wenn Sie die Eigen-

heimzulage kürzen, werden in diesem Land noch weniger
Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen ein
Eigenheim erwerben können – und das, obwohl wir in
Deutschland ohnehin schon eine unterdurchschnittliche
Wohneigentumsquote haben.

Führen Sie sich bitte vor Augen: Der Erwerb von
Wohneigentum ist in unserem Land von ganz wesentli-
cher Bedeutung für die Altersvorsorge und die Vermö-
gensbildung. Die Eigenheimzulage ist ein sinnvolles In-
strument, die Bemühungen zur privaten Vorsorge und
Vermögensbildung zu unterstützen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf etwas hinwei-
sen: Gebetsmühlenartig machen Sie uns immer wieder
darauf aufmerksam, dass wir die Wahl nicht gewonnen
hätten. Sie haben die Wahl nicht verloren, weil Sie die
Wähler getäuscht haben. Wortbruch und Wählertäu-
schung sind zum Markenzeichen Ihrer Politik geworden.
Die Eigenheimzulage ist dabei nur eines von vielen Bei-
spielen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500807900

Herr Kollege Müller, im Namen des Hauses gratuliere

ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall)


Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500808000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Bundeskanzler meinte nach der Wahl, eine Mehrheit habe
für den Erhalt des Sozialstaates gestimmt und damit ge-
gen eine Regierung von CDU/CSU. Das mag so sein; aber
das, was Sie in den letzten drei Wochen hier abgeliefert
haben, das sind klaftertiefe Einschnitte in den Sozialstaat.
Das hat mit der sozialdemokratischen Epoche, die der
Bundeskanzler auch nach dieser Wahl wieder ausgerufen
hat, nichts zu tun.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Damit wir uns nicht falsch verstehen, Frau Staats-
sekretärin: Auch ich meine, dass in der Bundesrepublik
Subventionen abgebaut werden können. Aber Subvention
ist nicht gleich Subvention. Man muss sehr genau hin-
schauen, wo etwas gestrichen wird.

Ich denke, Ihre Reihenfolge ist schlicht falsch. Erfor-
derlich ist zuallererst einmal die Verbesserung der Situa-
tion in den Ballungszentren. Diese Situation treibt viele
Familien nicht nur aus den Städten, sondern in die einzig
bestehende Alternative. Wenn Sie schnell die Altschul-
denfrage zugunsten von Wohnungsgenossenschaften und
den verbliebenen Wohnungsgesellschaften lösen, dann
können Sie auch an die Überprüfung der Subventionen
des Eigenheimbaues gehen,


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])



(A)



(B)



(C)



(D)


434


(A)



(B)



(C)



(D)






und zwar nicht im Sinne von ersatzloser Streichung, son-
dern im Sinne der Förderung sowohl des privat und selbst
genutzten Wohneigentums als auch des genossenschaft-
lichen Wohnungserwerbs bzw. Wohnungsbaus.

In der Koalitionsvereinbarung ist nicht zu ersehen, was
Sie mit den eingesparten Mitteln durch den Wegfall der
Grundförderung tun wollen. Wollen Sie den sozialen
Wohnungsbau dort, wo noch notwendig, stärken? Wollen
Sie einen attraktiveren Stadtumbau Ost bewerkstelligen,
um die Flucht aus den Städten im Osten zu verhindern, in-
dem Sie den Menschen dort eine lebenswerte Perspektive
geben? Oder sollen diese Gelder dem mittelständischen
Bausektor zugute kommen, zum Beispiel durch die Stadt-
erneuerung und die Schaffung rechtsklarer Verhältnisse?
Selbst in dieser Stadt müssen für einige Straßenzüge
zunächst klare Rechtsverhältnisse geschaffen werden, be-
vor entsprechend investiert werden kann.

Ich habe noch einen Vorschlag, wie die Regierung spa-
ren könnte,


(Erika Lotz [SPD]: Ja, ja!)

nämlich durch die Abschaffung der steuerlichen Begüns-
tigung nicht selbstgenutzten privaten Wohneigentums.
Sie könnten Abschreibungsmöglichkeiten streichen und
die dadurch eingesparten Gelder für die Verbesserung des
Lebens in den Stadtzentren einsetzen.

Danke schön.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak tionslos])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500808100

Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung
der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung und in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung (Beitragssatzsicherungsgesetz – BSSichG)

– Drucksache 15/28 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur
Änderung des Fünften Buches Sozialgesetz-

(Zwölftes SGB V-Änderungsgesetz – 12. SGB V ÄndG)

– Drucksache 15/27 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung (f)

Rechtsausschuss

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das
Wort die Kollegin Helga Kühn-Mengel von der SPD-
Fraktion.


Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1500808200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition spricht nur
allzu gerne von einer hausgemachten wirtschaftlichen
Krise. Sie irrt auch in diesem Punkt.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Die Ökonomen sind sich einig: Wir haben es mit einer
globalen Konjunkturabkühlung zu tun.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Märchenstunde!)


Der weltwirtschaftliche Abschwung hat Spuren hinterlas-
sen, sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch bei den sozia-
len Sicherungssystemen. In der gesetzlichen Krankenver-
sicherung haben wir ein Einnahmeproblem. Zudem sind
die Ausgaben deutlich zu hoch; dies gilt insbesondere für
den Arzneimittelbereich. Auch die Einnahmen in der Ren-
tenversicherung sind wegen der schwachen Konjunktur
unter dem erwarteten Niveau geblieben.

In ihrem Frühjahrsgutachten 2002 hatten die Wirt-
schaftsweisen für den Herbst eine wirtschaftliche Bele-
bung prognostiziert. Wir durften deshalb mit Fug und
Recht hoffen, dass die aufgelaufenen Defizite in Höhe
von etwa 2,5 Milliarden Euro im zweiten Halbjahr weit-
gehend abgebaut werden können. Die weltweite Kon-
junkturabkühlung hat auch starke Auswirkungen auf die
deutsche Wirtschaft. Hier musste die Prognose ebenfalls
nach unten korrigiert werden. Deshalb, liebe Kolleginnen
und Kollegen, müssen wir feststellen, dass das Einnah-
medefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung zum
Jahresende 2002 etwa 1,5 Milliarden Euro betragen wird.

Aber wir handeln,

(Lachen bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ja das Schlimme daran!)


und zwar sowohl im Bereich der GKV als auch im Be-
reich der Rentenversicherung.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte daran erinnern, dass uns die heutige Oppo-

sition einen Beitragssatz in der Rentenversicherung von
20,3 Prozent hinterlassen hat.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Einen Überschuss in der Krankenversicherung von Milliarden!)


– Den Überschuss, von dem Sie reden, haben Sie auf dem
Rücken der Patientinnen und Patienten durch Zuzahlungen,

Petra Pau




Helga Kühn-Mengel
die Benachteiligung chronisch Kranker, Krankenhaus-
notopfer und andere Maßnahmen erwirtschaftet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer bezahlt jetzt die Beiträge?)


Wir haben inzwischen dafür gesorgt, dass die Rente für
ältere Menschen sicher ist und dass sie auch für die jün-
geren bezahlbar bleibt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das glauben die aber nicht!)


Wir fördern die private Altersvorsorge mit fast 13 Mil-
liarden Euro. Das hat noch nie eine Regierung getan.

Bitte erinnern Sie sich: Wir haben die Patientinnen und
Patienten von Zuzahlungen befreit,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Befreit? Das darf ja nicht wahr sein! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Was? Da waren Sie lange nicht in der Apotheke!)


die Arzneimittelzuzahlungen reduziert, chronisch Kranke
entlastet, die Zuzahlungen für Psychotherapie abgeschafft
und das Krankenhausnotopfer rückgängig gemacht. Wir
haben die Prävention, die Sie abgeschafft haben, wieder
eingeführt.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wahnsinn!)

Wir haben vor allem die Qualität in der Behandlung


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Schlechter gemacht!)


endlich erhöht und eine bessere Versorgung auf den Weg
gebracht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben ein Wahrnehmungsproblem! – Weiterer Zuruf von der CDU: Und Wartezeiten verlängert!)


Das Gebot in der Gesundheits- und Sozialpolitik lautet
im Moment: Beitragssatzsteigerungen nach Möglich-
keit vermeiden. Jetzt steht die Politik


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vor einem Scherbenhaufen!)


vor einer schwierigen und verantwortungsvollen Ent-
scheidung. Sie kann, wie Sie es gemacht haben, die Hände
in den Schoß legen und Beitragssatzerhöhungen in Kauf
nehmen – oder sie gestaltet und ergreift kurzfristig Maß-
nahmen zur Gegensteuerung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So einen Schwachsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört! – Zuruf von der FDP: Planwirtschaft!)


Für den letzteren Weg haben wir uns entschieden.
Die anstehenden Reformen entsprechend den Vor-

schlägen der Hartz-Kommission werden mittelfristig
dazu beitragen, die wirtschaftliche Situation und damit
auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Sie werden die Einnahmebasis der Kranken- und Renten-
versicherung verbreitern und verstärken. Steigende Lohn-
nebenkosten erschweren natürlich die Belebung des Ar-
beitsmarkts. In der Ära Seehofer ist die schwarz-gelbe
Koalition in derselben Situation auf den Dreh verfallen,
den Patientinnen und Patienten tiefer in die Tasche zu
greifen und Leistungen auszugrenzen. Das haben Sie ge-
macht! Diesen unsozialen Fehler wollen wir vermeiden.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Jetzt müssen sie 100 Prozent zuzahlen!)


Wir setzen weiter auf Qualität, auf Transparenz und
auf Solidarität. Unser Kostendämpfungskonzept


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Tolles Konzept!)

sieht vor, allen Hauptakteuren im Gesundheitswesen fi-
nanzielle Opfer abzuverlangen,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Besonders bei den Zahntechnikern!)


und wir meinen, dass dies gerechtfertigt ist. Sie sollen
ihren Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen der Kran-
kenkassen beisteuern.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die müssen Ihren Murks bezahlen! Das ist das Problem!)


Die Belastungen fallen unterschiedlich aus. Den größ-
ten Konsolidierungsbeitrag fordern wir denjenigen ab, die
in den letzten Jahren von den Ausgabensteigerungen der
gesetzlichen, solidarisch finanzierten Krankenversiche-
rung am meisten profitiert haben: pharmazeutische Indus-
trie, Pharmagroßhandel und Apotheken.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Und die Zahntechniker!)


In der Wertschöpfungskette Arzneimittel wollen wir im
Jahr 2003 über Großkundenrabatte 1,4 Milliarden Euro
einsparen.

Neben der Einführung von Rabatten auf der Hersteller-
und Verteilebene wollen wir auch das Problem der
Arzneimittel angehen, bei denen das Preis-Leistungs-
Verhältnis nicht stimmt. Hier unternehmen wir einen wei-
teren Schritt zur Kosten-Nutzen-Analyse von Medika-
menten. Die Positivliste wird folgen.

Bei der Vergütung von Ärzten und Zahnärzten wird es
im Jahr 2003 keine Steigerung geben, es sei denn, wir fin-
den Unterstützung in unserem Bemühen, mehr Qualität
und Effizienz ins System zu bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn sie den Leuten Leistungen vorenthalten, dann kriegen sie mehr Geld!)


Ich will in diesem Zusammenhang die strukturierten Be-
handlungsprogramme erwähnen, die wir auf den Weg ge-
bracht haben und die endlich einmal den Patienten, die Pa-
tientin in den Mittelpunkt stellen, Transparenz schaffen,
Leitlinien geben, das System besser vernetzen und durch-
sichtiger machen. Das ist ganz entscheidend und soll be-
lohnt werden.


(Beifall bei der SPD)



(A)



(B)



(C)



(D)


436


(A)



(B)



(C)



(D)






Ärzte und Zahnärzte erleiden gegenüber dem Jahr
2002 also keine finanziellen Einbußen; Vertragsärzte
müssen lediglich auf eine Vergütungssteigerung von im
Durchschnitt 158 Euro im Monat verzichten.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben null Ahnung; Entschuldigung!)


Wir meinen: Das ist zumutbar.
Auch die Krankenhäuser werden im Jahr 2003 haus-

halten und mit den Budgets des Jahres 2002 auskommen
müssen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber sie müssen höhere Leistungen bezahlen! Haben Sie das kapiert? Das ist ja nicht zu glauben! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Energie wird teurer, Löhne werden teurer!)


Aber es gibt eine Reihe von Ausnahmen für die Kliniken.
Damit wollen wir diejenigen ermutigen und belohnen, die
Strukturveränderungen vorantreiben, eine mutige Reform-
politik unterstützen sowie Qualität und Wirtschaftlichkeit
stärken. Erste Ausnahmen gibt es für diejenigen, die das
Fallpauschalensystem für das Jahr 2003 eingeführt haben.
Sie werden also unterstützt. Sie können Budgets verein-
baren, bei denen die Steigerungsrate der Grundlohn-
summe bis zur Obergrenze von 0,81 Prozent im Westen
und 2,09 Prozent im Osten ausgeschöpft wird.

Wir öffnen noch einen weiteren Korridor: Wir geben
den Krankenhäusern, die sich bisher noch nicht entschei-
den konnten, dieses Entgeltsystem einzuführen, die Mög-
lichkeit, bis zum Jahresende ihre Entscheidung zu über-
denken, zu korrigieren und dieses neue System zu
unterstützen. Auch sie werden also belohnt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es sind inzwischen – auch dies soll einmal Erwähnung
finden; schließlich ist das wichtig – 470 von rund 2 000
Krankenhäusern, die sich für dieses System entschieden
haben.

Eine weitere Ausnahme sind Arbeitszeitmodelle, die
– genauso wie Rationalisierungsmaßnahmen – von uns
unterstützt werden. Nach geltendem Recht können auch
Krankenhäuser überbudgetäre Zahlungen von den Kran-
kenkassen erhalten, wenn sie nicht in der Lage sind, BAT-
Steigerungen aus ihrem Budget zu finanzieren.

Das alles zeigt, dass wir uns um diesen Bereich küm-
mern. Wir stärken diejenigen, die den Reformweg mitge-
hen, und halten es daher für völlig kontraindiziert, wenn
die Deutsche Krankenhausgesellschaft mit Plakaten und
in großen Anzeigen gegen unsere Politik vorgeht. Das
dafür verwendete Geld hätte sie besser gespart.


(Beifall bei der SPD)

Die Höchstpreise für Zahnersatzwerden um 5 Prozent

gesenkt. Dadurch sparen die Krankenkassen Ausgaben in
Höhe von 100 Millionen Euro. Wir haben uns des Weite-
ren auch an ein schwieriges Thema herangewagt: Das
Sterbegeld wird halbiert. Es ist nicht einfach, diesen Weg

zu gehen. Aber ich darf Sie daran erinnern, dass viele das
Sterbegeld für eine so genannte versicherungsfremde
Leistung halten. Wir erhalten immerhin noch die Hälfte
dieser Leistung.

Den Konflikt mit der privaten Krankenversicherung
um die Versicherungspflichtgrenze entschärfen wir. Wir
belassen es bei der jetzigen Gesetzesmechanik, wonach
die Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen
Krankenversicherung 75 Prozent der Beitragsbemes-
sungsgrenze der Rentenversicherung beträgt. Nach der
Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auf 5 100 Euro
liegt die Versicherungspflichtgrenze demnach bei 3 825
Euro. Sie gilt nicht mehr nur für Berufsanfänger, sondern
für alle Mitglieder der Krankenkassen. Wir erreichen mit
der Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze, dass auch
junge, gut verdienende Arbeitnehmer mehr und länger als
bisher ihren solidarischen Beitrag leisten. Diesen brau-
chen wir, damit wir den Rücken freihaben und ohne Kos-
ten- und Zeitdruck über eine Strukturreform – diese be-
reiten wir vor – diskutieren können. Wir wollen eine
Reformpolitik machen, die die Qualität weiter stärkt, die
Transparenz im Gesundheitswesen herstellt und die eine
optimale Versorgung für jeden Mann und für jede Frau
möglich macht.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich weiß nicht, wovon Sie reden!)


Unterstützen Sie uns auf diesem Weg;

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Was? Nein, nein! –Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da müssten wir ja krank sein!)


denn dieser ist gut für die Patientinnen und Patienten in
Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500808300

Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Storm von der

CDU/CSU-Fraktion.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1500808400

Herr Präsident! Meine Damen und Heren! Frau Kolle-

gin Kühn-Mengel, das, was Sie uns gerade erzählt
haben, war in Anbetracht der Uhrzeit – es ist erst
15:23 Uhr – eine vorgezogene Märchenstunde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ihre Rede zeugte davon, dass Sie unter einem er-
schreckenden Realitätsverlust leiden. Alles erfolgt nach
dem Motto: Schuld sind die anderen.

Es ist ja eigentlich ein Unding, dass wir heute über-
haupt eine solche Debatte führen müssen. Frau Ministerin
Schmidt, Sie haben doch im Sommer gesagt: Bei der
Rente bekommen wir das in den Griff; es wird keine Bei-
tragserhöhungen geben! Sie haben auch noch Anfang Au-
gust in einer Debatte erklärt, zwar drohten bei den priva-
ten Krankenversicherern steigende Beiträge, aber bei den

Helga Kühn-Mengel




Andreas Storm
gesetzlichen Krankenkassen habe man alles im Griff. Die
gesetzlichen Krankenkassen wiesen in diesem Jahr kein
Defizit auf, niemand brauche sich Sorgen über mögliche
Beitragssteigerungen zu machen.

Nun, wenige Wochen nach der Bundestagswahl, stehen
Sie vor einem Scherbenhaufen. Die Behauptung, zwi-
schen Anfang August und Anfang November sei die Welt-
konjunktur zusammengebrochen und deshalb müsse der
Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung
angehoben werden, ist eine Lachnummer. Sie dient nur
dazu, die Menschen an der Nase herumzuführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun versucht Rot-Grün in heilloser Panik einen massi-

ven Beitragsanstieg durch ein Vorschaltgesetz, das ein
verkapptes Notstandsgesetz ist, in letzter Minute zu stop-
pen.


(Widerspruch bei der SPD – Fritz Schösser [SPD]: Wissen Sie, was Notstandsgesetze sind? – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Was heißt „verkappt“? Aber kein Mensch glaubt ernsthaft, dass Ihnen das gelingen wird. Wir werden im nächsten Jahr einen neuen Rekordbeitrag bei den gesetzlichen Krankenkassen erleben. Die 40 Krankenkassen, die bereits jetzt eine Erhöhung der Beiträge beantragt haben, sind die Vorläufer. Wir werden erleben, dass Anfang Dezember, also noch vor dem InKraft-Treten Ihres Vorschaltgesetzes, die Beiträge auf breiter Front steigen werden. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung ist die Lage schlichtweg katastrophal. Vor eineinhalb Jahren haben Sie eine so genannte Jahrhundertreform verabschiedet. Herr Riester sagte: Im Jahr 2003 werden wir einen Rentenbeitrag von 18,7 Prozent haben. Vor der Bundestagswahl haben Sie immer noch behauptet, der Rentenbeitrag bleibe stabil bei 19,1 Prozent. Nun erdreisten Sie sich und legen ein Vorschaltgesetz vor, in dem steht, dass der Beitrag zur Rentenversicherung ohne Korrekturen auf 19,9 Prozent steigen wird – eine Veränderung von 1,2 Beitragssatzpunkten innerhalb von eineinhalb Jahren. Dazu kann man nur sagen: Schlimmer geht’s nimmer. Wie hat die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen getönt und die Muskeln spielen lassen. Es war die Rede von Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Fritz Kuhn, der Grünen-Chef, erklärte noch am Montag dieser Woche, am Ziel von 19,3 Prozent festzuhalten, sei für die Grünen elementar und wichtig. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Zwergenaufstand!)


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)


(Peter Dreßen [SPD]: 0,8!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelan-
det.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Was ist denn aus den großen Sprüchen geworden? Wo ist
denn die Beitragsstabilität? Der Anstieg auf 19,5 Prozent
ist massiv. Was ist mit der Generationengerechtigkeit?
Was ist mit der Nachhaltigkeit?

Sie erklären nicht nur, dass die Beiträge massiv stei-
gen, sondern gleichzeitig erhöhen Sie die Beitragsbe-
messungsgrenze von 4 500 auf 5 100 Euro. Das ist so
ziemlich die verrückteste Maßnahme, die man im Hin-
blick auf Generationengerechtigkeit machen kann;


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

denn die Konsequenz einer solchen Politik


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Nur abkassieren!)

ist doch, dass Sie zwar im nächsten Jahr ein bisschen mehr
einnehmen, in 20 Jahren aber, wenn die Probleme bei der
Alterssicherung kaum noch in den Griff zu bekommen
sind, höhere Ansprüche bestehen.

Ein ganz entscheidender Punkt: Sie zwingen ausge-
rechnet die Besserverdienenden – das sind oft die Fachar-
beiter, die Leistungsträger unserer Gesellschaft –, einen
höheren Teil ihres Einkommens für die gesetzliche Rente
aufzuwenden.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Wovon sie nie etwas erhalten!)


Damit versetzen Sie der ohnehin kaum angelaufenen
Riester-Rente den Todesstoß. Es macht keinen Sinn, eine
solche Politik zu betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, das Ganze wird mit dem

Vorhaben, die Rücklagen der Rentenversicherung wei-
ter abzuschmelzen, auf die Spitze getrieben. Es war be-
reits ein Unding, dass Sie im vergangenen Jahr die
Schwankungsreserve auf 80 Prozent reduziert haben;
denn diesen Notgroschen brauchen die Rentenversiche-
rer, damit sie auch dann, wenn die Einnahmen nicht recht-
zeitig eingehen, in der Lage sind, die Renten aus eigener
Kraft zu finanzieren.

Die 80-Prozent-Marke werden wir in diesem Jahr weit
unterschreiten. Es ist sogar fraglich, ob noch 60 Prozent
erreicht werden. Sie aber reduzieren weiter und sagen:
Die Rentenversicherer brauchen nur noch 50 Prozent ei-
ner Monatsausgabe vorzuhalten. Damit ist völlig klar,
dass die Rentenversicherer spätestens in den Spätsom-
mermonaten des Jahres 2003 die Renten nicht mehr aus
eigener Kraft bezahlen können.

Das bedeutet nicht, dass deswegen die Renten nicht ge-
zahlt werden, es bedeutet aber, dass die Rentenversiche-
rer dann Geld vom Finanzminister brauchen. Wenn der
Finanzminister seine Finger in den Kassen der Renten-
versicherung hat, ist eines vorprogrammiert: Rente nach
Kassenlage. Deswegen ist dieses Vorhaben falsch und
schändlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie behaupten nun, die Probleme der Rentenfinanzie-

rung mit einem Beitragssatz in Höhe von 19,5 Prozent im
Griff zu haben. Auch das ist ein Ammenmärchen. Der


(A)



(B)



(C)



(D)


438


(A)



(B)



(C)



(D)






Chef der Rentenversicherungsträger in Frankfurt am
Main, Professor Ruland, hat gestern in einem Interview
deutlich gemacht: Die Rentenfinanzen sind auch bei ei-
nem Beitragssatz von 19,5 Prozent, trotz all dieser Maß-
nahmen, „auf Kante genäht“. Das bedeutet: Auch die
19,5 Prozent werden wohl nicht ausreichen, um im nächs-
ten Jahr eine ordentliche Finanzierung der Rente sicher-
zustellen. Damit sind auch die Beschwichtigungsversu-
che von Ihnen, Frau Schmidt, auf Sand gebaut. Sie haben
gestern wieder in Interviews erklärt: Der Beitragssatz
wird vielleicht schon 2004 auf 19,4 Prozent sinken und
2005 würde er weiter sinken. Wer sich dermaßen ver-
schätzt hat wie Rot-Grün in den letzten 18 Monaten und
dann noch behauptet, der Beitragssatz würde im kom-
menden Jahr wieder heruntergehen, der legt eine Form
von Dreistigkeit an den Tag, die sich gewaschen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man braucht kein großer Prophet zu sein,


(Karsten Schönfeld [SPD]: Sie sind es auch nicht!)


um vorauszusagen: Im Jahre 2004 werden die Beiträge für
die gesetzliche Rentenversicherung die 20-Prozent-
Marke übersteigen.

Nicht nur die finanzielle Situation in der Rentenversi-
cherung ist katastrophal. Sie müssen ein totales Scheitern
auch in der Gesundheitspolitik konstatieren. Die Kolle-
gin Kühn-Mengel hat den Versuch unternommen – nach
dem Motto: Schuld sind die anderen –, ein sozusagen
ehernes Naturgesetz zu formulieren, das besagt: Wir ma-
chen alles richtig; nur die Umwelt funktioniert nicht so,
wie sie soll. Das geht an den eigentlichen Ursachen der
Probleme der Sozialversicherung vorbei. Professor
Schwartz, der frühere Vorsitzende des Sachverständigen-
rates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen,
hat Ihnen dieser Tage ins Stammbuch geschrieben, dass
wir es nicht in erster Linie mit einem Ausgabenproblem,
mit einem Kostenproblem zu tun haben, vielmehr handelt
es sich um ein selbst gemachtes Einnahmenproblem.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Beitragsbasis der sozialen Sicherungssysteme
schmilzt dahin wie Eis in der Sonne. Das hat vor allen
Dingen drei Gründe. Der erste Grund ist die verfehlte
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Über 4 Millionen
Arbeitslose auch in diesem Monat – heute kamen die neu-
esten Zahlen; es gibt wiederum eine Verschlechterung –,
über 40 000 Firmenpleiten, eine herabgesetzte Einschät-
zung der Wachstumsentwicklung – das alles entzieht den
Sozialversicherungsträgern Jahr für Jahr Milliardensum-
men. Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben es bereits
errechnet: Allein der Beitragssatzanstieg in der gesetzli-
chen Rentenversicherung im kommenden Jahr vernichtet
weitere 60 000 Arbeitsplätze. Das ist die Politik von Rot-
Grün!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Abenteuerlich!)


Es gibt aber einen weiteren Punkt, der zeigt, warum Sie
die Probleme selbst mit verursachen: Ich meine die Ver-
schiebebahnhöfe zulasten der Sozialkassen.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Die haben Sie doch eingeführt, diese Verschiebebahnhöfe!)


Sie machen ein Paket für das Gesundheitswesen, über das
Sie sagen: Damit werden die Kassen um etwa 3,5 Milli-
arden Euro entlastet. Gleichzeitig wird die Sozialversi-
cherung durch Ihre Maßnahmen im nächsten Jahr um
mehr als 2Milliarden Euro geschröpft. Diese 2Milliarden
Euro ergeben sich insbesondere als Konsequenz aus der
Gesetzgebung im Zusammenhang mit den Hartz-Vor-
schlägen. Der Bund zahlt dann weniger Beiträge für die
Empfänger von Arbeitslosenhilfe; sie sehen Maßnahmen
bei der Entgeltumwandlung vor, die den Sozialkassen
Geld entziehen. Das verrückteste Beispiel finden wir
beim Zahnersatz. Da werden die Leistungserbringer ge-
zwungen, ihre Kosten zu reduzieren; gleichzeitig wird die
Mehrwertsteuer in diesem Bereich vom reduzierten auf
den vollen Satz erhöht. Absurder kann man eine solche
Politik nicht machen: Mit der einen Hand wird genom-
men, mit der anderen Hand wird zugunsten des Finanz-
ministers gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch an anderer Stelle ist dieses Sparpaket in weiten

Teilen der pure Irrsinn. Ärzten und Krankenhäusern
verordnen Sie eine Nullrunde. Aber Sie übersehen dabei,
dass sich die laufenden Kosten nicht an staatlich verord-
nete Nullrunden halten. Krankenhäuser und Arztpraxen
werden Personal entlassen müssen; notwendige Operatio-
nen und Behandlungen werden verschoben werden müs-
sen. In vielen Fällen wird wahrscheinlich sogar beides
eintreten. Das bedeutet: Rot-Grün geht nicht nur zulasten
der Versicherten, sondern auch und vor allen Dingen zu-
lasten der Patienten. Darüber hinaus geht Rot-Grün zulas-
ten der Beschäftigten im Gesundheitswesen.

Der nächste Punkt bezieht sich auf die dirigistischen
Eingriffe in die Arzneimittelpreisbildung. Sie sind ein
Musterbeispiel dafür, was ein Kanzlerwort heute noch
wert ist.
Noch vor einem Jahr hatte die Bundesregierung die Zu-
sage gegeben, bis Ende 2003 auf gesetzliche Preisregu-
lierungen zu verzichten. Man muss sich fragen, was da-
von übrig geblieben ist.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: 400 Millionen DM!)


All diese Maßnahmen werden nicht nur die Versorgung
der Patienten verschlechtern, sondern sie werden auch
Arbeitsplätze im Gesundheitswesen vernichten. Allein
die Apotheken sind durch die Maßnahmen aus diesem
Sparpaket in letzter Konsequenz in einer Größenordnung
von 1 Milliarde Euro betroffen. Damit sind bis zu
20 000 Stellen bei den Apotheken gefährdet. Abgesehen
vom Verlust an Arbeitsplätzen, den dies hervorruft, abge-
sehen von den Problemen, die bei der Versorgung der Be-
völkerung mit Apotheken auftreten werden, trägt dies vor
allen Dingen auch zu weiteren Ausfällen an Sozialbeiträgen

Andreas Storm




Andreas Storm
und Einkommensteuer bei. Durch diese Politik ist die Ab-
wärtsspirale vorprogrammiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einen weite-
ren Punkt in diesem Paket, den ich ansprechen möchte.
Die Verwaltungskosten sollen im nächsten Jahr nicht er-
höht werden. Auf den ersten Blick erscheint das als eine
vernünftige Maßnahme. Aber die Frage ist doch: Warum
sind die Verwaltungskosten überdurchschnittlich gestie-
gen? Der Grund dafür liegt ganz eindeutig darin, dass Rot-
Grün den Kassen immer wieder neue Verwaltungsaufga-
ben übertragen hat. Ich nenne nur wenige Stichworte:
Disease-Management-Programme sollen eingeführt wer-
den; in den Krankenhäusern erfolgt eine Umstellung des
Abrechnungssystems auf Fallpauschalen; nehmen Sie die
Aut-idem-Regelung. All dies hat dazu geführt, dass die
Verwaltungskosten in diesem Jahr überdurchschnittlich
ansteigen mussten. Man braucht sich nicht zu wundern,
dass in den letzten vier Jahren Rot-Grün die Verwaltungs-
kosten insgesamt um 15 Prozent gestiegen sind. Dann
aber zu erklären, die Verwaltungskosten würden pauschal
eingefroren, ist mit Sicherheit ein untaugliches Instru-
ment.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dass Sie, meine Damen und Herren, an den Erfolg Ih-
rer Einsparmaßnahmen selbst nicht glauben, wird daran
deutlich, dass Sie den Kassen vorschreiben wollen, sie
dürften die Beiträge nicht erhöhen. Wenn Sie wirklich
glaubten, die 3,5 Milliarden Euro kämen rein, dann
bräuchten Sie eine solche Maßnahme nicht in das Gesetz
zu schreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist klar: Die Verschiebebahnhöfe und die massiven
Probleme, die die Kassen haben, werden dazu führen,
dass die Beiträge auf breiter Front steigen. Für dieses Jahr
zeichnet sich ein Defizit ab, das wohl mindestens in einer
Größenordnung von 3 Milliarden Euro liegen wird. Des-
wegen ist absehbar, dass der durchschnittliche Beitrags-
satz in der gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten
Jahr eher bei 14,5 Prozent denn bei 14,3 Prozent liegen
wird.

Um die eigene Unfähigkeit zu vertuschen, gehen Sie
nun hin und setzen Kommissionen ein. Das ist für die
Rentenreform des vergangenen Jahres natürlich eine Be-
erdigung erster Klasse, da man gesagt hat, man habe im
letzten Jahr eine Jahrhundertreform gemacht. Man fragt
sich, ob die nächste rot-grüne Rentenreform vielleicht
eine Jahrtausendreform werden soll! Die ganze Zeit vor
der Wahl haben Sie behauptet, Sie hätten das Rentenpro-
blem im Griff. Jetzt kommt eine Kommission und alles
beginnt wieder von vorne. Was soll das bedeuten? Im Ge-
sundheitswesen ist es das Gleiche.

Im Grunde können Sie sich die Arbeit dieser Kommis-
sionen sparen, wenn Sie dieses Vorschaltgesetz durch den
Deutschen Bundestag peitschen sollten. Denn es ver-
schärft die Finanzprobleme sowohl der Rentenversiche-
rung als auch der Krankenversicherung, anstatt sie zu entlas-
ten. Mit einer solchen verkappten Notstandsgesetzgebung
fahren Sie die Sozialversicherung vollends gegen die

Wand. Deshalb, meine Damen und Herren: Kehren Sie
um! Nehmen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Sonst
werden wir im nächsten Jahr über einen weiteren saftigen
Anstieg der Sozialbeiträge und über das Ende der Sozial-
versicherung in der Form, wie wir sie seit Jahrzehnten
kennen, diskutieren müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500808500

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie, was Sie denken!)



Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500808600

Das tue ich immer. – Herr Präsident! Meine Damen

und Herren! Herr Kollege Storm, ich kann Ihnen versi-
chern: Wir fahren die Sozialversicherungssysteme nicht
gegen die Wand. Die aktuelle Gesetzgebung dient dazu,
das zu verhindern.

Was die Rentenversicherung angeht, so werden die ge-
troffenen Maßnahmen im kommenden Jahr die Finanzie-
rung der Renten sicherstellen und einen Beitragsanstieg
auf 19,9 Prozent verhindern, nicht mehr und nicht weni-
ger.

Wenn Sie dann von der Rente nach Kassenlage spre-
chen, kann ich nur sagen: Selbstverständlich kommt die
Rente aus einer Kasse. Die Frage ist doch nur, wie die Zu-
und Abflüsse in diese und aus dieser geregelt werden. Ge-
nau darüber diskutieren wir heute.

Sie kritisieren hier, die Schwankungsreserve werde zu
stark abgesenkt, wodurch die Renten in Gefahr seien.
Deswegen kann ich Ihnen nur empfehlen: Telefonieren
Sie doch einmal mit Norbert Blüm! Unter seiner Regent-
schaft lag die Schwankungsreserve schon mal bei 0,5. Da-
mals wurden die Renten auch gezahlt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Adenauer!)

Ich will nicht verhehlen, dass die getroffenen Maßnah-

men nicht direkt dem Handbuch grüner Reformtugenden
entstammen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Jetzt aber!)


Wir wissen nämlich sehr wohl, dass steigende Beiträge
eine Belastung des Faktors Arbeit bedeuten,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aha!)

unter der insbesondere Klein- und Mittelbetriebe zu lei-
den haben. Wir wissen auch, dass steigende Beiträge in
der Rentenversicherung eine einseitige Belastung der jün-
geren Generation bedeutet. Deswegen sagen wir Grünen,
dass das auf Dauer nicht so bleiben kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Nachhaltig!)



(A)



(B)



(C)



(D)


440


(A)



(B)



(C)



(D)






Meine Damen und Herren von der Opposition, die
Häme ist trotzdem fehl am Platz; denn es gibt eine Ver-
ständigung zwischen Rot und Grün, dass wir Ende des
Jahres eine weitere Rentenreform einleiten werden.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Den Weg dazu wird in der Tat eine Kommission ebnen.
Wir werden sehen, ob Sie dann immer noch lachen; denn
die Arbeit dieser Kommission wird sich am Leitwert der
Generationengerechtigkeit und am Ziel, die Beiträge zu
senken, orientieren.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Bisher sinken sie nicht!)


Sie wird ihre Arbeit im Herbst beenden; wir haben einen
ambitionierten Zeitplan.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nach der Landtagswahl!)


Dann ist das Parlament am Zug. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, dann werden wir mal sehen,
wer hier die Kraft zu Reformen aufbringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – CarlLudwig Thiele [FDP]: Sie bisher nicht!)


Die CDU/CSU will immer alles gleichzeitig. Die Un-
logik ihrer Argumente kann man besonders gut anhand der
getroffenen Maßnahmen in der Gesundheitsversorgung,
beim Sparpaket Gesundheit, erkennen. Erst geht die Sozial-
ministerin Bayerns hin und sagt: Wunderschön, liebe Kas-
sen, wenn ihr die Beiträge erhöhen wollt, kommt zu mir, ich
genehmige sie sofort. Sie lädt sie also geradezu dazu ein.
Dann stellt sich der Kollege hier hin und sagt: Oh Gott, es
gibt Beitragserhöhungen; das ist völlig unakzeptabel.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie verwechseln Ursache mit Wirkung!)


Dies hält er uns dann noch vor.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja, natürlich!)


Ich frage Sie, Herr Kollege Zöller, ob das nicht ein Wi-
derspruch in Ihrer Logik ist und wie Sie den erklären.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen habe ich heute Morgen Herrn Seehofer im
Radio gehört.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Ich habe anderes zu tun!)


Er hat gesagt: Was Rot-Grün da macht, gefährdet die Ver-
sorgung. Ich sage Ihnen: Wenn die Beiträge erhöht wer-
den, dann nur, damit die Versorgung nicht gefährdet wird.
So wird ein Schuh daraus.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie werden sich entscheiden müssen, ob Sie nun für
Beitragsstabilität oder ob Sie ein Sprachrohr für die Lob-
byisten sind.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was sind Sie denn?)


Man kann nicht gleichzeitig die Begrenztheit der Mittel
anerkennen und Everybodys Darling sein wollen; das
geht nicht. Ihre Rede vom Aufschwung betet keinen Auf-
schwung herbei. Was für den Arbeitsmarkt getan wird, tun
wir.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Arbeitsteilung heißt zurzeit: Die Opposition jammert
und die Regierung handelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: Ihre Rede – eine Katastrophe! Um Gottes Willen! So viel Weltfremdheit ist ja schon beängstigend!)


Zum Gesundheitswesen gibt es klare Verabredungen
im Koalitionsvertrag; die werden umgesetzt.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Die ändern sich von Tag zu Tag!)


Jetzt ergreifen wir Notmaßnahmen, um kurzfristige Bei-
tragssteigerungen zu verhindern. Die Liste ist Ihnen be-
kannt. Die Kollegin Kühn-Mengel hat die Maßnahmen ja
genannt. Darauf will ich verweisen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine kühne Mängelliste!)


Wenn wir Einschränkungen für die Pharmaindustrie,
den Großhandel und die Apotheken vorsehen, dann ist zu
berücksichtigen, dass es im letzten Jahr eine Steigerung
der Arzneimittelausgaben um 30 Prozent gab, sodass
aufgrund dieser hohen Umsatzsteigerung Einbußen ver-
kraftbar sein müssen, und dass es eine Steigerung der Arz-
neimittelausgaben pro Mitglied um 15 Prozent gab, was
medizinisch wohl kaum zu begründen ist.

Im Übrigen will ich auf einen Punkt hinweisen: Wenn
etwa ein Demenzmittel, das auf dem deutschen Markt
zunächst für 66,48 Euro verkauft wird, nach der EU-Zu-
lassung und einer Namensänderung ohne Änderung der
Wirkstoffzusammensetzung für 109,64 Euro verkauft
wird, dann bezweifle ich, dass preisliche Regulierungen
den Forschungsstandort Deutschland gefährden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: Das Ganze ist etwas dünn!)


Vielleicht sollten wir einmal über die Überlegungen
reden, die wir nicht realisiert haben. Wir erlegen den
Zahntechnikern nicht so viel auf, wie ursprünglich ge-
plant.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist wie bei der Eigenheimzulage!)


Auch haben wir darauf verzichtet, den Krankenkassen
längere Zahlungsfristen einzuräumen, weil wir wohl wis-
sen, wie sehr gerade Menschen im handwerklichen Be-
reich auf pünktliche Zahlungen angewiesen sind.

Es wird auch bei den Verwaltungskosten der Kran-
kenkassen eine Nullrunde geben. Mich interessiert, ob die
CDU-Länder bei der Abstimmung im Bundesrat dagegen
sein werden und was Sie sich als Begründung einfallen

Birgitt Bender




Birgitt Bender
lassen werden. Ich bin wirklich neugierig, ob Sie die Ver-
antwortung übernehmen werden, wenn Sie das verhin-
dern.

Auch bei der Nullrunde für Ärzte und Zahnärzte den-
ken wir, dass sie im Gesamtpaket verkraftbar ist. Bei den
Krankenhäusern ist es uns besonders wichtig, dass gerade
eingeleitete und bevorstehende Strukturreformen wie die
Einführung der Fallpauschalen und der Chronikerpro-
gramme nicht gefährdet werden. Das ist natürlich auch
eine Frage der Motivation der Beschäftigten in den Kran-
kenhäusern. Deswegen haben wir hier eine sehr weite
Öffnungsklausel vorgesehen, von der wir glauben, dass
sie berechtigt ist.

Auf der anderen Seite machen wir starke Einschrän-
kungen beim Sterbegeld, das wir auf die Hälfte reduzie-
ren. Ich weise darauf hin, dass das eine Leistung ist, die
von jüngeren Versicherten mitbezahlt wird, obwohl sie
darauf ohnehin keinen Anspruch mehr haben. Angesichts
all dessen ist es durchaus angemessen, dass die Versiche-
rungspflichtgrenze moderat angehoben wird. Ich erinnere
daran, dass im letzten Jahr netto 210 000 Versicherte in die
private Krankenversicherung abgewandert sind.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: 300 000!)

Das sind meistens die Jungen und Gesunden, die so ge-
nannten guten Risiken.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Beantworten Sie die Frage, warum sie abgewandert sind!)


Von den Besserverdienenden für die gesetzliche Kran-
kenversicherung einen Solidarbeitrag einzufordern ist
außerordentlich berechtigt.

Kurz und gut: Was wir insgesamt tun, ist kein Ersatz für
Reformen. Das wird es nicht sein. Es ist eine Art Winter-
festmachung


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

für ein Haus, das, so verspreche ich Ihnen, im Frühjahr
grundlegend umgebaut wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Andreas Storm [CDU/CSU]: Ein Wintermärchen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500808700

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae von

der FDP-Fraktion.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1500808800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Rot-Grün hat vier Jahre regiert. Die erste entschei-
dende Handlung war, ein Notprogramm im Gesundheits-
wesen aufzulegen. Das war hoch kreativ. Man muss
sagen: Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist ein Rationie-
rungspaket.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Erstaunliche ist: Die Einnahmenseite wird massiv

zurückgefahren. Die Kosten für die Arbeitslosenversiche-
rung schätzt man auf 700 Millionen Euro. Experten spre-

chen aber schon von 900 Millionen Euro. Das Brücken-
geld, das eingeführt wird, vermindert ebenfalls massiv die
Möglichkeiten, eine vernünftige finanzielle Grundlage zu
bekommen. Hier hat die Gesundheitsministerin in der po-
litischen Auseinandersetzung massiv verloren,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht nur da!)

aber zulasten der Patienten. Das ist das Problem.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Nichts hat sie gemacht!)


Ich muss sagen: Die Krankenkassen werden in Zukunft
nicht die Beiträge erhöhen, sondern sie werden das Leis-
tungspaket einschränken. Sie werden mit den Leistungs-
erbringern schlechtere Vereinbarungen zulasten der Pati-
enten treffen. So läuft das ab.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie großzügig über Zahlungsziele sprechen,
frage ich Sie: Ist Ihnen das Verhalten der Krankenkassen
in der Praxis bekannt? Wissen Sie, wie lange die Zahlun-
gen der Krankenkassen an die Krankenhäuser ausstehen?
Wie läuft das denn? Wenn ein Patient abgerechnet wird,
kommen in der Regel viele Nachfragen. Es dauert doch
jetzt schon bis zu einem Jahr, bis die Rechnungen der
Krankenhäuser bezahlt werden.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Rot-Grün versaut die Zahlungsmoral!)


Sie behaupten, die Nullrunde in den Krankenhäusern
sei nicht so gravierend, und bieten Ausstiegsmöglichkei-
ten. Schauen Sie sich doch einmal an, wie es vor Ort aus-
sieht! Vor Ort werden sich die Krankenkassen anders ver-
halten; das gilt auch für den ambulanten ärztlichen
Bereich. Sie meinen, für die niedergelassenen Ärzte
bringe es keine finanziellen Probleme, eine Nullrunde zu
akzeptieren. Aber allein für Brandenburg, wo eigentlich
eine Steigerung von etwas mehr als 2 Prozent erfolgen
soll, bedeutet eine Nullrunde für die ambulante medizini-
sche Versorgung einen Rückgang in Höhe von 12 Mil-
lionen Euro.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht!)

– Doch, das ist so. Schauen Sie sich das genau an!

Brandenburg hat schon genug Probleme bei der ambu-
lanten Versorgung. Viele Praxen können nicht mehr be-
setzt werden. Die Verantwortlichen in Brandenburg hatten
geglaubt, sie könnten Anreizsysteme schaffen, um die
freiberufliche ambulante ärztliche Versorgung zu stärken.
Aber das geschieht jetzt nicht. Sie wollen bekanntlich die
Polikliniken, ich aber halte das für den falschen Weg der
medizinischen Versorgung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Krankenhäuser werden Wartezeiten in Kauf nehmen
müssen. Patienten werden sich in der ambulanten Versor-
gung ebenfalls verstärkt auf Wartezeiten einstellen müs-
sen. Vonseiten der Zahnärzte und vor allem der Zahntech-
niker wurde schon mehrmals festgestellt, wie schizophren
Ihre Lösung ist.


(A)



(B)



(C)



(D)


442


(A)



(B)



(C)



(D)






Sie gehen davon aus, dass es vielleicht teilweise po-
pulär wäre, auch im Arzneimittelbereich zuzuschlagen.
Ich versichere Ihnen aber, dass auch das zulasten der Pa-
tienten und der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik
Deutschland gehen würde.

Gestern hat der Vorstandsvorsitzende einer großen
deutschen Pharmafirma deutlich zum Ausdruck gebracht,
dass, wenn dieses Gesetz auf den Weg gebracht wird, die
Forschung die Bundesrepublik Deutschland verlassen
wird. Forschung im Pharmabereich wird in Deutschland
so gut wie nicht mehr stattfinden. Das bedeutet, dass hoch
innovative Arbeitsplätze vernichtet werden. Aber das
scheint Sie nicht zu interessieren.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)

Sie wollen nur eines: Sie wollen alles gleichmachen.

Sie wollen den Patienten in Deutschland zwar verspre-
chen, dass es bei der Selbstbeteiligung bleibt, aber es ist
eine 100-prozentige Selbstbeteiligung, die der Patient in
Kauf nehmen muss, da er die Leistungen sonst nicht mehr
bekommt.


(Beifall bei der FDP)

Wenn er diese Leistungen bekommen will, muss er eine
private Krankenversicherung abschließen.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir wird Angst und Bange!)


Das ist ein Betrug am deutschen Volke und an den deut-
schen Patienten! Sie werden das bald feststellen. Im Früh-
jahr werden die Patienten erkennen, dass Ihre Politik rei-
ner Betrug ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500808900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Lotz von der

SPD-Fraktion.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ohne Wachstum läuft sowieso nichts!)



Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1500809000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer-

ter Herr Kollege Thomae, mit einem haben Sie Recht:
Rot-Grün hat vier Jahre regiert und wird auch weiter
regieren.


(Heiterkeit bei der SPD – Zuruf von der FDP: Leider!)


Sie haben aber 16 Jahre mit regiert und was war das
Ergebnis?


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die deutsche Einheit!)


Ein Berg von Schulden für unser Land und ein Berg von
Zuzahlungen für die Patientinnen und Patienten. Wir aber
gehen einen anderen Weg.


(Beifall bei der SPD)


Herr Storm hat 16 Minuten geredet, kritisiert und
gemäkelt, aber keine Sekunde lang auch nur eine einzige
Alternative genannt. Das aber ist zu wenig, Herr Storm.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wo ist denn Ihr Konzept?)


Deshalb sind Sie 1998 abgewählt und 2002 nicht wieder-
gewählt worden.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie den Begriff Notstandgesetzgebung in den
Mund nehmen, lieber Herr Storm, dann empfehle ich Ih-
nen, nachzulesen, was dies bedeutet.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben ein Notstandskonzept vorgelegt!)


Dann stellen Sie vielleicht nicht mehr solche Vergleiche
an.


(Beifall bei der SPD)

Wir, die Koalitionsfraktionen, unternehmen große An-

strengungen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Heute
haben wir die Umsetzung des Hartz-Konzeptes auf die
Schiene gesetzt und mit dem Gesetz zur Sicherung der
Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung
und in der gesetzlichen Rentenversicherung werden wir
dieses flankieren und die Lohnnebenkosten stabilisieren.

Die Rentenversicherung ist auf der Einnahmenseite
nun einmal von der Weltwirtschaft und von der Konjunk-
tur betroffen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das alte Lied! – Andreas Storm [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder diese Leier!)


Schauen Sie doch einmal in die USA, schauen Sie nach
Japan und sehen Sie sich in Europa um!


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wie sieht es denn in Europa aus? Deutschland an letzter Stelle!)


Deutschland als ein stark exportorientiertes Land ist nun
einmal von der weltwirtschaftlichen Situation abhängig.
Deshalb sind auch die Beitragseinnahmen niedriger, als
noch zur Jahresmitte angenommen werden konnte. Viele
Unternehmen haben übertarifliche Lohn- und Gehaltsbe-
standteile auf Tariferhöhungen angerechnet. Es gab nun
einmal Entlassungen im Bankenbereich. Der Neue Markt
ist auch nicht das, was viele sich davon versprochen ha-
ben. Die Kirch-Pleite und der Konkurs der Maxhütte seien
ebenfalls als Beispiele genannt. Es trifft die Menschen,
die arbeitslos werden, und die Sozialsysteme, denn Lohn-
ersatzleistungen müssen gezahlt werden, aber Beitrags-
zahler fehlen.

Wenn wir jetzt eine maßvolle Steigerung des Beitrags
zur Rentenversicherung für Arbeitnehmer und Arbeitge-
ber beschließen wollen, dann ist das nun einmal der wirt-
schaftlichen Lage geschuldet. Gleichzeitig flankieren wir
damit aber die Anstrengungen des Wirtschafts- und Ar-
beitsministers. Wir setzen darauf, dass zukünftig wieder
mehr Menschen erwerbstätig sein können. Dann werden
auch wieder mehr Menschen Beiträge für Rentenver-

Dr. Dieter Thomae




Erika Lotz
sicherung und Krankenversicherung bezahlen und auch
die Steuereinnahmen werden höher sein.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Von welchem Land reden Sie? – Andreas Storm [CDU/CSU]: Das glauben Sie nicht einmal selber!)


Das Beitragssicherungsgesetz legt den Beitragssatz auf
19,5 Prozent fest. Damit begeben wir uns auf einen soli-
den, sicheren Weg


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


und tun alles, um einen höheren Anstieg zu verhindern. Wir
erreichen das mit einer maßvollen Anhebung der Beitrags-
bemessungsgrenze von 4 500 Euro auf 5 100 Euro pro
Monat in den alten Bundesländern sowie von 3 750 Euro
auf 4 250 Euro in den neuen Bundesländern. Ich weiß,
dass wir damit den Beschäftigten mit einem höheren Ein-
kommen Teile ihres Einkommens belasten, welche bisher
beitragsfrei waren. Das löst bei den Betroffenen keinen
Jubel aus. Wer zahlt schon gerne mehr?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Für weniger Leistung!)


Ich bitte aber zu bedenken, dass die Anhebung der Bei-
tragsbemessungsgrenze auch höhere Rentenanwartschaf-
ten bedeutet. Man bekommt etwas dafür.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Was bekommt man denn dafür?)


Auf der Grundlage der heutigen Beitragsbemessungs-
grenze erwerben diese Arbeitnehmer 1,8 Entgeltpunkte
pro Jahr, zukünftig werden es 2 Entgeltpunkte sein. Wir
setzen damit auch auf die Solidarität in unserer Gesell-
schaft. Solidarität endet nicht bei 4 500 Euro


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und es ist richtig, dass stärkere Schultern mehr tragen. Ich
bin der Meinung, dass dieser Weg auch konjunkturpoli-
tisch richtig ist.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da sind Sie aber ganz allein!)


Nun noch ein Wort zur Schwankungsreserve.Wir ver-
zichten darauf, die Schwankungsreserve auf 80 Prozent
einer Monatsausgabe aufzufüllen und vermeiden dadurch
einen noch höheren Beitragssatz. Es ist aber immer noch
eine ausreichende Schwankungsreserve vorhanden. Auch
bei dem niedrigeren Zielkorridor von 50 bis 70 Prozent
muss kein Rentner und keine Rentnerin befürchten, dass
die Rente nicht pünktlich gezahlt wird. Die Rente ist um-
lagefinanziert. An den Ansprüchen heutiger und zukünfti-
ger Rentner ändert sich dadurch nichts.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Wenn es nach den Grünen geht, wird sie später gezahlt!)


Es gibt nun einmal ausreichende Erfahrungen aus der Ver-
gangenheit, Herr Storm; das haben Sie vergessen in Ihrem
Vortrag zu sagen. Unter dem früheren CDU-Arbeitsminis-
ter Blüm ist die vorgesehene Schwankungsreserve häufig
unterschritten worden und die Renten wurden trotzdem

pünktlich gezahlt. Der Bund garantiert die Liquidität der
Rentenversicherung. Rentnerinnen und Rentner können
also sicher sein, dass die Rente pünktlich auf dem Konto
ist.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nur: wie hoch? Es geht um die Höhe!)


Nun hat Herr Laumann heute Morgen in der Debatte
zum Arbeitsmarkt die Forderung nach einem Kleine-
Jobs-Gesetz erhoben. Dieses Gesetz soll vorsehen, dass
bei Einkommen bis 400 Euro keine Sozialversicherungs-
pflicht besteht. Für Einkommen zwischen 400 Euro und
800 Euro soll es einen verminderten Beitrag geben, der,
was immer das heißt, „eingeschliffen“ werden soll.

Für das Jahr 2002 erwarten wir Beitragseinnahmen aus
Arbeitsverhältnissen geringfügig Beschäftigter in Höhe
von 3,6 Milliarden Euro. Wenn wir Ihren Vorschlag um-
setzten, dann bedeutete das weitere Einnahmeverluste der
Rentenversicherung und der Krankenversicherungen in
Milliardenhöhe.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen beim Zuhören Fehler! Es wird mehr kommen!)


Das hätte höhere Beiträge, Leistungskürzungen oder
mehr private Vorsorge zur Folge. Aber das sagen Sie
nicht; diese Antwort bleiben Sie schuldig.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie haben wirklich keine Ahnung!)


Was Sie vorschlagen, ist keine Lösung für unser heutiges
Problem.

Sie geben keine Antwort darauf, woher die Menschen
die Mittel für ihre Altersvorsorge nehmen sollen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wo ist denn Ihre Antwort?)


Da setzen Sie offensichtlich auf die von Ihnen bekämpfte
und von uns durchgesetzte soziale Grundsicherung.

In Matthäus 7 Vers 15 heißt es:
Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafs-
kleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie
reißende Wölfe.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ihr Vorschlag bedeutet Schwächung und Entsolidarisie-
rung. Er ist ganz einfach populistisch. Ich habe heute we-
der von Ihnen, Herr Storm, noch von Ihnen, Herr Thomae,
auch nur eine einzige Alternative gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Sie regieren doch! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es geht doch heute um euer Gesetz!)


Unser dreiteiliges Paket ist insgesamt eine sozial aus-
gewogene Lösung für schwierige Probleme. Mit dem,
was wir heute vorlesen – –


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



(A)



(B)



(C)



(D)


444


(A)



(B)



(C)



(D)






– Ach, du lieber Himmel! Herr Storm, Sie haben doch
ebenfalls vorgelesen. Tun Sie doch nicht so! – Mit dem,
was wir heute vorlegen, verteilen wir die Lasten auf mög-
lichst viele Schultern. Uns geht es darum, das Renten-
system stabil zu halten und gleichzeitig dafür zu sorgen,
dass die verfügbaren Einkommen so hoch wie möglich
sind. Wir bedenken auch bei diesem Gesetz, dass die
Kaufkraft gestärkt werden muss. Ich denke, die Menschen
werden das verstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das ist die falsche Prophetin! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der falsche Chef-Prophet! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Jetzt kommt der richtige Prophet!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500809100

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Zöller von der

CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1500809200

Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Zunächst: Ich weiß nicht, in welcher Veranstal-
tung ich bin. Auf der Tagesordnung steht: Beratung der
von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen eingebrachten Gesetzentwürfe. Dennoch wun-
dern Sie sich, dass wir nicht über etwas anderes reden. Es
sind doch Ihre Vorlagen, über die wir hier so bescheuert
diskutieren müssen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na, na, na! Sehr unparlamentarisch!)


Ich stelle mir schon die Frage, was eine Ministerin ei-
gentlich dazu bewegte, kurz vor der Wahl festzustellen,
das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung werde
sich gegen Ende des Jahres ausgleichen, und zwar bei sta-
bilen Beiträgen. Die warnenden Hinweise der Opposition
wurden als Panikmache hingestellt. Die gleiche Ministe-
rin holte unmittelbar nach der Wahl ein so genanntes Not-
programm aus der Schublade, das drastische Kürzungen
der Leistungen für die Patienten und für die Leistungs-
erbringer im Gesundheitssystem vorsieht.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist schamlos!)


Ich frage mich schon: War die Welt eine Woche vor der
Wahl anders als eine Woche nach der Bundestagswahl?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn dem nicht so war, dann muss ich mir die Frage stel-
len: Hatten Sie Wahrnehmungsstörungen? Diese Frage
muss man verneinen. Sie hatten nämlich ein Notprogramm
schon vorbereitet; also können Sie keine Wahrnehmungs-
störungen gehabt haben. Es bleibt nur der Schluss übrig:
Sie haben bewusst Falschinformationen gegeben. Man
könnte auch sagen: Es waren Lügen, die Sie den Leuten
vor der Wahl bewusst aufgetischt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der knappe Wahlsieg ist auf Lügen aufgebaut. Sie wür-
den jetzt am liebsten zur Tagesordnung übergehen; aber es
gebietet die politische Kultur, dass man dies nicht schwei-
gend zur Kenntnis nimmt. Nichts hat Rot-Grün mehr zu
fürchten als die Wahrheit. Die Art und Weise, wie Rot-
Grün mit der Opposition und mit den Verbänden umgeht,
kann man nur mit den Worten „Machtarroganz kontra
Sachargumente“ überschreiben. Wer, wenn es um die Ge-
sundheit der Menschen geht, mit der Wahrheit so schlam-
pig umgeht, der verspielt sehr viel an Glaubwürdigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da stellt sich ein Bundeskanzler hin und spricht vom

„Gejammere der Verbände“. Meine sehr geehrten Damen
und Herren, es geht hier nicht primär um Verbände, son-
dern um Arbeitsplätze. Es geht um Existenzen ganzer Be-
triebe. Es geht um Existenzen von ganzen Familien. Diese
beschweren sich nicht, dass die Konjunktur schlecht ist
und sie Einnahmeverluste zu verzeichnen haben. Nein, sie
beschweren sich zu Recht darüber, dass Rot-Grün die Ein-
nahmeseite der gesetzlichen Krankenversicherung dra-
matisch verschlechtert,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Plündert!)

indem sie mit Beitragsgeldern andere Haushaltslöcher
subventioniert und den daraus entstehenden Fehlbetrag
bei Patienten und Leistungserbringern abkassiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb muss man es als schäbig bezeichnen, wenn der

Bundeskanzler mit der Formulierung „jammernde Ver-
bände“ von den berechtigten Sorgen vieler einzelner Be-
troffener, ob Krankenschwester, Zahntechniker oder Pati-
ent, einfach ablenken will. Wenn Sie schon die Sorgen
von Zahntechnikern, Patientenverbänden und Apothekern
nicht ernst nehmen, sollten Sie doch wenigstens die Ar-
gumente von Verdi ernst nehmen. Dort spricht man von
der Gefährdung von 36 000 Arbeitsplätzen in den Kran-
kenhäusern.

Eine besonders widersinnige Regelung ist im Bereich
des Zahnersatzes von Ihnen vorgeschlagen worden.
Eichel und Rot-Grün beschließen eine Mehrwertsteuer-
erhöhung bei Zahnersatz von 7 auf 16 Prozent.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Abenteuerlich! – Zuruf von der SPD: Subventionsabbau!)


Auf der einen Seite soll bei zahntechnischen Leistungen
gespart werden, auf der anderen Seite bürdet man den
Kassen mit dieser Regelung Mehrbelastungen in Höhe
von über 200 Millionen Euro auf. Jetzt kommt die ideale
Lösung von Rot-Grün. Nachdem man den Kassen eine
Mehrbelastung in Höhe von 200Millionen Euro durch die
Mehrwertsteuererhöhung aufgebürdet hat, macht man ei-
nen Vorschlag zur Gegenfinanzierung: Die Vergütung für
zahntechnische Leistungen wird zunächst um 10 bzw.
– das ist jetzt die neueste Version – um 5 Prozent gekürzt,
obwohl bei den Ausgaben für Zahnersatz und besonders
für zahntechnische Leistungen in den letzten Jahren ein
beispielhafter Beitrag zur Stabilisierung der Ausgaben ge-
leistet worden ist. Warum ausgerechnet dieser Sektor ein

Erika Lotz




Wolfgang Zöller
Sonderopfer bringen soll, müssen Sie einmal jemandem
erklären. Ich finde bestimmt keinen, der das versteht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieser Eingriff ist völlig überzogen und trifft mit den

Zahntechnikern eine besonders schwache Gruppierung
im Gesundheitswesen. Die ursächlich auf Eichel zurück-
gehenden Mehrausgaben der gesetzlichen Krankenversi-
cherungen durch eine Preisabsenkung bei Zahnersatz auf
dem Rücken der zahntechnischen Betriebe und deren Mit-
arbeiter auszugleichen halte ich schlicht und ergreifend
für eine Unverschämtheit, die fachlich durch nichts zu be-
gründen ist. Im Übrigen ist vor dem Hintergrund der EU-
Umsatzsteuerrichtlinie, nach der Lieferungen von Zahn-
ersatz nicht der Umsatzbesteuerung unterliegen sollen,
diese Maßnahme mehr als fragwürdig.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das haben die vergessen!)


Noch ein Wort zu den Grünen. Sie haben sich ja oft als
Partei der Nachhaltigkeit ausgegeben.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Auf eine gute Begründung warten wir!)


Das einzig Nachhaltige, das ich momentan bei Grün er-
kenne, ist, dass sie täglich ihre Meinung ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihre Fraktionsvorsitzende Frau Sager


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Versager?)

lehnt beispielsweise den geplanten Beitragsstopp in der
gesetzlichen Krankenversicherung ab, da es das falsche
Signal sei. Gleichzeitig lehnt sie die Erhöhung der Ren-
tenbeiträge von 19,1 auf 19,5 Prozent ab. Falls es aber
doch dazu komme, dürfe nicht gleichzeitig die Beitrags-
bemessungsgrenze angehoben werden, denn es dürfe
keine Zweifachbelastung geben und die Lasten dürften
nicht auf künftige Generationen verschoben werden. Die
Begründungen waren alle richtig. Nur: Keine einzige
wurde umgesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Getreu dem Motto eines Kabarettisten, der in dieser
Woche im Fernsehen gesagt hat: Die Grünen haben den
Roten die Zähne gezeigt. Was kam dabei heraus? – Nichts,
denn die Roten haben den Grünen ihr Gebiss nicht
zurückgegeben.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Daran ist leider sehr viel Wahres.
Jetzt frage ich mich natürlich: Warum bringt Rot-Grün

momentan so viel Unruhe in unser Gesundheitswesen? In
der gestrigen Ausschusssitzung wurden die Maßnahmen,
die Sie heute hier einbringen, erstens mit Defizit und
zweitens mit Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen
Krankenversicherung begründet. Wer allerdings die Zah-
len richtig registriert hat, muss zu dem Ergebnis kommen,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Chaos!)


dass die Bürger schon wieder hinters Licht geführt wer-
den. Die Staatssekretärin spricht von einem Defizit von
1 bis 1,5 Milliarden Euro.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Kleiner Unterschied!)


Das heißt, hätte Rot-Grün nicht über 1 Milliarde Euro in
andere Haushalte verschoben und hätte nicht die Ministe-
rin durch ihre unsinnige und unzeitige Ankündigung, die
Versicherungspflichtgrenze anzuheben, eine weitere Ein-
nahmeverschiebung von 1 Milliarde Euro zu verantwor-
ten, hätten die gesetzlichen Krankenversicherungen in
diesem Jahr einen Überschuss. Ausschließlich rot-grüne
Fehler sind also die Ursache des Defizits, das die Kran-
kenkassen diesmal zu verzeichnen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Zöller! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe!)


– Für Sie mag das Blödsinn sein; aber das sind einfache
Rechnungen, die man nachvollziehen kann.

Aber es kommt noch dicker. Nach Ihrem Vorschlag sol-
len nämlich nicht nur 1 Milliarde Euro, sondern 3 bis
3,5Milliarden Euro abkassiert werden, da durch die zu er-
wartende Umsetzung der Hartz-Vorschläge noch weitere
Quersubventionen erforderlich seien.

Das ist der eigentliche Skandal bei Ihren Vorschlägen:
Kranke und Leistungserbringer finanzieren die Verschie-
bebahnhöfe von Rot-Grün.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!)

Die derzeitigen GKV-Probleme sind das Ergebnis
falscher rot-grüner Politik. Mit diesem Notprogramm ver-
stärken Sie die Probleme, statt sie zu lösen. Deshalb kann
ihm kein vernünftiger Mensch zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Pfui! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: War das auf seine Rede gemünzt? – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Auf euer Verhalten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500809300

Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Schmidbauer von

der SPD-Fraktion.

(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Haben Sie das Gebiss für die Grünen dabei? – Heiterkeit)



Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1500809400

Wir sind auf der Suche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte

es noch einmal auf den Punkt bringen, um es auch nach
außen deutlich zu machen: Wir langen den Kranken auch
in dieser Situation nicht in die Tasche.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



(A)



(B)



(C)



(D)


446


(A)



(B)



(C)



(D)






Wir führen keine Strafabgabe für Patienten ein. Wir wer-
den das Solidarsystem sichern. Wir fordern von den Pati-
entinnen und Patienten auch nichts zurück, zum Beispiel
im Arzneimittelbereich, sondern wir belassen es bei der
Freistellung, sodass heute nur jede zweite Patientin bzw.
nur jeder zweite Patient in der Apotheke zuzahlen muss.
Es wird nichts zurückgenommen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Und die Erde ist eine Scheibe!)


Wir fordern aber umgekehrt von den Anbietern einen
Solidarbeitrag, der ausgewogen ist und niemanden über-
fordert. Das müsste mir erst jemand nachweisen, dass eine
Arztpraxis mit 158 Euro Belastung im Monat überfordert
wäre und daraus vielleicht sogar Konsequenzen in Form
von Personalentlassungen ziehen müsste.

Trotz allem schaffen wir ein Sparvolumen von bis zu
3Milliarden Euro. Das belegt einen zentralen Punkt, näm-
lich dass Gesundheitspolitik wie Rudern gegen den Strom
ist: Wenn man aufhört, treibt man zurück. Im Gegensatz
zu Ihnen haben wir nie aufgehört, sondern uns immer
kräftig ins Zeug gelegt. Das hat Früchte getragen. Wir rea-
lisieren ein Einsparvolumen von bis zu 3 Milliarden Euro,
ohne die Patientinnen und Patienten zu belasten.

Wenn man einmal in die Gesundheitsgeschichte zurück-
geht und sich die Reformen blümscher und seehoferscher
Natur ansieht, dann fallen einem zwei Aspekte auf:


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Reden wir mal über das, was ihr heute macht!)


erstens die Kurzatmigkeit bei der Nachhaltigkeit und
zweitens die Tatsache, dass die Patienten bei Ihren Refor-
men immer den Kürzeren gezogen haben. Wenn Sie sich
also hier hinstellen und von Qualität oder gar der Sicher-
stellung der Qualität reden, ist das sehr anmaßend, um das
einmal vorsichtig auszudrücken,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Wir haben doch über Ihren Entwurf geredet!)


ganz zu schweigen davon, dass Sie in Bezug auf Alter-
nativkonzepte eine Fehlanzeige zu verbuchen haben.

Ich habe das entsprechende Seehofer-Zitat aus der De-
batte zum Beitragsentlastungsgesetz im Jahr 1996 he-
rausgesucht:

Wir werden morgen das Beitragsentlastungsgesetz
verabschieden und damit erstmals seit langer Zeit in
der gesetzlichen Krankenversicherung ab 1. Januar

– gemeint ist der 1. Januar 1997 –
die Beiträge um 0,4 Beitragspunkte senken. Das ent-
lastet die Beitragszahler um 7,5 Milliarden DM.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich bin gespannt, wann Sie zu Ihrem Gesetzentwurf etwas sagen!)


Aber schon 1998 mussten Sie den Offenbarungseid
leisten; denn trotz des so genannten Überschusses, den der

Kollege Zöller angeführt hat, waren die Beitragssätze in
der Amtszeit von Herrn Seehofer seit 1991


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Niedriger als heute!)


von 12,3 auf 13,6 Prozent gestiegen. Dass Sie das Er-
folgsrezept in der Tasche haben, mögen Sie erzählen,
wenn Sie lustig sind. Die Konsequenz war klar: Sie wur-
den abgewählt,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und Sie sind mit Lügen drangekommen! – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Sie haben das Volk belogen und betrogen!)


weil sich gezeigt hat, dass Ihre Reformen kurzatmig wa-
ren und letztendlich immer mit einem Kahlschlag in Rich-
tung Patienten verbunden waren. Sie haben Ihr Ziel ver-
fehlt.


(Beifall bei der SPD)

Woran liegt es, dass Sie Ihr Ziel verfehlt haben? Viele

Experten sind der Meinung, dass Sie erstens die Einspar-
potenziale im Arzneimittelbereich nicht genutzt haben
und dass Sie zweitens die Qualitäts-, Wirtschaftlichkeits-
und Steuerungsdefizite nicht beseitigt haben. Wir lernen
aus Ihren Fehlern und ziehen daraus die richtigen Konse-
quenzen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Arbeitsplatzvernichtung!)


Wir werden einen anderen Weg gehen, um die Reformen
voranzubringen.

Auch Ihr Ruf nach mehr Geld im System ist nicht hilf-
reich. Sie wissen sehr wohl, dass dies der kleinste ge-
meinsame Nenner ist, den Sie mit den Anbietern finden
können. Wir sagen: Solange das deutsche Gesundheits-
wesen im internationalen Wettbewerb nicht wieder seine
hohe Effizienz erlangt hat, das heißt, solange für das viele
Geld keine angemessene Gegenleistung und keine ange-
messene Qualität geliefert wird, dürfen wir weder den Pa-
tienten noch den Beitragszahlern in die Tasche greifen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Sie haben noch keinen Satz zu Ihrem Gesetzentwurf gesagt!)


Sie haben immer einen großen Bogen der Opportunität
um den heißen Brei der Arzneimittel gemacht. Wir schaf-
fen mit unserem Gesetz endlich Fakten, weil die vorhan-
denen Probleme nach Lösungen rufen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aber nach anderen Lösungen!)


Der Arzneiverordnungsreport 2002 spricht von einem
Einsparvolumen von 4,2Milliarden Euro. Wir müssen an-
fangen, diese Einsparungen zu realisieren.

Auch die Mehrausgaben im Arzneimittelbereich im
Jahre 2001 in Höhe von 2 Milliarden Euro waren alar-
mierend. Aber noch alarmierender ist, dass die Fachleute
der Meinung sind, dass 1 Milliarde Euro dieser Ausgaben
medizinisch nicht begründbar ist. Deshalb wollen wir von
den Herstellern einen Rabatt von 0,4 Milliarden Euro für

Horst Schmidbauer (Nürnberg)





Horst Schmidbauer (Nürnberg)

die große Versichertengemeinschaft bekommen. Deshalb
wird der Großhandel ein Drittel seiner Naturalrabatte in
einen Rabatt von 0,6 Milliarden Euro umwandeln. Wir
sind nämlich der Auffassung, dass die Naturalrabatte in
die Tasche der Versicherten und ihrer Krankenkassen und
nicht in die Taschen des Großhandels gehören.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wie ist das mit den Zahntechnikern?)


Deshalb werden sich die Apotheken mit einem Rabatt
von 0,35Milliarden Euro beteiligen, um für Patienten und
Versicherte einen angemessenen Anteil durch die Kap-
pung der Höchstpreise zu realisieren. Deshalb werden wir
die Positivliste per Gesetz einführen. Sie soll nicht noch
einmal geschreddert werden und als Geburtstagsgeschenk
an den Geschäftsführer eines Pharmaverbandes gehen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wie ist das mit den Zahntechnikern?)


Mit der Positivliste werden wir Transparenz schaffen und
Qualität sichern, aber auch Einsparungen erreichen, was
wichtig ist für die Deckung der Kosten, die sich aus wei-
teren Aufgabenstellungen ergeben.

Deshalb werden wir die hochpreisigen Analogpräpa-
rate in die Festbetragsregelung einbeziehen. Diese Arz-
neimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, die nur ei-
nen geringen Zusatznutzen aufweisen, sollen wie vor
1996 in die Festbetragsregelung kommen. Damit haben
wir die Chance, dass die wirklichen therapeutischen In-
novationen davon unberührt bleiben. Das sind die rich-
tigen Signale an die forschende Arzneimittelindustrie;
denn falsche Signale führen zu falschen Entwicklungen in
diesem Bereich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wie ist das mit den Zahntechnikern?)


Unser Ziel ist also nicht Kostendämpfung zulasten der
Patienten und schon gar nicht Kostendämpfung als Ersatz
für Reformen. Mit dem Vorschaltgesetz stärken wir die
Reformkräfte. Wir sagen: Wer sich als Facharzt, als
Hausarzt oder im Krankenhaus an den Chronikerpro-
grammen, den Disease-Management-Programmen, be-
teiligt, erfüllt bei der Nullrunde einen Ausnahmetat-
bestand. Wir sagen: Wer in den Krankenhäusern ab dem
1. Januar 2003 das neue Fallpauschalengesetz anwendet
und damit erreicht, dass nach Leistung abgerechnet wird
und nicht mehr nach der Zahl der belegten Betten, erfüllt
einen Ausnahmetatbestand. Wir sagen: Wer eine mit dem
Betriebsrat abgeschlossene Vereinbarung zur Einhaltung
des Arbeitszeitrechts vorweisen kann, erfüllt einen Aus-
nahmetatbestand.

Nur so können wir die notwendigen Reformen durch-
führen und bekommen die Geschwindigkeiten, die wir
brauchen, um die in einem großen Umfang bestehende
Über- und Unterversorgung rasch abzubauen.

Zum Schluss hoffe ich, dass, wenn nicht mein Appell,
vielleicht der der heutigen Ausgabe der „Zeit“ hilft. Dort
steht:


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nimm doch die „Bild“!)


Die Interessenvertreter zu bezwingen wird nicht ein-
fach sein, ebenso wenig wie die Überzeugungsarbeit
bei den Patienten und der Opposition. Jahrelang hat
die Union sich vor Einschnitten gedrückt, jetzt soll
sie wenigstens die Reformen ihrer Nachfolger unter-
stützen. Die Zeit drängt.

Ich hoffe, dieser Appell fruchtet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Recht hat die „Zeit“!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500809500

Das Wort hat jetzt der Kollege Daniel Bahr von der

FDP-Fraktion.


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1500809600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, im Koali-
tionsvertrag die Worte „Generationengerechtigkeit“ und
„Nachhaltigkeit“ nachzuzählen.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Sie müssen viel Zeit haben!)


Das Ergebnis war, dass das Wort „Generationengerech-
tigkeit“ sechsmal und das Wort „Nachhaltigkeit“ sogar
19-mal im Koalitionsvertrag stand. Schöne Worte erset-
zen aber keine Taten. Der erste Lackmustest zeigt, dass
die Forderung nach Generationengerechtigkeit nur ein
Lippenbekenntnis ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allein der Titel des vorliegenden Gesetzes ist ein
Hohn. Beitragssatzsicherungsgesetz heißt es. Viel treffen-
der wäre: Beitragserhöhungsgesetz. Denn anstatt die
Beiträge in der Rentenversicherung zu sichern, werden
sie schamlos erhöht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Nehmen Sie das zurück!)


Vor der Wahl haben Sie vollmundig stabile Beiträge ver-
sprochen, um nach der Wahl voll zuzulangen.

Der Kollege Poß von der SPD spricht von einer sozial
gerechten Beteiligung aller Gruppen. Von wegen! Das
Loch in der Rentenkasse wird allein zulasten der Bei-
tragszahler


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)

und damit allein zulasten der jungen Generation gestopft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das einzig Nachhaltige an dieser Politik ist, dass Sie
nachhaltig Wahlversprechen brechen.


(Zuruf der Abg. Erika Lotz [SPD])

Im Interesse der Generationengerechtigkeit, Frau

Kollegin, sind die notwendigen Anpassungslasten so zu


(A)



(B)



(C)



(D)


448


(A)



(B)



(C)



(D)






verteilen, dass die Erwerbstätigen sie eben nicht allein
schultern. Auch die heutigen Rentner müssen einen Bei-
trag leisten. Mit den Anpassungsschritten muss deshalb
jetzt begonnen werden. Denn je schwächer die Anpassun-
gen heute ausfallen, desto größer wird die Last für die
Rentner des Jahres 2030 sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Rot-Grün spricht davon, mit einem Rentenbeitrag
von 19,5 Prozent sei man auf der sicheren Seite.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das glaube ich nicht!)


Frau Ministerin Schmidt, Sie sagen, dass die Beiträge bis
2006 nicht mehr steigen würden, 2005 sogar wieder sin-
ken könnten. Ich sehe es schon kommen: Spätestens in ei-
nem Jahr werden wir hier erneut über steigende Beitrags-
sätze beraten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber erst nach den Landtagswahlen!)


Denn das ist nichts Neues. Vor fast genau einem Jahr, am
9. November 2001, hat die damalige Parlamentarische
Staatssekretärin Frau Mascher hier im Bundestag erklärt
– ich zitiere wörtlich –:

Deswegen halten wir den Beitragssatz zur gesetz-
lichen Rentenversicherung für stabil. Wir werden
den Rentenversicherungsbeitrag auch im kommen-
den Jahr bei 19,1 Prozent halten.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Hat sie gesagt!)


– Genau, am 9. November 2001.
Allein dieses Beispiel zeigt: Sie wollten und wollen

den wahren Reformbedarf nicht sehen.
Frau Ministerin Schmidt, schon Ihr Vorgänger als Ren-

tenminister, Herr Blüm, hat den Reformbedarf nicht
wahrhaben wollen. Bei Blüm hieß es immer: „Die Rente
ist sicher.“ Bei Ihnen, Frau Schmidt, heißt es anscheinend
nun: Der Beitragssatz ist sicher. – Die Formulierungen än-
dern sich; das Prinzip bleibt das gleiche. Frau Ministerin
Schmidt, machen Sie nicht den gleichen Fehler! Doktern
Sie nicht an den Symptomen herum, sondern gehen Sie an
die Ursachen und legen Sie endlich eine nachhaltige Ren-
tenstrukturreform vor. Das ist nötig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Probleme, die steigende Beiträge mit sich bringen,
sind doch bekannt. Nach Berechnungen des Kieler Insti-
tuts für Weltwirtschaft kostet allein die Erhöhung des
Rentenbeitragssatzes auf 19,5 Prozent – in diesen Be-
rechnungen ist noch nicht die Erhöhung der Beitrags-
bemessungsgrenze enthalten – 60 000 Arbeitsplätze.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Hört! Hört!)

Wann erkennt die Bundesregierung endlich den Teu-
felskreis: Jede Steigerung des Beitragssatzes kostet
Arbeitsplätze, da die Unternehmen die steigenden Lohn-
nebenkosten durch Rationalisierungen und Entlassungen
auffangen? Jeder zusätzliche Arbeitslose aber reißt neue

Löcher in die Kassen der Sozialversicherungssysteme.
Die Folge ist schon heute erkennbar: weitere Steigerun-
gen der Beitragssätze und noch mehr Arbeitslosigkeit.
Diese Politik verdient nur das Etikett „Arbeitsplatzver-
nichtungsprogramm“.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu den Grünen. Die Grünen haben in dieser Debatte
die Klappe ganz schön weit aufgemacht und haben da-
nach keine Zähne mehr gehabt; die SPD weiß auch nicht,
wo sie geblieben sind.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Kollegin Bender hat eben festgestellt: Die Rente
kommt sehr wohl aus der Kasse. Das ist eine Einsicht wie
die, dass der Strom aus der Steckdose komme.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja bei Ihnen weit verbreitet!)


Die Grünen hatten sich die Generationengerechtigkeit auf
die Fahnen geschrieben – sehr löblich. In ihrem Grund-
satzprogramm – wenn ich das einmal zitieren darf – heißt
es: „Wir treten ein für Generationengerechtigkeit.“ Wie
die Grünen die Erhöhung auf 19,5 Prozent dann aber als
Kompromiss verkaufen können, ist mir vollkommen
schleierhaft.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Unglaublich!)

Das ist kein Kompromiss, liebe Grüne, das ist eine Nie-
derlage auf der ganzen Linie.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Kollegin Bender, ich habe den Eindruck, die Grü-
nen klammern sich jetzt an den Strohhalm der Kommis-
sion. Jetzt soll eine Kommission für die Wunder zustän-
dig sein, die zu vollbringen die Regierung nicht imstande
war. Das Problem ist, dass wir dabei Zeit verlieren. Wann
wird die Kommission denn die Ergebnisse vorlegen? Das
wird doch erst im Jahre 2003 sein. Die Umsetzung dieser
Ergebnisse, Frau Kollegin, wird dann erst im Jahre 2004
stattfinden. Das heißt, Sie sagen allen – vor allem der jun-
gen Generation –, sie müssen noch zwei Jahre länger war-
ten. Das wird die junge Generation und das werden wir als
Opposition nicht hinnehmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, warum brauchen wir über-

haupt eine neue Kommission? Wir hatten doch genügend
Kommissionen und Arbeitsgruppen, die Konzepte vorge-
legt haben. Allein in diesem Jahr wurde das Ergebnis der
Kommission „Demographischer Wandel“ vorgelegt. Tun
Sie nicht so, als ob darin keine Vorschläge enthalten wa-
ren; darin waren viele sehr gute Vorschläge enthalten. Es
kommt darauf an, diese Vorschläge umzusetzen, anstatt
alles immer nur auf die lange Bank zu schieben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Durch die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze
werden 1,5 Millionen Betroffene noch zusätzlich, also

Daniel Bahr (Münster)





Daniel Bahr (Münster)

doppelt belastet. Der Vorschlag trifft keine Millionäre,
sondern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dem
Einkommensbereich, in dem Steuerprogression und Er-
höhung der Bemessungsgrenze in der Summe Gehalts-
erhöhungen vollständig aufzehren. Rot-Grün spricht von
einer maßvollen Anhebung der Beitragsbemessungs-
grenze. Frau Kollegin Lotz hat auch noch gesagt: Dafür
bekommen sie ja auch etwas. – Natürlich bekommen sie
etwas dafür, nämlich Rentenansprüche. Genau das ver-
schärft das Problem noch, weil Sie damit den Verschiebe-
bahnhof weiter fortsetzen. Das werden wir als FDP-Frak-
tion nicht mitmachen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500809700

Herr Kollege Bahr, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten

Rede hier im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen
alles Gute für die Zukunft.


(Beifall)

Als nächster Redner spricht für die Bundesregierung

der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes.

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1500809800


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Es tut weh, wenn man nicht das Ziel erreicht hat, das
man sich für den 22. September gewünscht hat; das mer-
ken wir. Wir werden nicht davon ablassen – da können Sie
noch so viel Kritik äußern –, Sozialpolitik hier in diesem
Haus gerecht, innovativ, effizient und auch transparent zu
gestalten. Das bleibt Leitbild unserer Politik in diesem
Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine Drohung, die Sie ausgesprochen haben!)


Wir haben die längst fälligen Reformen angepackt, die
Sie liegen gelassen haben, als Sie abgewählt worden sind.
Die Bürgerinnen und Bürger haben uns dafür am 22. Sep-
tember erneut das Mandat gegeben. Dass das in schwie-
rigen Zeiten passiert ist, in Zeiten großer globaler Ver-
änderung und wirtschaftlicher Herausforderung, zeigt
eigentlich doppelt, dass wir hier auf dem richtigen Weg
sind. Sie können davon ausgehen, dass Solidität und
Solidarität auch in Zukunft die Grundpfeiler unserer so-
zialen Sicherungssysteme bleiben werden.

Wir sorgen für Stabilität und Generationengerech-
tigkeit. Deswegen möchte ich kurz auf den Beitrag mei-
nes Vorredners antworten, was die Generationengerech-
tigkeit angeht. Wir wissen, dass unser Rentensystem ein
Umlagesystem ist, bei dem immer die jetzige Generation
für die Generation einzahlt, die gestern eingezahlt hat,
und für die jüngere Generation, die nachwächst. Wenn
man das Niveau betrachtet, auf dem die heutige junge Ge-
neration arbeitet und lebt, dann kann man mit ganz großer
Sicherheit sagen, dass es einer jungen Generation in der

Geschichte Deutschlands noch nie so gut gegangen ist wie
heute. Das haben sie den Älteren zu verdanken, die dieses
Land aufgebaut haben.


(Beifall bei der SPD)

Die ältere Generation ist auch an der Generationen-

gerechtigkeit im Rahmen der Rentenreform, die wir ge-
macht haben, beteiligt. Wenn jetzt die private Altersvor-
sorge aufgebaut wird, ist sie mit daran beteiligt, weil der
Anteil, der dafür aufgewendet wird, auch bei ihrer Ren-
tenberechnung eine Rolle spielt und weil damit ihre Ren-
ten auch langsamer ansteigen werden. Also fangen Sie
nicht an, hier einen Krieg zwischen den Generationen an-
zuzetteln; denn das schadet diesem Land.


(Beifall bei der SPD – Andreas Storm [CDU/ CSU]: Wer zettelt denn was an?)


Das sollte man schon gar nicht dann tun, wenn man so-
zusagen eine große Baustelle hinterlassen hat.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Herr Riester hat die hinterlassen!)


Die Modernisierung der Alterssicherung war längst über-
fällig. Ihre Rentenpolitik bestand am Ende in Kürzungen,
Kappungen und Niveauabsenkungen, ohne den Men-
schen die Gelegenheit zu geben, als Ausgleich für das
Alter privat vorzusorgen.

Die jüngere Generation haben Sie mit ständig steigen-
den Beiträgen belastet.


(Beifall bei der SPD)

Allein in den letzten fünf Jahren Ihrer Regierungszeit sind
die Beiträge von 17,5 Prozent auf 20,3 Prozent gestiegen.
Wenn Sie nicht Ende des Jahres 1997 die Mehrwertsteuer
noch um einen Prozentpunkt angehoben hätten, dann
wären wir bei 21,3 Prozent gelandet. Das war die Aus-
gangslage, als wir die Regierung übernommen haben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bei Ihnen lag der Beitragssatz bereits 1985 bei
19,2 Prozent. Dann haben Sie ein bisschen verschoben
und das im Zusammenhang mit der deutschen Einheit ver-
braucht. 1994 ist der Satz von 17,5 Prozent auf 19,2 Pro-
zent gestiegen, also um 1,7 Prozentpunkte. Also werfen
Sie uns heute an der Stelle nicht Schamlosigkeit vor,
meine Damen und Herren!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihre Politik hat nichts mit Generationengerechtigkeit
und schon gar nichts mit einer gewinnbringenden Wirt-
schafts- und Arbeitsmarktpolitik zu tun gehabt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Von den Folgen hat sich dieses Land bis heute noch nicht
erholt. Wir arbeiten daran, das in Ordnung zu bringen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben in den letzten vier Jahren die Beiträge von

20,3 Prozent auf 19,3 Prozent und 19,1 Prozent gesenkt.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Und die Ökosteuer eingeführt!)



(A)



(B)



(C)



(D)


450


(A)



(B)



(C)



(D)






Die Lohnnebenkosten sind von 42,5 Prozent um 1,3 Pro-
zentpunkte gesenkt worden. In Ihrer letzten Amtsperiode
sind sie um 3,4 Prozentpunkte gestiegen. Da, auf der rech-
ten Seite, sitzt die Koalition der Lohnnebenkostener-
höhungen. Da, auf der linken Seite, sitzt die Koalition der
Lohnnebenkostensenkungen. Nehmen Sie das einmal zur
Kenntnis!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Storm [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Mit dem größten Aufbauprogramm in Deutschland för-
dern wir jetzt auch die private Altersvorsorge mit gut
13 Milliarden Euro bis zum Jahr 2008. Wir bringen auch
Transparenz hinein, sodass die Menschen jetzt sehen,
welche Ansprüche sie im Alter an die Rentenversicherung
haben. Seit Mitte dieses Jahres erhalten die Bürgerinnen
und Bürger sukzessive Bescheinigungen, die ihnen zei-
gen, was sie künftig erwarten können. Dann kann jeder
deutlich erkennen, wie er vorsorgen muss und wie er das
am besten anstellt.

Die aktuelle wirtschaftliche Schwächephase ist kein
Problem, das Deutschland allein trifft.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Nein!)

Es handelt sich – das müssen auch Ihre Ökonomen zur
Kenntnis nehmen – um einen weltweiten Konjunkturein-
bruch,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Die arme Regierung!)


der sich auf die Staatsfinanzen auswirkt und der sich
natürlich auch auf die Sozialhaushalte auswirkt. Der
Sachverständigenrat ist bei seinen Prognosen auf der Ba-
sis dessen, was im Juni zu berücksichtigen war, und vor
dem Hintergrund der zu erwartenden Tarifabschlüsse bis
hin zu der Lohnentwicklung im Jahr 2003 davon ausge-
gangen, dass wir bei den Pflichtbeiträgen eine Einnah-
meerhöhung von gut 2,5 Prozent haben werden. Bis
einschließlich September waren in der Rentenversiche-
rung aber nur 0,36 Prozent zu verzeichnen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das lag an der Politik der Regierung!)


Wenn Sie an der Regierung wären, würden Sie sich auch
auf die vorliegenden Zahlen der Sachverständigen beru-
fen und Ihre Planungen darauf aufbauen.

Der vorliegende Gesetzentwurf dient dazu, die Eng-
pässe in den Sozialkassen zu beheben


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Chaos!)

und auch sozial ausgewogen – ich erinnere an die in-
tensiven Anstrengungen, die zur Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit gemacht werden – zu beheben. Die an-
fallenden Mehrbelastungen wollen wir nicht nur ir-
gendwem aufbürden, sondern wir versuchen, sie denen
aufzubürden,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Den Patienten!)


die etwas stärkere Schultern haben, und sie auf alle Be-
teiligten sozial gerecht zu verteilen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum machen Sie dann die Sonderregelung für Zahntechniker?)


Das Schiff Rentenversicherung haben wir von Ihnen
als Reparaturfall übernommen.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Von Herrn Riester!)


Wir haben es für die Zukunft gerüstet.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Riester haben Sie schon gelöscht, was?)


Jetzt gilt es eigentlich nur, bei schwerer See die Stabilisa-
toren rechtzeitig und kombiniert zu nutzen, damit das
Schiff auch gut durch diese schwere See kommt.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ihr Armen!)

Schwere See ist eine Herausforderung für jedes Schiff.
Wir haben aber keinen Grund, an der Seetüchtigkeit des
Schiffs – um das einmal ganz deutlich zu sagen – und da-
mit an der Reform zu zweifeln.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Riester musste von Bord!)


Ein Stabilisator ist die Beitragsbemessungsgrenze, die
wir behutsam anheben. An der Stelle muss man ganz deut-
lich sagen: Sie müssten schon einmal erklären, warum die
Einforderung von Solidarität bei den Menschen aufhören
soll, die doppelt so viel verdienen wie ein Durchschnitts-
verdiener.

Ein weiterer Stabilisator ist die Schwankungsreserve.
Vorgesehen ist, vorübergehend auf das Wiederauffüllen
auf den bisherigen Wert von 80 Prozent zu verzichten. Wir
wollen eine Senkung der Schwankungsreserve auf einen
Korridor von 50 bis 70 Prozent einer Monatsausgabe. Da-
mit reagieren wir flexibel auf die konjunkturelle Situa-
tion. Die Rentenversicherung ist dadurch nicht gefährdet.

Herr Storm, machen Sie den Menschen von diesem
Rednerpult aus nicht unnötig Angst!


(Beifall bei der SPD)

Schauen Sie sich Ihre eigene Regierungszeit an. Die
Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass der vorge-
schriebene Zielwert in der Praxis über Jahrzehnte nicht
erforderlich war. Die finanziellen Reserven der Renten-
versicherung lagen in den letzten drei Jahren Ihrer Regie-
rungszeit bei 60 bzw. 70 Prozent. Dadurch war die Zah-
lungsfähigkeit der Rentenversicherungsträger nicht
gefährdet. Faktisch ist die Rentenversicherung in
Deutschland immer umlagefinanziert gewesen. Das heißt,
die Schwankungsreserve ist dazu da, konjunkturelle
Schwankungen auszugleichen. Wenn wir also vorüberge-
hend den Zielwert der Schwankungsreserve senken, dann
tun wir damit niemandem weh. Wir sorgen vielmehr
dafür, dass die jüngere Generation nicht mit überdimen-
sionierten Beitragserhöhungen belastet wird.

Sie wollen die Schwankungsreserve in vollem Umfang
erhalten, obwohl Sie wissen, dass es darüber hinaus die

Parl. Staatssekretär Franz Thönnes




Parl. Staatssekretär Franz Thönnes
Möglichkeit gibt, den Bundeszuschuss vorzuziehen, und
dass am Ende auch noch eine Bundesgarantie für die Ren-
ten steht.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Am Ende steht die Rentenanpassung!)


Sie kommen mir vor wie ein älterer Herr in einer etwas
ausgelatschten Hose, der Gummizug, Hosenträger und
Gürtel zu gleicher Zeit haben will. Wer so viel Sicherheit
haben will, dem trauen die Menschen nicht. Dafür haben
Sie bei der Bundestagswahl die Quittung bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Beitragssatz lässt sich durch die Maßnahmen, die
wir jetzt eingeleitet haben, bei 19,5 Prozentpunkten stabi-
lisieren. Damit liegen wir noch immer unterhalb des von
Ihnen übernommenen Beitragssatzes von 20,3 Prozent-
punkten. Herr Kollege Storm, Sie sollten Herrn Ruland in
Gänze zitieren. Er hat nämlich in der gestrigen Ausgabe
der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ auch deutlich gemacht,
dass es bei der momentanen Konstellation der Stabilisa-
toren keine Alternative zur Festsetzung des Beitragssatzes
auf 19,5 Prozentpunkte gibt.

Ich möchte abschließend noch etwas zu der geplanten
Kommission zur nachhaltigen Finanzierung der sozia-
len Sicherungssysteme sagen. Der Kollege Seehofer hat
gesagt: Wenn jemand ein Ministeramt übernimmt, sollte
er sein Handwerk so beherrschen, dass er in der Lage ist,
für Deutschland ein Problem zu lösen. Anschließend kri-
tisiert er die Einrichtung der Kommission.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vorsicht, Herr Kollege Seehofer! Kennen Sie noch die
Kommission zur Pflegeversicherung? Die fiel in Ihre
Amtszeit. Kennen Sie noch die Kommission zu den Tier-
versuchen? Die fiel in Ihre Amtszeit. Kennen Sie noch die
Kommission zur Krankenhaushygiene? Auch die fiel in
Ihre Amtszeit. Kennen Sie noch die blümsche Kommis-
sion zur Rentenreform? – Auch die fiel in Ihre Amtszeit.
Und was ist aus den Vorschlägen dieser Kommissionen
geworden? Der Unterschied zu heute ist, dass aus all die-
sen Vorschlägen nicht allzu viel geworden ist.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Pflegeversicherung ist nichts?)


– Die haben wir ja gemeinsam auf den Weg gebracht.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Jetzt liegt ein Paket mit Vorschlägen der Hartz-Kom-
mission auf dem Tisch, das mit aller Konsequenz durchge-
setzt werden wird. Die Kommission – bitte hören Sie zu –,
die zur nachhaltigen Finanzierung der sozialen Siche-
rungssysteme eingesetzt werden soll, wird Vorschläge zur
Pflegeversicherung, zur Krankenversicherung und zur
Rentenversicherung erarbeiten. Ich bin sicher, dass sie
gute Ergebnisse zeitigen wird.

Sie können davon ausgehen: Unser Reformwille wird
auch bei der Umsetzung der Ergebnisse dieser Kommis-
sion grenzenlos sein. Wir werden die Ergebnisse konse-
quent umsetzen; denn uns liegt sehr viel daran, dass unser

Land in der Form modernisiert wird, dass die soziale Ge-
rechtigkeit bewahrt wird, dass Arbeitsplätze geschaffen
werden und dass auch wirtschaftliches Wachstum mög-
lich ist.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Überschrift ist wieder gut!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500809900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,

fraktionslos.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1500810000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man hat im

Augenblick den Eindruck, dass die Regierungskoalition
glaubt, in Anbetracht der desolaten FDP das Erbe der
Liberalen antreten zu müssen. Egal ob es um die Hartz-
Kommission, um die Eigenheimzulage oder um das
Gesundheitssystem geht, überall wird der Rückzug des
Staates propagiert, obwohl der Kanzler vor der Bundes-
tagswahl erklärt hat, dass sich nur die Reichen einen
schwachen Staat leisten könnten.

Die PDS will vor allem einen sozialen Staat, der nicht
die Krankenkassen aussaugt und nicht die Gesundheitslas-
ten auf die Patientinnen und Patienten sowie auf die Be-
schäftigten des Gesundheitswesens abwälzt. Hier gibt es
eine Menge sinnvoller Vorschläge. So kann zum Beispiel
die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel gesenkt bzw. aufge-
hoben werden. Allein das beließe 2 Milliarden bis 3 Mil-
liarden Euro an Versicherungsbeiträgen bei den Kranken-
kassen, die sich bisher der Fiskus aneignet. Wichtige
sozialpolitische Leistungen wie das Mutterschaftsgeld
oder die Zahlungen bei Erkrankung von Kindern müssen
endlich durch einen Bundeszuschuss an die gesetzliche
Krankenversicherung finanziert werden. Das würde wei-
tere 1 Milliarde bis 2 Milliarden Euro ausmachen.

Stattdessen schwächt Rot-Grün die Finanzkraft der ge-
setzlichen Krankenversicherung sogar weiter. Durch die
vorgesehenen Senkungen – darüber haben wir heute Mor-
gen diskutiert – bei Arbeitslosengeld und Arbeitslosen-
hilfe stehen auch den Kassen weniger Beiträge zur Verfü-
gung. Damit treiben Sie die Kassen in das nächste
Finanzloch.

Richtig ist es – nicht all Ihre Vorschläge sind von uns
negativ zu bewerten –, die Arzneimittelausgaben zu ver-
ringern, indem überhöhte Medikamentenpreise gesenkt
und die Gewinne der Pharmaindustrie zumindest etwas
beschnitten werden. Auch eine Positivliste für Arzneimit-
tel und das Einfrieren der Verwaltungsausgaben der Kas-
sen sind seit langem überfällige und durchaus gerechtfer-
tigte Maßnahmen.

Wir übersehen auch nicht, dass Rot-Grün das Solidar-
system erhalten und die Defizite der gesetzlichen Kran-
kenversicherung nicht vordergründig durch höhere Zu-
zahlungen und Selbstbeteiligungen der Patienten oder
durch eine Einführung von Regel- und Wahlleistungen


(A)



(B)



(C)



(D)


452


(A)



(B)



(C)



(D)






beheben will. Natürlich ist auch die Anhebung der Versi-
cherungspflichtgrenze, die die Schwelle für den Über-
gang in eine private Krankenversicherung erhöht, ein
Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist nur die eine
Seite der Medaille.

Für völlig falsch und unangemessen halten wir dage-
gen die für 2003 vorgesehene Nullrunde bei der Finan-
zierung der ambulanten und der stationären Versorgung.
Das wird sich in jedem Fall negativ auf die Behandlung
kranker Menschen auswirken, auch wenn von den Vertre-
tern der rot-grünen Koalition hartnäckig versucht wurde,
dies zu leugnen.

Man muss es klar sagen: Auch dieser neue Spareingriff
geht sowohl zulasten der Patientinnen und Patienten als
auch der Beschäftigten im Gesundheitswesen. Sie wissen
doch, dass vor allen Dingen in den Krankenhäusern für
Ärzte und Schwestern teilweise schon heute unerträgliche
Arbeitsbelastungen herrschen und Personalabbau, Ar-
beitsverdichtung und Tarifdruck weiter zunehmen. Das
gilt auch für die Krankenhäuser, die im Jahr 2003 noch
nicht zur Kalkulation nach Fallpauschalen übergehen und
denen eine Nullrunde ausdrücklich zugemutet werden
soll.

Sie, meine Damen und Herren von der rot-grünen Re-
gierung, werden den Druck auf Ärztinnen und Ärzte,
Schwestern und damit natürlich auch auf die Patientinnen
und Patienten verstärken – und das ist nicht in Ordnung.

Besonders bei jenen Ärzten, die – so ist das in Ost-
deutschland häufiger der Fall – seit längerem kein ange-
messenes Einkommen mehr erzielen, wird die Frustration
weiter wachsen. Die ohnehin bedrohlich gesunkene Mo-
tivation des medizinischen Nachwuchses, unter solchen
Bedingungen ärztlich tätig zu werden, wird sich weiter
verringern. Das ist nicht gut für unser Gesundheitssystem.

Mit Ihren Maßnahmen, meine Damen und Herren von
der rot-grünen Regierung, werden Versorgungsdefizite
vorprogrammiert. Das wollen wir nicht, das ist nicht gut
für unser Gesundheitssystem und das muss wieder verän-
dert werden.

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500810100

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans Georg Faust

von der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Hans Georg Faust (CDU):
Rede ID: ID1500810200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren von Rot-Grün,
Verschleiern und Schönreden, gebrochene Versprechen,
vollkommen unangemessene Hektik und ein heilloses
Durcheinander sind inzwischen die Markenzeichen Ihrer
Gesundheitspolitik.

Herr Staatssekretär, Sie haben mit Blick auf den
Sicherheitsgedanken unsere Hose als Gummizughose mit
Hosenträgern und Gürtel beschrieben. Sie brauchen diese

Hilfsmittel natürlich nicht mehr; denn Sie stehen inzwi-
schen bezüglich der Gesundheits- und Rentenpolitik voll-
kommen ohne Hose da.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Selten hat sich die Wahrnehmung so geändert wie in
den letzten sechs Wochen. Vor der Wahl war alles in Ord-
nung, alle Bedenken waren Panikmache und es hieß: Die
Krankenversicherung wird am Ende des Jahres einen aus-
geglichenen Haushalt haben. Heute befindet sich die deut-
sche Krankenversicherung – ich sage es medizinisch – im
Reanimationsstadium: schnelle Beatmung und Herzmas-
sage, sonst stirbt der Patient. Das deutsche Parlament wird
zum Emergency Room.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie von Rot-Grün hoffen, den Patienten Krankenversi-

cherung mit Ihren verzweifelten Notfallmaßnahmen so
lange am Leben erhalten zu können, bis er die eigentliche
Therapie – die immer wieder versprochene, aber nie ein-
getretene Gesundheitsreform – noch erlebt. Winterfest
machen habe ich dazu eben gehört.

Aber den Kollegen, insbesondere den ärztlichen Kol-
legen in der Regierungsfraktion ist klar, dass die Götter
vor die Therapie die Diagnose gesetzt haben. Die Dia-
gnose, die dem deutschen Gesundheitssystem die kata-
strophale Situation beschert, sind die demographische
Entwicklung und der medizinisch-technische Fortschritt.
Beides haben Sie bei Ihren Therapieüberlegungen voll-
kommen ausgeblendet.

Nun zu dem so genannten Vorschaltgesetz. Wenn
schon die rot-grüne Politik der Vergangenheit mit Ein-
führung eines neuen Preissystems in den Krankenhäu-
sern, mit Einführung von integrierten Versorgungssyste-
men, mit Überlegungen zu Leitlinien gestützter Medizin
und Krankheitsfallmanagement richtig gewesen sein soll,
wenn weitere Reformschritte auf diesem Weg Elemente
einer modernen Gesundheitspolitik sein sollen, dann ist
dieses Gesetz geradezu der Todesstoß für diese moderne
Entwicklung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


In einer Zeit, in der Leistungserbringer, Ärzte und
Krankenhäuser, die Arzneimittelindustrie, Patienten-
selbsthilfegruppen und Krankenkassen auf Veränderun-
gen warten, müssten Sie, wenn Sie Ihre eigenen bisheri-
gen Vorschläge ernst nehmen, Geld in die Hand nehmen,
damit über Investitionen die zukunftsweisenden Verände-
rungen durchgeführt werden können. Was tun Sie? – Sie
würgen mit Nullrunden jede Veränderung ab und ver-
schlechtern für alle, insbesondere für die Patienten, die
Bedingungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Beispiel: Im letzten Moment, Frau Ministerin Schmidt,
fällt Ihnen ein, dass Sie mit den Nullrunden für Kranken-
häuser die DRG-Optionen für 2003 torpedieren. Erst als
die Krankenkassen – wie ich es im eigenen Haus erlebt

Dr. Gesine Lötzsch




Dr. Hans Georg Faust
habe – die Budgetverhandlungen für 2003 beim Stichwort
Nullrunde sofort abbrechen, wird Ihnen der deutliche
Nachbesserungsbedarf an einem hektisch gemachten Ge-
setz klar.


(Detlef Parr [FDP]: Wie vor vier Jahren!)

Im letzten Moment werden die umsteigewilligen – in-

zwischen sind es 437 – Krankenhäuser mit einer Steige-
rung von sage und schreibe 0,81 Prozent auf die Leimrute
geführt, wodurch sich natürlich der ja so notwendige
Einsparungsbetrag des Vorschaltgesetzes weiter redu-
ziert. Das, Frau Ministerin Schmidt, ist keine solide Ge-
sundheitspolitik. Das ist unkontrolliertes und panikartiges
Handeln in einer Notfallsituation, was nicht hätte sein
müssen, wenn die deutsche Öffentlichkeit vor der Wahl
nicht so schamlos in die Irre geführt worden wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gestern im Ausschuss: Irreführung oder neuer Streit-

punkt zwischen Rot-Grün auch bei der Frage einer Nach-
frist für die vom Köder 0,81 Prozent angelockten Kran-
kenhäuser. Gestern erklärte uns die Kollegin Bender von
den Grünen im Ausschuss, dass eine Nachfrist vereinbart
sei.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommt! Keine Sorge!)


Die SPD, Frau Kühn-Mengel, spricht dagegen von Ab-
sichtserklärungen, die im weiteren Gesetzgebungsverfah-
ren umgesetzt werden können. Was ist denn nun Sache
hier?


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wundert mich nicht, dass Sie das nicht wissen!)


Dieses Gesetzgebungsverfahren dauert gerade noch
eine Woche; das ist hektisch. Eine Anhörung sowie die
zweite und dritte Lesung finden nächste Woche statt.


(Erika Lotz [SPD]: Wir hätten heute und morgen miteinander beraten können! Sie wollten es doch nicht!)


Wann erhalten wir Klarheit über die letzten Chancen für
die Krankenhäuser, insbesondere für die vielen kleinen
Krankenhäuser, die sich mit der zusätzlichen Umstel-
lungsbürokratie auf das neue Preissystem einstellen müs-
sen? Geben Sie den Krankenhäusern Klarheit, Frau Mi-
nisterin! 40 000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.

Katastrophale Auswirkungen gibt es nicht nur im
Krankenhausbereich. Es gibt sie ebenso für die niederge-
lassenen Ärzte, die nach Jahren der Budgetierung, nach
Jahren der Regressangst und der existenziellen Nöte für
ihre Praxen und Mitarbeiter, insbesondere auch in den
neuen Bundesländern, eine weitere Belastung in Form ei-
ner so genannten Nullrunde erfahren. Denn diese Null-
runde führt in Wahrheit zu einer 8-prozentigen Minderung
des verfügbaren Nettoeinkommens. Die Personal- und
Sachkosten in den ärztlichen Praxen steigen ja weiter.

Sie, Frau Ministerin, und Sie, Frau Kühn-Mengel, hal-
ten das für zumutbar. Wir sagen Ihnen: Das ist nicht zu-
mutbar. Denn damit sind Sie auf dem besten Weg, die am-

bulante Versorgung der Bevölkerung zu gefährden. Auch
das werden wir der Öffentlichkeit klar sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da hilft es wenig – wie auch gestern geschehen –, auf die
Verpflichtung von Krankenhäusern und Ärzten hinzuwei-
sen, dass kein Patient abgewiesen werden und dass kei-
nem Patienten die notwendige Behandlung vorenthalten
werden darf. Die Wirklichkeit ist anders und das wissen
Sie auch ganz genau.

Noch ein Wort zu einer weiteren Nullrunde: eine Null-
runde für die Krankenkassenbeiträge, aber auch für die
Verwaltungsausgaben der Krankenkassen. Ich weiß, das
sehen die Leistungserbringer, die Ärzte und Krankenhäu-
ser, gern. Ich denke aber, wer um die immense Bürokra-
tie, wer um die Verbesserung der EDV-Ausstattung und
um die Schulung von Mitarbeitern im Rahmen der Ein-
führung von Fallpauschalen weiß – in den Krankenhäu-
sern, aber auch bei den Krankenkassen –, der muss auch
den Krankenkassen in solchen Umstellungszeiten den fi-
nanziellen Spielraum geben, den sie für die Bewältigung
der von Ihnen gestellten Aufgaben benötigen. Pauschale
Kürzungen nach der Methode Rasenmäher werden einer
verantwortungsvollen Gesundheitspolitik nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nicht zuletzt aus diesem Grund und angesichts der insge-
samt verzweifelten Finanzlage erhöhen Dutzende von
Krankenkassen panikartig in letzter Minute ihre Beiträge.

Nun zur Arzneimittelversorgung. Die Apotheker
werden, da sie ein Drittel der Gesamtlast tragen müssen,
zu den Hauptleidtragenden des Gesetzes. Durch die Er-
höhung der GKV-Rabatte und die Abwälzung der
Großhandelsrabatte allein wäre die Situation schon deso-
lat. Aber die teuren Inkassodienste am Ende der Kette
werden viele Apotheker ruinieren. Der Weg zur nächsten
Apotheke wird für viele Bürger in Zukunft weit, sehr weit.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr sozial, diese Politik!)

Wir haben damals den Ablasshandel der Regierung mit

den Pharmaunternehmen zur Vermeidung einer gesetzlich
verordneten Preisregulierung für festbetragsfreie ver-
schreibungspflichtige Arzneimittel aus ordnungspoliti-
schen Gründen kritisiert. Festzuhalten aber bleibt, dass
ausweislich einer Pressemitteilung der Bundesregierung
aus dem Jahr 2001 die Bundesregierung versprochen hat,
für die Jahre 2002 und 2003 auf Preisregulierungen zu
verzichten.


(Detlef Parr [FDP]: Jetzt bricht sie wieder ein Versprechen!)


Dieses Wort, gegeben von Bundeskanzler Gerhard
Schröder und der Bundesministerin für Gesundheit, Ulla
Schmidt, ist nach weniger als einem Jahr gebrochen. Auch
hier zeigt sich: Noch nie hat eine Regierung die Wähle-
rinnen und Wähler, die Krankenhäuser, die niedergelasse-
nen Ärzte, die Patienten, die Versicherten, die privaten
und gesetzlichen Krankenkassen, die Apotheker und die
Arzneimittelhersteller so hinters Licht geführt und damit


(A)



(B)



(C)



(D)


454


(A)



(B)



(C)



(D)






innerhalb kürzester Zeit das Vertrauen von allen im Ge-
sundheitswesen missbraucht wie diese neue rot-grüne
Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Würde ich als Arzt einen Patienten so behandeln wie

Sie unser Gesundheitssystem, ein Prozess wegen Auf-
klärungsmängeln und Kunstfehlern wäre mir so sicher
wie das Amen in der Kirche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1500810300

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe

auf den Drucksachen 15/27 und 15/28 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortent-
wicklung der ökologischen Steuerreform
– Drucksache 15/21 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
Bundesfinanzminister Hans Eichel das Wort.


Hans Eichel (SPD):
Rede ID: ID1500810400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Nachhaltigkeit ist einer unserer zentralen Grund-
werte. Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir die ökologischen
Grundlagen unseres Gemeinwesens stärken. Aus finanz-
politischer Sicht bedeutet Nachhaltigkeit, dass wir ange-
sichts großer konjunktureller Herausforderungen auf dem
Weg der Konsolidierung des Staatshaushalts bleiben.
Beide Aspekte ergänzen sich. Beide vergrößern, wenn
wir sie erfüllen, die Handlungsspielräume für die nach-
folgenden Generationen. Einfacher ausgedrückt heißt
das: Wir dürfen nicht auf Kosten unserer Kinder und En-
kel leben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der vorliegende Gesetzentwurf wird genau diesem
Anspruch gerecht. Mit ihm wird die ökologische Zielge-

nauigkeit erhöht, indem Subventionstatbestände abgebaut
werden.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Quatsch! – CarlLudwig Thiele [FDP]: Wer hat die denn eingeführt?)


Gleichzeitig werden die Spielräume für den Haushalt er-
höht. Dabei greifen wir auch Kritikpunkte der Umwelt-
verbände und der Opposition gegenüber der bisherigen
Ausgestaltung auf. Aber ich befürchte, die Opposition
wird sich auch in dieser Frage nicht an ihre früheren Po-
sitionen erinnern – es ist gut, dass Sie sich umdrehen Frau
Merkel; ich werde Sie gleich zitieren –, sondern in einer
unverantwortlichen Verweigerungshaltung verharren.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ein unverantwortlicher Gesetzentwurf ist das!)


Das ist bisher auch in der gesamten Diskussion zur Öko-
steuer so gewesen.

Dazu nun ein Zitat:
Energie ist heute zu billig. Es müssen aus meiner
Sicht die Steuern auf Energie angehoben werden, sei
es für Mineralöl, Heizgas oder Strom. Der ge-
wünschte Lerneffekt tritt freilich nur dann ein, wenn
klar ist, dass die Steuersätze über Jahre allmählich
angehoben werden.

Diese Originalaussage stammt nicht von Vertretern von
Rot-Grün, sondern von Frau Merkel. Sie steht in der
„Frankfurter Rundschau“ vom 17. Juni 1997.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal weiter!)


Für die Union ist das alles inzwischen Schnee von ges-
tern.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein, Sie lesen nur die Hälfte vor!)


– Sie müssen vorsichtig sein, sonst zitiere ich auch noch
Herrn Töpfer; lassen Sie das lieber.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es reicht, wenn Sie Frau Merkel vollständig zitieren!)


Die Regierung Schröder hat mit der ökologischen
Steuerreform den auch von der Union als richtig aner-
kannten Ansatz umgesetzt. Wir haben im Interesse unse-
rer Kinder und Enkel für die Nachhaltigkeit gehandelt.
Die Union hat sich gegen ihre bessere Einsicht von ges-
tern in die Neinsageecke zurückgezogen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie haben die Versprechen gebrochen und die Arbeitslosigkeit nachhaltig erhöht!)


Das ist gegenwärtig Ihre Gesamtlinie: Mäkeln, aber kei-
nen eigenen Vorschlag unterbreiten.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Dr. Hans Georg Faust




Bundesminister Hans Eichel

Bereits die bisherige Ökosteuer hat zu einem effizien-
teren Umgang mit Energie geführt. Mit Blick auf das Kli-
maschutziel ist Deutschland verglichen mit anderen Staa-
ten auf einem sehr guten Weg. Nach vier Jahren ist nun
aber die Zeit da, bestehende Lücken Schritt für Schritt zu
schließen; so steigern wir die ökologische Effizienz des
Steuersystems. Die Besteuerung von Heizstoffen wird
deshalb stärker als bisher an dem Energiegehalt ausge-
richtet. Die Besteuerung von Erdgas wird entsprechend
angepasst. Mögliche Verzerrungen auf den Energiemärk-
ten werden so abgebaut.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Keine Steuererhöhungen!)


Ein zweiter wichtiger Bereich ist der Abbau der er-
mäßigten Ökosteuersätze für die Landwirtschaft und für
das produzierende Gewerbe.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Steuererhöhungen waren immer ausgeschlossen!)


Sie betragen in Zukunft 60 Prozent der Regelsätze. Ich bin
mir sicher, dass die Unternehmen nach einer Anpassungs-
zeit von vier Jahren in der Lage sind, diese Abschmelzung
zu vertragen, ohne dass ihre internationale Wettbewerbs-
fähigkeit leidet;


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ach, woher wissen Sie das denn? Ihr habt vielleicht eine Ahnung! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Was machen Sie denn mit der Kohle?)


denn den Ökosteuerausgaben stehen ja – auch wenn das
im Moment ein sehr schwieriges Kapitel ist – nach wie
vor niedrigere Lohnnebenkosten im Vergleich zu 1998 ge-
genüber. Der Spitzenausgleich für besonders energiein-
tensive Betriebe wird beibehalten, aber so modifiziert,
dass ein Anreiz zu einem effektiven Energieeinsatz für
alle erhalten bleibt. Das ist ökonomisch verträglich und
ökologisch sinnvoll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch der Abbau der Subvention von Nachtspeicher-
heizungen ist geboten. Hier wird eine ökologisch beson-
ders bedenkliche Heizform aus sozial berechtigten Grün-
den bisher noch gefördert. Es muss aber einen weiteren
Modernisierungsschub geben. Deshalb wird diese Ver-
günstigung schrittweise abgebaut und gleichzeitig ein
Programm zum Umbau dieser Heizung aufgelegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzent-
wurf ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr ökologischer
Nachhaltigkeit. Auch die Mehreinnahmen dienen der
Nachhaltigkeit; denn wir müssen auf dem Weg einer soli-
den Finanzpolitik bleiben.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie verursachen mehr Kosten, sonst nichts!)


Hierzu trägt einerseits der konsequente Kurs der Ausga-
benbegrenzung bei.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist Wettbewerbsverzerrung!)


Genauso wichtig ist es aber, andererseits zu überprüfen,
ob die Ausnahmen, die die steuerlichen Bemessungs-
grundlagen wie einen Schweizer Käse durchlöchern, noch
zeitgemäß sind. Damit brechen wir auch den Trend zu
höheren Steuersubventionen, nachdem die Bundesregie-
rung bei den Finanzhilfen – auf der Ausgabeseite – schon
deutliche Erfolge erzielt hat.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ganz einfach: Schafft die Ökosteuer wieder ab, dann braucht ihr auch keine Ausnahmen!)


Wir haben den Kampf gegen die Subventionen nicht erst
im Oktober 2002 begonnen. Er prägte die Regierungspo-
litik bereits in der vergangenen Legislaturperiode. Hier
werden wir weiter voranschreiten.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dauernde Steuererhöhungen!)


Es gilt aber auch, dass wir nicht ohne Sinn und Ver-
stand kürzen werden. Dies fordern ja viele, die generelle
Kürzungen aller Subventionen um einen bestimmten Pro-
zentsatz verlangen, ohne das Ergebnis dieser Pseudolö-
sung zu bedenken. Dies hätte zum Beispiel deutliche Ein-
schnitte beim Aufbau Ost zur Folge, was wiederum ein
Verstoß gegen die innerdeutsche Solidarität und zudem
volkswirtschaftlich langfristig sehr teuer wäre.

Wir gehen den schwierigeren Weg und schauen ganz
genau, was notwendig und was nicht mehr zeitgemäß ist.
Deshalb werden wir auch eine Vielzahl einzelner Maß-
nahmen treffen, die insgesamt aber einem gemeinsamen
Zweck dienen: weniger Subventionen, mehr finanzieller
Handlungsspielraum für eine solide Finanzpolitik und
weniger Schulden.

Meine Damen und Herren, dieser Ansatz ist nicht ein-
fach umzusetzen. Das zeigen die Attacken der betroffenen
Interessengruppen und Lobbyisten, die den Widerstand
organisieren.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Unser Ansatz wird aber erfolgreich umgesetzt werden und
dazu beitragen, dass Deutschland mit moderneren und
nachhaltigeren Strukturen aus der augenblicklichen wirt-
schaftlichen Herausforderung hervorgeht.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Immer die Kosten erhöhen! Dann erhält man Arbeitsplätze!)


Die Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform ist
ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Der Lack ist wirklich ab, Herr Eichel! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Lustlos abgelesen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500810500

Das Wort hat der Kollege Heinz Seiffert, CDU/CSU-

Fraktion.


(A)



(B)



(C)



(D)


456


(A)



(B)



(C)



(D)







Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1500810600

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Auch ich will mit ein paar Zitaten beginnen, aber
meine sind neuer, Herr Finanzminister:


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

„Es wird keine Steuererhöhungen geben. Die Steuerbelas-
tung wird nicht steigen, sondern sinken.“ Dies sagte Fi-
nanzminister Eichel am 14. April 2002. „Wir reduzieren
2003 und 2005 die Steuern. Wir planen keine Erhöhungen.“
So erklärte derselbe am 19. Juni 2002. „Steuererhöhun-
gen sind in der jetzigen konjunkturellen Situation ökono-
misch unsinnig und deswegen ziehen wir sie auch nicht
in Betracht“, Zitat von Bundeskanzler Schröder am
26. Juli 2002.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


„Wir haben keine Steuererhöhungen geplant, keine ange-
kündigt und wir werden auch keine machen“, so Ihr Über-
gangsvorsitzender Stiegler am 28. September 2002. „Ich
führe keine Debatte über Steuererhöhungen“, Finanz-
minister Eichel am 30. September 2002.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Schon wieder!)


„Es wird keine Steuererhöhungen geben“, Müntefering
am 1. Oktober 2002. Herr Finanzminister, das Einzige,
was bei Ihnen wirklich nachhaltig ist, sind die gebroche-
nen Versprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ebenso nachhaltig ist der Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Gerade einmal acht Tage nach der Regierungsübernahme
legen Sie einen Gesetzentwurf zur massiven Erhöhung der
so genannten Ökosteuer vor. Dies ist nur ein Teil eines
steuerpolitischen Amoklaufs, der am Tag nach der Wahl
begonnen hat und dessen Ende noch nicht absehbar ist.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: So ist es!)

Bereits beschlossen sind die fünfte Stufe der Öko-

steuer, die Erhöhung der Tabaksteuer und die Verschie-
bung der Steuerreformstufe zum 1. Januar 2003. Hinzu
kommen jetzt Erhöhungen bei der Umsatzsteuer, eine
Mindeststeuer für Unternehmen, eine Aktiensteuer, eine
Immobilienspekulationsteuer und eine höhere Dienstwa-
gensteuer. Nicht vergessen werden sollten die Erhöhung
der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge und das
ständige Gerede über eine Modifizierung des Ehegatten-
splittings, eine neue Vermögensteuer und die Erhöhung
der Erbschaftsteuer. Aber darüber reden wir dann nach
dem 3. Februar des nächsten Jahres.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: So sind sie eben!)


Meine Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, was
glauben Sie Ihren so genannten Führungspersönlichkeiten
eigentlich noch?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Fühlen Sie sich noch wohl, wenn Sie eine solche Politik
vertreten und diesen Amoklauf letztendlich mitmachen
müssen? Spüren Sie nicht, dass sich die Menschen in
Deutschland – zumindest die wenigen, die noch zugeben,
dass sie Sie gewählt haben –


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Verwählt! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie schämen sich inzwischen alle!)


betrogen und getäuscht fühlen? Daran ändert auch nichts,
wenn Sie diesen Steuergesetzen wohlklingende Über-
schriften verpassen. Diese Fortentwicklung oder Konso-
lidierung der ökologischen Steuerreform ist nichts ande-
res als die Fortsetzung eines Abkassiermodells, mit dem
Sie den Menschen und Betrieben unter dem Vorwand, et-
was für die Ökologie zu tun, weitere 2 Milliarden Euro
aus der Tasche ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das ist übrigens die sechste Stufe der Ökosteuer, von der
der Bundeskanzler immer gesagt hat, dass es sie nie ge-
ben wird – wieder ein gebrochenes Versprechen.

Trotz des Abkassierens bei der Ökosteuer, trotz der Er-
höhung der Bemessungsgrundlage, trotz Plünderung der
Reservekasse steigen die Beiträge in der Rentenversi-
cherungweiter. Sie werden wohl bald bei über 20 Prozent
liegen.

Nichts Neues bei Rot-Grün ist, dass die Reformen im
Schweinsgalopp durchgejagt werden. Schnelligkeit geht
wieder vor Sorgfalt. Der Zeitplan für Ihre Gesetze ist eine
Zumutung für das Parlament. Er ist eine Zumutung für die
Sachverständigen, deren Ratschläge Sie offenbar gar
nicht hören und schon gar nicht berücksichtigen wollen.
Er ist auch eine absolute Zumutung für alle, die das be-
zahlen müssen, die Betroffenen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie wollen diese Grausamkeiten ganz schnell durchziehen
in der Hoffnung, dass die betroffenen Steuerzahler und
Unternehmen das gar nicht so richtig mitbekommen. Aber
das wird ein Irrtum sein.

Steuererhöhungen sind in unserer konjunkturellen Si-
tuation Gift. Sie sind, wie der Bundeskanzler richtig sagte,
„unsinnig“. Sie entziehen den Menschen durch Ihre Poli-
tik der Steuer- und Abgabenerhöhungen immer mehr
Kaufkraft. Sie verunsichern die Bürger und zerstören den
letzten Rest an Vertrauen, den sie vielleicht noch in die
Politik haben.

Ich halte es für ziemlich dreist, Herr Eichel, wenn Sie,
wie es im Gesetzentwurf heißt – Sie haben es jetzt auch
wieder gesagt –, die Steuererhöhungen auf die Energie-
träger als Bestätigung Ihres Konsolidierungskurses he-
ranziehen. Sie erhöhen die Steuern und die Schulden, be-
kommen von der EU einen blauen Brief und reden dann
noch von Konsolidierung. Für wie dumm halten Sie denn
die Menschen?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)





Heinz Seiffert

Sie bringen energieintensive Unternehmen in Exis-
tenznot und schreiben in der Einleitung des Gesetzent-
wurfs – auch das haben Sie wiederholt –:

Nach einer fast vierjährigen Anpassungszeit können
diese Steuerbegünstigungen in weiten Bereichen ab-
geschmolzen werden, ohne die internationale Wett-
bewerbssituation der Unternehmen zu gefährden ...


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich halte das für zynisch. Sie belasten den Wirtschafts-
standort Deutschland. Zumindest aus diesem Grunde hätte
ich eigentlich von dem neuen Superminister Clement ein
Wort dagegen erwartet.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Der ist kein Superminister!)


– Zu der Auffassung komme ich auch.

(Ute Kumpf [SPD]: Er ist super!)


Mir sind Unternehmen bekannt, deren Produktionskos-
ten allein durch diese Ökosteuererhöhung um mehr als
10 Prozent steigen. Ein solcher Kostenschub kann aber
weder durch Rationalisierung noch durch effizientere
Energienutzung aufgefangen werden. Wenn am Markt
höhere Preise nicht durchzusetzen sind, führt dies unwei-
gerlich zum Abbau von Arbeitsplätzen und zu mehr Ar-
beitslosigkeit. Was sollen denn die Unternehmen in ihrer
Not sonst machen?

Nicht die international schwache Konjunktur, sondern
eine seit gut vier Jahren falsche Politik, die Sie jetzt lustig
fortsetzen, ist daran schuld, dass diesen Winter mehr als
4Millionen Menschen keine Arbeit haben. Ihr ehemaliger
Bundeskanzler Helmut Schmidt hat völlig Recht: Diese
Entwicklung ist in erster Linie hausgemacht und daran
müssen Sie sich messen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, dass Ihnen Nachtspeicher-

heizungen ideologisch ein Dorn im Auge sind und Sie
Menschen, die auf diese Weise heizen, durch höhere Steu-
ern abstrafen, ist schon schlimm genug. Die Ideologie ist
Ihnen eben wichtiger als der Mensch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])


Dass Sie aber den Menschen, die umweltfreundlich mit
Gas heizen, jährlich über 1 Milliarde Euro mehr Steuern
abknöpfen wollen, ist schlicht unglaublich.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: So ist es! Das ist vielleicht eine Sauerei!)


Da werden die Menschen jahrelang aufgefordert und fi-
nanziell angereizt, etwas für die Umwelt zu tun und mit
Gas zu heizen – 70 Prozent der Haushalte in den neuen
Bundesländern tun dies –, und dann werden sie auf un-
flätige Weise abkassiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Besonders viele Familien gerade in den neuen Bun-

desländern sind von diesem rücksichtslosen Kurswechsel,

den die Grünen offenbar ohne Widerspruch hingenom-
men haben, betroffen. Andernfalls würde ich jetzt sicher-
lich von Ihnen etwas zu diesem Kurswechsel hören, Herr
Loske.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das wird nicht passieren!)


Wo war denn der Minister Trittin bei dieser Kabinettsent-
scheidung? Sie schwächen doch auf diese Weise die öko-
logische Rolle im Energiemix. Ist Ihnen das gleichgültig?
Dass Sie damit in erster Linie Familien, ältere und sozial
schwache Menschen belasten, scheint Sie auch nicht zu
interessieren.

Finanzminister Eichel arbeitet nach dem Motto „Der
Zweck heiligt alle Mittel“. Für mehr Geld in seiner Kasse
ist er offenbar bereit, alle Grundsätze über Bord zu werfen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Es gibt gar keine Grundsätze! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nickemännchen!)


Sie aber, meine Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün,
machen das alles mit. Wenn Sie die Kraft gehabt hätten,
rechtzeitig die dringend notwendigen Reformen bei der
Rente, im Gesundheitswesen und am Arbeitsmarkt durch-
zuführen, wenn Sie nicht den Kapitalgesellschaften durch
Ihre misslungene Steuerreform in den vergangenen zwei
Jahren 40 Milliarden Euro geschenkt hätten und wenn Sie
endlich mehr Wirtschaftswachstum ermöglichen würden,
dann wären die Ökosteuer und diese neuerliche Erhöhung
überhaupt nicht notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie setzen mit diesen Steuererhöhungen eine falsche,
für Deutschland und für die Menschen schädliche Politik
fort. Deshalb lehnt die CDU/CSU-Fraktion diese Steuer-
erhöhungen entschieden ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500810700

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Reinhard Loske,

Bündnis 90/Die Grünen.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer verklagt eigentlich Herrn Zitzelsberger für den Schaden, den er anrichtet? – Zuruf von Bündnis 90/Die Grünen: Die FDP ist inzwischen sehr geschrumpft! Was ist denn los bei euch? – Gegenruf des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ihr wart ja beim Thema Gesundheit auch nicht da! Ihr kommt doch nur, wenn das Wort „Öko“ davorsteht!)



Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500810800

Herr Thiele, Sie reden doch gleich. Warten Sie noch ei-

nen Moment!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das,

was Sie vorgetragen haben, Herr Kollege Seiffert, war


(A)



(B)



(C)



(D)


458


(A)



(B)



(C)



(D)






nicht wirklich neu. Das habe ich alles schon einmal
gehört.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber richtig! Es wäre ja schön, wenn Sie es kapiert hätten! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Beruhigen Sie sich! Sie müssen sich schon für eine Ar-
gumentation entscheiden, Herr Seiffert. – Wo ist er denn?
Er sitzt ganz hinten, sozusagen als Hinterbänkler. Dabei
hielt ich ihn für einen Vorkämpfer gegen die Ökosteuer.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind ziemlich arrogant!)


Herr Seiffert, Sie haben ausgeführt, die energieintensi-
ven Unternehmen würden durch uns in ihrer Existenz be-
droht. Ich erinnere mich noch sehr gut an Debatten in die-
sem Hohen Hause, in denen Sie mahnend den Finger
gehoben und uns vorgeworfen haben, ausgerechnet die
energieintensiven Industrien zu bevorzugen. Was ist denn
nun richtig? Beides geht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Beides ist richtig!)


Ich möchte – als Ökologe steht mir das vielleicht zu –
einmal die ökologische Wirkung dieser Reform in den
Vordergrund stellen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500810900

Herr Kollege Loske, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500811000

Ich würde zwar gerne meine Rede fortsetzen, aber weil

der Kollege Seiffert so nett ist, gestatte ich seine Zwi-
schenfrage.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er will bloß noch mal was sagen!)



Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1500811100

Herr Kollege Loske, würden Sie zur Kenntnis nehmen,

dass wir nicht in erster Linie gegen die Ausnahmerege-
lungen waren, sondern insgesamt gegen die Ökosteuer?


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch schlimmer! Das ist ja das Problem!)



Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500811200

Ich nehme zur Kenntnis, dass Ihre früheren und Ihre

heutigen Aussagen wie eh und je weit auseinander klaf-
fen. Das ist wirklich sehr dramatisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Was soll denn der Quatsch?)


Erster Punkt. Die Sonderregelungen für das produzie-
rende Gewerbe sind Subventionen – sie finden sich im

Subventionsbericht der Bundesregierung –; diese werden
jetzt abgebaut. Der Steuersatz wird von 20 Prozent auf
60 Prozent erhöht und beim Spitzenausgleich werden
eben nicht mehr wie in der Vergangenheit 100 Prozent,
sondern nur 95 Prozent zurückgegeben. Das ist vernünf-
tig; damit bleibt ein Anreiz zum sparsamen Umgang mit
Energie, gerade auch im produzierenden Gewerbe.

Zweiter Punkt. Wir verwenden einen Teil des Aufkom-
mens in Höhe von 150Millionen Euro für ein Altbausanie-
rungsprogramm, indem wir den bisherigen Ansatz von
200 Millionen Euro auf 350 Millionen Euro aufstocken.
Ich glaube, das ist sehr vernünftig. Aber ich gehe davon
aus, dass Sie, so wie Sie gegen das EEG, gegen das Alt-
bausanierungsprogramm oder gegen das 100 000-Dächer-
Programm gestimmt haben, auch gegen diese Erhöhung
stimmen werden,


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das kostet auch alles viel Geld!)


weil Ihnen die Ökologie eben nichts bedeutet; das ist das
Problem. Hier liegt der Unterschied zu uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu den Nachtspeicherheizungen. Das ist ein weites
Feld, aber es gibt ein berühmtes Zitat, das ungefähr so lau-
tet: Mit Strom zu heizen ist so, als würde man die Butter
mit der Motorsäge durchschneiden. Das kann doch nicht
vernünftig sein. Eine so edle Energie wie Strom zum Hei-
zen einzusetzen hat keinen Sinn. Auf Dauer dürfen wir das
nicht zulassen. Deswegen reduzieren wir dies maßvoll und
schrittweise bis zum Jahr 2006 und schaffen es 2007 ganz
ab. Wir werden ein Umstellungsprogramm beschließen
und Umstellungsbeihilfen zur Verfügung stellen. Das ist
sozialpolitisch und ökologisch vernünftig.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Erdgas. Es ist bekannt, dass wir dazu eine andere
Meinung hatten. Wir sind der Meinung, dass Erdgas zwar
nur eine Übergangsenergie ist, denn wir müssen perspek-
tivisch ganz aus den fossilen Energien heraus,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Was machen Sie denn mit der Kohle?)


aber dass es spezifische Vorzüge hat. Wir lassen die Steuer
nun etwas moderater ansteigen als vorgesehen. Aber es ist
vollkommen richtig, dass wir eine geringere Erhöhung
beim Gas und eine etwas stärkere Erhöhung beim leich-
ten Heizöl angemessen gefunden hätten.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Und bei der Kohle?)


– Kohle wird im Heizungsbereich ja kaum noch einge-
setzt.

Ich fasse die Wirkung der ökologischen Steuerreform
– die Zahlen liegen vor, sie wurden vom Minister schon
genannt – wie folgt zusammen: Das Umweltbundesamt
sagt als Folge der Ökosteuer in ihrer jetzigen Form einen
Rückgang der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2006 um9 Millionen Tonnen CO2 voraus. Das DIW sagt die Ver-

Dr. Reinhard Loske




Dr. Reinhard Loske
meidung von 20 bis 25 Millionen Tonnen CO2 bis zumJahr 2010 voraus. Wir sind aber nicht auf irgendwelche
Prognosen angewiesen, sondern können auf ganz kon-
krete Zahlen verweisen: Beim Benzinverbrauch hatten
wir 2000 ein Minus von 4,8 Prozent und 2001 ein Minus
von 3 Prozent. Die Prognose des Mineralölwirtschafts-
verbands für 2002 geht von einem Minus von 2,7 Prozent
aus. Die Zahlen sind also ganz eindeutig: Die ökologische
Steuerreform wirkt, auch wenn Sie etwas anderes sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will noch etwas zur Verwendungsseite sagen, damit
die Proportionen deutlich werden. Es ist klar und ich gebe
ohne weiteres zu, dass wir haushaltsbedingt kurzfristig
vom Pfad der Tugend der Aufkommensneutralität ab-
weichen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Welche Tugend?)

Aber man muss sich die Zahlen genau vor Augen führen:
Mit der Ökosteuer erzielen wir im Jahr 2003 Einnahmen
von insgesamt 18,3 Milliarden Euro. Davon wird „nur“
1 Milliarde Euro für die Haushaltskonsolidierung einge-
setzt, 17 Milliarden fließen in die Rentenkasse, in die Alt-
bausanierung und in die erneuerbaren Energien. Mehr als
90 Prozent werden also für die Ökologie und für die Sta-
bilisierung des Beitragssatzes der Rentenversicherung
verwendet. Ich will Sie daran erinnern, dass der Beitrags-
satz bei 20,3 Prozent lag, als wir an die Regierung kamen.
Wir haben die Beiträge schrittweise auf 19,5, 19,3 und
19,1 Prozent gesenkt. Jetzt müssen sie bedauerlicher-
weise ansteigen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Trotz Ökosteuer!)

Das zeigt in der Tat Reformbedarf an. Es gibt aber einen
Unterschied: Nach Ihrem Konzept lägen wir jetzt bei über
21 Prozent, nach unserem Konzept liegen wir bei
19,5 Prozent. Wir müssen ihn weiter senken. Aber klar ist:
Es besteht ein gewaltiger Unterschied.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500811300

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Carl-Ludwig

Thiele für die FDP-Fraktion.

(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist gut! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mal wieder etwas Sachliches dazu!)



Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1500811400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Der heute in erster Lesung zu debat-
tierende Gesetzentwurf zur Fortentwicklung der ökologi-
schen Steuerreform ist der erste Teil eines gigantischen
Steuererhöhungspakets und gleichzeitig Beitragserhö-
hungsprogramms der rot-grünen Koalition.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Gleichzeitig ist er das Eingestehen des Scheiterns der vor
vier Jahren mit großem medialen Tamtam gestarteten
ökologischen Steuerreform, die der Kollege Metzger das
„Herzstück grüner Finanzpolitik“ genannt hat.

In seiner Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998
hat Rot-Grün erklärt, dass die Sozialversicherungsbei-
träge von damals 42,3 Prozent des Bruttolohns durch die
Einnahmen aus der ökologischen Steuerreform auf unter
40 Prozent gesenkt werden.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die eigentlich so in die Höhe getrieben?)


Der falsche Ansatz von Rot-Grün, dass die Rentenversi-
cherung ausschließlich ein Einnahmeproblem und kein
Ausgabeproblem hat, hat verheerende Folgen für unser
Land. Trotz der gesamten Ökosteuereinnahmen, die sich
inzwischen auf 126 Milliarden DM belaufen, ist es nicht
gelungen, die Rentenversicherungsbeiträge entsprechend
zu senken. Das ist nicht nur Ihr finanzpolitischer, sondern
auch Ihr sozialpolitischer Offenbarungseid.

In schamloser Art und Weise belügen und betrügen Sie
die Bürger mit Ihrer ökologischen Steuerreform.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Seit Jahren predigen Sie den Leuten, dass höhere Steuern
auf Benzin, Heizöl, Erdgas und Strom dazu genutzt wer-
den, die Lohnnebenkosten zu senken.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das stimmt ja auch!)

Gleichzeitig sinken die Rentenversicherungsbeiträge nicht
etwa, sie steigen im nächsten Jahr vielmehr um 0,4 Pro-
zentpunkte. Die Krankenkassenbeiträge steigen um
0,7 Prozentpunkte. Dies bedeutet, dass die Lohnneben-
kosten trotz der ökologischen Steuerreform von 41,3 Pro-
zent in diesem Jahr auf 42,4 Prozent im nächsten Jahr
steigen werden. Das allein bedeutet einen Anstieg der
Lohnnebenkosten um 10 Milliarden Euro im nächsten
Jahr. Ich betone: Es geht dabei nur um den Faktor Arbeit,
der von Rot-Grün zusätzlich belastet wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Damit ist die Belastung – das muss einmal gesagt wer-
den – sogar höher als die, die Sie 1998 von der von Ihnen
viel geschmähten Regierung übernommen haben,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und das trotz der angeblich tollen ökologischen Steuer-
reform. Arbeit sollte eigentlich billiger werden. Das Ge-
genteil ist unter Rot-Grün der Fall.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Regierung ist billiger geworden!)


Herr Loske, ich zitiere aus Ihrer Rede vom
3. März 1999 – vielleicht ist das auch für Sie ganz in-
teressant –:

Sie wissen, im ersten Schritt sollen die Beiträge um
0,8 Prozentpunkte gesenkt werden, in der zweiten
und dritten Stufe um weitere 0,8 Prozentpunkte.


(A)



(B)



(C)



(D)


460


(A)



(B)



(C)



(D)






Damit wollen wir erreichen, dass die Sozialversiche-
rungsbeiträge um 2,5 Prozentpunkte gesenkt werden
können.

Ende des Zitats dieses famosen, sachkundigen Steuer-,
Ökologie- und Rentenexperten Loske. Damit ist das
Scheitern der gesamten Konzeption der ökologischen
Steuerreform der Grünen bewiesen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Das Gegenteil von dem, was die Grünen wollten, ist
der Fall: Die Ökosteuer ist insgesamt um mehr als
100 Milliarden DM gestiegen, die Lohnnebenkosten sind
2003 höher als 1998. Die ökologische Steuerreform ist
das Eingestehen eines Scheiterns grüner Politik. Dass mit
diesem Gesetzentwurf die gescheiterte Politik noch fort-
entwickelt werden soll, ist nun wirklich das Letzte, was
Sie uns hier zumuten; denn das können wir tatsächlich
nicht gebrauchen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Gleichzeitig belasten Sie die Bürger über höhere Ar-

beitskosten, über höhere Energiekosten und über die Ver-
schiebung der Steuerreform um 7Milliarden Euro. Ein wei-
teres Steuererhöhungspaket liegt bereits auf dem Tisch.
Sie wissen allerdings noch nicht genau, was Sie än-
dern wollen: die Eigenheimzulage, die Spekulationsfrist,
Dienstwagenregelungen. Es geht in der Diskussion munter
hin und her. Sie versuchen Ihre Pläne auf die Zeit nach den
Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen zu verschie-
ben, um nicht sagen zu müssen, was Sie konkret wollen.

Entgegen jeder finanzpolitischen Vernunft entziehen
Sie dem deutschen Volk Kaufkraft in Höhe von 30 Milli-
arden Euro, und das bei einem Bruttoinlandsprodukt von
2 000 Milliarden Euro. Das ist abenteuerlich; das ist ein
Anschlag auf die Arbeitsplätze; das ist ein Anschlag auf
die Wirtschaft in unserem Lande. Damit wird keine Auf-
bruchstimmung geschaffen. Das Gegenteil ist der Fall.
Wenn man ein Abbruchunternehmen führen wollte, dann
müsste man so handeln wie Rot-Grün, insbesondere mit
diesem Gesetz.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das wollen wir aber nicht. Wir wollen, dass es mit unse-
rem Land aufwärts geht.

Abgesehen davon, dass Sie Ihre Wähler in dreister
Weise belügen, geben Sie eine Bankrotterklärung für das
gesamte ökologische Projekt ab, welches – das sage ich
nach wie vor – nie ökologisch und nie logisch war. Die
ökologische Steuerreform ist und bleibt nichts als ein Ab-
kassiermodell unter dem Deckmantel der Ökologie. Da-
mit sind Sie auf breiter Front gescheitert.

Wie können Sie eigentlich erklären, dass eine Er-
höhung der Steuer auf Erdgas um 60 Prozent ökologisch
sinnvoll ist, das Verbrennen von Kohle aber überhaupt
nicht besteuert wird?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist rot-grüne Logik!)


Werden hiermit Umweltpolitik, Steuerpolitik oder wird
hiermit auch von den Grünen ausschließlich Klientelpoli-
tik für die deutsche Kohlewirtschaft betrieben?


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Ich frage mich das. Ökologisch ist daran wirklich nichts.
Rot-Grün macht eigentlich nur eins, nämlich unter dem

Deckmantel „Öko“ die Bürger abzuzocken. Aufgrund
dieser falschen rot-grünen Politik steigt die Zahl der Ar-
beitslosen, steigt die Neuverschuldung und steigen die
Lohnnebenkosten. Statt diese angeblich ökologische
Steuerreform fortzuentwickeln, gestehen Sie sich doch
ehrlicherweise ein: Das Konzept der Ökosteuer ist auf
ganzer Linie gescheitert. Wir verabschieden uns davon
und versuchen es jetzt einmal mit der Wahrheit. – Damit
haben Sie es aber nicht.

Deshalb bedauere ich, dass Sie hier weitermachen; das
macht mir Sorgen. Wir werden Ihnen das jedenfalls in
dieser Form nicht durchgehen lassen. Wir werden das mit
den Bürgern diskutieren.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ja, ja! – Zuruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch wenn Sie aufgrund ganz anderer Themen die Wahl
gewonnen haben, wird der Bürger sich merken, dass er
von Ihnen getäuscht und belogen worden ist. Wir werden
Ihnen das in jeder Debatte hier im Deutschen Bundestag
wieder unter die Nase reiben. Den Hauch von Kompetenz,
den Sie im Bereich ökologische Steuerreform vielleicht
einmal hatten, haben Sie spätestens mit diesem Gesetz-
entwurf vom Tisch gewischt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500811500

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege

Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1500811600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ein klein wenig weniger Energieverbrauch,
Herr Kollege Thiele und Herr Kollege Seiffert, würde der
Sache gut tun und wäre dem Thema angemessen. Ich ver-
stehe ja sehr gut, dass Herr Thiele die ganzen Probleme,
die Möllemann und andere der FDP bereiten, durch Laut-
stärke auszugleichen versucht.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Unerhört!)

Sie haben hier versucht, durch ein akustisches Ablen-
kungsmanöver Ihre eigenen Probleme zu übertönen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Primitiv! Wollen wir über Köln reden? – Zuruf des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU])


Ich will ja gar nicht bestreiten, dass die Ökosteuer das
Schicksal aller anderen Steuern teilt: Die Notwendigkeit

Carl-Ludwig Thiele




Reinhard Schultz (Everswinkel)

wird im Grundsatz anerkannt, geliebt wird sie nur von we-
nigen. Das ist nun einmal so.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das stimmt!)

Trotzdem muss man


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ehrlich bleiben!)


den Blick auf die Frage richten, ob sie erfolgreich war
oder nicht.

Wir haben durch die schrittweise Anhebung der Steu-
ern auf Kraftstoffe und Strom – die verstromte Kohle wird
genauso wie das verbrauchte Erdgas mitbesteuert und ist
hiervon ja nicht ausgenommen; so viel dazu – dazu bei-
getragen, dass Energie gespart wurde,


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Teurer wurde!)

Erfolge beim Klimaschutz erreicht wurden


(Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?)

und die Nachfrage nach Energie sparenden Autos und
energieeffizienterer Technik angestiegen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch im produzierenden Gewerbe ist seit dem Jahr

2000 die Nachfrage nach Energiespartechnik deutlich an-
gestiegen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Urplötzlich, was?)


Das war ja auch der Sinn. Wir haben das angeregt, indem
wir gesagt haben: Liebe Freunde, ihr erhaltet einen er-
mäßigten Steuersatz. Nutzt die Zeit zur Umstellung, denn
wir können auf Dauer nicht verantworten, dass im Ge-
gensatz zu den Verbrauchern für euch immer nur Sonder-
tatbestände gelten und ihr ökologische Subventionen er-
haltet! Stellt euch um! – Das ist schon bei den ersten
Einbringungsreden so gesagt worden. Viele haben die
Chance tatsächlich genutzt. Vor diesem Hintergrund ist es
natürlich verantwortbar, die Steuerermäßigungen etwas
zurückzunehmen. Wir sind ja immer noch nicht bei den
Steuern angelangt, die der private Haushalt zu zahlen hat;
da gibt es immer noch einen deutlichen Abstand.

Für die vielen Unternehmen, die im internationalen
Wettbewerb stehen und energieintensiv produzieren,
Energie brauchen, um Stoffe umzuwandeln, haben wir
den Spitzenausgleich voll erhalten. Er wird jetzt anders
errechnet,


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

bleibt aber im Prinzip genauso erhalten. Es wird also im
Wesentlichen keine nennenswert oder gar unzumutbar
höhere Belastung für Zementwerke, für die Aluminium-
industrie, für Glashütten, für die Braunkohleindustrie
oder für andere Betroffene geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir mussten hart darum ringen, aber das haben wir er-
reicht. Die Standorte dieser standortgebundenen, grund-
stoffbezogenen Industrien werden nicht gefährdet. Ich

denke, das ist trotz aller Umstellungen, die wir hier vor-
genommen haben, eine ganz wichtige Botschaft.

Wir haben beim Vorbereitungsprozess dieses Gesetzes
dafür gesorgt, dass der Selbstbehalt, also der Betrag, um
den die Rückerstattung von Öko- und Mineralölsteuer re-
duziert wird, für kleine Unternehmen, die jede Belastung
spüren, bei 511 Euro bleibt und nicht, wie einmal geplant,
heraufgesetzt wird.

Man muss die Belastungen der energieintensiven In-
dustrien auch im Zusammenhang mit anderen Belastun-
gen sehen. Das tun wir. Neben der Ökosteuer werden auch
die Kosten für erneuerbare Energien und KWK über-
gewälzt. Dies muss bei der Diskussion über den CO2-Zer-tifikatehandel berücksichtigt werden. Man muss sich ein
Bild davon machen, was insgesamt erträglich ist, damit
die Grundstoffindustrien nicht aus dem Land gejagt oder
zur Aufgabe gezwungen werden. Das wird eine wichtige
Aufgabe der kommenden Monate sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden uns ebenso darüber unterhalten müssen,
was auf die Dauer mit den anderen aus ökologischen
Gründen erfolgenden Subventionen geschieht. Wenn es
uns durch die Mineralölsteuerbefreiung für alle biogenen
Kraftstoffe gelingt, dafür zu sorgen, dass diese natür-
lichen Kraftstoffe künftig flächendeckend in großem
Maße zur Verfügung stehen, und dafür auch die notwen-
digen Aggregate angeboten werden, dann werden wir uns
in den nächsten Jahren darüber Gedanken machen müs-
sen, ob die Einrichtung des Agrardiesels, für die ich mich
persönlich eingesetzt habe, noch sinnvoll ist und auf-
rechterhalten werden sollte.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Aha! Landwirte, hört!)


Denn ich denke, die Erzeuger biogener Kraftstoffe sollten
diese auch als Erste nutzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben die Lenkungswirkung der ökologischen

Steuerreform mit dem Gesetz, das wir heute diskutieren,
eher verstärkt. Den Beitrag der privaten Haushalte wollen
wir künftig fördern, indem wir ein zinsgünstiges Darle-
hensprogramm auflegen, aus dem zum Beispiel die Um-
setzung der Energieeinsparverordnung im Altbaubestand
mitfinanziert werden soll. Mit 150 Millionen Euro pro
Jahr mobilisieren wir etwa 2 Milliarden Euro Investi-
tionsvolumen, wodurch wir im Altbaubestand dazu bei-
tragen, dass Klimaschutz für die Mieter bzw. Eigentümer
bezahlbar wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das trifft sich mit unseren Überlegungen, mehr in den
Bestand als ständig neu auf der grünen Wiese zu investie-
ren. Hier greifen Siedlungspolitik und Klimaschutz sehr
gut ineinander.

Auch das Thema Unterglasgartenbau haben wir
im Auge. Solange die Unterglaswettbewerber in den
Niederlanden besonders günstige Gasbezugspreise ha-


(A)



(B)



(C)



(D)


462


(A)



(B)



(C)



(D)






ben, so lange können wir unsere Unterglasbetriebe nicht
so belasten, wie wir es eigentlich müssten. Deswegen ha-
ben wir neben dem Spitzenausgleich das Programm zur
Förderung der Umstellung der Heizsysteme dieser Be-
triebe verlängert. Das ist vernünftig und wird ihnen hel-
fen. Es wird von diesen Betrieben auch honoriert, wie sie
uns bereits erklärt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Nachtspeicherheizung ist kein ideologisches
Thema. Das Problem bei diesem Heizsystem ist, dass über
80 Prozent der eingesetzten Energie verloren geht, bevor
es überhaupt warm wird. Wir haben die Mieter, vor
allen Dingen im Ruhrgebiet, über mehrere Jahre geschont
und aus sozialen Gründen nicht so stark belastet wie an-
dere Haushalte.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das war aber nett!)


Aber das muss jetzt ein Ende haben. Wir bieten allen
Wohnungsbaugesellschaften und Vermietern an, dieses
Heizungssystem mit unserer Hilfe und einem eigenen
Programm innerhalb der nächsten sechs Jahre durch mo-
derne Heizungssysteme zu ersetzen. Das ist sozialpoli-
tisch und ökologisch vernünftig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Insofern ist die Zielgenauigkeit der ökologischen Steuer-
reform deutlich verbessert.

Ich komme zurück zum Zusammenhang zwischen
Rente und Ökosteuer. Ohne die ökologische Steuer-
reform hätten wir – das ist hier bereits vorgetragen wor-
den – schon im Jahr 2000 deutlich höhere Rentenversi-
cherungsbeiträge gehabt, nämlich um 1 Prozentpunkt. Im
Jahr 2002 hätten sie um 1,5 Prozentpunkte höher gelegen
und im Jahr 2003 lägen sie statt bei 19,5 bei 21,2 Prozent.

Es ist nicht so, dass sich der Bund selber etwas in die
Tasche stecken würde. Der Bundeszuschuss zur Renten-
versicherung macht inzwischen über ein Drittel der ge-
samten Rentenfinanzierung aus. Davon werden im Jahre
2003 etwa 25 Prozent aus den Einnahmen der Ökosteuer
aufgebracht. Wer davon redet, dass – mit Ausnahme der
ökologischen Investitionsmaßnahmen, die ich genannt
habe – irgendwo irgendetwas verschmiert werde, der sagt
nicht die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben einen vernünftigen Finanzierungsmix aus

allgemeinen Steuern, Ökosteuer und aus Beiträgen hinbe-
kommen, was gerade in dieser schwierigen Zeit Genera-
tionengerechtigkeit vermittelt. Dass wir noch einen
Feinschliff brauchen, ist keine Frage. Aber wer das als un-
gerecht bezeichnet, der ist nicht von dieser Welt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Da muss er selber lachen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500811700

Nun erteile ich dem Kollegen Stefan Müller das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1500811800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen,
ich möchte Ihnen zunächst einmal ein Lob aussprechen:


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Im Erfinden von besonders wohlklingenden Bezeichnun-
gen für Ihre Gesetze sind Sie bislang wirklich unübertrof-
fen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wir beraten heute das Gesetz zur Fortentwicklung der

ökologischen Steuerreform. Mit dieser Bezeichnung ver-
schleiern Sie genau das, um was es eigentlich geht, näm-
lich um die Einführung einer weiteren Stufe der Öko-
steuer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. CarlLudwig Thiele [FDP] – Zuruf von der SPD: Der Anfang war so gut!)


Damit brechen Sie Ihre im Wahlkampf landauf, landab ab-
gegebenen Versprechen, bei der Ökosteuer bleibe es bei
der bereits beschlossenen Erhöhung zum 1. Januar 2003
und sonst nichts. Mit dem nun vorliegenden Gesetzent-
wurf haben Sie also erneut Wortbruch begangen. Bei
Ihnen gilt eben nicht das gesprochene, sondern das ge-
brochene Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Neue Abgeordnete sollten auch neue Reden halten!)


Man fragt sich schon: Sind Sie sich der Konsequenzen
Ihres Handelns überhaupt bewusst? Beim Abbau der
Steuererleichterungen für die Unternehmen des produzie-
renden Gewerbes werden sich die Energiepreise für die
betroffenen Unternehmen drastisch erhöhen. Die Er-
höhung der Steuersätze von 20 auf 60 Prozent und die
Einführung eines Selbstbehaltes von 5 Prozent werden die
Industrie voraussichtlich mit 400 Millionen Euro zusätz-
lich belasten. Für besonders energieintensive Branchen
wie die Chemiebranche könnte das existenzbedrohend
sein.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Quatsch!)


Die Folgen dieser Mehrbelastungen liegen auf der
Hand. Bei den betroffenen Unternehmen wird es zu wei-
teren Rationalisierungen und zum Abbau von Arbeitsplät-
zen kommen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: So kommt es leider!)


Die mittelständische Wirtschaft wird davon besonders be-
troffen sein. Die Anhebung des Steuersatzes für Erdgas
trifft gerade die Unternehmen, die in den letzten Jahren

Reinhard Schultz (Everswinkel)





Stefan Müller (Erlangen)

verstärkt auf Erdgas umgestellt haben. Dabei handelt es
sich genau um die Unternehmen, denen Sie immer wieder
gepredigt haben, auf umweltfreundliches Erdgas umzu-
steigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es macht wirklich keinen Sinn, die Energie höher zu be-
lasten, die die wenigsten Emissionen hervorruft.

Diese Steuererhöhung ist auch deswegen problema-
tisch, weil es europaweit nach wie vor keine Harmonisie-
rung gibt. Länder wie Belgien, Frankreich, Spanien und
Irland erheben nun einmal keine Erdgassteuer. Sie ver-
schlechtern damit wieder einmal die Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Unternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt keinen klimapolitischen Grund, die Ökosteuer

für die Industrie zu erhöhen. Die Ziele der Klimavorsor-
gevereinbarungen werden von den betroffenen Branchen
erfüllt. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Unterneh-
men ihrer umweltpolitischen Verantwortung sehr wohl
bewusst sind. Ihnen geht es lediglich darum, bei den Men-
schen in diesem Land abzukassieren. Diese Steuererhö-
hung ist rein fiskalisch begründet,


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Auch fiskalisch!)


weil Sie hinten und vorne nicht mit dem Geld auskom-
men.

Die von Ihnen im Alleingang durchgesetzte Ökosteuer
hat keine wirtschaftliche und ökologische Berechtigung
mehr. Ihr Ziel, die Lohnnebenkosten damit zu senken, ha-
ben Sie nicht erreicht. Sie haben eben verkündet, dass der
Rentenversicherungsbeitrag auf 19,5 Prozent erhöht wer-
den soll. Wenn man die Zuschüsse aus der Ökosteuer, die
in die Rentenversicherung fließen, abziehen würde, dann
läge der Rentenversicherungsbeitrag bei 21,8 Prozent.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Geben Sie endlich zu, dass Sie mit Ihrer Rentenpolitik ge-
scheitert sind, und nehmen Sie endlich überfällige Struk-
turreformen in Angriff!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verteuern sich in

einer konjunkturell ohnehin schon sehr schwierigen Wirt-
schaftslage sowohl der Faktor Arbeit als auch der Faktor
Energie für die Unternehmen im Vergleich zum vergan-
genen Jahr insgesamt um das Dreifache.

Sie gefährden damit den Wirtschaftsstandort
Deutschland, und das, obwohl in Ihrem Koalitionsver-
trag steht – ich zitiere –:

Unser Land braucht eine Offensive für Wachstum
und Beschäftigung. Mehr Wohlstand für alle ist nur
durch nachhaltiges Wirtschaftswachstum erreichbar.

Da sind wir wieder bei dem Lob: Sie haben Recht. Nur,
wie Sie mit einer solch wirtschaftsfeindlichen Politik
neue Arbeitsplätze schaffen wollen, das bleibt Ihr Ge-

heimnis. Wie heißt es schon so treffend bei Hamlet: „Es
ist schon Wahnsinn, aber es hat doch Methode.“


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500811900

Das Wort hat nun die Parlamentarische Staatssekretä-

rin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen.

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1500812000


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Herr Müller, bitte hören Sie mir einmal kurz zu.
Während Sie sprachen, habe ich mich daran erinnert,
dass Ihre Fraktion zusammen mit Herrn Stoiber im
Wahlkampf über Nacht versucht hat – wir waren damals
mit dem Hochwasser konfrontiert –, zu den größten
Ökologen zu mutieren, und Herr Stoiber hier von diesem
Pult aus sagte: Wir brauchen eine ökologische Steuer-
reform,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Genau!)

um den Klimaschutzzielen näher zu kommen. Daran
möchte ich Sie erinnern.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn sie sinnvoll ist, dann streitet das doch keiner ab!)


Herr Kollege Müller, Sie sagen, die ökologische Steu-
erreform, unsere Energiepolitik, sei eine Politik zur Ver-
hinderung der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wo sind
denn Arbeitsplätze entstanden? – Mittlerweile sind es
bereits über 100 000 allein im Bereich der erneuerbaren
Energien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was ist denn der Exportschlager?

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die Arbeits plätze!)

Das sind die erneuerbaren Energien bzw. Energiespar-
maßnahmen. Hier liegen wir in Deutschland im interna-
tionalen Vergleich vorne. So viel ökonomischen Sachver-
stand darf man wohl erwarten, auch wenn Sie mit
populistischen Sprüchen an dieses Pult hier treten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch eine Bemerkung. Kein Land der EU kann ver-
gleichbar hohe Klimaschutzleistungen vorweisen wie
wir hier in Deutschland. Herr Schultz hat darauf hinge-
wiesen: Mit Einsparungen in einer Größenordnung von
mehr als 200 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten hatDeutschland mehr Treibhausgase reduziert als die EU
insgesamt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Seit wann? – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Seit wann?)


– Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in den letzten
vier Jahren haben wir die CO2-Einsparungen von unter 16


(A)



(B)



(C)



(D)


464


(A)



(B)



(C)



(D)






auf über 19 Prozentpunkte im Vergleich zu 1990 steigern
können.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das sind die Altlasten der Regierung Kohl, die Sie hier vortragen! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Oh! Oh!)


– Ich darf Sie daran erinnern, dass Frau Merkel, immer-
hin einmal Umweltministerin dieses Landes, eine große
Vorkämpferin der Ökosteuer war. In dieser Debatte heute
haben Sie ganz andere Sprüche gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Jetzt erzählen Sie mal etwas über die Gassteuer!)


Was wird mit dem hier vorgelegten Gesetz verfolgt? Es
verfolgt das Ziel, die Lenkungswirkungen zu verbessern.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Im Gasbereich? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Verehrte Kollegen, hören Sie einmal zu! – Sie haben das
produzierende Gewerbe angesprochen. Im Wahlkampf
haben Sie landauf, landab erzählt, Subventionen abbauen
zu wollen. Es könne nicht sein, dass die deutsche Wirt-
schaft mit solch hohen Subventionen zugeschüttet werde.
Denn letzlich sei dies – aufgrund der zur Finanzierung der
Subventionen notwendigen Steuern – eher eine Belastung
für die deutsche Wirtschaft.

Jetzt bauen wir bei den energieintensiven Betrieben nur
rund 10 Prozent der Subventionen ab, die bisher in einer
Größenordnung von 4 Milliarden Euro gewährt werden.
Nun sagen Sie: Das führt zu Pleiten und zu Mindereinnah-
men von 400Millionen Euro. – Sie sollten sich einmal ent-
scheiden, welche Linie Sie tatsächlich vertreten wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein, wir wollen das europaweit richtig machen!)


Zu den kleinen und mittleren Unternehmen. Wir ha-
ben strikt darauf geachtet – Sie sollten einmal die Kirche
im Dorf lassen –, dass kleine Unternehmen über die Bei-
behaltung des Sockelbetrages keine Mehrbelastung erfah-
ren. Wir wollen für das produzierende Gewerbe insgesamt
auch weiterhin die Vorleistungen der deutschen Industrie
im Rahmen der Klimaschutzvereinbarungen steuerlich
anerkennen. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetz.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Jetzt kommt die Gassteuer!)


Bei den Heizstoffen führen wir eine im Hinblick auf
den Energiegehalt systematischere Besteuerung ein, um
keine Verzerrungen entstehen zu lassen. Wir führen eine
im Vergleich zum leichten Heizöl um rund 5 Prozent nied-
rigere Steueranpassung für Erdgas durch. Damit werden
wir den Umweltvorteil von Erdgas auch weiterhin hono-
rieren.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das kann doch nicht wahr sein!)


– Lesen Sie das Gesetz wirklich einmal durch. Dazu ha-
ben Sie nichts gesagt.

Damit ist insgesamt der Anreiz, in Einsparmaßnahmen
und effiziente Kraftwärmekopplungsanlagen zu investie-
ren, deutlich erhöht. Wir fördern die Einsparmaßnahmen
darüber hinaus mit zusätzlichen 150 Millionen Euro jähr-
lich für ein energetisches Gebäudesanierungsprogramm.
Damit können die Leute die Ökosteuer wegsparen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Diese Grünen!)


– Es wäre schön gewesen, wenn Sie auch nur einen einzi-
gen Vorschlag gemacht hätten, wie man tatsächlich dem
Kioto-Ziel nahe kommt. Das tun Sie nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Was machen Sie? Sie, die CDU/CSU und die FDP, sind
die größten Keynesianer seit Bestehen der Bundesrepu-
blik. Sie geben nämlich ständig unzählige Milliarden aus.
Deshalb können Sie gar nicht in die politische Verantwor-
tung genommen werden. Jede Steuersubvention, die wir
abbauen, beklagen Sie – da bricht immer das Land zu-
sammen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie
viele Hunderte von Milliarden Sie im Wahlkampf in Aus-
sicht gestellt haben.

Die Leute in unserem Land wissen, dass wir nachhal-
tig wirtschaften müssen. Dies betrifft die Finanzpolitik,
die Steuerpolitik und natürlich auch die Umweltpolitik.
Das machen wir mit diesem Gesetz, meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zu den Nachtspeicherheizungen: Wir bieten Besitzern
alter Nachtspeicherheizungen zusätzliche 10 Milli-
onen Euro jährlich an, mit denen sie die Umstellung auf
umweltfreundliche Systeme finanzieren können. Das ist
ein Anreiz, den wir jedem geben.

Letzte Bemerkung: Als Bonbon für die Nutzung um-
weltfreundlicher Erdgasautos haben wir jetzt die Verlän-
gerung der bisher nur bis 2009 gültigen Steuerermäßigung
bis 2020 vorgesehen. Damit zahlen Sie als Nutzer eines
Erdgasautos nur rund die Hälfte des normalen Spritpreises.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, genau das ist
die Antwort auf die Herausforderungen aufgrund der kli-
mapolitisch bedingten Katastrophen; das sagt Ihnen doch
jeder. Jedes Jahr nehmen Anzahl und Ausmaß der Kata-
strophen zu; das ist auch beim Hochwasser der Fall. Was
sagen Sie? Sie sagen, das seien alles nur Steuererhöhun-
gen. Entscheidend ist aber die Lenkungswirkung, wie
Sie gehört haben. Zudem geben wir – gerade auch durch
Steuerermäßigungen zugunsten der Umwelt – nach wie
vor den allergrößten Teil zurück und bieten dadurch An-
reize, tatsächlich ökologisch zu wirtschaften. Die Men-
schen in diesem Lande haben das honoriert und werden
das auch weiter honorieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf






Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500812100

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Norbert

Schindler für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1500812200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Staatssekretärin Wolf, hoffentlich werden, nachdem Sie
jetzt in die Umschulung gekommen sind, Ihre nächsten
vier Jahre in der Lehre im Umweltressort besser als Ihre
vier Jahre bei Herrn Minister Müller im Wirtschaftsres-
sort.

Herr Minister Eichel, zu den Aussagen von Frau
Merkel bezüglich des Kioto-Protokolls, die Sie zu Beginn
Ihrer Rede zitiert haben: Ja, diese Ziele hat Frau Merkel
vorgegeben. Es ist treffend gesagt worden, was Herr Kol-
lege Seiffert Ihnen vorgehalten hat. Das Schlimme aber
ist: Mit all den Zitaten im Vorwahlkampf, beginnend ab
April/Mai, haben Sie doch in der Konsequenz nicht nur
das Volk belogen. Sie haben damit auch einen ganz enor-
men Vertrauensverlust in der Wahrnehmung von politi-
schen Aussagen nach draußen bewirkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es sind schlimme Zeichen, die da in der politischen Aus-
einandersetzung gegeben wurden. Die Wahrnehmung
draußen trifft uns alle, ob in der Koalition oder in der Op-
position. Deswegen bitte ich auch, in so einem Punkt in
Zukunft wirklich verantwortlich mit Aussagen umzuge-
hen, damit die Glaubwürdigkeit in der Politik wieder den
Stellenwert bekommt, der uns zu Recht zusteht, den Sie
aber in verantwortungsloser Weise geschliffen haben, an-
gefangen bei Kanzler Schröder über führende Leute in
seinem Kabinett bis hin zum Bereich der Wahlkampfaus-
einandersetzungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Was wir heute beginnen, ist der nächste Tanz auf dem
Vulkan für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Wenn man den Koalitionsvertrag in Zahlen einmal nach-
rechnet, stellt man fest, dass das, was bis 2006 beschlos-
sen ist, Erhöhungen von rund 65 bis 67 Milliarden Euro
ergibt. Was wir heute diskutieren, hat Auswirkungen auf
die Mieterhöhungen im kommenden Jahr. Herr Däke
rechnet mit Durchschnittserhöhungen von 170 bis
180 Euro pro Monat für die Steuerzahler im Durch-
schnittshaushalt.

Ich will das im Einzelnen nicht nachvollziehen, aber die
Gesamtbelastung für den Wirtschaftsstandort Deutschland
im internationalen europäischen Vergleich lässt sich mit
folgendem Bild ausdrücken: Man legt einem Patienten,
der eine Lungenentzündung hat, eine zusätzliche Infek-
tion ins Krankenbett. Meine Damen und Herren, das hält
Deutschlands Wirtschaft im europäischen Vergleich nicht
aus.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch reine Panikmache!)


– Sie können von Panikmache reden, Frau Kollegin, aber
was ist denn mit der Steuerreform 2000 passiert? Die
größte Steuerreform sollte es sein. Was hat Herr Riester
hier getönt, was er mit der größten Rentenreform alles auf
den Weg gebracht hat. Ihr habt jetzt den eigenen Mist ge-
erbt. Es sind eure eigenen Beschlüsse, die im Sommer des
Jahres 2000 so hochgelobt wurden. Ein Desaster unge-
wöhnlichsten Ausmaßes zeigen alle relevanten Zahlen zu
unserer Wirtschaft und zu den Steuereinnahmen.

Ich habe schon von Vertrauensverlust gesprochen. Was
wir jetzt beschließen, sind die ersten Schritte dahin, näm-
lich 2 Milliarden Euro Mehrbelastung im privaten und
2 Milliarden Mehrbelastung im wirtschaftlichen Bereich.
Wir sagten nicht umsonst schon vor einem guten Jahr: Wir
rauchen jetzt für die Sicherheit und wir tanken für die
Rente. – Dies alles findet statt – trotz aller Aussagen, die
in der Vergangenheit gemacht wurden.


(Zuruf von der CDU: Jetzt heizen wir für Eichel!)


Ich befürchte, dass nach dem 2. oder 3. Februar die
Kiste der Pandora ganz aufgemacht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen
gelaufen sind, reden wir hier über die Erhöhung der Erb-
schaftsteuer, über die Einführung der Vermögensteuer
und – das ist gestern schon einmal angeklungen – über die
Erhöhung der Mehrwertsteuer. Man will diesen wichtigen
Tag natürlich genauso abwarten, wie man dies mit dem
großen Wahltag im Jahr 2002 gemacht hat.

Was das, was in der Vergangenheit so viel gelobt wor-
den ist, für uns bedeutet, auch in der strukturellen Ent-
wicklung, sehen wir erst heute. Das geht bis hin zum
Kleingewerbe und zur Landwirtschaft. Wenn es heißt,
dass es die Landwirtschaft nur in Maßen trifft, dann
muss ich erwidern – Sie wissen es doch auch, Herr Kol-
lege Schultz –: Ein Unterglas-Gartenbaubetrieb wird
durch diese Beschlüsse mit 15 000 Euro neu belastet und
da reden Sie vom Wirtschaftsstandort im Vergleich zu
Holland! Sie kommen doch aus der Region. Sie müssten
es eigentlich wissen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da kommt noch die Mehrwertsteuer für die Blumen drauf!)


Dem Durchschnittsbetrieb, der heute schon eine Belas-
tung von 3 500 Euro hat, werden noch einmal 400 bis
500 Euro draufgesattelt. Aber gerade die Bauern haben
bei den Lohnnebenkosten – da verkündet ihr ja immer
eine Entlastung; dabei muss man aber fragen: Was habt
ihr da alles versprochen? – keine Entlastung.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind denn deine Problemlösungsansätze?)


Sie haben bei der Ökosteuer – um noch einmal auf den
Punkt zu kommen – eine gute Idee steuerfiskalisch miss-
braucht, weil Sie nicht den Mut hatten, in den Struktur-
fragen, etwa bei der Rente, die Wahrheit zu sagen und das
Problem so anzupacken, wie es dringend notwendig wäre.


(A)



(B)



(C)



(D)


466


(A)



(B)



(C)



(D)






Diese Flickschusterei ist Gift für Deutschland. Die Aus-
sagen, die Sie im letzten halben Jahr gemacht haben,
führen dazu, dass das Vertrauen in die Politik schwindet.
Ich prophezeie Ihnen: Sie werden dafür bitter, bitter ab-
gestraft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie ist das noch mit der Kiste der Pandora? – Weitere Zurufe)


– Ich kann Ihnen dazu nur Folgendes sagen: In der „Ber-
liner Zeitung“ gab es ein schönes Witzbild mit einer Kuh
und da hieß es: Sie soll nicht mehr fressen, sondern mehr
Milch geben. – Dabei ging es um die deutsche Wirtschaft.
Sehr treffend!


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wie war das noch mal mit der Kiste der Pandora?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500812300

Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD-Frak-

tion.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1500812400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Mit-

glied des Club of Rome, Frederic Vester, hat Ihre Politik,
wie ich finde, völlig richtig gekennzeichnet. Er hat gesagt:

Die Kampagne gegen die Ökosteuer, an deren Spitze
sich Ministerpräsident Edmund Stoiber gesetzt hat,
zeigt überdeutlich, worum es ihm geht, nicht um die
notwendigen Weichenstellungen, die uns und kom-
menden Generationen eine lebenswerte Welt garan-
tieren. Es geht ihm ausschließlich um ein parteipoli-
tisches Kalkül.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Frederic Vester sagt weiter:

Dabei schreckt er nicht einmal davor zurück, die
Fakten bewusst zu entstellen.

Auch das ist richtig.
Wenden wir uns doch noch einmal dem Sinn der öko-

logischen Steuerreform zu! Übrigens waren wir da schon
sehr viel weiter. Ich erinnere nur daran, dass der erste Re-
gierungsbeschluss zu einer ökologischen Steuerreform
vom Kabinett Kohl gefasst worden ist. Das war im Jahre
1990. Es ging um die Einführung einer Restverschmut-
zungsabgabe zum Klimaschutz, die Sie dann allerdings
nicht umgesetzt haben, weil Sie nie den Mut dazu gehabt
haben. Sie haben auch die ganze Zeit danach nichts ande-
res getan, als eine Doppelstrategie zu verfolgen. Sie ha-
ben die ökologische Steuerreform angekündigt, aber im-
mer dann, wenn es Ernst wurde, haben Sie gekniffen. Das
war die Wirklichkeit der 90er-Jahre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was also ist der Sinn der ökologischen Steuerre-
form? Wir sind am Beginn eines ganz neuen und sehr
schwierigen Weges. Sie sagen immer, wir müssten der Be-
völkerung die Wahrheit sagen. Wenn wir es tun, dann kri-
tisieren Sie das auch. Wir sind aber in einer Situation, in
der wir mit dem heutigen Verbrauch an Umwelt nicht wei-
termachen dürfen. Bei der ökologischen Steuerreform
geht es darum, Arbeit zu entlasten und gleichzeitig die
Energieproduktivität und die Ressourcenproduktivität zu
stärken.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Darum steigt auch der Rentenversicherungsbeitrag! – Zuruf von der CDU/CSU: Wo wird Arbeit entlastet?)


– Sie sollten ganz ruhig sein! Sie tun so, als ob Sie mit Ih-
rer eigenen Vergangenheit überhaupt nichts zu tun hätten.
Ich möchte deshalb zum Beispiel auf Herrn Rexrodt
zurückkommen. Er hat in einem Papier, das er vorgelegt
hat, für einen nationalen Alleingang bei der Ökosteuer
plädiert, übrigens völlig zu Recht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Papier der CDU/CSU enthält genau das gleiche Kon-
zept, nämlich Entlastungen bei den Lohnnebenkosten.
Auch Ihr Wahlprogramm von 1998, meine Damen und
Herren von der FDP, enthält eine solche Forderung.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dritter Mehrwertsteuersatz!)


– Nein, in Ihrem Wahlprogramm war von Energiebe-
steuerung und von der Einführung einer Ökosteuer die
Rede.

Ich kann ja verstehen, dass Sie das alles heute nicht
mehr wahrhaben wollen; denn Sie reden den Menschen
nach dem Mund, statt die Wahrheit zu sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Wahrheit ist, dass unser heutiges Wirtschaftsmodell
die Natur zerstört und deshalb nicht fortgesetzt werden
darf. Das ist doch die Wahrheit! Die ökologische Steuer-
reform ist doch kein Selbstzweck.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frederic Vester hat Recht: Das, was Sie betreiben, ist ver-
antwortungslos.

In der Tat hat die Ökosteuer seit 1999 Erfolge gehabt.
Das zeigen alle Untersuchungen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Rente!)

– Auch bei der Rente hat die Ökosteuer Erfolge zu ver-
zeichnen. Immerhin ist der Beitragssatz von 20,3 Pro-
zentpunkten im Jahr 1998 auf 19,1 Prozentpunkte in 2002
gesunken.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Er steigt doch jetzt!)


Das wissen Sie ganz genau. Tun Sie doch nicht so, als ob
das nicht wahr wäre.

Ich möchte jetzt die wichtigsten Erfolge der Öko-
steuer nennen.

Norbert Schindler




Michael Müller (Düsseldorf)


Erstens. In den letzten beiden Jahren ist der Kraftstoff-
verbrauch zum ersten Mal seit Ende der 70er-Jahre ge-
sunken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Der Heizölverbrauch stagniert. Auch das ist
ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sonst gab es
immer nur Zuwächse.

Drittens. Untersuchungen belegen, dass rund 60 000
zusätzliche Arbeitsplätze durch die Ökosteuer geschaffen
und circa 90 000 gesichert worden sind. Sie müssen die
Fakten auch einmal zur Kenntnis nehmen.

Nach den Untersuchungen des Bundesumweltamtes
sind die Kohlendioxidemissionen um rund 8 Millionen
Tonnen durch die Ökosteuer reduziert worden. Zum ers-
ten Mal gab es in den letzten Jahren in unserem Land eine
starke Steigerung der Energieproduktivität. Sie hat sich
fast verdoppelt, wenn man den Zuwachs der letzten vier
Jahre berücksichtigt. Diese Erfolge kann man nur weg-
diskutieren, wenn man sie aus parteipolitischen Gründen
nicht zur Kenntnis nehmen will oder sich nicht mit den
Fakten beschäftigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie war es bei Ihnen? Am Anfang haben Sie – das kann
man Ihnen auch nicht ersparen – gesagt: Eine ökologische
Steuerreform wird es mit uns nicht geben. – Wie haben Sie
gegen diese Steuerreform gewettert! Aber je näher der
Wahltermin vom 22. September rückte, desto öfter haben
die Zeitungen – völlig zu Recht – getitelt: Einknicken von
Herrn Stoiber bei der Ökosteuer – Rolle rückwärts –.
Letztendlich haben Sie eine Schadstoffabgabe vorge-
schlagen. Als ob das keine Ökosteuer wäre! Welche Dop-
pelstrategie betreiben Sie eigentlich? Das, was Sie ma-
chen, kann man in keiner Weise akzeptieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben behauptet, dass unsere Ökosteuer ungerecht
sei, weil sie die Großen schone. Was enthielt Ihr Vor-
schlag einer Schadstoffabgabe? Er enthielt – darauf hat
vorhin jemand hingewiesen – viele Ausnahmen für die
Industrie. Das ist auch vernünftig. Heute behaupten Sie,
wir trieben den Wirtschaftsstandort Deutschland in die
Krise. Nein, Sie sind in Ihrer Argumentation unlogisch
und unsauber. Das ist das eigentliche Problem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden es auf keinen Fall so machen, wie Sie es
zwischen 1989 und 1994 gemacht haben, als Sie die Mi-
neralölsteuer um 51 Pfennig erhöht haben und alle daraus
resultierenden Mehreinnahmen in die Kassen gesteckt ha-
ben, um Haushaltslöcher zu stopfen. So sah Ihre Realität
aus. Wir dagegen leisten einen Beitrag, indem wir das
Aufkommen zurückgeben.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wir haben das als Erste gemacht, nicht ihr!)


– Sie haben stets leichtfertige Versprechungen gemacht,
die Sie nie erfüllen konnten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir machen eine andere Politik. Wir wollen – das ist
völlig richtig – weg von der einseitigen Ausrichtung auf
die Arbeitsproduktivität, das heißt von der Übernahme der
Arbeit durch Technik, hin zu einer höheren Energie- und
Ressourcenproduktivität. Das ist überall in Europa,
nur nicht bei der Opposition, als das moderne wirt-
schaftspolitische Konzept anerkannt. Ich habe aber den
Eindruck, das wird die Opposition nie lernen.

Meine Damen und Herren, man kann Ihnen jetzt lange
vorhalten, was Sie selbst zu diesem Thema gesagt haben.
So wurde beispielsweise im Konzept 2000 der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter anderem mit Hin-
weis auf die großen Vorteile, die man bei der Katalysator-
technik erreicht hat, bewusst für eine nationale Vorreiter-
rolle bei der Ökosteuer plädiert. Das wurde von Herrn
Repnik unterschrieben.

Ein anderes Beispiel: Herr Merz führte am 10. No-
vember 1998 aus, durch die Ökosteuer sollten Steuerein-
nahmen erzielt werden, um auf der anderen Seite Sozial-
abgaben zu reduzieren; über ein solch sinnvolles Konzept
kann man reden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Tatsache ist: Sie haben immer nur folgenlos geredet.

Das ist der zentrale Unterschied zwischen Ihnen und uns,
denn wir handeln. Wir haben nämlich eine Verantwortung
für die Zukunft, die wir auch wahrnehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Armes Deutschland!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500812500

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Michael

Meister für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1500812600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Sie gestatten mir, dass ich Herrn Bundesumweltmi-
nister Trittin vom 29. Oktober zitiere.

Die einseitige Erhöhung der Erdgassteuer, insbeson-
dere im Verhältnis zum Steuersatz des leichten Heiz-
öls, widerspricht der ökologischen Vernunft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihr Bundesumweltminister hat Ihren Gesetzentwurf ge-
meint, dem er damit den Stempel „ökologisch unvernünf-
tig“ aufdrückt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Des Weiteren möchte ich Sie darauf hinweisen, dass

Ihr Bundesumweltminister, gestellt vom Bündnis 90/Die
Grünen, befürchtet, dass die Konzeption dieses Gesetz-


(A)



(B)



(C)



(D)


468


(A)



(B)



(C)



(D)






entwurfs, über den wir debattieren, die klimaschutzpoli-
tische Glaubwürdigkeit des Instrumentenverbundes mit
der freiwilligen Selbstverpflichtung der Industrie ge-
fährdet. Das heißt, Sie stellen mit diesem Gesetzentwurf
massiv infrage, ob die Wirtschaft in Deutschland noch zur
freiwilligen Selbstverpflichtung steht. Der Umweltminis-
ter in Ihrem Kabinett hat Zweifel daran.

Sie sind heute meilenweit davon entfernt, eine 25-Pro-
zent-CO2-Minderung bis zum Jahre 2005 zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor diesem Hintergrund gefährden Sie die freiwillige
Selbstverpflichtung. Das, was Sie hier tun, ist ökologisch
kontraproduktiv und klimafeindlich, Herr Kollege Müller.
Sie sollten also nicht versuchen, uns Ratschläge zu geben.

Sie sagen, Sie machten Energie teurer und Arbeit billi-
ger. Obwohl es vorhin schon einmal angesprochen wurde,
will ich es nochmals auf den Punkt bringen: Das, was Sie
ab 1. Januar 2003 durch die Ökosteuer einnehmen, ent-
spricht 2,3 Prozentpunkten in der Rentenversicherung.
Sie werden eine Anhebung auf 19,5 Prozent zum 1. Januar
beschließen. Das ergäbe einen Beitragssatz von 21,8 Pro-
zent. 1998 lag der Rentenversicherungsbeitrag bei
20,3 Prozent. Das heißt, Sie liegen weit höher als damals
und sind mit Ihrer Rentenreform gescheitert. Sie haben
mit diesem Ansatz in der Rentenpolitik versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie nicht zu einer Systemreform in der Rente

kommen, werden Sie weiter in die Irre gehen. Die Alters-
struktur unserer Bevölkerung muss sich endlich in der
Rentenformel widerspiegeln. Dafür haben wir übrigens
gesorgt.


(Jörg Tauss [SPD]: Rentenkürzung!)

Sie haben den Leuten in Ihrer Koalitionsvereinbarung

vorgegaukelt, dass der Betrieb von Nachtspeicherhei-
zungen nicht besteuert wird. Sie haben in der 14. Wahl-
periode in der Drucksache 14/40 dargestellt, dass
Nachtspeicherheizungen überdurchschnittlich häufig von
unteren Einkommensschichten genutzt werden und ge-
rade deshalb eine steuerliche Ermäßigung gerechtfertigt
sei.

Genau diese unteren Einkommensschichten, die Sie in
Ihrer Drucksache vor vier Jahren hervorgehoben und über
die Sie gesagt haben, ihre Belastung sei sozial unverant-
wortlich, belasten Sie jetzt. Das ist sozial unverantwort-
lich, und zwar nicht deshalb, weil wir es sagen, sondern
aufgrund Ihrer eigenen Argumentation. Lassen Sie doch
die Finger davon und machen Sie keine sozialen Schwei-
nereien!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich ist es berechtigt, nach Herrn Stoiber auch

Frau Merkel nach unserem Konzept zu fragen, Herr
Müller. Ich sage Ihnen dazu: Wir haben ein Konzept, das
an dieser Stelle konsistent ist. Wir haben immer gesagt:
Die ökologische Steuerreform muss EU-konform sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie muss im Gleichklang mit der Europäischen Union er-
folgen. Wir haben immer gesagt: Sie muss wettbewerbs-
konform und aufkommensneutral sein.

Sie machen sie weder EU-konform noch aufkommens-
neutral, noch wettbewerbskonform. Alle Bedingungen
sind verletzt. Deshalb sagen wir auch Nein zu dieser Öko-
steuer. Wir sagen aber nicht Nein zu ökologischen Maß-
nahmen im Steuerrecht, wenn sie den genannten Anfor-
derungen genügen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann halten Sie uns die Erhöhung der Mineralöl-

steuer von Mitte der 90er-Jahre vor. Deren Aufkommen
haben wir natürlich zu einem Teil zur Finanzierung des öf-
fentlichen Personennahverkehrs eingesetzt.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: So ist das! Das ist die Wahrheit!)


Diese Mittel fließen im Rahmen der Bahnreform. Wenn
Sie der Meinung sind, dass wir den öffentlichen Perso-
nennahverkehr nicht aus dem Mineralölsteueraufkommen
finanzieren sollten, dann beantragen Sie, dass die Mine-
ralölsteuer gesenkt und die Finanzierung des ÖPNV
zurückgenommen wird. Bringen Sie, meine Damen und
Herren von Bündnis 90/Die Grünen, einen Antrag ein, der
vorsieht: Finanzierung des ÖPNV absenken. Das müssten
Sie ehrlicherweise tun, wenn Sie uns den Punkt Mine-
ralölsteuererhöhung vorhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Aber Belastung ist doch Belastung, Herr Meister! Sind Sie für die Belastung oder gegen die Belastung?)


– Sind Sie für den ÖPNV oder gegen den ÖPNV? Beant-
worten Sie doch einfach diese Frage!

Ich will Ihnen vorhalten, was Sie in dieser Frage für die
Wirtschaft tun: Es ist keineswegs so, dass Sie in diesem
Land mehr Arbeitsplätze schaffen. Vielmehr belasten Sie
das produzierende Gewerbe, Sie belasten die Landwirt-
schaft und Sie belasten die Forstwirtschaft. Das ist schäd-
lich für den Wirtschaftsstandort Deutschland, es ist schäd-
lich für das Wachstum und es ist schädlich für
Arbeitsplätze. Wenn Sie endlich eine wachstums- und ar-
beitsplatzfreundliche Finanzpolitik machen würden, dann
bräuchten Sie sich auch um die Haushaltskonsolidierung
keine Sorgen zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

1 Prozent mehr Wachstum und Sie haben die gesamten
Haushaltsprobleme in diesem Land gelöst. Deshalb tun
Sie etwas dafür, dass wir Arbeitsplätze und Wachstum be-
kommen. Tun Sie nicht ständig etwas dafür, dass Firmen
und Unternehmen und somit Arbeitsplätze aus Deutsch-
land abwandern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, ist ein Wortbruch.

Denn der Bundeskanzler hat gesagt: Es gibt nach der fünf-
ten Stufe der Ökosteuer keine weitere Stufe. – Das hier ist
die sechste. Von dem, was Sie jetzt in Bezug auf
Nachtspeicherheizungen und Heizöl planen, war vor der

Dr. Michael Meister




Dr. Michael Meister
Wahl nicht die Rede. Alles, was hier begangen worden ist,
ist Wortbruch. Diesen Wortbruch werden wir und auch die
Öffentlichkeit Ihnen nicht durchgehen lassen, selbst wenn
Sie versuchen, diesen Gesetzentwurf bei Nacht und Nebel
und in kurzer Zeit durch die Beratungen zu pauken.

Viel Freude bei der Beratung dieses für dieses Land
und seine Menschen sehr unangenehmen und sehr feind-
lichen Gesetzentwurfes.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Wo ist der Nebel? Der muss Nebelkerzen geworfen haben, sonst wäre hier kein Nebel!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1500812700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf Drucksache 15/21 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Den neu gewählten Kolleginnen und Kollegen im
Hause empfehle ich, keine voreiligen Schlüsse hinsicht-
lich der üblichen Dauer von Plenartagen zu ziehen. Das
gilt besonders für Donnerstage.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 13. November 2002, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.